Wie Aus Dem Moment Gestaltet Hansheinz Schneeberger Zum Achtzigsten Geburtstag
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A-Schneeberger 6.10.2006 17:39 Uhr Seite 15 Schweizer Musikzeitung Nr. 10 / Oktober 2006 15 Wie aus dem Moment gestaltet Hansheinz Schneeberger zum achtzigsten Geburtstag Wenn ein Geiger regelmässig Solorezitale gibt, ist dies heute eher ungewöhnlich. Wenn dieser achtzig Jahre alt und noch auf der Höhe seines technischen Könnens ist, ja von Jahr zu Jahr wie ein edler Wein immer farbiger und tiefgründiger wird, dann kann es sich nur um das Phänomen Hansheinz Schneeberger handeln. Thomas Gartmann Als unlängst Thomas Zehetmair für das Violin- konzert Malchuth von Daniel Glaus absagte, zö- gerte er kaum, rechnete sich aus, dass er sechs bis sieben Tage für die Einstudierung brauche, grummelte etwas über zwei, drei vertrackte Grif- fe, suchte sich die Fingersätze und spielte eine wunderbar belebte Interpretation von höchster Prägnanz und Virtuosität ein. Auf der Geige begonnen hat der 1926 in Bern geborene Schneeberger mit sechs Jahren. Bis zum Diplomabschluss 1944 studierte er bei Wal- ter Kägi am heimischen Konservatorium, an- Hansheinz Schneeberger: «Es ist Aufgabe des Interpreten, die Fixierung in ein quasi improvisatorisches Werk schliessend bei Carl Flesch in Luzern und bei Bo- zurückzuführen.» ris Kamensky in Paris. 1958 bis 1961 war er Erster Konzertmeister im Sinfonieorchester des NDR Mal war es mit einer anderen Überra s c h u n g , Begeistert war er auch als Lehrer tätig, zuerst Hamburg; als Solist konzertierte er noch unter e i ner weiteren Verzögerung, einer neuen Fär- an den Konservatorien von Biel und Bern, ab Ernest Ansermet in Wien, Warschau, Stanford bung – und immer überzeugend, atemstockend. 1961 mit einer Meisterklasse an der Musikakade- und an der Weltausstellung in Montreal. Tour- Nie versiegt ist seine Entdeckerfreude. So ver- mie Basel und mit Meisterkursen in Japan und neen führten ihn durch die UdSSR und zum danken sich ihm noch in späten Jahren Gesamt- in der Schweiz. Er erwartete dabei, dass man die Isang Yun-Festival in Korea. 1971 erhielt er den aufnahmen der kaum gespielten Sonaten von Grundtechnik schon beherrschte, und vermit- Preis der British-American Tobacco. Walter Courvoisier (einem Schweizer, der als telte als Anreger die hohe Schule der Gestaltung: In Schneebergers Spiel lebt nochmals der hu- Professor in München wirkte), Max Reger und «Es ist Aufgabe des Interpreten, die Fixierung in manistische Geist einer grossen Tradition auf. Charles Ives. ein quasi improvisatorisches Werk zurückzu- 1965 arbeitete er mit Horszowski und Casals in führen.» Musik muss erfühlt und durchpulst Prades zusammen, einem Festival, wo man Zeit Elegantes Spiel sein. Zentral sind auch die Klangfarben, die Ge- für die Musik und den Menschen hatte. Später heimnisse des Vibratos und noch fast wichtiger: war er häufiger Gast in geistesverwandten Festi- 1988 verblüffte er mit einer Gesamtaufnahme die Zaubermittel des Bogens, der Seele des Vio- vals: bei Gidon Kremers Lockenhaus-Festival, der Sonaten und Partiten von Bach, wo er teils linspiels. beim Mondsee-Festival unter der künstlerischen die Spezialisten barocker Aufführungspraxis Dass er 1945 mit dem Preis des Schweizer Leitung von András Schiff oder als Ehrengast bei überholte – und sich dabei auf eine anregende Tonkünstlervereins geehrt wurde, ist kein Zu- der Berner Rüttihubeliade von Patricia Ko p a- Frage bezog, die ihm Jacques Thibaud 1945 bei fall, sondern war ihm Verpflichtung: Zeitlebens tc h i n sk aja. Ka m m e rmusik war ihm schon im- einer Sarabande stellte: «Est-ce que vous avez hat er sich neugierig für die Musik seiner Lands- mer ein grosses Anliegen, hochge s p a n n t - e n t - pensé plutôt à Bach ou plutôt à la danse?» leute eingesetzt, für neue Musik mit grossem s p a n n tes Musizieren, nach dem Studium mit Agogisch unterstütztes freies Ausspielen der und mit kleinem n. Er hob Violinkonzerte von einem eigenen St r e i c h qu a rtett, später mit gleich- melodischen Linien, l e ga to- K antilenen und eine Frank Martin bis Klaus Huber (Tempora) aus der ge s i n n ten Freunden, jüngst bei den Swiss Cham- sich in weiten Bögen von Höhepunkt zu Höhe- Taufe. 1958 schrieb er Musikgeschichte, als er ber Concerts mit einem Schumann-Trio. Nicht punkt spannende Steigerungsdynamik verbin- zusammen mit Paul Sacher das erste Violinkon- von ungefähr hatte ihm die Stadt Zwickau 1995 den sich so natürlich mit scharf artikuliertem zert von Béla Bartók uraufführte (testamenta- den Robert Schumann-Preis verliehen. und stets tänzerischem Spiel. In seiner Eleganz risch war festgehalten, dass dieses erst nach dem Sein Spiel verströmt grenzenlose Phantasie, lässt einen dies gleich an den Eistänzer Schnee- Tode der Widmungsträgerin Stefi Geyer, die das erscheint wie aus dem Moment gestaltet, voll berger denken. Die Eröffnungssätze werden als Werk wie den Liebhaber verschmähte, aufge- Farbigkeit und Inspiration. Vor Jahren hatte ich im Moment entstehende Improvisationen ge- führt werden dürfe). das Glück, ihn bei der Konzertanten für Violine staltet. Die Fugen erscheinen zwar nicht ganz Er war sich nie zu schade, auch in kleinen und Harfe von Louis Spohr begleiten zu dürfen. schlackenlos, aber immer klar in der Stimmfüh- Kellerlokalen zu spielen, wo er mit seiner gros- Das Stück endet mit einem Rondo, bei dem der rung durch ihre differenzierte Farbgebung. Ver- sen Gestalt fast anstiess, und Werke junger Kom- Refrain sehr oft wiederkehrt. Weil das Werk für zierungen fliessen als phantasievolle, spieleri- ponisten einzustudieren, die er vielleicht nie ihn neu war, wollte er es in den Proben mehr- sche Zutaten ein, virtuos und mit Witz serviert, mehr wiederholen würde. (Unkompliziert spiel- mals machen, sodass wir dieses an sich banale kenntnisreich vielgestaltig, doch nie manie- te er dabei auch gerne einmal mit einem Hund, Thema sicherlich fünfzigmal spielten. Kein ein- riert. Die Loure wird so aus dem Meditations-Da- s e t z te sich auf den Boden.) Um ge ke h rt reizte ziges Mal hat er sich dabei wiederholt. Und jedes sein zum lüpfigen Tanz erlöst. ihn der Kitzel der Ura u ff ü h r ung wenig: Immer A-Schneeberger 6.10.2006 17:39 Uhr Seite 16 16 N°10 / Octobre 2006 Revue Musicale Suisse w i eder bemühte er sich, ihm gewidmete Werke den seriellen Kompositionsweise beeinflussen. fast repertoire-mässig zu pflegen, sie den Veran- Er war stets bestrebt, Musik als nachvollziehba- Hansheinz Schneeberger a 80 ans staltern schmackhaft zu machen. re Sprache zu vermitteln. Seine Kompositionen Wie breit und in welcher Freundschaft er die verbinden Eloquenz des Ausdrucks mit grosser (résumé) neue Musik pflegt, zeigt seine jüngste Veröffent- formaler Strenge. Die Kunst, aus kleinen thema- Hansheinz Schneeberger est né à Berne lichung, ein Interpretenportrait bei Grammont/ tischen Zellen weiträumige Entwicklungen vari- en 1926. Il commence à étudier le violon Musikszene Schweiz mit Werken vom 31-jähri- ierend abzuleiten, verleihen auch diesem Solo- à six ans et poursuit ses études à Lu c e rn e gen Friedemann Treiber bis zum 92-jährigen stück Farbe und Ko n t ra streichtum. Das Re z i t a t i v avec Carl Flesch et à Paris avec Boris Elliott Carter. gibt sich mehr sprechend und sich vortastend; Ka m e n s k y. Puis il débute une carrière de Er förderte die Avantgardisten wie Klaus Hu- der anschliessende Hymnus beginnt in fliessen- c o n c e r t i ste qu’il poursuit aujourd’hui ber ebenso, wie Komponisten, die er gegen den der Bewegung und mündet in ein mehrstimmi- e n c o r e . Vorwurf des Traditionalismus verteidigt, und ges, sprechende und gesangliche Elemente zu Le jeu de ce musicien humaniste met en urteilt nur nach der Substanz: «Rolf Looser ist, e i ner Einheit verschmelzendes Arioso, das in sei- avant une fantaisie sans limites. Sa soif de sowohl als Cellist wie als Komponist, seinen nem bewegenden Ausdruck etwas an Bachs An- découverte transparaît dans ses enregistre- künstlerischen Weg unerschrocken gegangen. dante aus der a-Moll-Solosonate gemahnt.» Im- ments de sonates très peu jouées de Walter Weder huldigte er dem Idol unverbindlichen mer wieder greift der belesene Schneeberger zur Courvoisier, Max Reger et Charles Ives. Schönklangs, noch liess er sich von der in den Feder; zum Violinko n z e rt von Alban Berg, einem Mais son intégrale des sonates et parti- Sechzigerjahren fast unumschränkt herrschen- seiner Lieblingsstücke, entsteht gar ein ganzer tas de Bach, parue en 1988, est aussi stupé- Aufsatz. fiante. Les introductions semblent être im- Typisch für seine Vielseitigkeit sind auch die provisées sur le moment, chaque voix des jüngsten Tätigkeiten: Am Saitenfestival an der Diskografie-Auswahl: fugues est teintée d’une couleur différente. Hochschule Bern widmet er sich der Kammer- Daniel Glaus: Sephiroth-Symphonien (Mu- musik und einem ihrer Meisterwerke, dem Les ornements sont servis comme de petits sikszene Schweiz/Grammont-Portrait) Schubert-Quintett, als Solist spielt er das Violin- suppléments ludiques, pleins d’humour, Walter Courvoisier: 6 Suiten für Violine so- konzert von Willy Burkhard, das gemeinhin als mais jamais maniérés. Et l’esprit de mu- lo op. 31 (Animato) eher spröde und hölzern gilt und dem er herbst- sique de danse parcours toute l’œuvre. Max Reger: Violinsonaten (Jecklin) liche Farben entlockt. Und er stellt sich seinem En parallèle à sa carrière inte rn a t i o- Charles Ives: Sonatas for Violin and Piano Publikum mit seiner Stradivari auch ganz allein nale, Schneeberger a aussi enseigné aux (ECM New Series) auf der Bühne und im Studio. Oder er setzt sich c o n s e r v a toires de Bienne et de Berne, puis Johann Sebastian Bach: Sonaten und Parti- ans Klavier, spielt vierhändig Ravels La Valse, à Bâle. Selon lui, le travail de l’inte r p r è te ten (Jecklin) plant mit seinem Schüler Kolja Lessing (und spä- c o n s i ste à tra n s fo rmer l’immobilité de la Interpretenportrait Hansheinz Schneeber- teren Ko n z e rt m e i ster der Berliner Philharm o- partition en une quasi improvisation.