Die Hydrographie des Bodenseeraums in Vergangenheit und Gegenwart

Autor(en): Keller, Oskar / Krayss, Edgar

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Berichte der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft

Band (Jahr): 89 (2000)

PDF erstellt am: 04.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-832575

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http://www.e-periodica.ch BERICHTE DER ST.GALLISCHEN NATURWISSENSCHAFTLICHEN GESELLSCHAFT 39

89. Band Seiten 39-56 11 Abbildungen 2 Tabellen St.Gallen 2000

Die Hydrographie des Bodenseeraums in Vergangenheit und Gegenwart (Erläuterungen zur Karte )

Oskar Keller Edgar Krayss

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung

Zusammenfassung 39 Ausgehend von einer Arbeit zur Hydrographie des Bodenseeraums während der letzten 1. Einleitung 40 Vorlandvereisung> und einer detaillierten 2. Hauptphasen und Gliederung Karte der stadialen Eisrandlagen mit der der letzten Eiszeit 41 zugehörigen Entwässerung (KRAYSS & KELLER 1996) wird die Entwicklung des 3. Glazialmorphologische Prozesse heutigen Gewässernetzes untersucht. Die am Rande eines Vorlandgletschers 41 präwürmeiszeitliche Entwässerung ist auf 4. Grundzüge der Hydrographie während einem älteren Täler- und Beckensystem den stadialen Eisrandkomplexen 44 aufgebaut und durch breite, teils stark übertiefte Talzüge gekennzeichnet. 5. Bedeutung der letzteiszeitlichen Die hochwürmeiszeitliche Vergletscherung Eisrand-Entwässerung brachte stadiale Schmelzwasserbahnen, für das heutige Talnetz 46 die vielfach dort neu angelegt wurden, wo 5.1 Altangelegte Talzüge 46 die Eiskörper die früher benutzten Täler 5.2 Die würmeiszeitliche Umgestal¬ versperrten oder mit Lockermaterial tung der Hydrographie 46 verfüllt hatten. Als neu geschaffene, vorwiegend 5.3 Nacheiszeitliche Veränderungen durch wasserreiche Schmelzwasserströme der Gewässer 46 ausgestaltete Täler sind sie formlich 5.4 Überlagerung der Entwässe¬ , das heisst markant ins Altgelände rungssysteme 48 eingelassen. Häufig handelt es sich auch um 6. Schlussfolgerungen 53 canonartige, enge Durchbruchstäler. Bezogen auf den im Bodenseebecken Literaturverzeichnis 55 liegenden Eiskörper bildeten sich drei Kartenbeilage: Entwässerungstypen heraus: zentrifugal aus dem hinten im Einband Becken nach aussen weisende Abflüsse, zentripetal zum Eiskörper gerichtete Fliessgewässer und konzentrisch angelegte, randlich

Dr. phil. Oskar Keller, Sonderstrasse 22, CH-9034 Eggersriet Edgar Krayss, Myrtenstrasse 9, CH-9010 St.Gallen 40 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS um den im Becken liegenden Gletscher letzteiszeitlichen Vorlandgletscher verstanden herum fliessende Schmelzwasserströme. werden kann. Nach dem Abschmelzen der Eismassen im Um die vielen Einzelerkenntnisse in ein Vorlandbecken wurden die durch die Gesamtbild einzufügen, war es gegeben, eine Gletscherstände verursachten neuen Talzüge von Karte zu erstellen, in der die zeitlich den Fliessgewässern zum Teil beibehalten nacheinander entstandenen Schmelzwasserwege oder aber die Flüsse fanden die älteren zusammen mit den Eisrandbildungen zur Abflussbahnen wieder. Die meisten der zahlreich Darstellung gelangen. Diese Karte wurde gestauten Eisrandseen sind später wieder 1996 als Bestandteil eines Artikels zur ausgelaufen. 'Hydrographie des Bodenseeraums während der Mit dem Eisfreiwerden des gesamten Bo- letzten Vorlandvereisung> in Band 114 der densee-Vorlandes um 14 500 Jahre vor heute Schriften des Vereins für Geschichte des war das Entwässerungsnetz im wesentlichen Bodensees (KRAYSS & KELLER 1996) publiziert. festgelegt und blieb seither unverändert. Die St.Gallische Naturwissenschaftliche Einzig die Zuschüttung von Seen, die die Gesellschaft hatte sich damals bereit Abschmelzphasen am Ende der Eiszeit erklärt, den Druck finanziell zu unterstützen, überdauert hatten, verursachte im Postglazial unter der Bedingung, dass die Karte auch in noch bedeutendere Veränderungen. den Berichtebänden mit einem Begleitartikel Die heutige Elydrographie im Bodenseeraum aufgelegt werden solle. Im Themenband basiert auf dem präwürmeiszeitlichen 88 , der 1997 erschien, war dafür kein Tal- und Flussnetz. Dieses wird von hoch- bis Platz, sodass dies erst jetzt in diesem Band 89 spätglazial angelegten Schmelzwasserwegen möglich ist. Im vorliegenden überlagert. Aus der Kombination lässt sich Artikel steht die Karte als Grundlage im das gegenwärtige Entwässerungsnetz ableiten Zentrum (Kartenbeilage). Der durch sie und verstehen. abgedeckte Grossraum und die verwirrende inhaltliche Fülle bedürfen der Erklärung. Nach der Erörterung der generellen Prozesse, die 1. Einleitung sich zwischen Gletscherkörper und Schmelzwasser am Eisrand abgespielt haben, werden Im Laufe von bald 30 Jahren haben sich die die zeitlich und räumlich neben- und Autoren mit immer wieder neuen Fragestellungen nacheinander entstandenen Entwässerungssysteme bezüglich der letzten Eiszeit im im Überblick behandelt. Schliesslich gesamten Bodenseegebiet beschäftigt. Es hat wird der Einfluss der eiszeitlichen sich dabei gezeigt, dass zur Erstellung einer Hydrographie auf das heutige Gewässernetz untersucht. räumlichen und zeitlichen Ordnung im Ablauf der Vorlandvergletscherung der eiszeitlichen Eine in diesem Berichteband anschliessende Entwässerung eine grosse Bedeutung Arbeit mit dem Titel 'Eiszeitliche zukommt. Die Abflusswege der Schmelzwässer Gewässer von der Goldach bis zur Thur> von werden einerseits durch das Relief E. Krayss und O. Keller befasst sich mit den des Gletscherumfeldes und anderseits durch regionalen Aspekten des gleichen Themenkreises. die Geometrie der jeweiligen Eiskörper gesteuert. Daher liefern fossile Schmelzwassertäler wichtige Marken zur Rekonstruktion der zugehörigen Gletscher und zur Gliederung der Eisrandlagen rund um das Bodenseebecken. Es ist dabei auch klar geworden, dass das heutige Gewässernetz in weiten Bereichen aufgrund der Entwässerung der DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 41

2. Hauptphasen und Gliederung der letzten Rhein-Bodensee-Vergletscherung die Etappen Eiszeit gemäss Tabelle 1 unterschieden werden (KELLER & KRAYSS 1993,1999a; KRAYSS Die jüngste Eiszeit, die Würmeiszeit, beginnt & KELLER 1996). vor 110000 Jahren mit ersten Kühlphasen, die sich schrittweise zu eiszeitlich kalten Über die Vorgänge während der Eisaufbauzeit Abschnitten (Stadiale) verstärken und mehrfach ist wenig bekannt, da die maximale von etwas wärmeren Perioden Eisüberflutung alles Ältere überfahren und (Interstadiale) unterbrochen werden. Zwischen dabei grossenteils zerstört hat (Phasen A und 56 000 und 28 000 Jahren vor heute ist das B, Tabelle 1). Bodenseebecken gemäss Datierungen an den Ab dem Würm-Maximum und dem Mörschwiler Schieferkohlen (KELLER & nachfolgend einsetzenden Rückschmelzen (Phasen KRAYSS 1998) bei interstadialem C und D, Tabelle 1) wurden die Relikte kühlfeuchtem Klima eisfrei. Die hochglaziale der Gletscherstände nicht nochmals vom Eis Vorlandvergletscherung setzt erst ab 25 000 überdeckt und blieben daher gut erhalten. Jahre vor heute mit dem Gletschervorstoss Dies betrifft vor allem Eisrandbildungen wie aus den inneren Alpen ein (KELLER & Wallmoränenzüge, Schotterfelder (Sander), KRAYSS 1991b). Basierend auf eismechanischen Sedimente in glazialen Seen, Schmelzwasser- Überlegungen und abgestützt auf Abflusswege. Sie ermöglichen im ganzen einige wenige datierte Zeitmarken können in Bodensee-Vorlandbecken eine Gliederung in einem Modell zum Aufbau und Abbau der stadiale Eisrandkomplexe als Grosseinheiten sowie die weitere Unterteilung in Gletscherstände (KELLER & KRAYSS 1980, Phase Verhalten des Vorlandgletschers 1987, 1993; KRAYSS & KELLER 1983, (A) Vorstoss in die Vorlandbecken 1996). Vergleiche dazu Tabelle 2. 25000-22000 J.v.h. (B) Aufbau der Vorlandvergletscherung 22000-19000 J.v.h. 3. Glazialmorphologische Prozesse am Rande eines (C) Eishochstände Würm-Maximum bis Vorlandgletschers Stein am Rhein 19000-15500 J.v.h. Vor und entlang dem Eisrand eines (D) Rückschmelzen in den Vorlandbecken Vorlandgletschers sammelt sich Schmelzwasser. Die und Auslasskanälen bedeutenden Wassermassen, die hier freigesetzt 15 500-13500 J.v.h. werden, müssen sich Abflusswege suchen. Je nach dem Relief der den Gletscher Tabelle 1: umgebenden eisfreien Landschaft bilden Hauptphasen der würmeiszeitlichen sich unterschiedliche Arten von Vorlandvergletscherung. Entwässerungsbahnen aus.

Eisrandkomplexe Abkürzung Stände ungefähre Zeitmarken Würm-Maximum W/M W1-W3 20000-18000 J.v.h. Feuerthalen W/F W4-W5 17000 J.v.h. Stein am Rhein W/S W7-W8 16000 J.v.h. W/K W9-W10 15000 J.v.h. Weissbad-Koblach W/W 14500-14000 J.v.h.

Tabelle 2: Eisrandkomplexe mit ihren Ständen und Zeiträumen. 42 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS

Der klassische Fall der glazialen Serie, bereits dung 3). In resistenten Felsgesteinen werden vor 100 Jahren von Penck eingeführt, dabei durch Tiefenerosion auch enge, markant entwickelt sich, wenn das Vorland vom Eisrand eingeschnittene Rinnentäler herauspräpariert, weg freien Abfluss in ein tiefer gelegenes während bei weicherem Untergrund Hauptflussnetz gewährt, also Flächenlage und weniger Gefälle häufig Seitenerosion die des Eisrandes vorliegt (Abbildung 1). Der Hänge angreift. Eisstrom baut an seiner Front Moränenwälle Zusammengefasst und vereinfacht ergeben auf, die von Gletschertoren unterbrochen sich somit drei Typen der sind. Das Schmelzwasser transportiert das Entwässerungswege vor den Gletscherfronten Moränenmaterial nach aussen und schüttet (Abbildungen 4-6): einen Sander (Schotterfeld) auf, wobei zunächst die grobe Geröllfraktion und erst 1. Bei der glazialen Serie, also Flächenlage weiter draussen das Feinmaterial zur Deposition des Eisrandes erfolgt der Schmelzwasser- gelangen. In vorgelagerten Mulden abfluss in der Regel vom Gletscher aus können auch Eisrandseen liegen, in welche nach aussen: zentrifugale Entwässerung. die Sander vorgebaut werden. Sie ist im Norden, wo die maximale Im Bodenseeraum mit seiner Beckengestalt Vergletscherung gerade die Wasserscheide im Grossen und den zahlreichen tiefen zur Donau erreichte, mustergültig Taltrögen in den einzelnen Beckenabschnitten verwirklicht. Zentrifugale Abflussbahnen sind ist ein zweiter Typ häufig anzutreffen. auch im Westen zwischen Schaffhausen Wenn sich innerhalb oder am inneren Ende und Winterthur zu finden. eines Beckens eine Eisfront aufbaut, kommt 2. Liegt Beckenlage des Eisrandes vor, führt es zur Beckenlage des Eisrandes (Abbildung dies in den meisten Fällen zu zentripetaler 2). Riegelt der Gletscher auf der Innenseite Entwässerung der Zuflüsse, die primär unter Aufschüttung von Eisrandwällen und zum Eisrand oder zu Eisrandseen gerichtet Sanderfluren das Becken ab, so wird ein ist. Der Hauptabfluss zeigt dann in den Eisrandsee aufgestaut. Wenn das Eis direkt die Sammelrinnen vom Vorlandgletscher weg stauende Front bildet, dann handelt es sich nach aussen. um einen Eisstausee, in dem der Gletscher Dieser Typ bildete sich nach der kalbend (Eisberge bildend) stirnt. Aus der Maximalvereisung aus, als der Eiskörper das innere eisfreien Umgebung streben die Fliessgewässer Bodenseebecken noch erfüllte und die zum See und damit gegen den Fliessgewässer aus den bereits eisfreien Eisrand. Das aufgestaute Zufluss- und Schmelzwasser Zonen sich gegen das Beckeninnere sucht dem Eisrand entlang den ausrichteten, wie Goldach, Sitter, Urnäsch Abfluss in ein niedrigeres Tal. Manchmal und Thür im Süden, Bregenzer Ach und läuft ein solcher See auch gegenüber der Argen im Osten oder kleinere lokale Gletscherstirn über, was in einem durch Flüsschen im und Linzgau im Rückschmelzen eisleer gewordenen Nordwesten des Beckens. Zungenbecken der glazialen Serie oft der Fall ist. 3. Bei Hanglage des Eisrandes wird das Das Resultat ist ein Zungenbeckensee. Schmelzwasser hangparallel, respektive Beide genannten Eisrand-Abflusstypen quer zu den Gletscherzungen als randliche, zeichnen sich durch akkumulative Prozesse, konzentrisch angelegte Entwässerung also Aufschüttungsvorgänge aus. Schiebt bogenförmig um das innere, eiserfüllte sich aber eine Eisfront auf die Abhänge eines Bodenseebecken herumgeleitet. Sie findet Hügel- oder Berglandes vor, so beginnen die sich im Würm-Maximum im Nordwesten Schmelzwässer dem Eisrand entlang die am Randen und im Nordosten an der Adelegg. Berghänge anzunagen, was zu erosiven Sie trat auch abschnittsweise an Prozessen führt: Hanglage des Eisrandes (Abbil¬ beckeninneren Eisrändern auf, beispiels- DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 43

Glaziale Serie - Flächenlage des Eisrandes Merkmale: - offenes Vorland mit freiem Rbfluss - zentrifugale Entwässerung - glazifluviale Akkumulation

Abbildung 1: Bei Flächenlage des Eisrandes (glaziale Serie) stirnt der Gletscher unbehindert im Vorland. Das Schmelzwasser Sonder, Schotterfeld Endmoränenwoll Zungenbecken fliesst vom Gletscher weg nach aussen.

Beckenlage des Eisrandes

Merkmale : - ansteigendes l/orland, Eisfront im Beckeninneren - zentripetale Entwässerung - eisgestaute Gewässer, Verfüllungssedimente

Abbildung 2: Bei Beckenlage liegt der Gletscher im Innern des Vorlandbeckens. Es bilden sich Eisstauseen, in denen sich vom Schuttfächer, Delta, Eisstausee, Wallmoräne Grundmoräne Gletscher her und von Schotter, Kiese Seesedim ente (Till) aussen zufliessendes Wasser sammelt.

Hanglage des Eisrandes

Merkmale : - auf Abhänge aufgefahrene Eisfront - konzentrische, eisrandparalleie Entwässerung - erosive Eintiefung der Schmelzwässer

Abbildung 3: Schiebt sich die Eisfront auf die Abhänge der Beckenumrandung, so ist das Schmelzwasser Anstehendes wenig resistent dem Eisrand Felsrinnen gezwungen, weite Schmelzwassertäler entlang um den Gletscher herum abzufliessen. 44 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS

weise am Südrand zwischen St.Gallen und Schmelzwasserflüsse gute Dienste. Die Wil oder zwischen Wangen und Singen Relikte können unter Berücksichtigung der entlang der nordseitigen Eisfronten. hydrologischen Gesetzmässigkeiten, insbesondere des Prinzips des Ausgleichs im Gefälle, Ausgeprägt erscheinen alle drei zu Abflussbahnen zusammengefügt werden. Entwässerungstypen im Stein am Rhein-Stadium, Um die Gletscher-Rekonstruktionen dargestellt in Abbildung 5. abzusichern, sind für fünf Bereiche der Vorlandvereisung exakte Eisrand- und Entwässerungsprofile erarbeitet worden: Argengebiet, 4. Grundzüge der Hydrographie während Schussental, Linzgau, Hegau-Rhein- den stadialen Eisrandkomplexen Eglisau sowie Südrand vom Appenzeller Sporn (Appenzeller Vorderland) bis zur Der Zeitraum der Vorlandvergletscherung Tössmündung in den Rhein (KRAYSS & zwischen Würm-Maximum W/M und dem KELLER 1996). Stellvertretend für alle Konstanz-Stadial W/K ist gekennzeichnet übrigen wird in Abbildung 7 das Profil des durch starke Aktivität in der Talbildung und Rheingletscher-Südrandes vorgestellt, das hohe Dynamik in den sich ändernden auch die Region St.Gallen durchzieht. Flusssystemen. In nur ungefähr 4000 Jahren Für das Würm-Maximum kann erst ab (19000-15 000 J.v.h.; vergleiche Kapitel 2) dem Raum Kirchberg im westlichen fand ein mehrfacher Wechsel der Untertoggenburg ein durchlaufendes Schmelzwassersystem Entwässerungsbahnen im Bodenseeraum statt, rekonstruiert werden (Abbildung während seit 14 500 Jahren vor heute, ab dem 7). Dafür gibt es zwei Gründe. Schmelzwasser endgültigen Eisfreiwerden des Bodenseebeckens, scheidet ein Gletscher eisrandlich nur das Flussnetz im wesentlichen unterhalb der Schneegrenze in grösseren Mengen unverändert geblieben ist. aus, eigentliche Schmelzwasserströme Zu jedem Gletscherstand - es sind immerhin bilden sich erst in nochmals tieferer Lage. Im deren zehn (vergleiche Tabelle 2) - Würm-Maximum lag die Schneegrenze im entwickelte sich ein zugehöriges, spezifisches unteren Toggenburg unter 1000 m ü. M., die Schmelzwasser- und Abflusssystem. Um die Eisrandentwässerung setzt zusammenhängend rasch ändernde Hydrographie aufzeigen zu auf knapp 900 m ü. M. ein (KELLER & können, ist in den Abbildungen 4-6 für drei KRAYSS 1993; KRAYSS & KELLER 1994). Eisrandkomplexe jeweils ein Gletscherstand Der zweite Grund liegt darin, dass im W/M mit seinem Gewässernetz in generalisierter eine einzige durchlaufende Eisdecke über Form dargestellt. Der exakte Verlauf der dem Appenzellerland und dem Toggenburg Linien des hydrographischen Netzes ist in der nahtlos mit dem Vorlandgletscher verbunden Kartenbeilage eingezeichnet. war. Demnach existierte östlich der Thür Beim Studium der Gesamtkarte der gar kein südlicher Eisrand (KELLER 1981; Vorlandvereisung (Kartenbeilage) zeigt sich KRAYSS & KELLER 1983, Karte). auch, dass die Eisränder klar verfolgbar sind. Im Feuerthalen- und im Stein am Rhein- Die Entwässerung hingegen ist sehr komplex Stadium bildeten sich durch Abriegelung der strukturiert und weist je nach Region spezielle zum Eisrand gerichteten, eisfrei gewordenen Eigentümlichkeiten auf. Die fossilen Flusstäler von Goldach, Sitter, Glatt, Thür, Schmelzwasserwege sind zudem oft nur noch Murg und Töss verschiedentlich Eisstauseen in Resten vorhanden, sodass die Zusammenhänge (KELLER & KRAYSS 1991a, 1999a; nicht einfach zu finden sind. Hier leisten KRAYSS & KELLER 1994). Profile entlang der generellen Richtung Der Schmelzwasserstrom des Stein am der Eisfronten mit den noch feststellbaren Rhein-Standes W7 (Niveau in Abbildung Ablagerungen und den Talbodenresten der 7; vergleiche auch Tabelle 2) erodierte be- DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 45

Hydrographie des Bodensee-Vorlandgletschers in der Würmeiszeit (generalisiert) Würm-Maximum W/M Stand VI2

Pfänder A

Eisrand Vorland- qlelscher Entwässerung: zentrifugal zentripetal i 1 1 randlich konzentrisch 0 10 20 km Keller 99

Abbildung 4: sonders stark eingetiefte Eisrandtäler. Sie Im Würm-Maximum liegt die Front des Vorlandgletschers auf dem Aussenrand des Bodenseebeckens. sind noch heute, nur an wenigen Stellen zur Hauptsache Die Entwässerungsbahnen sind daher vorwiegend unterbrochen, bis von Eggersriet-Grub zur zentripetal nach aussen gerichtet. Mündung in den Rhein bei Eglisau verfolgbar. Nach dem Rückschmelzen vom Stein am Ortsbezeichnungen: Rhein-Eisrand fielen diese Täler trocken Bi Biberach Fr Frauenfeld und wurden, wie im Rindal und bei Bichelsee, Lk Leutkirch SG St.Gallen bis 100 lokalen mit m mächtigen Si Singen Wa Wangen Schuttmassen verfüllt (KRAYSS & KELLER 1994). Br Bregenz Is Isny Die Juraschwelle von Kaiserstuhl unterhalb Ra Ravensburg SI Saulgau Eglisau hat während der ganzen Würmeiszeit SR Stein am Rhein W1 Wil Fh Friedrichshafen Ko Konstanz und auch während dem Postglazial bis Ro Rorschach Sh Schaffhausen heute das Abflussniveau des Rheins aus dem Üb Überlingen Wt Winterthur Bodenseebecken kontrolliert. Deshalb streben alle Niveaus der stadialen Schmelzwasserflüsse und des heutigen Töss-Rheinlaufs im Raum Eglisau aufeinander zu. Die Konstanz-stadiale Eisrandentwässerung wurde in diesem Profil (Abbildung 7) 46 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS nicht berücksichtigt, weil der zugehörige sermassen das Gefälle auf das Niveau der Gletscher weiter nördlich und bereits sehr bestehenden Haupttäler ausrichten und niedrig im innersten Bodenseebecken lag. ausgleichen. Die 'jugendlichem, formlich frischen Täler überlagern als sekundäres Talsystem das primär angelegte (KELLER & 5. Bedeutung der letzteiszeitlichen Eisrand- KRAYSS 1999a, 1999b). Entwässerung für das heutige Talnetz Typische sekundäre Täler der letzten Eiszeit finden sich im gesamten Bodenseeraum zahlreich: Fulachtal zwischen Thayngen und 5.1 Altangelegte Talzüge Schaffhausen, Owingen-Stockachtal, Urnau- Zahlreiche Eiszeiten und Zwischeneiszeiten tal nordseits des Gehrenbergs, Tal der Oberen haben bereits vor der letzten Vergletscherung Argen oberhalb Wangen, Schwarzachtal im Würm das Bodensee-Vorland durch nordöstlich Tettnang, Tal der Demut und glaziale und fluviale Erosion zu einem 120 Gübsenseetal bei St.Gallen, Rindal von Fla- auf 60 km weiten Becken ausgeformt wil nach Bazenheid, Littenheidertal südlich (Abbildung 8). Rundum begrenzt ein geschlossener Wil, Tal des Bichelsees, Eulachtal von Elgg Rand das Oval des Grossbecken. bis Winterthur, Sittertal zwischen Wittenbach Gegen innen ist das einstige Hügelland in und Bischofszell, Thurdurchbruch von Bergsporne und Einzelberge aufgelöst, Halden nördlich Bischofszell. getrennt durch markante Beckentäler. Die In vielen Fällen führte das Zurückschmelzen Kernzone um den Obersee ist fast vollständig des Vorlandgletschers von einer ausgeräumt. Aus dem zentralen Becken Eisrandlage zum nächst interneren und meist heraus streben die Talachsen in alle tiefer gelegenen Gletscherstand dazu, dass Richtungen sternförmig auseinander. Sie wurden die Flüsse wieder ins eisfrei gewordene durch frühere Flusssysteme und eiszeitliche Zungenbecken zurückfielen und die zuvor Gletscherzungen angelegt (KELLER 1994; modellierten Eisrandtäler trocken fielen. Diese KELLER & KRAYSS 1999b). Als alte Täler markanten Flusstäler blieben zwar erhalten, sind sie tief und breit ausgestaltet. Sie bilden die Flüsse selbst aber sind verschwunden; auch heute noch den primären Grundraster nur noch unscheinbare, lokale Wässerchen der Hydrographie (Abbildung 9). fliessen in ihnen. Besonders auffällig ist dies etwa im Fulachtal, im Urnautal, im Tal der Demut, im Rindal oder im Bichelseetal. 5.2 Die würmeiszeitliche Umgestaltung der Hydrographie 5.3 Nacheiszeitliche Veränderungen Vorgegeben durch die altangelegten Talzüge der Gewässer stiessen die Gletscher der würmglazialen Vorlandvereisung durch diese Täler vor und Mit dem endgültigen Abtauen der letzten gaben sie auch beim Rückschmelzen auf die Eismassen im Vorland und dem einzelnen Gletscherstände nur schrittweise Zurückschmelzen des Rheingletschers im Rheintal frei. Dabei verbarrikadierten sie immer wieder um 14500 J v h (KELLER 1988) hörte im diese Talachsen (vergleiche Kapitel 3) Bodenseebecken die dynamische Aus- und und zwangen dadurch die Flüsse und Umgestaltung des Gewässernetzes endgültig auf. Schmelzwässer neue Abflusswege zu suchen Das was an den abschmelzenden Eisrändern (Abbildung 10). Diese durchfurchen denn etappenweise geschaffen worden war, wurde auch als Täler die Hügelzonen und sozusagen zementiert (Abbildung 11). Die sind erosiv meist deutlich eingeschnitten. Hauptlinien der Entwässerungswege waren Die Eintiefung dieser Rinnentäler und festgelegt, nur noch lokale Umstrukturierungen Canons erfolgt, weil die durchmessenden Was¬ traten ein. DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 47

A 760 Bussen Hydrographie des Bodensee-Vorlandgletschers in der Würmeiszeit: (generalisiert) Würm-Stein am Rhein W/S Stand W7

Eisrand Vorland- qlelscher Entwässerung: zentrifugal zentripetal randlich konzentrisch 0 AO 20 km Keller 09

Abbildung 5: Das wichtigste war seither die Verfüllung Der Bodensee-Vorlandgletscher erreicht im Stein am Rhein-Stadial den Beckenrand nicht mehr. noch der zahlreichen Seebecken, an deren Stelle Nur wenige sind nach offen. Randlich-konzentrisch heute Flussläufe die Abflusswege aussen Aufschüttungsebenen um das Beckenzentrum laufende Schmelzwasserströme durchziehen. An vorderster Stelle steht der treten vermehrt auf. grosse Thursee, der sich am Ende der Ortsbezeichnungen siehe Abbildung 4. Vorlandvereisung noch von Weinfelden bis gegen Andelfingen erstreckt hat. Die vollständige Auffüllung dieses Sees dürfte erst vor 3000-4000 Jahren abgeschlossen gewesen sein (KELLER & KRAYSS 1999b). Der Bodensee-Untersee machte im Postglazial ebenfalls noch etliche Veränderungen durch. Seine Verfüllung erfolgte und erfolgt noch heute hauptsächlich vom Rheintal her. Der Alpenrhein, unterstützt von seinen Nebenflüssen, und die Bregenzer Ach treiben hier ihre Deltas rasch vor. Im Spätglazial stand der Seespiegel anfänglich auf 410 m ü. M., ein Niveau, das der See bis mindestens 48 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS

A 760 Bussen Hydrographie des Bodensee-Vorlandgletschers in der Würmeiszeit (generalisiert)

Würm-Konstanz W/K Stand W10

Eisrand I % Vorland- V- qlctscher Entwässerung: * zentrifugal zentripetal randlich konzentrisch 0 10 20 km h.—:. Keller 33

Abbildung 6: Im Konstanz-Stadial erfüllt der 14000 J. v. h. gehalten hat (KELLER 1988). Eiskörper nur noch das innerste Dann begann sich der abfliessende Rhein Bodenseebecken. Die zwischen Stein am Rhein und Diessenhofen Entwässerung erfolgt rund um den Gletscher herum und einzutiefen, sodass der Seespiegel sukzessive beschränkt sich auf die zwei nach bis auf die heutigen 395 m ü. M. absank Westen weisenden Achsen (KELLER 1994). des Untersee-Rheins und der unteren Thür. Ortsbezeichnungen siehe Abbildung 4. 5.4 Überlagerung der Entwässerungs¬ systeme Werden die zwei Karten der Abbildungen 9 und 10 übereinandergelegt, so kann daraus das heutige Gewässernetz gemäss Karte Abbildung 11 herausgelesen werden. Die Entwicklung einiger Flussläufe ist im folgenden beispielhaft im einzelnen beschrieben und erklärt. OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART

Rheingletscher S Thurgletscher Sittergletscher Ent weisser un gspr of il Eggers riet - Wil - Eglisctu

Projektion NW-SE/W-E ; Überhöhung 50fach S Hernien Saum

\0 km

/ooooX Sander, Schotterstrang Entwässerungsniveaus : Eisrandwall M Würm-Iiaximum/Schaffhausen \J Schmel zwassertal _E_ Feuerthalen See S Stein am Rhein sP®t- und postglaziale Ver fu llung Felssohle

Abbildung 7: Das Entwässerungsprofil des Südrandes der Bodensee-Vorlandvergletscherung zeigt das stufenweise Tieferlegen der Abflussbahnen ab dem Würm-Maximum in drei Stadialen. Alle Niveaus sind auf die Jura-Felsschwelle von Kaiserstuhl wenig unterhalb Eglisau ausgerichtet. DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 49

Die Argen madingen im Hegau durch den Bodensee- Präwürmeiszeitliche Anlage: Alte in der Tiefe Rheingletscher verschüttet. Zwischen den verborgene Rinnen zeigen, dass ein altes Tal Stadialen W/F und W/S (Tabelle 2) fand der der Aitrach aus dem Raum Leutkirch zur Rhein den neuen Weg aus dem Untersee von Iiier und damit zur Donau gerichtet war. Stein am Rhein nach Schaffhausen (KELLER Demgegenüber weisen die Talanlagen der 1994). Während dem Würm-Maximum beiden Argen ins Bodenseebecken hinein. entwässerte der Vorlandgletscher unterhalb Würmeiszeit und Postglazial: Nach dem Schaffhausen aus vier Gletschertoren zum Würm-Maximum schwenkte die Untere Hochrhein bei Waldshut: durch den Klettgau, Argen bei Isny gegen das Bodenseebecken durch das Wangental, über das Rafzer- ein und entwässerte während dem Stein am feld und bei Buchberg zur Töss (KRAYSS & Rhein-Stadium zusammen mit der Oberen KELLER 1996). Der hoch aufgebaute Sander als grosser Eisrandstrom nordwärts zur Riss des Rafzerfeldes induzierte während und über Biberach zur Donau. Im Konstanz- dem Stadial W/F den endgültigen Durchbruch Stadium wurden beide Argen vereint über des Rheins zur Töss oberhalb Eglisau eine Seenkette dem nördlichen Eisrand (ELLENBERG 1972). Der dabei geschaffene entlang bis in den Überlingersee geleitet. Nach Canon ist das imposanteste letzteiszeitliche dem Abschmelzen des Rheingletschers im Durchbruchstal im Bodenseeraum. Oberseebecken fanden sie den Weg direkt zum Bodensee (KELLER & KRAYSS 1994; Die Töss KRAYSS & KELLER 1996). Präwürmeiszeitliche Anlage: Das Tösstal durchschneidet der Länge nach das gesamte Die Schüssen Hörnli-Bergland auf der Westabdachung Präwürmeiszeitliche Anlage: Das Quellgebiet von Südosten nach Nordwesten. Es wurde lag damals weiter im Norden an den vermutlich in früheren Eiszeiten als Hängen des Bussen, das Federseetal war der Schmelzwasserrinne zwischen Rhein- und Oberlauf der Schüssen (VILLINGER 1989). Linthgletscher angelegt (WEBER 1928). Vor Würmeiszeit und Postglazial: Im Würm-Maximum der letzten Eiszeit trat die Töss bei Seen ins legte der Rheingletscher den Front- Winterthurer Becken aus, um dann wieder wall quer über das oberste Schussental. Der nach Westen umzubiegen. Es liegen auch ein Federsee wurde dadurch hochgestaut und alter Talzug von Seen über Oberwinterthur floss zur Donau über. Die Schussenquelle nordostwärts ins Thurtal und ein weiterer liegt seither am Innenrand der Moränenwälle von Wülflingen nach Andelfingen vor des Maximalstandes (KRAYSS & KELLER (STEFFEN & TRÜEB 1964). 1996). Würmeiszeit und Postglazial: Im äusseren Stand W1 (Tabelle 3) des Würm-Maximums Der Hochrhein berührten sich südlich Winterthur Rhein- Präwiirmeiszeitliche Anlage: Aus dem und Linthgletscher, sodass das Tösstal hier Bodensee-Untersee floss der Rhein in einem unter Eis verborgen war. Während dem tiefen Tal über Singen nach Schaffhausen etwas interneren Hauptstand W2 war ein (SCHREINER 1974; SCHINDLER 1985; durchlaufender Korridor eisfrei. Er lag so, KELLER 1994). Unterhalb Rheinau bog er dass die Töss bei Sennhof westwärts zu flies- nach Westen ins breite Tal von Rafz ab, um sen gezwungen war und sich an der Kyburg über die Juraschwelle bei Kaiserstuhl wei- vorbei (KRAYSS & KELLER 1982) und terzufliessen (KELLER W. A. 1977). durch die Dättnauer Rinne (KAISER 1979) Würmeiszeit und Postglazial: In den Stadialen ein neues Tal schuf. Zwischen Feuerthalen- W/M und W/F (Tabelle 2) wurde das und Stein am Rhein-Stadial wurde das Rheintal zwischen Schaffhausen und Gott¬ Winterthurer Becken eisfrei. Dabei benutzte die 50 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS

Morphologische

Randzone Bergländer und Hochflächen Hwischenzone Zeugenberge und Beckentäler Kernzone zentrales Becken Einlasstor Rlpen- fluslasskanal

flusgangspforten Durchbruchstäler : Klettgau, Kaiserstuhl-Zurzach

Abbildung 8: Charakteristisch für das Bodensee-Vorland ist das 120 auf 60 km messende Oval eines Grossbeckens. DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 51

Boderisee - Vorlandbecken All angelegte Taler und Becken, präwürmeisieiUiche Hydrographie

0 10 20 km Keller 99

Abbildung 9: Töss weiterhin den Abschnitt bei der Ky- Der Grossteil der alten Talzüge und damit auch die frühere Entwässerung weisen zum Zentrum des Bodensee- burg, schwenkte aber bei Dättnau gegen Beckens. Nur im Westen ist das Talnetz Winterthur ein. Diese beiden Laufstrecken komplexer aufgebaut. wurden bis heute beibehalten (KRAYSS & Ortsbezeichnungen siehe Abbildung 4. KELLER 1996).

Die Murg Präwürmeiszeitliche Anlage: Das Lauchetal mit seinen einstigen Quelltälern aus dem Schauenberg-Gebiet war ursprünglich nach Osten zum zentralen Bodenseebecken gerichtet. Die Lauche war also einst gegenläufig und leitete damit auch die Murg nach Osten ab (KELLER & KRAYSS 1999b). Unsicher ist, in welcher Richtung das Weinfelder Thurtal entwässerte (siehe Abschnitt ). Das Murgtal zwischen Matzingen und Frauenfeld ist auf höherem Niveau ebenfalls eine ältere Talanlage. 52 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS

Würmeiszeit und Postglazial: Mit dem Sie war zusammen mit Schmelzwasserströmen Rückschmelzen vom Stein am Rhein-Stand gezwungen in engen Rinnentälern nach W7 (Tabelle 2) wurde zuerst das mittlere Westen durch das Bichelseetal und das Tös- Murgtal zwischen Wil und Matzingen eisfrei, stal abzufliessen (KRAYSS & KELLER sodass sich Stauseen bildeten, die über das 1994). Während dem Rückschmelzen der Aadorfer Feld und das Eulachtal zur Töss Thurzunge nach dem Stadial W/S wurde entwässerten. Als darnach auch im unteren auch das glazial ausgeschürfte und ausgeweitete Murgtal das Eis abschmolz, brachen die Thurtal zwischen Ortenberg und Imenberg Stauseen und damit auch die Murg nach Norden eisfrei. Es entwickelte sich ein durchgehender in den Frauenfelder Thursee durch. Jetzt Zungenbeckensee, der grosse Thursee, tiefte die Murg ihr markantes, formlich von Bürglen bis Dätwil bei Andelfingen. frisches Engtal in die Molasse ein, das sie noch Damit war die Entwässerung des Weinfelder heute benutzt (KRAYSS & KELLER 1994). Thurtals im Konstanz-Stadial via Thursee Da in dieser Phase das Eis der Thurzunge das nach Westen zum Rhein gerichtet. Ostende des Lauchetals noch immer Im frühen Konstanz-Stadium war der Ab- versperrte, wendete sich die Lauche als fluss der Toggenburger Thür zum Bodensee Schmelzwasserfluss nach Westen zur Murg bei Bischofszell immer noch verbarrikadiert. um. Ein Eisstausee im Wiler Thurtal war die Folge. Als das zurückschmelzende Eis die Die Thür Hochfläche nordwestlich Bischofszell freigab, Präwürmeiszeitliche Anlage: Wie Delta- kam es bei Halden zum Ausbruch des schüttungen und tiefe Rinnen südlich Am- Stausees. Die Fluten erodierten den mächtigen riswil und Bischofszell belegen (HIPP 1986, Canon und lenkten die Thür ins 1992) verläuft das alte Thurtal von Bischofszell Thurgauer Thurtal um. Seit diesem Zeitpunkt aus gegen Nordosten, wo die Thür in den mündet die Thür in der Gegend von Rüdlin- Bodensee mündete. Das Engtal von gen in den Rhein (HIPP 1986; KELLER & Bischofszell nach Kradolf ins Thurgauer Thurtal KRAYSS 1994, 1999a und b; KRAYSS & existierte noch nicht. KELLER 1996). Falls das Thurtal zwischen Weinfelden und Wigoltingen schon bestand, entwässerte ein Die Sitter lokales Flüsschen aus dem Raum Sulgen, Präwürmeiszeitliche Anlage: Das Sittertal verstärkt durch eine Murg-Lauche, das ostseits um den Tannenberg herum zum Thurgauer Thurtal von Weinfelden über Frauenfeld inneren Bodenseebecken ist vermutlich sehr zum Rhein. Wahrscheinlicher scheint es alt (KELLER 1994). In der Gegend von aufgrund von hochliegenden, prähochwür- Muolen traf die Sitter vor der letzten Eiszeit men Schottern und Seesedimenten, dass auf die Thür und mündete mit ihr in den zwischen Ortenberg und Imenberg noch eine Bodensee (HIPP 1986,1992). Geländeschwelle vorhanden war. Murg- Würmeiszeit und Postglazial: Als im Stein Lauche und das Weinfelder Thurtal müssen am Rhein-Stadial der Rheingletscher vom in diesem Fall via Aachtal nach Osten zum Bodensee her südlich Brüggen das Sittertal Bodensee entwässert haben. Die Quellen verbaute, wich die Sitter ähnlich wie die Thür der hätten dann auf der nach Westen aus. Zusammen mit Schmelzwässern Hochfläche zwischen Seerücken und Ortenberg schotterte sie das Breitfeld bis Fla- gelegen. wil auf und floss durch das Rindal zur Thür Würmeiszeit und Postglazial: Die Eisfront im Untertoggenburg ab (KELLER 1976). des Rheingletschers verbaute in den Stadialen Später konsolidierte sich der abschmelzende W/F und W/S südlich und östlich Wil der Rheingletscher im Konstanzer Stand W10 Thür das angestammte Tal zum Bodensee. (Tabelle 2) mit einer Eisrandlage von Berg DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 53

Boderisee - Vorlondbecken Entwicklung der wurmeisieitlichen Hydrographie W/M, Stand W1 W/S, Stand W?

W/K, Stand W10

0 10 20 km Keller 39

Abbildung 10: SG über Häggenschwil und das Hudelmoos Bei jedem Gletscherstand bildet sich ein durch das bis Sulgen. Der Abfluss ins Innere des vorgegebene Talnetz und den jeweiligen Eiskörper bedingtes, kurzfristig benutztes Flusssystem aus. Bodenseebeckens war damit verriegelt. Die Sitter bog deshalb ins einstige Thurtal von Häggenschwil nach Bischofszell ein, aber mit umgekehrter Fliessrichtung. Sie erreichte die Thür, die bereits durch das Durchbruchstal von Halden nach Nordwesten entwässerte. Diese Laufstrecke hat die Sitter seither nicht mehr verlassen (KELLER & KRAYSS 1994; KRAYSS & KELLER 1996).

6. Schlussfolgerungen

Aus der Entwicklung der Hydrographie im Bodenseeraum lassen sich einige prinzipielle Erkenntnisse zur Aus- und Umgestaltung eines durch eiszeitliche Vergletsche- 54 OSKAR KELLER & EDGAR KRAYSS

Bodensee - Vorlondbecken Entwicklung des heutigen Flussnetïes präuiirmeisieitliche ' Flussläufe neue Laufstrecken

Carions, Durchbrüche

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Abbildung 11: Das heutige Flussnetz ist durch rungen beeinflussten Gewässernetzes ableiten: Überlagerung eines älteren Entwässerungssystems durch letzteiszeitliche Schmelzwasserströme 1. entstanden. In periodisch vergletscherten Gebieten Ortsbezeichnungen siehe Abbildung 4. und in der umgebenden proglazialen Zone entstehen dynamisch rasch sich ändernde Fluss- und Seensysteme. Das Entwässerungsnetz, das am Ende des Abschmelzens der Eiskörper vorliegt, wird und bleibt in den Hauptzügen während eines eisfreien Interglazials (auch im gegenwärtigen Postglazial) erhalten. 2. Jede Vorlandvereisung baut ein verändertes hydrographisches System auf, das auf dem vorgegebenen älteren Talnetz basiert und dieses mit neu angelegten Flussabschnitten und Seen überlagert. 3. Die das Vorlandbecken erfüllenden, je nach Eiszeit-Stadial unterschiedlich aus- DIE HYDROGRAPHIE DES BODENSEERAUMS IN VERGANGENHEIT U. GEGENWART 55

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