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Universiteit Gent Academiejaar 2006-2007

DER AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN

Auf der Suche nach der historischen und sprachlichen Funktion

Verhandeling voorgelegd aan de Faculteit Letteren en Wijsbegeerte voor het verkrijgen van de graad van licentiaat in de taal- en letterkunde: Germaanse talen, door Promotor: Dr. Torsten Leuschner Sarah Vanparys

Universiteit Gent Academiejaar 2006-2007

DER AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN

Auf der Suche nach der historischen und sprachlichen Funktion

Verhandeling voorgelegd aan de Faculteit Letteren en Wijsbegeerte voor het verkrijgen van de graad van licentiaat in de taal- en letterkunde: Germaanse talen, door Promotor: Dr. Torsten Leuschner Sarah Vanparys

Dankeswort

Zu Beginn möchte ich einigen Personen danken, die mich beim Verfassen der vorliegenden Arbeit unterstützt haben. An erster Stelle geht mein herzlicher Dank an Herrn Dr. Torsten Leuschner. Er hat nicht nur mein Interesse für dieses Thema geweckt und somit unmittelbar Anstoß zu dieser Diplomarbeit gegeben, sondern er hat mich auch in allen anderen Phasen der Untersuchung stets freundlich und hilfsbereit unterstützt und fachkundig korrigiert.

Ein Wort des herzlichen Dankes gilt auch Herrn Prof. Dr. Luc De Grauwe und Herrn Prof. Dr. Walter De Cubber, die mir auf begeisternde Weise die notwendigen Deutschkenntnisse vermittelt und mir während der vier Studienjahre immer großes Vertrauen entgegengebracht haben. Auch Frau Martine Rottier möchte ich für ihre Hilfe in der Seminarbibliothek danken.

Besonderer Dank geht ebenfalls an Edgar, der diese Arbeit sorgfältig auf Fehler nachgelesen und auch inhaltliche Vorschläge zur Verbesserung gegeben hat.

Nicht zuletzt möchte ich mich bei meiner Familie und bei meinen Freunden bedanken: besonders meiner Mutter und Pierre, die mein Studium ermöglichten, bin ich zu Dank verpflichtet. Meine Mutter hat mich während des ganzen Studiums unterstützt und ermutigt, sowie darauf geachtet, dass ich den nötigen Abstand zu meiner Arbeit bewahren konnte. Pierre möchte ich insbesondere danken für die ‘Krisenmomenten’, in denen er sich um mich gekümmert und mich beruhigt hat. Ich möchte auch meinem Freund Diego für seine fortwährende Unterstützung, meinem Bruder Wouter für die vielen ermutigenden Telefongespräche, meiner Tante Moniek und Onkel Eric für die willkommene Ablenkung im Blumenladen und meinen Freunden und Freundinnen für die entspannenden Online-Gespräche danken. Schließlich danke ich auch meinem Vater.

Gent, den 18. Mai 2007

Inhalt

KAPITEL I: EINLEITUNG 1

1. DER AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN 1

2. ZIEL UND METHODE 3

3. AUFBAU DIESER ARBEIT 4

KAPITEL II: DER DRANG NACH OSTEN ZWISCHEN IDEOLOGIE UND WIRKLICHKEIT 6

1. BEDEUTUNG DES WORTES DRANG 6

2. HISTORISCHER GEHALT UND IDEOLOGISCHE FUNKTION DES AUSDRUCKS DRANG NACH OSTEN 7

2.1 Mittelalterlicher Kontext 8 2.1.1 Die 8 2.1.2 Der Deutsche Ritterorden als Spezialfall 10

2.2 Die Teilungen Polens als Ausdruck der “negativen Polenpolitik” 11

3. ENTLARVUNG DES AUSDRUCKS DRANG NACH OSTEN IN DER FORSCHUNG SEIT DEN FÜNFZIGER JAHREN 12

3.1 H.C. Meyer: Der “Drang nach Osten” in den Jahren 1860-1914 13

3.2 G. Labuda: A historiographic analysis of the German Drang nach Osten 13

3.3 H. Lemberg: Der “Drang nach Osten”. Schlagwort und Wirklichkeit 16

3.4 W. Wippermann: Der “deutsche Drang nach Osten”. Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes 17

3.5 H.C. Meyer: Drang nach Osten. Fortunes of a Slogan-concept in German-Slavic Relations, 1849-1990 18

KAPITEL III: DRANG NACH OSTEN ALS INDIKATOR UND FAKTOR EINER MISSLINGENDEN BEZIEHUNGSGESCHICHTE 19

1. METHODOLOGISCHER AUSGANGSPUNKT 19

1.1 Begriffsgeschichte 19

1.2 Drang nach Osten als Faktor und Indikator der geschichtlichen Erfahrung 21

2. ENTSTEHUNGSKONTEXT 21

2.1. Kristallisation des Ausdrucks Drang nach Osten 22 2.1.1 Wortfeldzugehörigkeit 22 2.1.2 Drang als Teil einer naturalisierenden Metaphorik 23

2.2 Zur Frage des Erstbelegs 24 2.2.1 Die deutschen Hegemonen. Offenes Sendschreiben an Herrn Georg Gervinus 25 2.2.2 Jadwiga i Jagiełło 1374-1412 27

2.3 Drang nach Osten als Indikator einer misslingenden deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte 29 2.3.1 Gegensätzliche Wirkungen des Novemberaufstands 29 2.3.2 Stimmungsumschwung: Polendebatte der Paulskirche 30

3. VERBREITUNG DES AUSDRUCKS DRANG NACH OSTEN 33

3.1 Drang nach Osten im deutschbaltisch-russischen Kontext 33 3.1.1 Entstehung nationalistischer Gefühle 33 3.1.2 Drang nach Osten als Faktor: Rolle der Publizistik 34 3.1.3 Der Ausdruck Drang nach Osten bei den Deutschbalten 36 3.1.4 Erweiterung zu einem deutsch-russischen Konflikt 37

3.2 Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg 38 3.2.1 Einfluss der Reichsgründung auf die deutsch-polnischen Beziehungen 38 3.2.2 Betonung des spezifisch deutschen Drangs nach Osten in der russischen Publizistik 40 3.2.3 Einführung in neue nicht-deutsche Kontexte 42 3.2.4 Verherrlichung des Drangs nach Osten in deutschen Veröffentlichungen 43

3.3 Erster Weltkrieg 45 3.4 Nachwirken des Ersten Weltkrieges in der Zwischenkriegszeit 47 3.4.1 Mythologisierung in Deutschland 47 3.4.2 Objektivierungs- und Mystifizierungstendenzen in Polen 48 3.4.3 Verschwinden des Ausdrucks Drang nach Osten in einigen Bereichen 50

3.5 Zweiter Weltkrieg 51 3.5.1 Deutschland im Bann des Nationalsozialismus 51 3.5.2 Wirkung des Nationalsozialismus in den anderen Ländern. 53

3.6 Nachkriegszeit 54 3.6.1 Weiterführen der ideologischen Analyse des Drangs nach Osten in Polen, in der Sowjetunion und in der DDR 54 3.6.1.1 Schwanken in Polen 54 3.6.1.2 Sowjetunion 56 3.6.1.3 DDR 56 3.6.2 Kontinuität(sbruch?) in Westdeutschland und Verschwinden in den anderen westlichen Ländern 56

4. FAZIT 57

KAPITEL IV: SPRACHFUNKTIONALE ANALYSE 60

1. VORBEMERKUNGEN 60

2. DER TERMINUS BEGRIFF 61

2.1. Der Terminus Begriff in den Geschichtlichen Grundbegriffen 62 2.2 Ist eine theoretische Abgrenzung notwendig? 63 2.3 Eigene praktische Lösung 64 2.3.1 Begriffe als kollektiv - kognitive Einheiten 66 2.3.2 Begriffe als ideologische Instrumente 67 2.3.3 Die zeitliche Binnenstruktur von Begriffen 68 2.3.4 Schlussfolgerung 69

3. DRANG NACH OSTEN ALS BEGRIFF 69

3.1 Begriffliche Aspekte des Ausdrucks Drang nach Osten 70 3.1.1 Bedeutung vs. Bezeichnung 70 3.1.2 Ideologisierbarkeit 72 3.1.3 Temporale Vielschichtigkeit 74

3.2 Drang nach Osten als zeitweiliger Begriff 75

3.3 Verlust des Begriffscharakters 76

4. DRANG NACH OSTEN ALS SCHLAGWORT 77

4.1 Allgemeine Merkmale eines Schlagwortes und Anwendung auf den Ausdruck Drang nach Osten 78

4.2 Drang nach Osten als zeitweiliges Schlagwort 81

5. DRANG NACH OSTEN ALS WORTGRUPPENLEXEM 82

6. GEGENWÄRTIGER UMGANG MIT DEM AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN 85

KAPITEL V: ZUM SCHLUSS … 87

1. DIE GESCHICHTLICHE UND SPRACHLICHE FUNKTION DES AUSDRUCKS DRANG NACH OSTEN 87

2. FORSCHUNGSAUSBLICK: EINE DISKURSANALYTISCHE PERSPEKTIVE 88

LITERATURVERZEICHNIS 92

1

Kapitel I: Einleitung

1. Der Ausdruck Drang nach Osten

Schwarzes Kreuz auf weißen Mänteln: Symbol für den deutschen Drang nach Osten, ewiger Feind des weißen Adlers auf dem Banner eines stolzen und oft gequälten Polen.(Deutsche und Polen, 2002) Mit diesen aus dem Off gesprochenen Worten beginnt die vierteilige Filmdokumentation, Deutsche und Polen. Eine Chronik des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) aus dem Jahre 2002, die das historische Verhältnis von Deutschen und Polen behandelt. Die Szene, die diese Worte begleitet, zeigt wie Kreuzritter des deutschen Ritterordens und eine polnische Armee einander gewaltsam und aggressiv zum Kampf entgegenreiten. Sowohl die Worte als auch die Bilder entsprechen dem traditionellen Geschichtsbild Polens im Verhältnis zu Deutschland: Der deutsche Orden wird als Symbol einer kontinuierlichen Aggression der Deutschen Richtung Osten dargestellt und die Taten des Ritterordens werden an den Anfang einer jahrhundertelangen Feindschaft zwischen Deutschen und Polen gestellt, für den ein unbestimmter deutscher Drang nach Osten verantwortlich gemacht wird. Im weiteren Verlauf der Dokumentation stellt sich jedoch bald heraus, dass sich die Autoren der Klischeehaftigkeit dieser Vorstellungen völlig bewusst sind und dass sie eher distanzierend die Gedanken wiedergeben, die den Polen bei diesen Bildern im Großen und Ganzen durch den Kopf gehen. Damit geben die Autoren jedoch gleichzeitig an, dass die vielen Ansätze zu einer objektiveren Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen, die es vor allem in Polen aber in den letzten Jahren auch in Deutschland innerhalb der Wissenschaft, Publizistik und Politik gegeben hat (vgl. Zernack 1991 [1976]: 23ff), offensichtlich noch nicht hinreichen, um das Geschichtsbild des gemeinen Mannes vollkommen zu de-ideologisieren und die mit dem deutsch-polnischen Verhältnis verbundenen “Stereotype der langen Dauer” (Übersetzung n. Orłowski 2003: 269 von Kula 2000) im öffentlichen Bewusstsein Polens auszulöschen. Die Geschichtswissenschaft hat sich schon seit Jahrzehnten mit dem Ausdruck Drang nach Osten und den damit verknüpften Vorstellungen auseinandergesetzt und es hat sich gezeigt, dass der Drang nach Osten keiner eindeutigen Wirklichkeit entspricht, sondern eher im Bereich der Ideologie anzusiedeln ist. In der heutigen Historiografie lehnt man folglich den Ausdruck Drang nach Osten im Allgemeinen ab. Ein gutes 2

Beispiel für eine populärwissenschaftliche Darstellung, die den Anfang der deutsch- polnischen Beziehungsgeschichte gemäß den aktuellen Forschungsergebnissen präsentiert und folglich den Ausdruck Drang nach Osten und andere klischeehafte Ausdrucksweisen konsequent vermeidet, ist der Artikel Besuch aus der Grauzone von Manfred Ertel im Geschichte-Special der Wochenzeitschrift Der Spiegel vom 20.02.2007. Darin wird beschrieben wie das deutsche Reich im 10. Jahrhundert ein “Multikulti-Gemisch” war: “Friesen und Franken zählten dazu, Alemannen, Thüringer oder Bayern, Sachsen und eben auch Slawen” (Ertel 2007: 36). Es wird den ganzen Aufsatz hindurch betont, dass die unterschiedlichen Stämme neben- und miteinander lebten und dass sie von diesem multi-ethnischen Zusammenleben “gegenseitig profitierte[n]” (Etler 2007: 38). Diese Beschreibungsweise wird auf die spätere Periode der sogenannten deutschen Ostsiedlung ausgedehnt. So wird beispielsweise der Kreuzzug Heinrichs des Löwen und Albrecht des Bären nicht als ein Zeichen der Eroberungssucht des ganzen deutschen Volkes bezeichnet, sondern es wird eben betont, dass viele Kreuzzügler mit diesen Verheerungen nicht einverstanden waren, da sie auf einmal die Leute, mit denen sie schon seit Langem zusammenlebten, als Feinde betrachten sollten. Diese differenzierte Sicht auf die Anfänge der deutsch-slawischen Beziehungen steht ganz deutlich im Kontrast zum Geschichtsklischee, das in der Anfangsszene der Dokumentation Deutsche und Polen beschrieben wird. Es ist, als gäbe es heutzutage zwei unterschiedliche, einander entgegengesetzte Betrachtungsweisen der deutsch- polnischen Beziehungsgeschichte: Einerseits eine pessimistische, die die gegenseitigen Beziehungen, die von Prinzipien wie dem eines unumkehrbaren und schicksalhaften Drangs nach Osten bestimmt werden, als unveränderlich betrachtet und andererseits eine optimistische, die vor allem den gegenseitigen Nutzen der Beziehungen betonen will, damit die interkulturelle Zusammenarbeit der beiden Nationen auch in Zukunft gewährleistet ist. Drang nach Osten ist, wie angedeutet, ein Ausdruck der vor allem von den Anhängern der pessimistischen Sicht benutzt wird. Es ist meiner Meinung nach eines der Ausdrücke, die im stereotypen Denken über das deutsch-polnische Verhältnis eine wichtige Rolle gespielt hat – und manchmal immer noch spielt. Eine Arbeit, die sich mit dem ideologischen Gehalt, der historischen Verbreitung und der sprachlichen 3

Funktion des Ausdrucks auseinandersetzt, könnte m.E. zur De-Ideologisierung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte beitragen.

2. Ziel und Methode Die vorliegende Arbeit hat zwei Intentionen. Zum einen möchte ich anhand der wenigen existierenden Arbeiten, die den Drang nach Osten zum Thema haben, den heutigen Forschungsstand synthetisierend darstellen. Im Großen und Ganzen gibt es in der Forschung zwei verschiedene Gesichtspunkte, unter denen der Drang nach Osten bisher betrachtet worden ist: Einen “faktographische [n], [der] sich mit der Geschichte und Verbreitung des Ausdrucks […] befasst” und einen “ideologiekritische[n], [der] sich mit seiner semantischen und ideologischen Analyse […] beschäftigt.” (Leuschner 2002: 1). In meiner Synthese möchte ich beide Gesichtspunkte zusammenbringen und zeigen, dass die eine Tradition ohne Rücksicht der anderen in eine Sackgasse gelangt. Dies zeigt sich beispielsweise im begriffsgeschichtlichen Werk Meyers (1996). Meyer beschreibt den Ausdruck Drang nach Osten aus faktographischer Sicht und untersucht seine Verbreitung in den unterschiedlichen historischen Kontexten ausführlich. Er nimmt dabei jedoch keine Rücksicht auf die ideologische Dekonstrukion des Ausdrucks Drang nach Osten, die seit den sechziger und siebziger Jahren sowohl in der polnischen als auch in der deutschen Geschichtswissenschaft stattgefunden hat1 und vertritt am Ende seines Werkes die Ansicht, dass Drang nach Osten ein gültiger Begriff sei, der einen realen Grundzug der deutschen Geschichte korrekt auf den Punkt bringe. In dieser Arbeit, in der auch ich begriffsgeschichtlich vorgehe, möchte ich zeigen, dass das Ergebnis einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung ganz anders aussieht, wenn man schon die ideologiekritischen Forschungsergebnisse berücksichtigt. Zum anderen möchte ich, indem ich als zukünftige Sprachwissenschaftlerin die Funktionsweise des Ausdrucks Drang nach Osten linguistisch zu analysieren versuche, das linguistische Interesse für die deutsch-polnischen Beziehungen im Allgemeinen wecken. Anhand des Beispiels Drang nach Osten möchte ich die Aufmerksamkeit auf die gegenseitigen sprachlichen Ideologisierungen und bewussten Manipulationen im deutsch-polnischen Diskurs richten. Weitere begriffsgeschichtliche und diskursanalytische Untersuchungen können meiner Meinung nach in Zukunft zu einem

1 Vgl. u.a. Labuda (1964), Zientara (1983 [1974]), Lemberg (1976), Wippermann (1981). 4

besseren Verständnis und zur Entschärfung des deutsch-polnischen Verhältnisses beitragen.

3. Aufbau dieser Arbeit In vorliegender Arbeit möchte ich im nachfolgenden zweiten Kapitel zunächst die Bedeutung des Ausdrucks Drang nach Osten und die historischen Vorstellungen, die hinter dem Ausdruck stecken, allgemein darstellen. Dabei werde ich vor allem den Unterschied zwischen dem historischem Gehalt und der ideologischen Funktion dieses Ausdrucks betonen und anhand einer Übersicht über die existierenden Studien zum Thema kurz den heutigen Forschungsstand skizzieren. Im dritten Kapitel werde ich mittels eines begriffsgeschichtlichen Verfahrens die Entstehung, die Verwendung und die Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten beschreiben und werde dabei versuchen, die Ergebnisse unterschiedlicher Historiker zu einer Synthese zusammenzufügen. Ansatzpunkt ist dabei die begriffsgeschichtliche These, dass die Sprache sowohl als Indikator als auch als Faktor der Geschichte fungieren kann. Die Aufmerksamkeit wird besonders auf den Zusammenhang zwischen historisch- politischen Ereignissen und der zu- oder abnehmenden Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten gerichtet. Auf diese Weise wird untersucht, ob die Sprache eine beziehungsgeschichtliche Rolle gespielt hat und was diese Rolle beinhaltet hat. Nach der Darstellung der Kontexte, in denen der Ausdruck Drang nach Osten verwendet wurde, werde ich den Ausdruck im vierten Kapitel linguistisch zu bestimmen versuchen. Dabei wird Meyers These, aus dem Schlagwort habe sich ein Begriff Drang nach Osten entwickelt, der seitdem als gültiger Begriff der deutschen Geschichte betrachtet werden könne, mittels der Ergebnisse des dritten Kapitels überprüft. Ich werde zeigen, dass die These Meyers historisch zu relativieren ist, indem auf die im dritten Kapitel beschriebene Entstehung des Ausdrucks in einer Zeit nationaler Spannungen und auf die Ursachen der zeitweiligen politischen Attraktivität dieses Ausdrucks hingewiesen wird. Ich werde dabei, die Kriterien, die Begriffe und Schlagwörter auszeichnen, auf den Ausdruck Drang nach Osten anzuwenden versuchen. Da mit diesen Bezeichnungen besondere funktionale Kriterien verbunden sind, glaube ich, dass sie nicht auf die ganze Verwendungsgeschichte des Ausdrucks Drang nach Osten anwendbar sind und deswegen werde ich nachgehen, inwieweit 5

Drang nach Osten aufgrund seiner Struktur und Bedeutung als Wortgruppenlexem betrachtet werden kann. Der linguistische Terminus Wortgruppenlexem könnte m.E. schon auf die ganze Geschichte des Ausdrucks zutreffen. Zum Schluss wird die gegenwärtige Funktionsweise des Ausdrucks Drang nach Osten kurz betrachtet. Dies ist deshalb von Interesse, da dieser Ausdruck, obwohl er von der Geschichtswissenschaft abgelehnt wird, auch heute noch gelegentlich in den Schlagzeilen deutscher Zeitungen und Zeitschriften benutzt wird, als wäre es von selbst klar, was mit ihm gemeint sein soll2. Anhand der linguistischen Beschreibung des Ausdrucks Drang nach Osten werde ich solche gegenwartssprachlichen Verwendungen zu erklären versuchen, und abschließend die Empfehlung aussprechen, diesen Ausdruck nur dann einzusetzen, wenn man sich seiner historischen Bedeutung und Konnotationen völlig bewusst ist und in der Lage ist, ihn gewissermaßen kontrolliert, ohne die Gefahr historischer Manipulation oder Stereotypisierung zu verwenden.

2 Auf der Website Deutscher Wortschatz findet man u.a. folgende Beispiele: “Republikaner : Drang nach Osten” (Der Spiegel 29/1990), “Vom Drang nach Osten zur peripheren EU-Integration" (Neues Deutschland 2002), “Liebesdrang nach Osten” (FAZ 02.02.2004). 6

Kapitel II: Der Drang nach Osten zwischen Ideologie und Wirklichkeit Bevor ich mich mit der Verbreitung und Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten befasse, möchte ich zunächst ganz allgemein darstellen, was dieser Ausdruck beinhaltet und worauf er verweist. Eine Definition, die m.E. alle wesentlichen Elemente des Ausdrucks Drang nach Osten umfasst, findet man bei Lemberg (2003). Wenn man den Deutschen einen Drang nach Osten vorwerfe, dann drücke man damit eigentlich Folgendes aus:

Aus dem deutschen Volk breche – das sei Teil seines Nationalcharakters - dumpf und unerklärlich der Trieb hervor, erobernd und “germanisierend” im Lauf seiner Geschichte sich nach Osten zu bewegen. (Lemberg 2003: 34) Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werde ich zeigen, dass dumpf, unerklärlich und Trieb Bedeutungskomponenten des Wortes Drang sind. Im zweiten Teil werde ich darstellen, worauf “im Lauf seiner Geschichte” sich bezieht und am Ende dieses Kapitels werde ich anhand einer kurzen Übersicht über den heutigen Forschungsstand nochmals deutlich machen, dass - wie auch Lemberg (2003) selbst meint - der Ausdruck Drang nach Osten in einer wissenschaftlich verantwortbaren Darstellung der deutsch- polnischen Beziehungsgeschichte keinen Platz hat.

1. Bedeutung des Wortes Drang Auf der Website des Projektes Deutscher Wortschatz der Universität Leipzig kann man sich leicht ein Bild vom Wortfeld machen, zu dem das Wort Drang gehört. Synonyme wie Instinkt, Trieb, Impetus, Impuls usw. geben an, dass das Wort Drang ein innerliches, unbewusstes Verlangen zum Ausdruck bringt. Die Liste der oft vorkommenden Kollokationen, z.B. unwiderstehlich, zwanghaft, unbezwingbar usw., zeigt, dass dieses Verlangen nicht von der Vernunft unterdrückt oder kontrolliert werden kann. Ins Auge springt auch, dass man unter den 21 signifikanten rechten Nachbarn von Drang an fünfter Stelle nach Osten findet, während z.B. nach Süden erst auf Platz 18 steht und die anderen Himmelsrichtungen in dieser Liste sogar nicht vorkommen. Zusammenfassend kann man die Bedeutung des Wortes Drang als “starker innerer Antrieb” (DUW 2003 auf Cd-Rom: Art.“Drang”) umschreiben. Wenn man diese Bedeutungsumschreibung vergleicht mit denjenigen, denen man in Wörterbüchern aus der Entstehungszeit des Ausdrucks Drang nach Osten oder in etymologischen Wörterbüchern begegnet, so stellt man eigentlich keine auffallenden 7

Unterschiede fest. Man findet im Großen und Ganzen dieselben Synonyme und Attribute vor. Nur im Wörterbuch der Deutschen Sprache (1876) von D. Sanders findet man neben den Erklärungen “Gedränge” und “das Bedrängende” eine dritte Bedeutung, die als “das zu etwas Drängende” (Sanders 1876: 311) umschrieben wird. Obwohl ein Drang immer von einem Subjekt ausgeht, wird die Subjektbezogenheit durch diese Formulierung besonders hervorgehoben. Auch Lemberg (1976) geht bei seiner semantischen Analyse des Ausdrucks Drang nach Osten auf diesen Punkt ein. Er ist nämlich der Meinung, dass bei einigen slavischen Übersetzungen des Drangs nach Osten nicht das Subjekt, sondern das Objekt in den Mittelpunkt gerückt wird. Er nennt beispielsweise die russische Übersetzung “natisk na Vostok” (Lemberg 1976: 3), wobei natisk mit Andrang zu übersetzen sei. Während Drang eher das innere Streben des Subjektes zum Ausdruck bringe, richte Andrang die Aufmerksamkeit viel mehr auf das vom Drang bedrohte Objekt. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird im Ausland jedoch die deutsche Fassung Drang nach Osten bevorzugt. Wenn man sich der Bedeutung des Wortes Drang bewusst ist, kann man sich fragen, ob es sich für die Beschreibung historischer Erscheinungen eignet. Insofern als Drang einen naturwüchsigen, unbewussten und nicht steuerbaren Prozess bezeichnet, stellt es historische Ereignisse und Vorgänge, die sich aufgrund dieses Dranges vollziehen, als Notwendigkeiten und nicht als Entscheidungen einzelner historischer Akteure dar.

2. Historischer Gehalt und ideologische Funktion des Ausdrucks Drang nach Osten In seiner Definition gibt Lemberg an, dass mit Drang nach Osten auf eine historische Kontinuität in der Bewegung der Deutschen Richtung Osten verwiesen wird. Mit “im Lauf seiner Geschichte” (Lemberg 2003: 34) sind m.E. im Grunde zwei unterschiedliche Perioden gemeint, zwischen denen oft zu Unrecht eine Verbindung hergestellt wird. Diese Verbindung bewirkt, dass man den Eindruck bekommt, dass „die Deutschen‟ mit der Zeit eine kontinuierliche Bewegung Richtung Osten verfolgt haben. Die erste Periode, auf die man mit dem Ausdruck Drang nach Osten verweist, ist das Mittelalter. Drang nach Osten bezieht sich dabei vor allem auf Phänomene des Hoch- und Spätmittelalters, nämlich die Ostsiedlung und die Rolle des Deutschen Ordens. Die zweite Periode fängt mit den Teilungen Polens an und endet mit dem Ausgang des 8

Zweiten Weltkrieges. In dieser zweiten Periode hat sich der Ausdruck als solcher gebildet und bereits beim ersten Beleg wurde auf die historische Kontinuität hingewiesen. Dieser Kontinuitätsgedanke hat sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg halten können und führte nach dem Soziologen J.Majcherek “im polnischen Bewusstsein [zu] eine[r] logische[n] Kette von historischen Ereignissen: die mittelalterlichen Markgrafen, die Kreuzritter, die preußische Teilungsmacht, Bismarck, Hitler” (Interview in Deutsche und Polen, 2002). Ich werde im Folgenden sowohl die eine als auch die andere Periode beschreiben, weil sich im weiteren Verlauf der Arbeit zeigen wird, dass Einsicht in diese Perioden für das Verständnis des Ausdrucks Drang nach Osten wesentlich ist.

2.1 Mittelalterlicher Kontext Obwohl der Ausdruck Drang nach Osten erst Jahrhunderte später gebildet wurde, wird mit ihm oft auf einige Vorgänge der hoch- und spätmittelalterlichen Geschichte verwiesen, nämlich die Ostsiedlung und die „Kreuzzüge‟ des Deutschen Ritterordens. Der Ausdruck Drang nach Osten wurde zur Beschreibung beider Phänomene benutzt, weil man diese somit fast als Naturereignisse darstellen konnte.

2.1.1 Die Ostsiedlung Nach der Christianisierung, die die römisch-katholische Kultur seit dem 9. und 10. Jahrhundert in verschiedenen Ländern Osteuropas einführte, gab es mit dem Landesausbau zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert einen zweiten großen “Verwestlichungsimpuls” (Zernack 1992: 394). Die Ostsiedlung war dabei ein Teil dieses von West nach Ost fortschreitenden Prozesses des Landesausbaus. Im Wesentlichen verweist die Ostsiedlung auf die Phase des Landesausbaus, in der der “west-östliche Akkulturationsprozess” (Zernack 1992: 398) sich seit dem 13. Jahrhundert vom deutschen Reich aus als Siedlung “mit vornehmlich deutschem Charakter” (Conze 1993: 66) in die Länder östlich des Reiches fortsetzte (vgl. Zernack 1977²: 51, Conze 1993: 62ff). Der Landesausbau beschränkte sich nicht auf die Ansiedlung bestimmter Bevölkerungsgruppen, sondern umfasste auch allerhand agrartechnische, wirtschaftliche, rechtliche und kulturelle Entwicklungen, die in den besiedelten Ländern eingeführt wurden (vgl. Zernack 1977²: 52ff). Nach Zernack (1991 [1980]) können vor allem die Unterschiede im Kulturniveau, die Rechtsunterschiede und die demografischen Unterschiede zwischen 9

den “Auswanderungs- und Aufnahmegebieten” (Zernack 1991 [1980]: 191) die Siedlung erklären. Die traditionelle Einteilung in ethnische Kategorien, wobei die Deutschen als Kolonisatoren und die unterschiedlichen slavischen Völker als Opfer dieser Kolonisation aufgefasst werden, ist dabei im Grunde unmöglich, zumal wenn man beispielsweise die Neustammbildung in der Germania Slavica-Zone berücksichtigt. Mit dem Terminus Germania Slavica wird auf die Gebiete östlich von Elbe und Saale verwiesen, die im 7. und 8. Jahrhundert slawisch besiedelt worden waren. Seit dem 8. Jahrhundert siedelten sich in diesen Gebieten jedoch zunehmend deutsche Stämme wie die Franken und die Sachsen an (vgl. Lübke 2003). Aus dieser Mischung unterschiedlicher Stämme entwickelten sich mit der Zeit neue Stämme, die aber weder als „deutsch‟ noch als „slavisch‟ bezeichnet werden konnten. Bei der Darstellung der Akkulturations- und Transformationsprozesse, die sich im Laufe des hochmittelalterlichen Landesausbaus vollzogen haben, muss die Aufmerksamkeit somit nicht auf die ethnische Zugehörigkeit der Siedler gerichtet werden. Es muss vielmehr auf die gegenseitige Beeinflussung geachtet werden und auf die Art und Weise, wie die gegenseitigen Berührungen und Beziehungen bestimmte regionale Eigenheiten veranlasst haben. Im Fall Schlesiens plädiert Zernack (1991 [1980]) zum Beispiel für die Anerkennung seines “Zwischenlandcharakters” (Zernack 1991 [1980]: 189). Man solle nicht versuchen, Schlesien eindeutig zu der Geschichte Polens oder Deutschlands zu zurechnen, sondern man solle Schlesien als ein “geschichtliche[s] Berührungsfeld mehrerer Nationen” (Zernack 1991 [1980]: 189) betrachten. Eine solche objektive und rationale Sicht auf die Ostsiedlung hat sich jedoch erst seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchsetzen können. Bei der „Entdeckung‟ des historischen Phänomens „mittelalterliche Ostsiedlung‟ zu Beginn des 19. Jahrhunderts (vgl. Wippermann 1981: 21) wollte man dieses Phänomen an erster Stelle erklären und dazu eignete sich der Ausdruck Drang nach Osten. Anhand dieses Ausdrucks konnte die Ostsiedlung, die man damals meistens als Ostkolonisation bezeichnete, in den Ländern Osteuropas als das erste Zeichen der angeborenen Aggressivität der Deutschen, gedeutet werden. In Deutschland wurde die Ostsiedlung als Teil der Erfüllung einer deutschen Mission betrachtet, bei der barbarischen Völkern die Kultur gebracht werden sollte. Trotz der entgegengesetzten Interpretation wurde die Ostsiedlung sowohl im nicht-deutschen als im deutschen Kontext fast als ein 10

Naturereignis aufgefasst, d.h. sie wurde als ein natürlicher, nicht-steuerbarer und unwiderstehlicher Prozess beschrieben. Ähnliche Bewertungen gab es nach Piskorski (1991) bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Am Anfang eines Aufsatzes stellt Piskorski sich die Frage, welche Vorstellungen “ein durchschnittlich gebildete[r] Pole oder Deutsche” in der Zwischenkriegszeit von der Ostsiedlung gehabt hätte. Seiner Meinung nach hätten diese wie folgt ausgesehen:

Von beiden Seiten hätten wir von dem ewigen deutschen Drang nach Osten erfahren können, nur daß der Pole damals gemeint hätte, damit sei die Plünderung der slawischen Gebiete und die unmenschliche Behandlung der unterjochten Bevölkerung verbunden gewesen, während der Deutsche das Heldentum seiner Nation hervorgehoben hätte, die im Osten einen neuen zu finden vermutete, zugleich aber glaubte, unter den wenig kultivierten Nachbarn […] höhere Kultur zu verbreiten. (Piskorski 1991: 203) Wenn man diese Vorstellungen mit den aktuellen Forschungsergebnissen vergleicht, die ich am Anfang dieses Abschnittes dargestellt habe, wird gleich klar, dass ein Ausdruck wie Drang nach Osten perfekt die damaligen Vorstellungen der Ostsiedlung als Naturereignis auf den Punkt bringt, mit dem heutigen Forschungsstand jedoch nicht länger in Einklang zu bringen ist.

2.1.2 Der Deutsche Ritterorden als Spezialfall Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts hat die Expansion des Deutschen Ritterordens im Baltikum unter dem Vorwand der Heidenbekämpfung begonnen. Zwischen 1221 und 1223 hatte der piastische Fürst Konrad I. von Masowien unterschiedliche Kreuzzüge gegen die heidnischen Prußen unternommen und dabei das Kulmer Land erobert. Die Prußen unternahmen jedoch Gegenzüge und zur Unterdrückung dieser wurde der Deutsche Ritterorden, der 1198 im Heiligen Land gegründet worden war, von Konrad I. zu Hilfe gerufen. Es gelang dem Deutschen Ritterorden die Prußen zu unterwerfen und demzufolge bekam der Orden das ihm im Tausch versprochene Kulmer Land. Der Deutsche Ritterorden entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer eigenständigen Militärmacht und gründete einen modern organisierten fast pre-absolutistischen Territorialstaat. Von diesem Staat aus versuchte der Orden seine Position nicht nur in den baltischen Gebieten, sondern auch in Polen zu verstärken (vgl. Jaworski et al. 2000: 76ff). Es kam dabei schon ab 1308 zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Orden und Polen. 11

Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Deutschen Orden und Deutschland, denn der Orden kämpfte nur im eigenen Interesse. Dennoch ist eine Verknüpfung zwischen den beiden seit Anfang des 19. Jahrhunderts hergestellt worden. Dabei wurde der Orden oft als ein Vertreter des deutschen Drangs nach Osten aufgefasst und die Eroberungen der Kreuzritter wurden oftmals grundlos mit der deutschen Ostsiedlung gleichgestellt.

2.2 Die Teilungen Polens als Ausdruck der “negativen Polenpolitik” Eine zweite Periode, die für das Verständnis der Bedeutung und Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten äußerst wichtig ist, fängt mit den polnischen Teilungen an und dauert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Während dieser Periode entwickelte sich als Folge der “negativen Polenpolitik” (Zernack) ein deutsch-polnischer Antagonismus. Die Teilungen Polens, die zwischen 1772 und 1795 vollzogen wurden, gelten als der erste und bedeutsamste Ausdruck einer negativen Polenpolitik. Seit dem Ende des letzten nordischen Krieges, in dem Russland auf Kosten Schwedens und Polens eine Vormachtstellung im östlichen Europa gewann (vgl. Zernack 1992²), wurde “die Ausnutzung der geopolitischen Zwischenlage Polens” (Zernack 1992: 418) systematisch in die Politik der Großmächte (Preußen, Russland und Österreich) einbezogen. Während in Preußen, Österreich und Russland der Absolutismus vorherrschte, war Polen zu dieser Zeit formell ein Königreich, faktisch aber eine Adelsrepublik ohne jegliche effektive zentrale Staatsverwaltung. Der Aufbau der polnischen Adelsrepublik bewirkte, dass zentrale Entscheidungen nur unter größten Schwierigkeiten getroffen werden konnten. Bereits 1732 gingen die Großmächte, die sich der Vorteile der politischen Lage Polens bewusst waren, ein Bündnis zur Aufrechterhaltung der polnischen Handlungsunfähigkeit ein (vgl. Zernack 1992: 418). In den folgenden Jahrzehnten genügte dieses Bündnis den “Drei Adlern” nicht mehr, und 1772 einigten sich die drei Großmächte auf die erste Teilung Polens, bei der Polen an jede Teilungsmacht bestimmte Gebiete abtreten musste. Dieses Verfahren wurde 1792 und 1795 wiederholt, bis Polen von der Landkarte Europas verschwunden war. Mit den Teilungen Polens verschwand nicht nur der einzige nicht-absolutistische Staat Osteuropas, sondern änderten sich auch die europäischen Staatenbeziehungen grundlegend. Es war ein Machtkomplex dreier Staaten entstanden dessen Stabilität und 12

Haltbarkeit mit der Aufrechterhaltung der Teilungen Polens stand oder fiel (vgl. Müller 1984: 8ff). Für Preußen war die negative Polenpolitik vollends unverzichtbar, denn nur durch sie hatte Preußen seine Position als Großmacht erlangt und konnte es diese sichern. Entgegen den Erwartungen der drei Teilungsmächte hat der Verlust eines eigenen Staates in Polen gerade das nationale Bewusstsein gesteigert statt unterdrückt. Die “Resistenzfähigkeit der polnischen Gesellschaft” (Müller 1984: 63) bewirkte, dass die Teilungsmächte die polnischen Gebiete niemals völlig unter Kontrolle halten konnten (vgl. Zernack 1996: 124, Müller 1984: 63). Die unterschiedlichen preußischen Versuche zur Integration und Assimilation der polnischen Bevölkerung scheiterten jedes Mal an dem starken Widerstandswillen der Polen. Zwischen Preußen und den Polen entwickelte sich auf diese Weise eine Konfliktsituation, die sich immer weiter verschärfte und die sich seit der Reichsgründung sogar zu einem deutsch-polnischen Antagonismus erweiterte (vgl. Lawaty 1986). Hierauf komme ich im dritten Kapitel jedoch ausführlich zurück, denn die Entscheidung der Paulskirche zur Fortsetzung der negativen Polenpolitik Preußens hat wahrscheinlich den ersten Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten veranlasst. Bei der Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten im 19. und im 20. Jahrhundert wurde, wie oben schon erwähnt, zwischen den Teilungen Polens und der mittelalterlichen Ostsiedlung und Kreuzzüge eine Verbindung hergestellt. Man glaubte dabei an eine Kontinuität der deutschen Aggressivität gegen den Osten und die Teilungen Polens wurden dabei als eine erneute Phase des deutschen Drangs nach Osten aufgefasst. Es wurde jedoch nicht berücksichtigt, dass die Ursachen und Folgen der Teilungen Polens sich völlig von denjenigen der mittelalterlichen Ostsiedlung und Kreuzzüge unterschieden.

3. Entlarvung des Ausdrucks Drang nach Osten in der Forschung seit den fünfziger Jahren Wie ich bereits angedeutet habe, sind sich die Forscher heutzutage im Allgemeinen darüber einig, dass Drang nach Osten eher im Bereich der Ideologie als im Bereich der Wirklichkeit anzusiedeln ist. Das hängt vor allem mit der Tatsache zusammen, dass mit dem Ausdruck Drang nach Osten einem ganzen Volk, nämlich „den Deutschen‟, ein bestimmter angeborener, identischer und gleichbleibender Charakterzug unterstellt 13

wird. Eine solche These kann aber nur vertreten werden, wenn man an die Existenz eines bestimmten Volks- oder Nationalcharakters im Herderschen Sinne glaubt. Diese Gedanken sind heutzutage jedoch längst überholt und demzufolge hat ein Ausdruck wie Drang nach Osten keinen Sinn mehr. In der Geschichtswissenschaft ist der Ausdruck Drang nach Osten schrittweise als Ideologie entlarvt worden. Diese Entwicklung kann man den Werken, auf die ich mich für diese Untersuchung gestützt habe, gut entnehmen. Die einzige Ausnahme hierauf bildet das Werk Meyers, das ich trotzdem wegen seines begriffsgeschichtlichen Ansatzes benutzt habe. In diesem Abschnitt wird die Entwicklung der Ansichten in Bezug auf den Ausdruck Drang nach Osten anhand der existierenden Arbeiten, die den Drang nach Osten zum Thema haben, dargestellt. Im Zuge dieser Übersicht werde ich den weiteren Inhalt der Werke, deren Bewertung anderer Forscher und meine eigene Kritik an ihnen kurz beschreiben.

3.1 H.C. Meyer: Der “Drang nach Osten” in den Jahren 1860-1914 1957 erschien ein erster Aufsatz von Meyer, der den Ausdruck Drang nach Osten zum Thema hatte. Die zentrale Frage dieses Aufsatzes war, wie man erklären könnte, dass der Ausdruck Drang nach Osten sich gerade in der Zeit zwischen 1860 und 1914 verbreitet habe. Gerade in dieser Zeit habe es, Meyer (1957: 6) zufolge, wenig Spuren eines deutschen Druckes gegen Osten gegeben. Meyers Schlusssatz war, dass man in den anderen Ländern die zunehmende Macht des kaiserlichen Deutschlands fürchtete und dass auch die zunehmenden nationalistischen Gefühle den Gebrauch des Drangs nach Osten erklären könnten. Obwohl dieser Aufsatz Meyers durch sein späteres Buch überholt worden ist und obwohl sehr viel Kritik an ihm geübt wurde, ist dieser Aufsatz wichtig gewesen, weil er die Aufmerksamkeit auf die Problematik gerichtet hat und weil die meisten anderen Autoren sich für ihre eigene Arbeit auf Meyers Aufsatz basiert haben oder wenigstens auf diesen Aufsatz hingewiesen haben.

3.2 G. Labuda: A historiographic analysis of the German Drang nach Osten Die erste Arbeit, in der ein wichtiger Schritt zur Relativierung des Ausdrucks Drang nach Osten gemacht wird, ist die 1964 veröffentlichte Abhandlung A historiographic analysis of the German Drang nach Osten von G. Labuda. Darin stellt Labuda zunächst 14

dar, wie die slavische und die deutsche Geschichtsschreibung sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts voneinander entfernten, weil die Darstellung der Geschichte mehr und mehr im Dienst der eigenen nationalistischen Politik stand. Labuda richtet dabei die Aufmerksamkeit besonders auf die Art und Weise, wie die mittelalterliche Ostsiedlung beschrieben wurde und welche Rolle der Ausdruck Drang nach Osten dabei spielte. Im dritten Teil seines Aufsatzes präsentiert Labuda seine eigene Ansichten hinsichtlich der zukünftigen Darstellungsweise des Drangs nach Osten. Dabei macht er einige Verallgemeinerungen, die in Zukunft systematische Beschreibungen des Drangs nach Osten ermöglichen sollen. Die deutsche Expansion in Zentral- und Osteuropa hatte Labuda zufolge vier Hauptformen: wirtschaftlich, demografisch, politisch und ideologisch (1964: 256). Diese vier Hauptformen seien in unterschiedlichen Varianten aufgetreten und verschiedenartig realisiert worden, daher sei es schwierig, diese Expansion auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen (1964: 256). Dennoch gebe es Kriterien, die eine objektive Bewertung der Expansion möglich machen. Nach diesen Kriterien habe die deutsche Kultur in gewissen Bereichen einen positiven Beitrag zur slavischen Kultur geliefert. Dieser positive Beitrag sei jedoch von der Historiografie nicht wahrgenommen worden, denn die Zeit, in der die Geschichtsschreibung sich zu entwickeln begann, sei von gesteigerten nationalistischen Gefühlen gekennzeichnet worden, wodurch eine objektive Beschreibung der historischen Ereignisse unmöglich gewesen sei:

The tragedy of the science of history is that the moment it started to record these mutual relations coincided with growing waves of nationalism and chauvinism on both sides, which did not allow of an objective evaluation of the relative facts. (Labuda 1964: 257) Neben diesem positiven und friedlichen kulturellen Beitrag unterscheidet Labuda in der Periode des Feudalismus und Kapitalismus aber auch eine aggressive Form der Expansion: den “sogenannten Drang nach Osten”(1964: 258). An diesem eigentlichen Drang nach Osten seien nur diejenigen Schichten der Bevölkerung beteiligt gewesen, die die ortsansässige Bevölkerung ausbeuteten. Diese Ausbeutung sei vor allem in wirtschaftlichen und politischen Bereichen vorgekommen. Nach Labudas Vorstellung war der Drang nach Osten also nicht nur auf eine bestimmte Periode beschränkt, sondern bekam er auch einen Klassencharakter. 15

Labuda kann, insofern er den Gedanken der historischen Kontinuität zugunsten einer differenzierteren Sicht aufgegeben hat, sicherlich zu der Gruppe der polnischen Historiker gezählt werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Historiografie der deutschen mittelalterlichen Geschichte vom mythischen Ballast befreien wollten. Es fällt aber auf, dass er immer noch an einigen überholten Kategorien festhält und an die realhistorische Existenz eines Drangs nach Osten glaubt3:

The historic Drang nach Osten is a reality and it would be difficult to deny its existence; its diversity is also beyond any doubt. Of course, Drang nach Osten as a historic phenomenon should be distinguished from the theory of Drang nach Osten as a political ideology […]. (Labuda 1964: 254) Autoren wie Zientara (1983 [1974]: 173ff) und Wippermann4 (1981: 79) haben bei Labuda vor allem diese Aspekte kritisiert. Zientara (1983 [1974]: 175ff) stellt sich die Frage - gesetzt es habe, wie Labuda behauptet, einen Drang nach Osten gegeben -, worin dieser sich dann von der Expansion in andere Himmelsrichtungen unterscheide. Das Argument Labudas (1964: 256), es handle sich beim Drang nach Osten nicht nur um eine territorial-politische, sondern auch um eine demografische Expansion, wird von Zientara (1983 [1974]: 175) zurückgewiesen, dadurch dass er darauf hinweist, dass Labuda gerade die demografische Expansion aus seiner Definition des Drangs nach Osten herausgenommen habe, weil er die Siedlung der Bauern und Handwerker davon ausgeschlossen habe. Überdies fragt Zientara (1983 [1974]: 175) sich, ob man die Rolle der Bauern überhaupt von der der Feudalherren trennen könne, denn ohne den “Massenzustrom” (Zientara 1983 [1974]) deutscher Bauern wäre die Veränderung des ethnischen Charakters der Gebiete unmöglich gewesen. Im Übrigen war der Antagonismus zwischen den deutschen Bauern und der bodenständigen Bevölkerung eher religiöser als nationaler Art. Zum Schluss verweist Zientara (1983 [1974]: 176f) auf die damalige politische Lage im Reich und auf die Tatsache, dass diejenigen deutschen Fürstentümer, die angeblich den Drang nach Osten vorantrieben, im eigenen Interesse handelten und nicht für die des ganzen Reiches. Zientaras Schlussfolgerung

3 In seiner später veröffentlichten Abhandlung Les slaves et l‟Historiografie allemande du XIXe siècle (1969) scheint Labuda diese These nicht mehr zu vertreten, denn in der Behandlung des Drangs nach Osten fügt er ständig hinzu, dass es sich dabei um eine Ideologie handle (vgl. Labuda 1969: 234ff). Da er sich in dieser Abhandlung nicht an erster Stelle mit dem Ausdruck Drang nach Osten beschäftigt, verzichte ich hier auf eine ausführliche Beschreibung dieser Arbeit. 4 Da Wippermann (1981) sich in großem Maße den Thesen Zientaras (1983 [1974]) anschließt, beschreibe ich im Folgenden lediglich die Kritik Zientaras (1983 [1974]). 16

ist, es habe im Mittelalter zwar eine Expansion der deutschen Fürstentümer in die Gebiete östlich der Oder und Neiße gegeben, aber diese sei weder instinktiv oder typisch deutsch, noch Teil einer planmäßigen Aggression der Deutschen Richtung Osten gewesen. Nach Zientara bedarf diese Expansion dann auch keiner eigenen Bezeichnung wie z.B. Drang nach Osten.

3.3 H. Lemberg: Der “Drang nach Osten”. Schlagwort und Wirklichkeit 1976 beschäftigt auch H. Lemberg sich mit der Frage, inwieweit der Ausdruck Drang nach Osten einer historischen Wirklichkeit entspricht. Nach einer äußerst kurzen Beschreibung der Verbreitung des Ausdrucks versucht Lemberg den Ausdruck semantisch zu analysieren. Im dritten Teil seiner Arbeit stellt er fest, dass der Ausdruck Drang nach Osten von der deutschen Historiografie kaum benutzt worden sei, da er bereits von der anderen Seite, d.h. von denjenigen, die sich von diesem Drang bedroht fühlten, besetzt worden sei. Nachdem Lemberg den Kontinuitätsgedanken und den Glauben an bestimmte nationale Charakterzüge als falsch zurückgewiesen hat, bezeichnet er den Ausdruck Drang nach Osten als ein Heterostereotyp. Anhand von Heterostereotypen werden “einer anderen Gruppe oder Nation […] vorurteilhaft bestimmte Eigenschaften zugeschrieben” (Lemberg 1976: 9). Mit dem Ausdruck Drang nach Osten schreibe man den Deutschen “ein bestimmtes, undifferenziert-einfaches Verhaltensmuster” (Lemberg 1976: 9) zu. Lemberg gesteht aber ein, dass der Begriff Heterostereotyp, der aus der Sozialpsychologie stammt, sich für die Geschichtswissenschaft nicht eigne, und schlägt somit die Bezeichnung “historischer Mythos” (Lemberg 1976: 9) vor. Lemberg distanziert sich in diesem Aufsatz deutlich von der These Labudas, indem er behauptet, dass der Ausdruck Drang nach Osten überhaupt keinen historischen “Wahrheitsgehalt” (Lemberg 1976: 13) habe. Auf diese Weise stellt seine Arbeit einen weiteren Schritt in der Relativierung des Wertes eines Drangs nach Osten dar. Trotz dieser weitgehenden Relativierung weist Lemberg (1976) am Anfang und am Ende seines Aufsatzes kurz darauf hin, dass, dadurch dass so “viele Menschen an seine Existenz glaubten” (Lemberg 1976: 13), der Ausdruck doch einen bestimmten “Grad von Wirklichkeit” (Lemberg 1976: 1) erlangt habe. Diese These Lembergs werde ich im dritten Kapitel überprüfen, denn auch ich glaube, dass der Ausdruck Drang nach Osten, 17

auch wenn er keiner Realität entspricht, doch die realhistorischen Beziehungen unterschiedlicher Länder als Faktor hat beeinflussen können.

3.4 W. Wippermann: Der “deutsche Drang nach Osten”. Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes In seinem 1981 veröffentlichten Werk Der „deutsche Drang nach Osten‟ will W. Wippermann anhand einer Untersuchung des “Ursprung[s], [der] Genese und [der] Funktion, [der] Träger und [der] Adressaten des Schlagwortes” (Wippermann 1981: 1) zeigen, dass es sich beim Drang nach Osten “nicht um eine historische Realität, sondern um eine Ideologie” (Wippermann 1981: 6) handle. Als Ideologie könne der Drang nach Osten aber trotzdem “Faktor und Indikator von realhistorischen Entwicklungen” (Wippermann 1981: 6) gewesen sein. Zur Unterstützung seiner These benutzt Wippermann hauptsächlich Zitate aus der Historiografie. Die Kritik, die man an diesem Werk üben kann, ist vor allem struktureller Art, insofern als Wippermann die deutsche, russische und polnische Historiografie gesondert betrachtet, geht der chronologische Zusammenhang, der – wie ich im dritten Kapitel noch ausführlich zeigen werde - für den Ausdruck Drang nach Osten äußerst wichtig ist, verloren. Die Historiografie war vor allem seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in den verschiedenen Ländern ein wesentlicher beziehungsgeschichtlicher Faktor, d.h. die Geschichtsschreibung hat, indem sie die Geschichte anhand von Ausdrücken, wie beispielsweise Drang nach Osten, beschrieb, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Nationen beeinflusst. Die Historiografie stand im Dienst der damaligen nationalistischen Politik und sollte diese unterstützen und rechtfertigen. Gerade wegen des beziehungsgeschichtlichen Zusammenhanges zwischen der Politik und der Historiografie der unterschiedlichen Nationen, wäre eine gesamte chronologische Beschreibung der Historiografie in Deutschland, Polen und Russland ergiebiger gewesen. So wie Wippermann es jetzt darstellt, bleibt auch unklar, von welchen historischen Ereignissen der Ausdruck Drang nach Osten Indikator und Faktor gewesen sein könnte. Ich werde im nachfolgenden Kapitel zeigen, dass der Ausdruck Drang nach Osten an erster Stelle Indikator der misslingenden deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte gewesen ist, dass die Rolle des Ausdrucks als Faktor hingegen nicht so eindeutig festzulegen ist. 18

3.5 H.C. Meyer: Drang nach Osten. Fortunes of a Slogan-concept in German- Slavic Relations, 1849-1990 Die bisher letzte Arbeit, die sich ausführlich mit dem Thema Drang nach Osten auseinandergesetzt hat, ist Drang nach Osten (1996) von H.C. Meyer. Hauptthese dieses Buches ist, dass der Ausdruck Drang nach Osten, der zunächst als publizistisches Schlagwort (“slogan”) benutzt worden sei, sich im Laufe der Zeit zu einem historiografischen Begriff (“concept”) entwickelt habe. Nach einer chronologischen Beschreibung der Geschichte und Verbreitung des Ausdrucks, ist Meyer am Ende seines Werkes der Meinung, dass Drang nach Osten ein gültiger historischer Begriff sei, der in der Geschichtsschreibung als zutreffende Beschreibung einer Grundtendenz der deutschen Geschichte verwendet werden dürfe und sollte. In methodologischer Hinsicht bedeutet das Buch Meyers einen Rückschritt, denn er scheint an der realhistorischen Existenz eines Drangs nach Osten nicht zu zweifeln:

Under these combined historiographical and geographical initiatives the way could be found finally to establish Drang nach Osten as a valid historical concept, as a proper Begriff for German history. (Meyer 1996: 142) An verschiedenen Stellen scheint er sogar zu bedauern, dass die gegenwärtige deutsche Historiografie sich wegen einer “psycho-political blockage” (Meyer 1996: 141) immer noch nicht mit der Realität eines Drangs nach Osten habe versöhnen können. Ob die Verschiebung von Schlagwort zu Begriff tatsächlich zutrifft, werde ich im vierten Kapitel ausführlich behandeln. Im jetzigen Zusammenhang ist vor allem wichtig, dass Meyers These, der Ausdruck Drang nach Osten könne und sollte legitimerweise in der Geschichtschreibung verwendet werden, einen Rückfall in den Forschungsstand der Vorkriegszeit bedeutet. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Meyer sich kaum mit den aktuellen Forschungsergebnissen5 auseinandersetzt. Dennoch ist seine Arbeit wegen der Unmenge von Zitaten, vor allem aus dem Bereich der Publizistik, eine Bereicherung und eine Ergänzung zum Werk Wippermanns (1981), denn dessen Zitate stammen fast alle aus historiografischen Veröffentlichungen. Bedauernswert ist aber, dass Meyer dieser ausführlichen Quellenauswertung kein Quellen- und Literaturverzeichnis hinzugefügt hat (vgl. Leuschner 2002).

5 Meyer (1996: 18f) erwähnt zwar das Werk Wippermanns (1981), weist aber dessen These ohne wirkliche Argumentation zurück und erhält seine eigenen Thesen uneingeschränkt aufrecht. 19

Kapitel III: Drang nach Osten als Indikator und Faktor einer misslingenden Beziehungsgeschichte

1. Methodologischer Ausgangspunkt In diesem Kapitel stehen die Entstehung, die Entwicklung und die Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten im Mittelpunkt. Die Ausgangsfragen bei dieser Darstellung sind, ob und inwieweit der Ausdruck als Indikator die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen und im weiteren Sinne der Beziehungen Deutschlands zu Osteuropa widergespiegelt hat und ob er als Faktor auf diese Beziehungen auch einen Einfluss ausgeübt hat. Dies wird anhand des Zusammenhanges zwischen den historisch-politischen Kontexten und der Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten untersucht. Das Ziel dieses Überblickes ist ein zweifaches. Zum einen möchte ich die bisherigen Forschungsergebnisse zu einer einheitlichen Darstellung zusammenführen. Zum anderen möchte ich anhand des Ausdrucks Drang nach Osten zeigen, dass auch die Sprache eine beziehungsgeschichtliche Rolle spielen kann. Der Aufbau dieses Kapitels sieht wie folgt aus: Nach einer Beschreibung des begriffsgeschichtlichen Ausgangspunktes wird der Entstehungskontext des Ausdrucks Drang nach Osten ausführlich untersucht, und danach werden die weitere Verbreitung und die Kontexte, in denen Drang nach Osten im Laufe der Zeit benutzt worden ist, skizziert.

1.1 Begriffsgeschichte Für diese Arbeit habe ich mich, wie erwähnt, von der Begriffsgeschichte inspirieren lassen. Vor allem in den beiden folgenden Kapiteln werde ich mehrfach auf Thesen, Ideen und Ergebnisse dieser Disziplin verweisen. Es scheint mir deswegen angebracht, zunächst kurz Ziel und Methode der Begriffsgeschichte zu erläutern. Die seit den fünfziger Jahren aufkommende Begriffsgeschichte forscht nach zentralen, politisch oder sozial relevanten Ausdrücken und untersucht ihre Entwicklung im Laufe der Zeit. Die Begriffsgeschichte kann somit als Teil der historischen Semantik eingeordnet werden, denn Ziel der historischen Semantik ist es:

[...] mit Hilfe der Bedeutungsanalyse von sprachlicher Verständigung über historische Erfahrung an die darin enthaltene Wirklichkeitskonstruktion heranzukommen. (Busse 1987: 57) 20

Auch die Begriffsgeschichte geht davon aus, dass die geschichtliche Erfahrung der Wirklichkeit und die sprachliche Gestaltung der Wirklichkeit engstens miteinander verbunden sind. Der dahinter liegende Gedanke ist, dass die Sprache zum einen eine Indikatorenfunktion hat, d.h. in der Sprache kommen die politischen und sozialen Phänomene und ihre Veränderung zum Ausdruck, dass sie aber auch zum anderen als Faktor wirksam ist, denn die Sprache übt einen Einfluss auf die Wahrnehmung und das Bewusstsein dieser Phänomene aus (vgl. Koselleck 1972). Deshalb charakterisiert Koselleck (1998) die Begriffsgeschichte als “Medium zwischen realer Geschichte und Bewußtseinsgeschichte” (Koselleck und Dipper 1998: 188). Das Eigentümliche der Begriffsgeschichte ist, dass sie die Vermittlung zwischen Sprache und Geschichte anhand von Begriffen untersucht. Worin der spezifische Wert eines Begriffes besteht, wird im vierten Kapitel ausführlich behandelt. Hier möchte ich deswegen nur ganz kurz angeben, was in der Begriffsgeschichte allgemein als Begriff gilt. Begriffe, z.B. Staat, Herrschaft, Kapital, Adel usw., vereinen in sich nach Koselleck “die Fülle eines politisch-sozialen Bedeutungszusammenhanges” (1972: XXII). Sie seien “Konzentrate vieler Bedeutungsgehalte” (Koselleck 1972: XXII) und seien folglich immer vieldeutig. Der Begriff Demokratie kann beispielsweise auf einen Staat, auf ein politisches System, auf ein Prinzip der Gleichberechtigung usw. verweisen. Die Aufgabe der Begriffsgeschichte besteht darin, zu untersuchen, wann, wo, von wem und für wen welche Erfahrungen oder Ereignisse wie begriffen und sprachlich kondensiert werden (vgl. Koselleck 2002: 41). Nachdem man die Begriffe als solche hat destillieren können, wird ihre eigene Geschichte und ihre Vernetzung in eine Gesamtheit von Gegenbegriffen, Ober- und Unterbegriffen, Begleit- und Nebenbegriffen untersucht (vgl. Koselleck 2002: 43). Dass diese Angaben zur Begriffsgeschichte ziemlich allgemein und abstrakt bleiben, hat damit zu tun, dass je nach dem untersuchten Problem und dem spezifischen Erkenntnisziel, Methode und Ergebnis recht verschieden ausfallen können. Sogar innerhalb des Lexikons Geschichtliche Grundbegriffe (1972-1997), in dem der Übergang von der alten zur modernen Welt anhand der sich ändernden Begriffe im deutschen Sprachraum wiedergegeben wird, gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Beiträgen. Die Unterschiede hängen nach Busse (1987: 61ff) u.a. mit 21

dem interdisziplinären Charakter der Begriffsgeschichte, mit der unterschiedlichen theoretischen Herkunft der Autoren, mit der unterschiedlichen Betonung der Rolle des Kontextes, mit der differenzierten Auffassungen von Begriffen, mit der verschiedenen Quellenauswahl usw. zusammen. Diese Unbestimmtheit macht m.E. sowohl die Stärke als auch die Schwäche der Begriffsgeschichte aus. Da sie methodologisch nicht eindeutig festgelegt ist, kann sie von verschiedenen Wissenschaften (z.B. der Geschichte, der Linguistik, der Soziologie) benutzt werden und ständig an das jeweilige Erkenntnisziel angepasst werden. Andererseits bewirkt der Mangel an einer soliden theoretischen Grundlage, dass sie als (Teil-) Disziplin nicht immer ernst genommen wird und dass man in bestimmten Zweifelsfällen nicht auf eine theoretische Grundlage zurückgreifen kann. In dieser Arbeit werde ich vor allem die Stärke der Begriffsgeschichte, d.h. ihre Flexibilität, ausnutzen und nachgehen inwieweit einige ihrer Grundgedanken auf den Ausdruck Drang nach Osten zu übertragen sind.

1.2 Drang nach Osten als Faktor und Indikator der geschichtlichen Erfahrung Mithilfe einiger Fragestellungen der Begriffsgeschichte wird im Folgenden die Geschichte des Ausdrucks Drang nach Osten analysiert. Trotz meiner begriffsgeschichtlichen Vorgehensweise glaube ich aber, dass es schwer zu entscheiden ist, ob Drang nach Osten als Begriff betrachtet werden kann. Auf diese Problematik werde ich im vierten Kapitel eingehen. Die Flexibilität der Begriffsgeschichte lässt es aber zu, dass man ihre Fragestellungen auch auf andere sprachliche Phänomene anwenden kann. Die begriffsgeschichtliche Frage, wann, wo und für wen welche historischen Ereignisse sich im Ausdruck Drang nach Osten sprachlich kondensierten, wird im Laufe dieses Kapitels beantwortet. Außerdem glaube ich, dass Drang nach Osten ein Indikator und Faktor der misslingenden Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland und Polen (und in weiterem Sinne Osteuropa) gewesen ist; diese These wird in diesem Kapitel überprüft.

2. Entstehungskontext Zunächst werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen, unter welchen historischen Umständen sich der Ausdruck Drang nach Osten hat bilden können. Dabei werde ich 22

die Kristallisation des Ausdrucks Drang nach Osten aus einem Wortfeld alternativer Ausdrucksmöglichkeiten unter die Lupe nehmen, die Forschungsergebnisse zum ersten Gebrauch des Drangs nach Osten darstellen und zum Schluss werde ich den historisch- politischen Kontext, in dem sich der Ausdruck zunächst gebildet hat, genauer untersuchen.

2.1. Kristallisation des Ausdrucks Drang nach Osten

2.1.1 Wortfeldzugehörigkeit Der Ausdruck Drang nach Osten hat sich nicht auf einmal in dieser Formulierung im Sprachgebrauch etabliert. Vielmehr wurde der Inhalt dieses Ausdrucks schon eine Zeit lang anhand unterschiedlicher Substantive und Verben, die zum selben Wortfeld gehörten, sprachlich zum Ausdruck gebracht. Aus dieser Menge alternativer Ausdrucksweisen hat Drang nach Osten sich allmählich als verfestigte nominale Kollokation in Form eines Wortgruppenlexems (vgl. unten IV, 5) herausbilden können. In Texten, in denen die inhaltlichen Komponenten des Drangs nach Osten anwesend waren, wurden zunächst allerhand andere Substantive und Verben benutzt. In der deutschen Historiografie und Publizistik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet Wippermann (1981: 38ff) neben den Verben dringen und drängen mit ihren verschiedenen Präfixen wie z.B. ein-, vor-, zurück- usw. auch die Wortgruppe drängendes Deutschtum und das Substantiv Vordringen. Nicht nur in deutschen Veröffentlichungen, sondern beispielsweise auch im Werk des slovakischen Autors L. Štúr Das Slaventhum und die Welt der Zukunft (1853) werden neben Drang die Substantive Andrang und Vordringen benutzt (vgl. Wippermann 1981: 52ff). Neben diesen Wörtern, die alle zur selben Wortfamilie gehören, wurden teilweise auch Substantive wie z.B. Zug oder Beruf verwendet. Diese sind zwar anderer etymologischer Herkunft, bringen dennoch einen ähnlichen Inhalt, nämlich das Befolgen eines bestimmten Triebes, zum Ausdruck. Auf diese Weise wurde das Substantiv Beruf u.a. von G. Waitz benutzt: “Wenn man erkennt, daß deutsche Cultur, deutsche Bevölkerung den Beruf [meine Hervorhebung, SV] haben, sich gegen den Osten hin auszubreiten, […]” (Waitz 1860: 14). Von diesen unterschiedlichen Ausdrucksweisen haben sich mit der Zeit vor allem die Kollokationen Drang nach Osten in nicht-deutschen Kontexten und Zug nach (dem) Osten im deutschen Kontext durchsetzen können. Dazu könnte die Tatsache 23

beigetragen haben, dass Drang im 19. Jahrhundert ein sehr beliebtes Modewort war, denn in schlagwortartigen Formulierungen werden öfters Modewörter verwendet. Drang war ein Stichwort der romantischen Literatur, die es von Sturm-und-Drang- Autoren übernommen hatte. Die romantischen Helden führten oft einen Kampf gegen ihre inneren Dränge, die sie als tierisch, dunkel und geheimnisvoll erlebten. Auch in den damaligen philosophischen Wortschatz wurde das Wort Drang mit Betonung derselben inhaltlichen Komponenten übernommen. Nach dem Historischen Wörterbuch der Philosophie (1972) benennt Drang ein “Antriebsgeschehen”, das von einem “inneren, sehr intensiven Spannungserleben” und von der “Erlebnisqualität des Dunklen, Dumpfen” (HWP 1972: 290) gekennzeichnet ist. Unter anderem A. Schopenhauer und M. Scheler bezeichneten in ihrer Philosophie mit Drang die unterste Stufe des Willens (vgl. HWP 1972: 290f). Die ersten Verwendungen des Ausdrucks Drang nach Osten in nicht-deutschen Kontexten sind vor allem als Ironisierung des von deutschen Autoren überbenutzten Wortes Drang zu verstehen. Die Tatsache, dass im deutschen Kontext der Ausdruck Zug nach (dem) Osten bevorzugt wurde, kann man vor allem dadurch erklären, dass Drang nach Osten als Teil der gegnerischen Ideologie aufgefasst wurde (vgl. oben II, 3.3).

2.1.2 Drang als Teil einer naturalisierenden Metaphorik Ich werde im Folgenden noch mehrmals darauf hinweisen, dass der Ausdruck Drang nach Osten in Deutschland selber auffallend wenig benutzt wurde. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die inhaltlichen Komponenten fehlten, es fehlte lediglich der exakte Ausdruck. Beim Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde in unterschiedlichen deutschen Veröffentlichungen eine naturalisierende Metaphorik verwendet, bei der anstatt des Wortes Drang andere Worte, die einen ähnlichen Inhalt zum Ausdruck brachten, benutzt wurden. Anhand von Wörtern wie Ausbreiten, Ausdehnen, Ziehen, Treiben, Strömen, Fließen und Drängen (Wippermann 1981: 95) wurde beschrieben, wie der Lauf der Geschichte von “organisch-naturwüchsige[n] und daher unaufhaltsame[n] Vorg[ä]ng[en]” (Wippermann 1981: 95) bestimmt werde. Diese Metaphorik wurde nicht nur auf die deutsche Expansion Richtung Osten, sondern auf jegliche Migration von Menschen angewandt. Einige deutsche Historiker stellten sogar den ganzen Lauf der Geschichte anhand einer riesigen Flut-und-Ebbe- Metaphorik dar: 24

[…] bis zum Gestade des Ärmelkanals hatte die Völkerflut die Germanen getragen; in einer Hochwelle gleichsam war sie daran gebrandet. Die große Oszillation nach Westen war vollendet […]. (Lamprecht 1913: 311) So wie man sich einem Drang nur schwer widersetzen kann, kann man sich auch gegen eine Flut oder Welle nur schwer wehren. Nicht nur K. Lamprecht, sondern u.a. auch A. Wäber (“slavische Flut”), M. Beheim-Schwarzbach (“Wellen des Deutschtums”) und K. Hampe (“slavische Flutwelle” alle zit.n. Wippermann 1981: 98ff) hatten eine Vorliebe für Metaphern aus dem Bereich des Meeres. Auffallend ist, dass Wäber und Hampe diese Metaphorik auch auf die Slaven anwandten: Nicht nur das deutsche Volk, sondern auch die anderen Völker bewegten sich in der Geschichte wie Wellen. Eine derartige Vorstellung der Geschichte findet man 1958 noch bei P.E. Schramm:

[…], dass es sich um zwei Flutbewegungen handelt, die so ineinander greifen, dass jeweils einer Westflut eine Ostebbe und einer Ostflut eine Westebbe entsprach. (Schramm 1958: 322 zit.n. Labuda 1964: 236) Zu dieser Flut-und-Wellenmetaphorik passt auch das Verb dringen, zumal wenn man bedenkt, dass dem Wort Drang im Historischen Wörterbuch der Philosophie ein wellenartiger Charakter zugeschrieben wird. Ein Drang manifestiere sich “in Form eines «Hinzu» und «Hinweg»” (HWP 1972: 291) und habe “einen phasischen, wellenartigen Verlauf” (HWP 1972: 292). Auf diese Weise scheint es, als ob das Wort Drang diese Flut-und-Welle-Metaphorik automatisch mit sich bringt.

2.2 Zur Frage des Erstbelegs Wenn man weiß, dass der Ausdruck Drang nach Osten sich erst nach längerer Zeit aus einer ganzen Menge gleichwertiger Ausdrücke hat herauskristallisieren können, kann man sich auch leicht vorstellen, dass man bei der Suche nach dem ersten Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten in genau dieser Form mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert wird. Oftmals ist es so, dass alle inhaltlichen Komponenten vorliegen, dass der Ausdruck als solcher jedoch fehlt. Manchmal begegnet man einer Ausdrucksweise, die sich nur in einem Element vom Ausdruck Drang nach Osten unterscheidet, z.B. “Drang nach Ostland” (Treitschke 1897: 234 zit.n. Meyer 1996: 61), oder der Ausdruck steht in Anführungszeichen, oder er wird einem anderen Autor zugeschrieben. Daher vermuten die unterschiedlichen Forscher übereinstimmend, dass der Erfinder und somit der erste Beleg des Ausdrucks Drang nach Osten bis jetzt noch nicht gefunden worden 25

sei6. Trotzdem haben (fast) alle versucht, dem ersten Gebrauch auf die Spur zu kommen. Diese Suche hat zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt, allerdings ohne dass die Autoren dabei viel Rücksicht auf die Ergebnisse anderer genommen hätten.

2.2.1 Die deutschen Hegemonen. Offenes Sendschreiben an Herrn Georg Gervinus Die Stelle, die auch heute noch als frühester Beleg des Ausdrucks Drang nach Osten betrachtet wird, findet sich in einem Werk des polnischen Historikers und Publizisten J. Klaczko aus dem Jahre 1849. In Die deutschen Hegemonen. Offenes Sendschreiben an Herrn Georg Gervinus äußert Klaczko seine Enttäuschung über die Abkehr der deutschen Nationalversammlung vom Ziel der Wiederherstellung Polens (vgl. unten III, 2.3.2). Er richtet sich dabei besonders an G. Gervinus, der Herausgeber der Deutschen Zeitung war und der in den vorangehenden Jahren eine Artikelserie von Klaczko zur polnischen Emigration in Form von Leitartikeln in seiner Zeitung veröffentlicht hat. Obwohl Gervinus mehrmals deutlich machte, dass er für den Inhalt dieser Artikel keine Verantwortung übernehmen wollte, hatte Klaczko das Gefühl, dass Gervinus ihn bedingungslos unterstützte (vgl. Hahn 1979: 89f). Als Gervinus im Jahre 1848 seine Haltung gegenüber Polen änderte, seine Sympathien für eine deutsche Expansion äußerte und dabei die Polen dazu aufforderte, ihre Aufmerksamkeit nicht auf “das polnische Preußen” (Meyer 1996: 41), sondern auf den Osten zu richten (vgl. Meyer 1996: 41), war dies für Klaczko unerwartet und fühlte er sich demzufolge persönlich betrogen. Im offenen Sendschreiben geht ein emotionaler und enttäuschter Klaczko in der deutschen Geschichte auf der Suche nach einer Erklärung für diese Meinungsänderung. Dies alles bildete den Hintergrund für den ersten Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten. Nach einer Darstellung der Ostsiedlung, die nur als Kreuzzug und nicht als Siedlungsvorgang beschrieben wird, vergleicht Klaczko die Verbrechen des deutschen Ritterordens mit dem nationalistischen Expansionismus des Frankfurter Parlaments. Beide benutzten den Drang nach Osten als Mittel der Rechtfertigung:

[...] bei dem deutschen Orden damals, wie bei dem deutschen Parlament jetzt, entschuldigte der “Drang nach dem Osten” alle Verbrechen. (Klaczko 1849: 30)

6 Vgl. u.a. Labuda (1969: 236), Lemberg (1973: 1), Zientara (1983 [1974]: 172). 26

Da diese Stelle bis heute noch als frühester Beleg für den Ausdruck Drang nach Osten gilt, scheint es mir interessant, sie mit Rücksicht auf den Rest des Textes genauer zu untersuchen. Erstens hat Meyer (1996) auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass bereits beim ersten Gebrauch des Ausdrucks auf die historische Kontinuität in der Aggression der Deutschen Richtung Osten hingewiesen wird. Klaczko macht keinen Unterschied zwischen den Taten der Kreuzritter im Mittelalter – die er umstandslos als Deutsche behandelt - und den Entscheidungen des Frankfurter Parlaments im 19. Jahrhundert. Beide seien Exponenten des Drangs nach Osten. Zweitens fällt auf, dass Klaczko durch die Verwendung von Anführungszeichen die Wortgruppe als Zitat präsentiert und somit suggeriert, er habe diesen Ausdruck nicht erfunden, sondern nur einer anderen, namentlich nicht genannten Quelle entnommen. Es ist jedoch sonderbar, dass er im selben Text auch den Ausdruck Zug nach dem Osten zweimal in Anführungszeichen verwendet und dabei doch seine jeweilige Quelle beim Namen nennt: Die liberalen Politiker Gagern und Wuttke sollen diesen Ausdruck im Frankfurter Parlament benutzt haben. Da Klaczko den Ausdruck Drang nach Osten auch in Anführungszeichen, aber ohne Namensnennung erwähnt, könnte es also sein, dass er den Ausdruck selbst geprägt hat und zugleich angeben möchte, dass er genauso gut von einem Deutschen hätte stammen können. Ein weiteres Argument zugunsten dieser Hypothese ist, dass Klaczko den mystischen, vagen und geheimnisvollen Sprachgebrauch des Frankfurter Parlaments ironisiert, indem er Folgendes behauptet:

[…] uns [d.h. die Polen, meine Hinzufügung, SV] hat dieser “Zug nach dem Osten”, wie Herr v. Gagern es nannte, dieser Drang nach Drängen [meine Hervorhebung, SV], dieses allumfassende Weltgefühl immer gefehlt. (Klaczko 1849: 7) Mit dem Ausdruck Drang nach Drängen ironisiert Klaczko die Überbenutzung des Wortes Drang, das zu dieser Zeit in Deutschland ein sehr beliebtes Modewort war (vgl. oben III, 2.1.1), und formuliert er den Ausdruck Zug nach dem Osten einige Seiten später konsequenterweise als Drang nach dem Osten um. Trotz dieser Ironisierung des mystifizierenden Sprachgebrauchs stellt man im weiteren Verlauf des Textes fest, dass Klaczko im Grunde nicht über ein sehr ähnliches Geschichtsbild hinauskommt und im Drang des “Germane[n] nach dem Osten” (Klaczko 1849: 24) sogar eine historische Wahrheit sieht: 27

[…] von jenem dunkeln Dämonen getrieben, den schon Alarich in sich verspürt, voll jenes politischen Mystizismus, der, wie sein religiöser oft, nur solchen frivolen Egoimus barg, drang der Germane nach dem Osten und machte den Slawen zum Sclaven. (Klaczko 1849: 24) Klaczko schwankt also zwischen der Entlarvung des Ausdrucks Drang nach Osten als einem “Rechtfertigungsbegriff” (Lemberg 1976: 12) der deutschen Expansion Richtung Osten und der Annahme des Drangs nach Osten als einer realen Macht in der deutsch- polnischen Beziehungsgeschichte. Die letztere Interpretation ist für den weiteren Gebrauch des Ausdrucks entscheidend gewesen. Ein letztes Element, das in Bezug auf Klaczkos Text auffällt, ist, dass sowohl bei Zug nach dem Osten als auch bei Drang nach dem Osten, der Benennung der Himmelsrichtung der bestimmte Artikel vorausgeht. Ten Cate et al. (2004) haben in Bezug auf die Verwendung des Artikels bei Himmelsrichtungen in der deutschen Gegenwartssprache Folgendes feststellen können: Wenn im Deutschen der bestimmte Artikel vor der Bezeichnung der Himmelsrichtung verwendet wird, so ist mit der Himmelsrichtung ein bestimmtes Gebiet gemeint, wie beispielweise im Satz „Im Norden wird es kalt‟. Wenn der bestimmte Artikel jedoch fehlt, so wird lediglich eine Richtung bezeichnet, wie im Satz „Das Gewitter kam von Norden‟ (vgl. Ten Cate et al. 2004: 183). Inwieweit diese sprachliche Regel schon im 19. Jahrhundert galt, muss in sprachhistorischen Untersuchungen mithilfe von Korpusdaten noch erörtert werden. Wenn wir im jetzigen Zusammenhang davon ausgehen, dass diese Regel auch damals schon galt, ist in der Verwendungsgeschichte des Ausdrucks Drang nach Osten eine Entwicklung erkennbar. Indem Klaczko, nach dem Vorbild des Frankfurter Parlaments, konsequent den bestimmten Artikel hinzufügt, macht er m.E. klar, dass „mit dem Osten‟ an erster Stelle ein bestimmtes Gebiet, nämlich Polen, gemeint ist. Im Laufe seiner Geschichte, wird der Ausdruck Drang nach Osten jedoch immer weniger gebietsspezifisch verwendet, was dazu führte, dass der bestimmte Artikel konsequenterweise wegfiel.

2.2.2 Jadwiga i Jagiełło 1374-1412 Bevor Lawaty (1986) auf das Werk Klaczkos aufmerksam machte, galt ein anderes Zitat als früheste Belegstelle für den Ausdruck Drang nach Osten. Es handelt sich um ein Zitat aus Jadwiga i Jagiełło 1374-1412 des polnischen Historikers K. Szajnocha. In 28

dieser Beschreibung des Jagiełłonenreiches aus dem Jahre 18617 kann man nach Labuda (1964: 239) den Ausdruck Drang nach Osten in der polnischen Formulierung (parcie na wschód) lesen. Szajnocha gibt dabei selber an, dass er diesen Ausdruck nicht erfunden, sondern deutschen Quellen entnommen habe: “What the Germans of today call in selfjustification the drive to the east” (Übersetzung n. Labuda 1964: 239f von Szajnocha 1861: 10f). Auch Wippermann (1981: 48) hebt hervor, dass Szajnocha über einen ungenannten deutschen Kollegen vom Drang nach Osten erfahren haben will. Meiner meinung nach könnte er den Ausdruck aber auch von einem polnischen Kollegen z.B. Klaczko übernommen haben. Obwohl das Zitat seinen Wert als Erstbeleg verloren hat, scheint es mir aus mehreren Gründen interessant und deshalb möchte ich kurz darauf eingehen. Erstens fallen die vielen Ähnlichkeiten mit dem Zitat von Klaczko auf. In den beiden Fällen handelt es sich um polnische Historiker, die in ihrem Umgang mit dem Ausdruck Drang nach Osten ein Schwanken aufweisen. Zum einen entlarven sie den Ausdruck als Rechtfertigungsideologie (vgl. “selfjustification”) und spotten über den Gebrauch des Ausdrucks als Erklärung für das Verhalten der Deutschen. Zum anderen verknüpfen sie aber den Drang nach Osten mit der geschichtlichen Wirklichkeit und wird er als eine reale geschichtliche Macht erfahren, z.B. wenn Szajnocha schreibt:

Was die Deutschen [...] unter irgendeinem sozusagen vom Schicksal verhängten Drang nach Osten verstehen, das war und ist [meine Hervorhebung, SV] eigentlich ein Drang nach allen Seiten, wohin auch immer die Habgier durchdringen wollte und konnte. (Übersetzung n. Lemberg 1976: 1 von Szajnocha 1861: 10f) In diesem Zitat wird Drang nach Osten nicht gebietsspezifisch verwendet, sondern als “ein Drang nach allen Seiten” bezeichnet, demzufolge ist der bestimmte Artikel unnötig. Eine weitere Ähnlichkeit zwischen Klaczko und Szajnocha ist, dass sie angeben, sie hätten die Idee eines Drangs nach Osten nicht selber erfunden, sondern von den Deutschen übernommen. Es lässt sich aber vermuten, dass, obwohl der Gedanke zu dieser Zeit in deutschen Quellen geläufig war, der exakte Ausdruck Drang nach Osten von polnischen Historikern geschaffen wurde.

7 Piskorski (1997: 2) behauptet, dass Buch Jadwiga und Jagiełło ist im Jahre 1855/56 veröffentlicht worden, weil er jedoch der einzige ist der diese Jahreszahle angibt, behalte ich das Jahr 1861 bei. 29

Der Beleg bei Szajnocha ist auch noch aus einem anderen Grund interessant, denn nach Labuda (1964: 239) hat Szajnocha die Verbreitung des Ausdrucks bei den Polen in den unterschiedlichen Teilungsgebieten bewirkt. Szajnocha sei zu dieser Zeit ein erfolgreicher polnischer Schriftsteller gewesen, dessen Ideen gerne in die damalige Literatur aufgenommen worden seien. Wippermann (1981: 49) seinerseits betont jedoch, dass der Einfluss Szajnochas sich auf die Literatur beschränkt habe und dass der Ausdruck Drang nach Osten damals noch nicht in der polnischen Historiografie verbreitet gewesen sei.

2.3 Drang nach Osten als Indikator einer misslingenden deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte Es fällt auf, dass die beiden frühesten Belege, in denen der exakte Ausdruck Drang nach Osten verwendet wird, sich in derselben Periode und im selben deutsch-polnischen Kontext situieren. Deswegen werde ich die politischen Entwicklungen dieser Zeit und einige Faktoren, die die Angst der Polen vor einem erneuten Drang nach Osten erklären könnten, untersuchen. Der historisch-politische Kontext, in dem diese beiden Belege situiert sind, zeigt nämlich, dass der Ausdruck Drang nach Osten als Indikator der sich verschlechternden deutsch-polnischen Beziehungen entstanden ist.

2.3.1 Gegensätzliche Wirkungen des Novemberaufstands Als 1815 nach dem Wiener Kongress das Königreich Polen in einer Personalunion mit Russland geschaffen wurde – als selbstständiger Staat war Polen seit der letzten Teilung Polens (1795) von der Landkarte Europas verschwunden -, bekam Polen von Zar Alexander I. weitgehende Eigenständigkeit und Möglichkeiten zur Entwicklung seiner eigenen Kultur (vgl. Jaworski et al. 2000: 260ff). Diese positive Haltung Russlands weckte bei den Polen die Hoffnung auf eine Umkehr in der russischen Außenpolitik, die vorher die Entwicklung eines polnischen Nationalbewusstseins und einer polnischen Kultur weitgehend verhindert hatte. Die positiven Erwartungen wurden jedoch 1825 beim Thronwechsel enttäuscht, denn der neue Zar Nikolaus I. schränkte die Rechte und Freiheiten Polens in hohem Maße ein. Die polnisch-russischen Spannungen nahmen infolgedessen wieder zu und erreichten 1830 ihren Höhepunkt im polnischen Novemberaufstand. Dieser Aufstand führte zu einem polnisch-russischen Krieg und endete mit der völligen Niederlage der polnischen Aufständischen, die sich gegen die militärischen Kräfte nicht wehren konnten. Bemerkenswert ist, dass Preußen in diesem 30

Krieg die negative Polenpolitik der Teilungsmächte abermals unter Beweis stellte, indem es auf der Seite Russlands stand und auf diese Weise die nationale Wiederherstellung Polens zu verhindern half (vgl. Broszat 1978: 92ff). Anders als in Preußen veranlasste der Novemberaufstand in Deutschland eine Welle der Polenbegeisterung, insofern als der Kampf der Polen für nationale Selbstständigkeit mit dem der Deutschen für eine einheitliche Nation identisch zu sein schien. Zudem hatten beide anfänglich dieselben Feinde, nämlich Russland, Preußen und Österreich, d.h. die drei Teilungsmächte (vgl. Lawaty 1986: 18f). Die Polenfreundschaft, die in Deutschland ein Instrument der Opposition wurde, richtete sich gegen den Einfluss Russlands und plädierte für eine Änderung in der preußischen und österreichischen Politik (vgl. Müller 1984: 84). Auch von Seiten der Polen fand eine Annäherung an die Deutschen statt, indem man das deutsche Volk von den halbdeutschen Mächten (Preußen und Österreich) unterschied und Hoffnungen auf eine deutsche Revolution hegte, die eine Änderung in der Mächtekonstellation veranlassen konnte (vgl. Lawaty 1986: 22ff). Im März 1848 hat die deutsche Revolution stattgefunden, deren erhoffte Wirkung blieb jedoch aus, weil eine Lösung der deutschen und der polnischen Frage nur über die Teilung Preußens hätte erreicht werden können. Solange keine Revision der Teilung Polens stattfand und die “Drei Adler” den polnischen Staat immer noch von außen beherrschen wollten, konnten die beiden nationalen Fragen jedoch nicht gleichberechtigt gelöst werden (vgl. Zernack 1992: 390). Die gegenseitigen deutsch-polnischen Sympathiebekundungen werden von den meisten Autoren, die sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen auseinandersetzen, jedoch als oberflächlich bezeichnet8. So hebt Müller (1979, 1981) zum Beispiel hervor, dass die Polenbegeisterung “eine eher sozialpsychologische denn […] politisch deutbare Erscheinung” (Müller 1979: 101) war, die sich trotz einiger materieller Hilfsleistungen vor allem als “literarisch-publizistische Solidarisierung” (Müller 1981: 87) manifestierte.

2.3.2 Stimmungsumschwung: Polendebatte der Paulskirche Während vor und zu Beginn der Märzrevolution in bestimmten liberalen Kreisen Deutschlands noch von einer Polenfreundschaft die Rede sein konnte, änderte diese Stimmung sich völlig im Sommer 1848 während der sogenannten Polendebatte der

8 Vgl. u.a. Broszat (1978: 98), Müller (1981), Wippermann (1981: 31) und Zernack (1992: 433). 31

Nationalversammlung in der Paulskirche, in der man sich über die Grenzziehung zwischen den Nationen im Großherzogtum Posen einigen musste (vgl. Zernack 1996: 128). Zur Entscheidung stand, gänzlich auf das Großherzogtum zu verzichten, es zu teilen oder es als „Provinz Großherzogtum Posen‟ in das zu schaffende deutsche Reich einzugliedern (vgl. Broszat 1978: 113). Die Befürworter der zweiten Möglichkeit verwendeten zur Verteidigung ihrer Meinung einen neuartigen9 Sprachgebrauch, der die Möglichkeit einer Annäherung zwischen Deutschen und Polen völlig ausschloss. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Rede des “demokratischen” Abgeordneten Jordan:

Wer da sagt, wir sollen diese deutschen Bewohner von Posen den Polen hingeben und unter polnische Regierung stellen, den halte ich mindestens für einen unbewußten Volksverräter. […] Es ist wohl Zeit für uns, endlich einmal zu erwachen, aus jener träumerischen Selbstvergessenheit, in der wir schwärmten für alle möglichen Nationalitäten, während wir selbst in schmachvoller Unfreiheit darniederlagen, zu erwachen zu einem gesunden Volksegoismus. (Jordan 24.7.184810 zit.n. Broszat 1978: 113f) Die Paulskirche hat sich für die letzte Möglichkeit und somit für die Nicht-Lösung der polnischen Frage entschieden. Auf diese Weise stellte sie sich auf die Seite Preußens und wurde die negative Polenpolitik nun auch Teil der Politik der Frankfurter Nationalversammlung. Man wollte das Bündnis der drei Teilungsmächte aufrecht erhalten und verhinderte folglich die Errichtung eines polnischen Nationalstaates. Müller (1981: 83), Lawaty (1986: 23) und Zernack (1992: 434) erklären die Entscheidung der Paulskirche gleichermaßen. Sie heben hervor, dass es im deutschen Nationalismus zwei unterschiedliche Tendenzen gab: einerseits eine emanzipatorisch und politisch-partizipatorische, die im Zeichen des republikanischen Prinzips für erhöhte politische Partizipation strebte, und andererseits eine integrativ-restaurative, die aufgrund ethnisch-kultureller Gemeinsamkeiten einen Nationalstaat errichten wollte (vgl. Müller: 1981: 73ff). Nach 1848 habe jedoch vor allem das Konzept des integrativen Nationalismus sich durchsetzen können, während der emazipatorische Nationalismus in den Hintergrund trat (vgl. Müller 1981: 83). Der integrative Nationalismus, der nach dem Novemberaufstand eine Zeit lang von einer

9 Hahn (1979: 99f) hebt hervor, dass dieser Sprachgebrauch “nicht vom Himmel fiel” (Hahn 1979: 100), sondern schon seit der Mitte der vierziger Jahre in der konservativen Presse anwesend war. Das neue war aber, dass dieser Sprachgebrauch nach der Märzrevolution von den Liberalen übernommen wurde. 10 Die Rede von Jordan, sowie die Rede von Dmowski (vgl. unten IV. 3.1.2) werden in der Bibliografie nicht im einzelnen nachgewiesen. Dasselbe gilt für Zitate aus Zeitschriften und Zeitungen, die ich anderer Autoren entnommen habe. 32

“funktionalen” (Müller 1981: 88) Polenfreundschaft, mit Russland als gemeinsamen Feind, gekennzeichnet wurde, stand seit 1848 völlig im Zeichen der Integration: Man wollte den preußischen Staat als Ganzheit, d.h. auch mit den preußischen Teilungsgebieten, in den neu zu schaffenden deutschen Nationalstaat aufnehmen. Der Kampf der Polen für Unabhängigkeit sei also von den Deutschen nur noch solange unterstützt worden, wie die Deutschen selber dadurch nicht benachteiligt wurden. Dieser Stimmungsumschwung bei den Deutschen von der Polenfreundschaft zur Übernahme der negativen Polenpolitik hatte selbstverständlich Folgen für die deutsch- polnischen Beziehungen. Indem die deutschen Liberalen sich auf die Seite Preußens stellten, wurde der preußisch-polnische Antagonismus zu einem deutsch-polnischen erweitert (vgl. Lawaty 1986: 15). Bei den Polen im preußischen Teilungsgebiet wurde die Entscheidung der Frankfurter Paulskirche nämlich als eine tiefe Enttäuschung erfahren. Wenn man die emotionell aufgeladene Beschreibung Klaczkos liest, merkt man, wie die gescheiterte Revolution und die darauffolgende Polendebatte als Hochverrat betrachtet wurden:

Hatte das Jahr 1848 nicht eben so kolossale Aufgaben zu lösen, nicht eben so große Hindernisse zu bekämpfen, wie das Jahr 1789. [...] Aber der Hercules traf auf Pygmäen, statt Engelsschwingen erhielt die Freiheit Fledermaushäute, am saufenden Webstuhl der Zeit stand der Krämer mit seiner Elle, der Eid der Völkerverbrüderung war nur ein Fasanenschwur [...]. (Klaczko 1849: 3) Es darf also nicht verwundern, dass der älteste bekannte Beleg des Ausdrucks Drang nach Osten gerade aus dem Jahre 1849 stammt: Er spiegelt ganz deutlich das Misslingen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte am Ende der “Völkerverbrüderung” wider. Wie im Zitat auf die mythische Vergangenheit verwiesen wird, so wird anhand des Ausdrucks Drang nach Osten auf einen ebenso mythischen Charakterzug der Deutschen hingewiesen. Klaczko suchte eine Erklärung für den Umschwung in der Meinung der Deutschen und fand sie im unveränderlichen “deutschen” Charakter. So wie die Deutschen im Mittelalter von den Polen profitiert hätten, so würden sie dies auch in Zukunft tun. Die Entscheidung der Paulskirche ließ sich in dieser Perspektive als Anzeichen einer neuen Phase des Drangs nach Osten deuten.

33

3. Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten Nachdem ich im vorigen Abschnitt die Entstehung des Ausdrucks Drang nach Osten ausführlich beschrieben habe, werde ich jetzt die zeitliche und räumliche Verbreitung des Ausdrucks weiter verfolgen und dabei vor allem die Aufmerksamkeit auf seine Funktion als Faktor bzw. Indikator der historischen Ereignisse richten. Ich habe bereits angedeutet, dass der Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten sich nicht auf den deutsch-polnischen Kontext beschränkte. Nach Meyer (1996: 25) ist der Ausdruck in nicht weniger als fünf Kontexten verwendet worden: in Bezug auf die deutsch-russischen Beziehungen in den baltischen Provinzen, in Bezug auf den deutsch-polnischen Konflikt in Preußen, in Bezug auf die deutsch-tschechischen Beziehungen in Böhmen, in Bezug auf die habsburgische Politik in Südosteuropa und in Bezug auf den Expansionismus des Deutschen Reiches im Mittleren Osten. Ich werde mich nicht mit allen Bereichen auseinandersetzen, da einige nur eine beschränkte Rolle bei der Entwicklung des Ausdrucks gespielt haben. Überdies haben auch die anderen Forscher sich nicht mit allen diesen Bereichen beschäftigt. In der folgenden Darstellung werden nur die Kontexte, in denen der Drang nach Osten am meisten benutzt worden ist und die historischen Ereignisse, die die Verwendung des Ausdrucks beeinflusst haben, beschrieben. Der Schwerpunkt wird folglich auf den deutsch-polnischen und auf den deutsch-russischen Beziehungen liegen.

3.1 Drang nach Osten im deutschbaltisch-russischen Kontext Ein erster Bereich, auf den ich eingehen möchte, ist der der deutsch-russischen Beziehungen. Nach Meyer (1957: 6) ist der Ausdruck seit der Mitte der sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der panslavistischen Presse Russlands verbreitet worden. Chronologisch betrachtet ist der deutschbaltische Kontext also der zweite Bereich, in dem der Ausdruck Fuß fassen konnte. Es erstaunt, dass die anderen Forscher die Rolle des deutschbaltischen Kontexts im Hinblick auf die Entwicklung des Ausdrucks Drang nach Osten kaum beachten, denn Meyer (1996) widmet dem deutschbaltisch-russischen Konflikt nicht nur sehr viel Aufmerksamkeit, sondern untermauert seine Thesen auch mit Belegstellen.

3.1.1 Entstehung nationalistischer Gefühle Meyer (1996: 27ff) beschreibt die Entwicklung eines Antagonismus zwischen den Deutschbalten und den Russen seit der auf den Westen gerichteten Politik Peters des 34

Großen. Anfang des 18. Jahrhunderts setzte Peter der Große verschiedene Reformen zur “Europäisierung” der russischen Kultur durch, führte einen Kampf gegen den Aberglauben und für die Aufklärung (vgl. Torke 1997: 120) und stattete die deutsche Elite in den Baltischen Provinzen und in St.- Petersburg mit verschiedenen Vorrechten aus (vgl. Meyer 1996: 27f). Als Reaktion auf diese Politik Peters des Großen entwickelte sich eine konservative Opposition unter dem alten Adel, den Bauern und auch in der Kirche, aus der nach Kappeler (1993) das “moderne, russische Nationalbewusstsein” (Kappeler 1993: 199) hervorgegangen ist. Die Eigenheit der russischen Identität und des russischen Volkes wurde aufgrund der gemeinsamen russischen Sprache und der russischen Geschichte besonders hervorgehoben. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft wurde dagegen problematisiert und das hat auch bei den Bevölkerungsgruppen deutscher Herkunft die nationalistischen Gefühle gesteigert.

3.1.2 Drang nach Osten als Faktor: Rolle der Publizistik Der deutsch-russische Antagonismus sollte sich in den kommenden Jahrzehnten vor allem in den baltischen Provinzen verschärfen. Der Streit um das Baltikum habe sich seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts vor allem in den unterschiedlichen Presseorganen abgespielt, denn die großen politischen Aktoren dieser Zeit, Alexander II. und Bismarck, interessierten sich kaum für die baltischen Provinzen, weil sie vor allem die russisch-preußischen Beziehungen nicht stören wollten (vgl. Meyer 1996: 58f). M. Katkov, Herausgeber der Zeitung Moskovskie Vedomosti, war Befürworter einer weitgehenden Russifizierung des Baltikums, während Zeitungen wie das Dorpater Tageblatt oder die Rigasche Zeitung eine möglichst gründliche Germanisierung anstrebten (vgl. Meyer 1996: 56ff). In der Zeitung Moskovskie Vedomosti ist am 25. November 1865 ein Brief von M.S. Semenov veröffentlicht worden. Semenov hat, obwohl er für eine schnelle Russifizierung plädierte, die Deutschen nicht als Feinde betrachtet und hat Folgendes geschrieben:

35

But when the Poles begin to talk about the boundaries of 1772 and these Germans start preaching about their Drang nach Osten, we turn indignantly from them. (Übersetzung n. Meyer 1996: 60 von der Moskovskie Vedomosti, 25. November 186511) In diesem Zitat wird der bestimmte Artikel ausgelassen, weil Drang nach Osten hier nicht als ein konkretes Ziel der deutschen Außenpolitik betrachtet wird, sondern eher als Schwärmerei der Deutschen abgetan wird. Der Ausdruck wird jedoch abermals den Deutschen selbst in den Mund gelegt, während er bisher in keiner deutschen Veröffentlichung die aus dieser Zeit datiert gefunden worden ist. In welcher Sprache Drang nach Osten hier benutzt wurde, gibt Meyer (1996) leider nicht an. Ich vermute aber, dass Semenov ihn auf Deutsch verwendet hat, weil er so den Eindruck erwecken konnte, dass er den Ausdruck deutschen Quellen entnommen hatte. Als im Jahr 1865 die Presse der baltischen Provinzen einer strengeren Zensur unterworfen wurde, die alles in Bezug auf die Germanisierung strich, hat Katkov den Deutschbalten vorgeworfen, sie transportierten ihren Gedanken in die Zeitungen Deutschlands (vgl. Meyer 1996: 62f). Katkov selber hat aber bewirkt, dass der Ausdruck Drang nach Osten sich in der Moskovskie Vedomosti etablierte, indem er die aggressive Eroberung des Baltikums durch die Kreuzritter wieder in Erinnerung rief und diese mit der angeblichen Aufmerksamkeit der deutschen Presse für die Problematik der baltischen Provinzen zu verknüpfen versuchte. Meyers Meinung nach ist der Ausdruck nach dem 1866 von Bismarck geführten Krieg Preußens gegen Österreich, der von den russischen Nationalisten als Zeichen des deutschen Drangs nach Osten aufgefasst worden war, auch von der gemäßigteren Zeitung Golos übernommen worden:

It is well known that annually a large number of Germans migrate to in response to their Drang nach Osten. […] [I]t appears that these Germans are nothing but parasitic fungi living off the Great Russian tree. (zit. n. Meyer 1996: 6412) Es scheint, als wollten die Zeitungen den Ausdruck Drang nach Osten im Interesse einer Steigerung des deutschbaltisch-russischen Antagonismus einsetzen. Die Verwendung des Ausdrucks stand im Dienst der russischen nationalistischen Propaganda und wurde somit von einem bloßen Indikator zu einem Faktor der

11 Vgl. Fußnote 10. 12 Meyer (1996) verzichtet auf weitere Auskünfte bzgl. des genauen Datums und der Ausgabe der Zeitung Golos, aus der dieses Zitat stammt. 36

Beziehungsgeschichte. Inwieweit der Ausdruck Drang nach Osten als Faktor tatsächlich die antagonistischen Gefühle gesteigert hat, ist jedoch schwer zu bestimmen.

3.1.3 Der Ausdruck Drang nach Osten bei den Deutschbalten Laut Meyer (1996: 61) stammt der Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten im deutschbaltisch-russischen Kontext von den Deutschbalten selber, er liefert dafür jedoch keine schlüssigen Beweise. Er verweist auf A. von Richter, der 1857 bei einer Beschreibung der Eroberungen der Kreuzritter von einem “Tatendrang […] nach Osten und Norden” (Richter 1857: ii zit.n. Meyer 1996: 61) berichtet hat. Es fällt jedoch auf, dass man den genauen Ausdruck Drang nach Osten in der damaligen deutschbaltischen Presse nicht finden kann, während er in der russischen Presse bereits 1865 benutzt wurde. Die erste von Meyer erwähnte Belegstelle des Ausdrucks Drang nach Osten in genau dieser Form in der deutschbaltischen Presse stammt aus der Baltischen Monatsschrift. 1867 habe die Baltische Monatschrift den Russen vorgeworfen, sie verwiesen ständig auf den sogenannten Drang nach Osten der Deutschbalten, während es eigentlich die russischen Politiker seien, die die Deutschen nach Russland gelockt hätten (vgl. Meyer 1996: 65). Auffallend ist, dass die Deutschbalten den Drang nach Osten nicht als etwas betrachten, worauf sie Stolz sein dürfen, vielmehr kritisieren sie, dass die Russen den Ausdruck benutzen. Durch die ständige Zunahme der Russifizierungsmaßnahmen, die u.a. mit einer strengen Zensur einhergingen, konnten die Deutschbalten ihre Gedanken kaum noch in den baltischen Presseorganen zum Ausdruck bringen und versuchten sie, die Reichsdeutschen auf ihre Problematik aufmerksam zu machen. Die Deutschbalten fanden dabei aber kaum Resonanz und wenn dann doch ausnahmsweise die Aufmerksamkeit auf ihre Problematik gerichtet wurde, geschah das auf eine Weise, die kaum ihren Erwartungen entsprach. Dies war beispielsweise der Fall im Werk E. Kattners Preußens Beruf im Osten (1868), in dem er die baltischen Provinzen mithilfe eines preußisch-russischen Krieges von den Russen zu befreien vorschlug. Kattners aggressiver Vorschlag ging den Deutschbalten jedoch zu weit und sie wollten demzufolge nicht mit den Ideen Kattners assoziiert werden. Auch Bismarck hat nach Meyer (1996: 71) klargemacht, dass die Ansichten Kattners deutlich von denen der preußischen Regierung abwichen, denn diese wollte das gute preußisch-russische 37

Verhältnis nicht stören. Das strategische Zusammenarbeiten zwischen Preußen und Russland spielte also auch in diesem Kontext eine nicht unbedeutende Rolle. Die obige Beschreibung macht meiner Meinung nach deutlich, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Deutschbalten die Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten stimuliert haben. Ich leugne nicht, dass es im Folge der jeweiligen Germanisierungs- und Russifizierungsversuchen zu einer Konfliktsituation zwischen Deutschbalten und Russen gekommen ist; in diesem Konflikt wurde der Ausdruck Drang nach Osten jedoch eher von den Russen als von den Deutschbalten selber benutzt. Die einzige ungelöste Frage dabei bleibt, woher die russischen Publizisten diesen Ausdruck – wenn nicht von den Deutschbalten - kannten.

3.1.4 Erweiterung zu einem deutsch-russischen Konflikt Indem die Problematik der baltischen Provinzen allmählich die Aufmerksamkeit der deutschen Publizistik erregte, wurde der Konflikt zwischen den Deutschbalten und den Russen von einigen panslavistischen Publizisten bald zu einem deutsch-russischen Konflikt hochstilisiert. Obwohl der panslavistische Gedanke, d.h. die Idee einer Einigung aller slavischen Länder unter der Leitung Russlands, schon seit den vierziger Jahren vertreten worden war, gab es nach Lemberg (1976) erst in den siebziger Jahren eine Bewegung in Russland, die sich als solch bezeichnete. In panslavistischen Veröffentlichungen sei nicht nur von einem deutsch- russischen Konflikt die Rede gewesen. In “l‟évangile du mouvement panslaviste” (Labuda 1969: 247) Russland und Europa (1867) sei N. Danilevskii noch einen Schritt weiter gegangen. Seiner Meinung nach handelte es sich um einen Konflikt zwischen Europa einerseits und der nicht-europäischen Welt andererseits, wobei mit Europa eigentlich Westeuropa und mit der nicht-europäischen Welt eigentlich Russland gemeint gewesen sei (vgl. Meyer 1996: 69f). Nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland gab es panslavistische Presseorgane wie z.B. die Zeitschrift Slavïanskaïa Zarïa, die seit 1867-1868 in Wien herausgegeben wurde (vgl. Labuda 1969: 248). In einem Artikel des Herausgebers Klimkovič konnte man Folgendes lesen:

[…] ils [die Deutschen, meine Hinzufügung, SV] répètent constamment leur célèbre Drang nach Osten qui pour eux constitue une couverture à leur slogan fictif de propagation de la culture. (zit. n. Labuda 1969 : 248, ohne Quellenangabe) 38

Außer der Tatsache, dass dieses Zitat zeigt, dass der Ausdruck Drang nach Osten in einen neuen Kontext, nämlich in eine panslavistische Zeitung in Wien, eingeführt wurde, bringt es nichts Neues. Es wird den Deutschen nochmals vorgeworfen, dass sie ständig den Ausdruck Drang nach Osten in den Mund nähmen. Auch Wippermann (1981) hat sich mit dem Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten in panslavistischen Veröffentlichungen auseinander gesetzt, und ihm zufolge wurde Drang nach Osten seit den sechziger Jahren sogar “zu einem Topos innerhalb der panslavistischen Publizistik” (1981: 55). Er gibt dabei jedoch keine genauen Belegstellen an.

3.2 Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg In einer Anfangsphase wurde Drang nach Osten also vorwiegend in zwei Kontexten benutzt, in einem polnisch-deutschen und in einem russisch-deutschen. In diesen Kontexten war er vor allem als Indikator wirksam, d.h. er zeigte, wie die gegenseitigen Beziehungen als problematisch aufgefasst wurden. Manchmal spürt man auch, dass er wegen seines Faktor-Gehaltes benutzt wurde. In solchen Fällen wurde er zur Steigerung der sich entwickelnden Antagonismen eingesetzt. Eine zweite Periode, in der ich die weitere Entwicklung und Verbreitung des Ausdrucks verfolgen werde, dauert von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg. Die meisten Forscher besprechen nach der Beschreibung der Kontexte, in denen der Drang nach Osten anfangs gebraucht wurde, die Zeit um den Ersten Weltkrieg herum als zweite Periode, die für die Entwicklung des Ausdrucks wichtig gewesen sei. Ich bin der Meinung, dass es in der Zeit unmittelbar nach der Reichsgründung bereits einige auffallende Entwicklungen in den zwei Kontexten, in denen Drang nach Osten bereits benuzt wurde, gegeben hat und außerdem wurde der Ausdruck in dieser Periode in einige neue Kontexte eingeführt.

3.2.1 Einfluss der Reichsgründung auf die deutsch-polnischen Beziehungen Die Reichsgründung hat eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung des polnisch- deutschen Verhältnisses gespielt, denn sie hat zum Beispiel die Ausweitung des preußisch-polnischen zu einem deutsch-polnischen Antagonismus verursacht (vgl. Lawaty 1986: 15). Lawaty (1986) betont, dass indem das preußische Territorium völlig in das neue Reich aufgenommen wurde, man sich für die Nichtlösung der polnischen Frage entschieden hat und die negative Polenpolitik somit zur Reichspolitik wurde. 39

Dieser integrative Nationalismus der Deutschen hatte laut Zernack (1992: 436) zur Folge, dass der polnische Nationsgedanke weitestgehend unterdrückt werden musste. Dazu wurden vor allem in den preußischen Provinzen Posen und Westpreußen unterschiedliche Germanisierungsmaßnahmen durchgeführt (vgl. Wippermann 2003: 124ff). Zunächst beschränkten diese sich auf das Verbot der polnischen Sprache in öffentlichen Bereichen, sie wurden im Verlauf der Jahre jedoch extremer, wie die massenhaften Ausweisungen von Polen aus Preußen von 1885 bis 1887 belegen. Insgesamt haben dabei mehr als 25.000 Polen das Land verlassen müssen. Diese Polenausweisungen haben das polnische Bild der Deutschen selbstverständlich alles andere als günstig beeinflusst (vgl. Broszat 1978: 147ff). Nach der Enttäuschung über das Scheitern der Revolution in Deutschland und der darauffolgenden Polendebatte der Paulskirche war die Reichsgründung in dieser Hinsicht ein zweiter Schlag ins Gesicht der Polen, deren Nationalgefühl auf diese Weise gerade stimuliert statt unterdrückt wurde. Die Reichsgründung hat also deutlich zur Entwicklung des polnischen Feindbildes der Deutschen beigetragen und wahrscheinlich ist der Ausdruck Drang nach Osten zur Rechtfertigung und zur Steigerung dieser feindlichen Gefühle in polnischen Veröffentlichungen benutzt worden. Es ist aber bemerkenswert, dass gerade die Arbeiten, in denen sehr viele Belegstellen für den Drang nach Osten (z.B. Meyer 1996, Wippermann 1981) angeführt werden, nicht ausführlich auf die Rolle der Reichsgründung eingehen, während andere Autoren (z.B. Zernack 1992, Lawaty 1986), die sich allgemein mit dem deutsch-polnischen Verhältnis auseinandersetzen, das durchaus tun. Labuda (1964: 241f) richtet seine Aufmerksamkeit auf die gegen Ende des 19. Jahrhunderts intensivierten anti-deutschen Gefühle der Polen, die zu einem gesteigerten Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten sogar bei professionellen Historikern geführt haben. Er erwähnt jedoch leider keine konkreten Belege. Meyer (1996: 89) ist der Meinung, dass der Konflikt zwischen Deutschen und Polen sich bereits in den siebziger Jahren verschärft hat. Als Hauptursache dieses Konfliktes betrachtet er den bismarkschen gegen den Katholizismus. Ohne weitere Gründe oder Quellen anzugeben, schließt er: 40

No doubt the expression, indeed by now a conception for the Poles, could by then be found randomly scattered in various Polish tracts, periodicals, and papers - materials simply not available to this distant American researcher. (Meyer 1996: 90) Für Meyer besteht offensichtlich kein Zweifel, dass Drang nach Osten von den Polen bereits zu dieser Zeit als Begriff aufgefasst wurde. Der einzige konkrete Beweis, den er dazu erwähnt, ist eine polnische Enzyklopädie aus dem Jahre 1896, in der der Ausdruck als Lemma, mit der Begriffserklärung “the drive of the Germans eastward to de- nationalize the Polish people” (Meyer 1996: 90), aufgenommen worden sei. Diese einzige Stelle genügt jedoch nicht als Beweis für den angeblichen Begriffswert des Ausdrucks zu dieser Zeit. Nach Meyer (1996: 90f) nahmen die Spannungen zwischen Deutschen und Polen als Folge eines gesteigerten Nationalismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr zu. Deutscherseits nennt er in diesem Zusammenhang die Entstehung der Hakatisten, die die Eroberungen der Kreuzritter heraufbeschworen. Auf der Seite der Polen erwähnt er R. Dmowski, einen polnischen Nationalisten, der für eine Annäherung an Russland plädierte. Meyer stellt sich dabei nur in beschränktem Maße die Frage, wieso der Nationalismus sich gerade zu dieser Zeit intensivierte. Wippermann (1981: 99) geht auch kurz auf den Antagonismus zwischen Deutschen und Polen zu dieser Zeit ein; wenn auch aus deutscher Sicht. Er nennt beispielsweise ein Werk von A. Wäber, in dem dieser 1907 zu weiteren Germanisierungsmaßnahmen aufrief, um die angebliche “Polenflut” (Wäber 1907: 359 zit. n. Wippermann 1981: 99) abzuwehren.

3.2.2 Betonung des spezifisch deutschen Drangs nach Osten in der russischen Publizistik In der Zeit nach der Reichsgründung ändert sich auch einiges im deutsch-russischen Kontext. Wippermann (1981) weist auf die Tatsache hin, dass in der Öffentlichkeit in Russland zu Beginn der achtziger Jahre mehr und mehr von einem spezifisch deutschen Drang nach Osten die Rede war. Er erwähnt dabei das Beispiel des Vortrages von General Skobelev in Paris (vgl. Wippermann 1981: 56). Anlass dieses Vortrages war die Erneuerung des Drei-Kaiser-Abkommens von 1873 im Jahre 1881, wobei Deutschland, Russland und Österreich einander gegenseitige Unterstützung 41

versprachen. Panslavistische Kreise waren mit dieser Erneuerung unzufrieden und suchten deswegen Annäherung an die nationalistische Presse in Frankreich. In seinem Vortrag im Jahre 1882 vor serbischen Studenten in Paris hat Skobelev die Deutschen als Erfinder des Drangs nach Osten bezeichnet:

And if you wish that I reveal the name of this stranger, this intruder, this intriguer, this enemy so dangerous for Russians and all , let me identify him! It is the originator of the “Drang nach Osten”. You all know who he is – it is the German! (Übersetzung n. Meyer 1996: 83 von der Veröffentlichung des Vortrages Skobelevs in La France 18.2.188213) In diesem Zitat ist Drang nach Osten m.E. als Faktor eingesetzt worden, denn nach Meyer (1996: 83) hat J. Adam, die Herausgeberin der französischen chauvinistischen Zeitung Nouvelle Revue, Skobelev gebeten, das ganze in dieser Form, wegen seiner gesteigerten emotionalen Wirkung, zu formulieren. Ob der Ausdruck wirklich historische Ereignisse veranlasst hat, ist fraglich, aber Adam, die den Vortrag vollständig in ihre Zeitung Nouvelle Revue veröffentlichte, hoffte auf jeden Fall, dass er einen Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein der französischen Jugend und der französischen Armee ausüben würde (vgl. Meyer 1996: 83). Mit dem Erscheinen des Vortrages von General Skobelev in unterschiedlichen französischen Zeitungen im Jahre 1882 wurde der Ausdruck Drang nach Osten auch in Frankreich eingeführt (vgl. Meyer 1996: 81ff). Im Russland der Mitte der achtziger Jahre kann laut Meyer (1996) eine weitere Verschiebung des Ausdrucks wahrgenommen werden:

[…] the term, Drang nach Osten, was generally moving out of the chauvinist press towards conceptualization in serious professional work and official governmental statements. (Meyer 1996: 84) Zur Bestätigung seiner These erwähnt Meyer zwei Beispiele: eine Karte mit dem Titel Drang nach Osten von A.R. Rittikh und ein Bericht einer kaiserlichen Kommission. In diesem Bericht werde auf die historische Mission hingewiesen, die die deutsche Rasse habe und die sie dazu treibe, ihren Drang nach Osten zu befolgen (vgl. Meyer 1996: 84). Neben diesen zwei Beispielen erwähnt Meyer nur noch Belegstellen aus der nationalistischen Presse und gibt sogar an, dass der deutsch-russische Antagonismus wegen der russischen Interessen im Fernen Osten in den Hintergrund des öffentlichen Interesses rückte (vgl. Meyer 1996: 85). Ob in diesem Kontext also wirklich von einer

13 Vgl. Fußnote 10. 42

Begriffswerdung (“conceptualization”) in professionellen Veröffentlichungen die Rede sein kann, ist meiner Meinung nach – genauso wie im Falle der polnischen Veröffentlichugen (vgl. oben III, 3.2.1) - unklar. Wippermann (1981) hebt nämlich auch ausdrücklich hervor, dass der Ausdruck vor allem in der Publizistik verwendet wurde und dass die russische Historiografie den Ausdruck Drang nach Osten kaum benutzte. Die These Wippermanns beruht u.a. auf dem Werk Noltes “Drang nach Osten.” Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen Ostexpansion. (1976). Nolte (1976: 59ff) weist zwar auf die Tatsache hin, dass die russische Geschichtsschreibung vor 1917 deutlich im Dienst der panslavistischen Ziele gestanden hat, er gibt aber auch an, dass diese Art von Historiografie in Russland selber auf Kritik stieß, z.B. von D.N. Egorov.

3.2.3 Einführung in neue nicht-deutsche Kontexte Meyer (1996: 109) zufolge wurde Drang nach Osten in der Vorkriegsperiode in drei neuen Zusammenhängen verwendet, nämlich in Bezug auf slavische Minderheiten, die von der habsburgischen und hohenzollernschen Politik unterdrückt wurden, in Bezug auf die habsburgische Politik im Balkan und in Bezug auf die Berlin-Bagdad- Eisenbahn. Ich werde nur die ersten zwei neuen Bereiche kurz besprechen, denn was die Berlin-Bagdad-Eisenbahn betrifft, gibt Meyer nicht eindeutig an, welchen Einfluss diese Pläne auf den Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten hatten. Wie oben erwähnt ist der Ausdruck Drang nach Osten in Frankreich als Folge des Vortrages des russischen Generals Skobelev, eingeführt worden, und unterschiedliche französische Autoren haben ihn ihrerseits in weiteren Kontexten verbreitet. L. Leger, E. Denis, Leroy-Beaulieu und andere französische Autoren haben den Konflikt in Böhmen beschrieben. Sie haben dabei den Ausdruck Drang nach Osten verwendet und ihn infolgedessen in den tschechischen Kontext eingeführt (vgl. Meyer 1996: 94ff). Seit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich im Jahre 1867 hegten vor allem die Tschechen in Böhmen anti-österreichische Gefühle, weil sie eine ebenso weitreichende Autonomie wie die Ungarn erhalten wollten (vgl. Meyer 1996: 66). Nach der Reichsgründung fühlte sich auch die deutsche Bevölkerung in Böhmen, wie die Tschechen seit 1867, ausgeschlossen. In dieser Konfliktlage hätten sich die nationalistischen Gefühle gesteigert und sei der Ausdruck Drang nach Osten über französische Publikationen in Böhmen eingeführt worden (vgl. Meyer 1996: 94ff). 43

Nach der Bosnienkrise im Jahre 1908-1909 sei Drang nach Osten auch in Bezug auf die österreichisch-ungarische Politik in Südosteuropa verwendet worden und sei er demzufolge in verschiedenen serbischen Veröffentlichungen aufgenommen worden (vgl. Meyer 1996: 99ff). Auffallend dabei war, das man oft „Berlin‟ verantwortlich machte für die „Wiener‟ Politik, wie beispielsweise in einem Gespräch zwischen dem serbischen und dem britischen Botschafter:

[…] the decision for the annexation [von Bosnien und Herzegowina, meine Hinzufügung, SV] was really not Vienna‟s, but will be found de facto leading back to Berlin. (Übersetzung n. Meyer 1996: 107 von Boghitschewitsch 1928: 67) Es wird also kein Unterschied mehr gemacht zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland; beiden wird ein Drang nach Osten unterstellt. Dabei wird dem Ausdruck nach Meyer (1996: 107) oft das Adjektiv germanisch beigefügt. Es sieht also aus, als ob der Ausdruck Drang nach Osten zu dieser Zeit eingesetzt wurde, sobald man anti-deutsche Gefühle hegte oder diese verstärken wollte. Man versuchte das gegenwärtige Unrecht mit dem Hinweis auf die deutsche Vergangenheit zu deuten und zu erklären.

3.2.4 Verherrlichung des Drangs nach Osten in deutschen Veröffentlichungen In der Zeit um die Reichsgründung herum ist der Ausdruck Drang nach Osten nicht nur im Ausland weiter verbreitet worden, sondern auch in Deutschland selber hat es zu dieser Zeit zum ersten Mal ganz deutlich Ansätze zum Gebrauch des Drangs nach Osten gegeben. Wippermann (1981: 85ff) beschreibt die Werke unterschiedlicher deutscher Autoren, die gegen Ende der achtziger Jahre für eine erneute Kolonisation Ost- und Südosteuropas plädierten und dazu die mittelalterliche Ostsiedlung verherrlichten. Während unterschiedliche Autoren, z.B. H. Simonsfeld, anhand der mittelalterlichen “Kolonisation” die damalige Kolonisationspolitik von Bismarck zu legitimieren versuchten, habe es andere gegeben wie z.B. P. de Lagarde, die mit demselben Hinweis eine neue Kolonisation Richtung Osten rechtfertigen wollten (vgl. Wippermann 1981: 88). Solche expansionistischen Gedanken konnte man seit 1890 auch in den Alldeutschen Blättern finden. 1894 konnte man beispielsweise folgenden Aufruf lesen: “Der alte Drang nach dem Osten soll wieder lebendig werden” (Alldeutsche Blätter 44

189414 zit.n. Kruck 1954: 38). Obwohl Wippermann diesem Zitat keine besondere Aufmerksamkeit widmet, ist es, soweit ich weiß, die früheste schriftliche Belegstelle des Ausdrucks Drang nach Osten in dieser Form in einer deutschen Veröffentlichung, in der der Drang nach Osten verherrlicht wird. Zuvor wurde er bereits im Werk Kattners sowie in einigen deutschbaltischen Publikationen verwendet; er wurde dabei jedoch jeweils abgelehnt. Wipperman (1981: 92ff) geht aber davon aus, dass der Ausdruck schon früher u.a. von den Nachfolgern H. von Treitschkes benutzt worden ist. Er verzichtet dabei jedoch auf eine genaue Quellenangabe. Der Beleg in den Alldeutschen Blättern ist auch aus einigen anderen Gründen interessant: Erstens ruft er die Frage hervor, wieso Drang nach Osten gerade zu dieser Zeit in einer deutschen Veröffentlichung auftaucht. Eine mögliche Antwort auf diese Frage könnte in der sich ändernden beziehungsgeschichtlichen Konstellation liegen. Seit dem Teilungsbündnis war das Verhältnis der drei Adler an erster Stelle auf das Beibehalten des Status quo des Kräfteverhältnisses gerichtet. In diese stabile Konstellation kamen jedoch seit Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts allmählich Risse. So wurde 1887 das Drei-Kaiser-Bündnis nicht mehr verlängert und 1890 wurde auch der als Ersatz aufgestellte Rücksicherungsvertrag zwischen Deutschland und Russland nicht erneuert (vgl. Torke 1997: 170f). Die Verschlechterung des deutsch-russischen Verhältnisses hatte zur Folge, dass Russland Annäherung an Frankreich suchte und somit der “erste Schritt zur Konstellation des Ersten Weltkrieges” (Torke 1997: 171) machte. In Deutschland bewirkte das Ende des Bündnisses, dass die Bestrebungen zur Bildung der Nation und die Stabilisierung des Reiches nach Innen hinter bestimmte Expansionspläne zurücktreten mussten:

Aus dem Zerbrechen der preußischen Rußlandsolidarität resultierte eine gefährliche Dynamisierung des ostpolitischen Denkens in Deutschland, das im Ablauf des Ersten Weltkrieges nun auch vor völlig fantastischen Visionen von Ostraum-Hegemonie des Deutschen Reiches nicht halt machte und die Orientierung an überkommennen Grenzverläufen verlor. (Zernack 1993: 155) Man konnte sich mit dem Status quo nicht mehr abfinden und wollte den Nationalstaat u.a. Richtung Osten ausbreiten. Diese historisch-politische Änderung könnte erklären wieso der Alldeutsche Verband gerade in dieser Zeit gegründet wurde und solche expansionistischen und imperialistischen Gedanken zum Ausdruck brachte. Der

14 Vgl. Fußnote 10. 45

Alldeutsche Verband betrachtete die Reichsgründung nicht als Endpunkt der deutschen Geschichte, sondern laut Kruck (1954) vertrat er die Ansicht, dass “den Deutschen mit der 1870/71 errungenen Stellung neue und große Pflichten und Aufgaben zugewachsen seien”. Die Belegstelle in den Alldeutschen Blättern ist auch noch aus einem zweiten – mit dem ersten eng zusammenhängenden - Grund interessant: Hauptziel des Alldeutschen Verbandes war es, „das Deutschtum‟ in der Welt zu bewahren und zu verbreiten. Für die Verbreitung kamen einerseits einige Gebiete in Afrika und andererseits die Gebiete östlich des Reiches in Betracht. Zur Propagierung des Letzteren wurde u.a. der Ausdruck Drang nach Osten eingesetzt. Man hoffte, dass er die Deutschen in Richtung Osten und nicht in Richtung Nordamerika, das nach Kruck (1954) als “Grab des deutschen Volkstums” (Kruck 1954: 35) bezeichnet wurde, bewegen konnte. Der Ausdruck Drang nach Osten hat aber offensichtlich als Mobilisierungsbegriff versagt, denn Kruck (1954: 35) weist darauf hin, dass zu Beginn der neunziger Jahre 97% der Auswanderer nach Nordamerika gezogen sind. Der Alldeutsche Verband wollte Drang nach Osten also eindeutig als Faktor der historischen Ereignisse einsetzen; der Ausdruck hat diese Funktion jedoch nicht ausüben können.

3.3 Erster Weltkrieg Während des Ersten Weltkrieges gewann die These einer sich im Laufe der Geschichte schrittweise ausbreitenden Expansion der Deutschen Richtung Osten immer mehr Anhänger. Man fürchtete die Realisierung einer deutschen -Politik, die darauf gerichtet sei, einen mitteleuropäischen Staat unter deutscher Kontrolle zu schaffen. Auf diese Weise würde man die unterschiedlichen deutschen Minderheiten im Osten vereinen können. Vor allem der Tscheche T. Masaryk, der in Großbritannien von R.W. Seton-Watson gefördert wurde und zusammen mit ihm die Zeitschrift The New Europe als Reaktion auf das Mitteleuropa-Projekt gründete, verbreitete die Angst vor der Realisierung dieses Projektes (vgl. Meyer 1996: 114ff). Es gab in Deutschland tatsächlich Befürworter einer solchen Mitteleuropa-Idee, z.B. F. Naumann, wobei man den Blick nicht länger auf die Länder in Übersee richtete, was seit der Weltpolitik Wilhelms des II. der Fall war, sondern sich auf die Länder Zentral- und Mitteleuropas konzentrierte. Das erstrebte Ziel war dabei “eine Zone halbselbständiger Pufferstaaten unter deutscher Hegemonie” (Broszat 1978: 185). Inwieweit solche Gedanken auch 46

Teil der offiziellen Berliner Politik gewesen sind, ist, wie so oft, unklar. Meyer (1955) weist aber darauf hin, dass sowohl in deutschen als auch in nicht-deutschen Veröffentlichungen mit dem Ausdruck Mitteleuropa auf recht unterschiedliche Sachen verwiesen wurde:

In a political-geographic sense it designated anything from strengthening the alliance between Vienna and Berlin to establishment of a coalition of states from the North Cape to Bagdad. (Meyer 1955: 3) Gerade weil das Mitteleuropa-Projekt nie eindeutig definiert wurde und unterschiedlich interpretiert werden konnte, glaube ich, dass solche Gedanken eher in der Publizistik propagiert wurden, als dass sie realpolitische Ziele zum Ausdruck brächten. Während der Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten sich in Frankreich und in den Vereinigten Staaten - denn die Werke unterschiedlicher französischer Autoren wurden auch in den Vereinigen Staaten oft gelesen - vor allem auf popularisierende und polemische Publikationen beschränkt habe, etablierte sich der Drang nach Osten in Großbritannien “as an accepted and proven historic concept” (Meyer 1996: 117) in verschiedenen Veröffentlichungen mit wissenschaftlichem Charakter (vgl. Meyer 1996: 117ff). Das hing vor allem mit den Befürchtungen der Realisierung eines Mitteleuropa- Projektes zusammen, das als Beweis für den angeborenen deutschen Drang nach Osten dargestellt wurde. Im Gegensatz zu Meyer (1996), der die damaligen Entwicklungen vor allem anhand der Mitteleuropa-Ideologie zu erklären versucht, hebt Wippermann (1981: 90) hervor, dass die deutschen Expansionspläne nicht nur auf den Osten fokussierten. Seiner Meinung nach, haben die slavischen, französischen und englischen Publizisten die Politik Deutschlands vor und während des Ersten Weltkrieges unterschätzt. Während man in der ausländischen Publizistik vor einem erneuten Drang nach Osten gewarnt habe, bildete dieser nur “einen Teil des fast globalen imperialistischen Programms innerhalb der deutschen Kriegszielpropaganda” (Wippermann 1981: 90). Man wollte das Reich nicht nur Richtung Osten ausbreiten, sondern wünschte auch die Annektierung einiger Industriegebiete Belgiens und Frankreichs und eine Ausdehnung des Kolonialbesitzes in Afrika und Asien (vgl. Wippermann 1981: 89). Wippermann suggeriert somit, dass die ausländische Fixierung auf den deutschen Drang nach Osten bewirkt haben kann, dass man die realen politischen Pläne nicht richtig eingeschätzt hat. Wenn man die damalige Lage so interpretiert, könnte man behaupten, dass der 47

Ausdruck zu dieser Zeit als Faktor wirksam gewesen ist: Er hat zu einer bestimmten Wahrnehmung der politischen Ereignisse geführt, die sich als Fehleinschätzung der Wirklichkeit herausgestellt hat. Diese Weltpolitik könnte nach Wippermann (1981: 90f) erklären, wieso in deutschen Publikationen während dieser Zeit nur selten auf den Drang nach Osten verwiesen wurde. Eine “globale imperialistische” (Wippermann 1981: 90) Politik hatte man nämlich nur schwer mit dem Hinweis auf die mittelalterliche Ostsiedlung rechtfertigen können. Bei der Beschreibung der Entwicklung des Ausdrucks Drang nach Osten zu dieser Zeit ist es m.E. schade, dass Wippermann (1981) und Meyer (1996) sich nur mit einigen ideologischen Aspekten beschäftigen und somit nicht nachgehen inwieweit die realen Kriegsereignisse den Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten beeinflusst haben.

3.4 Nachwirken des Ersten Weltkrieges in der Zwischenkriegszeit Während des Ersten Weltkrieges hat es eigentlich nur ein auffallendes Phänomen gegeben, nämlich den zunehmenden Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten in Großbritannien. Nach dem Ersten Weltkrieg kann man schon einige besondere Tendenzen wahrnehmen: Zum einen wird in der deutschen Historiografie an die Vorkriegstradition des Verherrlichens der mittelalterlichen Geschichte angeknüpft, zum anderen verschwindet der Ausdruck in unterschiedlichen Kontexten, weil Deutschland nicht länger als Gefahr betrachtet wurde. Zwischen diesen beiden Extremen befindet sich der besondere Umgang mit dem Ausdruck in Polen.

3.4.1. Mythologisierung in Deutschland Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Bestimmungen des Versailler Vertrages wurden in Deutschland als eine Demütigung erfahren. Nach Labuda (1964: 231) waren die Bestimmungen des Versailler Vertrages für die Deutschen einfach unannehmbar, denn aus deutscher Sicht wurde Deutschlands Osten auf einmal Polens Westen. Ein Zitat aus dieser Zeit mag diese Empörung verdeutlichen:

Die gegenwärtigen Grenzen sind für das Deutschtum schlechthin unmöglich. Das neue Polen ist weit über seine nationalen Rechte hinausgedehnt worden. Abgehackte Glieder des Deutschtums strarren uns überall blutig entgegen. (Marcks 1920: 57 zit.n. Labuda, 1964: 231) 48

Infolgedessen haben Historiker wie z.B. D. Schäfer, K. Hampe und H. Aubin die mittelalterliche Ostsiedlung verherrlicht, weil diese ihrer Meinung nach den sich anbahnenden Weg einer erneuten deutschen Expansion vorzeichnete (vgl. Labuda 1964: 231f). Der Höhepunkt der Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Ostexpanion sei während der dreißiger Jahre erreicht worden, als “the mythology of the German east” (Labuda 1964: 232) in die imperialistische Ideologie aufgenommen worden sei. Wippermann (1981: 104ff) schließt sich in großen Zügen diesen Ansichten an und schreibt in Bezug auf obengenanntes Zitat von Marcks sogar Folgendes:

Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß fast alle deutschen Historiker in der Zeit der Weimarer Republik der Bemerkung von Erich Marcks zustimmten, wonach die neue Ostgrenze des Deutschen Reiches “schlechthin unmöglich” sei. (Wippermann 1981: 105) Wippermann (1981: 104ff) betont außerdem, dass der Erste Weltkrieg keinen Bruch in der deutschen Geschichtsschreibung veranlasst habe, sondern dass man im Wesen nur die Thesen weitergeführt habe, die seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts formuliert wurden (vgl.oben III 3.2.4). Bei den von Wippermann erwähnten Beispielen fällt jedoch erneut auf, dass der Ausdruck Drang nach Osten kaum wortwörtlich verwendet wurde. In Deutschland schien man Zug nach dem Osten zu bevorzugen, weil der Ausdruck Drang nach Osten bereits von den „Gegnern‟ eingenommen war. Wippermann (1981: 104f) erwähnt u.a. das Werk Hampes Der Zug nach dem Osten. Die kolonisatorische Großtat des deutschen Volkes im Mittelalter, in dem von einem “Zug nach dem Osten, der bald stärker, bald schwächer durch die ganze deutsche Geschichte hindurchgeht” (Hampe 1921: 10 zit. n. Wippermann 1981: 105) die Rede ist.

3.4.2 Objektivierungs- und Mystifizierungstendenzen in Polen Im Gegensatz zur Mythologisierung und Ideologisierung der eigenen Geschichte in Deutschland wurde der Drang nach Osten nach Labuda (1964) im Polen der Zwischenkriegszeit gerade de-ideologisiert, d.h. Historiker wie K. Tymieniecki haben versucht, den ideologischen und historiosophischen Ballast des Ausdrucks abzuwerfen und Drang nach Osten in dem größeren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhang zu sehen (vgl. Labuda 1964: 243f). Labuda (1964: 244ff) stellt weiter fest, dass der Drang nach Osten nicht nur ein Forschungsobjekt der Historiografie 49

geblieben ist, sondern dass auch andere Disziplinen wie die Soziologie sich mit unterschiedlichen Aspekten des Ausdrucks auseinandergesetzt haben. Wippermann (1981: 70f) seinerseits betont, es habe zwar Historiker wie Tymieniecki gegeben, die den Drang nach Osten von einigen mythischen Aspekten befreien wollten, an der “realhistorischen Existenz dieses Phänomens” (Wippermann 1981: 73) sei jedoch nicht gezweifelt worden. Die Tatsache, dass die unterschiedlichen Regierungen der Weimarer Republik die neue Westgrenze nicht anerkennen wollten, habe die wiedererstandene Republik Polen dazu veranlasst, sich an erster Stelle vor dem deutschen Drang nach Osten zu schützen und zweitens diesem einen “polnischen Drang nach Westen” (Wippermann 1981: 71) entgegenzusetzen. Solche Ansprüche seien vor allem in Zeitungen und Manifesten geäußert worden. Ein auffallendes Phänomen, das damit einhergegangen sei, sei die Gründung unterschiedlicher nationalistischer und imperialistischer Organisationen nach deutschem Vorbild gewesen. So habe man zum Beispiel einen polnischen „Westmarkenverein‟ parallel zum deutschen „Ostmarkenverein‟ errichtet. Zudem hat es nach Wippermann (1981: 70ff) auch professionelle Historiker gegeben, die anhand eines ideologisierten Bildes der Vergangenheit eine historische Grundlage für die gegenwärtigen politischen Zielsetzungen liefern wollten, wobei die Wiederherstellung Polens als eine Wiedergutmachung interpretiert wurde. Dabei wurden nach Piskorski (1996²: 382) oft Ausdrücke wie z.B. Wiedergewinnung eingesetzt, deren Verwendung man aber bei den Deutschen kritisierte. Dieses „Spiegelbild-Verhalten‟ hat sich bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzt. Piskorski (1996²) bezeichnet die polnische Forschung, die sich mit dem Thema polnischer Westen beschäftigte, als “polnische Westforschung” parallel zur “deutschen Ostforschung” (Piskorski 1996²), eben weil die beiden anhand ähnlicher „historischer‟ Argumente Anspruch auf den polnischen Westen bzw. den deutschen Osten erhoben. In Bezug auf die deutsche und polnische Historiografie in der Zwischenkriegszeit kommt Piskorski (1997) zu folgendem Schluss:

Die Art, die mittelalterliche Kolonisation vom jeweils aktuellen Standpunkt aus zu beurteilen, setzte sich in der Zwischenkriegszeit durch, als die deutsche und die polnische Historiographie zu Verteidigern der politischen Interessen der eigenen Völker und Staaten wurden. (Piskorski 1997: 3) 50

Der zunehmende Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten in Deutschland und Polen in der Zwischenkriegszeit war eindeutig ein Indikator des deutsch-polnischen Grenzkampfes, bei dem die negativen Gefühle sich gegenseitig verstärkten. Dabei wurden anhand entgegengesetzter Interpretationen identische Ideologeme - wie Drang nach Osten - zur Unterstützung der Außenpolitik eingesetzt. Obwohl es immer schwer einzuschätzen ist, glaube ich, dass Drang nach Osten zu dieser Zeit auch als Faktor gewirkt hat. Dies zeigt sich meiner Ansicht nach am deutlichsten in der polnischen Aufforderung, dem deutschen Drang nach Osten einen polnischen Drang nach Westen entgegenzusetzen. Man glaubte an die realhistorische Existenz dieses Phänomens und war der Meinung, dass man dieses mit einem “realen” Drang nach Westen aufhalten müsse.

3.4.3 Verschwinden des Ausdrucks Drang nach Osten in einigen Bereichen Das Thema „deutsche Ostsiedlung‟, dass auch in der Vorkriegszeit kaum in der russischen Geschichtsschreibung aufgenommen wurde, wurde laut Meyer (1996: 121) in der sowjetischen Historiografie der Zwischenkriegszeit völlig fallengelassen. Die wichtigsten Gründe dafür seien, dass eine solche These nicht in den Rahmen des Marxismus passte und dass die Weimarer Republik von der Sowjetunion nicht als Bedrohung erfahren wurde. Auch in Frankreich und Großbritannien sei der Drang nach Osten nur noch in Einzelfällen benutzt worden. Meyer schließt daraus:

The war was over, the German threat had been defeated, and historical analysts apparently no longer found the Drang nach Osten to be significantly pertinent. (Meyer 1996: 123) Drang nach Osten konnte in diesen Ländern nicht mehr mit der damaligen Aktualität verknüpft werden und wurde somit kaum noch verwendet. Die Abwesenheit des Ausdrucks scheint hier eine Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland zu indizieren. Meyer (1996) weist dennoch auf einen besonderen Fall hin, in dem der Drang nach Osten in den Vereinigten Staaten weiterlebte, nämlich in unterschiedlichen Lehrbüchern, die unter anderem an den Universitäten benutzt wurden. Diese enthielten allerhand einprägsame Sätze und Ausdrücke, die das Erlernen der historischen Fakten erleichtern sollten. Obwohl es sich nur um einen einzelnen Bereich handelt, darf der 51

Einfluss dieses Bereiches nicht unterschätzt werden, denn die Tatsache, dass der Ausdruck gerade im Unterricht weiterlebte, bewirkte, dass eine ganze Generation junger Leute mit diesem Ausdruck und dem darin „indizierten‟ Geschichtsbild bekannt wurde.

3.5 Zweiter Weltkrieg

3.5.1 Deutschland im Bann des Nationalsozialismus Im Laufe der dreißiger Jahre wurden in Deutschland die Stimmen, die für eine Revision der Ostgrenze plädierten, immer lauter. Dieses Thema wurde in das nationalsozialistische politische Programm aufgenommen und hat sicherlich zur Popularität der NSDAP beigetragen. Hierzu muss jedoch bemerkt werden, dass die NSDAP sich kaum für Polen interessierte, denn Hitler richtete den Blick nicht auf die kleineren Grenzprobleme, sondern auf den gesamten Osten (vgl. Broszat 1978: 234f). Gegen Ende der dreißiger Jahre erschienen unterschiedliche Werke, in denen der Drang nach Osten15 als eine ostwärtsgerichtete Urbewegung der deutschen und sogar der europäischen Geschichte dargestellt wurde, dessen treibende Kraft das Volk sei (vgl. Wippermann 1981: 108ff). Wippermann (1981: 109f) führt Werke von H. Aubin und M.H. Boehm als Beispiel an. Boehm habe dabei zu einem neuen Drang nach dem Osten aufgefordert. Dieser sollte sich nicht gegen Polen richten, sondern im Gegenteil: Dank der Mitarbeit der Polen werde man im Stande sein, umso größere Gebiete im Osten zu erobern. Wenn man weiß, dass das Werk von Boehm 1936 veröffentlicht wurde, kann man darin ganz deutlich die damaligen Pläne der Nazi-Führung wiedererkennen. Hitler hatte nämlich Annäherung an Polen gesucht, um Deutschland aus seiner isolierten Stellung in Europa zu befreien. Dies kam 1934 im Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen zum Ausdruck (vgl. Broszat 1978: 240ff). Dieser Pakt hielt aber nicht lange stand, denn als Polen nicht länger nützlich war, suchte Hitler erneut Annäherung an Russland. Die beiden einigten sich im August 1939 über eine erneute Teilung Polens, die September 1939 durchgeführt wurde (vgl. Jaworski 2000: 320). Obwohl Labuda (1964: 232) behauptet, während der gesamten Periode der Herrschaft der NSDAP habe es in Deutschland “an abundance of literature on the

15 Wippermann hat dabei kein Auge für den subtilen Unterschied zwischen Drang nach Osten und Drang nach dem Osten, denn er verwendet immer Drang nach Osten, während in den von ihm zitierten Werken immer Drang nach dem Osten steht und das, obwohl damit nun kein bestimmtes Gebiet mehr gemeint war. 52

subject” (Labuda 1964: 232) gegeben, ist Wippermann (1981) der Meinung, dass man erst nach 1939 “ohne Umschweife” (Wippermann 1981: 111) zum Ausdruck gebracht habe, was man schon Jahre zuvor dachte. Ich neige dazu, mich Wippermann anzuschließen, weil es meiner Meinung nach einen deutlichen Unterschied im Ton der Arbeiten gibt. Vor 1939 verwies man auf mystifizierende und geheimnisvolle Weise auf die mittelalterliche Vergangenheit:

Mit der wachsenden Erkenntnis, dass im deutschen Osten [meine Hervorhebung, SV] ein Schauplatz von geschichtlicher Grösse liegt, wendet sich das Trachten unseres Volkes wieder den Überlieferungen des Mittelalters zu, spannt sich in der Vorstellungswelt unserer Jugend eine Brücke von jener Zeit in die Gegenwart über die Jahrhunderte deutscher Irrung hinweg. (Hillen-Ziegfeld 1936: 602 zit.n. Labuda 1964: 233) Bemerkenswert ist, dass A. Hillen-Ziegfeld immer wieder die Umschreibung “deutscher Osten” benutzt. Jeder weiß offensichtlich, welche Gebiete damit gemeint sind und deswegen braucht er die Einzelheiten nicht darzulegen. Bei diesen Verweisen auf das Mittelalter kann ich mir leicht vorstellen, dass auch der Ausdruck Drang nach Osten manchmal benutzt worden ist. Wenn man dieses Zitat mit einem aus der Zeit nach der Zerschlagung Polens vergleicht, merkt man, dass der Ton sich geändert hat:

Der Sieg über die Bolschewiken aber ist zugleich ein Sieg über die Polen. Dies zu begründen ist nicht nötig; wer den Osten kennt, weiß das es so ist. Er weiß auch, daß die Lösung der Judenfrage notwendig ist, in Europa und ganz besonders in Osteuropa. Alle diese Dinge stehen in einem inneren Zusammenhang. (Lüdtke 1941: 8 zit. n. Wippermann 1981: 112) Gestärkt durch die Kriegserfolge scheint F. Lüdtke äußerst selbstsicher und demzufolge richtet er den Blick nicht mehr auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft. Dabei denkt er weit über den Drang nach Osten hinaus und richtet die Aufmerksamkeit eher auf rassische als auf nationalistische Aspekte. Im Allgemeinen kann man feststellen, dass die “deutsche Ostforschung, wie sie sich selbst nannte” (Wippermann 1981: 112) einerseits die Lebensraumpolitik Hitlers legitimierte, insofern sie diese als eine Fortsetzung des deutschen Drangs nach Osten darstellte. Andererseits bemerkt man, dass einige politische Ideen gar nicht mithilfe des Drangs nach Osten rechtfertigt werden konnten. Dies gilt insbesondere für alle Gedanken und Pläne, die mit der Vernichtung der Rassen und die Schaffung einer einzigen reinen arischen Rasse zusammenhingen (vgl. Wippermann 1981: 112f). Dazu verwendete man, nach Wippermann (1981: 113) eher eine biologisch-rassische als eine 53

nationalistisch-völkische Erklärung. Auch in diesem Fall ist die Abwesenheit des Ausdrucks Drang nach Osten „indikativ‟, d.h. das Verschwinden des Ausdrucks deutet darauf hin, dass Drang nach Osten nicht mit der damaligen politischen Aktualität verknüpft werden konnte.

3.5.2 Wirkung des Nationalsozialismus in den anderen Ländern. Der Zweite Weltkrieg hatte zur Folge, dass Drang nach Osten in Polen und in der Tschechoslowakei16 ein vielverwendeter Ausdruck wurde, dass in Russland, West- Europa und Amerika Drang nach Osten wiederbelebt wurde und dass er in Bulgarien, Rumänien und Jugoslawien erstmals eingeführt wurde (vgl. Meyer 1996: 125ff). Diese Tendenzen zeigen, dass Drang nach Osten zu dieser Zeit ein unlösbarer Teil des Feindbildes der Deutschen geworden war. Eine Verschlechterung der Beziehungen zu Deutschland brachte fast automatisch den Ausdruck Drang nach Osten mit sich. Die verschiedenen Autoren gehen nicht weiter auf die Entwicklung und Ausbreitung des Ausdrucks zu dieser Zeit ein. Russland stellt in diesem Zusammenhang insofern eine Ausnahme dar, als Nolte (1976) ausführlich darauf eingeht. Einige seiner Thesen sind sowohl von Wippermann (1981) als auch von Meyer (1996) übernommen worden. Die Art und Weise, wie der Drang nach Osten in Russland in unterschiedlichen Perioden entweder bewusst eingesetzt oder bewusst vermieden wurde, zeigt ganz deutlich, dass er auch in Russland der Legitimierung der eigenen Politik diente. 1937 habe eine Regierungskommission einen Wettbewerb um das beste Lehrbuch für die Geschichte der Sowjetunion ausgeschrieben. Der erste Preis sei jedoch nicht verliehen worden, da kein einziger Autor die Schlacht auf dem Peipussee (1242) als Erfolg der Russen darstellte, obwohl dadurch der deutsche Drang nach Osten zum Stillstand gebracht worden sei (vgl. Nolte 1976: 200). Solche offiziellen Forderungen ließen in der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes selbstverständlich nach. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion sei das Thema des russischen Sieges bei der Schlacht auf dem Peipussee alsbald in der Kriegspropaganda eingesetzt worden (Nolte 1976: 119) und sei die Vorstellung des deutschen Drangs nach Osten als Teil des deutschen Feindbildes in den historischen Kanon aufgenommen worden (Nolte 1976: 155). Nolte zieht über den

16 Der Ausdruck Drang nach Osten gelangte sogar in einen tschechoslowakisch-sowjetischen Beistandspakt (vgl. Lemberg 1976: 2). 54

Einfluss des Zweiten Weltkrieges auf den Umgang mit dem Ausdruck Drang nach Osten in der Sowjetunion diese Schlussfolgerung:

Der 2. Weltkrieg ist die tiefste Zäsur […], da das Feindbild Deutschland in seinem Verlauf (z.T. Vorgeschichte) gebildet und da es mit dem Abschluß des Krieges zu einem großen Teil “festgefroren” und in den Kanon festen Lernwissens für die sowjetische Gesellschaft aufgenommen wurde. (Nolte 1976: 158) Der Umgang mit Drang nach Osten in russischen Veröffentlichungen stellt abermals das von Anfang an herrschende Pingpong-Spiel zwischen Ablehnung und Beibehalten des Ausdrucks unter Beweis. In der deutsch-russischen Beziehungsgeschichte hat der Ausdruck Drang nach Osten eine klare Indikatorenfunktion. Sobald das gegenseitige Verhältnis sich verschlechterte, tauchte der Ausdruck Drang nach Osten in unterschiedlichen Veröffentlichungen auf. Eine Verbesserung der Beziehungen hatte dagegen immer das Verschwinden des Ausdrucks zur Folge.

3.6 Nachkriegszeit 3.6.1 Weiterführen der ideologischen Analyse des Drangs nach Osten in Polen, in der Sowjetunion und in der DDR 3.6.1.1 Schwanken in Polen Die nationalsozialistische Politik stellte für die Anhänger des Kontinuitätsgedankens den Höhepunkt der jahrhundertelangen Aggression und Expansion der Deutschen Richtung Osten dar. Sie waren der Meinung, dass sich an dieser Aggression auch in den kommenden Jahren nichts ändern würde. Solche pessimistischen und fatalistischen Gedanken herrschten vor allem in Polen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg vor. Es gab unterschiedliche Arbeiten, die die Ursache für den Krieg in der deutschen Geschichte suchten und dabei feststellten, dass diese Aggression schon seit Jahrhunderten teil des deutschen Charakters sei (vgl. Labuda 1964: 248ff). Labuda (1964) und Wippermann (1981) weisen in diesem Zusammenhang beide auf das Werk von J. Feldman hin. Wippermann fasst die Gedanken Feldmans folgendermaßen zusammen:

Hitler habe mit seinem nationalistischen und rassistischen Programm bei den Deutschen deshalb so große Erfolge gehabt, weil diese Elemente sich seit Jahrhunderten im Kampf gegen Polen entwickelt hätten und zu bestimmenden Faktoren des deutschen Charakters geworden seien. (Wippermann 1981: 75) 55

Hoffnung auf eine Änderung in der Mentalität der Deutschen habe man nach dem Zweiten Weltkrieg kaum gehegt. Nur geeignete politische Aktion hätte laut Feldman eine solche Änderung veranlassen können (vgl. Labuda 1964: 252). Im Gegensatz zu dieser pessimistischen Tendenz wurde in Polen aber auch an die Ansätze zur De-Ideologisierung, die es in der Zwischenkriegszeit gegeben hat, angeknüpft. Bereits 1950 gab es Historiker, die das stereotype Denken hinter sich ließen. Die erste Historikerin, die die Aufgabe der polnischen Historiografie in diesem Sinne neu formuliert habe, war E. Maleczyńska:

One of the most urgent tasks of Polish historiography as regards Polish-German relations is to explain the genesis of the Polish-German conflict as a phenomenon that came into being in the concrete historic conditions of the past epoch and is disappearing in changed historical conditions; […]. (Übersetzung n. Labuda 1964: 253 von Maleczyńska 1950: 22f) Die Folge war eine Änderung der Sicht der deutschen Ostexpansion, die bei A. Gołubiew deutlich zum Ausdruck kam: Für ihn sei Drang nach Osten ein ideologischer Begriff, der keiner historischen Realität entsprach. Man kam in Polen also zur Einsicht, dass Drang nach Osten ein Kind der im Dienst der Politik stehenden Geschichtsschreibung gewesen war und dass ein solcher Ausdruck nicht in eine objektive Beschreibung der Geschichte gehörte. Für Labuda (1964) gingen die Ansichten Gołubiews jedoch einen Schritt zu weit, denn nach Labuda (1964: 254) stellt der Drang nach Osten sehr wohl eine historische Realität dar. Diese Realität müsse aber deutlich von der ideologischen Komponente, die erst im 19. Jahrhundert hinzugekommen sei, unterschieden werden (vgl. oben II, 3.2) Wippermann (1981: 76ff) zufolge konnten sich die Ansichten Maleczyńskas und Gołubiews in Polen jedoch nicht unmittelbar durchsetzen, weil das “sowjetpatriotische Bild der deutsch-slavischen Beziehungen” (Wippermann 1981: 76) auch in Polen zu stark verbreitet war. Überdies habe die Verbreitung der Kontinuitätsthese eine klare politische und sozialintegrative Funktion gehabt: Sie habe nämlich die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze legitimieren sollen. So wurde “ein selektives Geschichtsbild” (Bachmann 1996: 53) propagiert, das auf einer Kette deutscher Verbrechen aufgebaut war und bis zum Deutschen Orden zurückführte. Diese Kette diente zur Legitimierung der “Umkehrung des Verlaufs der Geschichte” 56

(Zernack 1995: 6), wobei die deutsche Bevölkerung aus den ehemaligen preußischen Ostprovinzen vertrieben wurde.

3.6.1.2 Sowjetunion In der sowjetischen Historiografie ändert sich in der Darstellung des deutschen Drangs nach Osten nach dem Zweiten Weltkrieg kaum etwas. Die These einer epochenübergreifenden Expansion der Deutschen Richtung Osten wurde weiter vertreten, ohne dass dabei, im Gegensatz zur Historiografie in Polen, kritische Bemerkungen und Einschränkungen zum Ausdruck gebracht wurden. Nach Wippermann (1981: 69f) war das Beibehalten des Ausdrucks Drang nach Osten ähnlich wie in Polen in einem Bedürfnis nach Rechtfertigung und Integration begründet.

3.6.1.3 DDR Der Einfluss der Sowjetunion war auch in der Geschichtsschreibung der DDR spürbar. Unter anderem die Politiker W. Ulbricht und A. Abusch verurteilten in ihren Veröffentlichungen den deutschen Drang nach Osten und riefen zu einer Besinnung auf die Voraussetzungen auf, die diesen Drang ermöglicht haben. Darüberhinaus würden in der DDR die polnischen und sowjetischen Thesen weitgehend übernommen. Die DDR- Historiker versuchten zum Beispiel die Oder-Neiße-Grenze als eine Wiedergutmachung für die deutschen Verbrechen zu rechtfertigen und zweifelten nicht an der realgeschichtlichen Existenz der Erscheinung Drang nach Osten. Sie warnten sogar vor einem erneuten Drang der Westdeutschen, der darauf gerichtet sei, zunächst ganz Deutschland und danach den Rest des ehemals deutschen Ostens wieder zu erobern (vgl. Wippermann 1981: 116ff).

3.6.2 Kontinuität(sbruch?) in Westdeutschland und Verschwinden in den anderen westlichen Ländern Labuda (1964) und Wippermann (1981) drücken sich beide vorsichtig aus, wenn sie das Weiterleben des Audrucks Drang nach Osten und die damit zusammenhängenden ideologischen Komponenten in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 beschreiben. Ihrer Ansicht nach, gab es sowohl Werke, in denen eher kritische Gedanken zum Ausdruck gebracht wurden, als auch Werke, in denen die nationalistisch-völkischen Thesen nach wie vor vertreten wurden. In der ersten Gruppe weist Wippermann (1981: 124f) auf das Werk G. Ritters hin, in welchem Ritter behauptet, dass die Deutschen keinen angeboren Drang nach Osten hätten und, dass es 57

in der deutschen Politik keine Kontinuität vom Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg gegeben habe. Labuda (1964: 237f) verweist unter anderem auf die Historiker R. Riemeck, I. Geiss, M. Broszat und G. Bluhm, die die Beschreibung der deutschen Vergangenheit zu objektivieren versucht haben. Auf der anderen Seite erwähnen beide die Arbeit P.E. Schramms, der 1958 die Geschichte immer noch anhand der Flut-und- Wellenmetaphorik analysiert habe (vgl. Labuda 1964: 235f, Wippermann 1981: 127ff). Ein anderes frappierendes Beispiel für unkritischen Umgang mit der Geschichte ist, dass der damalige Bundeskanzler K. Adenauer sich im selben Jahr (1958) in den Ritterorden, der für viele das Symbol des deutschen Drangs nach Osten war, aufnehmen ließ (vgl. Escher und Vietig 2002: 187). Diese Zweiteilung und das Schwanken zwischen Kontinuität oder Kontinuitätsbruch hat man laut Wippermann (1981: 129ff) auch in ein und demselben Werk finden können. In Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung (1957) von W. Schlesinger werde einerseits Kritik an der Darstellung der Vergangenheit mit Wörtern wie drängen oder strömen geübt aber andererseits werde behauptet, dass dem deutschen Drang nach Osten ein slavischer Drang nach Westen entsprach (vgl. Wippermann 1981: 129ff)17. Meyer (1996: 129ff) weicht abermals von den Ansichten Labudas (1964) und Wippermanns (1981) ab, indem er behauptet, dass man sich in West-Deutschland nach 1945 kaum mit dem Begriff Drang nach Osten auseinandergesetzt hat. Er fügt hinzu, dass der Drang nach Osten auch in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten, abgesehen von einigen Ausnahmen, nicht weiter verwendet worden sei.

4. Fazit Am Ende dieser Übersicht über die Entwicklung und die Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten möchte ich kurz die wichtigsten und auffallendsten Ergebnisse zusammenfassen. In den verschiedenen Kontexten gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen der historischen Realität und einem zu- oder abnehmenden Gebrauch des Drangs nach Osten. Außerdem wurde der Ausdruck meistens zur Rechtfertigung der jeweiligen politischen Ziele eingesetzt. Nach seiner Herausbildung im polnischen Kontext, bei der er als Indikator der misslingenden deutsch-polnischen

17 Wippermann (1981: 131) gibt jedoch an, dass Schlesinger diesen Standpunkt später revidiert hat. 58

Beziehungen fungierte, hat der Ausdruck sich in verschiedenen anderen Kontexten verbreitet. In Polen selber ist er seit seiner Einführung nicht mehr aus der Öffentlichkeit verschwunden. Erst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er immer weniger benutzt und heutzutage kommt er m.E. nur noch selten vor. In den anderen Ländern, u.a. in Frankreich, in Großbritannien, in Russland usw., in denen Drang nach Osten benutzt worden ist, hat es eine solche Kontinuität nicht gegeben. Abhängig von den jeweiligen politisch-historischen Ereignissen wurde der Ausdruck entweder bewusst eingesetzt oder vermieden, d.h. er hatte eine deutliche Indikatorenfunktion. Was die Lage in Deutschland betrifft, ist festgestellt worden, dass alternative Ausdrucksweisen (u.a. Zug nach dem Osten) gegenüber Drang nach Osten bevorzugt wurden. Obwohl diese noch nicht ausführlich untersucht worden sind, glaube ich, dass sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig in deutschen Publikationen zu finden sind. Auch im deutschen Kontext hat Drang nach Osten eine Indikatorenfunktion ausgeübt, denn die Texte, in denen die inhaltlichen Komponenten des Ausdrucks anwesend sind, bringen meistens expansionistische Gedanken zum Ausdruck. Diese Übersicht hat meiner Meinung nach somit klargemacht, dass es eine “ideologiegeschichtliche Kontinuität” (Wippermann 1981: 84) in der Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten gibt, wobei Drang nach Osten als Indikator der verschlechternden ausländischen Beziehungen Deutschlands fungierte. Obwohl Wippermann (1981: 81) davon ausgeht, dass Drang nach Osten zwar keiner Wirklichkeit entspricht, als Ideologie jedoch die Realität beeinflusst habe, bleibt es m.E. schwierig einzuschätzen, inwieweit der Ausdruck als Faktor wirksam gewesen ist. Das hat vor allem damit zu tun, dass man dazu zahlreiche Quellen in Betracht ziehen muss. Bisher sind vor allem die Geschichtsschreibung und die Publizistik untersucht worden, es bleibt aber die Frage offen, wie viele Menschen von diesen Bereichen erreicht und beeinflusst worden sind. Auch die Literatur, der Unterricht, Manifeste, Pamphlete, politische Debatten und allerhand mündliche Quellen sollten näher betrachtet werden. Nur so wird man wirklich herausfinden können, ob der Ausdruck die Wahrnehmung historischer Ereignisse beeinflusst hat und demzufolge vielleicht auch andere Ereignisse mitveranlasst hat. Die Daten, die bisher erforscht worden sind, lassen jedoch vermuten, dass Drang nach Osten vor allem eine Änderung in der Wahrnehmung der Realität bewirkt hat. Mithilfe des Ausdrucks hat man in den 59

allermeisten Fällen auf die Kontinuität in der Aggression der Deutschen Richtung Osten hingewiesen, wodurch aktuelle Vorgänge in eine historische Kette eingereiht und nicht mehr als einzelne, unabhängige Phänomene wahrgenommen wurden. Ich bin der Meinung, dass es beim Ausdruck Drang nach Osten eine Diskrepanz gibt zwischen den historischen Ereignissen, auf denen mit diesem Ausdruck verwiesen wurde, und der Perzeption dieser Ereignisse, wenn sie anhand dieses Ausdrucks beschrieben wurden. So veranlasste die Bezeichnung eines Ereignisses als “eine neue Phase des deutschen Drangs nach Osten ” eine ganze Reihe Assoziationen, die an und für sich nur wenig mit der Realität übereinstimmten. Ich glaube, dass man hieraus schließen kann, dass der Ausdruck Drang nach Osten vor allem in nicht-deutschen Kontexten die Funktion eines Faktors ausgeübt hat oder wenigstens, dass diejenigen, die ihn benutzten, sicherlich eine solche Wirkung von ihm erwarteten. Im deutschen Kontext dagegen hat es ein deutliches Zeichen dafür gegeben, dass Drang nach Osten als Faktor des realen Geschichtsverlaufs versagte. Der Alldeutsche Verband hoffte, dass der Ausdruck eine gewisse Mobilisierungskraft ausüben würde. Diese hat sich aber als nichtig erwiesen.

60

Kapitel IV: Sprachfunktionale Analyse

1. Vorbemerkungen Es gibt, wie im Einführungskapitel bereits erwähnt, inhaltlich große Unterschiede zwischen den Arbeiten, die den Ausdruck Drang nach Osten untersuchen. In den meisten Fällen stehen die Geschichte und die Verbreitung des Ausdrucks im Mittelpunkt. Manchmal werden dabei jedoch Ansätze zu einer linguistisch-funktionalen Analyse gegeben. Während im dritten Kapitel vor allem die Geschichte und die Verbreitung des Ausdrucks zentral standen, werde ich mich in diesem Teil besonders mit einigen sprachfunktionalen Aspekten des Ausdrucks beschäftigen. Bisher haben vor allem drei Forscher, nämlich Lemberg (1976, 2003), Wippermann (1981) und Meyer (1996) versucht, den Ausdruck Drang nach Osten nach seiner Funktion zu katalogisieren. Nach Lemberg handelt es sich beim Ausdruck Drang nach Osten um ein Heterostereotyp und sogar um einen historischen Mythos. Lembergs Bezeichnungen des Drangs nach Osten als “Begriff” (2003: 33), “Schlagwort” (2003: 33), “Formel” (2003: 36), “Vokabel” (2003: 36) und als “Floskel” (2003: 37) zeigen jedoch eine Ungenauigkeit, wenn es um die sprachliche Bezeichnung des Ausdrucks geht. Auch Wippermann (1981) stellt sich die Frage nach Wirkung und Funktion des Ausdrucks und meint, dass Drang nach Osten als Ideologie Faktor und Indikator geschichtlicher Prozesse gewesen ist (vgl oben III). Obwohl Wippermanns Verfahren u.a. begriffsgeschichtlich ist, bezeichnet er Drang nach Osten in seinem gesamten Werk als Schlagwort und nicht als Begriff. Er setzt sich mit diesen Bezeichnungen und ihren Bedeutungen weiter nicht auseinander. Meyer (1996) verwendet ebenfalls eine begriffsgeschichtliche Methode, unterscheidet aber systematisch zwischen Schlagwort und Begriff. Seiner Meinung nach stellt der Ausdruck Drang nach Osten einen Fall der Begriffswerdung (“conceptualisation”) dar: Nachdem er anfangs als Schlagwort (“slogan”) benutzt wurde, ist er nach einiger Zeit in der Historiografie als Begriff (“concept”) aufgefasst und verwendet worden. Anders als Lemberg (1976, 2003) und Wippermann (1981) verzichtet Meyer (1996) jedoch auf jede ideologiekritische Hinterfragung des Ausdrucks Drang nach Osten. Deswegen betrachtet er Drang nach Osten auch heutzutage noch als ein gültiger Begriff der Historiografie, der die deutsche Geschichte zutreffend charakterisiert. Die These Meyers, dass Drang nach Osten sich 61

mit der Zeit zu einem Begriff entwickelt habe und diese Funktion bis heute ausübe, wird in diesem Kapitel anhand der Ergebnisse des dritten Kapitels überprüft werden. Die erste Frage, auf die in diesem Kapitel eine Antwort gesucht wird, ist, ob der Ausdruck Drang nach Osten als Begriff im wissenschaftlichen Sinne gelten kann. Dazu werde ich zunächst erläutern, worin der spezifische Wert eines Begriffs besteht. Danach werde ich untersuchen, ob Drang nach Osten im Laufe der Geschichte als Begriff funktioniert hat und ob er heutzutage noch als Begriff betrachtet werden kann. Nachher werde ich dieselben Fragen in Bezug auf die Bezeichnung des Ausdrucks als Schlagwort stellen. Nach Meyer (1996) hat der Ausdruck Drang nach Osten eine Begriffswerdung durchgemacht, das impliziert, dass er weder die Funktion eines Schlagwortes noch die eines Begriffes seine ganze Verwendungsgeschichte hindurch ausgeübt hat. Deswegen gehe ich abschließend auf die Suche nach einer linguistischen Bezeichnung, die auf die ganze Geschichte des Ausdrucks anwendbar ist. Seiner Struktur und Bedeutung nach wäre er dann am ehesten als Wortgruppenlexem zu betrachten. Zum Schluss werde ich mich kurz zum gegenwärtigen Umgang mit dem Ausdruck äußern.

2. Der Terminus Begriff Im umgangssprachlichen Gebrauch wird oft kein Unterschied zwischen Wort (engl. word) und Begriff (engl. concept) gemacht und auch viele Historiker drücken sich unpräzise aus und benutzen manchmal Begriff, wenn sie eigentlich Wort meinen. Diese Unsicherheit kann man dadurch erklären, dass, zwar schon seit Plato die Frage nach dem spezifischen Wert eines Begriffs gestellt wird, eine eindeutige definitorische Abgrenzung des wissenschaftlichen Terminus Begriff - soweit ich weiß – aber bis heute noch nicht geliefert worden ist:

Concepts are more than words, but how they fit between words, discourses, languages and vocabulary is an unresolved issue. (Van Gelderen 1998: 233) Das Fehlen einer eindeutigen Definition erstaunt jedoch, denn wenn man die Lemmata Wort und Begriff im Wörterbuch Duden nachschlägt, bemerkt man, dass die jeweiligen Beschreibungen sich deutlich voneinander unterscheiden. Während ein Wort als eine “selbstständige sprachliche Einheit” (DUW 2003 auf CD-ROM: Art. “Wort”) umschrieben wird, wird ein Begriff eher als eine kognitive Einheit aufgefasst. Bei 62

einem Begriff handele es sich um “[eine] Gesamtheit wesentlicher Merkmale in einer gedanklichen Einheit; [ein] geistiger, abstrakter Gehalt von etw[as]” (DUW 2003 auf CD-ROM: Art.“Begriff”). Trotz des klaren Unterschiedes ist diese Zweiteilung in eine sprachliche und eine kognitive Einheit, bei der ein Wort als äußere Form eines Begriffes aufgefasst wird, nicht unproblematisch. Wenn man Begriffe nämlich nur als kognitive Einheiten betrachtet, besteht die Gefahr, dass sie zu individuellen und privaten Vorstellungen reduziert werden. Auf diese Weise wird laut Busse (1987: 80) eigentlich die Aufgabe der Begriffsgeschichte in Frage gestellt, denn diese gehe auf die Suche nach der „kollektiven‟ sprachlichen Gestaltung der Wirklichkeit und brauche dazu eben kollektiv objektivierbare Begriffe.

2.1. Der Terminus Begriff in den Geschichtlichen Grundbegriffen Der Pionier der Begriffsgeschichte als wissenschaftliche Disziplin im deutschsprachigen Raum, R. Koselleck setzt sich in der Einleitung zu den Geschichtlichen Grundbegriffen (1972-1997) mit dieser Problematik auseinander und versucht, den wissenschaftlichen Terminus Begriff irgendwo zwischen einer reinen kognitiven und einer sprachlichen Einheit anzusiedeln. Damit das Lexikon keine “Geistesgeschichte als Geschichte der Ideen” (Koselleck 1972: XXIV) werde, solle es die Sprache als ein intersubjektives und objektivierendes Medium betrachten. Nach Koselleck können Begriffe diese objektivierende Funktion ausüben, denn sie seien sprachliche Einheiten, die

[...] die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung und eine Summe von theoretischen und praktischen Sachbezügen in einem Zusammenhang [bündeln], der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist und wirklich erfahrbar wird. (Koselleck 1972: XXIII) Anders formuliert bedeutet dies, dass ein Begriff die unterschiedlichen individuellen historischen Erfahrungen zusammenfasst und sprachlich zum Ausdruck bringt. Hinter einem Begriff stecken demzufolge verschiedene Bedeutungen und Vorstellungen und deswegen ist er immer vieldeutig, d.h. er ruft immer mehr hervor als das, was das einzelne Wort aussagt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Begriff, der immer vieldeutig bleibt, von einem Wort, das in einem bestimmten Kontext eindeutig werden kann (vgl. Koselleck 1972: XXII). Dieses auf Mehrdeutigkeit basierte Unterscheidungskriterium scheint mir aus mehreren Gründen zweifelhaft. Erstens kann man sich fragen, ob auch ein Begriff in 63

einem spezifischen Kontext nicht notwendigerweise eindeutig wird oder wenigstens einen Teil seiner Mehrdeutigkeit verliert. Wenn er immer in seiner ganzen “Bedeutungsfülle” (Koselleck 1972: XXII) benutzt würde, so könnte er “in einer konkreten kommunikativen Situation seinen Zweck [nicht] erfüllen” (Busse 1987: 55), denn der Empfänger wüsste nicht, worauf mit dem Begriff dann jeweils verwiesen wird. Andererseits ist es aber so, dass sowohl Begriffe als auch Wörter auf mehr verweisen können, als sie mittels des sprachlichen Zeichens zum Ausdruck bringen. Es bleibt dabei aber die Frage offen, ob dieses „mehr‟ dem Wort inhärent ist oder vom Wissen der Kommunikationsbeteiligten bestimmt wird (vgl. Busse 1987: 55). Schultz (1979) verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Denotation (d.h. demjenigen, worauf verwiesen wird) und Konnotation (d.h. den – oft emotional besetzten - Assoziationen, die hervorgerufen werden). Die Denotation haftet dem sprachlichen Ausdruck an, während die Konnotation vom Sprecher, Hörer, Kontext usw. abhängt. Dies gilt jedoch sowohl für Begriffe als auch für Wörter; deswegen scheint mir Mehrdeutigkeit kein gutes Kriterium, um zwischen Wörtern und Begriffen unterscheiden zu können. Außerdem ist die Einteilung somit aufs Neue auf einem kognitiven und nicht auf einem sprachlichen Unterschied aufgebaut. Dies zeigt sich deutlich in einem zusammenfassenden Satz Kosellecks:

Wortbedeutungen können durch Definitionen exakt bestimmt werden, Begriffe können nur interpretiert werden. (Koselleck 1972: XXIII) 2.2 Ist eine theoretische Abgrenzung notwendig? Ein sprachliches Kritierium, dass zwischen dem Wert eines Wortes und dem eines Begriffs unterscheiden könnte, hat Koselleck also nicht finden können. Eben dieser Aspekt wird von verschiedenen Kritikern der Koselleckschen Methode (u.a. Schultz 1979 und Busse 1987) dann auch stark hervorgehoben. Eine eindeutige Lösung dieses Problems ist aber auch von ihnen nicht formuliert worden. So schreibt Busse in einer Fußnote:

Eine allgemeine, alle theoretische Interessen abdeckende Definition von „Begriff‟ und „Wort‟ ist nicht notwendig, vielleicht nicht einmal möglich. [...] Die Weigerung, klar zu bestimmen, ob es nun um reine Ideengeschichte oder um Wortgeschichte geht, und der Versuch, zwischen beiden überkommenen, aber als unzureichend angesehenen Polen zu jonglieren, scheint der Grund für das Fehlen einer eindeutigen Definition von „Wort‟ und „Begriff‟ in den wichtigsten Beiträgen zur Methodendiskussion der Begriffsgeschichte zu sein. (Busse 1987: 80) 64

Die Begriffsgeschichte und andere Bereiche der historischen Semantik können laut Busse (1987) ebenso gut ohne eine endgültige Definition von Begriff auskommen. Eine Abgrenzung zwischen Wort und Begriff soll, so Busse (1987: 80), nur durchgeführt werden, wenn es der jeweilige Zweck und das theoretische Modell verlangen; sie hat dann nur in diesem bestimmten Modell seine Gültigkeit. Busse hat insofern recht, als bisher - trotz der fehlenden theoretischen Untermauerung - in der Praxis ziemlich leicht zwischen Wörtern und Begriffen unterschieden werden konnte. Auch wenn Wort und Begriff manchmal verwechselt werden, intuitiv spüren wir, dass es einen Unterschied zwischen beiden gibt. So wird beispielsweise niemand das Wort Stuhl als Begriff bezeichnen. Noch deutlicher zeigt unsere Intuition sich im englischen Sprachgebrauch, denn niemand der word meint, wird stattdessen concept sagen. Wir wissen somit, dass Wort und Begriff nicht gleichgesetzt werden können. Wo die Grenze zwischen beiden liegt, ist uns weniger klar und gerade deswegen benutzen wir teilweise das eine, wenn eigentlich das andere gemeint ist. In der Umgangssprache werden Wörter, laut Busse (1987: 77f), an erster Stelle als materielle, d.h. sprachliche Zeichen aufgefasst, während bei Begriffen der geistige Aspekt hervorgehoben wird (vgl. ganz ähnlich die jeweilige Bedeutungsumschreibung im DUW). Auch in der Forschung hat die Abgrenzung von demjenigen, was als Begriff gelten kann, vor allem auf der Grundlage kognitiver Kriterien stattgefunden. Begriffe können aber nicht nur kognitive Einheiten sein, sonst könnten sie von der Begriffsgeschichte nicht untersucht werden. Meiner Meinung nach haben sie auch noch eine andere wichtige Qualität: Sie sind kollektiver Besitz. Im Folgenden werde ich kurz meine Sicht der wichtigsten Eigenschaften von Begriffen präsentieren. Ich werde dabei vor allem ihre besondere kognitive und kollektive Qualität, sowie ihre typische temporale Binnenstruktur erläutern und werde dabei versuchen, die aktuellen Forschungsergebnisse soweit wie möglich zu berücksichtigen. Auf diese Weise hoffe ich, einen praktischen Begriffs-Begriff, den ich in dieser Arbeit anwenden kann, herausarbeiten zu können.

2.3 Eigene praktische Lösung Bei meiner Suche nach demjenigen, was einen Begriff zu einem Begriff macht, werde ich zunächst ein Eliminierungsverfahren anwenden. Wenn danach gefragt wird, worin 65

sich Wörter von Begriffen unterscheiden, so sind mit Wörtern im Grunde nur Substantive gemeint, denn in den allermeisten Fällen sind Begriffe Substantive. Den anderen Wortarten, z.B. Adjektiven, Verben, Artikeln, wird man nicht so leicht den Wert eines Begriffs beimessen, es sei denn sie werden ihrerseits substantiviert (z.B. das Gute, das Denken, das Eine). Obwohl dies selbstverständlich scheint, ist die Aufmerksamkeit in der Forschung noch nicht auf diesen Aspekt gerichtet worden. Es ist m.E. jedoch kein bloßer Zufall, dass Begriffe (fast) immer Substantive sind, denn gerade Substantive haben eine große präsupponierende Macht. Wenn ein Sprecher mit einem Substantiv oder mit einem Namen auf etwas verweist, so glaubt er normalerweise, dass der Name sich auf einen realen Gegenstand bezieht (vgl. Franck 1973: 14). Ein Substantiv präsupponiert einen Referenten und eignet sich zur Rhematisierung, d.h., dass mittels des Substantivs allerhand Aussagen über den präsupponierten Referenten gemacht werden können. Darin liegt die Wichtigkeit der Tatsache, dass unterschiedliche Ausdrücke in einer bestimmten Bezeichnung Drang nach Osten zusammengekommen sind. Mit diesem Namen konnte ein Referent konstruiert werden, dessen Existenz dann im Diskurs nicht mehr hinterfragt werden musste. Zu der Kategorie Begriff gehören also im Grunde nur Substantive. Im Bereich der Substantive kann jedoch noch weiter differenziert werden. Es kann nämlich zwischen konkreten Substantiven, die auf einen bestimmten Gegenstand verweisen, und abstrakten Substantiven, die sich auf etwas Nicht-Gegenständliches oder etwas Gedachtes beziehen, unterschieden werden (vgl. Duden Die Grammatik 1998). Konkrete Substantive können demnach auch ausgeschlossen werden, denn wie abstrakte Substantive beziehen Begriffe sich nicht auf konkret gegenständliche Objekte in der Wirklichkeit. Auch Landwehr (2004) ist der Meinung, dass vor allem abstrakte Substantive sich zu Begriffen entwickeln können:

Substantive erlauben es nicht nur, konkrete Dinge und Gegenstände zu bezeichnen, sondern vor allem bestimmte Gegebenheiten, Ideen und Überzeugungen in einem Wort zu fassen, so dass sie zum “Begriff” im Sinne von Konzept werden können. (Landwehr 2004: 125) Die eigentliche Frage ist also, worin sich abstrakte Substantive wie Jahr, Meter und Krankheit, von Begriffen wie Staat, Freiheit und Kapitalismus, unterscheiden. Es ist diese Frage, die bisher in der Forschung nur in der Praxis beantwortet worden ist. 66

Deswegen werde ich dieses Problem auch vor allem praktisch zu lösen versuchen, d.h. die Frage nach dem Unterschied wird in den Hintergrund gerückt und ich werde zu beschreiben versuchen, worin Begriffe für mich bestehen.

2.3.1 Begriffe als kollektiv - kognitive Einheiten Begriffe beziehen sich nicht auf konkrete Gegenstände in der Wirklichkeit, sondern bringen immer eine Interpretation der Verhältnisse in der Wirklichkeit zum Ausdruck. Die Tatsache, dass es sich um Interpretationen handelt, hat zur Folge, dass Begriffen immer eine gewisse Subjektivität anhaftet. Sie können aber nicht nur eine subjektive Bedeutung haben, da sie sonst nicht in einer sprachlichen Gemeinschaft verstanden werden könnten. Sprachliche Zeichen sind nämlich immer konventionalisierte Zeichen und können nicht gleich welchen Inhalt zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für Begriffe: Sie entstehen und entwickeln sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Sprachgemeinschaft und haben in dieser Gemeinschaft eine kollektive Bedeutung:

[...] they [= Begriffe, meine Hinzufügung, SV] are neither arbitrary, nor simply stipulative, models that the theorist invites us to adopt, but constructs that reflect social and historical usage. (Freeden 1996: 52) In einen Begriff gehen zwar verschiedene Bedeutungen und Inhalte ein, diese werden aber u.a. vom jeweiligen sozialen und politischen Kontext bestimmt, in dem der Begriff entsteht und benutzt wird. Man kann einem Begriff eine persönliche Bedeutung beimessen; die wesentlichen Bedeutungskomponenten sind m.E. jedoch immer dieselben. Jeder kann zum Beispiel eine eigene spezifische Vorstellung vom Begriff Liebe haben, es gibt aber auch bestimmte Assoziationen (Wärme, Zuneigung, Zärtlichkeit usw.) die wir in einer Kulturgemeinschaft gemein haben. Ich stimme Koselleck (1972: XXIII) also zu, wenn er behauptet, dass Begriffe nicht definiert, sondern interpretiert werden müssen. Die Interpretationsmöglichkeiten werden dabei aber von den verschiedenen historischen und kollektiven Verwendungsweisen des Begriffs in einer Sprachgemeinschaft begrenzt. Wenn man einen Begriff verwendet, reiht man sich in eine bestehende “Begriffstradition” ein. Man nimmt Bezug auf frühere Aussagen, veranlasst selbst auch neue Behauptungen und es wird demnach ein bestimmtes “Begriffs- oder Aussagengefüge” (Busse und Teubert 1994: 23) geschaffen. Jeder “Begriffsanwender” entwickelt dabei “seinen eigenen, zeit- und 67

interessegebundenen epistemischen Zusammenhang in Form seiner (privaten) Verwendungsgeschichte sprachlicher Zeichen” (Busse 1987: 72). Diese private Verwendungsgeschichte ist aber von äußeren Faktoren bestimmt, insofern als zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Thema nur eine begrenzte Anzahl Aussagen möglich sind, d.h. nicht alles ist Sagbar (vgl. Landwehr 2004: 7). Hieraus glaube ich schließen zu können, dass Begriffe zwar immer auf eine persönliche und private Weise verwendet werden, dass sie andererseits aber auch immer kollektive Bedeutungen zum Ausdruck bringen. Ich betrachte Begriffe daher als sprachliche Einheiten mit einem „kollektiv-subjektiven‟ Inhalt, und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund ist, dass sie immer aus einer Mischung kollektiver und privater Vorstellungen bestehen. Der zweite Grund ist, dass Begriffe immer Kulturprodukte einer bestimmten Gemeinschaft sind und unter anderen sozio- politischen Umständen ihre Gültigkeit verlieren. Begriffe sind somit immer nur zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft Begriffe.

2.3.2 Begriffe als ideologische Instrumente Dieser zwiespältige Begriffs-Begriff kann erklären, wieso Begriffe z.B. für Politiker ideologisch interessant sind. Da ihre Bedeutung niemals hundertprozentig vorgegeben ist, kann man eine Bedeutungskomponente besonders betonen und sie auf diese Weise bei der Interpretation dominant werden lassen. Man kann sich auch hinter ihrer Unbestimmtheit verstecken, denn ihr Abstraktionsgrad bewirkt, dass sie von Situation zu Situation anders erklärt werden können. Günther (1979) ist der Meinung, dass Begriffe wegen ihrer Allgemeinheit immer konkretisiert werden müssen, denn ohne Zusammenhang haben sie etwas “Unerfülltes” (Günther 1979: 103) und können sie somit auf Verschiedenes verweisen. In dieser Referenzoffenheit liegt m.E. gerade der strategische Wert von Begriffen. Sie sind verschieden deutbar, ihre Bedeutung liegt nicht fest und sie sind folglich strittig und umstritten. Wenn Begriffe unter allen Umständen eindeutig, klar und selbstverständlich wären, würde man nicht um und für sie kämpfen können. Man könnte Begriffe dann definitorisch festlegen, und es hätten sich beispielsweise nicht zwei einander entgegengesetzte Staatssysteme wie die BRD und die DDR gleichzeitig als “Demokratien” bezeichnen können. Dieser Kampf um Begriffe ist nicht nur Folge ihrer Unbestimmtheit, sondern auch ihrer Unaustauschbarkeit: 68

- weil sie unaustauschbar sind, erheben natürlich mehrere Sprechergruppen Anspruch darauf, was der wahre Staat sei, was die Gesellschaft sei, was die Klasse sei – (Koselleck und Dipper 1998: 193) Laut Koselleck (1998: 193) sind vor allem die sogenannten Grundbegriffe unaustauschbar, weil sie die politische, soziale und ökonomische Realität ordnen und ihr Bedeutung geben. Ohne diese Grundbegriffe könne keine Gesellschaft auskommen. Meiner Meinung nach sind jedoch alle Begriffe unersetzbar, zumindest wenn man einen synchronen Standpunkt einnimmt, d.h. sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer gewissen Gesellschaft betrachtet. Begriffe weisen ja eine interne Komplexität auf und bündeln eine Vielfalt von Erfahrungen und Vorstellungen “in einem Zusammenhang, der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist” (Koselleck 1972: XXIII). Diachron betrachtet stellt man aber fest, dass Begriffe sehr wohl durch andere ersetzt werden können. Das hängt damit zusammen, dass u.a. die sozialen und politischen Umständen sich im Laufe der Zeit ändern und Begriffe somit einen anderen Inhalt bekommen oder ihre gesellschaftliche Bedeutung verlieren und folglich ersetzt werden.

2.3.3 Die zeitliche Binnenstruktur von Begriffen Eine letzte Eigenschaft, die Begriffe auszeichnet, ist ihre temporale Vielschichtigkeit. Begriffe beziehen sich nach Koselleck (2006 [2002]) in unterschiedlichem Maße sowohl auf die Vergangenheit und die Gegenwart, als auch auf die Zukunft. Laut Koselleck (2006 [2002]: 90f) sind zu einem Begriff wie bürgerliche Gesellschaft in der Antike (societas civilis), im Mittelalter und in der frühen Neuzeit jeweils Bedeutungsnuancen hinzugekommen, während andere dagegen verschwunden sind. Unser heutiger Begriff bürgerliche Gesellschaft bestehe demzufolge aus einem Gemisch dieser Bedeutungsnuancen. Daneben werde die Bedeutung des Begriffs auch an die gegenwärtige sozio-politische Lage angepasst. In dieser Hinsicht kommen in der Bedeutung eines Begriffs “vergangene Erfahrung” und “gegenwärtige Realität” (Koselleck 2006 [2002]: 92) zusammen. Begriffe können sich aber auch auf die Zukunft beziehen, indem sie bestimmte Erwartungen zum Ausdruck bringen. In diesem Zusammenhang weist Koselleck (2006 [2002]: 91f) auf die vielen „- ismus‟-Bildungen wie Republikanismus, Demokratismus, Kommunismus usw. hin. Er bezeichnet diese als Bewegungsbegriffe, weil sie alle eine zukünftige gesellschaftliche Organisation präsentieren, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung aber keiner Wirklichkeit entspricht. Die besondere Wirkung dieser Begriffe gehe dabei aus der Spannung zwischen 69

gegenwärtiger Erfahrung und Erwartung für die Zukunft hervor. Zusammenfassend betrachtet haben sozio-politische Begriffe Koselleck (2006 [2002]: 92) zufolge eine vielschichtige zeitliche Binnenstruktur, die bewirkt, dass sie “über die jeweilige zeitgenössische Realität voraus[-] oder zurück[verweisen]” (Koselleck 2006 [2002]: 92).

2.3.4 Schlussfolgerung Ich glaube, dass ich die wichtigsten Besonderheiten, die für Begriffe kennzeichnend sind, behandelt habe. Es ist vor allem festzubehalten, dass Begriffe in einer Gesellschaft historisch wachsen und dass sie trotz ihrer ideologischen Interpretierbarkeit gewisse kollektive Bedeutungen zum Ausdruck bringen. Begriffe kann man m.E. nicht unabhängig vom jeweiligen sozio-historischen Kontext, in dem sie benutzt werden, verstehen. Vielleicht liegt in diesem Zusammenhang von Begriff und Gesellschaft der Unterschied zwischen Begriffen und abstrakten Substantiven. Abstrakte Substantive sind weniger abhängig von der Gesellschaft, in der sie verwendet werden.

3. Drang nach Osten als Begriff Für Meyer (1996) steht fest, dass der Ausdruck Drang nach Osten im Laufe der Zeit zur “Konzeptualisierung historischen Verhaltens” (1996: 18) benutzt worden ist und seitdem als “gültiger Begriff der deutschen Geschichte” (1996: 142) gilt. Es sei folglich die Aufgabe der deutschen Historiker, sich endlich mit diesem Begriff zu versöhnen und ihn bei der Beschreibung der “eigenen” Geschichte einzusetzen. Bedauernswert ist aber, dass Meyer (1996), der sich des Begriffswertes des Ausdrucks Drang nach Osten ganz sicher ist, seine Begriffsauffassung nicht ausführlich beschreibt. Am Anfang seines Werkes verweist er kurz auf die Geschichtlichen Grundbegriffen (1972-1997), setzt sich mit der darin entwickelten Methode jedoch nicht auseinander und schreibt zum Wert eines Begriffs nur Folgendes:

[...] as the slogan continues over the years and decades to make its impact upon public emotion and the scholarly mind, and as it also develops a reverberating international usage, it does become a rewarding subject for historical investigation. In such circumstances a slogan has metamorphosed into a concept. It has, indeed, become a Begriff. (Meyer 1996: 14) Ein Begriff muss nach Meyer (1996) sowohl in der Öffentlichkeit als in wissenschaftlichen Arbeiten oft benutzt werden und ist eine historische Untersuchung 70

wert. Der Unterschied zu einem Schlagwort liege dann darin, dass Schlagwörter nur im öffentlichen Bereich aufträten. Meyer (1996) verzichtet jedoch auf weitere Angaben in Bezug auf seine Begriffsauffassung, weshalb es fast unmöglich ist, herauszufinden, ob er für die Katalogisierung des Drangs nach Osten - zunächst als Schlagwort und danach als Begriff - noch andere Kriterien berücksichtigt hat. Daher werde ich anhand meiner oben beschriebenen Begriffsauffassung überprüfen, inwieweit der Ausdruck Drang nach Osten jemals als Begriff aufgefasst worden ist und ob er diesen Wert heutzutage noch hat.

3.1 Begriffliche Aspekte des Ausdrucks Drang nach Osten Bei der Betrachtung des Ausdrucks Drang nach Osten als Begriff muss zunächst bemerkt werden, dass ein Begriff in den allermeisten Fällen nur aus einem Wort, meistens einem Substantiv, besteht, während der Ausdruck Drang nach Osten drei Wörter enthält. Dies ist meiner Meinung nach aber kein gültiger Grund dafür, Drang nach Osten nicht als Begriff zu katalogisieren, denn er ist in dieser Form zu einer verfestigten nominalen Kollokation geworden, die als sprachliche Einheit im Gehirn gespeichert worden ist und zu jeder Zeit abgerufen werden kann. Außerdem übt der Ausdruck Drang nach Osten im Satz die Funktion eines einzigen nominalen Satzgliedes aus, denn es handelt sich im Grunde nur um ein Substantiv Drang mit seiner Bestimmung nach Osten. Das formale Begriffs-Kriterium ist somit erfüllt worden. Der Fokus kann nun auf inhaltliche Aspekte gerichtet werden.

3.1.1. Bedeutung vs. Bezeichnung Die Bedeutung des Ausdrucks Drang nach Osten kann klar definiert werden (vgl. die Definition Lembergs zu Beginn des zweiten Kapitels). Sie ist seit ihrer Entstehung im Grunde genommen immer dieselbe geblieben, nämlich, dass die deutsche Bevölkerung einen inneren Trieb in sich spüre, Richtung Osten zu expandieren. Man merkt dabei aber gleich, dass der Referent des Ausdrucks, ein bestimmter Charakterzug, der allen Deutschen innewohnt, gar nicht vorhanden ist. Es sei denn, man glaubt an die Existenz eines Volks- oder Nationalcharakters, wie J.G. Herder am Ende des 18. Jahrhunderts. Da solche Gedanken jedoch längst überholt sind, hat der Referent des Ausdrucks Drang nach Osten keine reale Existenz, sondern ist eher eine geistige Konstruktion. Während die Bedeutung des Ausdrucks relativ fest liegt, kann man in Bezug auf seine Referenz 71

feststellen, dass diese je nach Kontext aktualisiert worden ist und dass die Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks sich folglich mit der Zeit erweitert haben. Eine erste Bezeichnungserweiterung, die im Laufe der Zeit stattgefunden hat, ist, dass nicht nur den Deutschen, sondern einer jeden Gruppe, von der eine gewisse Drohung ausging, ein Drang unterstellt werden konnte (vgl. Meyer 1996: 120). Manchmal wurde dabei ganz explizit auf die Ähnlichkeit mit dem „deutschen‟ Drang nach Osten hingewiesen:

Poland turned to the East and began her Drang nach Osten, a momentous expansion which presents many analogies to, and was the direct result of, the Germanic movement called by that name. (Temperley 1924: 221-222 zit.n. Meyer 1996: 120) Eine zweite Ausdehnung der Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks bezieht sich auf die Himmelsrichtung. So ist Russland im Laufe der Geschichte nicht nur eine “Version of a Drang nach Osten” (Übersetzung n. Meyer 1996: 84 der Russkii Vestnik18 August 1888: 340), sondern auch ein “Drang nach Süden” (Delbrück 1918- 19: 6-16 zit.n. Meyer 1996: 108) und ein “Drang nach Westen” (Alldeutsche Blätter 1914: 185 zit.n. Meyer 1996: 111) zugeschrieben worden. Meiner Ansicht nach sind die Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks auf vergleichbare Situationen ausgedehnt worden und verwies das Wort Drang dabei auf jegliche nationalistische und expansionistische Politik. Eine letzte Bezeichnungserweiterung, die ich habe finden können, ist eine, bei der der Ausdruck Drang nach Osten ohne jegliche konkrete Referenz benutzt wird. Im Roman Die Kavaliere von Illuxt. Erinnerungsblätter von einem alten Kurländer (1949) von Alexis von Engelhardt stehen die Erinnerungen eines Kurländers, der in Litauen die Tochter eines wohlhabenden polnischen Grundbesitzers heiratet, im Mittelpunkt (vgl. Meyer 1996: 90). Der polnische Grundbesitzer kann nur wenig Deutsch, benutzt aber ständig den Ausdruck Drang nach Osten, ohne dass er damit einen bestimmten Inhalt zum Ausdruck bringen will: Sometimes it occurred as a curse, ofttimes just as an emphatic interjection […] Thus Koriewo (= der polnische Grundbesitzer, meine Hinzufügung, SV) would exclaim „Drang nach Osten!‟ making the Drang sound like Drank! And so it would occur when he poured a drink or offered a smoke.„Drang nach Osten! Der Schnapps ist gut!‟ or „Die Zigarre habe ich aus Riga, Drang nach Osten!‟ (Engelhardt 1949: 28 zit. n. Meyer 1996: 90)

18 Vgl. Fußnote 10. 72

In diesem Zitat fungiert Drang nach Osten als “Leer- und Blindformel” (Koselleck 1972: XVII). In den verschiedenen Arbeiten, die ich als Grundlage benutzt habe, ist dies jedoch die einzige Stelle, in der der Ausdruck völlig sinnentleert verwendet worden ist. Das Zitat stammt aber aus der Belletristik und ich habe bereits darauf hingewiesen (vgl.oben III, 4), dass diese zu den Quellentypen gehört, die bisher nur wenig erforscht worden sind. Ich vermute, dass weitere Untersuchungen, sowohl der hohen und der trivialen Literatur als der Umgangssprache, weitere Belege zu Tage fördern würden. Dieses Zitat ist aber an und für sich schon ein klares Zeichen dafür, dass die Referenz des Ausdrucks so weit ausgedehnt wurde, bis im Grunde keine Bezeichnung mehr übrig blieb. Diese drei Bezeichnungserweiterungen zeigen, dass der Ausdruck Drang nach Osten mit der Zeit einen Verallgemeinerungsprozess durchgemacht hat. Zunächst konnte man mit ihm nur auf einen spezifisch deutschen Trieb, sich Richtung Osten zu verbreiten, verweisen. Mit der Zeit konnte er aber sowohl in Bezug auf andere Nationen, als auch in Bezug auf andere Himmelsrichtungen verwendet werden. Dieser Verallgemeinerungsprozess ging letztendlich so weit, dass der Ausdruck sogar „referenzlos‟ verwendet werden konnte. Die Tatsache, dass man mit dem Ausdruck auf Unterschiedliches verweisen konnte, ist ein wichtiges Indiz dafür, ihn als Begriff zu bezeichnen. Mit der Zeit haben sich unterschiedliche Vorstellungen an ihm festgemacht, wodurch der Referent des Ausdrucks nicht mehr deutlich definiert werden konnte.

3.1.2 Ideologisierbarkeit Einen zweiten Aspekt, den ich in Bezug auf den Begriffswert des Ausdrucks Drang nach Osten behandeln möchte, ist die Ideologisierbarkeit. Bei der Beschreibung meiner Begriffsauffassung habe ich betont, dass Begriffe wegen ihrer Allgemeinheit und Referenzoffenheit gerne zu ideologischen Zwecken eingesetzt werden. Obwohl ich im dritten Kapitel mehrfach darauf hingewiesen habe, dass der Ausdruck Drang nach Osten vor allem aus ideologischen Gründen benutzt worden ist, ist es im Falle Drang nach Osten schwierig zu bestimmen, ob dies mit seinem Wert als Begriff verknüpft werden kann. Es ist zwar so, dass der Ausdruck ein nützliches Mittel für ideologisch motivierte Manipulationen wurde, weil hinter ihm kollektive Vorstellungen steckten, die nur in dieser bestimmten sprachlichen Form zum Ausdruck gebracht werden konnten und mit ihm allerhand Assoziationen (u.a. Angst, Bedrohung, Aggression) 73

hervorgerufen wurden; ideologisch noch interessanter war aber, dass mit ihm gerade ein bestimmter – zwar abstrakter, aber darum geistig nicht weniger präsenter - Referent geschaffen wurde. Bereits die ersten polnischen Historiker, die den Ausdruck benutzten, spotteten über die Verwendung des Drangs nach Osten als Rechtfertigungsmittel in Deutschland und sahen ein, dass es so etwas wie einen verhängnisvollen Drang nach Osten im Grunde nicht geben konnte. Trotzdem haben sie den Ausdruck beibehalten und den Drang nach Osten als eine reale geschichtliche Macht betrachtet. Dieses Pingpong- Spiel wurde während der ganzen Verwendungsgeschichte des Ausdrucks beibehalten: Obwohl er ab und zu ironisiert wurde, ist der Drang nach Osten sowohl in verschiedenen Ländern Osteuropas als auch in Deutschland vor allem aus ideologischen Gründen als realexistentes Phänomen betrachtet worden. Ich glaube, dass sogar eine Hypostasierung des Drangs nach Osten stattgefunden hat. Ein deutliches Beispiel dafür ist das folgende Zitat von R. Dmowski:

[...] nowhere does the Drang nach Osten relent, neither in the Baltic Provinces, nor in western Russia and , nor towards Turkey (Übersetzung n. Meyer 1996: 91 von Dmowski (11.07.1908)19 ) Im Zitat werden allerhand unterschiedliche historische Ereignisse auf einen Nenner Drang nach Osten gebracht und es wird auf diese Weise über alle Unterschiede Hinweg ein gemeinsamer Feind, den es gemeinsam zu bekämpfen gilt, geschaffen. Jede Bedrohung, Gefahr, Expansion usw. Richtung Osten, die von Deutschland oder den Deutschen auszugehen schien, wurde als Ausdruck des Drangs nach Osten aufgefasst, wodurch zwischen den verschiedensten Phänomenen und Figuren (vgl. oben I, 1: die Kette der angeblichen Exponenten des Drangs nach Osten von Friedrich II. über Bismarck zu Hitler) ein Zusammenhang hergestellt wurde. Zudem wurden in der Vergangenheit so viele Beweise für einen Drang nach Osten gefunden, dass an der Existenz dieses Phänomens nicht mehr gezweifelt wurde und dass er sich fast zu einer Art „self-fulfilling prophecy‟entwickelte. Anhand der vielen konkreten historischen Ereignisse, mit denen der Drang nach Osten verknüpft wurde, wurde auch der Ausdruck selber konkretisiert, denn wenn etwas als “neue Phase des Drangs nach Osten” beschrieben wurde, stellte man die aktuellen Ereignisse sofort auf die gleiche

19 Vgl. Fußnote 10. 74

Linie mit verschiedenen Vorgängen der Vergangenheit und hatte man sofort ein Deutungsmuster für die aktuellen Ereignisse bereit. Diese Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, wobei aktuelle Ereignisse gleich in eine historische Kette eingereiht werden konnten, hatte m. E. zur Folge, dass trotz der Tatsache, dass Drang nach Osten im Grunde auf etwas Abstraktes verweist, man doch eine konkrete Vorstellung davon hatte. Diese konkrete Vorstellung konnte dadurch entstehen, dass die Existenz des Referenten des Drangs nach Osten im Diskurs präsupponiert wurde, d.h. er wurde als Tatsache hingestellt, die scheinbar nicht weiter hinterfragt zu werden brauchte.

3.1.3 Temporale Vielschichtigkeit Mit der oben beschriebenen Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, bekam der Ausdruck Drang nach Osten eine vielschichtige temporale Binnenstruktur. Anhand des Ausdrucks wurden vergangene Erfahrungen mit der gegenwärtigen Realität in Verbindung gebracht. Man hat mit der Zeit auch versucht, den Ausdruck eine Zukunftsdimension zu geben. In Deutschland hat beispielsweise der Alldeutsche Verband, den Ausdruck als Erwartungsbegriff für die Zukunft einzusetzen versucht. Es wurde eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft gemacht, bei der die vergangenen Erfahrungen, auf die mit dem Ausdruck Drang nach Osten verwiesen wurde, in die Zukunft projiziert wurden. Diese Verknüpfung ist jedoch misslungen, denn wie ich im dritten Kapitel (vgl. oben III, 3.2.4) gezeigt habe, hat die deutsche Bevölkerung ihre Zukunftspläne gerade nicht von einem Drang nach Osten bestimmen lassen und ist sie stattdessen vor allem nach Nordamerika gezogen. Der Ausdruck Drang nach Osten hat sich auf verschiedene Zeitebenen bezogen und ist somit als Begriff zu betrachten. Es muss dabei aber bemerkt werden, dass er mit der Zeit nur noch auf die Vergangenheit Bezug nehmen konnte, denn die Beziehung zwischen dem Ausdruck Drang nach Osten und den Erwartungen für die Zukunft ist nie richtig zu Stande gekommen und nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er kaum noch mit der damaligen Aktualität verknüpft werden. Letztendlich ist in den sechziger und siebziger Jahren sogar gezeigt worden, dass er auch auf die vergangene Ereignisse nicht angewandt werden konnte, wodurch er den Bezug auf jede Zeitebene verloren hat.

75

3.2 Drang nach Osten als zeitweiliger Begriff Aus den Begriffskriterien, die ich auf den Ausdruck Drang nach Osten angewandt habe, glaube ich schließen zu können, dass Drang nach Osten für gewisse Akteure zu einer bestimmten Zeit ein Begriff gewesen ist. Bei der Entwicklung des Ausdrucks gab es zwei interessante Tendenzen: Einerseits eine Verallgemeinerungstendenz, wobei die Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks immer weiter ausgedehnt wurden und andererseits eine Tendenz zur Konkretisierung, wobei er immer wieder mit konkreten historischen Ereignissen verknüpft wurde. Diese Konkretisierung konnte nur dadurch stattfinden, dass der Referent des Ausdrucks nicht mehr in Frage gestellt wurde und demzufolge die Aufmerksamkeit nicht auf sich lenkte. Obwohl der Ausdruck einen Referenten präsupponierte, der in der Wirklichkeit nicht vorhanden war, bewirkte die Verknüpfung mit unterschiedlichen konkreten historischen Ereignissen, dass der präsupponierte Referent dennoch als sehr reell erfahren wurde. Ich kann Meyer (1996) also nur beipflichten, wenn er behauptet, dass Drang nach Osten sich zu einem Begriff entwickelt habe. Es ist dabei leider fast unmöglich, zu bestimmen, wann diese Begriffsentwicklung genau stattgefunden hat, weil das ein Prozess war, der allmählich vor sich ging und weil es die ganze Zeit hindurch auch kritische Stimmen gegeben hat, die den Drang nach Osten nicht ohne Weiteres akzeptierten. Meyer (1996) jedoch hat eine genaue Vorstellung von der zeitlichen Entwicklung des Ausdrucks Drang nach Osten zum Begriff. Nach ihm muss die Begriffswerdung in der Zeit um den Ersten Weltkrieg herum situiert werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der Drang nach Osten sich zu:

[...] a magical and winning encapsulation of all the apprehensions and pressures that many Slavs in different areas of Middle Europe felt about the Germans living among them, and those to the northwest and west of them. (Meyer 1996: 98) Der Erste Weltkrieg habe die Begriffswerdung beschleunigt und habe den “Drang nach Osten in einen Begriff kristallisiert” (Meyer 1996: 108). Als Begriff habe Drang nach Osten sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in den slavischen Ländern durchsetzen können (vgl. Meyer 1996: 13). In der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg merkt man tatsächlich, dass der Ausdruck Drang nach Osten auftaucht, sobald es in der Aktualität einen Anlass dazu gibt, „die Deutschen‟ als aggressive Eroberer zu bezeichnen. Diese Tendenz hielt sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich 76

sehe darin aber lediglich eine Tendenz und kann mich mit Meyers (1996) klaren, eindeutigen, zeitlichen Bestimmung nicht abfinden. Eine solche eindeutige Bestimmung der Zeit der Begriffswerdung berücksichtigt die vielen Unterschiede nicht, die es zwischen den unterschiedlichen Ländern gegeben hat (vgl. die Darstellung im dritten Kapitel). So wurde der Ausdruck beispielsweise nach dem Ersten Weltkrieg in der Sowjetunion völlig fallengelassen, während er in Polen zu dieser Zeit noch verwendet wurde. Zudem war die Lage in Polen selber kompliziert: Es gab sowohl Stimmen, die für einen Verzicht auf den Ausdruck plädierten, als Stimmen, die den Ausdruck unbedingt beibehalten wollten. Ohne Weiteres behaupten, dass der Drang nach Osten sich nach dem Ersten Weltkrieg als Begriff etablierte, hat m.E. somit keinen Sinn. Die Frage nach der Zeit der Begriffswerdung muss viel differenzierter beantwortet werden, gerade weil Drang nach Osten nur zeitweilig und jeweils nur für bestimmte Leute als Begriff gegolten hat.

3.3 Verlust des Begriffscharakters Im Gegensatz zu Meyer (1996) glaube ich nicht, dass der Ausdruck Drang nach Osten sich heutzutage noch zur Beschreibung der Geschichte Deutschlands eignet. Meyer (1996) berücksichtigt nämlich nicht, dass der Ausdruck sich nur aufgrund seiner ideologischen Deutung und Verwendung als Begriff hat durchsetzen können. Außerdem muss auch Meyers Kriterium, das zwischen Begriffen und Schlagwörtern unterscheidet, in Frage gestellt werden. Laut Meyer werden Schlagwörter nur in der Publizistik verwendet, während Begriffe auch in wissenschaftlichen Arbeiten vorkommen. Bei der Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten muss aber immer berücksichtigt werden, dass die Wissenschaft - in diesem Falle meistens die Historiografie - zu dieser Zeit oft im Dienst der Politik stand und die Geschichte somit recht häufig ideologisch interpretierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben verschiedene Historiker den Drang nach Osten dann mit den Mitteln der Ideologiekritik dekonstruiert und damit seinen Wert als Begriff zunichtegemacht. Auch die Tatsache, dass der Ausdruck Drang nach Osten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur noch mit vergangenen Ereignissen verknüpft werden konnte, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Ausdruck mit der Zeit seinen Begriffswert verloren hat. Ernsthafte deutsche Historiker betrachten den Ausdruck Drang nach Osten heutzutage nicht als Begriff. In modernen historischen 77

Begriffslexika, wie beispielsweise Geschichte griffbereit (1993) von I. Geiss, taucht Drang nach Osten demzufolge nicht mehr auf. Meyer (1996) seinerseits berücksichtigt diese Einsichten nicht und hält unvermindert an der Existenz eines Drangs nach Osten fest:

- could not these phenomena in sequence invoke the convincing perception of an enduring pattern of German engagement with Eastern Europe, increasing or decreasing in intensity over changing times and circumstances, but seldom wholly absent? (Meyer 1996: 19) Er ist also der Meinung, dass Drang nach Osten einen Grundzug der deutschen Geschichte korrekt auf den Punkt bringt und plädiert demzufolge für das Beibehalten des Begriffs Drang nach Osten. Er missachtet dabei jedoch sein eigenes Begriffs- Kriterium, denn trotz der Tatsache, dass Drang nach Osten heutzutage kaum noch in wissenschaftlichen Arbeiten verwendet wird, hat er für Meyer immer noch den Wert eines Begriffs.

4. Drang nach Osten als Schlagwort Meyer (1996) hat Drang nach Osten nicht nur als Begriff, sondern auch als Schlagwort bezeichnet. Nachdem ich untersucht habe, inwieweit die Bezeichnung Begriff zutrifft, werde ich gleiches auch für die Bezeichnung Schlagwort tun. Hierzu muss jedoch zunächst bemerkt werden, dass der Terminus Schlagwort bisher genauso wenig wie der Terminus Begriff eindeutig definiert worden ist. 1906 kam bereits O. Ladendorf in der Einleitung zum Historischen Schlagwörterbuch, das bezeichnenderweise den Untertitel Ein Versuch trägt, zur Einsicht, dass ein Schlagwort “ein sehr vielseitiges Produkt” (Ladendorf 1906: VII) und “ein Allerweltsding” (Ladendorf 1906: VIII) sei und dass es deshalb schwierig sei, hierfür Unterscheidungskriterien herauszuarbeiten. Die meisten Forscher beschreiben deswegen einige auffallende Kennzeichen von Schlagwörtern, heben dabei aber oft unterschiedliche Aspekte hervor. Aus Platzmangel wird hier auf die weitere Beschreibung der Unterschiede, die es in der Forschung in Bezug auf den spezifischen Wert eines Schlagwortes gibt, verzichtet. Die Aufmerksamkeit wird vor allem auf die allgemeinen Merkmale gerichtet, die in den meisten Arbeiten auftauchen. Anders als bei der Darstellung des Begriffswertes werde ich hier direkt untersuchen, ob die jeweils beschriebenen Eigenschaften auch beim Ausdruck Drang nach Osten vorzufinden sind. 78

4.1 Allgemeine Merkmale eines Schlagwortes und Anwendung auf den Ausdruck Drang nach Osten Syntaktisch ist man sich darüber einig, dass ein Schlagwort im Satz die Position eines Lexems einnimmt, d.h. das Schlagwort muss sich nicht unbedingt auf ein Wort beschränken, darf aber andererseits auch kein Satz oder satzwertiger Ausdruck20 sein (vgl. Kaempfert 1990: 1200). Dieses Kriterium ist meiner Ansicht nach auf den Ausdruck Drang nach Osten anwendbar, denn Drang nach Osten ist kein Satz und ist auch nicht satzwertig. Was die Semantik der Schlagwörter betrifft, wird oft hervorgehoben, dass sich in diesen sprachlichen Einheiten Programme kondensieren (vgl. u.a. Dieckmann 1975: 103). Schlagwörter reduzieren das “Komplizierte auf das Typische” (Dieckmann 1975: 103) und müssen notwendigerweise “verallgemeinern, vergröbern und verzerren” (Gollwitzer 1982: 8). Auch das ist eine Eigenschaft, die beim Ausdruck Drang nach Osten vorliegt, denn ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass anhand dieses Ausdrucks allerhand unterschiedliche historische Ereignisse auf einen Nenner gebracht werden konnten. Nach Sittel (1990) besitzen Schlagwörter die Besonderheit, dass sie “scheinbare Klarheit” mit “inhaltliche[r] Unschärfe” (1990: 182) kombinieren. Gerade das macht sie m.E. ideologisch interessant, denn man hat das Gefühl, dass man weiß, worauf sie verweisen, während sie im Grunde in den verschiedensten Kontexten und Situationen eingesetzt werden. Dieses Merkmal haben Schlagwörter mit Begriffen gemein, denn Kaempfert (1990) macht beispielsweise darauf aufmerksam, dass auch Schlagwörter wegen ihrer Vagheit eine Tendenz zur “Sinnentleerung” (1990: 1203) aufweisen. Ein anderes inhaltliches Kennzeichen von Schlagwörtern, das auch den Ausdruck Drang nach Osten charakterisiert, ist, dass sie sich meistens auf politische Gegebenheiten beziehen (vgl. u.a. Freitag /1974/, Bachem /1979/ und Sittel /1990/) und dass sie das “politische Denken erleichtern oder ersetzen” (Gollwitzer 1982: 9), indem sie vereinfachen und verallgemeinern. Kaempfert (1990: 1201) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Schlagwörter im politischen Diskurs oft eine ganze Argumentationskette verkürzt zum Ausdruck bringen. In Bezug auf den Inhalt von Schlagwörtern wird zum Schluss von verschiedenen Forschern (u.a. Ladendorf /1906/ und Dieckmann /1975/) betont, dass sie eine emotionelle Komponente enthalten. Die

20 Wenn es sich um Sätze oder satzwertige Ausdrücke handelt, bevorzugt Kaempfert (1990: 1200) die Bezeichnungen Losung, Parole oder Slogan. 79

emotionelle Bedeutung kommt meiner Ansicht nach jedoch erst als eine Folge der besonderen kommunikativen Funktion der Schlagwörter hinzu. Schlagwörter haben laut Gollwitzer (1982) eine deutliche pragmatische Funktion:

Schlagwörter können beruhigen oder, wie in den meisten Fällen, aufstacheln, Hoffnungen und Zuversicht, aber auch Befürchtungen und Ängste hervorrufen oder vertiefen. (Gollwitzer 1982: 8) Alle Aspekte, die Gollwitzer in diesem Zitat nennt, sind beim Ausdruck Drang nach Osten zu bestimmten Zeitpunkten vorhanden gewesen. Das hängt vor allem mit der im dritten Kapitel beschriebenen Funktion des Ausdrucks als Faktor zusammen. Es gibt mehrere deutliche Beispiele, in denen Drang nach Osten zum “Aufstacheln” benutzt wurde. Deutscherseits wurde dabei meistens zu einer neuen Expansion aufgerufen. In nicht-deutschen Kontexten wollte man beispielsweise eine panslavistische Front gegen eine (angebliche) deutsche Expansion aufrichten. “Hoffnung und Zuversicht” wollte man u.a. in Deutschland mit dem Drang nach Osten hervorrufen; die Vergangenheit sollte Vertrauen in die Zukunft erwecken. Das Schaffen von “Befürchtungen und Ängste[n]” spielte andererseits eine Rolle für diejenigen, die sich als Opfer des Drangs nach Osten betrachteten. Mithilfe einer Warnung vor einer erneuten Phase dieses Drangs konnte leicht Angst hervorgerufen worden. Hierin liegt meiner Meinung nach der emotionelle Wert von Schlagwörtern: Sie veranlassen allerhand Emotionen bei den Zuhörern und werden von den Sprechern gerade wegen dieser – erhofften – Wirkung als Faktor benutzt. Außerdem werden Schlagwörter wegen ihrer emotionellen Wirkung besonders in Diskussionen verwendet und bringen einen deutlichen “Standpunkt für oder wider ein Streben” (Ladendorf 1906: VII) zum Ausdruck. Daher wird meist zwischen Fahnenwörtern, die positiv konnotiert sind und einen Standpunkt der eigenen Gruppe zum Ausdruck bringen, und Stigmawörtern, die negative Assoziationen veranlassen und einen Standpunkt der gegnerischen Partei negativ bewerten, unterschieden (vgl. Burkhardt 1998: 101). Dabei ist es oftmals so, dass ein- und dasselbe Schlagwort zu beiden Zwecken eingesetzt wird, weil die eine Gruppe die Bezeichnung der gegnerischen Ideologie übernimmt (vgl. Freitag 1974: 122). Auch der Ausdruck Drang nach Osten ist zu beiden Zwecken verwendet worden: Er hat überwiegend die Funktion eines Stigmawortes ausgeübt, ist aber beispielsweise vom Alldeutschen Verband auch 80

als Fahnenwort benutzt worden. Wenn ein Schlagwort sowohl als Fahnenwort, als auch als Stigmawort fungiert, ist es oftmals so, dass die von der gegnerischen Partei übernommene Bezeichnung ironisiert, überbenutzt und typografisch (mittels Sperrdruck oder Anführungszeichen) hervorgehoben wird. Auch dieses Phänomen ist beim Ausdruck Drang nach Osten zu finden. Die Ironie wurde dabei mittels Epitheta wie “fameux” (Übersetzung n. Meyer 1996: 96 von Kramár 1899: 596) und “sogenannten” (Übersetzung n. Nolte 1976: 139 von Gracianskij 1943: 9) ausgedrückt. Ebenso distanzierte man sich unmissverständlich vom Drang nach Osten mit der Hinzufügung des Possessivpronomens21. Dies ist z.B. der Fall im bereits erwähnten Zitat von M.S. Semenov (vgl. oben III, 3.1.2), in dem er Folgendes schreibt:

But when […] these Germans start preaching about their [meine Hervorhebung, SV] Drang nach Osten, we turn indignantly from them. (Übersetzung n. Meyer 1996: 60 von der Moskovskie Vedomosti, 25. November 186522) Typografisch wurde Drang nach Osten von Anfang an (vgl. oben u.a. III, 2.2.1 das Zitat von Klaczko) oft mithilfe von Anführungszeichen hervorgehoben. In der Schlagwort-Forschung wird jedoch betont, dass Schlagwörter ihre besondere Funktion in argumentativen Reden nur ausüben können, wenn sie sich auf Themen beziehen, die in der Gesellschaft oder in der Gruppe eine besondere Aktualität haben (vgl. Kaempfert 1990²: 199). Das erklärt, weshalb Schlagwörter oft verschwinden und nach einer Weile wieder auftauchen. Beim Ausdruck Drang nach Osten merkt man auch, dass er nur dann benutzt wird, wenn es in der Aktualität einen bestimmten Anlass dazu gibt, sobald es diesen nicht gibt, verschwindet der Ausdruck wieder. Dies hängt deutlich mit der im dritten Kapitel erwähnten Indikatorenfunktion des Ausdrucks zusammen. Nach Nunn (1974) kann ein Schlagwort sich demzufolge in drei Richtungen entwickeln:

Entweder es verschwindet aus dem Sprachgebrauch, da die Umstände, aus denen es geboren wurde, nicht länger bestehen, oder es erwirbt einen gesicherten Status als etablierter Schlüsselbegriff in den Geschichtsbüchern, oder es wird zu einem normalen unscheinbaren Bestandteil der Alltagssprache. (Nunn 1974: 15) Wenn man diese Behauptung auf den Ausdruck Drang nach Osten anwendet, kann man wie Meyer (1996) annehmen, dass sich aus dem Schlagwort ein Begriff entwickelt hat.

21 Nicht nur Wippermann (1981) und Meyer (1996) erwähnen Zitate, in denen das Possessivpronomen ausdrücklich hinzugefügt worden ist, sondern auch auf der Website des Projektes Deutscher Wortschatz der Universität Leipzig wird “ihrem” immer noch als signifikanter linker Nachbar von Drang angegeben. 22 Vgl. Fußnote 10. 81

Ich habe jedoch bereits gezeigt, dass diese Entwicklung zum Begriff tatsächlich in einigen Bereichen und zu einer gewissen Zeit stattgefunden hat, dass sie aber niemals definitiv und allumfassend gewesen ist, weil von der Geschichtswissenschaft gezeigt wurde, dass der Begriff eigentlich keinen Referent hatte.

4.2 Drang nach Osten als zeitweiliges Schlagwort Es fällt auf, dass alle wesentlichen Kennzeichen von Schlagwörtern auf Drang nach Osten zutreffen. Deswegen neige ich dazu, Meyers Katalogisierung des Drangs nach Osten als Schlagwort zu akzeptieren. Problematisch an einer allzu allgemeinen Beschreibung von Schlagwörtern ist, dass sie auf diese Weise sehr viel Ähnlichkeiten mit Begriffen aufweisen. Sie unterscheiden sich aber von Letzteren, da sie nicht in allen Bereichen, in denen Begriffe verwendet werden, auftauchen können. Schlagwörter gehören an erste Stelle in den Bereich der Öffentlichkeit, genauer gesagt in den Bereich der (polemischen) Publizistik. Sie werden somit in Texten benutzt, deren Hauptziel es ist, mittels Beeinflussung der Meinung des Publikums mehr Anhänger für die im Text geäußerten Thesen zu gewinnen. Dabei muss die rationale Argumentation oft der emotionalen Wirkung weichen23. Während (politische) Schlagwörter immer zu ideologischen Zwecken benutzt werden, haben Begriffe differenziertere Verwendungsmöglichkeiten; sie können ideologisiert werden, können aber auch neutral, d.h. ohne dass eine Meinungsänderung beabsichtigt ist, verwendet werden. Es springt jedoch ins Auge, dass Drang nach Osten fast ausschließlich in agitatorischen Texten verwendet worden ist. Dazu rechne ich auch die vielen Verwendungen in der Geschichtsschreibung, denn diese lieferte, indem sie Teil der politischen Propaganda war, eher eine Interpretation mit dem Hinblick auf eine Meinungsänderung beim Publikum, als eine objektive Beschreibung der Geschichte. Vor allem deswegen scheint es mir angebracht, Drang nach Osten als Schlagwort zu bezeichnen. Wie bei der Bezeichnung Begriff glaube ich aber, dass auch die Bezeichnung Schlagwort sich heutzutage nicht mehr für den Ausdruck Drang nach Osten eignet. Der Ausdruck bringt nicht länger etwas zum Ausdruck, was in einer

23 Die Verwendung des Ausdruckes Drang nach Osten wegen seiner emotionalen Wirkung könnte für Lemberg (1976) der Grund gewesen sein, ihn als “historische[n] Mythos” (1976: 9) zu bezeichnen, denn nach Dehli (2002) ist mit Mythos eine Sprachform gemeint, die eher “symbolisch-emotional” wirken will, als dass sie “rational überzeugen” (Dehli 2002: 223) möchte. 82

bestimmten Gesellschaft eine gewisse Aktualität hat und ist deswegen als Schlagwort funktionslos geworden.

5. Drang nach Osten als Wortgruppenlexem Der Ausdruck Drang nach Osten hat sowohl die Funktion eines Begriffes, als auch die eines Schlagwortes nur zeitweilig ausgeübt. Wenn man auf der Suche ist nach einer linguistischen Bezeichnung, die auf die ganze Verwendungsgeschichte des Ausdrucks anwendbar ist, kommt u.a. die Bezeichnung Wortgruppenlexem in Betracht. Bei Wortgruppenlexemen, z.B. Schwarzes Meer, Erste Hilfe, Ewiger Jude usw., handelt es sich nach Elsen und Michel (2007) um:

[…] Syntagmen, die nicht als freie Fügungen bezeichnet werden können, da sie mit relativ fester Struktur und fester Bedeutung wiederholt vorkommen und in dieser Hinsicht den eigentlichen Lexemen gleichen. (Elsen und Michel 2007: 3) In dieser Erklärung des Terminus Wortgruppenlexem werden nur zwei besondere Kriterien genannt: Wortgruppenlexeme haben eine feste Struktur und eine feste Bedeutung vorzuweisen. Diese Kriterien sind m.E. auf den Ausdruck Drang nach Osten anwendbar. Die Struktur des Ausdrucks liegt relativ fest, d.h. zwischen den verschiedenen Lexemen können keine modifizierenden Elemente eingeschoben werden. So findet man beispielsweise eher „der deutsche Drang nach Osten‟ als „der Drang der Deutschen nach Osten‟. Außerdem können die einzelnen Lexeme normalerweise nicht ausgetauscht werden. Dies hat man beim Ausdruck Drang nach Osten schon gemacht, indem z.B. in Polen zu einem „Drang nach Westen‟ aufgerufen wurde. Elsen (2007) zufolge sind solche “abgrenzende[n] Kontrastbegriffe” (Elsen 2007: 7) jedoch typisch für Wortgruppenlexeme. Das unterscheide sie von Phraseologismen, bei denen die einzelnen Lexeme unaustauschbar seien und bringe sie in die Nähe der Komposita, bei denen man solche Kontrastbegriffe auch finden kann (z.B. Rotkohl/Weißkohl). Bei Wortgruppenlexemen kann das modifizierende Lexem durch ein kontrastives ersetzt werden und deswegen wird ihre Struktur als relativ fest bezeichnet (vgl. Elsen 2007: 7). Auch die Bedeutung liegt beim Ausdruck Drang nach Osten relativ fest, d.h. im Grunde ist die Bedeutung immer dieselbe geblieben, es gab aber ein bleibender Aktualisierungsspielraum, der bewirkte, dass die Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks erweitert werden konnten. 83

Neben diesen im Zitat genannten Kriterien haben Wortgruppenlexeme nach Elsen (2007) noch einige andere typische Eigenschaften, wodurch sie sich von anderen Kollokationsmustern unterscheiden: Erstens weist Elsen (2007: 2) darauf hin, dass Wortgruppenlexeme im Gegensatz zu den meisten Phraseologismen eine nicht- idiomatische Bedeutung haben, d.h. wenn man die Bedeutung der Einzelwörter zusammenfügt, bekommt man die Bedeutung des gesamten Ausdrucks. Dieses Kriterium gilt auch für den Ausdruck Drang nach Osten, denn aus der Lembergschen Definition stellt sich deutlich heraus, dass die Bedeutung beim Ausdruck Drang nach Osten motiviert oder nicht-idiomatisiert ist. Zweitens fällt bei Wortgruppenlexemen laut Elsen (2007: 9) die lexikalische und/oder graphische Hervorhebung auf. Solche Hervorhebungen finde man vor allem bei neuen Wortgruppenlexemen, weil man sie auf diese Weise als Wortgruppe hervorheben und auf ihren Lexemstatus aufmerksam machen könne. Für solche Hervorhebungen beim Ausdruck Drang nach Osten habe ich in dieser Arbeit unterschiedliche Beweise geliefert, z.B. der sogenannte Drang nach Osten (lexikalische Hervorhebung) und die Verwendung von Anführungszeichen (graphische Hervorhebung). Drittens und letztens haben Wortgruppenlexeme nach Elsen (2007: 16) einen Terminuscharakter, der bewirke, dass ihre Referenz “per definitionem” (Elsen 2007: 16) eindeutig sei. Dieses Kriterium ist für den Ausdruck Drang nach Osten problematisch, denn bei der Beschreibung des Begriffscharakters (vgl. oben IV, 3.1.1) habe ich darauf hingewiesen, dass es nicht immer deutlich ist, worauf mit dem Ausdruck verwiesen wird. Trotz der Tatsache, dass Elsen (2007: 16) dieses Merkmal besonders wichtig findet, glaube ich, dass das Fehlen dieses Aspektes beim Ausdruck Drang nach Osten kein ausreichender Grund dafür ist, ihn nicht als Wortgruppenlexem zu bezeichnen. Elsen (2007: 16ff) hebt nämlich hervor, dass es zwischen unterschiedlichen Kollokationsmustern einen fließenden Übergang gibt und dass man die verschiedenen Typen demzufolge nicht eindeutig definitorisch festlegen kann. Für jeden Typus kann nur ein bestimmtes Kriterienbündel aufgestellt werden. Abhängig von der Anzahl Kriterien, die auf einen bestimmten sprachlichen Ausdruck zutreffen, kann man den Ausdruck dann einer gewissen Kategorie zuordnen. Wenn alle Kriterien erfüllt werden, dann gehört ein Ausdruck zum Kern einer Kategorie. Wenn nur einige Kriterien anwendbar sind, dann ist er eher in ihre Peripherie einzuordnen (vgl. Elsen und Michel 2007: 12f). Der Übergang vom Zentrum zur Peripherie macht es 84

Elsen und Michel (2007) zufolge möglich, auch Phänomene der Parole, die bei den bisherigen systemlinguistischen Definitionen unberücksichtigt blieben, in Kategorien einzuteilen. Da dem Ausdruck Drang nach Osten nur ein Merkmal eines Wortgruppenlexems fehlt, glaube ich, dass er diesem Kollokationsmuster zuzuorden ist. Abhängig von der Gewichtung, die man diesem fehlenden Kriterium beimisst, kann Drang nach Osten eher in die Nähe des Zentrums oder in die Peripherie der Wortgruppenlexeme eingestuft werden. In ihrem Plädoyer für eine mehr gebrauchsbezogene Wortbildungsforschung schlagen Elsen und Michel (2007) vor, in der Wortbildungsforschung u.a. auch text-, sozio-, gesprächs- und pragmalinguistische Fragestellungen zu bearbeiten. Aus Platzmangel wird hier auf eine Beschreibung des Nutzens all dieser Fragestellungen für die Wortbildungsforschung verzichtet und werden nur die soziopragmatischen Fragestellungen näher betrachtet, weil diese für den Ausdruck Drang nach Osten von besonderem Interesse sind. Pragmatische Fragestellungen sind u.a. auf den “Einfluss ko- und kontextueller Faktoren auf den Sprachgebrauch” (Elsen und Michel 2007: 10) gerichtet. Beim Ausdruck Drang nach Osten haben sowohl der Kotext als der Kontext meiner Ansicht nach einen Einfluss auf dessen Gebrauch ausgeübt. Die Tatsache, dass Drang nach Osten sich aus einer Menge gleichwertiger Ausdrücke herauskristallisiert hat und dass er auch zur damals beliebten Metaphorik passte, beweist, dass die kotextuelle Umgebung zur Formung dieses Wortbildungsproduktes beigetragen hat. Was mir aber bemerkenswerter scheint, ist, dass sich im dritten Kapitel deutlich herausgestellt hat, dass die Verwendung des Ausdrucks kontextuell bestimmt war. Der Kontext einer national-teleologischen Interpretation der Beziehungsgeschichte stimulierte nicht nur den Gebrauch des Ausdrucks, sondern war sogar eine Voraussetzung für seine Verwendung: Sobald nicht mehr an eine “national- geschichtliche Teleologie” (Zernack 1992: 397) geglaubt wurde, verschwand nämlich auch der Ausdruck Drang nach Osten. Elsen und Michel (2007: 10) zufolge müssen bestimmte Wortbildungsphänomene mittels eines morphosoziopragmatischen Verfahrens analysiert werden. Eine solche Verknüpfung von Morphologie, Pragmatik und Soziolinguistik sei

[…] insofern angemessen und sprachrealitätsnah, als für die ko- und kontextuelle Realisierung morphologischer Strukturen pragmatische und soziologische Gründe angeführt werden. (Elsen und Michel 2007: 10) 85

Die Forderung von Elsen und Michel (2007) nach einer mehr gebrauchsbezogenen Wortbildungsforschung lässt sich auch sehr gut auf die Analyse von Kollokationsmustern übertragen: Das besondere ist nicht, dass eine bestimmte Kollokation zu Stande kommt, sondern dass im Falle des Ausdrucks Drang nach Osten die nationale Beziehungsgeschichte zu den prägenden Gebrauchsbedingungen gehört. Sowie Elsen und Michel (2007) in ihrem Artikel jedoch selbst angeben gibt es im Bereich der Parole noch manches zu erforschen. Die Analyse des Ausdrucks Drang nach Osten bestätigt aber, dass es durchaus einen Sinn hat, Faktoren der Parole in Betracht zu ziehen.

6. Gegenwärtiger Umgang mit dem Ausdruck Drang nach Osten Wenn der Ausdruck Drang nach Osten heutzutage noch verwendet wird, dann kann man ihn weder als Begriff, noch als Schlagwort bezeichnen, weil er nur zeitweise und nur für bestimmte Akteure so fungiert hat. Wenn man ihn linguistisch genau benennen möchte, dann kann man ihn aufgrund seiner Struktur und Bedeutung als Wortgruppenlexem bezeichnen. Im allgemeinsprachlichen Gebrauch ist diese Bezeichnung jedoch zu umständlich und deswegen scheinen mir in solchen Fällen nur generelle Bezeichnungen wie Ausdruck und Formulierung geeignet. Mit diesen Bezeichnungen sind keine besonderen inhaltlichen oder funktionalen Kriterien verknüpft, weshalb sie auf Drang nach Osten angewandt werden können. In der Einführung habe ich darauf hingewiesen, dass der Ausdruck Drang nach Osten gelegentlich noch in der Publizistik und dabei vor allem in Schlagzeilen verwendet wird, z.B. “Vom Drang nach Osten zur peripheren EU-Integration" (Neues Deutschland 2002)24. In diesen Fällen übt er meiner Ansicht nach weder die Funktion eines Begriffes noch die eines Schlagwortes aus, sondern fungiert er nur als “Fangwort” (Dieckmann 1975: 106), um die Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn Drang nach Osten als Fangwort in Schlagzeilen benutzt wird, muss jedoch darauf geachtet werden, dass er nur als solcher vom Publikum aufgefasst wird. Im weiteren Verlauf des Textes muss klargemacht werden, dass der Ausdruck nur eingesetzt wurde, um die Aufmerksamkeit zu erregen und dass man sich weiter vom klischeehaften Geschichtsbild, dass von diesem Ausdruck hervorgerufen wird, distanziert. Dabei muss man sich ständig dessen

24 Ich habe dieses Beispiel der Website Deutscher Wortschatz entnommen. 86

bewusst sein, dass der Ausdruck mit Mitteln der Ideologiekritik dekonstruiert worden ist und deswegen von der Geschichtswissenschaft abgelehnt wird.

87

Kapitel V: Zum Schluss…

1. Die geschichtliche und sprachliche Funktion des Ausdrucks Drang nach Osten Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Tatsache, dass der Ausdruck Drang nach Osten heutzutage trotz seiner ideologiekritischen Dekonstruktion gelegentlich noch immer bei der Beschreibung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte auftaucht. Deswegen schien es mir angebracht, anhand einer Synthese der bisherigen Arbeiten zum Thema Drang nach Osten die beziehungsgeschichtliche Rolle des Ausdrucks genauer zu untersuchen. Dazu habe ich ein begriffsgeschichtliches Verfahren angewandt, das untersucht, in welchen Kontexten Ausdrücke zu welchen Zwecken benutzt werden. Auf diese Weise habe ich die Verbreitung und die Entwicklung des Ausdrucks Drang nach Osten skizziert und dabei untersucht, ob er im Laufe der Zeit als Indikator und als Faktor fungiert hat. Die Indikatorenfunktion zeigte sich vor allem darin, dass die Verwendung des Ausdrucks seit seiner Entstehung im deutsch-polnischen Kontext jeweils ein Misslingen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte indizierte. Auch in den anderen Kontexten, in denen der Ausdruck mit der Zeit benutzt wurde, war sein Auftauchen immer ein Zeichen dafür, dass die Beziehungen zu Deutschland sich verschlechterten. Umgekehrt wies das Verschwinden des Ausdrucks jedes Mal auf eine Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen hin. Ob der Ausdruck auch als Faktor gewirkt hat, war nicht so eindeutig zu bestimmen. Konkrete Beweise dafür, dass er historische Ereignisse veranlasst hat, habe ich nicht finden können. Allerdings kann ich mir jedoch leicht vorstellen, dass die Verwendung des Ausdrucks zu einer Änderung in der Wahrnehmung der Wirklichkeit geführt hat. Ob solche Bewusstseinsänderungen beim gemeinen Mann tatsächlich stattgefunden haben, muss m.E. jedoch noch näher untersucht werden. Die Frage, ob der Ausdruck Drang nach Osten jemals als Faktor der Geschichte fungiert hat, ist somit noch nicht beantwortet worden. Andererseits habe ich einen deutlichen Beweis für das Versagen des Ausdrucks als Faktor finden können: Der Aufruf des Alldeutschen Verbandes zu einer modernen Erneuerung des mittelalterlichen Drangs nach Osten ist von den deutschen Auswanderern nicht befolgt worden. 88

Bei dieser Übersicht über die Geschichte des Ausdrucks Drang nach Osten ist eine faktografische Darstellung mit den Ergebnissen der ideologiekritischen Forschung kombiniert worden. Vor allem dieses letzte Element hat bewirkt, dass in dieser Arbeit, im Gegensatz zu Meyer (1996), die These vertreten worden ist, dass die geschichtliche Rolle des Ausdrucks Drang nach Osten heutzutage ausgespielt ist. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass der Ausdruck nicht nur zu ideologischen Zwecken missbraucht wurde, sondern dass es so etwas wie einen Drang nach Osten in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat. Der Ausdruck hat nur aus der Perspektive einer “nationalgeschichtlichen Teleologie” (Zernack 1992: 397) einen Sinn, denn sobald nicht mehr an angeborene, national bestimmte und unwiderstehliche Triebe geglaubt wird, hat auch Drang nach Osten seine Gültigkeit verloren. Im letzten Teil dieser Arbeit habe ich anhand der Ergebnisse des dritten Kapitels die These Meyers (1996), aus dem Schlagwort habe sich ein Begriff Drang nach Osten entwickelt, überprüft. Ich habe dabei versucht, die unterschiedlichen Kriterien für Begriffe und Schlagwörter auf den Ausdruck Drang nach Osten anzuwenden und habe feststellen können, dass beide Bezeichnungen auf Drang nach Osten anwendbar sind, sofern hinzugefügt wird, dass sie diese Funktionen nur temporär und nur für bestimmte Akteure ausgeübt haben. Im allgemeinsprachlichen Gebrauch schlage ich aber vor, Drang nach Osten als Ausdruck oder Formulierung zu bezeichnen. Wenn man den Ausdruck linguistisch jedoch genau katalogisieren möchte, dann glaube ich, dass er seiner Struktur und Bedeutung nach als Wortgruppenlexem einzustufen ist.

2. Forschungsausblick: Eine diskursanalytische Perspektive In dieser Arbeit habe ich anhand des Ausdrucks Drang nach Osten gezeigt, dass auch Sprache eine beziehungsgeschichtliche Rolle spielen kann. Meine begriffsgeschichtliche Analyse ist jedoch nur als Ansatzpunkt für künftige Untersuchungen zu betrachten. Das begriffsgeschichtliche Verfahren stößt nämlich schnell an seine Grenzen, und deswegen möchte ich zum Ende dieser Arbeit kurz auf die Möglichkeiten anderer Methoden – vor allem die der Diskursanalyse – eingehen. Nach dem Vorbild der Begriffsgeschichte ist in der Forschung mehr und mehr folgende These vertreten worden, 89

daß es sich bei Sprache nicht, wie vielfach angenommen, um ein transparentes Phänomen handelt, das Welt einfach abbildet, sondern daß sie Strukuren, Beziehungen, Kausalitäten, Identitäten und Wissensformen jeglicher Art produziert, reproduziert und transformiert. (Landwehr 2004: 169) Gerade wenn man mit einer vielfach problematisierten Beziehungsgeschichte wie der zwischen Deutschland und Polen konfrontiert wird, so muss “die sprachliche Gestaltung historischer Wirklichkeiten” (Daniel 2001: 345) genau untersucht werden. Diese sprachliche Gestaltung ist nämlich nie eine objektive Abspiegelung der außersprachlichen Welt, sondern immer eine subjektiv gefärbte Konstruktion. Dieser Gedanke lag der Begriffsgeschichte zu Grunde. Ihre Kritiker, allen voran Busse (1987), werfen ihr aber vor, sie richte die Aufmerksamkeit zu sehr auf einzelne Begriffe, auf das “alles konzentrierende Wort” (Busse 1987: 64), und vernachlässige somit den größeren textuellen Zusammenhang, in dem vielleicht der untersuchte Begriff als solcher fehlt, dieselben Gedanken aber möglicherweise mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht werden. Nach dem Vorbild Wittgensteins behauptet Busse (1987), dass wir uns nicht mit “Wörter[n] und Begriffe[n]”, sondern mit “Sätze[n] und Gedanken” (Busse 1987: 86) auf die Wirklichkeit beziehen. Diese Kritik hat bewirkt, dass die Forschung den Schwerpunkt mehr und mehr von Wörtern und Sätzen auf ganze Diskurse verlegt hat. Auch der Terminus Diskurs ist noch nicht eindeutig definitorisch festgelegt worden, ich übernehme hier aber den Diskurs-Begriff, wie er von Busse und Teubert (1994) entwickelt worden ist. Sie betrachten Diskurse als “virtuelle Textkorpora, deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird” (Busse und Teubert 1994: 14); unter Diskursen verstehen sie somit alle Aussagen zu ein und demselben Thema. Diese Äußerungen werden in unterschiedlichen Texten realisiert, nehmen aber über die Textgrenzen hinaus aufeinander Bezug (vgl. Jung und Wengeler 1999: 146f). Der Zusammenhang mit dem Diskurs-Begriff Foucaults ist dabei offenbar, denn auch Foucault betone, dass “Beziehungen zwischen einzelnen Aussagen oder Aussageelementen [...] quer durch eine Vielzahl einzelner Textexemplare“ (Busse und Teubert 1994: 15) für Diskurse konstitutiv sind. Ziel der Diskursanalyse ist es, die Regeln, die diese Beziehungen je nach Diskurs festlegen, herauszufinden und zu untersuchen:

90

[D]ie historische Diskursanalyse [will] die Regeln und Regelmäßigkeiten des Diskurses, seine Möglichkeiten zur Wirklichkeitskonstruktion, seine gesellschaftliche Verankerung und seine historische Veränderungen zum Inhalt der Untersuchung machen. (Landwehr 2004: 7) Obwohl die Begriffsgeschichte durchaus die Rolle des historischen Kontextes in Betracht zieht, merkt man, dass ihr Blickwinkel sich von dem der Diskursanalyse unterscheidet. Die Diskursanalyse geht von einem bestimmten Thema aus und untersucht möglichst viele Äußerungen, die sich auf dieses Thema beziehen, während bei der Begriffsgeschichte ein bestimmter Begriff samt seiner Rolle in gewissen historischen Kontexten im Mittelpunkt steht. Auch ich habe in dieser Arbeit eine begriffsgeschichtliche Vorgehensweise verwendet, wollte damit aber lediglich die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Sprache in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte lenken. Anhand des Ausdrucks Drang nach Osten habe ich nämlich zeigen können, dass die Sprache in dieser Beziehungsgeschichte einerseits als Indikator auf gewisse historische Prozesse hinweist, die im Gang sind, jedoch noch nicht von jedem wahrgenommen wurden, während sie andererseits die Wahrnehmung dieser Prozesse als Faktor auch mitbeeinflusst hat. Auf diese Weise wollte ich darauf aufmerksam machen, dass es sich lohnt, in zukünftigen, diskursanalytischen Untersuchungen die Rolle und die Möglichkeiten der Sprache und des Sprachgebrauchs in historisch-politischen Kontexten weiter zu untersuchen. Ausgehend vom Ausdruck Drang nach Osten könnte in künftigen Untersuchungen, zunächst die Quellenbasis auf Alltagstexte wie beispielsweise Tageszeitungen und Trivialliteratur erweitert werden. Busse (1987) hat in seiner Kritik an der Begriffsgeschichte nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass sie “hauptsächlich theoretische, philosophische, betrachtende und konzipierende Texte” (Busse 1987: 65) untersuche und dass man eine differenziertere Quellengrundlage brauche, wenn man den gesamten Einfluss sprachlicher Zeichen beschreiben will. In vorliegender Arbeit bin ich selber auch mehrmals zu der Einsicht gekommen, dass vor allem in Bezug auf die Rolle des Ausdrucks Drang nach Osten als Faktor die Untersuchung mehrerer und anderer Quellen notwendig ist. Neben einer Erweiterung der Quellengrundlage könnten auch Untersuchungen von Text-Bild-Beziehungen zu interessanten Ergebnissen führen. Arbeiten, in denen der Zusammenhang zwischen Wörtern und Bildern zentral steht, hat es bisher vor allem in Bezug auf die Malerei gegeben (vgl. Hampsher-Monk et al. 91

1998). Was den konkreten Fall des Ausdrucks Drang nach Osten betrifft, so könnte ich mir vorstellen, dass bildliche und insbesondere kartografische Darstellungen25 u.a. der Ostsiedlung untersuchenswert sind. Auch für die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte im Allgemeinen könnte der Zusammenhang zwischen Text und Bild ein ergiebiges Forschungsobjekt sein. Ich denke dabei beispielsweise an eine Analyse des Kupferstiches von J. E. Nilson26 aus dem Jahre 1773, auf dem die erste Teilung Polens allegorisch vorgestellt wird. Mit diesen konkreten Forschungsvorschlägen möchte ich zeigen, dass weitere semantische und semiotische Analysen sicherlich zu fruchtbaren Ergebnissen führen und zu einem besseren Verständnis der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte beitragen werden.

25 So könnte man unterschiedliche Karten mit Titeln wie Drang nach Osten oder Ostsiedlung und dergleichen miteinander vergleichen. 26 Dieses Bild findet man u.a.bei Zernack (1991 [1981]: 56). 92

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