Die Gelbe Gefahr
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Die gelbe Gefahr Martin Ulrich Seit 20 Jahren verzückt die US-Fernsehserie „The Simpsons“ Jung und Alt mit ihrem unnachahmlichen Witz. Wir werfen einen Blick hinter die bei- spiellose Erfolgsgeschichte der knallgelben Trickfilmsippe. Anfänge Der Simpsons-Schöpfer Matt Groening zeichnete zunächst 1977 die unkolorierte Comicserie „Life in Hell“. Ursprünglich wa- ren diese skurilen Geschichten nur für seine Freunde gedacht, denen er sein Le- ben in Los Angeles näherbringen wollte, sie erfreuten sich aber bald grosser Be- liebtheit in der örtlichen Künstlerszene. Ab 1978 Veröffentlichung im avantgardi- stischen „Wet Magazine“, ab 1980 in der alternativen Wochenzeitung „Los Angeles Reader“, später gesammelte Herausgabe in Form von themenorientierten Bänden wie „Arbeit ist die Hölle“ oder „Liebe ist die Hölle“. Filmproduzent James L. Brooks wurde auf Groening aufmerksam, bat ihn 1985, etwas für die komödiantische „Tra- cey Ullman Show“ zu zeichnen. Groening erdachte spontan die Simpsons, deren Vornamen er aus dem Verwandtenkreis entlehnte. 1989 wurden die kurzen Film- chen vom Sender Fox zu einer eigenen Fernsehserie ausgebaut. George H. W. Bush stiess sich daran und wollte, dass amerikanische Familien eher wie die „Wal- Matt Groening tons“ sind und weniger wie die „Simp- sons“. Erstausstrahlung im deutschen gesetzt, ab 2008 gab es aber vier spiel- sie es in Guinessbuch schafften. Unzähli- Sprachraum: 1991 im ZDF. Später kam filmlange Filme, die direkt auf DVD ver- ge Gaststars traten bei den Simpsons auf, die Serie auch auf ProSieben, ORF1 und öffentlicht wurden, und dann auch episo- wobei dies für die meisten eine Ehre dar- SF2. disch ausgestrahlt. Es wird an einer neu- stellte. Punkto Episodenanzahl wurden en Staffel mit 26 Episoden gearbeitet, de- „Die Simpsons“ 2004 zwar von „Scooby Ab 1999 wurde parallel „Futurama“ aus- ren Premiere für Mitte 2010 geplant ist. Doo“ überholt, doch sie konnten den Ti- gestrahlt, eine neue Zeichentrickserie von tel 2005 zurückerobern. 2009 wurde die Groening und dem Drehbuchautor und Die Animation in Futurama ist teils Com- Serie zudem als am längsten laufende Sit- Filmproduzent David X. Cohen. „Futura- puterarbeit und teils koreanische Handar- com und als Serie mit den meisten Emmy- ma“ spielt zu Beginn des 31. Jahrhun- beit. Die Simpsons wurden ganz am An- Awards mit weiteren Guinness-Rekorden derts. Hauptfigur ist der 1974 geborene fang noch in Amerika gezeichnet, später ausgezeichnet. Im selben Jahr schaffte es Pizzabote Fry, der nach einem kryostati- in verschiedenen südkoreanischen Studi- die Figur Marge Simpson sogar aufs Ti- schen Tiefschlaf in der Zukunft aufwacht. os. In Amerika werden die Drehbücher, telbild des Playboys. Oft versuchte man, Im Jahr 3000 wird er Paketbote bei Pla- Entwürfe und Hintergründe gemacht. Bei die Simpsons zu kopieren („South Park“, net Express, wo er in seiner Equippe u.a. Staffel 14 wurde die Produktion von kon- „Family Guy“), was aber nie gelang. eine Zyklopin und einen Krabbenmensch ventioneller Einzelbildanimation auf digi- hat. Die beste Figur der Serie ist aber tale Animation umgestellt. Es gibt mittlerweile 21 Staffeln, wovon die zweifellos der kleptomanische, versoffe- meisten aus etwa 22 bis 25 Folgen be- ne, zigarrenrauchende, roboterfrauenver- Mittlerweile ist „The Simpsons“ die langle- stehen. Folgen insgesamt: 449. Eine Fol- narrte und spielsüchtige Roboter Bender. bigste „Prime-Time“-Serie, zugleich die er- ge dauert 22 Minuten. Zum amerikani- Auch „Futurama“ holte Emmys, konnte folgreichste Zeichentrickserie. Sie laufen schen „Halloween“-Fest gibt es jeweils ei- aber nur eine kleinere Anhängerschaft um sogar schon seit längerer Zeit zur „Prime- ne „Treehouse of Horror“-Folge. 2007 kam sich scharen. 2003 wurde die Serie ab- Time“ als die „Familie Feuerstein“, wofür der Simpsons-Spielfilm in die Kinos. Zu- 4 TTTAXI Nr. 69 dem existieren Comicheft-Reihen, Video- spiele und vieles mehr. 1996 gelang es der Folge „Lisa the Iconoclast“, die Spra- che um zwei neuerfundene Wörter zu bereichern: „embiggen“ (vergranden) trat fortan in mehreren (auch wissenschaftli- chen) Textveröffentlichungen auf, „cro- mulent“ (allumpassend) wird sogar vom „Webster’s New Millennium Dictionary of English“ aufgeführt. 2005 wurde die Serie unter dem Namen „Al Shamshoon“ auch in die arabische Welt verkauft, Homer heisst darin „Omar“, Bart „Badr“. Alkohol und Schweinefleisch wur- den herausgeschnitten. Zum 20. Jubiläum gratulierte sogar die vatikanische Zeitung „L’Osservatore Ro- mano“. Sie lobte, manch einer würde heu- te nicht mehr zu lachen wissen, gäbe es die Simpsons nicht. Handlung und Aufbau Die Simpsons sind eine fünfköpfige Pro- blemfamilie im fiktiven amerikanischen Städtchen Springfield. Sitcom-artig dre- Obwohl die Folgen relativ kurz sind, ha- Philosophie Guadeloupe hen die Sendungen sich um zwischen- ben die meisten nicht nur eine Haupthand- Die eigentliche Hauptrolle bei den Simp- menschliche Schwierigkeiten der gelbhäu- lung, sondern auch noch eine Nebenhand- sons spielt heimlich ihr Fernsehgerät. Es tigen, vierfingrigen und glubschäugigen lung. Der Vorspann der Serie enthält je- nimmt die Rolle einer Art Deus Ex Machina Figuren mit Überbiss, die in grellen Far- weils variable Elemente: Den Tafelwitz ein, inspiriert die gelbe Familie in allen ben und im „ligne claire“-Stil gezeichnet (Bart schreibt strafarbeitshalber absurde auswegslosen Lebenslagen. Ebenso wer- sind. Die gelbe Hautfarbe wird uns Zu- Verhaltensgebote an die Wandtafel) und den auch die Macher der Serie vom Fern- schauerInnen nicht erklärt - die Simp- den Sofawitz (auf verschiedenste Arten sehen inspiriert: Anspielungen auf Film sons sollen weder Ausserirdische noch nimmt die Familie auf dem Sofa platz), und Fernsehen finden sich in jeder Folge. Monster sein. Die Farbe stört nicht mehr, den man auch schon stark ausdehnte, um Aber nicht nur „Populärkultur“ fliesst ein, sobald man gemerkt hat, dass dieser zu kurz geratene Folgen zu strecken. Man- sondern auch „Hochkultur“: Philosophie, Trickfilm echter als die Realität ist. che Folge beinhaltet eigens komponierte klassische Musik, Mythologie, Religion, oder parodierte Musikstücke. Ethik, Wissenschaft. Ein Artikel der WELT Das Leben in den USA wird karikiert, das Online („Das große Neiiin! Simpsons und Ganze ist eine einzige Abrechung mit dem Die Eröffnungssequenz beginnt mit Wol- Philosophie“, 23. Juli 2007) listet auf, wie „American Dream“ und jeder kriegt sein ken und dem engelhaft gesungenen Fami- viel Philosophie in der Serie steckt. Sein Fett weg: Die Unterhaltungsbranche, die liennamen der Simpsons. Die Melodie hier Verfasser, der Journalist Holger Kreitling, National Rifle Association NRA, religiöse bildet einen Intervall Tritonus, der von Mu- vermutet, dass Friedrich Nietzsche die Eiferer, Republikaner, aber auch radikale sikkennern „der Teufel in der Musik“ ge- Simpsons gutgeheissen hätte, denn er be- Feministinnen, Ökofreaks und manchmal nannt wird (Weil er sich durch keine ganz- richtet im „Ecce Homo“ von „der ungeheu- sogar die allzu Liberalen. Bemerkenswert: zahlige Proportion beschreiben lässt). Ein ren Nötigung fern zu sehen“. Und mit den Die Simpsons laufen auf dem als konser- weiteres Markenzeichen: Anfangs jeder Simpsons sieht man am fernsten. vativ geltenden Sender FOX von Rupert Folge bricht meist die Hölle los, am Ende Murdoch, der zugleich die Produktionsge- ist aber meist alles wieder im Reinen. Am Die Serie bietet dem Sinnsuchenden zwar sellschaft ist. Und selbst diesen Sender Ende der Folge findet auch - wie typisch auch keine Antworten, aber dafür tröst- nehmen sie hin und wieder aufs Korn. Ver- für viele 80er Fernsehserien à la Magnum lich-absurd einen holistischen Zugang zur traglich haben die Macher der Serie sich - eine Rückkehr zum sog. „Status quo an- Weltkultur, zumal sie selbst die Essenz inhaltlich das freie Schalten und Walten te“ statt, das abgebrannte Haus steht in aller möglichen Einflüsse darstellt. Ich zusichern lassen (nur die allgemein übli- der nächsten Folge wieder. Grundlegen- würde sogar so weit gehen, zu behaup- chen Zensoren mildern die gröbsten Flü- de Verhältnisse ändern sich nicht, aller- ten, dass es sich bei den Simpsons um che und drastischsten Darstellungen). dings ist das keine konsequente Regel, eine der grössten Kulturleistungen der Beim Schweizer Fernsehen beschwerte sondern es wird eher spielerisch damit Menschheit handelt, nicht zuletzt gerade sich jüngst eine Frau, die sich an der gro- umgegangen. Der geschenkte Totem deshalb, weil ich sie als eine Art Kultur- ben Darstellung von Gewalt und Pornogra- bleibt im Keller stehen, Maude Flanders Mischtrommel sehe, die alles an Kultur- phie störte. Aus diesem Grund wird jetzt wird nicht wieder zum Leben erweckt. leistungen bisher schon Dagewesene zi- vor jeder Folge ein Warnhinweis gezeigt, tiert, kopiert, kombiniert, beleuchtet, welcher darauf hinweist, dass die Serie Die Serie funktioniert durch ganz ver- verulkt. erst ab 12 Jahren geeignet ist. schiedene Humor-Arten: Elemente der absurden Komödie, Slapstick, Dauerwitze. Meine Meinung Anders als bei Realfilm-Sitcoms weitet sich Besonders kennzeichnend ist die ständi- Die Simpsons machen süchtig. Und das die Handlung auf viele Orte und Perso- ge Durchbrechung von Erwartungshal- Beste: gesehene Folgen kann man im- nen ausserhalb des eigenen Hauses aus. tungen. mer wieder sehen, weil sie so vielschich- TTTAXI Nr. 69 5 tig sind. Allerdings finde ich, dass sich in „Moes Bar“ mit „Duff“-Bier ab. Dadurch, Bart neuen Staffeln die guten Folgen rar ma- dass Homer sich - wenn er einmal etwas