Rebecca Saunders (*1967)
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REBECCA SAUNDERS (*1967) 1 QUARTET 13:52 for accordion, clarinet, double-bass and piano (1998) 2 Into the Blue 12:49 To the memory of Derek Jarman for clarinet, bassoon, piano, percussion, cello and double-bass (1996) 3 Molly´s Song 3 - shades of crimson 9:07 for alto flute, viola, steel-stringed acoustic guitar, 4 radios and a music box (1995-1996) 4 dichroic seventeen for Soledad 16:13 for accordion, electric guitar, piano, two percussionists, cello and two double-basses (1998) T T: 52:299 musikFabrik Stefan Asbury Coverfoto: © Hanns Joosten 2 musikFabrik Helen Bledsoe flute Nándor Götz clarinet Alban Wesly bassoon Thomas Oesterdiekhoff percussion Arnold Marinissen percussion Ulrich Löffler piano Seth Josel acoustic guitar, electric guitar Teodoro Anzellotti accordion Tomoko Kiba violin Dominique Eyckmans viola Anton Lukoszevieze violoncello Michael Tiepold double-bass Anne Hofmann double-bass 3 Michael Struck-Schloen physikalisches Erlebnis ist für mich der Kern, aus Das heikle Gleichgewicht zwischen dem es sich entwickelt. “Man höre nur den Beginn Klang und Stille ihres 1998 in Witten uraufgeführten QUARTET für die abenteuerliche Besetzung Klarinette, Akkordeon, Die Komponistin Rebecca Saunders Klavier und Kontrabass. Die Gegensätzlichkeit ihrer Klangphysiognomien ist das Thema des Stücks: ... ein Mensch, der die Aufmerksamkeit fesselt allein durch das schreckhafte Zuschlagen des Klavierdeckels, sein Dasein ... es sind nicht Entwicklungen, die entfaltet das in wiederholten Attacken und ihren dumpfen werden, sondern „Seinszustände“, die in harten Schnitten Resonanzen im Innern des Instruments nachwirkt; aneinander gefügt sind. ...Figuren, die nichts taten, das durch Glissandi und mikrotonale Bewegungen sondern nur waren ... verhärtete Dröhnen des Kontrabasses bis hin zum Über Gertrude Steins Roman Ida „verzerrten“ (distort) Ton; die grellen Höhenregister des Akkordeons mit ihrem vulgären Vibrato und Gegen die abendländische Idee der logischen epileptischen Zittern; die expressive Zartheit der Entwicklung und formalen Integration, der die Klarinetten-Echotöne. Diese „Charaktere“ treten im Serialisten der Nachkriegszeit wohl zum letzten ersten Teil des Stücks gegeneinander an, hetzen Mal in großem Stil anhingen, stemmt sich die sich auf, fallen in Stille zurück, beginnen von Musik der Engländerin Rebecca Saunders mit der Neuem. Doch dann, wenn die Energien schon fast durchschlagenden Kraft eines Naturereignisses. Der verbraucht scheinen, geschieht etwas Seltsames: „Seinszustand“ der Klänge, die sich hier auftürmen Im Klavier ertönen merkwürdig statische Akkorde, und übereinander schichten wie die archaischen wie eine ferne Erinnerung an den unbeseelten Felsen der Rocky Mountains in den Fotografien von Ton der Spieldosen. Auch in den übrigen drei Ansel Adams, triumphiert mit seiner unbeirrbaren Werken dieser Einspielung lässt Rebecca Saunders Physis über die Organisation, das Konzept, den “roten immer wieder diese Gegenwelt zu den rabiaten, Faden”. Die Essenz dieses Ansatzes fand Rebecca „körperlichen“ Klängen aufscheinen - etwa wenn Saunders zufällig im Klappentext zur deutschen in Molly’s Song 3 aus einer music box die ersten Ausgabe des Romans Ida, einem Spätwerk der Takte des Kaiserwalzers von Johann Strauß wieder amerikanischen Dichterin Gertrude Stein, in dem und wieder abspulen. „Das hat etwas Traumhaftes sie die traditionellen Kategorien der Handlung und sehr Abwesendes“ sagt die Komponistin über und auktorialen Logik sprengt und die Aufmerksam- diese körperlosen Klänge, die sie zuweilen - dem keit auf den Einzelmoment und das „Sosein“ britischen Hang zur Melancholie entsprechend - ihre der Figuren lenkt. Ganz ähnlich verdankt Saunders' „englischen Akkorde“ nennt. „Plötzlich ist da eine Musik ihre Magie und Kraft der Selbstentfaltung ganz andere, fremde Realität im Vordergrund. Unser und Spannung einzelner Klanggesten: „Ich beziehe Blickfeld für solche unterschiedlichen Realitäten ein Stück hauptsächlich auf bestimmte Klänge, ihr ist im Allgemeinen sehr beschränkt - mit der 4 Musik aber kann man sie zum Vorschein bringen.“ vitalen Beweglichkeit und lebensbejahenden Energie, Genau beschreiben lassen sich diese „fremden die Mollys wilden Hunger nach Körper und Lust wie Realitäten“ freilich nicht; überhaupt empfindet die ein kosmischer Treibstoff in Gang hält. Später dann Komponistin ein generelles Unbehagen bei der fühlte sich Rebecca Saunders vom mystischen Blau analytischen Verdinglichung ihrer Musik: „Ich finde an gezogen, der Farbe der Unendlichkeit des Himmels es schwierig, Inhalt oder Absicht einer Komposition und der Gewässer, mit der sie versuchte, „eine neue zu ‚erklären‘, auch wenn es durchaus beschreibbare Sensibilität in meine Musik hinein zu bringen“. Den Aspekte des Kompositionsprozesses gibt. Aber wesentlichen Anstoß dazu gab Chroma. Ein Buch jeder Versuch, das Wesen eines Stücks oder einer der Farben vom englischen Maler und Filmemacher Art von Musik zu beschreiben, muss unweigerlich Derek Jarman (1942-1994), der in seinen letzten fehlschlagen. Es ist das ‚Unnennbare‘ in der Musik, Jahren die Erkenntnis seiner HIV-Infektion wie Wenige das mich so fasziniert.“ In dem Dilemma, dennoch bewusst gelebt und künstlerisch gestaltet hat. „Blau über das Unnennbare reden zu müssen, greift transzendiert die feierliche Geographie menschlicher Rebecca Saunders gern zu außermusikalischen Grenzen“ - diesen raunenden Aphorismus aus Jarmans Metaphern - zu Farben etwa, mit denen sich die Buch stellt Saunders ihrem 1996 entstandenen Aura der Musik andeuten lässt, ohne ihr inneres Sextett Into the Blue an die Seite, das dem Andenken Geheimnis preiszugeben. Eine Zeit lang war Rot ihre des Filmregisseurs gewidmet ist. Und selbst im Lieblingsfarbe: das gelbliche „Saturnrot“ des seltenen wissenschaftlich-spröden Titel des 1999 in Köln und hochgiftigen Quecksilber-Grundstoffs Zinnober, uraufgeführten Ensemblestücks dichroic seventeen das sich im Titel des frühen Streichquartetts Vermillion wirkt die Farbmetapher poetisch nach: Bündig (1992) und von cinnabar, dem 1999 beendeten definiert der Duden den Begriff Dichroismus als Doppelkonzert für Violine, Trompete, Ensemble und „Eigenschaft vieler Kristalle, Licht nach verschiedenen elf Spieldosen findet; oder das glühende Purpurrot Richtungen in zwei Farben zu zerlegen“ - eine (engl.: crimson) in den Untertiteln der Molly-Songs, Besonderheit der Farbsplittung, die für das Werk von die von einer Passage aus dem obsessiven, ohne Rebecca Saunders charakteristisch ist. Punkt und Komma dahin jagenden Monolog der Wie die magischen objets sonores trouvés - die Molly Bloom am Ende von James Joyces Ulysses Melancholie der Spieldosen oder das Geräusch einer inspiriert wurden: „...oh der reißend tiefe Strom oh leerlaufenden Plattennadel in dichroic seventeen- und das Meer das Meer glührot manchmal wie Feuer dienen auch die Farbassoziationen dem Blick unter und die herrlichen Sonnenuntergänge...“. Obwohl die tönenden Oberflächen. Synästhetische Ideen, diese Worte in Molly’s Song 3 – shades of crimson wie sie Alexander Skrjabin, Arnold Schönberg oder nirgends artikuliert werden, eröffnet das Farbspiel Olivier Messiaen vorschwebten, spielen dabei eine im Titel der Komponistin eine Fülle synästhetischer untergeordnete Rolle - auch wenn Rebecca Saunders und kulturgeschichtlicher Zusammenhänge: Rot die seit 1900 heftig diskutierte „Emanzipation der ist ihr Ausdruck einer positiven Aggressivität, einer Klangfarbe“ mit eigensinniger Konsequenz betreibt. 5 Die Verwandtschaft ihrer Musik mit der Bildenden in dichroic seventeen durch eine auf dem Paukenfell Kunst zeigt sich jedoch weniger in medialen oder plazierte Kaffeebüchse verfeinert. Der introvertierte rezeptionsästhetischen Gemeinsamkeiten als in Ton der akustischen Gitarre erscheint in Molly’s einem ähnlichen Formdenken, einer vergleichbaren Song 3 durch Stahlsaiten aufgeraut und durch den Arbeitsweise. Fast nie steht am Beginn der Kompo- elektromagnetischen „E-bow“ verfremdet, während sition ein festes Verlaufskonzept oder gar die strikte in dichroic seventeen eine E-Gitarre ihre seltsam Verordnung des Materials, sondern die Erforschung technoiden, nahezu ortlosen Klänge produziert. des Klangpotenzials. „In erster Linie ist es die jewei- Aus diesem heterogenen Klangmaterial destilliert lige Besetzung eines Werks, die seine Entwicklung die Komponistin musikalische Gestalten, die jedem bestimmt. Weil aber eine Gruppe von Instrumenten Werk die charakteristische Färbung geben: Einzeltöne, zu einer unendlichen Palette von Klängen fähig instrumentale Gesten oder komplexe „Klangobjekte“ ist, versuche ich das Material so weit wie möglich und ihre Resonanzen mit mannigfachen Über- zu reduzieren und zu verdichten, um so etwas wie gangszonen zwischen Ton und Geräusch. Was folgt, seine ‚Essenz ‘zu finden. Deshalb arbeite ich eng mit erinnert an die Arbeit einer Malerin: „Wenn diese Musikern zusammen, um der physischen Realität Klangmaterialien fertig sind, klebe ich alles an die der Instrumentalklänge immer nahe zu sein.“ So Wand meines Ateliers. Und auf einmal ist das wie ein wirkt jedes Stück von Rebecca Saunders wie ein Bild, das ich im Ganzen betrachten kann - rein grafisch, Klanglaboratorium, dessen Bedienungsanleitung denn noch ist nichts auf Notenpapier geschrieben. der Partitur meist in seitenlangen explanatory Das sind dann meine Texturen, Flächen aus Klang, notes beigegeben ist. Mit reich differenzierten die ich später zusammensetze. Das ist eigentlich für Anschlagsnuancen wird der Konzertflügel auf mich das ‚Komponieren‘.“ Wobei dieser Prozess