An(Ge)Kommen in Kornwestheim
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
AN(GE)KOMMEN IN KORNWESTHEIM 222 Ankommensgeschichten VORWORT Hier wird Liebe Leserinnen und Leser, spürbar, wie vielfältig mehr als 20 Prozent der Kornwestheimer Bür- Unspektakuläre, aber dennoch die Biografi en derje- gerschaft hat einen Migrationshintergrund. für das Leben und Ankommen in nigen sind, die irgend- Das zeigt, wie aktuell das Thema Integration unserer Gesellschaft so essen- wann mit der bangen in unserer Stadt ist. Massiv verstärkt hat die- tielle ins Bewusstsein zu holen. Frage zu uns kamen, se Aktualität der Zustrom von Flüchtlingen in Diese Prozesse wurden dabei so- den vergangenen Monaten. Viele von ihnen gar fi lmisch in Szene gesetzt. ob sie hier wohl sind zu uns gekommen, um beispielsweise Wurzeln schlagen der Gewalt in den syrischen Kriegsgebieten Der Bildband, den Sie nun in den können.“ zu entfl iehen. Die Männer und Frauen mit und Händen halten, fasst die Interviews von ohne Familie möchten hier eine neue Heimat Menschen zusammen, die in Kornwestheim fi nden und in unserer Stadt im wahrsten Sinne ankommen oder bereits angekommen sind. des Wortes „ankommen“. Natürlich ist das nur ein winziger Ausschnitt unserer Stadtgesellschaft. Trotzdem spüren Claudia Skirl entstandenen Interviews gehen Dieses Ankommen zieht sich durch alle Be- wir sofort, wie vielfältig die Biografi en derje- ebenso unter die Haut wie die wunderbaren reiche des Alltags. Es betrifft die zufälligen nigen sind, die irgendwann mit der bangen Fotos von Yakup Zeyrek. Für mich ist das „ty- Begegnungen auf der Straße oder beim Ein- Frage zu uns kamen, ob sie hier wohl Wur- pisch Kornwestheim“. Viel Emotion und Iden- kaufen. Ums Ankommen geht es bei der Arbeit zeln schlagen können. Vielen ist das gelun- tifi kation, ganz selbstverständlich. Lassen Sie und in der Freizeit, sei es beim Sport oder beim gen – ja, viele sind inzwischen in vorbildlicher uns genau so auch in Zukunft das Ankommen Musizieren. Auf den ersten Blick geht es dabei Weise selbst Teil der Aufnahmegesellschaft in Kornwestheim handhaben: Mit Selbstver- um meist recht unspektakuläre Situationen. geworden, zählen zu jenen, die Anderen das ständlichkeit und viel Freude an den alltägli- Doch genau diesen scheinbar unspektakulä- Ankommen erleichtern. chen Begegnungen. ren Momenten hat sich ein Initiativkreis aus Manche, die ursprünglich ihre Geschichte bürgerschaftlich Engagierten, Künstlern, Wis- einbringen wollten, sind inzwischen weiter- Ihre senschaftlern und Mitarbeitern der Verwaltung gezogen oder in ihre Heimat zurückgekehrt. angenommen. Durch Fotografi en, einfühlsa- Ankommen ist nicht immer leicht. Gerade das me Texte, künstlerische Projekte, Tanz und ei- zeigt der vorliegende Bildband auf sehr ein- nem Freundschaftsbuch ist es gelungen, das fühlsame Weise. Die unter der Anleitung von Oberbürgermeisterin Stadt Kornwestheim 2 BEI UNS ANGEKOMMEN: Menschen unterschiedlicher Herkunft erinnern sich an ihre Anfänge in Kornwestheim und geben bewegende Einblicke in ihr heutiges Leben. 3 ROSEMARIE ETZL ... ist 79 Jahre alt. Seit 1954 lebt sie in Kornwestheim. Ihre Familiengeschichte ist geprägt von Aufbrüchen und vom Ankommen an neuen Orten. Dieses Verständnis lebt sie heute noch: Seit eineinhalb Jahren hat sie zwei syrische Studenten bei sich aufgenommen, mit denen sie Deutsch lernt, kocht und Alltagsproble- me bespricht. „Meine Jungs sollen es bei mir gut haben“, sagt sie. DIE HEIMAT VERLASSEN: DER VATER die Kinder büßen lassen, wenn jemand nicht weh aufs Härtsfeld. Dort bin ich immer wieder die Sprache dann in einer Flüchtlingsschule in Viel Steine, wenig Brot, so heißt es auf der Alb. katholisch war. Der Pfarrer hat uns beim Reli- hingefahren, auch nach meiner Hochzeit. Mei- Königsstein gelernt. Was der aus sich gemacht Mein Vater stammt aus Stetten bei Neresheim. gionsunterricht immer in die Wange gezwickt. ne alte Heimat war für mich stets präsent, so hat in den paar Jahren, in denen er in Deutsch- Er hätte den Hof vom Vater nehmen sollen, Als die Mutter das gemerkt hat, hat sie ihn alles lange die Verwandtschaft noch gelebt hat. land war! aber er wollte nach Amerika, damals schon. Er geheißen. wollte dort Landwirtschaft lernen. Aber er durf- WIE ICH IN KORNWESTHEIM AUFGE- WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR MICH te nicht, der Vater hat ihm die Unterschrift ver- MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN NOMMEN WURDE Ich denke, dass meine beiden Syrer das gleiche weigert. Danach wollte mein Vater nichts mehr Das Ausbesserungswerk der Eisenbahn in Als Reingeschmeckte: Das war damals genau- Schicksal wie ich teilen: Wir sind ausgebombt, von der Landwirtschaft wissen. Er hat dann in Aalen, wo mein Vater als Schlosser gearbeitet so wie heute, wenn die Flüchtlinge kommen. die beiden sind in Damaskus auch ausge- Duisburg Schlosser gelernt und wollte auf ei- hat, wurde geschlossen und nach Kornwest- Allem gegenüber, was neu war, gab es zu- bombt. Deshalb habe ich ihnen die Dachwoh- gene Faust los in die Ferne. Im Rheinland ist heim verlegt. Das war für uns ein Glücksfall. nächst einmal Ablehnung. Ob bei den Kriegs- nung in meinem Haus angeboten. Am nächs- er geblieben, weil er geglaubt hat, da kommen Damals war ich 18 Jahre alt, 1954 sind wir frauen, den Italienern oder den Türken. ten Tag sind sie gleich eingezogen und waren die großen Schiffe an, und er kann irgendwie hergezogen. Mit der Wohnungssuche und der Suche sofort daheim. Bei ihnen heiße ich Oma. In weg. Dann hat er meine Mutter geheiratet, die Mein erster Tag in Kornwestheim war furcht- nach Arbeit waren wir auf uns allein gestellt. meiner Familie sind sie richtig integriert. Bei von dort stammt. bar, ganz schlecht. Ich weiß, es war im Novem- In Kornwestheim anzukommen, fand ich aber allen Familienfeiern sind sie eingeladen, nur ber, die Familie ist mit dem Auto vorgefahren auch interessant. Wir waren jung, auf der Alb manchmal möchten sie nicht mitkommen, ich DIE HEIMAT VERLASSEN: DIE MUTTER und ich kam mit dem Zug nach. Als ich ankam, konnte man nicht tanzen oder ins Kino gehen. glaube sie genieren sich. Unser Haus in Duisburg wurde zertrümmert war Schneematsch und ein Gestank von den Es hat nicht lange gedauert, bis ich meinen Für die Integration wird viel gemacht, aber und die Familie ist nach Stetten auf den Hof Loks, die damals am Bahnhof angeheizt wur- Mann kennengelernt habe. das meiste nicht in Kornwestheim. Meine bei- des Großvaters zurückgekehrt. Meine Mutter den! Da hat man gar nichts gesehen vor lauter Mein Mann war ja auch Flüchtling aus Un- den sind meistens in Ludwigsburg, gehen dort wollte erst nicht auf die Alb wegen der ganzen Ruß! Das war ich von der Alb nicht gewöhnt, garn, er hat es am Anfang auch nicht so leicht zum Sport oder auf dem Markt einkaufen. Sie katholischen Geschichte. Sie war ja evange- so eine Luft. Ich bleibe nicht da, habe ich ge- gehabt in Kornwestheim. Er hat sich derma- machen wenig in Kornwestheim. Beide haben lisch. Und das mussten wir auch lang büßen. sagt. Aber mit der Arbeit war es viel besser in ßen bemüht, als er nach Deutschland kam: sich auch schon bei vielen Firmen beworben, So waren damals die Leute: Sie haben das Kornwestheim. Dennoch: Oft hatte ich Heim- Er konnte kein Wort Deutsch sprechen, hat um einen Ferienjob zu bekommen. Sie würden 4 Manchmal denke ich: Wieviel Ablehnung in den Leuten steckt? Wir alle sind doch Flüchtlinge.“ so gerne arbeiten, bevor ihre Ausbildung an- fängt. Da könnte die Stadt unterstützen. Mein Mann ist damals in elf Vereinen ge- wesen. Immer war er unterwegs und hat viele Menschen kennengelernt. Das ist auch Inte- gration. Die Freundschaften haben bis zum Schluss gehalten. Das sage ich meinen Jungs auch immer: Geht in einen Verein. Manchmal denke ich: wieviel Ablehnung in den Leuten steckt? Wir alle sind doch Flücht- linge. Viele sind doch wie Wirtschaftsfl ücht- linge, sie sind wegen der Arbeit zugezogen, überall. Und nun kommen ein paar Leute aus dem Ausland, und wir in Deutschland wollen niemanden haben. 5 JIHÈNE HASNAOUI ... stammt aus Tunesien. Für sie hat ihre Religion große Bedeutung. 2006 kommt sie mit ihrem Mann nach Kornwestheim. Sie versucht, islamische Werte mit Konsequenz und Würde zu leben. „Ich sehe mein Kopftuch nicht. Ich sehe nur die Menschen und wir sind zusammen gleich. Und die Menschen sehen mich und viele sehen nur mein Kopftuch.“ DIE HEIMAT VERLASSEN: AUS LIEBE er lebt in Deutschland und ist religiös, kann meinem Mann, weil er sehr gut Deutsch kann. großem Garten, mit viel Freiheit. Jetzt leben Nie hätte ich geglaubt, mein Land und meine er dich kennenlernen? Nach zwei Monaten Am Anfang hat mir das nicht viel geholfen. Zum wir in einer Wohnung mit drei Kindern und es Familie zu verlassen. Damals war ich 25 und sind alle zu uns nach Hause gekommen und Beispiel musste er immer für mich anrufen, im- wird immer enger. Was machen wir jetzt? Wir gerade fertig mit dem Kunststudium. Ich habe wir haben zusammen im Wohnzimmer geses- mer alles regeln oder mit mir zum Arzt kom- haben einfach nichts gefunden. Einmal gab es in einem Umweltprojekt gearbeitet und auch in sen. Beim ersten Treffen waren wir beide sehr men. Bis ich dann in die Schule gegangen bin, eine gute Wohnung. „Kinder herzlich willkom- einem Waisenhaus geholfen. Dann habe ich aufgeregt. Viel haben wir nicht miteinander ge- zum Deutschkurs, bis B1. Danach habe ich mit men“ hieß es, und wir hatten einen Termin. meinen Mann getroffen! Kurz vor der Hochzeit, sprochen. Für mich ist mein Glaube sehr wich- dem Sprachkurs aufgehört. Die Maklerin hat an der Tür mit dem Vermie- wir waren nur verlobt, kam mein Papa zu mir tig, mein Mann muss religiös sein. Meine Mut- ter gewartet. Der hat mich mit dem Kopftuch und hat gefragt: Jihène, bist du bereit nach ter hat mir geraten: Lass dir Zeit. Beim zweiten MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM gesehen und sofort gesagt: Meine Wohnung Deutschland zu fl iegen und dort zu leben? Ich Treffen war alles anders. Wir haben lange mit- Ich mag Kornwestheim.