Gottscheer Schriften digital

DAS JAHRHUNDERTBUCH DER GOTTSCHEER

Erich Petschauer

1980

Herausgeber: Hermann Leustik Ein Service von http://www.gottschee.at

Mit freundlicher Genehmigung des Wilhelm Braumüller Verlages – Wien http://www.braumueller.at

Neubearbeitung: Mag.Ing. Hermann Leustik, Klagenfurt

© 2005 Leustik

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Erich Petschauer

DAS JAHRHUNDERTBUCH DER GOTTSCHEER

Bearbeitet von

Hermann Petschauer

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Umschlagentwurf: Ulrike Dietmayer Umschlagphoto: W. Verderber

Alle Rechte vorbehalten

© 1980 by Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung Ges. m. b. H., A-1092 Wien ISBN: 3 7003 0243 6

Satz: Friedrich Jasper, Tongasse 12, A-1030 Wien Druck: Adolf Holzhausens Nfg., A-1070 Wien

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Dr. Erich Petschauer

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...... 7

Einführung ...... 10

Kleine Landeskunde...... 14

11 bis 13. Jahrhundert ...... 16

Das 14. Jahrhundert ...... 23

Das 15. Jahrhundert ...... 46

Das 16. Jahrhundert ...... 51

Das 17. Jahrhundert ...... 60

Das 18. Jahrhundert ...... 62

Das 19. Jahrhundert ...... 63

Das 20. Jahrhundert - Teil 1 ...... 87

Das 20. Jahrhundert - Teil 2 - Der Tragödie letzter Akt ...... 98

Das 20. Jahrhundert - Teil 3 - Schlussakkord in Moll...... 128

Verein der Deutschen aus Gottschee, Wien...... 149

"Gottscheerland", Graz ...... 150

"Gottscheerland", Klagenfurt ...... 151

Gottscheer in Deutschland ...... 152

Gottscheer Zeitung ...... 154

Der Gottscheer in aller Welt ...... 156

Gottscheer Kulturwoche...... 159

Der Gottscheer Waldbauer wird zum Städter ...... 164

Gottscheer Fluggäste ...... 166

Gottscheer und Slowenen ...... 171

Der Kreis schließt sich...... 175

Anhang...... 178

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Vorwort

Im Jahre 1969 mußte Dr. Erich Petschauer vorzeitig in den Ruhestand gehen, weil er in- folge eines Augenleidens Schriften in normaler Größe nicht mehr lesen konnte. Fortan benutzte er seine Zeit, um die Geschichte seiner Heimat Gottschee zu erforschen mit dem Ziel, das Werden und Vergehen dieses Völkchens in den letzten 600 Jahren aufzu- zeigen. 1971 erhielt er von der Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften den Auftrag, das Ergebnis seiner Arbeiten in einem Buch zusammenzufassen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ein Auftrag, der ihm Ansporn war und Lebensinhalt wurde.

Am 6. September 1977 ist Dr. Erich Petschauer, kurz vor Erreichung seines 70. Lebens- jahres, in Hirschau am Chiemsee in Bayern, gestorben. Ein langjähriger Diabetes hatte zu seiner völligen Erblindung geführt. Schreiben konnte er daher sein Buch nicht mehr selbst. In mühevoller Kleinarbeit besprach er 23 Tonbänder, die dann zu Papier gebracht wurden. Sein Bruder hat nach den Anweisungen des Autors das Manuskript geordnet und, soweit dies die Kapitel der jüngsten Geschichte betrifft, ergänzt.

Noch am 5. August 1977 ersuchte mich Erich Petschauer, das Vorwort zu schreiben: „... Was meiner Meinung nach unbedingt in Deinen Ausführungen enthalten sein sollte, ist die Feststellung, daß dieses Buch eben noch zurechtkommt, um der letzten, in der alten Heimat geborenen Generation von Gottscheern das Gesamtschicksal ihres Völkchens vor Augen zu führen. Nicht verschweigen sollte man meiner Meinung nach außerdem, daß dieses Buch in die Hände der noch Gottscheebewußten Jugend gehört ...”

Wir sind Dr. Erich Petschauer zu großem Dank verpflichtet, ist es doch die einzige Arbeit eines , die sich intensiv mit der Geschichte dieses Völkleins von seinem An- beginn bis 1977 befaßt. Als Student in Leipzig hat Dr. Petschauer schon an Grothes Werk „Die deutsche Sprachinsel Gottschee” maßgeblich mitgearbeitet. Der gelernte Journalist hatte sein Ohr immer am Puls des Lebens und des Schicksals seiner Landsleute. Dazu kam sein Erleben als Gottscheer: Er hat seine Jugend im „Ländchen” verbracht, kannte so Freude und Not der Menschen. Geschichte ist hier also selbst erlebtes, erlittenes Schicksal.

In diesem Buch — das weiß ich aus Gesprächen mit dem Autor — hat Doktor Petschauer versucht, eine genaue Schilderung des Landes zu geben. Der Leser wird feststellen kön- nen, daß der Verfasser die Vielgestaltigkeit des Gottscheer Ländchens, die Weite seiner Wälder und die fast unirdische Ruhe geliebt hat, die Stille, die für das menschliche Ohr oft absolut zu sein scheint, jene Stille, die einen mitten in der Nacht aufwecken kann, wenn das Rauschen des Waldes plötzlich verklungen ist oder wenn der Chor der Grillen auf einmal verstummt.

Mancher Leser wird das Gottscheerland nicht mehr sehen oder gar erleben können. So bleibt zu hoffen, daß ihm dieses Buch einen annähernden Eindruck von seiner Schönheit und Vielgestaltigkeit, von seiner wechselhaften Geschichte zu vermitteln vermag, vor allem aber, daß es ihn zurückführt in die Jugendzeit, in die Besinnlichkeit und Vertraut- heit, in das Erlebte, in die Geschichte und wieder in die Gegenwart.

Wer den Forschungsdrang Dr. Petschauers kannte, der weiß, daß ihm die Leidenschaft, Sachverhalte objektiv zu beschreiben, über alles ging. Der wird auch dieses Buch als ei- nen rein um der Sache willen geschriebenen historischen Beitrag zur Erhellung wichtiger Probleme des Gottscheerlandes vom Anfang seines Bestehens an bis zum Ende zu würdi-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 7 gen wissen. Ich bin auch überzeugt, daß das „Jahrhundertbuch der Gottscheer” das um- fangreichste historische Dokument ist, das je über unser Völklein geschrieben wurde.

Der Autor hat unendlich viel Material gesammelt, nach Quellen geforscht, dann alles sy- stematisch geordnet, was bei seiner Sorgfalt und Genauigkeit Jahre gedauert hat. Zu- nächst entstanden Fragmente, Skizzen, kurze Abhandlungen, die zum Teil in der „Gott- scheer Zeitung” veröffentlicht wurden. Es gehört schließlich Mut dazu, ein „Geschichte- buch” über ein 650 Jahre altes Völklein, das im Vergehen begriffen ist, zu schreiben, da- mit der Nachwelt ein objektives Bild des Landes und des Volkes gegeben wird.

Dr. Petschauer war bemüht, von vornherein jeder Kritik zu begegnen und das Werk nach objektiven Maßstäben auf historischen Gegebenheiten aufzubauen. Er scheut aber auch keine Kritik, wenn er Fragen, die ins Volkspolitische gehen, nicht ausweicht, vielmehr dazu als Gottscheer leidenschaftslos Stellung nimmt und die geschichtlichen Vorgänge, die Umstände und Fakten, die von allem Anfang an vorhanden waren und den Gottscheer nicht nur berührt, sondern auch in Bedrängnis geführt haben, objektiv beurteilt. Der Au- tor weicht auch der teilweise noch immer umstrittenen Frage der Herkunft der Gottscheer nicht aus. Mit wissenschaftlicher Akribie verfolgt er jede Spur, um dann die Ergebnisse der Forschungen von Universitätsprofessor Dr. Eberhard Kranzmayer, Universitätsprofes- sor Dr. Maria Hornung sowie Dr. Walter Tschinkel, die diese auf dialektgeographischem Gebiet durchführten, zu bestätigen.

So erleben wir das Schicksal des Gottscheers, hören von der Urheimat, der Ansiedlung, der Aufbauarbeit, der Wirtschaft, den Türkeneinfällen, von Besatzung, Leid und Erdulden, von völkischer Not, Krieg, Umsiedlung und Vertreibung .. .

So bleibt — im Sinne des Autors — zu hoffen und zu wünschen, daß dem „Jahrhundert- buch der Gottscheer” jene Beachtung zukommt, die es verdient.

Dr. Viktor Michitsch

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Mein Mann hatte selbstverständlich die Absicht, sich an dieser Stelle bei allen zu bedan- ken, die ihm durch ihre Hilfe dieses Buch ermöglicht haben. Leider war ihm die Zeit nicht mehr geschenkt, um diese Absicht zu verwirklichen. Aus vielen Gesprächen mit ihm sind mir zwar eine Anzahl von Namen bekannt, Menschen, die ihm ihre Augen geliehen und für ihn gelesen haben, die ihm ihre Kenntnisse und ihr Wissen um Einzelheiten zur Verfü- gung stellten. Es ist mir aber sicher nicht möglich, all diese Persönlichkeiten lückenlos aufzuführen. Um die Gefahr auszuschließen, daß ich den einen oder anderen Namen nicht weiß, bitte ich, in dieser Form den großen Dank meines Mannes entgegenzunehmen. Der Dank schließt auch das Innenministerium Baden-Württemberg und die Patenstadt der Jugoslawiendeutschen, Sindelfingen, ein, die auf die Initiative der Gottscheer Lands- mannschaften in Deutschland hin dieses Buch gefördert haben.

Emmy Petschauer

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Einführung

Am Anfang war der Wald.

Rotbuche und Tanne beherrschen das Hochland, das in steilen Felsbrüchen in das Kulpa- tal niederstürzt. Ahorn, Fichte, Ulme, verstreute Eichen- und Birkenhaine ergänzen das malerische Bild des riesigen Urwaldes in Unterkrain. Die reichsfreien Grafen von Orten- burg, ein altes Kärntner Adelsgeschlecht, tragen ihn aus den Händen der Patriarchen von Aquileja zu Lehen. Niemand darf sich ohne Erlaubnis der Grafen siedelnd darin niederlas- sen. Selbst aber zögern sie seit geraumer Zeit mit der Besiedlung, obwohl sich das Land ringsum mit Dörfern, Marktflecken und kleinen Städten gefüllt hat.

Wir stehen im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts, vor Beginn der deutschen Besiedlung der späteren Sprachinsel Gottschee.

Ortenburg? Aquileja? Lehen? Wo liegt Unterkrain? Was heißt „Gottschee”?

Seien Sie unbesorgt, verehrte Leser, Sie werden in diesem Buch nicht in eine langatmige Geschichte aus der Geschichte mit langatmigen Sätzen und unübersehbaren Fußnoten hineingezogen. Bitte, schließen Sie außerdem nicht aus dem Buchtitel, daß Ihnen mehr geschichtlicher Nationalismus unterbreitet wird, als man heutzutage davon vertragen kann. Ganz ausweichen können wir ihm freilich nicht, denn er war da und ist noch vor- handen. Das eigentliche Thema dieses Buches ist das Schicksal weniger tausend Men- schen, die im Laufe des 14. Jahrhunderts im südlichen Hochland der damals zu Kärnten gehörenden Mark Krain angesiedelt wurden und deren letzte Nachkommen noch heute unter uns leben. Es geht darum, geschichtlich getreu, doch in einer flüssigen, stilistischen Gangart das geringe Glück und das gehäufte Unglück ihrer 22 Menschenalter darzustel- len. Wie ihr „Lantle”, ihr „Ländchen”, entstanden ist, soll gezeigt werden.

Ein historischer Roman also! Keineswegs. Es erwartet uns vielmehr die Tragödie einer Gemeinschaft, in der nichts erfunden und nichts hinzugesetzt ist. Sie beginnt, verläuft und endet so beklemmend folgerichtig, daß man geneigt ist, die Maßstäbe der klassi- schen Schicksalsdramen anzulegen. Und so begann sie:

In einer Art Vorspiel forscht das „Jahrhundertbuch der Gottscheer” nach den geschichtli- chen Voraussetzungen des Entstehens der ehemaligen Sprachinsel Gottschee. Zum er- stenmal wird in Buchform dargestellt, was geschehen mußte und was nicht unterbleiben durfte, bis Graf Otto V. von Ortenburg in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts da- rangehen konnte, sein Urwaldlehen zwischen Reifnitz und Kulpa zu erschließen und wie bedeutsam die Rolle der Patriarchen von Aquileja in diesem Zusammenhang war.

Otto entnahm die Kolonisten seiner angestammten Grafschaft in Oberkärnten und Teilen des angrenzenden Osttirols. Sie sprachen eine bairisch-österreichische Mundart, die sie zugleich mit der Hoffnung auf ein freieres, besseres Leben in ihre neue Heimat verpflanz- ten. In Abgeschiedenheit entwickelte sich dann die gottscheerische Mundart, deren bairi- scher Kern sich bis auf den heutigen Tag nicht abgeschliffen hat. Dieser sprachwissen- schaftliche Tatbestand veranlaßte den in Klagenfurt geborenen Dialektgeographen an der Universität in Wien, Prof. Dr. Eberhard Kranzmayer, die ehemalige Volksinsel sprachlich als „bairischen Außenposten” zu bezeichnen.

Das Angebot der Ortenburger an ihre siedlungswilligen Untertanen lautete für die dama- lige Zeit außerordentlich günstig: Grund und Boden wurden ihnen im Umfange einer bai- rischen Hube, das entspricht etwa 20 ha, überlassen und dazu volle persönliche Bewe-

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12 gungsfreiheit zugesichert. Eigentümer des Bodens im lehensrechtlichen Sinne blieb der Grundherr von Ortenburg.

Mit der Übernahme von Grund und Boden aus seinem Lehensbesitz war es jedoch nicht getan. Der Rodungsbauer unterwarf sich und seine Nachkommen freiwillig, doch weitge- hend unwissentlich, einer Anzahl von naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten und kommen- den, vom Menschen aufgerichteten Abhängigkeiten, die sein Schicksal bestimmen sollten und an denen er selbst nichts ändern konnte.

Von Natur aus unveränderbar war vor allem die geographische Lage auf dem Karsthoch- land in Unterkrain, der heutigen Teilrepublik Slowenien der Volksrepublik Jugoslawien. Das bedeutete für die Urahnen der Gottscheer in alle Zukunft wasserdurchlässigen (Kalk), daher stellenweise ertragsarmen, aber nicht beliebig verfügbaren Boden. Trotz dichten Urwaldbestandes trafen die ersten Siedler auf Wasserarmut und auf ein Klima mit normalerweise kalten, schneereichen Wintern und heißen, trockenen Sommern.

Der Wald, gemeint ist der den Bauern zugewiesene Nutzwald, war ihr Freund, solange sie ihm pfleglich entgegentraten. Gemeinsam mit den nicht gerodeten Herrschaftswäldern milderte er das Klima, legte er sich schützend wie ein weiter, dunkler Mantel um die Blockhütten der Kolonisten und später um die schmucken Dörfer und Weiler. Er speicher- te das notwendigste Wasser und blieb der ständig sich erneuernde Vorratshalter des Hol- zes, der einzigen Energie, die sich damals scheinbar in unbegrenzten Mengen anbot. Mit ihr rang eine andere Energie, die menschliche Arbeitskraft. Ließ sie nach, wurde der Wald den Gottscheern zum Feind. Er ließ sich willig von jeder neuen Generation erobern, so- bald aber eine von ihnen das Roden vergaß oder unterlassen mußte, rückte er unerbitt- lich in das Kulturland vor, um es zurückzuerobern. Er war am Anfang, er wird am Ende stehen.

Die Enge des Lebensraumes, die Ohnmacht der geringen Zahl und die Verkehrsferne wa- ren weitere, den Gottscheern auferlegte Daseinsgrundgesetze. Die Hochlandlage und die Abgeschiedenheit, wie die sprachliche Einheit des Siedlungsgebietes waren die entschei- denden Voraussetzungen für die Ausprägung einer außerordentlich charakteristischen Kleinkultur und deren Sicherung über mehr als 600 Jahre hinweg.

200 Jahre Ausbeutung und zehn räuberische Türkenüberfälle mit schwersten wirtschaftli- chen und bevölkerungspolitischen Folgen im Laufe von 125 Jahren folgten dem Ausster- ben der männlichen Erblinie der Grafen von Ortenburg im Jahre 1418.

Als die stärkste und vernichtende Abhängigkeit erwies sich schließlich die Sprachinsellage inmitten des slowenischen Volkstums in Unterkrain. Das „Gottscheer-Land”, wie die Gott- scheer ihr Siedlungsgebiet gern nannten, war weder von den Kolonisatoren, den Orten- burgern, noch von ihren Kolonisten als eine völkische En klave geplant oder empfunden worden. Der Geschichtsschreiber kann, wenn er bei der historischen Wahrheit bleiben will, auch nicht den Patriarchen von Aquileja, ebensowenig den Habsburgern oder ir- gendeiner anderen Instanz des mittelalterlichen Reiches unterstellen, daß sie in Unter- krain eine machtpolitische Station mit deutschen Menschen errichten wollten. Ohne Zwei- fel fielen dem Süd- und Südostrand Krains bzw. dem Kulpatal eine bestimmte Verteidi- gungsaufgabe zu — die Burgenreihe Kostel, Pölland, Tschernembl und Möttling zeugen davon — die Besiedlung des Ortenburgischen Urwaldlehens geschah jedoch nicht aus militärischen Gründen. Sie war vielmehr die letzte kolonisatorische Großtat eines alten Kärntner Adelsgeschlechts im südlichen Ostalpenvorland. Sie verfolgte rein privatwirt- schaftliche Ziele. Andernfalls wären an den strategisch wichtigen Punkten des Gott- scheerlandes Burgen entstanden.

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Krain war um die Mitte des 14. Jahrhunderts noch gemischtsprachig. An der Ansiedlung des deutschsprachigen Elements waren die Bistümer Freising, Brixen, Gurk, Stift Seckau, eine Anzahl von Adelsgeschlechtern und der deutsche Ritterorden beteiligt. Unter den Grafengeschlechtern befand sich auch jenes der Andechs-Meranier aus Bayern. Besonde- re Beachtung werden im „Jahrhundertbuch” die Hochfreien, Freien, Grafen und Fürsten von Auersperg finden. Von einem Nationalbewußtsein im Sinne des 19. und 20. Jahrhun- derts konnte noch keine Rede sein. Es gab nur Grundherren und mehr oder minder hart gehaltene Untertanen, die allmählich dazu ansetzten, sich als Bauern und Stadtbürger einen Freiheitsraum zu erobern. Deshalb ergab das Nebeneinander von bairisch- österreichischen und windisch-slowenischen Mundarten keine nennenswerten Spannun- gen. Solche gab es nur in der Adelsschicht, der vor allem die Bauern bei Fehden und Kriegen zur Waffentreue verpflichtet waren. Die slowenisch-windische Grundbevölkerung empfand daher die Besiedlung des menschenleeren Urwalds nicht als Eingriff in ihre Le- bensrechte oder ihren Lebensraum, zumal niemand aus seiner angestammten Heimat vertrieben wurde.

Das ungefähre Gleichgewicht zwischen den beiden Bevölkerungsteilen verschob sich wäh- rend des 15. und 16. Jahrhunderts immer mehr zugunsten der Slowenen. Ihr aktives Kulturbewußtsein nahm feste Gestalt jedoch erst nach der Schaffung der slowenischen Schriftsprache durch Primus Truber (1508 bis 1586) an. In eine kämpferische Einstellung gegeneinander wurden sie jedoch erst von der Romantik und dem aus ihr erwachsenen Nationalismus gedrängt. An ihm ging Gottschee zugrunde — eine kleine Variante der Nö- te und Drangsale, die der Mensch dem Menschen seit Menschengedenken auferlegt und die er anspruchsvoll als „Politik” hinstellt. Im Schicksalsablauf der Gottscheer finden wir einige hochpolitische Pointen, die dieses Wort erläutern, etwa die folgende:

Die frühere Sprachinsel Gottschee entstand am Rande der Italienpolitik des Ersten Rei- ches, des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation”. Während des Dritten Reiches aber wurde sie der Italienpolitik Hitlers geopfert und „Heim-ins-Reich” umgesiedelt. — Oder ein anderer Widerspruch in sich:

Die slowenische Führung war nach dem Zusammenbruch österreich-Ungarns im Jahre 1918 nicht bereit, trotz Unterschrift des Vertrages von St. Germain (Minderheitenschutz!) den Gottscheern dieselben Rechte zuzubilligen, wie sie selbst diese während des 19. Jahrhunderts und nach dem Zusammenbruch von 1918 für die Slowenen in Kärnten ge- fordert und erhalten hatte. Sie ging dabei einfach über die geschichtliche Tatsache hin- weg, daß sich in Krain das slowenische und in Kärnten das deutsche Element in jahrhun- dertelangen Entwicklungsreihen durchgesetzt hatte. Nicht nur das. Unmittelbar nach der Errichtung des Jugoslawischen Staates, der sich bei seiner Gründung zunächst „Staat der Serben, Kroaten und Slowenen” (SHS) nannte, setzte dieselbe slowenische Führung ei- nen erbarmungslosen Umvolkungsprozeß an den Gottscheern in Gang.

In dem Kapitel „Das 19. Jahrhundert” baut das „Jahrhundertbuch” das historische Ge- schehen ein in den Gesamtablauf der Veränderungen des Denkens und Lebens in der Kulturwelt während dieses Zeitraumes und berichtet über die Auswirkungen des Fort- schrittglaubens, der Verkehrsentwicklung, der technischen und zivilisatorischen Errun- genschaften und dem tiefgreifenden Einfluß der Anziehungskraft der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Weil das eben auch Gottscheer Geschichte ist, geht dieses Buch Folge- erscheinungen nach, die sich für die eigentümlichen Kulturtraditionen der Gottscheer aus der ständig enger werdenden Berührung mit dem Gesamtvolk ergaben.

Wenn man also der Literatur über Gottschee eine alle Jahrhunderte der Gottscheer Ge- schichte umfassende und somit abschließende Arbeit hinzufügte, so beginge man eine bewußte Geschichtsverfälschung, würde man den letzten Akt der Tragödie, nämlich die Umsiedlung aus dem geschichtlich gewachsenen Siedlungsgebiet in die Untersteiermark,

Gedruckt von http://www.gottschee.at 12 in die Flucht und die Verstreuung über zwei Kontinente ungeschrieben lassen, beschöni- gen oder zurechtbiegen. Trotz der politischen Sprengkraft geht das „Jahrhundertbuch” auch auf das Verhalten der Gottscheer Jugend in den Jahren 1933 bis 1945 ein, ver- schweigt allerdings auch nicht die Untaten der slowenischen Partisanenjugend an den fliehenden Gottscheern. Ebensowenig ist verschwiegen, daß das Dritte Reich rund 37.000 Slowenen aus der Untersteiermark „evakuiert” hat, um für die Gottscheer und für Um- siedler aus anderen deutschen Volksgruppen Platz zu schaffen. Die Gottscheer und ihre Leidensgefährten haben das nicht gewollt, auch nicht herausgefordert.

Schließlich wird derselbe Leser, der mit einer gewissen inneren Beteiligung die Jahrhun- derte der Gottscheer Geschichte durchwandert hat, wissen wollen, was im einzelnen aus den Gottscheern und aus ihrer alten Kulturlandschaft, aus dem „Länchen” geworden ist.

Mit der Flucht ihrer letzten Nachkommen aus der Untersteiermark ging die Suche der Ortenburgischen Kolonisten nach einem freieren, besseren Leben scheinbar im Chaos zu Ende. Sie, die Urgottscheer, waren im 14. Jahrhundert ausgezogen, wie man schlicht zu sagen pflegt, um ihr Glück zu suchen. Sie waren freilich keine abenteuernden Schatzsu- cher im landläufigen Sinn gewesen, als sie aus dem kärntnerisch-tirolischen Grenzgebiet auswanderten. Sie erhofften sich in der neuen Heimat etwas, was zu ihrer Zeit schwerer wog als Gold: Die volle persönliche Bewegungsfreiheit und Heimat auf eigenem Grund und Boden. Gewiß fanden sie beides, doch eingeschränkt durch die harten Lebensbedin- gungen des Karstlandes. Haben vielleicht ihre letzten Nachkommen freiwillig das Erbe aufgegeben oder mutwillig verspielt? Sicher nicht! Sie waren vielmehr selbst Spielball der Politik.

Die Schicksalstragödie der Gottscheer klingt nun in der Republik Österreich, in der Bun- desrepublik Deutschland und in den Weiten Nordamerikas, Südamerikas sowie Australi- ens still und unauffällig aus. Vielleicht sind es noch 25.000, jetzt, in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, da ihr „Jahrhundertbuch” entsteht, buchstäblich die letzten ihres Stammes. Sie haben endlich das freiere, bessere Leben, von dem ihre Urahnen träum- ten, gefunden — in der Verstreuung! Der Preis war das Gottscheerland, ihr Heimatland.

* * *

Noch ein Wort zur Gottschee-Literatur: Das „Jahrhundertbuch” wird dazu einiges zu er- gänzen und richtigzustellen haben. Vor allem soll der Gottscheerin Gerechtigkeit wider- fahren. Wenn wir heute noch von dem einzigartigen Gottscheer Kulturgut sprechen und schreiben können, so ist das überwiegend ihr zu danken. Mit der Fähigkeit der Frau aus- gestattet, das in ihrem Lebenskreis Ererbte und Erworbene zu besitzen, zu mehren und weiterzugeben, war sie doch als Mädchen Erbin, als Mutter und Großmutter aber Erblas- serin des Gottscheer Volkstumsgutes. Die durchgehend männlich betonte Geschichts- schreibung hat diese Tatsache nicht entsprechend gewürdigt.

Das „Jahrhundertbuch der Gottscheer” will zugleich eine Art Abschlußbericht an die Kärntner und Tiroler sein, denn die Gottscheer Geschichte ist in ihrem Ursprung Kärntner und Tiroler Geschichte. Verfaßt hat ihn ein gebürtiger Gottscheer außerdem in der Ab- sicht, seinen Landsleuten gleichsam eine Gedächtnisstütze zu geben für die Erinnerung an das Geschehen während langer Zeiten, das unbewußt in ihnen weiterlebt und das be- wußte Erleben der letzten Jahrzehnte erneuern und ordnen hilft. Das Buch soll aber auch eine Gabe sein an jene Österreicher und Deutschen, namentlich unter den Bayern und Württembergern, die es zur Kenntnis nehmen wollen, weil sie das Gottscheerland kann- ten, als es noch bestand.

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Kleine Landeskunde

Für Leser, die mit dem Wort Gottschee noch keine politisch-geographischen Begriffe ver- binden, folgt nun eine kleine Landeskunde des „Ländchens”. Bitte orientieren Sie sich an Hand der im Anhang beigefügten Kartenskizze über seine Lage zum Adriatischen Meer, zu den Ostalpen und der Republik Österreich, sowie innerhalb der Teilrepublik Slowenien und der Volksrepublik Jugoslawien. Im damaligen Königreich Jugoslawien lebten bis 1941 rund 600.000 . Sie waren in ihrer Masse im jugoslawischen Teil des Donau- raumes, genauer im Banat und in der Batschka beheimatet. Sie bezeichneten sich als „Donauschwaben”, weil ihre Vorfahren während der Regierungszeit Maria Theresias (1740 bis 1780) in den Sumpfniederungen Südungarns angesiedelt worden waren.

Die jugoslawische Teilrepublik „Slowenien” besteht in ihrer heutigen Verfassung erst seit 1945. Ihre Vorläuferin war die „Drau-Banovina” (Dravska-Banovina), die 1918/19 aus dem habsburgischen Kronland und Herzogtum Krain und der Untersteiermark gebildet worden war. Das alte Krain mit der Landeshauptstadt Laibach, slowenisch Ljubljana ge- nannt, zerfiel in der deutschen Ausdrucksweise in Ober- und Unterkrain Die Grenze bilde- te die Save. Weitere Landschaftsbezeichnungen, die in dem vorliegenden Buch vorkom- men, sind im Westen Innerkrain, im Osten die „Windische Mark”.

Landesgeschichtlich rufen wir uns in Erinnerung, daß im April 1941 das Königreich Jugo- slawien von der Deutschen Wehrmacht mit einem Blitzkrieg militärisch niedergerungen und am 20. April 1941 politisch aufgeteilt wurde. Unterkrain mit der Sprachinsel Gott- schee und die Region Laibach fielen an Italien, Oberkrain wurde zum Gau Kärnten ge- schlagen und die Untersteiermark dem Gau Steiermark an- bzw. zurückgegliedert. Ver- waltungssitz der Untersteiermark war MVlarburg an der Drau (slowenisch ) von Oberkrain aber Radmannsdorf.

Diese Neuordnung des südlichen Voralpenlandes bis zur Kulpa brachte den Gottscheern — und nicht nur ihnen — eine starke moralische Belastung und viel politischen Zündstoff. Als sie im Winter 1941/42 unter denkbar schwierigen klimatischen und verkehrsmäßigen Umständen ihr „Ländchen” aufgeben mußten, hinterließen sie eine ungemein reizvolle Landschaft. Ihr Siedlungsgebiet umfaßte etwa 840 bis 860 km2. Dies entspricht dem Ge- samtareal der fünf Kleinststaaten Europas: Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino und Vatikanstaat oder Groß-Berlin, als es noch Reichshauptstadt war, oder der zehnfa- chen Oberfläche des Chiem¬sees in Oberbayern, oder es war rund ein Drittel größer als der Bodensee und entsprach etwa ein Zwölftel des österreichischen Bundeslandes Kärn- ten.

Das frühere Siedlungsgebiet der Gottscheer besitzt ausgesprochenen Hochlandcharakter und gliedert sich in mehrere charakteristische Teillandschaften unterschiedlicher Größe. Sie treten auf der beigefügten Karte deutlich hervor:

Das westlichste, das „Suchener Hochtal”, ist durch das Rieg-Göttenitzer Bergland (höch- ste Erhebung ist der „Schneewitz” mit 1289 m) gegen das breit hingelagerte, anmutige Hinterland abgeriegelt. Das „Suchener Hochtal”, auch Suchener Becken oder Mulde ge- nannt, liegt im Durchschnitt 760 m über dem Meer. Der Hauptort des Hinterlandes, Rieg, trug marktähnliche Züge. Er gehörte zu den alten Besiedlungsmittelpunkten. Den näch- sten, in der Hauptrichtung der Hochlandgliederung verstreichenden Riegel, bildet der Friedrichsteiner Wald, höchste Erhebung 1068 m. Er fällt gegen das Hauptbecken, das „Oberland”, steil ab. Dieses bildet eine breite, flache Wanne, von der sich das Unterland durch eine vielgestaltige Ausformung der Landschaft stark unterscheidet. Infolge seiner

Gedruckt von http://www.gottschee.at 14 verkehrsmäßigen Durchlässigkeit und guter Böden war das Oberland als Hauptbesied- lungsgebiet von der Natur geradezu vorbestimmt. Es beherbergte gleich drei Besied- lungsmittelpunkte: Vom Norden nach Süden Mitterdorf, Gottschee-Stadt und Obermösel. Entwässert wird es von dem einzigen Fluß im Hochlandinnern, der „Rinse”, ein typisches Karstgewässer, das unterhalb des Schweineberges an der Sprachinselgrenze entspringt und nach ihrem oberirdischen Lauf in Sauglöchern unterhalb von Obermösel im Boden verschwindet.

Das „Unterland” setzt sich zusammen aus einer Unzahl von Bergrücken und Plateaus mit Höhenunterschieden von 0 bis 400 m über der durchschnittlichen Seehöhe des Hochlan- des. Sein Mittelpunkt war seit dem 14. Jahrhundert Nesseltal als Besiedlungsmittelpunkt, Pfarrdorf, später als Gemeinde- und Schulort. Wie Rieg und Obermösel verfügte es über mehrere Geschäfte, Handwerksbetriebe und Gasthöfe.

Die östliche, kleinere Hälfte des Hochlandes von Gottschee wird beherrscht vom Horn- wald-Massiv (1100 m Seehöhe). Dieser Wald, dessen höhere Region sich bis zur Enteig- nung im Besitz der Fürsten von Auersperg befand, zählte und zählt heute noch bzw. wie- der zu den in Europa noch vorhandenen Urwäldern, in denen Bär und Luchs, zu Zeiten auch der Wolf, noch paradiesisch leben.

Um den inneren Gebirgsstock des Hornwaldes lagen — von tiefen Wäldern umgeben — die Dörfer und Weiler der früheren drei Gemeinden Pöllandl, Tschermoschnitz und Stok- kendorf, die der Volksmund seit jeher mit der Landschaftsbezeichnung „Moschnitze”, mundartlich abgekürzt „Moscha” zusammengefaßt hat. Tschermoschnitz war der Mittel- punkt der größten Gemeinde des Gottscheerlandes, mit Pöllandl eine der ältesten Sied- lungen und Besiedlungsmittelpunkt. — Die östliche Grenze des Gottscheerlandes bildete der „Wildbach”, der, ganzjährig fließend, sein Tal zur Gurk entwässert. Das deutsche Siedlungsgebiet griff nur an einer Stelle, bei Reuter, über den Bachlauf hinaus.

An seinem Südostrand hatte das „Ländchen” noch Anteil an dem Weinbaugebiet, das für den Binnen-Gottscheer mit dem Ortsnamen Maierle umschrieben war. Bis zu einer ver- kehrsmäßig noch tragbaren Entfernung kelterten dort neben der ortsansässigen Bevölke- rung auch Bauern des Unterlandes und der Moschnitze ihren „Maierler”, einen bekömmli- chen, leicht säuerlich-fruchtigen Rotwein.

Insgesamt bestand das Siedlungsgebiet der Gottscheer bei ihrer Umsiedlung aus 171 deutschen Dörfern und Weilern, sowie aus der Stadt Gottschee. Diese wies bereits 1921 über 50% slowenische Einwohner auf. Die kleineren Dörfer waren meistens rein deutsch. In den größeren hatten sich im Laufe der Zeit einige Slowenen niedergelassen (siehe Ortsnamenverzeichnis). Sie wurden bis zur Gründung des jugoslawischen Staates im Jah- re 1918 im Allgemeinen problemlos in die Dorfgemeinschaft eingefügt.

Die Anlage der Dörfer richtete sich nach dem Gelände. In den Tallagen herrschten die Straßen- und Haufendörfer vor. Der größte Teil der früheren Gottscheer Siedlungen ist den Kämpfen zwischen den jugoslawischen Partisanen und der italienischen Besatzungstruppe in den Jahren 1941 bis 1943 zum Opfer gefallen. Die von den Gottscheern in Jahrhunderten aufgebaute und gepflegte Kulturlandschaft existiert nicht mehr. Was aus ihr geworden ist, behandelt das Schlußkapitel.

Am Ende steht der Wald.

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11. bis 13. Jahrhundert

Die Geschichte des Gottscheerlandes ist zwar nicht bedeutend, in ihrem Ursprung jedoch eindeutig ein Kapitel Kärntner und Tiroler Geschichte. Das feine historische Wurzelge- flecht, aus dem die ehemalige Sprachinsel Gottschee in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts erwachsen sollte, gedieh vor allem auf dem Boden des mittelalterlichen Reichslehens und Herzogtums Kärnten. Zu ihm gehörte die Krainische Mark, das spätere Herzogtum und Kronland Krain der österreichisch-ungarischen Monarchie. Niemand ver- mochte im 11. Jahrhundert vorauszusagen oder auch nur zu ahnen, daß es sie einmal geben würde, das Herzogtum Krain und die vom sloweni-schen Volkstum umschlossene deutsche Volksinsel Gottschee.Die spätere Sprachinsel im Karst entstand vielmehr am Ende einer schier unübersehbaren Kette von Zuständen und Zufällen, Entwicklungen und Entscheidungen auf der politischen Ebene. Sie verflochten sich, wiederum zufällig, wäh- rend eines bestimmten und kurzen Zeitraumes zu einem Knoten: zu dem größten, aber auch letzten Siedlungsunternehmen eines Kärntner Adelsgeschlechts im südlichen Ostal- penvorland. Wäre auch nur ein einziges Glied nicht in diese Kette eingefügt worden, hät- te das Wort "Gottschee" nie auf einer krainischen Landkarte gestanden. Versuchen wir nun, die teilweise verschütteten Kettenglieder an das Tageslicht der Geschichtsschrei- bung zu heben und sie in der richtigen Reihenfolge neu zusammenzufügen.

Um das Jahr 1070 erschien auf der politischen Bühne Kärntens ein Adelsgeschlecht, das sich "von Ortenburg" nannte und den Titel reichsfreier Grafen führte. Seine Abstammung war bis tief in das 20. Jahrhundert umstritten. Die Genealogen glaubten, daß die Orten- burger gleichen Ursprungs seien wie die Kärntner Herzöge aus dem Hause der Spanhei- mer, die von 1122 bis 1269 den Herzogshut trugen. Sie mußten nach dieser Theorie nicht nur die gleiche Ahnenreihe besitzen wie die Grafen von Ortenburg in Kärnten, son- dern auch wie das Geschlecht gleichen Namens in Bayern. Diese aus dem 19. Jahrhun- dert stammende Ansicht ist durch die Forschungen des Genealogen Dr. Camillo Trottar überholt. Auf ihn beruft sich auch der ehemalige Regensburger Domkapitular Dr. E. Graf von Ortenburg-Trambach in seinem zweibändigen Werk:"Geschichte des herzoglichen, reichsständischen und gräflichen Gesamthauses Ortenburg", das sich auf die bayerischen Ortenburger bezieht. In einem Anhang führt er jedoch zur Abstammung der Grafen von Ortenburg in Kärnten unter anderem aus: "Die Herkunft dieser Ortenburger, die nach Jaksch (Geschichte Kärntens) im Jahre 1142 als Grafen erschienen, deren Anfänge sich aber bis in das Jahr 1070 zurückführen lassen, lag bis in die neueste Zeit im Dunkeln. Huschberg hält diese Ortenburger für nachgeborene Söhne Spanheimer Herzöge, was schon deshalb nicht richtig sein kann, weil dieses Geschlecht, noch bevor die Spanheimer die Herzogwürde in Kärnten erhielten, urkundlich erscheint. Andere Autoren, wie Tangi in seiner "Geschichte der Grafen von Ortenburg in Kärnten", sehen in dem urkundlich 1058 erscheinenden "Friderikus, filius comites epponis" den Stammvater der Grafen von Or- tenburg in Kärnten und Bayern. Erst den Forschungen des anerkannten, gewiegten und gründlichen Genealogen, Dr. Camillo Trottar, verdanken wir volle Klarheit über die Ab- stammung der Grafen von Ortenburg in Karaten sowie den unumstößlichen Nachweis, daß von einer Stammesgleichheit der im 15. Jahrhundert ausgestorbenen Grafen von Ortenburg in Kärnten mit den von Spanheimer Herzögen abstammenden Grafen von Or- tenburg (richtiger: "Ortenberg") in Bayern keine Rede sein kann.

Dr. Graf von Ortenburg-Trambach teilt ferner mit, daß im Traditionsbuch des Stiftes St. Castulus in Moosburg/Oberbayern, wenige Kilometer von dem 739 gegründeten Bischof- sitz Freising entfernt, ein "Dominus Adalbertus de Carinthiae, also ein Herr Adalbert aus Kärnten, Sohn des Freisinger Vogtes", erscheint. Der Vogt, im damaligen Sprachge-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 16 brauch auch "Vizedom" und "Vizedominus" genannt, verwaltete die Lehen des Bistums Freising am Lurnfeld als Freisinger Vizedom. "Da nun überdies dieser Adalbert von Or- tenburg in einem Privileg Kaiser Heinrichs IV. für das Stift St. Lambrecht, dd. Verone 1096 als Freisinger Vogt bezeichnet wird, kann kein Zweifel sein, daß der in den Urkun- den von 1093 und 1096 als Adalbert de Hortenburg (Ortenburg) Genannte, mit dem im Traditionsbuch des Stiftes von St. Castulus genannten Freisinger Vizedom Adalbert ein und dieselbe Person ist. Dank der Feststellungen Trotters wissen wir nun auch, daß die- ser Vizedom, d. i. Vogt, zwei Söhne hatte, Adalbert und Otto. Wir haben in diesem Otto, der zweifellos bayerischer Herkunft ist, den Stammvater der Grafen von Ortenburg zu sehen."

Wir brechen daher nichts über das Knie, wenn wir die Abstammung der Grafen von Or- tenburg auf folgende Kurzformel bringen: Die Grafen von Ortenburg in Kärnten stammen aus Bayern und die bayerischen Grafen von Ortenburg aus Kärnten.

Diese kleine genealogische Studie war zweckmäßig, um Verwechslungen vorzubeugen. Damit ist klargestellt, daß nur die Grafen von Ortenburg in Kärnten die spätere Sprachin- sel Gottschee kolonisiert haben konnten. Obwohl sie reichsfreie Grafen waren, konnten auch sie nicht irgendwo nach Belieben über bebaubares Land verfügen. Aller Grund und Boden gehörte ja dem gewählten deutschen König. Dieser gab ihn dem Adel, den Bischö- fen, Klöstern, Abteien und Stiften "zu Lehen". Allgemein gesagt befand sich demgemäß aller Grund und Boden samt den darauf lebenden Untertanen in den Händen des Adels und der Kirche.

Die unmittelbaren Lehensträger des Königs waren berechtigt, ihre Lehen an niedere A- delsgeschlechter weiterzugeben. "Lehen" bedeutete in jedem Fall Abgaben. "Zu Lehen" konnten auch andere abgabenträchtige Einkünfte vergeben werden, wie Mauten, Zölle, das Münzrecht usw.

Wie wir bereits in der Einführung feststellten, hatten die Grafen von Ortenburg in Kärnten ihre Lehenschaften in Unterkrain aus den Händen der Patriarchen von Aquileja empfan- gen. Diese selbst waren unmittelbare Lehensempfänger des Königs, der zugleich ja Kai- ser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war. Wir könnten es bei dieser Feststellung bewenden lassen, und sogleich mit dem Siedlungsunternehmen beginnen. Das hat auch die bisherige Geschichtsschreibung über Gottschee getan. Deshalb wissen die Gottscheer immer noch nicht genau, wann und von welchem Patriarchen die Orten- burger ihre Lehenschaften in Unterkrain erhielten und ob der Urwald, auf dem ihre Vor- fahren angesiedelt wurden, schon damals dazugehörte. Die Belehnung der Grafen aus Kärnten durch die Patriarchen, ihr 350 Jahre andauerndes Schutz- und Trutzbündnis und das auf den menschlichen und moralischen Qualitäten Ortenburgs fußende Treueverhält- nis zu dem hohen Kirchenfürsten waren die unabdingbaren Voraussetzungen für das Ent- stehen des Gottscheerlandes.

Bevor wir dem ersten Ortenburger nach Unterkrain folgen, empfiehlt es sich, einen Streifzug durch die Geschichte des Patriarchats von Aquileja zu unternehmen. Das Bi- stum Aquileja wurde wahrscheinlich bereits im zweiten nachchristlichen Jahrhundert durch den hl. Hermagoras gegründet. Die Stadt Aquileja, damals noch Hafenstadt, an der oberen Adria zwischen Triest und Venedig gelegen, war ursprünglich ein militärischer Stützpunkt der Römer. Die Bischöfe von Aquileja legten sich aus eigener Machtvollkom- menheit im Jahre 568 den Patriarchentitel zu. Als zu Beginn des 6. Jahrhunderts - nach dem Abzug der Römer - slawische Stämme in den Ostalpenraum und in das Gebiet des heutigen Slowenien einzusickern begannen, erhielt Aquileja den Auftrag, sie zu christiani- sieren. Damit wurde die an diesen Namen gebundene Kirchenprovinz beträchtlich nach Osten erweitert und erstreckte sich unter anderem nun über weite Teile des Ostalpen- raumes und seines Vorgeländes, auch des späteren Herzogtums Krain und der "Windi-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 17 schen Mark". Der Patriarch, zum Erzbischof erhoben, war zugleich Landesherr eines Staatswesens, des "Patriarchenstaates". Als solcher führte er von Reichs wegen den Titel eines Herzogs von Friaul und eines Reichsfürsten in Italien. Seine Machtposition war ver- knüpft mit dem jeweiligen Stand der Auseinandersetzungen zwischen den Kaisern und den Päpsten.

Er nahm in Oberitalien eine Schlüsselstellung ein. Beide Parteien waren daran interes- siert, auf dem Stuhl des heiligen Hermagoras Männer zu wissen, deren sie sicher sein konnten. Nach vorausgegangenen Abmachungen zwischen Kaisern und Päpsten berief der Kaiser den Patriarchen, während der Papst ihm die "Konfirmation", d. h. die Bestäti- gung als Erzbischof, erteilte. Solange der Kaiser das Recht besaß, die Bischöfe allenthal- ten in Deutschland einzusetzen, regierten in Aquileja deutsche Grafen.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang für unser Thema das Jahr 811. Im Jahre 739 hatte der hl. Bonifazius die Bistümer Freising/Oberbayern und Salzburg gegründet. 789 setzte Karl der Große beim Vatikan die Erhebung des Bistums Salzburg zum Erzbi- stum durch. Salzburg begann im großen Stil den Ostalpenraum zu kolonisieren. Der Erz- bischof - Patriarch in Aquileja - sah dadurch seine Interessensphäre angegriffen. Es kam zu Streitigkeiten, Eifersüchteleien und kriegerischen Auseinandersetzungen. Karl der Große machte dem 811 ein Ende, indem er die Drau als Demarkationslinie zwischen den beiden streithaften Erzbistümern bestimmte. Die Drau wurde dadurch auch zur Sprach- grenze.

1075 brach der "Investiturstreit", der Streit um die Einsetzung der Bischöfe, offen aus. Papst Gregor VII. verbot die Einsetzung von Bischöfen durch Laien. Damit wollte er in erster Linie Kaiser Heinrich IV. (1056 bis 1106) treffen, denn dieser war, kirchenrechtlich gesehen, ja Laie. Heinrich IV. stattete im Gegenzug die Bischöfe durch Lehenshergabe mit noch größerer, weltlicher Macht aus, um sie stärker an das Reich und an seine Person zu binden. Insbesondere stattete er den Patriarchen von Aquileja mit weltlichen Lehen in Krain aus. Die Mark Krain gehörte inzwischen als weitgehend selbständige Verwaltungs- einheit zu Karaten. Da eben eine sedisvacanz bestand, tat der Kaiser ein übriges und ernannte 1077 einen Mann seines persönlichen Vertrauens, seinen Kanzler Sieghard, zum Patriarchen.

Inzwischen hatte auch das Bistum Freising im östlichen Krain zu siedeln begonnen und sich durch die Gewinnung des Klosters Innichen als Eigenkloster im Pustertal einen kolo- nisatorischen Mittelpunkt geschaffen, von dem aus die Bischöfe immer neue Kolonisten in ihre Krainischen Lehensgebiete entsandten.

Zurück zu den Grafen von Ortenburg.

Ihre enge Anlehnung an die Patriarchen von Aquileja muß bereits im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts erfolgt sein. Dafür spricht unter anderem die Mitteilung von Türk auf Seite 9 seines Buches über die Stadt Spittal an der Drau, daß die Stammburg der Grafen von Ortenburg im Jahre 1093 bereits fertiggestellt war. Sie stand, was heute noch die Ruinen bezeugen, südlich der Drau bei Baldramsdorf, also eindeutig auf aquilejischem Interessensgebiet. Wann die Belehnung der Ortenburger mit den Lehenschaften am Lurn- feld, bzw. wann ihre Erhebung in den Grafenstand erfolgt ist, läßt sich beim heutigen Stand der Forschung nicht eindeutig feststellen. Jedenfalls findet man in den Regesten der Regierungszeit Kaiser Heinrichs IV. darüber keine Anhaltspunkte. - Wir sind damit auch zu der Frage zurückgekehrt, wann welcher Patriarch den Grafen von Ortenburg die Lehen in Unterkrain übertragen hat. Die Antwort gibt das Patriarchenverzeichnis von Kle-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 18 bel (siehe Carinthia I, Jahrgang 153, Seite 325). Es führt in dem oben abgegrenzten Zeitraum folgende Patriarchennamen auf:

1086 bis 1121 Ulrich I., vermutlich ein Graf von Treffen, 1130 bis 1132 Ulrich Graf von Ortenburg, erwählt "vor dem 30. Mai 1130", vom Papst als Patriarch bzw. Erzbischof jedoch nicht konfir- miert, 1132 bis 1161 Peregrin I., Herzogsohn aus dem Hause Spanheim, 1161 bis 1182 Ulrich II., Graf von Treffen, 1191 bis 1204 Peregrin II., nach Klebel vielleicht ein Neffe Peregrins I.

Die Schlüsselfigur in dieser Reihe ist ohne jeden Zweifel Graf Ulrich von Ortenburg. Er wurde von dem zuständigen Gremium rechtens zum Staatsoberhaupt des Patriarchen- staates gewählt und war damit zum Patriarchen vorgeschlagen. Da ihm jedoch der Heili- ge Stuhl, d. h. das Kardinalskollegium, die Konformation versagte, mußte er gemäß der Verfassung auch als Landesherr zurücktreten. Die eigentlichen Gründe für das Verhalten des Vatikans sind nicht mehr ganz aufzuhellen. Vermutlich war Ulrich den alten Herren in Rom an Jahren zu jung und in den priesterlichen Weihen noch nicht fortgeschritten ge- nug. Dennoch blieb er als Staatsoberhaupt bis zur Wahl seines Nachfolgers voll hand- lungsfähig und konnte Entscheidungen nach seinem Dafürhalten treffen. Ulrich von Or- tenburg hatte demgemäß annähernd zwei Jahre Zeit, den Wohlstand seines Hauses durch die Verleihung neuer Güter in Unterkrain zu mehren. Zwar existiert in der bisher zugänglichen Literatur keine Urkunde, wann er die Belehnung ausgesprochen hat, doch ein späteres familiäres Ereignis unterstützt die eben festgelegte logische Folgerung und läßt die Fixierung auf das Jahr 1131 zu:

Im Jahre 1140 heiratete der uns bereits bekannte Graf Otto I. von Ortenburg die Au- ersperg-Tochter Agnes. Wir nehmen das Jahr 1140 zunächst nur zur Kenntnis, um rasch die nähere Bekanntschaft mit dem Hause Auersperg nachzuholen. Umfassende Auskünfte über dieses Geschlecht gibt der in der Gottscheer Literatur bisher kaum bekannte Biblio- thekar Franz Xaver Richter, der 1830 in dem Wiener "Neuen Archiv für Geschichte, Staa- tenkunde, Literatur und Kunst" eine 19 Beiträge umfassende Arbeit über die Fürsten und Grafen von Auersperg veröffentlichte. Er stützt sich dabei laut Untertitel auf die bis dahin noch nicht publizierten Unterlagen. Die Auersperger tauchten, aus Schwaben kommend, als "Freie" aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im 10. Jahrhundert in Krain auf. Sie nannten sich "Ursperg". Gesichert ist der Name des Stammvaters Adolph. Er starb um 1060. Eine zweite Linie der Auersperg ließ sich etwa zur gleichen Zeit in Friaul nieder. Dort brachten sie mehrere neue Geschlechter, die sich italienische Namen zulegten, her- vor. Trotzdem blieb die Familienbindung mit der krainischen Linie erhalten. Beide Grup- pen traten in der Landespolitik hervor. In Friaul gewann den größten Einfluß am Patriar- chenhof bzw. im Parlament des Patriarchenstaates die Familie Cucagna. In Krain gelang- ten die Auersperger durch enge Anlehnung an das Kärntner Herzoghaus rasch zu Anse- hen und Einfluß. Sie wirkten vor allem als Ministerialen, d. h. als Beamte am herzoglichen Hof. Sie wurden sehr bald Erblandkämmerer und Erblandmarschälle. Adolfs Söhne Kon- rad I. und Peregrin I. - nicht zu verwechseln mit dem Patriarchen Peregrin II. - bauten die Stammveste ihres Hauses in der Nähe von Reifnitz, die unter der Bezeichnung "Ober- haus" in die krainische Geschichte eingehen sollte.

In der Zeit, in der wir uns eben bewegen, waren die Auersperger erst "Hochfreie", obwohl sie bereits die aufgeführten hohen Ämter ausübten. Trotzdem gelang es ihnen nicht, in den höheren Geburtsadel aufzusteigen. Hingegen verstanden sie es ausgezeichnet, sich mit hohen und höchsten Adelsgeschlechtern zu verschwägern - so auch mit den Grafen

Gedruckt von http://www.gottschee.at 19 von Ortenburg. Beide Geschlechter hatten nüchterne Gründe für das Zustandekommen der Ehe, die dann nicht ganz glücklich verlief. Die Ortenburger waren bei der Inbesitz- nahme ihrer Lehen in Unterkrain unvermittelt Nachbarn der Auersperger geworden. Die Nachbarschaft bedeutete in jener Zeit jedoch keineswegs ein friedfertiges risikoloses Ne- beneinander. Man trug selbst kleine Meinungsverschiedenheiten mit Privatkriegen, den "Fehden", aus. Verwandtschaft schloß diese oft sehr blutig verlaufenden Auseinanderet- zungen nicht aus. Die klugen Ortenburger wollten sich mit Agnes ein Stück krainische Bodenständigkeit erheiraten, denn in den Augen des altansässigen Adels waren sie ja "Zugereiste". Die Auersperger aber sahen in dieser Heirat einen weiteren Gewinn an Standesehre, also eine Prestigeangelegenheit.

Der Ehe zwischen Otto und Agnes entsprossen drei Söhne und zwei Töchter. Der Zweit- geborene, Otto II., wurde zum Fortpflanzer seines Geschlechts. Er war es auch, der etwa um 1165 die erste, hitzige Fehde mit seiner Verwandtschaft, den Auerspergern, vom Zaune brach. 1160 war der Vater seiner Mutter Agnes gestorben. Eben diese Agnes ver- langte nun von ihrer Sippe die Herausgabe des väterlichen Erbes. Es wurde ihr verwei- gert. Da friedliche Verhandlungen ergebnislos blieben, überfiel Otto das "Oberhaus" und zerstörte es teilweise. (Siehe F. X. Richter, Seite 618.) Otto von Ortenburg stützte sich bei diesem Privatkrieg auf Burg Ortenegg. Sie stand wenige Kilometer südlich des "Ober- hauses" und ebenfalls unweit von Reifnitz, wo die für ganz Unterkrain zuständige Groß- pfarre der Patriarchen von Aquileja untergebracht war. Die Veste der Grafen aus Karaten lag auf einem leicht zu verteidigenden Bergrücken. Jene Mauerreste waren zu Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts noch zu sehen. Die Bezeichnung Ortenegg schließt von vornherein aus, daß ein anderer als ein Ortenburger die befestigte Anlage gebaut oder - was auszuschließen ist - eine bereits vorhandene Burg mit diesem Namen verse- hen haben könnte. In beiden Fällen ist erwiesen, daß die Grafen von Ortenburg nach dem damaligen Lehensrecht über Burg Ortenegg verfügen konnten. Niemand durfte jedoch auf Grund und Boden, der ihm nicht gehörte, bzw. zu Lehen gegeben war, Bauwerke er- richten oder eigenmächtig in Besitz nehmen. Tat er es dennoch, so gehörte schon damals das errichtete Bauwerk dem Besitzer des Bodens. Niemand durfte auch auf Grund und Boden siedeln, der ihm nicht zustand. Außerdem: Da die Errichtung eines Bauwerkes dieser Größenordnung Jahre beanspruchte, mußten die Grafen von Orten-burg die Rechte auf das Baugelände von Ortenegg bereits Jahre vorher empfangen haben.

Wenn man ausschließt, daß Graf Ulrich von Ortenburg nach seiner Wahl zum Oberhaupt des Patriarchenstaates zum Lehensherrn seiner Verwandten wurde, kann dies nur sein Nachfolger Peregrin I., der Herzogsohn aus Karaten, gewesen sein. Der Zeitpunkt der Lehensvergabe hätte sich dadurch nur geringfügig verschoben. Ein Umstand läßt sich mangels urkundlichen Nachweises allerdings nicht schlüssig klären: Befand sich der Ur- wald zwischen Reifnitz und Kulpa, das spätere Siedlungsgebiet der Gottscheer, bereits bei den ursprünglichen Lehenschaften der Ortenburger In Unterkrain? Wahrscheinlich nicht. Sicher wissen wir nur soviel, daß er eine "Zugehörung" von Reifnitz war. Darüber wird noch in weiterer Behandlung des 13. Jahrhunderts zu sprechen sein.

Das 12. Jahrhundert können wir nicht verlassen, ohne einer ortenburgischen Stadtgrün- dung, die allerdings erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Gottscheer Bedeutung erlangte, zu gedenken: Spittal an der Drau, Mittelpunkt Oberkärntens. Sie erfolgte mit der Stiftung eines "Spittels" für die Armen und Hilfsbedürftigen. Türk überlie- fert das Ereignis wie folgt:

"Am Gründungstag, dem 11. April, hat Erzbischof Albert (von Salzburg, Anmerkung des Verfassers) in Gegenwart vieler hervorragender weltlicher und geistlicher Personen eine Urkunde ausgestellt, worin verkündet wird, daß die Grafen von Ortenburg, Erzpriester Hermann und Otto II. (Söhne Ottos I.), zu ihrem Seelenheile eine Kapelle mit einem Spi-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 20 tale auf eigenem Grund, in proprio fundo, erbaut und dieses mit Gütern zum Besten der Armen ausgestattet haben." - Das Schlüsselwort dieser Urkunde lautet: Seelenheil:

Das 13. Jahrhundert, dem wir uns nun zuwenden, ist ein Zeitraum weiteren Niedergan- ges des Reiches nach innen und außen, der Selbstzerflelschung des Adels, des Heran- wachsens der Städte, in denen die Bürger regieren und neue Maßstäbe setzen. Handel und Wandel blühen und die Raubritter schmarotzen an den Erfolgen des Bürgerfleißes. Die Kirche richtet das Denken der Gläubigen vollends auf das Jenseits. Sie verspricht al- len Schichten des Volkes alle Freuden des Ewigen Lebens, wenn sie nur auf Erden gute Werke tun. Dome, Pfarrkirchen, Stifte und Stiftungen entstehen in großer Zahl, der him- melanstrebende gotische Kirchturm ist der beredtste Ausdruck der inneren Haltung. Die Klöster füllen sich mit Adeligen, Mönchen und Nonnen, die Kreuzzüge verzeichnen stärk- sten Zulauf. Die allgemeine Frömmigkeit wächst ins Ungemessene. Dennoch überwiegen die schlechten Werke auf Erden.

Die Grafen von Ortenburg sind allerdings in dieser Hinsicht nicht ganz Kinder ihrer Zeit. Auch sie stiften zwar zahlreiche sakrale Einrichtungen, namentlich in Krain, sie beteiligen sich jedoch kaum an Fehden. Die beiden hervorragendsten Gestalten des 13. Jahrhun- derts aus dem Hause Ortenburg, Friedrich I. und Friedrich II., genießen vielmehr den Ruf erfolgreicher und uneigennütziger Friedensstifter.

Die schweren inneren Zerwürfnisse innerhalb der Adelsschicht führen schließlich zum "Interregnum", der "kaiserlosen, schrecklichen Zeit". Sie dauert von 1254 bis 1273. In diesen knapp 20 Jahren gab es zwar deutsche Könige, aber keine wirkliche Führung des Reiches. Gesetzlosigkeit und Geistesverwirrung beherrschten das Land.

Mit dem Niedergang des Adels und seiner Feudalherrschaft gewinnt der Bauer in doppel- tem Sinn an Boden. Zwar mußte jedermann auch noch gegen Ende des Jahrhunderts einen Herrn haben, aber das Verhältnis der Landbevölkerung zu den Grundherren hat sich gewandelt. Der Bauer ist aus der bedingungslosen Abhängigkeit herausgetreten, vertragsfähig, also Vertragspartner seines Herrn geworden. Der Ausdruck "Holde" für den Bauern wird gebräuchlich und in die Wirklichkeit übertragen. In seinem tiefsten Sinn be- deutet dieses Wort das gegenseitige Holdsein, das heißt, das bis dahin nur in der Adels- schicht übliche Schutz- und Trutzbündnis wird abgewandelt auf das Verhältnis zwischen Herr und Untertan übertragen. Der Grundherr ist verpflichtet, seine Bauern zu schützen, diese hingegen haben bestimmte Abgaben und Leistungen zu erbringen, insbesondere den Kriegsdienst, sobald sie dazu aufgerufen werden. Die Schollenflucht, die zeitweilig mit dem Anwachsen der Städte geradezu einer Landflucht gleichkam, wird nicht mehr mit der früheren Strenge geahndet zumal es immer schwieriger geworden war, die Flüchtigen aufzuspüren. Mit der Anhebung ihres Standes auf die Ebene der Vertragsfähigkeit stieg begreiflicherweise das Selbstbewußtsein der Bauern. Da und dort erhob sich Widerstand gegen Grundherren, die ihren Bauern noch mit der überlieferten Strenge begegneten.

Doch holen wir nun aus der Fülle der Ereignisse des 13. Jahrhunderts gleichsam die Ket- tenglieder heraus, die für das Entstehen des Gottscheerlandes unerläßlich waren: Mit dem Niedergang des Reiches sank auch der Stern Aquilejas. Venedig war zur wirtschaftli- chen und militärischen Großmacht emporgewachsen, und die Patriarchen fühlten sich bedrängt und wichen zu Beginn des Jahrhunderts nach Udine aus, wo ihr Palais heute noch zu sehen ist. Kaiser Friedrich II. (er regierte von 1212 bis 1250) verzichtete für sich und seine Nachfolger endgültig auf die Mitwirkung bei der Einsetzung von Bischöfen. Schon 1251, nach dem Tode des letzten deutschstämmigen Patriarchen, Berthold von Andechs-Meran (1208 bis 1251), setzte der Papst einen Italiener zu dessen Nachfolger ein.

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Mit dem Namen des vorläufig letzten deutschen Patriarchen ist ein entscheidendes Ereig- nis verbunden: Patriarch Berthold belehnte die Grafen von Ortenburg 1247 mit Reifnitz und seinen Zugehörungen, zu denen auch der Urwald, das spätere Siedlungsgebiet der Gottscheer, zählte. Die Auersperger hatten aus hier unwesentlichen Gründen darauf ver- zichtet. Im gleichen Zuge wurde den Ortenburgern Schloß Zobelsberg als Feudallehen zugesprochen. Reifnitz taucht als Lehen der Ortenburger im übrigen in dem Teilungsver- trag zwischen Graf Friedrich II. und seinem Bruder Heinrich erneut auf. Damit ist erwie- sen, daß die Kärntner Grafen von Ortenburg spätestens 1247 wußten, daß ihnen von sei- ten der Patriarchen die Erschließung des Urwaldes in Unterkrain durch Besiedlung zuge- dacht war. Es sollte aber immer noch fast drei Menschenalter dauern, bis seine deutsche Kolonisation energisch in Angriff genommen wurde.

Die lange Verzögerung entstand hauptsächlich durch die Entwicklung der großen Politik. Erst Ende September 1273 einigten sich die Kurfürsten auf die Wahl des Schweizer Gra- fen Rudolf von Habsburg zum Deutschen König. Mit überraschender Tatkraft setzte er sich gegenüber dem Adel, dem Raubrittertum und dem jungen Eroberer Ottokar II., Kö- nig von Böhmen, durch. Im Rahmen seiner politischen Konzeption ernannte er den Gra- fen Fiedrich II. von Ortenburg zum Landeshauptmann in Krain. Friedrich hatte drei Söh- ne: Meinhart I., Otto V. und Albrecht II. Der alternde Graf war nach dem Tode seines Bruders Heinrich alleiniger Herr über die Besitzungen der Ortenburger in Kärnten und Krain. Es liegt nahe und ist sicher kein Wunschdenken der Gottscheer, wenn sie anneh- men, daß Graf Friedrich sich bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts mit Plänen für die Besiedlung des Urwaldes beschäftigte. Daß sie nur langsam reiften, lag nicht allein an der allgemeinen politischen Situation im Reich und in Kärnten, sondern das Unternehmen mußte wohl überlegt sein. Friedrich von Ortenburg war nicht der Mann, der etwas über- stürzte. Er residierte in Laibach und überließ bereits vor der Jahrhundertwende seinem ältesten Sohn weitgehend die Verwaltung der Liegenschaften in Unterkrain.

Keine Urkunde kündet davon, wann die Planung des "Siedlungsunternehmens Urwald" konkrete Formen angenommen hat. Insbesondere fehlt jeder Nachweis, ob noch Friedrich II. oder erst sein Sohn Meinhart den unmittelbaren Anstoß zum Beginn gegeben hat. Welcher Ortenburger immer es auch war, er wußte, daß ein kolonisatorisches Unterneh- men dieses Ausmaßes nicht ohne gründliche Vorbereitung gelingen konnte. Wer hat sie durchgeführt?

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Das 14. Jahrhundert

Die Grafschaft Ortenburg verfügte seit geraumer Zeit über ein Verwaltungszentrum, das den jeweils regierenden Grafen bei der geordneten Wirtschaftsführung zur Verfügung stand. Der Sitz des "Lehenhofs" ist unbekannt. Sinngemäß wäre es jedoch gewesen, Zweigstellen in Spittal an der Dräu und in Reifnitz einzurichten. Ebenso zweckmäßig und organisatorisch vernünftig wäre es gewesen, den "Lehenhof" unter der Leitung eines Mit- gliedes des Hauses Ortenburg zunächst mit der Prüfung der grundlegenden Vorausset- zungen für das Siedlungsvorhaben zu beauftragen. War der ältere Sohn Meinharts I., Hermann III., der hierfür geeignete Mann? Allem Anschein nach, ja. Begründung: Laut gesetzlicher Vorschrift mußte jede Urkunde von mehreren Zeugen beglaubigt sein. Be- greiflicherweise war die Zeugenschaft der Grafen von Ortenburg infolge ihres hohen An- sehens beim Adel in Kärnten und Krain gefragt. Nun verschwand ab 1301 die Unterschrift des Junggrafen Hermann aus den Urkunden (jene seines Bruders Meinhart II. blieb). Von Hermann III. wußte man, daß er jung heiratete. Seine Gemahlin war eine geborene Grä- fin Hohenlohe. Gewiß wäre es denkbar, daß er ihr in einen anderen Teil des Reiches folg- te, ebensogut konnte er jedoch mit Zustimmung seines Großvaters vom Vater den Auf- trag zur Vorbereitung der Kolonisation des noch namenlosen Urwaldes erhalten haben.

An diesem Auftrag, an dessen Erteilung der Buchautor nicht zweifelt, änderte der Tod des Großvaters (1304 in Laibach) kaum etwas. Hingegen hatte er vermögensrechtlich für die Grafschaft Ortenburg tiefgreifende Folgen: Die Söhne und Erben Friedrich II., Meinhart I., Otto V. und Albrecht II., teilten die Grafschaft unter sich auf. Meinhart, der außerordent- lich tatkräftige Erstgeborene, fertigte seine Brüder mit den Lehensgütern in Kärnten und Steiermark ab und behielt die Lehenschaften in Unterkrain für sich. Meinhart war seinem Wesen nach ein Kriegsmann. Er hatte von seiner Mutter, einer Gräfin von Görz, das hef- tige görzische Temperament und betätigte sich mit Vorliebe als "Schwert Aquilejas". Trotzdem würde man ihm Unrecht tun, wollte man ihn außerhalb des Gesamtbundes der Ortenburger, das Türk auf Seite 13 entwirft, stellen: "Stolze Ritter, Kirchenfürsten, kluge Rechner und Ratgeber, wohl auch zeitweilig Verschwender, kühne Degen, dem höchsten Adel verwandt und verschwägert, Beschützer des Patriarchats Aquileja und gefürchtete Condottieri gegen die Republik Venedig".

Mit diesem großartigen Kärntner Adelsgeschlecht haben wir nun bereits den Vorhof der Besiedlungsgeschichte des Gottscheerlandes betreten: Es ist Absicht, daß noch nicht von einer deutschen Besiedlung die Rede ist.

Im Weiterschreiten treffen wir auf die erste Urkunde, die indirekt bestätigt, daß das Sied- lungsunternehmen begonnen hat. Die Geschichtsschreibung über Gottschee hat sie ledig- lich registriert, ohne sie in die Gesamtsituation Kärntens und Krains am Beginn des 14. Jahrhunderts zu stellen und dadurch zum Reden zu bringen. Diese ist gekennzeichnet durch zahlreiche Neugründungen von Dörfern, Märkten und Städten, womit eine weitge- hende Umschichtung der Bevölkerung Unterkrains eintrat. Modern ausgedrückt: Die Ar- beitsmarktlage war angespannt. Die Anziehungskraft der Städte mit ihrem Lockruf: "Stadtluft macht frei!" wuchs von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und mit ihr die Abneigung ge- gen Schwerstarbeiten, wie etwa das Roden eines Urwaldes. Die Bauernbefreiung war un- endlich langsam vor sich gegangen, aber hundert Jahre vorher hätte ein Grundherr seine Bauern noch zwingen können, die Tortur des Rodens einer solchen Wildnis auf sich zu nehmen. Nun nicht mehr!

Bei der besagten Urkunde handelt es sich um den sogenannten Friedensschluß von Lai- bach zwischen den Grafen von Ortenburg und den Herren von Auersperg im Jahre 1320.

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Herzog Heinrich II. von Kärnten aus dem Hause Görz, Tirol, hatte die beiden verfeindeten Geschlechter wegen Landfriedensbruchs vor ein adeliges Schiedsgericht gestellt. Aus dem Schiedsspruch gehören nur die Punkte 1, 3 und 4, zitiert nach Tangl, Band 1, Seite 113, hierher:

1. Aller Krieg soll aufhören.

3. Alle Gefangenen sollen endlich ledig sein. Wer aber vor dem Frieden für seine Freilassung eine Geldsumme versprochen hat, soll diese bezahlen.

4. Leute, die von den Gütern der Herren von Auersperg auf Güter der Grafen gezo- gen sind, sollen wir (die Grafen von Ortenburg, ziehen lassen.

Die sorgfältige, zeitbezogene Auslegung der Urkunde von 1320 fördert eine Anzahl bisher unbeachteter, doch außerordentlich wichtiger Gesichtspunkte zur Besiedlung des Gott- scheerlandes zutage: Schon der Vorspruch stellt eindeutig klar, wer der Angreifer war. Er beginnt mit den Worten: "Graf Meinhart von Ortenburg bekennt, daß er unter Beistim- mung seiner Söhne Hermann und Meinhart zur Beilegung der Fehde zwischen ihnen und Volker und Herbard von Auersperg ... den Schiedsspruch der einzeln aufgeführten adeli- gen Richter anerkennt." Ferner ist festzustellen, daß Graf Hermann III. von Ortenburg 19 Jahre nach seinem Verschwinden aus den Urkunden zum erstenmal wieder auftaucht. Dies könnte nicht der Fall sein, wenn er sich nicht in Krain befunden hätte. Wir sehen darin eine Bestätigung für die Annahme, daß er mit der Vorbereitung des Siedlungsun- ternehmens beauftragt war. Im einzelnen läßt sich die Urkunde von 1320 dazu folgen- dermaßen in Beziehung setzen:

Zu Punkt 1.: Ortenburg und Auersperg hatten in Fehde gelegen. Sie war so heftig und so ausgreifend, daß der Herzog gezwungen war, sich einzuschalten. Die ersten Scharmützel fanden spätestens 1316 statt. Aus anderen Quellen wissen wir, daß der Görzer Graf Hein- rich II. den Auerspergern zu Hilfe gekommen war, was den Schluß zuläßt, daß die Orten- burger sich in der Übermacht befanden.

Zu Punkt 3.: Ortenburg hatte Auersperg'sche Kriegsgefangene nicht zurückgegeben.

Zu Punkt 4.: Ortenburg hatte von Auersperg'schen Gütern Leute unter Versprechungen weggelockt, also "abgeworben", wie man heute sagen würde und auf eigenen Gütern eingesetzt. Um welche ortenburgische Güter konnte es sich dabei nur handeln? Wohl kaum um die Lehenschaften in Unterkrain, die von den Grafen bereits seit bald 200 Jah- ren bewirtschaftet wurden. Das landwirtschaftliche Arbeitsvolk auf ihren Gütern ergänzte sich von Generation zu Generation auf ganz natürliche Weise. Woher aber kam der so beträchtliche Mangel an Arbeitskräften, daß sich Graf Meinhart diese auf seine Weise beim Nachbarn holte, nämlich mit Gewalt? Er mußte seinerseits unter so starkem Druck gestanden haben, daß er das Risiko einer unabsehbaren Fehde einging. In der Tat stand der wilde Graf aus Oberkärnten vor ernsthaften, finanziellen Problemen. Gewiß, er war kein armer Mann, doch alles, was er unternahm, kostete sehr viel Geld, seine aufwendige Lebensführung, seine Feldzüge mit einer kleinen Privatarmee zum Schutz des Patriar- chenstaates. Sein Amt als Landeshauptmann in Krain, das er seit 1307 innehatte, erfor- derte ebenfalls einen nicht unerheblichen Aufwand. Vor allem aber erwies sich die Koloni- sation des Urwaldes als ein außerordentlich kostspieliges Unternehmen, das zunächst nichts einbrachte, dem er aber nicht ausweichen konnte.

Die Urkunde von 1320 berichtet uns also, daß Meinhart bereits vor 1315 das Siedlungs- werk in Unterkrain begonnen haben muß und daß sein Sohn Hermann III. die langwierige Planung und siedlungstechnische Vorbereitung durchgeführt hat. Sie gibt jedoch auch über die Herkunft der ersten Siedler eine einwandfreie Auskunft: Sie stammten zu Beginn

Gedruckt von http://www.gottschee.at 24 von den Lehenschaften der Ortenburger selbst, und als ihr eigenes Menschenreservoir erschöpft war, griffen sie auf Leute des Nachbarn zurück. Im übrigen hielt sich Graf Meinhart nicht an den Schiedsspruch von 1320. Am Dreikönigstag des Jahres 1326 er- ging von einem neuen Schiedsgericht ein ähnlicher Spruch wie sechs Jahre zuvor.

Schließlich klärt die Laibacher Urkunde von 1320 auch noch die oft gestellte, aber nie befriedigend beantwortete Frage nach der Herkunft der slowenischen bzw. slowenisch klingenden Ortsnamen in den Randgebieten der Sprachinsel: Sie stammten in der Haupt- sache von den Kolonisten aus den ortenburgischen und auerspergischen Lehensgebieten, vor allem von den Zugehörungen der Lehen Reifnitz, Ortenegg, Zobelsberg und Hohen- warth, die den Ortenburgern gehörten, und der auersperg'schen Schlösser Oberhaus und Unterhaus. Die erwähnten Güter lagen dem Urwald - wie gesagt, eine Zugehörung von Reifnitz - am nächsten. Bei dem Mangel an Menschen, die für das überaus schwere Ro- dungswerk zur Verfügung standen, blieben die ersten Siedlungen am Rande des Waldes, namentlich am Ostrand, klein. Sie besaßen offensichtlich infolge ihrer ungünstigen Lage keine Anziehungskraft und erhielten keinen weiteren Zuzug. Das Hauptgewicht des Sied- lungsunternehmens verlagerte sich sehr bald an den Nordrand des Urwalds. Was ging hier vor?

Diese Frage läßt sich allerdings mit logischen Schlußfolgerungen aus dem Laibacher Frie- densschluß von 1320 zwischen Ortenburg und Auersperg nicht mehr beantworten. Die bisherige Geschichtsschreibung hat sich ohnehin nicht auf die Besiedlungsgeschichte des Gottscheerlandes bezogen, sondern sie für eine aus Unverträglichkeit entstandene Fehde gehalten. Alle Autoren ließen die Besiedlungsgeschichte des ortenburgischen Urwaldes im Jahre 1339 beginnen. Es bestehen keine aussagefähigen Urkunden für die Zeit zwischen 1320 und 1339 zur Verfügung. Um diesen für das Entstehen der späteren Sprachinsel ungemein wichtigen "stillen Zeitraum" zu überbrücken, muß man nach einer anderen stichhaltigen Lösung suchen. Die ergab sich aus der folgenden nüchternen Überlegung:

Schon der gesunde Hausverstand sagt uns heute noch, daß es undenkbar war, planlos Menschen in die Wildnis zu schicken und dann von ihnen zu erwarten, daß sie, allein auf sich gestellt, die ungeheure körperliche und seelische Belastung der Urwaldrodung durch- stehen. Die Ortenburger bereiteten das Unternehmen vielmehr so vor, wie es die natürli- chen Voraussetzungen geboten. Da es sich um ein rein wirtschaftliches Unternehmen handelte, erwarteten sie selbstverständlich mit der Zeit einen Ertrag. Er war nur zu errei- chen, wenn man der menschlichen Arbeitskraft diese Voraussetzungen in der entspre- chenden Aufbereitung anbot. Das heißt, es mußte Übereinstimmung bestehen zwischen der Geländeform für die Anlage von Dörfern bei gleichzeitig entsprechender Humus- schicht für den Anbau von Feldfrüchten und die Ausbildung von Wiesenanteilen, sowie das Vorhandensein natürlicher, möglichst ganzjährig fließender Quellen, die durch das Abholzen großer Waldflächen voraussichtlich nicht versiegten. Es wäre ein Irrtum, anzu- nehmen, daß die Menschen damals nicht an diese Dinge dachten.

Man mußte sich also erst einmal wenigstens einen ungefähren Überblick verschaffen, wo und in welcher Größe Ansiedlungen Erfolg versprachen. Natürlich dürfen wir uns diese Vorbereitungsarbeiten nicht so vorstellen, daß einige Geometer an Hand von Kartenskiz- zen, begleitet von Gehilfen und ausgerüstet mit Kompassen und anderen technischen Hilfsmitteln, das Land durchstreiften. Das gab es noch nicht. Die einzigen Hilfsmittel für die Orientierung waren das Auge und der gesunde Hausverstand.

Bevor sich Graf Hermann und seine Helfer ein Gesamtbild des Besiedlungsgebiets ma- chen konnten, mußten sie es vor allem anderen verkehrsmäßig erschließen. Nicht so, daß sie Straßen im heutigen Sinn anlegten, sondern mehrere Bautrupps schlugen primitive Steige in die Wildnis, um den Bodenprüfern und Wassersuchern buchstäblich den Weg zu

Gedruckt von http://www.gottschee.at 25 bahnen. Die Vermutung liegt nahe, daß sie sich dabei eines bereits vorhandenen, durch das Haupttal laufenden Saumpfades bedienen konnten. Er taucht bei mehreren Autoren auf. Betrachtet man die Oberflächengestalt des Gottscheer Hochlandes und berücksich- tigt man seine geographische Lage zwischen dem mittleren und nördlichen Krain - ja, auch Kärnten muß man einbeziehen - und dem Kulpatal mit den großen Siedlungen Tschernembl und Möttling, so kann es keinen Zweifel mehr geben, daß der mittelalterli- che Handel den Urwald auf seine verkehrsmäßige Durchlässigkeit überprüft und eine Nord-Süd-Abkürzung hindurchgelegt hat. Diese Bemerkung ist wiederum nicht so zu ver- stehen, daß sich einige interessierte Städte oder Einzelgeschlechter zusammentaten, um diesen Saumweg gemeinsam anzulegen. Irgendwann einmal haben einzelne begonnen, einen Weg durch das Dickicht zu finden. Führen wir den Gedanken zu Ende: Der Saum- pfad, der sicher nicht zuletzt dem Salztransport diente, kann nur von Reifnitz über die späteren Ortschaften Gottschee, Obermösel, Graflinden und Unterdeutschau gelaufen sein, womit bereits Richtung und Verlauf der späteren Hauptverkehrsader des Gott- scheerlandes festgelegt war.

Die Oberflächengestalt des vorzubereitenden Siedlungsgebietes erzwang noch zwei wei- tere unerläßliche Maßnahmen: Die Besiedlung mußte sich wegen der äußerst verkehr- sungünstigen Lage der östlichen Hälfte des Urwaldlehens auf den Westteil der späteren Sprachinsel konzentrieren. Zum anderen war es organisatorisch notwendig, Besied- lungsmittelpunkte zu schaffen, von denen aus die weiteren Dörfer strahlenförmig entwik- kelt wurden, keinesfalls alle auf einmal, sondern je nach der Verfügbarkeit von Koloni- sten, Vorräten an Lebensmitteln, Saatgut und Vieh. Eines ist ganz sicher: Die Siedler haben keineswegs ihre Erstausstattung in Hülle und Fülle erhalten.

Die Besiedlungsmittelpunkte sind heute noch erkennbar. Sie waren sorgfältig ausgewählt und echte Mittelpunkte der Teillandschaften des Gottscheerlandes. Sie lagen so ver- kehrsgünstig wie möglich. Würde man heutzutage einem Landschaftsplaner die Aufgabe stellen, sie zu setzen, könnte er sie nicht günstiger einordnen als die Planer der Grafen von Ortenburg. Es wird sich zeigen, daß sie aus der Rolle der Besiedlungsmittelpunkte hineinwuchsen in die Aufgaben von Verwaltungs- und Wirtschaftszentren, im 19. Jahr- hundert aber der ersten Schulorte. Jeder Gottscheer, der seine alte Heimat einigermaßen kennt, ist ohne weiteres in der Lage, sie nun aufzuzählen. Sie heißen von West nach Ost:

Rieg, Gottschee-Stadt, Mitterdorf, Altlag, Obermösel, Nesseltal und Tschermoschnitz.

Um den ortenburgischen Urwald gewissermaßen aufzubrechen, bedurfte es besonderer Menschen. Man konnte dazu nur junge, gesunde und mit der Landwirtschaft vertraute Bauernsöhne gebrauchen. Solche Leute aber liefen nicht scharenweise herum, zumal die Städte und Märkte lockten. Die ersten, mit Ochsengespannen befahrbaren, Wege mußten zwangsläufig zu den Besiedlungsmittelpunkten angelegt werden.

Mit den geschilderten Maßnahmen allein war es jedoch nicht getan. Das größte organisa- torische und finanzielle Problem muß die Verpflegung und Unterbringung der Erstkoloni- sten und ihrer Familien gewesen sein, bis sie sich aus eigener Ernte ernähren und die Kältemonate in einer eigenen Behausung überstehen konnten. Auszugehen ist davon, daß eine Siedlerfamilie oder -gruppe bestenfalls in dem dritten Sommer nach der Land- zuweisung mit einer ausreichenden Ernte auf den Feldern und Wiesen rechnen konnte. Der nicht geringe Anfangsbedarf an Nahrungs- und Futtermitteln, Saatgut und Wohn- raum war für die Grafen, bzw. ihre Mitarbeiter, schon im Stadium des Planens und Über- legens voraussehbar. Sie standen vor der Wahl, ihn aus den eigenen Lehensgebieten in Unterkrain zu decken, d. h. mit Ochsengespannen heranzukarren, oder den Besiedlungs- vorgang dergestalt zu organisieren, daß das Unternehmen sich unter ständiger Kontrolle des Zuzugs an Kolonisten ernährungsmäßig soweit wie möglich selbst versorgte. Aber wie?

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Man benötigte im Anfangsstadium des Siedlungswerks also eine ständig verfügbare, den Bedürfnissen der Kolonisten angepaßte Versorgungsbasis, bestehend aus lagerfähigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Der erste organisatorische Arbeitsgang mußte daher die Schaffung entsprechender landwirtschaftlicher Betriebe sein, anders ausgedrückt, man mußte zuerst Versorgungsdörfer anlegen, die jedoch zugleich bereits Bestandteil des Siedlungsunternehmens waren. Als hierfür am besten geeignet bot sich das spätere Oberland an. Hier war der geringste Widerstand des Waldes und der Geländeform zu überwinden, die Rinse aber stellte den Wasserbedarf für Mensch und Tier während des ganzen Jahres sicher.

All das bedeutet: Die Besiedlung des Gottscheerlandes in größerem Stil begann am Nord- rand des ortenburgischen Urwaldlehens. An dieser Stelle wird auch erkennbar, wozu Graf Meinhart auf unlautere Weise Arbeitskräfte, sprich: Siedler, an sich zog. Im späteren "Oberland" lagen "die Güter der Grafen", von denen in der Laibacher Urkunde aus dem Jahre 1320 die Rede ist, und die beiden Urkunden von 1320 und 1326 erlauben uns nun die weitgehend sinnvolle, zeitliche Eingrenzung des Siedlungsbeginns im Oberland. Mithin ist nicht mehr und nicht weniger gesagt, als daß die Rodung, Besiedlung und landwirt- schaftliche Aufbereitung des Oberlandes in der Hauptsache zwischen 1315 und 1325 - es mögen einige Jahre vorher und nachher dazugekommen sein - stattgefunden haben. Die notdürftige planerische und verkehrsmäßige Erschließung des Urwaldinnern dürfte gleich- zeitig erfolgt sein.

Ein Wort noch zur Stamm- bzw. Volkszugehörigkeit der in diesem Anfangsstadium der Hauptbesiedlung eingesetzten ortenburgischen Kolonisten. Sie entstammten in ihrer gro- ßen Mehrzahl der unterkrainischen Grundbevölkerung. Diese aber war zu Beginn des 14. Jahrhunderts noch gemischtsprachig, das slowenische Element herrschte jedoch vor. Von einem "Nationalbewußtsein" im Sinne des 19. und 20. Jahrhunderts kann jedoch noch keine Rede sein. Die Slowenen verfügten ebensogut über die wenigen, für den Alltag er- forderlichen deutschen Ausdrücke, wie die Deutschen umgekehrt. Eine der Landbevölke- rung zugängliche Schriftsprache gab es weder auf der einen noch auf der anderen Seite.

Wenn wir nun versuchen, die im genannten Zeitraum gegründeten Ortschaften aufzuspü- ren, so kommt uns der Umstand zu Hilfe, daß die Kolonisten schon damals ihre Siedlun- gen des öfteren mit Ortsnamen aus der Heimat, auf jeden Fall aber in ihrer Mutterspra- che, belegten. Welche Dörfer können das gewesen sein? Eindeutig erkennbar sind heute noch Windischdorf (die Erläuterung dazu erfolgt an anderer Stelle), von slowenischer Seite wird Mitterdorf genannt (siehe Simonie, Seite 8), ferner ist Malgern mit aller Wahr- scheinlichkeit von "Mala Gora" = kleiner Berg, abgeleitet, Kletsch ist zweifelsfrei slawi- schen Ursprungs, der Ortsname Seele stammt mit ziemlicher Sicherheit vom sloweni- schen Sela = Dorf. In diese Reihe gehört schließlich die Ortsbezeichnung "Gottschee". Wir werden uns damit noch ausführlich zu beschäftigen haben.

Hier sei nur noch angefügt, daß die Grafen von Ortenburg an der Ostflanke des Urwalds wenig Glück mit den kleinen Randsiedlungen hatten. Zu einem Besiedlungszentrum, ins- besondere bei der späteren Binnenkolonisation, entwickelte sich lediglich Tscher- moschnitz. Ein weiterer Vorstoß in das Innere des Waldes erfolgte im westlichen Teil mit Göttenitz, ursprünglich wahrscheinlich . Über die Besiedlung der westlichsten Hochtalfurche, des Suchener Beckens, wird zu gegebener Zeit ein eigenes Kapitel berich- ten.

Schlußfolgerung aus der Urkunde von 1320: Der eigentlichen, deutschen Besiedlung des Gottscheerlandes geht eine vorbereitende Kolonisationsphase mit gemischtsprachigen, überwiegend slowenischen Siedlern voraus. Sie litt unter Menschenmangel. Der Verfasser des „Jahrhundertbuches der Gottscheer“ ist sich dessen bewußt, daß er mit der Einfüh- rung von zwei unterschiedlichen Besiedlungsphasen in die Geschichtsschreibung des

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„Ländchens“ nicht allenthalben Verständnis finden wird. Diese Erwartung durfte ihn je- doch nicht daran hindern, seine Gedankengänge konsequent weiterzuführen.Gerade der Ortsnamenvergleich ergab, daß die erste Besiedlungsphase nicht unvermittelt abbrach, etwa weil plötzlich große Siedlerscharen aus Oberkärnten und Osttirol nach Unterkrain strömten, um den ortenburgischen Urwald in Besitz zu nehmen, oder weil nach ihnen 300 fränkisch-thüringische Familien mit dem gleichen Ziel im Auge angereist kamen. In mehrjähriger intensiver Beschäftigung mit dem Stoff Gottschee hat sich beim Autor viel- mehr die Meinung herausgebildet, daß die beiden Phasen organisatorisch und weitgehend auch menschlich ohne Bruch ineinander übergingen, bis die Beteiligung unterkrainischer Kolonisten ganz aufhörte. Er glaubt vielmehr, den fließenden Übergang durch die neuar- tige Auslegung von Urkunden, Heranziehung von Ereignissen und Entwicklungen sowie die Skizzierung eines Zeitbildes belegen zu können.

Der zweite Schiedsspruch gegen Meinhart und seine Söhne von 1326 beweist, daß Or- tenburg beim Kärntner Herzog in Ungnade gefallen war. Dieser konnte wohl auch beim besten Willen nicht dulden, daß sich der Landeshauptmann in Krain persönlich des wie- derholten Landfriedensbruchs schuldig machte. Die unmittelbar betroffenen Auersperger, die ja am herzoglichen Hof in St. Veit an der Glan als Ministerialen tätig waren, dürften nachgeholfen haben. Meinhart mußte daher, wollte er sich die Gunst des Herzogs nicht vollends verscherzen, seine Fehden einstellen. Andererseits mußte die nun einmal be- gonnene Urwaldbesiedlung weitergehen, sollte der bis dahin entstandene Aufwand nicht umsonst gewesen sein. Mithin mußte Meinhart versuchen, auf friedliche Weise Kolonisten heranzuschaffen. Der nächstliegende Gedanke war, seinen jüngeren Bruder Otto um die Beistellung von Siedlungswilligen zu ersuchen. Otto hatte ja bei dem Teilungsvertrag nach dem Tode des Vaters die ursprüngliche ortenburgische Grafschaft in Oberkärnten erhalten. Der Teilungsvertrag, dessen genaues Datum unbekannt ist, war nicht etwa der Ausgangspunkt zu einem schweren familiären Zerwürfnis, trotzdem dürfte Otto von dem Angebot Meinhards nicht begeistert gewesen sein. Wie die weitere Entwicklung zeigte, stimmte er jedoch schließlich zu.

Die ortenburgischen Werber trafen in der Oberkärntner Landschaft, vor allem im Möll- und Lesachtal, aber auch im Pustertal und in den Osttiroler Seitentälern nördlich der Drau, auf eine bedeutend wachere Bereitschaft, in einer anderen Landschaft des Herzog- tums Kärnten neu anzufangen, zumal die in Aussicht gestellten Ansiedlungsbedingungen außerordentlich günstig zu sein schienen. Die letzten Wanderzüge zur Besiedlung noch unerschlossener Gebiete lagen bereits ziemlich weit zurück. So waren vor allem Men- schen aus dem weiteren Spannungsbereich des Freisinger Eigenklosters Innichen unter anderem an der Gründung der Sprachinsel Deutsch-Ruth und Zarz in Oberkrain beteiligt. Seine endgültige Ausdehnung erfuhr Zarz allerdings erst durch weiteren Zuzug in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die Volksinsel, zahlenmäßig kleiner als Gottschee, verschwand im Laufe des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die Mundart, dem Gottscheer Dialekt nicht zufällig nahverwandt, hielt sich als Haussprache bis ins 20. Jahrhundert, ist aber nun ausgestorben. Ihr Wortschatz und ihre Grammatik konnten glücklicherwelse für die Wissenschaft noch gerettet werden.

Um 1280 tauchen die Namen zweier weiterer, aus dem Pustertal besiedelter Sprachinseln auf: Zähre und Pladen. Sie liegen in der Landschaft Karnien auf heute italienischem Staatsgebiet und stellen ebenso wie Tischlwang unter dem Plöckenpaß nur noch Reste ihrer ehemaligen Ausdehnung dar. Die vorstehenden Angaben entstammen dem Buch: "Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes" von Universitätspro- fessor Dr. Eberhard Kranzmayer, Wien, 1956. An gleicher Stelle (Einleitung, 13 bis 15, Seite 5) schreibt er wörtlich:

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"Um 1325 wurde schließlich vom tirolerisch-kärntnerischen Grenzgebiet aus das große Bauernland Gottschee mit seiner gleichnamigen Hauptstadt kolonisiert. Gottschee wurde vor eineinhalb Jahrzehnten ausgesiedelt".

Hier stehen wir nun am Beginn der deutschen Besiedlung des Gottscheerlandes.

Bei der ungefähren Zeitangabe "um 1325" befindet sich Professor Kranzmayer in Über- einstimmung mit Hugo Grothe, der ohne Zuhilfenahme der Laibacher Urkunde von 1320 bzw. 1326 durch eine plausible Schätzung zu dem gleichen Ergebnis kam. Wir würden jedoch das tatsächliche Geschehen um die Werbung von Siedlern für Gottschee grundle- gend falsch beurteilen, nähmen wir an, daß "um 1325" in dem "tirolerisch-kärntnerischen Grenzgebiet" ein großer Aufbruch von Siedlungswilligen in Richtung Krain erfolgte. Histo- risch ebenso fehlerhaft, weil rein spekulativ, wäre die in das 14. Jahrhundert zurückproji- zierte Erwartung, daß ganze Dörfer dem Ruf ihres Grundherrn, des Grafen von Orten- burg, gefolgt sind.

Logisch ist vielmehr die Überlegung, daß nicht jedermann für die Urwaldrodung in Be- tracht kam. Von vornherein schieden die Alten aus. Die "Holden", das heißt, die mit dem Grundherrn traditionell und in bewährter Weise verbundenen Bauern, hatten in der Regel keine Veranlassung, sich nach einer anderen Heimat umzusehen. Angesprochen wurden in erster Linie nicht erbberechtigte Bauernsöhne und -töchter, für die wenig Aussicht be- stand, einmal einen eigenen Hof bewirtschaften zu können. Auch Knechte und Mägde wurden sicher nicht abgewiesen, sofern sie den Anforderungen in gesundheitlicher und arbeitsmäßiger Hinsicht entsprachen. Alle Siedlungswilligen, die natürlicherweise eine gewisse Auslese darstellen mußten, verband eine gemeinsame Hoffnung: ein freieres, besseres Leben zu finden.

Wir müssen uns auch von der Vorstellung freimachen, daß die angeworbenen Siedler die Vorbereitungen für die große Fahrt nach Süden binnen kürzester Zeit trafen. Sie können auch hinsichtlich ihrer geistigen Beweglichkeit mit Bauern des 19. und 20. Jahrhunderts nicht verglichen werden. Sie waren arm, das Auswanderungsangebot kam überraschend. Die Reise nach Unterkrain war bei den schlechten Wegen des Mittelalters überaus be- schwerlich, überhaupt nur gruppenweise durchführbar und nur in den Sommermonaten möglich. Nicht jeder der künftigen Kolonisten besaß einen Planwagen. Man tat sich je- weils zu mehreren zusammen, um den geringen Hausrat auf einem Gemeinschaftsgefährt zu verladen. Es würde uns nicht schwerfallen, die wochenlange Fahrt über Pässe und Flüsse weiter auszumalen, um darüber nachzudenken, welche Marschroute allein gangbar gewesen sein kann. Wir begnügen uns hier jedoch mit der Feststellung, daß die neuen Kolonisten über weite Teile des Oberlandes verstreut angesiedelt wurden. Vermutlich haben diese ersten Gruppen von Oberkärntner Ansiedlern mit Zustimmung des Ansied- lungsstabes bereits außerhalb des späteren "Ländchens" haltgemacht und unter anderem die Ortschaften Treffen und Deutschdorf gegründet. Der Ortsname "Treffen" kann gut und gerne auf Burg und Dorf Treffen bei Villach zurückgehen. Dieser Platz war den Or- tenburgern als Privatbesitz des jeweils regierenden Patriarchen wohlvertraut. Schon Ul- rich I. (1086 bis 1121) hatte dem Stuhl von Aquileja "Treffen" geschenkt. Den Namen "Deutschdorf" dürften die slowenischen Bewohner der Umgebung gefunden haben, denn dieses Wort ist eine Rückübersetzung aus dem slowenischen "Nemska vas". Genau um- gekehrt scheint die Ortsbezeichnung von Windischdorf entstanden zu sein: Vermutlich waren Kärntner Siedler zur Erweiterung eines bereits bestehenden, mangels Zuzugs je- doch nicht lebensfähigen Weilers angesetzt. Seine darin lebenden Bewohner waren "win- disch", weil es die Kärntner schon damals gewohnt waren und heute noch sind, die einen alten slowenischen Dialekt sprechenden Einwohner Südkärntens als "Windische" zu be- zeichnen. Während sich "Deutschdorf", ebenso wie "Treffen", zu einer slowenischen Ge- meinde entwickelte, wurde "Windisch"-Dorf zu einer rein gottscheerischen Ansiedlung. - Ohne Zweifel sind in der Übergangszeit zwischen den beiden Besiedlungsphasen noch

Gedruckt von http://www.gottschee.at 29 weitere, mit Kärntner Kolonisten besetzte Dörfer entstanden. Vor allem scheinen dies Schalkendorf und Koflern gewesen zu sein. Gründungsurkunden dieser Ortschaften besit- zen wir allerdings keine.

Es dauerte noch Jahre, bis die erste deutsche Ortschaft urkundlich erscheint: Mooswald, das in einem Brief des Patriarchen Bertrand vom l. September 1339 erwähnt wird. In dieser Urkunde genehmigt der Patriarch dem Grafen die Einsetzung eines Kaplans in der neu erbauten Kapelle des hl. Bartholomäus bei Mooswald.

Mit der Erwähnung des Briefes vom l. September 1339 sind wir der allgemeinen politi- schen Entwicklung in Kärnten und Krain weit vorausgeeilt. Wir werden den Namen Moos- wald erst wieder aufgreifen, nachdem wir auf die Katastrophe, die menschlich über das Haus Ortenburg hereingebrochen war, eingegangen sind.

Der Tod hielt reiche Ernte im Hause Ortenburg: Innerhalb eines Jahrzehnts starben fünf Grafen. Als erster verschied Meinhart 1332 - nicht etwa im Kampfgetümmel, sondern auf der Stammburg seiner Vorfahren in Oberkärnten. Sein Ableben wirkte offenbar lähmend auf das Siedlungsunternehmen in Unterkrain. Man darf nämlich nicht ausschließen, daß es zwischen den Brüdern Meinharts, Otto und Albrecht, und den Söhnen des verstorbe- nen Grafen, Hermann und Meinhart II., zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten we- gen der Weiterführung der Urwaldkolonisation kam, namentlich über die Finanzierung des Unternehmens. Nicht von der Hand zu weisen ist ferner, daß Graf Otto V., der ja bis 1332 sicherlich bereits einige hundert Kolonisten abgestellt hatte, angesichts seiner be- reits erfolgten und zu erwartenden personellen und finanziellen Leistungen von den Nef- fen das Recht auf Mitentscheidung am Siedlungswerk verlangte. Die rechtmäßigen Erben Meinharts I. waren nach dem Tode ihres Vaters ja Hermann III. und Meinhart II. Mit die- sem Verlangen stieß der kinderlose Otto insbesondere bei dem ebenfalls recht kämpferi- schen Hermann auf Widerstand. Nur wenn wir diese Entwicklung innerhalb der Familie Ortenburg voraussetzen, erklärt sich der Inhalt zweier weiterer Urkunden vom 24. Juni 1336 über die Neubelehnung des Grafen Otto mit Schlössern und deren Zugehörung in Unterkrain durch den Patriarchen Bertrand von Aquileja. Sie stellen einen Schiedsspruch, besser einen Machtspruch des Kirchenfürsten in seiner Eigenschaft als Lehensherr der Ortenburger dar.

Die Geschichtstreue, zu der das „Jahrhundertbuch“ verpflichtet ist, gebietet es, die Um- stände näher zu untersuchen, die den Patriarchen zwangen, die Entscheidung von Villach zu treffen: Wie wir wissen, setzte der Papst seit 1251 ohne Zustimmung des Kaisers die Patriarchen von Aquileja ein. Sie residierten bereits seit 1208 nicht mehr in Aquileja, sondern in Udine.

Mit dem Niedergang der kaiserlichen Macht in Italien ging auch der Stern des Patriar- chenstaates unter. Korruption der Verwaltung, andauernde Aufstände der Städte und des Adels ruinierten die innere Ordnung und die Finanzen. Der Staat konnte seinen finanziel- len Verpflichtungen gegenüber dem Vatikan nicht mehr nachkommen. Als 1332 durch den Tod des Patriarchen die Einsetzung eines Nachfolgers erforderlich wurde, ließ sich Papst Johannes XXII. mit der Ernennung Zeit, um die Verwaltung in Udine zur Zahlung der Schulden zu zwingen. Die Sedisvacanz dauerte bis in den Sommer 1334. Während dieser Zeitspanne ereignete sich in Udine der wohl seltsamste Vorfall in der Geschichte des Patriarchenstaates: An der Spitze der staatlichen Verwaltung und der militärischen Führung stand als verfassungsmäßiger Schutzvogt und Generalkapitän - eine Frau na- mens Beatrix. Sie konnte noch keine 23 Jahre zählen, genoß aber allgemeine Verehrung. Das Volk nannte sie "fanciulla belissima", zu deutsch ungefähr "wunderschönes Mäd- chen". Das Parlament von Friaul lag ihr zu Füßen und wählte sie einstimmig in die beiden hohen Ämter. Monatsgehalt: 160 Mark in Silber. Beatrix hätte in diesem Buch keine Be- achtung gefunden, wäre sie nicht eine bayerische Prinzessin gewesen, eine Wittelsbache-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 30 rin aus der niederbayerischen Seitenlinie. Sie war an sich keine reiche Partie - ihre Brü- der hatten beim niederbayerischen Volk sogar für ihre Aussteuer gesammelt - aber im- merhin, der 1263 geborene Graf Heinrich II. von Görz konnte es sich leisten, sie wegen ihrer Schönheit zu heiraten.

Heinrich von Görz starb 1323 und hinterließ einen eben geborenen Sohn. Wiederum ver- fassungsgemäß gingen die im Hause Görz erblichen Ämter des Schutzvogtes und des Generalkapitäns auf diesen über. Gemeinsam mit dem Herzog von Kärnten wurde Beatrix zur Vormünderin für das Kind eingesetzt und gelangte auf diese Weise vorübergehend an die Spitze des Patriarchenstaates. Beatrix heiratete nicht wieder und litt unter der Herrschsucht ihrer drei Schwäger, lebte - völlig dem Aberglauben verfallen - eine Zeit- lang in Cividale und kehrte dann nach Landshut zurück, wo sie im Alter von 60 Jahren starb.

Um das Zustandekommen und den Inhalt der Villacher Urkunden und die Zeit ihres Er- scheinens richtig einzuordnen und aus ihr deuten zu können, empfiehlt es sich, auch noch ein Bild der allgemein-politischen Lage in Kärnten/Krain in der Mitte der dreißiger Jahre des 14. Jahrhunderts zu skizzieren. Sie spitzte sich durch den Tod des Kärntner Herzogs Heinrich II. aus dem Hause Görz/Tirol am 4. April 1335 dramatisch zu: Herzog Heinrich hinterließ keinen männlichen Leibeserben. Seine Tochter Margarethe, genannt "die Maultasch", war nicht erbberechtigt. Aber die Habsburger hatten vorgesorgt. Bereits 1330, auf dem Reichstag zu Augsburg, hatten sie Kaiser Ludwig den Bayern dazu über- redet, ihnen das Herzogtum Kärnten zu Lehen zu geben, falls Heinrich ohne männlichen Leibeserben stürbe. In der erstaunlich kurzen Frist von vier Wochen hatten sie die Beleh- nung in Händen. Ludwig der Bayer vollzog - sicherlich auf Vorschlag der Habsburger - sogar eine Doppelbelehnung, indem er die Brüder Otto und Albrecht von Habsburg zu Herzögen von Kärnten ernannte. Otto wurde mit der überlieferten Zeremonie auf dem Zollfeld als Herzog bestätigt, während sich Albrecht von den krainischen Ständen und dem Adel huldigen ließ. Dies tat auch Otto. Seine Huldigung sollte jedoch wohl die Ab- sicht der Habsburger verdecken, Krain von Kärnten abzutrennen, was dann im Laufe von anderthalb bis zwei Jahrzehnten ohne Aufsehen geschah. Ein neues Herzogtum war ge- boren.

Für den Patriarchen von Aquileja, mithin auch für das Siedlungsunternehmen der Orten- burger, bedeutete die Machtübernahme der Habsburger in Kärnten/Krain eine Gefahren- zone erster Ordnung. Der Papst, den das französische Königshaus Anjou 1309 nach Avi- gnon in Südfrankreich entführt hatte, begegnete den Habsburgern gleich seinen Vorgän- gern mit einem gewissen Mißtrauen. Patriarch Bertrand, ein ungewöhnlich begabter Poli- tiker und Diplomat, gebürtiger Südfranzose, hatte vom Papst ganz sicher den Auftrag in sein Amt mitbekommen, den Habsburgera überall da, wo die Interessen der Kirche be- einträchtigt schienen, mit den jeweils geeignetsten Mitteln entgegenzutreten. Bei dem guten Verhältnis der Habsburger zu Kaiser Ludwig dem Bayern war es nicht auszuschlie- ßen, daß sich die Lehenslandschaft in Krain unvermittelt änderte. Ein Anlaß ließ sich leicht finden. Verlor aber der Patriarch von Aquileja seine seit dem Jahre 1077 bestehen- den Lehen in Krain, waren sie auch für die Grafen von Ortenburg verloren. Damit fiel auch das Urwaldlehen in andere Hände. Durch den Verlust der krainischen Lehen wäre das Haus Ortenburg auf seine ursprüngliche Grafschaft in Oberkärnten zurückgeworfen und wirtschaftlich wie hinsichtlich der militärischen Stärke entscheidend geschwächt wor- den. Das heißt, das "Schwert Aquilejas", dessen Schlagkraft durch den Tod des Grafen Meinhart I. ohnehin schon gelitten hatte, wäre gegenüber der Republik Venedig und den zerstörerischen Kräften im Patriarchenstaat stumpf geworden. Hinzu kam, daß schon unter dem Patriarchen Pagano II. zwischen den Grafen von Ortenburg und dem Patriar- chat ein ernsthafter Streit um das Schloß Laas mit seinen Zugehörungen in Westkrain entbrannt war. Er drohte das 240jährige Treueverhältnis zu sprengen. Nun auch noch der Familienzwist im Hause Ortenburg!

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Patriarch Bertrand hatte unter den geschilderten Umständen keine andere Wahl, als das Gesetz des Handelns an sich zu ziehen. Sein erster Schritt: Er belehnte, das heißt, er beschenkte das Haus Habsburg mit Schloß Laas in Innerkrain, das Graf Hermann III. von Ortenburg kurz vorher unüberlegt mit Handstreich abermals in seinen Besitz gebracht hatte. Damit bewies der Patriarch dreierlei:

1. Er dokumentierte gegenüber Habsburg, vielleicht auch Auersperg, daß er sich durch- aus noch im Besitze der alten Lehen Aquilejas fühlte und demgemäß darüber nach sei- nem Gutdünken verfügte. Die Belehnten konnten indessen das Geschenk schlecht ableh- nen, obwohl sie dadurch zu Lehensnehmern des Patriarchen geworden waren.

2. Mit der Neubelehnung der Habsburger war das Streitobjekt aus dem Schußfeld ent- fernt, weil die Ortenburger nunmehr keine Ansprüche erheben konnten.

3. Die Grafen mußten außerdem zur Kenntnis nehmen, daß der Patriarch notfalls auf sie keine Rücksicht nahm.

Aus den weiteren politischen Maßnahmen Bertrands ragt für uns seine angekündigte Vil- lacher Besprechung vom 24. Juni 1336 mit dem Grafen Otto V. und dessen Neffen her- aus. Es bestehen beträchtliche Zweifel, ob sie nicht auf Burg Treffen bei Villach, dem Pri- vatbesitz des jeweils regierenden Patriarchen, stattgefunden hat. Graf Albrecht II., der jüngste der drei Ortenburg-Brüder, war im Frühjahr gestorben. Sein Tod erleichterte dem Patriarchen die Neuordnung der Spitze des Kärntner Grafenhauses. Er ging auch hier energisch vor.

Über die Villacher Zusammenkunft liegen, wie bereits angekündigt, zwei fast gleichlau- tende Urkunden vor. Die Geschichtsschreibung über das Gottscheerland hat auch diese beiden Dokumente lediglich registriert und nicht näher untersucht, bzw. mit dem Sied- lungsvorhaben der Ortenburger in Beziehung gesetzt. Zugegeben, der sichtbar gemachte Inhalt scheint nebensächlicher Natur zu sein, weil er lediglich einen Verwaltungsakt be- stätigt, der ebensogut mit der Unterschrift des Patriarchen von Udine aus hätte erlassen werden können. Es geht um die Wiederbelehnung eines Lehensträgers, die immer vorge- nommen wurde, wenn entweder dieser selbst oder der Lehensherr starb. In diesem Falle jedoch ging es für die Gottscheer Geschichtsschreibung um viel mehr: Bertrand stellte die personelle Einheit der Führung des Hauses Ortenburg wieder her, indem er Otto mit den wichtigsten ortenburgischen Lehenschaften in Krain belehnte. Er setzte sich damit über den wenigstens 25 Jahre zurückliegenden Teilungsvertrag zwischen Meinhart, Otto und Albrecht ebenso hinweg wie über die Erbfolge nach dem Tode Meinharts I. An sich hätten Meinharts Söhne Hermann und Meinhart II. gemäß dem Erbrecht die Lehen in Unterkrain erhalten müssen. Sie hatten im übrigen das Erbe bereits angetreten.

Nun zu den beiden Urkunden: Selbst Tangl, der Kärntner Ortenburg-Autor schlechthin, bemüht sich nicht um ihre geschichtliche Wertigkeit und Auslegung. Er verzichtet auch darauf, die lateinisch abgefaßten Urkunden im vollen deutschen Text wiederzugeben und schreibt auf Seite 161 des II. Bandes seiner Dokumentation über die Kärntner Ortenbur- ger:

"1336 Juni Villach. Bertrand, Patriarch von Aquileja, belehnt den Grafen Otto von Orten- burg, seinen Vasallen, und dessen Neffen, die Söhne der Grafen Meinhart und Albrecht selig, (gemeint ist Albrecht II.), der Brüder Ottos, mit den Schlössern Ortenegg, Zobels- berg und Grafenwarth mit allen Zugehörungen, Gerichtsbarkeiten, Rechten und Nutzun- gen derselben wie die Grafen von Ortenburg dieselben von altersher von der Kirche von Aquileja zu Lehen getragen haben."

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Professor Grothe zitiert auf Seite 212 den lateinischen Urtext der zweiten Urkunde wie folgt: "Nr. 2 Urkunde des Patriarchen Ludwig von Aquileja vom l. Mai 1336.

Nos Ludoicus dei gratia sanctae sedis Aquilegensis patriarcha ad memoriam aeternam esse uolumus quod ad nostram deducta notitiam, quod in quibisdam nemoribus seu siluis infra confines curatae ecciesiae sancti Stephan! in Reiffniz nostrae aquilegiensis dioece- sis, et in eius cora seu parochia, quae inhabitabiles erant et incultae, multae hominum habitationes factae sint et nemora huiusmodi ac siluae ad agriculturum reducta et non modici populi congregatio ad habkandum conuenit in quibus quidem locis per habitantes ibidem, ad honorem dei, et gloriosae virginis matris et ad consolationem dicti populi et subsequentium atque deuotionis augmentum, de nouo quaedam ecciesiae construtae sunt videlicet, in Gotsche, Pölan, Costel, Ossiwniz et Goteniz et una infra confines curatae ecciesiae sancti Petri in Tatmansdorff, videlicet, in Chrainau etiam dictae nostrae dioece- sis de nouo facta, consentiente, et concedente filio nostro in Christo carissimo spectabili comite domino Ottone de Ortenburg, in cuius dominio et jurisdictione territoria esse et consistrere huiusmodi dinoscontur. Nos deuotionem dicti populi ibidem congregati ut sua- rum manuum labores manducent paternis affectibus aduertentes et cupientes animarum ipsorum proudidere saluti, ut per huiusmodi prouisionem ad deuotionis et charitatis opera feruertius animentur, supradictio comiti eiusque haeredibus concedimus nostro et suc- cessorum patriarcharum nomine instituendi et ordinandi in dictis ecciesis sacerdotes ydo- neos, per quos celebrentur diuina, cura animarum exerceatur salubriter, sacramenta ad- ministrentur ecclesiastica et seruiatur laudabiliter in diuinis. Quorum sacerdotum prae- sentationen ad dictos comitem sousque haeredes pro eo, quod in ipsius domino et juris- dictione praedicia consistunt, spectare decreuimus et uolumus et opsorum confirmatio- nem in ecciesiis praedictis videlicet Gotsche, Pölan, Costel, Ossiwniz et Goteniz ad pleba- num seu rectorem in Reiffniz et ecciesiae in Chrainau, ad plebanum seu rectorem in Rattmanstorff, sub quorum curis et parochiis esse noscuntur, qui quidem sacerdotes, plebanis praedictis et ipsorum plebibus in omnibus subsint, obediant et Intendant, ac ipsis reuerentiam debitam exhibeant et honorem quodque contradictores et rebelles auc- toritate nostra ecciesiastica censura compellant. In quorum omnium testimomum prae- sentes fieri jussimus nostri sigilli appensione muniri. Datae in Castro nostro Vtim prima die mensis Maij sub anno dominicae natiuitatis millesimo trecentesimo, sexage-simo ter- tio, indictione prima."

Bemerkenswert ist, daß in beiden Urkunden Reifnitz nicht erwähnt ist, obwohl ja der Ur- wald zu seinen Zugehörungen zählte. Eine Erklärung hierfür ist in der Literatur zur Zeit nicht auffindbar. Möglicherweise war das Lehen Reifnitz inzwischen Ortenegg zugeschla- gen worden, wo sich zum Zeitpunkt der Belehnung Ottos die ortenburgische Schlösser- verwaltung befand.

Ist es indessen nicht merkwürdig, daß sich der Patriarch nach Villach bzw. Treffen bei Villach begab, anstatt seinen Vasallen Otto und dessen Neffen nach Udine kommen zu lassen? Vergab sich der höchste Kirchenfürst nach dem Papst nicht etwas durch diese Reise? Kaum! Es scheint, daß er vielmehr ihre Bedeutung durch sein persönliches Er- scheinen auch gegenüber den Ortenburgern unterstreichen wollte. Für den in schwersten Geldnöten befindlichen Landesherrn Bertrand - der Patriarchenstaat war nicht nur gegen- über dem Vatikan, sondern auch den Bankiers in Padua hoch verschuldet - war es nicht zuletzt aus finanziellen Erwägungen von Bedeutung, daß der Urwald besiedelt wurde. Nur wenn er besiedelt war, brachte er der Kirche Geld und vermehrte er die den Ortenbur- gern zu Gebote stehende Wirtschaftskraft, Menschenzahl wie ihr politisches Ansehen. Diese nicht wiederkehrenden Möglichkeiten blieben ungenutzt, wenn das Siedlungsunter- nehmen nicht fortgesetzt und vollendet wurde.

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Unter diesen Umständen können wir uns gut vorstellen, daß Patriarch Bertrand seinen Vasallen und Lehensträger nachdrücklich angewiesen hat, die Kolonisation des Urwaldes unverzüglich wieder aufzunehmen.

Graf Otto hatte nun gegenüber seinem Neffen einen wesentlich leichteren Stand. Wir wis- sen im einzelnen nicht, wie sich das Verhältnis zu Hermann III. und Meinhart II. entwik- kelt hatte und weitergestaltet hätte, in jedem Falle war es ein schwerer Schlag für das Haus Ortenburg, daß beide hintereinander in den Jahren 1337 (Hermann III.) und 1338 ( Meinhart II.) kinderlos starben. Von den Neffen Ottos, die in den Villacher Urkunden an- deutungsweise genannt sind, waren nun noch die Söhne Albrechts II., Ottos VI. und Ru- dolfs zurückgeblieben. Ob sie ihrem Onkel bei der Fortsetzung des Siedlungsunterneh- mens zur Verfügung gestanden sind, ist urkundlich nicht belegbar. Es dürfte jedoch au- ßer Zweifel stehen, daß sie dies als seine dekretierten Erben taten. Vor allem mußte sich Otto VI. auf die Seite seines Onkels geschlagen haben, da er infolge des frühzeitigen To- des seiner Vettern vom Schicksal zum Fortpflanzer des Grafengeschlechts Ortenburg ausersehen war.

Patriarch Bertrand aber hatte durch sein Drängen erreicht, daß die Kolonisation des Ur- waldes zwischen Reifnitz und Kulpa mit vollem Schwung einsetzte. - Dies beweist der Brief des Patriarchen vom l. September 1339 an den Grafen Otto V. Für die Geschichts- schreibung über Gottschee begann das Besiedlungsvorhaben der Grafen von Ortenburg an diesem l. September 1339. Die Patriarchen von Aquileja traten in den Hintergrund. Man ging voraussetzungslos ans Werk und so konnte es nicht ausbleiben, daß Unge- reimtheiten und ausgesprochene Irrtümer wie Fehlschlüsse eintraten. Wir wollen im fol- genden versuchen, sie soweit wie möglich auszuräumen.

In dem lateinisch abgefaßten Dokument vom l. September 1339 genehmigt Patriarch Bertrand dem Grafen Otto die Anstellung eines Kaplans an der neu erbauten und dem hl. Bartholomäus geweihten Kapelle bei der " villa Mooswald". Als Begründung für die Sank- tionierung dieser Expositur der Pfarre Reifnitz wird angeführt, daß man den in großer Zahl zusammengeströmten Gläubigen den weiten Weg zur Pfarrkirche in Reifnitz erspa- ren wolle. Auch sollten sie an Ort und Stelle die Sakramente empfangen und ihre Toten in einem eigenen Friedhof begraben können. Eine deutsche Übersetzung des Patriarchen- briefes steht bei Grothe auf Seite 211.

Wie der kurzgefaßte Inhalt der Urkunde lehrt, haben wir es dabei nicht mit einer sied- lungsgeschichtlichen Urkunde, sondern mit einem kirchlichen Erlaß zu tun, worin begreif- licherweise das Kirchliche im Vordergrund steht. Man darf darin also keine greifbaren und genauen Belege über den Stand der Besiedlung, die Herkunft und die Zahl der Kolonisten bzw. ihre Verbreitung über die Ausdehnung des Siedlungsgebietes sehen. All das interes- sierte die Sekretäre des Patriarchen eben nur am Rande. Insbesondere hätten wir gerne Näheres über Umfang, Gründungsjahr und Belegschaftszahl der "villa Mooswald" erfah- ren. Selbst ein Hinweis auf das Fassungsvermögen der Kapelle hätte uns bereits einen Anhaltspunkt für Schätzungen geben können.

Bei aller Achtung vor der Ehrwürdigkeit des obigen Dokumentes dürfen wir nicht davon absehen, es an Hand unserer Forschungsergebnisse neu zu deuten und zu beurteilen. Wir wollen auch versuchen, es mit der rauhen Wirklichkeit des 14. Jahrhunderts in Einklang zu bringen.

Woher kommt der Ortsname Mooswald?

Obwohl der Brief vom l. September 1339 auch darüber nichts aussagt, bewegen wir uns mit der Antwort auf festem Boden. Er kommt ohne jeden Zweifel aus Kärnten, wo es zwei "Mooswald" gibt, von denen jedoch nur eines als Patenort für das Mooswald im Gott-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 34 scheerland in Betracht kommt. Sie liegen in der Umgebung von Paternion und Spittal an der Dräu. Die Verbindung zum Siedlungsunternehmen in Unterkrain ist rasch hergestellt: Paternion und Spittal an der Drau waren im 14. Jahrhundert noch sogenannte Schutz- märkte der Grafen von Ortenburg. Die direkten Namensüberträger waren mit Sicherheit die Kolonisten aus dem Mooswald bei Paternion. Begründung: Im Sichtbereich dieser Ortschaft gibt es die Bergbezeichnung "Nock", die sonst im deutschsprachigen Alpenraum nur selten zu finden ist, jedoch - und eben nicht zufällig! - auch in Sichtweite des gott- scheerischen Mooswald auftaucht.

In dem Augenblick aber, da wir fragen, wann dieses Mooswald im Gottscheer Oberland angelegt worden war, betreten wir geschichtliches Halbdunkel. Was heißt in diesem Falle "villa"? Übte Mooswald eine besondere Funktion aus, weil es als einziger Ortsname auf- taucht? Nur eines ist sicher: Es kann nicht erst 1339 entstanden sein. Dies läßt sich aus der Bemerkung in der Urkunde, daß man den zahlreichen Gläubigen den weiten Weg nach Reifnitz zum Gottesdienst und zu den Sakramenten nicht mehr zumuten wolle, schließen. Mithin waren so viele Menschen zusammengeströmt, daß sie eine neu erbaute Kapelle tatsächlich füllten. Aber mehr auch nicht, denn der fromme Otto von Ortenburg hätte das Opfer nicht gescheut, eine Kirche zu errichten. Der Bau der Kapelle des hl. Bar- tholomäus bei Mooswald deutet andererseits darauf hin, daß die "villa" in seinen Plänen noch eine Zeitlang von Bedeutung sein würde. Keinesfalls jedoch wären die Kolonisten aus Kärnten in der Lage gewesen, innerhalb weniger Sommermonate einmal die Über- siedlung aus der alten Heimat in die neue zu bewerkstelligen, dann den Wald zu roden, das Saatgut auszulegen, winterfeste Unterkünfte zu bauen und auch noch eine Kirche zu errichten. Denn das alles mußte bereits geschehen sein, als die Zustimmung des Patriar- chen für die Anstellung eines Kaplans eintraf. Das ist undenkbar, die "villa" mußte also schon längere Zeit vor dem September 1339 angelegt worden sein. Der späteste Zeit- punkt, an dem Mooswald hätte errichtet werden können und müssen, um im Patriar- chenbrief genannt werden zu können, wäre 1337 gewesen. Dabei ist es fraglich, ob es in zwei Sommern möglich gewesen wäre, die unerläßlichen Vorbereitungsarbeiten zu leisten und um 1339 zur Selbstversorgung übergehen zu können. Wenn nicht, wann hätte Mooswald bzw. die "villa" - dieses Wort bedeutete im Mittellateinischen etwa "Landgut" oder "Dorf" - zum frühesten Termin errichtet werden müssen, um im Sommer 1339 be- reits eine offenbar wichtige Funktion ausüben zu können?

Wir kommen dem Zeltpunkt der Gründung Mooswalds näher, wenn wir ihn mit dem To- desjahr des Grafen Meinart I., 1332, in Beziehung setzen. Wie wir wissen, starb Ottos älterer Bruder auf der Stammburg ihrer Vorfahren, wo Otto lebte. Was wollte Meinhart auf der Ortenburg? Unterhielt er sich mit seinem Bruder wegen des Fortganges der Ur- waldkolonisation? Was sie vielleicht vereinbarten, können wir nur ahnen. Wenn wir je- doch annehmen, daß sie das für den weiteren Vorstoß in den Urwald unerläßliche Durch- gangs- und Vorratslager anzulegen beschlossen, dürften wir ganz gewiß nicht einer billi- gen Spekulation anheimfallen. Von 1333 bis 1339 war dann genügend Zeit zum Ausbau des siedlungstechnischen Stützpunktes Mooswald. Wenn man seine Gründung so frühzei- tig ansetzt, wie eben geschehen, war er imstande, nach Erweiterung des Fassungsver- mögens auch den wachsenden Zustrom seit der Konferenz von Villach aufzufangen und - zu verteilen.

Stehen denn die Ausdrücke wie Auffanglager, Durchgangslager, Vorratslager oder gar siedlungstechnischer Stützpunkt nicht im Gegensatz zur Urkunde von 1339, das heißt, zur Bezeichnung "villa"?

Gewiß, die Frage ist berechtigt. Andererseits ist dieses Wort verschieden übersetzt wor- den. Neben "Landgut" trifft man auf Dorf, Ortschaft, größeres Gehöft. Für uns ist die Ü- bersetzung von "villa" jedoch nicht das Entscheidende. Wir suchen vielmehr den Platz oder besser gesagt den Rang, den die "villa Mooswald" im Rahmen der Deutschbesied-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 35 lung des Gottscheerlandes einnimmt. Die oben verwendeten Ausdrücke sind mit vollem Bedacht gewählt, denn in Mooswald muß sich der Lenkungsstab befunden haben. Mit ihm gekoppelt war das Durchgangslager, das die ankommenden Kolonisten bis zu ihrer Ein- weisung beherbergte, wozu primitive Unterkunftsräume erforderlich waren. Zu dem "Landgut" gehörten folglich auch Vorratsräume für Saatgut und den technischen Verpfle- gungsbedarf. Ferner mußte wenigstens notdürftig für das eintreffende Vieh gesorgt sein. Schließlich gehörte zu dem "Landgut", nicht etwa wahrscheinlich, sondern bestimmt, eine Landwirtschaft, die von einer Anzahl Bauern betrieben wurde - gleichsam den Pionieren des späteren Ortes Mooswald. Ihre geringen Überschüsse dürften jedoch kaum ausge- reicht haben, um außer der ständigen Belegschaft des Durchgangslagers, bestehend aus Beamten für die planmäßige Verteilung des Siedlungslandes, Schreibern, Begleit- und Aufsichtspersonal, auch noch die abzufertigenden Siedlergruppen in Mooswald selbst und bis zur ersten eigenen Ernte am Einsatzort zu ernähren. Aufsicht war übrigens zur Ver- meidung eigenmächtiger Landsuche und Landnahme etwaiger unzufriedener Kolonisten wohl unerläßlich. Nach dem Stufenplan, den wir bereits bei der Darstellung der ersten Besiedlungsphase nachzuzeichnen versuchten, mußten nun die bereits länger bestehen- den Dörfer des Oberlandes einen Teil ihrer Ernten an das Hauptlager in Mooswald ablie- fern. Es kann jedoch durchaus sein, daß die Ortenburger auch die Zugehörungen der al- ten Lehenschaften Reifnitz und Ortenegg nach 1336 für diesen Zweck herangezogen ha- ben.

Der Autor des „Jahrhundertbuches” ist durchaus dem Einwand zugänglich, er habe sich einen Zeit- und Stufenplan der Besiedlung des Gottscheerlandes ausgedacht, den es viel- leicht gar nicht gegeben hat. Es scheint jedoch nur so. Er beruft sich wiederum auf den gesunden Hausverstand und auf ganz bestimmte, organisatorische Grundsätze, ohne deren Anwendung das Wachstum einer menschlichen Gemeinschaft nicht möglich ist. Was damit gesagt sein soll, wird an folgender Frage klar: Was wäre geschehen, wenn die Grafen von Ortenburg ihr Urwaldlehen zur regel- und planlosen Besiedlung hätten freige- ben dürfen? Nichts. Es wäre nicht etwa dazu gekommen, daß von allen Seiten Rodungs- bauern herbeigeströmt wären, daß ein großes Geraufe um die besten Böden und Felder, um die ergiebigsten Quellen eingesetzt hätte, sondern, abgesehen davon, daß auch im 14. Jahrhundert für eine Kolonisation Geld und nochmals Geld erforderlich war, das die siedlungswilligen Bauernsöhne nicht besaßen, waren die Bauern des 14. Jahrhunderts noch zu unbeholfen, um ohne Führung und Anleitung an ein schwieriges Werk wie dieses heranzugehen. Der einzelne aber hatte überhaupt keine Chance, sein Leben in der Wild- nis zu fristen. Er hätte sich und seine Familie ohne Nachbarschaft nicht durchbringen können, sofern er überhaupt den Mut aufgebracht hätte, sich schutzlos den bösen Gei- stern auszuliefern. Der Aberglaube besaß zur damaligen Zeit noch einen unvorstellbaren Einfluß auf die Gemüter.

Selbst wenn die Grafen von Ortenburg einen mittleren Weg gegangen wären und die Siedlungswilligen gewissermaßen mit lockerer Hand im Urwald angesetzt hätten, wäre das Gottscheerland, wie wir es nun kennen, nie entstanden. Natürlicherweise waren die Menschen des Mittelalters nicht weniger egoistisch, als wir es heute sind. Die Rücksichts- losesten und Stärksten hätten sich die besten Plätze gesichert und wer später kam, hätte nehmen müssen, was übrigblieb. Wer aber wäre gerne und freiwillig hinaufgezogen auf die höher gelegenen Plateaus mit ihren ungünstigen Böden und Wasserverhältnissen? Den besten Beweis, daß die Grafen von Ortenburg ihr Siedlungswerk im Karsthochland Unterkrains sorgfältig geplant und durchgeführt haben, erbringt ein Blick auf die Land- karte. Mit staunenswerter Anpassung an die Oberflächengestalt der Landschaft und an die Wasservorkommen verteilen sich die Dörfer und Weiler über das "Ländchen", sam- meln sich die kleineren Ortschaften um die Besiedlungsmittelpunkte. Wenn an keiner anderen Stelle, hier ist der Plan erkennbar.

Die Grafen von Ortenburg haben weder das eine noch das andere Verfahren angewendet, sondern haben für das außerordentlich günstige Angebot an die Siedlungswilligen von

Gedruckt von http://www.gottschee.at 36 diesen Ordnung und ein vernünftig zweckmäßiges Mitgehen verlangt und - erhalten. Für die Rodungsbauern war es nicht immer leicht. Drei Ortsnamen drücken dies unüberhör- bar aus: Verdreng und Verderb in der Gemeinde Obermösel und Kummerdorf in der Ge- meinde Nesseltal. Eine Erläuterung dazu erübrigt sich. Aber die in diese Ansiedlungen eingewiesenen Bauern blieben! Ihre Dörfer zählten zu den bekanntesten in der Sprachin- sel. Der Verdrengerberg und der Kummerdorferberg trugen Wallfahrtskirchen.

Die "villa Mooswald" war 1339 die am weitesten nach Süden vorgeschobene Ansiedlung mit Kärntner und Osttiroler Kolonisten. Ob schon ein wesentlicher Teil der Siedler Osttiro- ler Herkunft war, wird noch zu untersuchen sein. Mooswalds Bedeutung schwand mit je- der lebensfähig werdenden neuen Ortschaft bzw. dem Weiterwachsen der Funktionsfä- higkeit der Besiedlungsmittelpunkte. Wann es aufhörte, Hauptlager zu sein, wird sich ungefähr noch feststellen lassen, hingegen erscheint es ausgeschlossen, auch nur beiläu- fig die Zahl der Kolonisten, die durch das Durchgangslager geschleust wurden, bzw. das Verwaltungs- und Versorgungspersonal der "villa" zu schätzen oder gar zu errechnen. Die Urkunde vom l. September 1339 sagt nur soviel aus, daß immerhin eine Kapelle gebaut werden mußte und ein Friedhof in Aussicht genommen war. Also lebten in der "villa Mooswald" bereits so viele Menschen, daß ein Geistlicher mit ihrer seelsorgerischen Be- treuung annähernd ausgefüllt war, daß Todesfälle vorkamen, vor allem wohl durch Unfäl- le bei der Rodungsarbeit und durch die hohe Säuglingssterblichkeit, aber eine Zahl kri- stallisiert sich nicht heraus. Die Tatsache, daß Graf Otto eine Kapelle und keine Kirche gebaut hat, spricht eigentlich dagegen, daß diese Zahl "groß" gewesen sein kann. Eine slowenische Quelle vermutet das Gegenteil. So lesen wir bei Simonie auf Seite 8 unter anderem: " ... weil Gottschee nur in den Randgebieten mit slowenischen Bauern besiedelt war, begannen im 14. Jahrhundert die Ortenburger, Siedler von ihren Besitzungen in Kärnten hierherzubringen. Der Ortenburger Graf Otto, der Kolonisator des Gottscheerlan- des, siedelte in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts schon so viele Kolonisten an, daß er in Mooswald ..." Es folgt ein Hinweis auf die Kapelle von Sankt Bartholomäus. Auf Seite 9 heißt es bei Simonic weiter:

"Die Ortenburger haben Gottschee aus wirtschaftlichen Gründen mit einer größeren Zahl von Bauern zu kolonisieren begonnen, um mit einem dichter besiedelten und bearbeite- ten Land ihre Einkünfte zu vergrößern. Auf das Gut brachten sie auch deutsche Beamte und Handwerker. Die Zahl der deutschen Bauern, die Graf Otto in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts von seinen Besitzungen in Oberkärnten nach Gottschee gebracht hatte, war sehr groß."

Es wäre eine reine Zahlenspielerei, würde man diesen weit auseinanderliegenden Vermu- tungen eine konkrete Schätzung gegenüberstellen. Die Unbestimmtheit wandelt sich al- lerdings bis zur Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Zahl, wenn man folgende Überle- gungen in das vermutete Geschehen der Kolonisation einführt. Da ist vor allem ein pri- vatwirtschaftliches Argument heranzuziehen: Türk schreibt in seiner kurzen Charakteri- stik der Grafen von Ortenburg, daß sie auch "kühle Rechner" waren. Meinhart I. war dies zweifellos nicht, aber der sparsamere Otto hatte die Beamten des "Lehenhofes" sicherlich angewiesen, dafür zu sorgen, daß sich der unumgängliche finanzielle Aufwand möglichst bald in steigende Erträge verwandelte. Außerdem dürfte er darauf geachtet haben, daß die Zeitspanne zwischen der Zuschuß- und der Selbstversorgung der "Holden" nicht zu lang ausfiel. Das heißt, der Zuzug der Siedler wurde gesteuert und es war nicht möglich, daß beliebig viele Interessenten ungerufen anreisten. Dieses Verfahren war mit ein Grund, warum bis zum Ende des 14. Jahrhunderts noch Nachzügler in Gottschee eintra- fen. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß ja auch in Kärnten und Osttirol nicht unbe- grenzt viele Siedlungswillige, die den Anforderungen der Urwaldrodung entsprachen, zur Verfügung standen. Völlig ausgeschlossen, weil Verkehrs- und siedlungstechnisch sowie klimaabhängig undurchführbar, war die gleichzeitige Besiedlung aller Teillandschaften des Hochlandes oder auch nur eines Teiles, des Hinterlandes oder des Unterlandes. Die Vernunft gebietet uns die Annahme, daß jeweils Gruppen zusammengestellt wurden, die

Gedruckt von http://www.gottschee.at 37 auf einem vorher bestimmten und abgegrenzten Gelände ein Dorf, ihr Dorf, aufbauten. Die ersten Dorfanlagen des 14. Jahrhunderts wurden bewußt klein gehalten und dürften, außer den Besiedlungsmittelpunkten, zehn bis zwölf Herdstellen kaum überschritten ha- ben. Dieser Größenordnung würde eine Einwohnerzahl von 40, höchstens 50 Personen entsprechen. Ihre körperlichen Strapazen müssen ungeheuer gewesen sein. Damals wur- de die Nachbarschaft, von der die Gottscheer heute noch reden und schreiben, geboren. Alle Arbeiten, die dem Kolonisten unausweichlich auferlegt sind, der Blockhüttenbau, die Rodung und Säuberung der Feldflur von den Steinen und das Herrichten der Weideplätze, wurden gemeinschaftlich geleistet.

Die vorstehend dargelegten finanziellen, wirtschaftlichen, organisatorischen und land- schafts-strukturellen Hindernisse für eine Massensiedlung vermögen wohl kaum die The- se bei Simonic zu stützen, daß die Zahl der Siedler in den dreißiger Jahren des 14. Jahr- hunderts "sehr groß" gewesen sei, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß sie seit der Villacher Konferenz erheblich anstieg. Wie kommt die von Simonic herausgegebene slo- wenische Festbroschüre anläßlich des Gedenkens an die Stadterhebung von Gottschee vor 500 Jahren auf diese großzügige Mengenangabe?

Sie ist nur so zu erklären, daß man den Ausdruck "multae hominum" aus der nächsten bedeutsamen Urkunde aus dem Jahre 1363 bereits auf jene von 1339 angewendet hat. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß man im Mittelalter mit wesentlich anderen Maß- stäben rechnete als heute. Uns stellen sich 80 oder 100 Menschen als eine Handvoll Leu- te dar, in einem Gebiet, in dem bis zum Siedlungsbeginn null Menschen lebten, war das "viel". Einige hundert Menschen gar mußten daher als eine große Menge erscheinen.

Ob sehr viele oder wenige Kolonisten: Wie lautete das Angebot der Ortenburger an die Siedlungswilligen? Es ist auch heute noch interessant. Sie erhielten eine ganze "Hube", bayrisches Maß, das waren ungefähr 20 ha, auf folgender Rechtsgrundlage: Grund und Boden wurden dem Rodungsbauern in unkündbarer Erbpacht übergeben. Mithin waren sie "Besitzer", ein Wort, das noch öfter auftauchen wird. Zwei weitere Gesichtspunkte übten eine beträchtliche Anziehungskraft aus, die Bauern konnten ihren Besitz vererben, teilen, tauschen und verkaufen. Die Pachtzinsverpflichtung blieb auch auf Teilen des ur- sprünglichen Grundstückes. Den vielleicht stärksten Antrieb zur Annahme des Angebotes übte die Zusage der vollen persönlichen Bewegungsfreiheit aus. Bei all dem wissen wir jedoch nicht, ob den Siedlungswilligen von Anbeginn die Ungunst des Bodens mitgeteilt wurde.

Wie die Kolonisten im einzelnen in ihre Parzellen eingesetzt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Es wäre auch zwecklos, die Frage aufzuwerfen, ob anfänglich die Feldflur eines Dorfes gemeinschaftlich bearbeitet wurde. Wir können sie nicht beantworten.

Die Siedler erhielten vermutlich keine schriftlichen Zusagen, Belehnungsbriefe, Eigen- tumsurkunden oder dergleichen. Sie hätten sie ja nicht lesen können. Wir gehen sicher- lich nicht fehl in der Annahme, daß sie mit Handschlag vor Zeugen in ihre Grundstücke eingewiesen wurden. Ob diese ein zusammenhängendes Stück Land bildeten, ist zweifel- haft. Man hat sicher darauf geachtet, daß das bebaubare Land, die Wiesen, Felder und die Waldanteile einigermaßen gerecht verteilt wurden. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß bei der Aufgliederung einer Ortsflur ein entscheidungsbefugter Beamter des Grund- herrn anwesend war, wie hätte dieser sonst den Überblick behalten sollen? Es dauerte außerdem gewiß nicht lange, bis jeder Besitzer Zeugenschaft dafür ablegen konnte, wel- ches Grundstück wem in seinem Dorfe gehörte. Das Setzen der Grenzsteine wird eine der unangenehmsten Arbeiten gewesen sein.

Wir verlassen nun den geschichtlichen Nachrichtenraum des Patriarchenbriefes von 1339. 24 Jahre vergehen bis zum Auftauchen einer weiteren Urkunde aus Patriarchenhand. In

Gedruckt von http://www.gottschee.at 38 der Zwischenzeit, da siedlungsgeschichtlich viel geschehen sein muß, fehlt jede Nachricht über das Weiterwachsen des "Ländchens". Wir erfahren lediglich, daß Graf Otto V. im Jahre 1342 gestorben war. Welcher von seinen Neffen, es können nur Otto VI. oder Ru- dolf oder beide gewesen sein, das Siedlungswerk in Unterkrain weiterführte, ist unbe- kannt. Sie müssen in finanzielle Schwierigkeiten geraten sein, denn wir lesen bei Profes- sor Saria, daß "die Ortenburger" zwischen 1351 und 1364 insgesamt viermal Geld bei Laibacher Juden aufgenommen haben ("Die mittelalterliche deutsche Besiedlung von Krain"). Was war geschehen?

1348 war ein Pest- und Erdbebenjahr. Laibach wurde weitgehend zerstört. Vom Do- bratsch bei Villach stürzte eine riesige Felswand in das Gailtal nieder und verschüttete angeblich sieben Dörfer. - Die Pest aber raffte - wie verlautet - etwa die Hälfte der Kärntner Bevölkerung dahin. Daraus können wir schließen, daß die Zahl der Siedlungswil- ligen so entscheidend abgenommen hatte, daß die Grafen gezwungen waren, den Anreiz für die Auswanderung nach Unterkrain durch ein weiteres Zugeständnis zu erhöhen, nämlich, eine Geldprämie, anders ausgedrückt, ein Handgeld, anzubieten. Noch eine an- dere Folge zog die Seuche nach sich. Die Grafen befanden sich durch die Menschenverlu- ste in einer ähnlichen Lage wie ihr Onkel Meinhart I. Das Menschenpotential in der eige- nen Grafschaft reichte nicht mehr aus, um die Besiedlung des Urwaldes in absehbarer Zeit fortzuführen und zu vollenden. Sie mußten daher versuchen, anderswo Auswande- rungswillige zu finden. Sie fanden diese im östlichen Teil der benachbarten Grafschaft Tirol. Natürlich konnten die Grafen von Ortenburg auf dem Gebiete Osttirols nicht einfach Kolonisten werben. Sie bedurften dazu der Genehmigung des Grafen von Tirol und der Grafen von Görz, die dort umfangreiche Lehenschaften besaßen. Auch das Kloster Ad- mont und das Stift Dießen am Ammersee in Oberbayern waren dort begütert. Hübsch hätte sich die historische Pointe in diesem Buch ausgenommen, hätte man einen Zu- sammenhang zwischen dem Vorhaben der Ortenburger und der Gräfin Beatrix, geborene Prinzessin von Wittelsbach, herstellen können. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch in Friaul lebte, so hätte sie keinen Einfluß auf die Freigabe von Kolonisten für Unter- krain nehmen können, denn ihr Sohn war volljährig und ihre Schwäger, die in Lienz in Saus und Braus lebten, hätten ihr gewiß kein Mitspracherecht zugestanden. Es spricht viel mehr dafür als dagegen, daß sich die drei Görzer Grafen die Freigabe von Untertanen durch die Ortenburger abkaufen ließen.

Wie dem auch sei, der Zuzug von Osttirolern in die spätere Sprachinsel Gottschee scheint richtig erst nach 1348 eingesetzt zu haben und nicht unbeträchtlich gewesen zu sein. Dafür sprechen zahlreiche mundartliche Einflüsse aus Osttirol im Gottscheer Dialekt. Die lapidare Feststellung Prof. Kranzmayers, daß die Vorfahren der Gottscheer aus dem tiro- lerisch-kärntnerischen Grenzgebiet stammen, läßt sich, wie wir gesehen haben, nicht nur sprachwissenschaftlich, sondern - mit einigem Anspruch auf Wahrscheinlichkeit - auch historisch belegen. Bevor wir jedoch auf die Feststellung des Kärntner Gelehrten näher eingehen, werfen wir noch einen Blick auf andere Auffassungen zu diesem Thema. Sie trieben die seltsamsten Blüten, auch hinsichtlich der Deutung des Ortsnamens Gottschee, der dem ganzen "Ländchen" seinen Namen gegeben hat.

Da waren viel laienhaftes Historisieren und mancher geschichtliche Wunschtraum unter- wegs. Die Abstammungstheorien reichten von der Annahme, die Vorfahren der Gott- scheer seien Nachkommen der letzten Goten, die sich in die Wälder des Karsthochlandes zurückgezogen hatten, gewesen, bis "Gottes Segen" und "Gottes See" oder "Gatschen" und Kocevje, ein sloweniches Wort, das der historischen Wirklichkeit noch am nächsten kommt. Es ist abgeleitet von "koca" = Hütte und bedeutet soviel wie "Ansammlung von Hütten". Mit dem aufkommenden Nationalismus des 19. Jahrhunderts träumten manche Gottscheer von einer Abstammung ihrer Urahnen aus allen deutschen Stämmen, und hielten das "Ländchen" für ein Klein-Deutschland. Am hartnäckigsten hielt sich die "Thü- ringer-Franken-Theorie". Sie ging davon aus, daß Kaiser Karl IV. (er regierte von 1346 bis 1378) einem Grafen Friedrich von Ortenburg auf dessen Bitte 300 Männer samt ihren

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Familien als Kolonisten in den Wäldern von Gottschee überlassen habe. Es handelte sich angeblich um Rebellen aus Thüringen und Franken, die an sich ihr Leben verwirkt haben sollten. Als Quelle für diese Mär wurde Valvasor herangezogen. Er schreibt auf Seite 194 des XI. Bandes seines Hauptwerkes: "Die Ehre des Herzogtums Crain", der Laibacher Bischof Chroen habe in dem Archiv von Bischoflak bei Laibach eine Notiz gefunden, aus der hervorging, es seien "300 Männer samt ihren Weibern und Kindern durchgekom- men". Sie sollen nach Gottschee weitergereist sein, um dort die Wälder zu roden. Nichts gegen den Bischof, nichts gegen den Verfasser der Notiz, aber alles gegen die Zahl 300 und gegen den Grafen Friedrich von Ortenburg, der um diese billige Belegschaft für das Siedlungsunternehmen Urwald in Unterkrain gebeten haben soll. Die Zahl 300 ist einfach zu glatt und - zu hoch. Sie stellt ohne jeden Zweifel eine Schätzung dar, und was man von den Maßstäben der mittelalterlichen Schätzer im Vergleich zu den heutigen und in bezug auf Menschenmengen halten kann, haben wir bereits erörtert. Aber der Historiker und der Sprachwissenschaftler haben unwiderlegbare Argumente gegen die "Thüringer- Franken"-Theorie:

"300 Männer samt ihren Weibern und Kindern" bedeuteten, selbst wenn man nur vier Familienmitglieder als Durchschnitt nimmt, 1200 Personen, wahrscheinlich wären es aber 1400 bis 1500 gewesen. Was es bedeutet hätte, diese mehrere hundert Meter lange Menschenschlange samt einem entsprechenden Troß von Ochsengespannen von Thürin- gen und Oberfranken durch teilweise unbesiedeltes Gebiet über Bäche und Flüsse, Berg und Tal, bei schlechtester Verpflegung nach Gottschee zu lotsen, können wir uns mit et- was Phantasie heute noch ausmalen. In Sonderheit können wir uns vorstellen, daß diese Menschenmasse nicht an allen Orten, durch die sie bettelnd zog, willkommen gewesen wäre, denn sie war wohl mit Kindern, kaum jedoch mit barem Geld gesegnet.

Doch gesetzt den Fall, alle Strapazen wurden überwunden und die "300 Männer samt ihren Weibern und Kindern" waren in Gottschee eingetroffen. Was dann? Die Organisato- ren des ortenburgischen Siedlungswerks hätten sie ja nicht in Mooswald oder anderswo lagermäßig unterbringen können. Der Elendszug wäre ja erst mit dem Sommer zu Ende gegangen. Wohin mit ihnen? In die bereits bestehenden Dörfer hineinzwängen? Es ist außerdem schlicht und einfach unrealistisch und ein Wunschtraum, zu erwarten, daß die bereits angesiedelten Kolonisten aus Oberkärnten und Osttirol die Überflutung ihrer An- siedlung mit Thüringern und Franken widerspruchslos hingenommen hätten. Der weitere Verlauf der Gottscheer Geschichte läßt vermuten, daß die ersten Gottscheer in diesem Falle ihrerseits erstmals zu Rebellen geworden wären.

Die Verfechter der "Thüringer-Franken-Theorie" mögen dieser Argumentation entgegen- halten, daß die Grafen von Ortenburg als Grundherren dann eben durchgegriffen und für Ordnung gesorgt hätten. Zu einfach! Wer sich durch die obigen Einwände nicht überzeu- gen ließ, wird sich dem unwiderlegbaren wissenschaftlichen Hauptargument beugen müs- sen: Es findet sich in der Gottscheer Mundart kein nennenswerter Anhaltspunkt dafür, daß in diesem frühen Stadium der Besiedlung des "Ländchens" 1200 bis 1500 Thüringer und Franken eingesetzt wurden. Die dem Sächsischen nahverwandte thüringische Mund- art hätte sich auf jeden Fall zumindest in dem bereits erschlossenen Siedlungsraum nie- dergeschlagen. Hätten die Ortenburger aber einige Dörfer ausschließlich mit Thüringern und Franken angelegt, so hätten sich deren Dialekte erst recht erhalten. - Im übrigen war schon Valvasor nicht sicher, daß die von Chroen aufgefundene Notiz der Wirklichkeit entsprach. Und nebenbei bemerkt: Wir brauchen ja gar nicht auszuschließen, daß Karl IV. oder jemand anderer den Ortenburgern eine Anzahl Bauernfamilien aus Thüringen und Franken zur Verfügung gestellt hat. Es wäre. durchaus denkbar, daß sie dann in klei- nen Gruppen auf die bereits bestehenden Ansiedlungen aufgeteilt wurden. Die Formulie- rung; "300 Männer samt ihren Frauen und Kindern" ist historisch falsch. Kein Beleg exi- stiert auch für die Behauptung, ein Graf Friedrich von Ortenburg habe um die Überlas- sung von Kolonisten beim Kaiser nachgesucht. In dem fraglichen Zeitraum zwischen 1346 und 1363 gab es keinen ortenburgischen Grafen Friedrich, hingegen einen kraini-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 40 schen Landeshauptmann namens Friedrich von Sanneck. Einen Grafen Friedrich von Or- tenburg konnte es deshalb nicht geben, weil die beiden Söhne Meinharts I. kinderlos starben und sich unter den 9 Kindern des Grafen Albrecht II. kein Friedrich befand. Au- ßerdem befinden sich unter den Regesten, das sind Kurzfassungen von Anordnungen und Erlässen der Regierungszeit Karls IV. - 1346 bis 1378 -, keine kaiserliche Verfügung über die Freigabe von 300 Rebellen samt ihren Weibern und Kindern.

Wir verlassen die urkundlich unergiebige Zeit von 24 Jahren zwischen der Urkunde vom l. September 1339 und vom l. Mai 1363 nicht ohne die Gewißheit, daß die finanziellen Auf- wendungen der Grafen von Ortenburg offenbar weitaus größer waren als ursprünglich veranschlagt. 1363 also stoßen wir auf die nächste bedeutsame Urkunde aus der Besied- lungsgeschichte des Gottscheerlandes: Wieder handelt es sich um einen Patriarchenbrief, diesmal aus den Händen Ludwig I. de la Torre, datiert vom l. Mai. Aus dem Inhalt des, kirchlichen Obliegenheiten gewidmeten, Dokuments interessiert uns hauptsächlich, was Professor Grothe aus dem lateinisch abgefaßten Text auf Seite 26 seines Buches über Gottschee ins Deutsche überträgt:

"Es gelangte zur Kenntnis des Patriarchen Ludwig auf dem Heiligen Sitz zu Aquileja, daß innerhalb der Grenzen der zu unserer aquilejischen Diözese gehörigen Seelsorgestation des hl. Stefan von Reifnitz, und zwar in dessen Seelsorge oder Pfarre in gewissen Hainen und Wäldern, die unbewohnbar und unbebaut waren, viele menschliche Wohnungen er- richtet, diese Haine und Wälder dem Ackerbau zugeführt worden sind und daß eine nicht geringe Menge Volkes darin zu wohnen kam."

Zur seelsorgerischen Betreuung dieser "nicht geringen Menge Volkes" genehmigte Aquile- ja die Errichtung von fünf Pfarrstellen, und zwar: "Gotsche, Pölan, Costel, Ossiwnitz et Goteniz." Das sind in der späteren Schreibweise: Gottschee, Pölland, Kostel, Ossilnitz und Göttenitz. Der lateinische Wortlaut der Urkunde steht bei Grothe auf Seite 212. Bemer- kenswert ist, daß die Urkunde auch einen Grafen Otto von Ortenburg anspricht. Es han- delt sich mit Sicherheit um Otto VI., Sohn des Grafen Albrecht II. und Fortpflanzer seines Geschlechts.

Vor uns liegt abermals das schwierige Unterfangen, eine von ihren Schreibern ungenau angefertigte Urkunde aus ihrer Zeit heraus zurück in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft möglichst richtig einzuordnen und auszudeuten. Zunächst stellen wir fest, was sie direkt aussagt:

Zum erstenmal ist der Ortsname Gottschee in der Schreibweise "Gotsche" urkundlich genannt. Gleichzeitig taucht in der nördlichen Hälfte der Sprachinsel Göttenitz auf - Mooswald hingegen wird nicht mehr erwähnt. Stark in den Vordergrund tritt die Süd- und Südostflanke des Siedlungsgebiets mit der Erwähnung der Schlösser Pölland und Kostel, sowie des Ortes Ossilnitz an der Einmündung der Cabranka in die Kulpa. Die Urkunde bestätigt ferner, daß das Urwaldlehen der Ortenburger unbewohnbar und unbebaut war, daß nun aber eine "nicht geringe Menge Volkes" hier seßhaft geworden sei und Landwirt- schaft betreibe.

Auf Grund der Vorarbeit des „Jahrhundertbuches“sind wir in der Lage, uns indirekt Zu- gang zu weiteren historischen Tatbeständen zu verschaffen:

Erstens: Alle fünf neu geschaffenen Pfarrstellen liegen im Bereich der ersten Besied- lungsphase. Natürlicherweise waren sie hinsichtlich der Bevölkerungszahl schon wesent- lich weiter als die Kolonistendörfer der Oberkärntner und Osttiroler. Deren Besiedlungs- mittelpunkte waren noch nicht zu Pfarrdörfern herangereift. Sie hatten jedoch bestimmt einen gewissen Anteil an der nicht geringen Menge Volkes, von der die Urkunde des Pa- triarchen Ludwig spricht. Auch die Ostflanke des Siedlungsgebiets, die Moschnitze, ist

Gedruckt von http://www.gottschee.at 41 kirchenorganisatorisch noch uninteressant. Woraus zu schließen ist, daß sie kolonisato- risch ebenfalls noch abseits lag.

Zweitens: Mooswald hat offensichtlich seine Bedeutung als Vorort des Siedlungsunter- nehmens an "Gotsche" abgegeben. In Gottschee taucht laut Urkunde auch der Kirchen- patron der Mooswalder Kapelle, der hl. Bartholomäus, auf. Das muß nicht heißen, daß 1363 die "villa" bereits aufgelassen war und besiedlungstechnisch keine Rolle mehr spiel- te. Hingegen hat sich "Gotsche" bevölkerungsmäßig so weit entwickelt, daß eine Pfarr- stelle und die dazugehörige Kirche erforderlich geworden waren.

Die vorstehende Überlegung des Verfassers betreffend den Übergang siedlungsgeschicht- licher Funktionen von Mooswald auf Gottschee deckt sich nicht mit den slowenischen Vor- stellungen zu diesem Punkt. So heißt es bei Simonic auf Seite 8: "Weil in der ersten fol- genden Urkunde aus dem Jahre 1363 die Kapelle des hl. Bartholomäus nicht mehr er- wähnt wird, sondern nur die Kirche des hl. Bartholomäus in Gottschee, die inzwischen vergrößert wurde, daß mit dem Namen Mooswald ursprünglich Gottschee bezeichnet wurde, das eine blühende Ansiedlung auf dem ortenburgischen Gut war. Der Name Gott- schee war vordem im Amtsgebrauch noch nicht bekannt."

Drei tragfähige Argumente sprechen gegen die Annahme, Gottschee habe ursprünglich Mooswald geheißen:

a. Gotsche ist älter als Mooswald. b. Mooswald wäre aus dem Ortsnamensverzeichnis des Gottscheerlandes ver- schwunden, wenn an seine Stelle die Bezeichnung Gotsche getreten wäre. c. Der Ortsname Gottschee durchlief eine eigenständige sprachliche Entwicklung, die siedlungsgeschichtlich gebunden ist, jedoch mit der Herkunft der Urahnen der Gottscheer aus Oberkärnten und Osttirol nichts zu tun hat.

Woher aber kommt die Orts- und Landschaftsbezeichnung "Gottschee"?

Wir können es uns leisten, auf die Deutungstheorien des 19. Jahrhunderts zu verzichten, weil wir eine wissenschaftlich fundierte Alternative vorzuweisen haben. Wir wiederholen: Graf Meinhart I. und sein Sohn Hermann III. haben bereits vor 1315 die Ansiedlung von überwiegend slowenischsprechenden Kolonisten aus ihren unterkrainischen Lehenschaf- ten begonnen. Sie erschlossen zunächst das Oberland und drangen vom Norden her in das Waldinnere bis zu dem späteren Gottschee und dem Hinterland, bis Göttenitz als südlichste Punkte vor. Bis in unsere Zeit herein galt die These, der Name Gottschee komme aus dem slowenischen "Kocevje", als ganz realistisch, denn mit einer "Anzahl von Hütten" hat es ja sicher angefangen. Mühelos ließ sich außerdem von "Kocevje" ein laut- licher Entwicklungsgang zu "Gottschee" konstruieren. Das ist auch geschehen und man gab sich wohl auf slowenischer, weniger jedoch auf gottscheerischer Seite damit zufrie- den. Nichts und niemand zwingt uns jedoch aber anzunehmen, daß "Kocevje" das Aus- gangswort sein muß. In der Tat kann es ein fast gleichlautendes Wort gewesen sein: Da- bei fällt einem die Ortsbezeichnung "Hocevje" östlich von Reifnitz auf (das Anfangs-"H" ist wie "CH" zu sprechen). Die erste urkundliche Erwähnung war laut Grothe (Karte Nr. 5) im Jahre 1145. Weder der Leipziger Professor noch der Autor vermuteten einen Zusam- menhang mit der Ortsbezeichnung "Gottschee". Erst später stieß er bei Professor Saria, einem der besten Kenner der Kolonisationsgeschichte Krains, in seiner Arbeit (Seite 96) auf den tieferen Sinn des Wortes "Hocevje". Der 1974 in Graz verstorbene Gelehrte kommt zu der Erkenntnis, daß "Gotsche" nicht von "Kocevje" stamme, sondern von "Ho- cevje" herrühre. "Hocevje" bedeute "der Tann" oder "Tannwald". Saria bezog seine sprachliche Entdeckung noch nicht auf die Siedlungsgeschichte des Gottscheerlandes. Für uns, die wir über deren Uranfänge unterrichtet sind, ist nur ein kurzer Gedankensprung nötig, um in die unmittelbare Nähe der geschichtlichen Wirklichkeit vorzudringen:

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Das ursprüngliche "Hocevje" lag auf dem Boden entweder der auersperg'schen oder der ortenburgischen Lehenschaften in Unterkrain. In beiden Fällen können die Ortenburger Siedler aus diesem Ort an die mittlere Rinse verpflanzt haben. Es bedarf keiner besonde- ren Begründung, daß diese Kolonisten mit slowenischer Umgangssprache der neuen Hei- mat die Bezeichnung ihrer alten gegeben haben. Wie wir außerdem wissen, hat Graf Otto V. seinem Bruder Meinhart bzw. dessen Sohn Hermann III. mit Kärntner Siedlern ausge- holfen. Keinem der damaligen Ortenburger wurde es bewußt, daß sie Angehörige zweier verschiedener Völker ansiedelten. Deshalb mischten sie diese völlig unbefangen. Wie das rasche Wachstum des Ortes beweist, belegten sie namentlich "Hocevje", das spätere "Gotschee", mit Siedlungswilligen aus dem fernen Kärnten, weil das kleine Dorf an der mittleren Rinse verkehrsmäßig und wasserwirtschaftlich besonders günstig war, und - das muß den Kolonisatoren schon vor 1363 aufgegangen sein - sich als Mittelpunkt des gesamten Siedlungsgebiets zu eignen schien.

Da nun nur noch deutsche Kolonisten in dichter Folge nachrückten, überwog mit gleicher Geschwindigkeit ihre bairisch-österreichische Mundart. Der vorgefundene Ortsname "Ho- cevje" lag den neuen Siedlern nicht. Der Deutsche meidet allgemein das "CH" als Wort- beginn. Er weicht, wo er es antrifft, gerne auf "K" oder "G" aus. Im Gegensatz dazu schätzen die Slowenen und andere slawische Völker das gehauchte anlautende "H" wie- derum nicht. Die Entwicklung von "Hocevje" zu "Gottschee" wird jedoch erst ganz ver- ständlich, wenn man die mundartliche Bezeichnung für Stadt und Land Gottschee heran- zieht.

Die Umwandlung des "H" zu "G" war die erste Stufe. Unter dem Einfluß des "G" verschob sich das "o" zu einem kurzen, gestoßenen "a". Das "tsch" blieb erhalten, während sich das "e" unter dem Druck der Betonung in "e" und "a" spaltete. Das "v" aber verschob sich zu "b". Die Schlußsilbe "je" aber wurde fallengelassen. Das Endergebnis war - und das kann kaum mehr als ein Menschenalter gedauert haben - das heute noch gebräuchli- che "Gatscheab". Nicht zuletzt wird der Kindermund an dieser Ausformung beteiligt ge- wesen sein. Der Gottscheer nennt sich heute noch "Gattscheabar", das "r" wird nur an- gedeutet. Die Gottscheerin aber heißt "Gattscheabarin".

Drittens: Die Verfasser der Urkunde vom l. Mai 1363 - der Patriarch hat sie gewiß nur unterschrieben - beschränkten sich ebenfalls auf eine unbestimmte und für den Betrach- ter nach 650 Jahren numerisch nicht bestimmbare Angabe: "... eine nicht geringe Menge Volkes..." Trotzdem nähern wir uns der tatsächlichen Zahl, wenn wir die nächste Urkunde ins Auge fassen: 1377 wurde das Dorf "Gotsche" zum Markt erhoben. "Markt" bedeutete das Zusammenkommen von Erzeugern und Verbrauchern sowie Handel zwischen ihnen. Die Markterhebung erfolgte zweifelsfrei auf Betreiben der Grafen von Ortenburg, die da- mit das mit der fortschreitenden Besiedlung wachsende Wirtschaftsleben in Gang setzen wollten. Gotsche und Mooswald allein hätten aber einen Markt nicht gelohnt. Also mußten bereits weitere Ortschaften in einer Zahl entstanden sein, daß die Errichtung eines wirt- schaftlichen Mittelpunktes nützlich erschien, sowohl für die Bauern als auch für den Grundherrn, dessen Einnahmen wuchsen. Die Ortenburger wären eben keine "kühlen Rechner" gewesen, hätten sie nicht dafür gesorgt, daß ihre Neubauern die Erbpacht be- zahlten, aber auch bezahlen konnten.

In unsere Überlegungen müssen wir auch die Tatsache einbeziehen, daß seit dem Beginn der Kolonisation etwa zwei Menschenalter vergangen waren. Das heißt, daß bereits 60 Jahrgänge an Gottscheern geboren waren und jeder wurde durch natürliche Vermehrung und weiterfließenden Zuzug stärker als der andere. Logische Folgerung: Diese stetig zu- nehmende Bevölkerung konnte nicht mehr im Oberland oder im Raum des Neumarktes untergebracht sein, zumal es ja nicht der Zweck des ortenburgischen Siedlungswerkes war, die Menschen an einer Stelle zusammenzuballen. Dazu wird es unter völlig verän- derten Umständen erst später, in rund 600 Jahren, kommen.

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Die Verteilung der Kolonisten über die westliche Hälfte des Siedlungsgebietes muß sich bereits um 1377 dem Abschluß genähert haben. Dafür spricht insbesondere die Mittei- lung bei Simonic (siehe Seite 23), daß das erste Urbarium des Siedlungsgebietes von Gottschee schon im Jahre 1398 erstellt wurde. Leider ist davon nur die Aufstellung der Ansiedlung und ihrer Abgaben im Amte Rieg erhalten geblieben. Sie wird im Staatsarchiv zu Ljubljana (Laibach) aufbewahrt. Leider war dieses Urbarium dem Verfasser beim Ab- schluß seiner Arbeit noch nicht zugänglich. Immerhin wissen wir aber, daß 1398 bereits ein Amt Rieg bestanden hat und im Großen und Ganzen die Kolonisation des Gottscheer- landes abgeschlossen war. Diese Feststellung deckt sich mit der Ansicht von Professor Saria, daß der Zuzug von Kolonisten mit dem 14. Jahrhundert zu Ende ging. Wenn wir nun auch noch auf das vollständig erhaltene Urbarium aus dem Jahre 1574 vorgreifen, so treffen wir auf eine Schätzung von 9000 Gottscheern. Wenn wir schließlich berücksichti- gen, daß die Kindersterblichkeit sehr hoch war, und die durchschnittliche Lebenserwar- tung rund 42 Jahre betrug, so bleiben wir wirklichkeitsnah, wenn wir die Zahl der Gott- scheer im Jahre 1363 auf etwa 2500 bis 2600 und 35 Jahre später, 1398, auf rund 3500 schätzen.

Das Siedlungswerk der Grafen von Ortenburg in dem Urwald zwischen Reifnitz und Kulpa schien am Ende des 14. Jahrhunderts geglückt zu sein. Waren aber ihre Kolonisten und deren erste und zweite im Lande geborene Nachfolgegeneration glücklich? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, daß sie den unabänderlichen Lebensgesetzen und Abhängigkeiten der Gottscheer unterworfen waren: Klima und Boden, Wald und Wasser, Enge des Le- bensraumes und kleine Zahl, Politik und Religion. - 1393 war die Pfarrstelle Gottschee von der Großpfarre Reifnitz abgetrennt und als eigene Pfarre bestätigt worden. Ihre Auf- gabe als Mittelpunkt des "Ländchens" war urkundlich bereits 30 Jahre zuvor in Erschei- nung getreten.

Bevor wir auf das weitere Schicksal der Grafen von Ortenburg eingehen, verzeichnen wir kurz das tragische Ende des Patriarchen Bertrand von Aquileja. Vom Volk des Patriar- chenstaates geliebt und verehrt, vom friaulischen Adel und den Städten wegen seiner ordnungsgebietenden Regierung als Landesherr gehaßt und bekämpft, starb er 1350 un- ter den Schwerthieben einer Verschwörergruppe. Er, der persönlich tapfere Mann, der unter dem Chorhemd stets den Kettenpanzer trug, hatte die Warnungen seiner Umge- bung vor dem Überfall während einer Reise von Padua nach Udine in den Wind geschla- gen.

Mehr Raum als dieser bemerkenswerten Persönlichkeit auf dem Stuhl des hl. Hermagoras widmen wir nach dem Ausklang des 14. Jahrhunderts den Vasallen der Patriarchen von Aquileja, den Grafen von Ortenburg. Daß Otto V. 1342 gestorben war und sein Neffe, Otto VI., der Fortpflanzer des Geschlechts, die Führung der Grafschaft übernommen hat- te, wissen wir bereits. In seinem Sohn Friedrich III. tritt uns abermals eine jener orten- burgischen Gestalten entgegen, die dem Hause Ortenburg weit über Kärnten hinaus Ein- fluß und Ansehen verschafften. Begabt, überlegen, tapfer und - treu als "Schwert Aquile- jas". Er stieg in die höchsten politischen Ämter auf, die je einem Ortenburger zuteil wur- den, ohne freilich in den politischen Geschäften eine besonders glückliche Hand zu besit- zen. Bereits in verhältnismäßig jungen Jahren schloß er mit dem Grafenhaus von Cilli, seine Mutter war eine geborene Gräfin von Cilli, einen Erbvertrag auf Gegenseitigkeit für den Fall, daß einer der regierenden Grafen ohne männlichen Leibeserben bliebe. Verhei- ratet war Friedrich mit Margaretha, einer Tochter des Herzogs von Teck im württember- gischen Schwaben. Ihr einziger Sohn starb im Kindesalter. Der Graf genoß die besondere Förderung des Kaisers Sigismund (er regierte von 1407 bis 1437). Der Herrscher war, wie Friedrichs Vater, mit einer geborenen Gräfin von Cilli vermählt.

Weil die Zuverlässigkeit des Ortenburgers bereits vor dem Regierungsantritt Sigismunds erprobt war, übertrug er ihm zeitweilig das Amt des Generalvikars in Norditalien und er-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 44 teilte ihm Sonderaufträge im Kampf mit der Republik Venedig, der Friedrich mit seiner kleinen Privatarmee nicht unbeträchtliche Verluste zufügte. Dank seiner Eitelkeit und Stellung fiel es ihm nicht sonderlich schwer, die Erwählung seines Schwagers, Herzog Ludwigs von Teck, zum Patriarchen durchzusetzen. Doch damit stehen wir bereits im 15. Jahrhundert.

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Das 15. Jahrhundert

Graf Friedrich III. von Ortenburg verlor sich jedoch nicht vollends in der Politik. Daß er dies nicht tun konnte, dafür sorgten unter anderem seine Gottscheer. Die dritte im Lande geborene Generation, die von der Herkunft ihrer Groß- und Urgroßväter kaum noch et- was wußte, war herangewachsen. Sie versuchte mit den mageren Daseinsbedingungen des "Ländchens" zu leben. Es gelang ihr zwar in der Landwirtschaft, das Existenzmini- mum zu erreichen, aber nur durch übermäßige Schlägerung der den Siedlern ursprüng- lich zugemessenen Waldanteile. Diese reichten deshalb nicht mehr für die Versorgung mit Bau- und Brennholz aus. Der Engpaß war natürlich mit der gestiegenen Bevölkerungszahl entstanden. Eigennutz mag dabei mitgesprochen haben. Die Bauern begannen in den Wäldern des Grundherrn zu Schlägern. Über die Berechtigung und den Umfang der Holz- entnahme aus dem Herrschaftswald gerieten sie in so heftigen Streit, daß Blut floß.

Die Reaktion des Grundherrn auf diese Vorgänge war typisch ortenburgisch. Er antworte- te nicht mit Unterdrückung und Gewalt, weil er einsah, daß der Bauernwald den gestie- genen Bedürfnissen nicht mehr entsprach. Um außerdem einen ständigen Herd der Unzu- friedenheit zu beseitigen, erließ er im Jahre 1406 ein "Waldgesetz", die Waldgerechtsa- me". Es räumte den Bauern in einem bestimmten Rahmen Nutzungsrechte am Herr- schaftswald ein. Die Gottscheer haben sich noch Jahrhunderte später auf die "alten Rech- te und Waldgerechtsame" berufen, wenn sie von weniger menschenfreundlichen Grund- herren drangsaliert wurden.

Bemerkenswert ist, daß Graf Friedrich das Waldgesetz von Reifnitz und nicht von Gott- schee aus erließ. Offenbar war bereits vor der Jahrhundertwende die zentrale Verwaltung der ortenburgischen Lehenschaften in Unterkrain nach Reifnitz verlegt worden. Darauf läßt namentlich die "Chronik" des Burkard Zink schließen, daß Graf Friedrich III. dem Baumeister Hans Schwab um 1409 Bauaufträge erteilte. (Siehe Grothe, Seite 213.) Aus der gleichen Quelle erfahren wir, daß sich auch die Gräfin Margaretha um Gottschee kümmerte. So entsandte sie laut Zink ihren Schrei-ber, den sie dazu hatte ausbilden las- sen, nach Rieg, wo er an die 30 Jahre als Pfarrer amtierte. Zink wußte das so genau, weil dieser Pfarrer sein Onkel war.

Leider wird Margaretha auch mit dem Tode ihres Gemahls in Verbindung gebracht: Sie soll ihn nach einer unbestätigten Legende - es muß 1418 gewesen sein - bei einem Festmahl vergiftet haben. Angeblich hatte sie ein Tischmesser einseitig mit Gift bestri- chen, damit einen Apfel zerteilt und ihrem ahnungslosen Gemahl die vergiftete Hälfte gereicht (siehe Huschberg). Wer möchte dieser frommen Schwäbin Unrecht tun? In der Tat, schon bei dem Versuch, die Hintergründe dieses vermeintlichen Gattenmordes auf- zuklären, drängt sich der Schluß auf, daß Margaretha kein einleuchtendes Motiv haben konnte. Daß sie ihrem Mann keinen zweiten männlichen Leibeserben bringen konnte, war nicht ihre Schuld, sondern ein menschliches Unglück, und kein Grund, ihn, an dessen Seite sie das Leben einer Fürstin führte, umzubringen. Sie hatte auch kein bedeutendes Erbe aus seinem Vermögen zu erwarten, denn es bestand doch der Erbvertrag zwischen Ortenburg und Cilli. Und die Grafen von Cilli selbst - hatten sie ein Motiv? Als einziges könnte man vielleicht den Wunsch heranziehen, möglichst rasch in den Besitz des orten- burgischen Erbes zu gelangen. Da aber Friedrich über das Haus Cilli mit Kaiser Sigismund ebenfalls verwandt war, dürften die Cillier den Verwandtenmord nicht erst ins Auge ge- faßt haben.

Wem aber konnte der Tod Friedrichs III. von Ortenburg soviel nützen, daß das Bekannt- werden des Mordanschlags an ihm in der Öffentlichkeit weniger schwer wog als sein Wei-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 46 terleben? Erst wenn wir das politische Kraftfeld, in dem sich der Schwertträger Aquilejas bewegte, genau ausleuchten, finden wir ein glaubwürdiges Motiv - es ist allerdings kaum mehr als ein schlüssiger Verdacht, ohne daß dafür Belege beigebracht werden können. Der ungemein tapfere und schnell operierende "Condottiere" aus Kärnten/Krain war der Republik Venedig ein Dorn im Auge. Er nahm in den unaufhörlichen Auseinandersetzun- gen zwischen dem Kaiser und ihr eine Schlüsselstellung ein. Freilich gelang es ihm nicht, die Lagunenstadt an der oberen Adria militärisch zu bezwingen, wozu selbst der Kaiser aus Geldmangel nicht imstande war, aber er fügte ihr schwere Verluste zu. Aus Geld- mangel sah sich der Kaiser auch gezwungen, am 17. April 1413 mit Venedig einen auf fünf Jahre befristeten Waffenstillstand abzuschließen. Er wurde von beiden Seiten viel- fach gebrochen, geriet jedoch nicht in Vergessenheit. Der Ortenburger aber verschwand von der politisch-militärischen Bühne. Er zog sich auf seine Güter in Krain zurück. Groß- räumige Kämpfe zwischen den Venezianern und dem Kaiser begannen erst wieder genau fünf Jahre nach dem Abschluß des Waffenstillstandes, nämlich am 18. April 1418.

Und hier das Motiv der Republik Venedig, wie es der Verfasser sieht:

Setzte man des Kaisers tüchtigsten Kriegsmann rechtzeitig außer Gefecht, sparte man viel Zeit, viel Geld und - venezianisches Blut. Wie der Mord im einzelnen ausgeführt wur- de, ist mit der umstrittenen Legende vom vergifteten Apfel gewiß nicht belegt. Daß er geschehen ist, ist unzweifelhaft. Es kann auch so gewesen sein, daß Venedig einen ge- dungenen Mörder unter das Gesinde der Hofhaltung des Grafen geschmuggelt hat, mit dem Auftrag, noch vor dem 18. April 1418 zuzuschlagen. Die Politiker der landhungrigen Seemacht an der oberen Adria aber besaßen genug Phantasie, um der Gräfin Margaretha den Gattenmord gerüchtweise zuzuschieben.

1420 eroberte Venedig den Patriarchenstaat und zwang den Patriarchen, seinen Sitz von Udine in die Lagunenstadt zu verlegen. Dies scheint die obige Gedankenreihe zu bestäti- gen. - 1420 starb die Gräfin Margaretha und im gleichen Jahre belehnte der Kaiser die Grafen von Cilli mit den Grafschaften Ortenburg und Sternberg. Sie durften sich fortan "Grafen von Cilli und Ortenburg" nennen. Das noch unbefestigte und hilfsbedürftige Gott- scheerland aber hatte seinen gütigen Schirmherrn verloren. Die Ära der Grafen von Or- tenburg war leidvoll zu Ende gegangen.

Und leidvoll begann die Herrschaft der Cillier. Sofort setzte eine brutale Ausbeutung ein. Die Abgaben wurden drastisch erhöht. Die Cillier trugen selbst ihre Familienangelegen- heiten zum Teil auf Gottscheer Boden aus. Oberhaupt des Hauses war damals Graf Her- mann II. Sein Sohn Friedrich verliebte sich in ein Edelfräulein, Veronika von Dreschnitz. Sie gehörte zu dem kleinen Hofstaat seiner Frau Elisabeth. In höchster Eile ließ er durch die Gottscheer Bauern auf dem Bergzug, der das Oberland vom Hinterland trennt, eine uneinnehmbare "Veste" errichten und nannte sie: Friedrichstein. Für die geplagten Bau- ern des Ober- und Unterlandes wurde das steinerne Liebesnest des landfremden Grafen zu einem neuen Stein des Anstoßes. Nicht nur mußten sie es auftürmen, sondern sie wurden auch gezwungen, es in Fronarbeit auf unabsehbare Zeit instandzuhalten. Unglück brachte es auch den beiden Liebenden. Das Liebesglück war nur von kurzer Dauer, denn Altgraf Hermann II. ruhte nicht, bis er das Paar getrennt hatte. Er ließ Friedrich gefan- gennehmen und auf Schloß Osterwitz (Ojstrica) festsetzen. Veronika jedoch gelang es zu fliehen. Ihr erstes Versteck fand sie in dem Dorf Kuntschen im Gottscheerland. Als sie sich dort nicht mehr sicher fühlte, eilte sie weiter zu Freunden auf ein Schloß bei Pettau in der Untersteiermark. Dort stöberten sie die Häscher Hermanns auf. Er machte ihr ei- nen Scheinprozeß. Die Richter verurteilten sie wunschgemäß zum Tode. Das Urteil wurde - sinnigerweise - auf Schloß Osterwitz (Ojstrica) von zwei Rittern in einem großen Waschbottich vollstreckt. Friedrich indessen, der in einem Zwischenspiel seine Frau Elisa- beth hatte ermorden lassen, söhnte sich mit seinem Vater aus und wurde nach weiteren hier bedeutungslosen Ereignissen sogar noch sein Nachfolger.

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Friedrichs mit Elisabeth gezeugter Sohn Ulrich war dann der letzte Cillier Graf. Er wurde 1456 auf Veranlassung des Königs Ladislaus Hunyady bei Graz hinterrücks ermordet. Im alten ortenburgischen Schutzmarkt Spittal an der Drau wurde ihm ein fürstliches Begräb- nis gerichtet. Die 36 Jahre Cillier-Herrschaft hatten aber genügt, um die Gottscheer wirt- schaftlich zugrunde zu richten. Neuer Grundherr wurde, abermals durch Erbvertrag, das Haus Habsburg.

Die unmittelbare Verfügung über die Herrschaft Gottschee übte der deutsche König und römische Kaiser Friedrich III. aus. Er war zugleich nämlich Herzog von Krain. Seine Re- gierungszeit: 1440 bis 1493. Auch die Habsburger brachten in dem nun beginnenden Abschnitt seiner Geschichte dem Gottscheer Bauernvolk kein Glück. Friedrich verzichtete darauf, die Herrschaft Gottschee selbst zu bewirtschaften. Vielmehr führte er eine neue Form der Ausbeutung ein, die Verpfändung. Damit war der Willkür des Pfandinhabers Tür und Tor geöffnet. Gleichwohl wäre es ungerecht, würde man ihm und den Habsburgern allein die Schuld für die weitere Ausplünderung und Verarmung des "Ländchens" zumes- sen. Dafür trugen 125 Jahre lang die Türken die Verantwortung. Mordend und brennend, plündernd und Geiseln nehmend, brachen sie zehnmal in das Gottscheerland ein. Schon beim ersten Raubzug im Jahre 1469 legten sie den Markt Gottschee in Schutt und Asche. Das gleiche Schicksal sollte dem Mittelpunkt des Siedlungsgebiets noch sechsmal wider- fahren.

Die Bewohner des niedergebrannten Marktes gingen unverzüglich an den Wiederaufbau, mit dem sie, in der Erwartung weiterer Türkeneinfälle, Verteidigungsmaßnahmen verban- den. Die ursprüngliche Ortschaft Gotsche hatte auf dem Gelände gestanden, auf dem Jahrhunderte später die Kirche zu Corpus Christi errichtet wurde. Sie verlegten den neu- en Standort unmittelbar an die Rinse. Ob der Fluß dort einen natürlichen und fast kreis- runden Bogen gebildet hatte, oder ob die Bevölkerung die Rinse als künstlichen Wasser- graben um das Baugelände herumleitete, ist nicht bekannt. Das letztere sollten wir je- doch nicht von der Hand weisen. Zugleich baten sie ihren Grundherrn, den Herzog und Kaiser Friedrich III., um die Gunst der Stadterhebung. Sie wurde gewährt - kurz nach Ostern des Jahres 1471 unterzeichnete der Monarch in Graz das Dokument (siehe Grothe, Seite 215).

Das Wappen der neuen Stadt in Krain trägt einige in der Urkunde nicht auftauchende, geschichtliche Merkmale. Wir wollen jedoch davon absehen, mehr in das Wappen hinein- zulesen oder aus ihm herauszuforschen, als zum Zeitpunkt seiner Verleihung darin ent- halten sein konnte:

In der linken Hälfte des Innenschildes steht der Kirchenpatron der Pfarrkirche, St. Bar- tholomäus. Wir haben keinen Grund zu bezweifeln, daß es sich um den Apostel dieses Namens handelt. Früher galt er, wesentlich mehr als heute, als der Schutzheilige und Fürbitter der Wandernden. Er hatte weite Reisen bis nach Indien zur Verbreitung des Evangeliums unternommen. Kein Zufall also, daß gerade die Kapelle von Mooswald und die darin versammelten Gläubigen unter seinen Schutz gestellt wurden. Irgendwann zwi- schen 1339 und 1363 ist er selbst dann von der "villa Mooswald" als Kirchenpatron nach "Gotsche" weitergewandert, um die Gottscheer auf dem Weg durch ihre sechs Jahrhun- derte zu begleiten.

Der Heilige tritt im Wappen der Stadt Gottschee mit Kurzschwert und Buch als Kämpfer und Denker in Erscheinung. Die Waffe in der rechten Hand sollte wohl die Verteidigungs- bereitschaft der jungen Stadt gegenüber dem Angreifer aus dem Südosten Europas ver- sinnbildlichen; das Buch in der Linken des Missionsbeflissenen bedeutet die Hl. Schrift.

Schwieriger ist die Deutung des wehrhaften Baues im Innenteil des Wappens. Er kann ebensogut die Wehrhaftigkeit der Stadt selbst symbolisieren wie Burg Friedrichstein, die

Gedruckt von http://www.gottschee.at 48 tatsächlich nie von den Türken bezwungen wurde, oder aber ein Bausymbol für die Befe- stigung, die der Kaiser zur Bedingung für die Stadterhebung gemacht hatte, darstellen.

Mundartgeschichtlich interessant ist der Ortsname "Kotschew" im Randkreis des Wap- pens. Er kommt dem mundartlichen "Gattscheab" sehr nahe. Verblüfft stellen wir jedoch fest, daß in der Stadterhebungsurkunde selbst die Schreibweise "in der Gottschee" ver- wendet ist. Der Heraldiker und der zuständige Sekretär in der kaiserlichen Hofkanzlei haben sich hinsichtlich der Schreibweise also nicht miteinander abgestimmt. Und woher kommt "Gottschee"? Das Wort ist sicherlich eine Weiterentwicklung jenes "Gotsche" aus der Urkunde von 1363, von der eine Abschrift ebenso zweifelsfrei im Archiv der Hofkanz- lei zu Wien vorlag.

Hinsichtlich der Einwohnerzahl des jungen Städtchens sind wir wiederum auf Vermutung angewiesen. Sie dürfte mit 350 bis 400 Seelen eher zu hoch als zu niedrig eingeschätzt sein. In der Hauptsache beherbergte es wohl Bauern, deren landwirtschaftliche Arbeit nach dem Wiederaufbau durch die Stadtbefestigung überaus erschwert wurde. Obgleich schon damals jeder Bauer zwangsläufig ein Handwerker sein mußte, dürften sich bereits einige Spezialisten der Grundhandwerksarten dazugesellt haben, wie Schneider, Schu- ster, Schmiede, Wagner, Faßbinder, namentlich aber Zimmerleute, denn festgemauerte Wohnhäuser waren höchst selten.

Was taten die Gottscheer außerdem, um sich gegen den unerbittlichen Feind zu wapp- nen? Der Wald wurde ihr Verbündeter, Bannwälder entstanden, dichte Dornenhecken wurden an den leicht durchgängigen Stellen der Landschaft angelegt. Zum Schutz der Bevölkerung errichteten die Bauern "Tabore", zu deutsch: Burg, burgähnlicher Bau, in- dem sie Ringmauern um die Kirche zogen. In den Mauern waren kleinere und größere Vorratskammern ausgespart.

Als dritte Dauermaßnahme richteten die Gottscheer eine Warnfeuerkette ein. Zwangsläu- fig bemerkten sie den auf Unterkrain losstürmenden Feind zuerst. Diese sogenannten Kreitfeuer bestanden aus Tag und Nacht besetzten Holzstößen, die jederzeit entflammt werden konnten. Das erste Signal hatte das Kreitfeuer in der Gemarkung des Schlosses Pölland zu geben. Als nächste Station nahm es wahrscheinlich der Unterlager Berg auf, von diesem sicher der Späher (838 m) bei Preriegel, von dort übernahmen weitere Wa- chen das lebenswichtige Lichtsignal und pflanzten es bis Gottschee bzw. von dort bis Reifnitz und Laibach fort.

Der Türke erkannte bald die für ihn ungünstigen Auswirkungen der Feuerkette und ver- suchte sie auszuschalten, indem er die Wachen auskundschaftete, überfiel und nieder- machte.

Die Verteidigungsmaßnahmen der Gottscheer vermochten die von den Türken angerich- teten Schäden nur um ein Geringes zu mildern. Beträchtliche Menschenverluste traten ein. Gemäß seiner Gewohnheit entführte der Feind auch in Gottschee Knaben für die Eli- tetruppe, die Janitscharen, und Mädchen als Sklavinnen. - Angesichts der rasch fort- schreitenden Verarmung und der bleibenden Bedrohung erdachten die Gottscheer eine Art Entwicklungshilfe, wie man heute sagen würde. Wer den Vorschlag, ihnen ein Han- delsprivileg außerhalb ihres "Ländchens" zuzubilligen, an den Kaiser und Herzog heran- gebracht hat, ist nicht überliefert. Jedenfalls unterschrieb Friedrich III. am 23. Oktober 1492 ein Dekret, mit dem er seinen Gottscheern gestattete, "in Ansehen des erlittenen Türkenruins..." mit bestimmten Waren innerhalb der Reichslande im Umherziehen Handel zu treiben. Friedrich ging in die Geschichte als politischer Zauberer ein. Manche Historiker halten die Vermählung seines Sohnes Maximilians I. mit Maria von Burgund für seine bedeutendste politische Tat. Er galt jedoch als Finanzfachmann. Sehen wir davon ab, daß sich dieser "Nachruhm" auch auf die Erschließung neuer Steuerquellen bezieht, so müs-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 49 sen wir hier sein Verständnis für die Notlage der Gottscheer hervorheben. Er erkannte wohl, daß diese, seine Untertanen, sich auf einem ungewöhnlichen, aber vielleicht erfolg- reichen Wege Bargeld verschaffen konnten. Verdienten die Bauern mehr, konnte sie der Pfandinhaber höher besteuern, und auf diese Weise konnte auch der Inhaber der Herr- schaft Vorteile aus dem Handelsprivileg ziehen. In den folgenden Jahrhunderten erwies sich das Hausierpatent bzw. der Hausierhandel, wie das Umherziehen mit Waren etwas abwertend genannt wurde, tatsächlich als der Bargeldbringer schlechthin. Das Patent, das sich ursprünglich auf die gesamte Reifnitzer Zugehörung bezog, wurde nämlich viel- fach erneuert. Allein Kaiserin Maria Theresia (Regierungszeit: 1740 bis 1780) tat dies dreimal und Josef II. (1780 bis 1790) folgte ihrem Beispiel. Die letzte, bis zum Ersten Weltkrieg wirksame, Wiederzulassung wurde 1841 erteilt. Sie wird - anscheinend völlig unorganisch - im 20. Jahrhundert wieder auftauchen.

Womit sind die Gottscheer anfänglich "gereist"? Das Privileg Friedrichs III. spricht von "Vieh, Leinewand und anderem, so sie erarbeitet." Das "so sie erarbeitet" bezieht sich auf die Holzschnitzerei. Die Gottscheer müssen notgedrungen bereits in den ersten zwei bis drei Menschenaltern eine besondere Geschicklichkeit bei der Herstellung von Haushalts- gegenständen aus Holz entwickelt haben. Allerdings, nicht jeder war für das Schnitzen begabt und nicht jeder besaß die Fähigkeit, mit den Schnitzwaren auf Handelswander- schaft zu gehen. Es muß daher schon frühzeitig eine gewisse Arbeitsteilung eingetreten sein, dergestalt, daß die Frauen die "Leinewand" für den eigenen Hausgebrauch wie für den Vertrieb durch die Hausierer erarbeiteten. Sie beherrschten den gesamten Herstel- lungsprozeß vom Flachsanbau über das Rösten, das Brecheln und Spinnen bis zum We- ben. Die Leinwandweberei blieb durch alle Jahrhunderte erhalten und wurde im 20. Jahr- hundert noch da und dort betrieben. Die Spinnstube war der traditionelle Raum für das Entstehen und Weitergeben von Erzeugnissen der Volksphantasie, wie Liedern, Teufels- und Hexengeschichten, Legenden und Erzählungen.

Der Wanderhandel scheint ziemlich ertragreich gewesen zu sein, sonst wäre es nicht er- klärlich, daß die Gottscheer immer wieder auf die Erneuerung ihres Hausierpatents drängten. Das taten sie gewiß nicht nur, damit es nicht in Vergessenheit geriet, sondern wohl auch, weil sie unberechtigte Nachahmer fanden. Der Hausierhandel wurde im Nor- malfall in den Wintermonaten betrieben, der wandernde Bauer kehrte im Frühjahr auf seinen Hof zurück. Immer wieder gab es, insbesondere in den letzten 250 Jahren, Hau- sierer, die sich in der Fremde niederließen und als Geschäftsleute irgendwo selbständig machten. Über die Zahl der am Wanderhandel beteiligten Bauern herrschen falsche Vor- stellungen. Nicht alle Gottscheer Männer zogen seit 1492 im Spätherbst als Hausierer in die österreichischen Alpenländer. Die Natur traf auch hierbei eine Auslese. Man wird ge- radezu an die Frühzeit der Besiedlung des Gottscheerlandes erinnert: Nur die gesünde- sten, kräftigsten und standfestesten Siedlungswilligen hatten die Chance, die unsagbar harten Prüfungen der Urwaldrodung zu bestehen. Auch das Hausieren war bis in das 19. Jahrhundert heran ein hartes Geschäft. Wer es unternahm, hatte eine bis hoch über den Kopf beladene "Kraxn", mit Holzwaren und Leinwand beladen, von Ort zu Ort zu schlep- pen. Hier taucht die Frage auf, was die Männer aus Gottschee unternahmen, wenn sie die heimatliche Ware abgesetzt hatten. Sicher hatten sie dann Waren in ihrem Revier einge- kauft, was zugleich ein Anreiz für die Eröffnung eines Geschäftsunternehmens mit festem Wohnsitz war.

Über die Zahl dieser Saisonwanderer hat natürlich niemand eine Statistik angefertigt. Die vorliegenden Schätzungen bewegen sich nur zwischen 500 und 700 Mann. In deren Ge- samtheit übten sie jedoch in der Kulturgeschichte des deutschen Völkchens im Karst eine bedeutende Funktion aus. Sie bildeten eine lebendige Brücke aus dem Gottscheerland zum geschlossenen deutschen Sprachgebiet.

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Das 16. Jahrhundert

Außer den lebensgestaltenden und -bedrohenden Gesetzmäßigkeiten, zu denen wir auch den Hausierhandel zählen konnten, folgen den Gottscheern drei ereignisträchtige Ent- wicklungen in das neue Jahrhundert: Die Türkennot, die Ausbeutung durch den Grund- herrn bzw. seine Vollstrecker und der Haß auf die darin verkörperte "Obrigkeit". Diesen Bedrängnissen von außen und innen setzten die Bauern Trotz und Widerstand entgegen. Sie drückten sich jedoch nicht nur in einer Rebellion aus, sondern in einem erstaunlichen Beweis von Lebenskraft, einer umfangreichen Binnenkolonisation.

Kaiser Friedrich III. (gestorben 1493) schien das Pfandsystem nicht rasch und nicht ge- nügend Geld eingebracht zu haben. Anders ist es nicht zu erklären, daß er noch kurz vor seinem Tode vom Südrand der Herrschaft Gottschee die sogenannte Herrschaft "Pölland" für 2000 Gulden an einen gewissen Hohenwarth verkaufte. Das Gebiet war gemischt- sprachig besiedelt. Gottscheer Familiennamen wurden durch Josef Obergföll noch im 20. Jahrhundert festgestellt.

Das Gebiet war durch die Türken noch schwerer geschädigt als das übrige Gottscheer- land. Die dezimierte Bevölkerung war schließlich nicht mehr in der Lage, ihren Lebens- raum aus eigener Kraft mit Menschen zu füllen. Aus dem Hauptsiedlungsgebiet aber wag- te kaum jemand, sich dort niederzulassen. Die krainische Landesverwaltung versuchte, den im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts bereits fast ganz entvölkerten Raum mit Uskoken wieder zu besiedeln. Die Uskoken waren ein kroatisch sprechender slawischer Volksstamm in Bosnien, der seinerseits bereits schwer unter der Herrschaft der Türken zu leiden hatte. Laut Simonic (Seite 18/19) begannen sie zögernd in den Zugehörungen von Pölland und Kostel Fuß zu fassen. Da sich jedoch die Behörden und die krainischen Landstände in Laibach nicht über ihre Besteuerung einigen konnten, fehlte die unerläßli- che Förderung von Boden und ihr Ansiedlungsvorhaben blieb ein Provisorium. Nach län- gerem Zuwarten ahmten die Uskoken die Türken nach und unternahmen Raubzüge, un- ter anderem auch in das übrige Gottscheer Siedlungsgebiet. Vor allem hatten sie es auf Vieh und Pferde abgesehen. Noch 1613 und 1615 beschwerten sich die Bauern bei der Obrigkeit über die gewalttätige Nachbarschaft im Süden. Viele uskokische Familien wan- derten weiter und versickerten irgendwo im Kroatischen. - Nach dem Aufhören der Tür- keneinfälle dauerte es ziemlich lange, bis die natürliche Bevölkerungsdichte erreicht war. Die Gottscheer allerdings waren an der Wiederbesiedlung der Herrschaft Pölland nur in sehr geringem Umfange beteiligt. Bei einer späteren Gebietsreform wurden die von Gott- scheern bewohnten Ortschaften Unterlag und Saderz an die Sprachinsel zurückgegliedert.

Die Herrschaft Gottschee aber wurde 1507 durch Kaiser Maximilian I. an den Grafen Jörg von Thurn verpfändet. Eigentlich handelte es sich auch hier bereits um eine Art Verkauf auf Zelt, denn Maximilian behielt sich das Recht des Rückkaufs innerhalb von 16 Jahren vor. Anstatt der notleidenden Bauernschaft eine Erholungspause zu gönnen, häufte der neue Pfandinhaber Forderung auf Forderung. Thurns Pfleger Stersen war wegen seiner Unbarmherzigkeit bei der Eintreibung des Zinses und der anderen Abgaben bald der meistgehaßte Mann im "Ländchen". Im Jahre 1515 war das Maß des Erträglichen über- schritten. Eines Tages rotteten sich die Bauern, auf das äußerste erbost, in der Stadt zu- sammen und stellten den Pfleger. Als er sie wegen ihrer Forderungen jedoch verhöhnte, erschlugen sie ihn. Über diesen hochdramatischen Geschichtsabschnitt schrieb der in Oberdeutschau geborene Arzt Dr. Karl Rom den Roman: "Rebellion in der Gottschee", den einzigen historischen Roman eines Gottscheers über die Vergangenheit seiner Hei- mat.

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An der Willkür des Jörg von Thurn änderte sich trotz des Aufstandes so gut wie nichts. Die Habsburger übersahen im Jahre 1523 zunächst den Rückkauftermin der Herrschaft Gottschee, die sie ein Jahr später jedoch unter Druck wieder erwarben. Sie wurde jedoch unverzüglich an Hans Ungnad weiterverkauft. Dieser mußte sich mit dem Rückkauf in- nerhalb eines bestimmten Zeitraumes, der 1537 auf ewig "verlängert" wurde, einver- standen erklären. Hinter dieser Maßnahme steckte die Erwartung, daß die Herrschaft Gottschee in absehbarer Zeit einen beträchtlichen Wertzuwachs erfahren könnte. Er trat tatsächlich ein, allerdings erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, durch die dritte Besiedlungsphase, die Binnenkolonisation. In der Literatur ist die Rede von 25 neuen Dörfern, ohne Angabe ihrer geographischen Lage, Größe und genaueren Gründungsda- ten. Hier bleibt also eine Lücke der Gottscheer Besiedlungsgeschichte zu schließen.

Eine einfache Überlegung weist uns den Weg, wo wir diese neuen Siedlungen hauptsäch- lich zu suchen haben. Rekapitulieren wir: Die Gottscheer haben also bald nach dem Be- ginn der Türkenstürme Bannwälder angelegt, Dornenhecken gepflanzt, Tabore gebaut und mit Feuerzeichen das Herannahen des Todfeindes angezeigt. Valvasor würdigte diese Leistungen der Gottscheer zusammenfassend in Bandreihen seines Werkes über das Her- zogtum Krain mit der Feststellung, Gottschee sei "... des Landes Chrain Warnung und gleichsam Schildwacht" gewesen. All diese Maßnahmen vermochten das Zerstörungswerk der asiatischen Horden nicht zu verhindern.

Das Gottscheer Völkchen suchte nach neuen Möglichkeiten des Selbstschutzes. Wie wäre es, so mögen sich vor allem junge Leute gefragt haben, wenn wir den Türken aus dem Wege gingen? Seine Stoßrichtungen waren ja bekannt. Wo kam der Feind also nicht hin? In die unwegsamen Westhänge des Hornwaldes mit ihren dichten, noch nie geschlagenen Herrschaftswäldern, eine Urwaldzone, die zur Zeit des Herrn von Ungnad etwa mit den größeren Ortschaften Altlag, Nesseltal, Stockendorf, Tschermoschnitz und Pöllandl abge- steckt ist.

Es ist nicht nachweisbar, aber ebenso nicht auszuschließen, daß bereits Herr von Ungnad begonnen hat, Herrschaftswald im Ostteil des "Ländchens" für weitere Ansiedlungen frei- zugeben. In größerem Stil entstanden neue Ortschaften allerdings erst unter den kroati- schen Grafen von Blagay, die die Herrschaft Gottschee 1547 von Ungnad wiederum als Pfandinhaber übernahmen. Die Grafen von Blagay hatten infolge der Türkenüberfälle ih- ren Besitz in der Nähe von Karlstadt (Karlovac) verlassen müssen. Durch ihren Wider- stand gegen die Türken hatten sie sich um das Haus Habsburg verdient gemacht. Wäh- rend der rund 70 Jahre der Pfandinhaberschaft in den Händen der Grafen von Blagay treten für die Geschichtsschreibung, neben den Fortschritten in der Weiterbesiedlung der Sprachinsel, zwei wichtige Fakten zutage:

a. der erste Versuch, die Gottscheer zu slawisieren und b. das Erscheinen des Urbariums von 1574 mit genauen Angaben über die geogra- phische Ausdehnung, die Bodenverteilung, die Zahl der Dörfer und "Besitzer" so- wie ihre Lasten und Abgaben.

Unter den Blagay wurden sich die Gottscheer allmählich des Lebensgesetzes bewußt, dem sie seit mehr als sechs Menschenaltern ausgeliefert waren, ohne es recht zu wissen, daß sie anders sprachen und anders waren als ihre Umgebung. Allerdings wurden sie förmlich darauf hingestoßen. Die kroatischen Pfandinhaber beschäftigten Schreiber, die das Gottscheerische nicht verstanden, auch das damalige Deutsch nur mangelhaft be- herrschten, und die bei ihrer Tätigkeit im "Ländchen" bereits eine Art aktives Nationalge- fühl mitsprechen ließen. Ohne die Betroffenen zu fragen, ob sie damit einverstanden wa- ren, begannen sie, deutsche Namen zu slawisieren. So hängten sie an die gebräuchlichen Namen Jaki, Michl oder Gaspar die Silbe "itsch" an, was in den slawischen Sprachen "der Sohn des..." bedeutet. Die Bauern wehrten sich dagegen, daß sie nun Jaklitsch, Michitsch

Gedruckt von http://www.gottschee.at 52 oder Michelitsch oder Miklitsch und Gasparitsch heißen sollten. Sie hatten anscheinend auch Erfolg, es kamen keine weiteren Namensveränderungen dazu, doch die bereits vor- genommenen Slawisierungen blieben.

Zur Sprachinsel im engeren Sinn war Gottschee auch in einem anderen Zusammenhang geworden, der Bauernbefreiung in Krain. Gleich den Gottscheern lehnten sich auch die slowenischen Bauern gegen ihre Grundherren auf. Das waren aber - bis auf wenige Aus- nahmen - deutsche Adelige. Es bestanden zeitweilig sogar Querver-bindungen zwischen den Gottscheern und den rebellierenden slowenischen Bauern in der Untersteiermark. Bei der slowenisch sprechenden Grundbevölkerung in Krain ging es jedoch nicht mehr um die Auflehnung gegen Unterdrückung und Ausbeutung allein, sondern sie identifizierten den Unterdrücker mit dem Deutschsein. Andererseits vollzog sich um die Wende des 14. zum 15. Jahrhundert das geradezu epidemisch anmutende Aussterben des deutschen Adels in Krain. Die Gründe dafür sind hier nicht näher zu untersuchen, sie liegen zum großen Teil an der vergangenen Weltabgewandheit der Adelsschicht. Die feudalen Geschlechter ü- berboten sich förmlich, den männlichen und weiblichen Nachwuchs geistlichen Berufen zuzuführen.

Bei den slowenischen Bauern liefen demgemäß zwei Entwicklungen parallel, die Selbstbe- freiung und das Entstehen einer genau abgrenzbaren slowenischen Bewußtseinslage. Die über das ganze Land verteilten deutschen Einsprengsel und das deutsche Bürgertum in den Städten und Märkten verloren von Jahrzehnt zu Jahrzehnt an Zahl und Bedeutung. So war Reifnitz, die ehemalige Residenz der Grafen von Ortenburg, Sitz ihrer Lateinschu- le, zu ihrer Zeit weit überwiegend von Deutschen bewohnt, um 1500 bereits eine slowe- nische Stadt. Das bedeutet, daß bei den Slowenen - mit jeder neuen Generation steigend - die Gottscheer als anders, fremd empfunden wurden. Das soll jedoch nicht heißen, daß die überlieferte gute Nachbarschaft zwischen den beiden unterschiedlichen völkischen Elementen sich in Abwehr oder womöglich in Feindschaft verwandelt hätte. - Ein Adels- geschlecht überdauerte diese Entwicklung: Auersperg.

Andererseits hatten die Slowenen zu lange im Schatten der deutschen Kultur gestanden, als daß sie sich mit ihrer noch dünnen Oberschicht plötzlich daraus hätten lösen können. Das änderte sich, doch ebenfalls nicht unvermittelt, nachdem ihnen Primus Truber (slo- wenisch Primoz Trubar - 1508 bis 1586) die slowenische Schriftsprache geschenkt hatte. Er hing der Lehre Martin Luthers an und übersetzte als erster die Bibel ins Slowenische.

Die krainische Linie der Herren von Auersperg war inzwischen in den Freiherrnstand er- hoben worden. Der erste Freiherr war Trajan, der sich ebenfalls zum protestantischen Glauben bekannte. Er förderte Primus Truber. Er erzog die eigenen Kinder in der neuen Lehre und gab die Schloßkapelle für evangelische Gottesdienste frei. Im Laufe der Ge- genreformation floh Primus Truber nach Deutschland und ließ sich in der Nähe von Tü- bingen als evangelischer Pfarrer nieder. In Tübingen wurden auch seine slowenische Bibel und andere Veröffentlichungen gedruckt.

In der Sprachinsel Gottschee erlangte der Protestantismus keine Bedeutung. Versuche, ihn zu verbreiten, schlugen fehl. Trajan blieb nichts anderes übrig, als zum Glauben sei- ner Väter zurückzukehren.

Die Auersperger verloren auch als Freiherrn das Gottscheerland nicht aus den Augen. Um eine familiäre Verbindung zwischen dem Pfandinhaber und ihrer eigenen Familie herzu- stellen, auf der man vielleicht einmal weiterbauen konnte, verheirateten sie - nach be- währtem Muster - die Freiin Elisabeth mit dem Junggrafen Ursin von Blagay. Elisabeth scheint für die Gottscheer Bauern viel Verständnis aufgebracht zu haben.

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Bevor wir mit der Darstellung der Binnenkolonisation fortfahren, ist es zweckmäßig, be- reits an dieser Stelle das Urbarium von 1574 einzuschalten. Am ehesten würden wir dem wichtigen Dokument gerecht, wenn wir es als eine Momentaufnahme des Zustandes der Herrschaft Gottschee betrachten. Die umfangreiche Urkunde entstand nicht etwa aus geschichtlicher Verantwortungsfreude, um der Nachwelt ein getreues Abbild des Gott- scheerlandes zu überliefern, sondern aus purem Eigennutz.

Die Herrschaft Gottschee unterstand im Jahre 1574 dem habsburgischen Erzherzog Carl in Graz. Seine Verwaltungsbeamten hatten ihm berichtet, daß die Herrschaft seit der letzten Einschätzung bedeutend ertragreicher geworden sei. Carl befahl 1573 die schleu- nige Anfertigung eines Urbariums, das bereits ein Jahr später vorlag. Der Erzherzog freu- te sich über den Wertzugewinn und glaubte sich berechtigt, die Pfandsumme um rund 26.000 Florin zu erhöhen. (Die Abkürzung von "Florin" = fl. wurde bereits im 16. Jahr- hundert auch auf den rheinischen Gulden übertragen.) Protest über Protest des Hauses Blagay!

Nun zum Inhalt des Urbars, das der Gymnasiallehrer und spätere Direktor des Gymnasi- ums in Gottschee, Peter Wolsegger, geboren in Matrei/Osttirol, bei Archivarbeiten in der Bezirkshauptmannschaft wiederentdeckte, bearbeitete und in den "Mitteilungen des Mu- sealvereines von Krain", Jahrgang 1890/91, veröffentlichte. Zunächst stoßen wir auf eine Umgrenzung der Herrschaft. Ihre kartographische Fixierung war schon zur Zeit Wolseg- gers nicht mehr möglich, weil sie sich auf Flur- und Gegendnamen stützte, die sich ver- ändert hatten, oder ganz verlorengegangen waren. Grothe druckt sie auf Seite 213 ab.

Das Urbar verzeichnet laut der Wolseggerschen Bearbeitung 136 Dörfer und Weiler. Ne- ben jedem Dorfnamen steht die Zahl der dazugehörigen Hüben bzw. Teil-Huben und de- ren "Besitzer". Ihnen folgen die Abgaben der einzelnen Ansiedlungen in Naturalien bzw. in Bargeld.

Zwingend drängt sich uns der Gedanke an das Lebensgesetz der Gottscheer von der En- ge des Lebensraumes auf. Sie äußert sich in der auffallend starken Zersplitterung des land- und forstwirtschaftlich nutzbaren Bodens. 498 halbe "Urbar-Huben" sind verzeich- net. In dieser Angabe ist natürlich der Herrschaftswald nicht enthalten. Die Bodenauf- splitterung durch Erbteilung und Teilverkauf war 1574 schon so weit fortgeschritten, daß nur noch 27 ganze Huben aufgeführt sind. Im Übrigen herrscht die halbe Hube mit 904 Einheiten vor. Die weitere Aufsplitterung kündigt sich mit vier Dreiviertelhuben, drei Drit- telhuben, 32 Viertelhuben und acht Achtelhuben an. Insgesamt sind es 1002 Besitzantei- le von der ganzen Hube bis zur kleinsten und darum unwirtschaftlichen Kulturfläche.

"Besitzer" weist das Urbarium um 1300 aus. Daß diese Angabe nicht identisch ist mit jener der ganzen Huben und Teilhuben, dürfte daran liegen, daß man damals auch Un- terpächter als "Besitzer" bezeichnete. Bleiben wir aber bei der Zahl 1300. Vielleicht hilft sie uns, zu einer brauchbaren, wirklichkeitsnahen Berechnung der Einwohner des "Länd- chens" zu gelangen:

Grothe und Otterstädt schätzen sie auf rund 9000 Personen. Leider geben sie dazu keine Aufschlüsselung. Um die Schätzung jedoch nachprüfen zu können, bedarf es einer sol- chen. Wie war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Gottscheer Völkchen sozial gegliedert? Aus dem Urbar erfahren wir lediglich eine etwaige Stellung der dem Grund- herrn gegenüber verantwortlichen Erbpächter bzw. ihrer Unterpächter. Es waren zusam- men etwa 1300. Nun waren die meisten Besitzer Halbhübler, was bedeutet, daß sie mit ihrer Familie rund 10 ha = etwa 40 Tagwerk zu bearbeiten hatten. Dazu waren sie, wenn ihnen nicht eine einsatzfähige, größere Kinderschar zur Verfügung stand, allein nicht im- stande. Der Ackerboden wurde nur mit der Haue - mundartlich "Haga" - umgebrochen und entlüftet. Daß das Getreide mit der Sichel geerntet wurde, ist selbstverständlich. Es

Gedruckt von http://www.gottschee.at 54 gab also außerdem noch eine Anzahl von besitzlosen Taglöhnern, Knechten und Mägden. Hinzu kamen nach menschlichem Ermessen auch damals schon einige hundert, auf das gesamte Areal des "Ländchens" verteilte, alte Frauen und Männer, die von kleinen Gele- genheitsarbeiten, wenn es hoch kam, von einer Kuh, ein paar Hühnern und Almosen leb- ten. Diesen aus dem aktiven Wirtschaftsleben ausgeschiedenen Typ fand man in fast al- len Dörfern bis in die neueste Zeit.

Fassen wir zusammen:

1. Nehmen wir die normale Gottscheer Familie der friedlichen Zeit mit einem Durch- schnitt von 5,0 bis 5,5 Köpfen einschließlich der Großeltern, bzw. eines Großel- ternteils, so ergibt dies 1300 mal 5,0 bzw. 5,5 = 6500 bis 7150 2. Dienstboten und Taglöhner, zum Teil mit Familie = 1800 bis 2000 3. Alleinstehende Alte und Arme = 300 bis 400

Zusammen etwa 8600 bis 9550

Ganz abwegig ist die Schätzung von Prof. Grothe also nicht, obwohl dem Verfasser alle drei Zahlenangaben, auch die Alternativzahlen, etwas zu niedrig gegriffen erscheinen, er meint daher, daß man die Grothesche Schätzung ruhig auf 10.000 bis 10.500 erhöhen dürfte, ohne an der historischen Wahrscheinlichkeit weit vorbeizuschießen.

Die unterschiedliche Größe der Ortschaften lag schon 1574 fest. Das größte Dorf war Rieg mit einer Ortsflur von 14 Huben, die von 32 Besitzern bebaut wurden. Rieg, das ja schon 1398 Sitz eines Amtes, das heißt, eines Verwalters oder eines Vogtes war, muß sehr schnell gewachsen sein. Es bestätigte damit aber nur seine Rolle als ursprünglicher Siedlungsmittelpunkt und Zentrum des Hinterlandes. Der Ortsname stammt aus Kärnten. In der Nähe von Kolbnitz/Oberkärnten gibt es heute noch einen Flurnamen "An der Rieggn" und einen "Rieg"-Bach (siehe Kranzmayr, Ortsnamenverzeichnis von Kärnten). Diese Bezeichnung wurde von den Kolonisten auf Rieg übertragen, das bis auf den heuti- gen Tag noch "An dar Riaggan" genannt wird. "In da Riagga gean" war ebenso durch alle Jahrhunderte ein feststehender Begriff. Rieg überflügelte wahrscheinlich schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts das Nachbardorf Göttenitz, das bereits in den ersten Siedlungspha- sen entstanden war. Allerdings mußte es zu Beginn des 15. Jahrhunderts den Pfarrsitz an Rieg abgeben, denn in der Chronik des Burkard Zink ist um 1409 bereits der erste Pfarrer in Rieg erwähnt.

Ein typisches Ursprungsdorf war weiter Obermösel. Auch die Bezeichnung "Mösel" stammt aus Kärnten. Im Urbar erscheint es mit 10 Huben und 28 Besitzern. Im weiteren Ausstrahlungsbereich Obermösels liegen die bereits erwähnten Dörfer Verdreng und Ver- derb. Mit einem etwas galligen Humor lassen sich diese beiden seltsamsten Ortsbezeich- nungen des Gottscheerlandes so erklären, daß sich nachgewanderte Kolonisten aus Kärn- ten oder Osttirol aus dem schönen Mösel hinter den späteren Verdrenger Berg ins Ver- derben verdrängt fühlten.

Je 10 Huben gehörten auch zu den Dörfern Nesseltal und Reichenau. Nesseltal zählte 30 Besitzer, Reichenau indessen 33, was auf eine bereits weitergehende Aufsplitterung der Ortsflur hinweist. Nesseltal, eine der schönsten Ortschaften der Sprachinsel, war das Zentrum des Unterlandes und wies - gleich Rieg - mit seinem lebhaften wirtschaftlichen und kulturellen Leben marktähnliche Züge auf. - Der Ortsname Reichenau kommt aus Kärnten. Das Dorf genoß wegen seiner altüberlieferten und erfolgreichen Ochsenmast sowie der kunstvollen Siebeflechterei einen besonderen Ruf.

Ähnliche, siedlungsgeschichtliche Funktionen wie Rieg, Obermösel und Nesseltal über- nahmen im Oberland - wahrscheinlich schon im frühen 14. Jahrhundert - die Ortschaften

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Mitterdorf und Altlag. Beide weisen allerdings im Urbar keine herausragenden Huben- und Besitzerzahlen auf: Mitterdorf zählte 6 Huben und 12 Besitzer, Altlag 7 Huben und 18 Besitzer. Der alte Name für Mitterdorf, "Altenkirchen", (slowenisch ""), taucht 1574 nicht mehr auf.

Die großen Gottscheer Dörfer - "groß" ist natürlich bezogen auf die Größenordnung des "Ländchens" - liegen ausnahmslos in der westlichen Hälfte des Siedlungsgebietes, jenem Abschnitt, den noch die Grafen von Ortenburg kolonisatorisch vorgeplant und durchdacht und zur Besiedlung freigegeben hatten. Die bis ins 19. Jahrhundert feststellbaren Neu- gründungen - es mögen rund drei Dutzend gewesen sein - blieben durchwegs klein. Dies gilt namentlich für die Ortschaften des Waldlandes um das Hornwaldmassiv, mit dem wir uns nun zu beschäftigen haben.

Im 14. Jahrhundert erfuhren wir, daß während der ersten Besiedlungsphase der Urwald von den Rändern her gewissermaßen aufgebrochen wurde, insbesondere im Südosten und im Osten. Die Besiedlung des Suchener Beckens gehört in diesen zeitlichen Zusam- menhang. Während im Kulpatal bzw. in der späteren Herrschaft Pölland die Orte bekannt sind, wissen wir über die damaligen Ansiedlungen an der Ostflanke des Siedlungsgebiets wenig. Zwar liegt uns eine Anzahl slowenischer bzw. slowenisch klingender Ortsnamen vor, es ist jedoch mit Sicherheit nicht zu unterscheiden, wann die dazugehörigen Dörfer angelegt wurden, im 14. oder im 16. Jahrhundert. Mit Sicherheit stammen nur die Ort- schaften Tschermoschnitz und Pöllandl aus der Ära Meinharts I. und Hermanns III. Aber schon Stockendorf ist eine Dorfanlage mit Kärntner Siedlern. Abgesehen vom Ortsna- men, der sich leicht von "Stock", dem Wurzelstock, ableiten läßt, befindet sich in der Umgebung des Ortes ein Flurname "in der Wiederschwing", der auch in Kärnten vor- kommt. Ihre Nachfolger als Kolonisatoren konzentrierten sich auf den leichter zu er- schließenden westlichen Teil des Urwaldlehens und vernachlässigten die "Moschnitze". Da sie keinen Zuzug mehr erhielten und keine Förderung erfuhren, entwickelten sich die Ortschaften Pöllandl und Tschermoschnitz nicht annähernd so schnell und umfangreich wie die Besiedlungsmittelpunkte der Westhälfte des "Ländchens". Wie ungünstig die Le- bensbedingungen in den drei eben genannten Dörfern waren und blieben, ist aus dem Urbar von 1574 ersichtlich: Sie zählen mit ihren 3 halben Huben und 11 Besitzern (Tschermoschnitz), 3 Huben und 9 Besitzern (Stockendorf) und 3 Huben und 7 Besitzern (Pöllandl) zu den Nachzüglern des kolonisatorischen Reifeprozesses.

Ungünstige Voraussetzungen für ein wirtschaftliches Weiterwachsen herrschten auch im Suchener Hochtal, dessen siedlungsgeschichtliche Sonderentwicklung wir uns hier in Er- innerung rufen. Sie ist allerdings 1574 noch nicht abgeschlossen. Im Urbar sind lediglich die Dörfer Ossiunitz mit 4 Huben (l ganze, 6 halbe) und 10 Besitzern, Obergras und Mit- tergras mit 4 Huben (3 ganze, 2 halbe) und 6 Besitzern, sowie Untergras mit 3 1/2 Hu- ben (2 ganze, 3 halbe) und 5 Besitzern vermerkt.

Ein ziemlich klares Bild der sozialgeschichtlichen Entwicklungshilfe der Gottscheer läßt sich aus dem Urbar herauslesen, als da sind: der Herrendienst (Robot und Fron), wie die Abgaben in natura und in barer Münze. Allerdings geht aus der von Peter Wolsegger wie- derentdeckten Handschrift des Urbars nicht hervor, ob es sich um die bis dorthin gültigen Belastungen der Bauern handelt oder bereits um deren neue Festsetzung nach der Pfandpreiserhöhung. Im Übrigen hatte jener Graf von Blagay eine schriftliche Erklärung dahingehend abgegeben, daß er die Bauern hinsichtlich ihrer Abgaben nicht überfordern und in ihren alten Rechten nicht schmälern würde. Wie illusorisch diese Erklärung in Wirklichkeit war, ersehen wir aus der jedes vernünftige Maß überschreitenden Erhöhung der Pfandsumme durch den Erzherzog Karl.

Die zu erbringenden Leistungen waren dorfweise festgelegt. Abzuliefern waren an Feld- früchten Weizen, Roggen und Hirse. Die Gerste wird nicht erwähnt, ebensowenig wie der

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Buchweizen. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, daß im 16. Jahrhundert die Kartoffel und der Mais als Volksnahrungsmittel noch unbekannt waren. An tierischen Produkten wurden Hühner, Eier und Käse verlangt, Schweine und Rinder bzw. deren Fleisch sind in diesem Urbar nicht gefordert. Dagegen hatten die Bauern Wein, viel Wein und Most zu erbringen. Dabei bestätigt sich, daß die geographische Grenze der Weinabgabepflicht bei Obermösel lag. Sie traf im Unterland jene Besitzer, die neben ihrer eigentlichen Landwirt- schaft in Maierle Weingärten besaßen und bearbeiteten. Wir sehen daraus, daß das Weinbaugebiet im Südosten der Sprachinsel im 16. Jahrhundert längst erschlossen war, daß aber, wegen der großen Entfernung dorthin, die zusätzliche Bewirtschaftung eines Weingartens nicht mehr lohnte. Körnerfrüchte sowie Wein und Most wurden den Bauern in so großen Mengen abverlangt, daß sie wohl die Haupteinnahmequelle des Pfandinha- bers darstellten. Sie wurden nach Abzug des Eigenbedarfs für die Hofhaltung auf Burg Friedrichstein zunächst im "Maierhof" gelagert und dann verkauft.

Der "Herrendienst" bestand hauptsächlich in Hand- und Spanndiensten für den Pfandin- haber, im Roboten am Maierhof, am "Stadthaus" und an der Burg. Der Maierhof war, weil die Türkennot nicht aufhörte, sicher in die Stadt verlegt worden. Ein paar Beispiele für den Herrendienst und die Abgaben:

Die Oberloschiner hatten Getreide zur Mühle zu fahren. Daraus entnehmen wir, daß be- reits vor 1574 an der Rinse eine Mühle betrieben wurde. - Den Koflern war aufgegeben: "... tragen zwei Fuhren Zehentmost." Wohin wohl? Auf die Burg Friedrichstein?! - Eine Sonderaufgabe fiel den Windischdorfern neben dem "Fahren von zwei Fuhren Zehent- most" zu: "Wenn das Wasser Gotsche gefischt wird, müssen das Schaff führen." Ferner mußten sie "für das Heurechen den Maiergarten zäunen." - Auch Malgern hatte eine Fuh- re Most zu fahren. Außerdem, so hieß es; "... tragen vier Besitzer Briefe nach Reifnitz und Seisenberg."

Die Schalkendorfer haben, wie andere Dörfer, Hofgetreide zum Maierhof zu bringen und "... müssen diesen ausbessern und säubern". Darüber hinaus hatten die Schalkendorfer das "Stadthaus" und "das Schloß" vom Schnee zu reinigen.

Als Sonderleistung einzelner Dörfer erscheint sogar die ständige Betreuung der Kreitfeuer im Urbar, so Prerigel, Graflinden, Unterdeutschau und Nesseltal. Unterdeutschau hatte außerdem am Schloß zu roboten und Briefe nach Pölland wie "in die Gotsche" zu tragen. Nesseltal mußte ferner vier Fuhren Wein stellen und je Kopf der Bevölkerung 25 Dach- schindeln abliefern. Drei Fuhren Wein und "die nötigen Dachschindeln für Schloß Fried- richstein und das Amtshaus in der Stadt" hatte Obermösel beizutragen.

Immerhin waren einige wenige Siedlungen von allen Abgaben befreit, so Fliegendorf, mit der Begründung: ". .. weil sie gar unsicher und ihre Gütlein in dem Staudach und nah der Kulp".

Die drückendste Fron muß wohl in den schweren Wintern das Freischaufeln des Weges bis hinauf zur Burg Friedrichstein gewesen sein.

Überwacht wurden die Abgaben und Bauernleistungen durch einen Pfleger, der seinen Sitz in dem wiederholt erwähnten "Amtshaus" in der Stadt hatte. Wer das "Amtshaus", auch "Stadthaus" genannt, und wann erbaut hat, ist urkundlich nicht belegt. Es muß je- doch schon einige Zeit vor der Erstellung des Urbariums von 1574 bestanden haben, denn, wie wir aus der Ablieferungspflicht von Schindeln folgern können, war es repara- turbedürftig.

Die Neubewertung der Herrschaft Gottschee durch den Habsburger in Graz erwies sich in der Tat als wirklichkeitsfremd. Der Pfandinhaber hätte lediglich erreicht, daß sich die

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Bauern wie im Jahre 1515 erhoben, hätte er die Pfandsumme von über 26.000 fl. auf das "Ländchen" umlegen wollen. Graf Franz von Blagay, zur Zeit der Erstellung des Urbari- ums Pfandinhaber, setzte schließlich durch, daß man in Graz die Unerfüllbarkeit der Überforderung einsah. Es blieb von ihr erstaunlich wenig übrig. Otterstädt berichtet dazu auf Seite 21 seines Bildbandes, daß man zuerst die 26.160 fl. auf 15.000 fl. ermäßigte, von denen 5000 für bauliche Bedürfnisse der "Burg im Städtl" und der Tabore abgezweigt werden sollten. Hier bestätigt sich, daß das Stadthaus recht reparaturbedürftig war. Die restlichen 10.000 fl. sollten in Teilbeträgen während der folgenden acht Jahre fällig sein. Aber auch dieser Rest der ursprünglichen Summe überstieg den Leistungswillen des Gra- fen und die Leistungsfähigkeit der Bauern, die gegen Ende der siebziger Jahre wieder gefährlich aufbegehrten. Laut Otterstädt betrug die endgültige Erhöhung 1589, nach ei- nem neuerlichen Türkenüberfall, bei dem die Stadt niedergebrannt wurde, ganze 5000 fl., zahlbar in drei Jahresraten. Otterstädt wirklich: "Damit lag auf der Herrschaft Gott- schee die Pfandsumme von 12.000 fl. in Gold, 10.500 fl. in Münze und 900 fl. als Bar- geld, eine gewaltige Summe."

In den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts wurde die finanzielle Lage der Grafen von Blagay immer kritischer. Sie versuchten, weitere Abgabelasten aus den Bauern heraus- zupressen. Die Unruhe unter diesen wuchs. Sie suchten in ihrer Not bzw. aus ihrer Not einen Ausweg. In Versammlungen entstand der Plan, dem Erzherzog Carl die Ablösung des Hauses Blagay mit der einmaligen Zahlung der 1574 geforderten Erhöhung der Pfandsumme vorzuschlagen. Sie wollten künftighin die Herrschaft Gottschee selbst ver- walten. Die 16.160 fl. aber sollten unter größten Opfern von der Bevölkerung durch Sammlungen aufgebracht werden. Der Blagay erfuhr davon und verhinderte in Graz die Ausführung des Planes.

Unabhängig von Erfolg oder Mißerfolg dieses Vorhabens stellen wir bei den Gottscheern einen gewissen politischen Reifeprozeß fest, der hier den ersten Höhepunkt erreichte. Sie erstrebten nicht mehr und nicht weniger als die Selbstverwaltung. Vergleichen wir dazu ihr Verhalten am Beginn des 15. Jahrhunderts, als sie sich am Waldbesitz ihres Grund- herrn Friedrich III. schadlos hielten oder am Beginn des 16. Jahrhunderts, wo sie den Stersen erschlugen, so taucht hier eine durchaus politische Konzeption auf. Aus ihr er- kennen wir darüber hinaus, daß sich die Gottscheer am Ende des 16. Jahrhunderts ihrer Sprachinsellage in vollem Umfange bewußt geworden waren.

Zum Abschluß des Kapitels Urbarium 1574 noch die Frage: Was hat Beamte des Erzher- zogs Karl veranlaßt, anzunehmen, daß die Herrschaft Gottschee bedeutend an Wert ge- wonnen habe? Auch in Graz war nicht unbekannt, daß seit 1559 kein Türkenüberfall mehr stattgefunden hatte, woraus man schloß, daß die landwirtschaftlichen Erträge ge- stiegen sein mußten. Zudem war den Schreibern Karls nicht verborgen geblieben, daß sich die Zahl der Dörfer vermehrt hatte. Darin sahen die stets mit den Geldsorgen ihrer Herren ringenden Staatsdiener eine Wertsteigerung, die es möglichst umgehend abzu- schöpfen galt. Beide Annahmen erwiesen sich als Irrtümer.

Die kurze Erholungspause nach 1559 reichte nicht aus, die vorher von den Osmanen an- gerichteten Schäden auszugleichen, zumal der Pfandinhaber hinsichtlich der Naturalab- gaben und der Zinsung keineswegs nachgiebiger verfuhr als vorher. Allerdings zeigte Franz von Blagay Verständnis für das Bestreben der Bauern, neue Dörfer anzulegen, womit wir wieder bei der Binnenkolonisation angelangt sind. Nicht zuletzt dachte der Graf dabei an seinen eigenen Vorteil, der freilich erst in Jahren greifbar wurde. Die Neukoloni- sten vollzogen andererseits unbewußt das natürliche Gesetz des Wanderungsausgleiches zwischen dicht und dünn besiedelten Zonen. Im Gottscheerland bewegte sich der Haupt- trend zur Erschließung neuer Urwaldgebiete in westöstlicher Richtung. Warum, ist uns bekannt. Wir wissen jedoch nur in zwei Fällen genau, wer, wann und wo Siedlungsland bereitgestellt hat: Die Gräfin Elisabeth von Blagay, geborene Freiin von Auersperg. Es

Gedruckt von http://www.gottschee.at 58 sind dies die Dörfer Langenton (1605) und Masereben (1613). Ob die Gräfin Elisabeth weitere Ansiedlungen ermöglicht hat, ist nicht zu ermitteln. Die Historiker geben leider nur eine pauschale Zahl der Neugründungen an, nämlich 25. Zugegeben, die frühe Ge- schichte des Gottscheerlandes ist arm an Urkunden, doch wurden bedauerlicherweise nicht einmal die vorhandenen voll ausgeschöpft, wie das Urbarium von 1574, das bezüg- lich der dünnen Kolonisation sehr wohl Auskunft gibt. Man muß es allerdings mit einer anderen, wenig beachteten Urkunde kombinieren:

Wir brauchen nur davon auszugehen, daß Ortschaften, die im Urbar nicht erwähnt sind, auch noch nicht existiert haben. Das nächste, ebenfalls sehr genau geführte Dokument ist das Rekrutierungsregister Maria Theresias aus dem Jahre 1770. Darin sind alle Städte, Märkte und Dörfer der gesamten Monarchie aufgezeichnet worden. Logische Schlußfolge- rung: Alle Gottscheer Dörfer, die 1574 nicht genannt sind, hingegen 1770 zum ersten Mal auftauchen, müssen zur Binnenkolonisation gehören. Freilich hat die nun folgende Liste dieser Gottscheer Ortschaften einen Schönheitsfehler. Aus ihr ist nicht ersichtlich, welche Dörfer tatsächlich im 16. Jahrhundert ins Leben gerufen wurden. Das wird sich nie mehr feststellen lassen. Seien wir also mit der nun folgenden Liste zufrieden:

Alttabor Maschel Roßbüchel Gemeinde Neutabor Gemeinde Skrill Tschermoschnitz: Plösch Stockendorf: Töplitzel Widerzug Wretzen

Gemeinde Schäflein Gemeinde Nesseltal Schlechtbüchel Steinwand Pöllandl: (östlicher Teil): Suchen

Gemeinde Dö- Maierle blitsch:

In der von den Ortenburgern besiedelten westlichen Hälfte des "Ländchens" scheinen 1770 folgende Ortschaften zum ersten Mal urkundlich auf:

Gemeinde Suchen Gemeinde Ramsriegel Obermösel: Unterskrill Graflinden: Thura

Gemeinde Masereben Gemeinde Langenthon Niederdorf: (siehe oben) Langenthon:

Gemeinde Gemeinde Suchen Hornberg Merleinsrauth Hinterberg: (im Hochtal):

Gemeinde Unterpockstein Unterlag:

Die rund um das Hornwaldmassiv entstandenen Spätgründungen weisen typische Ge- meinsamkeiten auf: Sie liegen verkehrsungünstig, sind klein, offensichtlich nicht nach einem Plan angelegt, und es gelang keinem von ihnen, sich zu einem Mittelpunkt zu ent- wickeln. Interessant ist ferner, dass sich darin bei der Volkszählung im Jahre 1910 kein Einwohner als Slowene bekannte. Die Slowenen versprachen sich offenbar in dieser Ge- gend wirtschaftlich keinen Erfolg.

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Das 17. Jahrhundert

Der Steuerdruck stieg ins Ungemessene. Als Folge seiner aufwendigen Lebenshaltung geriet Graf Stephan von Blagay gegen Ende des 16. Jahrhunderts in immer größere fi- nanzielle Bedrängnis. Um sie zu überwinden, führte er 1599 ein teuflisches System der Ausbeutung ein: Er verpachtete die Gottscheer Dörfer weiter und forderte von seinen Unterpächtern untragbare Summen. Er begann mit den Dörfern Koflern, Schwarzenbach und Prerigel. 1613 waren ihm 35 Unterpächter zinspflichtig, neben Kroaten und Slowenen auch einzelne Gottscheer, Frauen und ein Geistlicher. Die Bauern sandten immer neue Beschwerden und Bittschriften nach Laibach und Graz. Erst 1613 erschien aus Laibach eine "Kommission", um die angeprangerten Zustände zu untersuchen. Sie fügte diesem einen neuen Skandal hinzu. Sie erwies sich als bestechlich und zögerte den Bericht hin- aus. Des Treibens müde, verkaufte das Haus Habsburg die Herrschaft Gottschee 1618 an den Freiherrn Hans Jakob von Khysel. Wie schlimm es um das ausgeplünderte Ländchen bestellt war, geht aus dem Ausspruch des Freiherrn hervor, man habe während der letz- ten zehn Jahre in den Wäldern von Gottschee weder einen Hirsch noch ein Wildschwein gesehen. In den 22 Jahren seiner Grundherrschaft erfahren wir nichts über Willkür und maßlosen Steuerdruck. Eine nicht unwichtige Jahreszahl ist anzumerken: 1623 wurde der Freiherr von Khysel in den Grafenstand erhoben und die "Herrschaft" Gottschee durfte sich fortan "Grafschaft" nennen.

Die Hälfte der Schicksalsuhr der Gottscheer war abgelaufen: Das Geschlecht Auersperg erschien endgültig auf der Gottscheer Szene und blieb genau 300 Jahre.

Die Familie Auersperg hatte jahrhundertelang traditionsgemäß die Erblandkämmerer und Erblandmarschälle, mehrfach auch den Landeshauptmann und den Landesverweser, in Krain gestellt. Natürlicherweise besaßen sie in diesen hohen Ämtern stets den Überblick über das ganze Land und hatten auch das ortenburgische Siedlungswerk nicht aus den Augen verloren. Dafür hatte bereits Meinhart I. von Ortenburg zu Beginn seiner Besied- lung gesorgt. Was war nun geschehen?

1641 kaufte Wolf Engelbrecht von Auersperg die Grafschaft Gottschee.

Diesem bedeutsamsten Ereignis seit dem Beginn der deutschen Besiedlung und der Stadterhebung war folgendes vorausgegangen: Der Freiherr Johann Weikard von Au- ersperg hatte sich am Hof in Wien zum persönlichen Vertrauten des Kaisers Ferdinand II. (1619 bis 1637) - ein Sohn des Erzherzogs Karl in Graz - emporgearbeitet. Er war kaiser- licher Rat, Kabinettsminister, also Ministerpräsident, und stand persönlich beim Monar- chen in höchster Huld und Gnade. Er wurde zum Fürsten erhoben und erhielt später auch noch den Titel eines Herzogs von Münsterberg in österreichisch-Schlesien. Wolf Engel- brecht war sein älterer Bruder. Der entscheidende Einfluß Johann Weikards bei Hofe hat- te ohne Zweifel mitgewirkt, als Wolf die Grafschaft im Karst erwarb. Damit war er Graf von Gottschee geworden.

Graf Wolf Engelbrecht besaß, wie viele Auersperger vor und nach ihm, eine ausgespro- chene Begabung und Neigung zur Menschenführung. Er ging sofort daran, im "Ländchen" Ruhe und Ordnung herzustellen und - Arbeit zu schaffen. Energiegeladen, wie er war, muß er noch im Kaufjahr an die Planung und unmittelbar darauf an den Bau des "Schlos- ses" gegangen sein. Mit der Errichtung dieses für die kleine Stadt überdimensionalen Bauwerks beschäftigte er jahrelang eine größere Zahl von Handwerkern und Arbeitern. Ob er es am Standort des im Urbar von 1574 erwähnten "Stadthauses" errichten ließ, ist nicht nachgewiesen, jedoch wahrscheinlich, sonst wäre das Stadthaus irgendwann in den nächsten Jahrhunderten urkundlich noch einmal aufgetaucht.

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Bereits 1642 legte der Graf dem Kaiser und Herzog von Krain ein "Privilegienbuch der Stadt Gottschee" zur Unterschrift vor. Darin waren alle Privilegien und Rechte, die Habs- burg der Stadt Gottschee seit ihrer Erhebung gewährt hatte, zusammengetragen. Mit der kaiserlichen Unterschrift wurden sie neu bestätigt. Die zu den Rechten gehörenden vier Markttage und die zwei Kirchweihtage tauchten selbstverständlich wiederum auf. Sie bil- deten seit 1471 einen wesentlichen Bestandteil des Wirtschaftslebens in der Sprachinsel.

Die Gottscheer waren es nicht gewohnt, regiert zu werden. Sie kannten lediglich die Aus- beutung und Unterdrückung - und den Protest. Nun wollten sie offenbar wissen, wie weit sie bei dem neuen Herrn mit dem Protestieren gehen konnten. So rebellierten sie 1661 gegen die in ihren Augen immer noch zu hohen Abgaben. Wolf Engelbrecht reagierte zu- nächst gelassen, zog aber auch niemand zur Verantwortung. Als jedoch kurz darauf ein katastrophales Hochwasser der Rinse weite Teile des Oberlandes verheerte und 1668 ein zündelndes Kind die Stadt einäscherte, kam er den Betroffenen mit deutlich spürbaren Steuererleichterungen entgegen. Diese Maßnahmen entsprachen durchaus seinem We- sen.

Graf Wolf war ein außergewöhnlich gebildeter Mann, ein bei den Jesuiten in Graz geschul- ter Renaissance-Mensch. Zunächst ohne rechten Erfolg versuchte er, auf die rauhen Sit- ten des krainischen Adels einen glättenden Einfluß zu nehmen. Besser wurde es erst, als er die traditionellen Landesämter der Familie Auersperg übernahm. Das Beispiel, Künstler und Gelehrte in seinem Palais in Laibach einzuladen, bewirkte eine Anhebung des Kultur- niveaus. - Das Schloß in der Stadt Gottschee diente ihm nicht als Repräsentationsbau, sondern war von vornherein als Verwaltungsgebäude geplant.

Graf Wolf starb 1673. Sein Bruder Johann Weikard beerbte ihn. Dadurch kam die fürstli- che Linie des Hauses Auersperg in den Besitz der Grafschaft Gottschee. Der Fürst war bereits vor dem Tode seines älteren Bruders selbstverschuldet beim kaiserlichen Hof in Ungnade gefallen. Er mußte seine Ämter niederlegen, weil er hinter dem Rücken des Kai- sers in Rom versucht hatte, vom Papst zum Kardinal ernannt zu werden. Er zog sich zu- nächst nach Wels, dann nach Unterkrain zurück - nicht nach Gottschee! - wo er verbittert und vereinsamt mit 63 Jahren auf Schloß Seisenberg verstarb. Seinen Erben hinterließ er nicht nur ein geordnetes und wirtschaftlich erholtes Gottscheerland, sondern auch eine dynastische Verpflichtung, die nur ein gereifter, ja, noch mehr, ein weiser Menschenken- ner aussprechen konnte: Er bestimmte, daß die Grafschaft Gottschee auch bei Erbstrei- tigkeiten nicht geteilt werden durfte, womit er sie zum Fidei-Kommiß erhob. Die Familie Auersperg hielt sich bis an das Ende aller Gottscheer Tage getreulich an den Auftrag ihres großen Vorfahren.

Im Jahre 1690 wurde in der Stadt die erste deutschsprachige Schule auf Gottscheer Bo- den ins Leben gerufen.

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Das 18. Jahrhundert

Der vom Grafen Wolf Engelbrecht eingeleitete neue Aufbau des Gottscheerlandes setzte sich im 18. Jahrhundert geradlinig fort. Während der fünf Jahrzehnte dauernden Regie- rungszeit Maria Theresias (1740 bis 1780) und ihres Sohnes Josef II., des Reformer- Kaisers (1780 bis 1790), gedieh das "Ländchen" sogar zu einem kleinen Wohlstand, zu dem der ergiebiger gewordene Hausierhandel das Seine beitrug. Insbesondere erfuhr die Landwirtschaft in der gesamten Monarchie eine bis dahin unbekannte Förderung. In den achtziger Jahren entstand auch in Gottschee eine Filiale der "landwirtschaftlichen Gesell- schaft für Krain", der erste Versuch, verbesserte landwirtschaftliche Erzeugungsmetho- den einzuführen.

Tiefergehende Ereignisse, die das Schicksal der Gottscheer wieder zum Schlechteren ge- wendet hätten, sind uns nicht bekannt. Hingegen muß man die Einführung und Verbrei- tung von Mais und Kartoffel als entscheidenden wirtschaftlichen und ernährungsmäßigen Fortschritt für ganz Europa hervorheben.

Von geschichtlicher Bedeutung sind zwei Jahreszahlen des 18. Jahrhunderts: 1770 und 1791. Das Jahr 1770 haben wir bereits bei der Binnenkolonisation angesprochen. In die- sem Jahre ordnete Maria Theresia die Erfassung aller männlichen Jahrgänge und der Wohnstätten in Stadt und Land an. Wir verfügen damit über genaue Zahlen der Häuser in den Gottscheer Dörfern und Weilern, leider jedoch nicht über die Einwohner (siehe Orts- namenverzeichnis am Ende des Buches).

Durch die Einziehung der meisten jungen Männer zum Militärdienst entstand für das "Ländchen" eine weitere Brücke nach draußen, die von weitaus mehr Rekruten und Sol- daten beschritten wurde als je von Hausierern. Dazu kam, daß sie während ihrer Dienst- zeit wenigstens notdürftig lesen und schreiben lernten. Nur wenige von ihnen hatten bis zum Einzug in die Kaserne eine größere Stadt erlebt. Normalerweise war dies Laibach. Ihr Weltbild weitete sich nicht wenig. Die Militärzeit hallte bei allen - wie bei allen Solda- ten anderer Völker auch - ein Leben lang nach. Die junge Gottscheerin aber hatte nur in Einzelfällen Gelegenheit, über ihr Städtchen und Ländchen hinauszublicken.

Wir erinnern uns, daß dem Fürsten Johann Weikard von Auersperg auf der Höhe seiner Macht der Titel eines Herzogs von Münsterberg in Österreich-Schlesien verliehen worden war. Durch den Sieg Friedrichs des Großen über Maria Theresia im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) fiel das kleine Herzogtum an Preußen. Der Herzogtitel von Auersperg war damit verloren. 25 Jahre lang bemühten sich die Fürsten von Auersperg, ihn wieder- zugewinnen. Sie verhandelten sogar mit Friedrich dem Großen. Dieser wäre unter Um- ständen sogar bereit gewesen, ihnen den Ehrentitel neu zu verleihen. Schließlich verzich- teten die Auersperger darauf, weil sie diese Gnade nicht dem Preußenkönig verdanken wollten. Endergebnis: Es gelang ihnen, Kaiser Leopold II. (1790 bis 1792) zu bewegen, daß er den Titel "Herzog von Gottschee" schuf und mit dem Fürstentitel von Auersperg erblich verband. Erster Titelträger war der Fürst und Majoratsherr Carl Joseph Anton von Auersperg (1820 bis 1900). Der Titel vererbte sich jeweils auf den ältesten Sohn seines Trägers.

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Das 19. Jahrhundert

Zu Beginn des Zeitraumes schien es, als sollte sich die Blütezeit des "Ländchens" fortset- zen und vollenden, seine kulturelle Eigenart und das Charakteristische seines Menschen- schlages unberührt bleiben. Hundert Jahre später wird jedoch das Gottscheerland in allen seinen Erscheinungsformen, wie wir sie im Augenblick der Jahrhundertwende vor uns sehen, nicht mehr bestehen. Zwar werden es die Gottscheer noch bewohnen, allein die kulturellen Veränderungen, die zivilisatorischen und technischen Fortschritte, der ver- kehrsmäßige Anschluß an das Land Krain und dadurch die weitgehende Aufhebung der geographischen Abgeschiedenheit und - das nicht zuletzt - der zweischneidige Nationa- lismus werden die Riegel, hinter denen die Gottscheer ihre Traditionen hüteten, aufge- brochen haben.

Versuchen wir, Gang und Wandlung dieses Jahrhunderts, das mit der ganzen Welt auch das Gottscheer Völkchen von Grund auf verändert hat, in großen Zügen nachzuzeichnen. Zuerst bemerken wir im "Ländchen" einen einzigartigen psychologischen Vorgang: Seine Bewohner, namentlich die Gottscheerinnen, verlieren allmählich ungewollt und unwis- sentlich die Mitte zwischen dem Neuschöpfen und Nachschaffen ihrer eigenen Volkskultur und den steigenden kulturellen Einflüssen ihres Gesamtvolkes. Dieses hat es im begrenz- ten Umfang immer gegeben, doch nun greift es auch auf das soziale Denken über. Das ganz langsame Durchsickern der städtischen Zivilisation durch die Außenhaut der land- schaftlich gebundenen Überlieferungen bewirkt eine heimliche innere Abkehr, fast eine Mißachtung des Bäuerlichen. Was von außen kommt, beginnt als schöner, vornehmer und "besser" zu gelten. Übrigens, nicht nur in Gottschee.

Durch 14, 15 Menschenalter war es der Gottscheerin gelungen, jene angedeutete kultur- schöpferische Mitte, gleichsam auf der Schwelle ihres Hauses stehend, auszubalancieren. In wenigen Jahrzehnten kamen ihr nun in bedenklichem Maße Freude und Fähigkeit ab- handen, als junges Mädchen Erbin, als reife Frau und Großmutter aber Erblasserin der überlieferten Volkstumsgüter zu sein. Es wird sich allerdings zeigen, daß man ihr die- serhalb keine Schuld zumessen und keinen Vorwurf machen kann, ebensowenig, wie sie für die fast fluchtartige Auswanderung der Gottscheer in den achtziger Jahren nach den Vereinigten Staaten von Amerika verantwortlich ist.

Das 19. Jahrhundert begann noch durchaus "männlich". Napoleon legte sich weite Teile Europas zu Füßen, auch das "Ländchen" wurde von seinen Truppen erobert und der neu gebildeten Provinz Illyrien eingegliedert. Die Gottscheer leisteten 1809 Widerstand und protestierten heftig gegen die unmenschlich hohen Steuern. Da sie kein Verständnis fan- den, erschlugen sie in ihrem gerechten Zorn den Stadtkommandanten. Sie waren so erbost, daß sie dem französischen Offizier nicht einmal ein Friedhofsbegräbnis gönnten, sondern seinen Leichnam in eines der Rinse-Sauglöcher unterhalb von Obermösel war- fen. Mit der Erschießung mehrerer Geiseln und der Freigabe der Stadt zu einer dreitägi- gen Plünderung durch die Soldaten waren sie mehr als hart bestraft. - Die Franzosenzeit blieb glücklicherweise eine Episode.

In unabsehbaren Zeiträumen und weltverändernd lebte jedoch die "Romantik". Die zu- nächst rein geistige Bewegung wurde im Wesentlichen durch den deutschen Dichter und kulturellen Anreger Johann Gottfried Herder (1744 bis 1803) konzipiert. Was später dar- aus wurde, steht auf einem anderen Blatt. Sie löste bei den europäischen Völkern eine stürmische Begeisterung für die eigenen Kulturleistungen und -werte aus, die jedoch auf dem politischen Antriebsfeld durch Selbstüberschätzung und Machtmißbrauch ungleich mehr, ganze Kulturen und Kulturnationen, zertrümmerte und heute noch vernichtet.

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Neue Gegensätze wurden aufgerissen, alte vertieft. Dazu gehörte vor allem der überlie- ferte Hang zum Mißtrauen zwischen den Deutschen und den Slawen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekam es in zwei streitbetonten Bewegungen, dem "Pangermanis- mus" und dem "Panslawismus", Gestalt. Das politische Fernziel war in beiden Fällen die Errichtung je eines Großstaates, in dem einmal alle Germanen und das andere Mal alle Slawen vereinigt sein sollten. Die West- und Südslawen strebten darüber hinaus die voll- ständige geistige und gesamtkulturelle Loslösung vom Deutschtum an. Sie waren über- zeugt, daß sie dies nur durch die Zerstörung der österreichisch-ungarischen Monarchie zu erreichen vermochten. Wer das Schicksal der Gottscheer anders als unter dieser Zuspit- zung sieht, verzeichnet es.

Im weitesten Sinn gehört es zu den Auswirkungen der Romantik, daß die Sprachinsel Gottschee im 19. Jahrhundert von drei Seiten entdeckt wurde:

1. von den Gottscheern selbst, 2. von Sprachwissenschaftlern und Volkskundeforschern Alpen-Österreichs und 3. von der politischen und kulturellen Führung des slowenischen Volkes.

Entdeckt von sich selbst: Das im Entstehen begriffene, noch unfertige Selbstverständnis der Gottscheer war bis in die Romantik herauf politisch nicht kämpferisch. Etwa zu Be- ginn des 19. Jahrhunderts trat es jedoch ebenfalls in eine "Sturm- und Drangperiode" ein und begann mit der Selbstbewertung und der genauen Standortbestimmung zum deut- schen Volk. Diese Entwicklung setzte bei den Bürgern der Stadt ein und erzeugte das Bestreben, das Deutsch-Sein auch zu beweisen. Dem Zug der Zeit folgend, geschah dies durch die Gründung von Privatschulen mit deutscher Unterrichtssprache. Man nannte sie auch "Notschulen". Als Lehrkräfte gewannen die Gründer Idealisten, die als frühere Be- amte oder länger dienende Soldaten tätig waren, wie Personen mit eigener Schulbildung und Begabung.

Von der ersten auf Gottscheer Boden errichteten Volksschule wissen wir bereits 1690. Es dauerte 128 Jahre, bis in Altlag 1818 die erste private Landschule eröffnet wurde. 1819 folgte Mitterdorf, 1820 schloß sich Obermösel an. 1822 trat - überraschend früh - Tschermoschnitz dazu, noch vor Nesseltal und Rieg, die 1829 nachzogen. Verwundert hätte es den aufmerksamen Leser nur, wenn der Aufbau des Gottscheer Schulwesens nicht in den aufgeführten Mittelpunktsiedlungen begonnen hätte. 1836 bzw. 1839 began- nen Stockendorf und Unterdeutschau den Unterricht. In den fünfziger Jahren entstanden vier weitere Privatschulen: 1852 Pöllandl, 1854 Göttenitz und Unterlag und 1856 war die Bauerninitiative auch in Morobitz erfolgreich. Dann stockte für längere Zeit der Grün- dungseifer. Die Lehrer fehlten.

Der Schulbesuch war natürlich noch freiwillig, jedoch nicht unentgeltlich. Der Lehrer und die Lehrmittel mußte von den Eltern der Schüler bezahlt werden. Ihre Zahl hielt sich vor allem wegen der weiten Schulwege in Grenzen. Sie stieg ganz allmählich an. Auf dem Lande hatte man es praktisch mit reinen Knabenschulen zu tun.

Das änderte sich schlagartig, als 1869 mit dem "Reichsvolksschulgesetz" die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde. Die Gottscheer Privatschulen wurden anerkannt. Das Her- zogtum besaß daher plötzlich 15 vom Staat getragene, öffentliche Volksschulen, jedoch keine dem neuen Gesetz entsprechend ausgebildeten Lehrer. Da die Schulanfänger die Gottscheer Mundart als Muttersprache verwendeten und das Hochdeutsche nur mangel- haft beherrschten, sollten die Lehrer nun nach Möglichkeit geborene Gottscheer sein und eine Lehrerausbildung erfahren haben. Die Sorge der angesehenen Stadtbürger um den schulischen Fortschritt des Gottscheerlandes war groß. Sie diskutierten bereits seit Jah- ren das angekündigte Schulpflichtgesetz, ohne eine andere Lösung zu finden, als daß Gottscheer Junglehrer außerhalb der Heimat ausgebildet werden mußten. Sie besprachen

Gedruckt von http://www.gottschee.at 64 es auch mit dem Wiener Germanisten, Universitätsprofessor Dr. K. J. Schröer, der schließlich eine Teillösung vorschlug. Eine Lehrerbildungsanstalt mit einer Vorschule konnte man begreiflicherweise in Gottschee nicht einrichten, doch die Gründung eines vierklassigen Untergymnasiums war denkbar. Professor Schröer hielt sich 1867 und 1869 zu sprachwissenschaftlichen Studien in der Sprachinsel auf. Sein wichtigster Gesprächs- partner war Apotheker Robert Braune, ein Mann mit hoher humanistischer Bildung und Führungsgabe. Braune sorgte für die begeisterte Zustimmung zu dem Plan des Wiener Gelehrten und dieser gab im Unterrichtsministerium die erforderliche Starthilfe. Am 28. Oktober 1872 wurde das Untergymnasium mit einem Festakt und einem Festessen aus der Taufe gehoben und der erste Jahrgang eröffnet. Die Anstalt mußte allerdings zu- nächst in einem Privathaus untergebracht werden. Zum Direktor wurde der Lehrer am Obergymnasium in Laibach, Benedikt Knapp, ernannt.

Dem ersten Jahrgang gehörten 17 Schüler an, davon neun aus der Stadt, deren Bürger den hilfsbedürftigen auswärtigen "Studenten" mit kostenlosen Mittagstischen und Quar- tieren weiterhalfen. 1873 gründete die Bürgerschaft sogar einen "Unterstützungsfonds". - Außer Benedikt Knapp (1872 bis 1894) wurde das Gottscheer Gymnasium in den 46 Jah- ren seines Bestehens von zwei weiteren Direktoren geleitet: Peter Wolsegger (1894 bis 1908) und Dr. Franz Riedl (1908 bis 1918). 1907 wurde die Anstalt auf Betreiben des damaligen Bürgermeisters Alois Loy und mit politischer Unterstützung des Fürsten Karl von Auersperg (1859 bis 1927) zum Obergymnasium erweitert.

Von ausschlaggebender Bedeutung, insbesondere für das Untergymnasium, wurden die achtziger Jahre. In Wien entstand 1880 der "Deutsche Schulverein", der ein Jahr später auch in Gottschee seine Tätigkeit als Schulgründer aufnahm. In kurzer Zeit entstanden 24 Ortsgruppen, die erste in Gottschee/Stadt. Zum Vorsitzenden wählten die Mitglieder Robert Braune, zum Schriftführer Peter Wolsegger. 1881 wurde außerdem die Begabten- auslese für das Gymnasium auf eine neue Grundlage gestellt:

Der in Prag lebende Großkaufmann Johann Stampfl aus der Gemeinde Morobitz errichtete die "Johann Stampfelsche Stipendienstiftung" in Höhe von 100.000 (einhunderttausend!) Gulden. Aus ihren Zinsgewinnen wurden jährlich 22 Stipendien zu 50, 13 zu 100 und 8 Stipendien zu 200 Gulden an bedürftige und begabte Gottscheer Buben vergeben. Jo- hann Stampfl, der großherzige Stifter, 1805 geboren, starb nach einem ungewöhnlich erfolgreichen Kaufmannsleben 1890 in Prag.

Seit der Gründung des "deutschen Schulvereins" wuchs das Gottscheer Volksschulwesen rasch weiter. Allein in den Jahren 1881 bis 1888 entstanden neun einklassige Volksschu- len. Eine Vergleichszahl: von 1856 bis 1881 wurde lediglich eine einzige Schule gegrün- det, jene in Stalzern (1874). Aus den verhältnismäßig zahlreichen Gründungen der acht- ziger Jahre läßt sich nicht nur entnehmen, daß die Gottscheer mit großem Eifer am Wer- ke waren, sondern es werden auch die Auswirkungen des Untergymnasiums sichtbar: Jahr für Jahr wächst die Zahl der Junglehrer, die alten Schulmeister können abgelöst, die neuen Schulgründungen besetzt werden. Solche wurden in folgenden Dörfern bzw. Schulsprengeln errichtet:

Warmberg 1881, Maierle und Langenthon 1882, Masern und Schäflein 1883, Hohenegg 1884, Lichtenbach 1885, sowie Steinwand und Unterskrill 1888. Damit war jedoch der Nachholbedarf der Sprachinsel an schulischen Einrichtungen noch nicht gedeckt. Dies geschah erst mit den nachfolgenden Gründungen:

Lienfeld 1892, Altbacher 1898, Verdreng und Reichenau 1905, Reuter 1908, Stalldorf 1909 und Suchen (im Hochtal) 1910. In der Sprachinsel Gottschee bestanden also 1910 bzw. 1918 beim Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie insgesamt 33 Volksschulen. Jene in den alten Siedlungsmittelpunkten waren inzwischen um eine Klasse

Gedruckt von http://www.gottschee.at 65 aufgestockt worden. Die Schule in der Stadt wurde auf fünf Klassen erweitert. Die 1932 entstandene Schule in Tiefenbach war keine deutsche Gründung mehr, wurde aber natür- lich von deutschen Kindern besucht.

90 Jahre hat es also gedauert, bis das Schulwesen des Gottscheerlandes so dichtmaschig ausgebaut war, daß jedes Kind unter möglichst geringen Schwierigkeiten in den Genuß des deutschen Schulunterrichts kam. Wir dürfen jedoch nicht bei der organisatorischen Seite der schulischen Entwicklung stehenbleiben. Diese lief parallel mit den gleichartigen Vorgängen in der ganzen Donau-Monarchie, so, wie das Reichsvolksschulgesetz von 1869 es angeordnet hatte. In unserer Sprachinsel vollzog sich mit der Stillung des Bildungs- hungers jedoch ein kultureller und sozialer Wandlungsprozeß, der in die Tiefe der Volks- seele reichte: Das Eintreten des jungen Mädchens in die Welt der gesamtdeutschen Kul- tur und das Heraustreten der Gottscheerin aus ihren überlieferten sozialen Bindungen als einseitig ausgerichtete und verpflichtete Bäuerin, Ehefrau und Mutter.

Wie wir hörten, hatten die Gottscheer in die allgemeine Schulpflicht ihre zwischen 1818 und 1856 ins Leben gerufenen 15 Privatschulen eingebracht. Die meisten, an sich schul- reifen Mädchen hatten zusehen müssen, wie ihnen die gleichaltrigen Buben vorgezogen wurden. Das Einrücken in die Schulbank, das gleichberechtigte Lernen-dürfen und - müssen, das Messen mit den Knaben war für die plötzlich zu Schülerinnen ernannten Dorfkinder ein elementares Ereignis. Es zählte nicht nur in der noch eng begrenzten kind- lichen Menschlichkeit, sondern auch ihnen erschloß sich nun die geheimnisvolle Welt des deutschen Lesebuches. Am Sonntag verstanden sie von Jahr zu Jahr mehr von der Pre- digt des Pfarrers. Wir vermögen uns heute wohl nicht mehr die richtige Vorstellung zu machen, welchen Stolz etwa ein zehnjähriges Mädchen in der Kirche erfüllte, wenn es neben der vielleicht fünfunddreißigjährigen Mutter saß und in seinem ersten Gebetbuch las. Es war zwar erst beim Sanktus angelagt, wenn der Geistliche bereits die Wandlung zelebrierte, aber es las. Die Mutter ließ, die Lippen unhörbar bewegend, den Rosenkranz durch die Finger gleiten, nur manchmal blickte sie fast scheu auf ihr Kind und das Buch.

Die Schule gewann die Oberhand über die gottscheerischen Sagen und Märchen, Lieder und Geschichten - nicht über die Mundart, nicht über die Kinderspiele. Die bunte Welt der deutschsprachigen Sagen und Märchen tat sich auf, überstrahlte bald das heimische Er- zählgut. Rotkäppchen, Scheewittchen und die sieben Zwerge, das tapfere Schneiderlein, der Wolf und die sieben Geißlein und viele andere Kindermärchen eroberten den Platz der Hexen- und Teufelssagen. Große Heldengestalten, wie Hermann der Cherusker, Kaiser Rotbart im Untersberg, Kaiser Maximilian in der Martinswand und später die Ritterge- schichten in der Schulbücherei - das war alles ungeheuer spannend, und das konnte man lesen und immer wieder lesen. Die Gottscheer Geschichten, Märchen und Erzählungen waren nirgends aufgeschrieben, ebensowenig wie die Volkslieder. In der Schule sangen sie nur die hochdeutschen Kinderlieder: Kommt ein Vogel geflogen, ein Männlein steht im Walde oder sah ein Knab ein Röslein stehn ...

Und die Mütter dieser ersten zehn- bis fünfzehn Schulmädchen-Jahrgänge? Sie waren keineswegs unbefangen in die Fußstapfen ihrer Großmutter getreten, das 19. Jahrhun- dert hatte auch noch andere fortschrittliche Dinge anzubieten als nur die Schule. Schon lange bevor das Mädchen in die Volksschule gehen durfte, war über die älteren Mädchen und die jungen Frauen der Sprachinsel der "Zeitgeist" gekommen. Die Vermittlerin zwi- schen ihm und der ländlichen Frauenwelt war die Stadt Gottschee. Dort zeichnete sich zuerst das "moderne Leben" ab. Dort bauten immer mehr Bürger bei steigenden Lebens- erfolgen und einer liberaleren Handhabung der Wirtschaft die Aufgabe der Stadt als Mit- telpunkt des Gottscheerlandes weiter aus. Ihr Selbstbewußtsein stieg. Gewiß, es senkte sich nicht etwa ein ungewohnter Reichtum auf die kleine Stadt nieder, doch der Lohn der Emsigkeit ihrer Bürger reichte aus, um den gestiegenen Lebensstandard im Bau von an- gemessenen Geschäfts- und Wohnhäusern Ausdruck zu verleihen. Zunächst gaben nur

Gedruckt von http://www.gottschee.at 66 einzelne Bauherren, Bürgerfrauen und -mädchen Beispiele für den neuen Lebensstil. Man eiferte ihnen nach, "die Mode kam nach Gottschee". Die Männer lasen Grazer und Wiener Zeitungen.

Die Mädchen und jungen Frauen auf dem Lande, namentlich in den alten Siedlungsmit- telpunkten, bemerkten die Veränderung an ihrem "Stadtle" sehr wohl. Wie überall und zu allen Zeiten suchten und fanden auch sie ihre Leitbilder. Wie sie sich trugen und anzo- gen, war nachahmenswert, bald sogar verbindlich, wollte man nicht als rückständig gel- ten. Die feineren Tuche und modischen Schnitte verdrängten das grobe Leinen der Tracht. Das geschah natürlich nicht mit der Geschwindigkeit des Modewechsels unserer Jahre, und die alten Frauen hielten an der überlieferten Tracht fest. Hüte à la mode tru- gen natürlich nur die Bürgersfrauen in der Stadt, aber auch dort konnte man noch im 20. Jahrhundert beim einfacheren Volk das unter dem Kinn geschlungene Kopftuch sehen. Auch dieses war feiner geworden. Die Männer hatten schon vor den Frauen auf die Tracht verzichtet.

Der relative Wohlstand, der nicht mit Wohlleben verwechselt werden darf, und die kultu- relle Umstimmung der Jugend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, schufen einen weitergehenden Abstand zwischen den Generationen als früher üblich. Anders ausge- drückt: Die Aufnahmebereitschaft für das Neue und die Hinneigung zum Überlieferten hielten sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weniger die Waage. Die Mundart blieb allerdings uneingeschränkt das Verständigungsmittel der bäuerlichen Bevölkerung. In den Bürger- kreisen der Stadt gewann allmählich eine Mischung zwischen Gottscheer und Wiener Dia- lekt die Oberhand.

Der allgemeinen Feststellung über den wirtschaftlichen Fortschritt im "Ländchen" sei gleich das Entstehen und die zeitweilige Blüte eines für Gottschee typischen Industrie- zweiges angefügt: Ein Hausierer aus Lichtenbach hatte in Böhmen mehrere Jahre gut verdient. Er beobachtete die Lodenweber und rechnete sich aus, daß man daheim in die- ser Branche noch mehr verdienen könnte. 1843 ließ er von dort einige Webstühle und mehrere Weber nach Lichtenbach kommen. Das Werk gelang über Erwarten gut. Der geschäftliche Erfolg sprach sich herum, fand Nachahmer und damit Konkurrenz. In den Nachbarorten Kummerdorf und Altfriesach, bis nach Reichenau und Nesseltal, Hohenegg und Obermösel, versuchten sich mit ähnlichem Erfolg weitere unternehmungslustige Bauern-Fabrikanten. Allein die Lichtenbacher-Gruppe beschäftigte zur Zeit der Hochkon- junktur bis zu 80 Weber und Hilfskräfte.

Die Schafwolle wurde zunächst nur aus Kärnten bezogen. Steigender Bedarf zwang die Gottscheer Lodenhersteller, auch auf ungarische und albanische Lieferanten zurückzu- greifen. Die Wolle der albanischen Bergschafe ergab eine besonders hochwertige und begehrte Qualität des Gottscheer Lodens. Die Erzeuger vertrieben den Loden meistens selbst und vorwiegend auf kroatischen Märkten. Die Beförderung der Ware ging jedoch nicht mit der "Kraxn" vor sich, wie bei den Hausierern bis ins 19. Jahrhundert, sondern auf Pferdefuhrwerken.

Übertriebene Konkurrenz unter den eigenen Landsleuten und die Industrialisierung der Lodenerzeugung (automatischer Webstuhl) in anderen Ländern verdrängten gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Gottscheer Loden vom Markt. Seine Herstellung war zu kost- spielig geworden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lief auch in Lichtenbach kein Webstuhl mehr. Die meisten Weber hatten das "Ländchen" verlassen. Dennoch war es in Lichten- bach nicht still. Das Dorf hatte 1885 eine einklassige Volksschule erhalten und war damit Schulsprengelort geworden.

Nur geringe volkswirtschaftliche Bedeutung gewann der Versuch, eine Glasindustrie auf- zubauen. Aus Wien kommend errichteten die Brüder Ranzinger 1835 bei Masern im Hin-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 67 terland eine Glashütte und nannten sie "Karlshütten". Der dazu nötige Energieträger Holz war reichlich vorhanden, doch der Rohstoff Kies mußte aus Kroatien herangeführt wer- den. Der Abtransport der Erzeugnisse mußte wegen der Bruchgefahr ebenso umständlich wie kostspielig mit Saumtieren erfolgen. 1856 verlegten die Betriebsinhaber das unwirt- schaftlich arbeitende Unternehmen in die Stadt Gottschee und bauten es auf dem Gelän- de des dortigen Braunkohlenvorkommens auf. Der Erfolg blieb der Familie Ranzinger auch in der neuen Umgebung versagt. 1888 gab sie endgültig auf.

Das eben erwähnte Braunkohlenflöz in unmittelbarer Stadtnähe wurde bis 1892 nicht systematisch abgebaut. In diesem Jahre erwarb es die "Trifailer Bergwerks-Gesellschaft" und nahm den Tagbau in größerem Stil auf. Der Kauf erfolgte nicht zufällig 1892. Der Käuferin war bekannt, daß die Eröffnung der Stichbahn Laibach-Gottschee bevorstand. Nicht zu Unrecht rechnete sie sich bei wesentlich günstigeren Transportbedingungen nennenswerte Erträge aus. Da die Gottscheer Bauern bzw. ihre zweiten und dritten Söh- ne nur geringes Interesse am Bergbau zeigten, holte die Gesellschaft Knappen aus Krain und Kroatien heran. Um sie zu halten, baute ihnen die "Trifailer" bescheidene Werkswoh- nungen. Zeitweilig wurden bis zu 500 Arbeiter beschäftigt. Diese verhältnismäßig große Zahl slowenisch und kroatisch sprechender Einwohner veränderte das Nationalitätenver- hältnis in der Stadt Gottschee erheblich.

Nicht nur die "Trifailer" hatte die Eisenbahn in ihre Kalkulationen einbezogen. Dies tat auch Fürst Karl von Auersperg. Er war schon an der Planung und dem Bau der Stichbahn Laibach-Gottschee nicht unbeteiligt gewesen, setzte darüber hinaus aber noch durch, daß von der Station Großlupp (Grosuplje) ein Schienenstrang nach Rudolfswerth (Novo me- sto) und Straza abgezweigt wurde. Diese Nebenstrecke sicherte dem Fürsten von Au- ersperg den Abtransport seiner im großen Stil geplanten Holzindustrie im auerspergi- schen Revier "Hornwald".

Herzog Karl hatte beim Bahnbau nicht nur an sich gedacht. Er und Bürgermeister Alois Loy in Gottschee/Stadt fanden die persönliche Unterstützung des Kaisers Franz Joseph I. Der Monarch wußte um die enge Verbindung des Hauses Habsburg mit dem uralten Adelsgeschlecht der Auersperg. Sie hatten der Monarchie eine unabsehbare Reihe von Politikern, Militärs und Diplomaten gestellt. Diese Verbindung war so familiär, daß bei- spielsweise der junge Prinz Karl von Auersperg zum Spielgefährten des unglücklichen Kronprinzen Rudolf von Habsburg ausgewählt wurde. Trotz seiner jungen Jahre war er bestrebt, mit diesem Bahnbau den Gottscheern den Anschluß an das Eisenbahnnetz Krain und der österreichischen Alpenländer zu schaffen.

Die Stichbahn war jedoch nicht die erste "fahrende" Verbindung des "Ländchens" zur großen Welt. Schon 1856 richtete der organisatorisch begabte Gottscheer Bürger Anton Hauff eine wöchentlich verkehrende Pferdepostlinie nach Laibach ein. Wenige Jahre dar- auf wurde sie in eine sechsmal wöchentlich trabende Schnellpost umgewandelt. Anton Hauff wurde der erste Postmeister im Gottscheerland.

Selbst der Hausierhandel bekam unter dem Druck der alles verändernden Kräfte des 19. Jahrhunderts ein anderes Gesicht. Schon die Postverbindung nach Laibach hatte für die Hausierer die mühevolle Anreise zum Hausierrevier beträchtlich abgekürzt. Sie zogen auch nicht mehr mit der vollbepackten "Kraxn" von Ort zu Ort, sondern waren in die klei- nen und mittleren Städte umgezogen. Dort ging der "Hausierer" in die Lokale und spielte mit einem kleinen Lotto Südfrüchte, Süßwaren und allerlei Delikatessen aus. Sein Waren- angebot führte er in einem Bauchladen mit. Nun konnte er ein Lager halten und den Korb des Abends mehrfach füllen. Warenverkauf war ihm jedoch nicht mehr gestattet. Wollte der Gast mit dem Gottscheer ein Spielchen machen, so hielt ihm dieser ein mit 90 holz- geschnitzten Nummern gefülltes Leinen- oder Ledersäckchen hin. Der Gast setzte, je nach dem Preis seines Gewinnwunsches, einen bestimmten Betrag ein und zog drei

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Nummern aus dem kräftig durchgeschüttelten Beutel. Bevor dies geschah, wurde bereits vereinbart, welches Spiel gelten sollte: "Drei unter Hundert" oder "Drei - fünf - sieben". Das bedeutete: Lag die Quersumme der gezogenen Nummern unter hundert, hatte der Spieler gewonnen, lag sie darüber, kassierte der Gottscheer den Einsatz. Die andere Spielart: Befanden sich bei den gezogenen Nummernköpfen eine Drei und eine Fünf und eine Sieben, war das Glück auf Seiten des Gastes. - Neben dieser neuen Art des Wander- handels auf Grund des alten Privilegs bürgerte sich im 19. Jahrhundert auch das Maroni- braten als Winterbeschäftigung in den Großstädten ein. Wann die Umstellung des Hausie- rens genau erfolgte, läßt sich begreiflicherweise nicht mehr ermitteln. Es besteht jedoch ohne Zweifel ein Zusammenhang mit einer anderen Entwicklung, die bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts eingesetzt hatte. Kaufmännisch besonders begabte Hausierer wa- ren allmählich in das Südfrüchte-Geschäft hineingewachsen. Sie kontrollierten schließlich über einen längeren Zeitraum des 19. Jahrhunderts von den Großstädten der Monarchie aus fast den gesamten Import dieser Branche in Mitteleuropa.

Die neue Art des Hausierens der Gottscheer Bauern ließ sich durch sie selbst auch leich- ter überwachen und vor Nachahmung schützen. Daraus ist zu erklären, daß zwischen 1841 und 1914 keine Bestätigung des uralten Hausierpatents von 1492 erfolgte.

War die Umstellung auf ein anderes Warensortiment eingetreten, weil in Gottschee nie- mand mehr schnitzte. Leinewand herstellte? Vollständig vergessen war die Holzschnitze- rei nicht, doch konnten die Könner auf diesem Gebiet mit der billigen und scheinbar auch praktischeren Industrieproduktion nicht konkurrieren. Es verriet daher durchaus Erfin- dungsgabe, daß der Gottscheer Wandersmann nun leckere Genußmittel zu einer Tages- zeit an seinen Kunden heranbrachte, da er sie sonst nicht angeboten erhielt, schon gar nicht über ein lustiges Glücksspielchen, an dem sich jeden Abend die Stammtischrunden ergötzten. Andererseits ließ ein findiger Kopf in der Stadt Gottschee es nicht dabei be- wenden, daß das Schnitztalent seiner Landsleute nun brachliegen sollte. Die Holzwaren- vertriebsfirma Loy entstand und regte die Herstellung von Schnitzereien an, die dem Be- darf und dem Geschmack der Zeit angepaßt waren. Die Holzschnitzerei nahm Ausmaße an, daß man 1882 eine Fachschule für Holzbearbeitung errichtete. Auch hier stand Jo- hann Stampfel Pate. Die Firma Loy baute ihr Sortiment ständig weiter aus und sie be- schickte Ausstellungen, und schließlich ging ihr Angebot weit über die Haushaltsgegen- stände allein hinaus und reichte - nach einem Inserat im "Deutschen Kalender von Krain" - vom Spazierstock bis zu Kleinmöbeln.

Da aber, wo ein Fortschritt am notwendigsten gewesen wäre, in der Landwirtschaft, än- derte sich in den wesentlichsten Punkten so gut wie nichts in der Bodenverfassung. Zwar wurde den Bauern 1847 durch die sogenannten Servitutsrechte eine weitergehende Mit- nutzung der Auerspergschen Wälder zugestanden, wuchs der Umsatz des Holzhandels, griff die eiserne Pflugschar tiefer in den Humus als die Hacke und der Holzpflug, schafften die etwas vermögenderen Bauern Bodenentlüftungsgeräte an, tauchten gegen Ende des Jahrhunderts die handgetriebenen Dreschmaschinen auf, fand auch die Getreidereini- gungsmaschine auf genossenschaftlicher Basis im Gottscheerland Eingang, wurde im 20. Jahrhundert mehr und mehr Kunstdünger gestreut - jedoch die Dreifelderwirtschaft und die Zersplitterung der ohnehin dünnen Ackerkrume in kleine und kleinste Gevierte rühr- ten sich nicht von der Stelle. Jeder Bauer pflanzte außerdem alles an, was er zur Ernäh- rung von Mensch und Tier benötigte. Die Zeitverluste bei der Bestellung und Ernte waren infolge der weiten Verstreuung des Bodenbesitzes eines Hofes und der Langsamkeit der Zugtiere noch größer als anderswo, und noch im 20. Jahrhundert waren in kleineren, abgelegenen Dörfern das Ochsen- und Kühegespann keine Seltenheit. In den größeren, stadtnahen Dörfern herrschte bereits das Pferd vor. Zudem war der Boden nicht nur we- gen seines hohen Kalkgehalts, sondern auch wegen unzureichender Düngung, namentlich der Wiesen, ausgelaugt.

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Andererseits lösten die romantischen Impulse von außen, die seit Jahrzehnten bereits gewohnte Erweiterung der Ernährungsbasis durch Mais und Kartoffel wie der Glaube, daß eine bessere Zukunft bevorstehe, im "Ländchen" bereits zu Beginn des Jahrhunderts eine steigende Geburtenfreudigkeit aus. Der Kindersegen bedeutete aber auch eine ungeahnte Steigerung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte, freilich auch mehr Esser. Es mußte mehr Feldfrucht angebaut und mehr Vieh gehalten werden. Zwar begann die Bauern- schaft sich danach zu richten, doch in den siebziger Jahren war der noch bebaubare Bo- den so gut wie erschöpft, das heißt, das "Ländchen" quoll von Bewohnern über. Das Dik- tat der beiden Lebensgesetze von der Enge des Lebensraumes und der geringen Ergie- bigkeit des Bodens war voll in Kraft. Zwei Zahlen sollen die Lage der Sprachinsel zu die- sem Zeitpunkt veranschaulichen, da sich das übervölkerte "Ländchen" anschickte, wie ein Kessel an seinem inneren Überdruck zu explodieren. Professor Grothe verweist auf Seite 46 seines Buches über Gottschee ohne nähere Quellenangabe auf eine Zählung der Gott- scheer aus dem Jahre 1745. Sie wurde angeblich von den damaligen fünf Pfarren vorge- nommen und ergab 9000 "betraute Seelen". Wir lesen diese Zahl nicht ohne Mißtrauen, denn sie scheint zu niedrig zu sein. Wenn sie stimmte, hätte sich seit 1574 die ebenfalls geschätzte Einwohnerzahl nicht verändert. Das aber ist so gut wie ausgeschlossen, denn die Türkeneinfälle lagen 150 Jahre zurück und die wirtschaftliche Erholung der Sprachin- sel unter den Auersperg dauerte bereits über hundert Jahre. Aber selbst wenn man die Grotheschen 9000 um ein Drittel auf 12.000 Seelen steigert, sind die Angaben des Wie- ner Statistikers C. Czoernig für das Jahr 1852 mit rund 22.000 und um 1875 mit 25.000 bis 26.000 Personen noch erstaunlich genug (zitiert nach Maria Hornung, "Mundartkunde Osttirols", Seite 145).

Zugespitzt ausgedrückt: Am rapiden Bevölkerungswachstum der Gottscheer erweist sich, daß sich das Völkchen im Karst biologisch trotz seiner völkischen Insellage keineswegs mehr isoliert entwickelte, sondern - wiederum, ohne es recht zu wissen -, die allgemeine europäische Bevölkerungsexplosion des 19. Jahrhunderts mitvollzog. Und noch mehr:

Als der Sog des menschenarmen nordamerikanischen Kontinents namentlich das deut- sche Volk zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert überfiel, riß er auch aus dem Gott- scheerland Tausende und Abertausende junge Menschen fort. Für den einzelnen Auswan- derer scheinbar zum Glück, für die Gesamtheit der Gottscheer letzten Endes aber zum Verhängnis, öffnete er das breite Schleusentor zum Abfließen des Bevölkerungsüber- schusses. Doch der Strom wollte nicht aufhören. Im ersten Halbjahr 1914 erteilte die Bezirkshauptmannschaft in Gottschee etwa 700 Reisepässe für die USA.

Das Wandern und Geldverdienen in der Fremde war den Gottscheern nichts Neues. Es war jedoch stets Männersache gewesen. Diesmal war es anders. Diesmal hatte der "Zeit- geist" vorgearbeitet, war das innere Feld aufbereitet für die große Unruhe, die nun auch die jungen Frauen und Mädchen erfaßte. Sie begannen dem Mann, dem Bruder, dem Ver- lobten oder dem heimlich Geliebten zu folgen - in ein Land, das von sich sagte, es biete unbegrenzte Möglichkeiten.

Und was bot Gottschee?

Folgte die Gottscheerin wirklich nur dem Manne nach oder war es auch die berufliche Aussichtslosigkeit daheim oder die Aussicht, den Angehörigen auf diesem weltweiten Umweg besser helfen zu können, die sie bewog, in dieses Land aufzubrechen? War es Abenteuerlust, die den viel Mut erfordernden Entschluß zur Auswanderung hervorrief? Vielleicht war es der auch in ihr aufgestaute ewige Wandertrieb, das Wandernmüssen der Gottscheer? Ihr winkte doch gutes und rasches Verdienen, zugleich ein freieres, besseres Leben, war es das? Man muß wohl das ganze Bündel nüchterner und zweckmäßiger

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Überlegungen, familiärer und freundschaftlicher Bindungen und die im tiefsten Men- schentum wartende Neugier auf das geheimnisvolle Unbekannte zusammennehmen, will man die Verhaltensweise einer damals jungen Gottscheerin aus ihrer Zeit heraus ganz begreifen. s'Lantle" ließ sie trotzdem nicht los, auch dann nicht, nachdem sie, von der grauenhaften Ozeanüberquerung auf dem Auswandererschiff arg mitgenommen, amerikanischen Boden betreten hatten. Auf der einen Seite war sie der Enge entronnen, andererseits suchte und fand sie in der Endlosigkeit des unbekannten und drohenden Raumes Halt und Gebor- genheit bei ihren Landsleuten. Doch nicht nur Schutz suchte sie, sondern auch die Wär- me des "Hoimischn", des "Heimischen", des Gewohnten. Nicht wenige der Einwanderer brauchten viel Trost und guten Zuspruch, um das Heimweh ertragen zu können. Hier begegnen wir einem bemerkenswerten, seelischen Phänomen: Als ob sie einem Naturge- setz gehorchte, wehrte sie sich dagegen, auf dem Lande Arbeit zu suchen - nicht nur, weil "er", der Landsmann oder ein bestimmter Landsmann die Stadt nicht verließ, son- dern weil es ihr seit Jahrhunderten förmlich eingeboren war, daß der Boden auch die här- teste Mühe nicht recht lohnte.

Beim Einleben in die völlig anders gearteten Daseinsumstände kam der Gottscheerin, wie übrigens auch ihrem Landsmann, ein Umstand zustatten:

Die bäuerlichen Menschen im Gottscheerland wurden von Kindheit an täglich gezwungen, zu improvisieren. Deshalb fanden sie sich in dem Land, dessen "way of life" auch heute noch eine zum System gewordene Improvisation darstellt, schnell zurecht.

Die ersten Gottscheer Einwanderungsgruppen blieben jedoch nicht in dem überfüllten New York, sondern zogen in ihrer Mehrzahl nach Cleveland/Ohio weiter, wo sie verhält- nismäßig rasch Arbeit fanden. Schon in den achtziger Jahren waren es ihrer so viele - und der Zuzug hielt an - daß soziale Probleme entstanden. Um sie aufzufangen, gründe- ten einige beherzte Männer die erste landsmannschaftliche Hilfsorganisation der Gott- scheer in den Vereinigten Staaten und nannten sie: "Erster österreichischer Unterstüt- zungsverein". Die äußeren Umstände ihres Entstehens sind zum Teil noch bekannt. Das "Gottscheer Gedenkbuch" beschreibt sie auf Seite 48: "Die erste Idee zur Gründung eines Unterstützungsvereines entstand Anfang Juni 1889, als sich verschiedene Gottscheer an der Hochzeit des Herrn Josef Perz aus Malgern trafen. Das Resultat dieser Privatbespre- chung war, daß schon am 7. Juli desselben Jahres vierzehn wackere Gottscheer den ,Ersten österreichischen Unterstützungsverein' gründeten. Herr Josef Kump aus Schal- kendorf hatte das Vergnügen, als der erste Präsident dieses ersten Gottscheer Vereins in Amerika gewählt zu werden. Die monatlichen Beiträge waren auf 50 Cents festgesetzt."

Die Menschenverluste des kleinen Gottscheer Volkskörpers in den achtziger und neunzi- ger Jahren bzw. bis zum Ersten Weltkrieg waren nicht mehr aufzuholen. Dabei ging es jedoch nicht nur um die Zahl der unmittelbaren Auswanderer, sondern auch darum, daß es sich um die tatkräftigsten, wagemutigsten und arbeitsmäßig Tüchtigsten handelte. Zwar kam es bis 1914 vor, daß junge Paare, vom Heimweh getrieben, in die alte Heimat zurückkehrten und dort entweder neu begannen oder das Werk ihrer Eltern und Schwie- gereltern mit den ersparten Dollars fortführten. Diese Rückwanderung wirkte gegenüber dem breiten Strom in der Gegenrichtung wie ein dünnes Rinnsal. Für Gottschee verloren waren vor allem aber die Kinder und Kindeskinder der Auswanderer.

Die Massenauswanderung zeitigte eine weitere psychologische Rückwirkung: Die Ausge- wanderten schickten, sobald sie dazu in der Lage waren, Geld nach Hause. Jeder ins "Ländchen" gelangte Dollar bedeutete eine echte Hilfe, gleichzeitig aber auch eine inten- sive Werbung für Amerika. Was mußte der Empfänger alles tun, um den Gegenwert eines US-Dollars in mehr als vier österreichisch-ungarischen Kronen zu ersparen?!

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Nach der Jahrhundertwende mehrten sich, zunächst in den abgelegeneren Dörfern, die Bauernhausruinen. Die früheren Besitzer oder ihre Erben lebten in Amerika. Niemand hielt den Verfall auf.

Und nicht wiedergutzumachender Schaden entstand an den Traditionen der Gottscheer durch die Abwanderung der volkstumsgestaltenden jungen Kräfte aus 30 Geburtsjahr- gängen. Unter ihnen zählten manche Mädchen und junge Frauen doppelt, die Vorsänge- rinnen in der singenden Dorfgemeinschaft, in den Pfarrkirchenchören, die Erzählerinnen bei abendlichen Gemeinschaftsarbeiten, überhaupt die jungen weiblichen und männlichen Persönlichkeiten, nach denen man sich richtete. Das soll nicht heißen, daß diese jungen Gottscheer moralisch verantwortlich zu machen wären für die Lücke, die sich nun nicht mehr schließen ließ. - Wie vordem die Tracht beim Kirchgang, verschwand allmählich das mundartliche Kirchenlied aus den Gottesdiensten.

Von zwei Seiten also war all das, was das Gottscheertum ausmachte, bedroht; Durch den unaufhaltsamen Rückgang der Menschenzahl und das allmähliche Schwinden der Tradi- tionen formenden und erwerbenden Kraft.

War die Sprachinsel überhaupt noch zu retten?

Kaum etwas von dem eigentümlichen Gottscheer Kulturgut war um die Mitte des 19. Jahrhunderts aufgezeichnet. Zwar konnten die jüngeren Erinnerungsträger des Volk- stumsgutes nun lesen und schreiben, doch ihre Schicht war bereits vor der großen Aus- wanderungswelle dünner und dünner geworden. Nur alte Frauen und Männer beherrsch- ten noch die Volkslieder, das Erzählgut und die unverfälschte Mundart. Aber wie sollte eine alte Bäuerin, die ohnehin nicht schreiben und lesen konnte, etwa ein Volkslied oder eine Sage, Sprichwörter oder dergleichen aufzeichnen?

Entdeckt durch sprachwissenschaftliche und volkskundliche Forscher Alpen- Österreichs

Was hielten denn die Männer der Wissenschaft für gefährdet? Was wollten sie von dem Gottscheer wissen? Mehr und anderes, als diesen wichtig erschien. Seitdem die Sprachin- sel Gottschee vereinzelt für Geographen und Nationalitätenforscher interessant geworden war, begannen und endeten ihre Untersuchungen mit der Frage nach der Herkunft der Vorfahren dieses eigentümlichen Völkchens. Die Gottscheer selbst mußten die Antwort schuldig bleiben, sie hatten keinerlei Beziehung mehr zur Herkunft der Ur-Gottscheer. Deshalb hatten sie den Herkunftstheorien, die in einem wissenschaftlichen Aufputz ein- herstolzierten, nichts geschichtlich Echtes entgegenzusetzen. Erst jetzt, ein halbes Jahr- tausend nach der Besiedlung des Gottscheerlandes, kann man die Forschungsmethoden und deren Ergebnisse ernst nehmen. Und noch einmal hundert Jahre mußten vergehen, bis die Gottscheer endgültig erfuhren, woher ihre Urahnen stammten. Doch bleiben wir im 19. Jahrhundert und blicken wir den Forschern über die Schulter, wie sie den Weg für das Endergebnis bereiteten:

Die ersten Tastversuche, über die Mundart auf die Antwort zu der Frage nach der Her- kunft zu gelangen, fielen in die frühe, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. 1861 erschien aus der Feder des damaligen evangelischen Pfarrers in Laibach, Theodor Elze, eine Ar- beit: "Gottschee und die Gottscheer". Sein Interesse für die Sprachinsel hatten persönli- che Begegnungen mit Gottscheern geweckt. Sie waren nun öfter in der krainischen Lan- deshauptstadt zu sehen, bestand doch eine Postverbindung von Gottschee nach Laibach. Er schrieb unter anderem über ihren Dialekt: "Die Gottscheer Mundart ist eine äußerst wertvolle und noch unbenutzte Quelle für germanistische Studien, aus welcher nicht al- lein eine bedeutende Bereicherung der Kunde der deutschen Mundarten, sondern selbst

Gedruckt von http://www.gottschee.at 72 mancher nicht verachtenswerte Beitrag zum Verständnis unserer altdeutschen Sprache geschöpft werden kann." (Zit. nach Grothe S. 129.)

Tiefer als Elze schürfte der uns bereits bekannte Wiener Universitätsprofessor Dr. K. J. Schröer in der Mundart nach Herkunftsmerkmalen. Noch etwas unsicher, doch mit klarem Blick steuerte er auf das engere Herkunftsgebiet zu: "Die Gottscheer sind im ganzen Markomannen, die Mundart hat den Charakter der bairisch-österreichischen Lechmundar- ten, aber mit einem alten Zusatz von Schwaben und Franken her, durch den sie, bei gro- ßer Verwandtschaft mit der Mundart der Zimbri und der Kärntner, sich von diesen in vie- len Wortformen und gewissen Lauten unterscheidet " (Zit. nach Grothe, S. 129.)

Die Frucht seines an sich kurzen Aufenthaltes in Gottschee war eine Abhandlung über die Mundart, die nur noch historischen Wert besitzt. Ihm verdanken wir auch ein Verzeichnis der Ortschaften des "Ländchens".

Die geistige Nachfolge Schröers trat der in Prag lehrende Prof. Dr. Adolf Hauffen, ein ge- borener Laibacher, an. Er veröffentlichte die bereits als klassisch angesehene Monogra- phie: "Die Sprachinsel Gottschee", erschienen in Graz 1895. Bei ihm herrscht kein Zwei- fel mehr über die Herkunft der Vorfahren der Gottscheer aus dem bairisch- österreichischen Dialektraum, wenn auch dieser Fachausdruck zu seiner Zeit noch nicht gebräuchlich war. Er fand in ihr die wesentlichsten Eigentümlichkeiten des Bairischen in Wortschatz und Wortbildung, Flexionsform und Vokalismus wieder. Einen erheblichen Einfluß alemannisch-schwäbischer Dialektformen läßt Häuften nicht gelten. Seine übrigen Ansichten über die Herkunft der Gottscheer erfahren wir bei Grothe auf Seite 129 unten, wo der Leipziger Forscher schreibt: "Einfluß und Einwanderung bairisch-österreichischen Schlages ist aus dem benachbar-ten Kärnten und Steiermark im Gottscheerland unstrei- tig sehr stark gewesen. Der Wortvorrat der Gottscheer Mundart hat wohl zu 60% diesen Ursprung. Merkwürdig aber ist, daß trotz dem ansehnlichen bairisch-österreichischen Wortvorrat mehrere Eigentümlichkeiten des Bajuwarischen im Gottscheerischen sich nicht finden, so die Dualformen "ös" und "enk", sowie das Verschlucken des e in den Vor- silben der Worte. Der Gottscheer spricht deutlich "gamochat", "Geschwister", "pahent", nicht gmacht, Gschwister und phent. (Zit. nach Grothe, S. 129-130.)

Bis zu Hauffen veröffentlichten ausschließlich Nicht-Gottscheer die Ergebnisse ihrer For- schungsarbeiten über das "Ländchen" und ihre Ansichten. Der erste Gottscheer, der ein einwandfrei wissenschaftliches Werk über die Mundart seiner Heimat beisteuerte, war ein Schüler Hauffens: Dr. Hans Tschinkel aus Lichtenbach, Gymnasialdirektor in Prag. Er schrieb "Die Grammatik der Gottscheer Mundart", erschienen in Halle 1908. Sie sollte überleiten zu einem Wörterbuch der Gottscheer Mundart, doch die Strapazen des Ersten Weltkriegs und seine rastlose Forschertätigkeit, in die er auch das Gottscheer Volsklied einbezog, hatten seine Lebenskraft frühzeitig aufgezehrt. Viel zu früh starb er 1926 und hinterließ eine einzigartige Ernte, weit über tausend Mundartlieder aus der Sprachinsel Gottschee. Sie sollten als Band I eines mehrbändigen Werkes über das Volkslied in der österreichisch-ungarischen Monarchie erscheinen. Der Zusammenbruch des Donaustaa- tes im Jahre 1918 zerstörte auch diesen Plan. Hans Tschinkel hinterließ darüber hinaus zahlreiche vorbereitende Aufzeichnungen für das Mundartwörterbuch. Keiner der Einge- weihten wagte zu hoffen, daß es jemals erscheinen würde. Dennoch: Ein halbes Jahrhun- dert nach seinem Tode erschien im Verlag der österreichischen Akademie der Wissen- schaften in Wien der II. Band des "Wörterbuches der Gottscheer Mundart", von Dr. Wal- ter Tschinkel aus Morobitz, dem Neffen des Forschers. Walter Tschinkel hatte seine päd- agogische Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt erfahren und studierte als junger Lehrer, um dem großen Werk fachlich-sprachwissenschaftlich gewachsen zu sein, Germanistik. Wieder schien es, als sollten durch einen weiteren Krieg und die ge- sundheitliche Gefährdung Dr. Tschinkels alle Bemühungen um die Erfassung des bedeu- tendsten wissenschaftlichen Werkes über die Sprachinsel Gottschee umsonst gewesen

Gedruckt von http://www.gottschee.at 73 sein. Es gelang ihm jedoch, den ersten Band 1974 und den zweiten Band 1976 bis auf die letzten Korrekturen noch selbst zu vollenden. Im Oktober 1975 starb er in St. Georgen am Längsee, der Stätte seines langjährigen Wirkens, noch nicht 70 Jahre alt. Sein Tod versetzte die letzte Gottscheer Generation in tiefe Trauer. Seine persöhnlichen Freunde, zu denen sich auch der Verfasser des "Jahrhundertbuches" zählen durfte, hatten sich mit ihm gefreut, als er wenige Monate vor seinem Ableben in Wien den Theodor-Körner-Preis erhielt. Seine Landsleute zeichnenten ihn mit dem "Gottscheer Ehrenring" aus und die Gemeinde St. Georgen ernannte ihn posthum zum Ehrenbürger.

Mit seinem "Wörterbuch der Gottscheer Mundart" hat Dr. Walter Tschinkel der deutschen Sprachwissenschaft, namentlich der bairisch-österreichischen Dialektgeographie, einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Frühzeitig nahm er die Verbindung mit der "Bairisch- österreichischen Wörterbuchkanzlei" in Wien auf, früh erkannte die Kanzlei die Bedeu- tung seiner Arbeit. - Walter Tschinkels Werk erschien als Band VII der Schriftenreihe: "Studien zur österreichisch-bairischen Dialektkunde" und setzte damit die Tradition der "kaiserlichen", ab 1867 k. u. k. Akademie der Wissenschaften in der Förderung von Gott- schee-Forschern fort. K. J. Schröer war der erste Walter Tschinkel - so hoffen die Gott- scheer - wird nicht der letzte Geförderte sein.

Das Wörterbuch der Gottscheer Mundart fand außer der ideellen und verlegerischen Un- terstützung seitens der Akademie der Wissenschaften in Wien jene weitere Förderung in der Repuplik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland, welche die Herausgabe des zweibändigen Werkes überhaupt erst ermöglichte. Tschinkel dankt den beteiligten Stellen und Organisationen auf Seite VI des ersten Bandes mit folgenden Worten:

„Aufrichtigen Dank schulde ich dem Bundesminister für Unterricht für einen sechsmonatigen Forschungsurlaub im Jahre 1968 und dem Amt der Kärntner Lan- desreigerung für einen solchen von vier Monaten im Jahre 1970. Herzlich gedankt sei in dieser Verbindung auch dem Abgeordneten zum Nationalrat Dr. O. Scrinzi, dem Obmann der Gottscheer Landsmannschaft, Dr. V. Michitsch und OSR. Dir. H. Petschauer als landsmannschaftlichem Betreuer des Gottscheer Wörterbuches, die die beiden Urlaube beantragten und auch erwirkten.

Die höchste Anerkennung erfuhr meine Arbeit durch die österreichische Akademie der Wissenschaften am 10. März 1972, als sie mein Manuskript „Wörterbuch der Gottscheer Mundart“ zum Druck im Rahmen der Studien zur österreichisch- bairischen Dialektkunde` Nr. 7 annahm. Ich weiß auch den Platz zu schätzen, der dem Werk eingeräumt wurde: es wird neben dem „Pladner Wörterbuch“ von Maria Hornung stehen. Die Gottscheer und Pladner Mundart, einstige Nachbarmundarten aus dem tirolisch-kärntnerischen Raum, haben nach einer etwa 700jährigen Tren- nung wieder zueinander gefunden.

Ich danke herzlich allen jenen Stellen und Persönlichkeiten, die durch finanzielle Mittel das Erscheinen des Gottscheer Wörterbuches ermöglichten. An erster Stelle der österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Dann dem Innenministerium der Bundesregie- rung in Bonn, dem Innenministerium der Landesregierung Baden-Württemberg in Stuttgart, den Kulturabteilungen der Landesregierungen in Klagenfurt, Graz und Innsbruck, den Städten Sindelfingen und Klagenfurt und der Kärntner Landeshy- pothekenanstalt. Schließlich der Kärntner Landsmannschaft und ihrem Obmann Hofrat Dr. Franz Kosthier und den Gottscheer Landsmannschaften und ihren Ob- männern in Ulm, Klagenfurt, Wien, Graz und Linz. Und nicht zuletzt den Gott- scheer Hilfsvereinen in New York und Toronto ...”

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Für die Breite des wissenschaftlichen Stoffes und seine detaillierte Vertiefung war es ge- wiß von großem Vorteil, daß Tschinkel die Gottscheer Mundart als Muttersprache in den Arbeitsbereich der modernen österreichisch-bairischen Dialektgeographie einbrachte. Diesen Umstand wußten besonders zwei führende Experten auf diesem Gebiet zu schät- zen, die Wiener Universitätsprofessoren Dr. Eberhard Kranzmayer und Frau Dr. Maria Hornung. Sie führten das Lebenswerk Walter Tschinkels wieder richtungweisend und ver- gleichend behutsam zu seinem Platz auf der akademischen Ebene Österreichs.

In den Jahren vor dem Erscheinen des "Wörterbuches der Gottscheer Mundart" fand ein ständiger Gedankenaustausch, vor allem zwischen Walter Tschinkel und Frau Maria Hor- nung, statt. Auf zahlreichen Kundfahrten durchforschten sie die Teillandschaften des von Prof. Kranzmayer allgemein als "tirolisch-kärntnerisches Grenzgebiet" umrissenen Her- kunftsraumes der Gottscheer. Es glückte ihnen mehrfach, durch Vergleich ausgefallener Ausdrücke des bäuerlichen Lebens, Auswanderungsorte bis auf das Dorf genau festzule- gen. Über die allgemeinen Übereinstimmungen zwischen dem Osttiroler und Gottscheer Dialekt schreibt Prof. Hornung in ihrem Buch "Mundartkunde Osttirols" auf Seite 147 das Folgende:

"Nach Ausschaltung der für eine Wortvergleichung des Gottscheerischen mit den Mundarten des tirolisch-kärntnerischen Grenzbereiches nicht brauchbaren Wort- gruppen ergibt sich folgendes dialektgeographisches Bild: Zu einem erheblichen Teil sind die Gottscheer Eigentümlichkeiten denen des Pustertales bzw. des Le- sachtales zuzuordnen."

Einer besonderen Erörterung bedarf hinsichtlich seiner Mundart und Herkunftsfrage das "Suchener Hochtal", die westliche Randlandschaft des Gottscheerlandes. Sie hat ihre ei- gene Besiedlungsgeschichte. Es gibt Gründe für die Annahme, daß diese bereits mit der ersten Besiedlungsphase einsetzte. Wenig spricht jedoch dafür, daß das Hochtal aus dem Hinterland, etwa von Göttenitz aus, besiedelt wurde, weil es durch den Rieg-Göttenitzer Wald geradezu verkehrsfeindlich abgeriegelt war. Hingegen war es aus dem Raum Al- tenmarkt, Laas, Zirknitz, Idria ohne große Mühe zu erreichen. Diese Tatsache haben wohl auch die Siedlungsplaner der Grafen von Ortenburg vor der Kolonisierung des Tales er- mittelt. Das Schloß Laas und seine Zugehörungen waren altes Lehen der Patriarchen von Aquileja. Über diese hinaus wies die eben kurz umschriebene Landschaft mehrere sprachinselartige Einflüsse mit deutscher Bevölkerung auf. Das Zustandekommen dieser kleinen Siedlungen beschäftigte bereits den Schulrat Josef Obergföll, der uns im 20. Jahrhundert wieder begegnen wird. Grothe geht auf Seite 202 auf die diesbezüglichen Anmerkungen ein und schreibt: "... die Bewohner des Suchener Hochtales, einer alten Aufzeichnung gemäß, von Idria und der Wochein, also von den dort eingepflanzten Kolo- nien des Freisinger Hochstiftes gekommen."

Grothe bedauert zunächst, daß Obergföll seine Quelle nicht angibt und wir sind heute darauf nicht unbedingt angewiesen, weil wir in der Lage sind, der Obergföllschen Mittei- lung zur Herkunft der Suchener eine bisher nirgends erörterte, geschichtliche Komponen- te hinzuzufügen: Schloß Laas und seine Zugehörungen waren - ein Ausnahmefall! - jah- relang zwischen Aquileja und Ortenburg strittig. Die Angelegenheit ist heute nicht mehr ganz durchsichtig, doch ist soviel bekannt, daß die Grafen behaupteten, das Schloß gehö- re ihnen zu eigen, während die Patriarchen diesen Anspruch ablehnten. Jedenfalls hielten die Ortenburger Laas über längere Zeit besetzt, bis Patriarch Pagano II. 1327 die Geduld verlor und es zum "ledigen Lehen" erklärte. Die Ortenburger aber waren durch diesen Spruch zum Abzug gezwungen, wollten sie nicht der "Felonie" geziehen werden und da- mit alle ihre Lehen aus Patriarchenhand verlieren. Trotzdem versuchte der ungebärdige Graf Hermann III. 1335 noch einmal. Schloß Laas mit Handstreich zu gewinnen. Der da- mals bereits regierende Patriarch Bertrand (siehe Villacher Konferenz von 1336) griff hart

Gedruckt von http://www.gottschee.at 75 durch, vertrieb Hermann und belehnte die in Kärnten eben zu Herzögen eingesetzten Habsburger Otto und Albrecht mit dem Streitobjekt.

Schlußfolgerung: Die Grafen von Ortenburg verfügten lange genug über Schloß Laas, weil sie in den Zugehörungen und im Umkreis von Altenmarkt, Idria usw., Kolonisten für die Ansiedlung im Suchener Becken fanden. Sie ersparten sich damit viel Weg, Zeit und Geld, zumal in ihren eigenen Lehensgebieten Unterkrains Siedlungswillige ohnehin nicht mehr in beliebiger Zahl zur Verfügung standen.

Unter diesen durchaus glaubhaften Voraussetzungen klärt sich wie von selbst auch die Frage nach den Unterschieden zwischen der Suchener Haussprache und der übrigen Gottscheer Mundart. Man war lange geneigt, anzunehmen, daß sich diese Unterschiede in der Abgeschiedenheit des Suchener Hochtales "entwickelt" haben und gewachsen sind, nun aber besteht kaum noch ein Zweifel, daß die Bevölkerung dort von Anbeginn nicht anders gesprochen hat als bis zur Umsiedlung. Die Vorfahren der Suchener Bevölkerung kamen, wie wir gesehen haben, andererseits ebenfalls aus dem Kolonisationsstreubereich des Freisinger Eigenklosters Innichen im Pustertal, doch offensichtlich nicht unmittelbar aus dem Herkunftsgebiet der Urgottscheer. Wir sind der Zeit etwas vorausgeeilt, um die Einheitlichkeit des Herkunftsnachweises durch die Mundart zu wahren. Das ist uns hin- sichtlich des Suchener Hochtales zunächst nur mit Hilfe einer geschichtlichen Gedanken- reihe gelungen. Der eigentliche sprachwissen-schaftliche Nachweis steht zugegebener- maßen noch aus. Es wäre daher sicher ein reizvolles Thema für einen angehenden Dia- lektgeographen der Wiener Schule, solange es noch gewissermaßen Original-Suchener gibt, die obige geschichtliche These sprachwissenschaftlich zu untermauern.

Wir haben nun noch die Frage zu beantworten, welche spezifisch gottscheerischen Kul- turgüter die Männer der Wissenschaft außer der reinen Sprechsprache im 19. Jahrhun- dert gefährdet sahen. Das waren die mundartlich gebundenen liedhaften und erzählen- den Inhalte als Zeugnisse der Volksphantasie und -poesie, als da waren: das Volkslied, die Sagen und Märchen, Mythen und Legenden, Erwachsenen- und Kinderspiele, heitere und ernste Erzählungen, Brauchtum und Aberglauben, teilweise aus heidnischer Wurzel.

Die Forscher und die Gottscheer selbst waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch überzeugt, daß viel von dem ungehobenen Volkstumsschatz des "Ländchens" be- reits endgültig untergegangen sei. Mag sein, daß Lieder und Erzählgut aufgegeben wur- den, weil sie dem Volk nicht mehr gefielen. Als aber Schröer und vor allem Hauffen auf Entdeckungsreise gingen, standen sie bei den alten Menschen vor einer schier uner- schöpflichen Fundgrube. Hauffen war es auch, der das Gottscheer Volkslied als erster in die noch junge deutsche Volkslied-Systematik einband. Er charakterisiert es auf Seite 130 seines Werkes unter anderem wie folgt: "Manches harrt noch verborgen des Finders. Doch der moderne Volksliederschatz anderer deutscher Landschaften vermittelt nicht diesen Eindruck des Altertümlichen und Eigenartigen. Keiner weicht in der Form so von allem übrigen ab, nur wenige bieten in den Einzelheiten so viel des Neuen dar, wie der Gottscheer Liederschatz." - Hauffen zieht dann einen Vergleich zwischen dem Volkslied- schaffen der Siebenbürger und der Gottscheer: "In beiden Sprachinseln werden die Volkslieder völlig in der Mundart gesungen. Das Volkslied abgelegener Gegenden ist überhaupt in der Regel mundartlich, in beiden wird die Ballade bevorzugt, in beiden ge- währen die Lieder durch die Form meist dreiteiliger Strophen, durch Auffassung und Dar- stellung einen altertümlicheren Eindruck als die entsprechenden deutschen Parallelen."

Hauffen verneint auch nicht einen gewissen Einfluß der anders-völkischen Umgebung. Das Gottscheer Volkslied erscheint dem Nicht-Gottscheer Hauffen beim ersten Lesen un- gewöhnlich, ja fremdartig, und der Text ist ihm, auch ohne Melodie, zunächst unver- ständlich. Dies lag größtenteils an der behelfsmäßigen Aufzeichnung der Lieder durch die Sammler, deren eifrigste die jungen Lehrer waren. Unter ihnen befanden sich Namen,

Gedruckt von http://www.gottschee.at 76 wie Wilhelm Tschinkel, der Vater Dr. Walter Tschinkels, Josef Perz, Mathias Petschauer u. a., ihre Namen sind im Hauffischen Werk zu finden. Der Volksliedforscher aus Prag hatte es daher ungleich schwerer als sein Schüler und Mitarbeiter Hans Tschinkel, das musika- lische Gewand der Gottscheer Volsklieder auszumachen und zu ihrem innersten Wesens- kern vorzudringen. Aber auch Hans Tschinkels Aufzeichnungen vermochten niemandem die eigentümliche Klangfarbe der Vokale, überhaupt die Melodik der Mundart so eindeutig zu vermitteln, daß ein hochmusikalischer, landfremder Deutscher imstande gewesen wä- re, ein Gottscheer Volkslied sozusagen vom Blatt zu singen. Erst die modernen techni- schen Hilfsmittel erschließen dem persönlich oder wissenschaftlich interessierten Nicht- Gottscheer lautgetreu die Lieder des "Ländchens". Ihrer bediente sich Universitätsprofes- sor Dr. Johannes Künzig, FreiburgJBreisgau, der 1954 bis 1966 gemeinsam mit Frau Dr. Waltraut Werner (inzwischen seine Ehefrau) drei Langspielplatten unter dem Titel: „Gott- scheer Volkslieder, aus mündlicher Überlieferung”, herausbrachte. Auf den Seiten 6 und 7 des beigefügten Textheftes äußert sich Professor Künzig dazu wie folgt:

„Wenn ich als Volkskundler gewiß in erster Linie daran dachte, welchen Gewinn eine grö- ßere Auswahl authentischer Tonbandaufnahmen Gottscheer Volkslieder für die Volkslied- forschung bedeuten würde, auch für die akademische Lehre, so strebte ich doch zugleich an, die Schallplatten so zu gestalten, daß darauf enthaltene Lieder bei den Gottscheern eine starke Wirkung zur bewußten Pflege solch kostbaren Heimaterbes haben können. Ich mußte also an zwei recht verschiedene Aufnahmekreise denken — ohne jeden Kom- promiß bezüglich der Echtheit der mündlichen Überlieferung. Auch die binnendeutschen Freunde alten Liedgutes werden aufhorchen: seither mag die Schranke der schwer zu lesenden Gottscheer Mundart das Haupthindernis gewesen sein, daß kaum Gottscheer Weisen in das gemeindeutsche Liedgut aufgenommen wurden. Das originale Hören wird auch den Nicht-Gottscheer zunächst faszinieren, bei wiederholtem Hören aber werden ihm die so eigenartigen und andersartigen Weisen nicht mehr „aus dem Ohr gehen”. Wis- senschaftliche Probleme werden, wie ich wünsche und hoffe, auf Grund dieser drei au- thentischen Gottscheer Volksliedplatten erneut erörtert und geklärt werden können, so z. B. das Problem der Langzeile, das ja von seiten der Germanisten (Professor Dr. Friedrich Maurer) wie von der vergleichenden Musikwissenschaft aus seit Jahren erörtert wird. Bei welchen Liedern eine Langzeile zu setzen ist, kann nur von der Melodie und dem Vor- tragsstil aus entschieden werden — darum ist es von großer Bedeutung, daß wir nicht mehr von den mehr oder weniger unzureichenden, manchmal auch falschen Notierungen — wenn man gewaltsam für alle Melodien das herkömmliche Taktschema anwenden soll- te — abhängig sind. Wir haben uns entschlossen, eine Reihe von Liedtexten — nach ge- meinsamem Abhören in einem Kreis von Volkskundlern, Germanisten und Musikwissen- schaftlern — in Langzeilenform abzudrucken, um die Diskussion anzuregen. Auch wenn andere Auffassungen dabei zur Sprache kommen sollten, wird das für die wissenschaftli- che Klärung nur förderlich sein können.”

Der Verfasser des „Jahrhundertbuchs”, der selbst noch eine Anzahl von Gottscheer Volks- liedern beherrscht, sieht das Liedgut seiner alten Heimat, für sich allein betrachtet, so:

Das Gottscheer Volkslied ist empfindungsbetont und gibt sich gern erzählerisch, auch da, wo es fromm wirkt, in den Kirchenliedern. Liebe und Leid, Tod und Auferstehung, Heite- res und trauriges Sichversenken, hintergründiger Humor und derber Spott bilden den Inhalt. Wenn sehr oft die geradezu melancholische, getragene Weise vorherrscht, so ist sie leicht aus der Geschichte des Gottscheer Völkchens zu erklären. War sie nicht ernst genug? — Seit der großen Auswanderung in die Vereinigten Staaten und erst recht seit der Umsiedlung im Jahre 1941 gewann das tief gemütvolle Heimatlied die Oberhand. Noch vor der Jahrhundertwende entstand beispielsweise das wirklichkeitsnahe, liebevoll schildernde „Mein Wuatrhaüsch” (mein Vaterhaus) von Georg Ostermann aus Mooswald, der in Wien lebte und mehrere Mundartgedichte verfaßte. Das „Vaterhaus” ist heute noch vielen Gottscheern geläufig. Es lautet in der Mundart und in der hochdeutschen Übertra- gung:

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Ens Haüsch, bu i gəpoarən ünt aüfgəbokschən pin, Bu miər an jedr Moarn lai Lüscht hot prucht in Shin, Bu i də Muətrliebə shö wöll gənösən hon, An bels i guər niə triəbə, lai hoitr denkən kon, Ens Haüsch liəb i pəschtendig, kon's guər et shugən biə, Shö innig, shö lebendig, Iər gläbəts guər et biə!

A trücknai woadrai Schtübə, a Schtible nebən uən, Drüntr an Eardepflgrüəbə, dər Schtol würt hintən druən. A Kaudr güət gəmaüərt, a weschtəs Pretrdoch, Bes longai Jarlain taüərt ünt woar a Koschtə nöch. Unt nüe wr's Hai ünt Grüəmöt a Schtuədl hoach biə's Haüsch. Shö ischt main liəbai Hoimöt, shö ischt main Wuətrhaüsch.

Es gait in Koishərsch Lantn guər scheanai Haishr wil, Wirschtn ünt hoachə Mandr hont' guər Gəshlesər wil. „Də hetain raichən Laitə hent gliklich”, hear i shügn, „Shai prachənt nisch af Paitə, shai tüənt shi a net plügn. 'S müg shain ünt döch dos oinə ischt gonz a buərai Mär, As i, ben i ahoimə, nöch mear zəwridən bär.

Jo bärlain! i tüən binschən woar olai miər lai dos, Mein Härzə tət miər glinschn, ben i'n Gədonken wos: I mecht in autən Tügən ahoimə shain in Rüə, Af Wuətrsch Haüshə labən, shö gliklich biə as Püə; Mecht in Gətscheabar Pargən nöch wrischai Lüft gəniəsn, Mecht in dər Hoimöt schtarbən, mecht dört main Shain pəshliəsn.

Jenes Haus, wo ich geboren und aufgewachsen bin, wo mir ein jeder Morgen nur Lust gebracht in den Sinn, wo ich die Mutterliebe so voll genossen hab', an die ich gar nie trübe, nur heiter denken kann, jenes Haus liebe ich beständig, kann's gar nicht sagen wie — So innig, so lebendig, ihr glaubt es gar nicht wie!

Eine trockene vordere Stube, ein Stübchen nebenan; darunter eine Erdäpfeigrube, der Stall gleich hinten dran. Ein Keller gut gemauert, ein festes Bretterdach, welches lange Jährchen dauert und vorne ein Kasten (Getreidekasten) noch. Und nun fürs Heu und Grummet einen Stadel hoch wie das Haus. So ist meine liebe Heimat, so ist mein Vaterhaus.

Es gibt in Kaisers Landen gar schöne Häuser viel, Fürsten und hohe Männer haben gar Schlösser viel. Die solch reichen Leute sind glücklich, hör' ich sagen, sie brauchen nichts auf Pump, sie plagen sich auch nicht. Es mag sein und doch, das Eine ist eine ganz wahre Mär', daß ich, wenn ich zu Hause — noch mehr zufrieden wär.

Ja, wahrlich, ich wünsche mir vor allem nur das, mein Herz glüht mir, wenn ich den Gedanken faß: Ich möcht' in alten Tagen daheim sein in Ruh, auf Vaters Hause leben, so glücklich wie als Bub. Möcht in Gottscheer Bergen noch frische Luft genießen, möchte in der Heimat sterben und dort mein Sein beschließen.

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Um 1904 schrieb der größte Gottscheer Volkstumsforscher, Wilhelm Tschinkel, das Lied, das in der Verstreuung zum Heimatlied aller seiner Landsleute geworden ist:

Dü hoscht lai oin Attain, oin Ammain dətsüə, dü hoscht lai oin Hoimöt, gotscheabaschər Püə.

Avoar in dər Barlt gait's Laitə gənüəkh, döch liəbar ahoimə ischt dar gətscheabasche Püə.

Də gətscheabaschn Laitə hent ollə shö güət, shai hent ollə biə Priədrə, shai hent ollə oin Plüət.

A rachter Gətscheabar, ob uərm ödər raich, ar liəbət shain Hoimöt grüst biə's Himmlraich.

Gött Vuətər in Himmel, biər pätn guər schean, shö luəß insch inshər Lantle in Wridn pəschtean.

Du hast nur einen Vater, eine Mutter dazu. Du hast nur eine Heimat, Gottscheer Bub.

Draußen in der Welt gibt es Menschen genug, doch lieber zu Hause ist der Gottscheer Bub.

Die Gottscheer Menschen sind alle so gut, sie sind alle wie Brüder, sie sind alle ein Blut.

Ein rechter Gottscheer, ob arm oder reich, er liebt seine Heimat gerade wie's Himmelreich.

Gottvater im Himmel, wir bitten gar schön, so laß uns unser Ländchen in Frieden bestehen.

Die Mehrzahl der Gottscheer Volsklieder dürfte nicht außerhalb der gesamtdeutschen Entwicklung auf diesem Kultursektor entstanden sein. Schon Hauffen sagte, daß die Deutschen im 15. und 16. Jahrhundert besonders sanges- und wanderfreudig waren. Wenn wir nun bedenken, daß in diesen beiden Jahrhunderten Tausende von Gottscheer Hausierern im österreichisch-bairischen Dialektraum, im musikalisch ungemein begabten Böhmen, auch in den deutschsprachigen Enklaven Krains herumkamen, so ist nicht von der Hand zu weisen, daß sie eine unübersehbare Zahl von Anregungen zur Weitergabe an die Leute daheim mitbrachten. Der Hausierer lebte in seinem Handelsrevier ja nicht von der ansässigen Bevölkerung isoliert. Er verbrachte die Abende am liebsten doch dort, wo es unterhaltsam war, in den Herbergen, Gasthäusern oder bei gastfreundlichen Bauern. Soweit die Ansicht des Buchautors.

Des Gottscheers liebstes Lied ist und war, solange es ihn gibt, „Da Merarin” (Die Merarin, die Frau am Meer). Noch heute sind die Gottscheerinnen und Gottscheer andächtig und ganz gesammelt, wenn sie es singen. Ein merkwürdiger Zusammenhang tut sich hier auf: Ausgesprochene Bergbewohner überlieferten eine Ballade von der Küste, vom Meer, von der See. Der Weg zu ihrem literarischen Ursprung ist jedoch nicht weit, „Da Merarin” ist ein Rest des „Gudrun-Liedes”, das in der Literatur vielfach als „Kudrun-Epos” bezeichnet wird. Es stammt ungefähr aus der gleichen Zeit wie das Nibelungenlied, d. h., etwa aus der Zeit um 1230. Man hält es für eine höfische Dichtung. Auf die Gottscheer übte es einen eigentümlichen Zauber aus. Zu allen Zeiten ging das Schicksal der Frau am Meer namentlich den Mädchen und Frauen nahe.

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Die Forschung hat sich angesichts dieser inneren Beteiligung des Gottscheer Völkchens an dieser Ballade intensiv mit der „Merarin” beschäftigt. Als Professor Schröer auf sie stieß, war er freudig überrascht, es gelang ihm jedoch nicht, von den Sängerinnen und Sängern eine Auskunft zu erhalten, woher sie Text und Melodie kannten. Er selbst war von Anbeginn überzeugt, daß es sich um den letzten Gesang des Gudrun-Liedes handel- te, das Gesamtepos jedoch war der Erinnerung des Volkes entschwunden. „Da Merarin” enthält lediglich die Waschszene am Meeresufer und das Wiedersehen mit dem Bruder und dem Geliebten sowie die glückliche Heimkehr. Wie alle Volksballaden war auch diese dauernden Veränderungen unterworfen. Bei der „Merarin” gesellten sich im Gottscheer- land zu den eigenen Formungen des Textes Einflüsse aus der slowenischen Balladenwelt.

Schröers Entdeckung löste bei den Literaturhistorikern ein lebhaftes Für und Wider aus. Aus der Fülle der Gedankengänge wollen wir versuchen, den folgenden Fragenkomplex zu beantworten: Haben die Vorfahren der Gottscheer das „Gudrun-Lied” in seinen we- sentlichen Zügen gekannt? Haben sie es nach Gottschee verpflanzt, wenn ja, wie weit hat es sich dort verändert? Schon Hauffen ging diesen Fragen nach und fand im „Ländchen” neun Variationen der Ballade. Er bestätigt, daß die am meisten gesungene Variante, die er auf Seite 245 seiner Monographie über Gottschee unter der Lied-Nummer 44 abdruckt, zweifelsfrei auf das „Kudrun-Epos” zurück-geht. Auf Seite 404 seines Buches begründete Hauffen diese Erkenntnis: Die Ballade 44 von der Meererin erzählt in überaus schlichter und knapper Form den Kern der Sage. Die schöne, junge Meererin geht am frühen Mor- gen zum Meeresstrande und wäscht weiße Wäsche. Da kommt ein Schifflein heran mit zwei jungen Herren. Sie rufen ihr zu: „Guten Morgen, du schöne Meererin.” Sie erwidert: „Schönen Dank, gute Morgen hab' ich nicht.” Einer der Herren überreicht ihr einen Ring: „Nimm hin, du schöne Meererin.” (Er muß also zu ihr in näheren Beziehungen stehen, was in dieser Fassung verwischt ist, während in Nr. 50 und 51 ausdrücklich gesagt wird, daß die beiden Ankömmlinge Bruder und Geliebter der Meererin sind.) Sie erwidert: „Ich bin nicht die schöne Meererin, ich bin nur eine Wäscherin.” Das heißt: Sie schämt sich ihrer Lage und will sich nicht zu erkennen geben. Sie setzen sie ins Schifflein und sagen: „Du bist gleichwohl die schöne Meererin.” Das heißt: Wir erkennen dich trotzdem. Sie nimmt ein Tüchlein in die Hand. (Das zeigt uns an, daß sie reisefertig ist; denn die Gott- scheerinnen, wie die Krainerinnen, pflegen ein Taschentuch in die Hand zu nehmen, wenn sie sich zu einem längeren Ausgang rüsten.) Dann fährt sie übers Meer. Und wie sie endlich hinkommt, da grüßen sie und halsen sie und küssen sie die Meererin. Dieser Schluß zeigt deutlich: Sie ist den Ihrigen wiedergegeben, sie wurde aus der Fremde heimgebracht. — Zug um Zug stimmt somit die Ballade mit der Erzählung im Kudrun- Epos, besonders mit der 25. Aventiure. Auch Kudrun geht mit ihrer Freundin am Tage des Wiedersehens schon am frühen Morgen zum Meeresufer waschen (Strophe 1200- 1204). Da sehen sie auf dem Meer herankommen „zwene in einer barken” (1207); Her- wig „in guoten morgen bot”, aber auch hier paßt der Gruß nicht für die traurige Lage der Angerufenen: „guoten morgen und guoten abent, was den minniclichen meiden tiure” (1220). Auch Kudrun schämt sich, so vor den Helden zu stehen, und gibt sich nicht zu erkennen, „ir suochet Kudrunen, diu ist in arbeiten tot (1242); vgl. auch „ich bin ein ar- miu wesche”` (1294, 3). Herwig aber reicht ihr seinen Ring und sie erkennt nun den Ge- liebten und den Bruder (1247 ff). Die beiden bringen sie auch in die Heimat, wo Kudrun von der Mutter geküßt wird (1576).”

Dr. Hans Tschinkel aber fand in abgelegenen Dörfern noch sieben weitere Abwandlungen der „Merarin”. Ob und wie diese 16 Variationen untereinander zusammenhängen, dar- über berichtet Frau Dr. Martha Kübel in ihrer 1929 erschienenen Dissertation: „Das Ku- drun-Epos”.

Martha Kübel geht davon aus, daß die von beiden Gelehrten aufgezeichneten „Merarin"- Texte stets nur die Eingangsformel gemeinsam haben, im übrigen aber in drei Gruppen eingeteilt werden können. Die erste Gruppe besteht lediglich aus der auf Seite 245 abge- druckten Nummer 44 der Hauffenischen Einteilung. Die zweite umfaßt fünf, die dritte

Gedruckt von http://www.gottschee.at 80 zehn Abwandlungen. Ihre Inhalte haben mit der „Gudrun-Sage” im Grunde genommen nichts zu tun. Sie erhielten in der Gottscheer Volksphantasie also lediglich dieselbe Ein- gangsformel: „Wie früh ist auf die Merarin . . .”. Sie sind zu einer Zeit, als die sprachli- chen Unterschiede zwischen den Gottscheern und den sie umgebenden Slowenen noch kaum eine Rolle spielten, vom Rande her in die Sprachinsel eingesickert, wurden jedoch gottscheerisch gesungen. Die Erinnerungen an diese 15 Balladen ist den Gottscheern im 19. Jahrhundert abhanden gekommen, die letzte Generation singt nur noch die von Hauf- fen unter Nr. 44 veröffentlichte Variante.

Auch Martha Kübel sagt darüber auf Seite 27 ihrer Arbeit, sie stamme ohne jeden Zweifel vom „Kudrun-Epos”.

Die Frage, ob die Urahnen der Gottscheer das „Kudrun-Epos” gekannt haben können, darf man getrost bejahen. Es wurde, wie man weiß, gleich dem Nibelungenlied auch im deutschsprachigen Alpenraum unter das Volk gebracht. Wir haben keinen Grund zu zwei- feln, daß auch das Bauernvolk in Kärnten und Tirol die Sage von der unglücklichen Ku- drun nachsang und daß sie mit den Kolonisten in das Gottscheerland gelangte. Dort schliff sie sich schon während der Kolonisationszeit und während der Türkennot mehr und mehr ab. Zu berücksichtigen ist ferner, daß es für einen einfachen Menschen so gut wie unmöglich war, sich ein so langes Heldenlied zu merken. Es ist daher nicht auszuschlie- ßen, daß sich im Laufe von 200 bis 300 Jahren eine Kurzfassung herausgebildet hat, von der dann in Gottschee der letzte Gesang bruchstückhaft übriggeblieben ist. Da er in sei- ner nun überlieferten Form für sich allein keinen eigentlichen Sinn mehr ergibt, ist die Annahme gewiß nicht abwegig, daß das singende Volk weniger auf den Text achtete, als auf die Melodie, denn besonders der immer wiederkehrende Refrain: „dei scheana, dei jünga Merarin” lud dazu ein. Diese Kurzzeile gibt für den Gottscheer sängerisch ungemein viel her. „Bia wria ischt auf, da Merarin, dai scheana, dei junga Merarin.” (Wie früh ist auf die Merarin, die schöne, die junge Merarin.)

Die gleiche Thematik wie bei den Volksliedern und den gesungenen Balladen trafen die Forscher in Gottschee beim Erzählgut an. Drei menschlich, allzumenschliche Hintergründe beherrschten das Feld. Die Angst vor Teufeln und Hexen und anderen bösen Geistern, der Aberglaube und der Drang, schnell reich zu werden, der am liebsten im Sagen- und Märchengewand auftrat. Besonders zugetan war der Gottscheer den Schlangenmärchen. Vergeblich suchte man jedoch nach den großen Stoffen der deutschen Sagenwelt. Im traditionsgebundenen Erzähigut der Gottscheer stehen König und Königin, Prinz und Prin- zessin völlig im Hintergrund, ebenso der gute und der böse Ritter. Dafür fehlten Burgen und Schlösser, Ruinen oder anderes geheimnisvolles altes Gemäuer als Anregung für die Volksphantasie.

Die Grafen von Ortenburg haben wohl gewußt, warum sie das Siedlungsgebiet in Unter- krain nicht in mehrere Lehensgüter aufteilten, sondern es von Reifnitz aus selbst verwal- teten. An sich wären ja das Hinterland, das Unterland oder das Oberland hübsche kleine Grafschaften gewesen. — Die einzige feste Burg im Gottscheerland war die Veste Fried- richstein. Obwohl sie als Frucht einer schmerzlichen Liebesgeschichte entstanden war, umrahmte sie die Volksphantasie nicht etwa mit weiteren romantischen Erzählungen die- ser Art, sondern mit einer Kombination von Schlangenmärchen und Schatzsuchersagen. Sie gipfelten immer darin, daß eine Schlange, die einen goldenen Schlüssel im Maul trug, den Glücksucher an die unterirdischen Schätze des Schlosses heranführte.

Hier erhebt sich wiederum die Frage, ob das Erzähigut der Gottscheer zu dem Zeitpunkt, als es aufgezeichnet wurde, noch verwandte Züge mit jenem in Kärnten aufwies. Die völ- lig unabhängig voneinander entstandenen Sammlungen von Wilhelm Tschinkel: „Gott- scheer Volkstum” und Dr. Georg Graber: „Volksleben in Kärnten” decken Zusammenhän- ge auf, vor allem hinsichtlich der Teufelssagen und Schlangenmärchen.

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Hier wie dort treten die Schlangen jedoch nicht als Kreuzottern, Ringelnattern oder Sandvipern auf, sondern — märchengerecht — als verwunschene Schlangen. Besonders beliebt war in Gottschee die „große, weiße Schlange”. Wer sich mit ihr einließ, geriet in Gefahr. Die Schlange war dann Glücksbringerin, wenn sie ein goldenes Krönlein auf dem Kopf trug. Lebenslanges Glück und unermeßlicher Reichtum erwartete denjenigen, dem es gelang, der Schlange mit dem „Siedelstein” (mundartlich: Shiedlstoain) ihrem außer- ordentlich wertvollen Kopfschmuck abzunehmen. Der Wert des Siedelsteins wurde im Märchen dadurch unterstrichen, daß die anderen Schlangen den Räuber verfolgten und zu töten versuchten.

Eine ausgefallene Gruppe des Gottscheer Erzählguts stellen die Teufelssagen dar. Sie fächern sich in drei Gruppen auf: Der Teufel als böser Feind im kirchlichen Sinne, dann als Ziel überlegenen Spottes, und schließlich als plumper Mittelsmann zur Erreichung be- deutender irdischer Güter. Letzterer ist die Gottscheer Version des in allen deutschen Stämmen bekannten Seelenkäufers und -fängers. Im „Ländchen” hieß er „Schratl”. Er mußte nach dem Abschluß des Handels um die Seele des Bauern in dessen Haus ziehen und alles verrichten, was man von ihm verlangte, solange, bis der Seeleninhaber starb. Nur in einem Punkt besaß der „Schratl” ein Vorrecht: Wenn die Bäuerin ihm das Essen nicht pünktlich brachte, oder wenn das Mahl nicht seinen genießerischen Ansprüchen nachkam, dann durfte er poltern, mit den Türen schlagen und schreien.

Natürlich ist es keine Eigentümlichkeit der Gottscheer, daß ihre Phantasie dieser Welt des Teufels fromm-freundliche Legenden gegenüberstellte. Wilhelm Tschinkel sammelte eine ganze Anzahl solcher anekdotischer Erzählungen, die im Gottscheerland unter der Über- schrift „Jeshisch und Gött shain Peatər” (Jesus und Gottes St. Peter) verbreitet waren und in denen sich ein köstlicher Volkshumor tummelte. Ein kleines Beispiel steht bei Wil- helm Tschinkel, Seite 159:

Jesus und Petrus treffen einen Knecht am Feldrande liegend. Sie fragen ihn nach dem Wege ins nächste Dorf. Zu faul, aufzustehen, zeigt der Knecht nur mit dem Fuß hin und sagt: „Dört, bu br veartn ruəbn hübn gəhot” (wo wir im vergangenen Jahre Rüben gehabt haben). Mit diesem ungenügenden Bescheide ziehen sie weiter und fragen ein Mädchen, das sie am Felde arbeiten sehen, nochmals nach dem Wege. Das Mädchen läuft gleich mit und zeigt ihnen den rechten Weg. Da sagte der Herr zu Petrus: „Dü, Peatr, diə poidai babr (werden wir) wrhairotn.” Petrus erwiderte: „Lai dos et, 's bär ju schuədə (schade) um dos wlaißigə diərndle, ben shi dan waülən knacht pəkämeit.” Jesus aber meint: „Gruət deschbägn: buəs hewət dar waülə knacht uənin a wlaißigəs baip uən? (Gerade deswegen, was würde der faule Knecht ohne ein fleißiges Weib anheben.) Ar misseit ju wrkäm.” (Er müßte ja verkommen.)

Das „Jahrhundertbuch der Gottscheer” wäre nicht nur fehlgeplant, sondern ausgespro- chen einseitig und historisch unwahrhaftig, würde es die Funktion der Kirche und der von ihr wachgehaltenen Gläubigkeit und Frömmigkeit der Bewohner des "Ländchens". Die Betreuung durch die kirchliche Organisation und die religiöse Betätigung der Gläubigen waren von Anbeginn der Kolonisation entscheidende Faktoren für das Weiterbestehen der Schicksalsgemeinschaft im Karst. Bedingungslose Gläubigkeit und die durch das Kirchen- jahr klar gegliederte Brauchtumskette bildeten eine übergeordnete geistige Kraft, die ihrer Seelenlage entgegenkam. Das Verharren der Kirche in ihren Überlieferungen und der Hang der Gottscheer zum Leben im Althergebrachten verbanden sich zu einer psy- chologisch äußerst wirksamen Einheit. Dazu kam, daß die bäuerliche Bevölkerung im Pfarrer jahrhundertelang die einzige, stets vorhandene Autorität sah, die auch die weltli- che Ordnung beeinflußte. Und diese Autorität sprach gottscheerisch, zumindest verstand sie deutsch. Schon die Grafen von Ortenburg hatten zur Heranbildung seelsorgerischen Nachwuchses in ihren krainischen Lehensgebieten zu Reifnitz eine Lateinschule eröffnet. Mit der Gründung des Bistums Laibach im jähre 1461 wurde die Priesterausbildung nach

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Laibach verlegt. Das Bistum Laibach nahm die Sprachinsel Gottschee, soweit sich dies zurückverfolgen läßt, als völkische Besonderheit zur Kenntnis und versorgte sie mit Geistlichen aus dem "Ländchen" selbst, mit deutschsprachigen Geistlichen. Der Bedarf an solchen war gering. Um 1745 waren erst fünf Pfarreien zu betreuen.

Ihre Zahl stieg mit der Bevölkerung im 19. Jahrhundert auf elf Pfarrgemeinden mit rein gottscheerischer Bevölkerung: Göttenitz, Rieg, Morobitz, Gottschee-Stadt, Mitterdorf, Altlag, Obermösel, Nesseltal, Stockendorf, Tschermoschnitz und Pöllandl. Pfarren mit gemischtsprachiger Bevölkerung in den Randgebieten wurden grundsätzlich mit sloweni- schen Pfarrern besetzt. Seltsamerweise erhielt aber auch das Suchener Hochtal seit Menschengedenken nur slowenische Priester. Kirchenorganisatorisch waren die Pfarren des Gottscheerlandes einem Dekanat mit dem Sitz in der Stadt unterstellt.

Die stärksten Priester-Persönlichkeiten brachten die Gottscheer - nicht zufällig - in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hervor. Ihr Wirken ragte in den meisten Fällen noch in das 20. Jahrhundert hinein: Das höchste kirchliche Amt, in das ein Gottscheer Priester beru- fen wurde, trug von 1898 bis zu seiner Pensionierung der Domherr und Kanonikus Josef Erker in Laibach. Er stammte aus Mitterdorf, wo er 1851 zur Welt kam, und starb 1924 in der Stadt Gottschee, der er mit großem Idealismus und Beharrungsvermögen das "Wai- senhaus" vermittelt hatte. Es unterhielt eine dreiklassige Bürgerschule für Mädchen unter Leitung von katholischen Schulschwestern. Diese Anstalt besaß für die weibliche Jugend des "Ländchens" ungefähr die gleiche Bedeutung wie das Untergymnasium für die Kna- ben. Noch als Domkaplan gründete Josef Erker gemeinsam mit seinem Schwager Franz Jonke den "Waisenhaus-Verein", dem es unter seiner tatkräftigen Leitung gelang, rund 90.000 Gulden für die gemeinnützige Einrichtung zu sammeln. Sein Bruder Ferdinand Erker, geboren 1866 in Mitterdorf, gestorben am 13. Oktober 1939 in Gottschee, war der letzte deutsche Dechant in Gottschee und Ehrendomherr in Laibach.

Ein weiterer Geistlicher namens Josef Erker aus Mitterdorf (1873 bis 1939) amtierte jahr- zehntelang in der Pfarre Obermösel, deren Geschichte er in der "Gottscheer Zeitung" in zahlreichen Fortsetzungen veröffentlichte. In Mitterdorf selbst wirkte der Geistliche Rat Josef Eppich, geboren 1874 in Malgern, gestorben unter tragischen Umständen 1942, als geachteter Seelsorger. Er war derjenige Gottscheer Geistliche, der sich in der Öffentlich- keitsarbeit, bzw. politisch, unter schwierigsten Umständen für seine Heimat am meisten exponierte. Er war Eigentümer und Herausgeber der "Gottscheer Zeitung" seit 1919, wurde 1927 in den Landtag Sloweniens gewählt, ohne dort für das Weiterbestehen des Gottscheer Schulwesens, das ihm sehr am Herzen lag, mehr tun zu können, als beschwö- rende Worte zu verlieren.

Als hervorragender Prediger und Herausgeber des "Gottscheer Kalenders" bekannt war der Geistliche Rat August Schauer, geboren 1872 in Pöllandl, gestorben 1941 in Nessel- tal, wo er jahrzehntelang das Pfarramt innehatte und kraft seiner überragenden Persön- lichkeit Gesicht und Gewicht seiner Gemeinde prägte.

Ungewöhnlich volksverbunden war der Geistliche Rat Alois Krisch, geboren 1893 in Rieg, gestorben 1966 in Brandenberg/Tirol, der zuletzt das Seelsorgeamt daheim in Altlag aus- übte. In unserem Andenken auch Herrn Pfarrer Heinrich Wittine, geboren 1891 in Lich- tenbach, gestorben 1977 in Graz. Außerhalb des eigentlichen Bereiches der Verstreuung treffen wir zwei Gottscheer Ordensgeistliche in maßgeblichen Stellungen an: Julius Josef Gliebe, 1891 in Langenton geboren, war 65 Jahre an der Kirche St. Mary of Assumtion in Kalifornien als Pfarrer tätig, wo er im Jahre 1974 starb. Pater Anton Fink, geboren am 27. November 1915 in Altlag, war seit 1955 Generalprokurator der Missionskongregation der Brüder vom Heiligsten Herzen Jesu in Rom (Vatikan).

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Ein weiterer Ordensgeistlicher ("Gesellschaft des Göttlichen Wortes") Pater Mathias Schager, geboren 1935 in Maierle, lebt in Wien. Nach seinem Theologiestudium in Wien, Bonn und München wirkte er als Kinder- und Jugendseelsorger in Wien, wo er dann eine Stelle als Pfarrer übernommen hat.

In Niklasdorf bei Leoben amtiert als Pfarrer ferner Josef Seitz, geboren 1932 in Malgern.

Bevor wir uns aus dem 19. Jahrhundert entfernen, gebührt einer außerordentlichen Leh- rerpersönlichkeit des Gottscheerlandes die ehrende Erwähnung: Die Rede ist von dem "Alten Lehrer" Josef Erker, geboren 1824 in Mitterdorf, gestorben 1906 in Gottschee. Er wurde nach der Neuordnung des österreichischen Schulwesens durch das Reichsvolks- schulgesetz von 1869 in den staatlichen Schuldienst übernommen. Als Erzieher und Mensch war er gleich erfolgreich. Durch seine Hände gingen zahlreiche Talente des wei- ten Schulsprengels Mitterdorf, die ihrerseits wiederum - auf seiner pädagogischen Lei- stung und dem Untergymnasium in Gottschee aufbauend - im Leben vielfach Überdurch- schnittliches erreichten. Zu ihnen zählten seine beiden Söhne, Dompfarrer und Kanonikus Josef und Dechant Ferdinand Erker.

Wenn die Zahl der Kirchen in einem Bereich als Maßstab für die Religiosität der darin le- benden Menschen gelten soll, so waren die Gottscheer in der Tat sehr fromm. Auf dem ihnen unmittelbar gehörenden Siedlungsgebiet - der Auerspergsche Herrschaftwald kann hier abgezogen werden - standen rund hundert Pfarr- und Filialkirchen sowie kirchenähn- liche Kapellen. Und keine von ihnen war ohne Glocke. Nach dem Ersten Weltkrieg wettei- ferten die Amerika-Gottscheer geradezu dorfweise, um die zwischen 1914 bis 1918 für militärische Zwecke eingeschmolzenen Glocken zu ersetzen.

Entdeckt durch die politische und kulturelle Führung der Slowenen

In der Einleitung zur Beschreibung des 19. Jahrhunderts stellten wir fest, daß das Gott- scheerland hundert Jahre später zwar von den Gottscheern noch bewohnt, in seinem Ge- samtbild jedoch völlig verändert sein würde. Der Wandlungsprozeß spielte sich jedoch nicht unbeachtet und unbeobachtet von der anderssprachigen Umgebung ab. Der slowe- nische Nationalismus hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiter verdich- tet und am Widerstand gegen das Deutschtum in Krain formiert. Dies gilt weniger für die unmittelbare gottscheerisch-slowenische Nachbarschaft an den Randgebieten der Sprach- insel. Dort verstand und verständigte man sich wie eh und je - vor allem über wirtschaft- liche Dinge. Der steigende politische Druck auf die Gottscheer ging vielmehr von einer ständig wachsenden, panslawistisch orientierten Beamtenschaft aus. In ihren Augen wies die Landkarte des slowenischen Lebensraumes, der ja nicht identisch war mit Krain, eini- ge Schönheitsfehler auf, die es zu beseitigen galt: Das städtisch-bürgerliche Deutschtum in der Landeshauptstadt Laibach sowie in den Städten der Untersteiermark, Marburg an der Drau, Cilli und Pettau. Namentlich aber störten sie die beiden ländlichen Sprachinseln Zarz in Oberkrain und Gottschee in Unterkrain. Zarz wurde im Laufe des Jahrhunderts systematisch aufgerieben, was verhältnismäßig leicht fiel, weil es sich - im Gegensatz zu Gottschee - um ein kleines, nicht geschlossenes Siedlungsgebiet handelte.

Eine Periode erbitterter Kampfstimmung gegen das krainische Deutschtum erreichte ih- ren Höhepunkt in den vierziger Jahren, genauer im Jahre 1848. Das krainische Deutsch- tum befand sich zur gleichen Zeit in erwartungsvoller politischer Unruhe, weil scheinbar die Gründung eines Reiches unter Einfluß der österreichischen Kronländer bevorstand. Alle Hoffnung klammerte sich an die Nationalversammlung in Frankfurt am Main, die end- lich die deutsche Kleinstaaterei beseitigen sollte. Auch Krain sollte Abgeordnete wählen, das heißt, nicht nur die deutschsprachige, sondern ebenso die slowenische Bevölkerung. Aus der damaligen Zeit heraus wird es daher verständlich, wenn sich auch die Gottscheer die Lösung aller ihrer Probleme von einer deutschen Einheit erwarteten. Kein Wunder,

Gedruckt von http://www.gottschee.at 84 daß auch sie die Stimme des Freiheitsdichters Anastasius Grün gerne vernahmen, wie wohl nicht anzunehmen ist, daß man von Anbeginn in Gottschee wußte, wer sich hinter diesem Decknamen verbarg, nämlich: Graf Anton Alexander von Auersperg, geboren 1830 in Laibach, gestorben 1876 in Graz. Er gehörte der Gräflich-Auerspergischen Linie in Krain an und hatte somit keine unmittelbare Beziehung zu Gottschee. Deshalb ist es auch fraglich, ob Gottschee im besonderen für ihn ein Anliegen war. Sein Gut lag in Thurn am Hart im mittleren Krain. - Der Dichter, der gesamtdeutsch dachte, empfand dennoch für Krain ein Heimatgefühl, ohne den Slowenen in seinem Inneren ablehnend gegenüberzustehen. Er glaubte sogar, daß sie sich erst im Rahmen eines größeren deut- schen Staates richtig würden entfalten können. Das war es aber gerade, was die national überaus erregte slowenische Führung ablehnte. Ebenso verwarf sie die Ansicht des Dich- ters Anastasius Grün, daß die deutsche Eiche und die slawische Linde nebeneinander wachsen könnten.

Im Februar 1848 wandte sich der dichtende Graf Auersperg mit dem flammenden Appell: "An meine slowenischen Brüder!" an die Krainer und forderte sie auf, Abgeordnete zum Frankfurter Parlament zu wählen. Sie selbst standen vor einer Alternative, die ihnen ihre noch von Wien aus agierende und agitierende Führung auferlegte: Für ihre Zugehörigkeit zu einer slawischen Großmacht zu kämpfen. Der in dem Verein "Slovenija" zusammenge- schlossene Führungskreis verlangte von ihr, daß sie die Wahl ablehnte und sich diesen offenen Widerstand mit amtlichen Protokollen bescheinigen ließe. Es kam zur Wahl. Die Gottscheer gaben ihre Stimme einem Abgeordneten, den sie nicht kannten und zu dem sie weder eine politische noch menschliche Beziehung besaßen, weil er kein Gottscheer war.

Das Schicksal der deutschen Nationalversammlung von Frankfurt ist bekannt, sie zerfiel, ohne ihre Ziele erreicht zu haben. Tiefe Depression auch bei den Deutschen in Krain, Tri- umph bei den Slowenen, die den Mißerfolg in Frankfurt wie einen eigenen Sieg feierten. Mit verstärkter Energie verfolgten sie die Verwirklichung ihrer Ideale. In der Sprachinsel kam es 1854 zum ersten gezielten Eingriff der Landesregierung in die mittlere Verwal- tungsebene, die Bezirkshauptmannschaft: Die Moschnitze wurde der rein slowenischen Bezirkshauptmannschaft Rudolfswert (), Stockendorf, und das Weinbaugebiet von Maierle dem ebenfalls rein slowenischen Bezirk Tschernembl (Crnomelj) einverleibt. Die Absicht, die gewachsene innere Einheit des Gottscheer Völkchens zu zerstören, miß- lang.

Wie man auf slowenischer Seite in der gegenwärtig lebenden, vom jugoslawischen Sozia- lismus geprägten Generation, die damalige Gegenüberstellung slowenisch-deutsch sieht, dafür liegt ein literarischer Nachweis vor, das Buch: "Anastasius Grün in Slovenci" (Ana- stasius Grün und die Slowenen). Es erschien 1970 in Marburg an der Drau und stammt aus der Feder von Dr. Breda Pozar. Bei der stark polemisch gefärbten Arbeit handelt es sich offenbar um eine Dissertation. Der Inhalt wird dem des Slowenischen unkundigen Leser in einer deutsch geschriebenen "Zusammenfassung" nahegebracht. Die Autorin legt an die Symbolfigur Anastasius Grün uneingeschränkt den slowenischen Maßstab an. Er lautet, auf die eifachste Formel zugespitzt: Slowenisch = gut, Deutsch = böse. Auf Seite 270 findet sich demgemäß folgende Charakteristik des bösen Deutschen: "Die Einstellung Grüns gegen die Slowenen in politischer und sozialer Hinsicht war die des deutschen Ari- stokraten und Grundherrn. Er war im Grunde gegen jede Gleichberechtigung von Slowe- nen mit den Deutschen. Er war überzeugt, daß dem deutschen Volk die führende Rolle gebührt gegenüber den kulturell und wirtschaftlich rückständigen Slowenen. Er wollte die Lebensinteressen des Volkes nicht anerkennen und hatte den revolutionären Kampf sei- ner slowenischen Untertanen nie verstanden. So wirkten seine Gesinnungen als Schrift- steller, die begeisterte Liebe für Freiheit und Aufopferung für die Menschheit als eine Af- fektation."

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Anastasius Grün wird jedoch in dem Augenblick zum "guten" Deutschen, da er sich mit dem slowenischen Volkstum befaßt. Es heißt auf Seite 270 nämlich weiter: "Wenn sich Grün auch als überzeugter Deutscher nach dem Jahre 1848 in seinem politischen Wirken immer für die Interessen der Deutschen und Grundbesitzer einsetzte, war er in seinem ganzen Leben dem slowenischen literarischen Schaffen freundlich gesinnt." Zum besse- ren Verständnis dieses Satzes sei angefügt, daß Anastasius Grün mit dem größten slowe- nischen Dichter, France Preseren, der seinerseits auch noch in deutscher Sprache dichte- te, eng befreundet war. Auf Seite 271 bescheinigt die Autorin dann dem deutschen Frei- heitsdichter: "Grün befaßte sich mit der slowenischen Literatur, indem er slowenische Volkslieder in die deutsche Sprache übersetzte. Seine gedruckte Sammlung erschien im Jahre 1850. Sein großes Verdienst war, daß er damit die slowenische Poesie in die deut- sche Literatur einführte."

Das politische Fazit für die Gottscheer im 19. Jahrhundert: Um die Mitte des Zeitraumes wurden sie um ihre bis dahin größte Hoffnung ärmer. Die slowenische Führung indessen machte ihnen ihr Dasein in Unterkrain streitig. Dennoch fühlten sie sich an der Wende zum 20. Jahrhundert in der österreichisch-ungarischen Monarchie noch geborgen. Im Übrigen aber haben die Gottscheer nunmehr den Anschluß an das Zeitalter der modernen Zivilisation und Technik weitgehend gefunden. Es wird sich bald zeigen, was sie dafür eingehandelt haben.

Und das war um die Jahrhundertwende ihre wirtschaftliche Grundlage: Der landwirt- schaftlich genutzte Boden belief sich auf rund 70.000 ha. Er befand sich in den Händen von etwas mehr als 8000 Besitzern. 8,6 % waren Ackerland, 20,6 % Wiese, 34,4 % Hut- weide, 34,7 % Wald und 1,7 % andere Kulturarten (nach Dr. Podlipnig, Kulturbeilage der Gottscheer Zeitung Nr. 46/1973).

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Das 20. Jahrhundert

Die Feststellung, daß nun in unserer Gottscheer Geschichtsschreibung das 20. Jahrhun- dert beginnt, ist eigentlich nur eine kalendarische Pflichtübung, kerne Zeitenwende, kein tiefer Einschnitt, die beiden Jahrhunderte liefen in Gottschee ebenfalls glatt ineinander über. Die gravierenden Veränderungen waren bereits im 19 Jahrhundert geschehen. Die ungehemmte Auswanderung lief weiter - immer weniger Amerika-Fahrer kehrten zurück. Die Zahl der Hausierer nimmt ab. Ihre Wandergewerbescheine sind doppelsprachig ge- worden, Deutsch steht noch an erster Stelle. Olga Spreitzer aus Pöllandl fand unter den alten Papieren ihres Vaterhauses ein solches Dokument.

Die Stadt Gottschee wächst und modernisiert sich weiter. In allen ihren Lebensbereichen ist die energisch führende Hand des Bürgermeisters Alois Loy zu spüren. Er lebte von 1860 bis 1923. Er war einer der bedeutendsten Persönlichkeiten, die das Gottscheerland hervorgebracht hat. Seine ungewöhnliche Begabung für die Kommunalpolitik und seine Überlegenheit als Mensch und Charakter wurden frühzeitig erkannt. Bereits mit 21 Jahren gehörte er dem leitenden Ausschuß der Stadtsparkasse an und mit 29 Jahren wurde er zum Bürgermeister gewählt. 33 Jahre blieb er, von keiner Seite angefochten, erst nach 1918 von der neuen Staatsgewalt aus dem Amt vertrieben, seiner Stadt treu. Die Gott- scheer Zeitung vom September 1962 widmete ihm ein Gedenkblatt folgenden Inhalts: "Unter ihm wurde aus dem dorf- und marktähnlichen Ort ein schmuckes Städtchen. Überall hatte er seine ordnende und betriebsame Hand im Spiele. Daß beim Bau der Un- terkrainer Bahn die Interessen Gottschees ausreichend Berücksichtigung fanden, war mit sein Verdienst. Unter seiner tatkräftigen Initiative entstand der imponierende Bau der Volksschule, wurden das städtische Wasser- und Elektrizitätswerk und die untere Brücke errichtet. Ein besonderes Verdienst Loys ist der Ausbau des Gymnasialgebäudes. Er verstand es auch durchzusetzen, daß die Anstalt ein Obergymnasium erhielt und daß die Holzfachschule vom Staat übernommen wurde. Der Verein Studentenheim kam durch ihn zu Haus und Besitz. Als Obmann des Kirchenbauausschusses verstand er es tatkraftig, den Bau der Stadtpfarrkirche - noch heute eine Zierde der Stadt - voranzutreiben. Für seine Verdienste erhielt Loy das "Goldene Verdienstkreuz mit der Krone und den Titel eines kaiserlichen Rates." - Die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit befruchtete das ganze "Ländchen".

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tauchten in der Stadt Gottschee zum erstenmal Presse- Erzeugnisse auf: Die "Gottscheer Nachrichten", der "Gottscheer Bote" und Der Landwirt". Alle drei Blätter erschienen 14tägig und wurden in der eben gegründeten Druckerei des J. Pavlicek gedruckt. Sie wendeten sich in erster Linie an die Bauern. 1905 entstand der "Gottscheer Bauernbund".

Eine lebhafte Diskussion über Fragen der österreichisch-ungarischen Monarchie und die eigenen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Belange beschäftigte die Gemüter. Die Abonnentenzahlen von Grazer und Wiener Zeitungen stiegen im Gottscheerland.

1907 dürfen die Gottscheer - zum erstenmal als eigener Wahlkreis organisiert - einen Abgeordneten zum Wiener "Reichsrat" wählen. Zwei Parteien stellen ihren Kandidaten auf, die "Liberalen" - von ihren politischen Gegnern als "die Roten" bezeichnet - und die "Christlich-Sozialen", von der Gegenseite als "die Schwarzen" abgestempelt. Der Kandi- dat der Liberalen heißt Fürst Karl von Auersperg, Herzog von Gottschee (1859 bis 1927). Sein Gegenkandidat: Schulrat Josef Obergföll, Gymnasiallehrer in Gottschee. Der Wahl- kampf wurde mit einer bis dahin unbekannten Heftigkeit geführt und artete vielfach zu

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Schlägereien aus. Einer der eifrigsten Wahlredner war der Student Peter Jonke aus O- bermösel, ein Liberaler.

Der Fürst gewann die Wahl. Er konnte kraft seiner vielseitigen Beziehungen in Wien, die bis ins Kaiserhaus und in die Ministerien reichten, für die Bewohner seines Wahlkreises natürlich mehr tun, als sein unterlegener Gegner.

1910 erhielten dann die Gottscheer gewissermaßen die Quittung für das 19. Jahrhundert, das Ergebnis der letzten und damit authentischen Volkszählung in der österreichisch- ungarischen Monarchie: Nur noch 17.350 Menschen bekannten sich im Gottscheerland zur deutschen Muttersprache (Grothe, Seite 80). Die Differenz von rund 8600 auf die geschätzte Bevölkerung des Jahres 1875 (25.000-26.000) gibt nicht einmal den wirkli- chen Wanderungsverlust wieder, er ist tatsächlich wesentlich höher. Seit der Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren ja 35 Jahrgänge zur Welt gekommen. Davon waren die ersten sieben noch in voller Stärke geboren worden, weil in der Regel keine Ehepaare, sondern nur ledige, aber heiratsfähige junge Leute fortzogen. Sie heirateten erst in den USA. In der Bevölkerungsbilanz des "Ländchens" fehlten daher nicht nur sie selbst, sondern auch ihre "drüben" geborenen Nachkommen. Daheim wurde Jahrgang für Jahrgang schwächer. Trotzdem gab es noch einen, wenn auch bescheidenen. Geburten- zuwachs. Setzen wir ihn vorsichtigerweise für die Zeit von 1875 bis 1910 mit rund 3500 Köpfen an.

Diese Zahl überdeckt den Verlust durch die Auswanderer, sie muß daher den rechnerisch ermittelten 8600 zugezählt werden. Dadurch erhöht sich der wirkliche Bevölkerungsver- lust auf 12.000 bis 12.500 Seelen. Soweit die nüchternen Zahlen, in denen auch die An- gehörigen von Intelligenzberufen, die außerhalb der engeren Heimat ein Unterkommen suchen mußten, und deren Zahl auch nicht annähernd angegeben werden kann, mit in- begriffen sind. Der Bedarf an Lehrern und Geistlichen war begrenzt, die Stadt Gottschee bot nur ganz wenigen Juristen, Ärzten und Beamten oder Unternehmern mit höherer Schulbildung berufliche Chancen. Auf dem Lande bestand für die aufgezählten Berufs- gruppen kein Bedarf.

Die natürliche Bevölkerungsbewegung innerhalb der Gottscheer Bauern war durch den schweren Aderlaß seit den achtziger Jahren empfindlich gestört. Der kleine Volkskörper hatte so viel biologische Substanz abgegeben, daß es nicht nur nicht mehr möglich war, sondern auch nicht mehr nötig war, die ein Menschenalter zuvor erforderliche Kulturflä- che weiterhin in vollem Umfange zu bewirtschaften. Die Folge war eine Vernachlässigung des Weidelandes und der höher gelegenen Wiesen, die wiederum das Absinken des Vieh- bestandes nach sich zog. Der Wald aber trieb unverzüglich sein niederes Fußvolk, Ge- strüpp und Stauden, in das ihm überlassene Gelände vor.

Kulturell war die Sprachinsel Gottschee zu Beginn des 20. Jahrhunderts infolge des voll ausgebauten Schulwesens und der ausschließlichen Verwendung der deutschen Hoch- sprache in den Kirchen, im Umgang mit den Ämtern, im Geschäftsleben, in der Presse und im Buch bis hinein in die privateste Sphäre des Gebetbuches und des Tischgebets ein Bestandteil jenes Lebensraumes in Mitteleuropa geworden, in dem alles Schriftliche deutsch ausgedrückt wurde. Als alltägliche Umgangssprache hatten die Gottscheer je- doch ihren mittelalterlichen bairisch-österreichischen Dialekt behalten. Freilich war noch ein anderer Gedanke in die Dörfer des Siedlungsgebiets eingezogen, die Sorge um das Gottscheerland. Sie steigerte sich zur Befürchtung, als am 28. Juni 1914 der österrei- chisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand einem Attentat zum Opfer fiel. Mit dem Instinkt der gefährdeten Kreatur ahnten die Gottscheer das kommende Unheil, den Zer- fall der Donaumonarchie unter der Zentrifugalkraft des west-südslawischen Nationalis- mus. Das Völkchen im Karst hatte, wie auf das Jahr genau ein halbes Jahrtausend vor- her, seine Schutzmacht verloren …

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Am 21. November 1916 starb "der alte Kaiser" Franz Josef I., in seinem 86. Lebens- und 68. Regierungsjahr, schon zu Lebzeiten eine legendäre Erscheinung, auch und besonders für die Gottscheer. Gottschee war dem Monarchen ein fester Begriff, vor allem durch den Fürsten Karl von Auersperg. Wiederholt hatte der Kaiser Bittgesuche aus der Sprachinsel mit Geldspenden aus seiner Privatschatulle beantwortet.

Ganz Wien trug in jenen trüben Novembertagen nicht nur die sterbliche Hülle des alten Kaisers zu Grabe, sondern auch die Staatsidee und die Tradition des Hauses Habsburg. Der Zusammenbruch ihres geschichtlich gewachsenen Nationalitätenstaates war nur noch eine Frage der Zeit. Franz Josefs Nachfolger, Kaiser Karl I. von Habsburg-Lothringen, hatte der vorandrängenden Katastrophe nichts entgegenzusetzen, auch Franz Ferdinand hätte sie nicht aufhalten können. Ende November, Anfang Dezember 1918 konstituierte sich das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) unter König Petar I. Karad- jordjevic. Das frühere Kronland Krain wurde mit der Untersteiermark zu der neuen Pro- vinz Slowenien zusammengelegt. Ihre Nachbarn waren im Westen Italien, im Norden die Republik Österreich und im Osten das verkleinerte Ungarn.

Die Gottscheer waren zunächst ratlos. An einen Widerstand wie zu Zeiten Napoleons war nicht zu denken. Alles war plötzlich anders. Bis auf jene in russischer Kriegsgefangen- schaft kehrten die Krieger bald heim. Zunächst zaghaft setzte eine Diskussion, wie der neuen Lage zu begegnen wäre, ein. Eines Tages war ein faszinierender Plan aufgetaucht. Es läßt sich nicht mehr rekonstruieren, wer als erster den Gedanken aussprach, aus dem Gottscheerland eine kleine Republik, ähnlich wie Andorra, zu machen und sie dem Pro- tektorat der Vereinigten Staaten anzuvertrauen. Man erhoffte sich für diesen Vorschlag eine wirksame Unterstützung von selten der Amerika-Gottscheer. Vielleicht gelang es ihnen, einen Machtspruch des Präsidenten Wilson herbeizuführen. Wilson, damals der mächtigste Mann der Welt, hatte mit seinen 14 Punkten bei allen neu entstandenen Min- derheiten Europas Hoffnungen auf das Selbstbestimmungsrecht ausgelöst. Eine Denk- schrift mit allen wesentlichen Angaben über Land und Leute von Gottschee wurde erar- beitet und ein Flugblatt herausgegeben. Eine Delegation für eine Vorsprache bei der Pari- ser Friedenskonferenz wurde gebildet.

Der Plan schlug fehl, wie jener im 16. Jahrhundert, als die Gottscheer beschlossen, den Grafen von Blagay finanziell abzulösen und sich selbst zu verwalten. Die Gottscheer fan- den allenthalben verschlossene Türen. Der Weg zur Beseitigung des Gottscheerlandes aber war nun frei. Eine Schutzmacht USA? Selbstbestimmungsrecht? Lächerlich!

Es ist schwer zu verstehen, und noch schwerer begreiflich zu machen, warum die slowe- nische Intelligenz diese Handvoll deutscher Menschen so sehr haßte, betrug doch die Zahl der Gottscheer 1918 ein knappes Hundertstel des slowenischen Volkes. Sie stellten also schon zahlenmäßig keine Gefahr dar. Außerdem hatte, und das wird auch von slo- wenischer Seite zugegeben, zwischen ihnen und ihrer slowenischen Umgebung jahrhun- dertelang eine gute Nachbarschaft bestanden. Die Gottscheer haben nie versucht, sied- lungs- oder gar machtpolitisch über das alte Ortenburgische Urwaldlehen hinauszugrei- fen. Warum also dieser Haß? Nur deshalb, weil sie sich zum Deutschtum bekannten? Nur deshalb.

Und nur, wenn man den Komplex Deutschtum-Slowenentum völkerpsychologisch angeht, kann man mit historischen Mitteln wenigstens etwa das Verhalten der slowenischen Füh- rung gegenüber den Gottscheern zwischen 1918 und 1941 verständlich machen. Es ist nicht Aufgabe zu untersuchen, auf welchen geschichtlichen Wegen die slowenischen Ro- mantiker des 19. und 20. Jahrhunderts im Rahmen ihrer Eigenbewertung zu der bei Dr. Pozar vorgefundenen Konfrontation gegenüber dem Deutschtum gekommen sind, die darin gipfelt, daß der Deutsche stets und überall der Unterdrücker war, der sich der Ent- wicklung des slowenischen Volkstums entgegenstellte. Der Habsburger Monarchie warf

Gedruckt von http://www.gottschee.at 89 man darüber hinaus vor, daß sie slowenische Menschen unter politischem und wirtschaft- lichem Druck germanisiert habe und verstieg sich zeitweilig unter Ableugnung der ge- schichtlichen Tatbestände zu der Behauptung, die Gottscheer seien germanisierte Slowe- nen. Der slowenischen Führungsschicht wurde es schon im 19. Jahrhundert unerträglich, daß sie, wollte sie sich politisch, kulturell und gesellschaftlich durchsetzen, deutsch spre- chen mußte. Vom Panslawismus gelenkt, übertrug sie schließlich ihre Antipathie gegen alles, was deutsch war, auf das deutsche Wesen, auf die gesamte deutsche Kultur, wo immer sie auch in Erscheinung trat.

Wenn nun im folgenden Kapitel die staatlichen Maßnahmen zur Slawisierung der Gott- scheer aufgezeigt werden, so geschieht dies nicht, um alte Wunden aufzureißen. Die Gottscheer haben sich mit dem Verlust ihrer alten Heimat politisch abgefunden. Die Auf- zählung der Unterdrückungsmaßnahmen nach 1918 geschieht auch nicht, um beschwer- deführend vor die Geschichte hinzutreten: Sie sind jedoch ebenfalls Gottscheer Geschich- te und werden ausgesprochen, weil sonst das Verhalten der Gottscheer in den dreißiger Jahren unverständlich bliebe. Schließlich ging seit dem Ende des Jahres 1918 eine Flut von Gesetzen des Staates, Verordnungen der Landesregierung, Verfügungen der Bezirks- hauptmannschaft und der Sicherheitsorgane mit entsprechenden Strafandrohungen auf die wehrlosen Gottscheer nieder.

Zum slowenischen Führer hatte sich bereits bis 1918 Dr. Anton Korosec kraft seiner poli- tischen Erfahrung als Volkstumskämpfer und Parlamentarier emporgearbeitet. Die Ironie des Schicksals: "Korosec" heißt zu deutsch "der Kärntner".

Noch bevor der eben gegründete Staat der Serben, Kroaten und Slowenen vollends zur Ruhe gekommen war, forderte ein Komitee in Laibach, das sich "Narodna vlada" nannte, etwa gleichbedeutend mit "nationale Regierung", die Schließung aller deutschen Schulen und die Beschlagnahme aller Schulvereinshäuser in Gottschee. Daraus war bereits die Hauptstoßrichtung gegen das Gottscheerland erkennbar. Im Gegensatz zu den eigenen Erfahrungen im Volkstumskampf verweigerte die slowenische Führung den Gottscheern die politische Selbstbestimmung, ja, sie gewährte ihnen nicht einmal die kulturelle Selbstverwaltung. Ihre Art der "Selbstbestimmung" sah so aus: Sie stellte den Deutschen in Slowenien frei, sich um die Staatsbürgerschaft Österreichs zu bewerben. Da jedoch nur die Intelligenz bezüglich des Wohnortes beweglich genug war, um nach Österreich wirklich umzuziehen, zielte dieser Lockruf in erster Linie auf die Gottscheer Lehrer und die Beamtenschaft. Schon im Laufe des Jahres 1919 wurde erkennbar, daß das "Länd- chen" führungslos gemacht werden sollte, um dann nach dem Beispiel der Sprachinsel Zarz in Oberkrain innerhalb von zwei, drei Menschenaltern als deutsche Enklave ver- schwunden zu sein. Um bei diesem Vorhaben nicht durch internationale Bindungen von außen gestört zu werden, unterschrieb der SHS-Staat im Jahre 1919 zwar den Vertrag von St-Germain mit Österreich sowie jenen von Trianon mit Ungarn. In beiden Verträgen hat sich Jugoslawien zum Schütze seiner Minderheiten verpflichtet, diesen jedoch nicht in seine Verfassung eingebaut. Der Völkerbund hat ebenfalls den Minderheitenschutz in Ju- goslawien garantiert, eingehalten wurde er nie.

Außer dem deutschen Schulwesen sollten aber auch alle anderen tragenden Elemente des Gottscheertums zu Fall gebracht werden. Diese waren das Hochdeutsche als Verwal- tungs- und Geschäftssprache, die Mundart als Umgangssprache der Landbevölkerung und unverwechselbare Trägerin der Gottscheer Traditionen. Zu brechen waren außerdem der Widerstandswille im Volkstumskampf und die wirtschaftliche Standfestigkeit. Die deut- sche Schriftsprache ließ sich aus dem ländlichen Leben ohne Schwierigkeiten entfernen. Bei der familiengebundenen Mundart war das schwieriger, aber auch da fand man einen Weg. In seiner Dokumentation: "Warum sind die Gottscheer umgesiedelt?" stellt der in Villach lebende Rechtsanwalt Dr. Viktor Michitsch aus Göttenitz die wesentlichsten Maß- nahmen zur Entvolkung der alten Sprachinsel zusammen:

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Die erste einschneidende Maßnahme war die Absetzung der deutschen Landbürgermei- ster zum 31. Dezember 1918. Wenige Monate später wurde der Bezirkshauptmann Otto Merk vom Dienst suspendiert. Das Slowenische wurde an den Volksschulen als Pflichtfach eingeführt. Der Bezirksschulinspektor Mathias Primosch wurde seines Amtes, das seit 1891 bestand, enthoben. Mit dem Schuljahr 1919/20 begann die vollständige Slowenisie- rung des Gymnasiums. Deutsch war nicht einmal mehr als Wahlfach zugelassen. Das dem Gymnasium angegliederte Studentenheim wurde entschädigungslos beschlagnahmt und einem slowenischen Verein übereignet. Das Waisenhaus mit der Mädchen- Bürgerschule wurde unter slowenische Leitung gestellt, der deutsche Schulunterricht ver- boten. Die Fachschule für Holzbearbeitung wurde geschlossen. Die beiden deutschen Kin- dergärten in der Stadt mußten ihre Tätigkeit einstellen. Der Gottscheer Lehrerverein wurde nach 41 jährigem Bestehen verboten, sein Vermögen eingezogen, seine Korre- spondenz beschlagnahmt.

Parallel zur Zurückdrängung des deutschen Schulunterrichts wurde die Zahl der Lehrer dezimiert. Von den 71 im Jahre 1918 unterrichtenden deutschen Lehrpersonen wurden von 1919 bis 1922 nicht weniger als 33 über das zweifelhafte Optionsverfahren für Öster- reich aus dem Lande gedrängt. Sie hatten keine Möglichkeit zu bleiben, auch nicht, au- ßerhalb ihres Berufs. Unter ihnen befanden sich geistig führende Männer, wie der Gym- nasialprofessor Peter Jonke und sein Kollege Josef Obergföll, der bedeutende Volkstums- forscher Wilhelm Tschinkel, Bezirksschulinspektor Mathias Primosch u. a. ältere Lehrer, die des Slowenischen nicht mächtig waren, wurden vorzeitig pensioniert.

Die Dezimierung der bäuerlichen Bevölkerung der Sprachinsel wurde in Etappen durchge- führt. Nach der weitgehenden Entfernung der Lehrer wurde das Slowenische als Unter- richtssprache eingeführt. Gleichzeitig wurden die "deutschen Abteilungen" erfunden. 1926 gab es davon nur 16. Von einem zusammenhängenden deutschen Unterricht war dabei keine Rede mehr, weil bestimmte Fächer nur in slowenischer Sprache unterrichtet werden durften und weil kaum noch Lehrer, die den deutschen Restunterricht hätten er- teilen können, zur Verfügung standen. - Die nächste Stufe waren die sogenannte Grund- schule und die "National-Schule". Die letztere umfaßte die 5. bis 8. Klasse. Der Besuch der "National-Schule" wurde auch für die Schüler der deutschen Abteilungen verbindlich.

Die nächste Stufe: Um die Zahl der deutschen Schüler weiter zurückzudrängen, führte die Schulverwaltung eine "Namensanalyse" ein. Kinder, deren Familiengeschichte auch nur einen einzigen Großelternteil mit einem slowenisch klingenden oder slowenischen Namen aufwies, wurden in die slowenische Volksschule eingereiht. Auf Wünsche der El- tern wurde keine Rücksicht genommen. Dazu berichtet Dr. Michitsch ein eindrucksvolles Beispiel: Bereits 1922 ging die Schulleitung in Stockendorf dazu über, die dortige Volks- schule vollständig zu slowenisieren. Sie behauptete, zum Schulbeginn würden 22 slowe- nische und nur 10 deutsche Schulpflichtige erscheinen. Die Nachprüfung dieser Angabe durch Gottscheer Eltern ergab, daß die Schule von 46 deutschen und nur von 6 sloweni- schen Kindern besucht wurde. Bei den letzteren sprachen drei mit Vater und Mutter slo- wenisch und drei nur mit der Mutter.

Dem flüchtigen Betrachter mögen die angeführten Schikanen als eine leichtfertige Aus- deutung guter slowenischer Absichten erscheinen. Von bestimmter Seite wird man die- sem Buch ohnehin die Absicht unterschieben, mehr als ein halbes jahrhundert nach den Geschnissen billige Hezte zu betreiben. Es geht jedoch dem Verfasser lediglich darum, das Ungleichgewicht in dem slowenischen Vorgehen herauszustellen. Wiederum drängt sich der Vergleich mit Kärnten auf. Dort verlangte man für die eigene Minderheit Kultur- autonomie, und mehr, die Gottscheer aber wurden gleichzeitig im Eiltempo slawisiert. Man bediente sich dabei raffinierter psychologischer Mittel: Man drängte zwischen Mutter und Kind, die innigste Bindung zwischen Individuen, eine Sprache, die die Mutter nicht verstand und zwang gleichzeitig das Kind, diese Sprache zu erlernen und anzuwenden.

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Der Lehrer aber sah seine Hauptaufgabe nicht darin, dem Gottscheer Kind Lesen, Schrei- ben und Rechnen beizubringen, sondern ihm alles Deutsche, ja sogar das Denken in der Mundart, auszutreiben. Schließlich verbot man den Kindern, auf dem Schulweg gott- scheerisch zu sprechen. Gleich einem dichtmaschigen Netz lag die slowenische Schulpoli- tik über dem "Ländchen". Es gab kein Entrinnen. Blieb man im Lande, und das war die Regel, mußte man slowenisch lernen. 1924 wurde auch die letzte deutsche Ausbildungs- möglichkeit so gut wie unterbunden. 1919/20 war es üblich geworden, daß vielleicht zwei bis drei Dutzend schulentlassene Lehrer- und Bürgerkinder bzw. Gymnasiasten, ihre Aus- bildung an Gymnasien, Lehrerbildungsanstalten, Handelsakademien, Staatsrealschulen und anderen Fachschulen in Österreich, namentlich in Kärnten, fortsetzten oder vollende- ten. Einige wenige nahmen ihre Studien an Universitäten auf. 1924 erhielten die Eltern dieser Schüler und Studenten die amtliche Mitteilung, daß sie von 1925 an nicht mehr mit Reisepässen für die Ausbildung ihrer Kinder im Ausland rechnen dürften.

Die Auswirkungen dieser Schulpolitik auf die Gottscheer Jugend zeigte sich - in der gan- zen Breite sichtbar - bereits nach einem Jahrzehnt. Die Buben und Mädchen waren bei ihrem Schulabgang sozusagen zweieinhalbsprachig. Als Mutter- und Haussprache ver- wendeten sie die Mundart, konnten leidlich slowenisch lesen und schreiben, waren aber des Deutschen nur sehr mangelhaft mächtig. Mit der Gottscheer Mundart konnten sie außerhalb der Sprachinsel nichts anfangen, ihr Deutsch war so schlecht, daß sie im Nor- malfall kaum einen Brief schreiben konnten, blieb also das Slowenische, wollte man au- ßerhalb des bäuerlichen Wirtschaftssektors eine berufliche Laufbahn anstreben. Diese jungen Menschen standen gleichsam im Niemandsland zwischen den beiden Völkern. Da ihnen aber das Deutsche dennoch näher lag, die Wirtschaftslage sich zunehmend ver- schlechterte, reifte auch bei ihnen der Entschluß zur Auswanderung, die in bescheidenem Umfange 1920 wieder eingesetzt hatte. Dazu bekam man allerdings mühelos einen Rei- sepaß.

So wie der Jugend der Zugang zum Deutschtum und seiner Schriftsprache verbaut wur- de, so tat die Landesregierung in Laibach alles, um den erwachsenen Gottscheern die Organisationsformen, die das Gemeinschaftsgefühl stärkten, und in denen hochdeutsch die offizielle Sprache war, wegzunehmen oder zumindest zu verleiden. Zuerst wurde der Bauernbund aufgelöst und die beiden politischen Parteien des "Ländchens" aus dem Ver- einsregister gestrichen. Von den drei oben genannten Blättern überlebte nur der 1903 gegründete "Gottscheer Bote". Er durfte, ab 1919 in "Gottscheer Zeitung" umbenannt, weitergeführt werden. Selbstverständlich verschwanden sogleich nach der Gründung des neuen Staates die Schulvereinsortsgruppen. Die zu einem eigenen Gau zusammenge- schlossenen freiwilligen Feuerwehren mußten die slowenische Kommandosprache einfüh- ren. 1925 durfte der verbotene Gesangsverein, ein gemischter Chor, wiedergegründet werden. Da er sich aber rasch zu einem neuen Kulturzentrum entwickelte, suchte man abermals nach einem Verbotsgrund. Man fand ihn in einer politisch harmlosen Sängerrei- se nach Kärnten. 17 Vereinsmitglieder, Frauen und Männer, besuchten am 5./6. Juni 1926 den von allen hoch verehrten Volkstumsforscher Wilhelm Tschinkel, um ihm zu sei- nem 50. Geburtstag die Grüße und Glückwünsche der alten Heimat zu überbringen. Der Gefeierte hatte in Rosegg eine neue Heimat gefunden. Nach ihrer Heimkehr wurde die Sängergruppe wegen Hochverrats angezeigt. Wahrheitswidrige Begründung: Die Sänger hätten in Kärnten an einem nationalen Sängerfest teilgenommen. Hier kann man nur noch von National-Hysterie sprechen. Zu einer Gerichtsverhandlung kam es jedoch nicht, weil ein einsichtiger Richter am zuständigen Amtsgericht in Rudolfswert (Novo mesto) das Verfahren wegen Nichtigkeit niederschlug. Die örtliche Sicherheitsbehörde in Gott- schee/Stadt gab sich jedoch lieber der Lächerlichkeit preis, als einen deutschen Vogel- schutzverein zu dulden. Ein Jahr nach der Gründung wurde er unter dem Vorwand verbo- ten, daß die im Freien aufgestellten Futterkästen die Aufschrift "Vogelschutzverein" tru- gen. Dieselbe Behörde machte auch vor dem deutschen Leseverein nicht halt, er wurde verboten, seine 2500 Bücher beschlagnahmt und vernichtet.

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Die Amtssprache bei den Behörden war selbstverständlich längst das Slowenische. Wer diese Sprache nicht beherrschte, mußte auf eigene Kosten einen Dolmetscher mitbrin- gen. Die Ortstafeln durften nach einer kurzen Übergangszeit auch in den rein deutschen Dörfern nur slowenische Aufschrift tragen. Die oft willkürlich ins Slowenische übersetzten Ortsnamen der Gottscheer durften in der Gottscheer Zeitung nicht mehr deutsch ge- druckt werden. Das 14tägig erscheinende Blatt war im übrigen einer scharfen Zensur unterworfen, das heißt, die fertig umbrochenen Seiten mußten der Bezirkshauptmann- schaft vor dem Druck vorgelegt werden. Anfänglich nahm die Redaktion die gestrichenen Artikel und Notizen einfach heraus und ließ die weißen Flächen offen. Dadurch war die Zensur für jedermann sichtbar. Um dies zu verhindern, erhielt die Redaktion den Auftrag, für gestrichene Artikel Stehsatz bereitzuhalten.

In aller Stille wurde die Ablösung der Geistlichkeit vollzogen. An sich ließ das Ordinariat in Laibach die noch amtierenden Gottscheer Geistlichen gewähren. Es versetzte auch keinen Geistlichen in rein slowenisches Gebiet, wie die Schulbehörde dies mit einigen Lehrern tat. Wenn jedoch ein Mitglied des Gottscheer Klerus durch Tod oder Pensionie- rung ausfiel, trat an seine Stelle ein nationalbewußter Slowene im Priesterrock.

Verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit widmete man anfänglich dem Bodenbesitz im "Ländchen", obwohl der slowenische Anteil äußerst gering war. Herbert Otterstädt nennt in seinem Bildband auf Seite 37 dazu folgende Zahlen: "Im Jahre 1940 waren nach einer sehr gewissenhaften privaten Besitzzählung von den insgesamt 840 Quadratkilometern der Volksinsel 547 Quadratkilometer in den Händen der Gottscheer Waldbauern, 63 Qua- dratkilometer waren Gottscheer Gemeindebesitz, 176 Quadratkilometer enteigneter deutscher Waldbesitz und lediglich 53 Quadratkilometer, also keine 8 der Gesamtfläche, waren slowenischer Zwergbauernbesitz".

Der einzelne Gottscheer Bauernhof interessierte die slowenische Führung noch in den zwanziger Jahren kaum. Erheblich störte es sie jedoch, daß der aller Titel entkleidete Fürst Auersperg bei der Staatsgründung noch 229 Quadratkilometer herrlichen Mischwal- des besaß und nach modernen forstwirtschaftlichen Methoden nutzte. Die Beschlagnah- me dieses Rests der ursprünglichen Herrschaft Ortenburg begann 1921 mit einer schlich- ten "Agrarverordnung". Zehn Jahre später wurde diese zum Gesetz ausgestattet und da- mit endgültig gemacht. 176 Quadratkilometer wurden damals der Familie Auersperg ge- nommen. Der konfiszierte Waldbesitz wurde jedoch nicht etwa den Gottscheern zugeteilt, die als uralt eingesessene Bewohner des Gottscheerlandes wohl als erste Anspruch hät- ten erheben können. Die Nutzung des Baumbestandes wurde vielmehr slowenischen Dör- fern außerhalb der Sprachinsel überlassen. Die Gottscheer Mitarbeiter der Auersperg- schen Forstverwaltung wurden entlassen.

Wie wenig die abseits liegenden neuen Nutzungsberechtigten bzw. die Landesforstbehör- de mit den beschlagnahmten Wäldern anfingen, bewies unter anderem der Verfall des größten Auerspergischen Sägewerks samt den Arbeiterwohnhäusern im Revier Hornwald. Was der vordringende Urwald sowie Wind und Wetter übriggelassen hatten, wurde 1938 gesprengt. Nicht einmal die 50 Kilometer lange Waldschmalspurbahn durfte bestehen bleiben. Sie wurde im gleichen Jahr verschrottet.

Der Gottscheer Landwirtschaft rückte man als Ganzes dergestalt zu Leibe, daß man alles beseitigte, was geeignet war, sie zu fördern und zu befruchten. So wurde gleich nach dem Kriege die aus der Zeit Kaiser Joseph II. stammende Filiale der "landwirtschaftlichen Gesellschaft von Krain" verboten, der Bauernbund eingestellt, 12 ländliche Raiffeisenkas- sen erlitten dasselbe Schicksal. Die Stadtsparkasse wurde finanziell ruiniert, und die Ein- leger verloren ihr Geld. Sie sollten auf diese Weise gezwungen werden, mit der Filiale der Laibacher "Merkantil Bank" zusammenzuarbeiten. Auf Anordnung ihres Chefs durfte in den Geschäftsräumen nur slowenisch gesprochen werden.

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Die Geschäftsleute und Handwerker in Stadt und Land, aber auch die Bauern, ruhten nicht eher, bis sie wieder über ein eigenes Geldinstitut verfügten: 1926 wurde die "Spar- und Darlehenskasse", eine Gesellschaft mit unbeschränkter Haftung, ins Leben gerufen. Zum Obmann wählten die Mitglieder den Mitbegründer Alois Kresse, angesehener Kauf- mann in Gottschee/Stadt. Kresse besaß große wirtschaftliche Erfahrung und war im gan- zen "Ländchen" bekannt. Von 1912 bis 1925 war er Obmann des Gottscheer Handels- gremiums. Von 1928 bis 1930 war er als Vizebürgermeister Obmann der Städtischen Vermögensverwaltung. Nach 1930 durften die Bewohner des Städtchens keine Vertreter mehr in den Stadtrat entsenden. 1945 gelang es Alois Kresse nicht mehr, rechtzeitig aus der Untersteiermark, wo er sich in Cilli eine neue Existenz geschaffen hatte, zu fliehen. Er wurde mit seiner Gattin von Partisanen umgebracht.

All diese kulturellen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Beseitigung der Sprachinsel Gottschee zeigten in den ersten dreißiger Jahren die beabsichtigte Wirkung - nicht bei den vor 1914 geborenen Jahrgängen, wohl aber bei den im Jahre 1933 etwa Sieben- bis Siebzehnjährigen. Slowenische Worte mischten sich in den heimatlichen Dialekt, sloweni- sche Lieder klangen da und dort außerhalb der Schule auf, die eigenen Mundartlieder traten noch stärker in den Hintergrund. Das Fundament des nationalen Selbstverständ- nisses als Deutsche stand bei diesen jungen Leuten nicht mehr auf sicherem Boden.

Gleichgeblieben war indessen das Interesse von Wissenschaftlern für die Sprachinsel Gottschee. Namentlich aus Österreich, immer öfter aber aus dem Deutschen Reich, er- schienen um die Wende der zwanziger zu den dreißiger Jahren Sprachforscher, Histori- ker, Volkskundler, Volskliedforscher sowie landschaftsbegeisterte Touristen, einzeln und in Gruppen. Die Besucher fanden in den abgelegenen Dörfern im großen und ganzen noch das urwüchsige Gottscheer Bauernleben, wie es Sepp König in seinem Beitrag: "Das Dorf in der Einschicht" (Gottscheer Zeitung, März 1973) etwa für die Zeit der Jahrhun- dertwende schildert:

"Jedes Dorf hatte seine Eigentümlichkeiten in seiner schaffenden Arbeit. Die Menschen in der Einschicht waren daher Alleskönner: Korbflechter, Schaufelmacher, Faßbinder und Schnapsbrenner, sie besorgten Zimmermannsarbeiten ebenso mit Geschick wie bäuerli- che Verrichtungen. Ihre Geschicklichkeit reichte über die bescheidene Heimat hinaus und war als nachbarliche Hilfe bei einem Unglück im Stall geschätzt. Der Bau eines Kalkofens war ihnen nicht unbekannt, und daß das Weib in der Einschicht im Krankheitsfalle Hilfe zu geben wußte, war keine Seltenheit."

Den Besuchern aus dem geschlossenen, deutschen Lebensraum entging allerdings auch nicht der wirtschaftliche Zusammenbruch der Gottscheer und ihre Mutlosigkeit. Helfen konnten sie ihnen nicht. - Unter den Gästen aus dem Deutschen Reich befand sich der Leipziger Orientologe und Volkstumsexperte Prof. Dr. jur. et. phil. Hugo Grothe. Seine wiederholten Aufenthalte im "Ländchen" führten in der Monografie "Die deutsche Sprach- insel Gottschee in Slowenien" zu einem freudig begrüßten Erfolg, waren doch seit dem Erscheinen des letzten repräsentativen Werks über das Gottscheerland (Hauffen 1895) immerhin 35 Jahre verstrichen. Man sagte ihm nach, er habe der damaligen Gottscheer Führung geraten, mit einer weithin wirkenden 600-Jahr-Feier der deutschen Kolonisation ihres Siedlungsgebiets die breite Öffentlichkeit auf die aktuelle, nationale Bedrängnis und die schier ausweglose wirtschaftliche Notlage der Gottscheer zu lenken. Mit diesem Er- eignis sollte ihr Selbstbewußtsein gestärkt, neuer Lebensmut geweckt werden.

Der Grothesche Gedanke wurde mit Freuden und sofort aufgegriffen. 1929 bildete sich unter dem Vorsitz des Rechtsanwaltes Dr. Hans Arko ein Festausschuß, der die 600-Jahr- Feier auf den 1. bis 4. August 1930 festsetzte. Dr. Arko, ein vielseitig begabter Mann, war in den zwanziger Jahren in die Rolle des Sprechers der Gottscheer hineingewachsen.

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Unter anderem dirigierte er den gemischten Chor und führte als Gauhauptmann die Feu- erwehr. Seit 1917 unterhielt er in der Stadt eine Rechtsanwaltskanzlei.

Die organisatorisch wohl vorbereitete 600-Jahr-Feier wurde zum größten Fest, das die Gottscheer jemals auf ihrem Heimatboden veranstalteten.

Seit dem Bestehen des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen, das sich nun- mehr als "Jugoslawien" bezeichnete, hatten die Gottscheer keinen Zweifel über ihre - von der Vernunft diktierte - loyale Einstellung zum Staat, aber auch ihre innere Bindung an ihr Volk gelassen. Konsequent und mutig lud der Festausschuß daher den König, damals Alexander I., die Staatsregierung in Belgrad, die Landesregierung in Laibach, künftig "Banschaftsverwaltung" genannt, mit dem "Banus" an der Spitze, sowie die Republik Österreich und das Deutsche Reich offiziell ein. Der König entsandte einen Minister und hohe Militärs als seine Vertreter. Von der Banschaftsverwaltung in Laibach erschien der Banus, das Deutsche Reich und die Republik Österreich ließen sich durch ihre Missions- chefs bei der jugoslawischen Regierung vertreten. Deutscher Gesandter in Belgrad war dazumal Ulrich von Hassel. Erschienen waren unter anderem auch die beiden Spitzenpoli- tiker der deutschen Gesamtvolksgruppe in Jugoslawien, der Abgeordnete in der Skupsti- na, Dr. Stefan Kraft, und der Senator Dr. Georg Graßl, ferner der Präsident des "Schwä- bisch-deutschen Kulturbundes" in Neusatz, Johann Keks, und der Hauptschriftleiter des "Deutschen Volksblattes", ebenfalls in Neusatz, ein gebürtiger Gottscheer aus Mittern- dorf, Dr. Franz Perz. Viele Gottscheer in Österreich und in den USA benutzten das große Fest zu einem Besuch der alten Heimat.

Erster Höhepunkt der Feierlichkeiten war der Festgottesdienst in der Stadtpfarrkirche. Nur ein Bruchteil der riesigen Menschenmasse fand im Dekanatsgotteshaus Platz. Selbst tiefergriffen, hielt der geistliche Rat August Schauer, Nesseltal, eine politisch wie menschlich und historisch ausgewogene Predigt von imponierender Sprachgewalt. - Die hohen Gäste vereinigte ein offizielles Bankett, auf dem Ulrich von Hassel diplomatisch geschickt und geistvoll die Beziehung zwischen dem Stadtwappen der Stadt Gottschee aus dem Jahre 1471 und dem aktuellen Anlaß herstellte. - Der öffentliche Festakt zur Erinnerung an die Besiedlung des Gottscheerlandes vor 600 Jahren fand in einem Groß- zelt statt, das an der Allee für diesen Zweck aufgestellt worden war. - Durch ein stau- nendes, glückseliges Spalier ritt und fuhr und schritt der selbst Geschichte gewordene historische Festzug von einem Ende der Stadt zum anderen. Es schien, als ob außer den Ältesten und den Jüngsten kein Gottscheer daheimgeblieben war, um sein Bekenntnis zu den sechs Jahrhunderten der Geschichte des "Ländchens" abzulegen. - Ein Festbuch mit Beiträgen zur Vergangenheit, Landes- und Volkskunde des Gottscheerlandes war Be- standteil der bewegten Woche. -

Presse, Rundfunk und Wochenschauen berichteten über die festlichen Tage von Gott- schee. Der politische Erfolg blieb jedoch aus. Die Hochstimmung der Gottscheer klang wieder ab. Nur allzubald stellte sich der Alltag des Volkstumskampfes und der zermür- benden, wirtschaftlichen Erfolglosigkeit wieder ein. Nichts hatte es den Gottscheern ge- nützt, ihre Staatstreue in den Vordergrund zu stellen. 1931 wurde beispielsweise das Minderheitenschulwesen in Jugoslawien "neu geordnet". Es richtete sich vor allem gegen die deutsche Minderheit und verfügte, daß in Orten, in denen "Staatsbürger mit anderer Muttersprache" lebten, Schulabteilungen mit 30, in Ausnahmefällen 25 Schulkindern er- richtet werden durften. Die Entscheidung darüber behielt sich der Unterrichtsminister vor. Woher der Schuß kam, ließ sich leicht daran ermitteln, daß der Innenminister in der damaligen Regierung Dr. Milan Stojadinovic Dr. Anton Korocec hieß. Als Kabinettsmit- glied hatte er keine Schwierigkeit, seinen Kollegen, den Unterrichtsminister, zu diesem Erlaß zu bewegen. Er traf die Gottscheer doppelt hart. Die "deutschen Abteilungen" wa- ren nun zahlenmäßig nach oben begrenzt. In den größeren Dörfern war es trotz der Na- mensanalyse noch möglich, 30 Kinder für eine deutsche Abteilung aufzubringen. Die klei-

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Zu der entmutigenden und entwürdigenden nationalen Unterdrückung kommt die fort- schreitende wirtschaftliche Not. Die Weltwirtschaftskrise von 1929/30 trug direkt und indirekt wesentlich dazu bei. Nicht nur sanken die ohnehin geringer gewordenen eigenen Umsätze weiter, sondern auch der Dollarsegen ebbte ab. - Der Wald ergriff vom weiteren Kulturland Besitz. Der Viehbestand sank katastrophal. Selbst die stark zurückgegangene Milchproduktion war nicht mehr verwertbar. Die Milch wurde an die Schweine verfüttert. Die Obsternten blieben liegen. Der Holzhandel stockte. Nur noch wenige Männer gingen hausieren. Kleinhöfe und Keuschler unterschritten vielfach das Existenzminimum.

Der kleinste, deutsche Stamm, wie sich die Gottscheer gerne nannten, fand sich nicht mehr im Gleichgewicht. Manche Anzeichen schienen darauf hinzuweisen, daß er sich selbst aufzugeben begann. Einer der damals Jungen, Richard Lackner aus der Stadt, hat das bitterste Wort jener Tage nicht vergessen: "Hier zahlt sichs nicht mehr aus!"

Dr. Josef Krauland erinnert sich in seinem Beitrag "Ein Arzt erzählt..." (Gottscheer Zei- tung, August 1970) noch gut an ein Gespräch mit einem Gottscheer Bauern über die Auswanderung: "Ich befand mich auf der Rückfahrt von Ebental. Mein Kutscher, ein intel- ligenter Bauer, mit dem man sich über alles Mögliche unterhalten konnte. Endlich kamen wir auf seine Familienverhältnisse und seinen Besitz zu sprechen. Auf meine Frage, wel- ches von seinen Kindern einmal den Hof übernehmen werde, antwortete er: Keines, alle wollen nach Amerika, und ich will es ihnen nicht verwehren. Als ich dagegen einwandte, daß doch wenigstens eines in der Heimat bleiben sollte, meinte er: Ich kann es von kei- nem verlangen. Sie sehen doch selbst, wie man sich hier auf einem Bauernhof abrackern muß und dabei kann man nicht einmal die Substanz erhalten. Wenn die Kinder in Ameri- ka fleißig sind und etwas Glück haben, bringen sie es in einigen Jahren weiter als hier ihr ganzes Leben."

Die Gottscheerin hat es verlernt, zu singen und zu fabulieren. Die Lebensschule, in der sie die Lehrerin ihrer Kinder und in der die Unterrichtssprache das Gottscheerische war, entgleitet ihr …

30. Januar 1933, Berlin. Hitler ist an der Macht.

Kommen nun eine bessere Zeit?

Wie alle deutschen Volksgruppen in Südosteuropa und in der deutsch-slawischen Misch- zone zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer blickten auch die Gottscheer nach Berlin. Wer will ihnen dies angesichts der geschilderten Lebensumstände verdenken?! Sie blieben ruhig, wurden jedoch von den jugoslawischen Sicherheitsorganen noch mißtraui- scher beobachtet als zuvor. Nicht minder mißtrauisch - aufmerksam registrierte die slo- wenische Führung alle Vorgänge in der Reichshauptstadt. Die Machtergreifung Hitlers löste bei ihr etwa folgenden Gedankengang aus: Hitler war Altösterreicher. Sein politi- scher Werdegang wies ihn als extremen Nationalisten aus. Zu seinen obersten erklärten Zielen gehörte der Anschluß der Republik Österreich an das Deutsche Reich. Krain war jahrhundertelang ein Kronland der Habsburger gewesen. Konnte man sicher sein, daß er beim "Anschluß" nicht auch ganz Slowenien dem Reich einverleibte? Wer konnte ein hochgerüstetes Deutschland daran hindern, darüber hinaus in den Donauraum - oder und - an die Adria vorzustoßen? In beiden Fällen bot sich Gottschee als machtpolitischer Brückenpfeiler an. Schon aus diesen Gründen mußte Gottschee nun erst recht ver- schwinden …

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Dieses völkische Eiland aber wollte weiterleben, aus eigener Kraft, nur für sich selbst, ohne Machtanspruch, ohne politische Ambitionen. Die Slowenen standen dem in ihrem Nationalstolz entgegen. Sie bedachten allerdings dabei nicht, daß es bereits im 6. Jahr- hundert nach Christi eine Art italienische Ostpolitik gab, dargestellt durch die Patriarchen von Aquileja und später durch die Republik Venedig. In Rom erinnerten sich die Nationa- listen indessen seit längerer Zeit der Tatsache, daß der Patriarch von Aquileja die Mark Krain viele Jahrhunderte lang zu seiner Kirchenprovinz zählte und von 1077 an bis 1420 ausgedehnte Reichslehenschaften besaß.

Das Völkchen im Karst aber geriet wiederum, diesmal endgültig, zwischen die Mühlsteine der "großen Politik". Mit dem Urwald wäre es durch Modernisierung der Land- und Forst- wirtschaft fertiggeworden, auch dem Wassermangel wäre durch noch sorgsamere Pflege und Nutzung der natürlichen Bestände beizukommen gewesen. Vielleicht hätten sich die Bauern unter dem Druck der Wirtschaftslage zu einer Neuordnung der Bodenverfassung, einer Flurbereinigung bewegen lassen. Das alles hätte dazu beigetragen, das "Ländchen" attraktiver zu gestalten. Gegen die Diktaturen in Berlin, Rom und Laibach wuchs im Gott- scheerland jedoch kein Kraut.

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Der Tragödie letzter Akt

Was nun kam, trieb die Gottscheer in ein Dickicht kaum verhüllter Gewalt und unver- schleierten Terrors. Ein Jahrhundertbericht kann über ihre letzten Jahre auf dem Boden des alten ortenburgischen Urwaldlehens nicht hinweggehen, etwa weil man irgendwo nur ungern an die Anschläge auf die Freiheit, die Menschenwürde und -rechte im Gottscheer- land erinnert wird oder weil sie mit dem Nationalsozialismus zusammenhängen. Sie spiel- ten sich auf drei Ebenen ab. Ebensowenig steht der gewissenhafte Historiker vor der Fra- ge, ob er das, was die Slowenen den Gottscheern antaten, was den Slowenen von Seiten des Deutschen Reiches geschah und was schließlich die Gottscheer selbst unternahmen, um zu überleben, verschweigen, beschönigen oder manipulieren wolle. Ihm ist vielmehr aufgegeben, den Untergang der Sprachinsel Gottschee nach Möglichkeit leidenschaftslos, wenn auch nicht kritiklos, darzustellen.

Wie man die Entwicklungen, Ereignisse und Entscheidungen der beteiligten Persönlichkei- ten und Institutionen auch dreht und wendet, das Gottscheerland gerät unaufhaltsam in die tragische Verstrickung, aus der kein Weg herausführt. Alles, was die Gottscheer fort- an tun, ist falsch.

Die Banschaftsverwaltung in Laibach zog die Zügel bald straffer an. Der "Schwäbisch- deutsche Kulturbund", die kulturelle Organisation der Deutschen in Jugoslawien, hatte auch in Gottschee mehrere Ortsgruppen gegründet. Er wurde verboten. Damit war auch der Gottscheer Jugend die legale Grundlage für ihre Kulturarbeit entzogen. Das Verbot war auf die Beobachtung der Sicherheitsbehörden zurückzuführen, daß junge Gottscheer mit jungen Reichsdeutschen Verbindung aufnahmen und hielten. Unter diesen befand sich im Sommer 1933 ein Philologie-Student namens Volker Dick, ein Pfarrerssohn aus Freiburg im Breisgau. Er widmete sich zunächst der Mundart und durchwanderte das "Ländchen" zu Studienzwecken. Er unterhielt sich vielfach mit Bäuerinnen und Bauern, auch mit jungen Leuten, und sammelte Material für seine Arbeit. Dabei fiel ihm auf, daß hier weniger die sprachwissenschaftliche Diskussion, als vielmehr ein neues, wirtschaftli- ches Denken not tat. Ohne dazu von einer Dienststelle oder Organisation in Deutschland aufgefordert oder beauftragt worden zu sein, machte er es sich zu seiner persönlichen Aufgabe, in der Jugendbewegung das Interesse dafür zu wecken.

Bereits bei seinem nächsten Besuch stellte er einen "Aufbauplan" zur Diskussion. Er sollte den weiteren wirtschaftlichen und kulturellen Verfall als Folge der Auswanderung, Unter- drückung und Entmutigung der Bevölkerung aufhalten. Dick fand damit bei der ländlichen Jugend viel, bei der Volksgruppenführung in der Stadt einiges Verständnis.

Die Volksgruppenführung war keine öffentliche Einrichtung, die durch Wahlen oder Beru- fung zustandegekommen war, sondern sie bestand in der Spitze aus zwei Männern, auf die man kraft ihrer Persönlichkeit allgemein hörte und die vorübergehend auch amtliche Funktionen ausübten; Rechtsanwalt Dr. Hans Arko aus der Stadt Gottschee und Geistli- cher Rat Josef Eppich, Pfarrer in Mitterdorf. Pfarrer Eppich gehörte durch Wahl seit 1927 dem "Gebietsausschuß" - entsprach etwa einem Landtag in Österreich - als Vertreter der Gottscheer Wähler an. Die realen Möglichkeiten, für seinen "Wahlkreis" etwas zu tun, waren gleich Null. Dr. Arko war vorübergehend stellvertretender Bezirksvorsitzender der 1929 von König Alexander I. verordneten "Staatspartei". Auf das Parteigefüge in der Bundesrepublik Deutschland bzw. in der Republik Österreich übertragen, wäre sie heute den Christlich-Sozialen, der Österreichischen Volkspartei bzw. einer liberal- demokratischen Richtung zuzuordnen.

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Die beiden Männer befürchteten angesichts der Versteifung des slowenischen Kurses ge- genüber der Sprachinsel, daß die Jugend in ihrer Kulturarbeit Äußerlichkeiten der Hitler- jugend nachahme. Die ersten Zeichen deuteten sich 1934 bereits an. Arko und Eppich hielten, trotz der schlechten Erfahrungen seit 1918, immer noch an dem Grundsatz der Staats- und Volkstreue fest. Die erwartete Aktivität der Jugend kam und war anschei- nend nicht aufzuhalten. Allerdings blieb sie ihrem Wesen nach und hinsichtlich der Inhal- te der Kulturarbeit gottscheerisch. Die Heimabende, die Gesprächs- und Diskussionsstof- fe, selbst das Singen waren auf die Traditionen der Heimat gerichtet. Bei Zeltlagern und Wanderungen wurden zwar bekannte, deutsche Wanderlieder, auch zackige Lieder der deutschen Staatsjugend gesungen, es wurden aber auch mehr und mehr Mundartlieder ausgegraben, ja, einige neue Mundartlieder breiteten sich rasch über das ganze Sied- lungsgebiet aus, weil sie den echten gottscheerischen Volksliedcharakter besitzen und nicht der Hektik der dreißiger Jahre entsprangen. Der junge Bauernsohn Peter Wittine aus Rieg war der Verfasser.

1935 geschah etwas scheinbar Bedeutungsloses. Ein Gymnasiast namens Willi Lampeter aus Mitterdorf wurde vom Gymnasium in Gottschee verwiesen. Sein Direktor war der Ansicht, er habe sich als Schüler eines slowenischen Gymnasiums doch etwas zu sehr für nationale deutsche Belange eingesetzt, auch wenn er seiner Abstammung nach Gott- scheer sei. Für Lampeter war die Relegierung eine Aufforderung, sich nun erst recht na- tional-politisch hervorzutun. Innerhalb weniger Monate galt er als der Exponent der Gott- scheer Jugend, die allmählich zu erkennen gab, daß sie sich allein für die Zukunft des Gottscheerlandes verantwortlich fühlte und die Ablösung der alten Führung zum gegebe- nen Zeitpunkt anstrebte. Gerechterweise muß hervorgehoben werden, daß der Ruf nach einer geistigen und wirtschaftlichen Neuorientierung im Rahmen der Traditionen des Gottscheerlandes nicht erst von der Jugend, die auf die mächtigen Anstöße von außen reagierte, gefordert wurde. 1931 schrieb der "Gottscheer Kalender", den Pfarrer August Schauer in Nesseltal herausgab und inhaltlich gestaltete: "Der Gottscheer Bauer muß seinen Blick wieder der Heimat zuwenden. Er muß wieder Vertrauen zu seiner Scholle bekommen und aus seiner Lethargie gerissen werden, indem die Gottscheer Landwirt- schaft aus ihrer bisherigen Isolierung herausgeführt und Produktion wie Absatz auf ge- nossenschaftlicher Basis organisiert werden." Klare Vorstellungen, wie dies vonstatten gehen sollte, brachte allerdings erst der "Aufbauplan".

Das Projekt, das Volker Dick mit der Jugend diskutierte, ging folgerichtig davon aus, daß aus den uns bekannten Gründen zu wenig Arbeitskräfte zurückgeblieben waren, um bei gleichbleibenden landwirtschaftlichen Produktionsmethoden den stark abgesunkenen Le- bensstandard den gestiegenen Ansprüchen anzupassen. Darüber hinaus sollte der "Auf- bauplan" - und dieses Ziel wurde immer wieder stark betont - einen auch materiell be- gründeten Anreiz zum Bleiben in der Heimat bewirken.

Führen wir uns noch einmal den verhängnisvollen Kreislauf, der zu der katastrophalen, durch die Weltwirtschaftskrise verstärkten Notlage geführt hatte, vor Augen: Der Gott- scheer Bauer hatte wegen des Arbeitskräftemangels das fortwährende Roden vernachläs- sigt und vor allem auf den Hutweiden und höher gelegenen Hügeln dem Wald den Vortritt gelassen. Das Futterangebot sank, als weitere Folge ging der Viehbestand entscheidend zurück. Weniger Milch und Dünger waren das Ergebnis. Weniger Dünger bedeutet weni- ger Feldertrag und Verminderung der Anbaufläche. Schlußfolgerung: Die Abwanderung stieg weiter.

Der "Aufbauplan" kehrte diese rückläufige Entwicklung einfach um: Neurodung der Hut- weiden und Wiesen = mehr Vieh = mehr Milch und Kälber = mehr Dünger = mehr An- baufläche = insgesamt Steigerung des Umsatzes auf dem Bauernhof. Der Plan sah ferner die Hereinnahme ertragreicherer Obstsorten und die konsequentere Pflege der Obstbäu- me, wie die Verwertung der Obsternten durch Süßmosterei vor. Fachleute zum Ausbau

Gedruckt von http://www.gottschee.at 99 dieses Wirtschaftszweiges wurden aus Deutschland geholt. Systematisch sollte außerdem der Fremdenverkehr ausgebaut werden. Zu diesem Zweck wurden aussichtsreiche Ver- handlungen mit einem deutschen Reisebüro aufgenommen. Als ersten bemerkenswerten Anziehungspunkt für die Fremden baute die Jugend in dem idyllisch gelegenen Walddorf Pogorelz einen befestigten Weg. Als weitere Leistung im freiwilligen Arbeitsdienst befe- stigte sie den Wanderweg von Morobitz auf die Krempe, den schönsten Aussichtspunkt des Gottscheerlandes in das schluchtartig eingeschnittene Kulpatal und die Bergland- schaft Kroatiens, dann in der Nähe von Altfriesach eine Skihütte, und als Krönung baute die Jugend des Oberlandes ein Kulturheim in Mitterdorf. Da gab es eine herbe Enttäu- schung. Am Vorabend der Einweihung dieses Heimes wurde ein bei der Behörde ange- meldeter Fackelzug durch Mitterdorf veranstaltet. Dieser wurde von auswärts herbeige- holten slowenischen Jugendlichen brutal beendet. Mit Schlagstöcken, Zaunlatten, Prügeln und anderen "Geräten" bewaffnet, brachen sie aus der Finsternis und schlugen Frauen und Kinder nieder. Die anwesenden Gendarmen schritten nicht ein. Die Gottscheer, auf eine solche Tat nicht gefaßt, konnten sich gar nicht verteidigen, denn bevor die männli- chen Teilnehmer auch nur ihre Fäuste gebrauchen konnten, waren die Spukgestalten wieder im Dunkeln verschwunden. -

Ein ständig fließendes und sicheres Einkommen sollten zwei genossenschaftliche Einrich- tungen, die für das "Ländchen" neu waren, den Bauern bringen: Koppelweiden und eine moderne Molkerei. Die Musteranlage einer Koppelweide wurde, wiederum als freiwillige Gemeinschaftsleistung der Jugend, im Ortsbereich von Hohenegg/Katzendorf angelegt. Eine auf die Maße des Gottscheers zugeschnittene Molkerei ging in die Planung. - Um auch den Mädchen und Frauen einen dauernden Nebenverdienst zu verschaffen, griff man auf alte Formen der Heimarbeit zurück. Das farbenfrohe Besticken von Taschen- und Trachtenkopftüchern wie das Weben von Gürteln wurde organisiert. Selbstverständ- lich wurde auch die Holzschnitzerei, die älteste Form der Gottscheer Heimarbeit, neu be- lebt. Auch für diese Wirtschaftszweige stand ein Fachmann aus Deutschland zur Verfü- gung. Um einen Markt für diese Erzeugnisse zu öffnen, wurde 1936 in Gottschee-Stadt eine Genossenschaft gegründet, die den Vertrieb in Deutschland übernahm. In der Sprachinsel selbst kümmerten sich um das Heimwerken besonders die Geschwister Hilde und Herbert Erker aus Mitterdorf, Sophie Kren aus Ort sowie die Geschwister Olga und Hans Spreitzer aus Pöllandl. Außerdem haben Herbert und Hilde Erker in unzähligen Heimabenden alte deutsche und gottscheerische Lieder wieder zum Klingen gebracht.

Die Voraussetzung für das Gedeihen der teilweise völlig neuen Wirtschaftslage war je- doch das Funktionieren der Landwirtschaft. Hier war es mit Diskussionen und guten Ratschlägen allein nicht getan. Man benötigte praktische Beispiele, das betriebswirt- schaftliche Vormachen und - Geld! Woher nehmen? Nur eines war sicher: vom jugoslawi- schen Staat war kaum eine finanzielle Unterstützung zu erwarten.

Da hatte Dr. Hans Arko eine rettende, wiederum traditionsgebundene Idee: Er schlug vor, die Reichsregierung zu bitten, das Hausierpatent Kaiser Friedrichs III. aus dem Jahre 1492 zu erneuern und den überlieferten Wanderhandel der Gottscheer in zeitgemäßer Form und Zahl wieder aufleben zu lassen. Auf Dicks Betreiben erklärte sich das Reichs- wirtschaftsministerium dazu bereit, und veranlaßte bei der inneren Verwaltung das Nöti- ge. Probeweise wurden in den Wintermonaten 1934/35 einige Dutzend ausgesuchte Bau- ern nach Deutschland entsandt, um das Hausieren erst einmal einzuführen. Der Versuch glückte im Großen und Ganzen. Das Hausieren lief in der Form ab, wie es in diesem Buch bei der Behandlung des 19. Jahrhunderts ausführlich beschrieben ist. In den drei Wintern von 1935/36 bis 1937/38 wurden dann jeweils rund 300 Männer zugelassen. Sie wurden einzeln und in unterschiedlich großen Gruppen auf die für das außergewöhnliche Unter- nehmen geeignet erscheinenden Städte verteilt. In München arbeiteten beispielsweise 15 Mann, in Dessau/Anhalt waren es zwei, oder in Schwäbisch-Gmünd einer. Die Männer übten ihr Geschäft in der überlieferten Tracht aus (siehe Abbildung im Buch). Sie wurden

Gedruckt von http://www.gottschee.at 100 zuerst von Studenten und, von der Saison 1935/36 an, von Mitgliedern des VDA (Volks- bund für das Deutschtum im Ausland) beraten und betreut.

Organisatorisch erfaßt waren die Männer aus der Sprachinsel im "Gottschee-Hilfswerk", das in Gottschee-Stadt und in Dessau/Anhalt je eine Geschäftsstelle unterhielt. Die letz- tere wurde 1938 nach Berlin verlegt. In der Heimat richtete Dr. Arko in seiner Anwalts- kanzlei ein Büro ein und besetzte es mit einer Fachkraft für Korrespondenz und Buchhal- tung. Seltsam genug für Gottschee, daß in einer rein den Männern vorbehaltenen Einrich- tung eine Frau die Geschäfte führte, Frau Paula Suchadobnik aus der Stadt.

Die Wanderhändler aus Gottschee hatten von ihrem Reingewinn einen bestimmten Pro- zentsatz für die Organisation des Hausierwerkes und für einen Härtefond, aus dem Fehl- schläge finanziell ausgeglichen werden sollten, abzuliefern. Der Antragsteller mußte sich bereits daheim verpflichten, seine Überschüsse gezielt in der eigenen Landwirtschaft ein- zusetzen. Außerdem mußte er schriftlich versprechen, nach Ablauf der Saison heimzu- kehren und nicht in Deutschland zu bleiben. Der Reingewinn bewegte sich in der Regel zwischen wenigen hundert und mehreren tausend Mark. Wegen der Devisenbewirtschaf- tung durften die Hausierer ihren Verdienst nicht unmittelbar über Post oder Bank über- weisen, sondern die Auszahlung erfolgte über die Spar- und Darlehenskasse in Gott- schee.

Die Überschüsse des "Härtefonds", der kaum einmal in Anspruch genommen werden mußte, waren als Grundstock für den Bau der Molkerei bestimmt. Die Pläne für den Bau und das Netz von 22 Abrahmstationen waren 1938 fertig. Mit ihrer Ausführung sollte 1943 begonnen werden.

Wie aber stand es mit den praktischen Beispielen? Dick schlug vor, Jungbauern bzw. Bauernsöhne zur landwirtschaftlichen Ausbildung nach Deutschland zu schicken. Willie Lampeter aus Mitterdorf und Martin Sturm aus Loschin setzten diesen Gedanken in die Tat um. Die beiden jungen Männer hatten sich bis 1937 als unumstrittene Führer der bäuerlichen Jugend durchgesetzt. Wer genauer hinsah, konnte beobachten, daß sich Lampeter eine disziplinierte Gefolgschaft herangezogen hatte. Die jungen Männer, die er nun zur landwirtschaftlichen Ausbildung nach Deutschland schickte, gehörten diesem Kreis an. Volker Dick bereitete auch ihnen die Wege. Die Ausbildung in den modernen landwirtschaftlichen Betriebsmethoden geschah auf der Rauhen Alb, wo sie ähnliche kli- matische und bodenqualitative Voraussetzungen wie in der Heimat antrafen. Sie arbeite- ten im Sommer 1937 auf hierfür ausgewählten Höfen. Danach faßte Willi Lampeter die rund 60 Mann zu einer "Winterschule" zusammen. Sie hatte den Zweck, den künftigen Musterbauern das theoretische Rüstzeug für ihre wirtschaftlichen Führungsaufgaben zu vermitteln.

Dr. Arko und Pfarrer Eppich befanden sich angesichts dieser Aktivitäten - auf das Gott- scheerland bezogen - in einer innenpolitisch schwierigen Lage. Auf der einen Seite sahen sie mit Genugtuung den Bemühungen der Jugend um die Sicherung der Zukunft des Gottscheerlandes zu, zum anderen sahen sie aber auf Grund ihrer Erfahrungen voraus, daß die jugoslawischen Behörden sie keinesfalls gewähren lassen würden. Da sich, zum Dritten, die Jugend nichts mehr dreinreden ließ, versuchten die beiden "Alten" wenig- stens auf dem kulturellen Sektor gegenzusteuern und - vielleicht! - noch etwas zu retten. Am 13. August 1935 überreichte Dr. Arko dem neuen jugoslawischen Ministerpräsidenten Dr. Milan Stojadinavic eine Denkschrift mit der Bitte, wenigstens die restlichen deutschen Schulabteilungen bestehen zu lassen und dafür die erforderlichen deutschen Lehrkräfte zu genehmigen. Die gleiche Denkschrift übermittelte er im Oktober 1935 der Banschafts- verwaltung in Laibach. Diese gab erst im Herbst 1936 eine Antwort dahingehend, sie könne so lange für Gottschee nichts tun, wie in Kärnten Slowenen entnationalisiert wür- den. Pfarrer Eppich unternahm darauf in Wien und Klagenfurt Vorstöße mit dem Ziel, die

Gedruckt von http://www.gottschee.at 101 paritätische Behandlung der slowenischen Minderheit in Kärnten und in der Gottschee zu erreichen. Den Kärntner Slowenen wurde volle Kulturautonomie angeboten, der Chef der Banschaftsverwaltung in Laibach aber war nicht einmal bereit, eine Vertretung der Gott- scheer anzuhören. Er begründete seine ablehnende Haltung mit der Bemerkung, die Ban- schaftsverwaltung sei hierfür nicht zuständig. Hier trat das slowenische Gesamtkonzept in Sachen Gottschee abermals zutage. Der Banus erklärte sich für die Minderheitenrechte der Gottscheer für nicht zuständig, wohl aber für jene der Slowenen in Kärnten. Im eige- nen Land fühlte er sich demgemäß nur für die Ausrottung der Gottscheer zuständig.

Von Seiten des Ministerpräsidenten Stojadinovic erging überhaupt keine Antwort an Dr. Arko. In der großen Politik galt er jedoch als deutschfreundlich. Möglicherweise war daher seine Hand im Spiel, als im Sommer 1935 die Zügel, die man dem "Schwäbisch- deutschen Kulturbund" angelegt hatte, gelockert wurden.

Daß man in Laibach das Gesamtkonzept zur Beseitigung der Sprachinsel Gottschee schließlich auch auf den wirtschaftlichen Sektor ausdehnte, bewies im Juni 1936 der Er- laß eines "Grundverkehrsgesetzes". Es bestimmte, daß jeder Besitzwechsel innerhalb einer 50-km-Zone entlang der Staatsgrenze vom Kriegs- bzw. Innenministerium geneh- migt sein müsse. Dieses Gesetz bedeutete, obwohl Gottschee innerhalb der 50-km- Sperrzone lag, noch keinen lebensbedrohenden Eingriff. Dieser wurde allerdings bereits im Dezember im Rahmen der Durchführungsbestimmungen nachgeholt. Darin wurde eine Kommission eingesetzt, die von Fall zu Fall zu prüfen hatte, ob der jeweilige Besitzwech- sel im Interesse des Staates lag oder nicht. Mit anderen Worten: Ein Besitzwechsel der Gottscheer untereinander war nunmehr ausgeschlossen. Was beabsichtigt war, zeigte die Praxis sehr bald. Frei gewordene Besitze von Gottscheern konnten von Slowenen für ein Spottgeld erworben werden. Die slowenischen Jugendorganisationen "Sokol" und "Orju- na" unterstrichen die Maßnahmen der Behörden mit verbalen Drohungen, deren ge- schmackloseste lautete: "Wir werden den Hauptplatz in Gottschee mit euren Köpfen pfla- stern."

Die rechtliche Unsicherheit erreichte immer neue Höhepunkte. Dr. Michitsch umreißt sie in der Kulturbeilage Nr. 58 der "Gottscheer Zeitung" wie folgt:

"Rechtsunsicherheit, mangelnder Rechtsschutz gegen Ermessensmißbrauch, Fehlen einer innerstaatlichen Instanz, die bei einer Verletzung des Minderheitenschutzes hätte befaßt werden können, die Völker- und staatsrechtlich völlig unzulässige Diskriminierung der nationalen Minderheit durch Verordnungen und Dekrete behördlicher Willkür."

Die Praxis dieser "Rechtslage", der Widerstand gegen dieses System der Unterdrückung, wuchs namentlich bei der Jugend. Sie hatte einen Weg gesucht und gefunden, den weite- ren wirtschaftlichen Verfall aufzuhalten, weil sie es als ihr legitimes Menschenrecht an- sah, nicht tatenlos zuzusehen, wie die Heimat von politischen Mächten zugrundegerichtet wurde. Sie fand auch einen Weg, um wenigstens notdürftig einen kulturellen Ausgleich zu schaffen. Ein unsichtbares Ringen um die Mundart und die Schriftsprache hatte einge- setzt. Wo dies möglich war, erteilten die wenigen Geistlichen jungen und älteren Men- schen deutschen Sprachunterricht. Hunderte von Fibeln tauchten auf und gingen von Hand zu Hand.

Immer lauter erhob sich in den Jahren 1936 und 1937 der Vorwurf gegen die alte Füh- rung, sie tue zu wenig zur Durchsetzung der Lebensrechte und der kulturellen Forderun- gen der Gottscheer. Die Jugend meinte, sie selbst könne durch energischeres Auftreten eine Änderung der staatlichen jugoslawischen Minderheitenpolitik in Gottschee erzwin- gen. 1938 hielt Lampeter dann die Zeit für gekommen, die Volksgruppenführung zu ü- bernehmen. Er ging allerdings von einem entscheidenden Trugschluß aus: Ohne daß es ausgesprochen wurde, erwartete er, das Deutsche Reich werde das betont zielstrebige

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Auftreten einer jungen Volksgruppenführung gegenüber dem jugoslawischen Staat offizi- ell abdecken. In einem Punkt schien es freilich so zu sein. Im November 1938 erhielt Dr. Hans Arko von der "Arbeitsstelle" Gottschee im VDA, Berlin, die Mitteilung, er sei als Volksgruppenführer abgesetzt. Woher die Initiative zu diesem Brief kam, war leicht zu erraten. Daheim warf man dem Abgesetzten unter anderem noch Vetternwirtschaft bei der Auswahl der Hausierer vor. Verbittert resignierte der Rechtsanwalt. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit erhalten, in angemessener Form freiwillig abzutreten. Der geistli- che Rat in Mitterdorf aber wartete nicht erst ab, bis die Reihe an ihm war. Er übergab zum 1. Jänner 1939 die Schriftleitung der "Gottscheer Zeitung" an einen jungen Mann, den Berufsjournalisten Herbert Erker. Seine journalistische Ausbildung hatte er beim "Deutschen Volksblatt", der Tageszeitung der Deutschen in Jugoslawien, in Neusatz (Novi sad) erhalten, deren Hauptschriftleiter war ja der Gottscheer Dr. Franz Perz aus Mitter- dorf.

Ein dreiköpfiges Gremium, bestehend aus Kaufmann Josef Schober (Stadt Gottschee), Willi Lampeter und Martin Sturm, wurde geschaffen. Schober übernahm den Vorsitz und wurde künftig als "Volksgruppenführer" bezeichnet. Er war bis dahin im öffentlichen Le- ben kaum hervorgetreten. Die Tatsachen sollten auch bald beweisen, daß der noch ju- gendliche Lampeter (Geburtsjahr 1919) den wesentlich Älteren lediglich als Aushänge- schild benutzte. Die zahlreiche Anhängerschaft Lampeters aber fühlte sich durch die neue Entwicklung in ihren Ansichten, Absichten und Leistungen bestätigt.

Eine der ersten Maßnahmen des neuen Führungsgremiums war die Überreichung einer Ergebenheitsadresse an den deutschen Konsul in Laibach. Darin hieß es unter anderem, die Gottscheer seien bereit, Weisungen aus dem Reich entgegenzunehmen. In die politi- sche Wirklichkeit übertragen sollte das jedoch nicht bedeuten, daß sie auf ihre gewach- sene Traditionen verzichten wollten. Sie sympathisierten zwar mit den "Erneuerern" im donau-schwäbischen Raum, ohne jedoch auf ihr politisches Konzept bedingungslos ein- zugehen. "Die Gottscheer Führung hatte ganz klare, politische Vorstellungen", erläuterte der damals 19jährige Jugendführer in Gottschee, Richard Lackner, Erich Petschauer 1973 in einem Gespräch über die dreißiger Jahre und fuhr fort: "Wir wußten, daß wir auf kei- nen Fall Einfluß auf allgemein politische und staatspolitische Veränderungen nehmen konnten, und unsere ganze Konzeption war auf der Tatsache aufgebaut, daß wir uns als Sprachinsel im jugoslawischen Königreich befinden, daß wir aus dieser Situation heraus tätig sein müssen, um den Untergang, die Vernichtung von Gottschee zu verhindern."

Trotz der Ergebenheitsadresse und der vordergründigen programmatischen Einordnung in die Zwänge des großen politischen Kraftfeldes bewahrte sich die neue Führung inner- lich einen gewissen Vorbehalt hinsichtlich der Handlungsfreiheit der Gottscheer. Er klingt auch bei Richard Lackner 1973 noch nach: "... weil wir aus einem sehr eigenständigen Denken und eigenständiger Sicht unsere Sache selbst machen wollten. Wir wollten den Typ des Gottscheers schaffen, der bereit war, die Erneuerung seiner Heimat mitzuma- chen."

Berlin, 1. September 1939. Hitler greift Polen an. Drei Wochen später: Die Republik Polen existiert nicht mehr.

Berlin, 6. Oktober 1939. Hitler gibt in einer Reichstagsrede bekannt, er halte es für not- wendig, die Nationalitäten in Europa umzusiedeln, damit die Grenzen zwischen den Völ- kern genauer gezogen werden könnten. Das deutsche Volk werde seine Vorposten zu- rückziehen. Daß ihm damit ernst zu sein schien, wurde tags darauf deutlich. Er ernannte den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, zum "Reichskommissar für die Festigung deut- schen Volkstums". Die neue Aufgabenstellung Himmlers war so neu nicht mehr, wie sich an der von langer Hand vorbereiteten Südtiroler Umsiedlung erwies. Der mit den Italie- nern ausgehandelte Umsiedlungsvertrag war im Juni 1939 in Kraft getreten, die Verhand-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 103 lungen mußten also bereits Monate vorher begonnen haben. Im August und September 1939 richteten sich die italienischen und deutschen Umsiedlungsdienststellen in Südtirol ein.

Die deutschen Volksgruppen in Ost- und Südosteuropa gerieten in Panik. Sie nahm auch in Jugoslawien Ausmaße an, daß sich der deutsche Gesandte in Belgrad genötigt sah, im "Deutschen Volksblatt" die wenig glücklich formulierte Erklärung abzugeben, die Umsied- lung der Deutschen aus Jugoslawien sei "nicht aktuell".

Heinrich Himmler hatte durch die Ernennung zum "Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums" erheblichen Machtzuwachs erfahren. Zur Steuerung des neuen Arbeitsgebiets errichtete er in Berlin das "Stabshauptamt" und unterstellte es dem dama- ligen Brigadeführer Ulrich Greifelt. Dem Reichskommissar wurden auch die volkspolitisch tätigen Organisationen im deutschen Reich unterstellt, vor allem die "Volksdeutsche Mit- telstelle" (VOMI), die dem "Stab des Stellvertreters des Führers" angehört hatte, und der "Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA)", der sich trotz Unterstellung unter die VOMI noch eine gewisse Selbständigkeit als kultureller Betreuer deutscher Menschen mit fremder Staatsangehörigkeit bewahrt hatte. Die Festigung dieses Volkstums war nun nicht mehr gefragt.

Begreiflicherweise waren auch die Gottscheer von der Ankündigung Hitlers tief betroffen. Gerüchte liefen von Dorf zu Dorf, niemand wußte etwas Genaues. Die Führung der Sprachinsel schwieg. Sie handelte nach außen so, als ob es keine Umsiedlung geben würde. Die überraschend vorgenommene und uneingeschränkte Zulassung des Kultur- bundes schien ihr recht zu geben. Die jugoslawische Regierung sprach die Genehmigung mit dem Hinweis aus, man sei in Kärnten den Slowenen entgegengekommen. Innerhalb weniger Wochen entstanden 25 Ortsgruppen des Kulturbundes, auch in Dörfern, in denen noch keine bestanden hatte.

Die Neuzulassung der Kulturbundorganisation gestattete es Willi Lampeter, einen schon länger gehegten Plan zu verwirklichen: Im Herbst 1939 stellte er die "Gottscheer Mann- schaft" auf. Die Kulturbundsatzung wurde zu diesem Zweck dergestalt umgebaut, daß jedes Bundesmitglied zwischen 18 und 50 Jahren der "Mannschaft" automatisch angehör- te. Lampeter trat als "Mannschaftsführer" an ihre Spitze. In den Ortsgruppen hießen die Leiter der Mannschaftsabteilung "Sturmführer". Eine lebhafte kulturelle Tätigkeit kam rasch in Gang. Sie war verbunden mit disziplinären Pflichtübungen nach dem Muster reichsdeutscher Organisationen.

Die zur Schau getragene, fast hektische Geschäftigkeit - bei gleichzeitigem Schweigen über die Umsiedlung - bedeutete jedoch nicht, daß der innere Führungskreis der Volks- gruppe intern der Diskussion über die Frage, umsiedeln oder nicht, auswich. Er war sich durchaus bewußt, daß die Gottscheer nun nicht nur zwischen zwei, sondern zwischen drei Feuern standen. Einmal waren sie immer noch mit dem Vernichtungsfeldzug der Slowe- nen konfrontiert, zum anderen glaubten sie, einen Weg gefunden zu haben, um den Le- bens- und Volkstumskampf auf dem eigenen Boden so lange bestehen zu können, bis, auf die Dauer gesehen, eine gütliche Lösung des Gottschee-Problems erfolgte. Jedoch drittens, just jene politische Macht, die allein imstande gewesen wäre, eine solche zu erzielen, wollte sie irgendwohin verpflanzen. Was konnten die Gottscheer tun, was durf- ten sie tun?

Die jungen Männer an der Spitze, die ja noch keine politische Erfahrung besitzen konn- ten, waren ratlos.

Alle Diskussionen endeten in derselben Sackgasse: Es gab keinen Ausweg, als umzusie- deln. Der Kreis um Lampeter glaubte, wenn die Umsiedlung schon nicht zu umgehen war,

Gedruckt von http://www.gottschee.at 104 daß er dann wenigstens auf deren Zielsetzung würde Einfluß nehmen können. Er be- schloß, die diesbezüglichen Wünsche und Vorstellungen der nächsten, erreichbaren deut- schen Instanz, dem deutschen Konsul in Laibach, vorzutragen. Dies geschah am 6. No- vember 1939, vier Wochen nach der Hitlerrede. Frensing berichtet über das Gespräch und kommentiert es auf Seite 25 seines Buches über die Umsiedlung der Gottscheer wie folgt:

"Im ersten Punkt machten sie schon die entscheidende Konzession. Auch in der Frage der Umsiedlung habe das Interesse der Volksgruppe hinter dem Interesse des gesamten Vol- kes zu stehen. Von dieser Basis aus waren die folgenden Überlegungen der Gottscheer entscheidend relativiert und, zugespitzt formuliert, fast bis zur Belanglosigkeit degradiert. Die Gottscheer gaben sich einer gefährlichen Illusion hin, wenn sie meinten, man müsse sie erst einmal zu dem Problem hören und sie könnten dann in einer konkreten, ge- schichtlichen Situation an den Grundsätzen Hitlerscher Außen-und Umsiedlungspolitik nach ihren Vorstellungen Korrekturen anbringen. Aus dem Blickwinkel nationalsozialisti- schen Denkens mußte es daher als geradezu ketzerhaft empfunden werden, daß die Gottscheer eine vom "Führer" unumstößlich festgelegte Entscheidung als nicht ausrei- chend für eine eventuelle Umsiedlung betrachteten. Die Tatsache, daß die Gottschee in die italienische Interessenssphäre fällt, ist für die Volksgruppenführung kein Argument, das die Absiedlung in genügendem Maße begründen kann. Der Gottscheer Hinweis auf den deutsch-russischen Pakt als Beweis dafür, daß sehr plötzlich ein völliger Umschwung im Verhältnis verschiedener Mächte eintreten kann, entbehrte gewiß nicht der peinlichen Pikanterie."

Frensing fährt weiter unten fort: "Es war der Wille der Gottscheer Führung, bei einem Zerfall des südslawischen Staates, ans Reich "angeschlossen" zu werden. Das hatte sich bereits 1939 während der Märzunruhen unter den Volksdeutschen Sloweniens gezeigt, als diese nach der Okkupation der "Resttschechoslowakei" offen den Anschluß forderten. Ein Mitglied der Gottscheer Führung hatte sogar am 13. April 1939 von Graz aus ein Te- legramm an Hitler mit der Bitte um "Anschluß" geschickt, in dem die Sorge vor einer Ein- verleibung der Gottschee durch Italien, das gerade Albanien angegriffen hatte, anklang."

Die Gottscheer Bauern und Bürger erfuhren auch über diese Laibacher Besprechung nichts. Der politische Innendruck in der Sprachinsel stieg unaufhaltsam. Jedes andere Thema als die möglicherweise unausweichliche Umsiedlung war in den Hintergrund getre- ten. Indessen wuchs aber auch die Zahl der Umsiedlungsgegner.

Die "Stürme" wurden ausgebaut. Die Gendarmerie und slowenische Nationalisten nah- men bei Veranstaltungen der Gottscheer wiederholt eine drohende Haltung ein. In dieser spannungsgeladenen Atmosphäre erschien 1940 ein schmales Bändchen unter dem Titel "Die Wirtschaftsfragen des Gottscheer Bauern" aus der Feder von Willi Lampeter und Martin Sturm. Es wirkte wie ein kleines, tröstliches Versprechen auf die Zukunft, denn es enthielt manchen guten Ratschlag für den Gottscheer Bauernhof.

Nichts erfuhren die Gottscheer, diesmal einschließlich der Führung, über das Spiel hinter den Kulissen in der Reichshauptstadt. Der Chef der Volksdeutschen Mittelstelle, SS- Obergruppenführer Werner Lorenz, hielt beispielsweise in einem Vermerk vom 27. Juni 1940 fest, daß "im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Jugoslawien zwar die Annexion von Teilen der Südsteiermark und Oberkrains an das "Deutsche Reich" vorgesehen war, nicht aber die der Gottschee". Auch Lorenz betrachte- te selbstverständlich das Gottscheerland als zur italienischen Interessenssphäre gehörig und forderte konsequenterweise die Umsiedlung seiner Bewohner (Frensing, S. 26). Er gab damit sicher nicht seinen eigenen Gedankengang wieder. Und noch eines ist in dem Vermerk beachtenswert: Der Obergruppenführer wußte bereits im Juni 1940 von einer militärischen Auseinandersetzung mit Jugoslawien.

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Inzwischen war die "Heim-ins-Reich-Bewegung" proklamiert worden und angelaufen. Über die eigentlichen Hintergründe erfuhren die betroffenen Volksgruppen ebensowenig wie das deutsche Gesamtvolk. Nicht um die europäischen Grenzen neu ordnen zu kön- nen, sondern aus rein macht- und volkspolitischen Erwägungen hatte Hitler am 6. Okto- ber 1939 die Zurücknahme der deutschen "Außenposten" angekündigt. Er und Himmler wollten vielmehr das biologische Defizit, das auf den deutschen Volkskörper zukam, aus- gleichen. Bevölkerungsstatistiker, so vor allem der damalige Präsident des Bayerischen statistischen Landesamtes, Prof. Dr. Friedrich Burgdörfer, hatten bereits in den zwanziger Jahren exakt voraus berechnet, daß das deutsche Volk in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts sichtbar abnehmen würde, weil in der deutschen Bevölkerungspyramide die annähernd zwei Millionen Gefallenen des ersten Weltkriegs sowie ihre ungeborenen Nachkommen fehlen, die beiden mächtigsten Männer des Dritten Reiches kalkulierten auch ein, daß der zweite Weltkrieg weitere schwere Opfer fordern und das Defizit von 1914 bis 1918 beträchtlich erhöhen würde. Andererseits stand auf dem Territorium der früheren Habsburger Monarchie - einschließlich der Sudetendeutschen - ein wertvolles Menschenpotential von rund 10 Millionen zur Verfügung. Die Sudetendeutschen waren 1940 bereits in den Reichsverband eingegliedert, die Balten-Deutschen ebenfalls ins Reich eingeholt, es harrten also noch die Jugoslawien-, Ungarn- und Rumänien- Deutschen, zusammen wiederum etwa 2,5 Millionen, der Umsiedlung ins Reich. Im we- sentlichen handelte es sich bei diesem Diaspora-Deutschtum um die Nachkommenschaft von Siedlern, die in zeitlich weit auseinanderliegenden Kolonisationsphasen in ihren Sied- lungsgebieten angesetzt worden waren, die Siebenbürger (1140 bis 1160) und die Do- nauschwaben in der südungarischen Tiefebene während der Regierungszeit Maria There- sias (1740 bis 1780).

Daß es den Machthabern des Dritten Reichs wirklich auf die Hereinnahme auch dieser südosteuropäischen Volksdeutschen zur Auffüllung des biologischen Defizits ankam, läßt sich mühelos aus ihrem Verhalten beziehungsweise der volkspolitischen Befehlslage in der Umgebung Himmlers herausfiltern: Auf der einen Seite hieß es, man wolle diese Deutschen nicht als Kulturdünger für andere Völker verkommen lassen. Welch ein Wider- spruch zum Machtbewußtsein in der Reichskanzlei zu Berlin! Als ob das "Großdeutsche Reich", das sich auf unabsehbare Zeit als die größte Militärmacht Europas verstand, ir- gendeine andere Regierung hätte fragen müssen, wenn es die Volksdeutschen in ihrem Lande hätte fördern wollen. Und zum anderen: 1939/40 entstand im Stabshauptamt in der Hauptabteilung "Menscheneinsatz" unter der Regie des SS-Obersturmbannführers Dr. Fähndrich eine streng vertrauliche Sammlung aller bis dahin erlassenen Befehle und An- ordnungen zur "Festigung Deutschen Volkstums".

Der Herausgeber schrieb in der Einleitung unter anderem:

1. Die "außerhalb der Interessenssphäre des großdeutschen Reiches" lebenden Deutschen seien "nach Maßgabe der Dringlichkeit und Notwendigkeit" umzusie- deln. Sie würden dadurch "von ihrer Rolle als Kulturdünger fremder Staaten" be- freit. 2. Dieser Ruf des "Führers" bedeute eine "völlige Revolutionierung der früheren deutschen Volkstumspolitik", denn die bisherige "vielfach romantisch gefärbte Schwärmerei, die sich an der Verstreutheit der Deutschen ... begeisterte", sei nach dem Grundsatz umgeformt worden: "Hereinnahme des wertvollen deutschen Blutes zur Stärkung des Reiches selbst." 3. Das "Gefühl der blutlichen Verbundenheit zum deutschen Gesamtvolk", das die Volksdeutschen bewiesen hätten, sichere ihnen "zumindest ein moralisches An- recht auf eine gute Aufnahme im Reich . .. und auf die Bereitstellung einer gesun- den Existenzgrundlage". 4. Trotz des Verlustes der alten Heimat sei das Reich gegenüber dem Volksdeut- schen in "viel größerem Maße .. der gebende Teil".

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Dies verpflichte die "heimgekehrten Deutschen, sich in die Disziplin, die Zucht und die Ordnung des Großdeutschen Reichs organisch einzufügen". Dazu stellte Dr. Fähndrich zwei konkrete Forderungen auf:

"Mit der Hereinnahme einer Volksgruppe in das Reich hört die frühere Volksgrup- penorganisation auf zu bestehen, denn über der Volksgruppe steht das Reich." und

"Die Begriffe des Baltendeutschen, des Wolhynien- und Bessarabien-deutschen usw. müssen vielmehr in kürzester Frist ausgetilgt sein."

Auch die Gottscheer sollten sehr schnell mit dem obigen Konzept des "Reichskommissars für die Festigung Deutschen Volkstums" Bekanntschaft machen. Wie wir aus dem oben zitierten Aktenvermerk des SS-Obergruppenführers Lorenz wissen, trug sich Hitler späte- stens schon in der ersten Hälfte des Jahres 1940 mit dem Gedanken, Jugoslawien militä- risch niederzuringen und aufzuteilen. Der Belgrader Staatsstreich vom 27. März 1941, der eine allgemeine Verheerung im Lande nach sich zog, erschien ihm als eine günstige Gelegenheit zur Ausführung dieses Plans. Am 6. April 1941 rückten die deutschen Trup- pen in das Königreich Jugoslawien ein und schalteten in wenigen Tagen seine nicht sehr schlagkräftige Armee aus. Der deutsche Angriff war für sie völlig überraschend gekom- men. Auch für die Gottscheer! Was sie befürchtet hatten, trat ein: Am 20. April 1941 wurden in Wien die Trümmer des Südslawenstaates "neu geordnet". Mussolini hatte sei- nen Außenminister-Schwiegersohn, Graf Galeazzo Ciano, zu der Konferenz entsandt. Die Italiener erhielten Unterkrain mit der Region Laibach, das Reich behielt Oberkrain als neuen Bestandteil des Gaues Kärnten, sowie die Untersteiermark, die dem Gau Steier- mark angegliedert und von Marburg an der Drau aus verwaltet wurde. Den Kroaten wur- de ein eigener Staat zugestanden und Altserbien selbständig belassen.

Der Verfasser des vorliegenden Buches ist der Ansicht, dass es keineswegs Hittlers Hauptziel war, Jugoslawien aufzuteilen, um es dabei bewenden zu lassen. Gewiß war die Zerschlagung Jugoslawiens die Voraussetzung für die Eroberung Rumäniens, womit er sich den Weg zur Schwarzmeerküste freischlug und die Aufmarschbasis zu Lande gegen die Sowjetunion vervollständigte. Die Eroberung Albaniens und Griechenlands war ein unübersehbares Signal, daß Mussolini den italienischen Anspruch auf das "mare nostrum" zu verwirklichen gedachte. Innerhalb dieses Zwischenspiels der sogenannten großen Poli- tik sieht plötzlich der Verzicht Hitlers auf Südtirol ganz anders aus, erhält selbst das klei- ne Gottscheerland für das deutsch-italienische Verhältnis ein neues Gesicht: Der Diktator in Berlin opferte in seiner kontinentalen Schachpartie zwei Bauern, um von dem Diktator in Rom bei dem großen Zug mit der Dame nicht gestört zu werden. Als der Letztere aber merkte, daß ihn sein Freund jenseits der Alpen überfahren hatte, war es zu spät.

Die Gottscheer aber mußten seit der Zerschlagung Jugoslawiens einen Nervenkrieg oh- negleichen durchstehen. Sie waren tagelang überzeugt, daß die deutsche Wehrmacht das "Ländchen" besetzen würde. Die Dörfer, durch welche die Panzerkolonnen in die Stadt fahren mußten, legten Girlandenschmuck an. Lampeters "Mannschaft" handelte so, als ob die Wehrmacht ihre Tätigkeit als vernünftig und zweckmäßig gutheißen würde. Die jun- gen Männer übernahmen den Sicherheits- und Ordnungsdienst im Siedlungsgebiet. Der noch amtierende Bezirkshauptmann wurde vom "Mannschaftsführer" beauftragt, der Gendarmerie zu befehlen, daß sie ihre Waffen an die "Stürme" abliefere. (Persönliche Mitteilung von Richard Lackner). Außerdem erhielten die Gottscheer die ihnen vorher abgenommenen Waffen, auch die Jagdgewehre, zurück. Am 13. April 1941 übernahm dann Willi Lampeter aus eigener Machtvollkommenheit die Leitung der Bezirkshaupt- mannschaft Gottschee. Auf die bundesdeutsche Verwaltungsebene übertragen, hieß das,

Gedruckt von http://www.gottschee.at 107 er hatte sich selbst zum kommissarischen Landrat ernannt. Sein Amtssitz war das Schloß Auersperg in der Stadt Gottschee.

Die Hoffnung und Erwartung steigerten sich zu fieberhafter Unruhe, als sich der Ein- marsch der Wehrmacht immer weiter verzögerte. Eine Delegation von Gottscheern eilte nach Rudolfswerth, wo die Truppen Hitlers angeblich haltgemacht hatten. Der deutsche Abschnittskommandeur empfing sie freundlich, erklärte aber, er besitze keinen Befehl, die erreichte Linie zu überschreiten. Der Delegation wurde damit klar, daß sie an der Demarkationslinie zwischen den deutschen und italienischen Interessengebieten stand.

Anstelle einer Vorausabteilung der deutschen Wehrmacht traf ausgerechnet am 20. April 1941, dem Konferenztag von Wien, in Gottschee die Mitteilung des "Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums" ein, daß die "Volksgruppe Gottschee" umgesie- delt werde. Drei Tage später bestätigte persönlich einer Abordnung der Sprachinsel, daß er den Gottscheern eine "historische Aufgabe als "Wehr- und Grenzbau- ern" stelle. Lampeter und sein Kreis aber hielten die Mitteilung Himmlers über die Um- siedlung und den Inhalt des Gesprächs mit Hitler vorläufig geheim. Und während der "Führer" in Marburg an der Drau die Delegation aus Gottschee empfing, rückte eine ita- lienische Vorausabteilung in der Stadt ein. Ihre erste Maßnahme war die Absetzung Willi Lampeters als Bezirkshauptmann. Nur zehn Tage hatte er sein Amt ausgeübt. Der Traum der kleinen Volksinsel im Karst von der Selbständigkeit war zum dritten- und letztenmal ausgeträumt.

Das Gottscheer Völkchen erstarrte vor Angst. Die Führung wurde mit Fragen bestürmt. Sie wich mit ablenkenden Erklärungen aus. Nichts verlautete weiter über Marburg, nichts über die eigenen Ansichten, nicht einmal das, was sich jedermann nach dem Einmarsch der Italiener ausrechnen konnte, nämlich die Umsiedlung, wurde bestätigt.

Wann? Wohin?

Die Jugend und politisch Einsichtige fanden sich mit dem voraussehbaren Schicksal ab. Manche der Hausierer der Jahre 1934 bis 1938 dachten an Deutschland als Umsiedlungs- ziel, dachten an "ihre" Städte - vielleicht ließen sie einen nach dem Krieg ein paar Winter hausieren, damit man sich ein neues Zuhause aufbauen konnte?

Nun, nach mehreren Jahrzehnten, ist es leichter als unter dem Druck der Ereignisse des Frühjahrs 1941 zu beurteilen, ob die Führung der Gottscheer verantwortungsbewußt handelte oder nicht. Aus ihrer eigenen Sicht tat sie dies, heutzutage aber ist man ge- neigt, zu sagen, daß sich diese Frage überhaupt nicht stellt, denn sie hätte gar nicht an- ders handeln können, als sie es tat. Eines freilich ist sicher, sie vergriff sich im Ton. Die- ser aber war zeitbedingt. Teile der Bevölkerung hielten sich durch die jungen Leute für gegängelt. Andererseits war der Führungskreis selbst ja noch nicht über alle Details des Wann und Wohin unterrichtet. Unter diesen Umständen kann man es bis zu einem gewis- sen Grade verstehen, daß die Führung nervös wurde. Wenn sie auch keine großen Mas- sen zu leiten hatte, so war es, vor allem menschlich, gewiß keine leichte Aufgabe, die Konkursverwalter eines jahrhundertealten Familienunternehmens sein zu müssen, das ohne direktes, eigenes Verschulden von einem Großkonzern in "Existenznot" gebracht wurde. Aber gerade weil die Führung glaubte, schweigen zu sollen, wurden das Für und Wider der Umsiedlung erst recht immer leidenschaftlicher erörtert. Als dann der Führung bewußt wurde, daß das "Wider" zu überwiegen begann, reagierte sie mit einem grellen Mißton: In der "Gottscheer Zeitung" vom 1. Mai 1941 - es sind, wohlgemerkt, noch keine vier Wochen seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens vergangen - griff sie "die Miesma- cher" mit außerordentlich gefährlich klingenden Drohungen an. Doch nicht nur den eige- nen Landsleuten, sondern auch der italienischen Besatzung gegenüber glaubte der Füh- rungskreis die Selbständigkeit seiner Entschlüsse dokumentieren zu müssen. Am 2. Mai

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1941 erschien der Volksgruppenführer Josef Schober beim italienischen Hohen Kommis- sar Emilio Grazioli in Laibach, überreichte ihm eine Ergebenheitsadresse an Mussolini und trug die Wünsche und Vorschläge der Gottscheer an die faschistische Zivilverwaltung der Provinz Laibach vor. Signor Grazioli sagte zu, alle Fragen einvernehmlich mit der Volks- gruppe zu behandeln. Es sollte sich jedoch sehr bald zeigen, daß der Hohe Kommissar nicht im entferntesten daran dachte, die Volksgruppenführung nach ihrer Meinung zu fragen oder sich vielleicht sogar nach dieser zu richten. Das galt insbesondere für die italienische Auffassung von den Slowenen.

In dem Bestreben, nach allen Seiten unabhängig zu erscheinen, gab sich das Führungs- gremium Schober - Lampeter - Sturm auch in Berlin betont selbstbewußt. Das Stabs- hauptamt hatte es für Mitte Mai zu einer Besprechung "eingeladen". Man wollte in der Reichshauptstadt wissen, ob sich die Volksgruppenführung personell und organisatorisch der Umsiedlungsaufgabe gewachsen fühle. Durch Vorlegen der "Gottscheer Zeitung" vom 8. Mai 1941 - das Blatt erschien zum damaligen Zeitpunkt einmal wöchentlich - bewies sie, daß ein eigener Führungsstab aus eigener Initiative bereits aufgestellt war. Und dort hieß es:

"Der Volksgruppenführer hat angeordnet, folgende Ämter zu bilden:

a. Volksgruppenführung, Amtsleiter der Volksgruppenführer (Josef Schober), b. Der Stab der Mannschaft, Amtsleiter der Mannschaftsführer Willi Lampeter, zugeteilt für die Wirtschaft der Stabsführer Martin Sturm, für das Ernährungswesen Johann Schemitsch. c. Jugendführung, Amtsleiter der Jugendführer Richard Lackner, d. Dienststelle für Organisation und Propaganda, Amtsleiter der Stabsführer Altred Busbach, zugeteilt der Schriftleiter Herbert Erker."

Von der Umsiedlung ist allerdings in dieser Anordnung des Volksgruppenführers noch keine Rede. Aus der Sicht des Dreier-Gremiums war die Berliner Reise ein voller Erfolg, hatte doch das "Stabshauptamt" seinen Vorschlag, die Umsiedlung möglichst bald durch- zuführen, und die Gottscheer wieder geschlossen anzusiedeln, gutgeheißen. Keine Be- denken bestanden außerdem gegen die Absicht, die Umsiedlungswilligen nach Mischehen mit Slowenen und Besitzlosen bzw. Bauernunfähigen und Kleinstbesitzern (später auch nach "politisch Unzuverlässigen") einzuteilen und bei der Ansiedlung anders zu behandeln als das große Ganze. Greifelt war auch damit einverstanden, daß die Volksgruppenfüh- rung die Umsiedlung allein durchführte. Die Volksgruppenleitung durfte sich somit legiti- miert fühlen, den Auszug der Gottscheer nach ihrem Ermessen vorzubereiten und in die Wege zu leiten. Das tat sie denn auch. Und jetzt erst, da sie in ihren Augen die ganze Handlungsfreiheit besaß, bestätigte sie in vollem Umfang das über die Gottscheer herein- gebrochene Unglück. In der Ausgabe Nr. 21 der "Gottscheer Zeitung" vom 22. Juni 1941 erschien der folgende, von Schober und Lampeter unterzeichnete Aufruf an alle Gott- scheer:

"Gottscheer Volksgenossen und Volksgenossinnen! Der Führer ruft uns heim ins Reich Erwartet in eiserner Disziplin seinen Befehl! Zeigt durch Arbeit und Fleiß noch in letzter Stunde, daß Ihr würdig seid. Deutsche Adolf Hitlers zu sein! Die Arbeit des Jahres 1941 in der alten Heimat soll aller Welt beweisen, daß wir, wie durch 600 Jahre, auch im letzten Jahr unserer Volksdeutschen Prüfungszeit den Karst bewohnen und ihm unser karges Brot abringen konnten. Bietet unserem ita- lienischen Bundesgenossen ein einmaliges Bild deutscher Manneszucht als Aus- druck unserer unerschütterlichen Treue zur ehernen Politik der Achse!"

Wenn noch eine Steigerung der Gefühle möglich war, so trat sie nun, da die Umsiedlung nicht mehr aufzuhalten war, ein: Bestürzung und Verzweiflung, Verbitterung und Enttäu- schung gingen durch die Gemüter der älteren Gottscheer. Begreiflicherweise wagten nur

Gedruckt von http://www.gottschee.at 109 wenige, ihren wirklichen Empfindungen offen Ausdruck zu geben. Nun lauerte die Gewiß- heit vor der Haustüre, daß hinter dem Vorhang aus flammenden Worten der Abschied ohne Wiederkehr stand.

Während die junge Generation überwiegend die Umsiedlung als einen Hilter-Befehl, der auszuführen war, widerspruchslos hinnahm, verfestigte sich der Widerstandswille eines Teils der älteren Jahrgänge im Laufe des Sommers 1941 bis zur offenen Ablehnung. Auch der Klerus - es amtierten nur noch sechs Geistliche - war sich nicht einig. Die Geistlichen Räte Josef Eppich in Mitterdorf und August Schauer in Nesseltal und ihre Amtskollegen Josef Kraker in Rieg und Josef Gliebe in Göttenitz standen gegen die Umsiedlung. Hein- rich Wittine in Morobitz trat dafür ein und Alois Krisch in Altlag wollte sich für das Gehen oder Bleiben erst entscheiden, wenn seine Gemeinde sich entschieden hatte. Zum Wort- führer der offenen Opposition im Hinterland machte sich Pfarrer Kraker.

Immer noch wußte die Bevölkerung des "Ländchens" nicht, wohin man sie umsiedeln wollte. Obwohl sie damit jeglicher Spekulation Tür und Tor offen ließ, sah die Volksgrup- penführung davon ab, das neue Siedlungsgebiet näher zu bezeichnen. Hingegen ging sie mit aller Intensität daran, die personellen Voraussetzungen für eine geordnete Umsied- lung zu schaffen. Als organisatorisches Gerüst bot sich die "Mannschaft" an. Um ihre Be- lastbarkeit zu überprüfen bzw. notfalls zu stärken, faßte Lampeter die 25 Sturmführer zu einem Schulungslager zusammen. Das "Stabshauptamt" sah indessen, nachdem die Wür- fel gefallen waren, die politische Betätigung der Gottscheer nicht gerne. Es kannte die Empfindlichkeit der Italiener in diesen Dingen von Südtirol her. Daher strich es den Po- sten "Schulung und Propaganda" in dem eingereichten Etat der Volksgruppenführung auf ein Viertel zusammen. Das hinderte jedoch den tatsächlichen Volksgruppenführer, Willi Lampeter, nicht, das Lager durchzuführen. Dabei machte er unter anderem den Teilneh- mern klar, daß die Umsiedlungsgegner spätestens bis zu dem Augenblick, da der einzelne Gottscheer und die einzelne Gottscheerin vor der endgültigen Entscheidung über Bleiben oder Gehen stand, mundtot gemacht sein mußten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde jedes Mittel gutgeheißen, auch psychologischer Druck. Insbesondere war es nach Lampe- ters Meinung unerläßlich, die Gottscheer aus den bisherigen geistigen und seelischen Bindungen zu lösen. Dazu zählte vor allem das vielfach verflochtene Band der Zusam- mengehörigkeit mit den Amerika-Gottscheern, die daraus entstandene Abhängigkeit vom Dollar, die Sendung von modisch abgestempelter Kleidung, die nicht nach Gottschee paß- te, das Auftrumpfen mit Photos über die Lebensverhältnisse in den USA - alles an sich keine aktuellen Einflüsse von Bedeutung.

Wesentlich schwerer wog ein anderer, erst nachträglich begreifbarer Vorstoß in den un- terschwelligen seelischen Bereich des Gottscheers: Allem Gerede, auch prominenter Au- toren, über die "negative Auslese" der Gottscheer infolge der Massenauswanderung zum Trotz, hing der Rest des Völkchens im Karst an seiner Heimat. So gesehen war es eine positive Auslese. Und diese seelische Bindung an Heimat und Tradition sollte nun durch ein fanatisches Bekenntnis zum Reich verdrängt werden. Lampeter eröffnete in der Aus- gabe Nr. 25 der "Gottscheer Zeitung" vom 17. Juli 1941 dazu eine Propagandawelle und stellte zunächst fest, von verschiedenen Seiten werde "Stimmung gegen die Umsiedlung" gemacht. Dabei werde eine übergroße Heimatliebe vorgetäuscht. Noch weiter geht das Blatt an einer anderen Stelle: "Das Entscheidende, das die Gottscheer sechs Jahrhunder- te deutsch bleiben ließ, war nicht eine nun plötzlich aufgegangene Liebe zur Heimat, die ja nie eigentlich Heimat war, sondern eben das Bewußtsein, Vorposten zu sein, das Be- wußtsein, verantwortlich zu sein für etwas ganz Großes, Einmaliges, für das lebendige Deutschtum auf Erden, das Reich."

Das war die völlige Umkehrung des Heimatgedankens. Heimatliebe und Heimatbewußt- sein hatte es also bei den Gottscheern in allen 600 Jahren ihrer Geschichte nie gegeben. Sie waren "Vorposten", aber nicht sprachlich im Sinne von Professor Kranzmayer, son-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 110 dern politisch. Daß die Rolle, die man dem Gottscheerland auf diese Weise zudiktierte, mit den geschichtlichen Tatsachen nicht in Einklang zu bringen war, wurde wunschgemäß übersehen. Nicht "Das Reich" hat im 14. Jahrhundert die spätere Sprachinsel Gottschee gegründet, sondern das Kärntner Grafengeschlecht von Ortenburg als wirtschaftlich zweckbestimmtes Siedlungsunternehmen. Die Stelle, "... das Bewußtsein, Vorposten zu sein", ist sehr schnell ihres propagandistischen Aufputzes entkleidet, wenn man ihr nüch- tern die unbestreitbare Tatsache entgegenhält, daß die Gottscheer nicht einmal die Erin- nerung an das Herkunftsgebiet ihrer Ahnen bewahrt hatten. Sie wurde erst im 19. Jahr- hundert neu erweckt. Den Verfassern des bewußten Artikels ist auch nicht der Wi- despruch in sich im Zusammenhang mit dem "Vorposten-Bewußtsein" aufgegangen: Hät- te es ein solches tatsächlich gegeben, dann hätte es erst recht der Heimatliebe, der Bo- denverbundenheit und des Gottvertrauens bedurft, um unter den schwierigen Lebensbe- dingungen so lange auszuharren, denn 600 Jahre sind immerhin fast ein Drittel des Zeit- raumes, der seit Christi Geburt verstrichen ist.

Bis hierher kann man noch den Eindruck haben, daß die Propagandisten aus eigenem Antrieb gegen die Heimatliebe anstürmten, und man möchte ihnen beinahe zugestehen, daß sie dies taten, um ihren Landsleuten den Abschied zu erleichtern. Aber so weit dach- ten sie wohl kaum. Erinnern wir uns vielmehr an die Dokumentation "Der Menschenein- satz" des SS-Obersturmbannführers Dr. Fähndrich im "Stabshauptamt" zu Berlin und des Besuchs der Volksgruppenführung Schober-Lampeter-Sturm in dieser Führungsstelle des "Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums" Mitte Mai 1941. Ohne jeden Zweifel empfingen sie damals die geheime Anweisung, im geeigneten Augenblick mit der Sentimentalität des Heimatgedankens und der Bodenverwurzelung aufzuräumen. Die drei Männer befanden sich, soll man ihre völlige Abwendung vom "Aufbau-Plan" Volker Dicks begreifen, in einer Art Befehlsnotstand. Mit der Zerstörung des Heimatgefühls sollte auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Gottscheer untereinander zerfallen, womit auch die Zusage des Stabshauptamtes, daß die Gottscheer wieder geschlossen angesiedelt würden, automatisch entfiel.

Die gequälten Bewohner des "Ländchens" hörten in Versammlungen und lasen in ihrer Zeitung nur noch Variationen über das Thema "Ein Volk, ein Reich, ein Führer!"

Irgendwann im Sommer 1941 wurde Willi Lampeter zum SS-Sturmbannführer ernannt.

Die Gottscheerinnen waren, obwohl sie sich lebhaft an der Kulturarbeit beteiligten, letz- ten Endes doch wieder dazu verurteilt, das zu tun, was die Männer über ihr und ihrer Kinder Schicksal beschlossen hatten. Mehr noch als die Männer bedrückte sie die Unge- wißheit, wohin die Umsiedlung gehen sollte. Darüber herrschte Anfang Juli 1941 noch Unklarheit. Aber selbst, wenn sich die Volksgruppenführung entschlossen hätte, das Siedlungsgebiet bekanntzugeben, hätte sie nicht verhindern können, daß die Erläuterung dazu von einer anderen Seite kam. In der ersten Juli-Hälfte tauchte in der Sprachinsel ein deutsch abgefaßtes Flugblatt der kommunistischen Partei Jugoslawiens auf. Sein we- sentlicher Inhalt:

"Die nationalsozialistischen Führer und ihre Gottscheer Führerlein wollen ... Euch auf der Erde und auf den Höfen ansiedeln, die die nationalsozialistischen Führer dem slowenischen Bauer und Arbeiter gestohlen und sie ohne Hab und Gut in die Fremde verjagt haben. Die ganze Umsiedlung ist ein Verbrechen gegen das Gott- scheer Volk! Mit Recht werden Euch die Einheimischen als aufgedrängte Herge- wanderte betrachten, als die Verbündeten der faschistischen Räuber, als Diebe des fremden Bodens und der Früchte fremder Arbeit. Sie werden Euch die Häuser, in denen Ihr Euch ansiedeln werdet, anzünden, auf jeden Schritt werden Sie Euch erschlagen und stets werden sie Euch verfolgen …"

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Ein neuer Höhepunkt der Panik war die Folge dieser unerbetenen "Information". Die Volksgruppenführung hatte dem propagandistischen Frontalangriff der slowenischen Un- tergrundkämpfer keine durchschlagenden Argumente entgegenzusetzen. Sie mußte sich notgedrungen auf starke Worte beschränken, die der verstörten Bevölkerung nicht dar- über hinweghalfen, daß sie das Reich in einer Gegend anzusiedeln gedachte, aus der man Slowenen vertrieben hatte.

Zwei Gottscheer Persönlichkeiten traten in der verworrenen Zeitspanne bis zum immer noch unbekannten Umsiedlungstermin in den Vordergrund, Oberlehrer i. R. Josef Perz in Lienfeld bei Gottschee und Studienrat Peter Jonke in Klagenfurt. In einer Reihe mit den geistlichen Gegnern der Umsiedlung stehend, riet Perz seiner Umgebung, zu bleiben. Er selbst konnte sich ebenfalls nicht zum Fortgehen entschließen, weil er glaubte, auch die letzte Konsequenz aus seinem, dem Gottscheer Volkstum geweihten Leben ziehen zu müssen. Er war ein Mann, auf den das Volk hörte. Sein Wirken für die Sprachinsel hatte 1885 an der eben gegründeten Volksschule in Lichtenbach begonnen. Er wurde Mitarbei- ter von Professor Hauffen, Wilhelm Tschinkel war sein Freund. Jahrzehnte seines Lebens widmete er dem Volkslied, den Sagen und Märchen und dem Brauchtum. Wie Tschinkel stand er 1920 vor der Entscheidung, für Österreich zu optieren oder sich vorzeitig pen- sionieren zu lassen. Damals blieb er. Wilhelm Tschinkel aber war noch zu jung, um sei- nen Beruf aufzugeben.

Peter Jonke aus Obermösel war der letzte gebürtige Gottscheer Lehrer am Gymnasium in der Stadt. Er wurde fristlos entlassen, optierte für die Republik Österreich und übersie- delte nach Klagenfurt. Dort fand er an einem Gymnasium eine neue Lehrstelle, so daß er für seine Familie und sich selbst ein neues Zuhause aufbauen konnte. In seinem privaten Denken und Fühlen aber blieb Gottschee im Mittelpunkt. In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen warb er für und um sein Heimatland. Er hat in schwierige historische Fragen hineingeleuchtet, altes Brauchtum ausgegraben und nach dem Zweiten Weltkrieg maß- geblich am Zusammenschluß der Gottscheer in Kärnten mitgewirkt. Auch Peter Jonke setzte sich für das Bleiben seiner Landsleute in der alten Heimat ein, aber er sah in der Sprachinsel mehr einen kulturellen als einen politischen Faktor.

Im Juli 1941 wurde der Umsiedlungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Italien ausgehandelt. Er trug die Überschrift: "Vereinbarungen zwischen der deutschen Reichs- regierung und der italienischen Regierung vom 31. August 1941 über die Umsiedlung der deutschen Staatsangehörigen und Volksdeutschen aus der Provinz Laibach." Den Gott- scheern kam er erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch ein Londoner Archiv zur Kennt- nis. Leiter der deutschen Verhandlungsdelegation war nicht etwa ein Diplomat, sondern der inzwischen zum SS-Obergruppenführer beförderte Chef des "Stabshauptamtes", Ul- rich Greifelt. Die Vereinbarungen sahen unter anderem vor, die Umsiedler für das zu- rückgelassene Vermögen zu entschädigen.

Zur organisatorischen Spitze der Umsiedlung aus der Provinz Laibach ernannte Himmler einen "deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten" (DUB) mit dem Sitz in Laibach. Er hieß Dr. Heinrich Wollert. Die italienische Dienststelle leitete derselbe "Hohe Kommissar" Emili Grazioli, den wir bereits erwähnten.

Trotz der strengen Geheimhaltung sickerte schließlich gerüchteweise durch, wo das neue Siedlungsgebiet liegen sollte. Daß es sich um eine slowenisch besiedelte Landschaft han- deln würde, war dem kommunistischen Flugblatt zu entnehmen gewesen. Die Gerüchte verdichteten sich um das "Ranner Dreieck", das diesem und jenem Gottscheer persönlich bekannt war. Für einen tüchtigen Marschierer lag es eine Tagesreise in nordöstlicher Richtung vom Gottscheerland entfernt, 35 bis 40 km, im südöstlichen Zipfel der Unter- steiermark. Es erstreckte sich zwischen dem Bergzug Orlica und den kroatischen Usko- kenteilen. Klimatisch liegt es so günstig, daß Wein angebaut wird. Dr. Wollert schilderte

Gedruckt von http://www.gottschee.at 112 das Gebiet aus einem noch zu behandelnden Anlaß in der Ausgabe Nr. 47 der "Gott- scheer Zeitung" vom 17. November 1941 folgendermaßen:

"Wie sieht das neue Ansiedlungsgebiet der Gottscheer Volksgruppe aus?" Durch Befehl des Reichsführers SS ... ist auf Vorschlag des Gauleiters ... der Steiermark das sogenannte Ranner Dreieck, ein Streifen an der unteren Save, der Gurk und des Sattelbachs, für die Ansiedlung bestimmt worden. Es ist ein zusammenhän- gendes, in sich geschlossenes Siedlungsgebiet, das durch ein fruchtbares Flußtal gebildet wird. Berge und Hügel, auf denen der Weinbau betrieben wird, umgeben dieses Gebiet und schützen es vor kalten Witterungseinflüssen. Der Mittelpunkt dieses Gebiets ist die Stadt Rann (Brezice)..."

Die Gegner der Umsiedlung verbreiteten warnend die beklemmende Nachricht, die Gott- scheer würden also ein neues Siedlungsgebiet erhalten, aus dem man die Slowenen mit Gewalt vertrieben hatte. Aber auch jene Gottscheer, die sich innerlich bereits mit dem Abschied von der alten Heimat abgefunden hatten, litten unter einem Alptraum bei der Vorstellung, daß sie auf die Höfe ziehen sollten, die man anderen weggenommen hatte.

Daß es nun ernst wurde, bemerkten die Bewohner des "Ländchens" an den Vorbereitun- gen zur Einrichtung von Umsiedlungsdienststellen in der Stadt. Nun konnten sie sich auch ausrechnen, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis sie den Marsch in die Ungewisse Zukunft anzutreten hatten. Der DUB ging an den Aufbau seiner Nebenstelle, ebenso die DUT (Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft), die mit der Erfassung und Über- nahme des Umsiedlungsvermögens beauftragt war. In Marburg an der Drau entstand eine Dienststelle des Gauleiters der Steiermark in seiner Eigenschaft als Gaubeauftragter des Reichskommissars. Sie hatte den Auftrag, die Slowenen aus dem Ranner-Dreieck auszusiedeln und die Gottscheer - auch andere Volksdeutsche - in ihre Besitze einzuwei- sen. Im Einzelnen geschah dies durch Angestellte der DAG (Deutsche Ansiedlungs- Gesellschaft), die in die Marburger Dienststelle des Gauleiters eingebaut war. In Gott- schee-Stadt fuhr eines Tages der "Sonderzug Heinrich" der EWZ (Einwanderungs- Zentrale) ein, eine ausgeklügelte fahrbare Dienststelle zur "Durchschleusung" der Um- siedler und Erfassung nach den verschiedensten Gesichtspunkten. Der Sonderzug mit dem sinnigen Namen "Heinrich" tauchte überall da auf, wo Volksdeutsche ihre Heimat räumten.

Indessen traten bedeutende Schwierigkeiten bei der Aussiedlung der Slowenen aus dem Ranner-Dreieck auf. Die diesbezüglichen Besprechungen hatten bereits im Mai 1941 be- gonnen. Die Aussiedlung sollte in drei Wellen vor sich gehen. Die beiden ersten hatten mit der Ansiedlung der Gottscheer nichts zu tun. - Der eben erst gegründete kroatische Staat hatte sich der deutschen Reichsregierung gegenüber bereit erklärt, die ausgesie- delten Slowenen zu übernehmen, unter der Bedingung, daß die kroatische Regierung jene Serben, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in Kroatien angesiedelt hatten, nach Restserbien ausweist. Am 18. Mai 1941 gab Hitler seine Zustimmung zu diesem Plan. Er konnte jedoch nicht in Angriff genommen werden, weil die Partisanen in der italienisch besetzten Provinz Laibach, in der Untersteiermark und in Kroatien ihre Kampftätigkeit aufnahmen. Darauf war man auf deutscher Seite nicht gefaßt. Himmler stoppte sofort die Slowenenaussiedlung. Die Kroaten aber zogen ihr Angebot zu deren Übernahme zurück. Der steirische Gauleiter Uiberreither ließ andererseits erkennen, daß er nicht nur gegen die Aussiedlung der Slowenen, sondern auch gegen die Ansiedlung der Gottscheer auf ihrem Territorium sei, ohne freilich eine andere, gerechtere Lösung anbieten zu können. Das "Stabshauptamt" überspielte ihn mit dem Vorschlag, die auszusiedelnden Slowenen in das Altreich zu verbringen. Damit war das außenpolitische Problem gelöst und man behielt das Heft in der Hand.

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Am 10. Oktober 1941 - einundzwanzig Jahre zuvor hatte die Volksabstimmung in Kärnten stattgefunden - beendete Heinrich Himmler ein endloses Hin und Her zwischen dem "Stabshauptamt" und der Gauleitung in Graz mit dem kategorischen Befehl, die Gott- scheer seien unverzüglich umzusiedeln.

Den Bewohnern des Gottscheerlandes blieb nichts erspart. Gauleiter Uiberreither hatte während des Gerangels mit dem "Stabshauptamt" die Aussiedlung der Slowenen absicht- lich verzögert. Wohin nun mit den Gottscheern? Der Befehl Himmlers war nicht einfach wegzuwischen. Die Lage am 10. Oktober: Es stand nicht annähernd genug Platz zur Ver- fügung, um die Gottscheer von Hof zu Hof umzusiedeln. Der Winter stand vor der Tür. Die Zeitnot schien jedes geordnete Umsiedeln unmöglich zu machen. Trotz der zu erwar- tenden menschlichen und organisatorischen Schwierigkeiten setzte das "Stabshauptamt" die Räumung des "Ländchens" in Gang und beschleunigte gleichzeitig die Aussiedlung der Slowenen. Mit der Koordinierung beider Wanderungsbewegungen beauftragte Stabs- hauptamt-Chef Ulrich Greifelt den SS-Oberführer Hintze. Ab 8. November 1941 hieß der Hintzsche Auftrag allerdings "Gleichschaltung".

Der letzte Hoffnungsschimmer versank. Als Optionsfrist der Gottscheer für das Deutsche Reich wurde die Zeit vom 20. Oktober bis zum 20. November 1941 festgesetzt. Keiner konnte sich der Entscheidung, zu bleiben oder zu gehen, entziehen. Die Auseinanderset- zungen der Gottscheer untereinander wurden mit ähnlicher Verbissenheit wie im Jahre 1907 geführt. Diesmal galt es aber nicht, einen Abgeordneten zu wählen, und dann blieb alles wie es war. Der jetzt zu treffende Entschluß war auch nicht vergleichbar mit jenem zur Auswanderung nach Österreich oder in die USA. Der Auswanderer früherer Zeiten entschied sich frei und nur für sich selbst. Er konnte auch bleiben, wenn er die Existenz- sorgen auf sich nahm. So lange Gottscheer bis zu diesem Zeitpunkt ihre Heimat verlas- sen hatten, blieb diese bestehen.

Nun entscheide dich, Gottscheer!

Wie du dich auch entscheidest, immer bist du gegen dein "Lantle"!

Um auch den letzten Landsmann in seiner Gewissensnot zu bezwingen, griff die Volks- gruppenführung zu dem wirksamsten Mittel politischer Propaganda neueren Stils, dem Massenaufmarsch. Unter dem Titel "Der letzte Appell!" marschierten am 19. Oktober 1941 rund 900 Mannschaftsangehörige und mehr als 1000 Jungen und Mädel vor der Volksgruppenführung und dem deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten, Dr. Heinrich Wollert, auf, ein in der Sprachinsel noch nie gesehenes Bild - eine andere, makabere Sechshundertjahr-Schlußfeier.

Mit schicksalhafter Pünktlichkeit begann am 20. Oktober 1941 die Option der Gottscheer für Deutschland.

Das Stabshauptamt erhielt noch vor dem Beginn der "Durchschleusung" Meldung über Unstimmigkeiten in der Volksgruppe. Es forderte beim DUB in Laibach einen Tatsachen- bericht an. Insbesondere ging es um die Person Dr. Arkos. Die Volksgruppenführung hat- te offenbar nach Berlin mitgeteilt, er betätige sich als Gegner der Umsiedlung und ge- denke seinerseits nicht umzusiedeln. Von anderer Seite war das Gegenteil zu hören, Dr. Arko gemahne nicht wenige seiner Landsleute an ihre Pflicht gegenüber Deutschland. Der jungen Volksgruppenführung warf er allerdings in einer Denkschrift an den Chef des EWZ-Sonderzuges im November 1941 vor, sie habe die Propaganda für die Umsiedlung zu wenig "seelisch" betrieben. Gemeint hatte er damit wohl die harte, allzu harte Spra- che, mit der sie ihren Landsleuten die alte Heimat verleiden wollte. Mit dem Ausdruck "zu wenig seelisch" wollte der verbitterte Volkstumspolitiker offensichtlich den Mangel an Behutsamkeit des Herzens anprangern. Dr. Hans Arko ist übrigens umgesiedelt, ließ sich

Gedruckt von http://www.gottschee.at 114 in Rann/Sawe und nach der Vertreibung in Völkermarkt als Rechtsanwalt nieder und starb 1953 in Klagenfurt.

Die Option schien klaglos abzulaufen. Geduldig, doch nicht ohne eine gewisse Neugier, ließen die Optanten die bürokratische Prozedur der "Durchschleusung" über sich ergehen. Außer den ehemaligen Hausierern der Winter von 1934 bis 1938 hatte ja kaum jemand aus der bäuerlichen Bevölkerung vor einer deutschen Behörde gestanden. Das sehr prä- zise, aber freundliche Fragen der Beamten und Beamtinnen war ihnen nicht unange- nehm. Das schien ihnen gut deutsch zu sein.

Voraussetzung für alles weitere war der Optionsantrag. Der "Sturmführer" hatte das lee- re Antragsformular ins Haus gebracht, ausgefüllt wieder abgeholt, vom italienischen Bür- germeister bestätigen lassen, dann dem Gebietsbevollmächtigten des DUB übergeben. Die gemeinsam mit der DUT erstellten Listen der Optionswilligen wurden anschließend an den EWZ-Sonderzug weitergereicht. Das Personal des Sonderzuges begab sich übrigens zweimal in abgelegene Gegenden, um bei der schlechten Witterung den Umsiedlungswil- ligen den Weg in die Stadt zu ersparen.

Die Antragsteller wurden nach ihren persönlichen Daten, dem Wohnort, der Gemeinde, der Bezirkshauptmannschaft, ja sogar nach ihrer persönlichen Einstellung zur Volksgrup- pe befragt. Anschließend wurden sie photographiert, ärztlich untersucht, geröntgt, "ras- sisch" beurteilt, zugelassen und in das Deutsche Reich eingebürgert. Die Einbürgerungs- urkunde könne allerdings, so hieß es, erst im "neuen Siedlungsgebiet" ausgehändigt werden. Auf diese Weise sollte verhindert werden, daß sich einzelne Eingebürgerte mit diesem Dokument in der Hand einfach ins Reich absetzten.

Anschließend wurde für den Ansiedlungsstab in Marburg a. d. Drau eine ausführliche Ar- beitsunterlage erstellt. Sie diente der Einsatzplanung in der Untersteiermark hinsichtlich Beruf und Besitz des Umsiedlers, der eine Transportnummer zugewiesen erhielt, um die Stürme, Ortschaften und Herde auseinanderhalten zu können. Der Umsiedler hatte au- ßerdem eine "Vermögenserklärung" abzugeben. Kommissionen überprüften an Ort und Stelle den Stand und taxierten den Wert des einzelnen Besitztums. Unter den zahlreichen Papieren, die den Gottscheer aus seinem "Ländchen" hinausbegleiteten, befanden sich zwei von geradezu erregender Gleichnishaftigkeit: der Umsiedlerausweis und eine Erklä- rung, daß er all seinen Besitz - Haus, Hof, Grund und Boden und Wald - an die "Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft" übergeben habe.

Natürlich war der Umsiedlerausweis eine administrative Notwendigkeit, denn sein Inha- ber stand ja im staatsbürgerrechtlichen Niemandsland. Die österreichisch-ungarische Staatsbürgerschaft hatte er verloren oder nicht erlebt, die italienische gab man ihm nicht, die jugoslawische besaß er nicht mehr und die deutsche war ihm lediglich verspro- chen, nachweisen konnte er sie im Ernstfall noch nicht. Bis er sie endgültig erhielt, durch- litt er die schier endlose seelische Not über den Verlust jenes Fleckchens Erde, worauf der Mensch ohne Ausweis gestellt wird, der Heimat.

Gewiß wurde im deutsch-italienischen Umsiedlungsvertrag den Gottscheern zugesichert, daß sie für die zurückgelassenen Vermögenswerte entschädigt würden und sie glaubten daran, wenn sie ihre Vermögenserklärungen ablieferten. Ebenso gewiß darf man ihnen jedoch keinen Vorwurf machen, daß sie bei diesem Vorgang nicht an historische Zusam- menhänge dachten, etwa zwischen dem Handschlag, mit dem ihre Ahnen Urwaldboden aus der Hand ihres Grundherrn übernahmen und dem Handschlag, mit dem der Beamte des deutschen Reiches den schriftlichen Verzicht auf die Heimat entgegennahm. - Wir Menschen des 20. Jahrhunderts denken kaum noch in Symbolen und Sinnbildern. Das entbindet jedoch den Historiker nicht, solche aufzuzeigen, wenn bei Völkern oder Stäm- men und gewachsenen menschlichen Gemeinschaften sich ihr Ende ankündigt. Hier ist

Gedruckt von http://www.gottschee.at 115 ein solches Ende. Mit jeder Unterschrift eines Gottscheer Bauern versank ein winziger Teil des Gottscheerlandes für immer in der Geschichte, wurde eine Tür, zu der es weder Schlüssel noch Klinke gab, zugeschlagen.

Im Sonderzug "Heinrich" funktionierte die "Durchschleusung" also klaglos, nicht jedoch draußen in den Dörfern. Dr. Günther Stier, der zuständige Abteilungsleiter im "Stabs- hauptamt", ahnte, daß die Option nicht wie vorgesehen verlief, obwohl ihn ein Zwischen- bericht Lampeters hätte beruhigen können. Erst wenige Tage vor dem Ende der Options- frist berichtete ihm die EWZ das bis dahin vorliegende, katastrophale Ergebnis: Nament- lich in der östlichen und westlichen Randzone hatte sich die Gegenpropaganda ausge- wirkt. Sie ging vor allem von den Gottscheerinnen und Gottscheern aus, die mit Slowe- nen verheiratet waren und lief darauf hinaus, den Umsiedlungswilligen Angst um ihr Le- ben, wie um ihr Hab und Gut einzujagen. Bis zu 25% der Optionsberechtigten waren nicht vor der EWZ erschienen. Ähnlich enttäuschende Prozentzahlen mußten jedoch auch in den zentraler gelegenen "Stürmen" verzeichnet werden. In Rieg und Umgebung (Pfar- rer Josef Kraker) und Mitterdorf (Pfarrer Josef Eppich) waren ebenfalls ein Viertel der Bevölkerung nicht zur Registrierung erschienen. Selbst der Sturm Nesseltal wies noch ein Minus von 12% auf obwohl Pfarrer August Schauer bereits am 1. Juli 1941 gestorben war. Daß in Lienfeld die Verweigerung der Option ebenfalls bei 20% lag, war zweifelsfrei auf die Einstellung des Oberlehrers i. R. Josef Perz zur Umsiedlung zurückzuführen. Da aber die "Stürme" Gottschee/Stadt, Mitterdorf, Rieg und Nesseltal die volkreichsten des gesamten Siedlungsgebiets waren, handelte es sich bei den Unentschlossenen um mehr als ein Viertel der Bevölkerung des Siedlungsgebiets.

In Berlin rechnete man sich die Folgen aus, wenn es nicht gelang, im Verlauf der verblie- benen Tage der Optionsfrist eine Korrektur nahe an 100% herbeizuführen. Sonst geriet die Reichsregierung in Vertragsverzug gegenüber den Italienern. Der Feindpropaganda aber lieferte man das nur schlecht widerlegbare Argument, daß das Reich trotz aller Wehrmachtssiege die Anziehungskraft für die Volksdeutschen eingebüßt habe.

Etwa zum gleichen Zeitpunkt, als dem "Stabshauptamt", dem DUB und der Volksgrup- penführung der Ernst der Lage bewußt geworden war, verließ am 14. November 1941 der erste Umsiedlertransport den Bahnhof in Gottschee/Stadt.

Der DUB erhielt aus Berlin den dringenden Befehl, das Problem der Umsiedlungs- Unwilligen auf schnellstem Wege zu lösen. Dr. Wollert veröffentlichte daraufhin am 17. November, also ganze drei Tage vor Ablauf der Optionsfrist, eine Sondernummer der "Gottscheer Zeitung" mit einer "Aufklärung", die in fliegender Hast über das "Ländchen" gestreut wurde. In dem Hauptartikel wurden Versprechungen abgegeben, die nie gehal- ten werden konnten, und Behauptungen aufgestellt, die einfach nicht stimmten. So hieß es da unter anderem:

"Was erwartet Euch in der neuen Heimat? Dies ist nun die Frage all derer, die ihre Freunde und Verwandten abfahren sehen, ohne selbst schon mitreisen zu können.

Grundsatz jeder Umsiedlung ist: Der Umsiedler erhält für seinen zurückgelassenen Besitz im Umsiedlungsgebiet einen Besitz von gleichem Wert. Das bedeutet, daß ein Gottscheer Bauer, der hier einen Hof hinterläßt, auf dem er gut und auskömm- lich leben konnte, im neuen Umsiedlungsgebiet einen Hof bekommen wird, auf dem er sein gutes Auskommen findet. Es bedeutet aber auch, daß ein Bauer, der hier durch die Ungunst der Verhältnisse gezwungen war, auf einem Hofe zu leben, der für ihn und seine Familie keine auskömmlichen Lebensgrundlagen bot, diese im neuen Siedlungsgebiet finden wird. Ziel der Umsiedlung ist, gesundes Bauern- tum auch auf auskömmlicher Ackergrundlage zu schaffen. Wer fähig ist, einen

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Bauernhof zu bewirtschaften, wird also die Möglichkeit haben, sich den Hof zu schaffen, der ihm und seiner Familie bessere Lebensbedingungen ermöglicht."

Der oder die Verfasser dieser "Aufklärung" hatten anscheinend noch während der Nieder- schrift dann doch Bedenken gegen das Zuviel an Versprechungen und schränkten sie gleich wieder folgendermaßen ein:

"Die Auswahl der neuen Höfe erfordert sorgfältigste Vorbereitung. Hierbei wird von den Ansiedlungsstäben angestrebt, auch weitgehendst die besonderen Wün- sche der Umsiedler zu berücksichtigen. Bei der Bedeutung dieser Aufgaben, deren Auswirkung sich auf Jahrzehnte und Jahrhunderte erstrecken wird, ist es nicht möglich, dem Umsiedler die fertige Lösung bereits bei seiner Ankunft vorzulegen. Es wird also zunächst nicht immer möglich sein, den Umsiedler sofort bei seiner Ankunft auf dem Besitz unterzubringen, der seinen Fähigkeiten und seinem hinter- lassenen Vermögen entspricht. Andererseits ist im Interesse der Umsiedler, wie auch zur Vermeidung von Arbeitskraft- und Zeitvergeudung, ein Lageraufenthalt nicht vorgesehen. Demzufolge wird ein Teil der Umsiedler zunächst einen Betrieb zugewiesen erhalten, der dem bisherigen nur etwa entspricht. Hier kann der Um- siedler sofort mit der Arbeit beginnen. Stellt sich dann im Laufe des Winters her- aus, daß dieser vorläufig angewiesene Hof den Fähigkeiten und dem Wert des hin- terlassenen Vermögens des Umsiedlers nicht entspricht, so erfolgt eine Umbeset- zung derart, daß der Bauer im Frühjahr seinen neuen Acker bestellen und seinen Hof endgültig übernehmen und bewirtschaften kann. Die in Aussicht genommene Zwischenbewirtschaftung und zwischenzeitliche Unterbringung erfolgt also aus- schließlich im Interesse der Umsiedler, um Fehlentscheidungen, die sich für die Dauer ungünstig auswirken müßten, unter allen Umständen zu vermeiden."

Dem Herausgeber waren außerdem die Besorgnisse der Gottscheer wegen der Vertrei- bung von Slowenen aus ihren Wohngebieten sehr gut bekannt, denn er versuchte, die Bedenken mit Worten, unter denen keine einzige glaubhafte Angabe stand, zu zerstreu- en, indem er schrieb:

"Die früheren Bewohner dieses Gebietes sind in aller Ordnung umgesiedelt und werden ebenfalls vom Deutschen Reich betreut. Abgesehen davon, daß diesen Bewohnern volle Entschädigung ihres hinterlassenen Vermögens zugesichert ist, beweisen Briefe und Berichte dieser Menschen, daß sie in ihrem neuen Siedlungs- gebiet gut untergebracht sind und hoffnungsfroh ihrer Zukunft entgegensehen."

Das war reiner Hohn auf die Vertrauensseligkeit der Gottscheer. Weder war die Umsied- lung dieser "Bewohner" im Zeitpunkt des Erscheinens der "Aufklärung" abgeschlossen noch konnte von einem "Siedlungsgebiet" der Slowenen im deutschen Reich die Rede sein. Sie saßen vielmehr in Lagern der "Volksdeutschen Mittelstelle", wurden zum Teil als "Fremdarbeiter" in Rüstungsbetrieben eingesetzt und erhielten dann auch Wohnungen zugeteilt. Kein Wort auch darüber, daß rund 37.000 Slowenen aus dem "Sawe-Sotla- Streifen", wie das Ranner Dreieck im Amtsgebrauch auch genannt wurde, ausgesiedelt werden sollten und wurden.

Die Volksgruppenführung und die "Stürme" rangen in diesen entscheidenden drei Tagen verzweifelt um die letzten Prozente der Unentschlossenen. Sie hatten eine neue, uner- wartete Barriere zu überwinden: Kaum waren die Umsiedlertransporte in der Unterstei- ermark eingetroffen, als im "Ländchen" schon unkontrollierbare Gerüchte und Berichte auftauchten, die Einweisung der Umgesiedelten in ihre neuen Objekte sei schlecht orga- nisiert, Möbel stünden entlang der Straße ungeschützt im Schnee, die ausgesiedelten Slowenen hätten ihre Häuser und Wohnungen zum Teil vor dem Abzug demoliert, und die

Gedruckt von http://www.gottschee.at 117 den Gottscheern zugewiesenen Höfe entsprächen auch nicht annähernd den in der Hei- mat zurückgelassenen Anlagen.

Am 20. November 1941 lief die Optionsfrist ohne Verlängerung ab. Die EWZ hatte die Optionsanträge von 11.747 in der Sprachinsel Gottschee wohnhaften Personen entge- gengenommen. Nach Dr. Wollert waren es 12.104 (siehe seinen Bericht über die Gott- scheer Umsiedlung, Literaturverzeichnis). In nüchternen Zahlen aufgegliedert, registrier- te die EWZ:

"8624 über vierzehn und 3123 Personen unter vierzehn Jahren. Darunter befan- den sich 93 Personen mit deutscher, bereits vor der Umsiedlung erworbener Staatsangehörigkeit."

Eine Statistik außerhalb der EWZ erfaßte 11.756 Personen: 5850 männliche und 5906 weibliche, die zusammen 2951 Herdhaltungen-Haushalten angehörten.

Die EWZ bescheinigte in ihrem Abschlußbericht den Gottscheern einen guten Gesund- heitszustand und zählte sie zu den besten Umsiedlern, die sie bis dahin durchschleust hatte (Frensing, Seite 166 und 168).

Alles, aber auch alles schien sich gegen die 12.000 Gottscheer verschworen zu haben. Selbst die Natur trumpfte noch einmal auf und ließ sie die ganze Härte des kontinentalen Klimas spüren. Gegen Ende November - es war noch der größere Teil der Umsiedler ab- zutransportieren - setzten heftiger Dauerschneefall und klirrende Kälte ein. Sie erschwer- ten den Transport der Menschen und des Umsiedlungsgutes, wie des Viehs, zu den Zü- gen da und dort bis zur Unbeweglichkeit. Die vom DUB bewerkstelligten 70 Lastkraftwa- gen konnten nur noch auf wenigen Straßen eingesetzt werden, weil es unmöglich war, die höher gelegenen Wege schneefrei zu halten. Ferner weigerten sich die dienstver- pflichteten holländischen Lkw-Fahrer, überhaupt noch ans Steuer zu gehen, weil sie be- fürchten mußten, bei Walddurchfahrten von Partisanen abgeschossen zu werden. Schließlich blieben auch die letzten Lastkraftwagen stehen, weil der zugesagte Benzin- nachschub ausblieb. Die Gottscheer aber wurden dank ihrer gelernten Improvisations- kunst mit dem Verkehrsproblem im Aussiedlungsgebiet fertig: Die Volksgruppenführung stellte den gesamten Transport auf den Schlitten um.

Das ging noch. Da konnte man mit den Händen zupacken. Wehrlos aber fühlte sich der Umsiedler gegenüber den Tatbeständen, die in immer neuen Hiobsbotschaften aus der Untersteiermark berichtet wurden. Sie bestätigten, daß die Wiederansiedlung schlecht organisiert war. Die versprochene Von-Hof-zu-Hof-Unterbringung und die Von-Dorf-zu- Dorf-Umsiedlung wurden nicht eingehalten, weil sie nicht eingehalten werden konnten! Die Höfe und Dörfer der abgesiedelten Slowenen wiesen eine völlig andere Struktur auf als jene in Gottschee. Kein Hof und kein Dorf von drüben ließen sich mit solchen von hü- ben vergleichen. Wohl als Folge der negativen Einstellung des Gauleiters Uiberreither zur Ansiedlung der Gottscheer im Ranner Dreieck arbeitete der Ansiedlungsstab in Marburg verdrossen und nachlässig. Es standen wirklich Möbel im Schnee, wenn auch nicht in al- len Straßen. Und es konnte tatsächlich wenige Tage vor dem Heiligen Abend ein Umsied- lertransport nicht abgefertigt werden, weil der zuständige Sachbearbeiter vergessen hat- te, einen Stellvertreter einzuteilen, bevor er selbst in den Weihnachtsurlaub fuhr.

Die Italiener behandelten die Gottscheer nicht wie Angehörige jenes Volkes, mit dem sie eine "eherne Achse" verband, sondern wie ein lästiges Element, das, je eher desto bes- ser, verschwinden sollte. Beschlagnahmungen waren an der Tagesordnung.

Die Volksgruppenführung befand sich diesen von ihr nicht verschuldeten Schwierigkeiten gegenüber in einer begreiflicherweise komplizierten Lage. Bei aller Kritik an ihrer Verhal-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 118 tensweise im Sommer 1941 kann man ihr nicht nachsagen, sie habe sich vor den Um- siedlungsproblemen drücken wollen oder habe überhaupt nicht erkannt, worin sie be- standen. Sie handelte weiterhin so, als ob ihr niemand die Verantwortung für das weitere Schicksal der Gottscheer abnehmen könnte. Das war menschlich gewiß ein Plus für sie. Ob es unter den gegebenen Umständen politisch klug war, wird sich zeigen.

Am 29. Dezember 1941 unternahm Willi Lampeter einen gewagten Schritt. Er entsandte einen Stellvertreter, den Jugendführer Richard Lackner, ausgestattet mit einem persönli- chen Geschenk an Heinrich Himmler nach Berlin. Lackner wollte diesem, dem "Reichs- kommissar für die Festigung Deutschen Volkstums", die unhaltbaren Zustände in der Untersteiermark schildern und um die nötigen Befehle zu ihrer Beseitigung bitten. Lam- peter, der die Spielregeln der Mächtigen des Dritten Reiches nicht kannte, erhoffte sich von der Berlin-Reise den spektakulären persönlichen Erfolg, den er gegenüber den "Miesmachern" auf einer Versammlung am 3. Jänner 1942 in Gottschee-Stadt ausspielen wollte. Lackner traf den Reichsführer-SS nicht an, er befand sich angeblich im Führer- Hauptquartier. Auch beim Chef des "Stabshauptamtes" erhielt er erst am 5. Jänner einen Besprechungstermin. Greifelt gab dem Jugendführer aus Gottschee zu verstehen, er wis- se bereits alles, was er ihm berichten wolle, und er habe schon am Vormittag des 5. Jän- ner den SS-Oberführer Hintze beauftragt, "die Dinge unten" in Ordnung zu bringen.

Willi Lampeter fühlte sich auf der Versammlung vom 3. Jänner durch das unfreiwillige Schweigen Lackners in die Enge getrieben. Man konnte diese Zusammenkunft von etwa hundert Stadtbürgern mit Fug und Recht als Protestaktion bezeichnen. Sie forderten von dem Mannschaftsführer verbindliche Aufklärung darüber, was nun an seiner Schilderung der Zustände im Ansiedlungsgebiet wahr sei und drohten mit dem Widerruf der Option. Ein ebenfalls anwesender Vertreter des Ansiedlungsstabes in Marburg warf dem Gott- scheer Mannschaftsführer in heftigen Ausfällen vor, er verbreite Unwahrheit, die er nie verantworten könne. In der sich entwickelnden, hitzigen Debatte bestand der junge SS- Sturmbannführer auf der vollen Wahrhaftigkeit seiner Angaben.

Am 6. Jänner 1942 kehrte Richard Lackner aus Berlin zurück. Lampeter sah keine andere Möglichkeit mehr, als sich direkt schriftlich an Heinrich Himmler zu wenden. Er schickte dem Reichsführer-SS am 9. Jänner einen Bericht über die verheerenden Zustände im Ansiedlungsgebiet und das Versagen des Ansiedlungsstabes. Im Interesse der Umgesie- delten bat er dringend um Abhilfe. Einen Durchschlag des Briefes an Himmler schickte Lampeter jedoch erst am 10. Jänner an das "Stabshauptamt". Schon diese Verzögerung um einen Tag brachte Ulrich Greifelt gegenüber seinem obersten Chef Heinrich Himmler in eine schiefe Lage. Der persönliche Stab des Reichsführers-SS verlangte nämlich um- gehend eine Stellungnahme des "Stabshauptamtes" zu dem alarmierenden Brief aus der Untersteiermark. Da aber Greifelt von Lampeters Bericht nichts wußte, glaubte er sich von diesem überspielt und unterschob ihm außerdem die Absicht, seine Dienststelle im Bereich Gottschee auszuschalten. Hintze erhielt augenblicklich den Befehl, Lampeter zur Verantwortung zu ziehen. Der Gottscheer "Mannschaftsführer" hatte an Himmler unter anderem folgendes geschrieben:

Erstens: Er habe wochenlang versucht, gegen das Versagen der Betreuung im Umsied- lungsgebiet zu wirken und bemängelte die unhygienische Unterbringung von werdenden und stillenden Müttern in Massenquartieren.

Zweitens: Der Abtransport der Umsiedler von den Bahnhöfen zu ihren Winterquartieren sei mangelhaft organisiert. So habe zum Beispiel Umsiedlergut wochenlang entlang der Straße im Schnee gelegen.

Drittens: Die Zwischenbewirtschaftung von landwirtschaftlichen Anwesen mit sloweni- schen Knechten durch die DAG habe das Anwachsen der Viehdiebstähle begünstigt.

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Viertens: Die im Umsiedlungsgebiet eingesetzten slowenischen Hilfsgendarmen seien noch nicht gegen deutsche Beamte ausgetauscht worden. (In diesem Punkt gab Hintze Lampeter recht und bemängelte seinerseits die Versäumnisse der zuständigen steirischen Behörden.)

Fünftens: Phrophezeihungen der ärgsten Hetzer der Gegenpropaganda seien durch die Wirklichkeit übertroffen worden. (Vergl. Frensing, Seite 133.)

Sechstens: Es habe sich ein großer Mangel an Quartieren gezeigt.

Der SS-Oberführer Hintze berief für den 16. Januar 1942 eine Besprechung aller beteilig- ten Dienststellen einschließlich der Gottscheer Volksgruppenführung nach Marburg an der Drau ein. Er wies die Anschuldigungen Lampeters gegen den Ansiedlungsstab pauschal zurück, wiewohl er kleinere Zugeständnisse einräumte. Aber darum ging es eigentlich gar nicht mehr. Den Gottscheern, namentlich Lampeter, sollte vor Augen geführt werden, daß der Nationalsozialist, in welcher Lage immer, zu gehorchen habe. Außerdem verhär- tet sich hier der Eindruck, daß Greifelt und Hintze die Gelegenheit gerne benutzten, um den renitenten Sturmbannführer aus Gottschee aus dem Sattel zu werfen. - Hintze warf Lampeter insbesondere sein Verhalten in der Versammlung vom 3. Januar 1942 vor und bezichtigte ihn, er habe bewußt Öl ins Feuer gegossen, anstatt seine Landsleute zur Um- siedlung zu bewegen. Er habe die Verhältnisse in der Untersteiermark völlig unzutreffend dargestellt. Der Angegriffene verteidigte sich mit dem Hinweis, er habe die unbestreitba- ren Tatbestände aufzeigen wollen, um die Hintergründe der Beschwerden der Umsiedler ins rechte Licht zu rücken. Für Hintze war das lediglich eine schlechte Ausrede.

Doch nicht nur von oben, auch von unten her wurde Willi Lampeter um eine bittere Er- fahrung bereichert, von den eigenen Leuten. Er hatte am 11. Januar 1942 seine Unter- führer bei einem "Appell" in Rann aufgefordert, sich wieder enger um die frühere Volks- gruppenführung, sollte wohl heißen, um ihn, zu scharen und hatte ihnen seine nächsten Pläne erläutert. Er ließ keine Zweifel aufkommen, daß er dabei durchaus selbständig vor- zugehen gedachte. Nun mußte er in der eben laufenden Sitzung, die mehr einer Verneh- mung als einer Besprechung glich, aus dem Munde Hintzes erfahren, daß ihm über den Ranner "Appell" genaue Unterlagen zur Verfügung stünden. Der "Mannschaftsführer" mußte also zur Kenntnis nehmen, daß auf seine daheim erprobte Gefolgschaft kein Ver- laß mehr war. Und in seiner Enttäuschung stolperte er unbedacht über den Fallstrick, den ihm der routiniertere Hintze mit den Worten legte:

"Zu den Sturmführern haben Sie u. a. gesagt … über den Kopf des Gauleiters hin- weg und durch Übergehen der übergeordneten Dienststellen wollten Sie in Berlin Ihre Belange vertreten."

Lampeter darauf:

"Vorläufig war es so, daß ich keine vorgesetzte Dienststelle habe."

Über die Folgerungen, die aus dem Verhalten Lampeters zu ziehen waren, berichtete der SS-Oberführer Hintze am 19. Januar 1942 an Greifelt: "Aus dem Ergebnis meiner einge- henden Besprechungen mit Lampeter habe ich den Eindruck gewonnen, daß er für die ihm übertragenen Aufgaben wie für die Ernennung zum SS-Sturmbannführer zu jung und unerfahren ist und daß es ihm auch an der für ein solches Amt erforderlichen Einsicht und Selbstdisziplin fehlt. Ich habe ihm daher eröffnet, daß ich nun selbst die Führung der Gottscheer Wehrmannschaft übernehme und ihn bitten müsse, sich im Ansiedlungsgebiet jeder Tätigkeit zu enthalten und daß ich diese Maßnahme auch auf seinen Stabsführer Lackner ausdehnen müsse." Abschließend schlug der Berichterstatter dem "Stabshaupt-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 120 amt" vor, Lampeter unverzüglich in das Alt-Reich abzuberufen. Ein weitergehendes Dienstverfahren gegen ihn schloß er nicht aus.

Der gemaßregelte Willi Lampeter aus Mitterdorf bei Gottschee war nun ein schlichter Um- siedler mit Ausweis und Transportnummer, ins Altreich abgeschoben. In den Augen sei- ner prestigesüchtigen SS-Oberen hatte er sich als unfähig und zuwenig nationalsoziali- stisch erwiesen. Ein Held? Eine tragische Figur? Eher das Letztere. Seine Schuld: Er war so naiv und vermessen, anzunehmen, er könne, mit den 600 Jahren Gottscheer Ge- schichte im Rücken, im Einsatz für das Schicksal seiner Landsleute direkt an die Großen des Dritten Reiches herantreten. Er hatte mit seinem Vorgehen nicht nur deren Überemp- findlichkeit verletzt, sondern auch gegen das Lebensgesetz der Gottscheer verstoßen: die Enge des Raumes und die Ohnmacht der geringen Zahl.

Was nun die sachliche Richtigkeit der von Willi Lampeter vorgetragenen Beschwerden angeht, so wurden diese von mehreren glaubwürdigen Beobachtern nachträglich nicht nur bestätigt, sondern einschlägig ergänzt. So erhielt der inzwischen beförderte SS- Brigadeführer Hintze am 17. Februar 1942 vom Chef des SD-Abschnittes Untersteier- mark, SS-Standartenführer Lurkner, einen Bericht mit zum Teil haarsträubenden Einzel- heiten. Im Juni 1942 faßte der Leiter der Kulturkommission beim DUB in Laibach, Profes- sor Dr. Hans Schwalm, seine Eindrücke im Ansiedlungs-gebiet der Gottscheer wie folgt zusammen: "Es ist erschütternd zu beobachten, welche Mißstimmung sich unter den Gottscheern breitgemacht hat. Als Ursachen für diesen katastrophalen Zustand sind an- zusprechen: Die schlechte Organisation bei der Ankunft der Gottscheer im Ranner An- siedlungsgebiet, der wirklich trostlose Zustand der Häuser im Ansiedlungsgebiet, das Fehlen einer selbstverantwortlichen Tätigkeit ... das Mitansehenmüssen der zum Teil schon verbrecherischen Mißwirtschaft einzelner Funktionäre der DAG ... das Fehlen einer eigenen politischen Führung und mannschaftlichen Lenkung, ein Mangel, der nicht durch den Aufbau einer entsprechenden Organisation des "Steirischen Heimatbundes" ersetzt werden konnte". (Nach Frensing, Seite 149/50). Auch von Gottscheern liegen Berichte vor. Lassen wir zuerst den früheren Altlager Pfarrer Alois Krisch zu Worte kommen. Er beklagt sich nicht direkt darüber, daß er nun sein Seelenhirtenamt nicht mehr inmitten des ihm ans Herz gewachsenen Volkes ausüben konnte, doch liest man zwischen den Zeilen seines Berichtes, wie sehr er die Zersplitterung der in Jahrhunderten zusammen- gewachsenen Familien seiner Pfarre bedauerte. Er schreibt auf Seite 20 der "Dokumenta- tion des Bundesministers für Vertriebene und Flüchtlinge", Band Nr. V:

"In den Ortschaften angekommen, wurden die einzelnen Familien in Häuser, gute und schlechte, auch in ganz erbärmliche Keuschen (kleine Wohnhäuser von Ta- glöhnern), alles sogenannte provisorische Winterwohnungen, eingewiesen Da gab es nun vielzuviel Enttäuschungen, viel Leid und Tränen, viel Zorn und schimpfen, und das sehr oft mit gutem Recht und gutem Grund, aber auch nicht selten ohne Ursache. Zum (wenigstens teilweisen) Verständnis alles dessen möge folgendes dienen:

... Als wir in Rann angekommen sind, bevor wir noch aus dem Zuge ausstiegen, kam einer von den Unsrigen, der zwei Tage vorher mit den Langentonern herge- kommen war, und erzählte weinend, wie schlecht es hier sei, wie schlimm er drangekommen sei, was für eine Keusche er bekommen habe usw. Ich nahm mich fest zusammen, um nicht auf ihn zu schimpfen, denn ich ärgerte mich sehr über ihn, da ich wußte, daß dieser Mann gar nichts hatte, gar nichts. Er wohnte in einer fremden Keusche. Da war es also gar nicht möglich, daß er es schlechter bekom- men hatte als daheim, wo er doch nichts hatte. Der hatte wahrhaftig keinen Grund, so zu reden - besser als nichts ist alles -; darüber braucht ein junger Mann nicht zu weinen! Darauf machte ich die Leute aufmerksam, als er wieder draußen war, und sie waren beruhigt, sie kannten seine Verhältnisse von daheim. ...

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Viel Schuld an der Unzufriedenheit hatte die im vergangenen Sommer so unver- nünftig übertriebene Propaganda von großartigen Höfen und Stallungen (in Wirk- lichkeit war der allgemeine Stand der Häuser und Ställe weit unter dem von uns daheim; im allgemeinen waren die Wohnungen im Gottscheerlande viel besser und geräumiger), wie die Umsiedlung bequem von Hof zu Hof gehen werde; es hieß: Ihr verlaßt hier Euren Hof, und dort fahrt Ihr von der Bahn mit dem Auto in Euren neuen, eingerichteten Hof usw. - und nun finden sie so viele Elendskeu- schen! Gar mancher gute Bauer von daheim mußte mit einer armseligen Keusche vorlieb nehmen und mit der ganzen Familie, mit 4,5 bis 6 Kindern in einem einzi- gen, oft auch noch feuchten Zimmer hausen! Es ist unbegreiflich, wie die Propa- ganda solche Gegensätze zur Wirklichkeit vorbringen konnte.

Diese Wirkung wurde noch gesteigert dadurch, daß die Leute sahen, es waren sehr wenig gute Häuser und Bauernhöfe vorhanden. Sie wußten daher, es könne doch nur ein kleiner Teil unseres Volkes ordentlich beteilt werden - im Sinne der Propaganda überhaupt nicht. Deswegen half das Vertrösten, im Frühjahr werde al- les in Ordnung gebracht, nicht viel, auch nicht die Versprechungen von Neubau- ten.

Noch unvernünftiger als diese Propaganda waren die unglaublichen Erwartungen mancher Leute. Das will ich nicht genauer beschreiben, will nur anführen, daß ich einige Monate vor der Umsiedlung solchen, die so phantasierten, einmal sagte. Wenn Sie glauben, daß dort, wo Sie hinkommen, ein gut eingerichtetes Haus, al- les auf den Glanz geputzt, Speisezimmer, Extrazimmer und Wohnzimmer alles warm geheizt, ein Stall voller Vieh wartet, und vielleicht auch noch das festlich gekleidete Dienstpersonal Sie vor dem Hause freudig begrüßen werde, daß Sie nun endlich einmal gekommen sind, und Sie dann ins Speisezimmer führt, Sie sol- len sich setzen, und dann gleich Braten und Pobolitzen (eine Art Rosinenstrudel) auftragen werde - dann werden Sie furchtbare Enttäuschungen erleben, da kann Ihnen niemand helfen.

Einige von den Unzufriedenen übersiedelten mehrmals, zogen bald daher, bald dorthin, waren aber nirgends zufrieden. Auch gab es solche, die nur jammerten, weil sie von anderen angesteckt waren; es sah aus wie eine ansteckende Krank- heit, anders war es bei einigen nicht zu erklären.

Das ganze erklärte ich einmal beim Landrat gelegentlich eines diesbezüglichen Gesprächs mit einem Vergleich, indem ich sagte: Versuchen Sie einmal einen Obstgarten mit älteren Bäumen auch nur einige Meter weit zu übertragen. Es wird nicht gut tun. Unsere Gottscheer waren aber auch fest verwurzelte Bäume und zwar seit Jahrhunderten. Er gab mir recht.

... Trotz dieser angeführten Dinge muß aber gesagt werden, daß viel Zorn, viel Schimpfen, viel Jammer, viel Leid und sehr viel Tränen nur allzu berechtigt waren.

Viele Familien, auch solche mit vielen Kindern, die daheim ein schönes und ge- räumiges Haus hatten, waren in wahren Elendswohnungen untergebracht; das nicht nur einige Wochen und Monate, sie hausten auch den zweiten, manche auch den dritten und vierten Winter noch darinnen. Sie mußten aushalten, obwohl sie sich viel Mühe gaben und viele Wege machten, um eine Änderung zu erreichen.

Bei diesen Einweisungen kamen viele Ungerechtigkeiten vor. Einigen Leuten, die daheim große und sehr gut bewirtschaftete Bauernhöfe gehabt haben, wurde ent- sprechend gegeben; anderen ebenso guten Bauern und Besitzern wurden aber Sachen angeboten, die kaum den vierten Teil des ihrigen in der Heimat erreichten.

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Viele von diesen nahmen natürlich nicht an. Anderen wurden Angebote gemacht, die ihren Besitz in der Heimat um das Zehnfache und mehr überstiegen. Manche nahmen an, andere weigerten sich mit Recht, Verpflichtungen einzugehen, für die sie Jahrzehnte lang zahlen müßten (es wurde dreißigjährige Abzahlung angebo- ten) ...

Viele unserer Leute wurden weit weg angesiedelt, bei Marburg, Pettau und an- derswo, so daß sie ganz getrennt von unserem Volke 100 und mehr km entfernt waren. Auch wurden durch ungerechte Angebote absichtlich sogenannte "O-Fälle" geschaffen. Man bot den Siedlern solche Sachen an, die sie selbstverständlich nicht annehmen konnten. Das zweite und dritte Angebot war nicht besser. Da sie auch nicht annahmen, hieß es: es seien Leute, die trotz mehrerer Angebote nicht zufrieden sein wollen, und daher nach Osten (O-Fälle), nämlich nach Polen, ge- schickt werden sollen. Ich kenne einen Fall, in dem ein junger Gottscheer Bauer, dem dies angedroht wurde, sagte: Herr St;, bieten Sie mir einmal etwas an, was auch nur die Hälfte oder wenigstens ein Drittel dessen wäre, was ich daheim hat- te, und ich werde annehmen!

... Außer den O-Fällen gab es auch "A-Fälle". Diese wurden schon daheim bei der sogenannten Durchschleusung als solche bezeichnet, sie bekamen in ihren Um- siedlerausweis" ein A hinein. Es waren jene, die man als nicht vollwertig (schein- bar nach dem Rassen-Gesetz) betrachtete. Sie sollen von den anderen Gott- scheern getrennt werden und ins Altreich (daher A-Falle) kommen. Sie, nämlich die ganze Familie, wurden dann auch hinausgebracht und dort wieder getrennt von allen anderen in verschiedene Fabriken als Arbeiter gesteckt, obwohl sie da- heim Bauern waren und Besitz hatten.

Alte und arbeitsunfähige Leute wurden fürsorglich in ein Versorgungsheim ge- bracht Von mehreren wissen wir, daß sie nach Passau kamen. Von einigen auch, daß sie dort bald gestorben sind. Von den anderen? War es wirklich Fürsorge oder ?"

Der Zusammenhang und Zusammenhalt, welche die typische Ausprägung des Gottscheer Volkstums überhaupt erst ermöglicht hatten, wurden bereits in der Untersteiermark plan- los zerstört. Neues Gottscheer Volkstum konnte auf diesem zerfahrenen Boden nicht mehr entstehen. Vom "Stabshauptamt" war an sich vorgesehen gewesen, noch vor dem Auszug aus dem Gottscheerland eine querschnittartige Bestandsaufnahme des vorhande- nen Volkstumsgutes festzuhalten. Doch die beim DUB in Laibach vorgesehen Kulturkom- mission kam nicht zum Zuge. Die Italiener verhinderten ihre Einreise in die Provinz Lai- bach absichtlich durch Verzögerung der Visa-Erteilung so lange, bis die klimatischen Schwierigkeiten die Aufnahme der Forschungstätigkeit unmöglich machten. Einem glück- lichen Zufall ist es zu danken, daß der Wiener Brauchtumsforscher, Universitätsprofessor Dr. Richard Wolfram, noch vor dem Jugoslawien-Feldzug in der älteren Generation der Gottscheer den Brauchtumsbestand im Jahresablauf abfragen konnte. In fünf Beiträgen im "Jahrbuch für Ostdeutsche Volkskunde" und in mehreren Vorträgen steckte Prof. Wolf- ram das etwas vernachlässigt gewesene Sachgebiet "Brauchtum der Gottscheer" neu ab - wohl wissend, daß es in der Wärme familiärer Überlieferung gewachsen, doch in der eisi- gen Luft der Neuansiedlung seiner Träger zum Verwelken verurteilt war.

Das Heimweh ging unter den Gottscheer Bauern um. Daheim standen die Höfe leer. Standen sie noch? Niemand war auf den Gedanken gekommen, wenigstens die größeren Dörfer mit den guten Böden den hier ausgesiedelten Slowenen anzubieten. Ihre Ansied- lung freilich hätte der "Hohe Kommissar" in Laibach mit allen Mitteln zu verhindern ver- sucht. Nun waren sie heimatlos, die einen, wie die anderen, Gefangene ihres Schicksals. Die wenigsten Gottscheer betrachteten die Erde, die sie nun bebauten als ihr eigentliches

Gedruckt von http://www.gottschee.at 123 und endgültiges Eigentum. "Nach dem Krieg sieht alles wieder anders und besser aus", so schloß kaum noch ein Gespräch von Gottscheern untereinander. Sie lebten nicht bes- ser und nicht schlechter als alle, und wie es die Kriegszeit erlaubte. Nur die Sicherheit verschlechterte sich von Jahr zu Jahr, denn dort, wo die Gottscheer als "Wehr- und Grenzbauern" angesetzt worden waren, bestand für die Partisanen keine Reichsgrenze. Für sie war dort Slowenien. Sie betrachteten die Umsiedler aus "Kocevje" als Freiwild. Mit Kommandos bis zu zwanzig Mann überfielen sie, manchmal geradezu generalstabsmäßig vorbereitet, ihre Siedlungen beschlagnahmten, raubten, plünderten und mordeten. Ein krasses Beispiel dafür schildert Herbert Otterstädt auf Seite 20 seines Bildbandes: "Ein Partisanentrupp überfiel einen jungen Gottscheer Lehrer namens Franz Hönigmann am hellichten Tage und zwang ihn, vor den Augen seiner Schüler, ein Grab zu schaufeln, dann erschlugen sie ihn und warfen ihn in die Grube." - Von den entführten Gottscheern hat man nie wieder etwas gehört.

Über das Leben der Gottscheer in der Untersteiermark nach Abschluß der "Ansiedlung hegen nur wenige Einzelberichte vor. Wenig war auch zu erfahren über das Schicksal der Optionsverweigerer nach dem Abzug der Zwölftausend. Ihre genaue Zahl ist unbekannt geblieben. Es mögen 400 bis 500 gewesen sein. Das von den Gottscheern verlassene Siedlungsgebiet war praktisch militärisches Niemandsland. Noch im Winter 1941/42 setz- ten sich die Partisanen in den zuerst geräumten Randdörfern fest, verheizten die Obst- bäume, Ställe und Scheunen. Von diesen abgelegenen Stützpunkten aus überfielen sie immer öfter die größeren Dörfer in den Haupttälern wo sich die italienische Besatzungs- truppe hauptsächlich aufhielt. In diesem, fast wie ein Dschungelkrieg geführten Kampf brannten sich die Gegner die Stützpunkte nieder. Ob die Italiener oder die Partisanen mehr Gottscheer Dörfer dem Erdboden gleichgemacht haben, wird niemand ergründen. Bis auf wenige, ganz oder teilweise erhaltene Dörfer gingen fast alle Siedlungen in Flam- men auf. Wir wundern uns nicht, daß die alten Besiedlungsmittelpunkte noch am besten die chaotische Zeit überstanden haben. Pfarrer Josef Eppich in Mitterdorf, der aus seiner ablehnenden Einstellung zur Umsiedlung die letzte Konsequenz gezogen hatte und ge- blieben war, wurde im Juni 1942 angeblich von einer verirrten Kugel während eines Ge- fechts zwischen Italienern und Partisanen tödlich getroffen. Der geistliche Herr hatte sich gerade im Freien aufgehalten. Vermutlich!

Die Geistlichen Josef Kraker, Rieg, und Josef Gliebe, Göttenitz, waren ebenfalls nicht um- gesiedelt. Kraker, in Rieg seines Bleibens nicht mehr sicher, gelang es, sich nach Laibach und bis Veldes durchzuschlagen, wo ihm dann der Rieger Ferdl Wittine Hilfe bot. Durch seine Vermittlung erhielt Pfarrer Kraker eine Pfarre in der Nähe von Veldes, wo er als von den Slowenen geachteter Priester im Jahre 1949 starb. Dieser so volksbewußte Gott- scheer konnte nicht mehr zu seinen in alle Welt verstreuten Landsleuten finden und muß- te seine Predigten in einer fremden Sprache halten.

Gliebe blieb zunächst in Göttenitz, wurde mehrfach ausgeraubt, bis 1949 der Befehl kam, die ganze Ortschaft zu räumen. - Auch die unmittelbar nach dem Krieg nach Göttenitz gekommenen Laserbacher verließen das Dorf wieder. Josef Gliebe blieb in Niederdorf, wo er auch die ewige Ruhe fand. Die älteste Monstranz des Gottscheerlandes, um die sich eine Sage rankt, wurde durch ihn bzw. seine Nichte gerettet. Dieses Kleinod befindet sich leider niczht bei den Gottscheern.

Das Gebiet um Göttenitz ist - "verbotene Zone".

Bei hinhaltender Kampftätigkeit zog sich die italienische Besatzungstruppe schließlich auf die Stadt und das nördliche Oberland zurück. Durch Einschlagen breiter Schneisen in die Bergwälder glaubte sie, die Partisanen besser überwachen zu können. Dies erwies sich als Irrtum. Die slowenischen Untergrundkämpfer machten dem faschistischen Militär das Leben auch in den neuen Stellungen durch kleinkalibriges Artilleriefeuer schwer. Beschä-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 124 digungen erlitt vor allem das Auerspergische Schloß in der Stadt, Sitz der Bezirkshaupt- mannschaft und anderer Behörden. Vor allem wurde es während des Schlußkampfes um die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Angeblich würde sich der Wiederaufbau nicht gelohnen haben, hieß es in den führenden Partisanenkreisen. Aber darum ging es ja nicht, vielmehr lag ihnen daran, dieses Mahn- mal an die sechshundertjährige Anwensenheit der Gottscheer in Unterkrain zu beseitigen. Da, wo einst das Schloß gestanden hatte, wurde ein modernes Kaufhaus und ein Partisa- nendenkmal errichtet.

Nach der Landung der Alliierten in Süditalien und dem darauf folgenden Zusammenbruch des Mussolini-Staates wurde die Provinz Laibach deutsches Okkupationsgebiet. Der DUB in Laibach, Dr. Wollert, berichtet auf Seite 8 des V. Bandes der Dokumentation des Ver- triebenen-Ministeriums in Bonn über die dadurch entstandene, neue Situation:

"... Außerdem verließen die Italiener Ende 1943/Anfang 1944 das slowenische Gebiet. Das Gebiet wurde Okkupationsgebiet und den deutschen Militärbehörden unterstellt. Demzufolge wurde der deutsche Umsiedlungsbevollmächtigte im Ein- vernehmen mit der Emona (Gesellschaft zur Vermögensabwicklung) und unter Be- stätigung durch die deutschen Militärbehörden wieder zum Verwalter des Vermö- gens, und zwar dieses Mal treuhänderisch eingesetzt. Da eine Verwaltung der ländlichen Gebiete im Bereich der Gottschee nicht mehr möglich war, erstreckte sich die Verwaltungstätigkeit des deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten nach dieser Zeit im wesentlichen noch auf die Bereinigung von Schulden und Forderun- gen, die die Umsiedler hinterlassen hatten. Hierauf legten die örtlichen Stellen be- greiflicherweise Wert.

Der deutsche Umsiedlungsbevollmächtigte liquidierte etwa im Februar 1945 seine Dienststelle, indem er die slowenischen Angestellten in aller Ordnung entließ, die Akten nach Veldes/Wörthersee verbrachte und für das in Laibach verbleibende Vermögen, insbesondere Bargeld und Bankguthaben, einen örtlichen Treuhänder in der Person eines dortigen Rechtsanwaltes einsetzte, der den Auftrag erhielt, diese Werte der Stelle zu übergeben, die sich hierfür als rechtmäßig auswies. Die- se Maßnahme war damals notwendig, weil die Stadt Laibach unmittelbar vor der Besetzung durch die Partisanen stand."

1944: Die Kette der Frontabschnitte zieht sich immer enger um das deutsche Reich zu- sammen. Der Gottscheer Bauer pflügt zum drittenmal den Boden, der ihm vor seinem Gewissen nicht gehört. Die im "neuen Ansiedlungsgebiet" zurückgebliebenen Slowenen tragen ihre Köpfe höher, schauen mit triumphierendem Lächeln an den Gottscheern vor- bei oder durch sie hindurch. Manche Umsiedler aus dem "Ländchen" glauben jedoch im- mer noch an den Sieg, weil sie sich davor fürchten, die Folgen einer Niederlage des Rei- ches zu Ende zu denken. Kaum einer verschließt sich allerdings der Frage ob es denn keinen anderen Weg gab, als umzusiedeln. Diese Frage verfolgt sie überall hin, bis in die Kirche, wenn sie zu beten versuchten. Erinnerung und Hoffnung, die noch im ersten Jahr nach der Umsiedlung die Gespräche verklärt hatten verlieren den Glanz. Der Inhalt wan- delt sich. Die Gedanken verlassen die Landschaft, zu der kein Heimatgefühl aufkommt. Die einfachste Lösung wäre, so drängt den in die Enge getriebenen Gottscheer das Ge- setz des Wanderns in ihm, nach dem Krieg die Heimkehr nicht erst zu versuchen, son- dern irgendwo in der Welt einen Platz zu finden, am liebsten in Amerika, bei den eigenen Leuten. Endlich zur Ruhe kommen. Nicht noch einmal in der Gefahr leben. Nicht immer nur den Stärkeren gehorchen!

1945: Die Gottscheer Bauern bestellen die Felder zum vierten und letzten Mal. Die Arbeit im Freien ist lebensgefährlich geworden. Tagsüber nehmen Tiefflieger alles was sich be-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 125 wegt, unter Bordwaffenfeuer. Nachts kommen die Partisanen. Das Reich ist fast vollstän- dig von den Alliierten besetzt. Der Endkampf um Berlin hat begon-nen. Hitler operiert mit Divisionen, die nicht mehr bestehen. Tito aber kontrolliert mit seinen Partisanen, sichtbar und unsichtbar, das gesamte jugoslawische Staatsgebiet.

Es gibt keine Hoffnung mehr. Die Gottscheer und ihre Schicksalsgenossen aus Sudtirol und Bessarabien, die man ebenfalls im Ranner Dreieck anzusiedeln versucht hatte, sind hilflos, schutzlos und bewegungslos. Niemand darf ohne Bewilligung der NSDAP- Kreisleitung Arbeitsplatz und Wohnsitz verlassen. Die Kreisleitung aber tauscht vor, es sei noch Zeit. Die Gauleitung in Graz würde rechtzeitig die nötigen Befehle erteilen. Anderer- seits war bereits im Februar angeordnet worden, Pferde und Ochsen zu beschlagen und das Fuhrwerk bereitzumachen. Graz aber schwieg. Endlich aber erst zwischen dem 5. und 7. Mai 1945, wurden einige hundert Frauen und Kinder per Bahn nach Österreich in Sicherheit gebracht.

Und auf den Tag genau mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945, traf der Befehl des Gauleiters der NSDAP zum Abmarsch ein.

Nun rette dich, Gottscheer!

In höchster Eile sammelten sich die zu Flüchtlingen gewordenen "Umsiedler" in Gurkfeld und Rann. Umständlich wurden Trecks zusammengestellt, schwerfällig setzten sie sich nach Norden in Bewegung. Kaum hatten sie die Sammelplätze verlassen tauchten die ersten Partisanen auf. "Partisanen"? Tatsächlich waren es Halbwüchsige, die mit umge- hängten Maschinenpistolen und durch Ausplünderung der Wehrlosen ihre Männlichkeit erproben und unter Beweis stellen wollten. Otterstädt berichtet über diese Begleitum- stände der Flucht auf Seite 52 seines Bildbandes:

"In Lichtenwald, dem von Flüchtenden erfüllten, durch englische Luftangriffe an- geschlagenen, an sich bedeutungslosen Orte, verbrachten sie, in Häusern, Ruinen und im Freien lagernd, die erste Nacht. Die Partisanen hielten sich zur Bewach- tung am Ortsrande auf. Da flog mitten in der Nacht aus unbekannten Gründen ein im Bahnhof zurückgelassener deutscher Munitionszug in die Luft und verursachte ein Chaos unter den Flüchtenden. Die ersten Verwundeten mußten mitgenommen werden. Am Morgen ging es aus dem brennenden Lichtenwald unter Eskortierung durch vielfach bewaffnete Halbwüchsige in Richtung Steinbrück hinaus. Unterwegs sorgten wiederholte Gepäckskontrollen' dafür, daß die Gottscheer zuerst ihre Fahrzeuge, dann ihre Bündel, schließlich ihre Handtaschen und bis sie ins Lager Sterntal eingeliefert wurden, auch ihr Geld, Schmuck, Fingerringe und Ausweispa- piere los wurden. Nach Tagen des Mordens, grausamen Quälens, Ausplünderns und unmenschlichen Sadismus trafen die Überlebenden über Tüffer, Cilli wieder zurück nach Tüffer und wieder Cilli im berüchtigten Todeslager Sterntal bei Pettau ein."

Dieses Lager Sterntal bei Pettau, in dem ein wesentlicher Teil der flüchtenden Gottscheer zusammengepfercht wurde, war eine Hölle. Die sanitären Verhältnisse auf dem Gelände der früheren Munitionsfabrik waren für die Abertausenden völlig unzureichend und spot- teten jeder Beschreibung. Reihenweise starben die Insassen an Seuchen, Hunger, Miß- handlungen und Mord. Kein Gottscheer Kind unter zwei Jahren überlebte. Die jüngeren Frauen und Mädchen waren Freiwild für die Wachmannschaften. Erst durch das Eingreifen des Roten Kreuzes fand die Qual ein Ende.

Aus persönlichen Erlebnisberichten geht hervor, daß es außerhalb der Trecks einer größe- ren, statistisch nicht erfaßbaren Zahl von flüchtenden Gottscheern gelang, an unüber- sichtlichen Grenzabschnitten nach Österreich durchzukommen - auch sie Überlebende der

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Tragödie ihres kleinen Stammes. Sie waren, als sie österreichischen Boden betraten, nicht zuerst Gottscheer oder die Nachkommen von Alt-Österreichern oder Flüchtlinge vor brutaler Gewalt oder "Um-Siedler", sondern, wie ungezählte Opfer dieses Krieges, bettel- arme Menschen, glücklich, noch zu leben ... Heimkehr? Doch! Allerdings in einem ande- ren Sinne, als er in der Dokumentation "Der Menscheneinsatz" des "Stabshauptamtes" zu lesen stand. Das war nun eine Heimkehr in die Menschlichkeit. Hier empfingen sie Hilfs- bereitschaft, Verständnis für ihre Lage und Vertrauen. Gewiß mußten auch sie mit Lagern vorlieb nehmen, allein, welch ein Unterschied zu Sterntal! Gleich ihren Schicksalsgenos- sen aus anderen "Vorposten"-Gebieten wurden auch die Gottscheer hauptsächlich in den Lagern Kapfenberg und Wagna bei Leibnitz in der Steiermark untergebracht. In Kärnten wurden sie im Lager Feffernitz bei Feistritz/Drau in der Nähe von Spittal an der Drau auf- genommen. Hier kamen sie nach der zermürbenden Irrfahrt aus der Untersteiermark zur Ruhe, fanden sie wieder zu sich selbst. Für viele von ihnen sollte das Lager allerdings zehn Jahre und mehr Ersatzheimat sein. Das Leben ging weiter, auf Schmalspur. Ehen wurden geschlossen, Kinder geboren, der Tod hielt seine Ernte.

War es den Gottscheer Lagerinsassen in Feffernitz bei Spittal an der Drau bewußt, daß das Schicksal sie in die unmittelbare Nähe der Ortenburger-Stadt gelenkt hatte? Sie empfanden kaum das Symbolhafte ihrer Lage. Nach Feffernitz hatte die Flucht auch jene Frau geführt, die in den dreißiger Jahren in der Anwaltskanzlei Dr. Arkos das Hausierwe- sen organisierte, Frau Paula Suchadobnik aus der Stadt. Auch hier betreute sie Men- schen. Sie schrieb Briefe für die Alten, füllte Fragebogen für sie aus, beriet und half, wo sie konnte. Den Jungen aber erteilte sie englischen Sprachunterricht. Warum gerade eng- lisch? Weil das Lager zufällig in der englischen Besatzungszone lag? Vielleicht taten dies junge Kärntner, doch wenn ein Gottscheer beginnt, englisch zu lernen, dann denkt er zuerst an Amerika.

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Schlußakkord in Moll

Einige Wochen des Lagerlebens waren vergangen und des Suchens, Fragens und Schrei- bens nach den engsten Verwandten, Freunden und Nachbarn war kein Ende. Endlich tra- fen die ersten Briefe aus den Vereinigten Staaten ein, familiäre Freudensbotschaften und Trauernachrichten, aber auch die Ankündigung, daß Hilfe vorbereitet werde.

Im Jahre 1946 bewiesen die Amerika-Gottscheer, daß der in Jahrhunderten gewachsene Geist der Nachbarschaftshilfe in den Steinwüsten der Millionenstädte nicht erloschen war. Nach umfangreichen Vorbereitungen wurde 1946 das "Gottscheer-Hilfswerk" mit dem Ziel ins Leben gerufen, den schwer geprüften Landsleuten in Europa so rasch und so um- fangreich wie möglich beizustehen. Über das Zustandekommen der Hilfsorganisation be- richtet das Festbuch anläßlich ihres 25 jährigen Bestehens das Folgende:

"Bei den Hauptversammlungen der Gottscheer Vereine in Ridgewood wurden bereits im Januar 1945 provisorische Komitees erstellt, die sich mit dem Problem einer Hilfs- aktion befassen sollten. Das Ende des Krieges, mit seinen chaotischen und grausa- men Folgen für unsere Landsleute in Europa, drängte zur Tat. Um dem an den Folgen einer tragischen Politik der Kriegsmächte, im Elend gestrandeten Gottscheer Völklein zu helfen, war eine großzügige und koordinierte Hilfsaktion notwendig. Da die Sat- zungen der bestehenden Gottscheer Vereine für ein solches Unternehmen nicht ge- eignet waren, wurde am 23. Mal 1945 eine Versammlung ins Gottscheer Klubhaus einberufen, an welcher sich folgende Vereine beteiligten:

• Gottscheer Kranken-Unterstützungsverein • Österreichischer Männer-Kranken-Unterstützungs-Verein • Gottscheer Central Holding Company • Gottscheer Männerchor • Gottscheer Damenchor • Deutsch-Gottscheer Gesang-Verein • Gottscheer Vereinigung.

Später traten noch der Gottscheer Kranken-Unterstützungs-Verein von New York, der Gottscheer Kegelklub und der Fisch- und Jagdklub bei, und nach seiner Gründung im jähre 1951 auch der Fußballklub Blau-Weiß Gottschee.

Aus deren Reihen wurden dann 19 Vertreter als provisorischer Beamtenstab für das Hilfswerk erwählt. Sogleich wurde mit Geld- und Kleidersammlungen begonnen. Lei- der gab es noch keinen Postverkehr nach Europa, und außerdem waren Sendungen an Privatpersonen oder Gruppen nicht erlaubt. Nur kirchlichen Organisationen war es gestattet, Medikamente an Lazarette und Flüchtlingslager zu senden.

Im März 1946 schloß sich das Gottscheer Hilfswerk der "Katholischen Kriegshilfe Kon- ferenz' (N. C. W. C.) an und steuerte 6000 Dollar bei, mit der Erwartung, daß die not- leidenden Gottscheer in Europa wenigstens teilweise bei der Verteilung in den ver- schiedenen Ländern berücksichtigt werden.

Nach Überwindung vieler Schwierigkeiten gelang dann am 15. April 1946 endlich die gesetzliche Eintragung des Gottscheer Hilfswerkes (Gottscheer Relief Association, Inc.). Zu betonen wäre hierzu, daß damit das Gottscheer Hilfswerk als erste Organi- sation in Amerika befugt war, für die eigenen Landsleute zu arbeiten. Jetzt lief die Ar- beit mit großem Schwung an. Aus jeder Ortschaft wurde ein Vertrauensmann beauf- tragt, die Anschriften der Landsleute einzubringen und in kurzer Zeit wurden mehr als

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2000 Gottscheer Familien erfaßt. Die Relief News, nach Bedarf erscheinend, sorgten laufend für die nötige Aufklärung unter den Landsleuten, und die darin enthaltene Spalte "Verwandte und Freunde gesucht", stellte für Hunderte die seit Jahren unter- brochene Verbindung wieder her. Durch die enge Verbindung zum N. C. W. C. konn- ten wichtige Informationen eingeholt und veröffentlicht werden. Ein Appell im Gott- scheer Dialekt wurde zwei Monate lang, eine halbe Stunde wöchentlich, über den Sender WWRL ausgestrahlt. Korrespondenzen, Drucksachen, Radiosendungen die vie- len Reisen, besonders späterhin Transportkosten usw., wurden von den betreffenden Amtierenden aus privaten Geldern bestritten und alle gesetzlichen und sonstigen Ar- beiten vollkommen kostenlos erledigt.

Als dann die noch heute bestehende Hilfsorganisation "Care" entstand, wurde sofort Verbindung aufgenommen und bald darauf wurden die ersten 1000 Care-Pakete zum Preis von 15.000 Dollar abgeschickt. Zu dieser Sendung steuerte auch die Cleveland- Gruppe 5000 Dollar bei. In den nächsten Jahren folgten dann noch weitere 3000 Ca- re-Pakete. Tonnen von Kleidern sowie Milch- und Eierpulver.

Zunehmend wurde es schwieriger, die finanziellen Mittel aufzutreiben. Wohl deckten die Spenden im ersten Jahr alle Ausgaben mit einem Überschuß, auch die oben ange- führten landsmännischen Vereine stellten zwei Jahre alle Einnahmen ihrer Vereins- veranstaltungen dem Hilfswerk zur Verfügung, jedoch mußte für neue Einnahmsquel- len gesorgt werden, sollte die Hilfsaktion nicht ins Stocken geraten. So wurde am 29. Juni 1947 das erste Picknick und Wohltätigkeitsfest in Franklin Square abgehalten, welches nicht nur ein ausschlaggebender finanzieller Erfolg war, sondern das größte aller Feste der Gottscheer wurde. Niemand ahnte damals, daß dieses Picknick fortan der Treffpunkt der Gottscheer aus aller Welt sein sollte. Nach 25jähriger ununterbro- chener Folge ist dieses Fest mit seinen großen und kleinen Begebenheiten und Aktivi- täten zum festen Bestandteil der Volkstradition geworden.

Am 26. Oktober wurde das Gottscheer Gedenkbuch herausgegeben. Außer dem fi- nanziellen Beitrag, den dieses Buch damals leistete, wird es allen Verantwortlichen und Mitarbeitern immer zur Ehre gereichen, daß sie mit dieser Publikation ein histori- sches Werk für die nachfolgende Generation geschaffen haben.

In diesen Monaten erreichte die Sammel- und Hilfsaktivität ihren Höhepunkt und die Sendungen an die bedürftigen Landsleute gingen regelmäßig nach Europa. Hunderte von freiwilligen Mitarbeitern zählte damals das Hilfswerk; alle steuerten Zeit und Geld bei; die Opferbereitschaft kannte keine Unterschiede; es galt alles nur den in Not und Elend befindlichen Landsleuten. Die Verteilung überließ man vertrauensvoll den in den Nachkriegsjahren in Österreich und Deutschland organisierten Hilfsvereinen und Ver- trauensleuten. Die Zukunft unserer Heimatlosen in Europa war in eine Wolke der Trostlosigkeit und Verzweiflung gehüllt, notdürftig in Lagern untergebracht, teilweise zur Untätigkeit verdammt und auf fremde Hilfe angewiesen, oder als Land- oder Hilfsarbeiter um den Lebensunterhalt der Familie kämpfend. Auf die Dauer waren die- se Zustände nicht tragbar. Wegen dem nicht endenden Zustrom von Flüchtlingen war auf eine Hilfe von staatlicher Seite in Deutschland und Österreich zur Seßhaftma- chung der Gottscheer Flüchtlinge damals nicht zu rechnen. Der einheimischen Bevöl- kerung der österreichischen Länder aber sei an dieser Stelle nochmals herzlichst ge- dankt. Das damals nicht reichlich vorhandene brüderlich geteilte Brot hat zahllose un- serer Flüchtlinge vom Hungertode bewahrt. Einen Ausweg aus dieser Notlage zu fin- den, war lebenswichtig. Seit Jahrhunderten waren es die Gottscheer gewohnt, sich das Brot in aller Welt zu verdienen, also mußte wieder eine Auswanderung in Betracht gezogen werden. Auch eine Einwanderung in die USA war damals nicht möglich, so wurden andere Möglichkeiten erwogen, wie Südamerika oder Kanada. Die Verhand- lungen mit dem Vizekonsul in Venezuela ergaben kein befriedigendes Resultat. Län-

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gere Verhandlungen wurden mit kanadischen Stellen geführt, wo sich wohl eine Mög- lichkeit der Einzeleinwanderung, aber nicht die einer geschlossenen Ansiedlung ergab.

In der Zwischenzeit bewilligten die USA die Einwanderungsquote für Deutschland und Österreich für zwei Jahre. Nach vielen Verhandlungen und Überwindung starker Op- position wurde erwirkt, daß die Hälfte dieser Quoten für Volksdeutsche erlaubt wurde. Auf diese Weise sollten in diesen zwei Jahren 23.000 Volksdeutsche Flüchtlinge zur Einwanderung zugelassen sein. Laut Schätzungen der kirchlichen Organisationen gab es damals in Europa mehr als 11 Millionen Volksdeutsche Flüchtlinge. Das Gottscheer Hilfswerk, das in dieser Angelegenheit schon viel vorgearbeitet hatte, war bereits im Besitz einer Liste mit 11.000 Namen von Gottscheern, die von unseren Vertretern in den verschiedenen Lagern für eine eventuelle Auswanderung erfaßt worden waren. Durch die Verbindung mit dem N. C. W. C., der damalige Präsident des Gottscheer Hilfswerkes Adolf Schauer war persönlich Mitglied dieser Organisation, und durch un- zählige Vorsprachen und Verhandlungen dieses Vertreters, war es möglich, sofort mit der Arbeit für unsere Einwanderer zu beginnen.

Das zur gleichen Zeit laufende "Displaced Persons-Gesetz", worin jedoch keine Volks- deutschen einbegriffen waren, wirkte sich leider sehr störend auf die Bearbeitung der Einwanderungsgesuche bei den betreffenden Behörden aus. So kam es, daß nach Ab- lauf der zwei Jahre von der bewilligten Zahl nur 10.400 Volksdeutsche einwanderten, darunter noch viele Unberechtigte. Immerhin waren unter diesen Einwanderern auch 2000 Gottscheer, also beachtliche 20 Prozent anstatt ein Zehntel Prozent des gesam- ten Flüchtlingsverhältnisses. Leider mußten damals viele unserer Landsleute, die be- reits in Salzburg auf ein Visum warteten, enttäuscht wieder umkehren.

Erst als am 16. Juni 1950 Präsident Truman ein Gesetz unterzeichnete, welches die einwanderungsunterschiede (Discrimination) abschaffte, kam wieder Leben in die Volksdeutsche Einwanderung. Bei den nun folgenden Konferenzen der N. C. W. C. und D. P. C. (Displaced Persons Commission) wurde aber das Problem der Volksdeut- schen immer zuletzt behandelt. Unter diesem Gesetz benötigte jeder Einwanderer ei- ne Arbeits- und Wohnungszusicherung (Assurance), die wiederum in großzügiger Weise und Zahl von den Gottscheer Unternehmern hier gestellt wurden. Es war dies keine leichte Angelegenheit, denn die Wohnungen waren damals knapp und die finan- ziellen Mittel bemessen, und außerdem war sich niemand darüber klar, in welchem Maße der Zusicherungsgeber im Notfalle zur Verantwortung gezogen werden könnte. Bei einer Konferenz in Bellville, III., versprach auch Father Zurin von Missouri Zusi- cherungen für 50 Gottscheer Familien. Zwei Monate später fand in Milwaukee eine zweitägige Konferenz statt, bei der Bischof Swanstrom vor den D. P. C. und N. C. W. C. - Vertretern sehr stark für das Problem der Volksdeutschen eintrat. Dies belebte die Sache der Einwanderung wieder. Trotz der Schwierigkeiten, genügend Arbeits- plätze und Wohnungen zu beschaffen - unsere Landsleute gingen nur ungern auf "Farmen" - ging einigermaßen alles glatt..."

Die vorstehenden Ausführungen vermitteln uns nicht nur die Gründungsgeschichte des Hilfswerks, sondern auch ein knappes Bild des Lebens der Gottscheer in New York. Wir erfahren vor allem, daß sie über eine ganze Reihe von Organisationen verfügten mit de- nen wir uns noch beschäftigen werden. Zunächst bedürfen jedoch zwei Punkte aus dem obigen Zitat einer Erläuterung:

Die elftausend, von der "Relief Association" ermittelten, hilfsbedürftigen Gottscheer sind nicht gleichzusetzen mit den 1941 von der EWZ durchleuchteten Umsiedungsberechtig- ten. Natürlich handelt es sich bei dieser Zahl hauptsächlich um Flüchtlinge aus der Unter- steiermark, jedoch befanden sich darunter auch Landsleute die unter Umständen bereits

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Jahrzehnte vorher nach Österreich ausgewandert und nun durch den Kriegsausgang in materielle Not geraten waren.

Hingegen sind andererseits Flüchtlinge aus irgendwelchen Gründen nicht erfaßt worden. Ferner verdient, festgehalten zu werden, daß die Amerika-Gottscheer nicht nur über ihr Hilfswerk, sondern auch privat noch Unmengen von Paketen nach Europa sandten. Es dürfte schwer sein, in Österreich und Deutschland einen damals bereits erwachsenen Gottscheer zu finden, der dieser großartigen menschlichen Leistung nicht teilhaftig ge- worden wäre.

Eine ergiebige Geldquelle wurde dem "Gottschee-Hilfswerk" mit einer ergreifenden Do- kumentation der Nächstenliebe erschlossen, dem "Gedenkbuch 1330 - 1947". Unter der redaktionellen Leitung des Rechtsanwalts und Notars John Kikel erarbeitete ein Ausschuß binnen kürzester Zeit ein reich bebildertes Buch mit geschichtlichen Ausführungen über die einzelnen Gottscheer Dörfer und Gemeinden, wie sie bis 1933 bestanden. Sinn und Zweck dieses in der Gottscheer Literatur einmaligen Werkes waren jedoch Inserate un- terschiedlicher Größe, für welche die Auftraggeber erhebliche Beträge aufwandten. Die weiteren Spender sind unter Angabe ihrer Namen und Herkunftsorte, samt Hausnummer, aufgeführt. Die meisten von ihnen waren schon jahrzehntelang in den USA ansässig. Rund 2300 Namen finden wir dort.

Es wäre ein unverzeihliches Versäumnis in den Augen der Empfänger von Liebesgaben- sendungen, würde man die Namen der Männer und Frauen aus dem Gottscheerland, die das "Gottschee-Hilfswerk" gemeinsam ins Leben gerufen haben verschweigen. Neben ihren Namen sollen auch die Herkunftsorte stehen, denn daheim war es alter Brauch, wenn zwei einander fremde Landsleute sich trafen, lautete die erste Frage: "Won bu sheitər ?" (Von wo seid Ihr?)

Dem Gründungsausschuß gehörten laut Festbuch von 1971 am 23. Mai 1945 die folgen- den Persönlichkeiten an:

• Frank Deutschmann aus Suchen bei Nesseltal • Alois Fink aus Klindorf • John Kikel als Altlag • Mary Gregoritsch aus Stockendorf • Maria Högler aus Göttenitz • Mary Hönigmann aus Windischdorf • Rudolf Kump aus Buchberg • Mathias Lackner aus Preriegl - Frank Meditz aus Nesseltal • Hilda Meditz aus Nesseltal • Josef Meditz aus Nesseltal • John Petschauer aus Tschermoschnitz • Ferdinand Sbaschnig aus Masereben • Adolf Schauer aus Oberwarmberg • Viktor Schauer aus Niedermösel • Josef Schneller aus Nesseltal • Karl Stalzer aus Büchel • Fanny Staudacher aus Büchel • Ferdinand Stimpfel aus Mooswald •

In ebenso dankbarer Würdigung seien die Namen der bis zum Erscheinen dieses Werkes wirkenden Präsidenten des "Gottschee-Hilfswerkes" bzw. der "Relief Association, Incorpo- ration" genannt:

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• Adolf Schauer aus Oberwarmberg (1946-1950) • John Kikel aus Altlag (1951-1953) • Josef Hoge aus Altlag (1954/55) • Karl Stalzer aus Büchel (1956-1965) • Ernst Eppich aus Unterdeutschau (seit 1966)

Nicht nur in den Vereinigten Staaten finden große Veranstaltungen der Gottscheer statt, sondern auch in Europa. Die größte Zahl an Besuchern weist jedoch das "Volksfest" im Plattdeutschen Park zu New York auf. Je nach Witterung erscheinen vier- bis fünftausend Besucher. Das "Gottscheer Volksfest" gehört zu den größten landsmannschaftlichen Ver- anstaltungen der Deutsch-Amerikaner in New York. Der äußere Rahmen und Ablauf ent- sprechen am ehesten einem überdimensionalen Kirchweihfest daheim, einem "Kirtog". Lange Tische unter alten Bäumen erinnern an irgendein Wirtshaus im "Ländchen". Eine riesige Schallmuschel verrät, daß dieser Park für Volksfeste mit Blechmusik angelegt wurde. Den Gottscheern dient sie jedoch als Rednertribüne. Farbenfrohe Dirndltrachten beleben das heitere Bild.

Überlagert ist die festliche Kulisse von einem hochgestimmten Schwirren gottscheeri- scher Laute und dem immer neu aufklingenden Lachen der fröhlichen Festbesucher. In den ersten Jahren des "Volksfestes" wurde das Stimmengewirr vielfach unterbrochen von lauten Zurufen, Menschen stürzten aufeinander zu und hielten sich minutenlang mit den Händen und den Augen fest. Manche hatten sich dreißig, vierzig, andere fünfzig Jahre nicht mehr gesehen. Nachbarskinder, die fast geschwisterlich miteinander aufgewachsen waren, Jugendfreunde und -freundinnen, alte Kameraden aus gemeinsamer Militär- und Kriegszeit hatten sich wieder.

Und doch besteht ein tiefgreifender Unterschied zwischen dem "Gottscheer Volksfest" in New York und einem "Kirtog" daheim. Wenn sie so beieinander stehen, forscht heimlich jeder im Antlitz seines Gegenübers nach den Gesichtszügen der Kinderzeit - und findet sie, verborgen unter der Erinnerung an das Wunderland der Jugendtage. Alles blüht auf, was damals allein wichtig war, das Elternhaus, das Dorf, seine Kapelle, die unvergesse- nen Wege vorbei an den Bildstöcken und Feldkreuzen in die Wiesen und Wälder, die oft geheimnisvoll drohenden, dunklen Gottscheer Wälder. Die Spielplätze, die Schule, die Kirche und der Friedhof drängen sich in das Bild, durch das spielende Kinder toben, die Mutter ernst und schweigsam schreitet. Alles kommt ihnen viel größer und reicher vor, als es in Wirklichkeit war, denn die Enge und das Entbehrenmüssen sind vergessen. Vie- le, viele alte Gottscheer kommen aus der Tiefe des nordamerikanischen Raumes, plötz- lich müde geworden des Übermaßes an Fremde, zu diesem Rastplatz der Heimatliebe, die nur noch das versunkene Traumland des Lebensfrühlings gelten läßt.

Vor dem eingefriedeten Festplatz aber stehen Hunderte jener Zeugen dafür, wie sich har- te Arbeit lohnt, Automobile, von denen manche mehr kosten, als ein kleiner oder mittle- rer Gottscheer Bauer in seinem ganzen Leben eingenommen hat.

Ein weiterer Unterschied zu einem heimischen "Kirtog" sind die offiziellen Ansprachen. Zuhause stand die Predigt des Pfarrers im Mittelpunkt. Im "Plattdeutschen Park" werden die Gäste von der Festleitung und dem Präsidenten des "Gottschee-Hilfswerkes" feierlich begrüßt, namentlich jene aus Europa. Unter ihnen befindet sich immer wieder Pater Ma- thias Schager aus Meierle. Er ist als Pfarrer in Wien tätig. So oft der Pater das "Volksfest" besucht, liest er einige Wochen später in Neu-Gottschee eine Feldmesse. "Neu- Gottschee" ist ein Gelände in der Landschaft Walden, 60 Meilen westlich von New York, das der Gottscheer "Country-Club" erworben und mit weit auseinanderstehenden Land- häusern im gängigen amerikanischen Stil bebaut hat. Trotz der beträchtlichen Entfernung wohnen jedesmal mehrere hundert Gottscheerinnen und Gottscheer dem Gottesdienst bei, um sich von diesem Ereignis mit seinem eigentümlichen Stimmungsgehalt erneut in

Gedruckt von http://www.gottschee.at 132 der Abstammung bestätigt zu fühlen. An der Rückseite des Clubhauses ist, reich mit Grün geschmückt, der Feldaltar aufgebaut. In wenigen Metern Entfernung scharen sich die Gläubigen tief gestaffelt in einem weiten Bogen um den Altar. In ihrer Mitte steht eine Gruppe von Frauen. Sie singen ohne einen Dirigenten die "Deutsche Messe" von Franz Schubert.

Eine zweite, ländliche Ansiedlung von Gottscheer Landsleuten in aufgelockerter Form be- findet sich in Hawley, Staat Pennsylvania. Sie ist in einem Raum von etwa 5 Quadratki- lometern verstreut, dort stehen bereits 52 in moderner Art gebaute Einfamilienhäuser auf Grundstücken im Ausmaß von jeweils 5000 bis 50.000 Quadratmetern. Die meisten da- von sind direkte Nachbarn. Etwa 20 Gottscheer sind bereits Eigentümer von weiteren Baugrundstücken in diesem Gebiet. Die Gegend liegt zweihundert Kilometer von New York entfernt in der Pocono-Gebirgsregion (eine bekannte und gern aufgesuchte Som- merfrische). Sie ist der Landschaft sowie auch der Seehöhe nach unserer ehemaligen Heimat Gottschee ähnlich. In diesem Raum liegt auch die beliebte Gaststätte "Lukans Farm" der Familie Lukan aus dem Gottscheer Unterland.

Um das Hilfswerk aufzubauen und mit Leben zu erfüllen und um eine Veranstaltung wie das "Volksfest" aufzuziehen, bedurfte und bedarf es zahlreicher freiwilliger Helfer und einer Anzahl von Männern und Frauen, die organisieren können und bereit sind, sich un- ter erheblichen, persönlichen Opfern an die Spitze zu stellen.

Die Präsidenten des Volksfestes waren:

• 1947 Anton Gliebe • 1948 - 1952, 1959 Ignaz Kreuzmayer • 1954 / 55 Karl Stalzer • 1956 Fred Sumperer • 1960 Albert Belay • 1961 - 1963, 1966 bis heute Richard Eisenzopf • 1964 / 65 Ernst Eppich

Besonders hervorzuheben ist hier die Leistung von Richard Eisenzopf aus Hohenegg, dem die Festleitung schon 15 Jahre anvertraut wurde. Für seine Verdienste wurde er zum "Eh- renrat" des "Gottscheer Hilfswerks" ernannt und ist Ehrenmitglied der Gottscheer Lands- mannschaft in Klagenfurt.

Die Kraft für ihre Opferbereitschaft erwuchs ihnen allen aus einem Aufruf des Gewissens, den eine Hinterbergerin in ihrem Inserat in die schlichten Worte kleidete: "Vergeßt den Gottscheer nicht in seiner Not!"

Die materielle Gesamtleistung der Gottscheer in USA und Kanada ist statistisch nicht er- faßt und wohl auch nicht erfaßbar. Wenn allein schon das "Gottscheer Hilfswerk" den Wert der Liebesgabenpakete, die über seine Organisation abgefertigt wurden, mit rund 100.000 Dollar beziffert, so sind darin die ungezählten Einzelsendungen an Verwandte, Freunde und Unbekannte noch nicht Inbegriffen. Nicht bewertbar ist auch das ideelle Ka- pital dieser einzigartigen Nachbarschaftshilfe, weil sie sich in Geld nicht ausdrücken läßt. Man kann ihr Vorhandensein bestenfalls erklären und zwar aus der Geschichte des Gott- scheerlandes und aus den zahlreichen Vereinigungen zur Pflege gemeinsamer Erinnerung an das ferne "Ländchen".

Bei der Wahl des Vorstandes des Gottscheer Hilfswerks wurde 1966 Ernst Eppich zum Präsidenten erwählt. Er ist am 10. April 1920 in Unterdeutschau geboren und wanderte 1952 in die USA aus. Der gesamte Vorstand setzte sich damals aus Neueinwanderern zusammen. Diese jungen Leute sind mit aller Kraft und auch einem gewissen Ehrgeiz an

Gedruckt von http://www.gottschee.at 133 die Arbeit gegangen, um zu beweisen, daß sie aus Dankbarkeit für die früher empfange- nen Hilfesendungen bereit sind, weiterhin Hilfe an die noch immer in Not befindlichen Landsleute in Europa zu bieten.

Damals wurde auch das heute noch funktionierende Kulturkomitee gebildet. Sofie Moschner, die Leiterin dieser Vereinigung, hat durch ihre persönliche Hingabe und Bereit- schaft den größten Anteil an den Erfolgen. Sie bildete die Gottscheer Trachtengruppe, die bei allen größeren Anlässen und Festlichkeiten in Erscheinung tritt. Alle Gottscheer Verei- ne mit dem Gottscheer Hilfswerk an der Spitze unterstützten auch den Deutschen Schul- verein von New York. Sie erachten es als sehr wichtig, daß die Kinder von Gottscheer Eltern die Deutsche Schule besuchen.

Der jetzige Leiter des genannten Kulturausschusses, Albert Belay, veranstaltet alljährlich für jung und alt Weihnachtsfeiern im Gottscheer Klubhaus.

Die alten Weihnachtsbräuche aus der verlorenen Heimat werden erneuert, Gedichte und bekannte Weihnachtslieder werden von Kindern und den Gottscheer Chören vorgetragen. Kinder und betagte Landsleute werden durch Weihnachtsgaben erfreut.

Seit dem Jahre 1965 beteiligen sich die Gottscheer von New York auch an der großen Steuben-Parade der Deutsch-Amerikaner, die jedes Jahr in der 5th Avenue in New York abgehalten wird. Eine große Anzahl der Mitglieder der angeschlossenen Vereine nehmen daran teil. Die jeweilige Miß Gottschee mit ihren Prinzessinnen, die Gottscheer Trachten- gruppe, die alljährlich Aufsehen erregt, sowie eine große Gruppe der jungen Fußballer von "Blau-Weiß Gottschee" marschieren mit.

In der Vermögensentschädigung hat sich das Gottscheer Hilfswerk mit großer Energie eingesetzt, um die Wiedergutmachung für unsere Landsleute in den USA zu erlangen. Es wäre falsch, einen Mann zu vergessen, der sich voll und ganz für die Entschädigung des Vermögens verwendet hat: Sein Name ist Josef Novak aus der Stadt Gottschee. Schon 1970 wurde er in Anerkennung seiner Verdienste vom Gottscheer Hilfswerk zum "Ehren- rat" ernannt.

Heute besteht eine reibungslose Zusammenarbeit unter den Gottscheer Organisationen von New York. Diese Tatsache ist nicht zuletzt der umsichtigen Arbeit des Präsidenten des Gottscheer Hilfswerks, Ernst Eppich, und seiner 12 jährigen Amtszeit zuzuschreiben.

Die erste Vereinsgründung zur gegenseitigen Hilfeleistung in Cleveland/Ohio (1889) wur- de bereits dargestellt. Alle Vereinigungen entstanden und bestehen aus Idealismus und dienen kulturellen, sozialen und sportlichen oder rein gesellschaftlichen Zielen. Organisa- tionen mit politischen oder wirtschaftlichen Zielen haben die Gottscheer in der Neuen Welt auf landsmannschaftlicher Basis nicht hervorgebracht.

Nachstehend verzeichnen wir die in der "Gottscheer Relief Association" zusammenge- schlossenen Organisationen, auch jene, die sich nach jahrzehntelangem Bestehen und Wirken aufgelöst haben. Als Quellen dazu dienten das "Gedenkbuch" 1330 bis 1947, die "Jubiläumsschrift" anläßlich des 25jährigen Bestehens des Gottschee-Hilfswerks 1971 und Berichte eines Arbeitskreises des Hilfswerkes.

Der "Gottscheer Männerchor" ist der älteste Gottscheer Verein ganz Nordamerikas, der eine besondere kulturelle Tätigkeit entfaltet. Er wurde am 1. April 1900 gegründet, und hat sich in den nun fast acht Jahrzehnten seines Bestehens den Ruf eines hochstehenden Klangkörpers erworben. Er erfüllt heute noch die bei seiner Gründung gestellte Aufgabe, wie die Pflege des deutschen und des Gottscheer Liedes sowie hilfsbereiter Nachbarschaft bei frohgemuter Geselligkeit nach Gottscheer Art. Der erste Präsident hieß Peter Sto-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 134 nitsch aus Unterdeutschau. Zum ersten Dirigenten wurde Julius Drück, ein zu jener Zeit sehr bekannter Musiklehrer, gewählt. Jetziger Dirigent ist Peter Freund, ein Donauschwa- be, der nicht nur hohe musikalische Fähigkeiten besitzt, sondern auch viel Verständnis für das Gottscheer Liedgut mitbringt. Ihm vor allem verdankt der Gottscheer Männerchor seine anerkannten sängerischen Qualitäten. Die Seele des Vereins ist jedoch seit dem Jahre 1937 sein Präsident Karl J. Stalzer aus Büchel, Gemeinde Nesseltal. Er wurde 1905 in Newark/USA in jene Gottscheer Generation hineingeboren, die in Scharen in die Verei- nigten Staaten auswanderte, aber nur in geringer Zahl wieder heimkehrte, um mit den ersparten Dollars neu zu beginnen. Dies taten auch noch seine Eltern. 1923 zog der 18 jährige seinerseits die Auswanderung in die Vereinigten Staaten, seinem Geburtsland, den immer schwieriger werdenden Lebensumständen in der Heimat vor. Er ließ sich in New York nieder und begründete seine Existenz als Bautischler, wurde Baumeister und Unternehmer. Unmittelbar nach seinem Eintreffen tat er im Gottscheer Vereinsleben mit. Die Landsleute erkannten seine Fähigkeiten und übertrugen ihm zahlreiche Arbeitsposten in den Organisationen, denen nun schon fast 52 Jahre seine Freizeit gehört. Mit unge- wöhnlicher Arbeitskraft ausgestattet, gelang es ihm, Ämter wie das des Männerchorprä- sidenten mit jenem des ersten Vizepräsidenten der "Relief Association" und Präsidenten derselben Organisation (1956 bis 1965) zu vereinen. Das Gottschee-Hilfswerk verlieh ihm für seine große Leistung den Titel eines Ehrenpräsidenten. Die "Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften" (Sitz Klagenfurt) zeichnete ihn durch die einstimmige Verleihung des Gottscheer Ehrenringes 1977 aus. Der Ring wurde ihm in einer Feierstun- de in New York überreicht.

1923 erhielt der "Männerchor" ein Gegenstück in dem "Gottscheer Damenchor". Es wurde Brauch, daß die beiden Chöre in jeder Saison als gemischter Chor mit einem umfangrei- chen Konzertprogramm vor die Öffentlichkeit traten. Der "Gottscheer Damenchor" löste sich 1957 auf. Ein weiteres Beispiel für die Sangesfreudigkeit der Gottscheerinnen in New York stellt der 1937 gegründete "Deutsch-Gottscheer Gesangsverein" dar. Derzeitige Prä- sidentin ist Sofie Moschner, geborene König aus Hohenberg. Ihre Vorgängerinnen waren Elsa Tscherne, Netti Wittmann, Luise Högler und Maria Stampfel-Graf, die vom Verein zu Ehrenpräsidentinnen ernannt wurden. Sofie Moschner, geboren 1922, wanderte 1955 nach New York aus, wo sie sofort eine tatkräftige Mitarbeiterin im Vereinswesen wurde. Große Verdienste hat sie sich, wie schon erwähnt, durch die Gründung einer Trachten- gruppe innerhalb des Hilfswerks erworben. Auch ist es ihrem Einsatz zu verdanken, daß das Gottscheer Mundartlied zu einem Mittelpunkt in der Arbeit der "Gottscheer Chöre" (wie der Männerchor und der "Deutsch-Gottscheer Gesangsverein" auch genannt werden) geworden ist. Im Jahre 1967 erbrachte die enge Zusammenarbeit der Chöre eine Schall- platte mit 16 Gottscheer Volksliedern, eine Leistung, die damals einzig dastand und die sich würdig in die verdienstvollen Beiträge zur Erhaltung unseres Kulturgutes einreiht.

Dieser Frauenchor stützt sich heute nicht mehr allein auf die eingewanderten Gottschee- rinnen, sondern auf ihre heranwachsenden Töchter, die bereits ein Drittel der Sängerin- nen ausmachen. Sie liefern somit den Beweis, daß die Blütezeit des Chores noch nicht zu Ende ist.

War schon das Entstehen des "Gottscheer Männerchores" ein Zeichen dafür, daß die Zahl der Einwanderer aus der Sprachinsel bedeutend gestiegen war, wurde diese Tatsache am 24. April 1901 mit der Gründung des "Gottscheer Krankenunterstützungsvereines" unter- strichen. Er ist einer der ältesten Arbeiter-Selbsthilfe-Organisationen Amerikas. Der Man- gel an sozialer Fürsorge und das Bedürfnis nach geselligen Zusammenkünften der Gott- scheer Landsleute trugen wesentlich zu der Gründung dieses Vereins bei, die Unterstüt- zung der Mitglieder in Krankheits- und Sterbefällen blieben jedoch bis heute der Haupt- zweck. Erster Präsident wurde John Krisch. Man erkannte bald, daß der geringe Mit- gliedsbeitrag nicht ausreichen würde, die Erfordernisse erfüllen zu können. So entschloß man sich, den inzwischen zur Tradition gewordenen Bauernball ins Leben zu rufen. Dies ergab nicht nur eine Stärkung der Vereinskasse, sondern bot gleichzeitig auch den Mit-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 135 gliedern und Angehörigen Gelegenheit zu geselligen Zusammenkünften. Dazu fehlte den Gottscheern ein eigener Raum. So war der Ruf nach einem eigenen Clubhaus sehr groß. Der damalige Präsident des Vereines, Gottfried M. Tittmann, wurde der Urheber und Gründer des Gottscheer Clubhauses und der bald darauf folgenden Kinder- Weihnachtsbescherung. Diese leitete durch viele Jahre Adolf Schauer.

Ein weiterer Verein entstand am 4. Juni 1904 mit dem Namen "Österreichisch- Ungarischer Reservistenbund". Er wurde im Jahre 1907 als "österreichischer Männer- Krankenunterstützungsverein" bekannt. Erster Präsident war Alois Duffek, später zum Ehrenpräsidenten ernannt. Das Motto dieses Vereines war ebenfalls, den in Not gerate- nen Landsleuten bei Krankheits- und Sterbefällen behilflich zu sein. Am 18. Dezember 1955 vereinigten sich die beiden gleichen Zielen dienenden Vereine. Verdienstvolle Präsi- denten des österreichischen M. K. U. V. waren Andreas Stontisch, Adolf Schauer, Ferdi- nand Matzele, Alois Fink, Hermann Koch und Ferdinand Novak. Wie bereits nach dem Ersten Weltkrieg der Gottscheer K. U. V. die treibende Kraft für Hilfsaktionen war, so ka- men auch diesmal aus seinen Reihen die ersten Stimmen, den notleidenden Landsleuten in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu helfen. Tatkräftig wurde das Vorhaben der Gründung des Gottscheer Hilfsvereines unterstützt. Den Höhepunkt im Hinblick auf die Mitgliederzahl erreichte der Verein wohl im Dezember 1956 mit 530 Mitgliedern. Auch beim Umbau des Gottscheer Clubhauses im Jahre 1962 tat der Verein durch finanzielle Unterstützung ausgiebig mit. Alles wurde getan, um das Heim der Gottscheer in Ridge- wood zu vergrößern.

Den großen Erfolg dieses Vereines kann man auch daran erkennen, daß er bis heute eine halbe Million Dollar an Kranken- und Sterbegeld nebst vielen anderen Unterstützungen auszahlte. Dabei wird nicht nur für die alten Mitglieder gesorgt, sondern auch der Jugend wird durch Errichtung von Stipendien geholfen. Für besondere Verdienste wurden im Lau- fe der Zeit mehrere Präsidenten zu Ehrenpräsidenten ernannt. Dies sind:

• Mathias Kump aus Kummerdorf 1903-1906 und 1931-1937 • Gottfried M. Tittmann aus Steyr 1910, 1912-1922, 1924-1927 • Adolf Schauer aus Oberwarmberg 1924-1930 Präsident im Ö. M. K. V. • Josef Eppich aus Altlag 1962-1969.

Der jetzige Präsident ist Alois Eppich aus Kukendorf, der diesen Posten bereits elf Jahre bekleidet (1958/59 und seit 1970). Wiederum mit fast gleichem Namen und Programm wurde 1919 eine dritte Wohlfahrtsorganisation ins Leben gerufen, der Gottscheer Kran- ken-Unterstützungsverein von New York.

"Gottscheer Vereinigung" nennt sich eine vierte Organisation, die gegenseitige Hilfsbe- reitschaft und Pflege gottscheerischer Sitte und Art seit 1935 auf ihre Fahne geschrieben hat. Der Gründungspräsident war John E. Loser aus Rieg, der den Verein (mit kurzer Un- terbrechung) auch heute noch führt. Loser ist ein tüchtiger Mitarbeiter in der Gottscheer Volksgruppe in New York und seine Leistungen werden hoch bewertet und voll anerkannt.

Der mitgliederstärkste und in der deutsch-amerikanischen Öffentlichkeit bekannteste Verband ist ein Sportclub, der sich nach den Landesfarben der früheren Sprachinsel den Namen "Blau-Weiß Gottschee" gegeben hat. Der erste Präsident war der Zivilingenieur Albert Belay aus Lienfeld. Er ist 1925 geboren, wanderte 1950 in die Vereinigten Staaten aus und fügte sich sogleich durch die Übernahme bleibender Ämter in das organisatori- sche Leben der Gottscheer in New York ein. Unter anderem führt er zehn Jahre das Kul- tur-Komitee der "Relief Association".

Die Gründung "Blau-Weiß Gottschee" machte den Landsleuten von Anbeginn viel Freude. Der Klub entwickelte sich zeitweilig über längere Strecken zum erfolgreichsten Sportver-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 136 ein des "Deutsch-amerikanischen Fußballbundes". So stieg er 1963 in die Oberliga dieses Verbandes auf. Die bedeutendsten Siege errangen jedoch die Nachwuchsmannschaften, besonders die Knabenmannschaft. Sie erreichte in den Jahren von 1963 bis 1968 und 1970 die DAFB-Meisterschaft (Deutsch-amerikanischer Fußballbund) in ihrer Klasse und (eine herausragende Leistung) verlor von 1963 bis jetzt kein einziges Spiel.

Seit Jahren bestreitet "Blau-Weiß" jede Spielsaison mit zehn oder mehr Mannschaften, ein Unternehmen, welches die Freizeit vieler Mitarbeiter und Betreuer voll in Anspruch nimmt. Seine Präsidenten waren bisher:

• 1951 Albert Belay (Lienfeld) • 1952, 1953, Erwin Hönigmann (Altlag) • 1954 bis 1961 Josef Hoge (Weißenstein) • 1962 bis 1965 Albert Belay • 1966 bis 1969 Louis Hocevar (Brunnwirt/Gottschee Stadt) • 1970,1971 Albert Petsche (Hinterberg) • 1972 bis 1974 Erwin Jonke (Gottschee Stadt) • 1975 Willy Stalzer (Reichenau) • seit 1976 Ernst Kresse (Ort)

Neben "Blau-Weiß Gottschee" haben sich viele Gottscheer zu anderen Sport- und natur- verbundenen Clubs zusammengeschlossen. Vom Gottscheer Country-Club wird der Wunsch, möglichst oft und lange in einem eigenen Heim unter Gottscheern weilen zu können, organisiert. Die von den Clubmitgliedern entwickelte ziemlich weitläufige Sied- lung nennt sich "Neu-Gottschee". Auf dem Gelände steht ein gut ausgestattetes Club- haus, das seit seiner Errichtung ein viel besuchtes, sommerliches Ausflugsziel der New Yorker Gottscheer darstellt.

Jagdfreuden verwirklicht der "Green Mountain Hunting Club". Er wurde 1954 gegründet. Sein erster Präsident hieß Hermann Ostermann. Das Jahresprogramm sieht einschlägige sportliche Veranstaltungen sowie die Pflege waidmännischer Traditionen vor. Gegenwär- tiger Präsident ist Josef Kofler aus Katzendorf.

Ein ähnliches jagdsportliches Vereinsleben entfaltet der "Gottscheer Rod and Gun Club". Gegründet 1950, war sein erster Präsident John Köstner. Er besitzt ein ausgedehntes Jagdrevier, dessen Baum- und Wildbestand sich freilich nicht mit jenem in den Gott- scheer Wäldern vergleichen läßt. Mit um so größerer Anhänglichkeit pflegt der Club die Erinnerung an die alte, heimatliche "Jagerei". Gegenwärtiger Präsident ist Adolf Petsche aus Unterskrill.

Besonders ist noch der "Gottscheer-Kegelclub" zu erwähnen. Auch seine Zielsetzung en- det nicht im sportlichen Tun, sondern vereinigt die Mitglieder oft und oft zu alt- gottscheerischer Unterhaltung in froher Runde. Erster Präsident war John Kropf, jetziger Präsident: Robert Schlinderer aus Rieg. Dieser Club hat eine beachtliche Zahl von Mit- gliedern und ist ein treuer Mitarbeiter in der Gottscheer Gemeinschaft.

Das Vereinsleben der Gottscheer in New York hätte seine nun bald achtzig Jahre andau- ernde Regsamkeit mit den zahlreichen geselligen und gesellschaftlichen Veranstaltungen und Versammlungen nicht fortführen können, wäre nicht am 15. März 1924 der erste Schritt zur Gründung der "Gottscheer Central Holding Corporation" getan worden. Die damals bereits bestehenden Vereine beriefen eine Massenversammlung ein. Noch an Ort und Stelle erklärten sich mehr als hundert Personen bereit, der vorgeschlagenen Neu- gründung, deren Hauptziel die Errichtung eines Clubhauses war, als Aktionäre beizutre- ten. Bereits im Juni wird die Gesellschaft bei der zuständigen New Yorker Behörde einge- tragen. Die Mitgliederzahl war inzwischen auf mehr als 400 angewachsen, das Aktienka-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 137 pital auf rund 10.000 Dollar gestiegen. Es wurde zum Ankauf des Grundstückes Nr. 657 in der Fairview Avenue im Stadtteil Ridgewood und für die dringendsten Reparaturen am Gebäude verwendet. Die größten Verdienste um das Entstehen der "Gottscheer Central Holding Corporation" erwarb sich Gottfried M. Tittmann, Sohn von Gottscheer Eltern, ge- boren 1888 in der Stadt Steyr, ist er im Jahre 1902 mit Vater und Mutter in die Vereinig- ten Staaten eingewandert. Er ist gelernter Goldschmied, gründete vor mehr als sechs Jahrzehnten ein eigenes Unternehmen, in dem er noch heute mit seinen Söhnen arbeitet. Aus seiner Lebensleistung für das Gottscheertum sei hervorgehoben: Er war der Gründer der "Central Holding Corporation" und sein erster Präsident. 16 Jahre war er Präsident und 70 Jahre Mitglied des "Gottscheer Kranken-Unterstützungsvereines". In beiden Fällen wurde er von den Mitgliedern zum Ehrenpräsidenten gewählt.

Im Laufe der Jahrzehnte erfüllte das Clubhaus nach mehreren Ausbauten seine Zweckbe- stimmung immer besser. Der Durchbruch zum großräumigen repräsentativen Mittelpunkt der Gottscheer in New York wurde jedoch erst 1960 mit dem Ankauf des Nachbargrund- stückes möglich. Die Umbauplanung und die erforderlichen Arbeiten leitete der verstor- bene Präsident Ferdinand Sbaschnig aus Masereben (1905-1970), dem ein arbeitswilliges Komitee zur Seite stand. Sbaschnig war für diese Aufgabe als Inhaber eines Eisen- und Stahlkonstruktionsunternehmens besonders geeignet. Die feierliche Eröffnung fand am 1. Dezember 1962 unter großer Beteiligung der Gottscheer statt.

Auch der gegenwärtige Präsident Arthur Tramposch aus Nesseltal betrachtet es als per- sönliches Anliegen, das Clubhaus in einem ausgezeichneten Zustand nicht nur zu erhal- ten, sondern noch weiter auszubauen. Arthur Tramposch ist 1904 in Chicago geboren, lebte mit seinen Eltern von 1911 bis 1922 in Nesseltal und kehrte in diesem Jahr in die USA zurück. Er blickt auf ein erfolgreiches Leben als Fachmann der Holzbearbeitung im Rahmen einer Großtischlerei zurück.

So wie das Gottscheer Clubhaus heute dasteht, legt es beredtes Zeugnis ab für die Op- ferbereitschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Gesellschafter und Besucher. Seine Anziehungskraft endet nicht an der Stadtgrenze von Groß-New York. Alle Gott- scheer wissen, daß dort ein Heimathaus steht, Heimat durch die Menschen, die dort Tag für Tag und Jahr für Jahr aus und ein gehen. Das klingt ein wenig sentimental, aber - es soll kein Vorwurf sein - ein dem materialistischen Zeitgeist verhafteter Zeitgenosse kann sich eben kaum vorstellen, was diese Menschen bewegt, wenn sie manchmal nach langer Zeit wieder mit einem Landsmann in der alten Mundart gatscheabarisch reden können. Am ehesten begreift das noch ein Schwabe, der sich ungemein freut, wenn er in einer anderssprachigen Umgebung auf einen Landsmann trifft, mit dem er schwäbisch "schwätze" kann. Nicht zufällig steht das "Haus der Gottscheer", wie man es auch nennen könnte, in Ridgewood. Von diesem Stadtteil sagt man, daß dort jedes zweite Haus einem Gottscheer gehöre. Die Stadtverwaltung hat wiederholt die auffallende Sauberkeit der Straßen und Häuser in diesem Viertel anerkannt. Dies ist die Repräsentation der Wohn- gesinnung nach außen.-

Die große Bedeutung des in New York entstandenen Gottscheer Hilfswerks für alle leben- den Gottscheer rechtfertigt eine eingehende Behandlung seines Entstehens und Beste- hens. Dies bedeutet jedoch nicht, daß es außerhalb New Yorks keine oder keine so hilfs- bereiten Gottscheer Organisationen gibt und gab wie dort. Es gibt auch noch weitere Stätten der Begegnung mit dem Landsmann, von denen man ebenfalls sagen kann, daß die Vereine darin ein Zuhause haben. Wie in New York finden dort Gemeinschaftsveran- staltungen, Familienfeiern, Konzerte und Bälle statt. Man sieht und wird gesehen, junge Leute finden sich hier fürs Leben, feiern hier Hochzeit und Taufe. - Nicht zufällig entstand fast gleichzeitig mit der "Gottscheer Relief Association Incorporation" in New York das "Relief Comity" in Cleveland/Ohio. Es wurde von folgenden Vereinen aufgebaut: "Erster österreichischer Krankenunterstützungsverein", dem wir hier zum zweitenmal begegnen.

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Er darf für sich in Anspruch nehmen, der erste Gottscheer Hilfsverein, überhaupt die er- ste, von Gottscheern gebildete Organisation auf amerikanischem Boden gewesen zu sein. Dazu kamen der "Deutsch-Österreicher Unterstützungsverein" und der "Deutsch- Österreicher Frauenbund". Alle drei sind Gottscheer Gründungen vor 1918. Sie verwen- deten das Wort Österreich in ihren Namen, weil sie aus diesem Lande kamen und weil sich unter dem Begriff "Gottschee" selbst die Deutsch-Amerikaner zur damaligen Zeit nichts vorstellen konnten. Je drei Beauftragte dieser drei Organisationen trafen sich mit Vorstandsmitgliedern und nicht organisierten Gottscheern im März 1946 zu einer Vorbe- sprechung. Schon bei dieser Gelegenheit wurde beschlossen, mit dem "Gottschee- Hilfswerk" in New York zusammenzuarbeiten. Der Beschluß zur Gründung des "Relief Comity" wurde kurz darauf gefaßt. Die Gottscheer Volksgruppe von Cleveland/Ohio dürf- te in der Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts noch 6000 bis 6500 Gottscheer umfaßt haben. Auch sie erbauten für ihr Gemeinschaftsleben ein Clubhaus. Bereits seit Jahrzehnten verfügen sie aber auch über eine eigene Kirchengemeinde, die von Geistli- chen aus Gottscheer Familien geführt und betreut wird. Sie amtieren in der gemeindeei- genen Kirche zur "Heiligen Dreifaltigkeit". Als letzte Vereinigung von Gottscheern ent- stand 1970 eine Blaskapelle.

In Milwaukee am Michigansee, wo ebenfalls ein Gottscheer Verein existiert, gründeten sangesfreudige Frauen einen gemischten Damen-Kinder-Chor.

Eine größere Zahl von Gottscheern ist auch in Chicago seßhaft geworden. Wie viele es sind, ist schwer zu sagen, immerhin genug, um einen Verein mit einem stattlichen Jah- resprogramm zu haben.

Die Gottscheer in Kanada stellen zahlenmäßig lediglich einen Bruchteil ihrer Landsleute in Amerika dar. Außerdem sind sie außerordentlich dünn über das Riesenland verteilt. Ihre Einwanderung lag zeitlich wesentlich später als jene in die USA, hauptsächlich zwischen den beiden Weltkriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die größte Gruppe lebt in To- ronto, eine etwas kleinere Gruppe in Kitchener und einige Dutzend Familien haben in Montreal und Vancouver Heimat und Existenz gefunden. Sie und andere kleine, über das ganze Land verteilte Gruppen sind im allgemeinen deutschen und österreichischen Verei- nen angeschlossen.

Gottscheer Vereine haben sich nur in Toronto und in Kitchener entwickelt. Beide Vereine besitzen Clubhäuser. Jenes in Kitchener wurde 1953 unter dem Präsidenten Richard Mausser gegründet. Es nennt sich "Alpen-Club" und gehört den Gottscheern, steht aber auch anderen deutsch-kanadischen Vereinigungen zur Verfügung. Der "Alpen-Club" in Kitchener gilt bei Besuchern als die umfangreichste, von Gottscheern erbaute Anlage die- ser Art.

Wenn von Kitchener die Rede ist, so sollte man auch Josef Mausser, den Bruder von Ri- chard Mausser, erwähnen. Er wurde von der Stadt mit der Benennung einer Straße und eines Parks nach seinem Namen dafür ausgezeichnet, daß er nach dem Zweiten Welt- krieg mehr als achtzig Gottscheern die Einwanderung nach Kanada ermöglicht hat.

Der Verein der Gottscheer in Toronto wurde 1955 ins Leben gerufen. Seine Gründer wa- ren Rudolf Muchitsch aus Obergras und Heinrich Lobe aus Zwischlern. Seit 1965 steht Norbert Lackner an der Spitze des Vereines, der 1967 den "Gottscheer Park" kaufte und auszustatten begann. Lackner stammt aus Hohenegg und wurde 1924 geboren. Er absol- vierte die Private deutsche Lehrerbildungsanstalt in Neuwerbaß/Batschka, Jugoslawien.

Wegen einer besonderen, sportlichen Leistung verdient Josef Schleimer aus Zwischlern hervorgehoben zu werden: Er errang - für Kanada startend - bei den Olympischen Som-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 139 merspielen 1936 in Berlin eine Bronzemedaille im Ringen. Sein Name ist in der "Hall of Fame", der höchsten Auszeichnung für kanadische Sportler, eingetragen.

Kehren wir zurück in die USA. Wir haben das Bild des Gottscheer Clubs in den Vereinig- ten Staaten von Nordamerika noch hinsichtlich seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage in seiner Gesamtzahl und Verbreitung zu vervollständigen. Glücklicherweise hat John Ki- kel in dem Gedenkbuch 1330 bis 1947 dazu eine prägnante Abhandlung hinterlassen. Er schreibt auf den Seiten 22/23 unter anderem:

"Im Vergleich zu anderen in Amerika eingewanderten Stämmen stehen die Gott- scheer in wirtschaftlicher Hinsicht an der Spitze und das Durchschnittsvermögen wird auf mehr als 10.000 Dollar geschätzt. Die Mehrzahl der Gottscheer ist in ei- nem gelernten Beruf beschäftigt und ein großer Teil davon als Zimmerleute und Tischler. Als Geschäftsleute finden wir sie fast in jeder Branche, vorwiegend aber in Delikatessengeschäften und Gasthäusern. Fast alle Gottscheer sind Hausbesit- zer. In Cleveland, welches größere Ausdehnungsmöglichkeiten hat als New York, eignen die meisten Ein- oder Zweifamilienhäuser.

Wir haben keine genauen statistischen Belege über die in Amerika lebenden Gott- scheer und ihre Angehörigen, können aber mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß in Cleveland und anderen Städten in Ohio etwa 7000 ansässig sind und in Ridgewood, New York und Umgebung etwa 6000. Wenn man die Anzahl der in den anderen Staaten Amerikas und Kanadas lebenden Gottscheer und ihrer Angehöri- gen, die man in jedem Staat von New York bis San Franzisco findet, auf 6000 schätzt, so haben wir heute in Amerika 19.000 Gottscheer und mag diese Zahl größer, aber sicher nicht kleiner sein."

Die vorstehenden Ausführungen John Kikels treffen heute nur noch bedingt zu. Seit ihrer Niederschrift sind 3 Jahrzehnte vergangen. In dieser Zeit hat sich das Durchschnittsver- mögen der Gottscheer nominell zweifellos vergrößert, aber der Wert des Dollars ist inzwi- schen stark abgesunken. Auch in den USA ist die Inflation sehr wohl bekannt.

Pauschal kann man sagen, daß es in der Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts dem Amerika-Gottscheer besser geht, denn je.

Weitaus weniger erfreulich stellt sich uns jedoch die Bevölkerungsbilanz der Gottscheer in Amerika und Kanada dar. Ohne Aufsehen, in ihr Schicksal ergeben, vollstrecken auch die Gottscheer in den USA und Kanada das Lebensgesetz ihres Stammes, denn: Echte Gott- scheer werden nicht mehr geboren, sie sterben nur noch.

Mit "echt" - man könnte dafür auch das Wort "gebürtig" setzen - sind die im "Ländchen" geborenen Gottscheer und ihre unmittelbaren Nachkommen, die ebenso gut in den USA und Kanada oder in Österreich und Deutschland oder nach 1941 in einem Flüchtlingslager geboren sein können, gemeint. Die meisten von ihnen beherrschen noch den Gottscheer Dialekt oder verstehen ihn zumindest gut.

Vor dem Versuch, die Gesamtzahl der Gottscheer in der Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu ermitteln, erhebt sich für manche Leser sicher die Frage, wozu es gut sein soll, den Schlußakt der Tragödie Gottschee, das langsame Dahinschwinden der letz- ten Generation, bis zum bitteren Ende auszuspielen. Wer so fragt, stellt dieses gesamte Werk in Frage, denn auch der Untergang ist Gottscheer Geschichte. Außerdem verfügen nur die Letzten dieses kleinen Völkchens aus dem Karst nach ihren sechs Jahrhunderten Geschichte über eine politische und menschliche Reife, der man weite Verbreitung wünschte. Zwar widerstrebend, doch endgültig haben sie sich mit der Unabänderlichkeit ihres Schicksals abgefunden und sich die Erkenntnis zu eigen gemacht, daß sie in allen

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Machtzentren bestenfalls ein mitleidiges Lächeln geerntet hätten, wären sie nach 1945 auf die Idee verfallen, ihr altes Siedlungsgebiet zurückzuverlangen.

Wenn man das „Jahrhundertbuch“ nun im einzelnen zu prüfen versucht, wie weit die An- gabe John Kikels, daß 1947 im nordamerikanischen Raum rund 19.000 Gottscheer und ihre Angehörigen lebten, zutrifft, so hält es in großen Zügen nicht nur die Geschichte der Einwanderung der Gottscheer in die USA fest, sondern auch die statistischen Vorausset- zungen für die Gesamtzahl der Gottscheer in der Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahr- hundert.

Hat John Kikel recht? Wir müssen davon ausgehen, daß seine 19.000 eine Schätzung sind. Uns stehen heute folgende Zahlen, an die wir gebunden sind, zur Verfügung:

1876: Der Wiener Bevölkerungswissenschafter C. Czoernig schätzt die Zahl der Gottscheer auf rund 25.000 bis 26.000. Wir nehmen die obere Grenze, 26.000.

1910: Die letzte Volkszählung in der österreichisch-ungarischen Monarchie ergibt 17.400.

1930: Eine private Zählung mit Hilfe der Pfarreien ermittelt rund 14.500.

1941: Ergebnis der Durchschleusung im EWZ-Zug rund 12.000.

Wir überblicken daher die Bevölkerungs- und Wanderbewegung von genau hundert Jah- ren, von 1876 bis 1976. Führen wir uns noch einmal vor Augen, daß das Gottscheerland in diesen drei stürmischen Menschenaltern zwei epochalen Entwicklungen zum Opfer fiel, dem Wanderungsausgleich zwischen der dicht bevölkerten alten und der dünn besiedel- ten neuen Welt auf der einen und den chauvinistischen Auswüchsen des mitteleuropäi- schen Nationalismus auf der anderen Seite. Die Gottscheer sind von ihrem Fleckchen Erdboden verschwunden, aber ihre Lebenskraft ist vorerst noch ungebrochen. Wenn wir nämlich die etwa 19.000 Gottscheer John Kikels, die etwa 12.000 Umsiedler von 1941 und die rund 700 (Schätzung des Verfassers) echten Gottscheer in der Ersten Republik Österreich zusammenzählen, stehen plötzlich rund 32.000 Gottscheer vor uns. Man kann hier mit John Kikel sagen: ".. .und mag diese Zahl größer, aber sicher nicht kleiner sein." Sie illustriert außerdem das Übergewicht der Amerika-Kanada-Gottscheer: 60 der Men- schen gottscheerischer Abstammung lebten 1947 in Nordamerika!

Nehmen wir also zur Überprüfung der Kikelschen Zahl von 1947 die erste Auswande- rungsphase der Gottscheer von 1880 bis 1914 unter die Lupe. Dabei unterscheiden wir genau zwischen Geburtenjahrgängen und Auswanderungsjahrgängen. Zunächst interes- siert es uns, welche Altersgruppen in diesem Zeitraum in Bewegung gerieten und nach Übersee auswanderten. Zwangsläufig mußten sie am Beginn ihrer persönlichen zwanziger Jahre stehen und, wenn sie schon verheiratet waren, kinderlos sein. Bereits ein einzelnes Kleinkind konnte die Seßhaftmachung in Amerika entscheidend behindern, abgesehen davon, daß die Überfahrt hygienisch und ernährungsmäßig für das gesundheitlich emp- findliche Wesen Lebensgefahr bedeutet hätte. Obwohl es Ausnahmefälle gegeben hat, schieden also Familien mit mehreren Kleinkindern von vornherein aus. Wir dürfen daher das Durchschnittsalter der ersten Auswanderergeneration ruhig mit 23 Jahren ansetzen. Die Burschen waren etwas älter, weil sie ja ihre Militärzeit abzuleisten hatten, die Mäd- chen etwas jünger, einundzwanzig bis zweiundzwanzig Jahre. Danach waren die fünfund- dreißig Jahrgänge der ersten Auswanderungsphase zwischen 1857 und 1891 geboren.

Zur Gesamtzahl der in dieser Zeit aus dem "Ländchen" ausgewanderten Gottscheer und Gottscheerinnen ziehen wir zunächst die Rückgangszahl zwischen der Schätzung von

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Czoernig (1876: 26.000) und dem Ergebnis der Volkszählung von 1910 (17.400) heran. Die Differenz beträgt 8600. Diese 8600 Personen sind der Wanderungsverlust zwischen 1876 und 1910. Er muß jedoch hinsichtlich der Jahre 1911 bis 1914 und hinsichtlich des Geburtenüberschusses seit 1876 bereinigt werden. Von Czoernig weiß man, daß er seine Schätzung als die Höchstzahl der Gottscheer in ihrer Geschichte betrachtet. Das bedeute- te, daß ihre Geburtenfreudigkeit 1876 nicht plötzlich abbrach, sondern anhielt, was einen weiteren Geburtenüberschuß zur Folge haben mußte. Zweifellos nahm er als Folge des Bevölkerungsüberdruckes in der Volksinsel ab. Wir tun daher gut, wenn wir eine beschei- dene Vorhersage treffen, denn von 1881 an fielen ja die Geburten der ausgewanderten Mädchen und der jungen Frauen aus. Wir dürften der Wirklichkeit ganz nahe kommen, wenn wir lediglich 60 bis 70 Kinder pro Jahr als Geburtenüberschuß annehmen. Auch dann kommen wir immer noch auf etwa 2500. Diese Zahl überdeckt die tatsächliche Zahl der Auswanderung, wir müssen sie daher den 8600 hinzufügen, womit wir bei 11.100 angelangt sind.

Zu den vermutlichen Auswandererzahlen der Jahre 1911 bis einschließlich 1914 ist zu- nächst zu sagen, daß es sich um politische und militärische Krisenjahre handelte. Die Balkankriege von 1912/13 förderten die Auswanderung ganz beträchtlich, fanden sie doch gewissermaßen vor der Haustüre der Habsburger Monarchie statt. Wie hoch sie an- stieg, dafür gibt uns Dr. Podlipnig in der Kulturbeilage Nr. 54 der "Gottscheer Zeitung" vom September 1973 einen verbürgten Anhaltspunkt. Die Bezirkshauptmannschaft Gott- schee gab in den ersten sechs Monaten des Jahres 1914 noch 700 Reisepässe für Ameri- ka aus. Da die Sprachinsel Gottschee bekanntlich aber mit wesentlich kleineren Anteilen den Bezirkshauptmannschaften Rudolfswerth und Tschernembl angegliedert war, müssen wir weitere rund 200 Reisepässe für die USA hinzuzählen, mithin mit einer Auswanderung von 900 Personen in der ersten Jahreshälfte 1914 rechnen. Eine Auswanderung nach Kanada fand in dieser Zeit noch kaum statt. Die Auswanderungszahlen in den Jahren 1911 bis 1913 stellen wir zumindest annähernd mit Hilfe folgender Rechnung fest: Die durchschnittliche Auswandererzahl betrug zwischen 1880 und 1910 rund 360 (11.100 : 30). Wenn wir diesen Durchschnitt in die drei Jahre von 1911 bis 1913 weiterlaufen las- sen, kämen wir auf 1080. Bei einer Steigerungsrate infolge der gespannten Lage von rund 30 greifen wir bestimmt nicht zu hoch und gelangen auf rund 1350. Mithin können wir folgende Schlußrechnung der Auswandererzahl in den Jahren von 1880 bis 1914 auf- machen:

Statistischer Wanderungsverlust zwischen 1876 bis 1910 8.600

Geschätzter Geburtenüberschuß 2.600

Vermutliche Auswandererzahl 1911 bis 1913 1.350

1914 mit großer Wahrscheinlichkeit rund 900

Summe 13.350

Wenn wir nun diese für jeden Kenner der Gottscheer Verhältnisse durchaus wahrscheinli- che Zahl wiederum durch fünfunddreißig - das ist die Zeit von 1880 bis 1914 - teilen, erhalten wir einen Jahresdurchschnitt von 380.

Nun greifen wir auf die Geburtenjahrgänge von 1858 bis 1892 zurück und fragen, wie viele Auswanderer aus diesem Zeitraum 1947 nach menschlichem Ermessen noch am Leben gewesen sein konnten. Um das Verfahren abzukürzen, legen wir jeweils fünf Ge- burtenjahrgänge zusammen, das macht 5 mal 380 = 1900.

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1. Die Geburtenjahrgänge 1858 bis 1862 wären 1947 - 89 bis 85 Jahre alt geworden. Weil die eingewanderten Männer und Frauen unter außerordentlich erschwerten Arbeits- bedingungen gelebt hatten, erreichten sie kein so hohes Alter.

2. Die Geburtenjahrgänge von 1863 bis 1867 wurden 1947 - 84 bis 80 Jahre alt. Vermut- lich lebte auch von ihnen niemand mehr.

3. Die Geburtenjahrgänge 1868 bis 1872 wurden 1947 - 79 bis 75 Jahre alt. Von ihnen könnten noch 8 bis 10 gelebt haben, also etwa 175.

4. Die Geburtenjahrgänge von 1873 bis 1877 wurden 1947 - 74 bis 70 Jahre alt. Von ihnen lebten möglicherweise noch 15 bis 17, vor allem Frauen, also etwa 315.

5. Die Geburtenjahrgänge 1878 bis 1882 wurden 1947 - 69 bis 65 Jahre alt. Von ihnen lebten höchstwahrscheinlich noch 34 bis 36, demnach 690.

6. Die Geburtenjahrgänge 1883 bis 1887 wurden 1947 - 64 bis 60 Jahre alt. Von ihnen lebten mindestens noch 85, also rund 1650.

7. Die Geburtenjahrgänge von 1888 bis 1892 wurden 1947 - rund 59 bis 55 Jahre alt. Von ihnen lebten höchstwahrscheinlich noch 98, das heißt rund 1850.

Zusammen 4680.

Auf 4700 aufgerundet sind das demgemäß im Jahre 1947 die vermutlich noch lebenden Alteinwanderer aus dem Gottscheerland. Darin sind die Rückwanderer, die während des gleichen Zeitraumes heimkehrten, um eine neue landwirtschaftliche Existenz aufzubauen, nicht enthalten. Wir besitzen nicht den geringsten Anhaltspunkt, wie viele es gewesen sein könnten, zumal ein Teil von ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg doch wieder in die USA zurückgewandert ist.

Zu den restlichen 4700 Alteinwanderern kommen nun deren in den USA geborene Kinder, die wir ja noch als echte Gottscheer ansprechen würden. Ihre Geburtenzahl wird in den ersten achtziger Jahren sicher niedrig gewesen sein, stieg jedoch infolge der wachsenden Einwanderung und der Existenzfestigung von Jahr zu Jahr. Sie selbst befanden sich etwa 1906 ebenfalls im Alter der Heiratsfähigkeit und Familiengründung. Ihre Kinder kann man freilich nicht mehr als "echte Gottscheer" bezeichnen, denn sie sprachen auch mit ihren Eltern nur noch englisch, hörten nur selten oder gar nicht ein gottscheerisches Wort oder eine Schilderung des Herkunftslandes der Großeltern.

Wie aber gelangen wir zu einer wenigstens ungefähren Zahl der Nachkommen der Urein- wanderer aus dem Gottscheerland, damit wir sie mit den oben ermittelten 4700 zusam- menziehen können? Als einfachster Weg scheint sich anzubieten, daß man die Zahl der 13.350 Alteinwanderer halbiert, weil es ja etwa gleichviel Männer und Frauen auf der Welt gibt. In diesem Falle nicht. Es sind in der ersten Auswanderungsphase mehr Männer als Frauen in die USA gezogen. Gewiß war es die Regel, daß der Gottscheer eine Gott- scheerin heiratete, doch dürften infolge der ungünstigen Verteilung der Einwanderer bzw. der überwiegenden Zahl der Männer kaum mehr als 5500 Ehen zustandegekommen sein. Die hier nicht berücksichtigten 2350 Gottscheerinnen und Gottscheer heirateten entwe- der nicht oder verbanden sich mit Partnern außerhalb der Gottscheer Gruppe. Schreiben wir nun jeder dieser 5500 Ehen durchschnittlich zwei bis drei Kinder zu - womit wir der Wirklichkeit vermutlich sehr nahe kommen - so dürfte die Zahl der "Nachkommen" im Kikelschen Sinne 11.000 plus 2750 = 13.750 betragen haben. Die Ältesten von ihnen waren 1947 dann 60 bis 65 Jahre alt. Zählen wir nun die 4700 Alteinwanderer und die Nachkommen aus den 5500 Gottscheer Ehen zusammen, so stehen wir bereits an dieser

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Stelle bei rund 18.500! Dabei haben wir erst noch die zweite Auswanderungsphase zu berechnen. Sie setzte, wie gesagt, 1920/21 ein und lief in den dreißiger Jahren allmählich aus. In der zweiten Phase haben wir auch die Auswanderung in die Republik Österreich statistisch heranzuziehen. Sie setzt sich zusammen aus den Optanten für Österreich, den auf diese Weise vertriebenen Lehrern und Beamten, den Schülern und Studenten, die 1919 bis 1925 in Österreich die Schulen besuchten und nicht mehr heimkehrten sowie dem ständig fließenden Rinnsal arbeitsuchender Gottscheer aus handwerklichen und Dienstleistungsberufen. Wir unterschätzen die Gesamtzahl dieser Personengruppe mit 700 gewiß nicht.

Zu einer ungefären Berechnung der zweiten Auswanderungsphase ziehen wir die oben bereits aufgeführten, amtlichen bzw. halbamtlichen Zahlen heran:

1. Die Volkszählung von 1910 17.400

2. Die 1930 durchgeführte Zählung mit Hilfe der Pfarreien 14.500

3. Die aufgerundete Umsiedlerzahl von 1941 12.000

Die offizielle jugoslawische Volkszählung aus dem Jahre 1921 ist für unsere Zwecke un- brauchbar, denn sie manipulierte die Ergebnisse im Gottscheerland zu einer statistischen Farce, wie einige Gegenüberstellungen der österreichisch-ungarischen Volkszählung von 1910 und der jugoslawischen von 1921 beweisen. Wir zitieren Dr. Podlipnig (Kulturbeila- ge Nr. 54 der "Gottscheer Zeitung" vom September 1973):

Deutsche = D Slowenen = S

Altlag 1910 - D 828; S 5 1921 - D 694; S 53

Gottschee / Stadt 1910 - D 2025; S 255 1921 - D 1226; S 1799

Göttenitz 1910 - D 359; S 13 1921 - D 337; S 13

Mitterdorf 1910 - D 1223; S 119 1921 - D 996; S 321

Morobitz 1910 - D 291; S - 1921 - D 222; S 1

Rieg 1910 - D 426; S 20 1921 - D 340; S 85

Obermösel 1910 - D 1056; S 17 1921 - D 762; S 299

Die Manipulation der angeblichen Zählergebnisse ist zu augenscheinig, als daß man dazu viel erläutern müßte. Nur so viel sei gesagt, daß man einfach eine bestimmte Zahl von Gottscheern aus den Zählungslisten strich und dafür eine etwa entsprechende Zahl von Slowenen einsetzte. Auch das war eine Art Slawisierung des Gottscheerlandes. Da aber in der Zeit von 1919 bis 1921 niemand im "Ländchen" das Geld hatte, um Wohnhäuser zu bauen - insbesondere nicht der junge SHS-Staat - ist unerfindlich, auf welche Weise man plötzlich in Mösel rund 280 Menschen unterbringen sollte. Zwangseinquartierungen sind nicht erfolgt. Es wurde auch keine slowenische Schule errichtet. Außerdem: wohin sollten die verschwundenen Gottscheer gekommen sein? Die Auswanderung in die USA und Ka- nada lief mit geringen Zahlen eben erst wieder an. Die Option für Österreich wurde vom Gottscheer Bauern kaum wahrgenommen. Um den Schein zu wahren, ließ man jedoch in

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Morobitz und Göttenitz die Zahl der Slowenen gegenüber 1910 bestehen. Warum aber in Göttenitz nur 22, in dem wesentlich kleineren Morobitz hingegen rund 70 Gottscheer das Weite gesucht haben sollen, während in dem benachbarten Rieg 85 Slowenen zugezogen sind, wird stets das Geheimnis der Laibacher Statistiker von 1921 bleiben.

Doch nun zurück zur zweiten Auswanderungsphase.

Bevor wir fortfahren, noch ein Wort zu der Umsiedlerzahl von 12.000: Die EWZ durch- schleuste nach ihrem Schlußbericht 11.747 Gottscheer und Gottscheerinnen, Dr. Wollert spricht von 12.000. In beiden Zahlen sind die Nichtoptanten und die aus zivilen oder mili- tärischen Gründen außerhalb des "Ländchens" weilenden, aber noch dort zuständigen Personen natürlich nicht enthalten. Wenn wir jedoch auf die Gesamtzahl der 1941 leben- den Gottscheer zusteuern, dürfen wir sie nicht fehlen lassen, denn die Verweigerer der Option für Deutschland waren ja nicht plötzlich keine Gottscheer mehr, wurden dadurch auch nicht plötzlich zu Slowenen. Sie hatten letzten Endes für das Gottscheerland optiert. Wenn wir ihre Zahl nur mit 3% ansetzen, kommen wir bereits auf rund 360. Mit der ab- wesenden Gruppe zusammen dürften sie etwa 400 bis 500 Köpfe erreicht haben. Wir haben daher eine den Tatsachen nahekommende Differenz zwischen 1910 und 1941 von rund 5000 Personen (17.400 minus 12.500). Die im alten Siedlungsgebiet seßhafte Be- völkerung schrumpfte also in den fünfundsechzig Jahren seit 1876 um mehr als die Hälfte etwa um 57%.

Der rein zahlenmäßige Menschen Verlust zwischen 1911 und 1941 bedarf ebenfalls einer Bereinigung. Der Verfasser hat dies unter Berücksichtigung aller in Frage stehenden Fak- toren vorgenommen und ermittelte auf die gleiche Weise wie für die erste Auswande- rungsphase einen Abzug von rund 1600 Personen nach den USA und Kanada. Der nördli- che Nachbar der Vereinigten Staaten, ein Land von sehr großer Ausdehnung, aber gerin- ger Bevölkerungsdichte, wurde nach dem ersten Weltkrieg für die Gottscheer deshalb interessant, weil sie von dort aus die strengen Einwanderungsbestimmungen Amerikas über die "Grüne Grenze" oder durch ein entsprechend langes Verweilen in Kanada umge- hen konnten. Das taten natürlich auch andere. Wie viele Auswanderer aus dem "Länd- chen" diesen Weg gegangen sind, läßt sich nicht rekonstruieren.

Daß zwischen 1920/21 und etwa 1935 nur rund 1600 Gottscheer in die USA ausgewan- dert sein sollen, erscheint auf den ersten Blick völlig unwahrscheinlich. Man muß jedoch berücksichtigen, daß die Einwanderungspolitik Washingtons gegenüber dem Nachfolge- staat der österreichisch-ungarischen Monarchie keine bedeutenden Quoten zuließ, und daß ferner ab 1929 die Weltwirtschaftskrise mit ihrer Arbeitslosigkeit die Amerika- Gottscheer nicht dazu veranlaßte, Landsleute in das Land der nunmehr begrenzten Mög- lichkeiten hinüberzuziehen.

Setzen wir, wiederum rein rechnerisch, die Zahlen der aus den 1600 bei Gottscheern und Gottscheerinnen entstandenen Ehen mit 560 bis 600 fest und nehmen wir an, daß aus jeder im Durchschnitt zwei Kinder hervorgingen. Nur zwei und nicht zwei bis drei des- halb, weil sich die Gottscheer auch in diesem Punkt der abgesunkenen amerikanischen Geburtenfreudigkeit anpaßten. Jedenfalls erhöht sich die Zahl der 1947 in Nordamerika lebenden Gottscheer um rund 1600 Einwanderer und ihre etwa 1200 Nachkommen auf die Endsumme von etwa 21.000. Damit haben wir John Kikels Bemerkung, 19.000 seien niedrig geschätzt, vollauf bestätigt. Wir nehmen allerdings an, daß auch er die Enkelkin- der der Alteinwanderer aus der Sprachinsel nicht mehr zu den echten Gottscheern zählte. Was nun die Gesamtzahl der Gottscheer zu diesem Zeitpunkt angeht, so mag sie zwi- schen 1941 und 1947 - einschließlich der in der alten Heimat zurückgebliebenen Nichtop- tanten - vermutlich um 32.000 bis 34.000 gelegen sein.

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Wir schreiben das Jahr 1950. Die dritte Auswanderungsphase der Gottscheer nach Nord- amerika setzt ganz langsam ein. Nur ein geringer Teil der aus der Untersteiermark geflo- henen Umsiedler hat bisher die Flüchtlingslager verlassen können. Er hat unter manch- mal ungünstigsten Voraussetzungen wenigstens Anhaltspunkte für den Aufbau einer neu- en Existenz gefunden. Die jüngeren, unverheirateten Umsiedler träumen von Amerika. Längst haben sie wieder die Verbindung mit den Verwandten und Freunden in den USA und Kanada aufgenommen. Die Lagerinsassen können es kaum erwarten, daß die Hoff- nungen, die ihnen aus den Briefen entgegenschlagen, in Erfüllung gehen. Sie erfahren, daß alles getan werde, um ihnen möglichst bald die Auswanderung nach Amerika zu er- möglichen. Es war außerordentlich schwierig, in dem ungeheuren Wirrwarr der Flücht- lingsströme in den Nachkriegsjahren gleichsam ein kleines Rettungsboot für die Gott- scheer zu finden, die zu ihren Leuten in Amerika drängten. Es gab doch noch ungezählte Nichtdeutsche, die der unselige Krieg und die Gewaltherrschaft entwurzelt hatten und die nun in geordneten Bahnen ihren alten oder neuen Lebenszielen zustrebten. Das Festbuch zum 25jährigen Bestehen des "Gottschee-Hilfswerks Relief Association Incorporation" schreibt unter anderem über die Anstrengungen, deren es bedurfte, um den Gottscheern gewissermaßen ein Mauertürchen in das Land der nun scheinbar wieder unbegrenzten Möglichkeiten zu öffnen:

"In der zweiten Hälfte des Jahres 1951 kam die Einwanderung jedoch vollständig ins Stocken. Dies bedingte eine Reise des Vertreters des Hilfswerks nach Europa, besonders nach Deutschland und Österreich. In dieser Zeit fand eine Konferenz für Flüchtlinge in Brüssel und eine Untersuchung in Frankfurt am Main statt, wel- che mit einer Milderung der bestehenden Verschärfungen endeten und somit wie- der vielen Landsleuten die Einwanderung ermöglichten. Die Zusicherungen aus unseren Kreisen waren aber bereits erschöpft. Doch war unserer Vertretung be- kannt, daß die N. C. W. C. bereit war, für 5000 Familien Zusicherungen zu garan- tieren. Ein Besuch bei Msgr. Bernas, dem Vertreter des Katholischen Hilfswerks, und ein dringendes Ersuchen ermöglichte es den Gottscheern, 500 von diesen Zu- sicherungen zu erhalten. Auch wurde unserem Vertreter gesagt, daß auf diese Zu- sicherungen bis 2000 Personen einwandern könnten. Dieser, von der D. P. C. und N. C. W. C. befürwortete Besuch hatte ferner den Vorteil, daß die Gottscheer an- erkannt und die schon lange vorliegenden Einwanderungsgesuche endlich bearbei- tet wurden. Daraus ergab sich, daß im Jahre 1952 dann die größte Zahl an Gott- scheer Einwanderern zu verzeichnen war. Am 31. August 1952 wurde die D. P. C. aufgelöst und nur vereinzelt kamen 1953 und in den nachfolgenden Jahren noch Gottscheer Einwanderer in die USA. Der Großteil der Neueinwanderer ließ sich in jenen Städten Amerikas nieder, wo bereits Landsleute aus früheren Jahren ansäs- sig waren. Die auf Bemühung des "Gottscheer Hilfswerks" unter der N. C. W. C. - Quote berücksichtigten Einwanderer landeten oft in entlegenen Gegenden. Jedoch auch diese fanden bald den Weg in die "Gottscheer Gemeinden". Allen war wieder Hilfe bereit und dankbar erinnert man sich noch jener Landsleute, die dem Neu- einwanderer zum ersten "Job" verhalfen."

Die Gottscheer hatten das Glück, in jenen Jahren, deren unmenschlichen und materiellen Nöte nur mit systematisch eingesetzter Tatkraft zu bewältigen waren, eine Persönlichkeit von Format zu besitzen. Hinter dem Wort "unser Vertreter" versteckt sich niemand ande- rer als Adolf Schauer, die führende Kraft bei der Gründung des "Gottschee-Hilfswerks" und dessen erster Präsident. Er führte die im obigen Bericht angegebenen Verhandlungen und Besprechungen und ließ sich durch keine Widerstände beirren. Und er war es, der die Europareise nicht scheute, um möglichst vielen seiner Landsleute die Einwanderung in die USA zu ermöglichen. Adolf Schauer ist 1901 in Oberwarmberg geboren. Er wanderte 1920 in die Vereinigten Staaten aus und gründete in Ridgewood das heute noch beste- hende Versicherungsunternehmen "Schauer Agency". Er gilt als der große, weise Mann der Amerika-Gottscheer. Seine Verdienste um sie und das gesamte Völkchen der Gott- scheer besitzen innerhalb ihres Rahmens geschichtlichen Rang. Seine Landsleute wissen

Gedruckt von http://www.gottschee.at 146 sie zu schätzen. Er ist Träger des Ehrenringes der Gottscheer Landsmannschaften und Ehrenpräsident der "Relief Association". Von amerikanischer Seite wurde ihm die "Bür- ger-Medaille" verliehen. In seiner Person wurde aber auch das kleine Heer der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Hilfswerks geehrt. Gewiß haben die Alteinwanderer ihren nach- rückenden Landsleuten geholfen, sich in dem Riesenland zurechtzufinden, gewiß haben sich in den hundert Jahren seit dem Beginn der ersten Auswanderungsphase die berufli- chen, sozialen und menschlichen Verhältnisse in den USA zum Besseren gewendet, doch den letzten Einwanderern aus der früheren Sprachinsel Gottschee wurde die wohlorgani- sierte Starthilfe der großen Gemeinschaft der Amerika-Gottscheer zuteil. Sie aber waren nur deshalb imstande, den plötzlichen, umfangreichen Zugang an zumeist erwachsenen Menschen seelisch, wirtschaftlich und sozial zu verkraften, weil sie sich selbst auf diesen Lebensgebieten im Gleichgewicht befanden. Nur deshalb vermochten sie auch, tätige Aufnahmebereitschaft und nachbarschaftliches Entgegenkommen - beides ist wörtlich gemeint - zu üben. Weit mehr als 2000 schuldlos zerbrochene Schicksale unter eigenen Opfern zum Guten zu wenden, war ein menschlich imponierendes weiteres Hilfswerk, dessen tiefere menschliche Beweggründe nicht einfach zufällig vorlagen, sondern in Jahr- hunderten gewachsen waren. Zweitausend sind für amerikanische Verhältnisse wenig, für die Gottscheer viel.

Inzwischen haben auch diese letzten aus dem "Ländchen" stammenden Einwanderer auf nordamerikanischem Boden endgültig Fuß gefaßt und sich in den "Way of Life" Amerikas eingefügt, sich aber auch in die Organisationen der Gottscheer eingegliedert. Allerdings haben auch sie erfahren, daß die USA zwar von den Einwanderern in ihr Land beim Be- treten des amerikanischen Bodens nicht die Ablieferung des ererbten Volkstums verlan- gen, daß man sich aber nur durchsetzt, wenn man sich von der ersten Stunde an anpaßt.

Als die Reisedauer über den Atlantik auf Stunden zusammenzuschrumpfen begann, setz- te bei den Amerika-Gottscheern eine neue, die allerletzte Wanderung ein: Sie flogen in den Sommermonaten zu Hunderten nach Europa, mit Linienflugzeugen und mit Charter- maschinen. Zuerst kamen die Auswanderer zwischen den beiden Weltkriegen. Sie über- zeugten sich mit Genugtuung, welchen Segen das "Gottschee-Hilfswerk" und alle seine Mitarbeiter gestiftet hatten und daß sie nicht vergessen waren. Aber Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre mehrten sich die Europafahrer aus der Gruppe der Aus- wanderer der beginnenden fünfziger Jahre. Die Lager waren längst geräumt. In den eu- ropäischen, namentlich in deutschen Städten zeugten nur noch wenige Baulücken von der überwundenen Katastrophe. Gewiß hatten nicht alle ihre Landsleute Anteil am Wirt- schaftswunder Deutschlands und Österreichs, doch es war von Staats wegen für alle ge- sorgt, die Vermögenserstattung war im Gange, die Alten erhielten ihre Renten, der Pro- zentsatz der Autobesitzer war auch unter den Gottscheern schon damals beträchtlich. Die arbeitsfähigen Gottscheer und Gottscheerinnen hatten sich gleich den Balten, den ost- deutschen Vertriebenen, den Sudetendeutschen, den Südtirolern, den Deutschen aus dem Donau-Karpaten-Raum in den Wiederaufbau der Volkswirtschaften in Österreich und Deutschland eingegliedert. - Eine scheinbar nebensächliche Beobachtung am Rande: Die Amerika-Gottscheer flogen und fliegen zumeist mit einer weltweit bekannten deutschen Fluggesellschaft.

Die Europa-Reisenden aus der früheren Sprachinsel Gottschee haben für europäische Begriffe lange Strecken zu überwinden bis sie die Verwandten, Jugendfreunde und Nach- barn besucht haben, denen die lange See- und Luftreise hauptsächlich gilt. Doch die "Amerikaner", wie die Gottscheer ihre Landsleute von "drüben" nennen, sind ja lange Reisestrecken gewöhnt. In der Republik Österreich decken sich die aus menschlichen Gründen angesteuerten Reiseziele sehr oft mit dem Wunsch, eine bestimmte Stadt zum ersten oder zum wiederholten Male zu sehen, etwa Wien oder Graz, die für die Gott- scheer - das gilt natürlich nicht nur für sie - schon in der Zeit der alten Monarchie eine magische Anziehungskraft besaßen. Dort gab es schon im 19. Jahrhundert seßhafte Gott- scheer, doch eine allgemeine Gottscheer Vereinigung entstand trotzdem nicht. Erst 1891

Gedruckt von http://www.gottschee.at 147 wurde der "Verein der Deutschen aus Gottschee in Wien" ins Leben gerufen. Das heißt, die erste, jedermann zugängliche Organisation von Gottscheern außerhalb des "Länd- chens" wurde in den Vereinigten Staaten gegründet, eben der erwähnte "Erste österrei- chische Unterstützungsverein" in Cleveland/Ohio. Sein Gründungsjahr ist 1889. –

Wenn Klagenfurt in den Reiseplänen auftaucht, so nicht einmal so sehr wegen persönli- cher Besuche, sondern, weil diese Stadt zum Zentrum der Exilkultur der Gottscheer ge- worden ist. Davon wird noch ausführlich zu sprechen sein. Linz und Salzburg, weniger Innsbruck, weisen seit den fünfziger Jahren ebenfalls nicht unbeträchtliche Gruppen von Gottscheern auf, die naturgemäß jedes Jahr eine Anzahl von "Amerikaner" an sich zie- hen.

Als die ersten, vereinsgewohnten Amerika-Gottscheer in Europa eintrafen, fanden sie nur Ansätze organisatorischer Zusammenschlüsse ihrer Landsleute in Österreich und Deutschland. Während in Wien, Graz und Klagenfurt nur die alten Vereine wiederbelebt wurden, war in Deutschland nirgends ein Ansatz aus früherer Zeit gegeben.

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Verein der Deutschen aus Gottschee, Wien

Die Wiener Gruppe nannte sich nun "Verein der Gottscheer in Wien", nachdem sie als "Verein der Deutschen aus Gottschee" von vier beherzten Männern (Franz Obermann, Josef Springer, Andreas und Georg Roschitsch) am 30. März 1891 gegründet worden war. Als Zweck des Vereines wird unter § 2 der Satzungen nach dem "Jubiläumsbuch der Gottscheer 600-Jahr-Feier 1930" angeführt;

a. die moralische und materielle Unterstützung von bedürftigen Vereinsmitgliedern und unterstützungswürdigen Landsleuten. b. die Unterstützung von Wohltätigkeits- und patriotischen Unternehmungen in Gott- schee, das ist im Gebiete des ehemaligen Herzogtums Gottschee. c. die Förderung des geselligen Verkehrs zur Hebung der engeren Landsmann- schaft."

Ein Jahr später zählte der Verein bereits 252 Mitglieder und entwickelte bis zum Ersten Weltkrieg eine segensreiche Tätigkeit. Darüber berichtet der Obmann wieder im "Jubilä- umsbuch 1930" auf Seite 242 folgendes: "Die Mittel des Vereines ergaben sich aus den Mitgliedsbeiträgen, allfälligen Spenden von Förderern und aus den Erträgnissen von Ver- anstaltungen. Stets hilfsbereit wurden im Laufe von nahezu vier Jahrzehnten jeweilig nach Maßgabe der vorhandenen Kassabestände an verschiedene hilfsbedürftige Lands- leute Unterstützungen gewährt. Gemeinden und Vereine erhielten Beiträge, sei es nun, wenn es galt, ein Kirchlein zu reparieren, Feuerlöschgeräte anzuschaffen, von Naturge- walten angerichtete Schäden zu lindern oder Veranstaltungen und dergleichen zu för- dern.

Es sei noch gestattet, die an der Spitze des Vereines gestandenen Männer mit Namen anzuführen: Franz Obermann, Kaufmann Josef Edler von Rom, k. k. Major; Georg Ro- schitsch, Kaufmann; Andreas Schuster sen., Kaufmann; Josef Wuchse, Kaufmann; An- dreas Schuster jun., Kaufmann; Oberveterinär Dr. Adolf Wenzel."

Im Krieg (1914 bis 1918) verlor der Verein fast seinen gesamten Besitzstand und mußte von vorne beginnen. Im Zweiten Weltkrieg stellte er seine Tätigkeit ein und konnte sie erst nach Überwindung gewisser Schwierigkeiten 1951 unter dem Namen "Verein der Gottscheer in Wien" wieder aufnehmen. Professor Franz Kraus, der keine Mühe scheute, hat sich in dieser Zeit als Obmann große Verdienste erworben. Ihm wurde für seinen I- dealismus und seine Opferbereitschaft durch die Ernennung zum Ehrenobmann gedankt. Wegen seines hohen Alters legte er 1966 sein Amt zurück, und über seinen Vorschlag wurde Dipl.-Ing. Karl Skoupil einstimmig zum Obmann gewählt. Unter seiner Leitung wurde auch in Wien der Verein in "Gottscheer Landsmannschaft" umbenannt. Dies gelang erst nach Überwindung von Bedenken der Behörden. Der Verein setzt seine bewährte Tätigkeit unter dem agilen Obmann für die Gemeinschaft der Gottscheer in der Haupt- stadt Österreichs fort.

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"Gottscheerland", Graz

In Graz und Klagenfurt führten die Vereine nach dem Zweiten Weltkrieg die Bezeichnung "Hilfsverein für die Gottscheer und Deutsch-Krainer". Damit wurde die Zielsetzung in den Vordergrund gestellt.

1919 gründete Josef Ramor, geboren in der Stadt Gottschee, den Verein "Gottscheer- land" in Graz und war sein erster Obmann. Oberstleutnant Paul Eppich schreibt über ihn im Jubiläumsbuch auf Seite 243: "Das Wirken des ersten Obmannes, den die edelsten Motive geleitet haben, war beispielgebend. Seine Arbeit, heute mit prüfendem Auge be- schaut, verdient höchste Anerkennung und Dank.

Erfolgreich arbeitete der Verein für die geistige und wirtschaftliche Wohlfahrt des Gott- scheer Volkes sowie des geselligen Verkehrs zur Hebung der Heimatliebe. Nach Kräften wurden auch die Bestrebungen des Gottscheer Volkes zur Erhaltung seines Volkstums unterstützt."

In den ersten zehn Jahren seines Bestandes hatte der Verein folgende Obmänner: Bahn- rat Josef Ramor, Dr. Hans Petsche, Medizinalrat Dr. Walter Linhart und Professor Dr. Othmar Herbst. Ehrenmitglieder für besondere Verdienste waren: Medizinalrat Dr. Linhart und Landesbeamter Michitsch. Zum Ehrenobmann wurde Bahnrat Ramor gewählt.

Am 18. Mai 1929 übernahm Studienrat Prof. Dr. Othmar Herbst die Obmannstelle. Sein Stellvertreter wurde Oberstleutnant Paul Eppich, ein geborener Ebentaler. Die Vereinsar- beit war in den dreißiger Jahren nicht leicht, denn es gab in Österreich innere Unruhen. Während der Kriegszeit von 1938 bis 1945 wurden keine Versammlungen durchgeführt, und die Tätigkeit war vollkommen eingestellt. Sie wurde jedoch bereits 1945 vom Ob- mann und seinem Stellvertreter wieder aufgenommen. Dabei wurden sie durch Dr. Franz Perz aus Mitterdorf und den Laibacher Dr. Plautz außerordentlich tatkräftig unterstützt. Diese beiden bemühten sich besonders, das Schicksal der Flüchtlinge zu erleichtern.

Den "Hilfsverein" führten in weiterer Folge 1949 Schuldirektor Hans Eppich aus Altlag, 1950 Primarius Dr. Walter Linhart, 1958 Notar Helmut Karnitschnig. Unter seiner Ob- mannschaft bekam der Verein 1960 die Bezeichnung "Gottscheer Landsmannschaft Graz". Durch Beschluß der "Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften" führen heute alle offiziellen Gottscheer Vereinigungen in Österreich und Deutschland die Bezeichnung "Landsmannschaft".

1963 übernahm Josef Petsche aus Grafenfeld die Obmannstelle und führte die Lands- mannschaft mit großer Umsicht bis 1968. Helmut Bartelme war der nächste Obmann, der dieses Amt 1973 krankheitshalber aufgeben mußte. Nach ihm wurde der heutige Ob- mann Friedrich Petsche einstimmig gewählt. Der Verein der Gottscheer in Graz zählte nach der Flucht die meisten Mitglieder aller Gottscheer Vereinigungen in Europa.

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"Gottscheerland", Klagenfurt

Obwohl der Verein "Gottscheerland" in Klagenfurt bis 1928 eine Zweigstelle des Vereines in Graz war und erst dann selbständig wurde, entwickelte er bereits als Zweigverein seit 1919 unter Leitung von Prof. Peter Jonke eine rege Tätigkeit. Es gab landsmannschaftli- che Versammlungen, die "Gottscheer Zeitung" sowie der "Gottscheer Kalender" wurden von uneigennützigen Landsleuten für Bezieher in Kärnten adressiert und verschickt.

Zu Pfingsten 1926 kam auf Einladung des Vereines der Männerchor aus Gottschee unter Führung des Chorleiters Dr. Hans Arko auf Besuch nach Klagenfurt. Von hier aus wurde per Schiff über den Wörther See der in Rosegg unweit von Velden lebende Heimatfor- scher, Schuldirektor Wilhelm Tschinkel, besucht. Er ist der Dichter und Komponist unse- res so innigen Heimatliedes "Dü hoscht lai oin Attain, oin Ammain dazua ..." Tschinkel hatte die Sänger aus Gottschee zu sich eingeladen, damit sie zusammen mit dem von ihm geleiteten örtlichen Gesangsverein eine Liedertafel unter der Devise "Kärnten- Gottschee" durchführen sollten. Es wurde ein glänzend gelungenes Fest, zu dem viele Einheimische und in Kärnten lebende Landsleute mit Freuden gekommen waren. Freilich mußten die Gottscheer Sänger sich nach ihrer Heimkehr für dieses "Verbrechen" vor der Bezirkshauptmannschaft in Gottschee verantworten. Der Verein "Gottscheerland" stellte seine Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg ebenfalls ein, wurde jedoch durch Professor Peter Jonke und Regierungsrat Sepp König 1948 wieder aktiviert. Wie schon ausgeführt, nann- te sich die Neugründung "Hilfsverein der Gottscheer und Deutsch-Krainer" und erhielt 1952 eine neue Führung unter dem Obmann Amtsrat Walter Samide. Die größte Leistung für das Gottscheertum vollbrachte dieser Verein durch die Wiederherausgabe der "Gott- scheer Zeitung" im Jahre 1955. Das Bemühen um das verlorene Vermögen und vor allem die kulturelle Tätigkeit der Gottscheer Vereinigung in Klagenfurt nach fast drei Jahrzehn- ten ist vom Autor in diesem Werk ausführlich dargestellt. Regierungsrat Walter Samide wurde 1971 zum Dank für sein langjähriges, aufopferndes Bemühen um den von ihm geführten Verein zum Ehrenobmann bestellt. Von ihm übernahm im gleichen Jahr, ein- stimmig gewählt, der Rechtsanwalt Dr. Viktor Michitsch den Vorsitz.

In Österreich hat sich folgendes organisatorische Betreuungssystem herausgebildet: Wien ist zuständig für die Landsleute in Wien und dem Burgenland, Graz für jene von Steiermark, Ober- und Niederösterreich, Klagenfurt erfaßt die Landsleute in Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg.

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Gottscheer in Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland ballten sich die Flüchtlinge aus der ehemaligen Sprachinsel hauptsächlich in den Großräumen von München, Stuttgart und Köln. In der Deutschen Demokratischen Republik leben, so weit sich dies durch den Autor feststellen ließ, nur wenige Gottscheer. Das Fehlen einer engeren dauerhaften Bindung der so weit auseinandergeworfenen Gruppen untereinander wurde bald als schmerzlich empfunden. Es ging nicht nur darum, das Flüchtlingsschicksal gemeinsam zu tragen, Kulturarbeit aus den Traditionen des Gottscheer Völkchens zu formen sondern auch um ganz praktische Aufgaben, wie das alle betreffende Vorbringen der materiellen Forderungen an die Nach- folgestaaten des ehemaligen Deutschen Reiches. Die Gottscheer verlangten und benötig- ten wie in Österreich auch in Deutschland und in anderen Ländern eine offizielle Vertre- tung.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde am 17. August 1952 in Adelgund a. d. Mosel die "Landsmannschaft der deutschen Umsiedler aus der Gottschee in Deutschland e. V." gegründet. Die Anmeldung beim Amtsgericht Zell/ Mosel vom 27. Februar 1953 ist von den Gründungsmitgliedern Johann Pangretitsch, Josef Frank Ferdinand Röthel, Johann Matzele, Robert Schmuck, Josef Weiß und Adolf Grill unterzeichnet. Der erste Obmann war Johann Pangretitsch aus Obermösel.

Den Initiatoren Ferdi Wittine aus Rieg und Sepp Frank aus Tschermoschnitz ging es dar- um, die in die Bundesrepublik gekommenen, weit verstreut lebenden Gottscheer ausfin- dig zu machen, ihnen in der Not nach Möglichkeit zu helfen und ihre Entschädigungsan- sprüche im Rahmen des Lastenausgleichs zu vertreten. Besonders wurde versucht, die Anerkennung als Umsiedler von Seiten der Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches zu erhalten und entsprechend dem Umsiedlungsvertrag entschädigt zu werden. Es ging aber auch darum, sich nach langer Zeit wieder zu gut nachbarlichem Beisammensein zu fin- den. Zu Pfingsten 1956 war dann das erste größere Gottscheer Treffen in Köln mit mehr als 400 Teilnehmern.

Am 26. April 1958 war es dann so weit, daß in München der "Gottscheer Arbeitskreis" gegründet werden konnte. Vorsitzender wurde Alois Stalzer, Niedermösel, sein Stellver- treter Max Jaklitsch, Reintal. Zu den Gründungsmitgliedern zählen: Josef Janesch, Ernst Stalzer, Rudolf Jonke, Georg Brändle, Franz Schaffer, Johann Fmk, Adolf Kikel, Friedrich und Franz Kresse und andere. Damit war der erste Zusammenschluß der Gottscheer in Deutschland vollzogen.

Bei allen Zusammenkünften wurde der Wunsch laut, die Gottscheer in Deutschland und Österreich zusammenzuschließen. Weitere Vereine wurden gebildet. Doktor Viktor Mi- chitsch arbeitete einheitliche Satzungen aus. Auf der Hauptversammlung in Köln am 17. Mai 1959 wurden diese einstimmig angenommen und die Umbenennung in "Gottscheer Landsmannschaft" vollzogen. Der Vorstand blieb unverändert (Alois Stalzer und Max Jaklitsch). Auf dieser Tagung beschloß man einhellig, drei Landesgruppen zu bilden und so entstanden dann im Laufe des Novembers 1959 die Landesgruppe Nord-West in Köln (Vorsitzender Franz Nelles), die Landesgruppe Baden-Württemberg in Stuttgart (Vorsit- zender Karl Bartelme) und die Landesgruppe Bayern in München (Vorsitzender Max Jaklitsch).

Eine wichtige Maßnahme für die überregionale, weltweite Zusammenarbeit in der Volks- gruppe war die Gründung der "Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften" am 14. August 1960 in Ulm/Donau. Sie wählte in den Vorstand als Vorsitzenden Dr. Vik-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 152 tor Michitsch, als dessen Stellvertreter Amtmann Ferdl Wittine und als Schriftführer Schuldirektor Fritz Högler. Mit der Bildung dieser Dachorganisation wurde der Zusam- menschluß der Gottscheer in Österreich und Deutschland konsequent zu Ende geführt. In Nordamerika haben sich das "Gottschee-Hilfswerk" in New York, Ridgewood und die Gott- scheer Organisation in Toronto/Kanada der Arbeitsgemeinschaft angeschlossen. Damit besitzen nun die Gottscheer in aller Welt eine gemeinsame Interessenvertretung.

Im "Südostdeutschen Rat", einem Zusammenschluß der Vertriebenenorganisationen aus Südosteuropa, hat ein Delgierter der Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland Sitz und Stimme. In Ulm/Donau wird die Hauptgeschäftsstelle der Landsmannschaft errichtet und von Alois Michitsch aus Rieg (+ 1976) geleitet.

Ein weiterer Abschnitt in der Geschichte dieser Landsmannschaft entwickelt sich 1968 mit dem Auftritt der "Gottscheer Sing- und Trachtengruppe Klagenfurt" beim Volkstums- abend der Donauschwaben in Sindelfingen, der Patenstadt der Volksdeutschen aus Jugo- slawien. Die Gottscheer Volkslieder, die Mundart- und Brauchtumstradition (dargestellt vom 1. Vorsitzenden und Kulturreferenten Richard Lackner) erhielten nicht nur sponta- nen Beifall im voll besetzten großen Saal der Stadthalle, sondern es war, als ob sich Geist und Leben der 600jährigen Sprachinselgemeinschaft vorgestellt hätten. Eine Welle der Zuneigung schlug den Gottscheern entgegen. Die Stadt Sindelfingen, vertreten durch den Oberbürgermeister Arthur Gruber, die Vertreter der Landesregierung von Baden- Württemberg und des Bundesministers des Inneren in Bonn äußerten die Bereitschaft, die Kulturpflege des Gottscheertums zu unterstützen.

Danach konnten die Gottscheer Landsmannschaften eine verstärkte Breitenarbeit auf kulturellem Gebiet unter der Führung Richard Lackners, dem Vorsitzenden der "Gott- scheer Landsmannschaft" in Ulm, entwickeln. Zur Zeit führt er mit Max Jaklitsch die Gott- scheer Landsmannschaft in Deutschland.

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Gottscheer Zeitung

Der 1928 in Göttenitz als Sohn eines Land- und Gastwirtes (Gruabarsch) geborene Rechtsanwalt Dr. Viktor Michtisch gehörte schon frühzeitig zu den Männern in Kärnten, die nach Wegen suchten, um den Zusammenhalt der letzten Gottscheer Generation zu finden und zu sichern. Als wirksamstes Bindeglied wurde die Wiedergründung der "Gott- scheer Zeitung" erachtet. Die ersten Gespräche dazu fanden bereits 1953 zwischen Ober- studienrat Peter Jonke, Obermösel, Regierungsrat Sepp König, Altlag, Volksschuldirektor Fritz Högler, Altlag, Dr. Viktor Michitsch, Göttenitz, und Pfarrer Heinrich Wittine, Lichten- bach, statt. Die Vorausberechnung der Herstellungskosten bestätigte die Vermutung, daß die selbstständige Herausgabe finanziell nicht tragbar war. 1954 wurde dann ein Zei- tungsausschuß mit folgenden Mitgliedern eingesetzt:

• Sepp König, Altlag (Obmann) • Fritz Högler, Altlag • Peter Jonke, Obermösel • Albert Loser, Grafenfeld • Dr. Viktor Michitsch, Göttenitz • Walter Samide, Langenton • Viktor Stalzer, Reichenau • Erich Sterbens, Obermösel • Hubert Truger, Gottschee/Stadt

Am Rande sei bemerkt, daß Albert Loser bald nach der Gründung des Ausschusses in die USA auswanderte und seit geraumer Zeit in New York die redaktionelle Vertretung der "Gottscheer Zeitung" wahrnimmt. Viktor Stalzer folgte dem am 4. Juli 1969 verstorbenen Hubert Truger als Verantwortlicher für Inhalt und Aufmachung.

Nach der finanziellen Absicherung durch die beiden Gottscheer Vereine in Klagenfurt und Graz stand dem Erscheinen der neuen "Gottscheer Zeitung" nun nichts mehr im Wege. Zum ersten Schriftleiter wurde durch den Besitzer und Herausgeber, also die Lands- mannschaft, Fritz Högler, berufen. Die erste Nummer erschien im Juni 1955. Das Impres- sum weist die "Gottscheer Landsmannschaft" in Klagenfurt als Eigentümerin, Verlegerin und Herausgeberin aus. Das einmal im Monat erscheinende Blatt wurde einige Jahre in Wolfsberg-Lavanttal und wird nun bei der Großdruckerei Carinthia in Klagenfurt gedruckt.

Die alte-neue "Gottscheer Zeitung" wurde von ihrer Leserschaft begeistert begrüßt. Flugs erhielt sie den Kosenamen "da Gatscheabarin", die Gottscheerin. Sie erreichte nach einer kurzen Anlauf- und Werbezeit eine Auflage, die sie daheim nie erzielt hatte: rund 3300 Exemplare. Von ihrer Aufgabe her, Bindeglied und Sprachrohr der Gottscheer zu sein, stellt sie eigentlich einen regelmäßig erscheinenden, überdimensionalen gedruckten Fa- milienbrief dar. Sie nennt sich jedoch mit Recht Zeitung. Sie ist es nicht nur in ihrer äu- ßeren Aufmachung, sondern auch inhaltlich, denn sie erstattet bis in alle Einzelheiten Bericht für die Öffentlichkeit aus der Öffentlichkeit der letzten Gottscheer Generation. Wie bei einer Tageszeitung beträgt die Zahl der Leser ein Mehrfaches der Bezieher. Ein we- sentlicher Unterschied gegenüber der Tageszeitung ist allerdings anzumerken: Die große Tagespolitik schlägt sich nur selten in ihren Spalten nieder. Ihr Durchschnittsleser sucht darin ja auch keine Politik, trägt sie doch als Leitspruch: "Mit der Heimat im Herzen über Land und Meer verbunden!"

Wenige Zeitungen dürften ein solch passioniertes Leserpublikum aufzuweisen haben, wie die "Gottscheer Zeitung". Sie wird buchstäblich von vorne bis hinten und umgekehrt ge-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 154 lesen, oft wiederholt, aufgehoben und wieder gelesen. Und nicht wenige alte Gottscheer lassen, wenn sie eintrifft, alles liegen und stehen, weil sie erst einmal "da Gatscheabarin" lesen müssen. Das Um und Auf jeglicher Berichterstattung, - nämlich das Wer? Was? Wo? Wann? Wie? und Warum? - liest sich in der Heimatzeitung viel fesselnder und per- sönlicher als in der Lokalzeitung des neuen Wohnortes. Schon der Leitartikel befaßt sich mit einzelnen, alle Leser interessierenden, aktuellen oder jahreszeitlich bedingten The- men. Darauf folgen Berichte über die Tätigkeiten der Landsmannschaften und Vereine, Erinnerungen an bemerkenswerte Persönlichkeiten oder Einrichtungen des "Ländchens", ernste und heitere Geschichten aus alter Zeit.

Die nächste Spalte, "Aus dem Leben unserer Landsleute", bringt in bunter Fülle Einzel- nachrichten und -berichte, vor allem über die Lebensstationen, die allen Menschen ge- meinsam sind, Geburt und Tod, Hochzeiten und persönliche Ehrentage, Besuche hüben und drüben sowie Briefe. Außerordentlich zahlreich sind die Photos aus der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit, mit denen die Schriftleitung die beiden Hauptthemen variiert, die den gesamten Lesestoff überlagern, Familie und verlorene Heimat. Eine ständige Kulturbeilage veröffentlicht Aufsatzreihen über geschichtliche, kulturelle, volks- kundliche, auch wirtschaftliche Themen, ferner Erzählungen in hochdeutscher und mund- artlicher Darstellung, neue Gedichte, sprachwissenschaftliche Aufsätze, und anderes mehr.

Die Auflage ist inzwischen unter dreitausend gesunken und sinkt weiter. Die Todesnach- richten und -anzeigen auf der letzten Seite sagen uns, warum. -

Die umfangreichste Ankündigung und Berichterstattung widmet die "Gottscheer Zeitung" dem Volksfest in New York, den Feiern in Cleveland, den Wallfahrten in Klagenfurt und Maria Trost, den Treffen in Aichelberg (Schwarzwald), in Kanada und Australien sowie der alljährlichen "Gottscheer Kulturwoche", den Weihnachtsfeiern und sonstigen Zusammen- künften der Landsleute in aller Welt. Alle diese Veranstaltungen stehen zahlenmäßig weit hinter dem Jahrestreffen etwa der Sudetendeutschen, Siebenbürger oder Donauschwa- ben zurück, vermögen jedoch in ihrer Absicht, Anlage und Durchführung auch den Nicht- Gottscheer zu beeindrucken. Wenn wir die Veranstaltungen außerhalb der USA als Ge- genstück zu der Großveranstaltung in Nordamerika betrachten, so ersehen wir allein schon aus den Teilnehmer-Zahlen, wo heutzutage die meisten Gottscheer leben. Niemals könnten wir in Europa solche Besucherzahlen erreichen (5000 und mehr!). Hier können wir mit Hilfe von drüben bestenfalls 2000 zählen, ob dies nun in Österreich oder in Deutschland wäre.

Zum Schriftleiter der neuen "Gottscheer Zeitung" wurde, wie schon angeführt, der Volks- schuldirektor Fritz Högler von der Landsmannschaft in Klagenfurt bestellt. Sein Nachfol- ger wurde 1962 Landsmann Herbert Erker aus Mitterdorf. Von ihm übernahm Haupt- schuldirektor Ludwig Kren aus Mitterdorf 1971 diese mühevolle aber auch schöne Aufga- be.

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Der Gottscheer in aller Welt

Das Leben war weiter gegangen. In den fünfziger Jahren hatten sich die Flüchtlingslager geleert, in den sechziger Jahren kamen dann auch die Gottscheer in Österreich und Deutschland zur Ruhe. Alle besaßen nun den politischen Frieden in ihren neuen Heimat- ländern und erholten sich auch wirtschaftlich. An harte Arbeit gewöhnt, schufen sie sich nicht nur in Übersee, sondern auch in Europa ihre schmucken Eigenheime und Eigen- tumswohnungen. Der Gottscheer war wieder seßhaft, aber leider nicht in geschlossenen Siedlungen. Dies gelang nur teilweise in den USA (Walden und Hawley, Pa.), wo etliche Gottscheer in einer Dorfgemeinschaft leben. Umsomehr hatte er das Bedürfnis, sich Treffpunkte zu schaffen, wo er dem einstigen Nachbarn in die Augen sehen konnte. Auch die Toten wollte er nicht vergessen. So entstanden in Österreich und Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren drei Gedenkstätten, und zwar in Krastowitz bei Klagen- furt, Maria Trost bei Graz und Aichelberg im Schwarzwald.

Das Symbol der "Gottscheer Gedächtnisstätte" bei Klagenfurt ist die Schloßkirche von Krastowitz, einem alten Herrensitz in unmittelbarer Nähe des Flughafens in Klagen- furt/Annabichl. Sie wurde von der Landsmannschaft Klagenfurt unter mehreren Möglich- keiten deshalb ausgewählt, weil sie auf Kärntner Boden steht, vom bischöflichen Ordina- riat Klagenfurt/Gurk kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, und, nach Größe und Baustil beurteilt, gut eine Filialkirche im Gottscheerland hätte sein können. Das Gotteshaus wur- de nach gründlicher Renovierung den Gottscheern mit der Aushändigung des Schlüssels an den beliebten Geistlichen Rat Alois Krisch im September 1962 übergeben. Die Reno- vierung war durch zahlreiche Spenden, insbesondere von Amerika-Gottscheern, ermög- licht worden. An der linken Innenseite des Kirchenschiffes kündet eine Granittafel nach- stehenden Inhalts von seiner besonderen Zweckbestimmung:

GÖTT WUTR IN HIMML, BIR PATN GUAR SCHEAN SHÖ LUESS INSHR HOIMOT IN HARZN PESCHTEAN 1330 - 1918 1941 - 1945 GEWEIHT DEM GEDENKEN AN DIE HEIMAT G O T T S C H E E WIR GEDENKEN ALLER, DIE IN DER HEIMAT RUHEN + IN DEN KRIEGEN IHR LEBEN GABEN + DURCH DIE DRANGSAL DER ZEIT GESTORBEN ODER VERSCHOLLEN SIND + IN VIELEN LÄNDERN DER ERDE DEN EWIGEN FRIEDEN GEFUNDEN HABEN.

Die Schloßkirche von Krastowitz birgt außerdem zwei Kostbarkeiten, ein "Gedenkbuch" mit den Namen der gefallenen Gottscheer beider Weltkriege und der Todesopfer der Ver- treibung und Flucht aus der Untersteiermark. Das Buch wurde von Richard Lackner gra- phisch gestaltet. Im Turm aber hängt seit 1966 die kleine Glocke der Franziskuskirche in der Nähe von Rieg im Hinterland.

Die "Gottscheer Landsmannschaft Klagenfurt" kaufte das Gelände um die Schloßkirche im Ausmaß von 7600 Quadratmeter. Die Landeshauptstadt verlieh diesem Treffpunkt durch Senatsbeschluß die Bezeichnung "Gottscheer Gedächtnisstätte" und gab der dorthin füh- renden Straße den Namen "Gottscheer Straße".

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In Leoben, Steiermark, gründeten 1964 die Landsleute Fritz Högler, Alois Kresse, Alois Krauland, Johann Schemitsch und andere den Verein "Gottscheer Gedenkstätte", der den Zweck hatte, in Steiermark aus eigener Kraft einen Erinnerungsbau an Gottschee zu er- richten. So entstand nach eifrigem Sammeln von Spenden, die besonders reichlich aus den USA flössen, in der Nähe der weithin bekannten Wallfahrtskirche "Maria Trost" bei Graz ein moderner Kirchenbau, welcher der Heimat Gottschee gewidmet ist. Auf Marmor- tafeln sind das Gottscheerland sowie jene Landsleute verzeichnet, die durch die Wirren beider Weltkriege umgekommen sind.

Am letzten Sonntag im Juli jeden Jahres finden sich die Vereinsmitglieder und viele ande- re Landsleute in Maria Trost zum Gedenken an die Heimat und der Verstorbenen ein. Der Samstag ist einem Festabend gewidmet und der Sonntag der Totenmesse und der Wie- dersehensfreude.

Mitten im Schwarzwald nahe der Ortschaft Aichelberg (Baden-Württemberg) steht seit dem Sommer 1975 die dritte Gedenkstätte der Gottscheer in Europa. Es ist dem Lands- mann Richard Lipowitz aus Suchen nach mehrjährigen Bemühungen mit Hilfe der Stadt- gemeinde Bad Einöd und durch Spenden von Landsleuten gelungen, hier eine Erinne- rungsstätte an unsere verlorene Heimat Gottschee zu errichten. Dieser Gottscheer Brun- nen besteht aus einem riesigen Stein (es ist ein Findling mit zwölf Tonnen), der mit dem Wappen der Stadt Gottschee geschmückt ist. Auf einem weiteren Stein befindet sich eine Gedenktafel mit folgendem Inhalt:

DIESER BRUNNEN WURDE 1975 GEBAUT ZUR ERINNERUNG AN DIE SPRACHINSEL GOTTSCHEE IN KRAIN-JUGOSLAWIEN. UM 1330 HABEN DEUTSCHE WALDBAUERN GOTTSCHEE GEGRÜNDET. 1941 VERLOREN DIE GOTTSCHEER IHR LAND DURCH DIE UMSIEDLUNG DER VOLKSGRUPPE. 1945 MUSSTEN SIE DAS ANSIEDLUNGSGEBIET IN DER UNTER- STEIERMARK VERLASSEN UND IN VIELEN LÄNDERN EINE NEUE HEIMAT SUCHEN.

Ein liegender Stein (drei Tonnen) trägt die Brunnenschale. Am 17. Juli 1977 wurde unter Teilnahme von offiziellen Vertretern der Regierung in Bonn, der Landesregierung in Stuttgart, der örtlichen Gemeindevertretung sowie des Gottscheer Trachtenchors Klagen- furt und die Vertreter der Gottscheer Organisationen in Deutschland und Österreich diese Gedenkstätte feierlich eingeweiht. Sie dient nun dem Treffen der Gottscheer in Deutsch- land.

An allen Stätten landsmannschaftlicher Begegnungen, der Erinnerungen und Gefühle, finden wir sie wieder, die leuchtenden Augen, die freudigen Zurufe, das sinnende Lau- schen, gelöstes Lachen und melancholisches Singen wie bei allen Treffen von Gott- scheern.

Die Feiern in Klagenfurt und Graz werden verschönt durch die "Sing- und Trachtengruppe der Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt". Sie entstand bereits aus kleinen Anfän- gen 1952. Ins Leben gerufen wurde sie vom damaligen Hauptschullehrer Bruno Jonke, später führte sie Frau Mitzi Verderber. Lange Zeit wurde die Gruppe aber von Frau Schul- direktorin Amalia Erker, die selbst eine Anzahl von Mundartliedern schuf, und später von

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Hans Brugger betreut. Die Mundartliederwerden in den siebziger Jahren von Volksschuldi- rektor Walter J. Siegmund aus Altbacher dirigiert, während die vom Chor gesungenen Kärntnerlieder vom Kärntner Volksschuldirektor Stefan Slamanig betreut werden, dessen Gattin die Gottscheerin Berta Tscherne ist. Slamanig hat auch mehrere Gedichte in gott- scheerischer Mundart vertont und durch den Chor zu Gehör gebracht.

Die Gruppe tritt bei allen wichtigen Veranstaltungen der Gottscheer Landsmannschaften in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dabei erntet sie freudigen Bei- fall, bei den Gottscheern verständlicherweise aber stürmischen Dank.

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Gottscheer Kulturwoche

In der Geschichte der Gottscheer waren wenig glückliche Ereignisse zu verzeichnen. Die "Gottscheer Kulturwoche" scheint ein solches zu sein. Sie ist in der Idee und Gestaltung das Werk eines einzelnen Mannes, des Oberschulrates Hermann Petschauer aus Lichten- bach. Er gründete sie 1966 und leitet sie seither ohne Unterbrechung. Sie bildet das gei- stige Forum, auf dem Forschungsergebnisse über die ehemalige Sprachinsel Gottschee in wissenschaftlichen Vorträgen und Lichtbildreihen sowie Lesungen dargestellt werden. Diese Veranstaltungen finden im Vortragssaal der im Schloß Krastowitz untergebrachten "Bäuerlichen Volkshochschule Dr. Arthur Lemisch" des Landes Kärnten statt. Das Schloß Krastowitz wurde für ihre Zwecke stark erweitert. Diese Anstalt stellt den Gottscheern die Unterrichts- und Unterkunftsräume Ende Juli bis Anfang August für sieben hochgestimm- te Tage zur Verfügung. Die Schloßkirche von Krastowitz, die keine hundert Meter von der "Bäuerlichen Volkshochschule entfernt steht, aber ist das Endziel der "Gottscheer Wall- fahrt".

So nahe beieinander liegen die Stätten der Begegnung mit der Gottscheer Geschichte und mit der letzten Gottscheer Generation. Ein Zufall? Ja und nein, denn Hermann Pet- schauer erkannte als Teilnehmer der ersten Wallfahrten die günstigen Voraussetzungen für die Abhaltung eines historischen Seminars, das ihm schon länger vorschwebte. Als er dann bei der Landwirtschaftskammer von Kärnten beantragte, auf Schloß Krastowitz während der Ferien einen Kurs für Gottscheer Geschichte abhalten zu dürfen, fand er viel Verständnis und die Zustimmung. Ein reiner Zufall aber ist es, daß der gegenwärtige Di- rektor der "Bäuerlichen Volkshochschule Krastowitz“, Dipl.-Ing. Dr. Kurt Erker, von Gott- scheer Eltern aus Mitterdorf abstammt Er selbst ist in Kärnten geboren, sein Vater war als Regierungsrat bei der Landesregierung tatig."

Zielstrebig hat Hermann Petschauer aus der Reihe der Wissenschaftler, denen Gottschee zu einer Herzensangelegenheit geworden ist, sowie aus der Volksgruppe selbst eine An- zahl von vortragenden Damen und Herren verpflichtet. Die Mundart allgemeine und kul- turelle Geschichte, die Volkskunde und das Erzählgut, aber auch die Mundartdichtung der letzten Jahrzehnte, stehen bei ihren Vorträgen im Mittelpunkt.

Die Mundart wurde vom Verfasser des "Wörterbuchs der Gottscheer Mundart", Dr. Walter Tschinkel, und von Frau Univ.-Prof. Dr. Maria Hornung vertreten Sie wird es künftig allein tun, weil Walter Tschinkel im Oktober 1975 allzu früh starb. Die beiden Wissenschaftler arbeiteten unter der Ägide des kurz vor Tschinkel verstorbenen Universitätsprofessors Dr. Eberhard Kranzmayer viele Jahre eng zusammen, so daß Maria Hornung in der Lage war, dem dahingeschiedenen Gottscheer Gelehrten einen letzten Freundschaftsdienst zu er- weisen: An seiner Stelle las sie die Schlußkorrekturen des zweiten Bandes seines Mund- art-Wörterbuches.

Während Dr. Tschinkel die sprachgeschichtliche Substanz seiner Heimatsprache betonte, beschäftigt sich die Wiener Univ.-Professorin überwiegend mit der Bedeutung des Gott- scheer Dialektes für die deutsche Sprachforschung überhaupt und für die tirolerisch- kärntnerischen Mundarten im Herkunftsgebiet der Gottscheer und stellt Vergleiche mit den Sprachinseln in Oberitalien an. Sie ist überdies Gründerin und Leiterin eines Arbeits- kreises, der sich mit der Vertiefung der Kenntnisse über diese von Österreich her koloni- sierten Siedlungsgebiete befaßt.

Die Gottscheer Volkskunde ist bei Frau Dr. Maria Kundegraber, Kustos des "Bäuerlichen Museums" in Stainz bei Graz, und bei dem emeritierten Wiener Universitätsprofessor Dr.

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Richard Wolfram in den besten Händen. Maria Kundegraber beschäftigt sich hauptsäch- lich mit den Gegenständen des täglichen Hantierens im gesamten Lebensbereich des Bauern in der ehemaligen Sprachinsel, Gegenständen, welche die Gottscheer daheim noch selbst hergestellt haben. Ferner hat sie sich mit Lichtbildvorträgen der von der Zer- störung durch Mensch und Natur verschonten Kirchenmalerei zugewandt. Außerdem ist sie den alten Wallfahrtswegen der Gottscheerinnen und Gottscheer zu entlegenen und nahen Gnadenorten nachgegangen.

Die Forscherin kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der ehemaligen Sprachinsel in Berührung. Glücklicherweise gelang es ihr noch rechtzeitig, bei Nichtumsiedlern zahlrei- che volkskundlich interessante Gegenstände zu erfassen und für das Wiener Volkskun- demuseum sicherzustellen. Außer ihren Vorträgen auf der "Gottscheer Kulturwoche" und anderen Orten veröffentlichte sie eine größere Zahl von Aufsätzen zu ihren Spezialthe- men, von denen hier einige genannt seien:

• "Eine Reise nach Gottschee", "Donau- und Karpatenraum", Wien 1961. • "Die Wallfahrten der Gottscheer". österreichische Zeitschrift für Volkskunde 65 (1962)233-260. • "Bibliographie zur Gottscheer Volkskunde", Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 7 (1962/63), 233-272. • "Gottscheer Ochsenjoche". Ein Kapitel aus der Gottscheer Gerätekunde. Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde. • "Heutragen und Heuziehen in Gottschee", Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde. • "Das Schicksal der Gottscheer Volksliedsammlung" (1906-1912). Jahrbuch des ös- terreichischen Volksliedwerkes 13 (1964) 143-148. • "Zwei Andreas-Lieder aus Pöllandl in Gottschee". Jahrbuch des österreichischen Volksliedwerkes 13 (1964) 131-133. • "Entstehung und Bedeutung der Gottschee-Sammlung des österreichischen Muse- ums für Volkskunde". Carinthia I 155 (1966) 799-834. • "Die Kosmas- und Damian-Wallfahrt nach Oberburg". In: Festschrift für Leopold Kretzenbacher, München, 1972. • "Gottscheer Putscherlein und mittelalterliches Pilgerfäßchen". In: Festschrift für Leopold Schmidt, Wien, 1972. • "Die Gottscheer Frauen-Festtracht - ein Relikt mittelalterlicher Mode". In: Fest- schrift für Hanns Koren, Graz, 1966. • "Das Gottscheer Hemdkleid". In: Zs. für historische Waffen- und Kostümkunde 1971 (München). • "Die Frauenjoppe in Pöllandl, Gottschee". In: Slovenski etnograf, etwa 1970.

Der beste Kenner des Gottscheer Brauchtums ist zweifelsfrei Universitätsprofessor Dr. Richard Wolfram. Seine tiefschürfenden Kenntnisse aus diesem etwas vernachlässigt ge- wesenen Gebiet sind umso höher einzuschätzen, als es der Kulturkommission beim deut- schen Umsiedlungsbeauftragten in Laibach dank einer italienischen Schikane nicht mehr möglich war, ihre volkskundliche Forschungsarbeit rechtzeitig vor der Umsiedlung in An- griff zu nehmen. Nicht nur für einen Gottscheer ist es fesselnd, Wolframs Schilderungen der Brauchtumsgeschehnisse zur Weihnacht und beim Jahreswechsel, der Sommer- und der Wintersonnenwende und des Osterfestes, wie bei Hochzeit und Taufe zu lauschen und mitzuerleben, was an Hand tätigen Brauchtums in der Phantasie der Menschen in der alten Sprachinsel vor sich ging. Vieles davon ist von der Ansiedlung her noch überliefert und heidnischen Ursprungs, manches hat sich nur in Gottschee erhalten und wenig wurde von der slawischen Umgebung übernommen. - Prof. Wolfram begann seine Forschungs- arbeit noch in dem bewohnten Gottscheerland und brachte sie in den Flüchtlingslagern zu Ende. Bisher veröffentlichte er sechs längere Aufsätze über das Brauchtum der Gott- scheer in dem "Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde", N. G. Elwert-Verlag, Marburg. Er beabsichtigt, sie in einem Band zusammenzufassen.

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Mehrere Vorträge steuerte der Verfasser zur "Gottscheer Kulturwoche" bei. Er behandelte unter anderem die Entstehungsgeschichte der ehemaligen Sprachinsel, die Genealogie der Häuser Ortenburg und Auersperg sowie die Sagen und Märchen der Gottscheer.

Daß die Gottscheer Mundart auch für die reine, insbesondere lyrische Poesie verwendbar ist, legte Richard Lackner in mehreren Lesungen zahlreicher Gedichte aus jüngster Zeit dar. Er selbst erwies sich dabei als stilsicherer und begabter Poet, der ein feines Gespür dafür besitzt, was man der Gottscheer Mundart als dichterisches Ausdrucksmittel zumu- ten kann und was nicht. Einige ähnliche Begabungen brachte die letzte Gottscheer Gene- ration hervor. Lackner rezitierte beispielsweise aus dem Sammelbändchen "Spätherbst" (Dər schpuətə Herbischt), worin außer ihm Bernhard Hönigmann, Ludwig Kren, Hilde Ot- terstädt geb. Erker und Karl Schemitsch zu Worte kommen.

Naturgemäß widmeten sich die Gottscheer Mundartlyriker nach der Vertreibung kaum einem anderen Thema als der verlorenen Heimat. Zwei Beispiele sollen belegen, welch herbe Melodik dieser Mundart innewohnen kann:

Dər Pflüəkh Der Pflug

„Dər Pflüəkh, dos ischt main Boffə, Der Pflug ist meine Waffe, dər Pflüəkh, dar gait mir's Proat. der Pflug, der gibt mir das Brot. I bərt in Pflüəkh et luəßn, Ich werde den Pflug nicht lassen, pis hölət mi dər Toat. bis mich holt der Tod.

Dər Toat, ar khonn di trennən Der Tod, er kann dich trennen von inshrər Eardn et, von unserer Erde nicht. dü Pflüəkh, dü paüəscht baitər, Du Pflug, du ackerst weiter, bai's Völkh, dos schtirbət et. denn das Volk, das stirbt nicht.

Bernhard Hönigmann

Ammö Mutter

Nocht ischt nöch in' Doarfə, Nacht ist noch im Dorfe, Münnə schainət draüf, Mond scheint darauf, dü ünt hant a Liəchtle: da und dort ein Lichtlein: Ammö ischt schon aüf. Mutter ist schon auf.

Khöchn, Bossər trügn, Kochen, Wasser tragen, 's Haüsch, də Akkhrə, 's Güət, das Haus, die Acker, das Vieh, khronkhə Khindər shboign - kranke Kinder besänftigen - Ammö khon dos güət. Mutter kann das gut.

Män ünt baschn, höltsn ... Mähen und waschen, Holz machen … Ischt ä Galt pain Haüsch? Ist auch Geld beim Haus? Atte ischt in Pemmən, Vater ist in Böhmen, Ammö mochət aus. Mutter macht alles.

Khriekh ünt Loidn, Ünracht, Krieg und Leiden, Unrecht, aus varloaərn! Begnbai alles verloren! Warum hot's grut insch gətröffn? hat es gerade uns getroffen? Ammö treaschtət lai. Mutter tröstet nur.

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Ammö, scheandər Nümə! Mutter, schöner Name! Ibəroll gämət shi! Überall schützt sie! Ammö, liəbai, güətai, Mutter, liebe gute, ollə prächnt di! alle brauchen dich!

Ludwig Kren

Ein Tag der Kulturwoche gehört einer Art Pilgerfahrt. "Pilgerfahrt" deshalb, weil die Reise von Klagenfurt nach Spittal eine gleichnishafte Heimkehr in das Herkunftsgebiet der Ur- ahnen darstellt. Ihr eigentliches Ziel ist der bauliche Mittelpunkt der Draustadt, Schloß Porcia, das Gabriel Salamanca um 1527 erbauen ließ. Der vielbewunderte Renaissance- Bau steht aus Gründen, die hier nicht zu erörtern sind, mit dem Namen Ortenburg in Verbindung.

Wiewohl das Schicksal die Gottscheer und ihr "Ländchen" mit viel Unglück überschüttete, gönnte es ihnen gleichsam einige mildernde Umstände. Nicht so, als ob die Geschichte über sie zu Gericht gesessen und ihnen ein paar Erleichterungen zugestanden hätte - sie hat ihnen vielmehr einige Sternstunden gegönnt, damit ihr Los nicht ganz und gar uner- träglich würde. Bis zum Jahre 1918 waren es eigentlich nur vier, sie waren jedoch für den Fortbestand des Gottscheerlandes von ausschlaggebender Bedeutung:

Das Waldgesetz des letzten Ortenburger Grafen Friedrich III. aus dem Jahre 1406 griff nicht weniger tief in die Grundlagen des Bestehens der Sprachinsel ein, als der Kauf der Grafschaft Gottschees durch den Grafen Wolf Engelbrecht von Auersperg 1641 oder die Erhebung der Grafschaft zum Fidei-Kommiß durch den Fürsten Johann Weikhart von Au- ersperg, dessen überaus erfolgreiches, dennoch unglückliches Leben 1677 zu Ende ging. Den wissenschaftlichen Meilenstein auf dem Wege zu einer Gottschee-Kunde aber setzte Adolf Hauffen 1895 mit der Herausgabe seines Werkes "Die deutsche Sprachinsel Gott- schee". - Nach 1918 blieben den Gottscheern weitere geschichtliche Lichtpunkte versagt, es sei denn, man bezeichnet die Sechshundertjahrfeier als solchen. Das Völkchen aus dem Karst und sein "Ländchen" schienen für immer in die Geschichtslosigkeit zurückge- worfen zu sein, gleichsam nicht mehr teilnahmeberechtigt am Völkerleben, gewogen und zu leicht befunden. Das erste Signal, daß es trotzdem noch lebt, gab 1946 die Gründung des "Gottschee-Hilfswerks" in New York. Und daß es nicht daran dachte, seine Traditio- nen und Erinnerungen aufzugeben, beweisen drei Stationen, die fast wie Informations- stände auf dem Weg in die absehbar kurze Zukunft des Gottscheer Völkchens wirken: Die Idee der "Kulturwoche", das "Wörterbuch der Gottscheer Mundart" und - die "Gottschee- Schau" im Schloß Porcia.

Die "Gottschee-Schau" verdankt ihr Entstehen dem Gründer und Kustos des "Bezirkshei- matmuseums für Oberkärnten", Prof. Helmut Prasch. Wie fast alle Kenner und Förderer des Gottscheertums, gehört auch er dem Lehrstande an. Die Symbolkraft des Vorhan- denseins der "Gottschee-Schau" in Spittal an der Drau im Oberkärntner Heimatmuseum und im Schloß Porcia bedarf keiner weiteren Sinndeutung, sie liegt auf der Hand. Ergän- zend sei jedoch soviel gesagt, daß diese ständige Gottschee-Ausstellung in der bestehen- den Form kaum oder gar besser anderswo entstanden wäre, hätte nicht auch hier der Zufall mitgewirkt. Helmut Prasch und Walter Tschinkel waren vor dem Zweiten Weltkrieg im Bezirk St. Veit an der Glan Lehrer an zwei benachbarten Volksschulen. Prasch hatte das Gottscheerland bereits lange vor der Umsiedlung kennengelernt. Sein Wissen über die Abstammung, Geschichte und Kultur der Gottscheer vertiefte sich in zahlreichen Ge- sprächen mit Tschinkel soweit, daß er nach der Einrichtung des Bezirksheimatmuseums beschloß diesem eine Gottschee-Abteilung anzugliedern. Sie sollte das 1921 von Pfarrer Josef Eppich gegründete Heimatmuseum in Gottschee, aber auch den sechshundertjähri-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 162 gen Lebenskreis Kärnten und Osttirol - Gottschee - Kärnten sichtbar machen und schlie- ßen.

Breitet die "Kulturwoche" im Vortragssaal des Schlosses Krastowitz die geistige Schau der sechshundertjährigen Geschichte der Gottscheer aus, so betrachtet der Besucher der "Gottschee-Schau" im Schloß Porcia viel Gegenständliches, das den alten Bauern im "Ländchen" täglich umgab und das, von modernem Zeug verdrängt in irgendeinem Win- kel auf dem Dachboden neuerlicher Betrachtung entgegenschlummerte. Vom einfachsten Haushaltsgerät bis zur Tracht, vom "Pütschale" bis zum Ochsenjoch von der ersten Nummer des "Gottscheer Boten" bis zum Wörterbuch Walter Tschinkels ist vieles von dem ausgelegt, was Umsiedlung und Flucht überstanden hat. Allmählich schließen sich die in der damaligen Hast entstandenen Lücken. Dann und wann bringt die neue "Gott- scheer Zeitung" Listen mit weiteren Schaustükken, unter denen sich wiederholt Schen- kungen des Prinzen Carl von Auersperg befinden. Prinz Carl, der letzte Sohn des letzten Herzogs von Gottschee, Fürst Carl von Auersperg, lebt auf Schloß Wald bei St. Pölten, wo immer wieder Gottscheer zu einem Gedankenaustausch einkehren. Der derzeitige nomi- nelle Träger des Herzogtitels von Gottschee, Carl Adolf, lebt in Uruguay, Südamerika.

Die "Kulturwoche" und die "Wallfahrt" finden bei Presse, Funk und Fernsehen in Kärnten ein lebhaftes Echo. Offizielle Vertreter des Landtags, der Landesregierung und des Senats sowie der Bürgermeister der Landeshauptstadt Klagenfurt nehmen an der Eröffnung der "Kulturwoche", die durch den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften, Dr. Viktor Michitsch, vorgenommen wird und an dem Empfangs- abend vor dem Wallfahrtssonntag teil.

Der frühere Bürgermeister, Hofrat Dr. Hans Ausserwinkler, ging noch einen Schritt wei- ter. Er besuchte im Jahre 1973, begleitet von Dr. Michitsch und Dr. Herbert Krauland, dem Schriftführer der "Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften", das frühere Siedlungsgebiet der Gottscheer. Das gleiche tat - das sei hier vorweggenommen - der langjährige Oberbürgermeister der württembergischen Industriestadt Sindelfingen, Arthur Gruber. In seiner Begleitung befanden sich außer den beiden genannten Herren Hermann Petschauer und für die "Gottscheer Zeitung" Viktor Stolzer. Oberbürgermeister Gruber wurde auf der Hinfahrt in Laibach (Ljubljana) samt seiner Begleitung vom dorti- gen Bürgermeister und von Regierungsmitgliedern der Teilrepublik Slowenien zu einem Freundschaftsbesuch empfangen. – Das „Jahrhundertbuch“ verzeichnet diese Geste nur ungern, denn der zweck der Reise des deutschen Oberbürgermeisters und die Herkunft seiner Begleiter waren den Gastgebern bekannt.

Während der Amtszeit Arthur Grubers wurde Sindelfingen im übrigen zur Patenstadt der Deutschen aus Jugoslawien erklärt. Hier entstand mit großzügiger Unterstützung der Stadt das "Haus der Donauschwaben", das in Erinnerung an die ehemalige Schicksalsge- meinschaft in Jugoslawien auch den Gottscheern jederzeit offensteht. In seinem kultivier- ten Rahmen machten sie beispielsweise im April 1974 eine größere Öffentlichkeit mit dem "Wörterbuch der Gottscheer Mundart" bekannt, wie dies auch in Wien und Klagen- furt vorher geschehen war. Die Festansprache hielt jeweils sein Verfasser, Dr. Walter Tschinkel.

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Der Gottscheer Waldbauer wird zum Städter

Alle Gottscheer der letzten Generation entstammen, mit geringen Ausnahmen, durch Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern, einem Bauernhaus. Und jeder aus ihrer Mitte lebt nun in einer Stadt. Ein oberflächlicher Beobachter mag in dieser soziologischen Verhal- tensweise, nämlich der totalen Landflucht, nach der Umsiedlung und der Abkehr vom Hausierwesen bei den sogenannten Umsiedlern von 1941 eine negative Auslese und so- zusagen den biologischen Bodensatz der sechshundert Jahre Gottscheer Geschichte se- hen wollen. Wer so denkt, ist nicht bis ans Ende des Gottschee-Problems vorgestoßen. Es ist doch nicht so, daß es in deutschen Landen und im übrigen Europa keine Landsleute gegeben hätte. Er mag auch von Entwurzelung reden. Doch Entwurzelung und Entwurze- lung kann zweierlei sein. Die Vertreibung bäuerlicher Menschen von Haus und Hof bedeu- tet nicht, jedenfalls nicht bei den Gottscheern, zwangsläufig den Verlust der das Leben bestimmenden moralischen, sittlichen und geistigen Werte. Ebensowenig wie Gottscheer in den Slums von New York, Cleveland und Chicago verkamen, darf man den Umsiedlern des Jahres 1941 entgegenhalten, sie seien von vornherein entwurzelt gewesen, weil sie nicht einmal den Versuch unternahmen, wieder in der Landwirtschaft Fuß zu fassen. Wo hätten sie das auch tun sollen? Die Rückkehr in die alte Heimat, wie dies den vertriebe- nen Slowenen in der Untersteiermark gegönnt wurde, war ausgeschlossen. Ihnen blieb keine Wahl, als aus den Lagern weiter zu wandern, und wenn sie Glück hatten, war der Weg zum nächsten Verwandten oder Freund nicht weit. So wie die Landsleute drüben, jenseits des Ozeans, bewiesen die Umsiedler in Österreich und Deutschland, daß sie Halt und Haltung besaßen und vor keiner zumutbaren Aufgabe kapitulierten. Man trifft die unternehmungsfreudigen Söhne und Töchter der letzten "Besitzer" in Gottschee als kleine und mittlere Unternehmer, Handwerker, Inhaber von Dienstleistungsbetrieben, Geschäf- ten und Restaurants, man findet sie in geistigen Berufen, als Juristen, Ärzte und Beamte, vor allem aber als Lehrer und Lehrerinnen. Der verhältnismäßig hohe Prozentsatz an gei- stig Berufstätigen ist weiter nicht erstaunlich, denn das alpenländische Österreich war ja, besonders seit der Gründung des Gymnasiums in Gottschee, für die überschüssige Gott- scheer Intelligenz einschließlich der gehobenen Handwerksberufe das natürliche Aus- weichfeld. Auch hier ist noch das Lebensgesetz von der Enge des Raumes zu spüren.

Mancher Nicht-Gottscheer unter den Lesern wundert sich vermutlich über die große Zahl an Familiennamen in diesem Buch, die er mit dem anderen Lesestoff mitschleppen muß. Wenn er jedoch bedenkt, daß es vor allem in die Hände der Gottscheer geschrieben ist, begreift er plöztlich ihre starke menschliche Aussage und geschichtliche Erinnerungskraft.

War es bisher schon nicht einfach, die in der Gottscheer Öffentlichkeitsarbeit stehenden bzw. in der Pflege des Heimatgedankens tätig gewesenen Männer und Frauen auszuwäh- len, so ist es nun doppelt schwer, jene Gottscheer herauszustellen, die im allgemeinen Berufsleben und als Menschen hervorragende Leistungen erbracht haben. Eine Sonderlei- stung für das gesamte Gottscheertum oder eine hervorragende Einzelleistung außerhalb des "Ländchens" waren für die Hereinnahme von Namen in den Bericht maßgebend. Be- greiflicherweise war auch eine zeitliche Abgrenzung nach rückwärts erforderlich. Der Zeitraum, der mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begann, erhielt den Vorzug. Mit weiter zurückliegenden Lebensläufen verbinden die noch lebenden Gottscheer in den wenigsten Fällen eine Vorstellung. Zu den herausragenden Gesamtleistungen einer Fami- lie des Gottscheerlandes gehört vor allem jene des Oberlehrers Franz Höfler, der durch lange Jahre die Volksschule in Stalzern leitete. Aus seiner Ehe mit der aus Rieg stam- menden Maria Ostermann gingen elf Kinder hervor, die alle eine höhere Schulbildung genossen. Drei Söhne wurden Ärzte, der vierte Sohn Lehrer, vier Töchter Lehrerinnen, zwei übten ebenfalls geistige Berufe aus und eine Tochter starb als Lehramtskandidatin. Die bedeutendste Lebensleistung erzielte der älteste Sohn Dr. Franz Högler in Wien als

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Universitätsprofessor der Internen Medizin und Verfasser von rund 20 Büchern und Schriften auf seinem Fachgebiet, darunter ein grundlegendes Werk über den Diabetes. Er wurde oft von hochgestellten Persönlichkeiten des In- und Auslandes zu ärztlichen Kon- sultationen gebeten. Prof. Högler fühlte sich lebenslang als Gottscheer und pflegte hilfe- suchende Landsleute kostenlos zu behandeln.

Unvollendet blieb das Leben eines Sprachgenies aus Lichtenbach: Dozent Dr. Josef Stal- zer, geboren 1880, gefallen 1914 in Galizien. Stalzer beherrschte 15 Sprachen, darunter das Aramäische. -

Selbst nicht mehr in Gottschee geboren, doch eindeutig gottscheerischer Abstammung, ist der weltbekannt gewordene Prof. Dr. Hermann Knaus (geboren 1892, gestorben 1971), der gemeinsam mit dem japanischen Gynäkologen Ogino die Gesetzmäßigkeit des weiblichen Fruchtbarkeitszyklus entdeckte. Seine Vorfahren waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Suchener Hochtal (Merleinsraut) nach Sankt Veit an der Glan in Kärnten ausgewandert, wo der Forscher zur Welt kam.

Ebenfalls internationalen Ruf erwarb ein weiterer Forscher aus dem Gottscheerland, Dr. med. vet. Hans Ganslmayer aus . Dort entwickelte er für die Tiermedizin das "Anti- septom", das nach dem Tode seines Erfinders unter anderem Namen auch in die Hu- manmedizin Eingang fand. Dr. Ganslmayer wirkte an hervorragenden Stellen am Aufbau des Veterinärwesens in der Türkei. - Sein Bruder, Dr. med. vet. Rudolf Ganslmayer, Hof- rat, stieg nach einer ungewöhnlich erfolgreichen Berufslaufbahn zum Landesveterinär der Steiermark auf.

Zweier Ärzte sei noch gedacht: Obermedizinalrat Dr. Karl Rom aus Oberdeutschau (1902-1963) machte sich durch den Aufbau der kassenärztlichen Organisation im Bun- desland Niederösterreich einen Namen. Karl Rom, der seine ärztliche Laufbahn in Ferlach im Rosental begonnen hatte, ist auch als Verfasser des historischen Romans "Rebellion in der Gottschee" bekannt geworden.

Medizinalrat Dr. Josef Krauland aus Gschwend (geboren 1897, gestorben 1973) ordinier- te bis zur Umsiedlung in Gottschee/Stadt und baute sich nach der Vertreibung in Villach eine neue Existenz in einem zahntechnischen Labor auf. Mit bemerkenswerter persönli- cher Hingabe führte er seit ihrer Gründung im Jahre 1960 das Amt des Schriftführers der "Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer Landsmannschaften" aus. Zu seinem Nachfolger in diesem Ehrenamt wurde der Finanzrat, Dr. Herbert Krauland, geboren in Klagenfurt, er- nannt. Sein Vater war der Landesfinanzinspektor, Hofrat Dr. Josef Krauland aus Koflern, geboren 1894, gestorben 1960 in Klagenfurt.

Als großer und anerkannter Künstler, Maler und Holzschneider, ist Suitbert Lobisser in Kärnten und darüber hinaus bekannt. Seine Holzschnitte und Fresken finden noch heute Bewunderung. Der Vater Lobissers war Lehrer an mehreren Dienstorten in Kärnten, war in Mitterdorf bei Gottschee geboren und erkannte frühzeitig die zeichnerische Begabung seines Sohnes. Der Künstler hielt sich oft im Gottscheerland auf, war doch seine Schwe- ster mit dem tüchtigen Tischlermeister Meditz in Nesseltal verheiratet und der Geistl. Rat, Pfarrer August Schauer sein bester Freund.

In den zwanziger- und dreißiger Jahren hatte die Stadt Baden bei Wien einen Bürgermei- ster, dem die Badener heute noch für seine Leistungen dankbar sind. Sie haben dem Gottscheer aus Grafenfeld, Josef Kollmann, ein Denkmal gesetzt, ebenso wie die Wein- bauern der Umgebung für seinen wertvollen Rat. Unter dem Bundeskanzler Schober war Kollmann auch österreichischer Finanzminister.

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Wie bereits ausgeführt war die Gottscheer Lehrerschaft insbesondere in Kärnten und Steiermark, aber auch in Niederösterreich, zahlreich vertreten. Allein in Kärnten wären ab 1919/20 wenigstens 60 Namen von Lehrern und Lehrerinnen zu nennen. Eine beach- tenswert große Zahl von ihnen erreichte die Stellung eines Volksschul- und Hauptschuldi- rektors, dem in der Republik Österreich bei besonderer Leistung vom Bundespräsidenten der Titel "Oberschulrat" verliehen wird. Zwei, Dr. Walter Tschinkel und Hermann Pet- schauer, traten auf dem Felde der Mundartforschung bzw. dem kulturell- organisatorischen Gebiet besonders hervor.

Auf dem erzieherischen Sektor des Landes Kärnten erwarb sich die Gottscheerin Mater Alfonsa am Ursulinenkloster zu Klagenfurt außergewöhnliches Ansehen. Sie war von 1918 bis 1938 Direktor der Lehrerinnen-Bildungsanstalt, der Hauptschule (früher Bürgerschu- le), und der Volksschule des Klosters. Sie genoß auch außerhalb ihrer Wirkungsstätte großes Vertrauen als Helferin bedrängter Menschen. Sie trug, vermutlich als einzige Gott- scheerin, den Titel "Regierungsrat". Geboren wurde sie unter dem bürgerlichen Namen Josefa Samide in Koflern 1878 und starb 1968 hochbetagt in Klagenfurt.

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Gottscheer Fluggäste

Wir begleiten die Flugwanderer zwischen den beiden so ungleichen Hälften des Gott- scheer Völkchens in seinem österreichischen und deutschen Exil weiter und sehen mit ihren Augen auch noch einen anderen Tatbestand: Verständlicherweise haben die älteren Umsiedler nicht in dem Maße an dem ausklingenden Wirtschaftswunder ihrer neuen Hei- matländer Anteil wie die Geburtenjahrgänge, die in unserer Gegenwart voll in der Ver- antwortung stehen, einmal in den ihnen zugefallenen, beruflichen Aufgaben und zum anderen als Ehepartner für das gedeihliche Fortkommen der Familie. Doch auch für sie, die Alten, ist durch Renten und Pensionen, öffentliche Wohnungsbeschaffung und private Initiativen auf diesem Sektor gesorgt worden. Und sie erfahren, daß um die Weihnachts- zeit vom "Gottscheer-Hilfswerk" in Amerika Spenden eintreffen und dorthin gelangen, wo sie als Hilfe angebracht sind.

Jeder, aber auch wirklich jeder der "Amerikaner" steht in seinen Gedanken vor einem anderen Reiseziel. Nicht Paris oder Rom, Rothenburg ob der Tauber und Salzburg oder die Romantische Straße, obwohl auch sehr viele von ihnen ihre Schritte zu diesen Zen- tren des internationalen Tourismus lenken, das heimliche Reiseziel aller ist vielmehr das Gottscheer-Land bzw. das, was davon übriggeblieben ist. Doch nur ein Teil trifft dort ein. Die anderen zögern, den endgültigen Entschluß zur Fahrt nach Gottschee zu verwirkli- chen. Sie wollen den goldenen Erinnerungsschatz an das "Ländchen" als Ganzes, das Dorf, ihr Elternhaus, die Nachbarn so bewahren, wie sie ihn daheim jung und emsig auf- gehäuft haben. Jene aber, die die Reise in das südliche Slowenien antreten, obwohl sie aus der Zeitung, aus Briefen und Erzählungen wissen, was sie erwartet, nähern sich von Reifnitz her bange und erfüllt von einem Gemisch aus Trauer, doch auch Neugier, der Stadt. Schon nach dem Überschreiten der früheren Sprachinsel-Grenze stellen sie fest: Der Wald erobert sich das "Ländchen" zurück. Die Stadt hat sich sehr stark verändert und bietet nur noch wenige der früher so vertrauten An- und Ausblicke. Die Doppeltürme der Stadtpfarrkirche beherrschen nicht mehr allein weithin das Landschaftsbild und die Stadt, sondern es sind mehrere Betonwohntürme dazugekommen. Sie könnten ebenso- gut am Rande einer westeuropäischen Kleinstadt stehen, zweckmäßig, modern, doch geschmacklos. Dafür vermißt der Besucher auf seiner kurzen Wanderschaft durch die Vergangenheit das Schloß der Grafen von Auersperg. Ihm ist zumute, als begegne er einem Denkmal, dem man den Kopf vom Rumpf geschlagen hat. Ein weiteres Stück Ver- gangenheit wurde beseitigt. Die Stichbahn Laibach-Gottschee, 1893 eröffnet, wurde we- gen Unrentabilität aufgelassen. Der Personenverkehr wird auf der modernen, ausgebau- ten Staatsstraße mit Omnibussen, der Warenverkehr mit Lastwagen abgewickelt. Die beiden noch aus der Ansiedlungszeit stammenden Straßenzüge Gottschee-Obermösel- Graflinden-Unterdeutschau und Gottschee - Hohenegg - Nesseltal - Unterdeutschau die- nen nur noch der Holzbringung.

Neu gebaut wurden eine hauptsächlich für den Reise- und Lastenverkehr bestimmte Straße von Gottschee/Stadt in südlicher Richtung nach Fiume (Rijeka), womit der alte Traum von der direkten Verbindung an die Adria in Erfüllung ging, und eine Waldstraße von Gottschee/Stadt in südöstlicher Richtung über den südlichen Ausläufer des Kummer- dorfer Berges bis Brunnsee. Das Hinterland ist den Besuchern der früheren Sprachinsel Gottschee nach wie vor verschlossen. Die eigentlichen Gründe für diese Regierungsmaß- nahme sind nicht erkennbar. Gleich nach dem Krieg ging das Gerücht, im Raum Göttenitz befänden sich Konzentrationslager. Später behauptete sich hartnäckig die Mär, in der Nähe von Göttenitz seien in achthundert Meter Tiefe Uranlagerstätten gefunden worden, zu denen jedermann der Zutritt verweigert wird. Ebenso sind die Gebiete von Verdreng- Hornberg und seit 1977 auch von Lichtenbach gesperrt.

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Man könnte die im "Ländchen" geborenen Gottschee-Fahrer sicher auch als eine Art Heimkehrer bezeichnen, das wäre aber sehr symbolisch, denn das ursprünglich Gegen- ständliche der Heimat existiert nur noch in der Erinnerung. Lediglich die alten Besied- lungspunkte - wir haben sie wiederholt aufgezählt - und einige größere Siedlungen haben die Kampfhandlungen zwischen den Partisanen und der italienischen Besatzungstruppe einigermaßen heil überstanden. Die kleineren Dörfer abseits der aufgeführten Verkehrs- wege sind verschwunden. Die "Heimkehr" sieht in den meisten Fällen so aus: Hat man sich durch eine Wildnis durchgeschlagen und die ungefähre frühere Lage seines Geburts- ortes ausgemacht, steht man fassungslos vor nur noch sehr kleinen Hügeln, überwuchert von Brennesseln, Unkraut, Gestrüpp, mächtigen Stauden, fünfundreißig-, dreißig- und zehnjährigen Bäumen, die Hügel-Gräber früherer Bauernhöfe, ehemaliger Elternhäuser. Einige Augenblicke lang schwebt einem plötzlich das Dorf vor, wie es war, die Häuser, die Scheunen, die Obstbäume, der Dorfweiher - doch das Bild ist seltsam leblos, wie eine gemalte Bühnenlandschaft. Die Menschen fehlen darin … "Gehen wir?"

Die meisten Kirchen sind Ruinen, die Bergkirchen verfallen. Aus manchem Ort ver- schwanden die Kirchenmauern und Grabsteine in Kalkbrennöfen. Nur wenige Gotteshäu- ser überstanden das Chaos, so jene in Mitterdorf und die Stadtpfarrkirche. Darin erinnert ein deutschsprachiges Bibelwort um den Hochaltar heute noch an ihre Erbauer, und die Betbank der Familie Auersperg an der Spitze der linken Bankreihe des Kirchenschiffes ist erhalten geblieben.

In geringer Zahl treffen die Besucher ihrer alten Heimat auch auf ehemalige, slowenische Dorfgenossen. Diese wissen ebensogut wie die älteren Slowenen in der Berührungszone zwischen dem gottscheerisch-deutschen und dem slowenischen Siedlungsgebiet, daß mit den vertriebenen Gottscheern bis in die Krisenjahre vor der Umsiedlung ein gutes Aus- kommen war. Die Treffen zwischen alten Gottscheern und alten Slowenen verlaufen wie bei guten Bekannten, die sich lange nicht gesehen haben. Fünfunddreißig Jahre danach, ein Beispiel für mehrere: Der in München lebende, aus Nesselthal stammende Schrei- nermeister Ernst Stalzer berichtete dem Autor von einer solchen Begegnung. Nach länge- rem Fragen hin und her in der Gottscheer Mundart, sagte der Slowene unvermittelt: "Bei sheit'r gəgean?" (Warum seid Ihr gegangen?) Leider wusste derselbe Berichterstatter auch um eine andere, eine hässliche Szene, die sich jahre vorher in Nesseltal ereigent hatte: Als dort ein Reisebus mit Gottscheerinnen und Gotscheern eintraf und die Reisen- den das Fahrzeug verließen, spuckten vorüberkommende Sloweninnen vor ihnen aus. Was hat sie dzu bewogen? Wahrscheinlich ein Rest jenes Hasses, der sich in den Solwe- nen während des Zweiten Weltkrieges aufgestaut hatte. Eine ähnliche Szene ist heutzu- tage kaum noch denkbar. Anderseits gibt es genung Gottscheer – der Verfasser dieses Buches zählt sich zu ihnen - die bedauern, daß das slowenische Volk von 1941 bis 1945 seitens des kriegführenden deutschen Reiches schwer zu leiden hatte. Die Gottscheer hatten daran keinen Anteil. Die Zeit vermochte manches zu heilen. Auch in Slowenien wurden inzwischen dreißig und mehr Jahrgänge geboren.

Auch bei der politischen, das heißt staatlichen Führung der Slowenen ist eine Wandlung gegenüber den Gottscheern eingetreten. Sie dürfen das frühere Gottscheerland ohne Schwierigkeiten betreten und sich darin mit Ausnahme des Hinterlandes und der bereits vorher erwähnten Sperrgebiete frei bewegen. Die Abschirmung dieser Landschaften gilt für alle Fremden. Die Toleranz gegenüber den Gottscheern aber sieht die Regierung in jedem Sommer neu gerechtfertigt, denn sie bringen keine Unruhe ins Land und sie ver- halten sich so, wie es ihnen die eigene Erkenntnis erlaubt: Das Gottscheer-Land ist keine politische Frage mehr.

Wenn daher die letzte, auf seinem Boden geborene Generation außerhalb Jugoslawiens und unpolitisch ihr kulturelles Erbe pflegt und historisch getreu zu bewahren trachtet, so geschieht dies aus den gleichen Beweggründen, wie auch andere Völker und Volksgrup-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 168 pen ihr überliefertes Kulturgut zu erhalten suchen. Das slowenische Volk selbst ist dafür ein beredtes Beispiel. Und wenn dieses Bericht geschrieben wurde, so unter anderem deshalb, damit in der Diskussion über die Geschichte des "Ländchens" auch die Stimme eines Gottscheers für alle seine Landsleute zu Worte kommt und von der menschlich- tragischen Zwangsläufigkeit des Untergangs seiner Heimat kündet.

Wir wissen, daß für das Völkchen im Karst diese Heimat unwiederbringlich verloren ist. Um so mehr interessiert uns schließlich noch, ob und wieweit die Gottscheer in der Repu- blik Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland in die staatliche Vermögensent- schädigung einbezogen wurden. Erst nach hartem Ringen mit verständlicherweise auf Sparsamkeit bedachten Behörden gelang in der Bundesrepublik die vollständige und in der Republik Österreich die teilweise Einordnung der Gottscheer Flüchtlinge und anderer Entschädigungsberechtigter in die betreffende Gesetzgebung. In der Bundesrepublik ge- lang es den Gottscheern nach dem Lastenausgleichsgesetz, in den USA, Kanada und Südamerika aber nach dem Reparationsschädengesetz, eine Vermögensentschädigung zu erhalten. In der Republik Österreich sah der Gesetzgeber davon ab, für die Berechnung und Auszahlung von Kriegsfolgeentschädigung einen eigenen juristischen Komplex zu schaffen. Vielmehr wurde er in das bereits vorhandene Paket der Sozialgesetzgebung eingebaut. Gemessen an den Entschädigungen, die in der Bundesrepublik Deutschland vergütet wurden, kamen die Flüchtlinge in Österreich vergleichsweise sehr schlecht weg. Trotz aller Bemühungen der Gottscheer Landsmannschaften und des Verbandes der Volksdeutschen Landsmannschaften in Österreich, in die sich der "Südostdeutsche Rat" tatkräftig einschaltete, war nicht mehr als eine Entschädigung für die Haushaltseinrich- tung und für die Gegenstände der Berufsausübung durchzusetzen. Die österreichische Bundesregierung vermochte mit Hilfe eines durchaus tragfähigen Arguments die Ent- schädigungsansprüche aus land-und forstwirtschaftlichem Besitz abzulehnen: Österreich war ja nicht kriegführender Staat gewesen und hatte durch die Kriegführung auf seinem Territorium außerdem selbst sehr erhebliche Schäden erlitten.

In der Bundesrepublik wurde auch der Verlust von Betriebsvermögen in den Sparten Handel, Handwerk und Gewerbe zu einem gesetzlich festgelegten Teil entschädigt. Selbstverständlich unterlagen die Gottscheer, wie der gesamte in Frage kommende Per- sonenkreis, dem unumgänglichen, wenn auch umständlichen Prüfungsverfahren, das mit einer Antragstellung begann. Sie verfügten dabei im Verhältnis zu den Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten über den Vorteil, daß ihr in der alten Sprachinsel zurückge- lassenes Besitztum aus zwei Gründen überschaubar geblieben war: Einmal wegen der verhältnismäßig geringen Ausdehnung des fraglichen Gebietes und zum anderen, weil die Gottscheer Schätzleute, bzw. Gutachter, für alle erdenklichen Fragen noch verfügbar wa- ren. Sie wurden entsprechend den 1933 in der Sprachinsel geschaffenen Großgemeinden zu Arbeitsgruppen zusammengefaßt, also Altlag, Gottschee-Stadt und -Land (in der Be- wertung wurden die beiden Großgemeinden Gottschee als Einheit behandelt), Rieg, Obermösel, Nesselthal, Tschermoschnitz (Bestandteil des Bezirks Rudolfswerth), Groß- gemeinde Tschernembl-Land (dazu gehörten die Gemeinde Stockendorf und das Wein- baugebiet von Meierle und Umgebung), und die Großgemeinde Cabar, zu der das Suche- ner Hochtal zählte. In unzähligen Sitzungen rekonstruierten die Schätzer den früheren Besitzstand der Antragsteller. Die Namen dieser verdienten Männer jedoch durften und dürfen nicht bekanntgegeben werden. - Eine gewiß kluge Maßnahme.

Ein Name muß jedoch in diesem Zusammenhang herausgegriffen werden: Regierungs- amtmann Ferdinand Wittine. Wir haben diesen Namen bereits in der Bundesrepublik ken- nengelernt. Auf ungewöhnlich weiten Umwegen führte ihn das Schicksal an diesen Ar- beitsplatz heran, von dem aus er seinen Landsleuten am meisten nützen konnte. Ferdi- nand Wittine wurde 1906 in Rieg geboren. Mit seiner Ausbildung geriet er in das Ende der äußerst schwierigen Nachfolgezeit des Ersten Weltkrieges. Lassen wir ihn selbst spre- chen:

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"Im September 1918 trat ich in das achtklassige Gymnasium in Gottschee ein. Der Krieg war kaum zu Ende, da wurde das Obergymnasium (ab der 5. Klasse) aufgelöst, die 1. Klasse aber nur mehr slowenisch geführt. Ich hatte damit das Glück, die letzte deutsch geführte Klasse besuchen zu dürfen. Nach Abschluß der 4. Klasse kam ich ins Staats- Obergymnasium nach Laibach. Hier konnte ein Gottscheer in jener Zeit nur unter größten Schwierigkeiten bestehen." - Ferdl Wittine war dann durch Jahre Amtsleiter der Großge- meinde Rieg. Damit blieb er mit seinen Landsleuten in ständigem Kontakt und konnte dadurch manchen staatlichen Übergriff mildern.

Während und nach dem Krieg war er in mehreren Berufen tätig - wie andere Landsleute auch - und landete nach großen Umwegen 1954 als Sachbearbeiter beim Ministerium für Flüchtlinge und Vertriebene in Stuttgart. Hier konnte er durch zwölf Jahre in der Vermö- gensfrage der Gottscheer helfend eingreifen. Die Hebung der Hektarsätze an die Wirk- lichkeit in der verlorenen Heimat war sein besonderes Verdienst. Er verstand es, sich gegen die Unwissenheit in seiner Umgebung durchzusetzen.

Ferdinand Wittine war, wie bereits erwähnt, Mitbegründer der Gottscheer Landsmann- schaft in Deutschland und deren eifriger, langjähriger Vorsitzender. Für seine Verdienste wurde er zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Auch ist er Ehrenmitglied der Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt. Vom deutschen Bundespräsidenten wurde ihm für seine Leistungen das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Die Vermögensrückerstattung an die Gottscheer ist - soweit sie überhaupt beantragt wurde - im Großen und Ganzen abgeschlossen. Schwierigere Einzelfälle hinken bei der Abfassung des Berichts immer noch nach. Regierungsamtmann Ferdinand Wittine stellte dem Verfasser seine Aufzeichnungen über die Zahl der eingereichten Anträge und die darin angegebene landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung, soweit sie über das La- stenausgleichs- und das Reparationsschädengesetz erstattet wurden. Insgesamt sind über den Lastenausgleich 578 und über das Reparationsschädengesetz 953, zusammen 1531 Erstattungsfälle bearbeitet und abgeschlossen worden. Dabei wurden insgesamt rund 26.000 Hektar erfaßt.

Die Erstattungsfälle in Übersee bestanden vielfach in Erbansprüchen. Die auffallend hohe Differenz zwischen den Erstattungsfällen über den Lastenausgleich und das Reparationss- chädengesetz und der Gesamtfläche der früheren Sprachinsel von rund 85.000 Hektar (auf etwa 850 Quadratkilometer) läßt sich leichter erklären, als es zunächst den Anschein hat. Vor allem entfallen für die Entschädigung die 34% Weide- und Ödland. Ungefähr die gleiche Bodenfläche bedeckte der Wald. Auf das gesamte Weide- und Ödland bestand kein Anspruch. Von der Waldfläche ist der bereits seit 1930 von Jugoslawien beschlag- nahmte Auerspergsche Anteil wegzulassen. Von der Gesamtfläche der ehemaligen Sprachinsel sind weiter die 8% des slowenischen Kleinbesitzes abzuziehen. Außerdem fiel der in seinem Umfang unbekannte Gemeindebesitz an den jugoslawischen Staat. Nicht in die Berechnung fällt auch der in keiner Statistik auftauchende kirchliche Grundbesitz. Für Schätzungen der beiden letztgenannten Areale liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Ferner abzuziehen sind die Bodenansprüche jener Umsiedler, die in Österreich ansässig gewor- den waren, da - wie gesagt - die Republik Österreich solche Ansprüche nicht gelten ließ. Auch dieser Bereich verschließt sich vollends einer Schätzung. Nicht wenige anspruchsbe- rechtigte Gottscheer in der Bundesrepublik haben, teils aus Unkenntnis, teils aus Furcht vor Scherereien, ihre Ansprüche nicht angemeldet. Das Völkchen der Gottscheer wird also nie erfahren, was sein kleines Heimatland sechshundert Jahre nach der Besiedlung in Mark und Pfennig, Schilling und Groschen, Dollar und Cent wert gewesen ist. Dennoch gebührt den Männern, die viel Zeit und Kraft für diese Ermittlungsarbeiten aufwendeten, der Dank der lebenden Gottscheer.

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Gottscheer und Slowenen

Das Verhältnis zwischen Gottscheern und Slowenen war durch Jahrhunderte ein gut nachbarliches. Von der ehemaligen Monarchie her gab es ebenfalls keine Trübung. Erst im 19. Jahrhundert bahnte sich eine solche durch den aurbrechenden Nationalismus an. Wie groß die Toleranz auf deutscher Seite schon im 16. Jahrhundert war, kann man im Großen Brockhaus, Band XIX, Ausgabe 1934, Seite 116, über den von den Slowenen hochverehrten Primoz Trüber nachlesen:

"Truber, Primoz (Primus Trüber), slowen. Geistlicher und Schriftsteller, geb. Rasci- ca (Krain), 8. Juni 1508, gest. Derendingen (Württemberg) 25. Juli 1586, war Ka- nonikus in Laibach und Vikar in Krain und Kärnten. T. widmete sich besonders der Ausbreitung der Reformation unter den Slowenen und wurde zum Begründer der slowenischen Schriftsprache. 1547 ausgewiesen, ging er nach Deutschland, wo er den "Catechismus in der windischen Sprache' 1550 und 1556, ein Abededarium (1559, 1555) das Neue Testament (1557-1582) den Psalter (1556) u. a. ins Slo- wenische übersetzte und (bei Ungnad in Urach in Tübingen) drucken ließ. 1561 wurde er von den Krainischen Ständen nach Laibach zurückgerufen, mußte aber 1565 das Land wieder verlassen. Er war kurze Zeit Pfarrer in Lauffen (Neckar), seit 1566 in Deringen. Trubers Briefe erschienen 1897, hg. v. Th. Elze."

Wie schwer es allerdings einem slowenischen Intellektuellen selbst noch in jüngster Ver- gangenheit fiel, den Gottscheern gegenüber einen Mittelweg zwischen Vernunft, gesteu- erter Toleranz und gefühlsüberfrachtetem Nationalismus zu finden, zeigt ein im Juni 1970 gehaltener Vortrag von Dipl.-Ing. Milan Ciglar. Der genannte Forstfachmann war zur da- maligen Zeit Chef des slowenischen Instituts für Forst-und Holzwirtschaft in Laibach (Ljubljana). Er sprach in Gottschee zu Tiroler Forstfachleuten über das Thema "Zerfall und Neuaufbau einer Landschaft, dargestellt am Beispiel des Gottscheerlandes". Seine Ausführungen sind für die Gottscheer von hohem Informationswert. Man wird es ihnen jedoch hoffentlich nicht verübeln, wenn sie ihrem Inhalt zunächst einmal kritisch gege- nüberstehen, obwohl Dipl.-Ing. Ciglar ein gewisses Streben nach Objektivität nicht abge- sprochen werden kann.

Der Vortrag wurde in deutscher Sprache gehalten und wird wahrscheinlich hier im „Jahr- hundertbuch der Gottscheer“ zum ersten Mal besprochen.

Bemerkenswert ist vor allem anderen die Offenheit, mit der Milan Ciglar darlegt, was sei- ne Landsleute aus der von den Gottscheern verlassenen Kulturlandschaft gemacht oder nicht gemacht haben. Er, der Forstmann, stellt ganz natürlich den Wald als eine mit den Menschen ringende Lebensgemeinschaft in den Mittelpunkt. Nach seiner Meinung hat sich von allen Teillandschaften Sloweniens jene des Gottscheerlandes am wenigsten verän- dert. Rotbuche und Tanne sind die am weitesten verbreiteten Baumarten, aber auch Fichte und Ahorn sind überall anzutreffen. Auf Seite 9 des in Maschinenschrift vorliegen- den Manuskriptes schreibt Ciglar: "Die Natur des Gottscheerlandes ist also durch einen vitalen, unzerstörbaren Wald gekennzeichnet."

Die deutsche Besiedlung der ehemaligen Sprachinsel setzt der Vortragende, historisch richtig, mit den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts an. Als Herkunftsgebiete der Kolo- nisten bezeichnete er Oberkärnten und Osttirol, womit er die Forschungsergebnisse der Wiener Professoren Dr. Kranzmayr und Dr. Maria Hornung anerkennt. Von Thüringen und Franken ist allerdings nicht die Rede. Die deutschen Siedler seien in ein praktisch unbe- siedeltes Gebiet eingezogen, führt er weiter aus.

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Das sind bekannte, historische Fakten. Die Gottscheer horchen erst auf, wenn Ciglar auf die Frage nach den Hintergründen ihres Umsiedlungsentschlusses eingeht und sich mit dem Verhalten seiner eigenen Landsleute nach der Wiederherstellung Jugoslawiens be- schäftigt.

Den Umsiedlungsentschluß beurteilt Ciglar auf Seite 15 seines Vertrages wie folgt:

"Ein entsetzliches Verbrechen brach über die Gottscheer im Jahr 1941 herein, als die gesamte deutschsprechende Bevölkerung auf Grund eines deutsch- italienischen Vertrages in das Grenzgebiet des ehemaligen deutschen Reiches in die Nähe von Brezice (Rann) und Krsko (Gurkfeld) ausgewandert ist, wo wiederum dort die einheimische slowenische Bevölkerung vertrieben worden ist. Im Fall der Auswanderung der Gottscheer Bauern ist jedermann erstaunt, daß sie, obwohl sie 600 Jahre lang an Ort und Stelle lebten, doch nicht fest wurzelten und sich offen- bar nicht genügend an den Heimatboden gebunden fühlten, wobei man sich die Frage vorlegen muß, ob sie sich vielleicht schon immer als Fremde fühlten und zu kleine innere Beziehungen zu den Vorfahren hatten oder ob sie einer augenblickli- chen Verblendung anheim fielen, als sie auswanderten, ob sie schon längere Zeit den Gedanken der Auswanderung in sich trugen. Für die Auswanderung gibt es si- cher mehrere Ursachen, die man hier nicht im Einzelnen analysieren kann."

Die vorstehend zitierte Stellungnahme Ciglars zur Umsiedlung der Gottscheer ist nach Ansicht des Autors unsachlich und ungenau. Dem Verfasser ist beim Überlesen seines Vertrages nicht aufgefallen, daß die Einleitung und der Schluß den Inhalt des Mittelteiles aufheben.

Eingang spricht der Vortragende von einem "Verbrechen", das mit einem deutsch- italienischen Vertrag über die Gottscheer gekommen sei. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß die Gottscheer nicht freiwillig "ausgewandert" sind. Ciglar ist in Gott- scheer Fragen viel zu gut bewandert, als daß er diese Tatsache nicht gewußt hätte. Die durch nichts begründeten Unterstellungen, die Gottscheer hätten sich vielleicht schon immer als Fremde auf ihrem Boden gefühlt bzw. dazu keine rechte Bindung gewonnen und gegenüber ihren Vorfahren eine zu kleine Anhänglichkeit bewiesen, daß sie sich wo- möglich auch schon länger mit dem Gedanken der Auswanderung getragen hätten, sind daher falsch. Es wird damit versucht, die ganze Verantwortung für die Auflösung der ehemaligen Sprachinsel Gottschee ihren Bewohnern und dem Deutschen Reich zuzu- schieben, während der slowenische Anteil an dem desolaten seelischen Zustand der Gott- scheer von 1918 bis in das "Verbrechens"-Jahr 1941 zugedeckt wird. Ganz wohl fühlt sich der Vortragende allerdings in seiner Richterrolle über die Gottscheer nicht, sonst hätte er die Bemerkung, daß es "sicher mehrere Gründe für die Auswanderung" gegeben habe, unterlassen. Er hat sie gegeben! Sie sind in dem vorliegenden Buch nachzulesen.

Wer ist ferner dieser "Jedermann", der über die "Auswanderung" der Gottscheer erstaunt gewesen sein soll? Etwa der Slowene, der Österreicher oder der Reichsdeutsche schlechthin? In allen drei Fällen beschäftigte sich nur ein ganz kleiner Kreis von politi- schen Experten bzw. organisatorisch Beauftragten mit der Problematik, die sich aus dem Vorhandensein des Gottscheerlandes ergeben hatte. Jeder dieser Kreise wußte, daß die Gottscheer, oder besser der Rest des Gottscheer Völkchens, nicht ausgewandert war, sondern umgesiedelt wurde. Die Art und Weise, wie dies geschah, ist nur aus der damali- gen Zeit heraus begreifbar. Es ist unkorrekt, durch Verschweigen des Widerstandes vor- zutäuschen, die Bevölkerung sei freiwillig gegangen. Die Behauptung aber, die Gott- scheer hätten keine Bindung an ihren Boden besessen, ist so absurd, daß das „Jahrhun- dertbuch“ verzichten kann, darauf einzugehen. Sein Autor erlaubt sich lediglich die Ge- genfrage, wie lange die Gottscheer noch auf ihrem Boden hätten verbleiben müssen, um ein Heimatgefühl zu entwickeln, wenn 600 Jahre dafür nicht genügten? Und wenn sie

Gedruckt von http://www.gottschee.at 172 nicht genügt haben, warum dann die slowenische Ausrottungspolitik nach dem Zusam- menbuch der österreichisch-ungarischen Monarchie?

Zu den Plänen für den Wiederaufbau der zerstörten Gottscheer Kulturlandschaft fand der Chronist Ciglar nichts zu berichten, was der Leistung der deutschen Kolonisten des 14. Jahrhunderts vergleichbar gewesen wäre. Er stellte lediglich folgendes fest: "Man (ge- meint sind die slowenischen Planer nach der Errichtung des sozialistischen jugoslawi- schen Staates, Anmerkung des Verfassers) baute ein großes, ideales Modell einer groß- zügig angelegten sozialistischen Landwirtschaft, in der Neusiedlung weder erwünscht noch erlaubt war.

Es leuchtet ein, daß es wenig sinnvoll gewesen wäre, die jahrhundertealte Gottscheer Wirtschafts- und Siedlungsform mit der starken Bodenzersplitterung da wieder aufzu- nehmen, wo die Umgesiedelten aufgehört hatten, zumal die meisten Siedlungen ja dem Erdboden gleichgemacht waren. Auch die Gottscheer hätten sich umgestellt, wenn sie nicht vertrieben worden wären. Dies war in den dreißiger Jahren bereits deutlich zu spü- ren. Dies war in den dreißiger Jahren bereits deutlich zu spüren. Doch mutet es wie ein Ausweichen vor der Urgewalt des Waldes an, dass die junge, sozialistische Gesellschaft Sloweniens Boden preisgab, den sie als Ernährungsbasis künftiger Generationen hätte freihalten sollen. Aber dqas ist Sache des slowenischen Volkes selbst. Die Gottscheer in- teressiert in diesem zusammenhang mehr, dass laut Ciglar“manche Planungen misslun- gen sind“. Indirekt gibt er sogar zu, dass versäumt worden ist, „alle naturfaktoren, Be- völkerungsfaktoren und Wirtschaftsfaktoren“ zu berücksichtigen. An anderer Stelle der Seite 17 des Manuskriptes heißt es wörtlich: "In späterer Zeit kamen die Saisonarbeiter in das Land, von denen nur ein kleiner Teil geblieben war. Sie lebten mehr von Verspre- chungen und Erwartungen, als vom Resultat ihrer eigenen Arbeit und Anstrengung. So wechselte in jener Zeit häufig die Bevölkerung, und diejenigen, die geblieben sind, sind wohl solche, von denen man nicht immer sagen kann, daß sie sich mit dem Land verbun- den fühlten". (Hat man ihnen denn nicht gesagt, dass es für jeden Slowenen ein persön- licher, nationaler Auftrag sei, im Namen des ganzen Volkes den von den Gottscheern ge- räumten Boden mit einer energischen Neukolonisation in Besitz zu nehmen?)

Über die Stadt Gottschee sagte Ciglar, man habe sie modern aufgebaut, habe Straßen wie in Laibach angelegt, sowie eine Holz- Chemie- und Metallindustrie aufgebaut und damit neue Elemente in die Landschaft getragen.

Über die Zerstörung der Gottscheer Kulturlandschaften und der zurückgelassenen bauli- chen Eigenheiten sagte der Redner andererseits wörtlich: "Doch das Land um die Stadt Gottschee herum blieb tot, wie ein verlassener Friedhof. Die Zeit zerstörte angeblich alle Gebäulichkeiten, Dächer, Glockentürme aller Kirchlein, die alten Dorrbrunnen versiegten, die Obstbäume blieben ungeerntet, verwilderten jahraus, jahrein, mehr und mehr. Die Kapellchen und Dorflinden gerieten in völlige Vergessenheit. Die Bauherren, die alleinste- hende Wald- und Jagdhäuser bauten, holten ihr Baumaterial von den alten Siedlungen und zerstörten damit die letzten Zeugen der alten Zeit. In späterer Zeit ging man dazu über, die Heiligenfiguren in Privathäuser, Kirchen und Antiquitätensammlungen zu brin- gen. Wer sich in den ersten Nachkriegsjahren in Gottschee einigermaßen zurecht fand, der vermochte sich allein aus den überall zugänglichen Kirchenschätzen ein ansehnliches Vermögen zu erwerben, ohne der Staats- oder Kirchenbehörde eine Rechnung zu bezah- len." Für diese Entwicklung macht der Referent den „Snob“ und nicht die slowenische Allgemeinheit verantwortlich.

Den "vorstürmenden Wald" schildert Milan Ciglar seinen Tiroler Fachkollegen folgender- maßen: "Aber die gewaltigste Veränderung hatte nach dem Kriege niemand bemerkt, sondern erst zehn Jahre darnach, die unaufhaltsame Zurückeroberung der landwirt- schaftlich genutzten Flächen. Die Uranfänge dieser Zurückeroberung gingen schon auf

Gedruckt von http://www.gottschee.at 173 die Zeit vor hundert Jahren zurück, auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ... Selbst für den flüchtigen Kenner der Gottscheer Verhältnisse ist dieses Vordringen von Wald ein Vorgang von geradezu phantastischem Ausmaß. Man kann mit Sicherheit behaupten, daß der Wald inzwischen etwa 30.000 Hektar, rund 300 Quadratkilometer, also ein Drittel der Gottscheer Gesamtfläche erobert hat." Seit dieser Schätzung aus dem Jahre 1970 dürf- ten mindestens 36.000 bis 37.000 Hektar geworden sein. Der Laibacher Diplomingenieur fährt fort: "Angesichts dieser Tatsache muß man sich nun vorstellen, wie dieses Gebiet in weiteren dreißig Jahren aussehen wird, nichts als Wald, Wald, überall Wald."

Bis hierher reichte die Lebenskraft des Autors. Erich Petschauer starb am 6. Sep- tember 1977. Er wußte um dieses Schicksal und hat seinen Bruder gebeten, das Schlußkapitel "Der Kreis schließt sich" nach seinen Angaben und in seinem Sinne zu Ende zu bringen. Hermann Petschauer hat ihm seine letzte Bitte erfüllt.

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Der Kreis schließt sich

Zur letzten Frage, die sich der Autor selbst stellt, der Suche nach der Urheimat:

Die Sprachwissenschaft weist uns dazu den Weg. Heute erscheint Gottschee als ein be- deutender Teil einer im Mittelalter von Österreich aus in friedlicher Form gegründeten Sprachinselkette am Südrand der Alpen inmitten Europas. Sie befanden sich alle im Machtbereich der Patriarchen von Aquileija. Es sind dies in Italien: Pladen (Sappada), Zahre (Sauris), Tischlwang (Timau) und weiter südlich die Sieben und Dreizehn Gemein- den im Norden von Vicenza und Verona. Im Süden der Karawanken, im ehemaligen Her- zogtum Krain, heute Jugoslawien (1980), erhielten sich bis ins 19. und 20. Jahrhundert die Inseln Deutsch Ruth, Zarz und Gottschee. Erstere verschwanden durch planmäßige Assimilierung, Gottschee aber durch Auflösung bzw. Umsiedlung 1941 bis 1942. Gott- schee entging dadurch dem Schicksal des einst blühenden Deutschtums in Krain.

Schon im vorigen Jahrhundert entdeckte die Wissenschaft Gottschee und zeigte sich am Brauchtum, an den Liedern und besonders an der altertümlichen Mundart interessiert. Abgesehen von dem Laibacher Elze, dann dem Professor Dr. Schröer, den die k. u. k. Akademie der Wissenschaften in Wien 1867 zu Forschungszwecken nach Gottschee schickte, befaßte sich Professor Dr. Hauffen, ebenfalls ein Laibacher, eingehend mit Gott- schee und brachte 1895 sein grundlegendes Werk über diese deutsche Sprachinsel her- aus. Seine Mitarbeiter waren Gottscheer Lehrer, wie Josef Perz, Hans und Wilhelm Tschinkel, Matthias Petschauer und andere.

Wie der Autor an anderer Stelle bereits berichtete, brach das Interesse der Wissenschaft trotz Auflösung der Sprachinsel nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ab. Universitätsprofes- sor Dr. Eberhard Kranzmayer, der an der Universität in Wien wirkte und selbst gottschee- risch sprechen konnte, stellte auf Grund seiner Forschungen fest: "Die Gottscheer stam- men aus dem kärntnerisch-tirolischen Grenzraum." Bei der Eröffnung der Gottschee- Schau im Schloß Porcia in Spittal sagte er 1965 wörtlich: "Die Gottscheer sind die besse- ren Kärntner als wir selbst, denn sie sprechen noch jene Mundart, welche unsere Ahnen vor 600 Jahren in Oberkärnten gesprochen haben."

Frau Universitätsprofessor Dr. Maria Hornung, ehemalige Schülerin und Assistentin des großen Kärntner Sprachforschers Kranzmayer, setzte mit Walter Tschinkel die For- schungsarbeit auf dem Gebiet der Mundart fort. Sie führte allein und gemeinsam mit Walter Tschinkel viele Kundfahrten ins Möll-, Lesach- und Pustertal durch. Eine besonde- re Fundgrube waren natürlich die beiden Sprachinseln Pladen und Zahre. Das Ergebnis ihrer auch für uns so wertvollen Arbeit hat Frau Hornung in den Werken "Mundartkunde Osttirols" sowie im "Wörterbuch der deutschen Sprachinselmundart von Pladen in Karni- en" festgehalten. Zwangsweise kam sie bei ihren Forschungsarbeiten auf Gottschee. Stellte doch schon vor Jahrzehnten Professor Peter Jonke fest, daß in der Gegend von Tilliach (Osttirol) ähnlich wie in Gottschee gesprochen wird. Zum Beispiel: "Nachtn hont də Waklein noch gəlakkn und gəwrassn biəs racht ischt gəban und schmuargeinsch hent shei toat in Schtollə gəlagn".

Frau Dr. Hornung führt in ihrem Buche "Mundartkunde Osttirols" unter dem Titel "Das Verhältnis der Sprachinsel Gottschee zu Osttirol" auf den Selten 145 bis 149 eine Menge Wörter an, die in Osttirol und Oberkärnten gleich oder ähnlich gesprochen werden wie in Gottschee.

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Ein Teil ihrer Ausführungen seien hier wörtlich verzeichnet: "Auf Grund von Wortschatz- und Lautstanduntersuchungen hat Kranzmayer die Herkunft der Gottscheer aus dem tiro- lisch-kärntnerischen Grenzgebiet erschlossen. Es scheint darum angebracht, im Zusam- menhang mit der Behandlung des Lienzer Beckens und des Kärntner Tores auf dieses Thema einzugehen. Kranzmayer denkt allerdings bei seiner Herkunftstheorie der Gott- scheer nicht nur an das Lienzer Becken und das mdal. eng verwandte Mittermölltal bzw. vielleicht das oberste Drautal, sondern auch an die südlichere Berührungsfläche Osttirols mit Kärnten im Raum von Obertilliach und im obersten Lesachtal. Die Sprachinsel Gott- schee war ja so ausgedehnt und menschenreich, daß man nicht anzunehmen genötigt ist, daß sie von einem einzigen Ort aus besiedelt wurde. Ihre wenn auch in den Grundzügen einheitlichen Mundarten zeigen doch Verschiedenheiten, die zum Teil schon auf die Zeit der Besiedlung zurückgehen können. Darum gestaltet sich die Untersuchung der Her- kunftsfrage dieser relativ spät besiedelten Sprachinsel weitaus schwieriger als bei Pladen, Zahre oder Zarz ...

Nichts lag näher, als daß die Ortenburger aus ihrem ureigensten Raum bzw. aus dessen Nachbarschaft, vielleicht aus hochgelegenen Gebirgsorten, deren Boden der sich vermeh- renden Bevölkerung nicht mehr genügend Nahrung bot und deren Menschen zugleich den härtesten Anforderungen gewachsen waren, Siedler für ihre urbar zu machenden Gebiete in Krain kommen ließen ...

Wenn uns auch die eigentlichen Herkunftsorte der Siedler nie genannt werden, weil sie unter den Gesichtspunkten der Urkundenersteller unwichtig waren, so sind doch die Tat- sache der Kolonisierung durch die Kärntner Grafen von Ortenburg und der auf das ostti- rolisch-kärntnerische Grenzgebiet verweisende linguistische Befund Grund genug, um jene phantasievollen Theorien über die Herkunft der Gottscheer, die seit Wolfgang Lazius' Sueventheorie (1561) im Umlauf sind und von den Goten bis zu den Thüringern und Franken alle möglichen germanischen und deutschen Stämme als Ahnherren der Gott- scheer glaubhaft machen wollen, endgültig zu entkräften. Es hat keinen Sinn, sich auf Grund der gegenwärtigen Erkenntnisse noch weiter mit diesen hartnäckig kursierenden pseudowissenschaftlichen Lehrmeinungen zu beschäftigen. Gleich den Theorien von der schlesischen Abkunft der Tilliacher oder jener der Abstammung der Bewohner der Sieben und Dreizehn Gemeinden von den Zimbern und Teutonen sind sie aus phantasievoller, in die Irre gehender Gelehrsamkeit entsprungen, die einfachen Gebirgsbewohnern wegen ihrer besonders altertümlichen und daher auffälligen Sprache und Lebensform geheim- nisvolle Herkunft andichten zu müssen glaubte."

Frau Hornung und Walter Tschinkel gelang es auf Grund ihrer sprachwissenschaftlichen Kenntnisse, das alleinmögliche Herkunftsgebiet der Gottscheer nach Eberhard Kranzmay- er genau abzugrenzen. Damit ist wohl diese Frage als abgeschlossen zu betrachten.

Sie besuchten auch gemeinsam die verlorenen drei Sprachinseln in Slowenien. Konnte Tschinkel 1941 bis 1942 in Zarz noch mit wenigen, ganz alten Leuten "huəmnarisch" re- den, so gibt es heute dort nur noch slowenische Antworten wie "mi smo Tirolerce". Das heißt "wir sind Tiroler". Das wissen die umgevolkten Leute also noch. Auch in Deutsch Ruth war es nicht anders, während heute in Gottschee noch einzelne Gottscheer zu tref- fen sind, die überlebten.

Verschiedene Zeitschriften, wie auch die "Gottscheer Zeitung", besonders aber die "Gott- scheer Kulturwoche", gaben den Wissenschaftlern Gelegenheit, über die Ergebnisse ihrer Forschungen zu berichten. Sie stellten fest - und das kann jeder überprüfen - daß die Oberkärntner, Osttiroler, Pladner, zahrerische, zarzerische (Wörterbuch von Kranzmayer) und gottscheerische Mundart eines Stammes sind. Damit hat die Sprachwissenschaft ein Band geknüpft, und das Finden von Mensch zu Mensch war nur noch eine Frage der Zeit und Organisation. Nach entsprechender Vorbereitung und mit Hilfe des Sprachinselverei-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 176 nes in Wien fuhren über ein Wochenende im August 1974 rund 80 Gottscheer, darunter die Sing- und Trachtengruppe von Klagenfurt, nach Pladen (Sappada) und Innervillgraten in Osttirol. In beiden Orten wurden sie durch die Bürgermeister und die Bevölkerung freundlich empfangen. In je einer Feierstunde hielt Hermann Petschauer einen Vortrag über das Gottscheerland in unserer Mundart. Er wurde dabei von den Gastgebern gut verstanden. Frau Universitätsprofessor Dr. Maria Hornung, unter deren Patronanz das gesamte Unternehmen stand, führte in weit ausholender, geschichtlicher und sprachwis- senschaftlicher Sicht die Einheit der genannten Sprachinseln vor Augen und damit sym- bolisch nach Jahrhunderten Gottscheer in die Urheimat zurück. Ein Jahr später (1975) kamen die Pladener sowie eine große Anzahl Tiroler aus Innervillgraten mit ihrem Bür- germeister an der Spitze zur Wallfahrt nach Klagenfurt. Der Bürgermeister der Landes- hauptstadt von Kärnten begrüßte die symbolisch vereinigten Osttiroler, Pladener und Gottscheer in feierlicher Form. Jeder empfand tief ergriffen den geschichtlichen Vorgang.

Damit ist der Kreis geschlossen. Menschen gleicher Abstammung haben sich nach mehr als 600 Jahren als "Verwandte" getroffen und der gemeinsamen Ahnen gedacht. Es sind jene Ahnen, die vor mehr als sechs Jahrhunderten als Pioniere an Rinse und Kulpa im Süden Krains unter unvorstellbaren Mühen aus Urwald Kulturland geschaffen haben, das heute zum großen Teil verkommt.

Der Wald nimmt es sich von Jahr zu Jahr mehr und mehr zurück. Wo noch vor weniger als vierzig Jahren die Gottscheer Dörfer mit ihren Kirchen in voller Schönheit standen, ist heute nichts als Wald.

AM ANFANG WAR DER WALD. AM ENDE IST WIEDER WALD.

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ANHANG

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Zink, Burkard: Die Chronik des Burkard Zink 1368-1468.

Bildnachweis

Schwarzweißbogen

Jos. Dornig: Abb. 3, 4 Ottilie Jonke (Gottscheer Zeitung): Abb. 20 Ferdinand Novak: Abb. 8 H. Otterstädt: Abb. 18, 19, 26, 27 Hilde Otterstädt: Abb. 15, 17, 21 Hermann Petschauer: Abb. 9, 14 Konrad Rom: Abb. 2, 7, 11 Anni Tschinkel: Abb. 5, 16 Rudolf Verderber: Abb. 13 W. Verderber: Abb. 10, 22, 23, 24, 25, 28 Ferd. Wittine: Abb. 12

Farbbogen H. Petschauer: Abb. 3, 5, 6, 8, 10 Werner Verderber: Abb. 1, 2, 4, 7, 9 Hans Weiß: Abb. 11

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Ortsnamenverzeichnis

Abkürzungen zum Ortsnamenverzeichnis

Bes. = Besitzer einer Hube oder von Teilhuben G = Gemeinde Pf = Pfarre PB = Politischer Bezirk H = Zahl der Häuser eines Dorfes zur Zeit der jeweiligen Zählung

E = Einwohnerzahl deutschen Bekenntnisses. Die in ( ) stehende Ziffer be- deutet die Zahl der ansässigen Slowenen. U = Urbar von 1574 Tab = Standort eines Tabors Nd = Namensdeutung Gro = Grothe, Hugo: „Die deutsche Sprachinsel Gottschee in Slowenien” dt = deutsch sl = slowenisch Kr = Vergleich mit Kranzmayer 0 = Obergföll S = Schröer (Wörterbuch der Gottscheer Mundart, Wien 1870) V = der krainische Geschichtsschreiber Valvasor (1689) Schu. u. = Gründung einer Volksschule mit deutscher Unterrichtssprache Jahres zahl - 1770H = Zahl der Häuser bei der Volkszählung, laut Schröer

Abkürzungen der Gemeinde- bzw. Pfarrnamen

Al = Altlag Og = Obergras Dö = Döblitsch Ot = Obertiefenbach Eb = Ebenthal Pö = Pöllandl Go = Gottschee Ri = Rieg Gö = Göttenitz Schw= Schwarzenbach Gr = Graflinden Hi = Hinterberg Se = Seele Ko = Kotschen Sr = Semitsch La = Langenton St = Stockendorf Li = Lienfeld Ti = Tiefenbach Ma = Malgern Su = Suchen Mi = Mitterdorf Tpl = Tscheplach Mo = Morobitz Ts = Tschermoschnitz Mö = Mösel Ud = Unterdeutschau U1 = Unterlag Ne = Nesseltal Uw = Unterwarmberg Ni = Niederdorf Bezirke: Go = Gottschee Ru = Rudolfwerth Tsch = Tschernembl

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Die Gottscheer Siedlungen — Ortsnamenverzeichnis

Alben, Untrdaubə (Podplanina), U (Unter der Alpe), 2 3/4 = 2 ganze u. 3 Viertel-Hu, 3 Bes., ca. 12—15 E, G: Og, Pf: Su, PB: Go, 1920 H: 30, E: 114 (108), also 6 E mit deut- scher Umgangssprache, slawisierter Grenzort. — Gro-Nd: Untrdauba läßt auf d. aus Kärnten mitgebrachte „Unter der Alpe” schließen.

Altbacher, Pachrn (), U (Pacher) 3 1/2 = 7 hbl. Hu, 9 Bes., E: 35—40 — S 1770 H: 14 — G: Mg, Pf: Al, PB: Go — H: 23, E: 79 (—), Schu. 1898 — Gro-Nd: ... ba- cher = Bach.

Altfriesach: Wriəshoch (Stari brezje), U 4 = 8 hlb. Hu, 14 Bes., ca. 60—65 E — S 1770 H: ? — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 24, E: 85 — Gro-Nd: Vermutl. d. gleiche Wort- stamm wie Friesach in Kärnten, näml. sl. „breza” = Birke. Kr: Friesach erscheint bereits i. J. 860 als „Fresach”.

Altlag, Autloag (Stari log), U (Lag) 7 = 14 hlb. Hu, 18 Bes., ca. 75—85 E — Tab. — S 1770 H: 67 — G u. Pf: A1, PB: Go — H: 123, E: 466 (—) — Nd: Grothe schreibt nach Obergföll, sl. „log” = Wald. Die unterschiedl. Zusätze „Alt” u. „Unter” seien erst später zur Unterscheidung hinzugefügt worden. In Bayern bedeutet hingegen „die Lag” ein Feld oder eine Flur. — Schu: 1818 — A. war nach der Stadt G. das größte Dorf des Gott- scheerlandes. — Musikkapelle bereits vor d. Ersten Weltkrieg. Siehe auch GZ März 1966.

Altlagbüchel, Autlogpichl, auch Lockpiechl genannt (s. GZ Juni 1972), U 1 = 4 Viertel- Hu, 6 Bes., ca. 12—15 E — S 1770 H: ? — G u. Pf: Ne, PB: Go — Gro. — In d. 90iger Jahren d. 19. Jahrhunderts von d. Herrschaft Auersperg z. Wohnungsbeschaffung f. ihre Waldarbeiter im Hornwald aufgekauft. Das verlassene Dorf brannte schon vor d. Ersten Weltkrieg ab.

Altsag, Autshug (Stara žaga) — U 1 = 2 hlb. Hu (An der alten Sag), ca. 5—10 E — S 1770 H: ? — G u. Pf: Ts, PB: Ru — H: 20, E: 103 (2) — Gro-Nd: „Sag” = Säge.

Alttabor, Autrtawr (Staritabor) — U nicht erwähnt, vermutl. handelt es sich uni eine Gründung unter d. Grafen von Blagay — S 1770 H: 9 — G u. Pf: Ts, PB: Ru — H: 7, E: 29 (—) — Gro-Nd: Tabor = sl. Befestigung, befest. Lager.

Altwinkel, Autbinkl (Starikot) L 1770 H: 32 — G: Og, Pf: Su, PB: Go — H: 34, E: 1 (156) — Gro.

Aschletz, Aschelitz (Ašelice) — U, 1770 u. bei S. nicht erwähnt, also entweder über- sehen od. erst im 19. Jh. gegründet — G u. Pf: Ts, PB: Ru — H: 11, E: 37 (—) — Gro-Nd: sl. Ursprungs.

Bistritz, Bistritz (Bistrica) — Weder im U, noch 1770 u. S erwähnt, die ursprüngl. Zu- gehörigkeit z. Herrschaft Gottschees ist daher zweifelhaft. — G u. Pf: Dö, PB: Tsch — H 25 (?), E: 34 (20) — Gro. — Die Angaben über Häuser- u. Einwohnerzahl entsprechen einander nicht. 25 Häuser müßten mehr als 34 Einw. entsprechen. Nd: sl. „bister” = klar, hell (0.).

Bresowitz — Nur im Urbar v. 1574 als Presauitz genannt. Nicht z. verwechseln mit Breowitz i. d. G u. Pf. Unterdeutschau, PB Tsch. Wahrscheinl. ist das Bresowitz des Ur- bars identisch mit Wrezen (s. dort). Das Breowitz in d. G. u. Pf. Ud hingegen ist im Urbar 1574 nicht genannt. Daher bezieht sich die Angabe „3 1/2 Hu” auf d. B. in d. Moschen.

Bresowitz (Brezovica) — Im Urbar 1574, sowie 1770 u. bei S. nicht erwähnt — G:

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Tpl, Pf: Ud: PB: Tsch — H: 20, E: 72 (22) — Gro-Nd: sl „breza” = Birke.

Brunn bei Masern — ledigl. im Urbar v. 1574 erwähnt. Später sicher in Masern aufge- gangen. — U 1 = 2 hlb. Hu, 3 Bes., 8—12 E — fehlt 1770, daher schon vorher keine ei- gene Dorfeinheit mehr. Das Urbar 1574 verzeichnet als „Dienstpflicht” Holzführen auf das Schloß.

Brunnsee, Sheab od. Prunnsheab (Studeno) — U 1 = 2 hlb. Hu, 3 Bes., ca. 8—11 E — S 1770 H: 4 — G u. Pf: Ne, PB: Go — H: 5, E: 14 (—). — Nd. Vermutl. hat die am Orts- rand gelegene, gefaßte Quelle den Namen geprägt.

Büchel, Piechl (Hrib) — U 6 = 12 hlb. Hu, 24 Bes., ca. 75—85 E — S 1770 H: 32 — G u. Pf: Ne, PB: Go — H: 46, E: 167 — Gro-Nd: Büchel, Piechl ist kärntnerisch.

Dranbank, Dranponk (Rampoha) — Der Ort ist weder im Urbar 1574, noch 1770 od. bei S erwähnt, also übersehen worden od. erst im 19. Jh., auf jeden Fall nach 1770 ent- stan den. — H u. Pf: Ts, PB: Ru — H: 7, E: 21 (—) — Anm. lt. Sepp Frank in GZ, April 1967, im Moschener Urbar v. 1754 mit Dranbangs bezeichnet. — G u. Pf: Pö, PB: Ru — H: 7, E: 21 (—). — Gro über Nd: (nach Obgf): Möglicherweise d. Zusammenziehung von einem sl. u. einem dt. Wort. „Dran” kommt v. sl. „traven” = grasig. „Bank” wäre eine Lautumbildung von „Bang”, d. i. eine Waldwiese.

Drandul, Trandul () — U: Ledigl. als Traundul erwähnt, keine Angaben üb. d. Zahl d. Huben. — 1770 u. bei S nicht aufgeführt, möglicherweise übersehen worden. G u. Pf: Ts, PB: Ru — H: 15, E: 47 (—). Gro-Nd: sl. „traven” = grasig, „dol” = sl. Tal.

Durnbach, Dürnpoch () — U 4 = 8 hlb. Hu, ca. 13 Bes., 45—55 E — S 1770 H: 12 — G u. Pf: Mö, PB: Go — H: 14, E: 56 (—) — Gro-Nd: In Kärnten kommt Dürnfeld u. Dorrenstein vor. „Dürr” = wasserarm, eine Karsteigenschaft.

Eben, Ebn od. Ebnə (Ravne) — U 3 = 6 hlb. Hu, 9 Bes., ca. 35—40 E — S 1770 H: 13 — G u. Pf: Mo, PB: Go — H: 19, E: 46 (—) — Gro-Nd: Bodengestaltung. — Das „Ebe- ner Bild” war eine vielbesuchte Wallfahrtsstätte.

Ebental, Ebentou, auch Ebntol (Polom) — U 1 1/2 = 2mal 3/8 u. 2mal 1/4 Hu, 10 Bes., ca. 40—45 E — S 1770 H: 26 — G u. Pf: Eb, PB: Go — H: 38, E: 168 (8) — Nd: Von d. Landschaftsgestaltung abgeleitet.

Feichtbüchel, Waichtpiechl (Smrečnik) — U (Feicht Püchl), 3/4 = 3 Viertel-Hu, 3 Bes., ca. 8—11 E — S 1770 H: 3 — G u. Pf: Ts, PB: Ru — H: 3, E: 13 (—) — Gro-Nd: Fichtenhügel, v. mdal. „Weichta” = Fichte.

Fliegendorf, s. Oberfliegendorf. Fliegendorf ist im Urbar von 1574 ohne d. nähere Be- zeichnung „Ober” ... genannt. Gleichzeitig ist jedoch „Unten`-Fliegendorf erwähnt (s. dort).

Friedbüchel, nur im U 1574 aufgeführt. — U 1/2 = 4/8 Hu, 4 Bes., ca. 12—14 E — Wahrscheinl. in einer anderen Ortschaft in d. Moschen aufgegangen.

Gaber, Gabər (Gaber) — Dieser Weiler ist weder im U 1574 aufgeführt, noch 1770 od. b. S erwähnt, also eine Spätgründung. — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 3, E 22 — (—) Gro- Nd: sl. „Gaben` = Steinbuche.

Gatschen, Gatschn (Gača) — Taucht weder um U 1574, noch 1770 od. b. S auf. Zum erstenmal im Moschener Urbar von 1754 erwähnt. G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 2, E 1 (1) — Nd. sl. „gaca” = Schlange. Anm. d. Verf: Die Theorie, „Gatschen” sei sprachwissen-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 182 schaftlich der Ausgangspunkt für den Namen Gottschee, ist unhaltbar. Siehe Text.

Gehack, Gəhack (Seč) — Weder im U 1574, noch 1770 od. bei S erwähnt. Wahr- scheinl. Spätgründung. — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 7, E: 39 (—) — Gro-Nd: hac = mhd. Buschwald.

Gehack, Gəhack (Lazec) — Weder um U 1574, noch 1770 od. b. S, hingegen b. Val- vasor (1689) erwähnt. — G u. Pf: Su, PB: Go, H: 24, E: 19 (18) — Gro: Die Einwohner- zahl 19 bei Grothe kann nicht zutreffen, weil bei d. normalen Bevölkerungsverteilung im Gottscheerland auf 24 (lt. Leustik 1941 25 Häuser) etwa 110—125 Einwohner kommen, wahrscheinl. Druckfehler. — Nd: s. oben. — E. Leustick führt in seinem Artikel „Das Su- chener Hochtal” in GZ Dez.-Nr. 1973 die 25 Hausnamen an.

Göttenitz, Gənize, auch In dr Gənizn (Gotenica) — U (Gottenitz), 12 = 24 hlb. Hu, 27 Bes., ca. 110—120 E — S 1770 — H: 68 — G u. Pf: Gö, PB: Go, H: 108, E: 359 (13) — Schu: 1854 — Gro-Nd: Möglicherweise abgeleitet vom sl. „kot” = Winkel. — Göttenitz zählt zu den Ursprungsdörfern d. Gottscheerlandes. Erste Erwähnung i. d. Urkunde von 1363 (Goteniz). Göttenitz dürfte nach Ansicht d. Verf. zu den Siedlungen gehören, die Graf Meinhard I. von Ortenburg etwa zw. 1315 und 1332 anzulegen begonnen hat. Wal- ter Tschinkel vermutet, daß schon vor d. deutschen Besiedelung Gottschees ein Weg von Reifnitz über Göttenitz, Rieg und Morobitz zu den Dörfern a. d. Kulpa führte (WGM, S. XIII). Unterstützt wird diese Annahme v. d. Tatsache, daß an allen drei Orten Tabore gegen die Türken bestanden. Jener in Göttenitz war bis in die neueste Zeit ruinenhaft feststellbar. — 20 Jahre lang bestand ein „Geheimnis um Göttenitz”: nämlich eine her- metische Abriegelung ohne Angabe von Gründen. In d. GZ v. April 1967 wird es geklärt: Es sollte verborgen bleiben, daß in ca. 500 m Tiefe radiumhaltiges Erz gefunden worden war?

Gottschee, Gətscheab, auch Stott oder Stattle, (Kaevje) U — V — S 1770 -- G: Go — Pf: Go — PB: Go — H: 260 — E: 1859 (362). Nd: s. Text. Geschichtliches: 1363 erste Erwähnung des Ortes Go., noch nicht hervorgehoben. — 1377 Markt. — 1418 Fr. III. v. O. stirbt. Gr. von Cilli erben Spittal u. Go. — 1456 Cillier sterben aus. — 1457 Habsbur- ger übernehmen Herrschaft Go. (Ott.) infolge Erbvertrag mit Cilli. — 1463 Türken er- obern Bos. — 1469 Erster Türkenüberfall. Markt Go. wird zerstört. — 1471 Stadterhe- bung durch Fr. III. (Urkunde b. Grothe). — 1492 (23. 10.) Hausier-Privileg. — 1507 Graf Jörg v. Thurn verwaltet Go. — 1515 Aufstand d. Bauern gegen Thurn. — 1547 Go. an Gr. v. Blagay als Pfand. — 1619 Frh. v. Khysel übernahm Go. — 1623 wird Go. z. Graf- schaft erhoben. — 1641 verkauft Gr. Khysel Go. an Engelbrecht Gr. Auersperg. — 1650 (?) Bau d. Schlosses. — 1791 Leop. II. erhebt Go. z. Herzogtum. — 1809—1814 Franzo- senzeit. — 1848 Aufhebung d. Leibeigenschaft. — 1872 Gymnasium gegründet. — 1893 Stichbahn Laibach — Go. eröffnet. — Holzfachschule — Elektrizitätswerk — Wasserlei- tung. — 1889 Lory Bgmst. v. Go. — 1930 600-Jahrfeier. — 1935 Hausieren. — 1941 Umsiedlung. — 1945 Go. vertrieben.

Grafenfeld, Kropfnwold (Dolga vas) — U (Khrapfenfeld) 8/16 hlb. Hu, 27 Bes., ca. 110—115 E — S 1770 — H: 52 — G: Li, Pf u. PB: Go, Top. Ber. 1887: E 285 — 1910: H: 86, E: 266 (52) — Schu: 1892 — Gro-Nd: Die erste Siedlerfamilie od. -sippe hieß mög- licherweise Kropf.

Graflinden, pei dər Lintən (Knežja lipa) — U 6 1/2 = 13 hlb. Hu, 24 Bes., ca. 90— 100 E — S 1770 — H: 27 — G: Gr, Pf: UI. PB: Go. H: 44, E: 200 (—) — Gro-Nd: Nach einer Ortssage mit geschichtl. Hintergrund soll hier einmal ein Graf gehaust haben.

Grintowitz, Grintəbitz (Grintovec) — U (Grintewitz), 2 = 4 hlb. Hu, 4 Bes., ca. 15— 20 E — S 1770 — H 7 — G: Mg, Pf: Al, PB: Go. H: 12, E: 44 (—) — Gro-Nd: Prof. S. Franges leitet den Namen von sl. „grinuti” = losstürzen, stürmen ab u. deutet ihn als

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„Sturmkoppe” (nach 0).

Grodetz, Grodetz (Gradec) — Im U 1574 sowie 1770 u. bei S nicht aufgeführt, Spät- gründung — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 6, E: 29 (—) — Gro-Nd: sl. gadec = kleine Burg od. Befestigung — Aug. Tschinkel vermutet in GZ, Juni 1972, daß Mauerreste nahe b. d. Ortschaft auf ein römisches Kastell zurückgehen, „das einst zur röm. Provinz Panonia” gehörte.

Gschwend, Gschwend — Im U 1574, 1770 u. bei S nicht aufgeführt. Spätgründung (?) — G u. Pf: Mi, PB: Go-Nd: „suendan” = schwinden machen. O. führt den Namen auf das Weg-räumen v. Gestrüpp u. Bäumen zurück.

Gutenberg Liəlochpargəl (Srbotnik) — Weder im U 1574 noch 1770 od. bei S er- wähnt. Spätgründung — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 16, E: 30 (—) — Gro-Nd: „Gutenberg” drückt eine Hoffnung auf gute Ernten aus, „Lialochpargal” kennzeichnet den Rodungsbo- den als „Lianenberg”. Viel Ertrag gab er nicht her, denn schon 1910 standen mehrere Häuser leer.

Handlern, Handlarə (Handlerje) — U 5, 10 hlb. Hu, 16 Bes., ca. 45—55 E — S 1770 H: 20 — G: Ko, Pf: Ri, PB: Go, H: 33, 104 (1) — Gro: Vom Familiennamen „Handler” = Händler abgeleitet. H. gehört zu den sog. „Fünfzehn Huben” (Wemfzein Huabn). Siehe auch Kotschen u. Moos.

Hasenfeld, Huəshnbold (Zajčja vas) — U 6 = 12 hlb. Hu, 19 Bes., ca. 90—100 E — S 1770 — H: 22 — G: Schw, Pf u. PB: Go, H: 28, E: 90 — Gro: Wahrscheinlich hieß d. er- ste Siedler Haas, vermutet O.

Hinterberg, Hintrparg (Novi laze) — U Hinterbach) 10 = 20 hlb. Hu, 26 Bes., ca. 100—110 E — S 1770 — H: 40 — G: Hi, Pf: Ri, PB: Go, H: 67, E: 197 (1) — Gro.

Hirisgruben (Generalstabskarte „Hirschgruben"), Hirisgruəbə (Iskrba) — U 1 = 2 hlb. Hu, 2 Bes. 7—10 E — S 1770 — H: 3 — G: Hi, Pf: Ri, PB: Go, H: 3, E: 6 (—) — Gro-Nd: „Hiris” = mundartl. Hirsch.

Hirschgruben (Generalstabskarte „Hirisgruben”, offenbar Verwechslung), Hirisgruəbn (Jelendol) — G: Ni, Pf: Ma, PB: Go, Sägewerk d. Fürsten Auersperg, H: 1 u. Sägewerk.

Hohenberg, Hoachnparg (Puglarje) — U 2 = 4 hlb. Hu, 4 Bes., ca. 13—17 E — S 1770 — H: 12 — G u. Pf: Al, PB: Go, H: 18, F. 74 (—) — Gro.

Hohenegg, Wrneggə () — U 8 = 16 hlb. Hu, 23 Bes., ca. 90—100 E — S 1770 — H: 29 — G: Top. Ber. 1887: 180 E — G: Se, Pf u. PB: Go, H: 48, E: 180 (—), Schu: 1884 — Gro-Nd: and. bedeutet „ekka” einen steilen Berghang. Die Hanglage des Ortes regte die kärntnerischen Siedler zu dem „hohen Eck”, zur Wiederverwendung d. heimatl. Orts- namens an.

Hornberg, Hoarnparg () — Im U 1574 nicht erwähnt, jedoch um 1600 si- cher schon bestehend — S 1770 — H: ? — G: Hu, Pf: Ri — PB: Go, H: 41, E: 107 (3) — Gro-Nd: Vermutl. willkürlich.

Hornwald, Hoarnwald (Rog) — Fürstl. Auersperg'sches Sägewerk m. Werkswohnun- gen, die samt den Feldbahnen u. Werksanlagen nach d. Zweiten Weltkrieg zerstört wur- den. — G u. Pf: Pö, PB: Ru — Nd: Nach dem höchsten Bergzug d. Gottscheerlandes, dem „Hornwald” benannt.

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Inlauf, Inlaf, auch Enlaf (Inlaf) — U 4 = 2 ganze u. 4 hlb. Hu, 10 Bes., ca. 35—40 E — G u. Pf: Mo, PB: Go, H: 17, E: 64 (3) — Gro-Nd: Von Einlauf, Eingang, abgeleitet.

Kaltenbrunn, Kaotnprunn () — Fürstl. Auersperg'sches Sägewerk. — G u. Pf: Gö, PB: Go, H: 5, E: wechselnd — Gro.

Karlshütten, Gloschhittn (Glažuta) — G: Og, Pf: Su, PB: Go, H: 5, E: ?. 1835 gegrün- dete, 1856 wegen Unrentabilität aufgelassene Glashütte.

Katzendorf, Kotzndoarf (Mačka vas) — U 4 = 8 hlb. Hu, 10 Bes., ca. 40—50 E — S 1770 — H: 18 — Top-Ber. 1887: 105 E — G: Se, Pf u. PB: Go, H: 22, E: 97 (1) — Gro- Nd: Vermutl. v. Gottscheer Familiennamen Kotze.

Kerndorf, Kerndoarf (Mlaka) — U (Kerndorf Rain) 5 = 10 hlb. Hu, 14 Bes., 60—65 E — S 1770 — H: 28 — Top. Ber. 1887 E: 189 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 46, E: 129 (12) — Gro-Nd: Hieß der erste Siedler Kern? Möglich ist auch d. Deutung: Mhd. „kurn” = Mühle, mundartl. „kirn” = Handmühle.

Kleinriegel, Riegl () — U (Schriegl!) 2 = 3 hlb. u. 2/4 Hu, 9 Bes., ca. 3C— 35 E — S — H: ? — G u. Pf: Pö, PB: Ru, H: 17, E 56 (—) — Gro.

Kletsch, Kletsch (Kleče) — U 2 = 4 hlb. u. 1/8 Hu, 6 Bes., ca. 25—30 E — S 1770 — H: 11 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 12, E: 35 (—) — Gro-Nd: Nach O. sieht Krones in Kletsch, Klece, Kletschach d. sl. Grundwort „klet” = dunkel u. „kleta” = schlechtes Bau- werk.

Kletsch, Kletsch (Kleče) — U 4 = 8 hlb. Hu, 8 Bes., ca. 35—40 E — S 1770 — H: 23 — G: Mg, Pf: Al, PB: Go, H: 22, E: 81 (—) — Gro-Nd: s. oben.

Klindorf, Klindoarf () — U 8 = 16 hlb. Hu, 20 Bes., ca. 80—85 E — S 1770 — 1-i: 33 — Top.-Ber. 1887 E: 195 E — G: Se, Pf u. PB: Go, H: 50, E: 163 (8) — Gro- Nd: Im U 1574 kommt d. Familienname „Klin” vor.

Koflern, Kowlarn od. auch in de Kowlara gean (Koblerje) — U (Khöflern) 8 = 16 hlb. Hu, 16 Bes., ca. 58—65 E — S 1770 — H: 39 — Top.-Ber. 1887 E: 251 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 53, E: 197 (6) — Gro-Nd: „Kofel” ist in Kärnten ein flacher Hügel. Der Familien- name Kofler ist als Namensgeber nicht auszuschließen.

Komutzen, Komüzə (), Gomülz, auch Prundorf genannt. U 3 = 6 hlb. Hu, 8 Bes., ca. 32—36 E — S 1770 — H: 39 — G: La, Pf: Uw, PB: Ru, H: 34, E: 102 (—) — Nd: Mölzen = ein Ort, wo viele abgebrochene Aste liegen.

Kotschen, Götschə (Koče) — U 5 = 10 hlb. Hu, 15 Bes., ca. 45—50 E — 1614 „Gät- schen” genannt — S 1770 — H: 24 — G: Ko, Pf: Ri, PB: Go, H: 32, E: 102 (—) — Gro- Nd: vom sl. „kola” = Hütte. 2. v. d. Familiennamen „Kotze”, noch im 19. Jh. gebräuchlich i. d. „Fünfzehn Huben”, zu denen auch Kotschen gehörte. Siehe Handlern.

Krapflern, Kropflarn (Občtice) — U 2 = 4 hlb. Hu, 5 Bes., ca. 20—25 E — S 1770 — H: ? — G u. Pf: Pö, PB: Ru, H: 32, E 67 (3) — Gro-Nd: Abgeleitet vom Siedlernamen Krapf od. Kropf.

Küchlern, Kichlarn (Kuhlarji) — U 1 = 2 hlb. Hu, 3 Bes., ca. 10—14 E — S 1770 — (Kürchlern) H: 4 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 4, E: 19 (—) — Gro-Nd: vom Familiennamen „Kuche”?

Kukendorf, Kukndoarf (Kukova vas) — Weder im U 1574, noch 1770 od. bei S er-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 185 wähnt. Spätgründung? G u. Pf: Eb, PB: Go, H: 24, E: 100 (3) — Nd: Die Ableitung von Kuckuck (0.) wirkt konstruiert.

Kummerdorf, Kümmrdoarf (Kumerdorf) — U 3 = 6 hlb. Hu, 9 Bes., ca. 32—26 E — S 1770 — H: 13 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 11, E: 41 (—) — Gro-Nd: Mundartl. Bedeutet „Kümar” einen armen, bedauernswerten Menschen, ein Hinweis auf d. „kümmrigen” Vor- aussetzungen b. d. Besiedlung, kann auch v. d. in Kärnten weit verbreiteten Familienna- men Kummer abgeleitet sein. — Das Dorf hatte im 19. Jh. eine kleine Lodenindustrie.

Kuntschen, Kuntschn (Kunče) — U (Khünschen) — 1 1/2 = 1 ganze u. 1/2 Hu, 2 Bes., ca. 8—11 E — S 1770 — H: 3 — G: La, Pf: Uw, PB: Ru, H: 11, E: 41 (—) — Gro- Nd: Vielleicht von Kunz od. Kuenz, ein Familienname im U 1574.

Laase, s. Reuter.

Lachina, Lachina (Lahina) — U (Lachin) 3 = 6 hlb. Hu, 7 Bes., ca. 25—30 E — S 1770 — H: 2 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 10, E: 29 — Gro-Nd: Vermutl. erklärbar aus d. and. „Iahha” u. lahhan = Einhauen v. Merkzeichen in Bäume.

Lacknern, nur im U 1574 unter „Lakner” aufgeführt, 1 = 2 hlb. Hu, ca. 7—10 E — Der Weiler lag vermutl. im Bereich d. G. Altlag u. ging in einer and. Siedlung auf. Nd: Lakner bedeutet im Zeitraum d. Kolonisation Gottschees „Siedler”. Der Familienname Lackner steht also in unmittelb. Zusammenhang m. d. Besiedlung.

Langenton, Zmuk () — Im U 1574 nicht erwähnt, spätere Gründung. — S 1770 — H: 26 — G: La, Pf: Uw, PB: Ru, H: 71, E: 265 (12) — Gro-Schu: 1882 — Nd: Die Entstehungsgeschichte v. Langenton beginnt am 1. 6. 1605. An diesem Tage überließ Gräfin Elisabeth v. Blagay geb. Freiin v. Auersperg einigen Altlager Bauern ein Stück Land „an den langen Thonen”. L. war die nördlichste Gemeinde d. Sprachinsel. 1890 noch 954 Einw., 1940 nur noch ca. 600.

Laubbüchel, Lapiechl (Deleči vrh) — Im U 1574 sowie 1770 u. bei S nicht erwähnt. Wahrsch. ursprüngl. schon Einzelhof. — G u. Pf: Pö, PB: Ru, H: 1, E: 7 (—) — Gro.

Lichtenbach, Liəmpoch () — U 4 — 8 hlb. Hu, 13 Bes., ca. 40—45 E — S 1770 — H: 17 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 23, E: 85 (—) — Gro-Schu: 1885. Der erste Lehrer war von 1885—1895 d. Volkstumsforscher Josef Perz. Aus Lichtenbach stammt d. Forscherfamilie Tschinkel, Wilhelm und Dr. Hans Tschinkel sind dort geboren. Wilhelm T. besuchte noch d. Notschule u. empfing d. ersten Anregungen für seine lebenslange Schatzgräberarbeit am Gottscheer Volkstum — Gro-Nd: Aug. Tschinkel bringt in GZ, Juni 1972, d. Ortsnamen in Zusammenhang mit Liembach i. d. Untersteiermark. Nach Kranz- mayer ist er auf Lindenbach od. Lindbach zurückzuführen. — Wirtschaftl. gewann Li. von 1843 bis zum Ende d. 19. Jh. durch die Lodenindustrie Bedeutung. Der Autor ist ebenfalls aus Lichtenbach.

Lienfeld, Liəwold () — U 10 = 20 hlb. Hu, 34 Bes., ca. 120—135 E — S 1770 — H: 49 — Top.-Ber. 1887 E: 362 — G: Li, Pf u. PB: Go, H: 67, E: 260 (44) — Schu: 1892 — Gro-Nd: Am sinnfälligsten ist d. Ableitg. v. lie = „Lehm”, den es bei Rinseüberschwem- rungen auch z. Zt. d. Kolonisation in großen Mengen gab.

Maierle, Maiərle (Maverle) — U nicht erwähnt, wahrsch. damals nicht z. ortenburg. Herrschaft gehörig. S 1770 — H: ? — G: Dö, Pf u. PB: Tsch, H: 888 (114), also 1910 be- reits eine sl. Mehrheit — Schu: 1882 — Gro-Nd: Vermutl. nach d. Kolonisten Maier be- nannt. Anm. d. Verf.: 1. Maierle war mit Sicherheit auch schon vor 1574 das Weinbauge- biet d. östl. Teils d. Sprachinsel, da bereits im U 1574 von „Weinfuhren” an die Grund- herrschaft d. Rede ist. 2. Lt. Jos. Truger, GZ, Juni 1971, war M. nicht nur Orts-, sondern

Gedruckt von http://www.gottschee.at 186 auch Gegendname. Zu M. zählten auch Maierler Berg, Straßenberg, Döblitschberg u. Bi- stritz. 3. In d. 90er Jahren d. 19. Jh. wurden die Weinberge v. d. Reblaus befallen. Der Lehrer Peter Krauland rettete d. Weinbaugebiete v. Maierle, indem er widerstandsfähige Reben in den verbliebenen Bestand einzüchtete.

Malgern, Maugrarn (Mala gora) — U 6 = 12 hlb. Hu, 15 Bes., ca. 55—65 E — S 1770 — H: 40 — Top.-Ber. 1887 E: 261 — G: Mg, Pf: Mi, PB: Go, H: 57, R: 221 (2) — Gro-Nd: Vermutl. v. si. Malagora = kleiner Berg. — Anm. d. Verf.: Der langjährige geistige u. po- lit. Führer d. Gottscheer, d. Mitterdorfer Pfarrer Josef Eppich, war Ehrenbürger d. Ge- meinde Malgern. Er starb 1943 den Märtyrertod.

Maschel, Maschl (Mašelj) — Im U 1574 nicht aufgeführt — S 1770 — Ii: 5 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 8, E: 40 (2) — Gro.

Masereben, Masharebn (Grčarice ravne) — U 1 = 2 hlb. Hu, 2 Bes., ca. 8—11 E — S 1770 — H: 9 — G: Ni, Pf: Ma — PB: Go — H: 12 (?), E: 37 (58) — Gro-Nd: s. Masern.

Masern, Masharə (Grčarice) — U 6 = 12 hlb. Hu, 14 Bes., ca. 50—60 E — S 1770 — H: 38 — G: Ni, Pf: Ma, PB: Go, H: 61, E: 256 (5) — Schu: 1883 — Tab — Gro-Nd: O hält die Ableitung v. sI. Wort „maser” = knorriger Baumanwuchs f. mögl., Gro schließt Her- kunft v. Familiennamen Maas nicht aus. — Geschichtl. Daten: 1613 gab d. Gräfin Elisa- beth v. Blagay, geb. Freiin v. Auersperg, weiteren Boden wegen Übervölkerung d. Ort- schaft zur Besiedlung frei. — Der Top.-Ber. stellt 1887 fest, daß die Männer v. M. kaum dem Hausierhandel nachgingen. — 1883 kaufte d. Großkaufmann Stampfl ein Haus u. schenkte es d. Schule, die bis 1941 bestand.

Merleinsrauth, Malaschrout () — Im U 1574 nicht erwähnt — S 1770 — H: 23 — G u. Pf: Su, PB: Go, H: 33, E: 162 (43) — Gro-Nd: Ed. Leustik aus Merleinsrauth leitet d. mundartl. Ortsnamen von d. Namen d. ersten Siedlers Mail ab, nach dem einige Fluren benannt sind (GZ Febr. 1974). „Merleinsrauth” ist nach seiner Ansicht d. falsch angewendete Schreibweise eines Verw.-Beamten. — Leustik verzeichnet in GZ, Dez. 1973, die Hausnamen.

Mittenwald, Mittnbold () -- Im Urbar 1574 nicht genannt — S 1770 — H: 8 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 10, E: 45 (—) — Gro.

Mitterbuchberg, Mittrpuəchparg (Srednja bukova gora) — U 1 = 4/4 Hu, 6 Bes., ca. 16—20 E — S 1770 — H: 8 — H: 8 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 8, E: 41 (—) — Gro.

Mitterdorf, Mittrdoarf (Stara cerkev) — U 6 = 12 hlb. Hu, ca. 50—55 E — S 1770 — H: 33 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 46, E: 178 (14) — Top.-Ber. 1887 E: 231 — Schu: 1819 — Gro-Nd: O. führt d. Ortsbezeichnung auf die ungefähre Mittellage zw. Windischdorf, Koflern, Obrern, Kerndorf usw. zurück. — Der ursprüngl. Ortsname, d. bereits 1574 je- doch amtl. nicht mehr verwendet wurde, war „Altenkirchen”. Ob Mi. mit d. St. Bartholo- mäus-Kapelle d. Grafen Otto V. von Ortenburg (Brief d. Patr. v. Aquileja v. 1. 9. 1339) zusammenhängt, ist fraglich, jedoch denkbar. — 1935 errichtete die Jugend ein Kultur- heim. — Mi. war die Wirkungsstätte d. langjähr. geistigen und polit. Führers d. Gott- scheer, Pfarrer Josef Eppich. S. Malgern.

Mitterdorf, Mittrdoarf (Srednja vas) — U 4 = 8 hlb. Hu, 9 Bes., ca. 35—40 E — S 1770 — H : 31 — G u. Pf: Go, E : 105 (4) Gro.

Mittergras, Hentərdiafle (Srednja vas) — U (Untergras) 3 1/2 = 2 ganze u. 3 hlb. Hu, 5 Bes., ca. 20—25 E — S 1770 — H: 28 — G: Og, Pf: Su, PB: Go, H: 42, E: 166 (12) — Nd: Ed. Leustik sieht i. d. mundartl. Bezeichnung „Hentardiafle” f. Mittergras u. „Voarder- fle” f. Obergras die natürl. gewachsenen eigentlichen Ortsnamen. Ober- u. Mittergras

Gedruckt von http://www.gottschee.at 187 sind „amtliche Taufe” (GZ, Febr. 1974).

Moos, Möösch (Mlaka) — U 5, 12 Bes., ca. 45—50 E — S 1770 — H: 22 — G: Ko, Pf: Ri, PB: Go, H: 33, E: 72 (—) — „Moos” ist in Kärnten allein u. in Zusammensetzung m. and. Ausdrücken anzutreffen. — Die Ortschaft bildet zus. m. Kotschen u. Handlern die „Fünfzehn Huben” (Wemfzein Huabn). Tatsächl. haben alle drei 1574 noch je 5 Hu.

Moos bei Kerndorf, kommt nur im U 1574 als selbständige Siedlungseinheit vor. 1 = 2 hlb. Hu, ca. 6—8 E. Vermutl. in Kerndorf aufgegangen.

Mooswald, Mööschbold () — U 10 = 20 hlb. Hu, 30 Bes., ca. 120—130 E — S 1770 — H: 39 — Top.-Ber. 1887 E: 180 — G, Pf u. PB: Go, H: 45, E: 289 (7) — Gro- Nd. u. Geschichte: Mooswald ist in d. Urkunde v. 1. 9. 1339 als erste Siedlung d. Gott- scheerlandes genannt. Prof. Dr. E. Kranzmayer stellt in seinem „Ortsnamenverzeichnis von Kärnten” fest, daß es sowohl bei Paternion als auch bei Spittal, beides ortenburgi- scher Besitz, ein Mooswald gab. Es besteht daher kein Zweifel über die kärntnerische Herkunft des Namens. Näheres über d. Rolle v. Mooswald in d. Besiedlungsgeschichte Gottschees s. Text ...

Morobitz, Mröbitz (Borovec) — U 6 = 12 hlb. Hu, 12 Bes., ca. 45—55 E — S 1770 — H: 25 — G u. Pf: Go, PB: Go, H: 35, E: 103 (5) — Schu: 1856 — Tab-Nd: Nach O. abzu- leiten v. sl. „borovec” = Fichtenwald. — In M. ist d. Gottscheer Sprachwissenschaftler Dr. Walter Tschinkel geboren. Dort wirkte sein Vater Wilhelm Tschinkel als Lehrer.

Mrauen, Mragə (Mrava) — U (Homerau) 6 = 12 hlb. Hu, 9 Bes., ca. 70—80 E — S 1770 — H: 31 — G: Hi, Pf: Ri, PB: Go, H: 53, E: 136 (25) — Gro-Nd: Vom sl. „morava” = öde Gegend (0). M. wurde v. d. Türken mehrfach zerstört.

Nesseltal, Neßtol, auch Eßtol (Koprivnik) — U 10 = 20 hlb. Hu, 30 Bes., ca. 115—125 E — S 1770 — H: 57 — H u. Pf: Ne, PB: Go, H: 80, E: 252 (21). — Schu: 1829 — Tab — Gro-Nd. u. Geschichtliches: „Tal der Nesseln”. Aug. Tschinkel vertritt in d. GZ, Juni 1973, die Ansicht, daß bereits 1361, also während die Besiedlung v. Gottschee im vollen Gange war, im Mettnitztal (Kärnten) ein Ort Copraunig, später Preining genannt, urkundl. er- scheint. Tschinkel wörtl.: „Dieses Tal war zu jener Zeit noch gemischtsprachig u. die Leu- te, die von dort nach dem Süden zogen, nahmen gleich beide Namen (Nesseltal und Ko- privnik) mit.” — Der Verf. meint: Da Ne. bereits um 1400 als selbst. Pfarre unter dem deutschen Namen erscheint, muß dieser älter sein als die von „kopriva” = Nessel ausge- hende wörtliche Obersetzung in d. slowenische Schriftsprache. — Die angebl. Herkunft d. ehem. Reichskanzlers Graf Caprivi aus Ne. ist wissenschaftl. nicht belegbar. — Ne. war die Wirkungsstätte d. hochangesehenen Pfarrers August Schauer, glänzender Prediger, Herausgeb. d. Gottscheer Kalenders bis z. Umsiedlung.

Neubacher, Schupfə (Novi breg) — U 2 = 4 hlb. Hu, 7 Bes., ca. 20—33 E — S 1770 — H: 8 — G: Mg, Pf: Al, PB: Go, H: 19, E: 45 (—).

Neuberg, Neiəparg (Nova gora) — Im U 1574 sowie 1770 u. b. S nicht erwähnt. Spät- gründung? — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 95 (?), E: 153 (—).

Neufriesach, Biedröß (Laze) — U 3 = 6 hlb. Hu, 24—28 E — S 1700 — H: 9 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 11, E: 48 (—) — Gro-Nd: s. Altfriesach.

Neugereuth, Lapiechl () — Im U 1574 sowie 1770 u. b. S nicht genannt, 1574 noch z. Herrschaft Pölland gehörig (s. Gro, S. 59, Karte 7). — G u. Pf: Ul, PB: Go, H: 6, E: 18 (—) — Nd: . . . reuth kommt von roden, also Neurodung. Ursprüngl. ortenburgisch.

Neulag, Shuəchə () — U 2 = eine 3/4 u. fünf 1/4 Hu, 7 Bes., ca. 25—30 E —

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S 1770 — H: 17 — G u. Pf: Al, PB: Go, H: 29, E: 97 (—) — Nd. bei Valvasor „Kleinlag”, sonst s. Altlag. — Gro.

Neuloschin, Küttlar (Nove lozine — Neulosin) — U 1 = 2 hlb. Hu, 2 Bes., ca. 6—10 E — S 1770 — H: 9 — Top.-Ber. 1887 E: 62 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 14, E: 50 (—) — Gro-Nd: Zwei Möglichk. 1. Abgel. v. sl...loza" = Wald, 2. dt. „Lose” = Abgaben a. d. Grundeigentümer (0).

Neutabor, Tawr () — Im U 1574 nicht erwähnt — S 1770 — 1-I: 8 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 7, E: 41 (—) — Gro-Nd. s. Alttabor.

Neuwinkel, Neibinkl (Novikot) S 1770 — H: 29 — G: Su — Pf: Su — PB: Go — H: 46 — E: — (252) — Gro.

Niederloschin, Niedrloschin (Dolnje lozine) — U (Niederlosin) 2 = 4 hlb. Hu, 5 Bes., ca. 18—24 E — S 1770 — H: 12 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 16, E: 103 (3) — Anm. d. Verf.: Im Ortsnamenverzeichnis v. Grothe liegt offenbar eine Verwechslung mit „Unter"- loschin vor, das es im U 1574 nicht gibt.

Niedermösel, Götscharə (Spodnji ) — U 7 = 14 hlb. Hu, 20 Bes., ca. 75—85 E — S 1770 — H: 26 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 39, E: 158 (—) — Gro-Nd: s. Obermösel. Niedertiefenbach, Niedertiompoch od. einfach Tiampoch (Dolenja briga) — U 6 = 12 hlb. Hu, 14 Bes., ca. 55—65 E — S 1770 — H: 30 — G: Ot, Pf: Mo, PB: Go, H: 44, E: 139 (7) — Schu: 1932 — Gro.

Oberblaschowitz, Peikous (Zgornji Blasoviče od. auch Pajkež) — Im U 1574 sowie 1770 u. bei S nicht genannt, vermutl. Spätgründung — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 6, E: 23 (—) — Gro-Nd: Abgeleitet v. Blasius (?).

Oberbuchberg, Gailoch (Gorenja bukova gora) — U 1 = vier 114 Hu, 5 Bes., 18—22 E — S 1770 — H: 5, G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 2, E: 13 (—) — Gro — Anm.: Durch Auswan- derung nach 1910 verfallen.

Oberdeutschau, Tearöscht (Gorenja nemška loka) — U 2 = 4 hlb. Hu, 4 Bes., ca. 16— 20 E — S 1770 — H: 9 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 8, E: 34 (—). Nach Aug. Tschinkel, GZ, Juni 1972, zurückzuführen auf d. sl. „terilZe” = Brechelstätte. Es sei anzunehmen, daß die Büchler dort schon in früher Zeit eine Brechelstätte eingerichtet haben u. den Namen aus Kärnten mitbrachten. — Geburtsort d. Obermedizinalrates Dr. med. Karl Rom.

Oberfliegendorf, Wliəgndoarf () — U (Fliegendorf) 2 = 4 hlb. Hu, 8 Bes., ca. 30—35 E — S 1770 — H : 11 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H : 12, E : 36 (—) — Gro.

Obergras, Woarderfle (Trava) — U 4 = 3 ganze u. 2 hlb. Hu, 6 Bes., ca. 22—28 E — S 1770 — H: 31 — G: Og, Pf: Su, PB: Go, H: 38, E: 172 (2) — Schu: 1897 — Gro-Nd: s. Mittergras.

Oberkatzendorf, Pinugl (Gorenji mačkovec) — U 1 1/2 = 3 hlb. Hu, 3 Bes., ca. 12—15 E — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 4, E: 8 (2) — Gro.

Oberloschin, Öbrloschin (Gornje ložine) — U 4 = 8 hlb. Hu, 8 Bes., ca. 39—36 E — S 1770 — H: 20 — Top.-Ber. 1887 E: 54 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 31, E: 103 (3) — Gro- Nd: s. Neuloschin.

Obermitterdorf, Gritschitzə (Gričice) — U 2 = 4 hlb. Hu, 4 Bes., 15—20 E — S 1770 H: 11 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 11, E: 28 (—) — Gro.

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Obermösel, Öbrmesl od. einf. Mesl (Gornji mozelj) — U 10 = 20 hlb. Hu, 28 Bes., ca. 115—125 E — S 1770 — H: 52 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 89, E: 387 (—) — Schu: 1820 Tab. m. dopp. Ringmauer. Gro: In Mö. bestand eine Musikkapelle — Nd. u. Geschicht- liches: „Mösel” = kleines Moos. Das Wort wurde ursprüngl. auch auf d. ganze Gegend angewendet (0). Kr. bestätigt, daß es in Kärnten bei Feldkirchen ein Mösel gibt. — Mö. wurde 1509 selbst. Pfarre, vorher z. Pfarre Gottschee gehörig. Einer d. ersten Pfarrer war Martin Marinzel aus d. Moschnitze (1584—1603). — Bevölk.-Entwicklung seit dem 18. Jh.: Im Jahre 1787 zählte d. Dorf Obermösel 337 E, in der Pfarre lebten 1740 ca. 900 Seelen, 1787 stieg die Zahl auf 1503 u. erreichte 1822 mit 1814 Bewohn. ihren Höhe- punkt (keine Aufteilung auf dt. u. sl. Pfarrkinder). 1890 (nur Gottscheer): 1366, 1900: 1092 (Auswanderung!), 1921: 1135, 1929: 1234.

Oberpockstein, Öbrpöckschtuein (Zgornji pokštajn) — Im U 1574 sowie 1770 u. b. S nicht erwähnt, späte Aussiedler v. Obermösel? — G u. Pf: Mö, PB: Go — H: 5, E: 23 (—) — Gro.

Oberskrill, Öbrschkril (Zdihovo) — U 1 1/2 = 3 hlb. Hu, 4 Bes., 14—18 E — S 1770 H: ? — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 11, E: 36 (1) — Gro-Nd: sl. „skrilj” = Schiefer- od. Steinplat- te.

Oberstein, Schkibm (Žibenj) — U 1/4 Hu, 1 Bes., ca. 4—5 E — S 1770 — H: 2 — G u. Pf: Al, PB: Go, H: 5, E: 31 (—) — Gro.

Obertaplwerch, Muckendorf, Muckndoarf () — U 3 = 6 hlb. Hu, 6 Bes., ca. 24—28 E — S 1770 — H: 15 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 19, E: 123 — Gro-Nd: sl. „to- plo” — warm, „vrh” = Hügel, also Warmberg (Gro.).

Obertiefenbach, Brigə () — U 2 = 4 hlb. Hu, 5 Bes., ca. 16—22 E — S 1770 — H: 13 — G: Ot, Pf: Mo, PB: Go, H: 24, E: 56 (3) — Gro.

Oberwarmberg, Öbrbourmparg (Gorenja ), Seehöhe 889 m — U 6 = 12 hlb. Hu, 18 Bes., — 1770 u. b. S nicht als Oberw. erwähnt — G: La, Pf: Uw, PB: Ru, H: 24, E: 71 (4) — Gro. — Anm. d. Verf.: Im U 1574 ist zweimal eine Siedlung „Warmberg” verzeichnet: 1. Im Raum d. Gern. Altlag u. 2. im Oberamt II zwischen Ortschaften im Bereich von Schalkendorf u. Obermösel. Die im U 1574 verzeichneten Angaben über Hu- u. Bes.-Zahlen werden daher mit Vorbehalt wiedergegeben. Die statist. Angaben betr. d. Dörfer Ober- u. Unterwarmberg f. 1910 treffen jedoch zu. — O. ist d. Geburtsort d. Eh- renpräsidenten d. Relief-Ass. Inc. (Gottscheer Hilfswerk) in New York u. Ehrenringträger Adolf Schauer.

Oberwetzenbach, Öbrbetznpoch (Gornji Vecenbah) — U 2 = 4 hlb. Hu, 5 Bes., ca. 18—24 E — S 1770 — H: 7 — G u. Pf: Ri, PB: Go, H: 13, E: 41 (3) — Gro-Nd: Vom Fami- liennamen „Wetz” (?).

Oberwilbach, nur im U 1574 genannt, lag i. Bereich d. Gern. Tschermoschnitz, ident. mit „Wildbach”, s. dort.

Obrern, Öbrarə (Gorenje) - U (Obrer) 5 = 10 hlb. Hu, 12 Bes., ca. 45—52 E — S 1770 — H: 20 — Top.-Ber. 1887 E: 114 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 35, E: 97 (6) — Gro.

Ort, Oart (Konca) — U 4 = 8 hlb. Hu, 9 Bes., 40—45 E — 1770 u. S: ? — Top.-Ber. 1887 E: 103 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 24, E: 85 (—) — Gro-Nd: Nach o. „Gart” heißt in diesem Falle, daß das Dorf „am Ende” von Mitterdorf lag.

Otterbach, Öttrpoch (Kačji potok) — U 6 = 12 hlb. Hu, 16 Bes., ca. 60—68 E — S 1770 — H: 18 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 26, E: 93 (—) — O. leitet d. Namen v. d. Rin-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 190 gelnatter ab, . . . bach geht zweifellos auf d. tatsächlich vorh. Bach zurück. Er trieb, auf- gestaut, eine Mühle. Plösch, Plesch (Plěs) — U 1 = 2 hlb. Hu, 2 Bes., 5—10 E — S 1770 — H: 4 — G u. Pf: Mo, PB: Go, H: 6, E: 33 (—) Gro-Nd: Lt. 0 entw. v. sl. „pleia” = kahler Ort oder dt. „Blest” u. „Plesse” = abgeholzter Wald, Plesse kommt auch als Familienname vor.

Plösch, Plesch (Ples) — Im U 1574 nicht erwähnt — 1770 — H: 4 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 10, E: 50 (—) — Gro-Nd: s. oben — Anm. d. Verf.: Vermutl. eine d. Dorfgründun- gen z. Zt. d. Grafen v. Blagay.

Pöllandl, Pelond (Poljane) — U 3 = 6 hlb. Hu, 7 Bes., ca. 30—35 E — S 1770 — H: 29 — G u. Pf: Pö, PB: Ru, H: 64, E: 183 (3) — Schu: 1852 — Gro-Nd: Von sl. „poljana” Ebe- ne, „polje” = Feld. — Dies. Ortsname kommt in lt. Kr. mehrfach vor, z. B. als Pöllan b. Paternion (ortenburgisch), b. Feistritz i. Rosental od. i. d. Gegend v. St. Stephan im Gail- tal als Pölland. Seltsames Zusammentreffen: In d. Gemeinde St. Stephan wirkte d. Grün- der d. Gottscheer Kulturwoche, Hermann Petschauer — er ist in Pöllandl geboren —, rd. 40 Jahre als Lehrer u. Schuldirektor.

Pogorelz, Pogrelz (Pogorelc) — U (Pagerelitz) 1/2 = 2/4 Hu, 2 Bes., 5—10 E — S 1770 — H: 4 — G u. Pf: Pö, PB: Ru, H: 4, E: 28 (—) — Gro-Nd: sl. „Pogorelz” = der Ab- gebrannte. — Kann auch v. „podgora” = unter d. Berg herrühren. — Erwähnt i. Urbar v. 1754. — Lt. P. gab es auch i. d. Gem. Stockendorf ein Pogorelz, das er als „schon verfal- len” bezeichnet.

Präsuln, Preshulə (Prežulje) — U (Presul) 1 = 2 hlb. Hu, 4 Bes., 14—18 E — S 1770 — H: 2 — G: Ot, Pf: Mo, PB: Go, H: 4, E: 12 (4) — Gro-Nd: Vermutl. von sl. „breza” = Bir- ke.

Preriegel, Preariegl (Prerigelj) — U (Prölibel) 4 = 8 hlb. Hu, 12 Bes., ca. 45—53 E — S 1770 — H: 19 — G u. Pf: Ud, PB: Go, H: 22, E: 79 (—) — Nd: Der Name hat sich offen- sichtl. aus dem alten „Prölibel” entwickelt. Dieser nicht mehr erklärbar. — P. hatte keine Wassersorgen, in d. Umgegend flossen, z. T. ganzjährig, zahlreiche Quellen. — Während d. Türkeneinfälle diente d. nahegelegene „Spaher”, ein Bergvorsprung (875 m) als Warn- feuerstation (Kreitfeuer), zu deren ständiger Besetzung und Wartung die Preriegeler, Graflindener und Unterdeutschauer verpflichtet waren. Dafür blieben sie steuerfrei (Wid- mar, GZ, Mai 1971).

Pröse, Preashə (Preža) — U Presn) 3 1/2 Hu, 9 Bes., ca. 36—42 E — S 1770 = H: 12 — G: Ot, Pf: Mö, PB: Go, H: 15, E: 57 (5) — Gro-Nd: Wohl von sl. „breza” = Birke.

Rain, Roain (Breg) — U (zusammen mit Kerndorf genannt, s. dort) — S 1770 — H: 7 — Top.-Ber. 1887 E: 58 — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 20, E: 74 (1) — Das mundartl. „Roain” bedeutet Grenzstreifen zw. Feldern oder Abhang.

Ramsriegel, Ramschriegl (unbekannt) — Im U 1574 nicht genannt — S 1770 — H: 4 — Gr, Pf: UI, PB: Go, H: 6, E: 17 — Gro-Nd: Möglicherweise ein Flurname, wie z. B. „Ramschgruebe”. — In dieser Gegend seit jeher verbreitet der Familienname Ramb, Ram, Rom.

Rechgruben, ein erstmalig im Moschener Urbar v. 1754 genannter Weiler, möglicher- weise aus der Zeit d. Blagay.

Reichenau, Reichnagə (Rajhenau) — U 10 = 20 hlb. Hu, 36 Bes., ca. 135—145 E — S 1770 — H: 46 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 50, E: 199 (—) — Schu: 1905 — Gro-Nd. u. Geschichtliches: Der Ortsname R. kommt im gesamten dt. Sprachgebiet vor. Kr.: Im Ge- meindebereich Winklern, Oberkärnten (Herkunftsgebiet d. Gottscheer Ursiedler) wird ein

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Weiler Reichenau 1252 erstmals erwähnt. — Aug. Tschinkel führt in d. GZ, Juni 1972, u. a. aus, daß R. nach mündl. Überlieferung noch vor Nesseltal gegründet worden sein soll, weil die Siedler dort günstigere Lebensbedingungen vorfanden. Die Reichenauer waren „bis in unsere Tage das Dorf tüchtiger Viehzüchter und „Ossochmochara”. — In GZ, Juni 1970, teilt Math. Stalzer aus Reichenau (wohnhaft in Haseldorf/Stmk.) mit, R. habe einen Gemeindegrund v. 350 ha umfaßt, d. h., es waren 43 „Rechte” (Berechtigte) vorhanden. Jedes „Recht” umfaßte seinerzeit 8 ha.

Reintal, Reintol () — U 8 = 16 hlb. Hu, 21 Bes., 85—95 E — S 1770 — 38 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 41, E: 150 (—) — Nd: Im Gemeindebereich v. Winklern a. d. Glocknerstraße (z. T. Herkunftsgebiet d. Gottscheer Ursiedler) befindet sich ein Beintal. — R. baute d. erste Wasserleitung d. Gottscheerlandes. Sie entstand unter d. Leitg. d. Hausierers Joh. Köstner 1842/43 nach alpenländ. Muster, war 1500 m lang u. bestand aus 4 m langen, handgebohrten Holzröhren.

Ressen, Reasn () — U (Schmückh Püchl bei den Ressen) 1 = 2 hlb. Hu, 3 Bes., ca. 12—15 E — S 1770 — H: 4 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 4, E: 25 — Gro-Nd: Pfr. Aug. Schauer (in Gottsch. Kalender 1930) deutet Ressen, bezugnehmend auf alte Matrikeln, als „Reaszn”, d. i. eine Lache zum Flachswässern.

Reuther, auch Laase genannt, Reiter (Lazeč) — Im U 1574 nicht genannt, auch 1770 nicht erwähnt — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 22, E: 88 (—) Schu: 1908 — Gro-Nd: Abgeleitet v. „roden”, reuten.

Ribnik, Rimmnig (Ribnik) — U 2 = 4 Mb. Hu, 4 Bes., ca. 15—20 E — S 1770 — (Rüb- nig) — H: 10 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 15, E: 56 (—) — Gro-Nd: Vom sl. „Ribnik” = Fischwasser (0).

Rieg, Riaggə, od. An dr Riəggn (Kočevska reka) — U (Riekh) 14 = 28 hlb. Hu, 32 Bes., ca. 125—149 E — S 1770 — H: 61 — Top.-Ber. 1887 E: 341 — G u. Pf: Ri, PB: Go, H: 103, E: 338 (6) — Schu: 1829 — Gro-Nd. u. Geschichtliches: Burkard Zink nennt R. „An der Riegg”. Kr. belegt d. Herkunft d. Ortsnamens mit dem Hinweis auf d. Einschicht „die Rieggen”, auch „in der Rieggen” im Gemeindebereich Kolbnitz in Oberkärnten (un- mittelbares Herkunftsgebiet d. Gottscheer Kolonisten d. 14. Jh.). Dort fließt auch heute noch d. „Riekenbach”. Das schließt nicht aus, daß Rieg, Riaggə, schon in Kärnten v. d. sl. Wort „reka” = Fluß oder Bach herstammte. — Burkard Zink berichtet in seiner von 1368—1468 reichenden Chronik, daß Gräfin Margareta von Ortenburg, geb. Herzogstoch- ter von Teck, ihren Schreiber (Name wohl auch Zink, ein Onkel Burkards) zum Pfarrer „an der Riegg” einsetzte, wo er (etwa ab 1405/06) 30 Jahre amtierte. Fünf Dörfer gehör- ten bereits zur Pfarre R., darunter auch Göttenitz. — 1929 brannte die Hauptstraße vollst. nieder. R. besaß ein Hotel, eine Ziegelei, drei Mühlen u. lebhaften Holzhandel. — Walter Tschinkel vermutet (in s. WGM, S. XIII), daß schon vor d. dt. Besiedlung d. Gott- scheerlandes ein Weg von Reifnitz über Göttenitz, Rieg u. Morobitz an die obere Kulpa führte. Tabore in d. drei Orten bestätigen diese Annahme.

Riegel, Riegl (Rigle) — U 1 = 2 hlb. Hu, 2 Bes., ca. 8—11 E — S 1770 — H: 6 — Mg, Pf: Al, PB: Go, H: 8, E: 41 (—) Gro-Nd: Riegel = Hügel, Bergrücken.

Römergrund, Remrgründ — U (Tiefenbrunn) 1 = 2 hlb. Hu, 3 Bes., ca. 12—15 E — S 1770 — H: 8 — G: Gr, Pf: U1, PB: Go, H: 13, E: 32 (—) — Gro-Nd: Bei Grothe steht, daß R. abgeleitet sein kann von d. Mehrzahl d. Dialektwortes „Ram” = Rabe, Räumar, also Rabengrund. — Das stehende Wasser nahe b. R. könnte einen unterirdischen Zusam- menhang (Karst!) haben mit d. gefaßten Quelle d. höher gelegenen Weilers Brunnsee.

Roßbüchel, Röschpiechl (Konjski hrib) — Im U 1574 nicht erwähnt — S 1770 — 5 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 7, E: 16 (—) — Gro — R. könnte eine Spätsiedlung unter d. Bla-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 192 gays gewesen sein.

Rotenstein, Roatnstoain (Rdeci kamen) — U (Rattenstein) 3 = 1 ganze, 1 hlb. u. 2 3/4 Hu, ca. 15—20 E — S 1770 — H: 9 — G: La, Pf: Uw, PB: Ru, H: 17, E: 80 — Gro. — Anm. d. Verf.: Im Hause Nr. 8 wurde d. Geistliche Math. Maußer geboren, der im J. 1818 kurze Zeit in Obermösel wirkte u. später in Laibach lebte, von wo aus er die Lokabe (Vor- stufe d. Pfarre) Unterwarmberg gründete.

Rußbach, Rüßpoch (Blatnik) — U 3 = 4 hlb. u. 3 1/3 Hu, 9 Bes., ca. 35—40 E — S 1770 — H: 21 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 119 (—) — Schu: 1910 — Gro.

Saderz, Saderz (Zaderc) — Im U 1574, 1770 u. b. S nicht aufgeführt. 1574 vermutl. z. Herrsch. Pölland gehörig — G: Tpl, Pf: U1, PB: Tsch, H: 15, E: 33 (2) — Gro-Nd: sl.

Schäflein, Scheflein, auch Schaffle (Ovčjak) — Im U 1574 nicht aufgeführt — S 1770 — H: 11 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 10, E: 36 (—) — Schu: 1883 — Gro-Nd: Eine sl. Her- kunft d. Namens entfällt, da „OvZjak” voraussetzt, daß „Schäflein” gleichbed. ist mit „Schaf”. — Nächstl. Deutung: Althd. „scoph” = öde, wilde Gegend. — Anm. d. Verf.: Ver- mutl. Spätgründung unter d. Blagay.

Schalkendorf, Schaokndoarf (Salka vas) — U 10 = 20 hlb. Hu, 32 Bes., ca. 125—135 E — S 1770 — H: 38 — Top.-Ber. 1887 E: 395 — G: Se, Pf u. PB: Go, H: 101, E: 367 (17) — Gro-Nd: Mhd. „schalt” od. „schalch” = Knecht od. Zinsbauer. Dazu Kr.: Ein Schal- chendorf „Dorf der Hörigen” findet sich bei Guttaring in Kärnten.

Scherenbrunn, Schernprün, auch Groschparg = Grasberg (Travnik) — U 1 = 1 hlb. u. 2 X 1/4 Hu, 5 Bes., ca. 18—22 E — S 1770 — H: 4 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 2, E: 12 (— ) — Gro-Nd: Die sl. Übersetzung in „Travnik” hält sich an d. mundartl. Groschparg. — Die Deutung b. Grothe aus dem mhd. „scerne” = Schierling u. d. gotischen „skers” = hell, rein, sind nicht ganz glaubwürdig.

Schlechtbüchel, Shlachtpiechl (Slaba gorica) — Im U 1574 nicht aufgeführt — S 1770 — H: 4 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 4, E: 16 (—) — Nd: Die sl. Übersetzung von „Slaba gorica” bedeutet „Schlechtes Berglein”, ist also wörtlich. — Aug. Tschinkels Deutung in GZ, Juni 1972, das mundartl. „Shlacht” komme nicht v. „schlecht”, sondern v. and. „slag” = Schlag, also ein Platz, wo Holz geschlagen wird, leuchtet ein. — Anm. d. Verf.: Das Nicht-erscheinen Sch's im U 1574 läßt die Annahme zu, daß es sich um eine Spätgrün- dung z. Zt. d. Blagay handelt. Dann könnten es 3 oder 4 Neukolonisten aus Büchel in ihrer neuen, abgeschiedenen Siedlung „schlechter” getroffen haben als daheim.

Schönberg, Scheanparg (Šenperg) — Im U 1574 sowie 1770 u. b. S nicht erwähnt. — G u. Pf: Al, PB: Go, H: 20, E: 36 (—) — Nd: Willkürl. Namensgebung. Anm. d. Verf.: Sch. ist lt. GZ, Nov. 1965, eine Tochtersiedlung Altlags u. d. Sammelname v. drei Weinberg- bereichen d. Alt- und Neulager Besitzer. Um die Jahrhundertwende fiel die Reblaus ein und vernichtete — mit einem schweren Unwetter — die Rebenkulturen.

Schriegl. Kommt nur im U 1574 vor u. ist identisch mit Kleinriegel (s. dort).

Schwarzenbach, Shbourznpoch (Cerni potok) — U 8 = 16 hlb. Hu, 24 Bes., ca. 95— 110 E — S 1770 — H: 29 — Top.-Ber. 1887 E: 179 — G: Schw., Pf u. PB: Go — H: 42, E: 144 (23) — Nd: Kr. schreibt, daß es ein Schw. bei Motzbichl in Kärnten gibt.

Seele, Sheale (Zelnje) — U (Sellen) 8 = 16 hlb. Hu, 23 Bes., ca. 120—135 E — S 1770 — H: 46 — Top.-Ber. 1887 E: 321 — G: Se, Pf u. PB: Go, H: 78, E: 266 (4) — Gro- Nd: 1. Vom sl. „sela” = Dorf. Dagegen spricht, daß slowenischerseits als amtl. Ortsbe- zeichnung nicht „Sela”, sondern „Zelnje” gewählt wurde, offensichtl. eine lautliche Nach-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 193 konstruktion von „Seele”. 2. Das mundartl. „Sheale” könnte auf d. kl. See nahe b. d. „Seeier Grotte” zurückgehen (O.). 3. In alten Matriken kommt „Schelein” vor, zweifellos eine mißverständl. Schreibweise v. Sheale. — Die sagenumwobene Seeler Grotte diente während d. Türkenüberfälle als Unterschlupf.

Setsch, Setsch (Seč) — U (Setscha) 1 1/8 = 3 X 1/4 Hu, 4 Bes., ca. 15—20 E — S 1770 — H: 19, G u. Pf: Eb, PB: Go, H: 27, E 102 (2) — Gro-Nd: Von sl. „sekati” = hak- ken, fällen. Ahnl. Begriff wie d. dt… reut (0.).

Skrill, Schgriel (Škrilj) — Im U 1574 nicht genannt — S 1770 — H: 7 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 7, E: 39 (—) — Gro-Nd: s. Oberskrill (G: Mö). — Ob zw. Ober- u. Unterskrill siedlungsgeschichtl. ein Zusammenhang besteht, ist nicht beweisbar. Auszuschließen ist er jedoch, wenn man annimmt, daß es sich um eine Spätgründung unt. d. Blagay handelt (Anm. d. Verf.).

Sporeben, Schporebm (Ponikva) — U (Payrs-Eben) 2 = 4 hlb. Hu, 5 Bes., ca. 20—25 E — S 1770 — H: 12 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 11, E: 41 (—).

Stalldorf, Schtoll, auch Schtolldoarf (Štale) — U 2 = 1 ganze u. 2 X 1/2 Hu, 4 Bes., ca. 15—20 E — S 1770, H: 7 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 11, E: 73 (—) — Schu: 1909 — Gro-Nd: „Stall” bedeutete lt. O. in älterer Sprache „Statt, Stätte”.

Stalzern, Stauzar (Štalcarji) — U (Steltzendorf) 6 = 12 hlb. Hu, 12 Bes., ca. 50—60 E S 1770 — H: 24 — G: Hi, Pf: Ri, PB: Go, H: 41, E: 126 (—) — Schu: 1874 — Gro-Nd: Ob d. Familienname Stalzer d. Ort seinen Namen gegeben hat (aus Kärnten kommend) oder ob d. Familienname auf d. bereits bestehende Siedlung zurückgeht, läßt sich nicht ent- scheiden. An sich ist Reichenau das Dorf der „Stalzer”. In einer Urkunde von 1601 (s. Widmer) taucht die Schreibweise Stelter auf. Möglicherweise war dies d. Name d. ersten Siedler bzw. d Sippe. — St. ist d. Geburtsort eines d. bedeutendsten Ärzte gottscheereri- scher Herkunft, Univ.-Prof. Dr. Franz Högler, der Älteste d. als vorbildlich geltenden Leh- rerfamilie, deren insgesamt elf Kinder alle studiert haben.

Steinwand, Stuoinbond () — Im U 1574 nicht genannt — S 1770 — H: 9 — G u. Pf: Pö, PB: Ru, H: 17, E: 71 (3) — Schu: 1888 — Gro. — Geschichtliches: Lt. Sepp Frank (GZ, April 1964) ist St. eine Spätgründung unt. d. Blagay. 1614 z. erstenmal ge- nannt.

Stockendorf, də Aubə, auch Stockendoarf (Planina) — U 3 = 6 hlb. Hu, 9 Bes., ca. 35—40 E — S 1770 — H: 26 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 36, E: 132 (1) — Schu: 1836 — Gro-Nd: Zwei Beweise f. d. Herkunft d. Ortsnamens aus Kärnten liegen vor: 1. Kr. ver- weist auf eine Einöde „Stockenberg” im Bereich v. Kolbnitz in Oberkärnten. 2. Noch in- teressanter ist d. Fundstelle d. Verf. b. Hans Wiegele „Kärntner Lieder” (d. Lit.-Verz.), S. 29. Dort ist d. Lied „Wohl in der Wiederschwing” aufgezeichnet u. m. d. Fußnote ver- sehen: „Wiederschwing, eine Ortschaft bei Kleinkirchheim, ebenfalls Herkunftsgebiet d. Gottscheer Ursiedler, und „Wiederschwing” war ein Flurname v. Stockendorf.

Suchen, Shiugə (Draga) — Im U 1574 nicht genannt — S 1770 — H: 34 — G u. Pf: Su, PB: Go, H: 45 (1941: 48) — E: 187 (34) — Schu: 1910 — Gro-Nd: Mundartl. bedeu- tet „Shuacha” (suchnerisch „Shiuga”) einen stark bewaldeten Taleinschnitt.

Suchen, Därroch (Sušije) — Im U 1574 nicht genannt — S 1770 — H: 5 — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 2, E: 16 (—) — Gro-Nd: s. Buchen im Suchener Tal — Anm. d. Verf.: Aug. Tschinkel in GZ, Juni 1972: „... zuletzt nur noch von dem geistig sehr regsamen Bauern Deutschmann bewohnt.”

Suchen, Shuəchə (Draga) — Im U 1574 nicht erwähnt — S 1770 — H: 2 — G u. Pf:

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Mö, PB: Go, H: 2, E: 6 (5) — Gro-Nd: s. oben — Anm. d. Verf.: Vermutl. Spätgründung u. Zt. d. Grafen v. Blagay.

Suchenreuther, Ziachnreitər (Urgraja) — U 1 = 2 hlb. Hu, 3 Bes., 10—15 E — S 1770 — H: 5 — G: Hi, Pf: Ri, PB: Go, H: 11, E: 35 — Gro-Nd: Suchen, s. Reuter.

Tanzbüchel, Tonzpiechl (Tancbihelj) — U 1 = 4 X 1/4 Hu, 4 Bes., ca. 15—20 E — S 1770 — 1-1: 5 — G u. Pf: Ne, PB: Ne, PB: Go, H: 4, E: 15 (—) — Gro-Nd: Aug. Tschinkel leitet den Ortsnamen T. vom Familiennamen „lots” ab, d. sich im Hausnamen „Tot- scheisch” in Stockendorf erhalten hat.

Taubenbrunn, Taubndaf od. Taubndoarf () — U (Taubenprün) 1 = 4 X 1/4 Hu, 5 Bes., 18—22 E — S 1770 — H: ? — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 8, E: 41 (2) — Gro. — Anm. d. Verf.: Lt. Aug. Tschinkel (GZ, Juni 1972) kaufte d. Fürst Auersperg'sche Herr- schaft d. Häuser zur Wohnungsbeschaffung f. Waldarbeiter auf. Die vorher. Besitzer sie- delten sich in Büchel u. Nesseltal an.

Tiefenreuter, Trintəbitz (Trnovec) — U 3 = 6 hlb. Hu, 7 Bes., ca. 28—33 E — S 1770 H: 12 — G: Mg, Pf: Al, PB: Go, H: 22, E: 85 (—) — Gro.

Tiefental, Tiəfntou, auch Tiəfntol (Vrbovec) — U 3 = 6 hlb. Hu, 9 Bes., ca. 35—40 E S 1770 — H: 16 — G u. Pf: Eb, PB: Go, H: 23, E: 71 (—) — Gro.

Töplitzel, Teplitzle (Topličice) — Im U 1574 nicht genannt — S 1770 — H: 6 — G u. Pf: Sto, PB: Tsch, H: 8, E: 24 (—) — Gro-Nd: Vermutl. v. Bad Töplitz hergeleitet, sl. toplo = warm. Anm. d. Verf.: Nicht auszuschließen i. Spätgründung unt. d. Grafen v. Blagay.

Tschermoschnitz, Moschə, auch Moschnitz (Čermošnjice) — U 3 1/2 = 7 hlb. Hu, 7 Bes., ca. 30—35 E — S 1770 — H: 21 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 26, E: 123 (6) — Schu: 1822 — Tab — Gro-Nd: O. führt T. auf die trogartige Talform (sl. moišnja) zurück, über- zeugt aber nicht. Weiter kommt man mit d. Ausdeutung d. mundartl. Namen „Mosch” od. „Moschni”. „Mosch” = Masch weist nach Kärnten (Gro. verweist auf „Mosche” b. d. Stati- on Mösel), „Moschnitz” nach Friaul. Man kann zwar anzweifeln, aber mit Sicherheit nicht ab-leugnen, daß b. d. engen Beziehungen zwischen d. Patriarchen v. Aquileja u. d. Gra- fen v. Ortenburg einige Kolonisten aus Friaul in d. spätere Gottschee gingen. In Friaul, Staats-gebiet d. Patriarchen, gab es damals noch deutsche Siedlungen. Tatsache ist, daß es dort ein „Mo"scenizza” gab. — T. war mit 28 Dörfern die größte Gemeinde im Gott- scheerland (bis zur Einführung d. Großgemeinden). — T. hatte eine Wasserleitung u. e- lektr. Strom.

Turn, Türn — Im U 1574 nicht erwähnt — S 1770 — H: 3 — G: Gr, Pf: Ul, PB: Go, H: 3, E: 19 (—) — Gro-Nd: O. leitet d. Namen v. Turmresten ab, die zu seiner Zeit noch nahe b. d. Ortschaft lagen. Siehe auch d. Sage „Bestrafte Habsucht” bei Wilh. Tschinkel „Gottscheer Volkstum”, S. 127.

Unterblaschowitz, Untrplaschobitz (Spodnji Blažovic) — Im U 1574, 1770 u. b. S nicht erwähnt. — G u Pf: Ts, PB: Ru, H: 6, E: 34 (—) — Gro-Nd: s. Oberblaschowitz. — Anm. d. Verf.: Wie dieses vermutl. Spätgründung z. Zt. d. Blagay.

Unterbuchberg, Untrpuəchparg (Dolenja bukova gora) — U 2 = 4 hlb. Hu, 7 Bes., ca. 25—30 E — S 1770 — H: 9, G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 13, E: 66 (—) — Gro.

Unterdeutschau: Agə (Nemška loka) — U 6 = 12 hlb. Hu, 14 Bes., 55—62 E — S 1770 — H: 37 — G u. Pf: Ud, PB: Go, H: 41, E: 170 (2) — Scho: 1839 — Gro-Nd: „Deutsche” Au, z. Unterscheidung v. d. anderssprachigen Umgebung. Dies drückt sich auch i. d. wörtl. sl. Obersetzung aus. — Die doppeltürmige Pfarrkirche v. U., eines d. schönsten

Gedruckt von http://www.gottschee.at 195 sakralen Baudenkmäler Gottschees, war das Ziel zahlreicher Wallfahrer.

Unterfliegendorf, Shuəchə, auch Tirknshuəchə od. Peatscharə (Turkova draga) — U 1 1/4 = 1 hlb., 2 X 1/4 u. 2 X 1/8 Hu, 5 Bes., ca. 20—25 E — S 1770 — H: 8 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 5 (?), E: 53 (—) — Gro-Nd: Die sl. Obersetzung bedient sich d. mundartl. Tirknschuacha (Türken . . .). Siehe Oberfliegendorf.

Unterlag, Üntrloag (Spodnji log) — Im U 1574 nicht erwähnt, weil d. Ort damals z. Herrschaft Pölland gehörte — S 1770 — H: ? — G u. Pf: UI, PB: Go, H: 44, E: 171 (7) — Schu: 1854 — Gro-Nd: s. Altlag.

Unterpockstein, Üntrpöckstuain (Spodnji pokštajn) — Im U 1574 nicht aufgeführt — S 1770 — H: 5 — G u. Pf: UI, PB: Go, H: 4, E: 23 (—) — Gro. Anm. d. Verf.: Dieser Weiler könnte eine v. Unterlag aus in d. Wege geleitete Spätgründung z. Zt. d. Blagay gewesen sein.

Unterskrill, Üntrschkril od. nur Schkril (Škrilj) — U 3 = 6 hlb. Hu, 7 Bes., 28—33 E — S 1770 — H: 17 — G u. Pf.: Mö, PB: Go, H: 27, E: 81 (—) — Schu: 1888 — Gro-Nd: s. Oberskrill.

Untersteinwand, Neipiechl, auch Eipiechl (Podstenje) — U (Unter der Steinwandt) 2 = 4 hlb. Hu, 5 Bes., 20—25 E — S 1770 — 1-1: 11 — G u. Pf: Ne, PB: Go, 1-1: 13, E: 45 (—) — Gro. —Anm. d. Verf.: Aug. Tschinkel bezeichnet in d. GZ, Juni 1972, Unterstein- wand als „das Dorf der vielen Stalzer”. Um sie unterscheiden zu können, habe man sich mit den Hausnummern, wie z. B. „dr Elwar” („Elfer"), benannt. Es ist nicht ausgeschlos- sen, daß Reichenauer „Stalzer” bei d. Gründung beteiligt waren.

Untertaplwerch, Topobach (Taploh) — U 3 = 6 hlb. Hu, 8 Bes., 30—35 E — S 1770 — H: 15 — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 29, E: 107 (2) — Gro-Nd: s. Obertaplwerch.

Unterwarmberg, Üntrburmparg (Dolenje topla reber) — U (Warmberg) 3 = 6 hlb. Hu, 6 Bes., ca. 24—28 E — S 1770 — H: 14 — G: La, Pf: Uw, PB: Ru, H: 38, E: 112 (4). — Schu: 1881 — Gro.

Unterwetzenbach, Üntrbetznpoch (Spodnji Vecenbah) — U (Niederw ...) 3 = 1 ganze 4 hlb. Hu, 5 Bes., ca. 20—25 E — S 1770 — H: 9 — G u. Pf: Ri, PB: Go, H: 20, E: 73 — Gro. — Nd: In Kärnten gibt es zwar ein „Wetschenbach”, ein Zusammenhang mit Un- ter-od. Oberwetzenbach läßt sich jedoch nicht ohne weiteres herstellen. Näher liegt d. Ableitung d. Familiennamen Wetz.

Verderb, Vrderb (Ferderb) — U (mit Verdreng gemeinsam genannt) 5 1/2 = 11 hlb. Hu, 12 Bes., ca. 45—55 E — S 1770 (Verderb allein) — H: 10 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 6, E: 16 (—) — Gro-Nd: Abgeleit. v. mhd. „verderp” = Verderben, Verderbnis. Offen-bar Ausdruck f. d. Unzufriedenheit s. Kolonisten mit dem Siedlungsboden. S. auch Verdreng.

Verdreng, Wrdreng (Ferdreng) — U (s. Verderb) — S 1770 (Verdreng allein) — 1-1: 18 — G u. Pf: Mö, PB: Go, H: 16, E: 88 (—) — Schu: 1905 — Gro-Nd: Ähnl. wie Verderb ein Protestname. — Der „Verdrenger Berg” m. seinem alten Kirchlein war ein beliebtes Wallfahrerziel. — Die Besiedlung könnte v. Obermösel aus erfolgt sein. Dafür spricht d. Vor-kommen d. Familiennamens Jonke in beiden Ortschaften.

Warmberg, Buərmparg (Topli vrh) — Im U 1574 sowie 1770 u. b. S nicht erwähnt — G u. Pf: Ne, PB: Go, H: 10, E: 42 (—) — Gro-Nd: Keine Anhaltspunkte f. eine Deutung. — W. ist d. Geburtsort d. bedeutendsten Gottscheer Malers Michael Ruppe.

Weißenstein, Beißnstuain (Belikamen) U 1 3/4 = 1 hlb., 1 X 3/8 u. 3 X 1/4 Hu, 7 Bes.,

Gedruckt von http://www.gottschee.at 196 ca. 25—39 E — S 1770 — H: 14 — G u. Pf: Al, PB: Go, H: 29, E: 103 (—) — Gro.

Widerzug, Bidrzug (Vimolj) — Im U 1574 nicht genannt — S 1770 — H: ? — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 8, E: 33 (—) — Gro-Nd: Vermutl. abzuleiten v. mhd. „widerzuc” = Rück- kehr od. Heimkehr.

Wildbach, Bilpoch (Vildpoh) — U (Ober Wilpach) 1/4 Hu, 1 Bes., ca. 4—5 E — 1770 u. b. S nicht erwähnt — G u. Pf: Ts, PB: Ru, H: 2, E: 13 (—) — Gro. Nd: Sicher abgeleitet v. Wildbach in der Moschen.

Windischdorf, Bindischdoarf od. -doarf (Slovenska vas) — U 11 = 22 hlb. Hu, 22 Bes., ca. 80—90 E — S 1770 — H: 47 — Top.-Ber. 1887 291 E — G u. Pf: Mi, PB: Go, H: 61, E: 203 (3) — Gro-Nd: „windisch” bedeutet hier „slawisch” = sl. Das kolonisatorische Gegen- stück ist „Deutschdorf”, sl. „Nemska vas”, sö. v. Reifnitz im früheren gemischtsprach. Gebiet.

Winkel, Straßle (Cesta) — U (Winckhler) 1 = 4 X 1/4 Hu, 4 Bes., ca. 15—20 E — S 1770 — H: 7 — G u. Pf: Al, H: 11, E: 21 (3) — Gro-Nd: Die sl. Bezeichnung ist aus d. mundartl. „Straßle” wörtl. übersetzt, „Cesta” = sl. Straße.

Wrezen, Brezə (Brezje) — Im U 1574 nicht erwähnt, aber wahrscheinl. identisch m. d. dort genannten Bresowitz, d. b. S 17 H aufweist. Das läßt sich vereinbaren mit d. Angabe v. 3 1/2 = 7 hlb. Hu, 13 Bes., ca. 50—55 E f. d. Bresowitz im U 1574. — Wrezen u. damit auch Bresowitz: G u. Pf: Ts, PB: Ru, 1-1: 25, E: 95 (—) — Gro-Nd: Vermutl. beide Orts- namen vom sl. „breza” = Birke. Wann u. durch wen die Umbenennung erfolgte, ist nicht feststellbar.

Zwischlern, Zwishlarə (Cvišlerje) — U 6 = 12 hlb. Hu, 20 Bes., ca. 80—85 E — S 1770 — H: 32 — G: Se, Pf u. PB: Go, H: 51, E: 182 (—) — Gro-Nd: Die Obergföll'sche Ablei- tung vom Berg „Wiesler” im Allgäu u. d. Ort „Zwiesel” i. d. Oberpfalz überzeugt nicht. Glaubhafter ist „Zwiesel” i. d. Bedeutung v. „Gabelung”. — Anm. d. Verf.: Z. ist d. einzi- ge Ortschaft d. Gottscheerlandes, die auf die Person genau ihre Einwohnerzahl von 1887 bis 1910 nicht verändert hat.

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Die Umsiedlung der Deutschen aus der Gottschee und Laibach 1941/42 und des Streudeutschtums aus Bosnien und anderen Gebieten 1942/43

Bericht des Dr. Heinrich Wollert, ehemals Deutscher Umsiedlungsbevollmächtigter für die Provinz Laibach.

Original, 27. März 1958.

Die Umsiedlung der Volksdeutschen aus der Gottschee und Laibach Ende 1941; Vorberei- tung, Organisation und technische Durchführung der Aktion.

Durch das Auswärtige Amt in Verbindung mit der Deutschen Umsiedlungs-Treuhand- GmbH, Berlin (DUT) bin ich mit der Umsiedlung der Laibacher und Gottscheer Volks- deutschen beauftragt worden. Das Schwergewicht meiner Aufgabe war, das von den Um- siedlern aus den beiden Gebieten zurückgelassene Vermögen zu erfassen, für eine Ent- schädigung nach dem Wertstand 1. 9. 39, also vor Kriegsbeginn, zu schätzen, dann — soweit möglich — zu verwalten und zu verwerten. Die zweite Aufgabe war die Entgegen- nahme der Option für die Umsiedlung, die in Verbindung mit dem Gabinetto Emigrazione Tedeschi per I'Alto Commissariato per la Provincia di Lubiana durchgeführt wurde. Die dritte Aufgabe des deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten erstreckte sich darauf, die rein technische Organisation der Umsiedlung, nämlich den Transport, vor allem der Gott- scheer Bauern, in das vorgesehene Ansiedlungsgebiet nach Rann, das sogenannte Ran- ner Dreieck, vorzubereiten und durchzuführen. Vor diesen eigentlichen Aufgaben hatte ich an Verhandlungen zur Vorbereitung der Durchführung der Umsiedlung in Rom inso- weit teilzunehmen, als es sich um die Klärung und vertragliche Regelung wirtschaftlicher Fragen handelte. Politische Aufgaben, wie etwa Propaganda für die Umsiedlung, Auswahl der Umsiedler nach gewissen Gesichtspunkten sowie alle mit der Volkspolitik des 3. Rei- ches verbundenen Fragen lagen nicht im Aufgabenbereich des Deutschen Umsiedlungs- bevollmächtigten; diese wurden vielmehr durch die hierfür vorgesehene, völlig getrennt arbeitende Organisation EWZ (ich glaube „Einwandererzentrale”) besorgt, die mit einem Stabe und einem als Büro hierfür vorgesehenen Eisenbahnzuge sich in das Umsiedlungs- gebiet begab und hier die sogenannte „Vor- und Durchschleusung” der umzusiedelnden Optanten durchführte.

Nach einigen Angaben über den Verbleib der Akten der Dienststelle des Deutschen Um- siedlungsbevollmächtigten fährt der Vf. fort:

Über die Umsiedlung der Gottscheer Volksdeutschen wurde zum ersten Male gesprochen, nachdem Hitler in Graz in einer Rede im April 1941 einen entsprechenden Aufruf hierzu erlassen hatte. Der Gedanke war der, die in der Gottschee auf einer Fläche von etwa 800 km2 ansässige volksdeutsche Gruppe aus diesem Gebiet in die südliche Steiermark um- zusiedeln. Der Ausgangspunkt für diese Umsiedlung war nach meiner Erinnerung, daß das slowenische Gebiet, also das Gebiet um Laibach und die Gottschee, zu Beginn des Jahres 1941 italienisch besetzt war und in irgendeiner Form dem italienischen Einfluß auch für die Zukunft unterstellt werden sollte. Die italienische Seite ging nach meiner Erinnerung zunächst sehr zögernd auf die Umsiedlungsabsichten ein. Offenbar, weil sie erkannt hatte, daß dieses Gebiet stark von Volksdeutschen besiedelt war, und die italie- nische Seite fürchten mußte, daß durch die Umsiedlung ein Vakuum entstehen könnte. Es zeigten sich damals schon Ansatzpunkte für eine jugoslawische Partisanenbewegung, und man fürchtete wohl von italienischer Seite, daß diese Partisanen sich in einem leeren Raum, wie der Gottschee, festsetzen und damit militärische und politische Schwierigkei- ten für die talienische Besatzungsarmee entstehen könnten.

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Die deutsche Volksgruppe war in der Gottschee organisiert; ihre Vertreter unterstützten den Umsiedlungsgedanken der deutschen Seite und entwickelten auch innerhalb der Volksgruppe eine gewisse Propaganda für die Umsiedlung. Gegenüber der auch in der Gottschee hörbaren Kritik an der Umsiedlung waren zwei Argumente durchschlagend, nämlich: daß 1. ein fruchtbares, bäuerliches Ansiedlungsgebiet festgelegt war und 2. bei Abwanderung des größeren Teiles der Volksdeutschen die Verbleibenden in einem leeren Gebiet zurückblieben, für die Zukunft mit einer Neusiedlung des Gebietes mit Nicht- Deutschen rechnen mußten, somit also als volksdeutsche Gruppe mit den bis dahin re- spektierten Sonderrechten untergehen würden. — Diesem Argument der politischen Ver- einsamung ist es wohl zuzuschreiben, daß die in der Gottschee ansässige Volksgruppe verhältnismäßig geschlossen optierte und schließlich umsiedelte. — In der Stadt Laibach war die deutsche Volksgruppe weniger markant, daher war auch in dem Stadtgebiet sehr viel weniger Propaganda für eine Umsiedlung zu spüren und die Unentschlossenheit zur Umsiedlung sehr viel größer.

Nach Vorgesprächen zwischen dem deutschen und italienischen Auswärtigen Amt kam es Mitte Juli 1941 zu Verhandlungen in Rom. Diese Verhandlungen wurden von einem Staatssekretär des italienischen Außenamtes und einem besonderen Vertreter des deut- schen Auswärtigen Amtes geführt. Beide Seiten hatten eine größere Anzahl von Sachver- ständigen bei sich. So war auf deutscher Seite das Finanzministerium und die DUT ver- treten. Die deutsche Volksgruppe war bei diesen Verhandlungen meiner Erinnerung nach nicht zugegen.

Zweck dieser Verhandlungen in Rom war, die Grundlagen für eine Option festzulegen, also vor allem die politischen Voraussetzungen über die Auswanderung/Einwanderung zu regeln und darüber hinaus ein Abkommen über die Verwaltung des hinterlassenen Ver- mögens zu erreichen. Während die erste Aufgabe dem Grundsatz nach gelöst werden konnte, blieben die vermögensmäßigen Verhandlungen im Vorfeld stecken. Weder die deutsche noch die italienische Seite hatten ausreichendes Material über das zu behan- delnde Vermögen in der Hand. Man war sich nicht einmal genau im klaren, wieviel Um- siedler in Frage kämen, so daß man auch nicht genau wußte, wieviel landwirtschaftliches, forstwirtschaftliches oder städtisches Grundvermögen, wieviel und welche Art von Unter- nehmungen in die Umsiedlung hereingehörten. Die Entsendung von Sachverständigen in das Umsiedlungsgebiet führte auch keineswegs zu Angaben und Unterlagen, die bei den Verhandlungen hätten verwertet werden können.

Im Laufe der Verhandlungen schlug dann die italienische Seite vor, daß zu der vorgese- henen vermögensmäßigen Übernahme keine staatliche Organisation der italienischen Seite aufträte, sondern eine private Gesellschaft. Es stellte sich, durch ihren Direktor, Herrn Dr. Aldo Samaritani, vertreten, hierzu der Kommission in Rom die Societä Generale Immobiliare vor.

Die vermögensmäßigen Verhandlungen in Rom endeten dann schließlich im August da- mit, daß die politischen Fragen wegen der Umsiedlung geklärt wurden und die Durchfüh- rung der Option für den Oktober des Jahres 1941 vereinbart wurde, während alle Fragen, die mit der Abwicklung des Vermögens zusammenhingen, Gegenstand der Unterhandlun- gen zwischen der Societä Generale Immobiliare und der von ihr für diesen Zweck vorge- sehenen Tochtergesellschaft, der EMONA, mit Sitz Laibach, einerseits und dem Deut- schen Um-siedlungsbevollmächtigten, mit Sitz Laibach, andererseits sein sollten.

Am 20. 10. 1941 begann sodann die Umsiedlung mit der Durchführung der Option. So- wohl in der Stadt Laibach als auch in der Gottschee wurden Anschläge, und zwar in zwei Sprachen, deutsch und italienisch, angebracht, die die Volksdeutschen aufforderten, eine Erklärung zur Umsiedlung, ebenfalls deutsch und italienisch abgefaßt, an hierfür vorge-

Gedruckt von http://www.gottschee.at 199 sehenen Sammelstellen abzugeben. In dieser Optionserklärung sollte der Wille zur Option bekanntgegeben werden sowie auch das Vermögen — nach Sparten geordnet — aufge- führt werden, das der Umsiedler besaß. Diese Erklärung ging in einer Fassung an die in Laibach eingerichtete italienische Zentrale, nämlich das oben erwähnte Gabinetto Emi- grazione Tedeschi per l'Alto Commissariato per la Provincia di Lubiana, und in einem zweiten Exemplar an die Dienststelle des Deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten. Eine Propaganda für die Umsiedlung war weder für die italienische noch für die deutsche Dienststelle zugelassen.

Für den Raum Laibach, insbesondere das Stadtgebiet, ergaben sich in der Optionszeit 1844 Optionsmeldungen. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde in der Optionszeit innerhalb der Volksgruppe die Frage, ob umgesiedelt werden sollte oder nicht, sehr eifrig diskutiert. Volksdeutsche Optanten kamen auch zur Dienststelle des Deutschen Umsied- lungsbevollmächtigten, um sich über die Aussichten der Option zu informieren und all- gemein beraten zu lassen. Abgegebene Optionserklärungen wurden vielfach innerhalb der Optionszeit zurückgezogen und zum Teil erneut gegeben. Da der Vermögensaus- gleich und auch die Frage der Ansiedlung, speziell der in der Stadt Laibach wohnenden Volksdeutschen, nicht eindeutig geklärt war, blieben bei den Optanten viele Zweifel offen. Um auch diese zu klären, wurde mit der italienischen Optionsstelle stillschweigend eine Nachoptionsfrist vereinbart, innerhalb deren weitere 1013 Optionsmeldungen eingingen. Hiervon wurden später wiederum 177 Optionen, teils aus Vermögens- teils aus familiären Gründen, zurückgezogen. Das Gesamtergebnis der Option betrug für die Stadt Laibach 2680 Optanten gegenüber der Schätzung der Zahl der Volksdeutschen in der Volksgrup- pe Laibach auf 1070.

Als Ansiedlungsgebiet für die volksdeutschen Umsiedler aus Laibach wurde sodann Süd- kärntenlKrain bestimmt, welches in unmittelbarer Nachbarschaft von Laibach lag. Aus der Nähe des Umsiedlungsgebietes ergab sich, daß später auch solche Umsiedler, die optiert hatten, wieder nach Laibach zurücksiedelten. Diese Bewegung ist aber den offiziellen Stellen unbekannt geblieben.

Für die Umsiedler aus dem Landgebiet Gottschee ergaben sich aus den eingangs erwähn- ten Gründen sehr viel klarere Optionsverhältnisse. Hier wurden insgesamt schließlich 12.104 Optanten festgestellt und auch zur Umsiedlung von der EWZ zugelassen.

Der Abtransport der Umsiedler setzte Mitte November 1941 ein und sollte nach den Ver- einbarungen mit dem 31. 12. 41 abgeschlossen sein.

Für die in Laibach ansässigen Umsiedler war das Transportproblem nicht besonders groß, da hier die normalen Eisenbahn- und Auto-Verbindungen ausreichten, um den Transport der Personen und der beweglichen Habe durchzuführen.

Sehr viel schwieriger war der Abtransport der Volksgruppen aus der Gottschee. Hier war von den Ansiedlungsstäben in der südlichen Steiermark die Anordnung ergangen, die Umsiedlungstransporte so durchzuführen, daß gemischte Transporte aus Personen und ihrer beweglichen Habe einschließlich Vieh zusammengestellt wurden. Dies sollte die An- siedlung der Betreffenden erleichtern. Der Abtransport wurde durch diese Anweisung jedoch erschwert, weil von fünf oder sechs Abreise-Stationen in dem Gebiet Züge zu- sammengestellt werden mußten, die Personenwagen, Viehtransportwagen, Geräte- und Mobiliarwagen enthalten mußten. Dieses organisatorische Problem wurde durch Verein- barungen zwischen der deutschen und der italienischen Eisenbahn gelöst. Ein besonderer Transportstab des Deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten, der in der Zeit der Hochbe- schäftigung 400, meist Volksdeutsche, umfaßte, sorgte für die reibungslose und pünktli- che Abfertigung der Züge.

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Sehr viel schwieriger noch als die Zusammenstellung und Abfertigung der Züge war der Transport der Umsiedler aus den vielfach hoch in den Bergen gelegenen Dörfern zu den Abtransportbahnhöfen. Dieser Transport sollte nach ursprünglicher Planung mit Lastwa- gen durchgeführt werden. Hierfür wurden von den Umsiedlungseinrichtungen in Deutsch- land 70 Lastwagen mit zum Teil holländischen Kraftfahrern bestimmt. Es ergaben sich gewisse Unzuträglichkeiten, da die holländischen Kraftfahrer in dem Gebiet, das, wie ein- gangs er-wähnt, schon mit Partisanen durchsetzt war, die Fahrten durch die Wälder nicht machen wollten. Ende November, als dann die Transporte losgehen sollten, setzte in dem wald¬reichen, recht hügeligen, teilweise auch bergigen Land sehr starker Schneefall ein, so daß ein Autotransport nicht möglich gewesen wäre. Außerdem scheiterte diese ur- sprüngliche Planung auch daran, daß die zugesagten Benzinmengen nicht angeliefert wurden. Es ergab sich also für den Transportstab die Notwendigkeit, die gesamte Pla- nung vom Auto auf Pferdefuhrwerke und Schlitten umzustellen. Trotz dieser erheblichen technischen Schwierigkeiten ist es gelungen, den Abtransport der Optanten reibungslos und ohne erhebliche Verluste termingerecht durchzuführen.

Die Vermögenserfassung stieß in dem ländlichen Gebiet der Gottschee auf erhebliche Schwierigkeiten. In der Gottschee war eine besondere Dienststelle des Deutschen Um- siedlungsbevollmächtigten, die die Vermögenserklärungen sammelte, kontrollierte und durch eine Vielzahl von Personen überprüfen ließ. Ortliebe Besichtigungen mußten durch- geführt werden, ggf. mußten auch Verwalter bestellt werden. Da die gesamte bewegliche Habe und auch das Vieh abtransportiert war, handelte es sich hier nur um die Verwaltung von leeren Häusern, Stallungen und dazugehörigen Einrichtungen.

Im Bereich der Stadt Laibach, wo es sich im Wesentlichen um städtischen Grund- und Hausbesitz handelte, war die Erfassung sehr viel leichter. Wirtschaftliche Unternehmun- gen sind in der Stadt Laibach nur in sehr geringem Umfang in die Verwaltung der Um- siedlungsstelle gekommen. Hier bemühen sich die Umsiedler selbst um die erforderliche Abwicklung. Schwierigkeiten bestanden im ländlichen Bereich vor allem darin, daß der Umfang der ländlichen Besitzungen möglichst exakt festgestellt werden mußte. Hierbei war zu unterscheiden zwischen ländlich genutzten und forstwirtschaftlich genutzten Ver- mögen. Außerdem gab es die sogenannten Nebenbetriebe, wie Sägereien, Gärtnereien, Mühlen usw. Neben der Erfassung dieser Vermögenswerte war eine Schätzung erforder- lich, die nach einem bestimmten Schätzrahmen nach dem Wertstand vom 1. 9. 1939 durchzuführen war. Außerdem war eine Verwaltung unumgänglich, die zu verhindern hatte, daß diese Objekte durch natürliche Einflüsse zerstört wurden.

Im Jahre 1942 etablierte sich in Laibach die EMONA, die mit einem relativ großen Stab italienischer und slowenischer Mitarbeiter nunmehr mit der Dienststelle des Deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten in Verbindung trat, um die Vermögensteile zu überneh- men. In sehr langwierigen Verhandlungen, die in Laibach begannen, dann aber in Rom zu Ende geführt wurden, wurde festgelegt, daß der landwirtschaftliche Besitz, der dem Um- siedlungsverfahren unterlag, etwa 40.000 ha groß war. Hierfür wurde mit der italieni- schen Stelle ein Globalpreis von 3000 Lire je ha vereinbart (Kurs etwa RM 1 = 60—70 Lire). Für den städtischen Grundbesitz in Laibach und der Gottschee wurden ebenfalls durch Vornahme von Einzelschätzungen Globalpreise ausgemacht; desgleichen wurden die Schulden, die auf dem ländlichen und städtischen Besitz ruhten, geschätzt, so daß insgesamt im Jahre 1943 ein Vermögen von 150 Millionen Lire für das gesamte Umsied- lungsvermögen durch Pauschalpreise fixiert wurde. Da ursprünglich die sukzessive Über- nahme des Vermögens durch die EMONA in einem Zeitraum von 10 Jahren ab 1942 fi- xiert war, alle Beteiligten aber Wert darauf legten, daß die Zahlung für dieses zu über- nehmende Vermögen möglichst umgehend und bar erfolgte, wurde auf diesen Wert von 150 Millionen Lire ein Diskont für Barzahlung gewährt, so daß die Zahlungsverpflichtung der EMONA Anfang 1943 mit 127,4 Millionen Lire fixiert worden ist. Auf diesen Barkauf- preis hat die EMONA nach meiner Erinnerung auch Teilzahlungen geleistet.

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Durch die politischen Schwierigkeiten im Gebiet der Gottschee, insbesondere hervor- gerufen durch die wachsende Tätigkeit der Partisanen, konnte die EMONA sich nicht mehr in den Besitz der Liegenschaften setzen. Außerdem verließen die Italiener Ende 1943/Anfang 1944 das slowenische Gebiet. Das Gebiet wurde Okkupationsgebiet und den deutschen Militär¬behörden unterstellt. Demzufolge wurde der Deutsche Umsiedlungsbe- vollmächtigte im Ein-vernehmen mit der EMONA und unter Bestätigung durch die deut- schen Militärbehörden wieder zum Verwalter des Vermögens, und zwar dieses Mal treu- händerisch eingesetzt. Da seine Verwaltung der ländlichen Gebiete im Bereich der Gott- schee nicht mehr möglich war, erstreckte sich die Verwaltungstätigkeit des Deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten nach dieser Zeit im wesentlichen noch auf die Bereinigung von Schulden und Forderungen, die die Umsiedler hinterlassen hatten. Hierauf legten die örtlichen Stellen begreiflicherweise Wert.

Der Deutsche Umsiedlungsbevollmächtigte liquidierte etwa im Februar 1945 seine Dienststelle, indem er die slowenischen Angestellten in aller Ordnung entließ, die Akten nach Velden/Wörthersee verbrachte und für das in Laibach verbleibende Vermögen, ins- besondere Bargeld und Bankguthaben, einen örtlichen Treuhänder in der Person eines dortigen Rechtsanwaltes einsetzte, der den Auftrag erhielt, diese Werte der Stelle über- geben, die sich hierfür als rechtmäßig auswies. Diese Maßnahme war damals notwendig, weil die Stadt Laibach unmittelbar vor der Besetzung durch die Partisanen stand.

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Da merarin

1. Biə wriə (wie früh) ischt aûf də mêrarin, Dai scheanə, dai júngə mêrarin.

2. Shi schteanot (steht) schmoaronsch (des Morgens) guer wriə auf, Shi geanot (geht) baschn dai baisə baschə (Wäsche),

3. Zan proitən mêr, zan tiəfm scheabə (See). Shi hêwət uən (hebt an), shi baschət schean.

4. Am mêra du shbimət oin schifle kloin, Atinə (drinnen) du shizənt zbean (zwei) jùnga hearn:

5. „Gûətn moarn, dû scheanai mêrarin, Dú scheanai, dú júngai mêrarin!”

6. „Schean donk, schean donk iər jûngə hearn, Wil guətə moargn hon ich a beank (wenig)!”

7. Wom nêgle (Finger) ar ziəchət oin wingərle (Ring): „Nim hin dû scheanə mêrarin!”

8. „I pins et (nicht) dai scheanə mêrarin, I pin jo dai bintlbaschərin (Windelwäscherin).”

9. Draf shezənt shai shə afs schifle kloin Unt wuərənt (fahren) ibr 's proitə mer.

10. „Dú pischt laibər (doch) dai scheanə mêrarin, Dai scheanə, dai jûngə mêrarin!”

11. Shi namət (nimmt) oin hîdrle (Tüchlein) in də hont Unt wuərət (fährt) îbrs proitə mêr.

12. Unt biə shi otr (danach) hin ischt kâm (gekommen), Dort griəsənt shai shə únt haushnt (halsen) shai shə

13. Unt púshənt (küssen) shai shə də mêrarin, Dai scheanə, dai jungə mêrarin.

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