AN(GE)KOMMEN IN KORNWESTHEIM

222 Ankommensgeschichten VORWORT

Hier wird Liebe Leserinnen und Leser, spürbar, wie vielfältig

mehr als 20 Prozent der Kornwestheimer Bür- Unspektakuläre, aber dennoch die Biografi en derje- gerschaft hat einen Migrationshintergrund. für das Leben und Ankommen in nigen sind, die irgend- Das zeigt, wie aktuell das Thema Integration unserer Gesellschaft so essen- wann mit der bangen in unserer Stadt ist. Massiv verstärkt hat die- tielle ins Bewusstsein zu holen. Frage zu uns kamen, se Aktualität der Zustrom von Flüchtlingen in Diese Prozesse wurden dabei so- den vergangenen Monaten. Viele von ihnen gar fi lmisch in Szene gesetzt. ob sie hier wohl sind zu uns gekommen, um beispielsweise Wurzeln schlagen der Gewalt in den syrischen Kriegsgebieten Der Bildband, den Sie nun in den können.“ zu entfl iehen. Die Männer und Frauen mit und Händen halten, fasst die Interviews von ohne Familie möchten hier eine neue Heimat Menschen zusammen, die in Kornwestheim fi nden und in unserer Stadt im wahrsten Sinne ankommen oder bereits angekommen sind. des Wortes „ankommen“. Natürlich ist das nur ein winziger Ausschnitt unserer Stadtgesellschaft. Trotzdem spüren Claudia Skirl entstandenen Interviews gehen Dieses Ankommen zieht sich durch alle Be- wir sofort, wie vielfältig die Biografi en derje- ebenso unter die Haut wie die wunderbaren reiche des Alltags. Es betrifft die zufälligen nigen sind, die irgendwann mit der bangen Fotos von Yakup Zeyrek. Für mich ist das „ty- Begegnungen auf der Straße oder beim Ein- Frage zu uns kamen, ob sie hier wohl Wur- pisch Kornwestheim“. Viel Emotion und Iden- kaufen. Ums Ankommen geht es bei der Arbeit zeln schlagen können. Vielen ist das gelun- tifi kation, ganz selbstverständlich. Lassen Sie und in der Freizeit, sei es beim Sport oder beim gen – ja, viele sind inzwischen in vorbildlicher uns genau so auch in Zukunft das Ankommen Musizieren. Auf den ersten Blick geht es dabei Weise selbst Teil der Aufnahmegesellschaft in Kornwestheim handhaben: Mit Selbstver- um meist recht unspektakuläre Situationen. geworden, zählen zu jenen, die Anderen das ständlichkeit und viel Freude an den alltägli- Doch genau diesen scheinbar unspektakulä- Ankommen erleichtern. chen Begegnungen. ren Momenten hat sich ein Initiativkreis aus Manche, die ursprünglich ihre Geschichte bürgerschaftlich Engagierten, Künstlern, Wis- einbringen wollten, sind inzwischen weiter- Ihre senschaftlern und Mitarbeitern der Verwaltung gezogen oder in ihre Heimat zurückgekehrt. angenommen. Durch Fotografi en, einfühlsa- Ankommen ist nicht immer leicht. Gerade das me Texte, künstlerische Projekte, Tanz und ei- zeigt der vorliegende Bildband auf sehr ein- nem Freundschaftsbuch ist es gelungen, das fühlsame Weise. Die unter der Anleitung von Oberbürgermeisterin Stadt Kornwestheim

2 BEI UNS ANGEKOMMEN: Menschen unterschiedlicher Herkunft erinnern sich an ihre Anfänge in Kornwestheim und geben bewegende Einblicke in ihr heutiges Leben.

3 ROSEMARIE ETZL ... ist 79 Jahre alt. Seit 1954 lebt sie in Kornwestheim. Ihre Familiengeschichte ist geprägt von Aufbrüchen und vom Ankommen an neuen Orten. Dieses Verständnis lebt sie heute noch: Seit eineinhalb Jahren hat sie zwei syrische Studenten bei sich aufgenommen, mit denen sie Deutsch lernt, kocht und Alltagsproble- me bespricht. „Meine Jungs sollen es bei mir gut haben“, sagt sie.

DIE HEIMAT VERLASSEN: DER VATER die Kinder büßen lassen, wenn jemand nicht weh aufs Härtsfeld. Dort bin ich immer wieder die Sprache dann in einer Flüchtlingsschule in Viel Steine, wenig Brot, so heißt es auf der Alb. katholisch war. Der Pfarrer hat uns beim Reli- hingefahren, auch nach meiner Hochzeit. Mei- Königsstein gelernt. Was der aus sich gemacht Mein Vater stammt aus Stetten bei Neresheim. gionsunterricht immer in die Wange gezwickt. ne alte Heimat war für mich stets präsent, so hat in den paar Jahren, in denen er in Deutsch- Er hätte den Hof vom Vater nehmen sollen, Als die Mutter das gemerkt hat, hat sie ihn alles lange die Verwandtschaft noch gelebt hat. land war! aber er wollte nach Amerika, damals schon. Er geheißen. wollte dort Landwirtschaft lernen. Aber er durf- WIE ICH IN KORNWESTHEIM AUFGE- WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR MICH te nicht, der Vater hat ihm die Unterschrift ver- MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN NOMMEN WURDE Ich denke, dass meine beiden Syrer das gleiche weigert. Danach wollte mein Vater nichts mehr Das Ausbesserungswerk der Eisenbahn in Als Reingeschmeckte: Das war damals genau- Schicksal wie ich teilen: Wir sind ausgebombt, von der Landwirtschaft wissen. Er hat dann in Aalen, wo mein Vater als Schlosser gearbeitet so wie heute, wenn die Flüchtlinge kommen. die beiden sind in Damaskus auch ausge- Duisburg Schlosser gelernt und wollte auf ei- hat, wurde geschlossen und nach Kornwest- Allem gegenüber, was neu war, gab es zu- bombt. Deshalb habe ich ihnen die Dachwoh- gene Faust los in die Ferne. Im Rheinland ist heim verlegt. Das war für uns ein Glücksfall. nächst einmal Ablehnung. Ob bei den Kriegs- nung in meinem Haus angeboten. Am nächs- er geblieben, weil er geglaubt hat, da kommen Damals war ich 18 Jahre alt, 1954 sind wir frauen, den Italienern oder den Türken. ten Tag sind sie gleich eingezogen und waren die großen Schiffe an, und er kann irgendwie hergezogen. Mit der Wohnungssuche und der Suche sofort daheim. Bei ihnen heiße ich Oma. In weg. Dann hat er meine Mutter geheiratet, die Mein erster Tag in Kornwestheim war furcht- nach Arbeit waren wir auf uns allein gestellt. meiner Familie sind sie richtig integriert. Bei von dort stammt. bar, ganz schlecht. Ich weiß, es war im Novem- In Kornwestheim anzukommen, fand ich aber allen Familienfeiern sind sie eingeladen, nur ber, die Familie ist mit dem Auto vorgefahren auch interessant. Wir waren jung, auf der Alb manchmal möchten sie nicht mitkommen, ich DIE HEIMAT VERLASSEN: DIE MUTTER und ich kam mit dem Zug nach. Als ich ankam, konnte man nicht tanzen oder ins Kino gehen. glaube sie genieren sich. Unser Haus in Duisburg wurde zertrümmert war Schneematsch und ein Gestank von den Es hat nicht lange gedauert, bis ich meinen Für die Integration wird viel gemacht, aber und die Familie ist nach Stetten auf den Hof Loks, die damals am Bahnhof angeheizt wur- Mann kennengelernt habe. das meiste nicht in Kornwestheim. Meine bei- des Großvaters zurückgekehrt. Meine Mutter den! Da hat man gar nichts gesehen vor lauter Mein Mann war ja auch Flüchtling aus Un- den sind meistens in , gehen dort wollte erst nicht auf die Alb wegen der ganzen Ruß! Das war ich von der Alb nicht gewöhnt, garn, er hat es am Anfang auch nicht so leicht zum Sport oder auf dem Markt einkaufen. Sie katholischen Geschichte. Sie war ja evange- so eine Luft. Ich bleibe nicht da, habe ich ge- gehabt in Kornwestheim. Er hat sich derma- machen wenig in Kornwestheim. Beide haben lisch. Und das mussten wir auch lang büßen. sagt. Aber mit der Arbeit war es viel besser in ßen bemüht, als er nach Deutschland kam: sich auch schon bei vielen Firmen beworben, So waren damals die Leute: Sie haben das Kornwestheim. Dennoch: Oft hatte ich Heim- Er konnte kein Wort Deutsch sprechen, hat um einen Ferienjob zu bekommen. Sie würden

4 Manchmal denke ich: Wieviel Ablehnung in den Leuten steckt? Wir alle sind doch Flüchtlinge.“

so gerne arbeiten, bevor ihre Ausbildung an- fängt. Da könnte die Stadt unterstützen. Mein Mann ist damals in elf Vereinen ge- wesen. Immer war er unterwegs und hat viele Menschen kennengelernt. Das ist auch Inte- gration. Die Freundschaften haben bis zum Schluss gehalten. Das sage ich meinen Jungs auch immer: Geht in einen Verein. Manchmal denke ich: wieviel Ablehnung in den Leuten steckt? Wir alle sind doch Flücht- linge. Viele sind doch wie Wirtschaftsfl ücht- linge, sie sind wegen der Arbeit zugezogen, überall. Und nun kommen ein paar Leute aus dem Ausland, und wir in Deutschland wollen niemanden haben.

5 JIHÈNE HASNAOUI ... stammt aus Tunesien. Für sie hat ihre Religion große Bedeutung. 2006 kommt sie mit ihrem Mann nach Kornwestheim. Sie versucht, islamische Werte mit Konsequenz und Würde zu leben. „Ich sehe mein Kopftuch nicht. Ich sehe nur die Menschen und wir sind zusammen gleich. Und die Menschen sehen mich und viele sehen nur mein Kopftuch.“

DIE HEIMAT VERLASSEN: AUS LIEBE er lebt in Deutschland und ist religiös, kann meinem Mann, weil er sehr gut Deutsch kann. großem Garten, mit viel Freiheit. Jetzt leben Nie hätte ich geglaubt, mein Land und meine er dich kennenlernen? Nach zwei Monaten Am Anfang hat mir das nicht viel geholfen. Zum wir in einer Wohnung mit drei Kindern und es Familie zu verlassen. Damals war ich 25 und sind alle zu uns nach Hause gekommen und Beispiel musste er immer für mich anrufen, im- wird immer enger. Was machen wir jetzt? Wir gerade fertig mit dem Kunststudium. Ich habe wir haben zusammen im Wohnzimmer geses- mer alles regeln oder mit mir zum Arzt kom- haben einfach nichts gefunden. Einmal gab es in einem Umweltprojekt gearbeitet und auch in sen. Beim ersten Treffen waren wir beide sehr men. Bis ich dann in die Schule gegangen bin, eine gute Wohnung. „Kinder herzlich willkom- einem Waisenhaus geholfen. Dann habe ich aufgeregt. Viel haben wir nicht miteinander ge- zum Deutschkurs, bis B1. Danach habe ich mit men“ hieß es, und wir hatten einen Termin. meinen Mann getroffen! Kurz vor der Hochzeit, sprochen. Für mich ist mein Glaube sehr wich- dem Sprachkurs aufgehört. Die Maklerin hat an der Tür mit dem Vermie- wir waren nur verlobt, kam mein Papa zu mir tig, mein Mann muss religiös sein. Meine Mut- ter gewartet. Der hat mich mit dem Kopftuch und hat gefragt: Jihène, bist du bereit nach ter hat mir geraten: Lass dir Zeit. Beim zweiten MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM gesehen und sofort gesagt: Meine Wohnung Deutschland zu fl iegen und dort zu leben? Ich Treffen war alles anders. Wir haben lange mit- Ich mag Kornwestheim. Woanders habe ich bekommen sie nicht. Die Maklerin ist schnell habe gesagt: Ja, das ist kein Problem! Aber einander geredet. Danach ist er jeden Tag zu Angst. Mehrfach bin ich schlecht behandelt zu uns gelaufen und hat sich entschuldigt: kann ich in Deutschland leben und habe kei- uns gekommen und wir haben viel über den worden, zum Beispiel sagen junge Leute auf Wir haben vergessen zu sagen, dass keine ne Sprache? Das habe ich nicht überlegt. In Islam gesprochen. Und dann habe ich meiner der Straße: Geh zurück nach Afghanistan! Ich Kinder erwünscht sind. Die arme Maklerin, sie meinem Kopf habe ich nur diesen Mann geliebt Freundin gesagt: Ja, er ist es! bin hier auch nicht so oft in der Stadt. Die Un- musste eine Entschuldigung fi nden! Wir haben und fertig. freundlichkeit von den Verkäuferinnen und Ver- verstanden, dass es wegen des Kopftuchs ist. Mein Mann wohnte schon in Deutschland, MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN käufern tut mir immer weh. Aus meinem Land Aber für mich sind Christen und Juden und er arbeitet bei der Deutschen Bahn. In Tunis In einem anderen Land zu leben, darauf war kenne ich das so: Wenn ein Kunde kommt, Muslime alle gleich. Wir sind alle Menschen. hat er Wirtschaft studiert. Deutsch hat er an ich nicht vorbereitet. Ich habe mich nur auf die muss der Verkäufer doch freundlich sein! Ich Egal welche Religion, wir können immer einen der Universität gelernt. Nach sechs Monaten Hochzeit konzentriert, nicht auf Deutschland. verstehe nicht, warum? Für mich sind Freund- Treffpunkt fi nden! konnte er schon sprechen und dolmetschen. Wir sind 2006 in Kornwestheim angekommen, lichkeit, Respekt und gutes Benehmen sehr Was sehr gut war! Er hat das ganz allein ge- in der Wohnung meines Mannes. Dort wohnen wichtig. WIE DAS IST ALS MUSLIMIN schafft. Als er eine gute Arbeit hatte, wollte er wir immer noch und haben bis heute viele Re- Auch bei der Wohnung haben wir viel ge- In Tunesien bin ich in einer sehr modernen schließlich heiraten. Mich hat meine Freundin novierungen gemacht. sucht, seit 5 oder 6 Jahren. In Tunesien habe Gesellschaft aufgewachsen. Meine Eltern sind angesprochen. Sie hat gefragt: Mein Bruder, Mit der Sprache war es schwer. Das lag an ich in einem sehr großen Haus gewohnt mit auch sehr modern. Aber als ich jung war, wur-

6 de Religion plötzlich wichtig, und meine Gene- ration ist von allein religiös geworden. Wir sind alle ein bisschen schockiert, weil unsere Eltern so fortschrittlich sind. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass eine muslimische Frau ein Kopf- tuch haben soll! Meine Mutter betet, trug aber damals auch keins. Ich war 23 Jahre alt, als ich mich dafür entschied. Doch mein Papa hat es mir nicht erlaubt! Er war nicht gegen Religion, aber er fürchtete sich vor der Regierung, denn das Kopftuch war überall verboten. Trotzdem hatte ich keine Angst. Ich habe es getragen und bekam Probleme an der Universität. Am Tor haben sie gesagt: So darfst du nicht rein! Manchmal wurde die Polizei gerufen. Deshalb habe ich oft nur einen Palästinenserschal und eine Mütze angezogen.

In Kornwestheim hoffen wir auf eine Moschee, wo wir uns alle treffen können und die Kinder auch in Religion unterrichtet werden, so wie Wir sind alle Men- die deutschen Kinder das in der Schule lernen. schen! Wir machen Wenn zum Beispiel die Kinder mit der Schule zu unterrichten. Kindergarten muss ich meinen Kindern immer zusammen, was für zum Gottesdienst gehen, könnten die Muslime Sehr wichtig ist für mich auch, das Essen etwas Besonderes mitgeben. doch auch zu einem islamischen Religions- in der Schule zu kennzeichnen. Früher gab es die Menschheit gut unterricht oder in eine andere Schule gehen. dazu kaum genaue Informationen. Ich konnte WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR MICH ist, egal, ob wir un- Oder die Kinder könnten beim Opferfest oder auf dem Etikett nichts sehen, und wenn ich bei Integration ist für mich: Wir sind alle Menschen! terschiedlichen Re- Zuckerfest frei bekommen, das geht nicht im- der Firma angerufen habe, hieß es: da sind tie- Wir machen zusammen, was für die Mensch- ligionen oder Kultu- mer. In der Schule meiner Kinder sind 80% rische Bestandteile. Das ist ein Problem. Ich heit gut ist, egal, ob wir unterschiedlichen Reli- Muslime, eine große Mehrheit. Nur zwei gehen mache mir Sorgen, wenn ich meinen Kindern gionen oder Kulturen angehören. Jeder behält ren angehören.“ zum christlichen Religionsunterricht. Es wäre etwas zu Essen gebe, wo ich die Zutaten nicht seine Religion und seine Kultur, aber wir sind doch gut, alle Kinder in ihrer eigenen Religion genau kenne. Bei einer Geburtstagsfeier im zusammen. In Kornwestheim und überall!

7 VALTER CASTELL Ich bin hier in die ... ist 1963 mit seiner Familie nach Deutschland gekommen und lebt seit 1979 in Stadt gekommen Kornwestheim. Er war 30 Jahre lang sehr engagiert im italienischen Kulturver- und habe mich in das ein und genießt jetzt als Rentner sein Leben hier. Er hat hier viele Freunde und deutsche Leben in- Bekannte. Heimat ist für ihn Italien und Kornwestheim. tegriert. Integration heißt, ein Mensch DIE HEIMAT VERLASSEN meine Frau kennengelernt. Sie hat bei Sala- on. Die Leute hier sind sehr passt in die dabei als Ich komme aus Italien, direkt aus Apulien. Ge- mander in Kornwestheim gearbeitet und wir freundlich. In Kornwestheim Stadt rein.“ Sportler boren bin ich in Lecce und gelebt habe ich in sind dann zusammen hierher gezogen. Wir ha- bin ich eingebürgert und mir beim Bow- Gargano. Ich habe mit meiner Familie Italien ben in Kornwestheim eine Wohnung gekauft. hat es von Anfang an hier gefallen. ling. Jetzt im- 1963 verlassen wegen den Arbeitsmöglichkei- Ich habe aber immer noch in Murr gearbeitet Es ist eine schöne Gegend und man hat mer noch. Da, meine ten. Das war damals ein bisschen problema- und bin immer gependelt. Dann ist die Firma Möglichkeiten nach zu fahren mit den ganzen Medaillen da oben, die tisch. Freunde und Bekannte von meinen El- umgezogen nach Bietigheim. Aber die Firma Zügen oder nach Ludwigsburg. sind alle vom Bowling. tern haben gesagt: „Kommt nach Deutschland, ist leider irgendwann Konkurs gegangen. Da- Ich bin 1979 in Kornwestheim in unsere Seitdem hab ich mich, sagen wir mal, in- kommt nach Deutschland“. Mein Vater und nach habe ich 10 Jahre lang als LKW Fahrer Wohnung eingezogen. Ein paar Jahre später tegriert in Deutschland und deswegen gefällt mein Bruder sind zuerst gekommen und meine in Deutschland bei der Firma Dürr gearbeitet. habe ich die Vorsitzende vom italienischen mir Kornwestheim. Hier sind viele Bekannte, Mutter und ich ein halbes Jahr später. Da war Dann bin ich in die Druckerbranche und bin da Kulturverein kennengelernt und wir haben den viele Freunde. Meine Mutter ist hier begraben ich sechzehn Jahre alt. geblieben bis zu meiner Rente 2003. Kulturverein aufgebaut. Ich war 30 Jahre lang worden. Mein Sohn hat hier auch seine Exis- Ich habe in Italien kein Deutsch gelernt, im italienischen Kulturverein und lange Zeit 2. tenz, der ist Informatiker, Techniker. Er spricht MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN und war hier auch nicht in der Schule. Ich Vorsitzender. Wir machen ziemlich viel, zum italienisch mit uns, aber er kann fünf Sprachen. Zuerst sind wir nach Ludwigsburg gekommen, habe Deutsch hier gelernt im Schwabenland Beispiel die „Ausländische Nacht“, wir machen dann haben wir in Hoheneck gewohnt und dann in Kontakt mit anderen, deswegen bin ich ein was am „Kornwestheimer Tag“, wir sammeln WAS IST INTEGRATION FÜR MICH sind wir nach Murr umgezogen. Da haben wir bisschen schwäbisch rausgekommen. Aber ich Spenden, zum Beispiel für die Opfer von dem Ich bin hier in die Stadt gekommen und habe Arbeit gefunden. Mit siebzehn habe ich ange- habe mir viel Mühe gegeben, weil ich Kontakt Hochwasser damals in Dresden oder dem Erd- mich in das deutsche Leben integriert. Integra- fangen zu arbeiten in der Textilbranche, aber mit anderen haben wollte. beben in Italien. tion heißt, ein Mensch passt in die Stadt rein. nur als Aushilfe in der Textilfabrik. Damals gab Ich fühle mich gut in Kornwestheim, weil Wenn ich hierher komme und wie in Italien es viele Textilien im Kreis Ludwigsburg. Später MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM die Leute freundlich sind. Wir haben jetzt viele lebe, das geht nicht. Wenn ich nach England habe ich dann dort meinen Beruf gelernt. Ich Im ersten halben Jahr hier in Deutschland war Freunde hier und fast ganz Kornwestheim kennt komme, muss ich Englisch lernen und sehen, war Rundstrickmaschinentechniker, aber den es ein bisschen schwierig, aber dann ging es uns. Ich habe angefangen, Bowling zu spielen wie die leben. Ich kann mich anziehen, in den Beruf gibt es heute nicht mehr. Dann habe ich gut. Wir hatten nie Probleme mit der Integrati- mit den Deutschen und seitdem bin ich immer entsprechenden Klamotten, die in dem Land

8 nötig sind. In Schottland der Rock, das sieht vielleicht komisch aus, aber das macht mir nichts aus. Das ist eben so. Meine Heimat ist hier in Kornwestheim, wo ich lebe. Ich bleibe hier, weil es mir hier gefällt und ich hier meine Existenz aufgebaut habe. Ich ziehe nicht mehr um, weil ich dann meine ganzen Freundschaften und Bekannt- schaften verliere. Mein Sohn wohnt auch hier in Ludwigsburg. Seit 2003 bin ich Rentner und genieße das Leben. Ich freue mich, dass ich hier in Kornwestheim bin. Ich kann hier zu Fuß laufen oder mit dem Fahrrad fahren und mit den Zügen hin und her fahren.

Meine Heimat ist aber auch Italien. Ich bin Italiener und meine Wurzeln sind in Italien. Italien ist auch ein Urlaubsort für mich, wo ich mich ausruhe. Meine Heimat zum Ausruhen. In der Sommerzeit genieße ich es, nach Ita- lien zu gehen. Jetzt grade in der Urlaubszeit, da sind wir immer so zwei bis drei Monate im Urlaub, da kann man baden und viel unter- nehmen.

9 DOĞAN SARAK ... wurde 1969 in Anatolien geboren. Mit 12 Jahren ist er mit seiner Mutter und seinem Zwillingsbruder als Letzter der Familie nach Kornwestheim gekommen. Es war schwer für ihn, Deutsch zu lernen. Aber er hat sich hochgearbeitet und ist nun selbstständig, Musiker, Gründer und Vorsitzender des anatolischen Arbeiter- und Kulturvereins.

DIE HEIMAT VERLASSEN: DER VATER 1983 sind wir dann nach Deutschland nachge- MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM Bruder meine erste CD auf den Markt gebracht Ich bin 1969 in Anatolien im türkischen Gebiet kommen. Während der Schule habe ich immer in einem und jetzt die zweite solo. geboren. Mein Papa ist schon 1963 hierher türkischen Laden in den Bahnhofsbaracken Für mich ist es so: Die erste Heimat ist Ana- gekommen als Gastarbeiter. Wir haben in ei- MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN mitgeholfen und so mein Taschengeld ver- tolien und die zweite Heimat ist hier. Wir leben nem kleinen Dorf gelebt. Da gab es nicht mal Ich weiß noch als wir aus dem Dorf raus waren dient. Nach der Schule habe ich bei Bosch hier und unsere zweite Heimat ist Deutschland Strom. Ich weiß noch, als mein Vater immer und wir haben in Elâzığ noch einen Monat ge- gearbeitet. 1994 habe ich geheiratet und bin geworden. Ich hab hier länger gelebt. Meine ein Radio mit Kassettenspieler geholt hat, da wartet, bis ich meinen Pass bekommen habe. deswegen mit meiner Frau nach Nürtingen. zwei Kinder sind hier aufgewachsen. Der Jun- haben wir uns richtig gefreut. Das war aber mit Das hat sich einen Monat verzögert. Als wir den Dann habe ich meinen Meister gemacht und ge hat schon Abitur und eine Ausbildung und Batterie. Pass bekommen haben von der Stadt Elâzığ, meine Reinigungsfi rma gegründet. Nach mei- übernimmt jetzt die Reinigungsfi rma. Meine Wir haben nur Kurdisch gesprochen, ich sind wir weiter nach Istanbul, meine Schwester ner Scheidung 2007 bin ich zurück nach Korn- Tochter macht nächstes Jahr Abitur und will musste in der Schule erstmal Türkisch lernen. hat dort gewohnt, sie ist leider gestorben. Von westheim und habe bei Daimler gearbeitet drei studieren. Damals war ein Putsch in der Türkei und je- dort sind wir dann nach Deutschland. Von Ana- Jahre lang. den Tag war etwas mit dem Militär. Wir haben tolien bis Istanbul mit dem Bus. Von Istanbul WAS IST INTEGRATION FÜR MICH das nicht so stark gemerkt, aber wir wollten bis hierher mit dem Flugzeug. Als ich hier das Ich bin auch Vorsitzender vom anatolischen Man muss sich anpassen, wenn man hier her trotzdem weg. Und mein Vater hat uns Schritt erste Mal im Zug einen Mann mit dunkler Haut- Arbeiter- und Kulturverein, den habe ich mit kommt. Man muss die Sprache lernen und für Schritt alle nachgeholt. Am Schluss wa- farbe gesehen habe, habe ich meinen Papa gegründet. Da kommen viele verschiedene sich bilden. Ohne Bildung ist man nichts. Man ren noch mein Zwillingsbruder, meine Mutter gefragt, was das ist. Ich war 12 Jahre alt und Leute hin und die können bei uns Tee trinken muss mindestens eine Ausbildung haben. Zur- und ich dort. Wir waren die letzten, die nach habe das noch nie vorher gesehen. und sich unterhalten, und wir unterstützen sie zeit reicht auch die Ausbildung nicht mehr. Die Deutschland gekommen sind. Am Anfang, als ich kein Deutsch konn- mit Dokumenten und allem. Es ist wichtig, dass Leute müssen sich weiter bilden können und te und mein Türkisch auch gebrochen war man Deutsch lernt und sich bildet. Im Endeffekt nicht sagen ok, ich habe einen Beruf gelernt Wir haben von klein auf Verantwortung gehabt und nicht so perfekt, da habe ich auch schon fi nden wir bei uns im Verein immer eine Lösung und fertig. Das reicht auf Dauer nicht. Sprache und gearbeitet mit den Tieren, die wir gehabt Schwierigkeiten gehabt. Aber ich habe durch für alles. Jeder kann seine Meinung sagen und ist auch wichtig, damit man sich einbringen haben. Ich war in der Schule bis um 15 Uhr meine Kumpel und meine Brüder und Schwes- es gibt immer einen friedlichen Weg. Ich bin und verständigen kann. Es ist nicht immer je- und dann bin ich nach Hause gekommen, und tern schnell und viel gelernt. Ich habe hier die außerdem Musiker und war deswegen schon mand neben dir, manchmal ist man auch allein wir mussten die Tiere reinbringen und alles. Hauptschule gemacht und die Berufsschule. in vielen Ländern. 1988 habe ich mit meinem und muss selber auskommen.

10 Man muss sich anpassen, wenn man hier her kommt. Man muss die Sprache lernen und sich bilden.“

Man muss sich nicht komplett assimilieren, man kann zwei verschiedene Kulturen unter einem Dach führen. Das ist nicht einfach aber es geht. Ich mache das auch. Die Deutschen müssen dann aber auch entgegen kommen und verstehen, dass die Leute eine eigene Sprache und Kultur haben. Das ist auch eine Bereicherung. Wenn die Leute hier ankom- men, brauchen sie auch ein Dach über dem Kopf und können nicht nur in einer Sporthalle untergebracht werden Wir sind hier in einem europäischen Land und man muss sich hier an die Gesetze halten und alles und die Stadt muss einen Weg für die Leute bieten, damit sie sich angenommen fühlen.

11 MARTIN NGUYEN ... ist der Sohn von Huy-Hung Nguyen, einem vietnamesischen Bootsfl üchtling. Ankommen 2004 wurde er in Stuttgart geboren und lebt seitdem in Kornwestheim. bedeutet für mich, „Ich fühle mich wohl, habe viele Freunde hier und möchte auch bleiben“, sagt Freunde und Ver- er auch nach einem Besuch in Vietnam in diesem Jahr. wandte zu treffen. Und das habe ich hier in Deutschland. Ich bin angekommen.“ MEIN VATER VERLIESS SEINE HEIMAT SEINE REISE IN SEIN NEUES LEBEN als meine Frau schwan- Jahr war Mein Vater erzählt nicht so viel von seiner Mein Vater ist in meinem Alter, so mit elf Jah- ger war. Wir brauch- ich Klas- Flucht. Aber ich weiß, dass er aus Vietnam ren, mit dem Boot gefl üchtet. Rupert Neudeck ten mehr Platz für unsere sensprecher, gefl ohen ist, weil da ein Krieg zwischen den hat ihm geholfen und ihn zu sich auf sein Schiff Familie. im nächsten Jahr Nordvietnamesen und Südvietnamesen war. geholt. Dadurch kam er nach Deutschland, zu- schaue ich mal, ob erst nach Hamburg. Da ist er in ein Jugenddorf MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM ich das noch einmal machen Huy-Hung Nguyen: Nach dem Krieg, also nach gekommen und hat dort meine Mutter ken- Ich fühle mich wohl, habe viele Freunde hier. möchte. In meiner Freizeit treffe ich mich viel 1975, war das ganze Land kommunistisch. nengelernt. Sie ist auch mit ihrer Familie aus Alle behandeln mich genauso wie die anderen, mit meinen Freunden, die in meiner Klas- Viele sind aus dem Land gefl üchtet, es war Vietnam gefl ohen. Die Eltern von meinem Va- auch wenn ich eine andere Herkunft habe. Ich se sind. Einen Freund habe ich noch, der in wie in der DDR. Niemand sah mehr eine Zu- ter sind dann etwas später auch nach Deutsch- bin auch eher verbunden mit Deutschland, Ludwigsburg auf die Schule geht. Als wir klein kunftsperspektive. Das Land war sehr verarmt. land gekommen. weil ich hier aufgewachsen bin und es schöner waren, waren wir zusammen im Kindersport. Es gab keine Pressefreiheit, die Wirtschaft war fi nde. Jetzt sind wir zwar nicht mehr auf einer Schu- am Ende. Und deshalb wollten viele das Land Huy-Hung Nguyen: Genau, die Hilfsaktion le, treffen uns aber trotzdem noch. Fußball verlassen. bzw. das Schiff von Rupert Neudeck hieß Cap Wir sind zweisprachig aufgewachsen und spre- habe ich mal gespielt. Zurzeit gehe ich zum Anamur. Es ist immer vor der Küste hin und her chen auch heute noch vietnamesisch. Aber mit Schwimmen und zum Karate. Das macht mir Ich war der Älteste von meinen Geschwistern gefahren und dort haben sie mich aufgefi scht. meiner Schwester und in der Schule rede ich viel Spaß. Außerdem bin ich Ministrant in der und hatte keine Chance, später in der Schul- So bin ich nach Deutschland gekommen und deutsch, weil ich daran gewöhnt bin, immer Kirchengemeinde und gehe zu einer Jugend- ausbildung weiterzukommen. Also bin ich dann in Hamburg gelandet. Zuerst war ich in einer deutsch zu reden. Typisch vietnamesisch ist in gruppe. 1982 alleine raus. Meine Eltern haben für mich großen Unterkunft für Flüchtlinge und bin an- unserem Leben manchmal das Essen. Meine einen Platz auf einem Boot gekauft. schließend in ein christliches Jugenddorf ge- Mutter kocht ab und zu vietnamesisch. Dieses Jahr waren wir mit der katholischen Sie haben gar nicht gefragt, ob ich raus kommen. Dort habe ich Deutsch gelernt, mein Kirchengemeinde für einen Besuch in Viet- wollte oder nicht. Ich musste halt raus. Das Abitur gemacht und danach studiert. Nach In Kornwestheim gehe ich auf ein Gymnasium nam. Das war schon eine Erfahrung, wie die war so bestimmt. Kornwestheim sind wir dann 2002 gezogen, und komme jetzt in die 6. Klasse. Im letzten dort leben. Dort gab es noch manche, die

12 sehr arm sind. Sie müssen in ganz schlechten Zeit sozusagen gewohnt. Und jetzt sind sie Häusern leben. Und es war auch ziemlich laut. ausgezogen und wohnen hier im Ort. Zwei Wochen lang waren meine Familie und Mich selbst würde ich auch als Vietname- ich noch meine Verwandten besuchen. sen bezeichnen, aber eigentlich nur we- gen meines Aussehens. Ich werde immer Hier in Deutschland leben zum Beispiel noch wieder gefragt, ob ich aus einem anderen die Eltern von meinen Eltern und meine On- Land komme. Aber sie fragen meistens, ob kel. Die Verwandten, die wir jetzt in Vietnam ich Chinese bin. Das nervt mich ziemlich. besucht haben, habe ich vorher noch nie gese- hen. Aber es war eigentlich ganz normal, sie zu Ankommen bedeutet für mich, Freunde sehen, und schön. Nur einen Döner und mein und Verwandte zu treffen. Und das habe Bett habe ich in Vietnam vermisst. ich hier in Deutschland. Ich bin angekom- men. Deshalb möchte ich eher in Deutsch- WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR MICH land bleiben. Vielleicht alle paar Jahre Ich fi nde, alle sollten wie wir gleich behandelt nach Vietnam gehen, aber nur zu Besuch. werden. Meine Eltern wurden hier in Kornwest- heim oder Deutschland ja auch aufgenommen. Huy-Hung Nguyen: Für mich ist Integra- Am Anfang sollte man ihnen ein bisschen hel- tion, wenn man sich mit dem Land iden- fen und dann können sie selbständig weiter- tifi ziert, in dem man lebt. Ich bin hier in machen. Kornwestheim fest verwurzelt. Ein Beitrag Ich fi nde es gut, wie es mit den Flüchtlin- in der hiesigen Gesellschaft ist zwingend gen in Kornwestheim ist. Sie waren ja noch vor notwendig. Unser Zuhause ist nun hier in kurzem im Stadion und haben dort für kurze Kornwestheim.

13 MIRIAM BAHMANN ... ist als Italienerin in der Schweiz geboren. Im Januar 1996 kam sie mit einem Kind im Bauch nach Kornwestheim. Sie nennt Kornwestheim liebevoll ein „Städtle“ und engagiert sich ehrenamtlich im Be- reich Sport. Auch wenn dieser Einsatz viel Zeit in Anspruch nimmt, sagt sie: „Ich habe es immer gerne gemacht, es erfüllt mich.“

DIE HEIMAT VERLASSEN UND tet war. Daraus hat sich schnell eine schöne MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN Freundinnen habe ich Kornwestheim kennen- EINE FAMILIE GRÜNDEN Beziehung entwickelt und wir sind uns einig Durch das Kind war für mich klar, ich gebe gelernt und mich langsam wohlgefühlt. Ich bin als Kind von italienischen Eltern in der geworden, dass wir zusammenbleiben möch- meine Heimat und auch meinen Job auf. Das deutschsprachigen Schweiz geboren, aber im- ten. Wir haben uns jedes Wochenende ge- hat mir schon ein bisschen weh getan. Aber MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM mer mit dem Gedanken: „Wir gehen zurück“. sehen. Ab und zu bin ich nach Kornwestheim ich habe auch gesagt, wenn das Kind da ist Ich fühle mich hier sehr gut aufgenommen. Meine Heimat war anerzogen eigentlich Italien. gekommen, aber er ist eher in die Schweiz ge- und ich wieder arbeiten will, dann kann ich si- Gerade auch die Lage, wie wir wohnen, fi nde Mein Bruder und ich sind zweisprachig aufge- fahren. Wir waren gerne in den Bergen. Nach cher wieder etwas fi nden. Es war ja noch alles ich toll. Ich bin nicht mittendrin in der Stadt. Ich wachsen. Aber je älter wir wurden, desto mehr einem Jahr wurde ich schwanger und für uns offen. Ich habe noch bis Weihnachten – also habe aber in Kornwestheim, sagen wir mal ein haben wir uns dagegen gesträubt, weil die stand fest: Wir gründen eine Familie. Weil er bis kurz vor der Geburt – in der Schweiz ge- „Städtle“. Und ich habe die Städte Ludwigs- Schweiz einfach unser Zuhause war. hier in Kornwestheim bzw. Ludwigsburg sei- arbeitet. Hochschwanger bin ich nur mit mei- burg und Stuttgart in der Nähe. Wenn ich Lust Irgendwie hat es dann auch nicht gepasst und nen Arbeitsmittelpunkt hat und ich mit Kind ner Schwangerschaftskleidung hierher und im habe, wirklich richtig schön zu bummeln oder wir sind in der Schweiz geblieben. Nach einer keine Fernbeziehung wollte, habe ich mich Haus eingezogen. Kurz darauf ist schon unser zu shoppen – wie meine Kinder so schön sa- einjährigen Sekretariatsschulausbildung habe dann kurzfristig entschieden, mit ihm hierher Sohn auf die Welt gekommen, ein Jahr später gen, ist das optimal. Ich fand es auch optimal ich bereits mit 17 begonnen zu arbeiten und zu kommen. unsere erste und ein weiteres Jahr später un- für unsere Kinder. Sie haben hier Grün und habe parallel das Kader- und Managementdip- sere zweite Tochter. den Kindergarten vor dem Haus gehabt. Wir lom erworben. Mein Job hat mir großen Spaß Ich habe eigentlich nicht das Bedürfnis ge- haben Sportmöglichkeiten ohne Ende. gemacht und ich stand kurz vor dem Sprung habt, wieder ins Ausland wegzugehen, weil ich Vorher war ich ab und zu hier, habe Kornwest- in die Führungsebene eines großen Schweizer ja schon als Ausländerin in der Schweiz war. heim aber nicht wirklich gekannt. Ich habe mir Im Kindergarten war ich Elternvertreterin. Da Unternehmens. Aber dann kam es anders. Und Deutschland dann alles selber erkundschaftet, weil ich ja hat meine Ehrenamtstätigkeit angefangen. Da- und Schweiz - das sind nicht so wahnsinnige niemanden gekannt habe. Erst durch die Krab- durch habe ich auch schon die ersten Kontakte Doch dann habe ich in Österreich beim Skifah- Unterschiede. Die Sprache ist – sagen wir belgruppe und später durch den Sport haben zur Stadt gehabt, mit den Verantwortlichen für ren meinen jetzigen Mann kennengelernt, der mal – die gleiche, die Mentalität ist auch ganz sich dann die Freundschaften entwickelt, die die Kindergärten. Das war immer eine tolle Zu- aus Kornwestheim kam, jedoch noch verheira- ähnlich. teilweise heute noch bestehen. Mit diesen sammenarbeit und hat mir Spaß gemacht.

14 Und ich fand es immer sehr angenehm, sehr offen und auch unbürokratisch. Nachdem die Kinder langsam Richtung Schule gingen, habe ich mir dann überlegt, wieder zu arbeiten. Ich habe das Glück, dass ich nicht arbeiten muss. Deswegen habe ich mich dafür entschieden zu sagen, ich arbeite zwar, aber ich arbeite eh- renamtlich. Und somit bin ich in diese Ämter „reingerutscht“ und habe mich immer mehr engagiert. Ich war in der Schule tätig, bin jetzt mit meiner Kollegin und Freundin Abteilungs- leiterin im Handball und in der Sportschule Via Nova im Vorstand. Dann bin ich noch im Stadt- verband für Sport als Beisitzerin im Vorstand. Ich betrachte das als Lebensinhalt nebst den Kindern. Es füllt mich aus, ich habe es auch immer gerne gemacht! Wenn Sie mich fragen: Was vermissen Sie hier in Kornwestheim? Dann muss ich sagen: die Berge. Ich habe sie in der Ostschweiz immer vor der Haustür gehabt. Aber ansonsten ist mittlerweile Deutschland meine Heimat. Ich Ich wünscheh mir fühle mich als Kornwestheimerin. nem selber gut geht, sondern über den Teller- Ausländerin. Ich fühle mich ein bisschen mehr rand hinweg schauen. Ob es Flüchtlinge oder absolut dazugehörig und au- Toleranz... Nicht nur WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR MICH Umbauten sind, dass man einfach das Ganze ßer, dass ich, wenn ich den Integration ist für mich, akzeptiert zu werden. sieht und nicht immer nur das Eigene. Das ist Pass verlängern muss, ins an sich selber den- Als gleichwertig anerkannt zu werden. Ich bin für mich das Optimale. italienische Konsulat gehen ken, dass es einem integriert, wenn ich mich wohlfühle. Ich habe immer positive Erfahrungen ge- muss, habe ich jetzt in dem selber gut geht, Manchmal sehe ich ein wenig Verbitterung bei macht, auch wenn ich auf die Ämter musste. Sinn auch keine Nachteile. den Menschen hier. Ich wünsche mir ein biss- Ich bin ja nach wie vor eine Ausländerin, denn Außerdem darf ich kommunal sondern über den chen mehr Toleranz, egal in welche Richtung. ich habe keinen deutschen Pass, nur den ita- abstimmen. Und weil das für Tellerrand hinweg Nicht nur an sich selber denken, dass es ei- lienischen. Aber ich fühle mich hier nicht als mich wichtig ist, mache ich da mit. schauen.“

15 CLAUDIO ZUNIGA ARROYO Als selbstständiger Elektroingenieur kann Claudio Zuniga Arroyo auf der ganzen Für mich bedeutet Welt arbeiten. Dennoch hat sich die Familie aus Costa Rica für Deutschland und Integration: Respekt, Kornwestheim entschieden. Und warum? Wegen der Wirtschaft, der Musik, dem Kommunikation und Bildungssystem – und weil jemand auf dem Rathaus sagte: Willkommen! einander verstehen zu lernen. In Korn- westheim fühle ich

VON ZENTRALAMERIKA NACH SPANIEN Er ist ein Katalane! Auch unsere Tochter hat hätte ich nicht in Spanien mich angekommen.“ klang in Ich bin in Costa Ricas Hauptstadt geboren, in im Kindergarten Katalanisch gesprochen. Die machen können. Entschei- meinem San Jose. In Costa Rica leben 5,5 Mio. Men- Leute in unserem kleinen Ort sprechen nur dend für uns war vor allem die Kopf und ich schen. Dort bin ich auch zur Schule gegangen Katalan. Perspektive für unsere Kinder: in dachte: Ok, wir und habe dann mit 17 ein Studium an der Wir sind nach Spanien gezogen, weil wir Deutschland ein Studium zu machen und sind willkommen hier. Universität begonnen. Ich bin Elektroninge- einen Maestro, einen Meistersänger gefunden Spanisch, Englisch und Deutsch zu lernen, Das erscheint vielleicht komisch. Aber dann nieur von Beruf. Mit 21 habe ich ein zweites haben, bei dem wir für 3 Jahre Privatunterricht das ist sehr gut. Das fi nde ich sehr wichtig für haben wir uns über Kornwestheim informiert: Studium begonnen, das der Musik. Ich singe, hatten. Meine Frau ist auch Sängerin – und ihre Zukunft. Es gibt eine Musikschule für die Kinder – mei- ich bin Tenor. Zu der Zeit habe ich aber schon auch Elektroingenieurin! Es gibt viele Elektro- ne Tochter lernt Violoncello – , die Musikschule gearbeitet. Nach zwölf Jahren haben wir dann ingenieure, die Musiker sind. Ich fi nde, Musik VON SPANIEN NACH DEUTSCHLAND ist nicht weit weg und auch die Grundschule – Costa Rica verlassen. Das war 2010, ich war ist wie Mathematik. In Barcelona hoffte ich, Die Entscheidung zum Umzug nach Deutsch- alles positiv für uns. 34 Jahre alt. Weil meine Frau Spanierin ist, tra- auch etwas zu fi nden, wo es möglich ist zu land kam im August 2013. Wir haben einen fen wir damals die Entscheidung, in Spanien singen. guten Freund in Bad Cannstatt, der seit acht Ich habe damals schon in Costa Rica einen zu leben. Wir haben in der Nähe von Barcelo- Jahren im Chor der Oper Stuttgart singt. Des- Deutschkurs gemacht. Für einen Sänger ist na gewohnt, etwa 60 km entfernt in einer sehr Seitdem wir in Europa angekommen sind, bin halb wollten wir uns eine Wohnung in der Nähe Deutsch eine wichtige Sprache für die Oper. kleinen Stadt, noch 200 km bis zur französi- ich selbstständig. Meine Arbeitgeber sind ame- suchen. Wir hatten keine Idee wo – ob in Bad Viele Opern sind auf Deutsch. Meine Frau und schen Grenze. Es war sehr schön, direkt am rikanische Firmen, ich bin Berater. Früher bin Cannstatt oder Ludwigsburg. Rein zufällig ha- ich können nicht gut sprechen, aber vielleicht Strand, wir waren sehr zufrieden dort. ich viel gereist, im Moment arbeite ich meis- ben wir hier bei der Ausländerbehörde nachge- ein bisschen lesen. tens von zu Hause aus als Kundenbetreuer. fragt, welche Dokumente wir benötigen. Für uns war es nicht so fremd wie z.B. Chi- Meine Tochter ist in Costa Rica geboren und Für mich ist es ganz egal, wo ich lebe, ob in nesisch oder Russisch. Für unsere Tochter war 2, als wir nach Spanien umgezogen sind. Spanien oder Deutschland. Allerdings waren Die Leute dort waren sehr freundlich und ha- haben wir in Barcelona eine deutsche Dame Und mit 6 Jahren nach Kornwestheim. Mein die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten in ben mit uns Englisch gesprochen. Das fand ich gefunden, die sie mündlich ein bisschen vor- Sohn ist noch in Spanien zur Welt gekommen. Spanien nicht so gut. Eine fl exible Stelle, das gut! Sie sagten zu uns: willkommen! Und etwas bereitet hat.

16 EIN LEBEN IN KORNWESTHEIM kennenlernen. Jetzt haben wir gute Freun- Zunächst war es schwierig, in Kornwestheim de in Kornwestheim. anzukommen, wegen der Sprache. Normaler- weise versucht man, einander zu verstehen, INTEGRATION IN KORNWESTHEIM aber ohne gute Sprachkenntnisse ist das sehr Es wäre schön, wenn es z.B. bei der Aus- kompliziert. Für uns war das ein seltsames Ge- länderbehörde im Rathaus eine Person fühl: alles fremd. Zum Beispiel, als wir unsere mit einem Anstecker gäbe: Ich spreche Tochter in der 1. Klasse angemeldet haben. Englisch. Das würde helfen, das fände Dann kam der erste Elternabend, da habe ich ich für das Ankommen wichtig. Normaler- kein Wort verstanden. Zwei Stunden saß ich weise haben wir Angst zu sprechen oder da, ohne etwas mitzubekommen. Es gab ein eine Frage nicht zu verstehen. Natürlich paar Leute, die konnten Englisch sprechen, ist klar: Wir müssen Deutsch lernen, aber das war gut. Wir haben dann versucht, schnell am Anfang wäre das eine große Hilfe. Im die Sprache zu lernen und die B1-Prüfung ab- Rathaus könnte man sich ausweisen: Ich zulegen. spreche Englisch, ich kann Türkisch, ich Das deutsche Schulsystem fi nde ich aus- kann Spanisch… gezeichnet. Das war für uns wie ein Traum! Informationen für die Wohnungssuche Die erste Lehrerin meiner Tochter spricht Spa- oder über Sport- und Musikvereine habe nisch. Das hat ihr am Anfang sehr geholfen. ich alle allein im Internet herausgesucht. Und auch im Kindergarten! Die Menschen dort Es gibt ja viele Amerikaner in Stuttgart und verstehen, dass wir Ausländer sind, sie suchen daher viele Websites mit Informationen auf eine gemeinsame Basis und erklären alles, Englisch. was sie machen, sehr gut. In Deutschland ist Für mich bedeutet Integration: Respekt, alles geregelt. Das fi nde ich positiv, das macht Kommunikation und einander verstehen es für uns einfacher. Ich mag nicht alle Regeln, zu lernen. In Kornwestheim fühle ich mich aber dafür weiß man, was zu tun ist und man angekommen. Da, wo ich wohne, ist meine hat weniger Überraschungen. Heimat. Heimat ist für mich da, wo meine Freunde zu fi nden geht nicht so schnell, Familie ist. Heimweh oder manche Dinge da ich ohne direkten Kontakt zu Kollegen von zu vermissen – für mich ist das nicht wich- zuhause aus arbeite. Aber so war es auch in tig. Hier in Deutschland fi nde ich alles, was Spanien. Über die Schule kann man Leute ich brauche.

17 TILDA GEORGE UND RALF GRÖMMINGER Tilda George stammt aus Georgien, Ralf Grömminger aus dem Saarland. Beide lernten sich in Berlin kennen. Die Leiden- schaft für ihre Arbeit – Tilda George ist Künstlerin und Ralf Grömminger Fotograf – brachte sie 2005 nach Kornwestheim. Von hier aus verfolgen sie Projekte in Deutschland und Europa: „Eigentlich ist Kornwestheim eine Basis geworden.“

DIE HEIMAT VERLASSEN: DIE HEIMAT VERLASSEN: deutet, dass Berlin als wirtschaftliches Umfeld Großregion eingebunden ist und so war die FÜR EINEN NEUANFANG FÜR DEN BERUF für die Fotografi e in meinem Bereich Industrie- Location passend. Tilda George: Als ich aus Georgien wegging, Ralf Grömminger: Ich bin gebürtig aus Ne- und Unternehmenskommunikation keine guten hatten wir die ganze Palette von Unruhen und unkirchen im Saarland. Ende der 80er Jahre Zukunftsperspektiven hat. Und wir haben dann UNSER LEBEN IN KORNWESTHEIM Kriegen. Das waren richtig schwere Lebens- hatten wir dort Arbeitslosigkeiten in Größen- auch Nachwuchs bekommen. Da kam so lang- Tilda George: Weil wir eigentlich zum Arbeiten zustände. Es ging gar nicht mehr! Da waren ordnungen von 20 bis 30 Prozent. Als Werbe- sam der Gedanke auf, dass ich noch einmal gekommen sind, waren wir hier auf die Arbeit politische Unruhen, Unklarheiten, alle haben fotograf bin ich natürlich von Kunden abhängig ein größeres Studio übernehme – in einem konzentriert. Dadurch waren wir schnell wieder das mitbekommen und entsprechend war auch und da war die mittelfristige berufl iche Pers- wirtschaftlich stärkeren Umfeld. drin, sprich in der Arbeit. Uns geht’s gut hier. das Leben. Das einzige, was immer gehalten pektive einfach nicht gut. Deswegen kam der Wir haben gute Freunde und tolle Nachbarn. hat, das waren Freunde und Familie. Ich bin in Entschluss, dort wegzugehen. Dafür kam letzt- Ich gab in einem Fachmagazin für Fotografi e Wir haben eine gute Musikschule für unsere einer deutschen Stadt aufgewachsen, für mich endlich nur eine Metropole infrage – Hamburg, eine Anzeige auf. Genau neben dieser Anzei- Tochter. Im Haus ist alles wunderbar, wir bli- ist ein Fachwerkhaus eigentlich wie zu Hause. München, Frankfurt oder Berlin. ge war die Verkaufsanzeige dieses Objekts, in cken ins Grüne. Als Standort für die Firma ist Meine letzte Arbeitsstelle in Georgien war beim dem wir heute leben und arbeiten. Dann ging Kornwestheim natürlich perfekt. Als Künstler Fernsehen, ich habe als Regisseurin für Kin- UNSERE REISE IN UNSER NEUES LEBEN alles schnell: Wir haben die Übernahme vorbe- werden wir hier sehr gut unterstützt. Nur der dersendungen gearbeitet. Tilda George: Ich bin mit zwei Kindern nach reitet und auf die Finanzierungszusage gewar- Dialekt ist hier noch schwierig für mich. Ich Deutschland gezogen. Meine Familie war um tet. Über den Jahreswechsel 2004/2005 saßen kann immer noch schwer telefonieren. Wenn Für Deutschland hatte ich die Hoffnung, ein- die Zeit schon überall verstreut. Ich bin nach wir in Berlin auf gepackten Koffern. Im Februar ich Menschen vor mir habe, dann kann ich die fach Ruhe zu bekommen. Ruhe zu bekommen Berlin gekommen, Ralf ist nach Berlin gekom- waren wir hier. Wörter entziffern. Aber am Telefon ist es nach und keine Angst zu haben, dass jemand im men und zufällig sind wir in einer Firma gelan- wie vor schwer für mich. Schlaf meine Kinder erschießt. Hoffnung, dass det. Dort haben wir uns dann auch kennen- Als wir zum ersten Mal nach Kornwestheim Was mich positiv überrascht hat, das war die Kinder ganz ruhig zur Schule gehen kön- und lieben gelernt. kamen, war das ein bisschen überraschend, die Ausländerbehörde in Kornwestheim. Das nen. Dass man ganz in Ruhe arbeiten kann. dass man innerhalb von fünf Minuten mit dem ist wirklich ein Paradies. Sie kommen rein, In Deutschland war das möglich, ich bin dem Ralf Grömminger: Nach Kornwestheim zogen Auto die Stadt durchquert hat. Aber wir haben kriegen ein Wartesignal und warten selten län- Land dafür sehr dankbar. wir aus berufl ichen Gründen. Es hat sich ange- gesehen, dass Kornwestheim schön in die ger als eine Viertelstunde. Dann werden sie

18 mit absolut kompetentem Personal versorgt. Aber ich wünsche mir bessere öffentliche Ver- kehrsverbindungen. Einfach ausbauen, weil wir gerade am Wochenende auf das Auto an- gewiesen sind und das fi nde ich nicht schön.

Ralf Grömminger: Das ist natürlich so ein stückweit auch wieder nach Hause kommen, also in den Südwesten. Ich hatte allerdings in den ersten Jahren, als wir hier waren, noch sehr viel in Berlin zu tun. Und beim Zurück- kommen nach Berlin habe ich gemerkt, dass dieses Zuhause-Gefühl dort nicht entstanden ist. Schade ist, dass es lange gedauert hat, bis Uns geht’s gut hier. ein intensiverer Kontakt zu „Einheimischen“ cke könnte man den Zusammenschluss der Tilda George: Beide Seiten sind ge- Wir haben gute entstanden ist. Das braucht in der Anfangs- städtischen Einzelspots lösen. Irgendwie so, fordert. „Fremd“ ist immer erst einmal Freunde und tolle phase hier länger als anderswo. Wenn die dass Kornwestheim oberirdisch eine Chance „nicht bekannt“ und dann ist man viel- Nachbarn. Wir Kontakte da sind, sind sie aber verlässlicher, hat zusammenzuwachsen. leicht ein bisschen vorsichtig. Aber das muss man sagen. Jetzt sind wir gerade meine Erfahrung ist, dass es nach der haben eine gute sehr intensiv hier, mit 100% und werden das WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR UNS Beobachtungsphase immer schnell zu- Musikschule für sicherlich noch eine Weile sein. Ralf Grömminger: Was ich entscheidend fi nde, ist sammengeht. Oft schaut man erst mal, wie unsere Tochter...“ Ein Problem sehe ich in der Fragmentie- die Bildung für die Kinder: über Sprachunterricht das ist, was das für Leute sind und so weiter. rung der Stadt. Es gibt Zentren hier, Zentren und entsprechende Förderung einzugreifen. Und Aber wenn man merkt: Okay, die sind hier und da. Durch eine Unterkellerung der Bahnstre- da, fi nde ich, wird zu wenig gemacht. die wollen hier sein, dann geht es schneller.

19 MANFRED KRESSE ... ist 77 Jahre alt. Mit 8 Jahren ist er nach Deutschland gekommen, seit 1957 lebt er in Kornwestheim. Nach der Flucht damals war er nun wieder in Oppeln. Doch zu Hause ist für ihn hier, wo seine Familie ist und wo er seinen Sport und das Allgäu in der Nähe hat.

DIE HEIMAT VERLASSEN MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN sind mit den Bauern auf die Felder zur Kartof- Jahr gearbeitet und auf gut Zureden meiner Ich bin 1938 in Oppeln, Oberschlesien gebo- Von dem Onkel im Riesengebirge sind wir felernte und haben Kartoffelkäfer gesammelt Tante schickte sie mich 1957 nach Kornwest- ren. Ostern 1944 bin ich in die Schule gekom- dann mit dem Zug weiter nach Pilsen. Dort und für ein paar Pfennige verkauft. Dort habe heim zu einem Bruder meiner Mutter und seit- men und am 15.01.1945 mussten wir Oppeln wurden wir eine Zeitlang in eine Schule ge- ich dann meine Schulzeit verbracht und meine dem bin ich da. verlassen. Das ist ja nachher polnisch gewor- steckt, mussten dann aber weiterlaufen in ein Schneiderlehre gemacht bis 1954. den. Hitler ist da einmarschiert und die haben Lager. Wir wurden von SS Leuten geschnappt MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM sich noch nicht einmal gewehrt und die ganzen und in ein Lager nach Amberg bei Nürnberg Mein Bruder ist zu der Zeit ums Leben ge- Ich hab erst bei Salamander als Stepper gear- Juden, die dort waren, alles wurde vernichtet. gebracht. kommen. Bei der Volksarmee haben die einen beitet und dann 10 Jahre als Textilkaufmann bei Wir hatten Glück, dass wir nicht auch in so ei- Dort lebten wir in einem Pferdestall bis uns Sprengkörper gefunden und dran rumgebastelt Tuchhaus Scheid. Ich habe geheiratet und 2 nen Wagen reingekommen sind. die Amis befreit haben. Da hatte meine Mutter und sind alle fünfe in die Luft gefl ogen. Deswe- Töchter bekommen und habe mit 28 noch eine Glück, weil sie 5 Kinder bei sich hatte, sonst gen habe ich damals die DDR auch verlassen, Lehre bei der Stuttgarter Bank gemacht. Dort Ich kann mich noch erinnern, dass es anfi ng wäre sie erschossen worden, weil sie eine weil die gesagt haben, dass wäre Spionage habe ich 34 Jahre gearbeitet, bis zum Rentenal- und wir alles zusammenpacken mussten und Schere bei sich behalten hat, obwohl man das vom Westen gewesen. So einen verlogenen ter. Ich habe es nie bereut, hergekommen zu sein. dann los mit dem Handwägele vom Opa. Der alles abgeben musste. Die Amis haben uns Staat wollte ich nicht und bin dann weg. Das Trotzdem waren wir die Zigeuner und die Flücht- war Bäckermeister und hat etliches mitnehmen dann mitgenommen und wir sind weiter mit hatte ich sowieso schon vor. linge. In Thüringen haben die Leute fast die Türen wollen. Mein Vater war Schneider gewesen in dem Zug im Waggon, also einem Viehwaggon. 1956 am 25.12. morgens 2.30 Uhr bin ich abgeschlossen. Meine Schwester, die schon im Oppeln und meine Mutter war die Tochter des Wir waren fast 14 Tage unterwegs Richtung zum Bahnhof nach Gotha gelaufen, auch mit Beruf war, hat da, glaube ich, mehr mitgemacht Bäcker Lorenz. Thüringen. Da sind wir im Herbst 1946 ange- 30 cm Schnee, und bin nach Wiesbaden zu als ich in der Schule. Meiner jetzigen Frau, die kommen. Unser Ziel war eine Tante in Gotha. meiner Tante. Es war mein Glück, dass ich ist in Karlsbad in Tschechien geboren, der ging Auf unserer Flucht sind wir 25 km pro Tag schon 18 und volljährig war, sonst hätte ich es auch so. Wir haben viele Jahre auch erleben gelaufen bei 2 Meter hohem Schnee. Es war ERSTE STATION: THÜRINGEN nicht aus der DDR weggehen dürfen. Dort in müssen, dass wir Flüchtlinge sind. Wir waren erst ja Januar. Zuerst sind wir nach Landeshut im Und dann sind wir in Gotha zu fremden Leu- Wiesbaden hatte ich meinen ersten Schneider- nicht mehr der Flüchtling, als wir dann im Beruf Riesengebirge zu einem Onkel. ten gekommen, weil wir hatten ja nichts. Wir beruf. Da habe ich noch nicht mal ein halbes drin waren. Der Deutsche ist so, wie er ist. Warum

20 Wir haben viele Jahre auch erleben müssen, dass wir Flüchtlinge sind. Wir waren erst nicht mehr der Flüchtling, als wir dann im Beruf drin waren.“

weiß man nicht, jeder will was sein. Deswegen haben wir, oder viele, Schwierigkeiten mit den Flüchtlingen. Wir haben natürlich eine sehr, sehr schöne Heimat verlassen müssen. Ich war letztes Jahr mit meiner Tochter in Oppeln. Aber Kornwestheim ist eine sehr zentral gelegene Ecke. Man ist schnell in Stuttgart, im Süden, im Allgäu und schnell im Badischen. Und hier sind keine Kaufhäuser son- dern kleine Läden. In Kornwestheim gibt es auch viel Sport. Ich hab immer viel Sport gemacht. Ich war in sämt- lichen Vereinen: Handball, Fußball, Kegeln, alles was man sich vorstellen kann. Ich bin immer viel Rad gefahren.

21 HASAN MEŠANOVIĆ ... ist 68 Jahre alt und kam 1970 aus dem ehemaligen Jugoslawien (heute Bosnien und Herzegowina) nach Kornwestheim. Obwohl er am Anfang plante, wieder nach Jugoslawien zurückzukehren, wohnt er bis heute in Kornwestheim: „Krieg ist immer schlecht, überall.“ Kornwestheim ist jetzt wie seine zweite Heimat. Für ihn ist klar: „Wir müssen alle zusammenleben. Uns miteinander verstehen.“

DIE HEIMAT VERLASSEN, schnell die Arbeitserlaubnis und einen Ein- ja viele jugoslawische Leute, da kannst du besonders als die in den Kindergarten und die UM ARBEIT ZU FINDEN Jahres-Vertrag bekommen. Dann sind wir nicht viel Deutsch lernen. Aber nach ein oder Schule gekommen sind. Wir hatten auch Be- Wir waren acht Geschwister in der Fami- gruppenweise nach Deutschland gekommen. zwei Monaten ging es. Wenn du weißt, du kannte hier. Rund um Kornwestheim habe ich lie, drei Schwestern und vier Brüder. Ich war brauchst einen Arbeitsplatz, dann kämpfst du in verschiedenen Firmen gearbeitet. Manch- der jüngste und habe eine Ausbildung zum MEINE REISE IN MEIN NEUES LEBEN eben. Nach zwei Jahren habe ich meine Frau mal 10 Stunden am Tag und danach musste Schlosser gemacht und dann ein Jahr Wehr- Als ich eine Arbeitserlaubnis für Deutschland geheiratet. Nach Jugoslawien bin ich immer ich die Kinder von der Schule abholen und dienst abgeleistet. Als ich mit dem Wehrdienst hatte, musste ich erst wie ein Soldat eine Un- in den Urlaub gegangen. Wir haben uns dort zur Folklore oder zum Sport bringen. Das war fertig war, habe ich Arbeit gesucht, aber nichts tersuchung machen und so durchgesucht kam kennengelernt und langsam habe ich sie mit schwer. Ich habe hier aber mehr verdient. So gefunden. Da musste ich kämpfen, um Arbeit ich mit dem Zug nach Deutschland. Ich bin in nach Deutschland genommen. Eigentlich habe konnte ich meinen Eltern und Verwandten viel zu bekommen. Immer wurde uns gesagt: „Du München angekommen und da wurden wir alle ich gedacht: „89 willst du zurück, ich kann helfen, als es ihnen schlecht ging. musst Mitglied der Kommunistischen Partei verteilt. Uns wurde gesagt: „Richtung Stuttgart, dann wieder nach Jugoslawien.“ In Srebrenica Ich war bis vor wenigen Jahren sehr enga- sein.“ Wenn man Mitglied in der Partei war, da kommen welche, welche dort.“ haben wir auch ein Haus gebaut. Aber dann giert. Im ehemaligen Jugoslawischen Verein, wurde man vorgezogen. So hat man besser Ich bin hier zuerst hergekommen, ohne kam der Krieg und hat alles noch mehr kaputt Bosnischen Verein und beim Ausländertreff. einen Arbeitsplatz bekommen. Aber damals verheiratet zu sein. Ohne Familie. Besonders gemacht. Deshalb bin ich in Deutschland ge- Wegen den Kindern und wegen uns. Ich wollte, musste man bezahlen, um Mitglied zu werden. für meine Mutter war das schwer. Sie hat viel blieben. dass wir nicht nur zu Hause sind, sondern mit Das waren mehr wie 100 Mark für ein Mitglied. geweint. Ich war nur wegen der Arbeit hier. Da Leuten draußen sprechen und miteinander le- Da habe ich gesagt: „Ich kann das nicht bezah- habe ich nicht viel erwartet. Ich kam zum Ar- MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM ben. Ich machte das deswegen und auch, um len. Ich bin ein junger Mann. Ich brauche Geld. beiten und nicht zum Spaß, also habe ich am In Kornwestheim war es ruhig und gut. Es ist die bosnische Kultur ein Stückweit hierher zu Bezahlen – als Mitglied, was ist denn das?“ ersten oder zweiten Tag gleich gearbeitet. Ich eine kleine Stadt, das gefällt mir besser als holen. Das liegt daran: Ich wurde dort geboren, Man sagte mir: „Ansonsten bekommst du kei- habe viele Kollegen getroffen, aber das waren eine große. In einer kleinen Stadt will ich im- wo viele Leute zusammenleben und reden. Wir nen Pass und kannst nicht nach Deutschland auch ehemalige Jugoslawen. mer bleiben. Und ich habe mich menschlich waren immer zusammen im Verein, als die Kin- gehen.“ Deshalb bin ich in eine andere Stadt Die ersten paar Tage waren schwer. Ich gut aufgenommen gefühlt. Wir sind aus vielen der in die Jugoslawische Schule und später in gegangen. Dort habe ich einen Pass bekom- konnte kein Deutsch sprechen und habe es Gründen in Kornwestheim geblieben: Wegen den gleichen Räumen in die Bosnische Schule men. Über das deutsche Arbeitsamt habe ich auch nicht verstanden. In der Firma gab es der Heirat und weil wir die Kinder hier hatten, gegangen sind.

22 Ich wollte, dass sie ihre Muttersprache lernen, dass sie sie nicht vergessen. Die bosnische Sprache. Einmal in der Kriegszeit 1992, da haben wir mit der Stadt Kornwestheim gemein- sam humanitäre Hilfe organisiert. Wir haben Hilfspakete von Kindern und Schülern aus der Region Ludwigsburg gesammelt und mit LKWs für Kinder, die im Krieg waren, nach Bosnien geschickt. Ich wünsche mir ein bisschen mehr Verei- ne. Dass das besser wird, dass sie mehr ge- fördert werden. Früher haben wir offener ge- lebt. Alle waren draußen. Alle konnten sehen, wo die Kinder liefen, was die Kinder gemacht haben und mit wem sie gespielt haben. Das ist Ja – da ist mein Herz, meine Heimat. Korn- ne Integration. Es ist ein Geben und Es ist ein jetzt nicht mehr so und das ist nicht nur beim westheim ist wie eine zweite Heimat kann man Nehmen. Wenn ein Mensch denkt, Geben und Nehmen. ausländischen Verein, bei deutschen Vereinen sagen. Manchmal, wenn ich lange in Bosnien dass der andere genauso ein Wenn ein Mensch auch. Jetzt sind viele wegen der Geldspare- bin, dann vermisse ich Kornwestheim. Mensch ist, gibt es keine Proble- rei kaputt. Es ist besser, wenn sie wie früher me. Wenn einer denkt, ich bin mehr denkt, dass der zusammen sind. Da trifft man sich mehr, lernt WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR MICH wert und der andere ist schlecht, andere genauso ein mehr von den anderen. Das mit dem Zusammensein, das ist Integrati- dann gibt es Probleme. Wir müssen Mensch ist, gibt es Nach Bosnien gehe ich noch immer in den on: Wenn Leute zusammenleben, miteinander. alle zusammenleben. Uns miteinan- keine Probleme.“ Urlaub. Manchmal waren wir sechs bis sieben Aber wenn einer sich in seinem Haus versteckt der verstehen. Auch Arbeit mit deut- Wochen dort und ich will immer wieder. und der andere im anderen Haus, das ist kei- schen Vereinen ist Integration.

23 RAMI ALKUZBARI ... ist 25 Jahre alt und stammt aus Syrien. Wegen des Krieges musste er seine Heimat verlassen. Nach einer gefährlichen Reise lebt er nun seit zwei Jahren in Kornwestheim, wo auch ein Teil der Familie lebt. „Meine Familie in Kornwestheim hat mir geholfen, das ist sehr gut. Aber meine eigene Familie ist nicht hier, das ist schwer für mich.“

VERLASSEN DER HEIMAT mehr und ich wäre tot. Wir waren eine Grup- raucht. Und dann kommt eine Person und sagt: alte Männer mit einer Gruppe von Ausländern In meiner Heimat ist seit fünf Jahren Krieg. pe von 235 Personen auf einem Schiff von „Das ist verboten!“ Und ich habe es nicht ver- Deutsch lernen, das ist sehr, sehr gut. Ich habe Ich hatte ein kleines Restaurant in Damaskus, 33 Metern. Wir haben einen Helikopter gese- standen. Dann kamen noch zwei, drei Per- hier in Deutschland gesehen, die Menschen das ist verbrannt. Es war ein gemietetes Res- hen, haben gelacht und gewunken. Nach zwei sonen und sagen: „Das ist verboten, das ist sind nett und die Politik ist auch sehr gut. taurant in dem ich arabisches Essen verkauft Stunden kamen fünf große Schiffe aus Italien. verboten.“ Dann habe ich verstanden, es ist Wenn ich in Syrien ein Polizeiauto gesehen habe und Pizza. Dann bin ich nach Ägypten Sie haben uns gerettet. nicht so gut, hier zu rauchen. Aber ich fi nde es habe, bin ich weggerannt. Hier hatte ich auch gefl ohen und war dort ein Jahr. Ich habe ge- Dann bin ich vier Tage in Italien geblieben sehr, sehr gut. Es ist für alle. An einem anderen Angst, aber die Polizei ist nett. dacht, dass ich nur ein Jahr bleibe und dann im Heim. Das war sehr, sehr gut. Dann bin ich Tag habe ich einen Jungen gesehen und er hat Ich mag an Kornwestheim die Natur und wieder zurück gehe. Ein Freund hat angerufen von Sizilien mit einem Taxi für 170 Dollar nach auch Shisha geraucht auf der Straße. Ich habe viele alte Straßen, das erinnert mich an mei- und gesagt: „Komm nach Alexandria, wir fah- Milan gefahren. Und von Milan nach Nizza in ihm gesagt, dass es verboten ist. ne Heimat. Ich habe gesehen, dass die Stadt ren mit dem Schiff nach Europa.“ Das war nicht Frankreich. In Straßburg hat mich die franzö- Kornwestheim viel arbeitet. Sie schneiden die lange vorher geplant, es war vielleicht sechs sische Polizei drei Stunden festgenommen. MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM Bäume und der Salamandergarten ist sehr Stunden vorher. Schon in Syrien war es mein Dann bin ich nach Karlsruhe und danach nach In den ersten Monaten habe ich mich oft in hübsch mit vielen Blumen. Traum, hierher zu kommen, da war ich erst 17, Mannheim, da habe ich zwei Monate gewohnt. den Salamandergarten gesetzt und war viel 18 Jahre alt. Dann bin ich nach Kornwestheim gegangen. im Schwimmbad zum Duschen. Die deutsche HABEN SIE SICH HIER IN Von Alexandria aus bin ich 13 Tage mit dem Die Tante hat mir eine SMS geschrieben mit Sprache ist schwer. Die ersten Monate habe KORNWESTHEIM VERÄNDERT? Schiff gefahren. 13 Tage habe ich nicht geges- der Adresse des Asylheims. ich nur Arabisch gesprochen. Nach sechs Mo- Ich habe mich verändert, seit ich meine Heimat sen und fünf Tage auch nicht getrunken. Der naten ist die Aufenthaltsgenehmigung gekom- verlassen habe. Aus Syrien bin ich sehr nervös Motor des Schiffes war kaputt und wir sind fünf WAS WAREN IHRE ERSTEN ERFAH- men. Dann hatte ich einen Termin in der Schu- gekommen. Ich habe eine Gruppe von Freun- Tage auf dem Meer geblieben bei Libyen. Ich RUNGEN IN KORNWESTHEIM? le und bin acht Monate in die Schule gegangen den und viele sind nervös. Mit 18 Jahren bin wusste, dass man nach fünf Tagen ohne Trin- Kurz nach meiner Ankunft habe ich gedacht, und habe gelernt. ich zweieinhalb Jahre ins Militär gegangen. Ich ken tot ist. Ich habe Meerwasser getrunken, es ich mache das gleiche wie in Syrien. Ich habe Ich war oft zum Lernen in der Bücherei. Sie war gerade sechs Monate fertig, als ein Brief ist sehr salzig, nicht gesund, nicht gut. Ein Tag eine Shisha auf die Straße gestellt und ge- ist groß und ich habe auch gesehen, dass dort vom Militär kam. Sie wollten, dass ich wieder

24 ins Militär gehe. Dann bin ich nach Ägypten ich habe es vergessen.“ Es ist schwer zu gefl ohen. Als ich 18 Jahre alt war, war ich nicht lernen und zu wissen, dass es meiner Fa- nervös. Ich war dann zwei Jahre beim Militär milie nicht gut geht. und dort wird man jeden Tag geschlagen. Von 24 Uhr bis 3 Uhr haben sie mich mit Kabeln auf die Schultern und Knie geschlagen und kaltes Wasser auf meinen Kopf und Rücken geschüttet.

MEIN LEBEN ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND SYRIEN Ich habe über das Internet Kontakt zu meiner Ich mag an Familie. Ich rufe jeden Tag 15 Minuten an und Kornwestheim die meine Mutter fragt immer: „Was hast du heu- Natur und viele te gegessen? Bist du Zuhause?“ Sie möchte, dass ich um 20 Uhr Zuhause bin. Im Deutsch- alte Straßen, das kurs hat die Lehrerin etwas auf Deutsch ge- erinnert mich an sprochen und mein Kopf denkt an Syrien, was meine Heimat.“ meine Mutter und mein Vater machen, ob sie Strom haben. Es ist schwer, Essen zu kaufen, weil es jetzt sehr teuer ist. Und die Lehrerin: „Hey, Rami! Was denkst du?“ Ich weiß nicht über was sie gesprochen hat und sage: „Äh…

25 AMIRA UND IYAD BAYATNEH Sicherheit und Frieden haben die Palästinenser Amira und Iyad Bayatneh seit einem Jahr in Deutschland gefunden. Während ihrer Hochzeitsreise entschließen sie sich Überall gibt es gute über Nacht, nach Frankfurt zu reisen und zu bleiben. Was sie sich wünschen? und schlechte Leu- Eine Zukunft jenseits von Konfl ikten. te, in meinem Land und hier: Menschen müssen sich gegen-

LEBEN MIT DER ANGST und man kann nicht zur Arbeit gehen, man Iyad hat auch viele un- seitig respektieren.“ zember Amira: Ich bin in der Nähe von Hebron ge- dreht um und muss wieder nach Hause. In terschiedliche Jobs ge- konnten wir boren. Das liegt zwei Stunden von Ramallah einer geteilten Stadt zu leben ist hart: manch- macht. ein Visum für entfernt, wo wir zuletzt gelebt haben. Mein Va- mal ist alles normal, und eine Stunde später Spanien bekom- ter ist vor einem Jahr gestorben, ich habe vier wird gekämpft. Einmal hat mein kleiner Bruder Kennengelernt haben wir uns in Ra- men. In Madrid haben Schwestern und einen Bruder. Hebron, wo ich draußen auf der Straße mit anderen Kindern mallah. Ich musste für eine Firma von Hebron wir einen Freund von Iyad aufgewachsen bin, ist sehr groß. Ich bin zwölf gespielt. Plötzlich kamen Laster mit Soldaten dorthin umziehen wegen einer neuen Arbeit. getroffen, der sagte uns: Für eine gute Zu- Jahre zur Schule gegangen und Iyad elf. Mit und es wurde gefeuert, wie mit Bomben. Un- Nach einem Monat habe ich Iyad getroffen. So kunft müsst ihr nach Deutschland. Zwei Tage, 21 habe ich eine private Schule besucht, um sere Familie war verrückt vor Angst, meine hat es angefangen. Es ist schön, in Ramallah bevor unser Visum ablief, sind wir dann ein- Hairstylistin zu werden. Danach habe ich mich Mutter ist rausgerannt und hat meinen Bruder zu leben, aber auch anstrengend. Alles ist sehr fach mit zwei Koffern nach Frankfurt gefl ogen. noch zwei Jahre zur Kosmetikerin ausbilden gesucht. Wir wußten nicht, was mit ihm war. teuer. Ich hatte zwei Jobs: Von 8 Uhr bis 14 Wir wussten damals nichts von Deutschland, lassen. Iyad hat Informatik studiert, er kennt Nach vier Stunden war er immer noch nicht Uhr habe ich in einer Anwaltskanzlei gearbei- wir wollten einfach versuchen, hier ein neues sich mit Netzwerken aus. zurück. Ein Nachbar hatte ihn mit zu sich nach tet, und von 15 Uhr bis 20 Uhr in einer Firma, Leben anzufangen. Meine Mutter hat gesagt: Hause genommen. die physiotherapeutische Geräte verkauft. Mach, wie du denkst, aber Iyads Mutter möch- Das Leben in Palästina war sehr schwierig, te nur, dass er zurückkommt. besonders in Hebron. Der Alltag funktioniert In Palästina ist es auch sehr schwer, Beschäf- AUFBRUCH IN EINE NEUE ZUKUNFT nicht normal. Wenn man zur Arbeit oder zur tigung zu fi nden. Man nimmt jede Arbeit, die Iyad und ich haben dann schnell geheiratet, im Von Frankfurt aus sind wir nach Karlsruhe Schule geht, muss man immer Kontrollpunkte man bekommen kann. Ich habe das 4 Jahre September 2015. Zu ihm habe ich gesagt: Ich gefahren und haben dort Asyl beantragt. Zu- der Israelis passieren. Sie kontrollieren dann lang gemacht, nachdem ich mit der Schule möchte nicht in Palästina bleiben, ich möchte erst brachte man uns in ein Heim, wo wir drei deine Taschen, deinen Ausweis, alles. Wenn fertig war: um meine Ausbildung zu fi nanzie- in einem anderen Land leben. Aber ich hatte Monate geblieben sind. Iyad wurde sehr krank es ok ist, darf man durch, wenn nicht, muss ren und meine Mutter zu unterstützen. Meine keine Ahnung, dass es Deutschland sein wird. und musste operiert werden. Für uns war das man umkehren. Man hat die ganze Zeit Angst. Schwestern sind arbeitslos. Ich habe in einem Das hatten wir nicht geplant, das ist einfach eine schwierige Zeit. Mein erster Winter. Es Manchmal sind die Übergänge geschlossen Kleidergeschäft als Verkäuferin gearbeitet. so passiert. Für unsere Hochzeitsreise im De- war so kalt! Und die Leute sind anders.

26 Überall gibt es gute und schlechte Leute, in es auch montags und mittwochs einen meinem Land und hier: Menschen müssen sich Kurs. Jetzt darf ich in lernen, gegenseitig respektieren. Ich bin nicht kompli- darüber bin ich sehr glücklich! ziert, sondern offen für alles Neue. Ich habe keine Angst vor Abenteuern. Aber die Kultur Ich möchte gerne verstehen, was die unterscheidet sich. Und ich habe einfach nicht Menschen sagen. Vielleicht, wenn ich gewusst, wie die Dinge funktionieren. besser Deutsch spreche, kann ich in Kornwestheim Freunde fi nden. Das ist UNSER LEBEN IN KORNWESTHEIM eine Chance für uns und unser Leben Im April 2016 sind wir dann nach Kornwest- hier. Ich möchte hier arbeiten, mich als heim verlegt worden. Zwei Tage haben Iyad Friseurin verbessern. Mein Traum ist ein und ich erstmal unser Zimmer geputzt. Danach eigener Salon, eines Tages. Iyad besitzt sind wir ausgegangen: jeden Tag eine ande- einen LKW-Führerschein in Palästina. re Runde, um die Stadt kennenzulernen. Ich Vielleicht wird er Fernfahrer. Er hat keine mag Kornwestheim. Mein Lieblingsplatz ist der Angst vor harter Arbeit. Stadtgarten, er ist wunderschön. Dort gehe ich jeden Tag hin. In Palästina gibt es keine Parks, Meiner Mutter drehe ich kleine Videos die so sind wie dieser. von Kornwestheim und schicke sie ihr per Internet. Sie fi ndet Kornwestheim Mit den Papieren ist es kompliziert. Ich war vie- wunderbar! Sogar den Bahnhof habe ich le Male auf dem Ausländeramt und auch auf gefi lmt, so etwas hat meine Mutter noch dem Landratsamt. Ich kenne mich nicht aus, nie gesehen. ich weiß nicht, wo ich hin muss, niemand hilft mir. Es wäre schön, wenn es jemanden gäbe, Was mir noch einfällt über die Deut- der mit mir mitkommt und übersetzt. Auf dem schen? Man muss sehr pünktlich sein! Rathaus möchte niemand mit mir Englisch Und die Menschen hier helfen uns – sie sprechen. In Karlsruhe konnte ich nur ein biss- haben uns ein Zuhause gegeben. Wir chen Deutsch lernen, dort gab es ab und zu können ausgehen ohne Angst, egal um Deutschstunden. wieviel Uhr. Ich lebe in Kornwestheim Die deutsche Grammatik ist ganz fremd und fühle mich sicher. Das ist sehr wich- für mich, nicht wie Englisch. Hier im Heim gibt tig für mich.

27 BEHZAT UND MELIH EROĞLU Von Anatolien hat es Behzat Eroğlu zu einem erfolgreichen Unternehmer in Kornwestheim geschafft. Sein Sohn Melih, der in der Firma mitarbeitet, ist in Deutschland geboren und sieht sich zwischen zwei Welten. Vater und Sohn leben heute beide Kulturen, die türkische und deutsche. Kornwestheim ist für sie genauso eine Heimat.

DIE HEIMAT VERLASSEN er war in der ersten Generation, die nach markt mitnehmen, weil er die Sprache noch Melih Eroğlu: Auf der türkischen Seite gefällt Melih Eroğlu: Mein Vater ist in Candir aufge- Deutschland kam. nicht konnte. meinem Vater das Teilen: sowohl Gefühle als wachsen, das ist ein kleines Dorf in Anatolien. Behzat Eroğlu: Nach meiner Ankunft in Stutt- Behzat Eroğlu: Zum Teil war es eine Katastro- auch das Essen, alles wird geteilt. An der deut- Er war dort Vertretungslehrer für Mathematik gart habe ich drei Monate einen Sprachkurs phe, ich habe meine Frau gebraucht, um die schen Seite gefällt ihm aber die Disziplin, die und Geographie. Dann kam die Heirat mit mei- gemacht. Man hatte von 08:00 bis 13:00 Uhr Kasse aufzubekommen. Ich weiß auch nicht hat er auch in der berufl ichen Laufbahn ge- ner Mutter. Meine Mutter ist in der Türkei ge- Deutsch, an 5 Tagen. 1991 hat das für drei mehr, wie das damals funktionieren konnte braucht. boren, aber mit sieben Jahren nach Stuttgart Monate 800 DM gekostet, sehr viel Geld. Den und wie ich überhaupt auf die Idee kam, den Behzat Eroğlu: 1995 haben wir den Laden zu- gekommen. Die Familie meiner Mutter stammt Sprachkurs haben wir privat gesucht und be- Laden aufzumachen. Der Laden hieß „Cihan gemacht, wegen unseres ersten Urlaubs in der aus dem gleichen Dorf wie mein Vater. Meine zahlt. Market“. Es gab damals keine Konkurrenz für Türkei. Danach habe ich dann eine Anstellung Mutter hatte bereits eine Arbeit als Kassiererin. Melih Eroğlu: Die Eltern meiner Mutter hatten türkische Läden. Wir haben 1993 nicht viele im Großmarkt gefunden und dort 7 Jahre im Sie war bei der Hochzeit 21 Jahre alt. Die Fa- ein Zimmer frei, dort haben meine Eltern zuerst türkische Produkte angeboten, aber Obst und Export gearbeitet. milien haben sich bereits gekannt und meine gewohnt. Die ersten Monate war meine Mutter Gemüse hatten wir. Wir haben auch selbst Melih Eroğlu: Mein Vater wurde 2002 von der Eltern wurden sich vorgestellt. Mein Vater ist arbeiten und mein Vater zuhause. Diese Zeit Käse eingelegt und verkauft. Es war ein biss- Firma „Ülker“ als Vertriebspartner der Marke in 1991 nach der Hochzeit zu ihr gezogen. Aus- kam ihm sehr lang vor. Meine Mutter hat in ei- chen wie Feinkost. Baden-Württemberg kontaktiert. Im Großmarkt schlagegebend waren auch die besseren Ar- ner Bäckerei gearbeitet und ging sehr früh aus hatte sich herumgesprochen, dass er diszipli- beitsmöglichkeiten in Deutschland. dem Haus. Um 06:30 Uhr, jeden Tag. ANKOMMEN IN DEUTSCHLAND niert ist und gut arbeitet. Damals ging es noch Behzat Eroğlu: Ich habe zuerst in Schorndorf Melih Eroğlu: Mein Vater ist sehr geduldig, ihm um 40-50 Produkte, verschiedene Kekse. Die Behzat Eroğlu: Bei der Hochzeit war ich 24 gearbeitet und in Bietigheim. Danach habe ich fi el das Anpassen leicht. In Stuttgart Nord war kamen direkt aus der Türkei. Über die Arbeit Jahre alt. Ein Jahr lang habe ich gewusst, in Stuttgart Hallschlag einen kleinen türkischen es so, dass es viele Türken gab. Da war es im Großmarkt kannte mein Vater bereits alle dass wir nach Deutschland gehen würden. Laden aufgemacht. Nach einiger Zeit arbeitete natürlich einfacher. Kunden. Heute vertreiben wir über 500 Pro- Ohne Internet war es damals schwer, sich vor- ich dort allein, das hat lange und frühe Öff- Behzat Eroğlu: Es ist schön, eine zweite Kultur dukte. Die meisten Kunden sind türkisch, z. zubereiten: ich konnte kein Deutsch sprechen, nungszeiten bedeutet. zu kennen und daraus das Positive zu neh- B. türkische Läden. Nach dem Abitur bin ich Englisch konnte ich auch nur wenig. Melih Eroğlu: Am Anfang musste mein Vater men. Wir leben heute beide Kulturen, sowohl dann mit 20, 21 Jahren auch mit ins Geschäft Melih Eroğlu: Er hatte noch keine Erfahrung, meine Mutter zum Einkaufen auf dem Groß- die türkische als auch die deutsche. eingestiegen.

28 ARBEITEN IN KORNWESTHEIM Behzat Eroğlu: Am 1. Juli 2008 kamen wir dann hierher. Hier fand ich einen Lagerstandort. Die Lage ist optimal zur Autobahn, auch die Ver- bindung nach Stuttgart ist super. Melih Eroğlu: Die Familie lebt aber in Zuffen- hausen. Und ich wohne in . Behzat Eroğlu: Nach dem Kauf mussten wir am Lager einiges umbauen. Melih Eroğlu: Sonst hatten wir mit der Stadt nicht viel zu tun. Wir machen unsere Arbeit, wir haben nie Probleme gehabt mit der Stadt, haben nicht viel gebraucht, vielleicht bis auf die Schallschutzwand zur B27. Aber die Stadt an sich ist schön, vor allem das K. Mein Vater geht hier zur Bank, zur Post, zum Arzt. Er macht nichts in .

WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR UNS Melih Eroğlu: Integration ist immer ein Thema. Ich sehe das ja auch bei anderen Türken. Ein Es ist schön, schwieriges Thema. Bin ich zu 100% integ- siert, was ich als Ausländerfeindlichkeit be- gab, bin ich sehr geduldig und eine zweite Kultur riert? Ich denke nein. Sollte man sich integ- zeichnen könnte. Ich habe mich nie schlecht verständnisvoll geblieben. Es rieren? Zu 100% Ja. Was Integration für mich behandelt gefühlt. Ich habe aber den Eindruck, vermischen sich die Kulturen zu kennen und da- bedeutet: Ich habe zwei Kulturen. Es ist eine dass sich durch die politische Lage in der immer mehr. Es entsteht heute raus das Positive zu Identitätsfrage. Integration beginnt doch schon Türkei die Einstellung mancher Menschen zu eine neue Kultur: Die deutsche nehmen. Wir leben bei der Bildung, in der Grundschule. Die Inte- den Türken ändert. Aber bisher habe ich keine Kultur vermischt sich mit der heute beide Kultu- gration der Kinder hat auch mit den Eltern zu schlechten Erfahrungen gemacht und denke, türkischen und den Kulturen, die tun. Wenn die Eltern nur ein türkisches Umfeld ich werde sie auch nicht machen. auch neu in Deutschland sind. ren, sowohl die tür- haben, wird es für die Kinder schwerer. Behzat Eroğlu: Ich habe auch keine großen Und jede hat ihre eigene Schönheit kische als auch die In diesem Land ist mir noch nie etwas pas- Probleme gehabt. Wenn es kleinere Probleme und bringt sie mit hierher. deutsche.“

29 EKOUÉ VONOO Die Geschichten des Großvaters und ein katholischer Missionar haben bei Ekoué Vonoo schon früh die Liebe für Deutschland geweckt. Als er Togo verlässt, ist für ihn klar: Ich gehe nach Deutschland. Heute fährt er im Landkreis Ludwigsburg Bus und ist für seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft als belieb- tester Fahrer ausgezeichnet worden.

SEHNSUCHTSLAND DEUTSCHLAND nach der 12. Klasse hatte mein Vater kein Geld ALLTAG IN DEUTSCHLAND zum Januar 1993, wo sie uns nach Fellbach Ich komme aus Süd-Togo, aus Aneho. Schon mehr für die Schule, meine Eltern waren arm. Mit meinem ganzen Ersparten habe ich ein transferierten. Dort sind wir gut angekommen als Kind hatte ich einen Bezug zu Deutschland. Dann musste ich meine Ausbildung beginnen. Flugticket gekauft und bin 1992 ins Flugzeug und durften alle arbeiten. Ich bin jemand, ich Meine Großeltern haben Deutsch gesprochen! Ich bin Kältetechniker für Klimaanlagen. Im gestiegen. Man brauchte damals gar kein Vi- muss immer arbeiten. Und Sport machen! In Mein Opa hat, als ich fünf Jahre alt war, die Sommer sind es bei uns 36 Grad. sum. Ich kam an und es lag Schnee in Frank- Fellbach habe ich mit den Kindern Fußball trai- Kinder um sich versammelt und von Deutsch- Mein erster Arbeitgeber war eine deutsche furt! Das erste Mal, dass ich Schnee gesehen niert und selbst auch aktiv gespielt. Dadurch land erzählt. Ich weiß gar nicht, wie er dazu Firma, SEEE. Dort haben wir große Anlagen habe! Und dann stand ich am Flughafen, ohne habe ich viele Deutsche kennengelernt. Im kam. Vielleicht, weil Togo vor dem ersten gebaut, z.B. in Hotels. Mein Chef war ein Freunde, ohne Kontakte, ohne eine Ahnung, Sommer konnte ich schließlich als Heizungs- Weltkrieg eine deutsche Kolonie war. In Aneho Deutscher, und er war genauso, wie mein Opa wie man hier lebt. Ich habe erstmal in der Halle monteur Arbeit fi nden. Neun Jahre lang habe lebten damals viele Deutsche. Die Geschich- immer erzählt hat. Ein guter Chef, er hat uns einen Mann aus Ghana angesprochen und mir ich das gemacht, und immer gerne. Weil ich ten meines Großvaters waren immer positiv: in immer geholfen. Dann kam die Wirtschaftskri- Informationen geholt. Die haben mir geraten, alles richtig mache, akzeptieren mich die Kol- Deutschland ist man sehr fl eißig, man arbeitet se, die Regierung hat nicht mehr gezahlt. Die in Karlsruhe einen Asylantrag zu stellen. Drei legen und Kunden. viel, es ist gut, wenn man viel arbeitet, dann Firma bearbeitete damals Großprojekte für Monate bekam ich. Als erste Station sind wir Wegen meiner Arbeitserlaubnis, die stän- verdient man viel Geld… den Staat, und als kein Geld mehr kam, muss- nach Göppingen gebracht worden. Dort hatte dig verlängert werden musste, habe ich oft Noch eine weitere Person hat mich geprägt: ten sie uns entlassen. Ohne Arbeit musste ich ich viel Angst: Ich habe immer Schüsse gehört! die Firma wechseln müssen. Ich habe immer Meine Eltern waren damals in der katholischen mich selbstständig machen, damals war auch Bis ich merkte, dass hinter den Kasernen ein darum gekämpft, sofort eine neue Arbeit zu fi n- Kirche aktiv und in der Grundschule gab es ei- schon unsere Tochter auf der Welt. Ich habe Schießübungsplatz lag. den. Die Arbeit war das Wichtigste, von nichts nen deutschen Missionar, Anton Krug. Dieser Kühlschränke und Klimaanlagen repariert. Als kommt nichts. Deshalb hatte ich auch nie Zeit Missionar hat mich erzogen. Von der Mission das immer schwieriger wurde, entschied ich Nach ein paar Wochen ging es weiter nach für einen Deutschkurs: die Sprache habe ich in Kpeme wurden Gottesdienste überall ab- mich: Ich muss nach Deutschland. Mein Ge- Geißlingen. Das werde ich nie vergessen: mir allein bei der Arbeit und durch den Kon- gehalten, ich habe dabei mitgeholfen. Um die fühl und mein Herz waren immer für Deutsch- Die Stadt gab uns keine Erlaubnis, den Bus takt mit Freunden beigebracht. 2001 bekam zehn Jahre alt war ich. In der 10. Klasse wech- land. Alles hat mir Mut gegeben, dass ich hier- zu verlassen! Ich weiß nicht warum, aber wir ich endlich eine unbefristete Arbeitserlaubnis, selte ich dann auf die Schule nach Lomé, aber herkomme. Da war ich 31 Jahre alt. mussten wieder nach Göppingen zurück. Bis dann wurde es besser.

30 HEIMAT DEUTSCHLAND Ich liebe Deutschland, seit ich ein Kind bin. Weil ich damals viel Bus zur Arbeit fahren Deutschland ist für mich Heimat, schon seit 24 musste und immer gern vorn saß, hatte ich Jahren. Ich bin Deutscher geworden, schon irgendwann die Idee, selbst Busfahrer zu wer- lange. Ich war nie kriminell, habe immer gear- den. 2007 habe ich bei der LVL Ludwigsbur- beitet, lache immer. Ich mache nichts Unrech- ger Verkehrslinien angefangen. Ich fahre im tes, betrinke mich nicht. Arbeit ist mein Ziel. ganzen Landkreis, und auch in Kornwestheim. Mein Rat an alle Ausländer, die hierher- Die Menschen hier im Bus lieben mich sofort, kommen: Integriert euch! Lernt die Sprache, und ich liebe sie. Ich kenne fast alle Kinder habt Kontakt mit den Leuten. Geht in einen hier, alle haben Respekt. Alle Linien kann ich Sportverein! Das ist der Schlüssel: Sprache fahren, alle kenne ich auswendig. Man muss und Freunde! sich konzentrieren. Kann sein, dass ich Fehler Aber das einzige, was mir in Deutschland mache, dann sage ich sofort: Entschuldigung! nicht so gefällt: Bei deutschen Festen wird Aber ich habe nie Schwierigkeiten im Bus, alle nicht getanzt! Das ist bei uns in Afrika anders. mögen mich sehr. Darum will ich auch helfen, wie ich kann. Wenn man freundlich ist, sind die Leute auch freundlich. Aber manchmal kann ich auch schimpfen! Zum Beispiel, wenn älte- re Leute während der Fahrt aufstehen. Das ist gefährlich. Negativerlebnisse gibt es auch. Eine Frau hat sich einmal im Bus geirrt und mich dann Meine Freund- als „Schwarzer“ beschimpft. Meine Freundlich- lichkeit hat mir keit hat mir aber viel geholfen, wenn die Leute Vorurteile gegenüber meiner Hautfarbe hatten. aber viel geholfen, Sogar bei Gottesdienstbesuchen in der Kirche wenn die Leute ist mir manchmal Schlechtes passiert. Der Vorurteile gegen- Missionar Klug hat mir mal geschrieben, es tue ihm leid, dass man als Afrikaner Schwierigkei- über meiner Haut- ten hat, man sollte es annehmen und akzeptie- farbe hatten.“ ren. Ich bin sehr gläubig, ich bete immer.

31 CHRISTA KUZBARI Integration kennt Christa Kuzbari aus doppelter Perspektive: 1976 geht sie mit ihrem Mann nach Syrien, lebt und arbeitet 36 Jahre in Damaskus. 2012, als die Unruhen zunehmen, bringt sie ihre Familie nach Deutschland. Seitdem engagiert sie sich als Botschafterin zwischen den Ländern: Kulturelles Verständnis und Sprachkenntnisse machen ihre Arbeit aus, mit denen sie arabische Flüchtlinge beim Ankommen in Kornwestheim unterstützt.

SCHWABEN – SYRIEN: ten sie: Wenn du das so möchtest, ist das so. ständiger Ingenieur gearbeitet, ich erstmal ter. Ihr Mann schrieb uns: Kommt doch, es ist REISEN EINES LEBENS Der größte Scherz war damals: Die Dame im überhaupt nicht, weil die Kinder klein waren. genug. Wir sind dann mit drei Erwachsenen Junge Mädchen sind immer gern mal aben- Milchladen um die Ecke sagte zu mir: „Chris- 1996 habe ich eine Annonce gelesen, dass und zwei Kindern und fünf riesigen Koffern in teuerlustig. Das Leben wollte, dass ich von ta, das ist doch ein Mohammedaner, der kann man im Rundfunk Muttersprachler sucht für Frankfurt gelandet. Ich habe kaum etwas mit- Erkrath nach Zuffenhausen kam. Ich habe dort doch vier Frauen heiraten!“ Ich sagte: Das eine deutschsprachige Sendung. Dort habe genommen, noch nicht einmal Winterkleidung gearbeitet, ich bin Chemotechnikerin. Nicht macht nichts, ich bleibe trotzdem die erste. ich dann vorgesprochen und ein Band aufge- hatte ich dabei. lange danach habe ich auf diverse Art und Wei- Und ich bin die erste und letzte geblieben! nommen. Nach einer Woche hat der Leiter der se, wie man eben Leute kennenlernt, meinen Abteilung angerufen und mir zugesagt. Später Kornwestheim erinnert mich an Erkrath, mei- Mann getroffen. Das war 1965. 1963 konnten DAMASKUS: kam ich an das Deutsche Archäologische Insti- nem Heimatort. Erkrath hat eine Kirche, eine Syrer noch alle ohne Visum nach Deutschland WILLKOMMEN UND ABSCHIED tut als Sekretärin. Das war die schönste Zeit in Altstadt, die Bauernhöfe, deswegen kommt einreisen. Ganz einfach Damaskus–München. Sie können sich nicht vorstellen, wie tolerant, meinem Leben! Da habe ich so viele nette und mir die Stadt sehr entgegen und ich fühle mich Mein Mann hat damals Maschinenbau stu- freundlich, zuvorkommend, liebenswert und interessante Leute kennengelernt. hier wohl. Aufgrund meines Kopftuchs meinen diert und in Ludwigsburg gewohnt, dort haben hilfsbereit die Menschen in Syrien sind. Die viele, ich bin Türkin und wundern sich, dass wir noch einer Weile nach der Hochzeit gelebt, Familie meines Mannes und unsere Nachbarn KORNWESTHEIM: ich kein Türkisch spreche. Oder es kommt: bis es uns wieder nach Nordrhein-Westfalen in Damaskus haben mir alles von den Augen NEUES ANKOMMEN IN DEUTSCHLAND Sie können aber gut Deutsch. Das fi nde ich gezogen hat. Ich habe in Düsseldorf gearbeitet abgelesen. Aber mit der Sprache ist es mir Im März 2011 haben die Unruhen begonnen, lustig, das stört mich weiter nicht. Ich bin vor und mein Mann hat in Wuppertal studiert. Als zunächst ergangen wie bei dem arabischen und vorher hatte es schon immer so gebrodelt. langer Zeit konvertiert, lange nach der Hoch- wir geheiratet haben, sagte mein Mann direkt Sprichwort: „Der sitzt dort wie ein Tauber bei Es fi ng dann an, gefährlich zu werden. 2012 zeit, mein Kopftuch habe ich aber angezogen, zu mir: „Hör mal Christa, irgendwann gehen wir der Hochzeit.“ Nach einer Weile bekommt man sind wir nach Ägypten ausgereist. Wir haben als mein Mann gestorben ist. Ich habe auch wieder nach Hause.“ Nach 10 Jahren haben jedoch den Tonfall ins Ohr, und bald konnte dort drei Monate gelebt und darauf gewartet, keinen Grund gesehen, es abzusetzen, als wir wir diesen Entschluss dann umgesetzt. ich ziemlich gut sprechen und lesen. Aber das dass sich die Situation verändert. Von Kairo wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind. Meine Eltern waren einverstanden, dass ich Schreiben ist schwierig. sind wir direkt nach Hoheneck. Ich hatte hier Ich bin katholisch erzogen. Ich war auch streng einen Syrer heirate. Vor meiner Hochzeit mein- In Damaskus hat mein Mann als selbst- eine Cousine, die ist für mich wie eine Schwes- gläubig.

32 INTEGRATION: WO NOCH UNTERSTÜTZUNG NÖTIG IST In den Ökumenischen Kreis für Asyl bin ich ge- gangen, weil ich als Deutsche durch die eine oder andere Schwierigkeit gut durchkomme, aber die, die sich überhaupt nicht verständigen können, brauchen Hilfe. Hier am Ausländeramt sind wirklich nette Leute. Vielleicht müsste man aber noch zusätzlich jemanden haben, der Arabisch versteht.

Hier wird sehr viel gemacht, auch durch den Asyl- kreis. Überhaupt bekommen die Flüchtlinge in ganz Baden-Württemberg von der Bevölkerung unheimlich Hilfe. Es ist hier schon wirklich gut. Das versuche ich auch immer den Leuten klarzuma- chen: dass sie hier wirklich gut aufgehoben sind und nicht über alles meckern. Das bringt nichts! Und ich kann mir erlauben das zu sagen, ich habe 36 Jahre in Syrien verbracht. Ich weiß, wie es ist, in einem fremden Land zu leben. abgeschoben werden. Kornwestheim kann nichts nauso. Da war der Zusammenhalt an- Es ist hier schon Die Situation derer, die noch nicht als Flücht- dafür, hier macht man nicht die Gesetzte. Aber ders. Ich glaube, ich habe mich über- wirklich gut. Das linge anerkannt werden, egal welcher Nati- diese sorgen innerhalb der Heime für ein großes haupt nicht so viel verändert. Weder, onalität, ist wirklich schwierig. Ich würde mir Konfl iktpotential. als ich in Syrien war, noch jetzt nach versuche ich auch wünschen, dass eventuell in den Heimen mehr Und meine „Integration“? Ich vermisse das syri- unserer Rückkehr. immer den Leuten psychologisches Personal eingesetzt wird. Da- sche Essen. Die syrische Küche ist wahnsinnig klarzumachen: dass mit die Leute ein besseres Miteinander haben. gut, und jetzt koche ich auch syrisch. Vielleicht Ich habe nie gedacht, ich will mal Die kommen aus aller Herren Länder, und wird man auch spontaner. In Syrien macht man Syrerin werden. Ich bin Deutsche sie hier wirklich gut dann sehen sie: Die Syrer bekommen Aufent- die Besuche einfach so – man geht hin und klopft. und ich bleibe Deutsche: Ich bin die aufgehoben sind haltsrecht, aber z.B. die Afghanen sollen jetzt Das war früher in Deutschland auf dem Dorf ge- Christa. und nicht über alles meckern.“

33 ILIR ELBASANI „Ich habe großen Respekt vor Deutschland. Ich glaube an dieses Land“, sagt Ilir Elbasani. 2015 verlässt er aus politischen Gründen Albanien. In der Villeneuvestraße wartet die Familie jetzt auf eine Klärung ihres Status. Seine Hoffnung: bald zu arbeiten und eine Perspektive für seine beiden Töchter.

WENN DIE POLITIK IN DAS die das zeigen. Sie wollten mich, aber meine 24 Jahren. Ganz kurz nur, aber mein Name ist es gute Leute gibt. Und das, was gerade hier LEBEN EINGREIFT Mutter hat gesagt: „Nein, er ist unterwegs, und dort vermerkt. Aber sie wollten meine Familie passiert, ist für mich richtig fantastisch: Allen Unsere Familie kommt aus Skudare in Alba- alles, was da steht, habe ich gemacht.“ Meine teilen. Weil ich zum zweiten Mal in Deutschland hier wird geholfen und jeder fühlt sich wie ein nien. Ich habe in einer Bank gearbeitet und Mutter hat ein Jahr mit Bewährung bekommen. war, meine Frau zum ersten Mal. Gottseidank Mensch. Das ist der Grund, wieso ich hierher meine Frau ist Gymnasiallehrerin. 2013, meine Dabei habe ich das niemals gemacht! Wir ha- gab es eine gute Frau dort, sie hat die Situation gekommen bin. Frau war 13 Jahre Lehrerin und ich ungefähr ben ein kleines Haus – zwei Zimmer, keine Kli- gesehen, meine Töchter haben geweint, und Nur in diesem Heim ist es mit einer Familie 8 Jahre in der Bank, hat unsere Partei die maanlage, gar nichts. Wir kochen mit Gas und sie hat gesagt: Sie bleiben zusammen. nicht so leicht zu leben. Ich habe nichts gegen Wahl nicht gewonnen. Danach kam die ex- im Winter heizen wir mit Holz. Ich habe gedacht, ich könnte sofort arbei- niemand, aber hier sind so viele Leute und kommunistische Partei, die jetzt sozialistische ten. Weil ich gesund bin und Deutsch spreche Religionen und Nationalitäten. Alle zwei Wo- Partei heißt, an die Macht. Wir haben danach PLÖTZLICH DIE HEIMAT – egal wo, hätte ich gearbeitet. Es wäre schön, chen fi nden Razzien statt. Für unsere Kinder innerhalb eines Monats unsere Arbeit verloren. VERLASSEN: WOHIN? mein Brot mit meinen Händen zu verdienen. ist das nicht so gut. Wir sind erwachsen und In Albanien ist es so: Wenn eine neue Regie- 1993 bis 1997 habe ich bereits in Deutschland Aber wir warten jetzt auf einen Beschluss. Ich verstehen alles, aber für die Kinder ist es eine rung kommt, werden die Leute ausgewechselt. gelebt. Das ist für mich das zweite Mal, dass bin informiert – Albanien gilt als sicheres Land, schlechte Situation. Oft gibt es eine Schlä- Aufgrund meiner Parteizugehörigkeit war auch ich hier bin. Ich wollte damals Fußballspieler so wie der ganze Balkan. Das hat Deutschland gerei. Die Leute trinken zu viel und wenn sie ich betroffen. Danach habe ich fast zwei Jahre werden, weil ich in Albanien Fußball gespielt entschieden und das müssen wir respektieren. betrunken sind, passiert etwas. Aber da kann als Dolmetscher gearbeitet und als Touristen- habe. Als wir dann 2015 plötzlich aus Albanien man nichts machen. Wir schließen unsere Tür führer, in Budapest und Dubrovnik. Ich spreche wegmussten, war klar: Ich komme hierher. Für ANKOMMEN IN KORNWESTHEIM zu und bleiben in unserem Zimmer. Wenn wir Italienisch, Serbisch und Griechisch auch. mich gibt es kein anderes Land wie Deutsch- Das war nicht schwer, ich war vorbereitet. rausgehen, dann gehen wir in die Stadt und land, das muss ich ehrlich sagen. Damals habe ich mit vielen Deutschen gelebt fertig. Für mich ist es immer noch viel besser 2015 bekam ich plötzlich eine Stromrechnung, Wir sind direkt nach Dortmund gefahren, und viele Freunde gehabt, deswegen habe ich als das Gefängnis in Albanien. 13.000 €. Ich wusste: Das ist ein Vorwand, um ein Onkel hat uns abgeholt. Von Dortmund Respekt vor diesem Land. Ich kenne fast ganz mich ins Gefängnis zu stecken. Deshalb bin aus haben Sie uns nach Karlsruhe geschickt. Europa – aber ich sag es nochmal – für mich Unsere Kinder sind sehr gern hier. Dreimal in ich weg. Dafür haben sie meine Mutter be- Es gibt die Regel, dass man dorthin muss, wo gibt es kein anderes Land wie Deutschland. der Woche spielen sie in der Kinderwelt oder straft. Ich habe alle Dokumente und Papiere, man zuerst war. In Karlsruhe war ich genau vor Dieses Land hat Gott immer beschützt, weil auf der Jugendfarm. Dienstags kommt eine

34 Dame und kümmert sich drei oder vier Stun- den um die Mädchen. Wir sind wirklich sehr zufrieden. Deutschland funktioniert für mich genau wie ein Land, so wie es sein muss. Wenn jemand alles richtig macht, gibt es bei uns ein Sprich- wort: Du machst das wie die Deutschen. Fast 80% Prozent aller Albaner sind Fans der deut- schen Fußballmannschaft! Wir wissen nicht genau, was in Deutschland aus uns wird. Wir haben hier keine Wünsche. Wir wollen nichts mehr oder weniger, als dass unsere Mädchen hier leben können. Kornwest- heim ist für uns eine Stadt, die uns viel Ruhe gibt. Mir gefällt, dass es hier so grün ist. Ich bin froh, dass meine Kinder in einem besseren Wir haben hier Land als Albanien aufwachsen. Ich möchte, keine Wünsche. dass sie hier zur Schule gehen. Das ist mein Wir wollen nichts einziger Wunsch. diesem Heim. Sie weiß nicht, wie es ist, neben mehr oder weni- Und was uns betrifft: Hauptsache eine Arbeit, deutschen Familien zu wohnen und andere ger, als dass unse- egal. Und für uns ein Zimmer fi nden. Meine Leute zu treffen. Ich denke, für gute Leute, die re Mädchen hier Frau wird auch die Sprache lernen, dann ist es arbeiten wollen, gibt es alle Möglichkeiten für leben können.“ für sie einfacher. Sie kennt nur das Leben in einen Menschen.

35 MARGARITA ZAVA ... ist 91 Jahre alt und verließ Madrid vor 50 Jahren, um in Deutschland zu arbeiten. Seit 46 Jahren lebt sie nun schon in Kornwestheim und bereicherte die Stadt durch die Gründung des spanischen Kulturvereins 1981. Durch ihr leidenschaftliches Engagement für die spanische Bevölkerung und die Arbeit im Kulturverein veränderte sie sowohl die Stadt als auch sich selbst.

ANKUNFT IN LUDWIGSBURG Freundinnen im Freundeskreis. Das waren Irgendwie dörfl ich, nicht? Das ist, weil Korn- Ambiente Kornwestheims. Es gab nicht viel zu Ich bin nach Deutschland gekommen, weil es gute Mädchen, sie haben uns sehr geholfen. westheim eine sehr kleine Stadt ist. tun hier. In der Anfangszeit war ich viel damit in Madrid keine Arbeit gab. Wir verdienten zu Heute geht jede ihres Weges und manchmal beschäftigt, Hausarbeiten zu verrichten und wenig, um zu essen. Dann gab es das Anwer- treffen wir uns. Nachdem das Jahr bei Wüsten- Meine Familie in Spanien habe ich nie verlas- meine Tochter groß zu ziehen. beabkommen in den 1960er Jahren und ich rot vorüber war, mussten wir aus der Wohnge- sen, ich habe sie jedes Jahr besucht. Meine ging nach Ludwigsburg, um dort in der Firma meinschaft ausziehen. Ich habe mir dann eine Nichten kamen uns auch gelegentlich be- Dann habe ich dazu beigetragen, die Stadt Wüstenrot für ein Jahr zu arbeiten. Ich habe Wohnung in Ludwigsburg gemietet und neue suchen. Eigentlich wollte ich nach drei, vier kulturell aufzubauen. 1981 habe ich den spa- bei Wüstenrot als kaufmännische Angestellte Arbeit gesucht. Jahren wieder zurück nach Spanien. Doch ich nischen Kulturverein gegründet und so den gearbeitet und Deutsch am Goethe-Institut in blieb. Ich dachte hin und wieder, dass ich nach Kornwestheimern etwas von der spanischen Ludwigsburg gelernt. Es war mir sehr wich- MEIN LEBEN ZWISCHEN der Rente zurückgehen würde. Aber manch- Kultur gezeigt. Es war dann nicht mehr so tig, gut Deutsch zu lernen und mich stetig zu KORNWESTHEIM UND SPANIEN mal kommen die Dinge nicht, wie man sie sich langweilig wie davor und den Kornwesthei- verbessern und integrieren zu können. Denn Nachdem meine Tochter Eva-Cristina zur vorstellt. Ich bin letztendlich geblieben, weil es mern gefi elen die Feste, die wir veranstalteten. mein größtes Interesse galt schon immer den Welt kam, zog ich mit ihr nach Kornwestheim. mir hier gefällt. Ich mag die deutsche Kultur Mit der Kultur wurde Kornwestheim stärker. Es Sprachen und das habe ich geschafft. Es Hauptsächlich wegen der Wohnung und mei- und ihre Sprache. Mir gefällt die Seriosität, Zu- gab hier damals eine spanische Schule, wo die blieb kaum Zeit für etwas anderes als Lernen ner neuen Arbeit bei Salamander. Der Kin- verlässigkeit und Pünktlichkeit der Deutschen. Kinder einmal in der Woche nachmittags ein und Arbeiten. In der Arbeit hatte ich viel mit dergarten war auch hier in Kornwestheim. Ich Doch auch wenn mir hier die Förmlichkeit und paar Stunden hingingen, um auch Spanisch Deutsch zu tun. Jetzt nicht mehr, weil ich in habe mich nach einiger Zeit sehr wohl gefühlt. der Ernst bei der Arbeit besser gefallen als in zu lernen. Da es hier viele Spanier gibt, hat- Rente gegangen bin. Ich fand die Menschen nett und angenehm. Spanien, gefällt mir an Spanien die fröhliche ten die Eltern die Idee, dass man sich zusam- Mentalität besser. menschließen könnte. So haben sie in einer Zu Beginn habe ich etwa ein Jahr in einer Sie haben auch mal, wenn es nötig war, gehol- Versammlung beschlossen, einen spanischen Wohngemeinschaft von Wüstenrot mit sieben fen, zum Beispiel wenn ich etwas nicht wusste GEGENSEITIG VERÄNDERT Verein zu gründen und ich war 22 Jahre lang spanischen Mädchen gewohnt. Wenn sich und gefragt habe. An anderen Orten bekommt Zuerst erschien mir der Wechsel nach Korn- die Präsidentin. Ebenso habe ich die spani- die Gelegenheit bot, gingen wir Spanierinnen man keine Hilfe. In Kornwestheim mögen es westheim etwas langweilig. Ich war Ludwigs- sche Tanzgruppe gegründet. alle zusammen aus. Wir hatten auch deutsche die Menschen zu helfen. burg gewöhnt. Es war aber auch das dörfl iche Das Trainieren der Gruppe hat mir sehr viel

36 Freude bereitet und das habe ich am meisten vermisst, nachdem ich den Vorsitz abgegeben habe. Für meine Arbeit im spanischen Kultur- verein hat die Stadt mir 1994 die Gedenkmün- ze für besondere kulturelle Leistungen ver- liehen und auch die Ehrennadel des Landes Baden-Württemberg in 2002 für das ehrenamt- liche Engagement.

Mit der Arbeit in dem Verein habe auch ich mich verändert. Es gefi el mir, den Spaniern dabei zu helfen sich zu integrieren, zum Beispiel wenn sie Hilfe brauchten im Rathaus oder bei sozi- alen und schulischen Problemen. Umgekehrt brachte ich der Stadt Kornwestheim dabei die spanische Kultur näher. Unter anderem wur- den Spanischkurse für Deutsche angeboten. Der Stadtausschuss für Sport und Kultur lud uns nach der Gründung des Vereins ein, an den Kornwestheimer Tagen mit unserer Tanz- Integration bedeu- gruppe und einem Essensstand teilzunehmen. tet für mich, die So half uns die Stadt dabei, dass die Leute den Regeln und Normen anzupassen. Außerdem geholfen sich zu integrieren. Sprache zu lernen, spanischen Kulturverein kennenlernten und habe ich meine Kultur nicht verloren. Ich lebe Auch das ist Integration. wir bekamen mehr Mitglieder. Später nahmen zwei Kulturen: die Spanische und die Deut- Freunde zu fi nden sie den Verein mit in den Stadtausschuss für sche. Heute gibt es hier viele kultu- und sich an die Sport und Kultur hinein, was dem Verein noch relle und sportliche Angebote, Regeln und Normen mehr Möglichkeiten eröffnete. Ich fi nde es wichtig, dass die Menschen, die die gab es früher nicht. Als ich anzupassen.“ neu kommen, die Möglichkeit haben, die Spra- nach Kornwestheim kam, gab es WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR SIE? che zu erlernen. Indem ich die Sprache lernte, auch noch keinen Ausländerbeirat. Integration bedeutet für mich, die Sprache konnte ich unabhängiger werden und mich hier Die Stadt macht hier bereits sehr viel für zu lernen, Freunde zu fi nden und sich an die entfalten. Ich habe auch anderen Menschen Migranten.

37 FARAQ RAHIMI Weil die Taliban junge Männer aus seiner Stadt verschleppten, fl oh Faraq Rahimi Hals über Kopf von Afghanistan nach Europa. Weihnachten 2015 kommt er in Deutschland an. Seit 4 Monaten lebt er in Kornwestheim und ist gerade vom Stadion in die Albstraße umgezogen. In der Stadtbücherei lernt er jeden Tag Deutsch. „Ich möchte Altenpfl eger werden“, sagt er. „Ich möchte anderen Menschen helfen.“

AUFWACHSEN IN AFGHANISTAN nicht mehr in die Schule. Ich war 16 Jahre alt wieder etwas zu essen bekommen und haben fünf Personen in einem Zimmer. Alle kommen Geboren bin ich in Barlan, das liegt in Nord- als sie sagte, dass ich nach Deutschland ge- im Zelt geschlafen. Die Polizei in Ungarn hat aus Afghanistan, das ist gut, wir können uns Afghanistan. Ich habe eine Schwester und vier hen soll. Sie sagte, dort ist alles besser. Man uns geschlagen und Gas eingesetzt. Auch in unterhalten. Aber ich spreche lieber Deutsch, Brüder. Mein Vater arbeitete am Bahnhof in kann eine Ausbildung machen. Bei uns sterben Mazedonien wurden wir geschlagen. Meine so lerne ich es schneller. Ich gehe jeden Tag in Afghanistan, er hat dort Waren verladen. Die viele Leute jung. Auch in meiner Familie sind Nase und meine Augen wurden verletzt. Mein die Bücherei um zu lernen. In Afghanistan gab Taliban haben ihn getötet. Meiner Mutter geht Menschen gestorben. kleiner Bruder Rahib ist nicht mit mir gemein- es nicht viel zu lesen, kaum Informationen über es gut, sie ist 50 Jahre alt. Meine Schwester ist Ich habe nach der Schule in Afghanistan sam angekommen. In Mazedonien habe ich Deutschland. Dort gehen Kinder schon arbei- verheiratet. Mein kleiner Bruder geht eigentlich als Schneider gearbeitet. Ich konnte keine ihn verloren. Er ist erst 16 Jahre alt, deshalb ten und es gibt keine Bibliotheken. Sie sollten noch zur Schule, jetzt ist er auch in Deutsch- Ausbildung machen. Als ich 19 war, haben hat die Polizei ihn weggeschickt. Wir wurden aber lernen können, das wäre viel besser. land. Ich weiß nicht, wo er ist, wir haben uns sie Männer aus den Häusern geholt und mit- getrennt, ich habe ihn überall gesucht, aber auf der Flucht verloren. Drei meiner Brüder genommen. Mit meinem kleinen Bruder habe nicht mehr gefunden. ANKOMMEN IN KORNWESTHEIM leben noch in Afghanistan. ich mich eine Woche in einem Keller versteckt, Drei Monate war ich zu Fuß, ab Österreich Hier war alles neu für mich. Ich fand es sofort ohne Essen, ohne alles. Meine Mutter hat auch mit dem Zug und dem Bus unterwegs. sehr, sehr schön. Kornwestheim ist eine schö- Die Situation in Barlan ist nicht gut. Es wird viel dann mit einem Mann geredet, der wollte weg. Zur Weihnachtszeit bin ich in Mannheim an- ne Stadt und auch die Bibliothek ist toll. Alles geschossen. Am Abend und auch am Morgen. Wir sind ganz plötzlich aufgebrochen, von zu- gekommen. Dort war ich sieben Monate. Von ist sehr modern. Die Sozialarbeiter sind sehr Oft fällt für die Kinder die Schule aus. Auf jeden hause gefl ohen. Mannheim kam ich dann vor vier Monaten nett, helfen immer. Das Rathaus ist sehr schön wird geschossen – auf Frauen, Männer, auch nach Kornwestheim. Hier wohne ich jetzt in und alle sind sehr nett und hilfsbereit. Immer auf Kinder. Es ist schon viele Jahre so. Ich bin FLIEHEN NACH DEUTSCHLAND der Albstraße, das ist besser als im Stadion. sind alle sehr nett, auch die Polizei, die in die in Barlan geboren und kenne es nicht anders. Über Kroatien und Griechenland bin ich nach Dort waren 50 Personen. Es hat mir dort gut Einrichtung kommt. Immer hört man von Schießereien und Toten. Österreich und dann nach Deutschland ge- gefallen, aber es war sehr laut. Viele hören In Barlan habe ich noch die 10. Klasse be- kommen. Ich war in einer Gruppe Flüchtlinge Musik und man kann nicht schlafen. Jetzt bin Ich stehe immer früh auf und frühstücke. Ab sucht, aber es wurde immer gefährlicher. Mei- aus Afrika, Afghanistan und Syrien. Wir waren ich froh, in der Albstraße zu sein. Hier kann ich 10:00 Uhr bin ich in der Bibliothek. Den Vor- ne Mutter entschied, ich dürfe in Afghanistan ca. 200 Leute. Wir haben erst nach Ungarn lernen. In der Unterkunft in der Albstraße sind mittag verbringe ich mit Lernen. Ich mache

38 Mittagspause, esse und spiele etwas für eine mich nicht schwierig zu lernen, aber zusam- Stunde. Am Nachmittag lerne ich wieder und men ist es einfacher. schreibe. Zuhause wiederhole ich oft noch ein- mal, was ich gelernt habe. Um 24:00 Uhr gehe Was ich mir sehr wünsche? Meinen Bruder ich schlafen. möchte ich unbedingt fi nden. Ich suche nach ihm. Ich weiß aber nicht, wo er ist. Meine In Ludwigsburg habe ich drei Monate lang Mama in Afghanistan kann ich auch nicht er- einen Deutschkurs gemacht und die Prüfung reichen. Seit einem Jahr bin ich in Deutsch- bestanden. Jetzt suche ich einen Aufbaukurs. land und habe noch nicht mit ihr gesprochen. Es ist besser, wenn man Lehrer hat, dann lernt Telefone funktionieren in Barlan nicht mehr. man es richtig. Ich frage manchmal Leute in der Nur nach Afghanistan möchte ich nicht Bücherei, ob sie mir etwas erklären können. mehr zurück. Immer habe ich Angst. Man hat Viele Leute sind sehr hilfsbereit und üben mit den Tod im Kopf, man rennt. Hier kann ich mir. Sie schreiben etwas auf und ich schreibe doch auch helfen im Altenheim. es nach. In der Bücherei verbringe ich täglich mehrere Stunden. Ich lese in Kinderbüchern, schreibe mit, lerne das Geschriebene und höre mir die CDs an. Dafür habe ich Kopfhörer. Bis zu sechs Stunden bin ich hier. Manchmal kom- me ich dann heim und backe einen Kuchen.

TRÄUME FÜR DIE ZUKUNFT Ich spreche lieber Ich möchte unbedingt eine Ausbildung als Al- tenpfl eger machen. In Afghanistan habe ich Deutsch, so lerne auch vielen alten Menschen geholfen. Aber ich es schneller. Ich ohne Sprachkenntnisse ist das schwer. Ich gehe jeden Tag in verstehe manches, aber brauche Hilfe. Ein die Bücherei um Praktikum habe ich schon in Ludwigsburg absolviert. Auch in Kornwestheim habe ich zu lernen.“ im Leonardis-Heim mitgeholfen. Da steigt das Sprachniveau ganz schnell. Deutsch ist für

39 A. F. A. F. verließ ihre Heimat Eritrea 1998. Zwölf Jahre lebte sie in Hessen und zog vor sechs Jahren mit ihren beiden Kindern nach Kornwestheim. „Ich hoffe, dass ich irgendwann eine Ausbildung als Kinder- pfl egerin machen kann und einen Job kriege, damit ich für meine Kinder ein Vorbild sein kann.“

Dieses Interview wurde auf Wunsch von Frau dass sie es der Regierung sagen. Aber meine Heimat bleiben sollen. In Friedberg sollte ich ob ich Einkommen habe. Meine Tante und ihr F. anonym geführt. Daten, die auf ihre Person Eltern und Großeltern haben es gewusst und warten, bis mein Asyl anerkannt wird. Da bin Mann haben mir geholfen und eine Wohnung zurückführen könnten, wurden darum geän- es verstanden. Ich habe ein Visum beantragt ich zum Sozialamt gegangen, ich war frech für mich gefunden. dert. und bin nach Deutschland gefl ogen. Ich war und naiv. Ich habe gesagt: „Ich will Deutsch Am Anfang war es schwer, ich habe hier aufgeregt, weil ich meine Heimat verlasse und lernen.“ Die haben gesagt: „Nein, ihr Asyl ist niemanden gekannt. Aber mit der Zeit gewöhnt WARUM HABEN SIE IHRE ein neues Leben in Deutschland beginne. Ich nicht anerkannt, sie müssen warten.“ Und von man sich und hat Kontakte. Die wissen, wie wir HEIMAT VERLASSEN? dachte von Deutschland, dass man da frei le- diesem Sozialamt habe ich monatlich 186 sind und ich weiß, wie die sind und es klappt Mein Leben in Asmara war sehr gut, ich bin ben kann. Ohne Angst und ohne politischen Euro bekommen. Das Geld habe ich gespart gut. Zum Beispiel die Nachbarn von hier möch- behütet aufgewachsen. Wir haben dort eine Druck. Man kann hier alles lernen. Ich dachte und von Friedberg waren es zwei Stationen bis ten, dass wir regelmäßig den Flur putzen. Die diktatorische Regierung. Es gibt keine Mei- ich gehe nach Deutschland und ich werde et- zur Hochschule. Dann bin ich zur Hochschule haben gedacht, dass ich zum ersten Mal in nungsfreiheit, keine Pressefreiheit. Alles wird was lernen. gegangen von dem einzigen Geld, das ich be- Deutschland bin. Ich habe ihnen erklärt, wie streng kontrolliert. Man kann sich kein Studium kommen habe und habe Deutsch gelernt. lange ich hier schon lebe und ich weiß, wie das aussuchen, weil man nur im Militär ist. Mit 18 DIE ERSTE ZEIT IN MEINEM NEUEN LEBEN In Hessen habe ich auch meinen Mann ist. Und wenn ich es nicht weiß, dann frage Jahren, nach der elften Klasse, beginnt der Mi- Natürlich habe ich meine Eltern vermisst und kennengelernt und wir haben zwei Kinder be- ich. Ich war in einer Beratungsstelle von der litärdienst auch für Frauen. meine Heimat. Ich hatte viele Fragen. Wie lan- kommen. Dann haben wir uns getrennt und ich Stadt. Die Frau dort hat mir eine Patenschaft Das dauert normalerweise ein Jahr und ge dauert mein Asyl? Werde ich anerkannt? wollte nicht alleine in Hessen bleiben. Ich bin empfohlen. sechs Monate. Da wir einen Krieg mit Äthio- Werde ich meine Ziele erreichen? vor sechs Jahren nach Kornwestheim umge- Seit einem Jahr habe ich eine Patin und pien hatten, ist der Militärdienst verlängert Zuerst war ich in Hessen im Asylheim. Spä- zogen, weil in der Nähe eine Tante wohnt. einen Paten, die sind ein Ehepaar und ich worden und deshalb bin ich gefl üchtet. Ich ter haben sie uns eine Wohnung gegeben, bekomme von denen Unterstützung. Hausauf- bin für zwei Monate in den Sudan gegangen. obwohl wir nicht Deutsche sind. Die deutsche MEIN LEBEN IN KORNWESTHEIM gabenhilfe für meine Kinder und für mich eine Ich wollte eigentlich nach Kanada gehen, weil Sprache war sehr schwer. Am Anfang habe Obwohl das hier auch Deutschland ist, habe Weiterbildung. Mittlerweile arbeite ich nachmit- Englisch leichter ist. Aber vom Sudan nach Ka- ich sehr geweint. Ich wusste nicht, wie ich die ich mich gefühlt wie in einer neuen Welt. Die tags als Reinigungskraft und vormittags mache nada ist es sehr weit. Also habe ich mich für Menschen verstehen soll und habe immer auf Stadt Kornwestheim ist sehr gut organisiert ich diese Weiterbildung. Meine Kinder nutzen Deutschland entschieden. Meinen Freunden den Mund der Leute gesehen wie sie spre- und reich an Kultur. Es war sehr schwer, eine die Kulturangebote und gehen in eine Sport- habe ich es nicht erzählt, weil ich Angst hatte, chen. Ich dachte, ich hätte lieber in meiner Wohnung zu fi nden. Die fragen, ob ich arbeite, schule und in die Musikschule. Ich bin glück-

40 lich, dass ich in Kornwestheim gelandet bin, es ist mein zweites Zuhause.

MIT DER HEIMAT VERBUNDEN Mit meiner Familie telefoniere ich oder wir ha- ben Kontakt über das Internet. Meine Mutter lebt mittlerweile in der Schweiz und mein Bru- der auch seit ein paar Monaten. Es gibt einen eritreischen Verein in Stuttgart, da bekommen meine Kinder Muttersprachunterricht. Sie ha- ben Lust darauf und wollen auch nach Eritrea fl iegen. Es gibt zwar die Möglichkeit, aber ich habe Angst, dass ich dort ins Gefängnis muss. Deswegen habe ich vor acht Jahren einen Entschuldigungsbrief an den Staat Eritrea ge- schrieben, dass ich mich so verhalten habe zu meiner Heimat. Das muss man machen, wenn man wieder nach Eritrea gehen will. Aber es ist nicht sicher, dass man dann keine Probleme bekommt. Obwohl das hier Wir feiern oft eritreische Feste wie erit- auch Deutschland reische Weihnachten und Ostern. Wir feiern beide Weihnachten, aber mehr das deutsche, griert sind, dann fällt es nicht mehr schwer wenn sie zum Amt gehen. ist, habe ich mich weil da alle feiern. Im September gibt es auch unter Deutschen zu sein. Man fühlt sich wohl, Wenn die nicht pünktlich kom- gefühlt wie in einer ein Fest. Vor zwei Jahren ist der Bischof von wenn man Kontakte hat und es gibt viele Mög- men, dann schimpfe ich. Es wäre neuen Welt. ... Ich bin Eritrea gekommen und wir haben in der Marti- lichkeiten. Ich habe mich hier sehr verändert. gut, dass man allen, die neu kom- glücklich, dass ich in nuskirche gefeiert. Ich bin offener geworden und bin viel auf die men, über die deutsche Kultur Leute zugegangen. Die Pünktlichkeit habe ich etwas beibringt. Ich würde eine Kornwestheim gelan- WAS BEDEUTET INTEGRATION FÜR SIE? von der deutschen Kultur. Wir Eritreer sind nie Einladung schicken, dass alle in ei- det bin, es ist mein Die, die neu ankommen, können nicht hundert- pünktlich. Jetzt helfe ich auch ein paar Flücht- nen großen Saal kommen mit einem zweites Zuhause.“ prozentig wie Deutsche sein. Aber mit der Zeit lingen aus Eritrea, wenn sie Schwierigkeiten Übersetzer und dann kann man über die gewöhnt man sich daran und wenn sie inte- beim Arzt mit dem Übersetzen haben oder Kultur sprechen.

41 MUSTAFA TEMEL

...verbrachte als Kind einige Jahre in einem Waisenheim. Das hat ihn geprägt. Integration heißt auch Als Betriebsrat, jüngster Ausländerbeirat und Vorsitzender des Türkischen nicht gleich, seine ei- Kulturvereins und Sportclubs vermittelte und vermittelt er in Kornwestheim gene Identität aufzu- unermüdlich zwischen den Kulturen und setzt sich für die Rechte anderer ein. geben. Die heutige Ju- gend ist ganz anders als die erste und VOM WAISENHEIM NACH LUDWIGSBURG le besucht. Es gab eine Vorbereitungsklasse SICH ENGAGIEREN zweite Generation In den Ich stamme aus Eskişehir, das liegt zwischen mit einem türkischen Lehrer. Deutsch habe IN KORNWESTHEIM der Einwanderer.“ letzten 12 Ankara und Istanbul. 1964 ist mein Vater ge- ich nach zwei Monaten wirklich gekonnt, Kin- Mit 16 habe ich bei Sala- Jahren habe storben, da war ich vier Jahre alt. Meine Mutter dern fällt das leicht. Einmal pro Woche sind mander angefangen. Zu der Zeit ich mich bei Sala- hat als 24jährige Witwe mit drei Kindern in der wir auch in die türkische Schule gegangen. waren meine Mutter und mein Bruder mander als Betriebs- Türkei keine Arbeit bekommen. Sie hat dann Damals waren die Deutschen noch nicht viele schon dort. Beim Arbeitsamt haben sie mich rat engagiert. Ich war der ers- gehört, dass man nach Deutschland auswan- Ausländer gewohnt, wir sahen anders aus, sie gefragt: Was machen deine Eltern? Würdest te ausländische Betriebsrat dort, mit 27. Für dern und dort arbeiten kann. Ihre Mutter und fanden uns niedlich. Meine ersten Erfahrungen du denn auch bei Salamander anfangen? Die die ausländischen Mitarbeiter, die von überall ihr großer Bruder waren strikt dagegen, da ist in Deutschland waren daher nur positiv, es war haben mich genommen mit 16. Eine Lehrlings- herkamen, waren die Zustände schwierig, weil sie einfach eines Tages abgereist. Das Arbeits- schön. abteilung gab es damals noch nicht, aber ich sie ihre Probleme nicht erklären konnten. amt hat sie zuerst für 6 Monate nach Coburg habe alles gelernt, ich war der Springer in der Wir haben zum Beispiel Akkord gearbeitet. in eine Konservenfabrik geschickt und danach Zuerst habe ich nur mit ausländischen Kindern Produktion. Vom Rauhen bis zum Pressen Die Arbeit war nicht ausgeglichen, wenn keine nach Kornwestheim, weil sie bei Salamander gespielt, später hatte ich viele deutsche Freun- habe ich alles gemacht. Arbeit da war, wurde es nicht bezahlt. Die Aus- Leute suchten. de, vor allem durch den Sport. Manches war länder haben sich nicht getraut, zum Meister fremd für mich. Zum Duschen nach dem Rin- Mit 19 habe ich geheiratet, da fi ng das Leben zu gehen oder zum Chef und sich zu beschwe- 1966 bin ich mit meinen zwei Brüdern in ein gen bin ich nur in Badehose gegangen. an. Gerade weil ich aus dem Waisenheim kam, ren, da habe ich mich dann freiwillig gemeldet. Waisenheim gekommen, ähnlich wie ein Inter- wollte ich so schnell wie möglich eine eigene nat. Dort lebten 300 Kinder. Wir sind zwar gut Auch das Essen! Nachdem Training gab es Familie gründen. Ich wollte selbstständig wer- Wenn man von unten kommt als Waisenkind, versorgt worden, aber es war manchmal nicht Schnitzel, es hieß: das ist kein Schwein. Aber den. 1992 kam bei Salamander die Krise. Man ist es anders: Man will allen helfen. 1987 einfach. Da war ich sechs Jahre alt und mei- natürlich war es Schwein. Das hat man ja nicht hat mich dann versetzt ins Lager, da musste wurde ich zum Betriebsrat gewählt und zwei ne Mutter schon hier. 1974 hat sie mich mit 14 gewusst. Weihnachten war für mich auch nicht ich einiges lernen: PC, Weiterentwicklung, Monate später in den Ausländerbeirat in Korn- zu sich nach Deutschland geholt. Zwei Jahre verständlich: Was war Weihnachten? Das Windows. Dort bin ich geblieben, bis Salaman- westheim. Die Ausländer der ersten Generati- lang habe ich in Ludwigsburg die Uhlandschu- habe ich alles aus dem Fernsehen gelernt. der 2000 schließen musste. on hatten Angst, nach vorne zu gehen und zu

42 sagen: Ich möchte das und das. Sie müssen heute ja sehr gemischt. wirklich sehr gut Deutsch sprechen, dass Sie Heute müssen viele ausländische Kultur- sich überhaupt ausdrücken können. Wir haben und Sportvereine in Kornwestheim aufge- dann sofort eine türkische Woche organisiert ben, weil sie keinen Nachwuchs fi nden. und später immer wieder die Ausländische Unser Kulturverein hat sich bis heute ge- Nacht, die es seit 30 Jahren gibt. halten. Unsere Zusammenarbeit mit der Stadt TÜRKISCHES LEBEN IN KORNWESTHEIM hat sich bis heute sehr verbessert. Mit der Bei Salamander haben über 1000 Türken ge- Stadt Kornwestheim haben wir überhaupt arbeitet, 3000 Türken leben bis heute in der kein Problem. Wenn etwas war, das haben Stadt. Die Hälfte waren damals Bundesbah- wir gelöst. Seit zwei Jahren gibt es auch ner und die Mitarbeiter von Salamander. Für keine Ausländerbeiräte mehr. uns war das Vereinsleben damals wichtig: Es gab nur den türkischen Sportclub, der hat die Sehe ich mich als Deutscher oder als Tür- Türken zusammengebracht, da hat man sich ke? Das sind gemischte Gefühle. Jetzt bin kennengelernt. Später, 1988 entstand noch ich schon 42 Jahre hier. Von meiner Zeit das türkische Kulturzentrum und 1990 die Mo- im Waisenheim habe ich nicht viel mitneh- schee. Ich war bei allem dabei. men können – ich war nur in der Schule. Alles, was ich dort in der Schule gelernt Das Thema Integration habe ich von Anfang an habe, ist das, was ich von der Türkei be- mitbegleitet. Integriert sind wir auf jeden Fall. sitze. Mehr habe ich nicht. Alles andere Integration heißt auch nicht gleich, seine eige- kenne ich nur vom Urlaub. Ich habe mein ne Identität aufzugeben. Die heutige Jugend Leben hier verbracht, aber es ist eine ist ganz anders als die erste und zweite Gene- schwierige Sache. Man gehört nicht dort- ration der Einwanderer. Die bis 30jährigen sind hin, und hierhin auch nicht. nicht mehr so an Kultur gebunden und auch nicht mehr an die Religion. Sie haben wenig Wenn ich irgendwann sterbe, möchte ich Interesse an unserem Land: Türke sein oder in der Türkei begraben werden. Kulturell nicht sein, das ist ihnen ziemlich egal. Natür- hänge ich noch an der Türkei, aber der lich kann ich das verstehen, die Kulturen sind Kopf ist hier.

43 XINXIN JI UND ZHENXING REN Für das Studium kamen sie nach Deutschland, für die Arbeit bleiben sie: Zhenxing Ren und seine Frau Xinxin Ji sind beide Ingenieure. Die chinesische Familie wohnt und lebt gerne in Kornwestheim, ihr Sohn besucht hier den Kindergarten. „Kornwestheim ist eigentlich ganz international“, sagen sie.

DIE HEIMAT VERLASSEN hatte ich weder Freunde noch Verwandte. Da- tur und das deutsche Leben haben wir uns destens zweimal im Jahr nach Hause, damit Zhenxing Ren: Wir haben uns in Braunschweig mals war das ein richtiges Abenteuer für mich: vorher informiert. In Hildesheim habe ich dann unsere Eltern ihr Enkelkind sehen können. auf einer Party kennengelernt. 2003 sind wir meine erste Auslandsreise und das erste Mal ein Jahr lang nur einen Sprachkurs belegt und von China nach Deutschland gekommen, wir im Flugzeug. Meine Eltern haben sich Sorgen die Prüfung für die Uni bestanden. Am Anfang LEBEN UND ARBEITEN haben beide hier studiert. Da war ich 21 Jahre gemacht und vermissen mich schon sehr, aber hatte ich viele chinesische Freunde, schließ- IN DEUTSCHLAND alt. Gottseidank gibt es Internet und man kann mit- lich besitzen wir die gleiche Kultur und die glei- Xinxin Ji: Nach unserer Zeit in Braunschweig Xinxin Ji: Ich habe in Deutschland Bauingeni- einander telefonieren. che Sprache. Nach einer Weile war dann mein und nach unserer Hochzeit sind wir nach Kas- eurwesen studiert. In China hatte ich bereits Zhenxing Ren: Ich bin mit einer Reisegruppe Freundeskreis multikulturell, meine Freunde sel umgezogen. Mein Mann hat dort promoviert meinen Bachelor gemacht und habe dann hier hergekommen, fast 40 Personen. Von Shang- kamen aus vielen verschiedenen Ländern. und ich in einem Ingenieurbüro gearbeitet. Wir diplomiert. hai ging es direkt nach Düsseldorf. Von der Uni Zhenxing Ren: Das war bei mir auch so. Ich haben 4 Jahre in Nordhessen gewohnt. Zhenxing Ren: Ich war in Duisburg an der Uni. aus war alles organisiert und gut vorbereitet. bin mit Mitstudenten angekommen aus dem Zhenxing Ren: 2012 sind wir dann in die Nähe In China hatte ich bereits nach vier Semestern Das Zimmer war schon da, und jemand hat gleichen Programm und von der gleichen Uni. von Nürnberg umgezogen, wo ich angefan- meinen Bachelor abgeschlossen und hier den uns vor Ort betreut. Wir haben am Anfang viel Zeit zusammen ver- gen habe, für die Firma Getrag zu arbeiten. Master gemacht in Maschinenbau. Es gab ein Xinxin Ji: Ich hatte vorher schon eine Zusage bracht, später war der Freundeskreis gemisch- 2014 habe ich dann nach Untergruppenbach Austauschprogramm zwischen der Stadt Duis- für ein Zimmer im Studentenwohnheim in Hil- ter. gewechselt. Ich bin in der Entwicklung für die burg und meiner Uni in Shanghai. Wir beide desheim bekommen. Xinxin Ji: Das Leben im Studentenwohnheim Getriebeherstellung. kannten uns vorher nicht und haben uns erst in fand ich sehr schön und lustig, fast wie eine Xinxin Ji: Unser Sohn kam zu der Zeit zur Welt, Deutschland getroffen. EINE ANDERE SPRACHE, Familie. Und ganz international. ich habe nicht gearbeitet. Xinxin Ji: Von meiner Uni aus bestand zu der EINE NEUE KULTUR Zhenxing Ren: Wir haben viel für das Studium Zhenxing Ren: Wir haben uns dann in Korn- FH in Hildesheim Kontakt. Dort habe ich mich Zhenxing Ren: In Shanghai hatte ich bereits gearbeitet, waren aber auch mit Freunden un- westheim eine Wohnung gesucht und gekauft, für einen Sprachkurs beworben und eine Zu- ein Jahr einen Deutschkurs an der Uni belegt. terwegs. Es ist sehr schön in Deutschland. Nur das war gar nicht so einfach. Mindestens 10 sage bekommen. Ich habe meine Koffer ge- Für die deutsche Universität musste ich mich das chinesische Essen haben wir vermisst. Objekte haben wir uns angesehen. Für einen packt und bin ganz allein nach Deutschland auch intensiv vorbereiten. Xinxin Ji: Als mein Sohn geboren wurde, hat Kauf ist die Lage ganz wichtig. gefl ogen. Das war das erste Mal, dass ich von Xinxin Ji: Auch ich habe schon in China mit mir meine Heimat besonders gefehlt. Vor allem Xinxin Ji: Wir haben uns für Kornwestheim ent- meinen Eltern getrennt war, und in Hildesheim Deutsch angefangen. Über die deutsche Kul- meine Eltern, meine Familie. Wir fl iegen min- schieden, weil uns sowohl die Stadt als auch

44 die Wohnung sehr gut gefällt. Zhenxing Ren: Stuttgart ist nicht soweit weg und der Stadtgarten ist sehr schön, dort gehen wir oft spazieren. Dann sind alle Einkaufsmög- lichkeiten ganz in der Nähe. Wir sind sehr zu- frieden! Auch das Ummelden im Rathaus war ganz einfach, dort waren wir zu Anfang viele Male. Ich fi nde Kornwestheim ruhig, aber trotz- dem städtisch. Xinxin Ji: Mit unseren Nachbarn ist es eben- falls sehr nett. Einmal im Jahr feiern wir zu- sammen ein Fest. In Kornwestheim gibt es auch andere Chinesen, zu denen wir Kontakt haben. Sie haben sich auch etwas in der Stadt gekauft und leben hier. Zhenxing Ren: Es wäre auch schön, wieder nach China zurückzugehen, aber mit meinem Vertrag ist das in China nicht möglich. Uns beschäftigt aktuell unser Sohn: Wir diskutie- ren gerade, ob er in China oder Deutschland aufwachsen soll. Wir haben keine Erfahrung, was die Situation für Kinder in China betrifft, Zhenxing Ren: Wie fühlen uns hier sehr in- nachten. Das ist ganz wichtig für die In Kornwestheim wir leben schon lange in Deutschland. tegriert. Unser Sohn wächst schließlich in Kinder. leben wir sowohl Xinxin Ji: Beides hat Vor- und Nachteile. Das Deutschland auf. Die Betreuung im Kinder- Xinxin Ji: Kornwestheim ist ei- chinesisch wie Leben in China ist etwas aktiver als hier, dafür garten ist sehr gut; viele Betreuer für wenige gentlich eine ganz internationale ist es in Kornwestheim ruhig und stressfreier. Kinder. In China ist es umgekehrt. Stadt, mit Menschen aus unter- deutsch, wir Was die Sprache betrifft: Momentan spricht un- Zhenxing Ren: In Kornwestheim leben wir so- schiedlichsten Ländern. Dass man fühlen uns wohl ser Sohn noch viel Chinesisch, später wird es wohl chinesisch wie deutsch, wir fühlen uns jetzt diese Ankommensgeschichten zwischen den mehr Deutsch werden. Er soll die chinesische wohl zwischen den beiden Kulturen. Allerdings macht, fi nde ich gut. Es ist gut, dass beiden Kulturen.“ Sprache aber auch beibehalten und die Schrift essen wir fast nur chinesisch. Chinesisch Neu- man Familien nach ihrem Hintergrund lernen. jahr feiern wir nur teilweise, dafür aber Weih- und ihrer Geschichte fragt.

45 PANAGIOTIS PASCHALIDIS Zwei Jahrzehnte ist Panagiotis Paschalidis schon ehrenamtlich im Griechischen Kulturverein in Kornwestheim tätig. Er engagiert sich bei Gottesdiensten und im griechischen Unterricht in der Silcherschule. Tradition und Sprache im Ausland zu bewahren ist wichtig für die Griechen, fi ndet er.

VON DRAMA NACH zusammenkommt. Ich habe mich nur wenig der ältesten. Der Unterricht fi ndet bis heute an Arbeit als Elektriker in einer kleinen Firma. KORNWESTHEIM UND ZURÜCK vorbereitet oder einen Sprachkurs besucht. der Silcherschule statt, dort war ich selbst über 1984 habe ich meine Frau bei einer Tanz- Ich bin in Drama geboren. Meine Eltern sind Damals waren alle auf die Arbeit konzentriert. den Verein tätig. Dort hatten wir 120 Schüler. veranstaltung in kennenge- 1972 nach Deutschland zum Arbeiten gegan- In Bietigheim haben wir gemeinsam in ei- Immer nachmittags von 14:00 – 17:00 Uhr gin- lernt. Die Griechen im Ausland waren immer gen, da war ich 10 Jahre alt. Wir Kinder sind ner Wohnung gelebt. Wir waren hauptsächlich gen die Kinder dorthin. Vormittags in die deut- sehr organisiert in vielen Vereinen, Parteien bei den Großeltern geblieben, auch wegen mit Griechen befreundet. Es gab damals viele sche Schule, schnell heim, etwas essen und und Verbänden. Wir hatten auch einen Fuß- der Schulbildung. Mein Vater wurde als Mau- Griechen in Bietigheim, auch heute noch fast nachmittags in den griechischen Unterricht. ballverband mit erster und zweiter Liga. Fast 40 rer eingeladen, nach Kleiningersheim. Meine 3000. In Kornwestheim lebten von den 70ern Wir unterrichteten Geschichte, Sprache, Re- Mannschaften gab es in Baden-Württemberg, Mutter hat als Aushilfe in einer Metzgerei ge- bis in die 90er fast 3000 Griechen. Die erste ligion und Erdkunde. Die Lehrer kamen für 5 alle organisiert vom griechischen Verband. Wir arbeitet. Die Eltern haben uns jeden Sommer Generation ist aber mit der Rente zurückge- Jahre aus Griechenland. Das Abkommen des haben alle Fußball gespielt. Und jeden Sams- besucht, nach wenigen Jahren gingen die kehrt. Ca. 1.200 sind es jetzt. Seit der Krise griechischen Bildungsministeriums mit dem tag gab es für die ganze Familie Tanzveran- meisten meiner vier Geschwister auch nach sind seit 2009 jedoch einige mehr hergekom- deutschen Konsulat sah vor, dass dafür Räu- staltungen. Das war eine Gelegenheit, sich Deutschland. Ich machte in Griechenland die men. Eine genaue Zahl kenne ich nicht, ich me gestellt werden. kennenzulernen. Meine Frau ist auch Griechin, Schule fertig und kam 1977 als einer der letz- schätze es sind 1.300. Als ich ankam, gab es nicht viele Angebote alles andere war damals noch ein bisschen ten der Familie hierher. für Deutschkurse. Heute funktioniert Integrati- ein Tabu. Ich glaube, meine Eltern hätten aber Ich war zuvor nie im Ausland. 1977 war Ich habe nicht viel eingepackt auf meinem on besser. Die Eltern schickten mich deshalb auch kein Problem gehabt mit einer deutschen das wie eine neue Welt für mich, alles war Weg nach Deutschland, ich hatte nicht viel. Da 1978 wieder zurück, damit ich in Griechenland Freundin. Mit 22 Jahren haben wir geheiratet, anders. Damals wollte jeder nach Deutsch- ich in Griechenland die Schule beendet hatte, auf die Berufsschule gehen konnte. Ich wohnte sehr jung. Wir sind in Deutschland getraut wor- land. Der Wohlstand war groß, es gab Wirt- habe ich keine deutsche Schule mehr besucht. in Thessaloniki in einem Internat. Zwei Jahre den, sogar in einer deutschen Kirche. schaftswachstum und Arbeit, davon hat jeder Integration war damals nicht einfach. Auch war ich dort, habe meinen Abschluss gemacht geträumt. Man merkte es, wenn Griechen aus wollten die Griechen gerne, dass die Kinder als Elektriker. Dann bin ich 1981 zurück nach GRIECHISCHE KULTUR Deutschland im Sommer wieder in den Urlaub in der Heimat studieren und eine griechische Bietigheim und kurz danach wieder zum grie- IN KORNWESTHEIM zurückkamen: Sie waren anders gekleidet, Ausbildung haben. Es gibt ja inzwischen welt- chischen Militär, um meinen einjährigen Wehr- 1998 haben wir in Kornwestheim ein Haus ge- hatten mehr fi nanzielle Freiheiten. Ich reiste weit griechische Schulen. Auch in Bietigheim. dienst zu leisten. Da war ich 19 Jahre alt. Nach kauft und renoviert. Meine Frau hatte damals hierher mit dem Ziel, dass die Familie wieder Und in Kornwestheim existiert seit 1964 eine meiner Rückkehr in Bietigheim fand ich dann schon ihren Friseurladen hier. Nach dem Um-

46 zug habe ich mich gleich an die griechische Kirche gewandt und wurde Messner. Das habe ich 10 Jahre jeden zweiten Sonntag gemacht. Jeden zweiten und vierten Sonntag sind wir in die Martinskirche. Insgesamt haben wir 50-60 griechische Kirchen und viele Kirchengemein- den. Für uns Griechen im Ausland ist es wichtig, die Traditionen und die Sprache zu bewahren. Vielleicht stärker als bei anderen Nationen. In- tegration ist auch Thema bei uns. Für jeden ist doch das erste Ziel, dass man fi nanziell gesi- chert ist. Man muss aber auch Teil der Gesell- schaft werden, am öffentlichen Leben teilneh- men. Man muss Erfolg haben. Es ist nicht gut, wenn wir nur in unserer Sprache sprechen. Man muss nach vorne schauen.

Die Zusammenarbeit mit der Stadt war immer sehr gut. Die Stadt ist sehr bemüht. Alle Ober- bürgermeister und auch der Ausländerbeirat Für uns Griechen waren immer sehr unterstützend. noch 28. Es fehlt an Engagement. Das war frü- ren sind müde geworden. Die Menschen ... ist es wichtig, die Leider zeigen die Menschen nicht so viel her anders. meinen, sie sind angekommen und Interesse. Das trifft fast auf alle zu. Die jungen müssen nicht mehr integriert werden. Traditionen und die Generationen wollen nichts mehr ehrenamt- PERSPEKTIVEN FÜR UNSER Aber es ist gut für die neu Angekom- Sprache zu bewah- lich leisten. Bei den jungen Griechen möchte ZUSAMMENLEBEN menen aus den verschiedensten Län- ren... Man muss aber niemand Verantwortung für unseren Verein Wir Griechen sollen mehr in die Öffentlichkeit tre- dern. Für die junge Generation ist es auch Teil der Gesell- übernehmen. Wir haben Schwierigkeiten, den ten. Wir sind zwar schon präsent, aber es sollte nicht mehr so wichtig, die Sprache gut Vorstand zu besetzen. Dieses Problem haben mehr sein. Durch den Verein, den internationalen zu lernen, die griechischen Feste zu fei- schaft werden, am aber alle Nationen. Bei den Kornwestheimer Kulturtreff usw. Ich bin da aber nicht optimistisch. ern, in die Kirche zu gehen oder die Wur- öffentlichen Leben Tagen gab es früher 44 Vereine. Jetzt sind es Die neue Generation macht nicht mit und die älte- zeln zu pfl egen. Das fi nde ich schade. teilnehmen.“

47 HERAUSGEBER INTERVIEWFÜHRUNG Stadt Kornwestheim Claudia Skirl, Anna Genthner, Soziales / Integration / Bürgerengagement Gefördert durch das Ministerium für Soziales Jakob-Sigle-Platz 1 Nayra Rondon, Ansprechpartner und Integration Baden-Württemberg D-70806 Kornwestheim Maria Wöhrle KADIR KOYUTÜRK BERATUNG UND FACHLICHE BEGLEITUNG GRAFISCHE GESTALTUNG, SATZ PLENA-Institut Hochschule Mannheim, kernHouse medienagentur bley, Jakob-Sigle-Platz 1 Prof. Dr. Ralf Vandamme, Kornwestheim 70806 Kornwestheim Özlem Cakmak-Bäuerle DRUCK Telefon 07154 202-8423 BILDNACHWEISE WirmachenDruck GmbH, 71522 Backnang, E-Mail [email protected] Fotodesign Yakup Zeyrek 2. Aufl age Web www.kornwestheim.de