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Musikstunde mit Katharina Eickhoff Mittwoch, 22. Mai 2013 Die schwarze Witwe – Wagners Cosima und Cosimas Wagner Teil II: Der treueste aller Treuen

Indikativ

„Und da fand es sich, dass wir uns liebten“. Mit diesem etwas lapidaren Satz erinnert sich Cosima Wagner in ihrem Tagebuch an jene folgenreiche Kutschfahrt in Berlin im Jahr 1863, auf der sie und sich endgültig gefunden haben. „Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig gegenseitig anzugehören“ – So steht’s dann in Richard Wagners Autobiographie „Mein Leben“, die er Cosima zwei Jahre später in die Feder diktiert hat. In den ersten Ausgaben des Buchs allerdings hat Cosima den Satz noch streichen lassen, denn die Sache war ja doch ein bisschen anrüchig: Frau Cosima hat nach dem Berliner Gelöbnis noch ganze fünf Jahre lang mit Hans von Bülow als dessen Ehefrau zusammengelebt, hat aber in dieser Zeit zwei Kinder von Richard Wagner bekommen, die der unglückliche Herr von Bülow dann aus Stolz und Hilflosigkeit als seine Kinder anerkannt hat. Vor dieser bedeutsamen Kutschfahrt hat sich allerdings auch schon wieder jede Menge filmreifes Material angesammelt: Ein lupenreiner Fassbinder-Film ist das Leben, das Cosima als Frau von Bülow in Berlin führt – immer schwankend zwischen Verzweiflung und Arroganz: „Berlin“, schreibt sie, „ist so tot, dass man ihm eine Menge Schläge verpassen kann, ohne dass es sich mehr bewegt als eine Leiche.“ Dazu passt das scheinbar emotionslose Verhalten ihres Gatten, der trocken wie der märkische Sand ist, ständig auf Konzertreisen und ansonsten mit seinen Krankheiten beschäftigt, der die Geburten seiner zwei Töchter Daniela und Blandine scheinbar eher als Zumutung empfindet und sie mit Schweigen quittiert, weil er seine Gefühle nicht zeigen kann. Cosima spielt die unterwürfige Ehefrau und plant dabei ihren Selbstmord. Wie gesagt: Fassbinder. Fast schon ein Fellini wiederum ist das, was Richard Wagner inzwischen auf seiner Seite abliefert: Nach dem großen Schaffensrausch des „Tristan“ und den Aufregungen um ihn und Mathilde Wesendonck in Zürich ist es insgesamt in ziemlich rasanter Fahrt bergab gegangen mit ihm: Minna, seine Frau, ist nach der Wesendonck-Affäre nach Dresden gezogen und muss von ihm alimentiert werden, Wagner selbst hat es auf seiner Irrfahrt zwischenzeitlich nach Biebrich geweht, dort belagert er 3 eine gewisse Mathilde Maier, dass sie doch mit ihm für ein Bratkartoffel- Verhältnis zusammenziehen soll, Heiraten geht leider nicht, wegen Minna, und derweil er aber noch Mathilde ansülzt, ist er schon weiter nach Wien gehetzt, wo er erfolgreich eine fröhliche Metzgerstochter anbaggert und dann aber auch deren Schwester schreibt, sie solle doch bei seiner Ankunft bitte die bewussten rosa Höschen tragen. Parallel dazu gesteht er an anderer Stelle, dass er ja immer noch und für alle Zeit Frau Wesendonck liebe, - und in eben diese hektische Gemengelage fällt dann absurderweise auch noch jene heimliche Liebes-Kutschfahrt mit Cosima, die schließlich der Volltreffer unter lauter Nieten wird.

CD T. 6 4’10 Wagner, Die Walküre, Walkürenritt Uri Caine Ensemble Winter & Winter 910 013-2

Der Walkürenritt in der possierlichen Caféhausfassung des Uri-Caine- Ensembles – die Komposition der „Walküre“ hat Wagner schon hinter sich Anfang der 1860-er Jahre, als sein Leben zusehends im Chaos versinkt. In dem ganzen Durcheinander hat er aber immerhin, gedrängt von der schieren Geldnot, eine neue Oper angefangen – etwas Volkstümliches und Lustiges soll es werden, verspricht er dem Verleger Schott, aber das, was er dann da produziert, ist viel mehr als bloß ein Lustspiel. Die „Meistersinger von Nürnberg“ sind in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit genau wie Wagner: Groß und kleinlich, übertrieben weihevoll und von tiefer Wahrheit, klug und empfindsam, dumm und unsensibel, kindlich ausgelassen und heilig ernst, zärtlich und leise und laut und großmäulig. Diese Meistersinger, sagt Adorno und meint es nicht wirklich nett, sind „das größte Zeugnis des Wagner’schen Bewusstseins von sich selbst“.

CD T. 1 ab 3’30 langsam unter Text weg Wagner, Meistersinger – Vorspiel, Anfang Bayerisches Staatsorchester, Joseph Keilberth Sony 1543994

...Wieder mal ein Beweis dafür, dass die jeweils aktuelle persönliche Situation eines Komponisten wenig mit den virtuellen Räumen seiner 4

Inspiration zu tun hat: In Zeiten höchster Not hat Wagner sein triumphales „Meistersinger“-Vorspiel entworfen, damals, in den frühen 1860-er Jahren, als bei ihm so ziemlich alles den Bach hinunter ging. Man muss ja mal festhalten, dass sich Richard Wagner und Cosima von Bülow, als sie sich ihre Liebe gestehen, beide in dramatischer Lage befinden – sie stehen am Abgrund, jeder für sich und aus anderen Gründen, aber die Not ist bei beiden groß und existentiell. Cosima verzweifelt nicht nur an ihrem Berliner Ehe-Elend mit Hans von Bülow, sie hat vor allem innerhalb kürzester Zeit ihre Familie verloren, ihre heißgeliebten Geschwister Daniel und Blandine, die in diesen Jahren kurz nacheinander sterben. Der Geschwisterverbund war der einzige Ort, an dem die Liszt-Kinder sich in ihrer verkorksten Kindheit zuhause gefühlt hatten, und der Tod der beiden anderen ist für Cosima eine entsetzliche Katastrophe. Was ihrem Mann aber anscheinend nicht auffällt. Der einzige, der irgendwie ein Gefühl für ihre Verzweiflung und Vereinzelung entwickelt, ist seltsamerweise Richard Wagner. Er und Cosima treffen sich immer mal wieder irgendwo, Hans von Bülow will ja seinem Abgott Wagner nahe sein, und das stumme Einverständnis wächst mit jedem Treffen. Wagner spürt, dass Cosima alles, was er von seinem Werk erzählt oder vorspielt, rückhaltlos bewundert, mehr noch, versteht, und deshalb ist sie genau der Mensch, den er jetzt braucht, in einer Zeit, in der ihn ansonsten keiner zu verstehen scheint. Mit einer Neuauflage des „Tannhäuser“ hat er ja noch mal einen Anlauf gemacht, Paris zu erobern und hat ein Desaster sondergleichen erlebt, in Wien hat man vergeblich versucht, seinen „Tristan“ einzustudieren, der nun endgültig als unaufführbar gilt, spätestens seitdem ist er vollständig pleite. Die Gläubiger sitzen ihm im Nacken, aber eine schnöde Kapellmeisterstelle will er trotzdem nicht annehmen, er ist schließlich der bedeutendste Komponist seiner Zeit. Nur dass die Zeit das einfach nicht einsehen will. Sein alter Freund Franz Liszt, sonst immer Retter in der Not, hat sich plötzlich nach Rom verabschiedet, um sich dort unnötigerweise der katholischen Kirche in die Arme zu werfen, und auch alle sonstigen Bekannten und Freunde geben sich zunehmend zugeknöpft, wenn Wagner auf seinen rasenden Fluchten vorbeibrettert und nach Quartier oder Geld fragt. Wobei er eben auch meistens ziemlich undezent vorprescht, denn er findet nun mal, dass einem großen Mann wie ihm ein gutes Leben zusteht. Wagner braucht Luxus und Schönheit um sich, die seidenen Morgenmäntel und fluffigen Samtkissen und die Brokatvorhänge in Tristandunkelrot werden bestellt, auch wenn er sie sich nicht leisten kann, und einer Bekannten gegenüber sagt er in fast kindlichem Trotz: „Schönheit, Glanz und Licht muss ich haben! Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche! Ich kann nicht leben auf einer elenden Organistenstelle 5 wie Ihr Meister Bach! – Ist es denn eine unerhörte Forderung, wenn ich meine, das bisschen Luxus, das ich leiden mag, komme mir zu? Ich, der ich der Welt und Tausenden Genuss bereite!“ Da mag man ihm gar nicht widersprechen – Tatsache ist aber eben, dass damals, im Jahr 1863, die Welt das, was sie ihm schuldete, irgendwie nicht herausrücken wollte. Wagner ist fünfzig Jahre alt und zahlungsunfähig, ohne Perspektive und in entsprechender Weltuntergangsstimmung. Und so trifft er also auf Cosima, die, an den falschen Mann gekettet, schon dabei ist, ihren Suizid vorzubereiten. Eine im verkehrten Leben feststeckende Frau, ein verzweifelter, von Furien gehetzter Mann, ein lieblos agierender Gatte, den man erfolgreich täuscht und dann: das unverhoffte, beseligende Liebesglück, das mitten in größter Not die Fenster zum Himmel öffnet: das ist der erste Akt der „Walküre“. Die ist, als Wagner und Cosima zusammenkommen, wie gesagt schon geschrieben, aber wieder mal hat er das, was er dann selber erlebt, schon vorwegkomponiert:

CD Disc 1, T. 10, 11, ausbl. in T. 12 0’10 bis 0’20 5’30 Wagner, Walküre, Winterstürme/Du bist der Lenz Ludwig Suthaus, , Wiener Philharmoniker, Wilhelm Furtwängler EMI 7 63046 2

Ganz so beseligt und frei von allen Kümmernissen wie Siegmund und Sieglinde unter der Weltesche fallen sich Cosima und Wagner aber dann doch nicht in die Arme. Zumindest nicht gleich. Erst im nächsten Sommer, im Jahr 1864, wird sie ihn, mit Kindern, aber ohne Mann, am Starnberger See besuchen und sie werden ihr erstes gemeinsames Kind zeugen, die Tochter Isolde, die dann als Erwachsene verzweifelt darum kämpfen wird, als Tochter Richard Wagners anerkannt zu werden. Isolde, von ihrem Vater einst liebevoll „Soldchen“ genannt, wird sehr viel später vor Gericht ziehen, nur um erleben zu müssen, wie ihr ihre eigene Mutter um Bayreuths und der Dynastie Willen ins Gesicht lügt, gekaufte Gutachten vorlegt und unter Eid, bzw. Meineid beschwört, dass dieses Kind kein Kind Richard Wagners sei – obwohl jeder, der Augen im Kopf hat, sehen kann, dass Isolde Wagners Tochter ist und Wagner selbst das nie bestritten hat. Der, Wagner, ist da allerdings auch schon über dreißig Jahre tot, und das Bild, das die Welt von ihm und seinem Werk hat, ist vor allem von seiner Witwe und ihrem Bayreuther Kreis bestimmt. 6

Ab dem Moment nämlich, in dem Cosima in Wagners Leben tritt, übernimmt sie auch die Interpretation seiner Biografie und seiner Kunst: Sie, die das Aufopfern ja von der Pike auf gelernt hat, lebt nur für ihn und sein Werk, aber diese völlige Unterwerfung bedeutet interessanterweise die gleichzeitige Machtübernahme – Cosima wird ja nicht nur Wagners Geliebte und sein geistiges Gegenüber, die Mutter seiner Kinder und Organisatorin des täglichen Lebens, sondern auch seine Managerin und Sekretärin und PR-Dame, und als solche fängt sie sofort an, an seinem Ruhm zu arbeiten, schreibt Briefe in seinem Namen, wirbt Unterstützer an, junge Musiker, deren Wagner-Begeisterung für unbezahlte Hilfsarbeiten ausgenutzt werden kann, Frau Cosima sortiert die glühenden Fans in Nützliche und Unnütze, sammelt mit eiserner Gnadenlosigkeit Wagner’sche Autographe und Notenskizzen wieder ein, die der irgendwann mal irgendwem geschenkt hat, und wird überhaupt für die Außenwelt zu seinem Sprachrohr, so dass der Liszt- Lieblingsschüler und Wagner-Prophet Carl Tausig sie bald nur noch reichlich entnervt das „Delphische Orakel“ nennt. Allerdings hätte sich Cosima von Bülow wohl trotz aller Verehrung und Liebe nicht für Wagner entschieden, wäre nicht im Mai 1864 jenes mythische Ereignis eingetreten, das für Richard Wagners Leben und Werk und Ruhm womöglich noch wichtiger als alle Cosimas der Welt war. Im Frühjahr dieses Jahres ist Wagner an seinem absoluten biographischen Tiefpunkt angelangt – die Flucht vor seinen Gläubigern hat ihn aus diffusen Gründen ausgerechnet nach Stuttgart verschlagen, dort versteckt er sich im Hotel Marquardt und schreibt an Peter Cornelius: „Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muss mir jetzt begegnen; sonst ist’s aus!“ – Und was im wirklichen Leben ja eigentlich nie geschieht, geschieht hier in Stuttgart tatsächlich: das Wunder tritt ein, und es trägt den Namen Pfistermeister.

CD T. 1 ab 3’30 langsam unter Text weg Wagner, , Vorspiel Wiener Philharmoniker, Sir Decca 465 005-2

Mit Schwänen kannte er sich aus, der bayrische König Ludwig II, immerhin ist er auf Schloss Hohenschwangau zwischen den Schwanen- Wandmalereien des Moritz von Schwind aufgewachsen - Insofern war dann die Aufführung des „Lohengrin“, die er als Sechzehnjähriger nach langem Betteln sehen durfte, für ihn einfach ein Heimkommen in die Bilderwelt seiner Kindheit – der junge König, von dem sein Klavierlehrer 7 sagte, er sei komplett unmusikalisch gewesen, verfällt erst der romantischen Geschichte vom heldenhaften Schwanenritter, dann der zweifellos verführerischen Musik, und kurz drauf, nachdem er sich alles besorgt und gelesen hat, was Richard Wagner je schriftlich von sich gegeben hat, und das war damals schon nicht wenig..., kurz drauf ist Ludwig der erste wahre Wagnerianer der Musikgeschichte. Und seine erste Amtshandlung als junger König ist es deshalb dann in jenem Frühjahr 1864, den Böses ahnenden Kabinettssekretär Pfistermeister loszuschicken, auf dass der den heißverehrten Komponisten auftreibe und nach München bringe, allwo ihm der König ein von allen Sorgen freies, schaffensfrohes Leben zu Füßen legen will. In Stuttgart also bekommt Wagner von Pfistermeister jenen Brief des Königs ausgehändigt, in dem steht, dass er fortan „im reinen Äther seiner wonnevollen Kunst die mächtigen Schwingen seines Genius ungestört entfalten können“ soll. Etwas benommen von der blumigen Rhetorik besteigt er daraufhin den Zug nach München, wo am nächsten Tag dann das stattfindet, was Wagner selber als eine „nicht enden wollende Liebesscene“ klassifiziert. Und wenn man bedenkt, dass es bei Wagner ja zu diesem Zeitpunkt tatsächlich fünf vor zwölf war, kann man irgendwie verstehen, dass er sich vom liebesseligen Tonfall seines Retters hat anstecken lassen. An eine Bekannte schreibt er danach: „Er liebt mich mit der Innigkeit und Gluth der ersten Liebe: er kennt und weiß Alles von mir, und versteht mich wie meine Seele. Er will, ich soll immerdar bei ihm bleiben, arbeiten, ausruhen, meine Werke aufführen; er will mir Alles geben, was ich dazu brauche; ich soll die Nibelungen fertig machen, und er will sie aufführen, wie ich will. Ich soll mein unumschränkter Herr sein, nicht Kapellmeister, nichts als ich und sein Freund. Was sagen Sie dazu? Ist es nicht unerhört? Mein Glück ist so groß, daß ich ganz zerschmettert davon bin.“ – Dieses Gefühl hat bei Wagner, wie man sich denken kann, nicht lange vorgehalten, eigentlich hat er ja doch schon immer gefunden, dass ihm genau diese märchenhafte Form der Existenz zusteht, und wenig später geht er ganz pragmatisch daran, sich in München als Artist in Residence standesgemäß einzurichten. Und das Problem Cosima, oder vielmehr das Problem Hans von Bülow ist auch ganz fix gelöst: Wagner arrangiert für seinen hingebungsvollen Verkünder einen Job als sogenannter „Vorspieler“ beim König. Der interessiert sich natürlich kein bisschen für Bülows grandiose pianistische Beethoven-Exegesen, aber egal: Bülow, der sich sowieso eine „ exclusive Concentration auf die Wagner’sche Aufgabe“ vorgenommen hat, löst den Hausstand in Berlin auf und kommt mit Cosima nach München. Und die, schwanger mit Wagners Kind, hat dann praktischerweise auch gleich einen ganz offiziellen Grund, ständig in Wagners Haus herumzuhängen, denn der König hat sich gewünscht, dass Wagner für ihn sein bisheriges Leben aufzeichnet – das diktiert der 8

Meister also nun in langen Sitzungen der tüchtigen Frau von Bülow in die Feder...Übrigens komponiert der „heilige“ und „angebetete“, der „heißgeliebte“ und „einzige Heiland“ Wagner (alles Zitate aus König Ludwigs Briefen), komponiert also Wagner seinem „göttlichen König“, seiner „liebenden Vorsehung“ (alles Zitate aus Wagners Antworten) gleich zu Anfang mal pflichtschuldigst eine Jubelnummer, den „Huldigungsmarsch für Ludwig II.“ – und weil er ja nun der Chefkomponist im Staate ist, rechnet er, wie er im Brief an den Verleger vollmundig schreibt, „mit Gartenkonzerten und Militäraufführungen und demzufolge auf sehr populäre Verbreitung“ des Stücks. Aber diese Art von unterwürfiger Pflichtübung war nun mal nicht so Wagners Sache, das hört man natürlich und wundert sich nicht, dass man bei Gartenkonzerten und Militäraufführungen lieber weiter Johann Strauss gespielt hat...

CD T. 2 ab 3’05 langs. unter Text weg Wagner, Huldigungsmarsch für Ludwig II London Symphony Orchestra, Marek Janowski EMI 3138162

In seinen Münchner Jahren wohnt Wagner, vom König finanziert, in einer herrschaftlichen Villa in der Brienner Straße, drinnen hat er sich eine typisch wagner’sche exquisite Treibhaus-Atmosphäre zurechtdrapiert, „luxe, calme et volupté“, hätte sein großer Fan in Frankreich, Charles Baudelaire, gesagt: Die Pièce de résistance ist ein ganz mit gelbem Atlas ausgeschlagenes Zimmer, in dem sich roséfarbige Samtportieren bauschen und weiches Licht auf überall verteilte Seidenblumen und die mit Moiré bezogene Ruhestätte fällt... Seinerzeit in der Schweiz hat schon Gottfried Keller etwas verwirrt auf Wagners ausgesprochen dekorativen Nipptisch geblickt, auf dem eine silberne Bürste in kristallener Schale vor sich hinglitzerte, und Keller schrieb, dieser Richard Wagner sei doch „ein sehr begabter Mensch, aber auch etwas Friseur und Charlatan.“

CD T. 2 ab 1’46 bis 3’05 1’20 Wagner, Ankunft bei den schwarzen Schwänen Cyprien Katsaris Sony SK 58973

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Auch ein Zeugnis von Wagners Sinn fürs Dekorative: ein von Cyprien Katsaris gespielter Schnipsel aus „Ankunft bei den schwarzen Schwänen“, ein versonnenes Albumblatt aus Paris, Anfang der 1860-er Jahre, das belegt, dass er auch ein begabter Salonmusiker gewesen wäre...Aber zurück zu unserem Münchner Drama: Statt ihrem Mann reinen Wein über ihr Verhältnis zu, bzw. mit Wagner einzuschenken, trifft sich Cosima mit ihrem Vater Franz Liszt. Sie weiht ihn ein – und das Wissen um diesen Ehebruch und den zu erwartenden Skandal und die offensichtliche Komplexität der Verflechtungen erschüttert den angehenden Abbé Liszt ziemlich nachhaltig. „Ich habe“, sagt seine Gefährtin Carolyne Sayn-Wittgenstein später, „den Tod seines Sohnes, seiner Tochter Blandine, seiner Mutter mit ihm durchgemacht, aber nichts glich dieser Verzweiflung.“ Cosima lässt sich aber nicht beirren und beginnt nun also, sich zu einer begnadeten Strippenzieherin zu entwickeln. Sie installiert dort in München ein extrem delikates Gleichgewichtssystem, das ständig von ihr in Balance gehalten werden muss. Da ist auf der einen Seite natürlich Hans von Bülow, der wohl im Grunde weiß, was Sache ist, der aber Augen und Ohren verschließt, weil er sich weder von Wagner noch von Cosima trennen kann, und weil so eine Trennung ja auch eine gesellschaftliche Katastrophe wäre. Aus Stolz und Angst vor dem Skandal macht er also die unsägliche Menage à Trois mit, die in diesen Jahren alle Beteiligten, aber ihn sicherlich am meisten belastet. Und auf der anderen Seite ist da dieser blutjunge König, fast noch ein Kind, keine zwanzig, mit seiner blinden Liebe für Wagner und sein Werk – ihn muss man bei Laune halten, und als Wagners rechte Hand beginnt nun Cosima ihrerseits einen vertrauten Briefwechsel mit der durchaus manchmal misstrauischen Majestät. Frau Cosima gibt sich als ältere Ratgeberin, die ihm mit bewundernswerter Rhetorik immer die jeweils für Wagner günstigen Entscheidungen insinuiert, und der König nennt sie „Freundin“... – Sie ist ja immerhin auch schon fast zehn Jahre älter als Ludwig, Wagner ist über fünfzig: im Grunde hatte es tatsächlich etwas Unsittliches, wie diese beiden wesentlich reiferen Leute da einen psychisch nicht sattelfesten Neunzehnjährigen becirct haben. Denn natürlich darf der König nichts von ihrem Liebesverhältnis und dem Ehebruch wissen, sonst müsste er sie ja aus moralischen Gründen hochkant rausschmeißen. Also lügen sie auch ihn an, über Jahre hinweg, weil man ja des Königs Geld und Unterstützung braucht. Und an einem weiteren Ende dieses Gewichtssystems hängen die Öffentlichkeit, das Land Bayern, das königliche Kabinett, dem dieser sündhaft teure Wagner mit seiner Entourage von Jüngern und seinen primadonnenhaften Ansprüchen ziemlich bald ein Dorn im Auge ist. 10

Im Land nennen sie ihn „Lolus“ – angelehnt an Lola, nämlich Lola Montez, die Frau, der Ludwigs Großvater Ludwig I in so blinder Passion verfallen war, dass er schließlich abdanken musste. Und auch Ludwig II ist ständig hin- und hergerissen zwischen Wagner und der Staatsraison. Aber Cosima ist, wie schon gesagt, durchaus begabt im Manipulieren, so dass anfangs sogar Pfistermeister und das Kabinett an Wagner und dem König vorbei am liebsten mit ihr verhandeln. Schön ist sie nicht, aber eine ziemlich charismatische, faszinierende Erscheinung, die, wie eine Zeitgenossin schreibt, „die große Kunst der fesselnden Unterhaltung“ beherrscht. Sie kann anregend über Kunst, Musik und Literatur reden und den Leuten mit ihrer Aufmerksamkeit schmeicheln, sie kann sie aber genauso gekonnt kalt abschmieren lassen, wenn man etwas Falsches sagt, oder ihr Gegenüber sich als gesellschaftlich einflusslos erweist. Ein Meisterstück an Stimmungsmache gelingt ihr schon zur Uraufführung des „Tristan“ 1865: Der König hat das Himmelfahrtskommando anbefohlen und finanziert, Hans von Bülow hat das als unaufführbar verschrieene Stück in liebevoller und gnadenloser Kleinstarbeit mit den bockigen Münchner Musikern einstudiert, aber Cosima sorgt dafür, dass die Aufführung plötzlich als d a s Event gilt, das man nicht verpassen darf. Sie hat die Karten für Generalprobe und Premiere persönlich verteilt und den Leuten das elitäre Gefühl vermittelt, Teil von etwas ganz Besonderem zu sein. „Es hatte alle Merkmale einer Sekte“, schreibt eine Münchnerin, die das damals miterlebt hat, und das trifft es wohl: Cosima hat Wagner zu ihrer neuen Religion erklärt, und sie wird eine der begabtesten Sektenführerinnen aller Zeiten. Der einzige übrigens, der bei der Premiere dezidiert fehlt, ist der andere enge Freund Wagners, Franz Liszt – die Familie Wagner ist noch gar nicht gegründet, da definiert sie sich schon über ihre familiären Verwerfungen...

CD 19-085660 Disc 3, T.4 leicht aufbl. ausbl bis 3’57 R. Wagner, Tristan, Zweiter Aufzug, Marke: Tatest Du’s wirklich? Kurt Moll, , Carlos Kleiber

Auch das konnte Wagner: Es ist eine zarte und sehr anrührende Szene, wenn König Marke – in diesem Fall Hans Sotin - da am Ende der „Nacht der Liebe“ im zweiten Akt Tristan, seinen Freund, im Liebestaumel mit der Frau erwischt, die er eigentlich dem König als Braut zuführen sollte – Markes Auslassungen über Freundschaft und Treue sind so eine von diesen Stellen, die klarmachen, dass der Lautsprecher und Egomane 11

Wagner sich mit den leisen zwischenmenschlichen Gefühlen eben doch verdammt gut auskannte...Und wieder hat er im wirklichen Leben eine Szene nachgespielt, die er schon komponiert hatte: Der „Treueste der Treuen“, das ist Hans von Bülow für Wagner und sein Werk gewesen, und was Wagner dem Freund in diesen Münchner Jahren zugemutet hat, geht über alle Vorstellungskraft. Die Lage spitzt sich dann allerdings in den Jahren nach der „Tristan“-Uraufführung unerträglich zu: Bayern schlittert in den preußisch-österreichischen Krieg und hat eigentlich andere Sorgen, aber der König interessiert sich nur für die nächste Wagner-Aufführung und macht romantische Ausflüge mit ihm und der guten Freundin Cosima. Zwar ist es nicht das Geld des Staats, sondern sein Privatvermögen, das er da in Wagner investiert, aber seine Untertanen zweifeln langsam an seiner Zurechnungsfähigkeit. Die Presse schreibt von einem „abgefeimten Wettrennen auf die Privatkasse des Königs“, und die Sache entwickelt sich mehr und mehr zu einer Machtprobe zwischen Cosima und dem königlichen Kabinett. Die erste Provokation pariert sie ganz cool: Als man ihr eine größere Geldsumme, die sie dem König aus den Rippen geleiert hat, in kleinen Münzen auszahlt, um sie zu ärgern, besorgt sie ungerührt zwei Pferdewagen und transportiert die Säcke höchstpersönlich ab. Und auch danach ist sie staunenswert effektiv: Sie versucht, die öffentliche Meinung durch anonyme Briefe an Zeitungen zu beeinflussen, drängt den König, seine Minister zu entlassen, setzt Wagners Frau Minna, die todkrank in Dresden lebt, unter Druck, dass sie sich öffentlich auf seine Seite schlägt, was die treue Minna tatsächlich tut – und als es ans Eingemachte geht, als also zuguterletzt doch Cosimas Verhältnis zu Wagner in den öffentlichen Fokus rückt und der Tratsch immer lauter wird, da muss auch ihr geschundener Mann Hans von Bülow immer wieder öffentliche Erklärungen abgeben und schließlich aus Protest gegen die Kabinetts- und Presseintrigen sogar theatralisch seinen Dienst quittieren. Und am Ende soll auch der König ran - Cosima ist gerade mit ihrem zweiten Kind von Richard Wagner schwanger, da fordert sie von Ludwig eine Ehrenerklärung für sich und Wagner und Bülow: „Wie könnte mein Mann in einer Stadt zu wirken vermögen, in der die Ehre seiner Frau angetastet wurde? Mein königlicher Herr, mein Freund, ich habe drei Kinder, denen ich es schulde, ihnen den ehrenwerten Namen ihres Vaters fleckenlos zu übertragen; für diese Kinder bitte ich Sie, mein höchster Freund, schreiben Sie den Brief!“ Und Ludwig schreibt. Schreibt von „verbrecherischer öffentlicher Verunglimpfung“, und davon, dass er „mit schonungslosester Strenge gegen die Uebelthaeter Gerechtigkeit üben lassen“ will. Der Brief ist natürlich von Cosima vorformuliert. Ein Opfer hat er zu diesem Zeitpunkt allerdings schon 12 bringen müssen: Auf öffentlichen Druck hin – es hat sogar Unterschriftenaktionen unter den Bürgern gegeben – hat er Wagner aufgefordert, Bayern zu verlassen. Seine Minister haben ihm klipp und klar gesagt, dass er sich zwischen Wagner und seinem Volk entscheiden müsse. Wagner wohnt also nun in Tribschen bei Luzern in einem herrlichen Haus am See, das ihm der untröstliche König finanziert, Cosima ist bei ihm – und auch, damit es nicht seltsam aussieht, Hans von Bülow. Als 1867 Wagners zweite Tochter Eva geboren wird, sitzt Bülow an Cosimas Bett und sagt: „Je pardonne“. Und Cosima antwortet: „Il ne faut pas pardonner, il faut comprendre.“ – Nicht verzeihen, verstehen soll er. Hans von Bülow gehorcht. Er geht zurück nach München und dirigiert dort die Uraufführung der „Meistersinger“.

CD T. 3 Schluss auf Zeit Wagner, Meistersinger – Vorspiel, Schluss Chicago Symphony Orchestra, Georg Solti Decca 4975188