Beiträge Zur Geschichte Der Pharmazie 36. Jahrgang 1984

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Beiträge Zur Geschichte Der Pharmazie 36. Jahrgang 1984 Beiträge zur . 6eschichte der Pharmazie Mitteilungsblatt der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie e. V. Societe Internationale d'Histoire de 1a Phannacie · International Society for the History of Phannacy ISSN 0341-0099 Beilage der Deutschen Apotheker Zeitung 36. Jahrgang 1984 · Band 31 · Nr. 22 Leitung: Dr. Paul-Hermann Berges 275 Jahre hallesche Medikamenten-Expedition Aus der Frühgeschichte der pharmazeutischen Industrie in Deutschland Von Wo!fram Kaiser, Halle/ DDR* Die Jahre 1708 und 1709 markieren in sehe Universität mit derartigen Ausbil­ Halense mit dem Ziel der Vermittlung der Geschichte der jungen, 1694 feier­ dungsformen gewesen zu sein (31, 32). praxisnahen Wissens und Könnens ge­ lich eröffneten Acadernia Fridericiana Wenn die Medizinische Fakultät der wesen, das den Flor dieser Ära be­ Halensis sowie der zeitgleich hierzu Academia Fridericiana in der ersten gründete; hinzu kam, daß mit Friedrich durch den großen Pietisten und Päd• Hälfte des 18. Jahrhunderts wesentlich Hoffmann (1660- 1742) und . Georg agogen August Hermann Francke mehr Absolventen zählte als andere Ernst Stahl (1659- 1734) zwei Arzt­ (1663- 1727) aufgebauten Schul- und Hochschulen, dann ist es nicht zuletzt Persönlichkeiten als Professoren in Bildungsanstalten „auf dem Waisen­ das Junckersche Collegium clinicum Halle lehrten, deren Kollegs zu hören hause" (Abb. 1) einige Höhepunkte besonderer und überregional bedeut­ samer Natur. Zum einen erfolgt 1708 die Einrichtung eines unter der Regie von Francke entstandenen Schüler• und Studentenkrankenhauses (49, 52), das dann unter der Leitung des ab 1717 als Medicus ordinarius Orphano­ trophei eingesetzten und zugleich als Doctor legens im Dienste der Hoch­ schule wirkenden Arztes Johann Juncker (1679-1759) zum profilbestimmenden Lehrspital im Rahmen einer ·poliklini­ schen Ambulanz und im System eines / organisierten Bedside Teaching wer- den sollte. Unbestritten hat es Halle den Ruhm eingebracht, die erste deut- * Nach einem am 17. Oktober 1983 im Medizin­ historischen Museum Ingolstadt gehaltenen Vortrag. Abb. 1: Die halleschen Schul- und Bildungsanstalten „auf dem Waisenhause" Beiträge zur Geschichte der Pharmazie · 36. Jahrgang 1984 · Nr. 22 1/ 185 http://publikationsserver.tu-braunschweig.de/get/65070 man kaum weniger bestrebt war als die Laboratorium ein, in dem dieser als­ von Hermann Boerhaave ( 1668-1 738) bald neben der Essentia dulcis weitere im niederländischen Leiden. Spezialitäten (z. B. eine Tinctura ama­ ra) herstellt, die zum einen über die Waisenhausoffizin vertrieben werden, Waisenhaus mit Apotheke zum anderen aber auch bei der Klien­ Ist das Jahr 1708 somit ein nicht un­ tel der Anstalten Anwendung finden. wichtiger Markierungspunkt in der Als besonders verkaufsträchtig erweist Entwicklung des Krankenhauswesens sich dabei die Essentia dulcis, für die modernen Typs, so trifft diese nun­ Christian Friedrich Richter im In- und mehr rund 275 Jahre zurückliegende Ausland schnell Abnehmer findet. Je­ Zäsur in ähnlichem Maße auf die frühe denfalls kann er in den Jahren zwi­ Entwicklung einer systematisierten schen 1 706 und 1 708 einige Werbe­ Arzneimittelproduktion nebst einem schriften in Druck geben, welche die organisierten Vertrieb zu. Auch dieser vielfältige Effektivität der Essentia dul­ für die Initialgeschichte einer pharma­ Abb. 2: August Hermann Francke (1663- 1727) cis herausstellen (58). Dabei beruft zeutischen Industrie bemerkenswerte sich Richter vor allem auf die Erfolgs­ Vorgang ist an das hallesche Waisen­ die 1698 privilegierte Waisenhaus­ meldungen des im nordmagyarischen haus und an den Kreis um August Her­ Apotheke (50) reservierter Kräuter• Neusohl tätigen Arztes Karl Otto Mol­ mann Francke (Abb. 2) gebunden (45), boden. Eine Pflege-Stube für bettläg• ler (1670-1747), der diesem Präparat der gerade in diesem Jahr sein „Project rige Kranke wird, bevor der erwähnte wahre Wunderwirkungen zuschreibt von Verpflegung der Krancken" (79) Krankenhausbau zur Realisierung (57). Überraschen mag, daß die Serie zu Papier bringt, eine Studie, die in kommt, im Unterdach eingerichtet. der fortan kontinuierlich publizierten ihrer weitsichtigen Caritas noch heute Ergänzend hierzu kann Francke in der Heilungsberichte mit einem ausländi• die Bewunderung des Nachbetrachters Zweitauflage der „Fußstapfen" konsta­ schen Qualitätsattest eingeleitet wird. erwecken muß: Sie dokumentiert die tieren: »Die eigentliche Anstalt aber Zu vermuten ist, daß die Essentia dul­ Verbindung eines praktizierten Pietis­ für die Krancken ist in einem dem cis mit größeren Sendungen von Mili­ mus hallescher Prägung mit einer Waysen-Hause zu gehörigen und etli­ tär- und Feldapotheken in das ungari­ engagiert betriebenen Heilkunde, in che hundert Schritt von demselben sche Aufstandsgebiet ging, wo Ferenc der auch die medikamentöse Versor­ entferneten Garten, da nicht allein die Rakoczi Il (1676-1735) als Haupt der gung der Kranken einen festen Platz Waysen-Knaben, sondern auch Stu­ Insurgentenbewegung der Francke­ einnimmt (22). Derartige Erwägungen diosi unter besonderer Aufsicht in schen Sympathie sicher sein konnte hatten Francke seit der Eröffnung sei­ Kranckheiten gepflegt werden« (13). (27), die sich nicht auf verbale Assi­ nes Schulkomplexes „auf dem Waisen­ Diese Zielstellungen hatte Francke zu­ stenz beschränkte. Karl Otto Mol/er als hause" intensiv beschäftigt und bereits vor außerdem noch ein.mal im 1704 zeitweiliger Feld- und Lagerarzt von in einer ersten großen Denkschrift - niedergeschriebenen „Großen Auf­ Rakoczi dürfte daher mit halleschen den „Fußstapfen" von 1701 - ihren satz" in aller Deutlichkeit unterstri­ Niederschlag gefunden, nachdem man chen (15, 54). zwei Jahre zuvor die Schrecken einer in den Anstalten grassierenden Epidemie Trinkgold als Anfang des hatte erleben müssen. Logische Kon­ Spezialitätenhandels· sequenz war der Ausbau stationärer Unterbringungs- und Isolierungsmög• Die klinisch-stationäre Betreuung von lichkeiten gewesen: Ein 1703 im an­ Schülern und Studenten ist die eine, staltsnahen Weinberggelände erwor­ die medikamentöse Versorgung dieser bener und zunächst landwirtschaftlich Patienten die andere Seite im Francke­ genutzter Viehhof wird 1708 ausge­ schen Medizinalprogramm. Während baut und zum Spital umfunktioniert der Epidemie von 1699 hatte ein Ster­ (2). Auf eine ganze Reihe von medizi­ bender namens Burgsta//er Francke nischen und pharmazeutischen Ein­ eine Handvoll Rezepte übergeben, die richtungen kann Francke voller Stolz u. a. die Arbeitsvorschrift für ein bereits in den neuaufgelegten „Fuß• Aurum potabile und für bei Infektio­ stapfen" verweisen, die er mit einer nen als hochwirksam angesehene Heil­ „Erklärung des Grund-Risses vom mittel enthielten. Dem amtierenden Waysen-Hause" einleitet. Für das Schularzt Christ{an Friedrich R ichter Hauptstockwerk beschreibt er eme (1676-1711) überträgt Francke darauf­ Apotheke mit Materialienkammer, hin die Aufgabe, das von ihm als Es­ Apothekerstube und Laboratorium. Im sentia dulcis bezeichnete Trinkgold auf Unterstockwerk findet eine zweite Ma­ Herstellbarkeit und Anwendbarkeit zu terialienkammer nebst einem Apothe­ testen. Zu diesem Zwecke richtet er Abb. 3: Christian Friedrich Richter kenkeller Platz, im Oberdach ein für Christian Friedrich Richter (Abb. 3) ein (1676-1 711) 2/ 186 Beiträge zur Geschichte der Pharmazie · 36. Jahrgang 1984 · r. 22 http://publikationsserver.tu-braunschweig.de/get/65070 Medikamenten bedacht worden sein, nationspunkte in einer bereits zum deren Besorgung wohl der ins Feld­ ~u6fitbth{ßer S!erüf)t Jahrhundertbeginn angelaufenen Ent­ \·on t-rr lager nach Terebes entsandte Francke­ wicklung, die wenig später in die Eta­ Emissär Anhard Adlung (gest. 1745) blierung einer anstaltseigenen Ver­ geregelt hat. Das Projekt des Arznei­ ESSENTIA triebsorganisation - der Medikamen­ handels ist einem Adlung-Brief ent­ DULCI, ten-Expedition des halleschen Waisen­ nehmbar, der am 8. ovember 1707 it'aruuicn IDon i~m '3ul>mitung unb Untm hauses - ausmünden sollte. Bei Abfas­ von Terebes aus an Francke schreibt: fd,ltib \lOn anbcrn gemeinen <Sol~ sung des „Großen Aufsatz" von 1704 » icht weniger kann auch der Handel Tinllurtn qrbanbdl/ hatte Francke wohl noch nicht erahnt, derer Materialien aus Ungarn und mit unb gc3(igcc u,irb / ~orinnm ibrr Virrures fpecific.r, ober daß die hierin nur kurz erwähnten, in denen Arzeneyen bey dießer Gelegen­ cigtnt!id)t unb 9rroifjt ':lllimfungm seinem Auftrag hergestellten Arznei­ btjitl)tn: heit beßer eingerichtet werden« (73). ':IBobco aucf) ;uglricf) mittelsortimente zu Hauptvertriebs­ Bestätigung findet dieser Vorgang <Stroifl"c 0ninbe unb ffirgufn angtroirfm objekten seines für Erhalt und Ausbau außerdem durch ein im Landesarchiv nm~n, nacf) tur!d)rn fttf, ftlbi9cr fo 1nol Me­ dici , als aucf) lln9dr~r111 bto aD1r9anb fcf)n,rrm des Schul- und Bildungskomplexes so Budapest (Archivabteilung des Rakoc­ .!trancf9tlltn / ols Contrallur, Ep ilcpfit, ~i<tti dringend benötigten Erwerbsspek­ Podagra, ~ttin,6dJmtr$(n1 fd)n,m & zi-Freiheitskampfes) befindliches Do­ burttn, ~lur,~tur;ungrn, 1c. trums werden sollten. Francke hatte kument, das eine am 5. November i!id)t n,tuigtr aucf) bt~ aßcr9anb anbmnt unb in dabei erwogen: »Wann aber ein weg bitftm !&ricf)t nicf)r binrnnrtn t,orfoDrnbfn 1709 vorgenommene Zahlung objekti­ . .fi'raucf~citm , geöffnet werden ~önte, eben dieselbige viert (»Apothecario Serenissimi Regis !Dlit ffill{!tn unb merhodice gcbrnud}ffl Arzeneyen in weit entlegenen Län• fonnrn. 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