Der hallesche Stadtgottesacker

Einzigartige Friedhofsanlage der deutschen Renaissance

Der hallesche Sonderausgabe aus Anlass des Stadtgottesacker Abschlusses Einzigartige Friedhofsanlage eines Jahrzehnts der deutschen Renaissance der baulichen, denkmalpflegerischen Instandsetzung

Bogen 80/81 fotogrammetrische Bestandsaufnahme der Gruft des (22.03.1663 - 08.06.1727)

Abbildung linke Seite Blick auf die restaurierte Nordseite, beginnend mit Gruft 16

1 Impressum

Herausgeber: Stadt (Saale), Die Oberbürgermeisterin

Gesamtleitung: EigenBetrieb Zentrales GebäudeManagement der Stadt Halle (Saale) Dipl.-Ing. Bernd Nagel, Dipl.-Ing. Peter Liebau Büro für Architektur und Denkmalpflege, Dr.-Ing. Helmut Stelzer, Dipl.-Ing. Thomas Zaglmaier

Layout: Martina Hanke

Abbildungen: Thomas Ziegler (Stadtfotograf) Büro für Architektur und Denkmalpflege Franckesche Stiftungen Gerhard Richwien Gudrun Hensling Peter Schöne Landesamt für Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt Marcus Golter Stadt Halle (Saale), Stadtarchiv Paul Grohs Michael Viebig fotogrammetrische Mit freundlicher Unterstützung Bestandsaufnahme: Büro für Architektur und Denkmalpflege

Herstellung: 2. Nachauflage (erweitert und aktualisiert) 2003

2 Inhalt

Impressum ...... 2

Grußwort der Oberbürgermeisterin der Stadt Halle (Saale) ...... 4

Der Stadtgottesacker - bedeutende Friedhofsanlage der Renaissance ...... 6 Bernd Nagel, Peter Liebau, Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Zur Entstehungsgeschichte des Stadtgottesackers ...... 8 Anja Anastasia Tietz

Ruhestätte bedeutender Persönlichkeiten der deutschen Geistes- und Wirtschaftsgeschichte ...... 14 Ralf Jacob

Notizen eines Spaziergängers über den Stadtgottesacker - F. P. Henschel und seine Niederschriften ...... 30 Karsten Eisenmenger, Michael Viebig

Bauliche, denkmalpflegerische Instandsetzung und Wiederherstellung ...... 34 Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Restaurierung der Ausstattungen der Grüfte ...... 44 Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Bauliche, denkmalpflegerische Instandsetzung und Wiederherstellung der Feierhalle und des Gärtnerhauses ...... 48 Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Restauratorische und kunsthistorische Untersuchung der Arkatur und der Gruftmemorials ...... 54 Gerhard Richwien

Grabfeld - Gartenarchitektonische denkmalgerechte Erhaltung und Pflege ...... 58 Matthias Därr

Zum Wirken der Stiftung „Bauhütte Stadtgottesacker“ e. V...... 62 Peter Dahlmeier

Der Stadtgottesacker - erneut Bestattungsstätte, damit bleibender Ort ewiger Ruhe und Beschaulichkeit ...... 64 Uwe Albrecht

Auszug aus der Begräbnisordnung von 1887 ...... 65

Der Stadtgottesacker - Geschichtlicher Überblick ...... 66

Faltblatt mit der Darstellung der Grundrisssituation und Kennzeichnung der Grabstätten Thomas Zaglmaier

3 Liebe Hallenserinnen Frau Dr. Marianne Witte hat mit und Hallenser, ihrer privaten Stiftung gleichen liebe Gäste unserer Stadt! Namens im Angedenken ihres Vaters, des Nobelpreisträgers für August Hermann Francke, Chemie Professor Dr. Karl Ziegler, Christian Thomasius, Robert Franz, Ordinarius an der Universität Halle August Hermann Niemeyer und von 1936 bis 1945 seit 1997 für den Ludwig Wucherer sind einige der Erhalt des Friedhofes mehr als bedeutendsten Söhne Halles, die 5 Millionen Euro aufgebracht. Ihre auf dem Stadtgottesacker ihre letzte innige Verbundenheit mit unserer Ruhe gefunden haben. Saalestadt, in der sie einen Teil ihrer Wer heute seinen Weg über den na- Schulzeit verbrachte, erfüllt uns mit hezu umfassend restaurierten großer Dankbarkeit. Friedhof nimmt, dem erschließt sich eindrucksvoll die stolze Geschichte Ebenfalls engagierten sich Bürgerin- unserer Stadt, die vor allem vom nen und Bürger aus ganz Deutsch- Wirken großer Künstler und Wissen- land mit Spenden über die Stiftung schaftler geprägt wurde. „Bauhütte Stadtgottesacker“ und auch die „Deutsche Stiftung Denk- Zugleich war und ist der Stadtgottes- malschutz“ stellte Mittel bereit, acker ganz im Sinne Martin Luthers dafür sei allen herzlich gedankt. ein „feiner stiller ort“ christlicher Andacht. Halle befand sich im Kern- Ich möchte Sie einladen, mit den land der Reformation und der Beiträgen dieses Heftes eines der Frühaufklärung. Ein fester Glaube schönsten Renaissancedenkmale und der Drang nach wissenschaftli- der Stadt Halle kennenzulernen. cher Erkenntnis schlossen sich nicht Möge Sie diese Informationsschrift aus, sondern waren zumeist eng mit- dazu anregen, diese Stätte der Ruhe einander verbunden. Der Weg der und des Gedenkens zu besuchen. Deutschen Akademie der Naturfor- scher Leopoldina, deren 350-jähri- Mit herzlichen Grüßen ges Jubiläum wir im vergangenen Ingrid Häußler Jahr begingen, ist dafür ein nachhal- Oberbürgermeisterin tiger Beweis. der Stadt Halle (Saale)

Wir bringen heute der archi- tektonischen und künstlerischen Leistung des Stadtbaumeisters Nickel Hoffmann unsere große Bewunderung entgegen. All unsere Anstrengungen dienen der Erhaltung des Stadtgottesackers. Die Stadt steht dabei nicht allein.

4 Eingangssituation Stadtgottesacker

5 Der Stadtgottesacker - hung zu betrachten und bethen“ ner architektonischen Schönheit (Schweinitz S. 92). heute noch erlebbar, bereichert bedeutende durch das Ergebnis einer Anfang des Die Gestaltung der Friedhofsanlage, 19. Jahrhunderts begonnenen Grün- Friedhofsanlage mit der Mitte der 50er Jahre des gestaltung. Instandsetzungsarbeiten der Renaissance 16. Jahrhunderts nach Plänen und im geringen Umfang hat es seitdem unter Leitung des Ratsbaumeisters immer wieder gegeben. Der Nickel Hoffmann1) begonnen wurde, schlechte Erhaltungszustand der folgte dem neuen Zeitgeist. Der Bau- Gruftbögen verlangt die Fortsetzung Der Stadtgottesacker gehört zu den meister plante einen ummauerten der bereits Ende der 80er Jahre die- herausragenden Architekturleistun- Raum der Stille, dabei dem Stilmittel ses Jahrhunderts begonnenen denk- gen der Renaissance in Halle. der italienischen Renaissance fol- malpflegerischen Sicherungs- und Als auf Anregung des Kardinals gend mit der Errichtung umlaufender Instandsetzungsmaßnahmen. An- Albrecht von Brandenburg im Jahre Arkaden und ornamentgeschmück- fang der 90er Jahre setzten dann die 1530 die beiden gotischen Kirchen ter Gruftbögen. Im Jahre 1594 war systematische Vorbereitung und Pla- St. Marien und St. Gertruden bis auf der italienischen Camposanto-Anla- nung der baulichen und restauratori- ihre Turmpaare abgerissen wurden gen vergleichbare Stadtgottesacker schen Gesamtinstandsetzung sowie und danach zwischen ihnen das Kir- mit Torturm und 94 Arkadenbögen der Start kontinuierlicher Aus- chenschiff der heutigen Marktkirche im Wesentlichen fertiggestellt wor- führungsarbeiten ein. Die Erfor- erbaut wurde, fehlte der Platz für die den. Trotz Zerstörung, einsetzendem schung des künstlerischen und bau- bis dahin bestehenden beiden Fried- Verfall und mangelnder Instandhal- lichen wie auch des garten- und höfe. Sie sollten deshalb nach dem tung ist der Stadtgottesacker in sei- landschaftsarchitektonischen Be- Willen des Kardinals außerhalb der Stadtmauern auf dem Martinsberg als neue Friedhofsanlage für die Stadt errichtet werden. Mit dem ausgehenden Mittelalter wurde so die bis dahin in der Stadt gepflegte Gemeinschaft der Toten mit den Lebenden verlassen und eine Friedhofsanlage außerhalb der Mauern geplant. Als dann wenige Jahre später mit der architektoni- schen Gestaltung am Stadtgottes- acker begonnen wurde, fand das geistige Konzept der Reformation Berücksichtigung. Dr. Martin Luther wollte, dass ein Friedhof ein „feiner stiller ort” sein soll, „der abgesondert were von aller orten, darauff man mit andacht ge- hen und stehen kuendte, den tod, Frau Dr. M. Witte, Herr Dr. A. Witte anlässlich eines Besuches des Stadtgottesackers das Juengste gericht und aufferste- während der laufenden Instandsetzungsarbeiten.

6 standes, seine Dokumentation, re- des Stadtgottesackers für ein Denk- Stiftungsbeiräte Herr Prof. Fischer stauratorische und denkmalgerechte malensemble in Halle an der Saale (Bamberg), Frau Dr. Starosta (Dres- Planung und Ausführung der Arbei- entschieden, in der Stadt, in der sie den) und Herr Rechtsanwalt Jacob ten zur Erhaltung und Wiederher- von 1936 bis 1945 einige Jahre ihrer (Essen). stellung, auch erneute Nutzung des Kindheit und Jugend verbracht hat. Für die konstruktive, unbürokrati- Stadtgottesackers sind zu einem her- Ihr Vater, Prof. Dr. Karl Ziegler, hat sche und vertrauensvolle Zusam- ausragenden und vordringlichen An- in dieser Zeit als Ordinarius an der menarbeit und das persönliche liegen der Stadt Halle geworden. Martin-Luther-Universität Halle- Interesse am Fortgang der Arbeiten Wittenberg gewirkt. Frau Dr. Witte möchten sich die Vertreter des für Bis 1997 konnte vorerst nur in klei- selbst studierte an dieser Universität die Gesamtkoordinierung zuständi- neren Abschnitten, entsprechend nach dem Besuch des Gymnasiums gen Hochbauamtes der Stadt Halle der Haushaltslage der Kommune, 4 Semester Medizin - bis zum Physi- und die mit der Planung und Baulei- begonnen werden. kum im Jahre 1945. Das alles be- tung beauftragten Architekten des Die Aufnahme des Stadtgottes- stimmte ihren besonderen Bezug zu Büros Architektur und Denkmalpfle- ackerareals als Exklave des Denk- dieser schönen Stadt mit ihrer rei- ge vornehmlich bei der Stifterin, malschutzgebietes „Historischer chen Geschichte und führte letzt- Frau Dr. Marianne Witte, und ihrem Altstadtkern“ im Jahre 1997 ermög- endlich zu ihrer großzügigen Stif- Gatten, Herrn Dr. August Witte, lichte die kontinuierliche Fort- tung für den Stadtgottesacker. herzlich bedanken. führung der Baumaßnahmen mit Fördermitteln des Bundes, des Diese Zuwendung von Mitteln in Die denkmalpflegerische Instandset- Landes Sachsen-Anhalt und der bisher nicht vorhandener Größen- zung des Stadtgottesackers zum Stadt Halle (Saale). ordnung erlaubte nunmehr, dass Anfang des 21. Jahrhunderts, nahezu jährlich in bis zu 3 Bauabschnitten fünf Jahrhunderte nach seiner Errich- Allerdings hätten selbst diese ver- gleichzeitig restauriert und instand tung, ist ein hervorragendes Bei- fügbaren Mittel einen Bauzeitraum gesetzt werden konnte. (Der Bau- spiel, wie in heutiger Zeit durch pri- von mindestens noch 10 Jahren be- fortschritt wurde wesentlich erkenn- vates und kommunales Engagement dingt, um den nun Anfang 2003 barer.) Der Abschluss der Arbeiten gebaute Geschichte wieder erlebbar schon erreichten Fertigstellungs- konnte bereits für den Beginn des wird und im speziellen Fall auch stand zu erlangen. Jahres 2003 geplant werden. überregionale Wirkung erzielt.

Möglich ist das geworden durch die Nicht nur die Instandsetzung der So soll der Stadtgottesacker zu großzügige private Stiftung von Frau Gruftbögen wurde von der Stiftung Halle (Saale) als der eingangs von Dr. Marianne Witte für die bauliche gefördert, sondern auf Stifterinitiati- Martin Luther zitierte „feiner stiller und restauratorische Instandsetzung ve wurde ab 2000 auch die Restau- ort“, eine Stätte der Besinnung auf der Grüfte des Stadtgottesackers und rierung der Innenausstattung der die historischen Wurzeln für die ihrer Ausstattungen. Grufträume - wie Epitaphien, Grab- heutigen und kommenden Genera- Nach der Wende war es Frau platten, Stuckgestaltungen und tionen sein. Dr. Witte ein besonderes Anliegen, Fußböden - gefördert und ausgeführt. in sinnvoller Weise bei der Erhal- Bernd Nagel Helmut Stelzer tung verfallener, kulturell wertvoller Mit der Stifterin, Frau Dr. Witte, Peter Liebau Thomas Zaglmaier Baudenkmäler in den neuen Län- engagierten sich bei dieser Aufgabe dern mitzuhelfen. gleichermaßen mit großem persön- Sie hat sich schließlich mit der Wahl lichen Einsatz die von ihr berufenen 1) auch Hofmann oder Hofemann

Stadtgottesacker, Torturm mit Eingang 7 Zur Entstehungs- geschichte des Stadtgottesackers

Abbildung 1

Detail des Stadtplans von Halle aus der 1667 erschienenen „Halygraphia“ des Gottfried Olearius

Die Lage des Begräbnisplatzes außerhalb der Stadt ist auch auf späteren Plänen, wie auf dem in der „Halygraphia“ des Gottfried Olearius aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, noch gut erkennbar.

8 Bis zum 16. Jahrhundert spielte die zu dem Beschluss: „Wollen auch Abbildung 2 Fläche des heutigen Stadtgottes- einen Kirchhoff zu Begräbnuss der Albrecht von Hohenzollern ackers vor allem zu Pestzeiten, wie todten auf dem Mertensbergk, wo es auf einer im halleschen Stadtarchiv in den Jahren 1350 und 1450, eine am bequemesten, zurichten lassen, aufbewahrten Medaille wichtige Rolle für die Hallenser. Um dohin die gemeine Burgere und Ein- aus dem Jahr 1522 weitere Ansteckungen zu vermei- wohnere zu Halle sollen und mugen den, bestatteten sie dort, auf dem begraben werden.“ Der Martinsberg außerhalb der Stadtmauern gelege- diente damit nicht mehr nur in Not- nen Begräbnisplatz um die Martins- zeiten als Begräbnisplatz, sondern kapelle, die Opfer der Seuche. wurde von jetzt an ständig, zuneh- Als im Sommer des Jahres 1529 mend auch von allen Schichten der Bischof Heinrich von Halberstadt Bevölkerung genutzt. den alten Pestfriedhof zum allgemei- nen Gottesacker für die Stadt Halle Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts weihte, wurde eine jahrhundertealte befand sich auf dem neu geweihten Bestattungstradition aufgegeben: das Gottesacker außerhalb der Stadt- Begraben der Toten bei und in den mauer die kleine Martinskapelle, ein zahlreichen Gotteshäusern des Or- „feines wohlerbauetes Gebäude“. tes. Gesundheitliche Bedenken ge- Sie soll sich ungefähr in der Mitte genüber der Totenbestattung im un- des Gräberfeldes befunden haben, Die Abbildung zeigt Albrecht von Hohenzollern, mittelbaren Wohn- und Lebensbe- vom heutigen Haupteingang aus ge- der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einer der einflußreichsten deutschen Kirchenmänner reich der Menschen sowie der sehen etwas nach links versetzt. war. Seit 1513 war er Erzbischof von Magdeburg. Bevölkerungsanstieg veranlassten Aufgrund fehlender Archivalien ist im 16. Jahrhundert nicht nur Halle, nichts Gesichertes über die Erbau- sondern zahlreiche deutsche Städte, ung der Kapelle bekannt. 1547, im die Verstorbenen fortan außerhalb Schmalkaldischen Krieg, wurde sie ihrer Mauern zu begraben. Vor al- zerstört, als Kurfürst Johann Fried- lem Albrecht von Brandenburg rich von Sachsen den Martinsberg (1490-1545), der ab 1513 Erzbischof zu Kriegszwecken befestigen lassen von Magdeburg war und die Saale- wollte. stadt zu einer würdigen Residenz und einem Bollwerk gegen das refor- Genau zehn Jahre nach Abriss der matorische Wittenberg ausbauen Martinskapelle, im Jahr 1557, wurde wollte, förderte die Schließung der mit der architektonischen Gestal- innerörtlichen Begräbnisstätten (Ab- tung des Stadtgottesackers begon- bildung 2). Seine Interessen deckten nen, der vierflügligen Anlage aus an- sich mit denen des Stadtrates, dem einandergereihten, mit Reliefs und eine repräsentative Gestaltung des Inschriften reich verzierten Grabbö- engen mittelalterlichen Marktplatzes gen. Baubeginn war auf der bei und die Abschaffung der Totenbe- Bombenangriffen im Zweiten Welt- stattung in seiner unmittelbaren krieg zerstörten nördlichen Westsei- Nähe am Herzen lag. So veranlasste te. Ihre einstigen Inschriften, die für Albrecht den Rat am 23. Mai 1529 die Datierung der Gesamtanlage

9 entscheidend sind, wurden jedoch che von beiden wurde 1822 zuge- wurde. So besitzen andere als „Cam- durch die Beschreibung des Stadt- mauert und seitdem auch als Beiset- posanto“ bezeichnete Friedhöfe Ita- gottesackers von Johann Gottfried zungsstelle genutzt (heutiger Bogen liens nicht zwangsläufig eine archi- Olearius aus dem Jahr 1674 überlie- 9a). Der Turm des südlichen Tors, tektonische Gestaltung wie der Pisa- fert. Sie ist die älteste Monografie der heutige Haupteingang, ist ver- er Begräbnisplatz. zum Begräbnisplatz und vermittelt mutlich im 18. Jahrhundert mit einer Die Anzahl der seit dem 16. Jahr- einen Eindruck von seiner Gestal- sogenannten Welschen Haube be- hundert in Deutschland entstande- tung rund achtzig Jahre nach der krönt worden. nen „Camposanti“ ist lange Zeit un- Fertigstellung der Grabbogen-Anla- terschätzt worden. So ging Gustav ge. So erfahren wir, dass der heutige An der Stelle des alten Pestfriedhofs Schönermark Ende des 19. Jahrhun- Bogen 11 der erste war, der errichtet war eine aufwendig gestaltete Sepul- derts davon aus, dass die Anlage auf wurde. Auf der Rückwand des Bo- kralanlage entstanden, die immer dem halleschen Martinsberg in gens, außerhalb des Gottesackers, wieder in den höchsten Tönen ge- Deutschland singulär sei: „Wir ha- befanden sich bis zum Krieg auf ei- lobt und seit dem Ende des 19. Jahr- ben hier also die genaue Ueberset- ner Wappentafel folgende lateini- hunderts, der Zeit typengeschichtli- zung eines Campo santo in das sche Zeilen: „Anno Domini 1557. cher Studien der sich institutionali- Deutsche vor uns und zwar in der Nobiles Christoph. & Alb. ab Hoim sierenden Kunstgeschichte, gern Formensprache des 16. Jahrhun- Germani fratres Weglob, Pri. hoc auch „Camposanto“ genannt wird. derts. Es ist die einzige derartige An- monumentum f.“ (Übersetzung: „Im Grund für die mittlerweile sehr weit lage auf deutschem Boden <...>.“ Jahre des Herrn 1557 haben die Ed- verbreitete Bezeichnung war die Heute wissen wir, dass ab der ersten len Christoph. und Alb. von Hoym, heute umstrittene Vermutung, dass Hälfte des 16. Jahrhunderts neben Brüder aus Wegeleben, dieses erste als Vorbild für die Arkaden-Anlage der halleschen Anlage noch eine Grabmal bauen lassen.“) des halleschen Stadtgottesackers der Vielzahl weiterer, ähnlicher Begräb- Pisaer Begräbnisplatz neben dem nisplatzarchitekturen außerhalb der Nach Errichtung der ersten Grabbö- Dom diente. Dieser war bereits Ortschaften errichtet wurden, so gen erweiterte man um 1563/64 die 1278 bis 1283 nach Plänen von zum Beispiel in Leipzig, in Eisleben Fläche des Gottesackers durch An- Giovanni di Simone in Form eines und in Buttstädt. kauf von Land, ebnete den neuen Kreuzgangs architektonisch gestaltet Teil des Begräbnisplatzes ein und worden. Den Namen „Camposanto“ Die dezentralen Bereiche sind es, umgab ihn mit einer steinernen erhielt der Begräbnisplatz in Pisa je- die entgegen der jahrhundertelan- Mauer. Im Laufe von über dreißig doch nicht aufgrund seiner Architek- gen, eschatologisch bedingten Tra- Jahren wurden „94 Schwibbogen zu tur, sondern vermutlich wegen der dition auf diesen Begräbnisplätzen Familien- und Erbbegräbnissen er- Erde, die der Legende nach aus Jeru- den bevorzugten Bestattungsort der bauet, die alle in einer Höhe und Be- salem geholt worden sein soll, um Oberschicht bilden. So wird die dachung rund herum gehen, und den Pisanern die Möglichkeit der durch den Altar und seine Wertigkeit theils kostbar ausgeschmückt sind.“3 Bestattung in „heiliger Erde“ zu ge- bestimmte Zentralisierung der Kirch- Vollendet wurde der gesamte Bau, ben. Die seit dem 19. Jahrhundert höfe aufgegeben, bis hin zum völli- der ein unregelmäßiges Viereck bil- für den halleschen Stadtgottesacker gen Wegfall des Sakralgebäudes, det, um das Jahr 1590. Er besaß ur- verwendete Bezeichnung „Campo- wie auf dem Stadtgottesacker in sprünglich, wie auf dem Stadtplan santo“ ist dahingehend problema- Halle. Aufgrund dessen wird in aus der Mitte des 17. Jahrhunderts tisch, weil der Begriff aus seinem ur- Fachkreisen vermutet, dass im zu sehen ist, zwei Eingänge auf der sprünglich sakralen Zusammenhang 16. Jahrhundert die Reformation und Westseite (Abbildung 1). Der nördli- in einen architektonischen gestellt die damit verbundenen theologi-

10 schen Veränderungen die Bedingun- und zeigt neben den bestatteten Fa- gen für die Entstehung und Verbrei- milienangehörigen den Tod Jesu, die tung dieses Friedhofstypus schufen. Kreuzigung. So dürfte die Errichtung und Verzie- Darüber hinaus wurde auch die ge- rung der Arkaden-Anlage des halle- samte Fassade der Grabbogen-Anla- schen Stadtgottesackers wohl ganz ge mit Reliefs verziert. Die Motive im Sinne Martin Luthers gewesen reichen von einfachen Pflanzen- sein. In der Schrift „Ob man vor dem Ranken über in mittelalterlicher Tra- sterben fliehen möge“ hatte er 1527 dition stehende Tierdarstellungen den Zustand der Friedhöfe kritisiert bis hin zu antikisierenden Masken, und Ratschläge zu deren Verschöne- Putten und Mischwesen. Es ist anzu- rung gegeben. Seiner Ansicht nach nehmen, dass ein Teil der Reliefs sollten die Begräbnisplätze nicht nur theologische Bedeutung besitzt und aus Not, sondern auch wegen der bewusst für die Gestaltung der Arka- „andacht und ehrbarkeit“ aus der den gewählt wurde. So kann der Vo- Stadt verlegt und würdig gestaltet gel in den Zwickelfeldern des Bo- Abbildung 3 werden: „Denn ein begrebnis solt ja gens 56 als Phönix gedeutet werden. Bildnis Nickel Hoffmanns billich ein feiner stiller ort sein, der Über das Mittelalter hinaus war er über dem Eingang zum Stadtgottesacker abgesondert were von allen örten, auch im Protestantismus Symbol für darauff man mit andacht gehen und Christi Tod und Auferstehung. Des stehen kündte, den tod, das Jüngst Weiteren findet man auf den Fassa- gericht und aufferstehung zu be- den-Reliefs des Stadtgottesackers trachten und betten, also das der sel- auch weltlich-allegorische Abbil- bige ort gleich eine ehrliche, ja fast dungen des Todes in Form von To- ein heilige stete were, das einer mit tenschädeln, wie auf dem linken furcht und allen ehren drauff kundte Zwickelrelief des Bogens 59 oder wandeln, weil on zweifel etliche auf dem Zwischenpfeiler der Bögen heiligen da liegen. Und daselbst 86 und 87. umbher an den wenden kund man Fünfzehn Jahre nachdem Martin solche andechtig bilder und gemel- Luther die Verschönerung der Fried- de lassen malen.“ - Die Hallenser höfe mit „andechtig bildern und ge- orientierten sich an den Vorstellun- melden“ empfohlen hatte, gab er gen Martin Luthers. Aus der alten abermals Ratschläge zu deren Ge- Beschreibung des Stadtgottesackers staltung. 1542 schrieb er in der Vor- von Johann Gottfried Olearius erfah- rede zum Begräbnisliederbuch: ren wir, wie reich die Gräber einst „Wenn man auch sonst die Greber mit Darstellungen biblischen Inhalts wolt ehren, were es fein, an die geschmückt waren. Erhaltener Beleg Wende, wo sie da sind, gute Epita- dafür ist eines der ältesten Grabreli- phia oder Sprüche aus der Schrifft efs des Stadtgottesackers. Es befindet drüber zu malen oder zu schreiben, Abbildung 4 sich im 1557/58 errichteten Bogen das sie fur augen weren denen, so Steinmetzzeichen Nickel Hoffmanns 12 (ursprünglich Bogen 2), welcher zur Leiche oder auff den Kirchoff vom Bogen Nr. 17 des Stadtgottesackers der Familie von Selmenitz gehörte giengen <...>.“ In diesem Zusam-

11 menhang schlug der Reformator 26 dass er anfangs selbst aktiv am Bau Inschriften biblischen Inhalts (alle in mitarbeitete. In der zweiten Hälfte deutscher Spache) für Grabstätten des 16. Jahrhunderts war Hoffmann vor. Die meisten von Martin Luther an verschiedenen großen Baupro- empfohlenen Sprüche waren auch jekten in Halle beteiligt und hatte auf den Bögen und Epitaphien des sich einen Namen gemacht, so dass halleschen Stadtgottesackers ange- ihm durch den Rat der Stadt auch bracht. die architektonische Gestaltung des Stadtgottesackers übertragen wurde. Die genaue Baugeschichte der Bo- 1550 erlangte er das Bürgerrecht gen-Architektur auf dem Martins- und war in der Folgezeit unter ande- berg ist aufgrund fehlender Quellen Abbildung 5 rem am Bau der Marktkirche, der bis heute teilweise ungeklärt. So Moritzkirche und der Umgestaltung wissen wir zum Beispiel nicht, ob Die östliche Empore der Marktkirche, des Rathauses tätig. Die Vollendung die wie ein Ausblick auf die etwas später die architektonische Gestaltung des errichtete Grabbogen-Anlage auf dem der Grabbogen-Anlage auf dem Stadtgottesackers von vornherein so Stadtgottesacker erscheint. Martinsberg erfolgte wahrscheinlich geplant war oder ob die Idee der ein nicht durch Nickel Hoffmann selbst. Gräberfeld umgebenden Bögen erst später aufkam, als auch die Erweite- Vorbild für die Grabbogen-Anlage rung des Begräbnisplatzes vorge- des Stadtgottesackers waren neben nommen wurde (1563/64). Unklar dem wohl ältesten deutschen Be- ist ebenfalls, ob die Trennwände gräbnisplatz dieser Art, dem Leipzi- zwischen den einzelnen Bögen bau- ger „Camposanto“ vor dem Grim- zeitlich oder sekundär eingefügt maischen Tor (1536/37 errichtet), worden sind. Mit großer Wahr- die Emporen der halleschen Markt- scheinlichkeit wurde die Innen- kirche St. Marien und Gertruden. fläche des Stadtgottesackers anfangs Diese sind unter dem Steinmetzen von Arkaden-Gängen umgeben, Abbildung 6 und Baumeister Nickel Hoffmann, nicht von einzelnen Memorialräu- wie auf der Südempore inschriftlich Blick auf die Grabbögen men. Der zweiflüglige „Camposan- des Stadtgottesackers festgehalten ist, 1554 vollendet wor- to“ auf dem Eislebener Kronenfried- den und umgeben den Innenraum hof, ungefähr zur gleichen Zeit wie der Kirche wie die Grabbögen das der in Halle entstanden, ist bis heute Gräberfeld des Stadtgottesackers. ohne trennende Wände geblieben. Von besonderer Bedeutung ist die Empore im Osten der Kirche (Abbil- Baumeister der Grabbogen-Anlage dung 5), die, im Gegensatz zu denen war Nickel Hoffamnn, dessen Bild- der Nord- und Südseite, auf einem nis sich über dem Eingang zum Rundbogen ruht. Wie alle anderen Stadtgottesacker auf der dem Grä- Emporen-Bögen wurde sie mit vege- berfeld zugewandten Seite befindet tabilen Reliefs verziert und scheint (Abbildung 3). Sein mehrfach auf- wie ein Ausblick auf das drei Jahre tauchendes Steinmetz-Zeichen (Ab- später begonnene Werk Hoffmanns, bildung 4) lässt darauf schließen, den Stadtgottesacker (Abbildung 6).

12 Als Anregung für die ornamentale Clöster, Pfarren und Dörffer, Insonderheit der Gestaltung der Emporen der Markt- Städte Halle, Neumarckt, Glaucha, Wettin, Löbe- gün, Cönnern und Alsleben; Aus Actis publicis kirche dienten Nickel Hoffmann und und glaubwürdigen Nachrichten mit Fleiß zusam- seinen Mitarbeitern unter anderem men getragen, Mit vielen ungedruckten Documen- Stiche Heinrich Aldegrevers. Dieser ten bestürcket, mit Kupferstichen und Abrißen ge- zur Gruppe der sogenannten Klein- zieret, und mit nöthigen Registern versehen, Halle, Erster Theil 1749, meister gehörige westfälische Künst- Zweiter Theil 1750. ler der Frührenaissance hat von 1527 bis 1555 hundert Ornamentsti- Dähne, Carl Gottlieb, Neue Beschreibung des Halleschen Gottesackers che geschaffen, die auch die Stein- nebst geschichtlichen Bemerkungen über die metzen für die Gestaltung der Arka- Gräber und Begräbnißgebräuche der Christen, den des Stadtgottesackers als Vorla- Halle 1830. ge nutzten. Gustav Schönermark Schönermark, Gustav, wies Ende des 19. Jahrhunderts erst- Ein deutscher Campo santo, in: mals darauf hin, dass die Bauabfolge Deutsche Bauzeitung, 22/1883, der Grabbögen sich auch durch das S. 126-129, S. 138-140. Vergleichen der Bogen-Dekoration Schönermark, Gustav, erschließen lässt. Er war auch derje- Beschreibende Darstellung der nige, der den Bauschmuck als erster älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz untersuchte und die Arbeiten ver- Sachsen und angrenzender Gebiete, Literaturhinweise: Neue Folge. Erster Band. schiedener Meister gegeneinander Die Stadt Halle und der Saalkreis, hg. v. d. abgrenzte. Die gesamte Ornamen- Olearius, Johann Gottfried, Historischen Commission der Provinz Sachsen, tik, in einem Zeitraum von über Coemiterium Saxo - Hallense. Halle a. d. S. 1886. Das ist / Des wohlerbauten Gottes-Ackers Der dreißig Jahren entstanden, teilte Löblichen Stadt Hall in Sachsen Beschreibung: Schönermark in vier Gruppen und Darinnen / die Fürnemsten Grabmahle und erkannte eine eindeutige Wandlung: dero meistlich - denckwürdige Schrifften / "von der schüchternen, fast noch der Welche / so wohl in denen 94. gewölbten Schwibbögen / als auch untern freyen Himmel / Frührenaissance angehörigen Weise und mitten aufn Platze desselben zu befinden / geht sie allmählich über zu der bom- Gott und dem lieben Vaterlande zu Ehren / bastisch-üppigen Art des Barock- ingleichen / zu der daselbst in Gott Ruhenden stils.“ und der noch Lebenden / guten Andencken / wie auch den Nachkommen zum besten / Mit fleis zusammen gebracht / und sampt einem Die Arkaden-Anlage, die in einem Anhang Der denckwürdigsten Grabmahle / Zeitraum von über dreißig Jahren in so in unterschiedlichen Kirchen in- und außerhalb der Stadt Halle zu sehen, Halle entstanden war, zählt auf- Wittenberg 1674. grund ihrer Geschlossenheit und Gestaltung zu den herausragenden Dreyhaupt, Johann Christoph von, Pagus Neletici et Nudzici, 1) Dreyhaupt 1749, 262. kunst- und sepulkralgeschichtlichen Oder Ausführliche diplomatisch - historische 2) Dreyhaupt 1750, 761. Zeugnissen des 16. Jahrhunderts in Beschreibung des zum ehemaligen Primat und 3) Ebd. Mitteldeutschland. Ertz-Stifft, nunmehr aber durch den westphäli- 4) Schönermark 1883, 126. schen Friedens-Schluß secularisirten Hertzog- 5) WA, 23. Band, 1901, 375. thum Magdeburg gehörigen Saal-Creyses, 6) Ebd. Anja A. Tietz Und aller darinnen befindlichen Städte, Schlösser, 7) WA, 35. Band, 1923, 480. Aemter, Rittergüter, adelichen Familien, Kirchen, 8) Schönermark 1883, 126.

13 Teil 1

Bogen 10 Bogen 12 Ruhestätte bedeutender Christian Thomasius Felicitas von Selmnitz (01.01.1655 - 23.09.1728) (1488 - 01.05.1558) Persönlichkeiten der Der als „Vater der deutschen Aufklärung“ gewür- Felicitas von Selmnitz wurde im Jahre 1488 als digte Jurist und Philosoph wurde am 1. Januar Tochter des am sächsischen Hof hochangesehe- deutschen Geistes- und 1655 als Sohn des Philosophieprofessors Jacob nen Adeligen Hans Münch geboren. Im Jahre Thomasius in Leipzig geboren. In der blühenden 1507 wurde sie durch den sächsischen Kurfürsten Wirtschaftsgeschichte Messestadt nahm er zuerst philosophische Studi- Friedrich den Weisen mit seinem Günstling Wolf en auf, wechselte dann zu den Juristen über und von Selmnitz in Allstedt verheiratet, wo er seit setzte diese Studien in Frankfurt/Oder fort, wo er 1502 Schloßhauptmann und Amtmann war. 1679 mit der Promotion erfolgreich die Ausbil- Nach 1509 siedelte die Familie nach Halle über, dung beendete. In Leipzig ließ er sich zunächst als wo Wolf von Selmnitz einen Hof in der Amtsstadt Advokat nieder, um 1687 erste Vorlesungen Glaucha gekauft hatte. Von den in der Ehe gebo- schon in deutscher Sprache zu halten. Im Jahre renen zwei Söhnen und fünf Töchtern überlebte 1690 nahm er seine Vorlesungen in Halle auf, wo nur der zweitgeborene Sohn Georg das Kindesal- er an der Waage als erstem Universitätsgebäude ter. Wolf von Selmnitz wurde im Jahre 1519 Op- wirkte. Er gilt als geistiger Vater der halleschen fer eines privaten Händels, als Moritz von Knebel, Universität im Sinne der Frühaufklärung. In sei- Marschall auf der Moritzburg und Sohn des ver- nen mehr als 300 akademischen Schriften wandte feindeten Thilo von Knebel, ihn nach einem Fest- er sich oft seinen Studenten zu und ging auch mahl hinterrücks erstach. Felicitas von Selmnitz rechtspolitisch brisante Themen an. So setzte er führte den Hof in der Nähe der Georgenkirche sich erfolgreich für die Abschaffung der Hexen- fort und wurde vermutlich durch deren Kaplan prozesse und der Folter ein. Einen erneuten Ruf an Thomas Müntzer religiös stark beeinflußt. Mit 35 die Universität Leipzig lehnte Thomasius auf der Jahren lernte sie von ihrem Sohn das Lesen und Höhe seines Ruhms ab. 1709 wurde er zum ge- begann ein intensives selbständiges Bibelstudium, heimen Justizrat berufen, und im Jahr darauf er- welches sie zum Konfessionswechsel veranlaßte. folgte seine Ernennung zum Direktor der Univer- Als eine der ersten Anhängerinnen der Reformati- sität Halle auf unbegrenzte Zeit. Er setzte sich für on nahm sie 1523 zu Weihnachten das Abend- die Reform des römisch geprägten Rechtswesens mahl in beiderlei Gestalt ein. Im Jahre 1527 be- zugunsten des Naturrechts und des deutschen gleitete sie ihren Sohn zu dessen Studium nach Rechtes ein. Wittenberg und gehörte als geistig hochangesehe- ne Frau zur Tischrunde Martin Luthers. Kardinal Albrecht forderte sie als offene Verfechterin der Reformation 1528 auf, dieser abzuschwören oder die Stadt Halle verlassen zu müssen. Ihrem Ge- wissen gehorchend, ließ sie sich in Wittenberg nieder und kehrte erst 1547 nach dem inzwischen reformierten Halle zurück. Noch heute besitzt die Marienbibliothek reformatorische Schriften aus dem Besitz von Felicitas von Selmnitz mit wert- vollen Widmungen Luthers, Bugenhagens und von Justus Jonas.

14 Bogen 14 Bogen 15 Ludwig Wucherer August Hermann Niemeyer (30.05.1790 - 15.12.1861) (01.09.1754 - 07.07.1828)

Ludwig Wucherer wurde am 30. Mai 1790 als Am 1. September 1754 als Sohn eines Predigers in rektor. Sein pädagogisches Hauptwerk sind die Sohn des Kammerrates und Fabrikanten Matthäus Halle geboren, besuchte er das Pädagogium der 1796 erschienenen „Grundsätze der Erziehung Wucherer in Halle geboren. Als Fünfjähriger be- Franckeschen Stiftungen und nahm im Jahre 1771 und des Unterrichtes für Eltern, Hauslehrer und gann seine Schulausbildung in der Niemeyer- das Studium der Theologie an der halleschen Uni- Erzieher“. Mit der Schließung der Universität schen Privatschule, die er im Pädagogium fortsetz- versität auf. Nach seiner Promotion 1777 begann durch Napoleon verband sich auch Niemeyers te. Familiäre Verhältnisse erzwangen eine kauf- er, Vorlesungen zu halten, und wurde 1784 zum persönliches Schicksal, der im Mai 1807 verhaftet männische Ausbildung in Breslau und . Inspektor des Pädagogiums und im Folgejahr zum und nach Frankreich als Geisel verbracht wurde. Bereits 1812 übernahm er die Führung des Fami- Mitdirektor des Waisenhauses berufen. Im Jahre Nach seiner Freilassung im Oktober 1807 setzte lienunternehmens. An den Befreiungskriegen be- 1786 heiratete August Hermann Niemeyer die am er sich für die Wiederbelebung der Universität teiligte er sich 1813 als Freiwilliger des Lützow- 15. Februar 1769 geborene Tochter eines Magde- und der Stiftungen ein, was zum 1. Januar 1808 schen Freikorps. Nach der Rückkehr 1816 trotzte burger Hofrates, Agnes Wilhelmine von Köpken, gelang. Ein Jahr vor seinem Tode konnte er am er manchen Schwierigkeiten und entwickelte die die er bei seinen Besuchen der literarischen „Mitt- 18. April 1827 sein 50 jähriges Doktorjubiläum Golgasdruckerei zu einem florierenden Unterneh- wochsgesellschaft“ kennengelernt hatte. Aus die- feiern - ein Festtag, der ihm von allen Seiten men. Seinem Wissen verdankte er die Berufung als ser Ehe gingen 15 Kinder hervor, von denen je- Ehrungen entgegenbrachte. Die Stadt verlieh ihm unbesoldeter Stadtrat und besoldeter Kämmerer doch 5 das Kindesalter nicht überlebten. auch in Anerkennung um die Armenpflege die der Jahre 1819 bis 1829. Der wirtschaftlichen Ent- Die von Agnes Wilhelmine Niemeyer im Hause silberne Bürgerkrone. wicklung der Stadt dienten das unter seinem Vor- Große Brauhausstraße 15 veranstalteten Gesell- sitz 1826 gegründete „Komitee zur Beförderung schaften galten mit ihren bis zu 100 Gästen als der Halleschen Schiffahrt“ und der 1833 gegrün- geistiger Mittelpunkt des bürgerlichen Lebens der dete „Verein für den Halleschen Handel“, ein Vor- Saalestadt. Der angesehe Dichter Wilhelm von läufer der Handelskammer, der er seit der Grün- Schlegel hob die Kanzlerin Niemeyer als die inter- dung 1845 vorstand. Größten Dank schuldet Hal- essanteste Person Halles neben Christian Reil her- le seinem Wirken für die Entwicklung der Stadt zu vor. In einer scharfen Auseinandersetzung mit einem der Eisenbahnknotenpunkte in Preußen. dem preußischen Staat um seine Lehrauffassung Neben staatlichen Auszeichnungen erhielt Ludwig als Vertreter der Aufklärung, die zum Verbot sei- Bogen 80/81 Wucherer durch die Bürgerschaft von Halle am ner Schriften führte, stellte sich die gesamte Uni Agnes Wilhelmine Niemeyer 12. April 1854 die Bürgerkrone und den Titel eines 1794 hinter Niemeyer und wählte ihn zum Pro- (15.02.1769 - 08.04.1847) „Stadtältesten“.

15 Bogen 17 Bogen 22 Bogen 22 Johann Juncker Paul (us) Prätorius Daniel Nettelblatt (23.12.1679 - 25.10.1759) (1521 - 17.05.1565) (14.01.1719 - 04.09.1791)

Johann Juncker stammt aus Londorf im Hessi- Paul Prätorius, eigentlich Schultheiß, kaiserlich Daniel Nettelblatt, am 14. Januar 1719 in Rostock schen, wo er am 23. Dezember 1679 als Sohn Brandenburgischer und erzbischöflich Magdeburgi- als Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes und einfacher Eltern geboren wurde. Trotzdem wurde scher Rath wurde 1521 in Bernau (Mark) als Sohn Ratsmitgliedes geboren, entschied sich schon mit ihm der Besuch des Pädagogiums und ab 1695 des Bürgermeisters Andreas Schultheiß geboren. Er 15 Jahren für das Studium der Theologie an der der Universität in Gießen ermöglicht. Nach ei- studierte in Wittenberg u. a. bei Melanchthon und in Rostocker Universität. Nach dem Tode des Vaters nem Aufenthalt in Marburg setzte er seine Studien Frankfurt/Oder. 1542 wurde er Rektor der Schule in wechselte er zu den Juristen und beschäftigte sich 1697 an der Theologischen Fakultät in Halle fort. Bernau. 1544 kam er in die Dienste des Kurfürsten darüber hinaus intensiv mit der Wolffschen Philo- Nach Abschluß des Studiums wirkte er ab 1701 Joachim II. zu Brandenburg. Er kam als kurfürstlicher sophie. Von dieser angezogen, ging er im Mai als Informator am Pädagogium der Franckeschen Rat mit Sigismund nach Halle, als dieser Erzbischof 1740 nach Marburg, um Wolff persönlich zu Stiftungen. Es folgten Tätigkeiten in wechselnden zu Magdeburg wurde. Hier wurde er allgemein der hören. Seine Bindung zu Wolff verstärkte sich, als Städten, die er zum autodidaktischen Studium der Präceptor genannt. Ihm gelang, daß Sigismund sich dieser nach Halle berufen wurde und Nettelblatt Medizin nutzte. Er studierte überwiegend die zur Evangelischen Lehre bekannte und diese allge- im Juli 1741 nach Halle in sein Haus einlud. Seine Schriften des Hallensers . 1717 mein einführte. Prätorius hatte gute Kontakte zum Studien schloß er im März 1744 mit der Erlangung wurde Juncker durch Francke nach Halle zurück- Magistrat, förderte gelehrte Leute und veranlaßte die des Doktorgrades beider Rechte ab und begann geholt, indem er ihm die medizinische Oberauf- Errichtung des Gymnasiums. Er war Sigismunds Ge- sogleich mit eigenen Vorlesungen und Übungen. sicht über die gesamten Stiftungen übergab. Zu sandter an auswärtigen Höfen. Der Kaiser Ferdinand I. 1746 erhielt er eine ordentliche Professur der Junckers ersten Leistungen gehörte der Bau eines erhob ihn in den Adelsstand und gab ihm den Titel Rechte mit dem Titel eines Hofrates, jedoch ohne eigenen Krankenhauses der Stiftungen. Zur Be- eines Kaiserlichen Rats. Er hinterlegte auf dem Rat- eine Vergütung. Seine wissenschaftliche Karriere handlung der Kranken zog er verstärkt Studenten haus testamentarisch 1500 Rthlr., die Hälfte der Zin- führte ihn 1775 an die Spitze der Juristischen der höheren Semester heran, die dadurch prakti- sen diente armen Bürgersöhnen als Stipendium, die Fakultät der Universität Halle, und gleichzeitig sche Erfahrungen sammeln konnten. Im Jahre andere Hälfte für „Hausarme“ oder zur Ausstattung wurde er Direktor der Universität. Als Lehrer und 1729 erhielt er eine ordentliche Professur an der armer Jungfrauen. Wie Dreyhaupt schreibt, starb Schriftsteller hervorragend, zählte Nettelblatt zu Medizinischen Fakultät. Neben der praktischen Prätorius am 17. Mai 1565 und wurde auf dem Gott- den führendsten Juristen der 2. Hälfte des Gesundheitspflege widmete sich Juncker in einer esacker in dem Schwibbogen No. XXII, den er kurz 18. Jahrhunderts. Nur schwer ertrug er die Unter- Vielzahl von allgemein verständlichen Artikeln vorher zu seinem Begräbnis hat erbauen lassen, be- ordnung der Hochschule unter das neu errichtete der öffentlichen Gesundheitspflege und vertrat graben, in welchem sich nach Olearius folgende In- Oberschulcollegium, welches die Rechte der uni- die Pflicht gegen die Armen, diesen die Medika- schrift befunden haben soll: „Condidit hos etiam versitären Selbstverwaltung zu beschneiden ver- mente umsonst zu reichen. PAULUS PRAETORIUS arcus Insignes clypeos cujus suchte. & arma vides.“

16 Bogen 27 Bogen 33 Bogen 36 Carl Friedrich Zepernick Friedrich Hondorff Johann Justus Gebauer (22.10.1751 - 05.07.1839) (25.08.1628 - 30.04.1694) (19.05.1710 - 26.01.1772)

Geboren wurde der Sohn eines Patriziers und Friedrich Hondorff wurde am 25. August 1628 in Johann Justus Gebauer konnte als Sohn eines Apothekers am 22. Oktober 1751 in dem noch Halle geboren, wo sein Vater als Stiftsschreiber Handwerksmeisters in Waltershausen die Latein- heute als „Marktschlößchen“ bekannten Hause der Magdeburger Regierung angestellt war und schule besuchen. Nach dem frühen Tode des Va- nördlich der Marktkirche. In den durch die als Bornmeister an der Saline wirkte. Nach der ters mußte er jedoch ab Ostern 1724 in eine „Löwenapotheke“ genutzten Räumlichkeiten ver- Ausbildung durch einen Privatlehrer und dem Be- Lehre als Buchhändler und Drucker aufnehmen. lebte er seine Jugend. Die schulische Ausbildung such des Gymnasiums begann der 17jährige an Erste berufliche Erfahrungen sammelte er 1729 als erlangte er am lutherischen Gymnasium der Stadt der Universität Jena ein Studium der Rechte und Buchhandlungsdiener und ab 1731 als Drucker- und dem Pädagogium des Waisenhauses. der Philosophie. Aus finanziellen Gründen mußte geselle an der Jenenser Universität. 1732 wech- Die Universität besuchte er seit seinem 17. Le- er dies nach zwei Jahren abbrechen und versuch- selte er nach Halle, wo die aufstrebende Univer- bensjahr, um Rechtswissenschaften zu studieren. te, eine Anstellung in Kopenhagen zu erlangen. sität ein reiches Arbeitsgebiet versprach. Er fand Nach seiner Promotion im Jahre 1773 begann er Als dies ebenfalls fehlschlug, studierte er in Anstellung als Faktor der Orbanschen Druckerei seine akademische Laufbahn mit Vorlesungen zur Rostock weiter. Durch eine vorteilhafte Heirat und konnte diese 1733 günstig mit allen Schriften Geschichte des römischen Rechts. Diese beende- konnte er sein Studium 1650 gesichert in und Privilegien erwerben. Neben dem Buch- te er nach Differenzen mit dem Naturrechtler Frankfurt/Oder abschließen. 1651 kehrte er nach druck, er führte über Jahre den Bibeldruck der Daniel Nettelblatt, und es gelang ihm, 1777 eine Halle zurück und wirkte als freier Jurist. Es gelang Cansteinschen Bibelanstalt durch, entwickelte er Anstellung als Assessor am halleschen Schöffen- ihm 1653, eine Anstellung am angesehenen sich seit 1737 als erfolgreicher Verleger. Seine stuhl, dem Berg- und Thalgericht, zu finden. Schöffenstuhl zu erlangen. Dies war die Grundla- zentrale Stellung im Geistesleben der Aufklärung In Anerkennung seiner Gerichtsarbeit erhielt er ge seiner weiteren Karriere, die ihm schon im Fol- festigte er mit der halleschen Lutherausgabe in 24 1785 die Berufung zum Salzgrafen, Stadtgerichts- gejahr die Inspektion der Administrationsverwal- Bänden, deren Ausgabe 1740 bis 1750 erfolgte. direktor und Stadtschultheißen. Nach seiner Pen- tung der Stadt Halle einbrachte. Seinen Doktor- Ein weiterer verlegerischer Erfolg war die aus dem sionierung 1815 widmete er sich verstärkt seiner grad erwarb er 1660 und konnte im selben Jahr Englischen übersetzte „Allgemeine Welthistorie“ Liebhaberei, dem Münzsammeln. Als Besitzer das Salzgrafenamt übernehmen, welches er fast in 66 Bänden. Der wirtschaftliche Erfolg ebnete einer ansehnlichen Sammlung in seinem Hause 25 Jahre innehatte. Ihm gelang eine grundlegende Gebauer auch den Aufstieg in das hallesche Patri- genoß er einen wissenschaftlich bedeutsamen Reformierung und Modernisierung des Salinebe- ziat. 1764 gelang Gebauer der Erwerb des ehe- Ruf. Nach seinem Tode am 5. Juli 1839 auf sei- triebes. Seine Erkenntnisse faßte er 1670 in dem mals Wolff`schen Hauses in der Großen Märker- nem Landgut in Stichelsdorf bereiteten die Hallo- Buch „Das Saltz-Werck zu Halle in Sachsen“ zu- straße, welches für mehr als 180 Jahre Sitz des er- ren ihrem letzten Salzgrafen einen würdigen Ab- sammen, noch heute eine unerläßliche Quelle folgreichen Druckerei- und Verlagshauses schied. der Stadtgeschichte. Gebauer-Schwetschke bleiben sollte.

17 Bogen 36 Bogen 41 Bogen 41 Carl August Schwetschke Johann Friedrich Gottlieb Goldhagen Carl Julius Dryander (29.09.1756 - 19.09.1839) (21.05.1742 - 10.01.1788) (30.08.1811 - 17.02.1897)

Carl August Schwetschke wurde am 29. Septem- Johann Friedrich Goldhagen stammt aus der Carl Julius Dryander wurde am 30. August 1811 ber 1756 als zweites Kind eines sächsischen Kauf- Harzstadt Nordhausen, wo er am 21. Mai 1742 als zweiter Sohn des halleschen Justizrates mannes in Glaucha geboren. Nach dem Abschluß als Sohn des Gymnasialdirektors Johann Friedrich Dryander geboren. Seine Familie galt der heimatlichen Lateinschule begann er im Som- Eustachius Goldhagen geboren wurde. Seine als eine hochangesehene Beamtendynastie, die mer 1771 eine Lehre an der berühmten Waisen- schulische Ausbildung absolvierte er in Nord- Ende des 17. Jahrhunderts aus Merseburg einge- hausbuchhandlung in Halle. Eine dreijährige Aus- hausen, Magdeburg und an den Franckeschen wandert war. Nach dem Besuch des Pädagogi- bildung absolvierte er an deren Zweigstelle in Stiftungen in Halle, die schon sein Vater besuch- ums der Franckeschen Stiftungen begann Berlin, ehe er in Leipzig als Kommis in einer te. Im Jahre 1760 schrieb er sich an der Medizini- Dryander das Jurastudium in Halle und Berlin. Buchhandlung und ab 1780 in Bern arbeitete. schen Fakultät ein. Seine Lehrer waren unter an- In Berlin sammelte er als Obergerichtsassessor 1783 kehrte er nach Halle zurück, um die Ge- deren die Professoren jun., erste Berufserfahrungen und kehrte 1843 nach schäftsführung der Hemmerdeschen Verlags- Philipp Adolph Böhmer und Friedrich Christian Halle zurück. Als Syndikus übernahm er die Ver- buchhandlung zu übernehmen. Hier wurde er Juncker. Nach seiner Promotion im Jahre 1765 waltung aller ökonomischen Belange der 1788 durch die Besitzerin Johanna Hemmerde als begann er, Privatvorlesungen anzubieten. Seine Franckeschen Stiftungen bis zum Jahre 1886. Teilhaber aufgenommen und führte den Verlag zu Erfolge in der Ausbildung wurden vier Jahre spä- Erfolgreich gelang ihm die Entwicklung der großen wirtschaftlichen und verlegerischen Erfol- ter mit einer außerordentlichen Professur hono- „erwerbenden Institute“, der Buchhandlung, der gen, die durch seine Söhne fortgesetzt wurden. Er riert. Durch die spätere Professur für Naturge- Cansteinschen Bibelanstalt und der Buchdrucke- gehörte zu den angesehensten deutschen Buch- schichte las er an zwei Fakultäten und betrieb rei. Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 1850 händlern seiner Zeit und erwarb sich über die darüber hinaus eine eigene Praxis in der Stadt. wurde er als dessen Nachfolger gleichzeitig zum Grenzen Halles hinaus Verdienste durch die Re- Im Jahre 1772 ernannte ihn der Magistrat der Syndikus der Pfännerschaft berufen. Als Stadtver- form des Verlags- und Autorenrechtes. Es gelang Stadt zum Stadtphysikus, welcher gleichzeitig ordneter seit 1846 und unbesoldeter Stadtrat seit ihm besonders, das Unwesen des Nachdruckes die medizinische Aufsicht für den Saalkreis und 1851 setzte er sich mustergültig für das Gemein- zu bekämpfen. Am Ende seines Lebenswerkes Mansfeld wahrzunehmen hatte. In Anerkennung wohl ein. Seine besondere Aufmerksamkeit fan- konnte er auf 816 verlegte Werke zurückblicken, des „besten practischen Medicus in Halle“ er- den die Entwicklung des Sparkassenwesens und unter denen sich auch Arbeiten des Weltumseg- hielt er 1787 die Direktion des neu geschaffenen die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten. In lers Forster, des Historikers Sprengel und des Phi- Universitätsklinikums. Sein größter Schüler war Würdigung dieser Verdienste über einen Zeit- lologen Bernhardy befanden. Für Halle wirkte er Johann Christian Reil, der nach Goldhagens raum von fast 50 Jahren verlieh ihm die Stadtver- ab 1818 als ehrenamtlicher Stadtrat und zählte zu frühem Tode dessen Nachfolger wurde. ordnetenversammlung am 19. Dezember 1892 den Begründern der halleschen Sparkasse. das Ehrenbürgerrecht.

18 Bogen 44 Bogen 47 Bogen 53 Johann Reinhold Forster Friedrich Hoffmann Johann Salomon Semler (22.10.1729 - 09.12.1798) (19.02.1660 - 12.11.1742) (17.12.1725 - 14.03.1791)

Der Lebensweg des als „Weltumsegler“ berühmt Friedrich Hoffmann, der als Sohn eines Arztes am Der Lebensweg des bedeutendsten Theologen gewordenen Wissenschaftlers verband sich schon 19. Februar 1660 in Halle geboren wurde, mußte des 18. Jahrhunderts Johann Salomon Semler in früher Jugend mit der Stadt Halle. Nach der schon mit 15 Jahren die schmerzliche Erfahrung scheint vorausbestimmt gewesen zu sein. Als schulischen Ausbildung im Joachimsthalschen der Hilflosigkeit machen, als er innerhalb einer Sohn eines Pfarrers in Saalfeld am 17. Dezember Gymnasium in Berlin studierte er von 1748 bis Woche seine Eltern und die älteste Schwester 1725 geboren, kommt er 1744 als Theologiestu- 1751 an der hiesigen Theologischen Fakultät. nach einem hitzigen Fieber verlor. Nach dem Be- dent an die hallesche Alma mater. Er bezieht eine Nach dem Studium nahm er eine Predigerstelle in such des Stadtgymnasiums begann er 1678 das Wohnung in den Franckeschen Stiftungen, hört Danzig an und bereiste 1765 im Auftrag des Studium der Medizin an der Universität Jena. theologische Vorlesungen und beschäftigt sich Zaren die Kolonistengebiete an der Wolga. Eine Dieses schloß er 1681 mit dem Doktorgrad ab. mit dem Studium der orientalischen Sprachen. In Anstellung als Lehrer führte ihn nach England, ehe Nach einer Bildungsreise, die ihn durch Holland der Theologie gehört er bald zu den besten er mit seinem Sohn Georg an der von 1772 bis und England führte, ließ er sich 1685 in Minden Schülern von Sigmund Jakob Baumgarten, der 1775 dauernden Weltumseglung unter dem Ka- als Garnisonsarzt und späterer Hofmedikus nie- ihn mit den kritischen Methoden des Aufklärers pitän James Cook teilnahm. Im Jahre 1777 erschi- der. Sein Weg führte ihn über Halberstadt 1693 Wolff vertraut macht. Seine eigene akademische en die von ihm verfaßte Beschreibung der Fahrt zurück in seine Heimatstadt Halle. Hier hatte er Laufbahn führte ihn zunächst 1751 über Coburg zuerst in englischer und 1778 auch in deutscher die große Aufgabe, die Medizinische Fakultät zu nach Altdorf, wo er eine Professur für Eloquenz Sprache. Selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten begründen. Er schuf ihre Statuten und entwarf erhält. Doch schon 1753 kehrte er nach Halle geraten, gelang es seinem Sohn, eine Professur für auch ihr Siegel. Seinem europäischen Ruf als aus- zurück, um durch die Vermittlung des väterli- Naturgeschichte und Mineralogie an der halle- gezeichneter Praktiker und Wissenschaftler ver- chen Freundes Baumgarten eine Professur für schen Universität für den Vater zu erlangen. Hier dankte die Fakultät ihre erste Blüte. Viele Fürsten Theologie zu übernehmen. Im praktischen Leben wirkte dieser ab 1780 und erlangte große Ver- suchten seinen Rat, und von 1709 bis 1712 wirk- eher als menschenscheu und lebensfern einge- dienste um den Botanischen Garten. Durch viel- te Hoffmann als Leibarzt Friedrichs I. in Berlin. schätzt, entwickelte er sich durch seine bahnbre- fältige Kontakte versorgte er diesen mit Samen In Anerkennung seiner Leistungen wurde er als chenden Arbeiten zum führenden Vertreter der und Pflanzen aus aller Welt. Durch „seine Heftig- Mitglied der Leopoldina, der königlich-preußi- deutschen Aufklärungsphilosophie. Er gilt als Be- keit, seine Geradheit und sein offenes Herz“ schuf schen Akademie in Berlin, der Großbritanni- gründer der historischen Methode in seinem Wis- er sich auch in Halle nicht nur Freunde. Bei sei- schen Sozietät in London und der Russischen senschaftszweig. 1757 wurde er Leiter des Theo- nem Tode am 9. Dezember 1798 beklagte die Akademie in Petersburg berufen. Unvergessen logischen Seminars und stand in den Jahren Universität den Verlust eines hervorragenden sind auch heute noch die als Magenmittel be- 1761/62 und 1770/71 als Prorektor an der Spitze Lehrers und Weltgelehrten. kannten„Hoffmann`s Tropfen“. der Universität.

19 Bogen 57 Bogen 58 Bogen 60 Friedrich Madeweis Johann Christoph Dreyhaupt Dorothea Händel (10.11.1648 - 07.08.1705) (20.04.1699 - 12.12.1768) (08.02.1651 - 27.12.1730)

Der am 10. November 1648 geborene Neumär- Geboren wurde Johann Christoph Dreyhaupt am Die Familie Händel taucht erstmals 1685 in der ker Pfarrerssohn absolvierte das Stargarder Gym- 20. April 1699 als Sohn eines wohlhabenden Restanten-Liste des Gottesackers auf, nachdem nasium, um schon nach dem ersten Studienjahr Kaufmanns in dem Geschäftshaus „Goldener eine Hälfte des zumindest seit 1661 verfallenen an der Universität Jena 1665 den Magistergrad Stern“ am Kleinen Berlin. Nach einem kurzen Grabbogens Nummer 60 durch den Kammerdie- zu erhalten. Seine erste Anstellung bekam er als Ausflug in die Welt des Handels, eine Leipziger ner Georg Händel erworben wurde. 1670 wurde Konrektor des berühmten Berliner Gymnasiums Lehre brach er bald ab, schrieb er sich 1718 an der Bogen für 43 Thaler und 9 Groschen neu auf- „Zum grauen Kloster“, an dem er von 1672 bis der halleschen Universität in das Studium der gerichtet. Es wird vermutet, dass sich hier die 1681 wirkte. In diesem Jahr kam er als staatlicher Rechte ein. 1725 begann er seine juristische Lauf- Grabstätte von Händels Mutter befindet. Postmeister in das kurbrandenburgische Halle, bahn als Advokat im Saalkreis und Fiskal der fran- Dorothea Händel wurde 1651 als Tochter des um das Postwesen hier aufzubauen. Madeweis zösischen Gemeinde von Halle. Schon 1729 wur- Dieskauer Pfarrers Georg Taust. Der Großvater verfolgte als Universalgelehrter über seine Ver- de er zum Beisitzer des Schöffenstuhls berufen, väterlicherseits, Johann Taust, war als böhmischer waltungsaufgaben hinaus wissenschaftliche Zie- dessen Senior er bereits zwei Jahre später wurde. Exilant nach Halle gekommen. Die Ehe mit dem le in Halle. Um eine eigene Lehranstalt zu be- Seine politische Karriere läßt ihn die Ämter des 61-jährigen Witwer Georg Händel, Amtschirurg gründen, ließ er 1702 am Großen Berlin ein nach Stadtschultheißen und des Salzgrafen, des höch- des Amtes Giebichenstein, Kammerdiener und seinen Plänen entworfenes Gebäude errichten. sten Beamten der königlichen Saline, überneh- Leibarzt von Herzog August von Sachsen, schloß Dieses „Riesenhaus“ bezeichnete er als men. In Anerkennung seiner Verdienste wurde ihr Vater am 23.04.1683 in der Bartholomäus-Kir- „Athenaeum Salomoneum“ und lud die Studie- Dreyhaupt 1742 in den Adelsstand erhoben. Dar- che. Aus der Ehe gingen 4 Kinder hervor. Der älte- renden zum Erlernen der Mathematik, Physik, über hinaus war er als Historiker von Rang aner- ste Sohn starb 1684 im Kindbett. Georg Friedrich Natur, Medizin, von Recht, Politik und Statistik kannt worden. Noch heute gilt seine zweiteilige Händel wurde am 23.02.1685 geboren, die Töch- ein. Seine Akademie konnte er jedoch nicht „Beschreibung des Saalkreises“ aus den Jahren ter Dorothea Sophia am 06.10.1687 und Johanna mehr zum Erfolg führen, da er am 7. August 1705 1749 und 1750 als eine der grundlegendsten Ar- Christiana am 10.01.1690. Letztere starben im entkräftet an einem Schlaganfall verstarb. Seine beiten zur Geschichte der Stadt Halle und von de- Kindesalter. Für das musische Talent Georg Fried- erste Ruhestätte fand er in der Schulkirche am ren Umland. Für ihre mühevolle Erstellung hatte richs brachte der Vater kein Verständnis auf. So heutigen Universitätsplatz, die 1811 durch er über 12.000 Dokumente kritisch verglichen übten er und seine Mutter heimlich auf dem Boden Johann Christian Reil zu einem Theatergebäude und mehr als 1.000 Urkunden abgeschrieben. Al- am Klavichord. Der Ehemann Georg verstarb umgebaut wurde. Daraufhin wurde er auf den lein wirtschaftlich bedeutete das große Werk für 1697. Georg Friedrich lebte ab 1716 nicht mehr in Stadtgottesacker umgebettet. seinen Schöpfer den Ruin. Halle. Über Briefe hielten Mutter und Sohn aber Kontakt. Er besuchte seine Mutter von England aus, so oft es ging. Dorothea Händel erlitt einen Schlag- anfall und erblindete. Im Juni 1729 kommt der Sohn zu der Kranken. Am 27.12.1730 verstirbt sie fast 80-jährig. In der Grabrede heißt es: „Es hat die kindliche Liebe gegen seine Frau Mutter den Herrn Sohn mehr als einmal aus England anhero nach Halle gezogen.“ An seinem Geburtstag am 23.02.1731 gedenkt Georg Friedrich im Trubel der Ehrungen seiner Mutter: „Ihr Gedächtnis wird in- dessen nimmer bey mir verlöschen, biß wier nach diesem Leben wieder vereinigt werden...“

Der Trauungseintrag von Georg Friedrich Händels Eltern

20 Bogen 61 Bogen 74 Bogen 74 Ludwig Heinrich von Jakob Johann Olearius Gottfried Olearius (26.02.1759 - 22.07.1827) (17.09.1546 - 26.01.1623) (01.01.1604 - 20.02.1685)

Der in Wettin am 26. Februar 1759 geborene Johann Olearius stammte aus Wesel am Nieder- Gottfried Olearius wurde am 1. Januar 1604 in Ludwig Heinrich Jakob erhielt seinen ersten Un- rhein, wo er am 17. September 1546 als Sohn Halle als Sohn des berühmten Theologen und terricht in der Domschule von Merseburg, ehe er eines Ölschlägers geboren wurde. Ursprünglich Oberpfarrers der Marktkirchengemeinde Johann ab 1773 das Gymnasium in Halle besuchte. An für eine Handwerkerausbildung in Antwerpen Olearius geboren. Nach dem Besuch des Stadt- der hiesigen Universität begann er 1777 das Stu- vorgesehen, schickte ihn der Vater an das gymnasiums unter der Leitung des hochangesehe- dium der Philologie. Aus verarmten Verhältnissen Düsseldorfer Gymnasium. Sein Theologie- nen Magisters Evenius begann er 1622 ein Studi- stammend, erwarb er sich den Lebensunterhalt Studium absolvierte er in Marburg und Jena, wo um der Philosophie und Theologie an der Univer- durch Erteilen von Privatunterricht an begüterte er im Januar 1573 seinen Magister ablegte. sität Jena. Durch den Tod des Vaters war er Studenten. Nach erfolgreichem Abschluß des Stu- Er schloß eine mehrjährige Lehrertätigkeit in wirtschaftlich gezwungen, ein Stipendium in Wit- diums fand er 1781 eine Anstellung als Gym- Königsberg an, bevor er in Halle im Juni 1577 tenberg anzunehmen, wo er 1625 die Magister- nasiallehrer. Nach der Promotion und weiterer eine Professur für hebräische Sprache übernahm. würde erlangte. Hier wirkte er für einige Jahre als Beschäftigung mit philosophischen Fragen erhielt Das Amt des Oberpfarrers der Marktkirchenge- akademischer Lehrer, ehe er 1634 den Ruf an die er 1789 eine außerordentliche Professur. Weiter- meinde, verbunden mit der Superintendentur, hallesche Ulrichskirche als Pfarrer erhielt. Seine hin beschäftigte er sich mit Fragen der National- wurde Olearius 1581 übertragen. Weiterhin Organisationsgabe, ein hohes rhetorisches Ge- ökonomie und der Staatswissenschaften. Im Er- lehrte er am Stadtgymnasium die hebräische schick und sein wissenschaftlicher Fleiß erlaubten gebnis der Auflösung der Universität durch Napo- Sprache und setzte sich für die Ausbildung der ihm im Jahre 1647 die Übernahme der Super- leon im Jahre 1806 nahm er eine Berufung an die Theologiestudenten ein. Er gründete ein vielbe- intendentur als Oberpfarrer der Marktkirche. In- Universität Charkow an. Nach einer Arbeit über suchtes theologisches Seminar für Universitäts- tensiv bemühte er sich durch die Abhaltung von das russische Papiergeld wurde er 1809 als Mit- abgänger. In der Auseinandersetzung um das theologischen Kollegs um die Ausbildung des ei- glied einer Finanzkommission nach Petersburg Verständnis der Concordienformeln mit den re- genen Berufsstandes. Besondere Verdienste er- berufen und verfaßte einen „Entwurf eines Crimi- formierten Geistlichen des Fürstentums Anhalt warb sich Gottfried Olearius als erster Stadtchro- nalgesetzbuches für das russische Reich“. Die nahm er eine zentrale Stellung ein. Er gilt als nist mit seinem 1667 in Leipzig erschienenen Rückkehr nach Halle im Jahre 1816 verband die Begründer der lutherischen Orthodoxie in Mittel- Werk „Halygraphia“. Als besonders verdienstvoll russische Regierung mit der Erhebung in den deutschland, die erst durch Francke zurückge- kann die gelungene Schilderung der Struktur der Adelsstand. In Halle wirkte er weitere 10 Jahre drängt wurde. Seiner im Jahre 1579 geschlosse- Verwaltung, der Kirchen und die Beschreibung und veröffenlichte das zweibändige Werk nen Ehe entstammte die Tochter Katharina, die der Stadttopographie gelten. Über seine Amts- „Die Staatsfinanzwissenschaft“. Urgroßmutter des Komponisten Georg Friedrich pflichten hinaus galt er als guter Botaniker, Musi- Händel. ker und Astronom.

21 Bogen 75 Bogen 77 Bogen 77 Michael Alberti Samuel Stryk (Strykius) Johann Peter von Ludewig (13.11.1682 - 17.05.1757) (22.11.1640 - 23.07.1710) (15.08.1670 - 06.09.1743)

Michael Alberti wurde am 13. November 1682 Samuel Stryk, der berühmteste Jurist seiner Zeit in Der aus dem Schwäbischen stammende Sohn als 11. Kind des Nürnberger Predigers Paul Mar- Deutschland, wurde am 22.11.1640 in Schloß eines Amtmannes galt als eine der einflußreich- tin Alberti geboren. Nach dem Besuch des Gym- Lentzen (Priegnitz) als Sohn eines brandenburgi- sten und populärsten Persönlichkeiten in der nasiums studierte er an der Universität Altdorf schen Amtmanns geboren. Nach dem Studium ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Halle. Er Biologie, Naturlehre, Mathematik, Philosophie, der Jurisprudenz in Frankfurt/Oder begann er dort wurde am 15. August 1670 in Hohenhard bei Geschichte und Geographie. Als Hofmeister ge- eine Lehrtätigkeit. 1690 folgte er einem Ruf nach Schwäbisch-Hall geboren. Nach dem Studium langte er nach Jena und wandte sich unter Profes- Wittenberg als Leiter der Juristischen Fakultät, der Theologie in Tübingen und Wittenberg er- sor Wedel der Medizin zu. Ab Oktober 1701 stu- wurde gleichzeitig Oberappellationsrat in Dres- warb er im Jahre 1688 den Magistertitel und be- dierte er in Halle Medizin, unter anderem bei den. In dieser Zeit begann er die Veröffentlichung gann eigene Vorlesungen über Philosophie und Georg Ernst Stahl. Er fand die Unterstützung des seines Hauptwerkes „Usus modernus pandec- die Beredsamkeit. Die Pläne für die Alma mater Waisenhausgründers Francke und begann eigene tarum“. 1692 wird er zur Einrichtung der Univer- halensis zogen Ludewig 1692 in die Saalestadt. Vorlesungen nach der Erlangung des Doktorgra- sität Halle nach Brandenburg zurückberufen als An der Philosophischen Fakultät begann er als des bereits 1704. Nach einem kurzen Aufenthalt Direktor der Universität und Professor primarius Adjunkt seine beachtliche Universitätskarriere. in seiner Heimatstadt kehrte er nach Halle zurück der Juristischen Fakultät. Als erster deutscher Pro- Schon 1695 erhielt er die Professur für theoreti- und erhielt 1710 eine außerordentliche Professur fessor erhält er den Geheimratstitel. Mit Veit sche Philosophie. Gleichzeitig wirkte er als Hi- an der Medizinischen Fakultät. Schon 1713 er- Ludwig von Seckendorff und Christian Thomasius storiker und erwarb sich als Archivar und Histo- folgte die Aufnahme in die angesehene Akade- war er maßgeblich am Aufbau der Universität be- riograph des Herzogtums Magdeburg große Ver- mie der Naturforscher Leopoldina. Nach Stahls teiligt, der er dreimal als Rektor vorstand. Sein dienste um die Landesherrschaft und die Berufung an die Berliner Universität im Jahre Lehrerfolg begründete sich durch die enge Ver- Geschichtsschreibung unserer Heimatstadt. In 1715 wurde Alberti sein Nachfolger, dessen Ver- bindung von Lehre und Praxis. Die Bezeichnung Anerkennung seiner Verdienste wurde er 1722 dienste auch auf dem Gebiet der Gerichtsmedi- „Usus modernus“ hat einer ganzen Juristengene- Kanzler der Universität und 1742 Kanzler der zin lagen, bei der er sich aufklärerisch für eine ration den Namen gegeben. Als seine Schüler sind Landesregierung. Mit der Gründung der Schonung kranker Angeklagter einsetzte. Gleich- neben Thomasius vor allem Böhmer, Gundling, „Wöchentlichen Hallischen Anzeigen“ gelang zeitg erhielt er eine Professur für Physik an der Heineccius, Ludovici und Ludewig anzusehen. ihm 1729 die erfolgreiche Herausgabe der ersten Philosophischen Fakultät. In der Universitätsver- Stryk ging es vor allem um den gerechten Aus- regelmäßig erscheinenden halleschen Zeitung. waltung bewährte er sich als Dekan der Medizi- gleich zwischen der römischen Grundlage des Seine Privatbibliothek mit über 13.000 Bänden nischen und der Philosophischen Fakultät und als Privatrechts und den Regeln des einheimischen und 802 Handschriften galt als eine der schön- Rektor der Universität. Rechts. sten in Halle.

22 Bogen 78 Bogen 80/81 Bogen 80/81 Justus Henning Böhmer Johann Anastasius Freylinghausen August Hermann Francke (29.01.1674 - 23.08.1749) (02.12.1670 - 12.02.1737) (22.03.1663 - 08.06.1727)

Justus Henning Böhmer wurde am 29. Januar Johann Anastasius Freylinghausen ging in die Der am 22. März 1663 als Sohn des Juristen 1674 in Hannover als Sohn eines Advokaten ge- hallesche Stadtgeschichte als Weggefährte, Johannes Francke geborene Bremer kam im Jahre boren. Nach dem Studium der Rechte in Jena in Freund und Nachfolger August Hermann 1692 in unsere Saalestadt, um an der neu begrün- den Jahren 1693 bis 1695 kehrte er nach Hanno- Franckes ein. Er wurde am 2. Dezember 1670 zu deten Universität eine Professur für orientalische ver zurück, um hier als Advokat zu wirken. Davon Gandersheim als Sohn des Bürgermeisters gebo- Sprachen zu übernehmen. Seine wissenschaftli- unbefriedigt, wechselte er nach Rinteln, um eine ren. Seine theologische Ausbildung begann er che Ausbildung als Theologe hatte er ab 1679 an Hofmeisterstelle anzunehmen. Von hier aus ge- 1689 an der Jenenser Universität. Er galt als den Universitäten in , Kiel und Leipzig erhal- langte er nach Halle und lernte Samuel Stryk und Franckes bester Schüler und erlangte schon früh- ten. In Halle wurde er gleichzeitig Pfarrer der Christian Thomasius kennen. Bereits ein Jahr vor zeitig dessen Freundschaft. Nach dem Abschluß Georgenkirche in der selbständigen Amtsstadt dem Erlangen der Doktorwürde erhielt er 1701 der Studien in Halle im Jahre 1693 begann er Glaucha, welche sich südlich der Stadtmauer von eine außerordentliche Professur. Er erwarb 1703 1695 als Franckes Gehilfe an dessen Stiftungen Halle erstreckte. Deren wirtschaftliche und mora- das Bürgerrecht und besaß die Häuser Große in Glaucha zu wirken. Auch privat verband er lische Zustände riefen in dem jungen Theologen Märkerstraße 5 und ab 1719 das Haus Nr. 8. Mit sich mit Francke, als er 1715 dessen einzige den Willen zur Veränderung hervor. Mit der Er- der ordentlichen Professur im Jahre 1711 verband Tochter Johanna Sophia Anastasia heiratete. richtung einer Armenschule in seinem Pfarrhaus sich auch eine Karriere in der Universitätsverwal- Über die Stiftungen hinaus wirkte er an der Theo- begann er 1695 sein Lebenswerk, welches ihn tung, der er ab 1731 als Direktor vorstand. 1743 logischen Fakultät, indem er mit den Studieren- zum bedeutendsten Pädagogen des Pietismus wurde er nach dem Tode von Johann Peter von den Übungen abhielt. In Anerkennung seiner werden ließ, und die 1698 begründeten Waisen- Ludewig als dessen Nachfolger durch den preußi- Verdienste wurde er 1723 zum Subdirektor des anstalten vor den Toren Halles führten zu dessen schen König zum Ordinarius der Juristischen Fa- Pädagogiums und des Waisenhauses berufen. Ruf als progressiver Schulstadt in der gesamten kultät und Regierungskanzler des Herzogtums Nach Franckes Tod im Jahre 1727 übernahm er Welt. Wirtschaftlich gelang ihm die Verbindung Magdeburg berufen. Als sein Hauptwerk gilt das dessen Ämter als Direktor der Stiftungen und von bürgerlichem Stifterwillen mit einem weitge- fünfbändige „Protestantische Kirchenrecht“, in Pastor an St. Ulrich. Besondere Achtung erwarb fächerten Firmenkanon, von der Buchhandlung den Jahren 1714 - 1737 erschienen. In ihm erläu- er sich in seiner Zeit als einer der vorzüglichsten über die landwirtschaftlichen Betriebe bis hin zur tert er die Lehren des katholischen und protestan- Kirchenmusikdichter. Nach einem Schlaganfall Waisenhausapotheke. Nach seinem Tode am tischen Kirchenrechts aus der Kirchengeschichte im Jahre 1728 in seiner Arbeitskraft behindert, 8. Juni 1727 begleiteten ihn mehrere tausend heraus und gibt damit der Lehre von den Quellen verstarb er am 12. Februar 1737 im ehemals Hallenser und seine Zöglinge auf dem Weg zum des protestantischen Kirchenrechts erstmals eine Franckeschen Wohnhaus. Stadtgottesacker. historische Grundlage.

23 2. Teil Gräber im Mittelfeld

Bogen 83 Abt. IV Nr. 245 Abt. II Nr. 25 Johann Andreas Segner Carl Adolph Riebeck Robert Franz (09.10.1704 - 05.10.1777) (27.09.1821 - 28.01.1883) (28.06.1815 - 24.10.1892)

Johann Andreas Segner wurde am 9. Oktober Die Lebensgeschichte des am 27. September Der als Sohn einer alten halleschen Hallorenfami- 1704 in Preßburg als Sohn des dortigen Stadtkäm- 1821 als Sohn eines Bergmannes in Clausthal ge- lie in der Brunos Warte 13 am 28. Juni 1815 Ge- merers und Steuereinnehmers Johann Michael borenen Carl Adolph Riebeck liest sich wie die borene blieb seiner Heimatstadt treu, obwohl er Segner geboren. Im Jahre 1714 begann er den Be- sprichwörtliche Geschichte des Aufstiegs vom schon als junger Künstler die Anerkennung Robert such des Gymnasiums und nahm im Jahre 1725 Tellerwäscher zum Millionär. Früh mußte er als Schumanns und die Freundschaft von Franz Liszt an der Universität Jena ein Studium der Medizin, Bergjunge zum Unterhalt der Familie beitragen. errang. Nach dem Besuch der lateinischen Haupt- Philosophie und Mathematik auf. Nach seiner Seine schnelle Auffassungsgabe und der unbe- schule absolvierte er die Musikschule von medizinischen Promotion kehrte er 1730 nach dingte Leistungswille ermöglichten ihm den Weg Friedrich Schneider in Dessau. Im Jahre 1841 Preßburg zurück und wirkte hier als praktischer zum Berginspektor der Sächsisch-Thüringischen übernahm er das Organistenamt an der Ulrichs- Arzt. Bereits 1732 ging er nach Jena zurück, um AG für Braunkohlenverwertung. Ohne einen Uni- kirche und leitete von 1842 bis 1867 die Halle- dort seinen Magistergrad zu erwerben und mathe- versitätsabschluß traf er aber bald auf Grenzen in sche Singakademie, welche seit dem Jahre 1907 matische Vorlesungen zu halten. 1735 erhielt er seiner Karriere und begab sich 1858 in das unsi- den Namen ihres prägenden Leiters erhielt. Als den Ruf nach Göttingen und trat eine Professur für chere Gebiet der Selbständigkeit. In der halle- Liederkomponist von über 350 Werken knüpfte er Mathematik und Naturlehre an. Seine mathemati- schen Bankiersfamilie Lehmann hatte er einen zu- an die vorromantische Kleinkunst an, die er im Stil schen und naturkundlichen Werke begründeten verlässigen Geldgeber gefunden. Verdienste er- des Biedermeier weiterentwickelte. Die Univer- seinen Ruf über die Universität hinaus. In zwei warb sich Riebeck als Pionier der Braunkohlen- sität ernannte den Komponisten und Kämpfer für wissenschaftlichen Programmen zu Fragen der schwelerei, wobei aus bitumenhaltiger Kohle in die Bachschen und Händelschen Werke in seiner Hydrodynamik stellte er 1750 seine Erfindung ei- einem Trockenschwelverfahren Ölprodukte ge- neuen Bearbeitung im Jahre 1859 zum Univer- nes Wasserrades dar, welche ihn zum „Vater der wonnen wurden. Im Jahr seines Todes beschäftig- sitätsmusikdirektor. Auf Grund einer zunehmen- Turbinentechnik“ werden ließ. Im April 1854 ten seine vielfältigen Unternehmungen 3200 Ar- den Ertaubung mußte sich Franz ab 1867 aus dem wurde er in der Nachfolge von Christian Wolff an beiter, für die er schon vor der Bismarckschen So- Musikleben zurückziehen und geriet in eine ge- die hallesche Universität berufen. Neben dem zialgesetzgebung mit einer Krankenkasse oder wisse Vereinsamung. Umso mehr erfreute ihn die universitären Wirken redigierte er mehrere Jahre durch die Errichtung von Wohnungen, hier sei auf Verleihung der Ehrenbürgerschaft im Jahre 1885 die „Wöchentlichen Hallischen Anzeigen“, wel- die Häuser der Vereinsstraßen hingewiesen, sorg- zu seinem 70. Geburtstag durch die Stadtverord- che er auch zur Publizierung seiner Arbeiten te. In Anerkennung seiner Verdienste auch als netenversammlung. Eine weitere Ehrung folgte im nutzte. In Anerkennung seiner Verdienste wurde Stadtverordneter wurde der Leipziger Platz, an Jahre 1903 durch die Aufstellung eines Denkmals er zum Mitglied der wissenschaftlichen Akademi- dem sein Wohn- und Geschäftshaus stand, 1891 für den Liedkomponisten am Universitätsring und en in London, Berlin und Petersburg berufen. in Riebeck-Platz umbenannt. die Verleihung eines Straßennamens.

24 Abt. IV Nr. 19 Abt. III Nr. 347-350 Abt. III Nr. 343 Carl Wentzel Albert Dehne Gustav Staude (09.12.1876 - 20.12.1944) (13.09.1832 - 09.02.1906) (26.06.1843 - 15.02.1909)

Geboren wurde Carl Wentzel am 9. Dezember Albert Dehne wurde in Halle am 13. September Gustav Staude wurde am 26. Juni 1843 auf dem 1876 in der Saalkreisgemeinde Brachwitz. Nach 1832 als Sohn eines Steuerbeamten geboren. väterlichen Gut Wendorf im Kreis Rügen geboren. dem Besuch des Naumburger Domgymnasiums Nach Abschluß der Schulzeit erlernte er das Nach seiner Schulausbildung, die er mit dem Ab- nahm er ab 1896 in Lausanne ein Studium der Handwerk eines Mechanikers und Optikers und itur am Pädagogium in Putbus 1863 beendete, Rechte auf. Wohl auch aus Heimweh brach er eröffnete 1857 eine eigene Werkstatt in der nahm er in Heidelberg und Berlin ein juristisches das Studium nach nur einem Semester ab, leiste- Großen Märkerstraße. Er entwickelte sie zu einer Studium auf. Nach ersten Erfahrungen im Ge- te seinen Militärdienst ab und begann seine kauf- florierenden Armaturenfabrik, deren räumliche richtswesen startete er 1873 seine kommunalpoli- männische und landwirtschaftliche Lehre im Erfordernisse 1862 den Umzug in die Schimmel- tische Laufbahn als Syndikus der Stadt Liegnitz. Hannoverschen. Ab dem Jahre 1902 konnte der straße erzwangen. Hier betrieb er die Maschinen- Im April 1881 trat er seinen Dienst als Zweiter junge Landwirt erste eigene Erfahrungen auf dem fabrik in Verbindung mit einer Eisengießerei. Bürgermeister der Stadt Halle an. Der unerwartet Pachtgut in Brachwitz sammeln. Mit dem Tode Nach dem Deutsch-Französischen Krieg gelang frühe Tod des Ersten Bürgermeisters Wilhelm Ber- des Vaters mußte Carl Wentzel im Frühjahr 1907 ihm mit der Fabrikation von Filterpressen für die tram war für Staude mit der Übernahme der Amts- die Gesamtleitung des Familienbetriebes über- Zuckerindustrie der Durchbruch, und er beschäf- pflichten zum 1. April 1882 verbunden. Er gestal- nehmen. Es gelang ihm die beträchtliche Ver- tigte über 800 Arbeiter in seiner Fabrik. Darüber tete erfolgreich die Geschicke der sich stürmisch größerung der bewirtschafteten Flächen und die hinaus befaßte er sich mit der Produktion von Ar- entwickelnden Industrie- und Handelsstadt an der Steigerung der Erträge durch die Modernisierung maturen für Wasser- und Gasleitungen, die Kana- Saale. Allein in den zweieinhalb Jahrzehnten von der Saatzucht und Produktverarbeitung. Respekt- lisation und der Herstellung von Dampfmaschi- 1879 bis 1905 vergrößerte sich ihr Territorium um voll wurde der auch sozial engagierte Unterneh- nen. Um 1890 verließen die Eisengießerei täglich 1.600 Hektar, und die Bevölkerungszahl stieg von mer als „Zuckerkönig“ oder „Krupp der Land- 20.000 kg fertige Gußwaren. Finanziell sehr 70.000 auf 169.828 Einwohner an. Seine Ver- wirtschaft“ bezeichnet. Sein Tod war Ergebnis erfolgreich, setzten sich Albert Dehne, der 13 Jah- dienste lagen in der Entwicklung des öffentlichen seines Widerstandes gegen das Hitlerregime. Als re Stadtverordneter war, und seine Frau Antonie Verkehrswesens (Straßenbahn), der Neugestal- Angehöriger des „Reusch-Kreises“ und potentiel- für die Belange der Stadt Halle und ihrer Bürgerin- tung des Hallmarktareals, dem Bau der Gas- und ler Landwirtschaftsminister im Schattenkabinett nen und Bürger ein. Seine bekannteste Spende Elektrizitätsanstalt auf dem Holzplatz und der Er- des ehemaligen Leipziger OB Dr. Carl Goerdeler galt der Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals richtung eines modernen Stadttheaters, welches wurde er nach dem Stauffenberg-Attentat am am heutigen Hansering. Die Stadt dankte ihm in seiner Gründungszeit zu den modernsten Büh- 30. Juli verhaftet und am 20. Dezember 1944 in durch die Verleihung eines Straßennamens schon nen in Deutschland zählte. Aus Anlaß seiner Ver- Berlin-Plötzensee hingerichtet. zu Lebzeiten im Jahre 1902 und der Ehrenbürger- abschiedung aus dem Amt im Jahre 1906 wurde schaft im Jahre 1903. ihm die Ehrenbürgerschaft verliehen.

25 Abt. II Abt. II Nr. 80 Abt. III Nr. 255 Karl August Wilhelm Bertram Gustav Friedrich Hertzberg August Tholuck (12.05.1788 - 11.08.1868) (19.01.1826 - 16.11.1907) (02.04.1799 - 10.06.1877)

Karl August Wilhelm Bertram wurde am 12. Mai Als Sohn eines Arztes am 19. Januar 1826 in Als Sohn eines Goldschmiedes am 2. April 1799 1788 als Sohn des angesehenen Mediziners Halle geboren, besuchte er das Pädagogium der in Breslau geboren, begann er nach dem Besuch August Wilhelm Bertram in der Kleinen Ulrich- Franckeschen Stiftungen und studierte anschlie- des lutherischen Gymnasiums ein Studium der straße 17 geboren. Nach dem Besuch des Stadt- ßend an den Universitäten Halle und Leipzig Orientalistik und Theologie in seiner Vaterstadt. gymnasiums studierte er Jura an der halleschen Theologie, Philologie und Geschichte. Den Grad Der Wechsel nach Berlin brachte ihm die Auffas- Universität. Nach ihrer Schließung 1806 nahm er eines Doktors erwarb er mit knapp 23 Jahren und sungen des neuerwachten Pietismus nahe. Nach eine Tätigkeit in Weimar auf. Nach seiner Rück- begann seine berufliche Laufbahn als Lehrer an der Habilitation im Jahre 1820 und der anschlie- kehr fand er 1808 eine Anstellung bei der Unter- seiner einstigen Schule. Gleichzeitig erwarb er ßenden Privatdozententätigkeit erhielt er bereits präfektur Halle des Königreichs Westfalen. Im die Lehrbefähigung als Privatdozent an der halle- 1823 eine Professur. Mit seiner im gleichen Jahr März 1813 wurde er zum Maire des Kantons Dies- schen Universität. Nach einer kurzen publizisti- erschienenen Schrift „Von der wahren Weihe des kau ernannt. Mit der Bildung der „Gesamtstadt schen Tätigkeit für das „Preußische Wochen- Zweiflers“ wurde er zur führenden Gestalt der Halle“ im Jahre 1817 machte sich die Bildung ei- blatt“ in Berlin kehrte er 1860 als außerordentli- neupietistischen Theologie. Mit dem Antritt sei- nes Magistrats notwendig. Der Gemeinderat wähl- cher Professor der Alten Geschichte nach Halle ner Professur für Theologie an der Universität te Bertram zum besoldeten Stadtrat für die Ressorts zurück. Über 29 Jahre sollte es dauern, bis er Halle im Jahre 1826 begannen für ihn starke Aus- des Militär- und Kommunalwesens. Seinem Wir- auch in Anerkennung seines literarischen Schaf- einandersetzungen mit dem damals noch vor- ken verdankt Halle den Neubau des Hospitals fens eine ordentliche Professur erhielt. Von 1866 herrschenden Rationalismus in Lehre und Predi- St. Cyriaci in Glaucha im Jahre 1825. Seit 1838 bis 1871 wirkte er als Redakteur des Halleschen geramt in den akademischen Gottesdiensten. So hatte er die Bürgermeisterstelle inne und wurde Tageblattes. Während er sich mit dem alten Grie- nahm er eine Predigerstelle an der Preußischen 1842 zum Oberbürgermeister gewählt. Neben chenland, der römischen Geschichte und der Gesandtschaft in Rom an, ehe er sich 1829 end- Ludwig Wucherer war er 1844 federführend an jüngeren Geschichte Großbritanniens beschäf- gültig in Halle niederließ. Seinen Zeitgenossen der Gründung der Handelskammer für Halle und tigte, liegt sein Hauptverdienst für die Hallenser galt er stets als geistvoll, rhetorisch gewandt und den Saalkreis beteiligt. Er vertrat die Stadtgemein- zweifelsohne in der dreibändigen „Geschichte oft zu satirischen Einfällen neigend. Auch durch de seit 1843 im Sächsischen Provinziallandtag. der Stadt Halle“, die er in den Jahren 1889 bis seine politischen Streitschriften galt er in der Zeit Von einer schweren Krankheit gezeichnet, mußte 1893 veröffentlichte. Die Stadt dankte ihm mit der 48er Revolution als einer der „bestgehaßten“ er im Herbst 1855, kurz nach Beginn einer zwei- der Verleihung der Ehrenbürgerschaft im Jahre Männer in Halle. Seine in über 50 Arbeitsjahren ten 12jährigen Amtszeit, sein Amt niederlegen. 1901 und aus Anlaß seines 80. Geburtstages zusammengetragene Bibliothek steht noch heute Seine Verdienste wurden mit dem Roten Adleror- 1906 mit der Verleihung des Titels eines dem Tholuck-Konvikt zur Verfügung. den Dritter Klasse mit Schleife gewürdigt. „Geheimen Regierungsrates“.

26 Abt. II Nr. 289 Abt. III Nr. 31 Abt. III Nr. 309 Rudolf Ernst Weise Agnes Gosche Anselma Heine (31.12.1844 - 05.08.1935) (26.08.1857 - 14.03.1928) (18.06.1854 - 09.11.1930)

Als zweiter Sohn eines Landwirtes am Silvester- Agnes Gosche wurde als Tochter des angesehe- Anselma Heine wurde am 18. Juni 1854 in Bonn tag des Jahres 1844 in Holleben geboren, be- nen Orientalisten und Literaturwissenschaftlers als Tochter des Mathematikprofessors Eduard Hei- suchte Rudolf Ernst Weise die Deutsche Schule Prof. Richard Gosche am 26. August 1857 in Ber- ne, welcher 1856 eine Berufung an die Universität der Franckeschen Stiftungen. Seine berufliche lin geboren. Sie gehörte mit ihrem im Jahre 1898 Halle annahm, geboren. Als Leiter des mathemati- Ausbildung erhielt er an der Gewerbeschule in in Zürich erworbenen Doktortitel zu den ersten schen Seminars ließ er sich 1865 eine geschmack- Halle und der Technischen Hochschule in Han- promovierten Philologinnen in Deutschland. Ihre volle Villa auf dem Eckgrundstück der Luisen- nover. Seine erste Anstellung fand er als Ingeni- ersten pädagogischen Erfahrungen sammelte sie straße zur Sophienstraße errichten. Die von freier eur der Hallischen Maschinenfabrik AG. Nach in Leipzig, wo sie in den Jahren 1904 bis 1911 Erziehung geprägte Kindheit Anselma Heines der Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg das „Lyzeum für Damen“ leitete. 1911 erhielt sie kannte nur eine große Leidenschaft, das Lesen. Mit 1870/71 gründete er zusammen mit seinem den Ruf zurück in unsere Saalestadt, um die Lei- fünf Jahren galt sie als „fertige Vorleserin“ und ver- Freund Alexander Monski 1872 eine Maschinen- tung der neugegründeten Städtischen Frauen- suchte sich mit acht Jahren an ersten Versen und fabrik auf einem Areal in der Nähe des Thüringer schule zu übernehmen. Die Einrichtung der Prosa. Der Wunsch nach geistiger Arbeit und Bahnhofs, welche sich hauptsächlich mit der ersten Kinderlesehalle im Jahre 1912 ist ihrer In- Selbständigkeit als junge Frau führte sie über die Produktion von Pumpen beschäftigte. Frühzeitig itiative zu verdanken. Als Vorkämpferin der bür- gesellschaftlichen Schranken ihrer Zeit hinaus. setzte er sich für die soziale Besserung der Lage gerlichen Frauenbewegung gründete sie 1900 Unterstützung fand sie dabei durch ihre seit 1881 der in seiner Firma beschäftigten Arbeiter ein. den Hallischen Frauenbildungsverein und stand verwitwete Mutter und ihren Bruder. Nach dem Dazu gehörte neben der Schaffung einer eigenen ihm 28 Jahre vor. Darüber hinaus arbeitete sie Tod der Mutter im Jahre 1896 verkaufte sie das el- Pensionskasse auch die Errichtung von bezahl- jahrelang verantwortlich im Vorstand des Halli- terliche Haus und zog in das pulsierende Berlin. baren Wohnungen in Fabriknähe, unweit der schen Lehrerinnenvereins. Politisch äußerst ak- Dort fand sie schnell Anschluß an die Kunst- und Merseburger Straße. Die auch nach der Tren- tiv, kandidierte sie 1919 bei den Wahlen für die Literaturszene. Von Anselma Heine erschienen nung von Alexander Monski im Jahre 1874 wei- Weimarer Nationalversammlung für die Deut- auch unter dem Pseudonym Feodor Helm bis terhin unter dem Namen „Weise & Monski“ pro- sche Demokratische Partei. Der politischen Bil- 1923 13 Werke, überwiegend Novellen und Ro- duzierten Pumpen trugen den Namen der Stadt dung der Frauen diente ein gemeinsam mit mane. Für Halle von besonderer Bedeutung dürf- als eines hervorragenden Standorts des Maschi- Helene Lange herausgegebenes „Politisches ten ihre Lebenserinnerungen sein, 1926 unter dem nenbaus in die ganze Welt. Von besonderer Be- Handbuch für Frauen“. Im Jahre 1915 gliederte Titel „Mein Rundgang. Erinnerungen.“ erschienen. deutung war der Export von Maschinen an die sie der Städtischen Frauenschule Lehrgänge für Am 9. November 1930 in Berlin verstorben, wur- Bergwerksindustrie in Rußland, Frankreich, Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Jugend- de ihre Urne am 24. Mai 1931 im Familiengrab Belgien und Rumänien. leiterinnen an. auf dem Stadtgottesacker beigesetzt.

27 Abt. I Nr. 205 Abt. I Nr. 292/293 Abt. II Nr. 488 Ewald Genzmer Peter David Krukenberg Richard von Volkmann (02.07.1856 - 01.04.1932) (14.02.1787 - 13.12.1865) (17.08.1830 - 28.11.1889)

Ewald Genzmer, verdienter hallescher Stadtbau- Der Kliniker, Hochschullehrer und Arzt Peter Richard Volkmann wurde als Sohn des Physiolo- rat, wurde in Boggusch/Westpreußen geboren. David Krukenberg wurde in Königslutter geboren. gen Alfred Wilhelm Volkmann in Leipzig geboren. Ab 1876 studierte er an der TH Berlin. 1885 nahm Nach dem Gymnasium studierte er ab 1808 Medi- Er studierte Medizin in Halle, Gießen und Berlin. er eine Stelle bei den Gas- und Wasserwerken zin in Göttingen. 1810 promovierte er zum Thema In Halle promovierte er 1854 und habilitierte 1857 Köln an. Ab 12.12.1892 wirkte er als Stadtbaurat „de cancro bulbi oculi humani“. 1811 wechselte für Chirugie. Er wirkte als praktischer Arzt, wurde in Halle. Bei seinem Amtsantritt stand Genzmer Krukenberg an die eben gegründete Universität 1863 außerordentlicher Professor der Chirurgie vor vielen schwierigen Aufgaben der Stadtpla- Berlin. In den Befreiungskiegen 1813/15 trat er und 1867 Ordinarius und Direktor der Chirurgi- nung. Zwar hatte die Rekonstruktion der „Halle“ dem Lützowschen Freikorps bei. Er erhielt den Ruf schen Klinik. 1866 und 1870 meldete er sich zur schon Mitte der achtziger Jahre begonnen, aber als außerordentlicher Professor an die Medizini- Front, während des Deutsch-Französischen Krie- wegen der drohenden Choleragefahr drängten die sche Fakultät nach Halle und wirkte in dem Amt ges war er Generalarzt des IV. Armeekorps. 1877 Hallenser auf die Beseitigung der Mißstände an der bis 1816. Damals entwickelte Krukenberg den wurde Volkmann zum Geheimen Medizinalrat er- Gerbersaale. Unter seiner Leitung wurde ihre Plan, eine „ambulatorische Klinik“ einzurichten. nannt und 1885 in den Adelsstand erhoben. 1872 Übertunnelung durch den Hallorenring 1897 voll- Er gewann die Hilfe wichtiger Bürger, so des Buch- war er Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft endet. Er hatte sich einen Ruf als Experte für alle händlers Schwetschke und des Bankiers Lehmann, für Chirurgie und wurde 1880 in die Deutsche städtebaulichen Fragen, insbesondere der Kanali- und des zuständigen Innenministers. Er eröffnete Akademie der Naturforscher Leopoldina aufge- sation erworben, so daß ihm 1895 die TH Aachen die Klinik in seinem Hause, Brüderstraße 5, am nommen. Er gilt als Wegbereiter der modernen eine Professur anbot. Genzmer blieb, da ihm der 13. Mai 1816. Aus den Jahresberichten, in denen Chirurgie, machte sich um die Einführung der anti- Magistrat auch die freie wissenschaftliche Tätigkeit er auch seine Behandlungsmethoden genau erläu- septischen Wundbehandlung verdient. gewährte. Da in den folgenden Jahren die drin- terte, geht hervor, dass er bereits im zweiten Jahr Am Ende seiner Amtszeit konnte er den Neubau gend notwendigen Sanierungsarbeiten, die er fach- 1501 Kranke versorgte. Krukenberg hat gerade der der Chirurgischen Klinik als ersten Komplex des lich plante, auf wenig Gegenliebe bei den Stadt- armen und hilfsbedürftigen Bevölkerung viel Gutes gesamten Universitätsklinikums beziehen. In An- verordneten stießen, schied er am 01.10.1904 aus getan. 1822 wurde er ordentlicher Professor und erkennung seiner Leistungen wurde ihm 1882 die dem Dienst und trat eine Professur für Städtebau Direktor der Universitätsklinik, die er bis zu seiner Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen. Postum und städtischen Tiefbau an der TH Danzig an. Pensionierung 1856 leitete. In seine Amtszeit fällt wurde 1894 vor der Chirurgischen Klinik ein 1904 erhielt die Brücke zum Holzplatz seinen Na- auch der von ihm geforderte Neubau der Klinik am Denkmal für ihn errichtet. men. Von 1911 bis 1925 lehrte Genzmer an der Domplatz. Eine Straße gegenüber den Univer- Berühmt wurde Volkmann auch unter dem Pseud- TH Dresden, wo er auch seinen Ruhestand verleb- sitätskliniken wurde 1884 zu seinen Ehren be- onym Leander als Verfasser der Märchensamm- te. Seine Grabstätte fand er jedoch seinem Ver- nannt. lung „Träumereien an französischen Kaminen“, mächtnis entsprechend auf dem Stadtgottesacker. die 1871 erstmals erschienen.

28 Grüfte 1 - 8 (Seite 29) Historische Aufnahme, Anfang des 20. Jhdt.

Notizen eines zum Martinsberg führten, wie oft er den Autoren geplanten umfangrei- in Bibliotheken und Archiven der chen Auswertung seiner Aufzeich- Spaziergängers - Stadt Halle gewesen ist. Akribisch nungen, die neben den Arbeiten Friedrich Paul Henschel ermittelte er Details zu den Grabbö- zum Stadtgottesacker auch Informa- gen, untersuchte und verglich die In- tionen zu Kirchen und einigen wei- und seine Niederschriften schriften, die er vorfand und ver- teren Friedhöfen der Stadt Halle be- über den Stadtgottesacker merkte in kalendarischen Daten, inhalten, wird mehr zum Verfasser wann er welche Aufzeichnungen an- der in der Marienbibliothek ver- zu Halle (Saale) gefertigt hatte. wahrten Hefte herauszufinden sein. Am 14. Oktober 1945 notierte er Offenbar plante Paul Henschel im Als im Sommer des Jahres 2000 im unter dem Stichwort Resultat vieler Besuche der impo- Zuge der Restaurierung des Stadt- Brunnenbecken: Am Rundteil des santen und einmaligen Grabanlage gottesackers zur Herrichtung des Hauptweges gleich zur linken, ne- auf dem Martinsberg nicht nur, nie- Brunnens, der sich in der Mitte der ben den russischen Heldengräbern derzuschreiben, was er vorfand, Anlage, etwas links der Wegekreu- von 1813 befindet sich ein Brunnen- sondern darüber hinaus mit bereits zung befindet, geschritten werden becken mit folgender Inschrift: vorhandenem Schriftgut zu verglei- sollte, stießen die Gestalter auf ein „Des Menschen Seele chen und zu ergänzen. Problem: die Inschrift der senkrecht gleicht dem Wasser, Die Niederschriften sind in großen stehenden Platte war zum großen vom Himmel kommt es, zeitlichen Abständen gefertig, Teil verwittert, manche Elemente zum Himmel steigt es, manchmal liegen Jahre zwischen fehlten völlig. Der vorhandene Rest und wieder nieder zur Erde den Notizen. Doch gerade aus der schien keinen Sinn zu ergeben, zu- muß es ewig wechselnd.“ Zeit ihrer Entstehung werden Infor- mal auf eine Interpunktion verzich- Das Rätsel der Brunneninschrift war mationen geliefert, die bis heute tet worden war. In keinem der her- damit gelöst, die Restaurierung des vielfach als verloren gelten oder angezogenen Archive fanden sich Brunnens konnte vollendet werden. nur noch Vermutungen darstellen. Bauunterlagen, die über die Errich- Die Entstehung des Goethe-Gedich- Eigene Zeichnungen und Skizzen tung des Brunnens oder gar zu seiner tes „Gesang der Geister über den von Grabanlagen, Epitaphien und Inschrift Auskunft gaben. Wassern“, dessen erste Strophe sich baulichen Details, Fotografien, die Zuletzt konnte in der Marienbiblio- auf dem Brunnen des Stadtgotte- er wahrscheinlich selbst aufgenom- thek ein Stapel unscheinbarer hand- sackers wiederfindet, konnte auf we- men hat und Zeitungsausschnitte, geschriebener Hefte zu Rate gezo- nige Tage genau zwischen 9. und die er seinen Aufzeichnungen gen werden, die seit fast fünfzig Jah- 14. Oktober 1779 - identifiziert wer- beifügte, erweitern die Sicht des ren dort gelegen hatten. Über den. Wann der Brunnen gebaut wur- Lesers wesentlich. Oft gibt Paul mehrere Jahre, begonnen im Okto- de und wer seine Inschrift bestimm- Henschel die Quellen seines Wis- ber 1923 und beendet in den 40er te, ist dagegen bis heute nicht be- sens nicht an, bei Zeitungsausschnit- Jahren des vergangenen Jahrhun- kannt. Seine Wiedererrichtung ten z. B. fehlen der Titel des Medi- derts hatte ein gewisser Friedrich verdankt er auch Paul Henschel, der ums und das Datum. Doch bei der Paul Henschel versucht, alle in sei- den Brunnen im Herbst 1945 be- geplanten Bearbeitung seiner Unter- nen Augen notwendigen Details aus schrieb. lagen werden diese Dinge zu klären der Geschichte des Stadtgottes- sein. (Bei den aus dem Original zi- ackers zu Halle festzuhalten und Über den 1952 verstorbenen tierten Passagen sind Rechtsschrei- niederzuschreiben. Es ist nicht über- Friedrich Paul Henschel ist nicht viel bung und Interpunktion zumeist bei- liefert, wie viele Spaziergänge ihn bekannt. Bei der in nächster Zeit von behalten worden. Ergänzungen oder

30 leichte Veränderungen erfolgten nur eine Aufschreibung der Inschriften an Stellen, an denen sie zum besse- hat bis heute keiner wieder ge- ren Verständnis nötig waren.) bracht. Von der ehemaligen inneren Aus- Der Beginn der systematischen Auf- schmückung der Grabgewölbe sind zeichnungen ist auf den 15. Oktober nur wenige Reste noch vorhanden. 1923 datiert und trägt den Titel Kunstvolle Grabdenkmäler sind Der Stadtgottesacker zu Halle a. S. beim Wechsel der Besitzer durch Seine Geschichte, seine Denkmäler Unverstand und Pietätlosigkeit ohne und Inschriften. Grund entfernt oder verstümmelt, Am 17. Januar 1924 vollendete er wenn nun dafür gleichartiger Ersatz die Einleitung, die er selbst zusam- geschaffen wurde, so ließe ich das menfassend als Die Geschichte des noch gelten, aber in den weitaus Stadtgottesackers bezeichnete. meisten Fällen traten ganz ge- Paul Henschels Intentionen und schmacklose minderwertige Denk- Methodik sind in einem der ersten mäler an ihre Stelle. So wurden z. B. Kapitel - Die Schwibbogen mit ihren im Bogen Nr. 16 zwei schöne Relief Denkmälern und Inschriften in alter Steinbilder aus dem 16. Jahrhundert und neuer Zeit - wie folgt beschrie- verstümmelt, indem dieselben glatt Grabmäler und Familienwappen ben: gemeißelt wurden, um dafür die geblieben. [...] Die Inschriften der Grabsteine, so- trockenen Worte: „Fingers Erbbe- Noch bemerken möchte ich, dass wie an den äußeren Schwibbogen gräbnis“ und „Erbbegräbnis der Fa- man bei den Schwibbogen Erbbe- werde ich wortgetreu niederschrei- milie Schott“ zu setzen. gräbnisse und Familienbegräbnisse ben, so wie ich diese zur Zeit meiner Eine schöne Sitte war es auch, daß in unterschied, im Erbbegräbnis durfte Aufzeichnung vorfinde und entzif- den Schlußstein der äußeren Bogen nur der jeweilige Besitzer, seine fern kann. Aber auch die alten In- das Familienwappen der Erbauer je- Frau, unverheiratete Söhne und schriften der früheren Besitzer und des einzelnen Bogens ausgehauen Töchter beigesetzt werden. Im Erbauer der Schwibbogen, welche wurde, mit Farben ausgemalt bildete Familienbegräbnis war von diesen heute nicht mehr vorhanden sind, es eine Zierde für jeden Schwibbo- Einschränkungen keine Rede. sowie die Inschriften der ver- gen. Wenigstens die Hälfte aller die- Halle a. S. am Tage der Reichsgrün- schwundenen Grabsteine werde ich ser Familienwappen sind verstüm- dung A.D. 1924. mit anführen, ich entnehme die letz- melt und glatt gehauen, um einen teren einem alten Werke vom Jahre Namen, einer Jahreszahl oder einem Tatsächlich ist auf Dähnes Publikati- 1674 „Coemeterium Saxo Hallense“ geschmacklosen Monogramm Platz on, deren vollständiger Titel von Joh. Gottfr. Olearius, und zu machen. Wenn das unser alter „Neue Beschreibung des Halleschen „Neue Beschreibung des Hallischen Baumeister Nickel Hofmann sehe, Gottesackers nebst geschichtlichen Gottesackers“ vom Jahre 1830 von er würde mit dem Kopfe schütteln Bemerkungen über die Gräber und Carl Gottlieb Dähne. Von dem Er- ob des Kunstverständnisses dieses Begräbnißgebräuche der Christen“ scheinen des Letzteren bis heute Geschlechts. Gottlob waren nicht lautet, bis heute keine vollständige sind nun nahezu 100 Jahre verflos- alle späteren Eigentümer der Dokumentation über den Stadtgottes- sen, obwohl Geschichtsschreiber in Schwibbogen so rücksichtslos und acker Halle mehr erschienen. dieser Zeit unseren Friedhof mehr so ist uns immerhin wenn auch ein Die familiengeschichtlichen Infor- oder weniger beschrieben haben, kleiner Rest schöner kunstvoller mationen zu den Schwibbogen sind

31 erst in den Jahren 1929 - 1934 von streut und Bäume entwurzelt. Voll- schäftigt, die großen Trichter wieder dem Stadtarchivar Erich Neuß im ständig zertrümmert sind die zuzufüllen und die Wege von Schutt genealogischen Mitteilungsblatt Schwibbogen 1 - 15 [zunächst zu befreien. „Ekkehard“ in 29 Fortsetzungen heißt es 1 - 7, 9a, 10 und 15; Paul veröffentlicht worden. Henschel veränderte die Angabe Einen nicht minder wertvollen Bei- Paul Henschel schloss mit seinen dann auf 1 - 15, wohl weil die Schä- trag leistete Paul Henschel, indem er Aufzeichnungen eine große Lücke, den auch an den übrigen Bogen sich in einem seiner Hefte mit weite- indem er für jeden Bogen einzeln größer waren, als es der erste Ein- ren Teilen des Stadtgottesackers be- und ausgehend von dem Zustand, druck vermittelt hatte - M. V.], ferner schäftigte: Der Innenhof sowie der den er selbst vorfand, alle erreichba- die Bogen 25, 26, 27, 28 und 30 so- nördliche und östliche Teil des ren Informationen niederschrieb. wie die Bogen 59 - 66, alle übrigen äußeren Gottesackers. Gerade die Sein Text ist bei heutiger Benutzung sind mehr oder weniger stark be- Aufzeichnungen über Gräber in die- eine große Ergänzung zu Neuß‘ de- schädigt. Das ganze Satteldach, wel- sen Bereichen enthalten eine Fülle tailreicher Auflistung: neben der An- ches die 94 Grabbogen überdeckt, kaum noch bekannter Einzelheiten. gabe verwendeter Farben und Mate- wurde beschädigt und zum größten Im dritten Teil will ich die Grabstät- rialien in den Bogen versuchte er, Teil der Ziegel beraubt. ten aufzeichnen, welche sich außer- die seiner Ansicht nach bedeutsam- Die Gruftplatten verschiedener halb der Schwibbogen im Innenhof sten Vertreter der jeweiligen Famili- Schwibbogen wurden zertrümmert, befinden. Daß ich dieselben nicht en kurz zu skizzieren und in ihrer sodaß die Särge zu sehen sind, so alle bringen kann, ist wohl bei der Zeit einzuordnen. z. B. der Schwibbogen Nr. 17 Fami- großen Anzahl derselben leicht ver- In den als Anhang bezeichneten lie von Basewitz, die eichene Tür, ständlich. Ich werde mich daher nur kleineren Notizen finden sich darü- durch welche man von Norden in auf die wichtigsten Grabstellen be- ber hinaus zusätzliche Details, zu die Gruft gelangen kann, ist aufge- schränken, hierzu gehören die noch denen auch die Mitteilung der Brun- sprungen, sodaß ich die Gruft betre- vorhandenen älteren Grabsteine aus neninschrift von 1945 gehört. ten konnte, 4 gut erhaltene Eichen- dem 18. und 19. Jahrhundert, als- Unter dem kurzen Titel Anno 1945 särge sowie ein Metallsarg stehen dann die Grabstellen bedeutender versuchte Paul Henschel im Anhang darin. Auch in den Schwibbogen 30 Persönlichkeiten aus Handel und In- außerdem die schlimmsten Schäden und 38 kann man die Särge stehen dustrie, aus der vaterländischen und zu dokumentieren, die er bei Kriegs- sehen, im Bogen 78 dasselbe, hier der Geschichte der Stadt Halle. Ge- ende auf dem Stadtgottesacker vor- sind die Särge im unteren Teil zerfal- lehrte, ehrsame Bürger und Hand- fand: len und mit Schutt bedeckt, 4 Quer- werksmeister, nicht zu vergessen die Am 31. März zwischen 9 und 10 Uhr balken sind in der Mitte der Gruft Heldengräber aus alter und neuer vorm. Ostersonnabend, sowie am eingezogen, auf diesen steht ein gut Zeit. Freitag, den 6. April wurden in unse- erhaltener Metallsarg. Halle a. S., den 26. Feb. A. D. 1924, rer Stadt durch Fliegerbomben Die großen Bombentrichter befin- Friedrich Paul Henschel furchtbare Verwüstungen angerich- den sich: der erste vor Schwibbogen tet. Auch unser alter schöner Stadt- Nr. 12, zwei weitere von Bogen 25 - Nicht weniger als 312 Gräber gottesacker wurde schwer beschä- 31, ein vierter hinter dem nördl. fanden Aufnahme in die Nieder- digt. Durchgang. Auf dem östlichen schrift Henschels, die ebenfalls Der Innenhof wurde durch vier Außengottesacker sind ebenfalls Zeichnungen, Fotografien und Zei- große Bombentrichter aufgewühlt, große Verwüstungen unter den tungsartikel enthält. wertvolle Grabsteine wurden zer- Grabdenkmälern angerichtet wor- trümmert, Totengebeine umherge- den. Z. Zt. sind Arbeiter damit be- Eine ähnliche Verfahrensweise kenn-

32 zeichnet den Abschnitt Außengottes- wertvolle Hinweise enthalten, deren acker, den Paul Henschel wie folgt wissenschaftliche Überprüfung noch beschreibt: zu erfolgen hat: Der östliche Teil des großen Außen- Am 14. März 1806 wurden von der gottesackers nach der Magdeburger- Regierung in Magdeburg 24 Grabbo- straße wurde am 4. Januar 1836 ein- gen eingezogen und zum Verkauf geweiht und diente als solcher bis gestellt, da von diesen teils keine zum Jahre 1881. Seit dieser Zeit Eigentümer mehr vorhanden waren, werden hier keine Beerdigungen teils hatten mehrere ihr Eigentums- mehr vorgenommen, er ist in Anla- recht abgetreten, denn der jeweilige gen verwandelt und durch einen Besitzer hatte die Verpflichtung, den Zaun vom alten Stadtgottesacker ab- Grabbogen in baulichem Zustand zu getrennt, mit alten breiten Flieder- erhalten, was auch heute noch besteht. sträuchen besetzt und von einigen Sonderbar finde ich es, daß die Promenadenwegen durchschnitten. Grabbogen von der Regierung und Hier und da im Gebüsch oder am nicht von der Stadt Halle zum Ver- Wege ein alter verträumter und ver- kauf gestellt wurden. witterter, teilweise halb in die Erde Der damalige Todtengräber versunkener Leichenstein. [...] Siebecke erwarb in der Zeit von Die Inschriften der wenigen alten 1810 - 1818 allein 5 Schwibbogen, Grabsteine, die noch vorhanden um dieselben dann später weiter zu sind, werde ich versuchen, abzu- verkaufen. Auch der Schuhmacher- schreiben soweit ich dieselben noch meister Ellrich hat in der Zeit von Torturm Stadtgottesacker entziffern kann, um sie der Nach- 1809 bis 1817 3 Grabbogen erworben. Aufnahme aus dem Nachlaß welt zu erhalten, denn unaufhörlich von Paul Grohs (1912 - 29) nagt der Zahn der Zeit an ihnen, Die, wenn auch lückenhafte Aufli- und die Zeit ist nicht mehr fern, wo stung erfolgte erneut in der jetzigen ein kleiner Zettel aufgeklebt, der fol- sie überhaupt nicht mehr zu lesen, Reihenfolge der Zählung und erlaubt genden Inhalt hat: umgestürzt, versunken und ver- nicht nur eine recht brauchbare Re- Wofern nun jemand an meiner be- schwunden sind. konstruktion der Eigentümerreihen- scheidenen Arbeit Wohlgefallen fin- Insgesamt 13 Gräber sind in diesem folge. Sie gibt darüber hinaus Auf- det, so wird mir dies sehr angenehm Abschnitt der Aufzeichnungen ent- schluss über manche Rekonstrukti- sein, sollte dies aber nicht der Fall halten, dazu die Inschriften des alten ons- und Reparaturarbeiten, die sein, so habe ich doch selber meine Kriegerdenkmales sowie ein Foto einzelne Bogen im Laufe der Jahr- Freude an dem, was ich geschaffen. mit der handschriftlichen Notiz hunderte erfahren haben. P. Henschel Abgebrochen 1946. Eine (unvollständige) Abfolge der Die wissenschaftliche Auswertung Todengräber des Stadtgottesacker, der Forschungsresultate Paul Hen- Eine sehr aufschlussreiche Zusam- die sieben Namen aus dem Zeitraum schels steht noch aus, das Wohlge- menstellung Paul Henschels vom 1560 bis 1877 enthält, beschließt fallen der Leser seiner Aufzeichnun- 02.11.1942 trägt den Titel Die Besit- diesen umfangreichsten Teil der gen ist ihm gewiß. zer der Schwibbogen auf dem Stadt- Aufzeichnungen Paul Henschels. gottesacker nach ihrer Fertigstellung Karsten Eisenmenger 1557/1594 bis 1942. Auch hier sind Auf jenes letzte Blatt der Arbeit ist Michael Viebig

33 Bauliche, Der Stadtgottesacker zu Halle ist ein büros auf der Grundlage der vorlie- bau- und kunstgeschichtlich äußerst genden Planungsunterlagen demon- denkmalpflegerische wertvolles Monument der Friedhofs- striert werden, auf welche Weise die kultur der Renaissance in Deutsch- denkmalpflegerische Instandsetzung Instandsetzung und land.1) Er wird den Grundregeln der der Renaissance-Grüfte geplant und Wiederherstellung Denkmalpflege gemäß erhalten, in- ausgeführt werden würde. Die 1997 stand gesetzt und restauriert. von Frau Dr. Witte für die Gesamt- instandsetzung gestifteten Mittel in Danach gilt das besondere Interesse Höhe von 10 Mio. DM ermöglichten der Wiederherstellung der Geschlos- dann die umfassende bauliche In- senheit der Arkadenanlage und de- standsetzung der Friedhofsanlage in ren Standsicherheit bei weitestge- weniger als 4 Jahren. hender Erhaltung der originalen Bausubstanz, sowie der wertvollen Zu Beginn aller Planungs- und Aus- memorialen Ausstattung der Grüfte. führungsarbeiten war eine umfang- reiche Schadensdokumentation des Zu Beginn der 90er Jahre begann im Bestandes durchgeführt worden. Rahmen der gegebenen Möglichkei- ten die schrittweise Instandsetzung Die fotografische, fotogrammetri- der Gruftanlagen, angelegt auf einen sche und verformungsgerechte Zeitraum von ca. 10 - 12 Jahren. Das zeichnerische Bestandsaufnahme Büro für Architektur und Denkmal- der Grüfte und ihrer Bogenansichten pflege hatte Mitte der 90er Jahre den bilden zusammen mit der denkmal- Planungs- und Bauleitungsauftrag pflegerischen Zielstellung die vom Hochbauamt Halle für diese Ar- Grundvoraussetzung für die Erstel- beiten erhalten. Zum Auftrag gehör- lung der Planung. ten die Erarbeitung einer Fotodoku- mentation, eine verformungsgerech- Im Ergebnis der Analysen aller Scha- te Bauaufnahme aller Grüfte densursachen erwies es sich, dass einschließlich der fotogrammetri- das statische Gleichgewicht für die schen Bestandaufnahme aller Gruft- Gruftanlagen nicht mehr gegeben bogenansichten. war. Das komplizierte statische Als Frau Dr. Witte, beraten durch System der aneinandergereihten Herrn Prof. Dr. M. Fischer, ehemali- Arkadenbögen, deren teils starke ger Landeskonservator Hamburgs Verformung, die durch Verwitterung und langjähriger Vorsitzender der geschädigten und teils gebrochenen Vereinigung der Landesdenkmal- Bogensteine, die Kriegszerstörun- pfleger Deutschlands, im Prozess gen, mutwillig hervorgerufene Schä- ihrer Entscheidungsfindung den den durch Vandalismus, die Ver- Stadtgottesacker besuchte, konnte wendung ungeeigneter Materialien Torturm - Innenansicht mit den Grüften 94 und 1 auf Grund des bereits erzielten Vor- (Zementmörtel, Eisenklammern) bei nach der Sanierung (2002) laufes seitens des Hochbauamtes früheren Instandsetzungen erforder- und des beauftragten Architektur- ten eine besondere Methodik der In-

34 Gruft 59, Notrestaurierung nach dem 2. Weltkrieg Gruft 57 im eingestürzten Zustand mit Notabdeckung durch freiwillige Helfer vor Beginn der Restaurierungsarbeiten im Jahre 1996

Gruft 58-61 mit Notsicherung durch freiwillige Helfer vor Beginn der Restaurierungsarbeiten im Jahre 1996

freiwillige Helfer Gruft 59 bei Notsicherungsarbeiten um 1980 - seit 1983 Rückbau der Notsicherungen und auch durch den „Arbeitskreis Innenstadt“ Einbau einer längsaussteifenden Mauerwerkswand in Vorbereitung der Demontage der Gruft

35 standsetzung der Einzelsteine der Grüfte und der gesamten Gruftanla- ge. Diese verlangte den behutsamen Rückbau der Grüfte zur Vorberei- tung der Restaurierung der Bogen- steine als Voraussetzung einer statisch-konstruktiv stabilen Wieder- herstellung der Arkadenbogenanla- ge. Die Systemwirkung für eine standsichere Gesamtanlage mit ihren 94 (+ 1) Einzelgrüften ist nur gegeben, wenn durch die Dachtrag- werke als Rahmenkonstruktion in Verbindung mit den flach gewölbten Tonnenschalungen und durch aus- steifende Innenwände die auftreten- den Kräfte sicher aufgenommen und abgeleitet werden können. In die- sem System müssen die Arkadenbö- gen die durch ihre Reihung bedingte „Starre“ durch eine begrenzt mögli- che „Elastizität“ kontrolliert ausglei- chen können. So soll mit einer be- sonderen Ausbildung der Fugen in den Arkadenbögen mittels Kalkmör- telverstrichs, Blei-, auch Schiefer- einlagen bewirkt werden, dass kli- mabedingte Temperaturspannungen sich nicht in seitlichen Dauerverfor- mungen ausgleichen, sondern in der Möglichkeit der leichten Anhe- bung der Bögen und der entspre- Gruft 90 chenden „Rückbewegung“ in die Grüfte 1 bis 7 mit Torturm nach der Wiederherstellung Ausgangslage.

Weitere Schwachpunkte des stati- schen Systems der Renaissance- Friedhofsanlage aber befanden sich in den 4 Ecken, in denen die Gruft- reihen aufeinandertreffen. Hier war die Schaffung von „Widerlagern“ Gruft 94 fotogrammetrische Bestandsaufnahme zwingend notwendig, ebenso dort, wo an der Westseite die Reihe der

36 Grüfte von 9 zu 9 a versetzt fortge- führt wird. In diesem hochrangigen Baudenkmal mussten also Widerla- gerkonstruktionen eingebaut wer- den, die diese Funktion erfüllen, als solche aber möglichst nicht erkannt werden sollten. Die Lösung brachte der Einbau von Stahlkonstruktions- gittern (Nord-West-/Nord-Ost-Ecke) - gestaltet in Anlehnung an vorhan- dene Holzgitter und fest verankert in bewehrten Fundamenten und im Ka- pitellbereich der Gruftbögen. In der Nord-Süd-Ecke befindet sich abwei- chend davon eine Rahmenkonstruk- tion im Dachbereich sowie in der Querwand der Gruft 62 3), in der Süd-West-Ecke wurden die Gruftbö- gen bereits mit dem Einbau der Fei- Grüfte 38 - 46 erhalle im Jahre 1825 ausgemauert ältere (Absteifungen) und jüngere (Ausmauerungen) Sicherungsmaßnahmen als Vorbereitung zum und damit statisch stabilisiert. Die behutsamen Rückbau mit Reliefs und Inschriften verzier- ten Sandsteinarkaden- bzw. Schwib- bögen, alle erhaltenen Architektur- details, die Epitaphien und weitere wertvolle Ausstattungsstücke ver- langten ein hohes Maß an Sorgfalt bei Planung und Ausführung der re- stauratorischen Arbeiten.

Die Planung und Ausführung der im April 2003 abgeschlossenen bau- lichen denkmalpflegerischen Erhal- tungs-, Instandsetzungs- und Wie- derherstellungsarbeiten beinhalteten auf dieser Grundlage: - als Sofortmaßnahme die Sicherung der einsturzgefährdeten Einzel- grüfte durch zwischenzeitliche Ausmauerung der Gruftbögen, - die steinrestauratorische Scha- Grüfte 12, 13, 14 Wiederherstellung der Schwibbogenanlage dens- und Befunddokumentation, - die Katalogisierung, Bergung und

37 Fotogrammetrie

Gruft 56 Gruft 57 Gruft 58

Grüfte 56 bis 58 Fotogrammetrie von Einzelsteinen der eingestürz- baus, der Konservierung und Restaurierung und ten, auch der durch Notsicherungen erhaltenen der Wiedererrichtung mit Hilfe der computerge- Grüfte, als Grundlage für die Planung des Rück- stützten Montage der Gruftanlage.

Gruft 56 Gruft 57 Gruft 58

Grüfte 56 bis 58 Historische Bestandsaufnahmen um 1920. Bildcollage aus dem Fundus des Stadtarchivs

38 geschützte Einlagerung von einge- terials durch der Außenmauern des Stadt- stürzten und gefährdeten Bogen- - Vierungen geschieht generell an gottesackers. Sie sind belastet steinen sowie Schutzmaßnahmen allen statisch beanspruchten Ver- durch eine hohe Schadstoffkon- für Grabdenkmale, bindungsstellen oder größeren, zentration (Salzlasten) und einen - die bauliche Sicherung der im tiefer als 30 mm liegenden Stein- großen Durchfeuchtungsgrad. Das 19. Jahrhundert nicht verfüllten schäden. Jeder einzelne Arbeits- Mauerwerk war teils stark gestört und noch vorhandenen Grüfte, schritt wurde inhaltlich beschrie- durch abschalende Bereiche. - die Instandsetzung der Dach- und ben und zeichnerisch anhand der Fundamentunterfangungen, der Gewölbekonstruktionen, porträtgerechten fotogrammetri- Einbau von Zugankern, flächige - die Instandsetzung der Gruftin- schen Einzelbogensteinvermes- Ausmauerungen, Mauerkronen- nenräume - dazu in Folge die sung festgelegt. Notwendige Aus- verfestigung, auch verbunden mit Konservierung und Restaurierung wechselungen erfolgen unter Ver- Gesimsergänzungen, partielle der Ausstattungen (Wandmalerei, wendung von ausgesuchtem Steinauswechselungen waren die Stuckierungen, Kolumbarien, Sandstein (Obernkirchner Sand- Maßnahmen zu seiner statisch- Epitaphien), stein für die Erneuerung von Bo- konstruktiven Sicherung, ein- - die Restaurierung der einzelnen gensteinen bzw. ganzer fehlender schließlich des abschließenden Bogensteine und Grüfte auf der Grüfte, Ummendorfer Sandstein Aufbringens eines zweilagigen Grundlage des genannten verfor- für Auswechselungen im Detail). steinfühlenden Kalkputzes als mungsgerechten Aufmaßes und Auszuwechselnde Originalsteine Kellenwurf-Quastputz an den der fotogrammetrischen Bestands- werden in Lapidarien aufbewahrt. Außenseiten der Umfassungs- aufnahme der Einzelsteine und Bei durch Verlust bzw. Zerstörung mauern. Gruftbögen, notwendig gewordenen Einzel- - Schließen von Lücken in der - die Rekonstruktion der eingestürz- steinrekonstruktionen wurden die Gruftanlage, die durch Bomben- ten Schwibbögen durch Compu- Reliefs nicht rekonstruiert, son- schäden und Einsturz entstanden ter-Montage der fotogrammetri- dern neutrale Bossen belassen, um sind - hierbei erfolgt die Rekon- schen Dokumentation der Einzel- zukünftige Entscheidungen offen struktion der Architekturform, steine, zu halten. Reliefrekonstruktionen nicht der künstlerischen Details. - die Instandsetzung/Restaurierung mindern den Anschauungswert Bei diesen Arbeiten wurden in den der Einzelgruftanlagen - dabei wa- der Originale. Nur in wenigen 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ren nur geringfügige Profilergän- Ausnahmen sind im Interesse der vorbereitete, teils bereits gesetzte zungen aus konservatorischen Bewahrung eines geschlossenen Bogensteine wiederverwendet. Gründen an den Reliefs vorgese- Gesamtbildes in den Arkadenbö- Vier verloren gegangene Grüfte hen. Die konservatorische und gen Neusteine mit Reliefausbil- sind bildhauerisch-künstlerisch restauratorische Bearbeitung der dung, in Anlehnung an das histori- neu gestaltet worden2). Das sind originalen Bogensteine begann sche Vorbild, hergestellt worden. die Grüfte 13, 14, 15 und 16. mit einer vorsichtigen Reinigung Gruft 12 zeigt ein von Bildhauer- Hier haben Studenten und Absol- aller Ansichtsflächen. Es folgten studenten der Burg Giebichen- venten der Burg Giebichenstein - eine partielle Verfestigung absan- stein - Hochschule für Kunst und Hochschule für Kunst und Design dender Stellen sowie eine Unter- Design Halle bearbeitetes Beispiel Halle als Studien- bzw. Diplom- grundverfestigung für Antragsar- für die Reliefgestaltung der Bogen- oder erste Auftragsarbeit überzeu- beiten (Steinersatz) oder das Ein- steine in Anlehnung an historische gende zeitgenössische Reliefs ge- setzen von Vierungen. Vorbilder: schaffen. Damit wird die gute Das Ersetzen fehlenden Steinma- - die umfassende Instandsetzung Tradition hallescher Kunst bei der

39 Ausschnitt Gruft 22 Vierung und Planungsgrundlage für die Restaurierung und Konservierung der Einzelsteine mit Eintragung Antragung der Steinmetzleistungen (z. B. Vierungen und Antragungen).

Antrag mit Restauriermörtel

Vierung - Einsetzen eines Neusteines

40 Gestaltung von Grabmalen ge- pflegt und fortgesetzt. - Instandsetzung des Hauptein- ganges mit dem darüber befind- lichen barocken Turm, - die Erhaltung und Instandsetzung der historischen Fußböden. Der Erhaltungszustand der Fußbö- den war, ebenso wie der der Grüf- te selbst, äußerst unterschiedlich. Ziegelpflasterfußböden und Belä- ge aus unterschiedlich großen Sandsteinplatten überwiegen. Teils befinden sich in diesen Fußböden eingearbeitete ehemali- ge Zugänge zu den Grüften im Untergeschoss, die in den meisten Fällen Anfang des 19. Jahrhun- derts verfüllt worden sind. Es gibt auch geflieste Fußböden und aus farbigen, in Estrich verleg- ten Kieselsteinen bestehende Fuß- bodengestaltungen, die zu Gruftausstattungskonzeptionen um 1900 gehören. Vorhandene Fußböden wurden instand gesetzt, fehlende Fußböden als Ziegel- pflaster oder als Sandsteinplatten- beläge erneuert, - die Erhaltung und Instandsetzung der zahlreichen schmiedeeisernen Gitter. Die meisten Gitter stammen aus der Zeit um 1900. Die Zahl der erhaltenen barocken schmiede- eisernen Gitter ist gering - eines der schönsten Barockgitter befin- det sich in Gruft 94 - neben den schmiedeeisernen Arbeiten sind auch sehr schöne hölzerne Gitter- abschlüsse für Grufträume erhal- ten geblieben.

41 Im Ergebnis der Arbeiten ist der Stadtgottesacker mit seinen Gruftan- lagen, deren Außen- und Innenwän- den, den Schwibbogenreihen, dem hölzernen Tonnengewölbe unter der Dachkonstruktion nach seiner Errichtung im 16. Jahrhundert erst- mals wieder umfassend instand ge- setzt, statisch stabil und ungefährdet erlebbar.

Für seine zukünftige Nutzung wer- den ausgewählte Gruftanlagen mit Kolumbarien für Urnenbeisetzungen ausgestattet. Den würdigen Rahmen für die Trauerfeiern bildet die wie- derhergestellte Feierhalle in den Grüften Nr. 89 und 90. Grüfte 14 - 16 Wichtig war im Prozess der Restau- Zustand vor Beginn der Arbeiten rierung und neuen Nutzung der Gruftanlagen des Stadtgottesackers neben den bau- und kunstgeschicht- lichen, den denkmalpflegerisch- restauratorischen Arbeiten die Koor- dinierung mit den Aufgaben und dem Anliegen der Gartendenkmal- pflege im Bereich des Mittelfeldes. Die planerische Vorbereitung und bauliche Durchführung der Restau- rierungsarbeiten am Stadtgottes- acker erfolgte in Abstimmung mit dem Hochbauamt, dem Grün- flächenamt der Stadt Halle (Saale) und dem Landesamt für Denkmal- pflege in Sachsen-Anhalt.

Für alle Beteiligten, den Bauherren, die Planer, Restauratoren und Hand- werker, war diese bedeutungsvolle Aufgabe eine große Herausforde- Grüfte 13 und 14 nach Abschluss der Rekonstruktionsarbeiten - historische hölzerne Gruftvergitterung gestaltete rung. die Gruftbogenreliefs wurden durch M. Golter und Stahlgitter hat eine zwingend notwendige statisch- S. Ahrens geschaffen. Das in Anlehnung an eine konstruktive Funktion.

42 Frau Dr. M. Witte und Herr Dr. A. Witte haben regelmäßig jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst die Baustelle besucht und sich einen Eindruck vom Fortgang der Arbeiten an der Renaissance-Friedhofsanlage Stadtgottesacker in Halle verschafft. Sie haben mit großem Interesse die Arbeiten verfolgt und Einfluss auf ihren Fortgang genommen.

Helmut Stelzer, Thomas Zaglmaier

Grüfte 56 - 58 nach der denkmalpflegerischen Instandsetzung

1) Es ist im Sinne des Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 21. Oktober 1991 (GVBl. LSA S. 368, ber. 1992 S. 310, § 2 (2), Pkt. 1, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. April 1994 (GVBl. LSA S. 508) und vom 13. August 2002 (GVBl. Nr. 44), denkmalge- schützt. Alle baulichen und restauratorischen Maßnah- men unterliegen den Kriterien dieses Gesetzes, auch der Internationalen Charta von Venedig von 1965 des ICOMOS - Internationaler Rat für Denkmale und Denkmalbereiche.

2) Gruft 13: Marcus Golter, Diplomarbeit 1997/98 an der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design Halle für Gruft 13 (Familie von Schenitz) Entwurf und Ausführung: Gruft 13: Marcus Golter Gruft 14: Steffen Ahrens Grüfte 15/16: Marcus Golter Betreuer: Prof. Bernd Göbel Gruft 59 3) Statik: Ingenieurbüro Dr. E. Arndt - nach der Instandsetzung mit neuer Büro für konstruktiven Ingenieurbau Kolumbarien-Ausstattung und Tragwerksplanung

43 Restaurierug der ausgesetzt. Feuchteschäden, Salzbe- lastungen, dadurch bedingte Erosi- Ausstattungen der onsschäden mit Substanzverlusten an der Natursteinsubstanz - an Plastiken, Grüfte Profilen, ganzen Bauteilen, an Farb- fassungen und Inschriften - waren die Die Würde des Ortes, die Achtung Folge. Beschädigungen und Verluste vor den Toten, der Glaube an das entstanden weiterhin durch Vanda- Weiterleben nach dem Tode - die lismus und durch Diebstahl. Pflege religiöser Traditionen und der Wunsch nach begreifbarer Erinne- Der erste und damit umfassendste rung - bewegten die Menschen, ihre Überblick vom künstlerischen Be- Familiengrüfte künstlerisch auszu- stand der Grüfte und ihrer Ausstat- statten. So entstanden auch im Ver- tungen stammt von Olearius - in laufe der Geschichte des Stadtgottes- Wittenberg 1674 veröffentlicht. Trotz ackers zahlreiche, bis heute erhalte- der seitdem entstandenen Verluste ist ne künstlerisch, kunsthistorisch und es erstaunlich, wie viele Ausstattungs- zeitgeschichtlich wertvolle Ausstat- stücke aus der Zeit Olearius´ noch bis tungsstücke - Epitaphien, Skulptu- Gruft 13 heute erhalten geblieben sind. ren, Malereien, Inschriften, Stuckie- Zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch erhaltener rungen, Wandverkleidungen, Ko- Skulpturenbestand eines der ehemals reichsten Auch nach Olearius entstanden viele geschmückten barocken Epitaphien. lumbarien, gestaltete Fußböden, ... wertvolle Ausstattungen - die letzten Einige Gruftinnenräume wurden so- im 20. Jahrhundert. Heute sind auf gar, einem einheitlichen Gestal- dem Stadtgottesacker noch 79 Epita- tungswillen folgend, vollständig um- phien - wenn auch nicht immer voll- gestaltet, wie es z. B. bei den Grüf- ständig - erhalten. Sie befanden sich, ten 38, 46, 77 und 85 noch heute zu von wenigen Ausnahmen abgesehen, erleben ist. bis Ende der 90er Jahre des vergange- nen Jahrhunderts in einem bedau- Verluste oder die Überbauung älte- ernswerten schlechten Erhaltungszu- rer Fassungen waren die Folge. Der stand. Erst die Witte-Stiftung ermög- größere Teil der eingetretenen Ver- lichte neben der baulich- denkmal- luste allerdings war verbunden mit pflegerischen Instandsetzung der dem Verfall und der Zerstörung vieler Grüfte auch die Erhaltung der Aus- Grüfte besonders in der 2. Hälfte des stattungen. Erste Maßnahmen galten vergangenen Jahrhunderts durch feh- bereits Mitte der 90er Jahre der foto- lende oder defekte Gruftdächer. Im grafischen Dokumentation und der 2. Weltkrieg wurden zahlreiche Grüf- Errichtung von Schutzverbauungen. te zerstört, der Mangel an Erhaltung Im Jahre 1999 begannen dann, im und baulicher Pflege führte zu weite- Rahmen der nunmehr planbaren um- ren Einstürzen und Verfall. Die Aus- Gruft 13 fassenden Restaurierung aller 1559 erbaut von Victor von Scheinitz. Situation stattungen waren somit Witterungs- der Gruft und ihrer Ausstattung vor Beginn der Gruftausstattungen, die Vorbereitung und belastenden Umwelteinflüssen Arbeiten in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. und Durchführung der Restaurierung

44 der Ausstattungen der Grüfte 82 - 88, danach der Grüfte 62 - 81. Die Pla- nungen zur Restaurierung der Aus- stattungen der Grüfte 1 - 61 lagen vor. Den Planungs- und Bauleitungs- auftrag erhielt das Büro für Architek- tur und Denkmalpflege - methodi- sche, denkmalpflegerische Abstim- mungen erfolgten mit dem Landes- amt für Denkmalpflege. Die Planung stützte sich auf die wenigen vorhan- denen archivarischen Quellen, auf die Beschreibung der Ausstattungs- stücke, ihres Erhaltungszustandes, der Bestandsschäden und auf die da- von abgeleiteten Restauratorischen Zielstellungen.

Auf Grundlage dieser detaillierten Dokumentation erfolgte die Bearbei- tung der Leistungsverzeichnisse für die Restaurierung der Ausstattungs- stücke. Im Rahmen der Ausschrei- 1 2 bungen und der als Ergebnis des Wettbewerbes der Bieter vergebenen Gruft 87 Leistungen bildeten in jedem Fall die Marmorepitaph Elisabeth Voigt (gest. 1767) - reich gestaltetes, stark geschädigtes, barockes Figure- farbrestauratorische Befunduntersu- nepitaph - der Renaissance-Architektur entlehnter chung und deren Dokumentation Grundaufbau. und, wenn notwendig, die Bearbei- Hauptschadensursachen: Rostsprengung durch Eisendübel, -anker und -klammern mit Rissbildun- tung bauphysikalischer und chemi- gen, Absprengungen, mutwillige mechanische scher Gutachten zur qualitativen und Beschädigungen mit Substanzverlusten. quantitativen Salzanalyse, Material- Ausschreibung der Leistungen (Grüfte 82-88) - bestimmung sowie die Bearbeitung Zuschlag erteilt an Dipl.-Rest. (FH) Schöne. Arbeitsschritte: Reinigung der Untergründe Einzel- holzschutztechnischer Gutachten die teile; Entfernen alter ausgehärteter Bestandteile: Voraussetzung für den Beginn der Re- Fugenmassen, Setzmörtel; Entfernen aller staurierungsarbeiten. Diese galten Eisenanker; vor Demontage Beschriften und zuerst der Festigung und Sicherung Kartieren; Verfestigung poröser Bereiche; Verkle- bung zerbrochener Bauteile; Vernadelung der vorhandener Fassungsreste, der Ent- Bruchstücke; Versetzung von Einzelteilen, Befesti- fernung von Schmutz und Staub bei gung durch Edelstahlanker (V4A-Stahl); Aufbau Erhaltung der Reste der Fassungen. der östlichen Säule - fehlende Teile durch Abfor- Steinkonservatorisch wurden nach mungen ersetzt; Antragsarbeiten; Farbretuschen des Schriftbandes, an Nachbildungen, Steinergän- diesen Arbeiten die steinergänzen- 3 zungen und Vierungen. (Bild 3) den Maßnahmen durch Antragun- (Bild 1 vor, Bild 2 nach der Restaurierung)

45 gen, Anböschungen oder Vierungen Gruft 77 im Wesentlichen zur notwendigen barocke Ausgestaltung vermutlich 2. Hlft. 17. Jh. Substanzerhaltung durchgeführt. Bild 1: Deckengemälde vor der Restaurierung Ausnahmen bildeten Arbeiten zur op- Holztonne und Schildbögen zeigten stark geschä- digte plastische Stuckdekorationen mit fünf Spie- tischen Harmonisierung gestörter ar- gelgemälden christlich-ikonographischen Inhalts. chitektonischer Hauptstrukturen. Am An der Secco-Malerei der Gemälde markierten häufigsten notwendige weitere Arbei- sich Fassungsschäden, Farbwertveränderungen, ten waren: Hinterklebungen, Risssa- eine abblätternde und abgesprengte Malschicht sowie pudernde Malschichtoberflächen. Es gab nierungen, Verfugarbeiten, die Ent- Wasserflecken, Wasserränder, ausgeprägtes Kra- fernung von Graffiti, im Detail Rand- kelee, Ausblühungen, sandenden Putz, Putzrisse, und Flächenfestigungen. Verschmutzungen, Lageveränderungen, Altretu- schen und Übermalungen. Bearbeitungsschritte galten u. a. einer temporären Ergänzende Maßnahmen wurden nur Sicherung der Fassung, der Risskonservierung so- mit großer Zurückhaltung und im wie der Reinigung von Putzhohlräumen, ihrer Wesentlichen nur zur Substanzerhal- Hinterfüllung; Altputze ohne Fassungsbestand wurden entfernt und erneuert. Danach die Abnah- tung durchgeführt. Farbverlustflä- me temporärer Sicherungen; Konservierung und chen wurden abschließend durch ei- Sicherung der Malschicht durch Festigung; Reini- ne der Gesamtwirkung dienende har- gung der Oberfläche; Anlegen von Retuschen im monisierende Neutralretusche Lokalton und als Trateggio-Retuschen. ergänzt, im gegebenen Fall auch Bild 2: Zustand nach der Restaurierung durch eine Tratteggio-Retusche. In- schriften wurden im Interesse der Verbesserung ihrer Lesbarkeit nach Befund (Schattenwirkung) ergän- zend retuschiert.

Das Restaurierungskonzept der Aus- stattungsstücke der Grüfte wird be- stimmt durch die Forderung nach der Erhaltung des originalen Bestandes, sekundiert durch den Anspruch nach einem ästhetisch befriedigenden Er- Gruft 75 gebnis, dem sich die Denkmalpflege 1578 für die Familie Puchbach errichtet - Kamerablick 2001 auf eines der 3 seit der im Interesse ihres Anliegens und ihres 2. Hälfte des 17. Jh. mit der Schauseite nach Stellenwertes nicht verschließen darf. innen gedrehten ältesten Renaissanceepitaphien des Stadtgottesackers (erste Erfassung 1994 durch Die 1999 begonnenen Restaurie- P. Schöne). Es ist geplant, die sehr gut erhaltenen Epitaphien des Franz Puchbach (gest. 1567), das rungsarbeiten an den Gruftausstat- seiner Frau Barbara (gest. 1587) und des Martin tungen werden im Jahr 2004 abge- Puchbach (gest. 1575) wieder zu drehen und mit schlossen. der Schauseite zu präsentieren.

Gruft 89/90 (Seite 47) Helmut Stelzer, Blick über den Haupteingang zur Feierhalle, Thomas Zaglmaier um 1960

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Bauliche, weise. Die oben genannte getäfelte Trennwand fehlte. Von dem Paneel denkmalpflegerische waren nur noch etwa 50 % erhalten. Das imitierte Netzrippengewölbe Instandsetzung hatte, verursacht durch bereits in der und Wiederherstellung Vergangenheit an der Dachkonstruk- tion notwendig gewordene statisch- der Feierhalle und konstruktive Arbeiten, verändernde Eingriffe erfahren, die mehrfachen des Gärtnerhauses 1 Farbanstriche in Leimfarbe waren durch Bindemittelfäule völlig ver- schwärzt. Die 1997 begonnene bauli- Feierhalle che und restauratorische Instandset- zung war dringend erforderlich. Mit Die Feierhalle befindet sich in den den Ausführungsarbeiten entstand bei Grüften 89 und 90. Sie wurde im Jah- weitgehender Erhaltung der origina- re 1825 in diese Grüfte eingebaut. len Substanz eine nach haustechni- Ende des Jahres 1997 wurde nach schen Gesichtspunkten modernisierte vorangegangenen restauratorischen Feierhalle (Fußbodenheizung, Elek- und baulichen Untersuchungen mit troanlage, Zugang zu Sanitärräumen). den architektonischen und denkmal- Die fehlenden Paneele wurden in An- pflegerischen Planungen der Restau- 2 lehnung an das historische Vorbild er- rierungs- und Instandsetzungsarbei- gänzt. Das Deckengewölbe wurde Feierhalle und Ausstattung ten an der Feierhalle sowie den Funk- während (1) und nach (2) der Instandsetzung nach Ab-schluss der statischkonstruk- tions- und Nebenräumen in den tiven Sicherungsarbeiten instand ge- Nachbargrüften sowie mit deren Aus- zur gleichen Zeit als imitiertes Netz- setzt. Die teils jüngeren Fenster mus- führung begonnen. Die Arbeiten wur- rippengewölbe neu geschaffen. sten wegen ihres schlechten Erhal- den Mitte des Jahres 1998 abge- Die südwestliche Außenwand der tungszustandes erneuert werden. schlossen. ehemaligen Grüfte erhielt zwei große Passend zur baulichen Umgebung, Die Gruft 91 wird als Vorbereitungs- Segmentfenster. Ein brüstungshohes damit auch der besonderen Nutzung raum für Bestattungsfeiern genutzt Holzpaneel umzog die farbig gefas- gerecht werdend, wurden als Fußbo- und die Gruft 92 als Foyer mit neu ge- sten Räume. denmaterial Sandsteinplatten verwen- schaffener Treppenanlage als Zugang Die Trennung zwischen Feierhalle det. Der nach Befund im Wesentli- zum angrenzenden Gärtnerhaus. und Vorbereitungsraum bestand aus chen in Riedbraun - rote Begleitstriche einer heute nicht mehr vorhandenen befinden sich entlang der Gewölbe- Mit der Schaffung der Feierhalle im getäfelten Trennwand mit Tür und rippen - gefasste Raum wird mit zeit- Jahre 1825 wurden die bis dahin offe- verglastem Oberlicht. genössischem Mobiliar ausgestattet. nen Schwibbögen mit Ziegelmauer- Der wiederhergestellte historische werk verschlossen. Sie erhielten seg- Die Farbfassung des Innenraumes Raum, dem bei seiner denkmalpflege- mentbogenartige Tür- und Fensteröff- wurde nach Befund wiederhergestellt. rischen Instandsetzung und Gestal- nungen mit profilierten Putzrah- tung bewusst alles Bedrückende ge- mungen. Die Decke der zwei Grüfte Zu Beginn der Planung existierte die nommen wurde, wird wieder als beanspruchenden Feierhalle wurde originale Ausstattung nur noch teil- Feierhalle genutzt.

48 Gruft 89, 90 Feierhalle Innenansicht - Blick nach Südosten

Gruft 90 - 92 Feierhallenbereich - Außenansicht

49 Gärtnerhaus gen. Im Untergeschoss sind außerdem Archiv und Heizung untergebracht. An Das Gärtnerhaus, auch Inspektorhaus der Südfassade des Gärtnerhau ses be- genannt, wurde Ende des 19. Jahrhun- fand sich früher ein kleiner Vorgarten, derts außerhalb des Stadtgottesackers, der wieder hergestellt wurde. Vom sich an die westliche Umfassungsmau- Garten aus gelangt man über einen se- er unmittelbar neben dem Torturm- paraten Zugang über die vorhandene Eingang zur Renaissanceanlage anleh- Treppenanlage im Gebäude zu einer nend, errichtet. Es ist ein unterkellerter Wohnung im Obergeschoss des Ge- zweigeschossiger Klinkerbau, der bäudes. gemäß dem damaligen Zeitgeschmack gestaltet wurde. Die denkmalpflegerisch instand ge- setzte Feierhalle und das in Struktur Das Gärtnerhaus ist nach verstärkt auf- und Erscheinung erhaltene moderni- getretenen Steinschäden später ver- sierte Gärtnerhaus bilden eine wichti- putzt worden. So ist es den Hallensern ge Voraussetzung für das zukünftige seit langem vertraut. Das Gebäude er- Erlebnis des auch wieder als Begräb- hält deshalb mit den bereits im Februar nisstätte genutzten, - nunmehr insge- 1998 begonnenen Arbeiten wieder samt denkmalpflegerisch instand ge- einen glattgeriebenen Außenputz mit setzten und wiederhergestellten Stadt- einem mineralischen Farbanstrich in gottesackers zu Halle. hellem Ocker. Die Sandsteingliede- rung der Fassade und die Fenster wer- Die denkmalpflegerische Gesamtres- den sich farbig abheben. taurierung des Stadtgottesackers wurde und wird getragen durch die Stadt Hal- Das Gärtnerhaus wurde instand ge- le, durch die Bereitstellung von Mitteln setzt und modernisiert, damit es sei- aus Förderprogrammen des Bundes nem ursprünglichen Zweck als Funkti- und des Landes Sachsen-Anhalt, durch onsbau für den Stadtgottesacker wie- Spenden sowie ganz wesentlich durch der dienen kann. Im Erdgeschoss, das die private Stiftung von Frau Dr. Witte. von der Nordfassade neben dem Ihre Stiftung ermöglicht nicht nur die Haupteingang zum Stadtgottesacker umfassende Instandsetzung des künst- seinen Hauptzugang hat, entstand ne- lerisch reich ausgestatteten Stadt- Gärtnerhaus mit Torhaus nach der Instandsetzung ben einem Verwaltungsraum ein Aus- gottesackers, sondern auch zukünftig stellungsraum mit einer ständigen In- und von hier aus über den Vorraum die sämtliche baulichen und restauratori- formationsausstellung zur Geschichte Feierhalle. Vom Flur aus erreicht man schen Werterhaltungsmaßnahmen am und zu wechselnden aktuellen Fragen weiterhin WC-Anlagen, für Damen Stadtgottesacker in Halle. und Problemen bezüglich des Stadt- und Herren und für die Nutzung durch gottesackers. das Personal bestimmt; ein Zugang er- Helmut Stelzer Der Stadtgottesacker kann vom Flur folgt über die Treppenanlage zum Un- Thomas Zaglmaier aus über einen in der Umfassungs- tergeschoss. Hier befinden sich Räume mauer zur ehemaligen Gruft 93 neu- für das Personal zum Umkleiden sowie geschaffenen Zugang erreicht werden Wasch- und andere Sanitäreinrichtun-

50 Abbildung historische Zeichnung zur Planung des Gärtnerhauses

51 Torturm, begleitet von den Grüften 94/1

Aufgang zur Feierhalle

Seite 41 Umfassungsmauer außen mit Haupteingang zum Stadtgottesacker, 1998

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Restauratorische Im Vorfeld der baulichen Restaurie- Belegungs - und rung der Bögen des Stadtgottes- Besitzstudien und kunsthistorische ackers sind neben einer Steinscha- denskartierung Untersuchungen zur Neben den restauratorischen Unter- Untersuchung der historischen Polychromie an der suchungen erfolgte eine aus ver- Arkatur und der Schwibbogenarkatur und in den Me- schiedenen historischen Quellen morialräumen erfolgt. erstellte Auflistung der Gruftbele- Gruftmemorials Die Untersuchungsarbeiten wurden gungen. Die faksimilierten Quellen- in Ateliergemeinschaft des Autors auszüge wurden auf einem oder und des Dipl.-Restaurators Peter mehreren Übersichtsblättern zusam- Schöne durchgeführt. mengeführt und dem jeweiligen Dokumentationsheft beigefügt. Heraldische Studien hallescher Ge- Methodik und schlechterwappen ergänzen die Un- Dokumentation tersuchung.

Die Untersuchungen erfolgten durch mechanische Schichtentrennung mit Kunsthistorische Studien dem Skalpell teils unter Verwendung zur Arkatur optischer Hilfsmittel. Zur dokumentarischen Aufbereitung Bisher war die kunsthistorische Be- war es in Anbetracht sich wiederho- trachtung überwiegend auf die Or- lender Schemata günstig, Formblät- namentik und ihre Vorlagen gerich- ter zu erarbeiten, die eine übersicht- tet. Jedoch schon die originelle tek- liche Befundpräsentation gewährlei- tonische Gliederung verdient sten. Die Untersuchungsergebnisse besondere Aufmerksamkeit. Der Ty- jedes Raumabschnittes wurden in je- pus der weitspannenden Segment- weils separaten Heften für den In- bogenarkatur auf zierlichen Stützen nen- und Außenbereich zusammen- wurde wohl in der ersten Hälfte des gefaßt. Sie enthalten ein Deckblatt Quattrocento in Florenz entwickelt. mit allen nötigen Vorinformationen, Frühes Beispiel hierfür ist der auf welchem durch schematische 1435-40 von Bernardo Rossellino Darstellungen die jeweilige Lage errichtete Chiostro degli Aranci, ein und räumliche Situation vorgestellt kleiner eleganter zweistöckiger wird. Kreuzgang der Badiakirche in der Die Fassungsfolgen wurden tabella- Via del Proconsole. Eines der frühe- risch mit Anmerkungen und origina- sten deutschen Beispiele einer Seg- len Farbstreifen der verwendeten mentbogenarkatur auf gedrungenen Farbkarte festgehalten. Die Befund- Balustersäulen, entstanden zwi- lage und -auswertung wurden in ei- schen 1531 und 1537, findet sich im nem kurzen Erläuterungsbericht zu- Hof der „Neuen Residenz“ und im sammengefaßt. angrenzenden Domhof in Halle. Ein in den entscheidenden tektoni-

54 schen Details und der Ornamentik he, daß, begünstigt durch weitläufi- Ornamentik farbig vom Fond abge- verblüffend mit der Stadtgottes- ge verwandtschaftliche Bindung der setzt. Die barocken Inschriften in ackerarkatur übereinstimmendes fränkischen und der brandenburgi- der Bogenblende wurden meist an- Pendant ist der etwa zeitgleich ent- schen Linie des Hauses Hohenzol- thrazit oder schwarz ausgelegt. Wie- standene „Schöne Hof“ der Plassen- lern, wahrscheinlich ein künstleri- derholt konnte festgestellt werden, burg ob Kulmbach. Nach den Zer- scher Austausch bestanden hat. daß die Gebälkblende im Ton abge- störungen des durch den Condottie- setzt war und durch materialillusio- re Albrecht Alcibiades angefachten nistisch gemalte Marmoräderungen „Markgräflerkrieges“ wurde die dop- aufgewertet wurde. peletagige kräftigere Rundbogenar- Es fanden sich in den Bogenblenden, katur um 1560 von Caspar Fischer sofern nicht schon Inschriften einge- unter dem humanistisch gebildeten arbeitet waren, auch frei gemalte Markgrafen Georg Friedrich von Schriftzüge in Frakturschrift. Ließ sie Hohenzollern errichtet. Die alles sich auch nur fragmentarisch entzif- überwuchernde Ornamentik ist fern, so war es möglich, über die ebenfalls wie die ältesten Bögen des Konkordanzen die biblische Origi- Stadtgottesackers in Art der Vorla- naltextpassage festzustellen. Die les- gestiche der „Kleinmeister“, wie die Badia Florentina gegenüber dem Bargello baren Partien wurden mittels Zei- Dürerschüler Bartel Beham, Hans Bernardo Rossellino 1435-40 chenfolie vom Original übertragen Sebald Beham, Georg Pencz und Chiostro degli Aranci, Florenz p. 101 und mit beigegebenem Maßstab ko- Heinrich Aldegrever genannt wer- piertechnisch verkleinert, umge- den, gehalten. Insbesondere Alde- zeichnet und vervollständigt. grevers „Vorlagewerk der Ornamen- Fassungsbefunde Anhand historischer Vorlagen pfän- tik“ lieferte entscheidende Anregun- an der Arkatur nerschaftlicher Wappen konnten gen für die Reliefornamentik des fragmentarische Wappenmalereien Stadtgottesackers. Ursprünglich stand die Arkatur als an den Schlußsteinplafonds identifi- Die hallesche Bürgerschaft unter- Einheitsbauwerk in ungefaßtem Ma- ziert und datiert werden. stand auch nach dem erzwungenen terialton. Allenfalls eine mono- Das frühe 19. Jahrhundert bevorzug- Fortgang Kardinal Albrechts und chrom bernsteinfarbene Lasur, die te für die Außenfassung der Bögen Einführung der Reformation weiter- sich im Fugenbereich nachweisen monochrome kühle Beigetöne in hin der landesherrlichen Hoheit ließ, läßt wohl die Absicht erken- magerer Ölfarbe, Töne, die wieder magdeburgischer Erzbischöfe aus nen, Farbnuancen im Material aus- im materialillusionistischen Sinne der brandenburgischen Linie des zugleichen, dem Stein ein „edleres“ darauf abzielten, den Eindruck von Hauses Hohenzollern. Aussehen zu verleihen und das Fu- Sandstein zu suggerieren. In den Bo- Der Baubeginn der Arkatur, nach genbild zurückzudrängen. Mit der genblenden wurden Inschriften in Dreyhaupt 1563, nach anderen An- Trennung in Einzelgrüfte, die späte- schwarzer kalligraphisch gestoche- gaben schon 1557, fällt unter das stens im Hochbarock ihren Ab- ner englischer Schreibschrift aufge- Episkopat bzw. die Administration schluß gefunden haben dürfte, wur- malt. Gelegentlich wurden dazu äl- Siegesmund II., der 1561 auf dem den auch die Arkadenbögen indivi- tere eingetiefte Inschriften durch Landtag zu Calbe die Reformation duell gefaßt. Die Farbtönungen Putzspachtel überglättet. des Erzstiftes endgültig besiegelte. dieser Zeit bewegten sich weiterhin Die separate Neufassung einzelner Form- und Ornamentverwandtschaft im „Materialtonbereich“, und nur in Bögen führte aber stets zu gestalteri- beider Architekturanlagen legen na- wenigen Ausnahmefällen wurde die schen Problemen, da sie der Kon-

Der „Schöne Hof“ der Plassenburg ob Kulmbach 55 struktion zuwiderliefen: Wurden die Befund und den Bogen tragenden Pfeiler mitge- Restaurierungsmethodik strichen, so „fehlten“ diese nun op- tisch bei den beidseits angrenzen- An eine historisch getreue Umset- den Bögen. Um dies zu verhindern, zung der Befunde ist bei der „teilte“ man die Pfeiler manchmal Primärinstandsetzung der Gesamt- ohne Berücksichtigung der Orna- anlage nicht zu denken. Zumal die mentik mittig durch einen schwar- Frage, welchem Befund aus künstle- zen Trennstrich. Bogen 83, Schlußstein rischen oder historischen Erwägun- Polycarp Friedrich v. Layser, 1767, und gen der Vorzug zu geben ist, einer Christine Charlotte, geb. v. Dreyßig, 1780 denkmalpflegerischen Einzelent- Fassungsbefunde zur Freie Rekonstruktion des Allianzwappens scheidung obliegt. Die Innenräume anhand der Malereireste und der Wappentafel Innenraumgestaltung der in der Dreyhauptschen Chronik. wurden mit einem relativ dunklen Gruftmemorials steinbeigen Ton einheitlich gefaßt, um einen zu starken Kontrast mit der Im Inneren der Gruftmemorials wur- naturbelassenen lediglich gereinig- den Erkenntnisse zu baulichen Ein- ten und freigelegten Sandsteinarka- griffen und der farbigen Gestaltung tur zu vermeiden. zu den verschiedenen Zeiten ge- Die Dokumentationen sind nicht nur wonnen und gestalterische Elemente von historischem Interesse, sondern wie Stuckprofile genau vermessen. werden in Zukunft wichtige Ent- Den Höhepunkt barocker Raumaus- scheidungshilfen für eine weiter- gestaltung bildet die wertvolle Stuk- führende Restaurierung, Rekonstruk- katur an der Decke des Memorial- Bogen 77, Schlußstein tion oder historisch fundierte künst- Rekonstruktionsstudie des Monogramms raumes des 1710 gestorbenen Ge- von Samuel (v.) Strykius, 1715 lerische Ausgestaltung einzelner lehrten Samuel Strykius (Nr 77). Die Wie in der ersten Hälfte des 18. Jh. üblich, Gruftmemorials sein. Formensprache der Stukkatur weist überlagern und verflechten sich die jedoch eher auf das ausgehende Kursivversalien mit ihrem Spiegelbild. 17. Jahrhundert hin. Gerhard Richwien Zur Übersicht wurden die Raumsi- tuationen mitsamt der Epitaphe und des sonstigen Inventars, einschließ- lich der Gitter, nach graphischem Schema dokumentiert. Eine wissen- schaftliche und vollständige Inven- tarisation des durch Diebstahl und Vandalismus dezimierten Bestandes steht jedoch noch aus.

Bogen 77, Bogenblende Rekonstruierter Spruch, Fassung von 1715 Bogennummer auf der dunklen Folgefassung, Ende 18. Jh./Anfang 19. Jh.

56 0 50 100 cm

0 10 cm

0 12345 m

Schnitte und Untersicht des Gewölbes der Gruft 85

57 Grabfeld - Wie kaum ein anderer hallescher flächen der städtischen Verdich- Friedhof spiegelt der Stadtgottes- tungsräume. Gartenarchitektonische acker ein Stück Friedhofkultur der Besonders alte Friedhöfe stellen ein letzten fünf Jahrhunderte wieder. eng verzahntes Mosaik von ökologi- denkmalgerechte Die historische Kontinuität, das Ne- schen Kleinststandorten dar, die ei- Erhaltung und Pflege beneinander unterschiedlichster ner in der Regel sehr geringen Epochen und Auffassungen zur Ge- Störung und keinem so starken Erho- staltung von Grabstellen mit ihren lungsdruck wie Parkanlagen unter- Grabmalen verkörpern den Wert der liegen. So sind sie oft die einzigen Gesamtanlage. Werden sonst übli- Oasen der Ruhe und werden häufig cherweise zu einem Zeitpunkt ange- zu Orten der stillen Erholung und legte, in Einteilung und Zeitge- Besinnung. schmack gleiche Grabfelder nach einheitlicher Liegefrist abgeräumt Als garten- und landschaftsarchitek- und neu belegt, dokumentiert der tonische Anlagen werden sie erst Stadtgottesacker ein Stück Stadt- seit dem Einzug der Vegetation in und Friedhofsgeschichte. unsere Friedhöfe im 18. Jahrhundert Trotz aller Schäden stellt die derzei- betrachtet. Für den Stadtgottesacker tig erhaltene Substanz an Grabma- wurde 1818 ein Plan zur erneuten len einen wertvollen Fundus für Instandsetzung und vor allem Ver- zahlreiche Wissenschaftsgebiete, schönerung gefaßt, wozu die Grün- wie Bau- und Kunstgeschichte, Gar- dung eines für diese Aufgaben zu- tendenkmalpflege, Friedhofsge- ständigen Vereins vorgeschlagen schichte, Sepulkralkultur, Städte- wurde. Als Ergebnis dieser Initiative bau, Germanistik, Stadtgeschichte, wurden die Hauptwege angelegt, Universitätsgeschichte, Medizinge- das Rondell in der Mitte geschaffen, schichte, Kirchengeschichte u.a., mit Bäumen umpflanzt und mit Ru- dar. hebänken ausgestattet. Weiterhin wurden Reihen im Grabfeld und das Den innerstädtischen Friedhöfen er- Bepflanzen der Gräber mit Blumen wuchs in den letzten Jahrzehnten, eingeführt. Diese Grundzüge der neben den genannten Aufgaben und Gestaltung des Grabfeldes sind bis ihrer eigentlichen Funktion als Ort heute erhalten. einer würdigen Bestattung, eine neue wichtige Aufgabe: die der städ- Je nach Alter und Material weisen tischen Grünanlage mit all ihren so- die Grabmale und Einfassungen ei- zialen, ökologischen und stadtge- nen unterschiedlichen Erhaltungszu- stalterischen Funktionen. Aus natür- stand auf. Viele sind umgestürzt lichen und rechtlichen Gründen bzw. umgestürzt worden. Teilweise, widerstehen sie am ehesten konkur- besonders bei kompakten Steinen, rierenden Flächenansprüchen der ist nur ein Wiederaufrichten und Städte und werden damit oft zu den Neuverdübeln notwendig. Zusam- letzten ökologisch wirksamen Grün- mengesetzte Grabmale, teils von be-

58 trächtlicher Höhe, mit aufgesetzten Restaurierung historischer Gärten, mengetragen und unter einer neuen Urnen und relativ weichen oder Parks, Anlagen und Plätze sowie laufenden Nummerierung registriert auch spröden Gesteinen weisen da- von Friedhöfen usw. Es umfaßt je- wurden. Parallel dazu sind alle gegen meist beträchtliche Schäden weils ein verbindliches Programm Grabmale in einer Fotodokumentati- auf, die nur durch eine umfangrei- für die Pflege und Unterhaltung des on von 1995/96 erfaßt worden. Mit che Restaurierung zu beheben sind. Objektes im Hinblick auf seine hi- Hilfe eines Planes, auf der Grundla- Besonders wichtig war und ist es, storischen Eigenschaften. Weil es ge einer Vermessung des Stadtver- beim Sichern von Bruchstücken die Fehlentwicklungen und Verlusten messungsamtes, ist es jetzt möglich, Zugehörigkeit festzustellen und sie Grabstätten schnell und sicher zu entsprechend zu archivieren. identifizieren, ihre Lage zu bestim- Bei zahlreichen sehr alten Steinen men und den Zustand der Grabmale droht mittlerweile die Schrift so zu anhand der zugehörigen Fotos abzu- verwittern, daß sie unlesbar wird. fragen. Als sehr problematisch erweist sich der Zustand und die Erhaltung der Die historische Entwicklung des Metallgrabmale. Während solche Stadtgottesackers wurde weiter auf- aus Zink die Zeiten relativ gut über- gearbeitet, die Bewertung zur Sub- standen haben, hauptsächlich Beu- stanz, der künstlerischen und kultur- len, Verbiegungen und Bruchstellen historischen Bedeutung vorgenom- aufweisen, sind die aus Eisen teils men und der Baumbestand und die nur noch in ihren Grundformen er- Krautschicht dokumentiert. Als Er- halten oder zumindest an den Ober- gebnis wurde ein denkmalpflegeri- flächen durch Rost stark verändert. sches Leitkonzept erstellt und Hand- Gleiches gilt auch für eine Reihe lungsempfehlungen ausgesprochen. schmiedeeiserner Grabeinfassun- gen. Folgende Grundsätze und Ziele für die Behandlung der Grabflächen Es wird bei der Durchführung der wurden aufgestellt: Maßnahmen zur Sanierung des Grabfeldes ein sensibles Miteinan- . Erhaltung aller Grabmale bis zu der zwischen dem Priorität ge- einem Zeitpunkt, in dem sie in nießenden Denkmalschutz und Na- Form und Oberfläche nicht mehr turschutzaspekten notwendig sein. als solche erkennbar sind. vorbeugen kann, ist es auch dann Um diesem komplizierten Netzwerk nützlich, wenn keine akuten Eingrif- . Bestattung auf Grabstellen bei von Betrachtungsweisen gerecht zu fe geplant sind und der Fortbestand Erhaltung des vorhandenen Grab- werden, wurde 1994 begonnen, ein nicht akut gefährdet ist. mals. Sofern es die zur Verfügung Friedhofspflegewerk für den Stadt- stehenden Flächen zulassen, ist gottesacker zu erarbeiten. Aus Ko- Im Rahmen dieser Arbeit wurde ein ein Einordnen neuer Liegeplatten, stengründen liegt es bisher nur als neues Grabmalverzeichnis erstellt, die in Material, Farbe und Ober- Rahmenzielstellung vor. Abgeleitet in welchem Informationen aus ver- fläche auf das vorhandene Grab- von dem Begriff Parkpflegewerk, ist schiedenen alten Sterberegistern mal abgestimmt sein müssen, es ein Instrument zur Erhaltung und und Büchern ausgewertet, zusam- möglich.

59 . Um aufgrund der teilweise sehr nicht eine Zerstörung der Denk- wirtschaftung des Friedhofs un- engen und mehrfachen Belegung malsubstanz zu erkennen ist, zu verzichtbaren Elemente und wird seit ca. 400 Jahren den Denkmal- dulden. so unauffällig wie möglich gestal- bestand nicht unnötig zu gefähr- tet sein. den und die Eingriffe in die Vege- . Innerhalb der Quartiere ist der tation so gering wie möglich zu Bestand an Hochstämmen zurück- Auf der Grundlage dieser Zielstel- halten, sollten nur noch Urnenbe- zudrängen. Dazu wird aller Wild- lung wurde durch das Grünflächen- stattungen erlaubt werden. wuchs, toter und stark geschädig- amt eine Friedhofssatzung speziell ter Baumbestand entfernt und kei- für den Stadtgottesacker erarbeitet . Die gärtnerische Pflege wird auf ne erneute Bepflanzung mit Bäu- und am 24.03.1999 durch den Stadt- ein notwendiges Maß zur Erhal- men innerhalb der Quartiere vor- rat der Stadt Halle (Saale) beschlos- tung des Friedhofes beschränkt genommen. Die Linden entlang sen. bleiben. Die teilweise, besonders des Wegekreuzes werden so gut in Abteilung I sehr ausgeprägte wie möglich erhalten. Eine Nach- In den letzten Jahren konnte eine geschlossene Pflanzendecke pflanzung sollte erst erfolgen, Reihe von Maßnahmen durchgeführt (Efeu, artenreiche Krautschicht) wenn die Ausfallquote so hoch ist, werden, die der Bestandserhaltung ist zu erhalten. Weiterhin sind daß eine komplette zeitgleiche dienten. So wurden in den vier Ab- Moose, Flechten und Farne an Neupflanzung möglich ist. teilungen alle umgestürzten Grab- Mauern, Grabsteinen, Wegebe- male wieder aufgestellt und lose grenzungssteinen, in Brunnen und . Die geplante Ausstattung be- Steine befestigt. Weiterhin wurde an ähnlichen Standorten, soweit schränkt sich auf die für eine Be- Gehölzwildauswuchs gerodet sowie tote und bruchgefährdete Äste aus den Baumkronen entfernt.

In der Abteilung IV konnten, nach Instandsetzung der Wege und Stütz- mauern sowie dem Setzen einiger neuer Grabeinfassungen, wieder er- ste Urnenbeisetzngen, durchgeführt werden.

Damit ist der Anfang zum Erhalt des Grabfeldes getan. Die Sanierung des gesamten Grabmalbestandes stellt aber noch eine ehebliche Aufgabe für die nächsten Jahre dar.

Matthias Därr

Seite 61: Historische Aufnahme vom Grabfeld 1. Hälfte 20. Jahrhundert

60 61 Zum Wirken der Im Herbst 1989 folgten Wochenen- Im Ergebnis einer breiten Öffentlich- de für Wochenende viele Bürger der keitsarbeit wurden Spenden in einer Stiftung „Bauhütte Stadt Halle den Aufrufen des Ar- Gesamthöhe von fast einer halben beitskreises Stadtgottesacker mitzu- Million Mark auf das Konto des Ver- Stadtgottesacker“ e. V. helfen, den chaotischen Zuständen eins überwiesen. Für Sicherungs- auf dem Stadtgottesacker in Halle zu und Restaurierungsarbeiten hat die Leibe zu rücken. Zunächst wurde Deutsche Stiftung Denkmalschutz das auf dem Gräberfeld wuchernde bislang 60 TDM zur Verfügung ge- Grün entfernt. Während dieser Ar- stellt. beiten konnte eine Vielzahl von Tei- len der Grabanlagen aufgefunden Aus den Spendenmitteln der und sichergestellt werden. „Bauhütte Stadtgottesacker“ e. V. wurden mit Ausnahme der Grüfte Durch mutwillige Zerstörung ent- Nr. 80 und 81 sämtliche Gitter re- standen im Nordteil des Stadtgottes- stauriert. Darüber hinaus wurde das ackers erhebliche Schäden im Dach- Gitter der Gruft Nr. 84 teilfinanziert, bereich. Um einen weiteren Verfall das im Ergebnis einer Diplomarbeit dieser Bauwerksteile zu verhindern, der Burg Giebichenstein - Hoch- wurden spontan mit Genehmigung schule für Kunst und Design Halle des Rates der Stadt Halle Dachziegel entstanden ist. 1) aus Abrißhäusern geborgen und in die Dachflächen des Stadtgottes- Ein weiterer Schwerpunkt der Ver- ackers eingebaut. Da Bauholz nicht einsarbeit ist die Wiederherstellung ausreichend zur Verfügung stand, der in der Nordwest-Ecke durch wurde in großen Mengen Dielen- Kriegsschäden fehlenden 5 Grüfte holz aus Abrißhäusern des Charlot- mit den Nummern 12 bis 16. Von tenviertels geborgen und für die diesen Grüften ist fast keine Ori- Tonnengewölbe der wiederherge- ginalsubstanz mehr erhalten. Die stellten Gruftbögen verwendet. bei der Gruft Nr. 12 angestrebte Re- konstruktion des Originals durch Mit dem Ziel, die Restaurierung des Studenten der Burg Giebichenstein Denkmals zu unterstützen und den erwies sich als sehr schwierig. 2) Stadtgottesacker wieder zu einem Deshalb wurde mit Zustimmung al- Ort lebendiger Geschichte erstehen ler an der Restaurierung des Stadt- zu lassen, wurde unter Beteiligung gottesackers Beteiligten der Ent- von Bürgern aus ganz Deutschland schluß gefaßt, die noch fehlenden am 1. März 1990 die Stiftung Grüfte mit neu gestalteten Ornamen- „Bauhütte Stadtgottesacker“ e. V. ten durch die Bildhauerklasse der gegründet. Der Verein sieht seine Burg Giebichenstein ausstatten zu Kernaufgabe in der Förderung der lassen. Jüngstes Beispiel ist der fer- Wiederherstellung des Stadtgottes- tiggestellte Bogen der Gruft Nr. 13, ackers durch Spenden und vielfälti- der im Ergebnis der Diplomarbeit ge Initiativen. 1997 bis 1998 des Studenten

62 Marcus Golter entstanden ist. 1) Diplomarbeit des Fachbereiches Metall: 1994 2) Arbeit der Bildhauerklasse Prof. Göbels unter (Abbildung) Thema: „Neugestaltung eines Schmiedegitters Mitwirkung von Dirk Brüggemann (Dipl. 1993) für den Gruftbogen Nr. 84“ Thema: „Rekonstruktion des Gruftbogens Nr. 12 Die Neuanfertigung der Grüfte 13 Bearb.: Pavel Meyrich nach historischen Fotovorlagen“ bis 15 wurde teilweise aus Spenden- Betr.: Frau Prof. Ohme mitteln des Vereins finanziert.

Peter Dahlmeier

Gruft 13 Teile des bildhauerisch bearbeiteten Schwibbo- inzwischen von Marcus Golter auf dem gens auf dem Hof der Burg Giebichenstein - Stadtgottesacker eingebaut. Hochschule für Kunst und Design Halle,

63 Der Stadtgottesacker - Die Stadt kann seit dem 13.01.2001 Grabfeld begrenzt ist, wurden in 3 die Tradition fortsetzen, verdienst- verfügbaren Gruftbögen Kolumbari- erneut Bestattungs- volle Bürger mit einem Begräbnis auf en (Urnennischen) nach dem Bei- dem Renaissancefriedhof zu ehren. spiel des Bogens 85 eingebaut. Je stätte, damit bleibender nach Bedarf werden weitere folgen. Ort ewiger Ruhe und Bereits in der Begräbnisordnung der Stadt Halle des Jahres 1887 war vor- In den Grabfeldern können Nut- Beschaulichkeit sorglich festgelegt, dass Nutzungs- zungsrechte der freien Gräber er- rechte auf dem Stadtgottesacker nur worben werden. Auch Grabstätten bis zum 1. Januar des Jahres 1984 mit vorhandenem Denkmal können verliehen werden. neu vergeben werden in Verbindung Die ursprüngliche Form der Beiset- mit einem Patenschaftsvertrag zur zung in offenen Gruftbögen wurde Erhaltung des Grabmals. bereits 1862 wegen Belastung der Falls Nachkommen der hier Bestat- Luft untersagt. teten die Nutzungsrechte der Fami- Nach dem Beschluss der Stadtver- liengrabstätten neu erwerben möch- ordnetenversammlung vom ten, können sie ihr Interesse beim 10.07.1950 waren Erdbestattungen Grünflächenamt der Stadt Halle an- aus stadthygienischen Gründen melden. (Postanschrift: nicht mehr möglich. Marktplatz 1, 06100 Halle) Aufgrund des Ablaufs der Nutzungs- rechte im Jahre 1984 konnten Der Stadtrat hat für den Stadtgottes- Urnen, um die Ruhefrist einzuhal- acker eine spezielle Friedhofssat- ten, nur noch bis 1964 beigesetzt zung beschlossen. Sie wurde im werden. Amtsblatt vom 13. Januar 2000 ver- öffentlicht und trat am darauffolgen- 1991 hat die Stadt mit der systemati- den Tag in Kraft. Neben Ordnungs- schen Sanierung des denkmalge- und Bestattungsvorschriften enthält schützten Friedhofs begonnen. sie Regeln für Grab- und Grabmal- Dank großzügiger Spendenmittel gestaltung zur Wahrung des Denk- konnten die Bauarbeiten in den letz- malschutzes. Für die Nutzung des ten Jahren verstärkt werden. Friedhofes und der Feierhalle gilt Nach der Sanierung der Feierhalle die Friedhofsgebührensatzung der und der Schaffung neuer Funktions- Stadt Halle (Saale) in der aktuellen räume im Verwaltungs- und Wohn- Fassung. gebäude waren die Voraussetzungen gegeben, wieder Trauerfeiern und Uwe Albrecht Urnenbeisetzungen durchzuführen. Die Stadt wollte den historischen Friedhof nicht nur als Denkmal er- Gruft 59 halten, sondern er sollte wieder als nach der Instandsetzung mit neuer Kolumbarien-Ausstattung Begräbnisstätte dienen. Da der Platz auf dem von Gruftbögen umgebenen

64 65 1822 1877 Der Stadtgottesacker. durch die offenen Grüfte in den Memorial- Umgestaltung der nördlichen Friedhofs- räumen entstehen erhebliche Geruchsbelästi- erweiterung, des sogenannten Soldaten-, Geschichtlicher gungen, vorläufige Sperrung des Stadtgottes- Militär- oder Mariengottesackers, zum Park ackers; vermutlich auch in diesem Zusammen- Überblick hang Einbau des eisernen Tores in den südli- chen Eingang der Westseite sowie Zumauern 1887 Begräbnisordnung der Stadt Halle legt fest, des nordwestlichen Eingangs des Stadtgottes- dass Nutzungsrechte auf dem Stadtgottesacker ackers und Nutzung als Grabstätte (Bogen 9a) vor 1529 nur bis 1984 Gültigkeit haben Nutzung des Begräbnisplatzes auf dem außer- halb der Stadtmauer gelegenen Martinsberg 1830 Bogen 90 wird fortan als Leichenhaus genutzt; 1910 als Pestfriedhof Tieferlegen der Wege an den Grabbögen, Umfunktionierung des Bogens 29 als Durch- da das Erdreich im Laufe der Jahrhunderte gang zum sogenannten Soldaten-, Militär- oder 1529 so zugenommen hatte, dass die Pfeiler der Mariengottesacker Schließung der Begräbnisplätze in der Bögen meist bis zur Hälfte zugedeckt gewesen Stadt Halle und Einrichtung des allgemeinen sein sollen Gottesackers 1911 1557 bis etwa 1590 Umgestaltung des Bogens 83 Errichtung der Grabbogen-Anlage unter zum Kolumbarium Leitung des Baumeisters und Steinmetzen Nickel Hoffmann 31. März und 6. April 1945 durch Bombenangriffe schwere Beschädigung 1615 des Stadtgottesackers Verwüstung des Stadtgottesackers durch einen starken Sturm, daraufhin Verstärkung der Um- fassungsmauer mit Stützpfeilern 1949 Untersagung von Erdbestattungen auf dem Gräberfeld des Stadtgottesackers, Schließung 1669 des sogenannten Neuen Gottesackers Einrichtung des Bogens 50 als Pulverniederlage für die halleschen Kaufleute 1950 aus städtebaulichen und stadthygienischen 1673 Stadtgottesacker Gründen wird der Stadtgottesacker für Beiset- ein Gesetz des Rates regelt die Besitzverhältnis- Blick von außen auf die restaurierte nördliche zungen ganz geschlossen, bis 1976 aber noch se der Grabbögen als Familien- oder Erbbegräb- Umfassungsmauer Genehmigungen für Urnenbeisetzungen in den nisse Bögen, bis 1991 auf dem Gräberfeld

1721 1969 - 1975 Erweiterung des Stadtgottesackers nach Norden Umgestaltung der außerhalb der Grabbogen- (sogenannter Soldaten-, Militär- oder Marien- 1835/36 Anlage gelegenen Begräbnisplätze zum Stadt- gottesacker) Erweiterung des Stadtgottesackers nach Osten park (sogenannter Neuer Stadtgottesacker), Umfunk- tionierung des Bogens 50 als Durchgang 1818 1984 Gestaltung des inneren Gräberfeldes des Nutzungsrechte für die Gräber auf dem Stadt- Stadtgottesackers: Anlegen von Wegen, Auf- 1862 gottesacker enden stellen von Ruhebänken, Einbau einer Tür in wegen Belastung der Luft Untersagung von Bogen 38, um Wasser aus dem unweit gelege- Beisetzungen in den offenen Grüften, diese nen Schimmeltorteich holen zu können; müssen entweder luftdicht überwölbt oder 1991 - 2003/04 ab dieser Zeit wurde auch das Bepflanzen der Sarg mit einer fünf Fuß starken Erdschicht bauliche und restauratorische Instandsetzung der Gräber mit Blumen üblich bedeckt werden des Stadtgottesackers

66 Blick auf die restaurierte Nordseite (S. 67)

Der Stadtgottesacker in Halle, Hans von Volkmann, HALLE Die Stadt der Denkmale Kolorierte Federzeichnung (Rückseite), Aquarell (Titelseite)