Der Fall Relotius Abschlussbericht Der Aufklärungskommission
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In eigener Sache Der Fall Relotius Abschlussbericht der Aufklärungskommission Liebe Leserin, lieber Leser, etwas mehr als fünf Monate ist es her, dass wir die Fälschun - hat den auf eigenen Wunsch verlassen, zwei von gen unseres ehemaligen Redakteurs Claas Relotius offen - Relotius’ ehemaligen Vorgesetzten sind abgetreten, der eine gelegt haben. Wie versprochen hat der die Zeit als Ressortleiter, der andere als Chef redakteur. genutzt, um den Betrugsfall aufzuarbeiten. Eine dreiköpfige Im hinteren Teil des Berichts werden exemplarisch einige Aufklärungskommission hat ergründet, wie es Relotius Beispiele genannt, in denen nicht betrogen, aber unsauber gelingen konnte, sämtliche Sicherungen außer Kraft zu set - gearbeitet wurde: indem Geschichten durch eine sehr groß - zen. Und sie hat untersucht, wie wir dem Betrugsverdacht zügige Auslegung von Abläufen oder Fakten eine künst - nachgegangen sind, als dieser erstmals vom Kollegen Juan liche Dramaturgie eingepflanzt wurde. Dergleichen war bis Moreno geäußert wurde. zuletzt auch in anderen Redaktionen durchaus üblich, Die gute Nachricht: Es wurden keine Hinwei - macht die Masche aber nicht legitimer – und se darauf gefunden, dass jemand im Haus von wird bei uns nicht länger toleriert. den Fälschungen wusste, sie deckte oder gar an Wie geht es nun weiter? Wir haben dem Qua - ihnen beteiligt war. litätsjournalismus in Deutschland mit dem Fall Die schlechte Nachricht: Wir haben uns von Relotius einen gewaltigen Imageschaden zu - Relotius einwickeln lassen und in einem Ausmaß gefügt, das ist uns bewusst. Deshalb werden wir Fehler gemacht, das gemessen an den Maßstä - unsere Lehren daraus ziehen. Wir orga nisieren ben dieses Hauses unwürdig ist. Und: Wir sind, unsere Sicherungsmechanismen fortan so, dass als erste Zweifel aufkamen, viel zu langsam in sie auch nahtlos funktionieren, wir richten eine die Gänge gekommen und haben Relotius’ unabhängige Ombudsstelle ein, die etwaigen immer neuen Lügen zu lange geglaubt. In sei - Hinweisen auf Ungereimtheiten nachgehen soll, ner Verdichtung zeichnet der Bericht da ein ver - SPIEGEL 52/2018 und wir überarbeiten unsere Recherche-, Doku - heerendes Bild. mentations- und Erzählstandards. Die Kommis - Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes haben wir den sion hat hierzu eine Reihe von Vorschlägen gemacht, Bericht für die Veröffentlichung im und auf zusätzlich arbeiten drei -Teams an einem neuen an einigen Stellen anonymisiert; überall journalistischen Regelwerk für unsere Marke. dort, wo wir bereits in eigener Sache unter Nennung vollstän - Wenn all das den besser macht, stellen sich die diger Namen berichtet haben, tun wir dies auch hier. Auch Betrügereien von Claas Relotius rückblickend betrachtet wenn Claas Relotius seine Fälschungen mit aller A kribie ver - vielleicht als heilsamer Schock heraus. Der Abschluss - tuscht und abgesichert hat, so haben doch einige Kollegen die bericht war dafür ein wichtiger Schritt, aber die Aufarbeitung Verantwortung dafür übernommen, dass sein Treiben so lan - geht weiter. ge unentdeckt bleiben konnte: Der zuständige Dokumentar Thomas Hass, Geschäftsführer; Steffen Klusmann, Chefredakteur I. Vorbemerkung II. Arbeitsauftrag schon damals klar, dass es sich womöglich um einen der schwersten Fälle von publi - Die Kommission hat keine Hinweise da - der Kommission zistischer Fälschung in der Nachkriegs - rauf gefunden, dass jemand im Haus von geschichte handelt. Dieser hat den Ruf des den Fälschungen des Claas Relotius ge - Der hat am 19. Dezember 2018 und den Ruf einer journalisti - wusst hat, an ihnen beteiligt war oder die - öffentlich gemacht, dass einer seiner Re - schen Gattung in Deutschland beschädigt, se verheimlicht hätte. dakteure, Claas Relotius, Texte gefälscht der Reportage. Der ist es seinen Die Kommission ist im Laufe ihrer Ar - hat – vor allem Reportagen. Die Entde - Lesern und sich selbst schuldig, die Vor - beit auf lediglich einen weiteren Fall ckung dieser Fälschungen ist dem - gänge aufzuklären. Chefredaktion und Ge - gestoßen, in dem eine bewusste Fäl - -Reporter Juan Moreno zu verdanken, schäftsführung entschieden daraufhin, den schung zweifelsfrei nachgewiesen werden der trotz großer Zweifel im eigenen Haus Fall offen und transparent zu behandeln. konnte. Es handelt sich um einen Autor hartnäckig Betrugshinweisen gegen Claas Es wurde eine Kommission eingerichtet, des Magazins der »Süddeutschen Zei - Relotius nachgegangen ist und unter gro - die die Fälschungen umfänglich und unab - tung«, der auch mehr als 40 Texte im ßem persönlichem Einsatz die entschei - hängig aufarbeiten sollte. Die Kommission und bei ver - denden Indizien und Beweise zusammen - bestand aus drei Personen: öffentlicht hat. getragen hat. Obwohl im Dezember 2018 l Brigitte Fehrle, freie Journalistin und Nach Prüfung wurden bei zwei Texten das komplette Ausmaß des Betrugs noch frühere Chefredakteurin der »Berliner Zei - gravierende Fälschungen entdeckt. nicht abgesehen werden konnte, war doch tung«, 130 l Clemens Höges, kommissarischer Blatt - nicht ausgeschlossen werden, dass nach sche Gattung Reportage. Relotius galt und macher, und Veröffentlichung des Abschlussberichts gilt als exzellenter Schreiber. Er wurde von l Stefan Weigel, Nachrichtenchef des neue Verdachtsfälle auftauchen; die E- Ullrich Fichtner für den entdeckt, seit 1.1.2019. Mail-Adressen bleiben daher für weitere arbeitete ab 2014 zunächst freiberuflich Die Aufgabe der Kommission war es: Nachrichten freigeschaltet. und wurde im April 2017 fest angestellt; l den Fälschungsfall umfassend zu ermit - Wir bezeichnen im Bericht Männer und seine Ressortleiter waren Matthias Geyer, teln, Fehlverhalten einzelner Personen auf - Frauen gleichermaßen in der männlichen Guido Mingels und Özlem Gezer. Im zuklären, systemische Ursachen in den Ab - Form als »Kollegen«, weil wir die zugesi - und auf sind läufen von Redaktion, Dokumentation cherte Vertraulichkeit aufrechterhalten in den vergangenen Jahren rund 60 Texte und anderen Abteilungen zu ermitteln, wollen. erschienen, die Claas Relotius geschrieben l zu klären, ob es weitere Fälle gab, und hat oder an denen er beteiligt war. Von l Verbesserungsvorschläge für eine effi - III. Der Fall Relotius den Kollegen wird er als sympathisch, zientere Fehlerkontrolle für die Redaktion freundlich zu jedermann und bescheiden und die Dokumentation zu machen. Dieser Teil des Berichts stellt dar, wie es zu beschrieben; er sei ein stiller, eher zwei - Die Kommission hat ihre Arbeit Anfang der Affäre um verfälschte oder zu großen felnder Typ gewesen, der sich oft Rat ge - Januar 2019 aufgenommen. Sie war nicht Teilen erfundene Artikel des Redakteurs holt habe. Niemand im Haus, auch kein weisungsgebunden, konnte sich im Haus Claas Relotius im kommen konn - früherer Mitarbeiter konnte sich vor - frei bewegen und Gespräche führen. Wei - te. Er fasst zusammen, was die Kommission stellen, dass er inkorrekt arbeitet oder gar tergehende Ermittlungen, beispielsweise über jene Strukturen und Abläufe im Ge - fälscht. Die Kommission hat vielen lang - die Einsicht in E-Mail-Accounts, bedurf - sellschaftsressort des Heftes weiß, die zur jährigen, erfahrenen Reportern auch au - ten der Zustimmung von Betriebsrat, Ge - Affäre beigetragen haben. Er basiert auf ßerhalb des Gesellschaftsressorts die Frage schäftsleitung und Chefredaktion und wur - vielen oft vertraulichen Gesprächen sowie gestellt: Hat es sie nicht gewundert, dass den unter Berücksichtigung des Daten - auf ausgewerteten Dokumenten. Mit Claas ein so junger Kollege in Serie solch außer - schutzes durchgeführt. Relotius selbst konnte die Kommission gewöhnliche Texte abliefert? Die Antwort Die Kommission möchte sich bei allen nicht sprechen. Er hat über seinen Anwalt war sinngemäß meist: Ich dachte eben, der Beteiligten für die Kooperationsbereit - Gesprächsanfragen abgelehnt. Es war der ist besser als ich. Oder: Der scheint einfach schaft bedanken. Alle Gesprächspartner Kommission daher auch nicht möglich, sei - immer Glück zu haben. waren an einer Lösung und Aufarbeitung ne Beweggründe zu recherchieren bzw. die Im Nachhinein geben allerdings Dirk interessiert. Dies ermöglichte der Kommis - auf vom 19.12.2018 zi - Kurbjuweit und Klaus Brinkbäumer an, sion eine konstruktive und zügige Arbeit. tierten Aussagen zu hinterfragen. (»Es ging bei einzelnen Texten leise Zweifel gehabt Ohne die umfangreichen Vorarbeiten der nicht um das nächste große Ding. Es war zu haben. So wunderte sich Kurbjuweit Kollegen in der Taskforce und die Recher - die Angst vor dem Scheitern.« Und: »Mein über die mangelnde Qualität eines Textes chen der Kollegen aus dem Gesellschafts - Druck, nicht scheitern zu dürfen, wurde im - von Relotius, den er selbst bei ihm in Auf - ressort wäre dieser Bericht in der Kürze mer größer, je erfolgreicher ich wurde.«) trag gegeben hatte. Kurbjuweit nannte Re - der Zeit nicht möglich gewesen. Der Bericht enthält an dieser Stelle deshalb lotius für die Recherche auch Kontaktper - Besonders hervorzuheben ist die ausschließlich die Sichtweise der Redaktion sonen und überwachte die Fertigstellung Beteiligung der Dokumentation an der und der Dokumentation. des Textes. Kurbjuweit: »Da war ich ent - Aufarbeitung. Sie hat zusammen mit Re - Grundsätzlich ist zu sagen, dass der täuscht, weil das Storyhafte fehlte, kein dakteuren aus verschiedenen Ressorts alle Fälscher Relotius in erster Linie für sich echter Relotius.« Texte von Claas Relotius einer erneuten und seine Texte Verantwortung trägt. Er Brinkbäumer konnte sich nach eigenen Überprüfung unterzogen. Das Ergebnis