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DIE »NEUE RECHTE« IN SACHSEN- ANHALT

Mythos, Realität, Gegenkultur Zusammenfassung der Fachtagung von Miteinander e.V./Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Freiwilligenagentur Halle-Saalkreis e.V. (Hrsg.) am 29. September 2018 ▶ = klicken Inhaltsverzeichnis

▶ Vorwort ▶ Was kann die ▶ Workshop: von Pascal Begrich „Neue Rechte“ (nicht)? Das „Dialog-Paradigma“ – von Torsten Hahnel Grenzen und Möglichkeiten 1 4 7 öffentlicher Diskussionen

▶ Aktualität des ▶ Diskussion und Nach- ▶ Workshop: Faschismus fragen nach den ersten Der Mythos Schnellroda von Volkmar Wölk drei Impulsen – Journalismus und die 2 5 8 „neue Rechte“

▶ Was will die „Neue ▶ Workshop: ▶ Abschlusspodium: Rechte“? Protestieren oder Strategische Optionen 3 von Judith Goetz 6 Ignorieren? 9 VORWORT

Seit nunmehr 20 Jahren setzt sich Miteinander e.V. für So haben wir am 29. September 2018 gemeinsam mit eine demokratische Alltagskultur in Sachsen-Anhalt der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalekreis e.V. einen ein. Hierfür hat der Verein Ansätze und Methoden der Fachtag zur „Neuen Rechten“ in Sachsen-Anhalt durch- Bildungs- und Beratungsarbeit entwickelt, aufgegriffen geführt. Die Konferenz warf einen detaillierten Blick und adoptiert, um zivilgesellschaftliche Akteur*innen, auf Inhalte, Strukturen und Strategien der sogenannten Politik und Verwaltung sowie engagierte Jugendliche Neuen Rechten und fragte nach den Zielen, Möglich- und Erwachsene in ihren Kompetenzen in der Ausein- keiten und Grenzen ihres Handelns. Zugleich bot die andersetzung mit Rechtsextremismus zu stärken. Tagung Raum für die Vernetzung zivilgesellschaftlicher Gemeinsam mit anderen Trägern, Kooperationspartner- Akteur*innen und die Diskussion über die Herausforde- *innen und Kolleg*innen in Ost- und Westdeutschland rungen in der Auseinandersetzung mit dem aktuellen konnten wir damit wichtige Impulse für Demokratie und Rechtsextremismus. eine offene Gesellschaft setzen. Die vorliegende Broschüre präsentiert die Fachvorträge Die Arbeit von Miteinander e.V. hat dabei immer die und Ergebnisse der Tagung. Ich danke allen Beteiligten Erkenntnis zum Ausgangspunkt, dass Rechtsextremis- – den Projektmitarbeiter*innen, den Kooperationspartner- mus und Rassismus nur dort zurückgedrängt werden *innen, den Referent*innen und den Autor*innen – und können, wo eine kompetente, engagierte und demo- unseren Förderern – dem Bundesministerium für Frauen, kratische Zivilgesellschaft vorhanden ist. Diese Arbeit Senioren, Familie und Jugend im Rahmen des Bundes- ist notwendigerweise auf Dauer angelegt, wissend, programms „Demokratie leben!“ sowie dem Ministerium dass Demokratiekompetenz immer wieder neu erworben für Arbeit, Soziales und Integration Sachsen-Anhalt im und gestärkt sowie eine offene Gesellschaft beständig Rahmen des Landesprogramms für Demokratie, Vielfalt entwickelt und verteidigt werden muss. und Weltoffenheit.

Analyse und Information Für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit Rechts- Ihnen, den Leser*innen, wünsche ich eine extremismus und Demokratiefeindlichkeit braucht es anregende und erkenntnisreiche Lektüre. Wissen über Ideologie, Strukturen und Aktivitäten der extremen Rechten sowie über gesellschaftliche Diskurse Ihr Pascal Begrich im Themenfeld. Hierzu bieten wir fachliche Expertise und Informationen u. a. für Politik, Verwaltung und die Öffentlichkeit. 1 AKTUALITÄT DES Vortrag FASCHISMUS

Die Frage nach der Aktualität des Faschismus sächlich Sachverhalte erklären oder der Ver- ● Volkmar Wölk publiziert vor al- impliziert bereits die Antwort. Wenn es keine schleierung dienen. Ich bin jedenfalls der Ansicht, lem zu den Themenschwerpunkten "Neue Rechte" und Nationalrevolutionäre, Indizien dafür gäbe, dass Faschismus etwas ist, dass je deutlicher wir Dinge aussprechen, umso Ideologieentwicklung der extremen was der Vergangenheit angehört und nur in eher kommen wir dem Kern auf die Spur und um- Rechten sowie zur Europakonzeption einer bestimmten Epoche wirksam war, bräuch- so eher sind wir in der Lage Gegenmaßnahmen der extremen Rechten. ten wir uns heute damit nicht zu befassen. einleiten zu können. Die Franzosen haben es da Die Frage ist also nicht, „hat Faschismus eine einfacher. Die reden inzwischen ganz selbstver- Aktualität?“, sondern „wie wirkt diese Aktualität?“ ständlich in der politikwissenschaftlichen und und „wer sind die Akteure?“ historischen Debatte von einer „Faschosphäre“, Auch bei den Akteuren könnte ich es mir ein- also von dem Raum, in dem sich der Faschismus fach machen, denn es gibt offensichtlich keine und die Faschisten bewegen. Diesen Raum zu Akteure. Es gibt niemanden in der Bundesre- umreißen, das ist dann wiederum unsere Aufga- publik Deutschland, der sich selbst als Faschist be, wenn wir aktiv werden wollen. bezeichnet. Diejenigen, die heutzutage faschis- tisches Gedankengut transportieren, werden sich, bei Strafe des politischen Untergangs, Was ist links, was ist rechts? davor hüten, sich selbst als Faschisten zu cha- rakterisieren. Das hätte gesellschaftliche Und das ist in letzter Zeit ein bisschen schwieriger Ausgrenzung und Bedeutungslosigkeit zur Folge. geworden. Ich zitiere mal aus der Märkischen Viele spielen dieses Spiel mit und benennen Allgemeinen Zeitung, und zwar aus einem Interview die Dinge nicht mehr beim Namen, sondern haben der vergangenen Woche, um zu verdeutlichen, so schöne Wörter wie „Rechtspopulismus“ was ich meine: „Das alte Links-Rechts-Schema in dafür erfunden. der Politik ist in Unordnung geraten. Wirtschaft- ▶ Zurück zum Nun gibt es sicherlich zwischen Rechtspopulis- lich liberal, bürgerlich konservativ auf der rechten Inhaltsverzeichnis mus und faschistischer Ideologie und faschisti- Seite und links eher staatsgelenkt und gesell- schem Handeln eine Reihe gravierender Unter- schaftlich progressiv. Petry und Wagenknecht ▶ Nächstes Kapitel schiede. Aber es gibt auch eine Reihe von könnten das von verschiedenen Seiten wieder Gemeinsamkeiten. Und deshalb sollten wir bei zurechtrücken. Dann hätten wir wieder klare Ver- Seite 1/4 ▶ den Wörtern immer darauf achten, ob sie tat- hältnisse. Und Sahra Wagenknecht könnte der 2 AfD im Osten wirklich gefährlich werden.“1 Sagt tegische Differenz innerhalb dieser „Neuen Rech- 1 Sternberg, Jan: Petry rät wer? Niemand anderes als Frauke Petry selbst. ten“ zum Ausdruck. Ist es das Ziel der „Neuen Wagenknecht zur Gründung einer neuen linken Partei, in: Märkische All- Und der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Rechten“, realpolitischen Einfluss zu gewinnen gemeine vom 17.09.2018, im Internet Patzelt ergänzt in seiner unnachahmlichen Art, und in der großen Politik mitzumischen? Oder unter: ▶ https://www.maz-online.de/ ihm „hätte ein Bündnis aus Sahra Wagenknecht, ist es das Ziel der „Neuen Rechten“, vor allem Nachrichten/Politik/Petry-raet-Wagen- knecht-zur-Gruendung-einer-neuen-lin- Frauke Petry und Antje Hermenau durchaus Metapolitik und ideologische Arbeit zu leisten? ken-Partei, zuletzt eingesehen am gefallen“.2 Im Hintergrund ist immer wieder die Weißmann und , der Herausgeber 08.10.2019. Frage: Was ist Links, was ist Rechts? Wo sind der Jungen Freiheit, sind offensichtlich zu der mögliche Schnittpunkte? Man könnte auch Entscheidung gelangt, dass jetzt die Stunde fragen: Ist eventuell diese Querfront, die immer der Realpolitik sei. Und dafür müsse man klare 2 Patzelt, Werner: Patzelts politi- sche Position, in: Patzelts Politik. wieder durch den politischen medialen Raum Bezüge auf so etwas, was er den Faschismus Ein Politikblog von Werner Patzelt, wabert, dieser neue Faschismus? Gibt es tat- der Zwischenkriegszeit nennt, vermeiden. im Internet unter: ▶ https://wjpat- sächlich Überschneidungen zwischen links und zelt.de/2018/09/18/patzelts-politi- rechts? Wie wirken diese? sche-position/, zuletzt eingesehen am 08.10.2019. Ich möchte mich in der nächsten viertel Stunde Von der Querfront zur anhand eines neuen Büchleins dem Thema annähern. Es heißt „Marx von rechts“3, erschie- Was soll nun mit diesem Buch erreicht werden? 3 Kaiser, Benedikt / de Benoist, nen im Dresdner Jungeuropa Verlag. Verlags- Die Autoren erklären, dass sie sich ihrerseits nicht Alain / Fusaro, Diego: Marx von inhaber ist ein gewisser Philip Stein. Ehemaliger zwingend als „rechts“ im geläufigen deutschen rechts, Dresden 2018. Sprecher der Deutschen Burschenschaft, eng Sinne verstehen, sondern vielmehr an einer „Auf- verbunden mit dem Institut für Staatspolitik. lösung der klassischen Rechts-Links-Dichotomie 4 Ebd., S.143. Hier werden verschiedene Interpretationen von arbeiten“4. Es geht also darum, in die Reihen des Bruchstücken des marx’schen Denkens vorge- politischen, ideologischen Gegners einzubrechen 5 Ebd., S.12. stellt und geschaut, wie das von rechts genutzt und dort Verbündete zu gewinnen. werden kann. In seinem Vorwort schreibt Stein: „Wo das Ge- meinwohl im Vordergrund stehen soll, kann nicht fortwährend in einem von der Zeit überholten Realpolitik versus Metapolitik binären Klassensystem gedacht und gekämpft werden. Denn und dann zitiert er den Spanier Der Buchdienst der „Jungen Freiheit“ wollte José Antonio Primo de Rivera: „Teilung bedingt das nicht mitmachen und hat das Buch von der Hass. Hass und Teilung aber sind unvereinbar mit Versandliste gestrichen. Es ist im rechten Lager Brüderlichkeit. Und so erlischt in den Gliedern offensichtlich eine Debatte über dieses Bändchen ein und desselben Volkes das Gefühl, Teil eines entbrannt, die heftiger ausfällt, als es der Um- höheren Ganzen, einer hohen, allumfassenden, fang rechtfertigen würde. Einer der Kritiker ist geschichtlichen Einheit zu sein.“ Stein fährt fort: ▶ Zurück zum Karlheinz Weißmann, lange Jahre Vordenker „Wir jungen europäischen Rechten kennen die- Inhaltsverzeichnis dieser „Neuen Rechten“ und Mitbegründer und ses höhere Gefühl, dieses zeitlose Ideal, das über ehemals Chefideologe des Instituts für Staats- Klassen, Parteien und anderen mechanischen ▶ Nächstes Kapitel politik. Der Göttinger Studienrat sprach sich in Konflikten steht. Dies ist unser entscheidender der Debatte gegen den Band aus, ohne explizit Vorteil.“5 Ich sehe hier den Begriff der Volks- Seite 2/4 ▶ auf ihn Bezug zu nehmen. Hier kommt eine stra- gemeinschaft aufleuchten. Ganz genau das ist 2 hier gemeint. Und Volksgemeinschaft ist natür- Die „Konservative Revolution“ als ideologische 6 David, Fred: „Ich bin ein lich nur zu schaffen, wenn ich Grenzen zwischen Grundlage Faschist“, Interview mit , in: Leipziger Volks- links und rechts und Grenzen zwischen Klassen zeitung vom 25/26.11.1995, Journal überwinde und eine neue Synthese schaffe. Im Ich zitiere ein älteres Interview aus der Leipziger S. 2. historischen Faschismus hieß es, der Nationa- Volkszeitung vom 25. November 1995. Damals lismus habe die Nation als höchstes Ziel und ge- wurde der Geschäftsführer der Siemens-Stiftung nau deshalb muss er die soziale Frage für sich gefragt, ob er ein Faschist sei. Und die Antwort entdecken. Denn die Nation wird nie als Einheit lautete: „Ja, im Sinne von José Antonio Primo de handeln können, wenn ein Teil dieser Nation, Rivera.“ Auf die folgende Frage, was ihm Fasch- nämlich die Arbeitenden, sozial ausgegrenzt wird. ismus bedeute, antwortete er: „Faschismus ist für Auf der Linken hieß es dagegen, das Proletariat mich, wenn enttäuschte Liberale und enttäuschte sei die revolutionäre Klasse. Diese revolutionäre Sozialisten sich zu etwas Neuem zusammen- Klasse hat jedoch ihre Aufgabe nicht erfüllt. Sie finden. Daraus entsteht, was man konservative hat jämmerlich versagt und sich mit Parlamenta- Revolution nennt.“6 Dieser Geschäftsführer der rismus und Lohnerhöhungen zufriedengegeben. Siemens-Stiftung war der Schweizer Armin Mohler. Was mach ich als Revolutionär, wenn mir meine Seine Dissertation trug den Titel „Die konservative revolutionäre Klasse abhandenkommt? Revolution in Deutschland 1918-1932“. In der Ich such mir ein neues revolutionäres Subjekt. Faschismustheorie besteht inzwischen nahezu Und nach etlichen langjährigen ideologischen Einigkeit darüber, dass die konservative Revo- Debatten zwischen dieser revolutionären lution, also dieses Gemenge von Zeitschriften, Linken und der revolutionären Rechten wurde ein Einzeldenkern, Kreisen und Bünden, eigentlich neues revolutionäres Subjekt gefunden, näm- die deutsche Entsprechung des Faschismus lich die Nation. Man entdeckte nämlich, dass es gewesen ist. proletarische Nationen gab und imperialistische Genau an diese konservative Revolution versu- Nationen. Wie ganz von selbst ergab sich in chen „Neue Rechte“ heute anzuknüpfen. Und dieser Debatte, dass jeweils die eigene Nation es ist dabei festzustellen, dass die Streitpunkte eine proletarische Nation war. genau die gleichen wie damals sind. Nehmen wir Primo de Rivera, der Vordenker der spanischen die aktuelle Auseinandersetzung um das Bänd- Falange, der faschistischen Partei in Spanien chen „Marx von rechts“. Auf der einen Seite Dieter Anfang der 30er Jahre, war ein Musterbeispiel Stein und Karlheinz Weißmann, die beide aus der für diesen Anhaltspunkt. Sie nannten sich selbst Deutschen Gildenschaft kommen. Auf der anderen nationalsyndikalistische Partei. Und dieser Primo Seite Götz Kubitschek, der ebenfalls Wurzeln de Rivera geistert mit seinem Ansatz, also der in der Deutschen Gildenschaft hat. Schon in der Verbindung von sozialer und nationaler Frage, Weimarer Zeit war in der Deutschen Gildenschaft durch die Ideengeschichte der „Neuen Rechten“. ein Streit um die gleiche Frage entbrannt, wie ▶ Zurück zum Philip Stein ist dabei nur der vorläufige Endpunkt. sie auch bei dem Bändchen „Marx von Rechts“ eine Inhaltsverzeichnis Rolle spielt – nämlich um die Frage nach einer möglichen Querfront. Es gab einen Teil, der sich ▶ Nächstes Kapitel schon 1928 Richtung NSDAP verabschiedete und es gab einen Teil, der sagte, man müsse jetzt Seite 3/4 ▶ endlich Realpolitik machen und werde als 2 Stichwortgeber der Rechten in den Parlamenten gebraucht. Diese Spaltung finden wir heute auch im Kern der „Neuen Rechten“ wieder. Die „Neue Rechte“ sucht ihren Weg mit unterschiedlichen strategischen Ansätzen, die nicht darüber hin- wegtäuschen sollten, dass dahinter der gleiche ideologische Ansatz steht: Nämlich eine Revita- lisierung und Modernisierung des eigentlich konservativ-revolutionären, sprich faschistischen Gedankengutes.

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▶ Nächstes Kapitel Seite 4/4 ▶ 2 WAS WILL DIE Vortrag »NEUE RECHTE«?

Begriffskritik: Alter Wein in neuen Schläuchen Institut für Staatspolitik als Teil eines arbeits- ● Judith Goetz ist Literatur- und teilgen rechtsextremen Netzwerkes Politikwissenschaftlerin. Sie lehrt und forscht an der Universität Wien Ich möchte gern mit einer kleinen Begriffskritik zu den Schwerpunkten geschlechterre- beginnen: Bei dem Begriff der „Neuen Rechten“ Was will die „Neue Rechte“? Das möchte ich flektierte politische Bildung, ge- handelt es sich um eine euphemistische und anhand des Institutes für Staatspolitik (IfS) zeigen. schlechterreflektierte Pädagogik, Geschlechterdemokratie, Antifeminis- strategische Selbstbezeichnung, mit der Rechts- Seit Gründung des IfS im Jahr 2000 wurden mus und (Anti-)Genderismus, Politi- extreme versuchen, sich als weniger gefährlich viele Begriffe gefunden, um selbiges als wichtigs- sche Bildung sowie Rechtsextremismus- bzw. harmloser darzustellen, als sie eigentlich sind. ten Akteur der „Neuen Rechten“ in Deutschland prävention und Rechtsextremismus. Leider wird dieser Begriff sehr oft in den zu beschreiben: Als „rechte Netzwerker“ und „Zen- Medien unkritisch übernommen, was teilweise trum eines neurechten Imperiums“ werden sie auch als Erfolg ihrer Normalisierungsstrategie ebenso bezeichnet wie als „intellektuelle konser- 1 De Benoist, Alain: Kulturrevolution gelesen werden kann. Es war vative Avantgarde“, „Denkfabrik“, „Stichwortgeber“ von rechts, Dresden 2017, S.29. selbst, der Gründungsvater der „“ oder gar eine Art „Gegenelite“. in Frankreich, der gesagt hat: „Die Alte Rechte ist Ich würde sagen, dass alle diese Umschreibungen tot, sie hat es wohl verdient. Sie ist daran zugrunde insofern Recht behalten, dass hier etwas Neues gegangen, dass sie von ihrem Erbe gelebt hat, geschaffen wurde und somit Schnellroda bzw. das von ihren Privilegien und von ihren Erinnerungen. IfS ein wichtiges geografisches und ideelles Sie ist daran zugrunde gegangen, dass sie weder Zentrum aktueller Erscheinungsformen des Rechts- Wille noch Ziel hatte.“1 Der Vorwurf der „Neuen extremismus geworden ist. Doch damit ist das Rechten“ an die „Alte Rechte“ lautet also, dass IfS nicht alleine. Es ist Teil eines Netzwerkes, zu sie auf die aktuellen gesellschaftlichen Prozesse dem unter anderem auch noch zahlreiche nicht mehr reagieren konnte, und dass es deshalb Publikationsorgane und weitere Gruppierungen eines ideologischen wie strategisch organisa- zählen. Unter anderem möchte ich hier noch ▶ Zurück zum torischen Transformationsprozesses bedürfe. den Verlag Antaios, die Zeitschrift Sezession, die Inhaltsverzeichnis Wenn man sich aber das Gedankengut der „Neuen Wochenzeitung , die Identitären Rechten“ genauer ansieht, dann zeigt sich sehr oder EinProzent nennen. Es handelt sich um ein ▶ Nächstes Kapitel deutlich, dass hier eher von einer Tarnung unter arbeitsteiliges Netzwerk, weil alle Akteur*innen modernisierten Vorzeichen gesprochen werden unterschiedliche Aufgabenfelder bedienen. Die Seite 1/6 ▶ kann, da der ideologische Kern weitgehend Junge Freiheit soll die Durchsetzung dieser Ideo- unverändert geblieben ist. logie in der Presselandschaft übernehmen, das 3 IfS und die eingegliederten Publikationsorgane Eliten unter den Vorzeichen einer Wissen- Antaios und Sezession eher die Ideologieproduk- schaftlichkeit. Allein schon der Name „Institut“ tion und die Publikation selbiger. Gruppen wie die ist irreführend, weil Institute in der Regel an Identitären versuchen, diese Ideologie im Main- Universitäten, Hochschulen oder Akademien stream zu vermitteln und auf die Straße zu tragen. eingegliederte Forschungseinrichtungen darstellen. Die Selbstbezeichnung als „Institut“ verleiht dem IfS einen Anschein von Wissen- Tätigkeitsfelder des IfS schaftlichkeit, mit dem sie natürlich spielen. Genauso wie der Begriff „konservative Intellek- Es zeigen sich drei Tätigkeitsfelder des IfS. tuelle“ verschleiert dies, dass es sich hierbei Zum ersten ist eine rechtsextreme Bildungsarbeit um völkischnationalistische, rechtsextreme Den- zu nennen. Das heißt, über Seminare und Winter- ker*innen handelt. Nicht zuletzt bietet der bzw. Sommerakademien wird die Szene geschult Bauernhof in Schnellroda die perfekte Kulisse für und weitergebildet. Hier geht es darum, die diese Selbstinszenierungen, die leider viel zu Ideologieproduktion weiter zu treiben und an die oft im Mainstream aufgenommen und reproduziert dafür Interessierten zu vermitteln, nicht zuletzt werden. Das zweite wichtige Ziel ist die soge- mit dem Ziel, eine neue intellektuelle rechtsextre- nannte Metapolitik, mit der rechtsextreme Denk- me Elite hervorzubringen. muster produziert, normalisiert und verbreitet Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Vernetzung. werden, um den Kampf um die Köpfe zu führen. Bei den Seminaren und den Akademien kommt Es gibt einen Richtungsstreit zwischen Vertreter- ein sehr breites Spektrum unterschiedlicher rech- *innen der Realpolitik und der Metapolitik. ter, rechtsextremer bis neonazistischer Akteure Während die einen darauf abzielen, über den und Akteurinnen zusammen, die sich vor Ort ver- Parlamentarismus politische Veränderungen zu netzen und austauschen, Kooperationen eingehen erzielen, lehnen sich die anderen vor allem an und ihre Handlungen miteinander abstimmen. Benoist an, der versuchte, die Hegemonietheorie Es zeigt sich, dass das IfS eine Art Bindeglied des italienischen Marxisten für zwischen dem parteiförmigen Rechtsextremis- eine Kulturrevolution von Rechts zu adaptieren. mus in Form der AfD und dem außerparlamen- Metapolitiker*innen geht es vor allem um den tarischen Rechtsextremismus in Form von Einfluss auf den vorpolitischen, zivilgesellschaft- Burschenschaftern, Identitären bis hin zu (Ex-) lichen Raum, wo Sinnzusammenhänge entste- Mitgliedern der NPD ist. Nicht zuletzt ist auch die hen, und wo entscheidenden gesellschaftlichen Infrastruktur wichtig, die das Institut anbietet, Fragen Sinnstiftungen verliehen werden. Sie also die Möglichkeiten zur Veröffentlichung dieser wollen ihre eigenen Kulturwerte in diesen Prozess Ideologieproduktion und zur Weiterbildung einfließen lassen, um letztendlich eine Verände- und Finanzierung von verschiedenen Projekten. rung des gesellschaftlichen Denkens zu erwirken ▶ Zurück zum und gesellschaftliche Fragen in ihrem Interesse Inhaltsverzeichnis zu beantworten. Das heißt, dass gesellschaftlich Ziele des IfS relevante Vorstellungen von Volk und Nation mit ▶ Nächstes Kapitel neuen Sinnstiftungen versehen werden, die Das IfS verfolgt vor allem zwei Ziele. Zuerst geht es die Vorherrschaft der gültigen Sicht auf die Dinge Seite 2/6 ▶ um die Bildung von geistigen und intellektuellen verändern bzw. erneuern. Dieser Prozess soll 3 langfristig zu einer Verankerung rechtsextremer Rassendiskurses fortzuschreiben. Das bedeutet, Ideen im gesellschaftlichen Bewusstsein führen. dass viele der sogenannten Neuen Rechten Dass sie damit erfolgreich sind, lässt sich nicht behaupten, sie wären nicht (mehr) rassistisch, zuletzt an der Verbreitung ihres Gedankenguts sondern sie wären vielmehr ethnopluralistisch. ablesen. Hinter diesem Konzept verbirgt sich die Vorstel- Zum einen gibt es die enorme Präsenz neurech- lung, dass alle Kulturen gleich viel wert seien ter Vertreter*innen in den Medien, zu erwähnen und alle Kulturen erhalten werden sollten. Dies sind hier vor allem die sogenannten Homestorys wäre aber nur möglich, wenn jeder Kulturkreis über Götz Kubitschek, die eine vermeintliche auf dem vorbestimmten Territorium bleibe. Es Idylle auf seinem angeblichen Rittergut abbilden dürfe keine Vermischung unterschiedlicher und seine rechtsextreme Vita verharmlosen. Kulturen geben. Jede national ethnokulturelle Gleichzeitig lässt sich der Erfolg auch daran ab- Identität könne nur erhalten bleiben, wenn lesen, wie präsent manche Werke des IfS im Gleiche unter Gleichen blieben. Es handelt sich Mainstream sind. um ein zutiefst antipluralistisches, antiegali- Das zeigte sich an dem 2017 veröffentlichten täres Konzept, das nichts anderes intendiert als antisemitischen und verschwörungsideologi- der altbekannte völkische Nationalismus. Der schen Buch „Finis Germania“, das auf der Liste Ethnopluralismus ist nur scheinbar von der Last der „Sachbücher des Monats“ landete, oder des Nationalsozialismus befreit, weil auch hier die Tatsache, dass Kubitschek und sein Antaios- das Volk als eine Art organisch gewachsene Ab- Verlag inzwischen bei den renommiertesten stammungsgemeinschaft und die Nation als Buchmessen im deutschsprachigen Raum mit ethnische Homogenität gedacht Ständen vertreten sind. Es zeigt sich daran wird. Neu ist nur, dass auch, dass etablierte Parteien Diskursfragmente der Begriff „Rasse“ dieser Ideologie übernehmen. All diese Aspekte oder der Begriff „Volk“ Es handelt sich um ein zutiefst anti- sind Belege für eine erfolgreiche Normalisie- durch den Begriff der pluralistisches, antiegalitäres Konzept, rungsstrategie durch metapolitische Ambitionen. „Kultur“ ersetzt wird. das nichts Anderes intendiert als der Aber Kultur wird auch altbekannte völkische Nationalismus. in diesem Denken als Was steht hinter der Metapolitik? etwas Statisches und Ethnopluralismus. Unveränderbares gedacht. Kultur im Sinne des Ethnopluralismus ist eine Schicksalsgemein- Welche Ideen werden über das metapolitische schaft, aus der man nicht heraus kann, die vor- Agieren transportiert? Ihren Rassismus ver- herbestimmt ist und unter die man sich schleiern „Neue Rechte“ mit dem Konzept des unterwerfen muss. Ethnopluralismus, hinter dem sich nichts anderes ▶ Zurück zum verbirgt als der altbekannte völkische Nationa- Inhaltsverzeichnis lismus der sogenannten Alten Rechten. Sie ver- Der Staatsbegriff des IfS suchen damit völkisches Denken ohne direkten ▶ Nächstes Kapitel Bezug auf die Rassenideologie zu rekonstru- Nun möchte ich auf den Staatsbegriff des IfS ieren, zugleich aber wesentliche Elemente des eingehen, der schon im Titel des Instituts Seite 3/6 ▶ 3 enthalten ist. Tatsächlich handelt es sich um ein Daraus leiten sie die Legitimation ab, selbst- 2 Vgl. Kellershohn, Helmut: "Es geht Kernthema des IfS, was sich unter anderem an ermächtigt die aus den Fugen geratene Staats- um Einfluss auf die Köpfe" – Das Institut für Staatspolitik, in: der Publikation des fünfbändigen „Staatspoliti- wirklichkeit bekämpfen zu müssen, um diese www.bpb.de vom 07.07.2016, einsehbar schen Handbuches“ zeigt, das von Kubitschek aus den „Händen von Linken und Liberalen“ unter: herausgegeben worden ist. Schon 2002 schrieb (Weißmann 2009, 15) zu befreien. Es wird ein ▶ https://www.bpb.de/politik/extre- mismus/rechtsextremismus/230002/es- Moritz Schwarz in der Jungen Freiheit 17/2002: Staatsumbruch anvisiert mit dem Ziel der Errich- geht-um-einfluss-auf-die-koepfe-das- „Programm ist auch der Name des Institutes. An- tung eines neuen autoritären Machtstaates, institut-fuer-staatspolitik, zuletzt ders als im liberalem Verständnis, wo Politik als in dem die vom IfS ausgebildete Elite die Führung eingesehen am 10.09.2019. das Organisieren von Problemen, Kompromissen übernehmen soll.2 und Entscheidungen verstanden wird, also eine gesellschaftliche Betonung hat, verweist der Ter- minus Staatspolitik auf den philosophisch-politi- Verhältnis von Demokratie und Gewalt schen Charakter des Begriffs Politik. Hier bedeutet Politik das Handeln in Verantwortung vor dem Abschließend möchte ich noch auf das Verhältnis Staat.“ Daraus lässt sich ablesen, dass Politik im von Demokratie und Gewalt eingehen. Die „Neue IfS nicht vom Menschen her gedacht wird, son- Rechte“ hat sich vordergründig vom Nationalso- dern vom autoritären Machtstaat. In einem solchen zialismus distanziert und bezieht sich auf Protago- Verständnis gibt der Staat vor, was gut für das nisten der Konservativen Revolution, die allerdings „Volk“ ist. Das „Volk“ habe sich dieser Politik zu un- bei genauerer Betrachtung als faschistisch zu terwerfen. Liberale und soziale Elemente werden bezeichnen sind. aus einem solchen Staatsverständnis komplett Gleichzeitig habe ich Es wird ein Staatsumbruch anvisiert gestrichen. Das Staatsverständnis des IfS knüpft schon mehrfach be- mit dem Ziel der Errichtung eines an den Staatsrechtler an, der von den tont, dass es in diesem Nationalsozialist*innen hofiert wurde. Schmitt antiegalitären und anti- neuen autoritären Machtstaates wollte die plurale Demokratie durch eine identitä- pluralistischen Staats- re ersetzten. Die Demokratie sollte nicht mehr verständnis – und auch in der eine heterogene, pluralistische Demokratie sein, Ideologie an sich – um die Ablehnung sämtlicher die Raum für die Entfaltung vieler unterschied- Grundlagen der modernen Demokratie geht. licher Individuen lässt, sondern diese sollte nach Das heißt, dass die offene Gesellschaft in dieser Schmitts Verständnis durch ein völkisches, iden- Ideologie schlichtweg abgelehnt wird, weil das titäres Staatsverständnis im Sinne einer Ethno- „Volk“ als homogen gehaltene Abstammungsge- kratie ersetzt werden. Folglich sei Demokratie nur meinschaft gedacht wird, das Individuum an sich ein Konzept für Mitglieder der gleichen ethno- nichts zählt, sondern immer nur als Teil eines kulturellen Gemeinschaft. Gleichzeitig gibt es auch Zwangskollektivs gedacht wird. Auf diese Weise in der Politik bzw. in der Ideologie des IfS eine wird die völkische Ideologie weiterverbreitet – ▶ Zurück zum Aufspaltung zwischen der Staatsidee von einem getarnt unter dem Schlagwort „Ethnopluralismus“. Inhaltsverzeichnis identitären Machtstaat, dem man sich unter- Das autoritäre Staatsverständnis des IfS, das die werfen soll, und konkreter Staatswirklichkeit. Entfernung aller sozialen und liberalen Momente ▶ Nächstes Kapitel Diese konkrete Staatswirklichkeit, wie wir sie vorsieht, ist weit weg von einem Verfassungsstaat, heute antreffen, wird von den Akteur*innen des wie wir ihn kennen. Es richtet sich ganz klar gegen Seite 4/6 ▶ IfS kritisiert, weil sie „aus den Fugen geraten“ sei. die demokratische Verfasstheit dieser Gesellschaft. 3 Das Verhältnis zur Gewalt „fehlende Thymosspannung“ bzw. eine „Thymos- 3 Vgl. Steinhagen, Martin: Schul- schwäche“ konstatierte. Damit meint er, dass terschluss im Dorfgasthof, in: der rechte rand, Nr. 166, Mai 2017, im Das Verhältnis des IfS zur Gewalt lässt sich an ihnen Selbstachtung fehle, was zu mangelndem Internet unter:▶ https://www.der- vier Ebenen festmachen. Zunächst spiegelt Nationalstolz sowie Selbsthass und der man- rechte-rand.de/archive/2636/17-win- sich die Affinität zu Gewalt im ständigen Appell gelnden Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, terakademie-ifs/, zuletzt eingesehen an wehrhafter und damit auch gewaltförmiger führe. am 10.09.2019. Männlichkeit wider. Unter der ständigen Betonung Es zeigt sich also, dass es sich bei der Selbst- von Untergangsfantasien steht die „Verteidi- inszenierung „gewaltfrei“ um gung des Eigenen“ im Vordergrund, verbunden einen – leicht dekons- mit einem stetigen Appell an individuelle Wehr- truierbaren - Mythos Das heißt, dass die offene Gesell- haftigkeit. Natürlich geht es hier nicht nur um handelt. Letztlich muss schaft in dieser Ideologie schlichtweg argumentative Wehrhaftigkeit, sondern auch auch der Zusammen- um eine physische Wehrhaftigkeit, die aktuell hang zwischen verbaler abgelehnt wird, weil das „Volk“ als auf den Straßen in Chemnitz oder Köthen ihre und schriftlicher Hetze homogen gehaltene Abstammungs- Umsetzung findet. Gleichzeitig ist Gewalt auch (und der im Antaois- gemeinschaft gedacht wird. ein Thema in der Ideologieproduktion. Bei der Verlag produzierten Winterakademie 2017 wurde beispielsweise der Bücher) und den Angriffen auf der Straße gesehen US-Amerikaner Jack Donovan eingeladen, ein werden: Sie schaffen das theoretische Funda- zutiefst frauenfeindlicher Maskulinist, der unter ment eines völkischen Nationalismus, den anderem Bücher wie „Der Weg der Männer“ auf der Straße und die AfD im Parlament ver- geschrieben hat. In diesem ruft er dazu auf, dass tritt und umzusetzen versucht. Gewalt ist in der sich Männer wieder in Rudeln zusammenfinden Ideologie, die immer auf Ausgrenzung und und gemeinsam in den Wald gehen und sich ver- Diskriminierung ausgerichtet ist, permanenter prügeln sollten, um herauszufinden, wer der Bestandteil und, wie sich in den Ausführungen von Stärkere sei. Dieser solle dann das Rudel anführen. Donovan und Anderen gezeigt hat, scheinbar Auf der Winterakademie in Schnellroda vertrat legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Inter- er dann die These, dass Gewalt ein wichtiges essen. Entsprechend werden gewalttätige Mittel jeder Kultur sei und, dass man endlich Ab- Bestrebungen bedient und verstärkt. Gewalt ist stand nehmen solle von dem permanenten somit eine Konsequenz, die sich aus diesem Opferdiskurs. Gewalt sei ein Mittel in der Vertei- Gedankengut ableiten lässt. digung der eigenen Identität gegen „die Ande- ren“ und daher stelle sich für ihn die Frage, „ob Gewalt gegen Leute, die nicht meine Leute sind, Conclusio gut oder böse ist“, schlicht gar nicht. Entschei- dend sei, „ob der Einsatz von Gewalt erfolgver- Gerade aufgrund der überregionalen Bedeutung ▶ Zurück zum sprechend ist“. Nur so könne eine „Kultur der des IfS als zentrale Denkfabrik menschenfeind- Inhaltsverzeichnis Stärke“ geschaffen werden, schließlich „brauche licher Ideologien sowie Kaderschmiede einer jeder einmal einen Schlag in die Fresse“.3 rechtsextremen Elite ist es wichtig, sich mit dem ▶ Nächstes Kapitel Mit dabei waren auch Martin Sellner, Chef der IfS auseinanderzusetzen. Hinzu kommt, dass es österreichischen Identitären, sowie der AfD- den Akteur*innen immer erfolgreicher gelingt, Seite 5/6 ▶ Politiker Marc Jongen, der den Deutschen eine Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse zu nehmen 3 und rechtsextreme Denkmuster zu normalisieren. Diese Entwicklungen und Tendenzen stellen nicht zuletzt eine Bedrohung für die demokra- tische Verfasstheit dieser Gesellschaft dar. Es muss auch beachtet werden, dass sich der in rechtsextremen Kreisen betriebene Antiegali- tarismus und Antipluralismus nicht nur gegen Migrant*innen, sondern gegen alle Anders- denkenden richtet, die nicht in das Weltbild der Rechten passen. Umso wichtiger erscheint es daher, die rechtsextremen Normalisierungs- strategien offenzulegen und antidemokratische Denkmuster zurückzudrängen.

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▶ Nächstes Kapitel Seite 6/6 ▶ 3 WAS KANN DIE Vortrag »NEUE RECHTE« (NICHT)?

Es ist naheliegend, dass in der „Neuen Rechten“ die „Neue Rechte“ in ihrer Bedeutung zurück- ● Torsten Hahnel arbeitet bei Selbstdarstellung und Realität sehr weit aus- gedrängt werden oder wird sich deren Netzwerk ▶ Miteinander e.V. in der Arbeits- stelle Rechtsextremismus (AREX). Der einander liegen. Ich werde in meinem Vortrag von weiter verfestigen? Ich habe vier Thesen zur Schwerpunkt der Arbeit der AREX liegt der „Neuen Rechten“ sprechen, obwohl der „Neuen Rechten“ aufgestellt, die ich mithilfe von auf der Analyse von Entwicklungen in Begriff den Gegenstand nur äußerst ungenau kurzen Videosequenzen und Bildern erläutern der rechtsextremen Szene in Sach- sen-Anhalt und deren Einordnung in beschreibt. Die „Neue Rechte“ ist aus meiner werde. Diese Thesen lauten: überregionale Kontexte. Sicht weder neu, noch sind die Strukturen und Organisationen unter diesem Label treffend 1. Die „Neue Rechte“ ist nicht innovativ. zusammenzufassen. Ich halte deswegen die 2. Die „Neue Rechte“ ist nicht vom histori- Bezeichnung „extrem rechte Netzwerke“ für schen Nationalsozialismus oder Rechts- passender. Da aber die Benennung „Neue Rech- extremismus abzugrenzen. te“ in der öffentlichen Diskussion etabliert ist, 3. Die „Neue Rechte“ ist nicht geeint. werden wir sie hier auch verwenden und versu- 4. Die „Neue Rechte“ ist nicht intellektuell. chen, im Laufe der heutigen Tagung den Begriff zu schärfen. Beginnen werde ich mit einer kurzen Videose- quenz, in der Alexander Gauland in einer Talkshow von Anne Will versucht, das Programm der AFD Vier Thesen zu erläutern. 1 ▶ Zurück zum Anne Will: „Aufgefallen ist ohnehin, dass Sie Inhaltsverzeichnis In meinem Input werde ich vor allem auf die im Grunde genommen immer gegen alles sind. Unstimmigkeiten und Widersprüche der „Neuen […] Was Sie nie sagen ist, ob Sie irgendeine ▶ Nächstes Kapitel Rechten“ hinweisen und diese genauer analysie- konstruktive Idee für Deutschland hätten, wie ren, um zu erkennen, wo sie verwundbar ist. Sie Deutschland gut und konstruktiv verändern Seite 1/5 ▶ Die aus meiner Sicht wichtige Frage lautet: Kann möchten.“ 4 Alexander Gauland: „Das ist im Moment nicht der „68er“ zu adaptieren. Allerdings waren diese unsere Aufgabe.“ Aktionen nicht besonders erfolgreich und wur- Gauland ist kein klassischer Vertreter der „Neu- den eher belächelt. Seit einigen Jahren werden en Rechten“. Er ist aber einer der wichtigsten diese Ideen mit etwas mehr öffentlicher Beach- Protagonist*innen, da er durch den Übergang tung hauptsächlich durch die Identitäre Bewegung von der CDU zur AfD und durch wiederholte (IB) aufgewärmt. öffentliche Tabubrüche die Grenzen nach Rechts- Durch die „Neue Rechte“ wird ständig der außen immer weiter verschoben hat. absurde Vergleich der heutigen Situation mit dem In den letzten Jahren haben sich extrem rechte Ende der DDR bemüht. So sieht sich die „Neue Netzwerke entwickelt. In diesen Netzwerken Rechte“ als legitime Nachfolgerin der DDR- sind verschiedene Akteur*innen, Strukturen und Bürgerrechtler*innen, von denen mittlerweile Positionen miteinander verknüpft. Diese Netze tatsächlich einige in diesen Kreisen sind in manchen Regionen sehr eng und feinma- eine neue politische schig, in anderen weiter. Auch wenn zahlreiche Heimat gefunden Protagonist*innen aus Westdeutschland kommen, haben. Andererseits Tatsächlich wurde der Großteil der sind diese Netze im Osten deutlich stärker, wo- wird die Besteigung Aktivist*innen in der neonazistischen bei die „Neue Rechte“ in vielen Regionen von des Brandenburger Tors Szene sozialisiert. fehlender Gegenwehr durch die Mehrheitsgesell- und die Forderung nach schaft profitiert. Wir haben das in den letzten geschlossenen Grenzen, Jahren schon bei der klassischen Neonazi-Szene ausgerechnet an dem Ort, der wie kein anderer gesagt: Die Schwäche der Zivilgesellschaft ist für die Unmenschlichkeit der deutsch-deutschen die Stärke der Rechtsextremen. Das trifft selbst- Grenze stand, zur Bildikone der Szene aufgebaut. verständlich auch auf die Netzwerke der „Neuen In diesem Falle allerdings mit tatkräftiger Unter- Rechten“ zu. stützung aller Medien. Ich habe mich gefragt, wie geschichtsvergessen man sein muss, um sich auf das Brandenburger Tor zu stellen und geschlos- Erste These: Die „Neue Rechte“ ist nicht innovativ sene Grenzen zu fordern. In der öffentlichen Diskussion ist dieser Aspekt leider untergegangen. Ich komme zur ersten These: „Die Neue Rechte Das zeigt auch, dass es Nachholbedarf gibt und ist nicht innovativ“. Sie ist nicht innovativ, weil die Medienvertreter*innen lernen müssen, mit sie keine eigenen Ideen entwickelt, sondern sich den Selbstinszenierungen der „Neuen Rechten“ inhaltlich an der sogenannten Konservativen adäquat umzugehen. Revolution bedient, also bei den faschistischen Vordenkern des Nationalsozialismus. Strategisch und konzeptionell wird sich dagegen bei linken Zweite These: Die „Neue Rechte“ ist nicht ▶ Zurück zum Theorien bedient, von Antonio Gramsci bis hin vom Nationalsozialismus und vom militanten Inhaltsverzeichnis zu den „68ern“. Vor knapp 10 Jahren versuchten Rechtsextremismus abzugrenzen Akteure mit der „Konservativ Subversiven Aktion“ ▶ Nächstes Kapitel (KSA) diese Anleihen in die Praxis zu übersetzen. Es lohnt sich, die Eigendarstellung und die Realität Die Idee stammte insbesondere von Götz der Identitären gegenüberzustellen. Sie behaupten, Seite 2/5 ▶ Kubitschek, der damit versuchte, Aktionsformen dass sie keinen Bezug zum Nationalsozialismus 4 hätten. Tatsächlich wurde der Großteil der Aktivist*- abgeordneter für die AfD in Hessen ist, und über innen in der neonazistischen Szene sozialisiert. die Titurel-Stiftung, die eine Gründung aus dem Sie sagen, sie seien demokratisch, lehnen aber Umfeld des IfS ist, wurde das Haus gekauft und zentrale Merkmale der Demokratie ab und miss- den Identitären zur Verfügung gestellt. Auch achten demokratische Institutionen. Sie benutzten andere Strukturen der „Neuen Rechten“ haben Gewalt und Einschüchterung gegen politische dort ein Domizil ge- Gegner*innen und sind teilweise wegen Gewalt- funden und versuchen taten vorbestraft. Die „Neue Rechte“ greift zu- die Vernetzung weiter Abgrenzungsbeschlüsse zu rechts- dem in zentralen ideologischen Punkten auf voran zu treiben. extremen Strukturen sind reine antisemitische Stereotype und Verschwörungs- Was das bedeutet, Kosmetik, im Gegenteil wachsen theorien zurück, um die Welt und komplexe Zu- war bereits bei einer rechtsextreme Strukturen im Umfeld sammenhänge zu erklären. Sie kann und will sich ersten Demonst- nicht von antisemitischen Positionen abgrenzen, ration gegen das der AfD zusammen. obwohl sie sich ständig als Beschützerin der Haus im Juni 2017 deutschen Jüd*innen aufspielt. Das ambivalente zu beobachten. Ungefähr Verhältnis zum Judentum funktioniert nach der 80 bis 100 Sympathisant*innen der Identitären Formel „der Feind meines Feindes ist mein Freund“. sammelten sich demonstrativ vor dem Haus in Hiernach hält die „Neue Rechte“ das Judentum der Adam-Kuckhoff-Straße. In trauter Einigkeit und Israel für natürliche Verbündete im Kampf standen dort regionale Neonazis, AfD-Parlament- gegen den Islam. arier, Identitäre und ehemalige Funktionäre der Außerdem wird die Zeit des Nationalsozialismus JN, also der Jugendorganisation der NPD. verharmlost und gleichzeitig gefordert, die of- fene Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen zu beenden. Abgrenzungsbeschlüsse zu rechts- Dritte These: Die „Neue Rechte“ ist nicht geeint extremen Strukturen sind reine Kosmetik, im Gegenteil wachsen rechtsextreme Strukturen im Ich komme zur nächsten These, die bei der Frage Umfeld der AfD zusammen. Dadurch kann die nach den Brüchen in der Struktur der „Neuen AfD nahezu ungehindert ideologische Schranken Rechten“ besonders wichtig sein dürfte. Die „Neue zur Mitte der Gesellschaft einreißen und die Rechte“ streitet sich, wenn es nur irgendwie die Grenzen weiter nach rechts verschieben, weil sie Möglichkeit dazu gibt. Die Radikalisierungsschübe von vielen Menschen und Wähler*innen immer der AfD waren jeweils mit heftigen persönlichen noch als demokratische Partei wahrgenommen Anfeindungen verbunden. Ein Tag nachdem im wird. Bei den Demonstrationen im September September 2017 die damals amtierende Parteivor- 2018 in Chemnitz und Köthen hat sich deutlich sitzende Frauke Petry die Partei verließ, postete gezeigt, wie selbstverständlich alle Spektren Hans-Thomas Tillschneider bei Facebook ein Bild ▶ Zurück zum der extremen Rechten mittlerweile auch öffent- unter dem Titel „Petry go home, die Schlange ist Inhaltsverzeichnis lich miteinander kooperieren. tot.“ Auch beim Rückzug André Poggenburgs von Die enge Kooperation in diesem Netzwerk, vor der innerparteilichen Strömung Der Flügel, dem ▶ Nächstes Kapitel allem die Rolle der AfD, wird besonders deut- er zwei Wochen vorher noch ewige Treue schwor, lich an dem extrem rechten Hausprojekt in Halle. wurde sichtbar, wie heftig die Machtkämpfe in- Seite 3/5 ▶ Über die Person Andreas Lichert, der Landtags- nerhalb des extrem rechten Lagers sind. 4 Aber auch außerhalb der Partei wird mit harten „Neuen Rechten“ wird mit Verdacht auf „Fake- Bandagen um die Vorherrschaft gekämpft. Lutz News“ oder angeblichen Verstrickungen zu Bachmann, der als Begründer von Pegida gilt, linksextremen Strukturen abgewehrt. Wort- teilte kurz nach den Demonstrationen in Chemnitz schöpfungen wie „links-grün-versifft“,„Messer- heftig gegen die West-AfD-Verbände aus, in- migration“ und weitere zeigen, wie niveaulos dem er diesen erklärte, dass sie im Osten eigent- die selbsternannten Intellektuellen tatsächlich lich nichts zu suchen hätten, weil sie nur kämen, sind. Nicht zuletzt sind viele der Protagonist*- um Vorschriften zu machen.2 Wichtig ist dabei, innen der Szene primär an ihrer dass trotz der mittlerweile beachtlichen Größe Selbstdarstellung und dieser rechten Netzwerke alle Fäden zentral bei -vermarktung inter- wenigen Personen zusammenlaufen. Der Wider- essiert. So werden im Der Führeranspruch und -kult um spruch zwischen Elitedenken und Massenbasis Antaios-Verlag Bücher einzelne Personen führt zu einem kann nicht aufgehoben werden und führt immer auf den Markt gewor- ständigen Machtkampf innerhalb der wieder zu heftigen persönlichen Verwerfungen. fen, die kaum über Strukturen der „Neuen Rechten” Der Führeranspruch und -kult um einzelne Per- das Niveau eines Arzt- sonen führt zu einem ständigen Machtkampf romans hinauskommen innerhalb der Strukturen der „Neuen Rechten“. und deren wichtigste Aufgabe darin besteht, Das Konzept vom „Recht des Stärkeren“, das tief großformatige Selbstportraits unter die Leute zu in die DNA rechter Strukturen eingeschrieben ist, bringen. Dagegen ist es wichtig, Personen wie führt dazu, dass die Stärkeren ständig versuchen, Götz Kubitschek in Situationen zu zeigen, in denen sich auf Kosten der weniger Starken zu profi- er nicht in der Lage ist, sich als Intellektueller zu lieren. Ohne diese Machtkämpfe ist die „Neue inszenieren. Das Bild der Intellektualität fällt sofort Rechte“ nicht zu denken. auseinander, wenn ihm widersprochen wird. Jene, die Kubitschek schon einmal außerhalb eines selbstgesteckten Rahmens erlebt haben, Vierte These: Die „Neue Rechte“ ist nicht wissen wie schnell seine Maske fällt und wie intellektuell schnell er unsachlich und überhaupt nicht intel- lektuell reagiert. Ich komme zur letzten These, in der es mir da- Und genau darum geht es mir bei meinen Aus- rum geht, das selbsterzeugte Bild der „Neuen führungen. Natürlich haben Kubitschek und Rechten“, das leider viel zu oft von zahlreichen Kositza intellektuelle Fähigkeiten. Diese nutzen Sie Medienvertreter*innen übernommen wird, zu aber hauptsächlich, um ihre eigentlichen Ziele zu brechen: Die „Neue Rechte“ ist nicht intellektuell. verschleiern. Sie werden nie gefragt: „Was sind Sie stellt komplexe gesellschaftliche Entwick- eigentlich Ihre Ideen von Gesellschaft, wie sieht lungen unterkomplex und extrem vereinfacht dar. denn eigentlich das Land aus, in dem sie etwas ▶ Zurück zum Die Verschwörungstheorie vom „großen Aus- zu sagen hätten?“ Es ist nicht interessant, ob sie Inhaltsverzeichnis tausch“ wird zur Grundlage der politischen Stra- ihre Ziegen melken oder warum sie sich siezen, tegie. Aus möglicherweise berechtigter Kritik sondern es geht darum, wofür diese Menschen ▶ Nächstes Kapitel an staatlichen Institutionen wird der Kampf und ihr größer werdendes Umfeld ideologisch gegen die „Merkel-Diktatur“ und jede kritische stehen. Der Erfolg der „Neuen Rechten“ fußt auf Seite 4/5 ▶ Frage nach Strategien und Aktivitäten der einer unkritischen Übernahme ihrer Selbstdar- 4 stellung und einer fehlenden Infragestellung ihrer Beteuerungen, sich an demokratische Regeln zu halten durch Teile der Öffentlichkeit. Es wäre besser, sie an ihren programmatischen Aussagen zu messen. Für mich besteht nicht der geringste Zweifel darin, dass die Vertreter*- innen der „Neue Rechten“, wenn sie jemals die Möglichkeit bekommen sollten politische Macht Die „Neue Rechte“ ist nicht intellektuell. auszuüben, diese nutzen werden, um die Sie stellt komplexe gesellschaftliche Demokratie zu beseitigen. Sie daran zu hindern, Entwicklungen unterkomplex und ex- ist ein Ziel dieser Tagung. trem vereinfacht dar.

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▶ Nächstes Kapitel Seite 5/5 ▶ 4 DISKUSSION UND

NACHFnach den ersten drei Impulsen RAGEN

• Moderation: Volkmar, wie würdest du je- faschistischer Bewegungen und nur, wenn ich ▶ Volkmar Wölk mandem, der sich nicht ständig mit dem Thema mich darauf einlasse, werde ich etwas bewirken ▶ Judith Goetz „Neue Rechte“ befasst, kurz und knapp klar- können. ▶ Torsten Hahnel machen, dass hier eine faschistische Ideologie vertreten wird? • Frage aus dem Publikum: Mir ist ein Satz von Torsten Hahnel im Kopf geblieben. Da ging es • Wölk: Die erste Antwort, die ich immer be- darum, was passieren würde, wenn die „Neue komme, wenn ich auf die Gefährlichkeit hinweise, Rechte“ Macht bekommen würde. Ich habe den ist: Das sind doch keine Nazis. Sind es ja auch Eindruck, dass die Einschätzungen auf dem nicht, sondern es sind konservative revolutionäre Podium bezüglich dessen auseinander gehen, Faschisten oder „Neue Rechte“ oder wie auch wie viel tatsächliche Macht diese „Neue Rechte“ immer man sie nennen will. Die historischen schon hat. Nazis waren ein Sonderfall. In Deutschland muss neben der Last unserer Vergangenheit einer • Hahnel: Mir ging es vor allem darum zu weiterer Punkt berücksichtigt werden: Alles, was zeigen, dass es Brüche gibt und dass die „Neue rechts ist, wird daran gemessen, ob es neonazis- Rechte“ angreifbar ist, weil sie tatsächlich sehr tisch ist oder nicht. Und nur wenn etwas mit dem weit von ihrem Selbstbild entfernt ist. Dennoch: Etikett „Nazi“ versehen wird, wird es auch ernst Wenn sie nur ein Scheinriese und unbedeutend genommen und als gefährlich eingestuft. Wir wäre, würden wir jetzt nicht hier sitzen. In den letz- haben es in Deutschland in der Wissenschaft nie ten Jahren hat es zweifellos einen Rechtsruck geschafft, einen generischen Faschismusbegriff gegeben. Sicher haben sie mittlerweile größeren herauszuarbeiten. Faschismus wird immer auf Einfluss als vor ein paar Jahren. Aber sie sind ▶ Zurück zum den deutschen Faschismus bzw. den historischen trotzdem noch lange nicht in der Lage ihr Pro- Inhaltsverzeichnis Nationalsozialismus eingeengt. Ich kann aber gramm wirklich umzusetzen. Ich meine diesen das Wesen einer politischen Ideologie und einer Satz tatsächlich ernst: Wenn sie politische Macht ▶ Nächstes Kapitel Bewegung nicht erklären und bekämpfen, wenn bekommen, dann werden sie diese in ihrem ich mich nur auf einen Sonderfall beschränke. Ich Sinne einsetzen. Vielleicht nicht mit einem Fackel- Seite 1/4 ▶ muss also zurück an die Wurzel der Entstehung marsch in Berlin am ersten Tag, wie 1933, aber 5 sukzessive werden sie genau das tun, wovon sie Ansätzen. Da gibt es auch den Flügel, der von seit Jahren reden und was wir auch teilweise in Anfang an gesagt hat: Wir kämpfen innerhalb unseren Nachbarländern beobachten können. des Systems für eine Veränderung des Systems. Dafür ein paar Beispiele: Der ehemalige Schwie- • Goetz: Es ist ein langsamer Sickerungspro- gervater von Götz Kubitschek war Staatssekretär zess, den ich gerne an einem Beispiel aufzeigen im hessischen Kultusministerium. Er hat die möchte, nämlich am Schlagwort „Großer Aus- Schulpolitik beeinflusst und war in dieser Zeit ein tausch“. Dieser Begriff stammt vom französischen enger Mitstreiter von Alexander Gauland, der Publizisten Renaud Camus. Der Antaios Verlag damals schon innerhalb und außerhalb der Union hat sein Buch auf Deutsch übersetzt und heraus- die Strippen gezogen hat. Ein weiterer führender gebracht. Die Identitären haben eine Kampagne Gildenschaftler aus diesem Umfeld war Chef der zum „Großen Austausch“ gemacht und haben Bundeszentrale für politische Bildung. Ein AfD- diesen Begriff immer wieder verwendet. Damit Funktionär wurde vor drei Jahren enttarnt, der entwickelte er eine Eigendynamik. Inzwischen immerhin für den Vorsitzenden der Landesfach- sprechen auch AfD und FPÖ vom „Großen Aus- gruppe Inneres, Verfassung und Recht als Mit- tausch“. Der Begriff wird mittlerweile ganz un- arbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz abhängig vom rechtsextremen Spektrum benutzt. beschäftigt war, und zwar als Auswerter im Be- Daran lässt sich erkennen, wie diskursive Strate- reich Extremismus. Genau solche Sachen können gien und der metapolitische Kampf funktionieren: eben auch schon vor einer Machtergreifung wir- Durch eine neue Wortkreation, die historisch ken. Und diese schleichende Veränderung halte nicht so belastet ist. Alte Nazis hätten von „Um- ich im Endeffekt für viel gefährlicher. volkung“ oder „Volkstod“ gesprochen. Und die „Neue Rechte“ verwendet diese neue Bezeich- • Frage Publikum: nung und schafft es durch stetige Wiederho- Ich sehe einen Widerspruch: Wir beschäftigen uns lung dem ganzen Diskurs ein neues Framing zu mit der „Neuen Rechten“, versuchen zu deuten, geben. Damit waren sie sehr erfolgreich. Gleich- ob sie intellektuell sind oder nicht, ob sie inspi- zeitig würde ich dennoch sagen, dass es Schein- rieren oder nicht. Aber wenn ich mir bei Pegida die riesen sind. Auch deswegen, weil die Medien Leute angucke, denke ich, dass ihnen egal ist, und die Gesellschaft sie durch den immer wieder wessen Geistes Kind Kubitschek ist. Wenn er das auch notwendigen Skandalisierungsalarmismus Richtige sagt, dann klatschen sie, wenn er nicht größer machen als sie sind. Die Gefahr, dass sie das Richtige sagt, dann buhen sie. Seine Schriften noch mehr Bedeutung und Macht bekommen, lesen sie eh nicht. Und wer mal Sezession gelesen steht immer im Raum. Die große Mehrheit hat, der weiß, dass das nicht massenkompatibel der Journalisteninnen und Journalisten ist auf die ist. Deswegen ketzerisch gefragt: Überschätzen Kommunikationsstrategien der Identitären wir nicht die „Neue Rechte“? Koppelt sich das, ▶ Zurück zum reingefallen und hat ihnen zu deren Größe und was wir als rechte, rechtsradikale, rechtsextreme Inhaltsverzeichnis Erfolg verholfen. Bewegung auf der Straße erleben nicht längst von der „Neuen Rechten“ ab? Wird die „Neue ▶ Nächstes Kapitel • Wölk: Ich nannte vorhin die deutsche Hoch- Rechte“ nicht irgendwann überflüssig? schulgilde als Knotenpunkt des neuen rechten Seite 2/4 ▶ Netzwerkes mit unterschiedlichen strategischen • Wölk: Wenn es so etwas wie die soziale 5 Frage nicht mehr gäbe, dann hätten die Rechten geändert hat. Aber es kommt nicht aus dem keine Anknüpfungspunkte. Sie knüpfen an die Nichts. Ich glaube, dass sich im Windschatten erheblich sichtbaren und gravierenden Formen des Erfolges der „Neuen Rechten“ die militante von sozialer Ungerechtigkeit an. Sie machen Neonaziszene neu strukturiert. Sie werden wie- Schuldzuschreibungen an ohnehin ausgegrenzte der rekrutierungs- und mobilisierungsfähiger und Minderheiten. Sie versuchen soziale Benachtei- die Schnittmengen werden immer enger. Bei- ligung durch neue Ungerechtigkeit zu steuern. spielsweise hat der Veranstalter der Rechtsrock- Aber dass in diesem Land eine soziale Schieflage konzerte in Thüringen und einer der wichtigsten herrscht, war glaube ich noch nie so breit im Akteure der militanten Neonaziszene, Tommy Bewusstsein wie heute. Frenck, letztes Jahr dazu aufgerufen bei der Bundestagswahl 2017 die AfD zu wählen. Er hat • Hahnel: Die Frage nach der Relevanz der auch erklärt warum, und zwar weil er denkt, Netzwerke ist natürlich nicht einfach zu beant- dass mit der AfD am ehesten die politischen Zie- worten. Man kann es anhand einiger Zahlen le, die er als Neonazi vertritt, umsetzbar sind. erläutern. Eine der Fragen, die Journalisten*innen Es finden also Vereinigungsprozesse statt. Das nach Chemnitz und Köthen häufig stellten, war: hat man in Köthen und Chemnitz ganz gut gese- Wieso können eindeutige Neonazis in so kurzer hen. Ich glaube, dass diese Entwicklung, die Zeit eine so große Masse an Menschen mobi- von der „Neuen Rechten“ vorangetrieben wird, lisieren? Selbstverständlich hat das etwas mit ernst genommen werden muss. dieser von rechts aufgeladenen Stimmung im Land zu tun. Die Hälfte der 2500 Menschen, die • Goetz: Ich will ergänzen, dass ich bei dieser in Köthen zusammen kamen, ist Teil organisierter Entwicklung keinen Widerspruch erkennen kann. Nazistrukturen. Der Rest setzte sich zusammen Es handelt sich nicht um zwei politische Konzepte, aus deren Umfeld und scheinbar unpolitischen die sich gegenseitig ausspielen, sondern ganz im Menschen aus Köthen. Gegenteil: Diese rechtsextremen Ideologen der Wir beobachten die rechtsextreme Szene ja „Neuen Rechten“ und die Massen auf der Straße seit vielen Jahren und haben festgestellt, dass es ziehen am selben Strang. Ihnen geht es ja um ein für sie in den letzten zwei, drei Jahren unglaub- und dasselbe Ziel. Sie wählen nur unterschiedliche lich schwierig war - in Sachsen-Anhalt, aber auch Formen. Die einen reden davon, dass die ethno- darüber hinaus - eine Demonstration mit über kulturelle Identität erhalten werden soll, und die vier- bis fünfhundert Menschen auf die Beine zu anderen wollen, dass Deutschland weiterhin den stellen. Die militante Naziszene hat ein Rekrutie- Deutschen gehört. In beiden Fällen geht es um rungsproblem und sich zum großen Teil wieder ins diesen völkischen Nationalismus. Es ist ein Netz- Private zurückgezogen. Das heißt aber nicht, dass werk mit unterschiedlichen Strukturen und Auf- die militante Szene nicht mehr existiert, denn gabenfeldern und dem Institut für Staatspolitik ▶ Zurück zum während Aufmärsche überwiegend klein blieben, kommt hierbei die Funktion der Kaderschmiede Inhaltsverzeichnis waren bei Rechtsrockkonzerten 6000 bis 8000 und der Denkfabrik zu. Götz Kubitschek war als Besucher*innen. Das zeigt ja, dass die Leute Redner bei Pegida und Legida. Natürlich ist das ▶ Nächstes Kapitel noch da sind. Aber diese Mobilisierungsfähigkeit mit Schwierigkeiten verbunden, weil das pseudo- auf der Straße war deutlich eingeschränkt und intellektuelle Geschwurbel Kubitscheks oftmals Seite 3/4 ▶ es ist ein deutliches Zeichen, dass sich das nun nicht mainstreamtauglich ist. Aber es gibt in 5 diesen Netzwerken Personen, die es schaffen, sind Werte, die aus der bürgerlich-kapitalistischen die Ideologie in eine Sprache zu übersetzen, die Gesellschaft stammen und im Rechtsextremismus von breiteren Massen verstanden wird. Das auf die Spitze getrieben werden. Ich denke, dass machen beispielsweise die AfD ebenso wie die rechtsextreme Menschen nicht notwendigerweise Identitären und mal gelingt es ihnen gut und an Überzeugungen glauben, die mit besseren mal weniger. Argumenten verändert werden könnten, sondern oft geht es schlicht um die Befriedigung von • Kommentar Publikum: Ich möchte an das psychischen Bedürfnissen. Konkret geht es in An- Thema Soziale Frage anknüpfen. Was für mich betracht der kapitalistischen Zwänge darum, noch nicht so richtig durchkam war die Rolle eine scheinbar wärmende und wohlige Gemein- von Ungleichheit. Nach Vorstellung der „Neuen schaft anzubieten, in der man sich sicher sein Rechten“ gibt es innerhalb von und zwischen kann, dass der Status und die eigene Position ab- den „Völkern“ eine naturgegebene Ungleichheit. gesichert sind. Rechtsextreme versprechen, Teil Die „Volksgemeinschaft“, die die „Neue Rechte“ einer Gemeinschaft zu sein, die es immer besser anstrebt, ist hierarchisch aufgebaut. Sie wollen haben sollte als andere, die nicht die gleichen einen autoritären Ständestaat, in dem die Men- Rechte haben sollen. Es ist ein wichtiger Punkt im schen ihre vermeintlich naturgegebene Rolle Kampf gegen Rechtsextremismus anzuerkennen, ausüben. Es geht ihnen nicht darum, bei der Be- dass es nicht immer um die besseren Argumente antwortung der sozialen Frage zum Beispiel geht. Man muss auch an diesen psychischen mehr Aufstiegsmöglichkeiten für Arbeiterkinder Bedürfnissen ansetzen und nicht nur an den Fake- zu schaffen oder dass Menschen mehr mitbe- News und Falschinformationen. stimmen können. Es geht ihnen eben darum, dass jede*r einen vorgegebenen Platz einnimmt.

• Goetz: Ich habe das kurz mit dem Anti- egalitarismus umschrieben und meine damit die Vorstellung der „Neuen Rechten“ von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen, die nicht nur „Völker“ oder „Kulturen“, sondern auch Geschlechter und den sozialen Status betrifft. Diese Vorstellung, dass es von Natur aus Unter- schiede zwischen den ethnisch, völkisch oder kulturell aufgeladenen Zwangskollektiven gäbe, sollte auf gar keinen Fall unter den Tisch fallen. Warum sind rechtspopulistische Gedanken ▶ Zurück zum heute anschlussfähig? Ich denke, dass ein Inhaltsverzeichnis wesentlicher Grund in der bürgerlich-kapitalist- ischen Gesellschaftsordnung liegt und dem ▶ Nächstes Kapitel damit verbundenen Zwang sich auf dem Arbeits- markt verwerten zu müssen. Dieses System ist Seite 4/4 ▶ auf Konkurrenz und Ausschluss angelegt. Das 5 PROTESTIEREN Workshop ODER IGNORIEREN?

• Moderation: Ist Protest gegen die „Neue • Seifert: 15 Jahre lang gab es in Schnellroda ● Wanja vom ▶ Kollektiv »IfS dicht- Rechte“ überhaupt noch ein geeignetes Mittel überhaupt keinen Protest. Der Protest wurde erst machen« Das „Kollektiv IfS dichtma- chen“ protestiert seit dem Jahr 2016 der Auseinandersetzung? durch unsere Gruppe in Schnellroda geboren. regelmäßig gegen die Akademien des Kubitschek und das IfS konnten dort völlig pro- Instituts für Staatspolitik (IfS) in • Glösel: Ich würde die Frage, ob Protest gegen blemlos Veranstaltungen abhalten. Wir haben Schnellroda. ● André von der ▶ Anwohner*Innen- die „Neue Rechte“ sinnvoll ist, auf jeden Fall mit dann angefangen zu versuchen, die Leute vor Ort Initiative AdamKuckhoff­ Straße.­ Die einem „Ja“ beantworten. Wenn ich mir anschaue, zu bewegen, was unterschiedlich gut funktioniert Anwohner*innen-Initiative Adam-Kuck- was die in den letzten drei Jahren an Straßen- hat. Die Ausgangsfrage würde ich auf jeden Fall hoff-Straße gründete sich im Oktober 2017 als Reaktion auf die Einrichtung mobilisierung versucht haben - ob das jetzt die beantworten mit: Ja, Proteste sind eine sinnvolle eines „Identitären Zentrums“ in Hal- Aufmärsche in Wien sind oder in Berlin - ist da Form. Aber es gibt auch immer ein paar andere le. In einem offenen Brief machten sie schon ein Moment der Schwäche zu sehen. So, Möglichkeiten, die wir nach und nach versuchen deutlich, dass sie mit den Identitä- wie sie sich im digitalen Bereich geben, könnte auszubauen. Es war uns als Gruppe wichtig, den ren keine Nachbarschaft wünschen und dies öffentlich mit Nachdruck der Eindruck entstehen, dass es sich um eine Protest ins Dorf und auch ins öffentliche Bewusst- vertreten werden. riesige Masse handelt. Wenn sie aber versuchen, sein zu tragen und auch medial Öffentlichkeit ● Kathrin Glösel (Politikwissen- Menschen auf die Straße zu bringen, wird es zu schaffen. Wir versuchen die Leute vor Ort mit- schaftlerin aus Wien). Kathrin Glösel ist Redakteurin bei ▶ Kontrast.at. hart. Die Proteste, die es dagegen gegeben hat, zunehmen. Das funktioniert tatsächlich immer Sie publiziert seit Jahren zur „Neuen haben sehr gut funktioniert. Die Identitären besser. Rechten“. Zuletzt erschien von ihr haben nie mehr als 300 bis 350 Leute auf die „Unbeugsam & unbequem: Debatten über Handlungsräume und Strategien gegen Straßen gebracht, sind nie mehr als 700 Meter • André: Die Anwohner*innen-Initiative die extreme Rechte“ in Zusammen- vom Fleck gekommen. Es ist also durchaus den Adam-Kuckhoff-Straße entstand, weil wir alarmiert arbeit mit Hanna Lichtenberger im Antifaschist*innen zu verdanken, dass sie an ihre waren, dass in unserer Nachbarschaft ein Nazi- UNRAST-Verlag. Grenzen gestoßen sind. Ich würde aber schon zentrum entstehen sollte. Und die Frage war ja, sagen, dass sich der Protest breiter formieren was bedeutet das überhaupt in den nächsten ▶ Zurück zum muss als reiner Straßenprotest. Ich finde, dass Monaten für uns? Das hat uns zusammengebracht, Inhaltsverzeichnis jede Recherche, jeder Artikel, sogar jeder Sticker weil wir etwas dagegen tun wollten, weil wir eine Form von Protest ist. Kunstaktionen und Verantwortung übernehmen wollten. Die Initial- ▶ Nächstes Kapitel jedes Bündnis, das sich neu zusammensetzt um zündung war ein offener Brief und dann haben gegen rechts zu sein, sind eine Form von Protest. wir uns als Gruppe immer mehr entwickelt. Dann Seite 1/5 ▶ ging es darum, uns Strukturen zu suchen, wie wir 6 uns organisieren wollen, wie wir Veranstaltungen • Moderation: Bei einem Stichwort habe ich durchführen wollen, weil das ja auch mit Angst an euch gedacht, Wanja, und zwar bei dem verbunden ist, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Anspruch, aus der Komfortzone heraus zu gehen. Ja, für uns ist es wichtig Protest zu üben. Für uns Ich glaube, das macht ihr in Schnellroda. Was ist es wichtig, anzuerkennen, dass es bei den habt ihr dort probiert und auf welche Probleme Anwohner*innen unterschiedliche Ängste gibt seid ihr gestoßen? und das führt auch dazu, dass wir unterschied- lich aktiv werden. Und für uns ist es auch wichtig • Seifert: Das Es ist also durchaus den Antifa- darüber nachzudenken, was es neben Straßen- Repertoire, dass wir schist*innen zu verdanken, dass sie protest sonst noch für Möglichkeiten gibt. Was versucht haben, ist an ihre Grenzen gestoßen sind. können wir machen, um Menschen aus unserem schon ziemlich groß. Umfeld anzusprechen, die vielleicht noch nicht Wir haben angefan- aktiv geworden sind? Wir glauben, dass es umso gen mit klassischem Straßen- mehr Schutz für den Einzelnen bedeutet, je mehr protest, mit Kundgebungen und so weiter. Bei der Menschen zusammenkommen. ersten Aktion waren 120 Leute. Also eine recht überschaubare Situation. Wir haben die Heraus- • Moderation: Kathrin, du hast für dein Buch forderung, dass es nach Schnellroda keine Zug- Menschen interviewt, die sich auf unterschiedliche oder Busverbindung gibt. Es ist also aufwendig, Art und Weise in antifaschistischen Protesten die Anreise zu gestalten. Später haben wir eine engagieren. Welche Erfahrungen haben diese aufwendige Mobi-Tour gemacht. Wir haben in Menschen gemacht und welche Formen haben Sachsen-Anhalt angefangen und sind dann nach sie gewählt? Sachsen und Thüringen, wo wir auf große Reso- nanz gestoßen sind. Aber bei den Demos sind wir • Glösel: Auch in Österreich konnte die „Neue eher weniger geworden. Eine weitere Schwie- Rechte“ jahrelang Veranstaltungen machen. rigkeit war, dass uns die Versammlungsbehörde Bei den antifaschistischen Aktivist*innen gab es Steine in den Weg gelegt hat. Ab April 2018 durchweg die Erfahrung, dass mit Straßen- haben wir versucht, aus diesem reinen Reagieren protesten und Blockaden die Problematik neu auszubrechen und eigene Formate zu wählen, thematisiert wurde. Es gibt aber auch die Beob- z.B. ein großes Konzert mit mehreren namhaften achtung, dass der Zenit der „Neuen Rechten“ Bands. Erst haben wir einen Rahmen geboten für ein bisschen überschritten ist. Häufig wird gefragt: Gespräche, dann eine Demonstration durch den Was wollt ihr denn eigentlich? Das ist gut, weil Ort gemacht und abends das Konzert durchge- das Raum gibt um Forderungen zu benennen. führt. Das hat ganz gut funktioniert, auch weil Aber es ist dennoch schwer Leute zu mobilisieren wir mal andere Presse bekommen haben als beim fernab von den Bündnispartner*innen, die man bloßen Straßenprotest. Beim letzten Mal im Sep- ▶ Zurück zum eh schon hat, also ein bisschen aus der „Kom- tember 2018 war es so, dass wir versucht haben Inhaltsverzeichnis fortzone“ rauszukommen. Es ist zudem schwer, die Anwohner*innen ein bisschen stärker ein- Solidarität zu bekommen, ob finanziell oder zubinden. Es gibt eine Liste mit den Namen von ▶ Nächstes Kapitel durch Positionierungen. über 3000 Geflüchteten, die im Mittelmeer er- trunken sind. Dazu haben wir eine Schweigemi- Seite 2/5 ▶ nute gemacht und siehe da, die Anwohner*-innen 6 waren sehr gut vertreten. Das war anschlussfähig. innen-Initiative vor demselben Problem: Ihr habt Wie kann man also mobilisieren? Man muss eine rechtsextreme Nachbarschaft. Mit einem erklären, wie Sezession, IfS und Ein-Prozent zu- Namen in die Öffentlichkeit zu treten und diesen sammengehören und was die machen. Und offenen Brief zu unterschreiben - hat da Angst wenn man es erklärt, kann man das auch nicht eine Rolle gespielt und wie habt ihr diese Angst in einem Halbsatz machen. Das macht es auch überwunden? schwer zu kommunizieren und zu vermitteln. Finanzen sind für uns auch immer wieder ein • André: Also Angst spielt auf jeden Fall eine Rolle, großes Thema. Wir sind ein kleines Bündnis. Angst spielt auf jeden ich bin zum Beispiel nicht namentlich Wir haben immer wieder die gleichen Spender*- Fall eine Rolle, ich in diesem Brief genannt. innen. Und man muss immer wieder schauen, bin zum Beispiel dass man sein Geld zusammen bekommt. nicht namentlich in diesem Brief genannt. Andere • Moderation: Du hast eine Sache nicht ge- sind da ganz anders. Die stört das gar nicht, sich nannt, die ich vor Ort immer wieder wahrnehme: in einem offenen Brief zu zeigen. Aber vor allem Die Angst der Anwohner*innen, sich zu engagieren. das Gesicht zeigen in der Öffentlichkeit ist für Sie begegnen Kubitschek und seinen Mitarbei- manche schwierig. Wenn zum Beispiel Protest tern jeden Tag. Und es ist leicht zu sagen: Was ist vor dem Haus stattfindet, sitzt im Haus jemand da los in diesem Ort, warum gehen die nicht mit der Kamera und einem Tele-Objektiv und auf die Straße? Aber, wenn man dort wohnt ist es hält auf jedes Gesicht drauf. Und das schüchtert nochmal was Anderes. Siehst du das auch so? schon ein. Dann sind vor dem Haus Kameras angebracht worden, bei denen wir nicht wissen, • Seifert: Ja, definitiv! Es gibt auch Gründe dafür. was und wie intensiv sie filmen und ob das aus Eine Strategie der „Neuen Rechten“ ist es, sich Datenschutzgründen überhaupt erlaubt ist. Das Einzelpersonen rauszupicken und diese dann trägt alles dazu bei, dass manche öffentlich zu diskreditieren, zu beleidigen, zu Anwohner*innen mehr verleumden. Das haben wir vor allem nach der Angst haben - ersten Demonstration bemerkt, als Anwohner*- als andere. Eine Strategie der „Neuen Rechten“ ist innen in Artikeln von Kubitschek vorgeführt wurden. es, sich Einzelpersonen rauszupicken Auf der anderen Seite gibt es auch die, die immer • Moderation: und diese dann öffentlich zu diskredi wieder kommen und sich davon nicht beein- Manchmal heißt es: tieren, zu beleidigen, zu verleumden. drucken lassen, wo wir uns auch als Orga über- Diese ganzen Proteste legen müssen, wie wir diese Menschen vor Ort beschneiden doch die unterstützen können. Da hat sich auch unsere Meinungsfreiheit und eigentlich brauchen wir Kommunikation verändert: Es geht nicht darum doch den Dialog auf Augenhöhe. Kathrin, was ▶ Zurück zum den Ort als problematisch einzustufen, sondern würdest du solchen Aussagen entgegnen? Inhaltsverzeichnis das IfS. Und es gibt in Schnellroda viele Leute, die nicht gut finden, was da passiert und das im • Glösel: Das Argument mit der Meinungsfrei- ▶ Nächstes Kapitel privaten Gespräch auch ganz klar sagen. heit ist ein sehr interessantes. Eigentlich ist es gelebte Meinungsfreiheit, Kritik zu äußern. Das Seite 3/5 ▶ • Moderation: André, ihr steht ja als Anwohner*- kann sich in einem Wort äußern, einem Aufsatz 6 oder im Protest auf der Straße. Das ist die Freiheit Bei den Aktionen, die wir machen, bringen wir und diese beschneiden zu wollen, ist Eingrenzung zum Ausdruck, dass wir nicht nur gegen etwas der Meinungsfreiheit. Wir haben in Österreich die sind, sondern dass wir auch für etwas sind. Das Situation mit der FPÖ, die Jahre lang nach Mei- haben wir zum Beispiel bei einer Schilderein- nungsfreiheit gerufen hat und die jetzt – wo sie an weihung in der Adam-Kuckhoff-Straße gezeigt: der Macht ist – die Meinungsfreiheit beschneidet. Kuckhoff war ein Antifaschist. So haben wir Dialog auf Augenhöhe: Ich würde nicht mit das nach außen getragen, und ich glaube so ist Kaderfiguren reden, das hätte auch keinen Sinn, es uns gelungen, klar zu machen, wofür wir sind. außer dass es ein bisschen Show wäre. Wenn jemand diffuse Ängste hat, dann würde ich auf je- • Moderation: Vielen Dank. Ich öffne das den Fall mit ihm reden und diskutieren. Aber eine Podium jetzt für Fragen aus dem Publikum. Diskussion ist immer ergebnisoffen. Das geht gegenüber Kadern der „Neuen Rechten“ nicht. • Frage aus dem Publikum: Ich danke euch sehr, dass ihr alle diese Dinge tut, zum Beispiel in • Moderation: Wanja, wie gehst du mit dem Schnellroda. Ich freue oft vorgebrachten Argument um, dass ihr ja immer mich, dass ihr da seid. nur dagegen seid, anstatt für etwas zu sein? Und ich weiß von Aber eine Diskussion ist immer ergeb Anwohner*innen aus nisoffen. Das geht gegenüber Kadern • Seifert: Wir sind tatsächlich ganz klar gegen Schnellroda, dass es der „Neuen Rechten“ nicht. - etwas. Wir präsentieren zwar auch einen Gegen- ihnen genauso geht. entwurf, aber primär geht es uns erstmal ganz Ihr seid der Stroh- klar gegen das IfS. Das soll zugemacht werden. halm, der ihnen zeigt, dass sie nicht alleine sind. Es ist gut, dass es antifaschis- • Moderation: André, an dich geht dieselbe tische Strukturen gibt, die klar Stellung beziehen. Frage: Habt ihr dieses Argument gehört als es um Aber das Problem ist, dass viele Leute in der die Vernetzung der Anwohner*innen ging? Ihr Regel ein Problem haben, mit der Antifa zusammen seid sehr breit, sehr divers aufgestellt. Was ist euer auf die Straße zu gehen. Aber wenn wir auf die kleinster gemeinsamer Nenner? Seid ihr nur Bürgerlichen warten, passiert ja nicht viel. Ganz gegen dieses Haus, oder gibt es etwas, worauf im Gegenteil, es wird dann Antiwerbung ge- ihr euch positiv bezieht? macht und dann geht keiner hin. Dann heißt es „Fragen Sie mich nicht, ich bin von der CDU. Wir • André: Gegründet haben wir uns, um uns gehen nicht demonstrieren.“ oder „Macht die gegen die IB und das Haus zu positionieren. Es Fensterläden zu!“ Aber genau bei diesen Leuten hat sich dann aber auch ziemlich schnell her- müssen wir ansetzen um eine breite Masse auskristallisiert, wofür wir sind. Das zeigt sich in mobilisiert zu bekommen. Das finde ich so gut bei ▶ Zurück zum unserem Selbstverständnis. Ich habe das per- der Anwohner*innen-Initiative, dass sie ein bür- Inhaltsverzeichnis sönlich nicht mitgekriegt, dass es heißt „ihr seid gerliches Bündnis ist, wo sich jeder irgendwie immer nur dagegen“. Wenn wir in Halle oder in wiederfinden kann und wo gute Aktionen gemacht ▶ Nächstes Kapitel unserem Viertel aktiv sein wollen, dann beteiligen werden. Wir müssen neues, bürgerschaftliches wir uns an Straßenfesten oder wir veranstalten Engagement bündeln, mit möglichst vielen Nor- Seite 4/5 ▶ Lesungen oder wir gehen Stolpersteine putzen. malos und möglichst vielen bürgerlichen Parteien. 6 • Seifert: Wir haben immer versucht, möglichst breit einzuladen. Wir sind zu dem Ortsbürger- meister gegangen und haben versucht mit ihm zu reden. Aber auch nach mehrfacher Einla- dung kamen viele Leute nicht. Wir haben zu Antifa-Demos den Kirchenkreis eingeladen. Und die haben einen Redebeitrag gehalten. Wir haben versucht ein breiteres Spektrum abzubil- den und ein gewisser Konsens war natürlich auch gegeben. Aber am Ende stehen meistens die sogenannten Antifas da.

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▶ Nächstes Kapitel Seite 5/5 ▶ 6 DAS »DIALOG- Workshop

PARADIGMA«– Grenzen & Möglichkeiten Öffentlicher Diskussionen

• Moderation: Als diese Tagung im Frühjahr Forderung, dass man mit allen reden müsse, ● David Begrich arbeitet bei ▶ Mit- 2018 inhaltlich Form annahm, tobte bereits die omnipräsent. einander e.V. in der Arbeitsstelle Rechtsextremismus (AREX). Der Schwer- Auseinandersetzung um rechte Verlage auf der Stellen Sie sich vor, die Landeszentrale für Poli- punkt der Arbeit der AREX liegt auf Leipziger Buchmesse, insbesondere natürlich um tische Bildung Sachsen-Anhalt organisiert eine der Analyse von Entwicklungen in der Antaios Verlag und Götz Kubitschek. Im Dresdner Podiumsdiskussion zum Thema Meinungsvielfalt rechtsextremen Szene in Sachsen-An- halt und deren Einordnung in überre- Kulturpalast fand eine Diskussion zwischen Uwe und Meinungsfreiheit und Sie werden neben gionale Kontexte. Tellkamp und Durs Grünbein statt und spaltete Hans-Thomas Tillschneider als Diskutant einge- ● Thomas Wagner ist Kultursoziologe die Feuilletons. Auf Initiative der Präsidentin des laden. Tillschneider ist Landtagsabgeordneter aus Berlin und unter anderem Autor Landtags von Sachsen-Anhalt, Gabriele Brakebusch, der AfD und Teil des rechtsextremen Flügels. Wie des Buches ▶ „Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten“ fanden in mehreren Orten im Bundesland Ge- sieht Ihre Ab- oder Zusage aus? sprächsforen mit Landtagsabgeordneten statt. Das war ein Format, bei dem es viele Fragezeichen • David Begrich: Es kommt auf vielfältige gab, ob es so sinnvoll ist. Faktoren an. Wer ist Veranstalter, wer ist die Ziel- Wie in diesen genannten Beispielen ringen gruppe, wer sind die Zuhörerinnen und Zuhörer, Organisationen, Politiker*innen und Journalist*- wer ist der Moderator oder die Moderatorin, was innen um die Frage: Was bringt ein öffentliches ist das Thema. Nach diesen Indikatoren würde Gespräch mit Vertreter*innen der AfD und der ich überlegen, ob ich zu- oder absage. Ich glaube „Neuen Rechten“? Eine verbreitete Forderung es ist wichtig, nochmal zu überlegen, warum lautet, dass man „mit Rechten reden“ müsse. gerade ich eingeladen werde und nicht der Spre- Tatsächlich gibt es diverse Situationen, wo es cher oder die Sprecherin einer regionalen sozio- sinnvoll ist und zu einer Demokratie gehört, mit- kulturellen Jugendinitiative oder jemand aus dem einander zu sprechen. Seit Pegida und dem Flüchtlingsrat. Geht es da nicht auch um Habitus- ▶ Zurück zum Wahlerfolg der AfD gibt es jedoch auch ein viel- inszenierung? Ein Intellektueller diskutiert mit Inhaltsverzeichnis stimmiges Chorgespräch mit Akteur*innen einem anderen Intellektuellen. der extremen Rechten. Dies trägt jedoch dazu ▶ Nächstes Kapitel bei, die Polarisierung der Gesellschaft entlang • Wagner: Ich glaube, dass sich die sehr der Debatten um Einwanderung und Islam zu wichtige Frage, ob es sinnvoll ist mit Rechten Seite 1/9 ▶ bearbeiten. Nach unserer Wahrnehmung ist die im öffentlichen Raum zu diskutieren, historisch 7 erledigt hat. Diesen Kampf kann man nicht mehr • Begrich: Ich teile die Einschätzung von gewinnen. Meiner Einschätzung nach war es Thomas Wagner, dass der Versuch einer diskur- jahrzehntelang ein strategisch erfolgreiches Mittel, siven Eingrenzung der extremen Rechten an bestimmte Positionen der „Neuen Rechten“ zu seine Grenzen gekommen ist und wir in einer öffentlichen Diskursen nicht zuzulassen. Das war völlig anderen Situation sind als vor fünf oder insofern erfolgreich, als es gelungen ist, in der zehn Jahren. Aber Bundesrepublik Deutschland das Erstarken von gerade deshalb Parteien rechts von der Union und der FDP ein- glaube ich, dass es Es ist nicht mehr möglich, rechte Partei- zudämmen. Dieser Punkt ist nun überschritten. Diskurs- und Sprech- en bzw. die AfD durch Diskussionsaus- Es ist nicht mehr möglich, rechte Parteien bzw. räume geben muss, schluss wieder zurückzudrängen. die AfD durch Diskussionsausschluss wieder zu- in denen rechts- rückzudrängen. Alleine aus strategischen Grün- extreme Akteure den halte ich es nicht für sinnvoll, diese Strategie nicht vorkommen. Wenn man weiter zu verfolgen. sich vergegenwärtigt, in welchem Maße in den letzten zwei Jahren Vertreter*innen der extre- • Moderation: Wichtig wäre vielleicht noch men Rechten auf fast allen Foren und Podien zu einmal zu betonen, dass wir uns in unterschied- finden waren, dann glaube ich, dass mehr ge- lichen Räumen bewegen. Hier im Saalekreis prüft werden sollte: Mit wem redet man worüber, gibt es einen lokalen Nahraum, viele Menschen vor welchem Publikum und mit welchem Ziel? sind ständig konfrontiert mit Protagonist*innen Ich glaube beispielsweise, dass die Auffassung der „Neuen Rechten“, sei es in Merseburg oder des evangelischen Kirchentages, bei Protesten in Schnellroda. Es ist wichtig zu die AfD auszuladen, berücksichtigen, ob man sich freiwillig dafür ent- falsch ist. Denn ein scheiden kann, ob man eine Konfrontation oder Kirchentag ist - anders Aber gerade deshalb glaube ich, dass ein Gespräch sucht oder nicht. als eine Talkshow, eine es Diskurs- und Sprechräume geben Vielleicht erinnern wir uns noch an den Novem- Tagung, ein muss, in denen rechtsextreme Akteure ber 2016, als Götz Kubitschek im Magdeburger oder ein Landtag – ein nicht vorkommen. Theater diskutieren sollte. David, du warst auch ganz besonderes Ge- als einer der möglichen Mitdiskutanten angefragt, sprächsforum mit einer und es gab einen großen Streit. Die Veranstal- besonderen Publikumssituation, die es durch- tung fand letztlich nicht statt und im Zuge dieser aus ermöglicht eine gesellschaftliche Debatte Auseinandersetzung sagte Innenminister Holger abzubilden. Meine zentrale These ist: Es kommt Stahlknecht in etwa, dass die Menschen 1989 darauf an, in welchen Sprechräumen welche auch auf die Straße gegangen seien, damit die Debatten funktionieren. Es ist ein Unterschied, Theater frei entscheiden könnten, was bei ihnen ob ich mich der Zielgruppe mit einem wissen- ▶ Zurück zum läuft und diskutiert wird. Die CDU stelle sich nach schaftlichen Interesse nähere oder aber ob ich Inhaltsverzeichnis wie vor allen Debatten, was zur Meinungsviel- eine öffentliche politische Auseinandersetzung falt gehöre. David, warum ist es in dem Fall nicht führen möchte. ▶ Nächstes Kapitel sinnvoll gewesen Stahlknecht und Kubitschek im Magdeburger Theater diskutieren zu lassen? • Moderation: Thomas, es gibt den Vorwurf, Seite 2/9 ▶ dass die Einladung zum Gespräch den Raum 7 dafür öffnet, dass die weltanschaulichen Ideen politik des Landes. Es wurde eine Kontroverse der Rechten tatsächlich verhandelbar werden. ausgetragen zwischen dem Staatsminister für Müssen wir denn alles, was Protagonisten der Kultur und den anderen Parteien. Dann kommt „Neuen Rechten“ und der AfD als verhandelbar Dr. Hans-Thomas Tillschneider und hält eine Rede, darstellen, auch mit ihnen diskutieren? Oder die eine Grundsatzrede zur Kulturpolitik ist und brauchen wir nicht auch Räume, in denen über den Theatern vorwirft, alles Mögliche zu machen, wichtigere Dinge diskutiert wird? Müssen wir aber keine deutsche Kultur. Die Schwierigkeit für mit Höcke über die soziale Frage sprechen? die anderen Landtagsabgeordneten besteht jetzt darin zu überlegen, was jetzt eigentlich die • Wagner: Erstmal müssen wir überhaupt gar Debatte ist. Ist die nichts. Die Vorstellung, dass man mit jedem über Debatte die Frage alles diskutieren müsse, halte ich für vollkommen nach der Reichwei- Diese Entwicklungen und Tendenzen absurd und ich kenne auch niemanden, der das te des Kunst- und stellen nicht zuletzt eine Bedrohung für vorhat. Auch die Autoren des Buchs „Mit Rech- Kulturangebotes in die demokratische Verfasstheit dieser ten reden“ fordern nicht, dass man mit Rechten Sachsen-Anhalt im Gesellschaft dar. über alles reden müsse. Deren Argumentation kleinstädtischen und ist eher, man solle es nicht von vorneherein aus- ländlichen Raum? schließen. Bei Theatern, die einen fortschrittlich Oder geht es um die von kritischen Anspruch haben und die einen kriti- Tillschneider errechneten ca. 8,6 Prozent kano- schen Bildungsauftrag der Kunst verinnerlicht nischen, deutschen Theaterstücke, die aufge- haben, sollte es möglich sein, gesellschaftliche führt werden sollen? Dann sagt er, er würde gerne Widersprüche auf der Bühne zu verhandeln. Es mal Heinrich von Kleists Hermannsschlacht se- wäre ein Rückschritt, wenn man die Frage, was hen. Ich habe nichts gegen Kleist, aber die Frage auf öffentlichen Bühnen und in öffentlichen ist: Was passiert da? Was da passiert, ist ein Kultureinrichtungen passieren soll, außerhalb von Klassiker. Die AfD hat eine sehr begrenzte Agen- Debatten stellt. Ich glaube sogar, dass es im da, die bei allen Themen, egal ob es um das Grunde genommen ein Vorteil ist, wenn Theater Theater in Eisleben oder um die Abwasserver- rhetorisch und argumentativ angegriffen werden, ordnung im Jerichower Land geht, hochgebracht damit diese wichtigen Institutionen ihre Bedeu- werden soll. Die Schwierigkeit liegt darin zu tung behaupten können und vielleicht mehr von entscheiden, ob es sich bei diesem Agendaset- ihrer Bedeutung zurückerobern können, die sie ting um eine Provokation, einen Tabubruch oder in den letzten zwei Jahrzehnten verloren haben. um einen ganz normalen Beitrag zum politischen Dass es eine kontroverse Auseinandersetzung Diskurs handelt? Das in der gegenwärtigen darüber gibt, was in Theatern passieren soll, hal- gesellschaftlichen Gemengelage auseinander te ich eher für demokratieförderlich. zu halten, halte ich für sehr schwierig. ▶ Zurück zum Inhaltsverzeichnis • Begrich: Es ist auch hier eine Settingfrage. • Moderatorin: Ich würde gerne die Erfahrungen Ich sage es an einem Beispiel: Es gab gestern im Raum sichtbar machen. Ich würde Sie einla- ▶ Nächstes Kapitel eine Landtagsdebatte im Magdeburger Landtag. den, Ihre Erfahrungen mit uns zu teilen, was Ver- Thema war eine große Anfrage der Landtags- anstaltungen betrifft, bei denen Protagonisten Seite 3/9 ▶ fraktion der Linken zur Theater- und Orchester- der „Neuen Rechten” die Stimme ergreifen durften, konnten oder wollten. 7 • Person aus dem Publikum: Was mir bei einer eine klassische Normalisierungsstrategie zu Diskussionsveranstaltung zwischen Sebastian fahren und sich als „ganz normale Bürger“ dar- Striegel und Hans-Thomas Tillschneider auffliel zustellen und nicht als Vertreter der AfD. Wir war, dass Tillschneider eigentlich nichts gesagt müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie da sind. hat. Er hat die ganze Zeit geredet und hat dafür Und wir müssen zeigen und vormachen, dass unwahrscheinlich viel Applaus bekommen. Aber man dagegenhalten kann und muss. Eigentlich er hatte keine Antworten und keine Lösungsan- in jeder Situation. Am besten sollte man jede sätze. Er hat nur stereortype Antworten gegeben, Situation nutzen, um zu zeigen, was an deren die ich immer wieder in solchen Foren höre. Positionen falsch ist. Zum Beispiel: „Für Migranten wäre es besser, in gesonderten Klassen unterrichtet zu werden.“ • Moderation: Das ist noch einmal eine andere Ebene. In kleineren regionalen Zusammenhän- • Person aus dem Publikum: 2014 haben wir gen geht es um eine Hegemonie. Das Gesprächs- mit der Bundeszentrale für politische Bildung forum „Landtag im Dialog“ mit Striegel und im Vorfeld zur Europawahl eine Diskussion über Tillschneider war nicht komplett von AfD-Anhän- die Europawahl veranstaltet. Eingeladen war u.a. ger*innen bestimmt. Das zeigt, dass es auch um auch der damalige Vorsitzende der AfD Bernd Kämpfe geht und um Fragen, wie man etwas Lucke. Wir haben uns damals sehr lange darüber gut vorbereitet. Aber in kleineren regionalen unterhalten und darüber gestritten, ob wir es Zusammensetzungen geht es natürlich auch um tun sollen oder nicht. Diverse Gründe haben dann Angsträume. Wenn bestimmte Leute auf Podien letztlich dazu geführt, dass wir es gemacht ha- sitzen, kommen andere Leute natürlich nicht. ben. Wichtig fand ich, dass alle auf dem Podium wussten, dass Bernd Lucke kommt. Es gab ein • Wagner: Ich möchte widersprechen. Wenn Vorgespräch mit der Moderatorin und Bernd eine öffentliche Veranstaltung irgendwo statt- Lucke und allen anderen Abgeordneten und Ver- findet, dann muss schon jeder für sich selbst ent- tretern des Podiums. Bernd Lucke fragte in die scheiden, ob er dahin geht und ob er oder sie das Runde: „Ist es in Ordnung, wenn wir uns gegen- für wichtig hält, an einer öffentlichen Diskussion seitig ins Wort fallen?“ Alle nickten. Dann begann teilzunehmen. Wenn jemand als Zuhörer*in oder das Podium und Bernd Lucke war der einzige, Teilnehmer*in zu einer öffentlichen Debatte nicht der ins Wort fiel und alles gemacht hat, was vor- geht, weil da irgendjemand auf dem Podium her abgesprochen war. Wir erlebten, dass alle sitzt, dann halte ich das für eine problematische Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien Einstellung. Außerdem möchte ich sagen, dass gnadenlos versagt haben. Das habe ich oft er- politische Auseinandersetzungen keine Schmuse- lebt. Ich merke, dass viele Leute an dem Punkt gruppen sind, wie wir das hier gerade veranstalten, wirklich verzweifeln und sagen: „Warum sind sondern es geht um Interessenskonflikte. Es geht ▶ Zurück zum eigentlich andere, die es besser können sollten, um harte materielle Entscheidungen, bei denen Inhaltsverzeichnis so schlapp auf der Brust?“ es immer Gewinner*innen und Verlierer*innen gibt. Das ist bei jeder politischen Auseinandersetzung ▶ Nächstes Kapitel • Person Publikum: Wir waren in Merseburg so. Das ist nicht spezifisch für eine Auseinander- mit der Situation konfrontiert, wo AfD-Politiker setzung mit der Rechten, sondern gilt für jede Seite 4/9 ▶ bei Veranstaltungen waren und versucht haben, politische Auseinandersetzung. Man kann nicht 7 sagen „nur weil die AfD dabei ist, ist es ein harter Auseinandersetzung per se nicht dazugehören, Kampf“, sondern es ist immer ein harter Kampf. würde ich erst einmal bestreiten. Ich finde es Man muss mal die Scheuklappen von den Augen zu defensiv formuliert, dass auf der Bühne bloß nehmen. Rassismen wiederholt werden. Ich glaube der Ansatz müsste sein zu schauen, ob es Möglich- • Person Publikum: Es geht doch ganz oft auch keiten gibt, vor Publikum zu punkten. Dafür muss um Repräsentanz und um Sichtbarkeit. Welche ich vorbereitet und gut sein. Positionen werden sichtbar und welche sieht man Ich glaube nicht, dass das immer funktioniert nicht? Es gibt ja nicht nur bei Talkshows Zu- und dass derzeit auch ein besonders ungünstiger gangsvoraussetzungen. Es gibt unterschiedliche Zeitraum ist. Ich vermute, es wird gerade eine Diskursräume, die nicht auf Augenhöhe zuei- Repräsentationslücke gefüllt, die dazu führt, dass nander in Beziehung stehen. Wenn ich mich in ein Tillschneider nur dasitzen muss, damit die einer Kleinstadt bewege, in der ich vielen Leuten Leute ihm applaudieren. Und solange das so ist, wiederbegegne und mit ihnen in Interaktion hat man schlechte Karten. Ich halte es für einen stehe, auch wenn ich das nicht will, dann werde wichtigen Hinweis, dass es natürlich einen Unter- ich mich anders dazu verhalten als in einer schied macht, ob ich in einer großen Großstadt Großstadt, wo ich die Personen nicht wiedersehe, agiere und Ausweichmöglichkeiten habe oder ob wenn ich das nicht möchte. Insofern wäre ich ich den Kontrahenten täglich auf der Straße vorsichtig mit einer Generalisierung, was man von begegne. Das ist eine gute Beobachtung, die ich Leuten erwarten kann oder sollte, die sich einer aus meiner Berliner Perspektive nicht so habe. Diskussion stellen. Ich habe aber noch einen anderen Punkt in die- sem Zusammenhang. Es gibt den Mikrobereich • Moderation: Es gibt ja auch Kritik an diesem der persönlichen Bekannten, der Verwandtschaft permanenten Dialog, nämlich dass die Rassismen, und des Freundeskreises. Ich erlebe im eigenen und die verkürzten Erklärungen noch hörbarer Freundeskreis, dass Leute anfangen darüber zu werden. Das Ressentiment ist bereits schon om- reden - und das sind eher linke Freundeskreise nipräsent, so dass man die Frage stellen muss, - dass sie vielleicht bei der Europawahl der AfD ob es notwendig ist, auf Podiumsdiskussionen ihre Stimme geben. Die typische linke Reaktion einen Vorführeffekt herzustellen und noch mal darauf ist, den Freunden bei Facebook Ultimaten den Rassismus und das Ressentiment zurück- zu stellen: Wenn du dich nicht wieder vom zuweisen. Werden da nicht die zentralen, wichti- Menschenfeind zu einem Menschenfreund ver- geren Fragen verdrängt? wandelst, werden wir nicht mehr mit dir spre- chen. Und auf dieser Mikroebene halte ich diesen • Wagner: Ich wollte nochmal was zu den Umgang für absolut fatal. Weil ich glaube, dass parlamentarischen Auseinandersetzungsformen man auf dieser Ebene miteinander im Gespräch ▶ Zurück zum sagen. Ich glaube, dass die Parlamentarier unter bleiben muss, wenn man es kann. Und dazu ge- Inhaltsverzeichnis sich das schon irgendwie hinbekommen. Es gibt hört eine Selbstertüchtigung, so dass man sagen Ordnungsregularien. Ich weiß nicht, wie es in kann: Wir bleiben mit der Person im Gespräch, ▶ Nächstes Kapitel Sachsen-Anhalt konkret abläuft. Es kann sein, obwohl wir in bestimmten Punkten radikal aus- dass es ein Tollhaus ist. Aber dass Beleidigungen einanderliegende Auffassungen haben und ich Seite 5/9 ▶ und starke Worte in einer parlamentarischen vermeide, ihn deswegen per se als Menschen- 7 feind zu titulieren, weil eine Freund-Feind Situa- en eingeladen wurden. Es wurde vorher festge- tion im politischen Nahbereich fatal ist. legt, dass es um Bezirks- und Kommunalthemen gehen soll. Dem AfD-Vertreter sollte nicht die • Person aus dem Publikum: Ich möchte noch- Möglichkeit gegeben werden, mit sachfernen und mal auf diese Ausgangsfrage zurückkommen: verkürzten Argumentationen zu punkten. Das Gespräche mit Ideologieproduzent*innen und hat vergleichsweise gut funktioniert, weil er zu Spitzenvertreter*innen der „Neuen Rechten“. ganz vielen Dingen, die für den Stadtbezirk wichtig Nach allem, was wir am Vormittag gehört haben, waren, gar nichts beitragen konnte. Das letzte handelt es sich dabei um Personen, die einen Beispiel ist eine Situation, die gerade im Vorfeld fundamentalen Angriff auf die Demokratie vorha- von Wahlkämpfen häufig auftritt. Eine Schule ben und die einen Großteil der hier Anwesenden lädt Parteienvertreter*innen ein, in diesem Fall am liebsten politisch mundtot machen würde. Vertreter*innen der Jugendverbände. Die Ich finde es richtig, dass es Räume gibt, in denen Schülerinnen und Schüler wollten tatsächlich auch ohne Rechtsextremist*innen über eigene Inhalte den Vertreter der Jungen Alternative da haben. und Strategien gesprochen werden kann. Wir Die Vertreter*innen der Grünen Jugend, der sollten das Gespräch mit der „Neuen Rechten“ Linksjugend und der Jusos haben gesagt, dass verweigern, wenn sie es sucht, aber sie kon- sie sich mit der Jungen Alternative, in der es frontieren und Auseinandersetzungen mit ihnen starke Überschneidungen in den Bereich des führen, wenn sie es nicht wollen. Ein solches Rechtsextremismus und des Neofaschismus gibt, Vorgehen würde ihre Absichten durchkreuzen. nicht an einen Tisch setzten. Sie haben es nicht Es kann aber auch eine strategische Entschei- bei der Absage der Veranstaltung belassen, dung sein, Bühnen im Sinne eines Streitgespräches sondern waren vor Ort und haben eine Erklärung zu nutzen und Situationen zu schaffen, in denen verlesen und ein Flugblatt verteilt. Zudem haben man punkten kann. Aber ebenso kann ein sie kurze Zeit später an dieser Schule eine eigene Gesprächsabbruch eine durchaus wirkungsvolle Veranstaltung gemacht. Das sind Beispiele, die Aktion sein. Man will ja auch mal im eigenen über dieses „Reden wir mit denen oder nicht?“ Milieu diskutieren und nicht immer nur den Blick hinausgehen. Es gibt also auch noch mehr Mög- auf die potentiellen AfD-Wähler*innen richten. lichkeiten. Solche strategische Überlegungen Ich würde gerne ein Beispiel aus der Arbeit sollten wir verstärken. Mobiler Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin anbringen: Jugendliche in Berlin haben ein • Person aus dem Publikum: Diskurs ist ja keine Gesprächsforum mit Politiker*innen veranstaltet Quarantänestation, sondern ein offenes Feld und lange überlegt, ob sie auch einen AfD-Ver- der Auseinandersetzung. Man kann gewinnen und treter einladen. Sie sagten dann: Wir schauen uns man kann verlieren. Und genauso kann man mal das Programm der AfD an und was die Partei gewinnen oder verlieren, wenn man Diskurse ▶ Zurück zum eigentlich über Jugendpolitik und Jugendkultur nicht zulässt. Ich kenne auch sehr viele Beispiele, Inhaltsverzeichnis äußert. Sie haben dort nichts für ihre Belange bei denen im privaten Bereich Kontakte abgebro- gefunden und anschließend bekundet, dass sie chen wurden. Als würde das irgendetwas be- ▶ Nächstes Kapitel keine AfD-Vertreter*innen einladen wollen. Ein wirken. Bei der Diskussion mit Stahlknecht und anderes Beispiel war ein Stadtteilfest, zu dem die Kubitschek im Theater hätte ich ganz klar gesagt, Seite 6/9 ▶ Direktkandidat*innen der verschiedenen Partei- dass man das natürlich nicht macht. Nicht, weil 7 man generell nicht mit Rechten redet, sondern mitspielen, denn die Definition über den Feind weil es eine Adelung und Aufwertung Kubitscheks ist etwas, das schon Carl Schmitt in den rechten gewesen wäre und man ihm damit eine Position Diskurs programmatisch eingeführt hat. Ich halte zuwiese, bei der er der wichtigste Gegenspieler die Unterscheidung zwischen dem Menschen als des hiesigen Innenministers wäre. Diese politische Diskussionsgegner oder -partner und den poli- Aufwertung und Adelung wäre eine politische tischen Positionen, die diese Person vertritt, für Dummheit. Das heißt aber im Umkehrschluss für ungemein wichtig. Mir wird schon unbehaglich mich nicht, dass es nicht Formate geben kann, von „Rassisten“ zu sprechen. Ich spreche lieber von wo direkte Konfrontation mit Vertreter*innen der Menschen, die rassistische Argumente vorbrin- „Neuen Rechten“ sinnvoll ist, um an entfernte gen und versuche die rassistischen Argumente zu politische Milieus heranzukommen. hinterfragen, aber nicht den Menschen an sich. Aber zu glauben man könne sich aus dem Diskurs Alle Milieus sind gewissermaßen durchmischt. herausnehmen, halte ich für ziemlich unreal- Aber da ich Linker bin, finde ich solche problema- istisch. Ich habe in meinem ganzen politischen tischen Positionen in meinen Milieus weniger als Leben ständig mit Rechten diskutieren müssen, in anderen und ich hoffe, dass das so bleibt. weil ich in der Minderheit war und nicht die anderen. Und überall, wo ich gelebt habe, gab es • Begrich: Ich sehe das nochmal aus einer außerhalb meiner politischen Aktivität Rechte. anderen Perspektive. Mir fällt dazu das Wort Es ein generationelles Problem innerhalb der Gelassenheit ein. Ich erlebe immer wieder, dass Linken, dass es ein sehr großes Bedürfnis nach Leute im Kontext von öffentlichen oder nicht- geschlossenen Kommunikationsgemeinschaften öffentlichen Veranstaltungen sehr emotional gibt und ein Kontakt zu Rechten sofort mit Be- reagieren. Auch ich würde Feinderklärungen, fürchtungen aufgeladen ist. die sich auf Personen beziehen, zurückweisen. Dennoch muss man einen Umgang mit dem • Moderation: Ich würde gerne das Thema Umstand finden, dass es unter umgekehrten „gelingende Kommunikation in unterschiedlichen Vorzeichen durchaus differenzierte Feindzu- Milieus“ aufgreifen und Thomas Wagner die Frage schreibungen gibt, die nicht nur rhetorische sind, stellen: Kannst du dir vorstellen wie Kommuni- sondern ganz konkrete Folgen haben und mit kation in Milieus, in denen rechte Vorstellungen denen Menschen auf eine ganz konkrete Art und und Ressentiments salonfähig sind, besser Weise konfrontiert sind. Es braucht Differenzie- gelingen kann? rungsbereitschaft und die Fähigkeit auseinander zu halten, wer mir eine böse Email schreibt oder • Wagner: Ich halte es für eine Frage der wer mich als Feind erklärt. Aber es braucht auch politischen Ethik, wie man sich mit politischen die Fähigkeit, Solidarität mit Menschen einzu- Gegnern auseinandersetzt. Ich würde den poli- üben, die von Bedrohungen betroffen sind. Ich ▶ Zurück zum tischen Gegner nicht als Feind betrachten, auch erlebe oft, dass diese Solidarität auf einer rheto- Inhaltsverzeichnis wenn er noch so schlimme Positionen vertritt. rischen Ebene ganz schnell erklärt wird. Wenn Wenn ich politische Gegner als Feinde betrachte, es aber darum geht sie praktisch auszuüben, ▶ Nächstes Kapitel ist das die Vorbereitung eines Bürgerkrieges, treffe ich oft auf eine gewisse Zurückhaltung. Es davor würde ich warnen. Außerdem würde man ist notwendig, dass - wer auch immer angegrif- Seite 7/9 ▶ damit das Spiel der Rechten gewissermaßen fen wird - eine Möglichkeit geschaffen wird, sich 7 über durchaus bestehende Unterschiede hinweg lich hat es Götz Kubitschek aufgegriffen. Es ist solidarisch zueinander zu verhalten. Wenn das mehr Ästhetik als ein Beitrag zur Debatte, wie po- nicht mehr gelingt, werden missliebige Personen litische Auseinandersetzungen geführt werden herausgegriffen, zu Feinden erklärt und exem- sollen. Es ist nicht das, was er antworten würde, plarisch vorgeführt und delegitimiert. Das heißt wenn man ihn nach der Idealform der politischen für mich nicht, dass ich die Positionen der Person Auseinandersetzung fragen würde. Nicht deswe- teile, die angegriffen wird. Es muss aber nicht nur gen, weil er täuschen wollen würde, sondern weil auf einer rhetorischen Ebene, sondern auch auf dieses Provokationsbuch ein anderes Diskurs- einer praktischen Ebene Solidarität zu Menschen format ist. Ich sage das nur, weil dieses Zitat oft geben, die eingeschüchtert, verfolgt oder unter benutzt wird ohne die wichtige Schrift „Provoka- Legitimationsdruck gesetzt werden. Das halte ich tion“ zu kennen. Die Provokationsmethodik war für in der gegenwärtigen Situation für eine Lernauf- die „Neue Rechte“ sehr wichtig, vor allem für die gabe, die vielleicht so wichtig ist wie sonst nichts Identitären. anderes. Man sollte auch den Kontext kennen. Kubitscheks Rolle ist die des Vernetzers, der • Moderation: Kubitschek sagt in einer seiner versucht, in die AfD hinein zu wirken. Er versucht Publiktationen folgendes: „Wozu sich erklären, eigene strategische Überle- - wozu sich auf ein Gespräch einlassen, auf eine gungen, die aus einer - Beteiligung an einer Debatte? Weil ihr Angst neurechten Position vor der Abrechnung habt, bittet ihr uns nun an entstanden sind und Es muss aber nicht nur auf einer rhetorischen Ebene, eure runden Tische. Nein, diese Mittel sind aufge- im ganz kleinen Kreis in sondern auch auf einer praktischen Ebene Solidari braucht und von der Ernsthaftigkeit unseres Schnellroda diskutiert tät zu Menschen geben, die eingeschüchtert, ver Tuns wird euch kein Wort überzeugen, sondern wurden, in bestimmte folgt oder unter Legitimationsdruck gesetzt werden. bloß ein Schlag ins Gesicht.“ Das ist Götz Teile der AfD hineinzu- Kubitschek, wie er Gesprächsangebote im demo- schleusen. Das ist seine kratischen Meinungsstreit sieht. Thomas Wagner, Funktion oder die selbsterwählte du hast ja mit vielen der Protagonisten gespro- Aufgabe, der er mit großer Leidenschaft nach- chen. Was ist dein Eindruck: Wie ist der strategi- geht. Er hat natürlich in erster Linie vor Augen, wie sche Blick der „Neuen Rechten“ auf den öffentli- er seinen Teil dazu beitragen kann, die Kräfte- chen Raum und auf Gesprächsangebote? verhältnisse in Richtung seiner Positionen zu ver- ändert. Das sind im wesentlichen Teil rechts- • Wagner: Das Zitat stammt aus dem Buch autoritäre Positionen. Insofern hat er ein strategi- „Provokation“, das in einer Tradition künstlerischer sches Verhältnis zum öffentlichen Raum, was ich Manifeste steht. Man kann das Zitat auf die Futu- ihm nicht vorwerfen kann, weil ich das als Linker risten zurückführen, die vor dem Ersten Weltkrieg auch habe. Er würde jede Gesprächssituation ▶ Zurück zum öffentliche Auftritte so provokativ gestalteten, daraufhin abklopfen, ob es für ihn Sinn macht Inhaltsverzeichnis dass es am Ende immer zu Saalschlachten kam. und ob er punkten kann. Dass für ihn auf einmal Von den Futuristen ist es zu den Dadaisten über- eine liberale Offerte für einen öffentlichen Dis- ▶ Nächstes Kapitel gegangen und hat in den 60er Jahren in der kurs da war, hat er als Chance gesehen, endlich Situationistischen Internationalen und in der mal als diskursiver Partner anerkannt zu werden. Seite 8/9 ▶ Studentenrevolte Karriere gemacht und schließ- 7 • Begrich: Ich sehe es etwas anders. Es gibt ein Momentum in der Argumentation der „Neuen Rechten“, das ich mit Unbedingtheit beschreiben würde und das so etwas wie eine Diskussionsgrenze mit sich bringt. Der Charakter dieser Unbedingtheit, diese Unhintergehbarkeit, ist begrifflich nicht zu fassen, weil sie einen me- taphysischen Bereich anspricht. Da gibt es einen Raum des Heiligen und dieser Raum steht nicht zur Debatte, das ist die absolute Grenze. Das ist ein wesentlicher Punkt, warum die Auseinander- setzung so schwierig ist. Weil der Bereich des Metaphysischen durchdringt gesamte Argumen- tationsketten dieser politischen Strömung. Diese Metaphysik ist als Berufungsfolie beständig abrufbar.

• Wagner: Ich beobachte auch, dass eine metaphysische Aufladung bestimmter Begriffe da ist, die auch nicht nur als Tabu gesetzt wird, sondern die innerlich gefühlt ist. Quasi eine religiöse Aufladung. Ich glaube, dass es einen Teil der Ideologieproduzenten betrifft, aber nicht alle. Wenn man mit jemanden wie Benedikt Kaiser diskutiert, dann kommt das nicht vor.

• Moderation: Vielen Dank für die Diskussions- beiträge. Wir haben das Spektrum der Diskussion gut gespiegelt bekommen. Wichtig ist auch zu sagen: Es gibt eine Normalisierung, der können wir uns nicht entziehen. Bestimmte Institutionen und Organisationen müssen aufgrund des Neut- ralitätsgebotes AfD-Vertreter*innen einladen. Es gibt auf der anderen Seite aber auch Räume, die geschützt bleiben müssen, so wie diese ▶ Zurück zum Tagung, die sich dafür entschieden hat einen ge- Inhaltsverzeichnis schützten Raum zu schaffen, um bestimmte Diskussionen führen zu können. Zum anderen ist ▶ Nächstes Kapitel es wichtig, dass wir im sozialen Raum tagtäglich mit dieser Frage von politischer Auseinanderset- Seite 9/9 ▶ zung und Polarisierung konfrontiert sind. 7 DER MYTHOS Workshop

SCHNELLRODA– Journalismus und die »Neue Rechte«

• Moderation: Der Aufstieg der „Neuen Rechten" Ikonen zu schaffen. Zum einen spielt bildhafte ● Alexander Schierholz ▶(Redakteur in Deutschland ist nicht nur ein Weg in politische Sprache eine große Rolle, zum anderen versuchen der Mitteldeutschen Zeitung) ● Michael Kraske ▶ (Buchautor und Machtstrukturen, sondern auch in die Berichter- die Identitären auch ein politisches Programm Medienjournalist für das Magazin stattung und Feuilletons deutscher und interna- in die Sprache der Bilder zu verpacken. Hierzu „Journalist“) tionaler Leitmedien. Im Unterschied zur alten gehört auch die Inszenierung von Provokationen. ● Tanja Ries (Radio- und Fernseh- journalistin beim ▶ Mitteldeutschen Rechten hat es die „Neue Rechte“ gut verstanden, Nicht das politische Programm, sondern die Rundfunk) auf ihre Außenwirkung zu achten. Sie ist sich Fähigkeit zur Selbstinszenierung hat der „Neuen über die Feinheiten der strategischen Kommu- Rechten“ dazu verholfen, einen Weg in die nikation politischer Deutungsangebote bewusst. Feuilletons der Leitmedien zu finden. Die Akteure der „Neuen Rechten“ verfolgen die Es sind sehr gute, kritische und gut recherchierte Strategie, unterschiedliche Botschaften für unter- Beiträge erschienen, die diese Selbstinszenie- schiedliche Medien mit unterschiedlichen Leser*- rung in Frage stellen. Auf der anderen Seite gab innen-Milieus zu platzieren. Dazu gehören mit- und gibt es aber auch Artikel, die vor allem diese unter auch sich widersprechende Botschaften. Selbstinszenierung reproduzieren und letztlich Auf der einen Seite wird beteuert, dass die einen verstärkenden Effekt haben. Es ist zuweilen Aktionen der Identitären Bewegung (IB) aus dem der Eindruck entstanden, dass die „Neue Rechte“ Repertoire des gewaltfreien und zivilen Unge- mit den Medien spielen könne. Letztlich ist sie horsams kommen, während die Gruppierung an selbst zum Medienereignis geworden. anderer Stelle die eigene „Kampfbereitschaft“ Alexander, inwiefern hat sich deine Arbeit in und „Wehrhaftigkeit“ stilisiert. Diese Selbstinsze- den letzten Jahren im Hinblick auf den Aufstieg nierung ist stark verbunden mit einem Kult um der „Neuen Rechten“ verändert? Welche bestimmte Personen, um Jugendlichkeit, um Vi- Herausforderungen waren damit verbunden? ▶ Zurück zum talität und Heldenhaftigkeit. Es handelt sich Inhaltsverzeichnis um Formsprachen, die den Mythos „Neue Rechte“ • Alexander Schierholz: Es ist schon schwieriger mit schaffen sollen. geworden. Vor einigen Jahren sind neue ▶ Nächstes Kapitel In den letzten Jahren wurde das, was die „Neue Akteure auf dem Spielfeld aufgetaucht wie Götz Rechte“ als Metapolitik bezeichnet, durch eine Kubitschek, das Institut für Staatspolitik (IfS), Seite 1/5 ▶ Straßenpolitik ergänzt. Es wird versucht, politische die Identitäre Bewegung (IB), EinProzent und 8 weitere. Ich musste erstmal lernen, wer die ei- sogenannte „Nachricht im Film“, also Ausschnitte 1 Khamis, Sami: HERD. HEIMAT. HASS. gentlich sind, wo die herkommen, was die wollen, von zwanzig bis dreißig Sekunden Länge, zu Über die Verlockungen rechten Den- kens (3/4). In Rechter Gesellschaft. wie die ticken und wie sie eigentlich miteinander denen ein nachrichtlicher Text geschrieben wird. Versuch einer Kommunikation mit der vernetzt sind. Und dann musste ich das meinen Aber für einen hintergründigen Beitrag, der eben Neuen Rechten, in: www.deutsch- Leser*innen erklären. Das war schwierig, weil auch eine Einordnung gibt, da komme ich fast nicht landfunkkultur.de vom 20.04.2018, einsehbar unter: ▶ https://www. vieles erstmal noch unklar war. Und Selbstinsze- an solchen Bildern vorbei. Diese müssen aber deutschlandfunkkultur.de/herd-hei- nierung ist ja immer dabei. eben erklärt und eingeordnet werden. Das gleiche mat-hass-ueber-die-verlockungen-rech- Bei der ersten oder zweiten größeren Geschich- gilt im Übrigen für Herrn Kubitschek. Man kann ten-denkens-3-4.3720.de.html?dram:ar- te, die ich über die Identitäre Bewegung in Halle schon auf das Rittergut fahren und ihn dort mit ticle_id=412437, zuletzt eingesehen am 10.09.2019. gemacht habe, reagierten sie auf ihrer Facebook- seiner Frau erleben, aber man muss dann auch seite und versuchten, den Beitrag als unseriös dazu erklären, dass es Teil einer Inszenierung ist. darzustellen. Das fand ich interessant. Am An- fang hat es mich geärgert, aber dann dachte ich • Moderation: Michael, Du hast in einem mir: „Okay, du hast etwas geschrieben und sie Radiofeature1 im Deutschlandfunk mitgewirkt. haben darauf reagiert.“ Sie waren also nicht von Darin begleitet Samy Khamis, der Autor des sich aus aktiv, sondern sie mussten reagieren, Beitrags, Philipp Stein, den Leiter von EinProzent und das ist vielleicht gar nicht so schlecht. und du bist die Stimme aus dem Off, die einzu- ordnen versucht, wie die Produktion der Selbst- • Moderation: Tanja, reden wir über die Insze- inszenierung funktioniert. Ich fand das sehr nierung von Bildern. Da du viel für das Fernsehen ansprechend und möchte an dich die Frage rich- tätig bist, könnte ich mir vorstellen, dass dort ten: Wie hat dir der Beitrag gefallen nachdem auch neue Herausforderungen und Veränderun- du ihn das erste Mal vollständig gehört hast? gen in der Arbeit aufgetreten sind. • Michael Kraske: Ich finde die von dir erwähnte • Tanja Ries: Eigentlich gar nicht so sehr, was Reportage nach wie vor sehr gelungen. Aber die Bilder angeht. Ich persönlich finde am her- wichtiger als die Frage, ob es sich um Inszenierung ausforderndsten, wenn meine Glaubwürdigkeit handelt oder nicht, ist die Frage nach ihrer Rele- untergraben wird, also wenn ich regelmäßig als vanz. Wie relevant sind diese neurechten Akteure? „Lügenpresse“ beschimpft werde, Man sieht ja Der Beitrag trifft die Bedeutung der „Neuen auch, dass das eine gewisse Wirkung zu haben Rechten“ sehr gut, ohne sie zu überhöhen. Die scheint. Das finde ich in der Tat sehr schwierig. Gefahr ist ja, dass man diesem Akteur, Herrn Aber es hindert mich nicht daran, das weiter zu Stein, durch das Feature erst Wichtigkeit verleiht. tun, was ich vor den sogenannten „Neuen Rech- Einfacher gesprochen: Vorher kennen ihn deutlich ten“ auch schon getan habe. weniger Menschen und er wirkt durch das Was die Bilder angeht: Man steht ja immer vor Feature in weitere konservative oder bürgerliche ▶ Zurück zum der Frage, zeigt man die Bilder oder zeigt man Kreise hinein. Wichtig ist es, sich folgende Fragen Inhaltsverzeichnis sie nicht, z.B. die Aktion der Identitären auf dem zu stellen: Welche Relevanz hat der Akteur, Brandenburger Tor. Aber die Bilder sind sowieso welche Rolle nimmt er in diesem rechtsextremen ▶ Nächstes Kapitel in der Welt, da die IB selbst dafür sorgt. Netzwerk ein und welche Wirkung und welche Es kommt aus meiner Sicht immer auf den Kontext Folgen hat das eigentlich, was jemand macht. Seite 2/5 ▶ an. Solche Bilder eignen sich nicht für eine Anderenfalls passiert so etwas wie mit der 8 EinProzent-Kampagne „Werde Betriebsrat“. Man journalistisches Subgenre geworden ist. Daran 2 Fiedler, Maria: Götz Kubitschek – unterstützt mit der Berichterstattung bereits die schließt sich die Frage an, wann die Orte der Der Stratege der Neuen Rechten, in: www.tagesspiegel.de vom 08.09.2018, Kampagne, ohne sich vorher die Frage gestellt zu „Neuen Rechten“ überhaupt aufzusuchen sind, einsehbar unter: ▶ https://www.tages- haben, ob die Kampagne nicht ein Papiertiger ist. oder wann ihre Akteure direkt zu Wort kommen spiegel.de/themen/agenda/verleger-go- Es gibt von Seiten der Redaktionen und Medien müssen. etz-kubitschek-der-stratege-der-neu- en-rechten/22963170.html, zuletzt einige Vorgaben und Branchenregeln, die der eingesehen am 10.09.2019. „Neuen Rechten“ in die Hände spielen. Das ist zum • Schierholz: Ein Text aus dem Tagesspiegel, Beispiel die Formatvorgabe. Nicht zufällig sind vor ein paar Wochen erschienen2, wirkte auf den die Beiträge und Artikel, die ich am wenigsten ersten Blick wie eine unkritische Homestory aus gelungen finde, Portraits. Dazu möchte ich ein Schnellroda, aber die Autorin legte Wert darauf, die Beispiel nennen: Ich habe letzte Woche eine Ein- Inszenierung immer wieder zu kontextualisieren ladung für eine Live-Sendung bekommen, bei und zu betonen, wie Kubitschek dies nutzt. der vier Einspieler kommen und ich etwas dazu So kann man das ma- sagen soll. Ich fragte die Kollegin, ob sie doch chen, finde ich. Man hoffentlich nicht wieder zum Herrn Kubitschek muss halt nur den Damit ist die Gefahr verbunden, dass nach Schnellroda gefahren sei und ob es wieder Zusammenhang zur die Komplexität der „Neuen Rechten“ um die Szene ginge, in der er seine Frau siezt. politischen Agenda komplett wegfällt. Man müsste „Ja, ja, doch schon“, sagte sie. Ich will jetzt nicht herstellen. despektierlich klingen, aber ich halte diese Her- erklären, dass der Kern der „Neuen angehensweise für grundfalsch. Sie ergibt sich • Tanja Ries: Das ist ja Rechten“ ein „Rassismus ohne Rasse“ ist, der am Ende genauso radikal ist aus einer Vorgabe, die besagt, dass ein Porträt eigentlich eine alte immer zu personalisieren ist. Damit ist die Ge- Diskussion. Bieten wir und auf das gleiche „Deutschland den fahr verbunden, dass die Komplexität der „Neuen eine Plattform oder bieten Deutschen, Ausländer raus“ hinaus- Rechten“ komplett wegfällt. Man müsste erklä- wir sie nicht? Machen wir läuft, wie wir es von der „Alten Rechten“ ren, dass der Kern der „Neuen Rechten“ ein „Ras- die „Neue Rechte“ groß, in- kennen. sismus ohne Rasse“ ist, der am Ende genauso dem wir über sie berichten? radikal ist und auf das gleiche „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ hinausläuft, wie • Michael Kraske: Ich spreche nicht von Platt- wir es von der „Alten Rechten“ kennen. Was mir form, sondern ich spreche von der journalisti- außerdem wichtig ist, ist die Vernetzung und die schen Bewertung, ob jemand überhaupt eine Arbeitsteilung innerhalb der „Neuen Rechten“. Wirksamkeit hat. Ich als Journalist muss aus- Das zu beschreiben, dieses Systemische, das werten, welche Reichweite und welche Relevanz fällt uns in vielen Redaktionen extrem schwer. Da ein Akteur erzielt, damit ich entsprechend darü- ist es eben viel einfacher, ein schönes Porträt zu ber berichten kann. schreiben, bei dem man das Politische eigentlich Wir sind inzwischen soweit, dass wir berichten ▶ Zurück zum nur so als Farbtupfer hat. Redaktionen müssen müssen, aber angemessen und in jedem Fall Inhaltsverzeichnis da umdenken und das Systemische und Politische gut begründet. Es passiert nach meiner Beob- stärker in den Blick nehmen. achtung ein reflexhaftes Berichten in vorauseilen- ▶ Nächstes Kapitel dem Gehorsam. Ich weiß das auch von anderen • Moderation: Es wurde kritisiert, dass der Kollegen, die einen vier- oder fünfminütigen Seite 3/5 ▶ Besuch beim Rittergut Schnellroda eine Art Radiobeitrag machen und am Ende fällt ihnen ein: 8 „Oh, wir haben die AfD nicht dazu befragt.“ Aus Das löst auch einen Teil des Problems, das darin 3 Modersohn, August: Warten auf Angst vor bösen Leserbriefen muss dann auf besteht, dass rechtsextreme Akteure innerhalb Rabatz, in www.zeitonline.de vom 26.03.2019, einsehbar unter: jeden Fall noch ein AfD-Vertreter zu Wort kommen. der Szene durch die Berichterstattung gehyped ▶ https://www.zeit.de/2018/13/leip- werden. Das hat man in Chemnitz gesehen: Alle ziger-buchmesse-rechtspopulismus-an- • Moderation: Das wirft ja jetzt nochmal die haben die Nazis gefilmt. Klar muss man das ma- taios-compact, zuletzt eingesehen am Frage auf, die ich gerade versucht habe zu chen, aber dabei sollte die Berichterstattung 10.09.2019. stellen. Ab wann muss denn die AfD-Stimme in nicht stehen bleiben. der Berichterstattung vorkommen? Es muss auch ge- schaut werden, was Was ich wirklich schwierig finde ist die • Kraske: Es müssen die rechtsextremen das für die Menschen Neigung, auf große Porträts zu setzen, Netzwerke beschrieben werden. Deswegen ist heißt, die in dieser weil alles andere zu komplex ist. Detailwissen notwendig, um Akteure auch zu- Stadt leben und von ordnen zu können. Was ich wirklich schwierig Neonazis zu Feinden finde ist die Neigung, auf große Porträts zu erklärt werden. setzen, weil alles andere zu komplex ist. Wenn man das Systemische und die Herkunft, die • Kraske: Das Netzwerk für Demokratie und Ideengeschichte nicht beschreiben kann, bündelt Courage in Wurzen hat seit Jahren Probleme sich alles auf eine Person. Das ist handwerklich und steht mit dem Rücken zur Wand. Und keiner aus dem Porträtgesichtspunkt meistens blitz- berichtet drüber. Meine Botschaft ist daher: sauber und großartig geschrieben, aber es wird Wir sollten gegen den Mainstream berichten. der Beschreibung der „Neuen Rechten“, ihrer Wir sollten ganz konkret zu Gefährlichkeit, aber auch ihrer mangelnden Wirk- den demokratischen samkeit oft nicht gerecht. Akteuren vor Ort gehen Es ist ein zentraler Punkt, ob man die Ich glaube, dass alle Redaktionen gut damit und ihnen Gehör ver- fahren, sich vorher viele Gedanken zu machen, schaffen. Denn an der Art Berichterstattung sehr täterzentriert was sie wie erzählen wollen. Zum Beispiel: und Weise, wie diese be- macht oder ob man auch Betroffenen Kubitschek auf der Leipziger Buchmesse. Die Zeit drängt, bedroht und allein eine Stimme gibt. hat das sehr gut gemacht. Ein Kollege hat zwei gelassen werden, zeigt Tage nichts anderes gemacht, als Kubitschek sich ein großes Defizit. auf dieser Messe zu beobachten. Am Ende hat er eine ganz simple Botschaft aufgeschrieben: • Frage Publikum: Ich habe eine Frage zum Kubitschek hat immer nur darauf gewartet, dass Porträtformat und zur Selbstinszenierung. Die ist die Antifa seine Veranstaltung stört. Als das aus- ja in der Politik allgegenwärtig und nicht nur auf blieb, war er nahezu verzweifelt.3 Kubitscheks die AfD beschränkt. Aber ist Selbstinszenierung Erwartung und sein Versuch der Inszenierung z.B. bei einem Ministerpräsidenten OK oder ▶ Zurück zum wurde durch bloßes Begleiten durchschaut. Er müsste man dort auch erklären, warum er sich Inhaltsverzeichnis wollte Krawall. Weil dieser ausblieb, scheiterte er. wie darstellt. ▶ Nächstes Kapitel • Schierholz: Es ist ein zentraler Punkt, ob man • Kraske: Wir hatten genau dieses Thema neu- die Berichterstattung sehr täterzentriert macht lich bei einer großen ARD-Anstalt und wir sind Seite 4/5 ▶ oder ob man auch Betroffenen eine Stimme gibt. dann in großer Runde zu der Lösung gekommen, 8 dass sich anhand der „Neuen Rechten“ unsere reagieren und zu sagen: Hey, das ist letztlich ein Standards wieder schärfen müssen. Denn natürlich neurechter Diskurs und „Political Correctness“ ist ist auch ein Gefälligkeitsporträt mit einem ein neurechter Kampfbegriff, mit dem versucht Ministerpräsidenten schwierig. Redaktionen ent- wird, sämtliche liberalen oder demokratischen scheiden das aber oft anders. Aber ich glaube, Argumente oder Akteure mundtot zu machen. man merkt jetzt, dass Inszenierungen, die wir lange Es ist eine unfass- mitgetragen haben, doch eher PR als Journalis- bare Verunsicherung mus sind. Es ist ein ganz wichtiger Hinweis, dass auf Seiten der Jour- Dabei ist in den Rundfunkstaatsverträgen für alle die gleichen Regeln gelten müssen. nalistenkollegen zu die Verpflichtung festgeschrieben, dass spüren. Viele Kol- Journalisten, die öffentlich-rechtlich • Moderation: Braucht es mehr Austausch legen fragen sich, arbeiten, für die Demokratie einzutreten zwischen Journalisten und Fachleuten? ob sie sich nicht Wie bekommen wir diese beiden Gruppen stärker mehr zurückhalten haben. zusammen? müssten bezüglich politischer Äußerun- • Schierholz: Es braucht mehr Austausch. gen. Dabei ist in den Rundfunkstaatsver- Was Tanja und mich angeht, wir kennen uns seit trägen die Verpflichtung festgeschrieben, dass Jahren und wir greifen immer wieder auf Fach- Journalisten, die öffentlich-rechtlich arbeiten, expertisen zurück. Wenn wir das nicht machen für die Demokratie einzutreten haben. Das weiß würden, dann könnten wir auch nicht die Ge- aber niemand. Stattdessen sind wir mitten in der schichten schreiben, die wir schreiben, und dann Diskussion, ob wir auf diese vehementen An- könnten wir es auch nicht so einordnen, wie wir griffe von rechts nicht mit noch mehr Verständnis es einordnen. Und natürlich gibt es Kollegen, die und noch mehr Zurückhaltung reagieren sollten. nicht so im Thema drinstecken. Das kann man Ich glaube eher: Wir brauchen eine klare Haltung. nicht ignorieren. Unsere freie Berichterstattung gibt es nur in der liberalen Demokratie. • Moderation: Zum Thema rechte Narrative: Rechte Diskurse gelangen in Leitmedien und werden teilweise übernommen. Wie geht man damit um? Wie hinterfragt man das?

• Kraske: Es wäre eine Möglichkeit das journalistisch aufzuarbeiten und die Ausweitung rechter Diskurse zu thematisieren. In der Zeit wurde beispielsweise das riesige Fass „Political ▶ Zurück zum Correctness“ über Wochen und Monate be- Inhaltsverzeichnis arbeitet. Da gibt es eine Fraktion, die der Meinung ist, dass es mit der „Political Correctness“ in der ▶ Nächstes Kapitel Vergangenheit übertrieben worden sei und dass man deswegen der Rechten entgegen komme Seite 5/5 ▶ müsse. Eine andere Möglichkeit wäre, darauf zu 8 STRATEGISCHE Abschlusspodium OPTIONEN

• Moderation: Heute Morgen im ersten Block Ein weiteres Augenmerk sollte Jugend- und So- ▶ Volkmar Wölk lauteten die Fragestellungen: „Was ist die ‚Neue zialarbeit der „Neuen Rechten“ sein. Es wird ▶ Thomas Wagner Rechte‘, was kann sie, was kann sie nicht?“ Ich eine große Aufgabe sein, die Sozialarbeit gegen ▶ Kathrin Glösel würde das jetzt zuspitzen: Welche Themen und rechts zu stützen. Ein weiteres Thema, mit dem ▶ Judith Goetz welche Techniken werden im Umgang mit der wir uns als Antifaschist*innen beschäftigen müs- neuen Rechten in naher Zukunft prägend sein? sen, sind juristische Fragen. Wir haben es ja schon mit Gruppen zu tun, die gut vernetzt und • Wagner: Uns steht bevor, dass die soziale sehr klagefreudig sind. Und es gibt die Frage, wie Frage, auch auf theoretisch fundierte Art und wir gewalttätige Übergriffe doku- Weise sehr viel stärker in den Debatten von rechts mentieren. Wo gibt es besetzt werden wird, als es bisher der Fall war. eigentlich Übergriffe? Das könnte in zwei Richtungen Konsequenzen Wie kann man die Uns steht bevor, dass die soziale Frage, haben. Wenn die rechte Strategie erfolgreich sichtbar machen? Wie auch auf theoretisch fundierte Art und wird, kann das zu einem Verlust der sozialdemo- kann man das in der Weise sehr viel stärker in den Debatten kratischen, linken Parteien führen, an Wähler- Öffentlichkeit anspre- von rechts besetzt werden wird, als es zustimmung, aber auch an politischer Stärke. chen? bisher der Fall war. Zum anderen kann es auch dazu führen, dass das Projekt AfD, das ja noch eine Sammlungsbewe- • Wölk: Im Prinzip gung ist, an einer Sollbruchstelle auseinander haben wir keine neue Situation. Wir wissen seit fliegt. Im Schlimmsten Fall wäre es so, dass die den ersten Untersuchungen der 70er Jahre, dass Volkspartei-werdung der AfD gelingen könnte, wir in der Bevölkerung ein Potenzial zwischen wenn wirtschaftsliberale und sozialdemokrati- 13% und 20% mit einem geschlossen rechtsext- sche Positionen in der Partei ihren Platz finden. remen Weltbild haben. Damals konnte man noch Das kann passieren, wenn die soziale Frage mit Fug und Recht sagen, nur der kleinste Teil stärker wird. Und in den östlichen Bundesländern dieses Potenzials wählt rechtsextreme Parteien. wird das ja auch mit allen Kräften versucht. Der allergrößte Teil wählt je nach Region, die ▶ Zurück zum CDU oder die SPD. Wir haben jetzt die Situation, Inhaltsverzeichnis • Glösel: Ich glaube ein Fokus sollte die die es schafft dieses Potenzial auszuschöpfen. Seite 1/4 ▶ geschlechtsspezifische Mobilisierung sein. Rein mengenmäßig, hat sich da nicht viel geändert. 9 Trotzdem ist die Lage in meinen Augen deutlich Umstand zu tun, dass es in Österreich eine dramatischer als je zuvor. Das erste Mal in der rechtsextreme Regierung gibt, die die außer- bundesdeutschen Geschichte haben wir etwas, parlamentarischen Rechte vor die Frage stellt, was man als soziale Bewegung von rechts sich neu zu formieren. Viele ihrer Anliegen und bezeichnen kann. Mit einem aktionsorientierten Kampagnen sind jetzt auch in der Regierung Flügel auf der Straße, einem parlamentsorien- vertreten. Wer interessiert sich noch großartig für tierten Flügel und einem, wie es so schön in der sie wenn Rechtsextreme an den Machthebeln Wissenschaft heißt, diskursorientierten Flügel. sitzen? Ich würde sagen, dass die Leute, die Das ist das, was wir hier versucht haben, als „Neue bei den Identitären aktiv sind, sicher nicht mit Rechte" zu bestimmen. Denen ist bewusst, dass einem Niedergang der das Thema Euro genauso wie das Thema der Re- Gruppe wegbrechen. fugees nicht ewig halten wird, also werden jetzt Sie werden sicher- Das erste Mal in der bundesdeutschen schon neue Themen gebraucht. In einer solchen lich neue Mittel und Geschichte haben wir etwas, was man Situation kommt dem diskursorientierten Flügel Wege finden sich eine erhöhte Bedeutung zu. zu organisieren und als soziale Bewegung von rechts be Die soziale Bewegung von rechts konzentriert sich politisch zu be- zeichnen kann. sich nicht nur auf die soziale Frage. Das eine tätigen. Parteistruk- - betrifft den Zustand der Demokratie in unserem turen sind für jene, Land. Ich beschreib es mal mit den Worten, Post- die Karrieren anstreben, aber auch demokratie oder Demokratiesimulierung. Das ganz attraktiv. Auf der anderen Seite kann ich mir andere ist der Kampf gegen, wie Meuthen es mal aber auch vorstellen, dass es eine neue Radika- genannt hat „die rot-grün versifften Alt-68er“. lisierung gibt und sich das neonazistische Milieu Sprich: der Versuch, die mühsame Zivilisierung auch stärker wieder vernetzten wird. und Demokratisierung der alten Bundesrepublik, die im Zuge der 68er stattgefunden haben, • Moderation: Die Soziale Frage ist jetzt stärker zurückzudrängen. Also die Reduzierung auf die im Raum, aber gibt es eine Idee, Praxen, Vor- soziale Frage, wäre meiner Meinung nach heute schläge wie diese im Rahmen gesellschaftlicher kontraproduktiv, sie auszuklammern und ihre Gegenwehr gegen die „Neue Rechte“, selbst Virulenz nicht zu sehen, wäre aber genauso aufgegriffen und solidarisch beantwortet werden verkehrt. kann? Thomas Wagner, in gewisser Weise hast du ja darüber gesprochen, dass die soziale Frage • Goetz: Ich möchte die Frage der Zukunft am entscheidend ist. Du hast es ja auch als wichti- Beispiel der Identitären festmachen, die in Öster- ges Themenfeld der „Neuen Rechten“ in Zukunft reich für einige Jahre sehr erfolgreich waren, betont. aber aktuell ins Stocken geraten sind. Einerseits hat das damit zu tun, dass ihre Medien und • Wagner: Ich glaube auch nicht, dass die Kommunikationstrategien nicht mehr funktionie- soziale Frage das einzige Thema ist, mit dem die ren. Also einfach irgendwelche Aktionen machen AfD und die „Neue Rechte“ in den nächsten ▶ Zurück zum und darauf zu spekulieren, dass alle Medien un- Jahren versuchen werden das gesellschaftliche Inhaltsverzeichnis kritisch darüber berichten. Das funktioniert nicht Klima zu beeinflussen. Ich habe selber die Er- Seite 2/4 ▶ mehr. Aber der Niedergang hat auch mit dem fahrung gemacht, dass eins meiner Bücher, 9 nämlich die linke Kritik an der Einmischung von da hinter der Regierungskommunikation, man Bürgerbeteilungsverfahren, im Wiener Parlament möchte schon fast sagen, hinter dieser Propa- von der FPÖ benutzt wurde, um die Rot-Grüne ganda steckt. Es gibt ein Hunger nach Wissen, Regierung zu kritisieren. Da sehe ich ein weiteres nach Argumenten, nach Zahlen, nach Strategie- Problem: die Forderung nach mehr Demokratie, Analysen und nach politischen best practice- die auch für die AfD eine wichtige Rolle spielt. Beispielen aus anderen Ländern.

• Wölk: Um wirklich erfolgreich wirken zu • Wölk: Unsere Jugendlichen hatten nur ein können, brauchen wir eigene Räume. Kommu- schäbiges Jugendzentrum, wo sie schlicht und nikationsräume. Das ist genau das Problem des ergreifend gegängelt worden sind. Was haben flachen Landes, dort gibt es diese Räume nicht, sie gemacht? Sie haben sich die müssen erst wieder geschaffen werden. Da eine alte Fabrik für - gibt es noch nicht einmal mehr die Sparkasse einen Euro unter den Die soziale Frage – Wohlstand, Vertei- oder die Kaufhalle, den Bäcker sowieso schon Nagel gerissen und lange nicht mehr. Ich kann also jetzt die Forde- sind jetzt seit ein paar lung, Sicherheit – ist zentral, weil so rung nach Stärkung eines wichtigen Raumes an Jahren dabei das selber ziale Unsicherheit und Abstiegsängste die herrschenden Politiker*innen stellen. Aber und in Eigenverantwor- Nährboden sind für rechte die betroffenen Leute wissen, dass genau diese tung und in Eigenregie Erzählungen. zuständigen Politikerinnen und Politiker für die zu einem soziokulturellen Zerschlagung des Soziokulturellen Raums der Zentrum zu machen, mit ländlichen Regionen verantwortlich sind. Warum Konzerten, mit Lesungen, mit allem was dazu soll ich denn ausgerechnet diesen Leuten mein gehört. Und siehe da, allmählich sind das nicht Vertrauen schenken? Also dieses Vertrauen zu mehr nur die jungen Leute, so langsam kommen schaffen, wird natürlich ein sehr schwerer und auch die Leute in meinem Alter dazu und fragen: langwieriger Aufbau. Es wird sehr lange dauern, „Wie kann ich euch helfen?“ Es gibt eine gestei- wir werden einen langen Atem brauchen, das gerte Aufmerksamkeit und allmählich kommen geht leider nur Stück für Stück. bei den Jugendlichen auch die finanziellen Res- sourcen an. Das ist ein knallhartes Geschäft, aber • Glösel: Die soziale Frage – Wohlstand, ich sehe keinen anderen Weg als da mit langem Verteilung, Sicherheit – ist zentral, weil soziale Atem hinter zu sein. Das hat erstmal mit antifa- Unsicherheit und Abstiegsängste Nährboden schistischer Arbeit oder Arbeit gegen rechts gar sind für rechte Erzählungen. Wer keine sozialen nichts zu tun und trotzdem wirkt es aber. Fragen aufs Tableau bringt, verliert. Aber das ist nicht alles. Ich bin der Meinung, der Kampf • Wagner: Ich glaube, dass es extrem wichtig ist, gegen rechts ist auch ein Kampf der Narrative, Gemeinwesen bildende Arbeit von unten zu der Erzählungen. Wir brauchen die besseren machen. Aber halt auch aus einem klaren demo- Erzählungen, die besseren Begriffe, die besseren kratischen republikanischen Verständnis heraus

Perspektiven und die besseren Missionen. Und und zwar, dass man Öffentlichkeit von unten auf- ▶ Zurück zum ich merk das selber. Ich arbeite im Bereich politi- baut, dass man Kultur von unten aufbaut. Inhaltsverzeichnis scher Journalismus. Und es gibt einen unglaub- Heute wurde gelegentlich auch von rechten Seite 3/4 ▶ lichen Hunger nach Erklärungen von Politik, was Ideologieproduzenten gesprochen. Es gibt aber 9 auch alltägliche Mechanismen, wo rechte Ideo- für die wiederum wird die Hemmschwelle auch logie produziert wird, nämlich eine Ideologie wieder niedriger. So entsteht langsam, aber der Ungleichheit und das ist die kapitalistische wirklich sicher sowas wie ein richtiger politischer Produktionsweise. Meine Sorge im Kampf gegen Diskurs. rechts ist, dieses Ziel - für eine Veränderung der Produktionsweisen zu kämpfen - nicht aus den • Glösel: Was viele von uns sicherlich aufregt Augen zu lassen. ist, wenn Medien und politische Akteur*innen ständig von allgegenwärtigen Gefahren durch • Moderation: Wo sind die Chancen der einzel- Geflüchtete schreiben und reden – so dass es nen, andere Themen zu besetzen, als die der die ganze politische Debatte beherrscht. Aber Rechten und auf welchen Ebenen und mit wel- das muss man nicht hinnehmen. Wir sind selber chen Mitteln kann das eigentlich funktionieren? in der Verantwortung, unsere Fragen, The- • Goetz: Ich würde als positive Themensetzung men und Geschich- Wir sind selber in der Verantwortung, immer wieder drauf aufmerksam machen, was ten zu erzählen und unsere Fragen, Themen und Feminismus alles kann und was Feminismus, vor zu verbreiten. Zu Geschichten zu erzählen und zu allem jungen Frauen, alles ermöglichen kann schauen, wer sind verbreiten. und dass das ein mehr an Selbstbestimmung be- Betroffene von deutet und für die Befreiung aller Geschlechter sozialen Kürzungen, einsteht und nicht nur für eine Besserstellung der wer sind die Betroffenen, Frauen. Und da finde ich es auch immer wichtig wenn Jugendzentren zugesperrt werden. Wir die Männer mit ins Boot zu holen und hier zu können diese Geschichten so aufbereiten, dass argumentieren, dass auch Männer in diesem Sys- sie verständlich sind und erzählt werden können. tem leiden und in Rollen gezwängt werden, mit Ich glaube, wir haben sehr viele der Handlungs- denen sie sich nicht identifizieren können und praktiken noch nicht voll ausgeschöpft. Aber ich die ihnen ganz viel verunmöglichen. finde es eine bewältigbare Aufgabe. Wir können in Debatten mitreden und sie mitgestalten. Wir • Wölk: Wir müssen ganz einfach sichtbar sein. wollen über Gerechtigkeit reden, wir wollen über Auch die Landtagsabgeordnete in unserem Ort Armut reden. Und ich finde es ist eine wichtige hat es einfach so gemacht, dass sie schlicht und Aufgabe der wir uns stellen sollten, anders über ergreifend ab einem bestimmten Punkt gesagt die soziale Frage zu diskutieren. Man kann die hat: „Ich mach keine Sprechstunden mehr in mein- Antworten so aufbereiten, dass sie für andere em Büro. Ich geh ins Café am Markt und lasse annehmbar sind, dass sie einen berühren. jeden wissen, jeden Mittwoch 16-18 Uhr bin ich Und wenn wir es schaffen, Mitgefühl zu erzeugen, da und wer dann mit mir quatschen will und haben Hassparolen viel weniger Chancen. Probleme hat, der kann dahin kommen und dann machen wir das.“ Nun sollte man meinen, dass es kein großer Unterschied ist, ob die Sprech- ▶ Zurück zum stunde im Büro stattfindet oder im Café, aber die Inhaltsverzeichnis Hemmschwelle ist eine ganz andere. Und viele Seite 4/4 ▶ Leute sehen, wie diese Gespräche stattfinden und 9 Zusammenfassung der Fachtagung »Die ›neue Rechte‹ in Sachsen-Anhalt, Mythos, Realität und Gegenkultur. « am 29. September 2018 Miteinander e. V.

Leitbild Spendenaufruf Miteinander e.V. Der gemeinnützige Verein Miteinander – Netzwerk Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit für Demokratie, #bestaendigfuerdemokratie für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen- gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Anti- ▶ www.miteinander-ev.de Anhalt e. V. setzt sich für eine offene, plurale und semitismus mit einer Spende! Alle Zuwendungen ▶ Facebook: @miteinanderev demokratische Gesellschaft in Sachsen-Anhalt kommen der Arbeit des Vereins zugute. Ihre ▶ Twitter: @MiteinanderLSA und darüber hinaus ein. Wir arbeiten gegen Rassis- Spende erreicht uns über das unten angegebene Geschäftsstelle Magdeburg mus, Antisemitismus und alle anderen Formen Vereinskonto. Miteinander e.V. gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die zu Erich-Weinert-Straße 30 Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt Sie können außerdem bequem online spenden. 39104 Magdeburg Tel.: (0391) 62077-3 führen. Ein besonderes Anliegen ist uns die Stär- Fax: (0391) 62077-40 kung demokratischer Akteure der Zivilgesellschaft ▶ https://www.miteinander-ev.de/spendenfor- ▶ [email protected] und nicht-rechter Jugendlicher sowie die Unter- mular/ Regionales Zentrum Nord stützung von Opfern rechter, rassistischer und Miteinander e.V. antisemitischer Gewalt. Der Verein ist gemeinnützig und Ihre Spende Chüdenstraße 4 somit steuerlich absetzbar. Die ordnungsgemäße 29410 Salzwedel Wir sind in den Handlungsfeldern der Analyse, Verwendung aller Mittel wird durch die Kassen- Tel.: (03901) 30643-0 Fax: (03901) 30643-2 Beratung, Unterstützung und Bildung tätig mit prüfer*innen des Vereins und ein Steuerbüro ▶ [email protected] dem Ziel, einen Beitrag zur Demokratisierung kontrolliert. Wenn Sie eine Spendenbescheini- der Gesellschaft in Sachsen-Anhalt zu leisten. gung wünschen, teilen Sie uns bitte Ihre An- Regionales Zentrum Süd Miteinander e.V. Die besondere Qualität unserer Arbeit liegt darin, schrift mit. Landsberger Straße 1 aus einem breiten Methoden- und Beratungs- 06112 Halle/Saale spektrum auf die jeweils spezifischen Problem- Tel.: (0345) 2266450 Fax: (0345) 2267101 lagen zugeschnittene Angebote zu entwickeln. ▶ [email protected] Von unseren Bildungs- und Beratungsangeboten profitieren sowohl Jugendliche als auch Erwach- Spendenkonto sene. Der Verein engagiert sich in der Jugend- Kontoinhaber: Miteinander e.V. IBAN: DE19 8102 0500 0008 4734 00 und Erwachsenenbildung, der Gemeinwesen- BIC: BFSWDE33MAG arbeit, der Beratung von Zivilgesellschaft und Bank für Sozialwirtschaft AG kommunalen Akteuren sowie der parteilichen Opferberatung. Freiwilligen Agentur e. V. Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e.V.

Vision & Leitbild Aufgaben und Leistungen ▶ www.freiwilligen-agentur.de Unsere Vision ist eine demokratische und Wir ermutigen, beraten und qualifizieren Men- ▶ Facebook: @FreiwilligenAgenturHalle solidarische Gesellschaft, die alle Menschen mit- schen, die sich mit ihren vielfältigen Fähigkeiten, ▶ Twitter: @FWA_Halle gestalten. Alle Menschen engagieren sich nach Erfahrungen und Interessen im Gemeinwesen ▶ Instagram: @freiwilligenagenturhalle ihren Möglichkeiten, Fähigkeiten und Interessen engagieren wollen. Wir beraten und qualifizieren ▶ [email protected] für das Gemeinwohl: Gemeinsam engagiert für gemeinwohlorientierte Organisationen und Halle – gemeinsam engagiert für unsere Region. Initiativen, gute Rahmen bedingungen für freiwil- Leipziger Straße 82 06108 Halle (Saale) liges Engagement zu schaffen. Wir bringen ge- 0345 / 200 28 10 Werte und Arbeitsprinzipien meinwohlorientierte Organisationen, staatliche Die Werte unserer Arbeit basieren auf den Institutionen und Unternehmen zusammen und Spendenkonto: Kontoinhaber: Freiwilligen-Agentur Menschenrechten, wie sie in der Erklärung der unterstützen sie, sich für freiwilliges Engagement Halle- saalkreis e. V. Vereinten Nationen und im Grundgesetz zu öffnen. Wir gestalten bestehende und schaf- IBAN: DE75800537620388306666 festgehalten sind. fen neue Netzwerke zur Förderung freiwilligen BIC: NOLADE21HAL Engagements. Saalesparkasse Freiwilliges Engagement bedeutet für uns: Wir verstehen uns als Impulsgeberin für freiwilliges freiwilliges und unentgeltliches Mitwirken an Engagement und setzen innovative Projekte um. einer vielfältigen Gesellschaft. Wir fördern und fordern gute Rahmenbedingungen die Übernahme von Verantwortung für gesell- und eine Kultur der Anerkennung für Freiwillige. schaftliche Belange in allen Bereichen. individuelle Ideen einbringen und in Projekten Spenden umsetzen. Freiwilliges Engagement braucht Unterstützer, Freiwilliges Engagement ist kein Ersatz für staat- Partner und Freunde! Die Arbeit der Freiwilligen- liche Aufgaben. Vielmehr ist es eine Ergänzung Agentur Halle lebt vom Einsatz vieler ehrenamtlich und Bereicherung und trägt dazu bei, gesell- Aktiver. Für unsere Freiwilligenprojekte: schaftliche Entwicklungen (mit) zu gestalten. „Große für Kleine“ – starke Kinder durch Wir handeln solidarisch und sind parteipolitisch Bildungspatenschaften, sowie konfessionell unabhängig. Wir arbeiten Seniorenbesuchsdienst „KlingelZeichen“ und zielorientiert, transparent und nachhaltig. Wir Freiwilligentag Halle halten die bundesweit geltenden Qualitätsstan- benötigen wir aber auch finanzielle Unterstützung dards für Freiwilligenagenturen ein. Freiwillige durch Spenderinnen und Spender. und hauptamtliche Mitarbeitende begegnen sich Schon kleine Beiträge sind wichtig, denn ohne auf Augenhöhe. Wir sind eine kreative Organisa- diese Unterstützung gäbe es keine Fortbildungen, tion, die neue Ansätze erprobt. Wir setzen uns mit Arbeitsmaterialien oder Straßenbahnfahrscheine dem digitalen Wandel auseinander – Chancen, für unsere Ehrenamtlichen. Potenziale und Instrumente der Digitalisierung Helfen Sie helfen! nutzen wir, um freiwilliges Engagement zu Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine fördern und unsere Arbeitsabläufe zu verbessern. Spende! Jede Spende hilft, Engagementprojekte Wir arbeiten vernetzt und sind offen für umzusetzen, die langfristig und nachhaltig Kooperationen. wirken. Impressum DIE »NEUE RECHTE« IN SACHSEN-ANHALT – Mythos, Realität, Gegenkultur Reader zur Fachtagung vom 29.09.2018

Magdeburg und Halle (Saale) 2019 Herausgeber: Miteinander e.V./Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Freiwilligenagentur Halle-Saalkreis e.V. Redaktion: Pascal Begrich (V.i.s.d.P.), Michael Barthel, Marius Sänger Wir danken den externen Inputgeber*innen: Volkmar Wölk, Judith Götz, Kollektiv IfS dicht- machen, Anwohner*innen-Initiative Adam-Kuck- hoff-Straße, Kathrin Glösel, Thomas Wagner, Alexander Schierholz, Michael Kraske, Tanja Ries Gestaltung: ▶ Nils Krüger, ▶ Laura Gäckle Martínez Schrift: Allgemein Grotesk (Beta) von Andrea Tinnes Gefördert vom Bundesministerium für Familie, Se- nioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundes- programms „Demokratie leben!“ sowie durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt im Rahmen des Landes- programms für Demokratie, Vielfalt und Weltoffen- heit in Sachsen-Anhalt. Die Veröffentlichungen stellen keine Meinungs- äußerung des BMFSFJ, des BAFzA bzw. des Ministe- riums für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autor*innen die Verantwortung.