Karajan- Akademie Poppe
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KARAJAN- AKADEMIE ENNO POPPE 27. SEPTEMBER 2020 ELBPHILHARMONIE KLEINER SAAL So, 27. September 2020 | 18:45 & 20:45 Uhr | Elbphilharmonie Kleiner Saal State of the Art | 1. Konzert KARAJAN-AKADEMIE DER BERLINER PHILHARMONIKER ANIA FILOCHOWSKA VIOLINE MARKUS MAYR TROMPETE ALEXANDER ARAI-SWALE KONTRABASS DIRIGENT ENNO POPPE nur 18:45 Rebecca Saunders (*1967) Cinnabar / Doppelkonzert für Violine, Trompete, Ensemble und elf Spieluhren (1999) ca. 15 Min. nur 20:45 Rebecca Saunders Fury für Kontrabass solo (2015) ca. 10 Min. Milica Djordjević (*1984) Transfixed (2020) Transfixed’ (2020) Rdja (2015) ca. 15 Min. Enno Poppe (*1969) Koffer (2011/12) ca. 30 Min. Keine Pause WILLKOMMEN Sie sind das Zukunfts-Investment der Berliner Philharmoniker: die Mitglieder der Karajan- Akademie. Gegründet vor fast 30 Jahren von Maestro Herbert von Karajan höchstpersönlich, widmet sich diese erstklassige Kaderschmiede dem philharmonischen Nachwuchs. Unterrich- tet werden die jungen Top- Instrumentalisten von ihren erfahrenen Kollegen aus den Rei- hen der Berliner Philharmoniker – und stel- len ihr Können nun in der Elbphilharmonie unter Beweis. Am Pult steht der vielfach ausge- zeichnete Komponist Enno Poppe, der auch ein eigenes Werk mitbringt. Dazu erklingt brand- neue Musik der serbischen Komponistin Milica Djordjević und der Britin Rebecca Saunders. DIE MUSIK ROT, RÖTER, ZINNOBERROT Zu den Werken von Rebecca Saunders Eine Farbe zu beschreiben ist schon mit Worten nicht einfach. Wie schwierig aber muss es sein, dies mit musikalischen Mit- teln zu tun? Rebecca Saunders hat sich dieser Herausforde- rung in ihrer Karriere als Komponistin immer wieder gestellt. Seit jeher üben die Eigenschaften, Charaktere und Zuschreibun- gen von Farben eine große Faszination auf die Wahl- Berlinern Rebecca Saunders aus: The under-side of green, Into the blue, Chroma – ihr gesam- tes Werkverzeichnis ist voll von Farb-Titeln. Kein Wunder, dass sie dabei von Bildenden Künstlern wie Mark Rothko oder dem Regisseur Derek Jarman beeinflusst wurde, der für die beson- änderungen und Übergängen durchzogen ist allein die Dynamik: Meist im unte- dere Ausleuchtung seiner Filme bekannt ist. ren Lautstärkebereich angesiedelt, zwingt sie das Ohr zu größter Aufmerksam- Zur Farbe Rot hat Saunders ein besonderes Verhältnis. Erst- keit – bevor das Stück im geheimnisvollen Durcheinander paral lel ertönender mals tauchte sie im Stück Crimson – Molly’s song von 1995 auf; Spieluhren ausklingt. »crimson« bedeutet »Purpur«. Ihr vier Jahre später entstan- Schon mehrfach merkte Rebecca Saunders an, dass die Struktur ihrer Werke denes, bei der Berlinale 1999 uraufgeführtes Ensemble-Werk nicht auf Entwicklung beruhe, sondern auf dem »harten Zusammenschnitt« von Cinnabar hingegen befasst sich mit dem etwas ins Gelb liche Klängen. Diese fasst sie ebenso wie Farben als Energiezustände auf. Wie ein spielenden Rotton, den man im Deutschen »Zinnoberrot« nennt. Zinnoberrot in stets gleicher Intensität vor dem Auge aufleuchtet, dringt auch Cinnabar steht als Doppelkonzert in der Traditionslinie der Ton in seiner jeweils unveränderlichen Erscheinung ans Ohr und wechselt Zinnoberrot bezeichnet sowohl die Farbe (Foto oben) als auch berühmter Vorgängerwerke von Johann Sebastian Bach oder sich mit anderen Phasen ab, statt sanft von der einen in die andere zu gleiten. das Mineral. Johannes Brahms. Anders als diese teilt Rebecca Saunders Neben dem Klang ergebnis konzentriert sich die Komponistin aber auch auf ihr Werk jedoch nicht in mehrere Sätze auf; dem rund viertel- die Frage, wie ein Ton überhaupt zustande kommt. Nicht zuletzt in ihren Solo- stündigen Stück liegt stattdessen ein übergreifender Aufbau werken setzt sie sich immer wieder intensiv mit den körperlichen Aspekten zugrunde. des Musikmachens auseinander. Auch in dem 2005 uraufgeführten Stück Schon am signalhaft leuchtenden Charakter erkennt man Fury (Wut) spielt der gestische Ausdruck beim Musizieren eine hervorgeho- das titelgebende Zinnoberrot. Die Soloinstrumente Violine und bene Rolle. Wie bei kaum einem anderen Instrument wird er durch den solis- Trompete treten dabei dezent hervor, bleiben aber dicht in den tisch auftretenden Kontrabass verkörpert, dessen Klangpotenzial sich dank Klang des restlichen Ensembles eingewoben. Auch das musi- seiner enormen Leibesfülle und der mannshohen Dimensionen nur mit vollem kalische Ausgangsmaterial beschränkt sich auf wenige Töne. Körpereinsatz ausschöpfen lässt. In schwindelerregendem »Furor« erkundet Umso vielfältiger aber erzeugen und gestalten die Instrumente Fury diese Möglichkeiten von unten bis oben, vom tiefen Pulsieren im Sub- die Klänge selbst. Enorm variantenreich und von feinsten Ver- kontra bereich bis in die zartesten, zerbrechlichsten Höhen. DIE MUSIK MUSIK UNTER HOCHSPANNUNG Zu den Werken von Milica Djordjević erst wurde sie mit dem Claudio-Abbado- Kompositionspreis der Berliner Philharmoniker geehrt. Wie die Britin Rebecca Saunders, die in Edinburgh und bei Wolfang Rihm in Wenn es um Milica Djordjevićs Musik geht, ist häufig – wie Karlsruhe studierte, hat auch die serbische Komponistin Milica Djordjević ihre bei Saunders – von Farben die Rede. Doch auch hier könnte künstlerische Heimat in der zeitgenössischen Musikszene Mitteleuropas gefun- man genauso gut von Energie zuständen sprechen. Oft baut sich den. Nach Studien in ihrer Heimatstadt Belgrad wechselte sie ans Straßbur- in ihren Werken eine starke Spannung auf, die sich in groben, ger Konservatorium und ans Pariser Musikforschungszentrum IRCAM, ehe sie gewitterartigen Ausbrüchen entlädt. Dann wieder nehmen sie Anfang der 2010er Jahre ihre Ausbildung an der Hanns-Eisler-Hochschule Ber- eine fast statische Form an, vorangetrieben nur von kleinsten lin bei Hanspeter Kyburz abschloss. Seitdem lebt und arbeitet Djordjević in der Bewegungen. Hauptstadt – mit großem Erfolg, wie zahllose Aufführungen im In- und Aus- Mit der Aufführung ihrer beiden neuesten, von der Karajan- land sowie eine wahre Flut an Auszeichnungen beweisen. Vor wenigen Tagen Akademie in Auftrag gegebenen Stücke Transfixed und Transfixed’ steht die Komponistin möglicherweise am Anfang einer neuen Werkreihe. Am ehestens ließe sich der vieldeutige englische Ausdruck, der den beiden in einem Atemzug zu spie- Milica Djordjević mit rostrotem Pullover lenden Stücken zugrunde liegt, mit »gebannt« übersetzen – gebannt, wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange sitzt. Dahinter verbirgt sich eine bestimmte Sicht auf Zeit: Inspiriert wurde Milica Djordjević von der Vorstellung eines objektiv kurzen, subjektiv aber verlängerten Moments – jenes Augenblicks eben, in dem man meint, die Zeit bliebe stehen. Um die Wahrnehmung von Zeit geht es auch in der 2015 ent- standenen Ensemblekomposition Rdja, was im Serbischen »Rost« bedeutet. Metall rostet nicht von heute auf morgen; erst über eine große zeitliche Distanz kann man die Verände- rung wahrnehmen. Diesen Prozess vollzieht die Musik nach. Und wenn man Klänge wie Milica Djordjević als etwas Körper- liches auffasst, bedeutet diese Metamorphose zunächst einmal Zersetzung, Zerstörung. Sie bewirkt aber auch etwas Schönes, nämlich die Entstehung einer neuen Farbe jenseits des matten und langweiligen Eisengraus: ein leuchtendes, dem Zinnober- rot nicht unverwandtes Rostrot. DIE MUSIK EIN ORDNUNGSSYSTEM FÜR KLÄNGE Enno Poppe: Koffer Was so alles in einen Koffer hineinpasst, hat jeder, der sich auf eine längere Reise vorbereitet, schon einmal mit Erstau- nen festgestellt. In seinen Koffer hat Enno Poppe auch so eini- ges hineingesteckt. Geradezu genüsslich bringt er es bei der Aufführung seines gleichnamigen Ensemblestücks wieder zum Vorschein: Fetzen, Allusionen, Versatzstücke aus unter- schiedlichen Arten von Musik, darunter Jazz und Unterhalten- des, aber auch Dramatisch-Seriöses wie die Oper. Wie jedes Aufbewahrungssystem soll der Koffer Ordnung schaffen, wo vorher keine war. Einem Komponisten, der am Anfang eines neuen, möglicherweise sehr umfangreichen Kompositionsprojekts steht, ist diese Situation nicht unbe- kannt: Ungefiltert strömen Ideen auf ihn ein, Töne, Melodien, Geräusche spuken im Kopf herum und warten darauf, an pas- sender Stelle in der Partitur platziert zu werden. Bei Enno Enno Poppe Poppe wird diese Vorstellung plastisch, bezeichnenderweise finden sich in seinem Werkverzeichnis neben Koffer auch Titel wie Schrank oder Speicher. Geleitet wird Poppes Schaffen von einem ebenso offenen wie Skalen, Tonwiederholungen oder Wechsel noten. Material findet Enno Poppe weitreichenden Ordnungswillen, der das Große vom Kleinen aber auch in bestimmten Klangeffekten, Tonintensi täten, Vibrati oder (ganz aus denkt, und bei dem jeder kompositorische Schritt präzise besonders gern) schmierenden Glissandi, wie sie als Grundelemente am Beginn aus dem vorangegangenen abgeleitet ist. Anders als Rebecca von Koffer zu finden sind. Saunders, die Klangereignisse in ihren Werken als aneinan- Aus all diesen Elementen entstehen nach und nach – wie bei der allmähli- dergereihte Seinszustände begreift, sieht sich Poppe durch- chen Verkettung von Atomen zu Molekülen und von Molekülen zu sichtbaren aus in einer Tradition des motivisch-thematischen Arbeitens. Körpern – Phrasen und Linien, die irgendwann als Teile formal geschlossener Wie bei großen musikgeschichtlichen Vorgängern von Johann Abschnitte erkennbar werden. So nimmt Koffer während seiner rund 30-minü- Sebastian Bach bis Arnold Schönberg schreitet seine Musik in tigen Spieldauer immer mehr an Dynamik, Farbe, Melodie und Intensität zu. Die Entwicklungen voran. anfänglich nur als