ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

GEGRÜNDET VON DR. PETER LAFITE +

1954 9. JAHRGANG

EDITION OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT WIEN VERZEICHNIS ZUM NEUNTEN JAHRGANG

JANNER Walter Κ ο 1 η e d e r : Johann Nepomuk David 1 Jörg D e m u s : Bach am Klavier 7 Nobori Κ a η e k o : Die abendländische Musik in Japan (II) 17 Leopold Nowak: Robert Lach — 80 Jahre . 22 Erik We iba: Die Förderungspreisträger für Musik 23

FEBRUAR Otto Erich Deutsch: Mozart und die Schönbrunner Orangerie 37 H. C. Robbins L a η d ο η : Eine neue Mozart-Quelle 42 Ottunar W e s s e 1 y : Mozarts „Glücks-Wunsch, beim Punsch" 44 Hans S i 11 η e r : Zur sozialen Lage des Berufsmusikers 48 Egon Seefehlner: Amerikanische Musikpflege auf breiter Basis .... 53 Redaktionskomitee: Vor einer neuen Staatsopern-Ara 56 T. O.: Alexander Spitzmüller, 60 Jahre alt 58 Gustav Ρ i c h 1 e r : Oscar Straus f 58

MARZ Isolde A h 1 g r i m m und Erich F i a 1 a : Zur Aufführungspraxis der Bach'schen Cembalowerke 71 Karl Κ o b a 1 d : Julius Bittner und Franz Schreker 78 Rudolf Κ1 e i η : Der Orgelmeister Johann Neponiuk David 82 Karl Böhm: Brief an die Redaktion 92 Das Programm der Wiener Festwochen 1954 93 Philipp R u f f : Ein Jubiläum des Wiener Walzers 94 Karl Wisoko-Meytsky: Die Wiener Hofmusikkapelle in der Schweiz . 95 Rudolf Κ 1 e i η : „Mathis der Maler" in Linz 96

APRIL Rudolf Κ1 e i η : Opera semiseria 1954 105 Irmgard Seefried: Meine Wege zu Hindemith und Béla Bartók .... 113 H. C. Robbins L a η d ο η : Die Verwendung Gregorianischer Melodien in Haydns Frühsymphonien 118 Friedrich Wildgans: Schönbergs „Moses und Aron" in Hamburg . . . 127 Musikfeste 1954 130 Claus H. Bachmann: Walter Braunfels „Zauberlehrling" 131

MAI Anton Heiller 143 Wilhelm W a 1 d s t e i η : und die Gegenwart 144 H. F. Redlich: Der Symphoniker 148 Kurt Β 1 a u k ο ρ f : Autobiographische Elemente in Bergs „Wozzeck" . . . 155 Helmut A. Fiechtner: Tonkunst und Debatten beim Römischen Musikkongreß 159 „Pro Mozart" an die Kulturträger der Welt 160 Josef Kaut: Musik herrscht auch heuer in Salzburg 161 Erich Romanovsky: Kongreß für katholische Kirchenmusik 162 Rudolf Κ1 e i η : „Raskolnikoff" in Linz 163

JUNI Hans Joachim Moser: Das Chorwesen im Zusammenhang der Künste . . 177 Franz Burkhart: Die Singschule als Kulturfaktor 181 Robert Scholium: Zur Lage der zeitgenössischen Chorkomposition . . · 186 Franz Zag iba: Leos Janacek, zum 100. Geburtstag ' ' 191 Dolf L i η d η e r : t 194 Theodor Bernhard: Die Entwicklung des Sängerwesens in Österreich . . 196 Das Chorprogramm des Sängerbundfestes 197 Programm der Sonderkonzerte des Sängerbundfestes Klagenfurt 1954 .... 198 Roland Tenschert: „Hary Janos" in Graz 202

JULI/AUGUST Viktor Κ e 1 d o r f e r : Mozarts letzte Arie 213 Egon Komorzynski: „Die Schule der Liebenden" 219 Urs Helmensdorfer: „Musik ist eine heilige Kunst" 222 : Das künstlerische Vermächtnis 228 Friedrich Wührer: „Versammelte Davidsbündler" 233 Volkmar Andreae, 75 Jahre alt 235 Alfred Brendel: Busoni, Vollender des Klavierspiels 238 Rolf Liebermann: Faksimile aus „Penelope" 243 Erich Schenk: Georges de Saint-Foix f 244 Wiener Musikfeste 245 Hans J a η c i k : XII. Internationales Brucknerfest in München 246. Claus H. Bachmann: „Musikalische Jugend 247 Johannes U η f r i e d : Die zweite Linzer Kulturtagung 248 Herbert Strutz: Zweites Österreichisches Sängerbundfest 249 Erich M a r c k h 1 : Die Volks-Musikschulen in Steiermark 251

SEPTEMBER Franz Κ o s c h : Moderne Choralinterpretation 265 Emst Τ i 11 e 1 : St. Franziskus und die Musik 268 Leopold Nowak: Das Autograph von Haydns Cello-Konzert D-dur, op. 101 274 Die Komponisten des Kirchenmusikkongresses 281 Rudolf Klein, Gustav Ρ i c h 1 e r, Erik W e r b a : Salzburger Festspiele . . 283 Die Sommerakademie des Mozarteums 286 Alexander Witeschnik: Ausseer Festwochen 1954 288 Karlheinz Dworczak: Die Grazer Sommerspiele 289 Oswald Lutz: Bregenzer Festspiele 1954 290 Erik W e r b a : Das Vierte Bayreuth 292 Mozartforscher unter sich 293 Otto E. D e u t s c h : Zu „Mozarts letzte Arie" 297

OKTOBER Enrico M a i η a r d i : Uber Bachinterpretation 303 Bernhard Paumgartner: Zur Darstellung älterer Musik 310 Siegfried Β o r r i s : Chopin und die deutsche Romantik 314 Erich Ε η g e 1 ; Uber Opernstudios und das Studio der Wiener Staatsoper . . 320 Claus H. Bachmann: Internationale Ferienkurse Darmstadt 322 „Musikalische Jugend" in Bayreuth 323 Fritz Skorzeny: Zweites Musikfest der OGZM in Hainburg a. d. D. • • 325 Internationaler Konzerttag in Ottobeuien . . 325 Sylvia von Ameringen: Holland-Festival 1954 326 Viktor Keldorfer: Noch einmal: Mozarts letzte- Arie 330

NOVEMBER Max Graf: Puccinis dreißigster Todestag 337 Isolde A h 1 g r i m m - Erich F i a 1 a : Bach und die Rhetorik 342 Paul Badura-Skoda: Uber Mozart-Tempi 347 Kompositionsauftrag der OZM 349 Fred K. Prieberg: Musik der Zukunft 351 Carl L a f i t e : Angst vor der Jugend 354 Leopold Nowak: Die Musiksammlung der Osterreichischen National- bibliothek und ihr Wiederaufbau 356 : Kulturtage in St. Veit an der Glan 357 Karlheinz Dworczak: Der neue Grazer „Tristan" 358 Roland Tenschert: Der Kirchenmusikkongreß in Wien 359 Rudolf Κ 1 e i η : Zu Melichars „Überwindung des Modernismus" 360

DEZEMBER Wilhelm Furtwängler: Die Ouvertüren des „" 371 Emst Τ i 11 e 1 : Mittelalterliche Weihnachtsliturgie in Österreich 374 Otto E. Deutsch: Neues von der Glasharmonika 380 Josef D i c h 1 e r : — der Mensch 384 Julius Ρ a t ζ a k : Schmidt-Oratorium in Amerika 388 Friedrich Jölly: Franz Schmidt und seine Gemeinde 390 Alois M e I i c h a r antwortet 391

JÄNNER/DEZEMBER Osterreichische Chronik . . . . 25, 59, 97, 131, 164, 203, 252, 295, 327, 362, 392 Kompositionsauftrag der ÖMZ 141, 179, 223, 295, 319, 349, 397 Literatur . 29, 64, 100, 135, 167, 207, 256, 298, 332, 366, 396 Schallplatten 32, 63, 99, 134, 167, 206, 255, 300, 332, 365, 395 Was die andern schreiben . . ?R , 70, 260, 294, 329, 368 Nachrichten 33 , 66, 136, 169, 208, 259, 301, 368, 399 Akademie für Musik, Wien . . 35 , 68, 103, 137, 173, 261, 334, 369, 400 Mozarteum, Salzburg 36 , 69, 104, 138, 174, 263, 335, 401 Konservatorium der Stadt Wien . 172, 262, 334, 402

^Akademie MOZARTEUM AKADEMIE FOR MUSIK UND DARSTELLENDE íür Musik und darstellende Kunst KUNST Wien III, LothringerstraBe 18 Telefon U 14 0 46, U 16 0 45 „MOZARTEUM" in Salzburg Ausbildung bis zur höJiiten künitleritdhm Reife Leitung: Hofret o.ô. Prof. Dr. Bernhard Kapellmeisterschule, Theorieklassen, sämt- Peu m ge rtner liche Instrumentalklassen, Abteilung für Musikerziehung Ausbildung in ¡amtlichen Fächern Wien III, LothringerstraBe 18 der Tonkunst bis zur kiiniütrisdjen Reife Gesangs-, Opern- und Operettenklassen Wien III, Metternichgasse 8, Palais Springer Telefon Β 52 0 30 Seminare fur Abteilung für Kirchenmusik Wien I, Singerstraße 26 Musiktheorie Telefon R 24 3 33 Musikgeschichte Max-Reinhardt-Seminar (Abteilung für Schauspiel und Regie) Wien XIV, Penzingerstr. 9, Palais Cumberland Musikerziehung Telefon A 51 0 77 Opern- und Kapellmeister schule Abteilung für künstlerischen Tanz Schule fur Konzertgesang Wien XIII, SchloB Schönbrunn, Gardetrakt Kiròenmusikalisdte Abteilung Telefon R 34 5 50 Schauspielschule Akademieorchester, Akademie-Kammerchor, sämtliche musikalische Nebenfächer, allge- Zur Festspielzeit meinbildende und Sprachkurse, Magnetofon- studio, fachliche Spezialkurse für Dirigenten, /nfernafi'ona/e Sommer-ÁJcodemíe Sänger u. a., Abendkurse für Berufstätige, Kinderkurse, Ensembleübungen, öffentliche Prospekte erhlltlleh durch des Mozer· Aufführungen; Ubungsbühnen: Akademie- theater und Schönbrunner Schlofitheater te um in Salzburg, SchwerzstreBe 26 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

BEGRÜNDET VON OR. PI TFR I. A F ITH. t

9. JAHRGANG JÄ.W'HR 19j4 HEFT 1

Walter Κ o l η e d e r

JOHANN NEPOMUK DAVID

In Würdigung seines Gesamtwerkes wurde dem bedeutenden öster- reichischen Komponisten Johann Mepomuk David vom Bundesministerium für Unterricht der Staatspreis 1953 für Musik verliehen. Der Autor dieses Aufsatzes, der bekannte Musikwissenschafter Walter Kolneder, ist leitender Direktor des Konservatoriums in Luxemburg.

Bei dem Versuch, Persönlichkeit und Werk des Komponisten Johann Nepo- muk David in das Bild der Geg;nwartsmusik einzuordnen, stößt man bald auf nicht geringe Schwierigkeiten. Es scheint, als ob er in keines der Kapitel, in die die Verfasser von Büchern über die Musik unserer Zeit diesen schwierigen Komplex ?.ulzugliedern versuchen, recht passen würde. Mit Schlagworten wie „Neobarock" oder „Neoklassik" kann man höchstens Durchgangsstadien oberflächlich kenn- zeichnen, und Begriffe wie „Tradition" oder „Fortschritt" versagen vollends, um eine Persönlichkeit zu erfassen, die sich bei gleichbleibender Grundsubstanz in unaufhörlicher Entwicklung befindet und im Schaffen sich in gleicher Weise nach vorne wendet wie sie aus den Kräften der Vergangenheit lebt. Es ist wohl so, daß man diese so beliebten Vokabel unseres Musikjournalismus in jedem Falle einer noch so geistreichen Anwendung erst auf Sinn und Gültigkeit untersuchen muß, will man inmitten einer fortschreitenden Begriffsvernebelung den klaren Blick für die echten Zusammenhänge bewahren. Die Generation der im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts Geborenen, der wir ja im wesentlichen den musikalischen Gegenwartsbesitz verdanken, hat es in keinem Falle leicht gehabt. Der erste Weltkrieg mit seinem tiefgreifenden Folgeerscheinungen auf allen Gebieten unseres Lebens hat zu tief auch in das geistige Dasein dieser Generation eingegriffen. Die Entwicklung, deren Bild uns bis dahin aus der Musikgeschichte mit Lernjahren und Abhängigkeit von Vor- bildern, allmählichem Finden, Entwickeln und Ausreifen des eigenen Stils so ver- traut war, ist nicht nur Schönberg, Strawinsky, Hindemith und anderen, sondern auch David versagt geblieben. Der 1895 geborene, der als Sängerknabe in St. Flo- rian bestimmende musikalische Eindrücke empfängt und bis 1920 als Volksschul-

Λ I OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT lehrcr in kleineren Orten Oberösterreichs tätig ist, hat sich zunächst in einer großen Zahl von Jugendkompositionen die klassisch-romantischen Ausdrucks- mittel angeeignet, um dann in Studienjahren in Wien in Berührung mit dem Schön- bergkreis zu kommen und Werke in einem Stil zu schreiben, für den etwa Hinde- mith mit den Werken um die „Suite 1922" so charakteristische Prägungen gefunden hat. David muß das Hektisch-Ungesunde dieser Zeit besonders stark gespürt haben. Nur so ist sein Entschluß zu verstehen, aus den reichen beruflichen Gege- benheiten eines großstädtischen Musiklebens zur Ausübung des Lehrberufes wieder in die Heimat zurückzukehren. Der Verzicht auf die Möglichkeit einer Karriere im offiziellen Musikleben mag sicherlich schwer gefallen sein, aber was dafür eingetauscht wurde, erwies sich als außerordentlich zukunftsträchtig: ohne auch nur im mindesten den musikalischen Modeströmungen der Zeit nachgeben oder sich ihnen hingeben zu müßen, konnte David so den eigenen Entwicklungs- gesetzen leben. Inmitten eines heimatselig-selbstgenügsamen Musiklebens gründet er in Wels einen Bach-Chor mit dem er in lOjähriger Arbeit die wesentlichste a-cappella-Literatur von Haßler und Schütz bis zur Gegenwart aufführt. Ganz auf sich selbst zurückgezogen, wird das Studium Bachs der Ausgangspunkt für eine neue Entwicklung, die damit völlig gegensätzlich etwa zu jener Strawinskys und Hindemiths verläuft: während jene beiden Meister allmählich einer Abklärung entgegengehen, die einer großen Zahl ihrer Bewunderer als Widerruf einstiger größerer Taten und insbesondere bei Strawinsky als müde-resignierendes Zurück- ziehen in die Vergangenheit erscheint, beginnt David mit Werken, die manchmal stark in der Nähe der Stilkopie stehen, um dann von der Basis einer handwerk- lich und stilistisch völlig gesicherten Tonsprache aus mehr und mehr wieder in die Gegenwart vorzustoßen.

Zunächst sind Chor und Orgel die bevorzugten Ausdrucksmittel, und die Linearität, das wohl kennzeichnendste Merkmal der Musik Davids, erfährt in diesen Jahren die entscheidende Formung. Sie ist durch die Beschäftigung mit der Orgel zweifellos stark gefördert worden und hat einen Stil ergeben, der in der Musik für dieses Instrument vielleicht die reinste Ausprägung gefunden hat. So war es naheliegend, daß Davids Orgelwerke und insbesondere die ersten Hefte des nunmehr zu imponierender Größe angewachsenen „Choralwerkes" zuerst den Blick einer größeren Musiköffentlichkeit auf diesen in aller Stille gewachsenen und höchst eigenartigen, ja eigenwilligen Meister lenkten. Dem Druck einer Reihe seiner Werke durch Breitkopf & Härtel folgte bald die Berufung als Komposi- tionslehrer an das Konservatorium der Bachstadt Leipzig, jenes altehrwürdige Institut, das von der Periode Mendelssohn-Schumann bis in die Zeit Regers wohl den bedeutendsten Beitrag zur deutschen Musikerziehung geleistet hat. Als David damit 1934 erneut ins große Musikleben eintritt und später die Leitung der Anstalt übernimmt, ist er nicht einer, der unter inneren Kompromißen Mühe hat, mit dem Strom zu schwimmen, sondern eine in Ruhe gereifte Persönlichkeit,

2 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

die nun ihrerseits dazu berufen ist, dem musikalischen Organismus einer großen Stadt eine besondere Prägung zu geben. Der immer Offene und unentwegt an sich Arbeitende empfängt dort freilich auch seinerseits bedeutende Anregungen. Das Gewandhaus mit seiner inten- siven Pflege von Orchester- und Kammermusik bewirkt, daß bald der Schwer- punkt des Schaffens in der Symphonik liegt. Mit zwei Partiten wird zunächst das orchestrale Gelände abgetastet, dann folgen in steter Vertiefung fünf Sym- phonien, dazwischen Werke wie die Schütz- und Bachvariationen. Die Gefahr „instrumentierter Orgelwerke" lag gewiß nahe, aber David ist auf eine höchst persönliche Art echter Symphoniker geworden. Er ist nie impressionistischen Klangspielereien erlegen, wie vielfach die Generation um ihn, und der Farben- rausch Schrekerscher Partituren, der über ein Jahrzehnt lang wie magisch

3 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT junge Komponisten anzog, hatte nie Gewalt über ihn. Das Orchester erscheint ihm als vielgliedriger Organismus, dessen Möglichkeiten weit über die naturge- gebenen Schranken der Orgel hinausgehen, für Orchester zu schreiben bedeutete für David nicht die Freiheit des Uferlosen (wie scheinbar für Messiaen!), sondern die Verpflichtung, diese Gegebenheit vor allem architektonisch auszuwerten. Hier konnte der Komponist an die Brucknerschen Finalsätze anknüpfen und — hierin weit über den Florianer Meister hinausgehend — den Gedanken des Zentralbaues in der Musik, nämlich der stärksten thematischen und formalen Bezogenheit aller Teile verwirklichen. Damit sind allerdings Gebilde entstanden, mit denen der Durchschnittskapellmeister, der in dem mehr vom Rechenstift als von der Musik diktierten Probenbetrieb von heute auch noch mehr auf die Uhr als in die Partitur sehen muß, recht wenig anzufangen weiß. Ähnlich ergeht es dann nicht selten dem lieben Publikum, sodaß Davids Symphonien trotz ihrer starken Wirkung auf aufgeschlossene Kreise keineswegs zu den Erfolgstücken des modernen Konzertrepertoires gehören und nie „welturaufgeführt" werden, womit sich der Komponist mit bedeutenden Meistern der Vergangenheit freilich in bester Gesellschaft befindet.

Von Bach erzählt uns Forkel, daß er nach Anhören eines Themas sofort alle Möglichkeiten erkannte, die darin verborgen waren und daß er dann oft sehr enttäuscht war, wenn er fand, daß ein Komponist sie nicht ausgewertet hatte. Die thematische Ökonomie in Verbindung mit einer stark entwickelten Kombinatorik ist wohl der hervorstechendste Zug von Davids Kompositions- technik. Sie hat dazu geführt, daß seine Kammermusik wie insbesondere seine solistische und konzertante Instrumentalmusik häufig bis an die Grenzen des Möglichen geht. Von dem gefürchteten „Duo concertante" für Geige und Cello über Solo- und Duosonaten für verschiedene Instrumente bis in die vier Streich- trios op. 34 und die kammermusikalisch konzipierten Streicherkonzerte führt eine Reihe von Werken, in denen David den Spielern technisch wie geistig alles abverlangt. Ein besonderes Problem bleibt dabei die Doppelgrifftechnik der Streicher, die nicht primär aus dem Instrument kommt, sondern meist aus der Koppelung von linearen Bewegungszügen, wobei von den neugestellten Auf- gaben her die Entwicklung der Instrumentaltechnik vorwärtsgetrieben wird. Ein Werk für die kammermusikalische Idealbesetzung ist uns David bisher noch schuldig geblieben: er hat — von vernichteten Jugendversuchen abgesehen — kein Streichquartett geschrieben, obwohl ein führender deutscher Musikhistoriker kürzlich schrieb, David gehöre zu einer Gruppe von Komponisten, die „mit ihren Quartetten neuen Wein in alte Schläuche zu gießen versucht". Diese Scheu vor einer durch die letzten Werke Beethovens geheiligten Gattung ist ein charakteristischer Wesenszug Davids, der sich durchaus immer in eine Entwick- iungskette gestellt fühlt. Ein Werk, das sich nicht zumindest im Wollen jenen Meisterwerken würdig erwiese, würde er irgendwie als unnötig, ja als läppisch

4 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT empfinden. Von hier aus erklärt sich auch seine Einstellung zu manchem kompo- nierenden Zeitgenossen, zu manchen Ereignissen des zeitgenössischen Musikbe- triebes, die man ihm gelegentlich als Eigendünkel übelnimmt. Dabei ist es doch nur allzu naheliegend, daß ein Musiker, der an sich selbst den strengsten Maß- stab anlegt, mit diesem unwillkürlich auch seine Umwelt mißt und so manch- mal zu Urteilen kommt, die für die Betroffenen nicht immer schmeichelhaft 5¡nd. Im Zusammenhang mit der Instrumentalmusik darf noch erwähnt werden, daß die Anregungen hiezu auch aus der eigenen Familie kommen: ein Sohn ist namhafter Flötist und trotz seiner Jugend weitgereister Kammermusiker, für den jüngeren, einem hoffnungsvollen Geiger aus der Schule Tibor Vargas, hat der Vater ein Violinkonzert geschrieben, das demnächst uraufgeführt wird. Uberblickt man das Schaffen des Meisters, der im nächsten Jahre sein sechstes Lebensjahrzehnt vollenden wird, so drängen sich Überlegungen auf, die die soziologische Stellung des Komponisten berühren. Davids Musik steht zu einem grossen Teil unter religiösem Vorzeichen. Dabei hat er infolge seiner engen inneren Bindungen an den Choral der Lutherzeit der protestantischen Konfession zweifellos mehr gegeben als der katholischen. Haben die beiden Kirchen die bedeutenden Möglichkeiten, die sich daraus ergäben, einen wirklich schöpfe- rischen Musiker der Gegenwart ihrem Kult dienstbar zu machen, genützt? Nach einer Überschau über das, was auf kirchenmusikalischen Kongressen und Arbeits- tagungen praktisch musiziert oder in Referaten programmatisch erklärt wird, muß man diese Frage leider verneinen. Die enormen Schwierigkeiten zahl- reicher Davidscher Werke, die sie davon ausschließen, liturgische Gebrauchs- musik zu werden, erklären diese Tatsache nur zum Teil. Es ist vielmehr so, daß Davids religiöse Musik in ihrem geistigen Raum weit über das hinausgewachsen ist, was kleine Liturgiker (als Ergebnis eigener Beschränkung und Beschränktheit) als wünschens- und empfehlenswert erklären. Eine andere Frage ist die nach der Gegenwartsnähe und dem Zukunftswert dieser Musik. Sie muß umsomehr gestellt werden, als in der Zeit seit dem zweiten "Weltkriege das Prädikat „Avantgardist" zu den höchsten Auszeichnungen zählt, die einflußreiche Kritikerpäpste ihren Schützlingen zu verleihen pflegen. In der Jugend freilich hat das Wort vom „Fortschritt in der Kunst" einen besonderen Klang. Nähert man sich aber dem Alter, in dem man anfängt, ein Vierteljahr- hundert der Musikentwicklung aus eigener Anschauung zu überblicken, wird man dem sogenannten Fortschritt gegenüber reichlich skeptisch. Was ist uns in diesen letzten 25 Jahren nicht alles als die Zukunft in der Musik verkündet worden! Alle möglichen Systeme von der Viertel-, Sechstel- und Achteltonmusik bis zur Farbenlichtmusik; eine nettes Spiel für Orchester wie Honeggers „Pacific 231" sollte ein neues Zeitalter der Verbindung von Musik und Technik ankündigen; mit gewichtigem Pathos wurde immer der Tod von Sonate und Symphonie vorausgesagt, wer derlei Zeug schrieb, galt von vornherein schon als

5 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT rückständig; die letzte Regenerationsmöglichkeit der unentwegt sterbenden Oper wurde von heute bereits vergessenen Werken wie „Schwanda, der Dudelsack- pfeifer" und „Jonny spielt auf" vorausgesagt; Gershwins Versuche, heute bereits in die Unterhaltungsmusik abgesunken, sollten der armen europäischen Musik die Vitalität einer primitiven Rasse zuführen; daß das Tonsystem der Zukunft beinahe jährlich einmal gefunden wurde, sei nur nebenbei erwähnt. In dieser Flut von rasch wieder verschwindenden Ismen und Theoremen ist David unbe- irrbar seinen Weg gegangen, der sicherlich schwer und entsagungsvoll war und immer wieder den Verzicht auf äußeren Erfolg bedeutete. Diese innere Beständigkeit in der Welt der musikalischen Tagescrscheinungen läßt hoffen, daß seine Werke auch jene Richtungen überdauern werden, die neuestens von den Modeschöpfern der Musik einer staunenden Mitwelt vorgeführt werden: elektronische, konkrete und stereophonische Musik, progressive Rhythmik und variable Metrik, Leierostinato und exotischer Mystizismus, athematische Kom- position, motivischer Atomismus und was uns die nächsten Jahre und Jahr- zehnte an tollen Dingen in der Musik noch bringen werden. In Davids Musik Zukunftswerte zu erkennen hat allerdings die scheinbar recht seltene Fähigkeit zur Voraussetzung, Irr- und Abwege in der Kunst von echter Entwicklung unter- scheiden zu können.

Bleibt noch ein Wort zu sagen über Davids Verhältnis zur Zwölftonmusik, jenem System, in dem die geniale Entdeckung eines Meister mit der orthodoxen Rezeptgläubigkeit vorgeblicher Jünger eine so wunderliche Mischung eingegangen ist. David kennt Schönbergs Schaffen genau und ein Werk wie zum Beispiel das Streichtrio genießt seine höchste Schätzung. Schönbergs Reihenbildung, die wahrscheinlich auf der Erfahrung von der Abnutzung des Tonmaterials beruht und die höchste Auswertung der chromatischen Reihe versucht, hat stark auch die Themenbildung Davids beeinflußt. Die Reihentechnik hat er nie angewendet und so muß stark damit gerechnet werden, daß seine Musik in jenen Kreisen Ablehnung findet, in denen man eine Partitur erst sorgfältig mit Lupe und Rechenschieber untersucht, bevor man sich etwa von ihr beeindrucken lassen kann. Davids Kompositionsverfahren h.it immer eine melodische Kernsubstanz zur Voraussetzung, die aber nie abgewandelt sondern entwickelt wird, gleich- gültig ob sie ein „Einfall" im Pfitznerischen Sinne ist, ob sie etwa als c. f. dem Choral oder — wie in den prachtvollen Volksliedsätzen der letzten Zeit — dem älteren deutschen Volksliede entnommen ist.

Eine Würdigung der Persönlichkeit wäre unvollständig, würde man neben dem Komponisten den Pädagogen und den Denker über Musik vergessen. Ein Mensch, dessen Leben so sehr auf geistige Konzentration gerichtet ist, der in der Kunst an sich selbst die höchsten Forderungen stellt, dessen Selbstzucht und Selbstkritik nur wenige Gegenbeispiele findet, muß schon als Erscheinung und Vorbild reinigend wirken. Seine im besten Sinne altmeisterliche Handwerksge-

6 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT sinnung als Komponist überträgt auf den Schüler jenes faustische Streben, das das Eindringen in Geist und Handwerk der Musik nicht als Aufgabe einiger Ausbildungsjahre, sondern als Lebensziel erscheinen läßt. Nur so ist die Tiefen- wirkung des Pädagogen David zu verstehen. Wer die vielen knappen und oft scheinbar widerspruchsvollen, aber immer verborgene Zusammenhänge auf- zeigenden Formulierungen kennt, die David im Unterricht, im Gespräch findet, bedauert, daß er so selten zur Feder greift um derlei festzuhalten. Tut er es einmal, dann kann man sicher sein, daß Bedeutendes ausgesagt wird. So dürfte sein kürzlich erschienenes schmales Bändchen über die Jupitersymphonie den Anstoß geben, das Spätschaffen Mozarts neu zu sehen, womit es allerdings dann eine große Zahl dickleibiger Wälzer überflüßig gemacht hätte. David ist als Komponist zwar bei einer recht beträchtlichen Werkzahl, aber keineswegs bei seinem „Altersstil" angelangt. Nach Perioden eines starken Kon- struktivismus und einer gelegentlich bis ins Extrem gesteigerten Kombinatorik zeigt das Schaffen des letzten Jahrzehnts eher eine bisher selten gekannte Un- mittelbarkeit und Vitalität. Dies berechtigt zur Hoffnung, daß die Entwicklung keinesfalls abgeschlossen ist, daß wir Spätwerke erwarten dürfen, die uns wie die Zusammenfassung der reichen Erfahrungen eines der Musik geweihten Lebens erscheinen werden.

Jörg D e m u s

BACH AM KLAVIER

Mit besonderer Berücksichtigung des „Wohltemperierten Klaviers"

Der junge österreichische , der sich vor allem als Bachspieler Ansehen erworben hat und vor kurzem in einem Zyklus im Konzert- haus das ganze Wohltemperierte Klavier zum Vortrag brachte, setzt unser; Artikelserie „Künstler über Probleme der Wiedergabe" mit der folgenden Studie fort.

In einer Programmeinführung (zu den Goldbergvariationen), welche sich mit der Frage des für die Wiedergabe der Bachschen Clavier-Musik zu bevor- zugenden Instrumentes beschäftigte, schrieb ich u. a. den Satz: „Man wird also — paradoxerweise — Bach umso besser spielen, je intensiver man aus dem Geiste des jeweilig benutzten instrumentalen Mediums heraus gestaltet." Jenen Satz als Ausgangspunkt nehmend und daher den Fragenkomplex, ob und wie- weit unser moderner Flügel der Musik Bachs Genüge tut, beiseite schiebend, sollen sich vorliegende Ausführungen nun mit einer Reihe von Problemen be-

7 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT schäftigen, die für jeden denkenden Musiker, der Bach am Klavier spielt, früher oder später auftauchen. Sie wollen keineswegs Originalität für sich in Anspruch nehmen, verdanke ich doch die meisten jener Erkenntnisse dem Unterricht meiner Lehrer, der Lektüre der hierfür wichtigen Bücher wie dem anregenden Gespräch mit Fachkollegen. In ihrer Natur liegt es auch, daß vor allem technischen Dingen das Augenmerk zuzuwenden sein wird, bin ich doch der Meinung, daß alles scheinbar rein Technische viel weiter ins Gebiet des „Musikalischen" vorgetrieben werden kann und muß. Das Hammerklavier hat einige recht charakteristische Eigenschaften, denen bei der Wiedergabe Rechnung getragen werden muß. Wie ja bekannt, kann die Tonstärke durch verschieden dosierten Anschlag innerhalb einer verhältnismäßig weiten Amplitude unbegrenzt modifiziert und nuanciert werden. Durch die im Laufe der Entwicklung sich als notwendig erweisende Verstärkung des Tones wurde derselbe jedoch, wie Schweitzer richtig feststellt, wesentlich dumpfer und o'bertonärmer als der des Cembalos und Clavichords, was sich naturgemäß am fühlbarsten auf die tieterliegenden Register auswirken mußte, da hier auch noch die höheren Töne der Obertonsäule stark zur Tonfarbe beitragen. (Dieser gewissen Dumpfigkeit der tieferen Lagen muß der Spieler durch ein besonderes plastisches Herausarbeiten des Basses und der tieferen Mittelstimmen begegnen.) Dem Klavier eigentümlich ist ferner die Möglichkeit, alle angespielten Töne durch die ge- hobene Dämpfung unverkürzt ausklingen zu lassen — eine keinem Instrument der Barockzeit eignende und daher sehr vorsichtig anzuwendende Wirkung — sowie sein einziges Register: Die Verschiebung.

Aus jenen Besonderheiten des Klaviers nun ist alles Folgende als ihnen Rechnung tragend abzuleiten. Das wichtigste Erfordernis eines guten Bachspielcs ist die Deklamation. Hierunter versteht man die Abgrenzung zunächst der kleinen Motive („Worte") und dann der größeren, aus ihrer Zusammensetzung resultieren- den Phrasen („Sätze") in jeder einzelnen Stimme, sowie ihre Belebung durch die Mittel der Dynamik (Stärkeverhältnisse), Ayogik (Bewegungsverhältnisse) und Artikulation (Bindungs- bzw. Trennungsverhältnisse). Charakteristisch für die Zusammengehörigkeit dieser drei Faktoren ist die interessante Tatsache, daß sie einander weitgehend vertreten können — so kann ζ. B. auf Instrumenten, welche keine die Töne individuell schattierende Dynamik gestatten, eine noch sorgfältigere Agogik und Artikulation dies wettmachen. Das Klavier jedoch gebietet souverän jeder dieser drei Komponenten: wir sind daher verpflichtet, weitgehendst von ihnen Gebrauch zu machen. Kann auch nicht nachdrücklich genug von einer manirierten Übertreibung all dieser Nuancen gewarnt werden, so würde ihr völliges Unterbleiben doch die gespielte Musik blutleer erscheinen lassen. „Con discrezione" steht als eine der seltenen authentischen Vortragsbe- zeichnungen in einer Bachschen Fantasie — es möge als ideelles Motto allem Folgenden gelten.

8 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Dem Studium eines Stückes voraus geht natürlich die geistig-musikalischc Beschäftigung mit dem Notentext, das Einteilen, Abgrenzen der Motive und Phrasen (ζ. B. durch Bögen), das Herausfinden der Haupt- und Nebenakzent;, der abfallenden weiblichen Endungen etc. (graphisch mit den Zeichen der sprach- lichen Hebung und Senkung darstellbar), sowie das Auswählen einer charakter- vollen Artikulation (durch legato-, portamento-, non legato-, leggiero-, staccato-, n.artellato-Zeichen). Ich persönlich finde es recht angebracht, dies auch alles in die Noten einzutragen. Hebt dies auch nicht ihren antiquarischen Verkauts- wci t, so sichert man sich doch dadurch ein lückenloses Erfassen der Details auch in Neben- und Mittelstimmen. Erst der nächste Schrirt — da er bereits auf dem ^"issen um die Gruppierung und Artikulation der Motive basieren muß — ist die Schaffung einer Applikatur (Fingersatz). „La doigté parle" pflegt mein \erchrter Pariser Lehrer Yves Nat zu sagen; aber sie „spricht" nur, wenn einer ganzen Reihe von musikalischen Anfordernissen Rechnung getragen wird. Diese sind:

a) Anpassung an die Artikulation, d. h. ein bindbarer Fingersatz dort, wo Legato-Spiel beabsichtigt ist. Andererseits ist es zur schärferen Charakteristik oft günstig, an Phrasentrennungsstellen und überall dort, wo nicht gebunden werden soll, auch einen nicht bindbaren Fingersatz zu wählen.

b) Anpassung an die Dynamik, d. h. Vermeiden von Positionen, in denen Finger ungewollt stark oder schwach anschlagen. Ein Beispiel: Bei Folgen von weißer zu schwarzer Taste auswärts (etwa rechts von f nach ges) kommt bei den üolichen Fingergruppen 45, 34, der erstere Finger fast stets schwächer als beab- sichtig. In solchen Fällen ist es daher fast immer weit besser, die umgekehrte Fingerfolge, also 54, 43 zu nehmen — übrigens ein echt bachischer Fingersatz, da- mals als „Überschlagen" bezeichnet. Oder: Der kurze Daumen schlägt, außer in den Fällen, wo man ihn — von einer schwarzen Taste herabkommend — nach jener auf einer weißen verwendet, leicht zu stark an. Daher wohl auch sein ehemals tunlichstes Vermeiden beim sensiblen Clavichord. Diese „Schwäche" be- nützend, verwendet man ihn deshalb besonders gerne für Betonungen. Dasselbe gilt für den bei Bach sehr häufig anwendbaren, auch leicht eine kleine Betonung verursachenden „stummen Wechsel".

c) Solidität (Aufsuchen möglichst starker Fingerpositionen). Sie besteht vernehmlich im Ersetzen unselbständiger, nebeneinander liegender Außenfinger- gruppen (34, 45) durch Gruppen, wo ein Finger ausgelassen ist (24, 35, 25), oder durch häufigeres Untersetzen. Sie ist sowohl bei cantablen, wie brillanten Stellen gerade beim Bachspiel von großer Wichtigkeit.

d) Geschicktes Aufteilen auf beide Hände: Dies ist bei Bach allgemein sanktioniert, jedoch bei späteren Komponisten vielfach verpönt — was ich persönlich, solange man am Klang nichts ändert, übertrieben finde.

9 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

e) Bequemlichkeit — scheinbar der einzige Gesichtspunkt bei den meisten der gedruckten Fingersätze. Trägt man sich eine sorgfältigst ausgewählte Applikatur — bei Bach fast Note für Note — in seinen Text ein, so hat man eine unschätzbare Hilfe für etwaiges späteres Wiederauffrischen des Stückes, sowie eine wichtige Gedächt- nisstütze. Während wir uns nun Applikatur und Artikulation einprägen, kommen wir zu einer höchst überraschenden Feststellung: Während alle Artikulations- nuancen außer der des Legato in einer einförmigen Tonstärke, also ohne Zu- hilfenahme dynamischer Mittel, glatt ausführbar sind, erweist sich für jenes das bloße „binden" (d. h. daß der erste Ton nicht einen Moment früher verkling als der nächste erklingt) ohne Differenzierung der Tonstärken als unzureichend: Wir kommen zum angeblichen „Non-legato Charakter des Klaviers" (Busoni). Die Erklärung dieses sehr interessanten Phänomens führt in akustische Bereiche: Das echte Legato, ζ. Β. eines Sängers, Streichers oder Bläsers, ist vergleichbar einer Linie, welche entweder gerade oder in Wellen (crescendi, diminuendi) ver- laufen kann. Der einzelne Klavierton jedoch hat die graphische Form einer Zacke, welche senkrecht aufsteigt und dann nahezu gleichmäßig mehr oder minder sanft (verschieden je nach dem Instrument: je sanfter der Tonabfall, umso besser das Instrument) abfällt. Aus dieser Zackenform der Klaviertöne folgt, daß ein cchtes legato (Linie) auf dem Klavier nicht möglich ist — eine betrübliche Fest- stellung, der zum Großteil die Schuld daran zufällt, daß das Klavier mancherorts als Schlaginstrument, als „bessere Schreibmaschine" in Verruf kommen konnte. Es läßt sich jedoch — unter Zuhilfenahme dynamischer Mittel — auf dem Klavier ein künstliches Legato bilden, welches dem Ohre fast völlig die Illusion eines echten vermittelt: Schlägt man die Töne nicht in gleichbleibender Lautstärke an, sondern bringt Gruppen — zunächst etwa zwei — in eine dynamisch fallende Relation, so wird sich zeigen, daß die die langsam verklingenden Töne darstel- lenden, sanft abfallenden Linien beinahe zu einer einzigen („echtes Legato") verschmelzen. Die die beiden Linien unterbrechende, kleinere Zacke ( /S«^ ) wird vom Ohre mühelos korrigierend umgehört, „geradegerichtet", es entsteht eine vollkommene Legato-1 Ilusión.

Es fragt sich nun, welche Töne innerhalb eines musikalischen Geschehens vor allem einer solchen Illusion, einer auch technisch sich manifestierenden Zu- sammengehörigkeit, bedürfen. (Auf alle ist dieses Verfahren ja nicht anwend- bar, das bei mehreren Tönen ein rapides Abnützen der Lautstärke zum Nullpunkt zur Folge hätte.) Vor allem sind dies: Vorhalt und Auflösung, eine musikalische Urbeziehung, Spannung und Entspannung symbolisierend. Welch eminente Rolle sie gerade in der polyphon-kantablen Musik Bachs spielt, beweisen einige Stich- proben, ζ. B. im Wohltemperierten Klavier: Es stellt sich heraus, daß etwa jeder 4. bis 5. Ton einer solchen Beziehung angehört! Von allergrößter Wichtigkeit

10 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

daher für das Bachspiel am Klavier ist die schon lange bekannte Hauptregel des kantablen Spiels: die Auflösung gegenüber dem Vorhalt um ein ganz Er- hebliches, kaum zu Übertreibendes schwächer anzuschlagen. Technisch ist eine solche Zusammengehörigkeit zweier Töne durch ein Senken des Handgelenks auf den Akzent und ein Heben (bzw. Abheben bei Phrasenenden) auf den Auflösungs- ton sinnvoll in Bewegung umwandelbar. Gieseking ζ. B. legt in seinem Unter- richt den größten Wert auf die peinlichste Befolgung obiger Regel. Will man eine solche Beziehung an hervorragender Stelle besonders unterstreichen oder spielt man auf einem der relativen Dynamik unfähigen Instrument, so nimmt man wohl noch in diskreter Weise Mittel der Agogik (ein kaum merkliches längeres Verweilen auf dem Vorhalt) und der Artikulation (Abziehen des Auflösungs- tones) zu Hilfe — auch hier also erweist sich wieder die Zusammengehörigkeit der drei Komponenten der Deklamation. Diese Regel steht im krassen Wider- spruch zu einem monoton-motorischen Spielstil bei Bach. Noch einige Fingerzeige zur bei Bach so wichtigen Aufhellung der Poly- phonie. Sind etwa zwei Stimmen mit einer Hand zu spielen, noch dazu wie so häufig in komplementären Rhythmen, so entsteht leicht der Eindruck einer einzi- gen, springenden Stimme. Um ihn zu vermeiden, verachte man die alte „Haus- regel" nicht, jeden Einsatz — sei es nach einer Pause oder einem Halteton — ein wenig zu betonen. Den häufigen Synkopenstimmen wird durch besonderes Espressivo die Aufmerksamkeit zuzuwenden sein. Der Klarheit des Baues ist die größte Beachtung zu schenken — klingt er doch viel dumpfer und dicker als auf Bachs Instrumenten. Wahre Wunder aber wirkt entsprechende Artikulation in jeder Stimme, da sich diese im Legato von der staccierten wunderbar abhebt. Nicht binden soll, bzw. kann man: fast alle Sprünge größer als die Terz (so scheint vor allem die Quarte meist eine Trennung zu verlangen), ferner klopfende Viertel oder Achtel in der Begleitung (laut Ph. E. Bach den halben Wert aus- zuhalten), Phrasentrennungen; chromatische Tonpaare sind meist voneinander zu trennen, auch vor einer Synkope hebt man gerne ab; aber selbst Sechzehntel- passagen machen sich oft sehr gut in leggiero bis non legato, wodurch sie einen silbrigen, fast cembaloartigen Charakter erhalten. Gute Hinweise für eine stil- volle Artikulation geben uns zahlreiche, von Bach selbst genauer bezeichnete Streicherstimmen. Wer Bach richtig und schön deklamiert und charaktervoll artikuliert, dem wird ein natürlicher Vortrag fast allein zufallen. Bekanntlich ließ Bach ja sämtliche Präludien und Fugen des Wohltemperierten Klaviers außer den h-moll- Stücken ohne Tempoangaben und alle ohne die geringsten Vortragsbezeichnungen. Trotzdem wird der hierin Geübte auf Grund des allgemeinen Charakters, der Figuration, der Themenphysiognomie, sowie von gewissen historischen Kennt- nissen (z. B. der alter Tanzrhythmen) zu einer meist eindeutigen, immer zu- mindest sinnvollen Auffassung und Auslegung gelangen können — obwohl ihn

11 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT hierin fast alle Ausgaben mehr oder weniger im Stich lassen. Greifen wir ζ. B. willkürlich die g-moll-Fuge des I. Bandes heraus: Die mir bekannten Ausgaben schreiben für dieses Stück eine langsam-sonore, andachtsvoll-weiche Ausführung vor, meist ist legato verlangt (Riemann: „Nachdenklich-ernst", Bischoff: „tran- quillo", Tovey: „maestoso, quasi andante", „durchwegs legato", Czerny, Tausig und Busoni: „Andante con moto", letzterer noch „nobilmente espressivo"). Was für Anhaltspunkte liefert uns nun der Notentext selbst? Zunächst einmal das Thema:

Ein Sextsprung (Sprünge bedeuten Energie), sich zur verminderten Septime er- weiternd — wohl eines der energiegeladensten Intervalle (s. z. B. Beginn der Klaviersonate op. 111 von Beethoven), in der zweiten Themenhälfte der charakteristische Rhythmus: zwei Sechzehntel — eine Achtel, der fast alle bewegten Konzertsätze des Barock durchzieht (deutlichstes Beispiel ist vielleicht der erste Satz des 6. Brandenburgischen Konzertes). Ferner wird die bis dahin rein vierstimmige Fuge im vorletzten Takt plötzlich fünfstimmig — ein bei Bach seltener Fall, der auf besondere Kraftentfaltung deutet. Aus allen diesen Merkmalen scheint sich — entgegen allen Ausgaben — ein Vortrag abzuleiten* den ich etwa mit „Moderato con energia" (M. M. etwa 80 für die Viertel) zu bezeichnen glaube, ungefähr im Tempo einer guten Aufführung des obener- wähnten Konzertsatzes, und durchwegs mit charakteristischer Trennung des Sextsprunges im Thema. Wer so aus dem Text heraus durch sorgfältige Prüfung aller Merkmale zu einem angemessenen Vortrag zu gelangen bestrebt ist, der wird sich von den in den verschiedenen Ausgaben mehr oder weniger phantasievoll eingestreuten Bezeichnungen weitgehend distanzieren müssen; musikalische Vergewaltigungen wie die des e-moll-Präludiums I durch Czerny wird er als solche zu erkennen wissen. Von den mir bekannten Ausgaben des Wohltemperierten Klaviers ver- dient die von Tovey an erster Stelle genannt zu werden: Einem von Zutaten unberührt gebliebenen, einwandfreien Notentext geht jeweils ein kleiner Kom- mentar zum betreffenden Stück voraus, Tempo, Phrasierung und dgl. betreffend. Die Bischoff-Ausgabe bietet den Vorteil mehrerer Lesarten, so daß der Ge- schmack des Spielers zwischen den zahlreichen Abweichungen der Autographe und besten Abschriften frei wählen kann. Kroll begnügt sich mit dem bloßen, wenigstens korrekten Text. Busonis Ausgabe wird heute zwar schon mehr in historischer Perspektive betrachtet, jedoch enthält sie eine Fülle des Interessanten und Originellen — nur daß dieses eben mit Vorsicht aufzunehmen ist (Oktav- kopplungen, Bearbeitungen, Austausch von Stücken etc.). An die letzte Stelle der heute erhältlichen Ausgaben gehört die verbreitete, sich auf Beethovens

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Spiel berufende Carl Czernys — und dies nicht nur wegen der gänzlich über- holten Bezeichnungen: immer wieder neu aufgelegt, wird sie dem Publikum auch mit den zahllosen, seit einem Jahrhundert als solchen erwiesenen falschen Noten in die Hand gegeben Gehen wir noch einmal zurück zur Frage des Tempo: Sonderbarerweise hängt sie weit weniger von der objektiv-mathematischen Schnelligkeit (Metronom- zahl) ab, als man zunächst glauben möchte. Vielmehr ist es eine eher subjektive, innere Belebtheit, welche den Stücken ihren Charakter verleiht, und diese hängt innigst zusammen mit der Verteilung der Akzente. Wollen wir ζ. B. ein ge- tragen-gesangvolles Stück zwar ausdrucksvoll, jedoch nicht schleppend dar- stellen, so können wir unbesorgt ein verhältnismäßig fließendes Tempo an- schlagen: wenn wir nur die tragenden Hebungen weiter auseinanderlegen, auf möglichst entfernte Zieltöne, denen das musikalische Geschehen zusteuert, vor- ausdenken, so wird das Tempo noch immer ruhig genug wirken, wahrscheinlich ruhiger als bei einem objektiv langsameren Tempo mit zu engen Akzenten. Hier- her gehört das Allabreve-Spiel — nichts anderes als eine Halbierung der Ak- zente, wodurch zwei Zählzeiten zu einer zusammenfallen. Viele langsame Sätze gewinnen erst dadurch den „langen Atem" — eines der wichtigsten Ge- heimnisse der Interpretation. Ebenso ist das umgekehrte Verfahren — gehäufte Akzente bei mäßiger, allen Details gerecht werdender Schnelligkeit — oft bei lebhaften Stücken von großem Vorteil. Albert Schweitzers Regel: „Je besser ein Spieler, umso langsamer darf er Bach spielen" möchte ich wohl darin er- weitern, daß er auch umso rascher spielen darf, wenn es ihm gelingt, die Akzente zum Tempo ins jeweilig wünschenswerte Verhältnis zu setzen. Mit dem vorhin genannten „Vorausempfinden" der musikalischen Schwer- punkte ist der Begriff der Auftaktigkeit schon angedeutet. Nahezu alle Bach- schen Motive sind auftaktig, d. h. weder beginnen noch enden sie am Taktstrich. Dies verleiht ihnen eine unerschöpfliche rhythmische Mannigfaltigkeit, es hebt sie über die starren Pfosten des Metrum hinweg, ohne sie jedoch aufzuheben. Zu dem oben bereits Gesagten über Phrasierung und Deklamation sei daher hinzu- gefügt, daß ein diskretes dynamisches Nachzeichnen dieser Motivverzahnungen (kaum merklich betontes Einsetzen des neuen Motivs, kleines Anschwellen bis zu seinem Höhepunkt und wieder Zurücktreten gegen Ende hin) oft erst das Vor- wärtsstrebende, den langen Atem Bachscher Tonsprache voll zum Ausdruck bringt. Noch ein kurzer Hinweis — auch er von Bedeutung für das einzuschlagende Tempo — möge den bei Bach oft ganze Stücke durchziehenden ostinaten Rhyth- men — die Verwurzelung eines Großteiles der Bachschen Ciaviermusik im Tanz bekundend — gelten. Bei den rascheren Stücken des Wohltemperierten Klaviers augenfällig genug, um hinlänglich Beachtung zu finden, hält er doch auch die meisten der langsamen Präludien in Fluß. Ich konnte lange nicht ergründen,

13 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT varum ich bei meiner Darstellung des herrlichen ersten cis-moll-Präludiums das Gefühl des Schleppens, trotz genügsam fließenden Zeitmaßes, nicht los wurde — bis ich lernte, es durch den das ganze Präludium durchziehenden Rhythmus J j)J schwebender, fast sarabandenhaft zu empfinden. Dasselbe gilt für das berühmte erste es-moll-Präludium — eine echte Sarabande — und seinen Rhyth- mus: J>J J Überhaupt entpuppen sich bei näherem Hinsehen eine ganze Reihe von Präludien, ja selbst Fugen, als verkappte Tanzformen (ζ. B. cis-moll-Fuge II: „Gigue", d-moll-Präludium II: „Corrente", As-Dur-Präludium 1: „Tempo di Menuetto", E-Dur-Präludium I: „Pastorale", g-moll-Präludium 11: „Französische Ouverture" etc.). Eine ausgeprägte Charakterisierung als sol- che ist daher bei ihrem Vortrag durchaus erforderlich. Obengenanntes, mit Verzierungen überreichlich gesegnetes cis-moll-Präludium bringt mich auf den Gedanken, noch einiges über die Ornamentik bei Bach zu sagen. Nicht Zweck dieser kleinen Arbeit kann es sein, Forschungen über die teilweise noch strittigen Auslegungen der graphischen Zeichen anzustellen — wobei ich doch die vielen Spielern ungeläufigen drei Verwendungsarten des Zeichens: /w erwähnen möchte: 1. Praller, beginnend mit der oberen Hilfs- note (also aus 4 Tönen bestehend) — fast am häufigsten. 2. Praller, beginnend mit der Hauptnote — also 3 Noten, 3. Pauschalzeichen für kurze oder lange Triller, mit und ohne Nachschlag. Vielmehr seien mir einige Winke für ihre pianistische Ausführung gestattet. Das Wichtigste dabei ist, stets zu bedenken, daß es sich um Auszierungen, „agréments", der melodischen Linie, nicht um sie selbst handelt — sie müssen sich dieser also unterordnen, sie umspielen, glitzern, sind jedoch nicht wie diese selbst Gesang (der lange Vorschlag als vorgehaltener Melodieton gehört natürlich nicht hierher). Erst hieraus wird Ph. E. Bachs Satz verständlich: „Ein geschwinder Triller ist allzeit einem langsamen vorzuziehen" — eine Regel mit nur wenigen Ausnahmen in sehr getragenen Stücken. Giese- king lehrt, alle Ornamente mit völlig erschlafften, bereits vor dem Anschlag tot auf der Taste liegenden Fingern zu spielen — eine wunderbare technische An- weisung, wodurch sie ganz von allein gegenüber der technisch ganz anders (unter Mitwirkung des Handgelenks, ja selbst des Armes und der Schulter) gebildeten Melodie zurücktreten. Obwohl es erwiesen scheint, daß nahezu alle Verzierungen auf dem Takt- teil (d. h. zusammen mit einem etwaigen Baß- oder Begleitton) begonnen werden, herrscht vielfach Unklarheit über ihre Betonung — vielleicht weil dieser Frage naturgemäß beim Cembalospiel nur geringe Bedeutung zukam. Rein vom Ästheti- schen herangehend glaube ich doch, daß bei melodiöseren Stellen ihre Betonung auf dem ersten Ton zu ruckartig, bei größerer Häufung (Thema der Goldberg- variationen!) geradezu bizarr wirken würde. Dem kann ein kleiner „Trick", besonders bei Pralltrillern, Mordents und kurzen Vorschlägen abhelfen: Man spielt mit der rechten Hand so, als ob man die Verzierung (fälschlich) vor dem

14 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT jeweiligen Taktteil bringen wollte — d. h. unbetont, schlägt die Linke jedoch zusammen mit dem ersten Verzierungston der Rechten, also gleichsam auch vor- aus an. Der Effekt ist ein beinahe improvisatorischer, also dem Wesen der Ver- zierung durchaus entsprechender, hervorgerufen durch die graziöse Unbetont- heit des Ornaments in Verbindung mit der zarten agogischen Freiheit durch das minimale Zufrühkommen des Basses. Bei Trillern scheint das „Auszählen" meist üblich gewesen zu sein, insbesondere bei Fugenthemen, die bei jedem Wieder- auftreten — wo spieltechnisch möglich — unverändert gebracht werden sollten. Ein Schlußwort möge den beiden Pedalen gewidmet sein. Wie schon bemerkt, ist das Dämpfungspedal eine nachbachische, durchaus dem Fortepiano eigene Erfindung; (uni 1770 schon als Kniehebel in Gebrauch) — Vertreter einer liisto- îischen Richtung wollen es daher gänzlich vom Bachspiel verbannt wissen. Dem wäre entgegenzuhalten, daß auch der einzelne Klavierton, bzw. Akkord, bei getretenem Pedal voller und wärmer klingt — wegen der durch sympathisches Mitschwingen der Saiten verstärkten Obertöne. Auf den Ausgangspunkt des Aufsatzes — die Verpflichtung, jede durch das Instrument gebotene Chance sinn- voll zu nützen — zurückgreifend, könnte man etwa drei Arten der Pedalisierung unterscheiden:

a) Das „ FärbepedalEs dient nur zur Verschönerung der Klangqualität, ohne den eigentlichen Zweck des Liegenlassens auszunützen. Meiner Meinung nach sehr reichlich anzuwenden, allerdings muß ständig gewechselt werden, oft auf jeden Ton. b) Das „Legatopedal" — nur an den wenigen Stellen zu gebrauchen, wo ein echtes Fingerbinden sehr unbequem oder gar unmöglich ist. Häufig in allen Orgeltranskriptionen. c) das „Haltepedal", Lebenselement der ganzen romantischen Klavier- musik, kann bei Bach wohl nur in rauschend-virtuosen Stücken, wie den Toccaten und Fantasien, benutzt werden — etwa bei den Arpeggien der Chromatischen Fantasie. Einen vollwertigen, durchaus stilechten Ersatz für das Haltepedal bietet jedoch die alte Art des Legato, wie sie in allen Klavierschulen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts besprochen wurde, um dann in Vergessenheit zu geraten (bei Ph. E. Bach, Seite 87—88 der Niemannschen Ausgabe, Klavierschule von Adam, Seite 197, etc.). Jedem Spieler wird es wohl schon aufgefallen sein, daß Bach — ganz gegen die Logik der Stimmführung — etwa bei Achtel-, Sech- zehntel- oder Triolen-Figurationen plötzlich Viertel herausstreicht und diese oft noch untereinander zu ganzen Halteakkorden bindet (mir am deutlichsten sichtbar in den Präludien Es-Dur II und C-Dur I). Aus der oft großen In- konsequenz dieser Haltetöne in den verschiedenen, sonst korrekten Manuskrip- ten ist deutlich zu ersehen, daß es sich dabei um etwas Selbstverständliches, allgemein Bekanntes handelte, weshalb gewisse, mehr zufällige Fingerzeige ge-

15 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT niigten. Nichts anderes besagte nämlich damals „legato", als daß bei vielen Stellen sämtliche zur betreffenden Harmonie gehörigen Töne — soweit tech- nisch ausführbar — gehalten werden konnten, wo dies eine gute Wirkung tat. So war bei den im Rokoko auftretenden und bis in die Schubertschen Sonaten und Impromptus häufigen „Alberti-Bässen" fast durchwegs die Baßlinie zu binden, also:

zu spielen (wie z. B. noch im c-moll-Inipromptu von Schubert!). Diese alte Art des Legato, an geeigneter Stelle angewandt, ersetzt durchaus das „Halte- pcdal", ohne wie dieses die Klarheit der Stimmführung zu trüben, da man sich die zu haltenden Töne auswählen kann — was beim Pedalnehmen natür- lich nicht möglich ist. Abschließend kann für den Gebrauch des Dämpfungspedals wieder eine Regel Giesekings als maßgebend genannt werden: Alte Musik muß man ganz ohne Pedal schön und ausdrucksvoll spielen können — um auf dieser Basis dann lediglich zur Erzielung noch größerer Klangschönheit, nicht aber Erleichterung, Pedal zu nehmen. So sparsam das Dämpfungspedal, so reichlich kann meiner Ansicht nach das Verschiebungspedal bei Bach verwendet werden — ist es doch das einzige wirkliche Register, welches dem Klavier von den zahlreichen des Cembalo verblieben ist. Vor allem bei den oft, bei Suitensätzen stets vorgeschriebenen Wiederholungen tut vielfach eine solche im „una corda" ausgezeichnete Wirkung und hilft mit, die Gefahr der Monotonie zu bannen. Da der Hauptzweck des Aufsatzes die Besprechung einer Reihe von tech- nischen Problemen war, so will ich mich im Hinblick auf den allgemeinen Inter- pretationsstil der Klaviermusik Bachs mit einigen allgemeinen Andeutungen be- gnügen. Die übertrieben subjektivierte, vielfach mit von außen herangetragenen (Edwin Fischer sagt: „aufgeklebten") Effekten operierende, virtuos-pianistischc Bachauffassung vieler Interpreten von Czerny bis Busoni wurde etwa nach Ende des ersten Weltkrieges, vor allem im deutschen Sprachbereich, abgelöst durch eine sich „moderne Sachlichkeit" nennende Richtung, welche mit der Interpreta- tionsweise der vorhergehenden Epoche auch vielfach deren ganze Musik über Bord warf. Die Ausläufer dieser Richtung, der es — auf Grund einer, die historisch überlieferten Fakten vom Interpretationsstil des Barockzeitalters völlig mißverstehenden „historisierenden" Anschauung — lediglich auf „Texttreue" (wie wenig sagen uns doch die alten Texte über ihren Vortrag aus!), Festhalten einer einmal angeschlagenen Bewegung („Motorik") ankam und deren Kenn-

16 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT zeichen eine gewisse espressivofeindliche, in „Hemdärmeln" musizierende Gleich- gültigkeit war, reichen bis in unsere Zeit. Selbst führende Komponisten dieser Generation glaubten dem Interpreten jegliches Recht zu einem über Korrektheit hinausgehenden Bestreben absprechen zu müssen. Jedoch scheint sich allmählich ganz deutlich eine Tendenz abzuzeichnen, welche auf natürlichen, lediglich aus dem gegebenen Notentext organisch erwachsenen Ausdruck beim Spiel auch der alten Musik nicht verzichten will — aber nur durch Zusicherung der von innen, aus der Musik kommenden Anregungen: sei es das plastische Verteilen der Hebungen und Senkungen in der musikalischen Deklamation und deren Belebung durch eine diskrete Dynamik und Agogik, das Aufhellen eines komplex-poly- phonen Satzes durch lebendige Verschiedenheit der Artikulation in den ein- zelnen Stimmen, das Hinwenden zu einem klangschönen Spiel und der Pflege der Anschlagskultur, zu Feinheiten im Pedalgebrauch, der Wille zur besonders bei Tanzformen und Variationen oft sehr ausgeprägten Charakteristik. Auf diese Tendenz scheinen auch die ähnlichen Ansichten zahlreicher junger, mir be- freundeter Interpreten hinzuweisen. Vielleicht besteht unsere Aufgabe darin, eine Synthese zu schaffen zwischen den als wertvoll und dauerhaft erwiesenen Er- rungenschaften unserer Zeit mit denen der Tradition, oder kurz gesagt: eine Brücke zu schlagen zurück zur Kunst der „grand old men" des Klaviers.

Nobori Κ α η e k o, Tokio

DIE ABENDLÄNDISCHE MUSIK IN JAPAN

II. Die jüngste Vergangenheit

Der zu Studienzwecken in Wien weilende japanische Dirigent und Musik- pädagoge Dr. Nobori Kaneko, der in der Oktober-Nummer der ÖMZ die Entwicklung der abendländischen Musik in Japan darstellte, berichtet nun vom gegenwärtigen Stand der fernöstlichen Musikkultur.

Schon begannen die Kinder der ersten Konservatorium-Absolventen ihre Studien, als der zweite Weltkrieg ausbrach. Musiker aus dem Ausland konnten nicht mehr nach Japan kommen und Japaner mußten in die Lücken einspringen. Die Möglichkeiten, sich zu amüsieren, waren begrenzt und Leute, die vorher nicht zum Konzertpublikum gehört hatten, tauchten in den Konzertsälen auf. Auch in den Zeiten der schwersten Bombardements waren die Orchesterkonzerte immer sofort ausverkauft. Große Konzerne und Fabriken in- und außerhalb Tokios verpflichteten die Orchester für Konzerte in ihren Betrieben, obwohl

17 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT sie selbst einen werkseigenen Chor und -wenigstens eine Werkskapelle besaßen. Die wenigen vorn Militär und anderen Kriegsdiensten befreiten Musiker hatten jetzt eine Chance, ihr Können unter Beweis zu stellen, waren sie doch die Ein- zigen, die das steigende Musikbedürfnis der Öffentlichkeit befriedigen konnten. Über Anordnung der Behörden mußte jedes Konzertprogramm wenigstens eine japanische Komposition einschließen, was ein großer Ansporn für die einheimi- schen Komponisten war. Obwohl der Studiengang unter den Kriegsumständcn stark litt, die meisten der Studenten vor Beendigung ihrer Studien zum aktiven Kriegsdienst einberufen wurden und viele von ihnen ihre Heimat nie wieder- sahen, boten sich doch den Tüchtigsten Gelegenheiten wie nie zuvor. Der Tief- stand der Musik, den wir für die Kriegszeit befürchtet hatten, blieb uns aber nicht erspart, wenn er auch erst nach dem Ende des Krieges über uns herein- brach. Viele Künstler waren tot, die Instrumente verbrannt und sogar die In- strumentenfabriken zerstört. Die musikalische Erziehung der Kinder, auf die man so viel Wert legte, war auf Jahre zurückgeworfen, doch kann man heute sagen, daß die Krise der ersten Nachkriegsjahre bereits überwunden ist. Die jungen Musiker, die die Akademie nach dem Krieg verließen, musizierten mit so heiligem Eifer und so großem Können, daß sich eine interessante Entwicklung anbahnte: In dem Herzen vieler Eltern erwachte jetzt der Wunsch, ihre Kin- der einmal als Musiker zu sehen, und so begannen sie mit der Musikerziehung schon mit dem vierten Lebensjahr. Eltern, die, eine Achtelgeige unter dem Arm, ihren Sprößling an der Hand zur Musikstunde bringen, sind auch auf dem Lande keine Seltenheit. Die ersten westlichen Künstler, die Japan nach dem zweiten Weltkrieg besuchten, waren Yehudi Menuhin, Lazar Levy, Alfred Cortot, Gerhard Husch und Helen Träubel. In diesem Jahr konzertierten bereits Gieseking, Szigeti und Marian Anderson, während man Solomon noch erwartet. Thibaud ist tragi- scherweise auf dem Fluge nach Japan verunglückt. Mit großem Interesse sieht man auch der Konzertreise Herbert v. Karajans im nächsten Jahr entgegen. Gegenwärtig gibt es in Japan außer der staatlichen Akademie noch Insti- tute zur Musikausbildung von Lehrern und Mittelschulprofessoren an allen Uni- versitäten und eine große Anzahl von privaten Musikhochschulen. In Tokio existieren vier. Das beste und angesehenste Orchester ist das der Nippon Phil- harmoniker, die seit zwei Jahren unter der Leitung eines Wieners, Kurt Woess, stehen. Das Orchester gehört zur Nippon Hoso Kyokai, einer japanischen Rund- funkgesellschaft, die teils vom Staat, teils aus Privatkapital erhalten wird. Der Generaldirektor des Orchesters, Arima Daigoro, ist auch in Wien bekannt, wo er fast zehn Jahre studiert hatte. Obwohl dieses Orchester anfangs im Gegen- satz zur Akademie stand, sind heute beide Institutionen aufs engste verknüpft. Woess engagierte auch vier Wiener Musiker, mit deren Hilfe es ihm gelang, gewisse Schwächen des Orchesters auszugleichen. Meiner persönlichen Ansicht

18 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT nach liegen diese Schwächen der japanischen Orchester bei den Kontrabässen und Celli, doch glaube ich, dal? sie mit Hilfe der jetzt in die Musikwelt eintre- tenden jungen Künstler bald ausgemerzt sein werden. Neben den Berufsorchestern gibt es eine Unzahl von Amateurorchestern, hat doch jede Stadt und jede Universität ihr eigenes Orchester. Die Musiker stehen meist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren und weisen großes tech- nisches Können auf. Junge japanische Musiker errangen bei internationalen Musikwettbewerben in Paris erste und zweite Preise und werden in letzter Zeit sogar von ihren ehemaligen Lehrern ins Ausland berufen, so der Geiger Eto Toshia nach Amerika und der Bariton Nakayama Teiichi nach Deutschland. Hat das japanische Musikleben auf allen anderen Gebieten den Anschluß an die Musik der übrigen Welt gefunden, so läßt es in der Sparte Gesang viel zu wünschen übrig. Es gibt zwar gute Mezzosoprane und , Soprane und Tenore sind dagegen selten und Alte und Bässe existieren praktisch nicht. Im allgemeinen sind die Japaner ein sangesfreudiges Volk mit guten Stimmen, denen es allerdings oft an Volumen fehlt. Das musikalische Allgemeinwissen der Sänger ist durchwegs gut und dem anderer Länder entsprechend. Das Chorsingen erfreut sich in Japan großer Beliebtheit, und Amateurchöre, mit teilweise beachtlichen Leistungen, schießen nur so aus dem Boden. Abgese- hen von verschiedenen Rundfunkchören gibt es nur noch einen Berufschor der Nippon Hoso Kyokai. Die größte und beste Chorvereinigung ist der Chor der Kaiserlichen Akademie (400 Mitglieder). Es ist für jeden Studenten Pflicht, bei diesem Chor mitzuwirken, der nach dem Urteil ausländischer Fachleute hervorragend ist. In Tokio bestehen drei, in Osaka gibt es eine private Operngesellschaft, die ohne staatliche Unterstützung mit dauernden finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Dazu kommt noch, daß es in Japan kein eigenes Opernhaus gibt und schließlich das große, noch ungelöste Textproblem. Gelänge auch eine sinngemäße Übersetzung der europäischen Operntexte, die sich naitürlich der Musik einfügen müßte, so würde trotzdem noch immer der musikalische Akzent auf den unsinnigsten Satzteilen liegen, was im besten Falle störend, ansonsten ausgesprochen lächerlich wirkt. Trotzdem ist aber die Zahl der Opernenthusia- sten ständig im Steigen begriffen und viele finanzkräftige Unternehmer beob- achten die Entwicklung bereits mit größtem Interesse. Derzeit werden auch Ver- handlungen wegen des Baues eines eigenen Opernhauses geführt. Die im japani- schen Repertoire geführten Opern sind ungefähr dieselben wie in Europa, doch ist es aus Mangel an Orchesterpartituren oder sogar Klavierauszügen manchmal unmöglich, gewisse Werke in den Spielplan aufzunehmen. So mußte ich zum. Beispiel für meine Aufführungen von „", „Mignon" und „Fledermaus" die Instrumentation nach dem Klavierauszug selbst vornehmen.

19 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Zur Unterstützung japanischer Komponisten besteht eine Gemeinschaft, die unter anderem Aufführungen von Kompositionen ihrer Mitglieder ermöglicht. Bis vor einigen Jahren waren die japanischen Komponisten vielfach Musiker, die als ausübende Künstler versagt hatten, doch haben wir heute einige wirklich talentierte Komponisten, und Extremisten wie jene, die eine Abschaffung des Studiums der klassischen Musik propagierten, gehören endgültig der Vergangen- heit an. Im Wesentlichen lassen sich zwei Strömungen unterscheiden: Kompo- nisten, die nach einer nationalen, japanischen Musik streben und solche, die die Nachfolge Hindemiths antreten. Die erste Gruppe teilt sich wieder in zwei Richtungen: die eine, die Musik aus spezifisch japanischen Harmonien kom- poniert, und die zweite, die mit europäischen Harmonien, doch japanischem Musikempt'inden arbeitet. Tatsächlich hat die erste Richtung, wie zu erwarten war, bis jetzt keine Leistungen von bleibendem Wert vollbracht, während die Errungenschaften der zweiten Richtung hoch einzuschätzen sind. In der Musikwelt im Allgemeinen ist die „neue Sachlichkeit" noch immer vorherrschend und in letzter Zeit macht sich auch starker amerikanischer Ein- fluß geltend. Diese geistige Situation wird von vielen Musikern mit Besorgnis verfolgt. Woess und die Wiener Tradition, die diesen Auffassungen entgegen- gesetzt sind, wirken daher ausgleichend. In Tokio gibt es zwei große, für Orchesterkonzerte geeignete Konzertsäle (2600 und 1800 Plätze) und mehrere Theater, die sich für Opernaufführungen eignen, augenblicklich aber für klassische japanische Musikdramen (Kabuki) und Sprechstücke oder aber als Revue- und Filmbühnen verwendet werden. Auch für Solo- und Kammerkonzerte sind geeignete Räumlichkeiten vorhanden. Sie bieten alle ungefähr 1000 Zuhörern Raum. Eine akustische Gemeinsamkeit aller dieser Säle ist die größtmögliche Ver- meidung von Nachklängen, was dem japanischen Tonempfinden wünschens- wert erscheint und mit allen Mitteln der Technik angestrebt wird. Der Nach- teil liegt darin, daß an sich unbedeutende Mißgriffe dadurch verstärkt erschei- nen. Das japanische Konzertpublikum ist aufgeschlossen und begeisterungsfähig. Der Stand des musikalischen Allgemeinwissens ist beachtlich, doch sind wegen der dem Japaner eigentümlichen Zurückhaltung frenetische Beifallskundgebun- gen nicht üblich. Auch die Anzahl der vom Publikum verlangten Encores ist kein Gradmesser für den Erfolg eines Konzertes. Diese Haltung des Publikums wurde von manchen ausländischen Künstlern mißverstanden, obwohl das japa- nische Publikum, genau so wie jedes andere, einmal von Anfang an aufge- schlossen, ein anderes Mal schwerer zu erobern ist. Aus meinen eigenen Erfahrun- gen als Dirigent möchte ich sagen, daß die von einem westlichen Publikum ausgehende Atmosphäre, sowohl im positiven als auch im negativen Fall stärker und direkter ist. Das heutige Konzertpublikum ist aber ausgesprochen bereit-

20 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

-willig, im Gegensatz zu früheren Jahren, wo man manchmal vor teilnahmslosen Häusern stand. Nicht übersehen werden darf, daß unser Publikum oft Gelegen- heit hat, die besten Künstler des Abendlandes zu hören und — ein Element, das ebenfalls in die "Waagschale fällt — durch gute Schallplatten, die größten Ab- satz finden, in seiner musikalischen Erziehung wesentlich gefördert wird, daher ziemlich kritisch ist. Besonders an ausländische Künstler werden hohe Anfor- derungen gestellt und man erwartet von ihnen großes technisches Können, tiefe Musikalität und, vielleicht nicht unberechtigterweise, etwas Verständnis für Japan und seine Eigenart. Die Geschichte der westlichen Musik hat in Japan erst 75 Jahre erlebt, i'nd dennoch wurde in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit Großes erreicht. Europäische Künstler von Mason bis Woess und ihre japanischen Fachkollegen arbeiteten und arbeiten Seite an Seite zielbewußt und unermüdlich. Viele aus- ländische Musiker kamen aus Österreich und so mancher japanische Künstler fand seine Ausbildung in Wien. So bringen wir Japaner, selbst jene unzähligen, denen es nicht gegönnt ist, Österreich je zu schauen, diesem schönen Lande und seinen großen Meistern unsere tiefe Verehrung und innige Zuneigung zum Aus- druck.

Benjamine Gigli, der auf Einladung des Präsidenten Dr. Sittner die Wiener Musikakademie besuchte, bei der stimmtecbnischen Beratung der Studierenden.

21 AUS DER ZEIT

ROBERT LACH - 80 JAHRE

Geburtstage gehören zu jenen Festen, die neben den Glückwünschen auch Persönlich- keit und Leistung des Gefeierten der Welt vorstellen. Das mag für beide Teile. Feiernde wie Gefeierten, nicht ohne Nutzen sein. Den Gratulanten gibt es willkommene Gelegenheit, ein Leben in seiner Gesamtheit zu würdigen, dem Jubilar mag es, so wollen wir hoffen, nicht unangenehm sein, sich einmal durch die Augen der anderen betrachtet zu sehen. Robert Lach wird den meisten seiner Freunde und Schüler als der kenntnisreiche Gelehrte der vergleichenden Musikwissenschaft, der Musikästhetik und Musikgeschichte in Erinnerung sein; vielen von ihnen als menschenfreundlicher, wiewohl eindringlicher Prüfer. Für die Note seines Studierenden hatte er in berücksichtigungswürdigen Fällen immer ein geneigtes Ohr. .Als offener, aufrechter Charakter war er auch stets von lauterer Gesinnung. Kleiner schon dürfte der Kreis derer sein, die Lach, den Kompo- nisten, gekannt haben, und nur den intimsten Freunden war es vergönnt, vom Dichtcr in Lach zu erfahren. Auf diesen Gebieten geistigen Schaffens liegt ein wirklich imposant zu nennendes Lebenswerk vor. Außerdem aber wurden als Grenzgebiete zur Musik- wissenschaft Philosophie, Orientalistik und Rassenkunde gepflegt. Eine wahrhaft erstaun- liche Vielfalt an Arbeitsgebieten offenbart sich in Robert Lachs Wirken, und dies bleibt für immer umso erstaunenswerter, als auf fast allen Gebieten, vor allem natürlich denen der Wissenschaft, Bücher und Studien von grundlegender Bedeutung entstanden. Robert Lach ist Wiener. Am 29. Jänner 1874 erblickte er hier das Licht der Welt, besuchte Schule und Konservatorium — sein Kompositionslehrer war Robert Fuchs — und weiter die Universitäten von Wien und Prag. Richard Wallaschek, Heinrich Rietsch und Guido Adler waren seine Lehrer. 1902 promovierte er in Prag zum Dr. phil. und beendete damit die erste Phase seines Lebens. Inzwischen war die Not an ihn herangetreten : der Vater war 1894 gestorben. Der junge Student mußte einen Lebensunterhalt suchen und wurde Beamter bei der niederösterreichischen Landesregierung. Der glühende Drani. Höchstes, Gültiges in Kunst und Wissenschaft zu leisten, ließ ihn nicht ruhen, trotzdem seine Ausbildung zielbewußt, unentwegt weiter zu treiben. Wieder greift das Schicksal ein: ein tückisches Leiden zwingt ihn, 1902 bis 1905 im Süden zu weilen und seine Stelle aufzugeben. Dort, im erzwungenen Rasten von der Beschäftigung des Tages, entwickelten sich die dichterischen Fähigkeiten, die schon seit 1891 in Fabeln, Gedichten, Werken für die Bühne erste Proben gezeigt hatten. In rascher Folge entstanden Märchenspiele: „Goldener", „König Hummelsang", das „Porzellanmärchen" und Trauerspiele. Für die Märchenstücke wurde gleichzeitig die Musik komponiert. Damals schrieb der Dichter- Komponist auch seine erste gedruckte wissenschaftliche Studie über alte Weihnachts- und Ostergesänge auf Lussin. In der Folge verdichtet sich die wissenschaftliche Tätigkeit. Die Dissertation ver- breitert sich in weitausgreifendem Studium zum Hauptwerk des Lebens. 1913 erscheint sie vollendet als „Studien zur Entwicklungsgeschichte der ornamentalen Melopöie". Das biogenetische Grundgesetz findet Anwendung in der Musikforschung; exotische und primitive Musik treten in den Blickkreis dieser Wissenschaft. Lach erweist sich damit als einer der Begründer der vergleichenden Musikwissenschaft. Der aufstrebende Gelehrte hatte sich unterdessen einer neuen Aufgabe zugewendet: seit 1911 war er in der k. u. k. Hofbibliothek tätig, die ihm 1913 die Leitung der Musik- sammlung anvertraute. Bibliothekarische Arbeiten gesellen sich zu den wissenschaftlichen, allen voran die Katalogisierung der zahlreichen seit 1900 erworbenen Musikhandschriften. Daraus erwachsen Studien über Sebastian Sailers „Schöpfung", zur Geschichte des Gesellschaftstanzes im 18. Jahrhundert und die sehr beachtenswerte Arbeit über Codex 17.559: „Mozart als Theoretiker". In der Persönlichkeit Lachs überwiegt nun die Wissenschaft so sehr, daß er 1915 Privatdozent und 1920 a. o. Professor an der Universität Wien wird. Er wendet sich nun ganz der vergleichenden Musikwissenschaft zu, hatte er doch schon 1916 und 1917 in den Gefangenenlagern des ersten Weltkrieges Gesänge russischer Soldaten aufgenommen. In 9 Einzelbänden sind sie zwischen 1926 und 1952 in den Sitzungsberichten der philos.-histor. Klasse der österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen als eine imponierende Sammlung von Melodien der Völker Rußlands. Diese Jahre bis etwa 1936 zeitigten aber in pausenloser Folge auch Studien über eine Tiroler Liederhandschrift, über das musi-

22 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT kaiische Zunftwesen, über die vergleichende Musikwissenschaft, ihre Methoden und Probleme, weiters den Beitrag über die Musik der Natur- und orientalischen Kulturvölker in Guido Adlers Handbuch der Musikgeschichte, über das Konstruktionsprinzip der Wiederholung, über das Kadenz- und Klauselproblem und anderes mehr. Die Bruckner- Akten des Wiener Universitätsarchives und die Geschichte der Staatsakademie für Musik und darstellende Kuftst sind rein historische Veröffentlichungen, denen sich zahlreiche kleinere Studien auch über das Volkslied hinzugesellen. Von 1933 an meldet sich wieder vernehmlich der Dichter. Es entsteht ein groli angelegtes Mysterien-Gedicht in dramatischer Form: „Das Lied von der Ewigkeit". 1936 ist es vollendet, in unwahrscheinlich kurzer Zeit, mit einer Raschheit wie bei den übrigen Werken, die man kaum glauben würde, sähe man nicht die Daten der Nieder- schriften. Zwischenhinein entstehen 1935 Musikdramen in Text und Komposition. Es kommt der zweite Weltkrieg, die Entlassung vom Lehramt an der Universität. 1939, und die Zurückziehung auf den Landsitz am Mondsee. Nun bleibt Zeit, zu vollenden, lang gehegte, zurückgestellte Wünsche zu erfüllen: philosophische und orien- talistische, sprachwissenschaftliche Studien werden getrieben, manches von ihnen formt sich zu abgerundetem Manuskript. Der Komponist Robert Lach kann auf die stattliche Zahl von 130 Opus- nummern zurückblicken. Darunter befinden sich 10 Werke für die Bühne (Märchen- spiele, Musikdramen), 8 Messen, 1 , Kantaten, Chöre, über 300 Lieder, 10 Sym- phonien. unter der Kammermusik für Streicher 8 Sextette, 14 Quintette, 25 Quartette und zahlreiche Werke für andere Besetzungen. Eine wahrhaft erstaunliche Melodienfülle breitet sich darin aus, sie liebt es, sich im Gewände romantischer Ausdruckssphären zu bewegen, aber man darf ihr, schon im Hinblick auf die Gesamtheit dieses Lebenswerkes, die Anerkennung nicht versagen. Jene Anerkennung, die spürt, daß hier eine vielfältige Begabung seltener Art ans Licht drängte: eine Dreiheit von Dichtung, Musik und Wissenschaft. Es ist nicht ohne Reiz, die Wellen zu verfolgen, in denen dieses Leben abläuft. Man erkennt daraus Zyklen von 11 Jahren: 1891—1902 die erste Periode von den frühesten Dichtungen bis zu den Märchenspielen und dem Beginn des Aufenthaltes im Süden; 1902—1913 vom Doktorat bis zur Vollendung der Melopöie; 1913—1933 die wissenschaftliche Tätigkeit bis zum Wiedereinsetzen der Dichtung mit dem „Lied von der Ewigkeit"; 1933—1944 die vorletzte Periode vom „Lied von der Ewigkeit" bis zum Beginn der orientalistischen Studien. Fast wäre man versucht, die Harmonie des Drei- klangs Dichtung, Musik und Wissenschaft solcherart in einem kongenialen Generationen- Rhythmus ablaufen zu sehen. Ob dies zutrifft oder nicht, ist einerlei, es bleibt für jetzt lediglich der Wunsch, daß diese Harmonie dem Jubilar Robert Lach noch lange in voller Frische erhalten bleibe. Leopold Nowak

DIE FÖRDERUNGSPREISTRÄGER FÜR MUSIK 1953

Der Jury, die die Vergebung der österreichischen Staatspreise umsorgte, gebührt Anerkennung. Der österreichische Staatspreisträger für Musik, Johann Nepomuk David, dessen bisherigem Lebenswerk eine Darstellung an der Spitze dieses Heftes gewidmet ist. ist eine festumrissene, scharfprofilierte Persönlichkeit, die — ohne nach links, ohne nach rechts zu schauen — ihren ihr gemäßen Weg geht, deren Schaffensdrang bereits bedeutende und umfassende Kompositionen hervorgebracht hat. Die vier Förderungs- preisträger haben überdurchschnittlich gelungene Werke auf dem Gebiet solistischen Musizierens vorgelegt und für diese Kompositionen — von denen der Öffentlichkeit erst eine (das opus Alfred Uhls) bekannt ist — Auszeichnungen erhalten. Die Tondichter kommen aus verschiedenen Lebensbezirken, vertreten nicht starr ein System, eine Richtung, die Altersdifferenz zwischen dem Ältesten und dem Jüngsten beträgt dreiund- zwanzig Jahre.

Walter Α η d r e s s ist der Älteste in diesem Kreise. 1904 in Wien geboren, zog es ihn früh zur Kunst (der Vater war Obmann des Herrenchores der Wiener Staatsoper). Andress erhielt seine musikalische Ausbildung an der Wiener Akademie für Musik bei den Professoren Banner (Klarinette), Stöhr (Musiktheorie) und Wunderer. Er wurde zunächst Berufsmusiker und ist nun seit zwanzig Jahren im Lehrfach, aber auch als Kapellmeister

23 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT und Arrangeur tätig. Die österreichische Musikveit kennt Andress vor allem als Rund- funkkomponisten. Seine beiden Symphonien sind bereits uraufgeführt, von seinen zwei Opern kommt demnächst eine Funkoper „Der Flötenspieler" bei Radio Wien zur Pre- miere. Kammermusik, Lieder, Solowerke liegen vor. Andress erhielt den Förderungspreis für ein Konzert für Violine und Orchester.

Paul Angerer ist der jüngste der Preisträger (Jahrgang 1927!). Er wirkt als Bratschist bei den Wiener Symphonikern am ersten Pult, nachdem er Lehrjahre im Orchester de la Suisse Romande in Genf bei Ernest Ansermet absolviert hatte. Auch er hat an der Wiener Akademie Studien (Theorie bei Friedrich Reidinger). Sein Werkver- zeichnis zählt ein Bühnenwerk „Ergeapret", Chorkompositionen, Messen. Orchesterwerke, Konzerte, Kammermusik, Klavier- und Orgelwerke und ein Oratorium auf. Sieben Musiken für Streichorchester, drei Symphonien, sieben Konzerte für verschiedene Instrumente, ein a-cappella-Chorbuch sind weiters genannt. Ein verschwindend kleiner Teil ist öffentlich aufgeführt worden. Angerer fühlt sich zur Musik der Gotik hingezogen und ersehnt aus diesem Blickwinkel eine Erneuerung. Der Förderungspreis wurde dem jungen Komponisten für eine „Musik für Bratsche allein" zuteil.

Erwin M i g g 1 ist der homo novus unter den vier Förderungspreisträgern. Und es ist gut so, daß auch bei solchen Gelegenheiten bisher Unbekannte, Stille entdeckt und herausgestellt werden. Es bedurfte längeren Herumsuchens, über den dreißigjährigen Komponisten Wissenwertes zu erfahren, und ich verdanke die Informationen der Hilfe Professor Franz Kriegs und Direktor Pamers, an dessen Musikinstitut in der Diözesan- kommission der Ausgezeichnete als Lehrer wirkt. Miggl hat an der Kirchenmusikalischen Abteilung der Wiener Musikakademie studiert, 1942 die Reifeprüfung abgelegt und wurde zunächst Organist in der Familienkirche Ottakring unter Professor Hans Bauernfeind. Der junge Soldat geriet in Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1947 heimgekehrt ist. Er wurde nun als regens chori an die Währinger Kirche St. Gertrud berufen und wirkt außerdem als Lehrer für Orgel an der Diözesankommission. In den ersten Jahren dieser Tätigkeit hat Miggl sein Kompositionsstudium bei den Professoren Joseph Marx und Otto Siegl fortgesetzt und legte bis heute zur Hauptsache Sakralkompositionen vor, von denen die Paulus-Messe für dreistimmigen Chor (zwei Frauen- und eine Männerstimme), Orgel und zwei Violinen und die am 1. November 1953 uraufgeführte „Missa Magna Mater Austriae", eine Marienmesse aus Anlaß des Marianischen Jahres für gemischten Chor und Orgel, am bedeutendsten sind. Miggl erhielt den Förderungspreis für eine eingereichte Orgelkomposition „Toccata und Fuge".

Alfred Uhi, der den Förderungspreis für sein bereits bekanntes Concertino für Solo- violine und zweiundzwanzig Bläser erhielt, kommt aus der Schule Franz Schmidts und Joseph Marx'. Am 5. Juni 1909 in Wien als Kapellmeisterssohn geboren, absolvierte er seine Studien an der Wiener Musikakademie, widmete sich frühzeitig der Zweckkompo- sition, schrieb in seinen Lehr- und Wanderjahren vor dem zweiten Weltkrieg Musiken für Kulturfilme und erprobte sich auch als Kapellmeister. Eine Kriegsverletzung, an deren Folgen Uhi heute noch leidet, ließ ihn 1943 von der Front nach Wien zurück- kehren, wo er im gleichen Jahr den Schubert-Preis der Stadt Wien zugesprochen erhielt. Seit 1945 wirkt Alfred Uhi als Theorie- und Kompositionslehrer an der Wiener Aka- demie für Musik und darstellende Kunst. Uhi schrieb eine Reihe ansprechender Kompo- sitionen — man könnte ihn einen „jungen Prokofieff Österreichs" nennen —, deren Musikantismus nicht nach einem System, sondern nach der Persönlichkeit fragen läßt. Die „Konzertante Symphonie für Klarinette und Orchester", die „Sonata graziosa", der „Symphonische Marsch", das Ballett „Rondeau" (nach Molière) in einer Konzertfassung, die Streichervariationen sind wiederholt aufgeführt worden. Am bekanntesten hat den Komponisten, der sich der Tonalität verpflichtet fühlt, das spritzige „Kleine Konzert für Klarinette, Bratsche und Klavier" und seine Tonfilmtätigkeit gemacht. Erik Werba

STAATSPREISTRÄGER 1952 URAUFGEFÜHRT

Karl Ettis Kantate für Soli, Chor und Orchester, die dem Komponisten den Förde- rungspreis des österreichischen Staatspreises 1952 eingetragen hatte, fand im ihre Uraufführung. Als Veranstalter zeichnete die Konzertvereinigung Wiener

S>4 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Staatsopernchor, mit der die Philharmoniker, das Solistenquartett Ljuba Welitsch, Hilde- gard Rössel-Majdan, Anton Dermota und sowie als Rezitator Albin Skoda vorbildlich zusammenwirkten. Etti schöpfte die Anregung zu seiner Komposition aus Bildwerken des Expressionisten Ernst Barlach über den Umweg von zwölf Sonetten Rudolf Gahlbecks. Die Musik bewährt gründliche Schulung und sicheres Handwerkszeug im Technischen, läßt besonders im kultivierten Vokalsatz den tüchtigen Chorfachmann erkennen, ist klar disponiert, bleibt aber im Wesentlichen retrospektiv. Obwohl manche Stimmungen des Gedichtkreises, der einen Daseinszyklus des Universums zu geben bestrebt ist, sehr eindrucksvoll gelungen sind, gerät die Musik doch zu stark in die Einflußsphäre von Brahms, Wagner, auch Pfitzner, um voll als persönliche Dokumentation zu wirken. Roland Tenschert

ÖSTERREICHISCHE CHRONIK

\Y/1 ρ Kl Hindemith an der Spitze Georg Bedry und des von ihm erstauf- W I L I Ν ¿εΓ Symphoniker eröffnete geführten Violinkonzertes von Samuel die Ereignisse des Dezember und holte Barber machte. Das zweite Konzert des sich mit seinem eigenen Philharmonischen Pro-Arte-Orchesters unter Meinhard Wink- Konzert und einer ungekünstelten In- ler ließ sich besser an als das erste (We- terpretation der Achten Beethovens ber, Respighi, Mozart, Solistin Eva Hiti- viel Beifall. Ebenso Friedrich Guida, ger). Das Collegium Musicum Merlin spiel- der das Prokoffief-Konzert spielte und te alte Musik in der Hofburgkapelle, der wenige Tage darauf in einem Mozart- Neue Wiener Musikverein wagte sich an Konzert der Mozartgemeinde unter Cle- eine Borodin-Symphonie. Kammermusik- mens Krauss das c-moll-Konzert. Einen abende gaben das Musikvereinsquartett, das prächtigen Abend bescherte Fritz Lehmann Klavierduo Dichler-Preisenhammer, das im Konzerthaus, wo er Werke von Martin Sonatenduo Baltz-Mlasch und das Trio und Mozart dirigierte und dem Solisten Beyer. Auf Tasten produzierten sich Ale- Arthur Grumiaux bei dessen vollendeter xander Kitchin, Mireille ' Auxiètre und Interpretation des Beethoven-Violin-Kon- Jörg Demus, der an vier Abenden Bachs zerts zur Seite stand. Neben diesen, von Wohltemperiertes Klavier vortrug. Das den Symphonikern durchwegs schön musi- von der Firma Bösendorfer gestiftete Preis- zierten Konzerten, hatten die Philharmo- klavier gewann Walter Klien. Franz niker Konzertpflichten: sie spielten unter Schütz' Orgelabend war eine Enttäuschung, Furtwängler (unter anderem Hindemiths Isolde Ahlgrimms Cembalo-Aufführung der „Harmonie der Welt") und unter Clemens Kunst der Fuge eine enorme Leistung, auch Krauss für die Kriegsblinden. Die Sym- des Gedächtnisses. Ein Komponistenabend phoniker stellten sich ihrerseits für Kon- der ÖGZM brachte Werke von Alfred zerte des Senders Rot-Weiß-Rot zur Ver- Uhi, Rudolf Jettel und Franz Hasenöhrl. fügung, wo sie unter Volkmar Andrcae Die Gesangkunst war durch Benjamino (Berlioz' Symphonie Fantastique) und Gigli vertreten, der unter enormen Zu- Theodore Bloomfield (Uraufführung einer lauf in zwei Konzerten seine großen Lei- „Symphonie Cronique" von Theodor Ber- tungen von ehedem wiederholen konnte. ger) schöne Erfolge hatten, ebenso für ein Hans Hotters Liederabend hielt sich auf Musica-nova-Konzert der Ravag, bei dem dem gewohnten Niveau. sie unter Kurt Richter wenig bedankte Werke von Tippett, Alexander Spitz- Die „Königin der Nacht"-Krise in der müller und Prokoffiefs 6. Symphonie zum Staatsoper, von der wir im Vormonat an besten gaben. Das Kammerorchester der dieser Stelle berichteten, führte im De- Konzerthausgesellschaft spielte unter Fe- zember zu einer geradezu sensationellen lix Prohaska Musika viva: Peragallo, Wer- positiven Lösung: Erika Köth gastierte in ner Egk (eine Koloratur-Romanze mit der einer Repertoire-Aufführung der „Zauber- ausgezeichneten Solistin Ilona Steingruher), flöte" und gewann schon mit der ersten Karl Schiske. Das Tonkiinstler-Orchester Arie der Königin spontan das keinerlei ließ sich außer in den regelmäßigen Sonn- Überraschung erwartende Abonnenten- tag-Nachmittag-Konzerten auch in einem Publikum. Hier handelt es sich — erst- Wohltätigkeitskonzert unter William mals seit mindestens zehn Jahren — um Strickland hören, wobei man die Bekannt- einen wahrhaft dramatischen Koloratur- schaft des jungen vorzüglichen Geigers sopran mit einer prachtvollen „runden" Mittellage und sicheren Spitzentönen, mit

25 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Durchschlagskraft - und von weicher, Bei Baltz verbindet sich eine ausgeglichene schmiegsamer Beweglichkeit. Der Direk- Technik mit einer warmen Tongebung, die tion seien dringliche Engagement-Ver- besonders in den langsamen Sätzen zu be- handlungen — die Künstlerin kam von der stricken vermag. — Stürmische Begeiste- Münchner Staatsoper — ans Herz ge- rung löste im Rahmen der von der Sen- legt! — Sonst gab es hervorstechende dergruppe Alpenland veranstalteten Schü- Einzelleistungen von Martha Mödl, die als lerkonzerte Gertrude Pitzinger mit ihrem Isolde gastierte, von Hilde Zadek, der Liederabend aus, den Ernst Uray fein- man eine erschütternde Magda Sorel dank- fühlig am Flügel begleitete. — Im Studio te, Rosette Anday und Hans Braun (eben- für zeitgenössische Musik spielte Prof. falls im „Konsul*) und Per Gründen, der Hugo Kroemer mit seiner reifen, auch sich als Bettelstudent eigener Prägung vor- größte Schwierigkeiten meisternden Tech- stellte und noch im Jänner im Bereiche nik nach einem instruktiven Kommentar der Oper (als Max in „Freischütz") de- durch Landesmusikdirektor Prof. Dr. Erich bütieren wird. — Die Staatsoper in der Marckhl zwei klavieristische Sonaten von Volksoper wartete (an Stelle der wegen Grazer Komponisten. Franz Mixa versuch- Besetzungsschwierigkeiten verschobenen te sich in einer neuartigen und vielfach Operettenpremiere) mit einer Neustudie- überzeugenden Lösung des Zwölftonsv- rung von d'Alberts „Tiefland" unter Mo- stems und bewies damit, daß dieses auch ralt-Witt auf, in der sich erneut Christi wirklich zu „klingen" vermag. Eine sehr Goltz, deren Vitalität in mühelosem Wech- beachtenswerte Talentprobe lieferte der sel des Rollenfaches besticht, in den Vor- junge Karl Haydmayer mit seiner mit dem dergrund spielte. Max Lorenz hatte als Marx-Preis 1951 ausgezeichneten, auf zwei Pedro einen besonders guten Abend. Der gekonnte Sätze sich beschränkenden 3. So- Sebastiano gehört zu den besten Partien nate, die auf starke Kontraste angelegt Karl Kamanns. — Dem jugendlichen ist und sich teilweise vorklassischer For- Opernpublikum wurden Pfitzners' „Christ- men bedient. — Die Grazer Mozartgemein- elflein" (in unveränderter Premierenbe- de beging den Todestag ihres Genius mit setzung, die von 1952 her erhalten blieb) einem von Dr. Manfred Ortner dirigierten und Humperdincks „Hansel und Gretel" Orchesterkonzert. Zwischen Coreliis klas- besehen; hier bewährten sich Dagmar sischem Concerto grosso Nr. 8 und Haydns Hermann und Else Liebesberg in den Ti- „Bärensymphonie" brachte Felix Janear, telrollen, Peter Klein als drastische - Konzertmeister der Grazer Philharmoniker, Hexe, Karl Kamann und (erstmals) Judith als technisch versierter und stilkundiger Hellwig als Elternpaar. — Rudolf Morali, Interpret das IV. Violinkonzert Mozarts Heinrich Hollreiser, Wilhelm Loibner, Fe- zum Vortrag. — Nicht als komische Oper, lix Prohaska und Michael Gielen, der seine sondern als Singspiel mit gesprochenem neue Chance (Menottis „Konsul" nach Jah- Dialog (verfaßt von Oberspielleiter André resfrist erstmals im Repertoire) wohl zu Diehl) brachten Kapellmeister Gustav Cer- nützen verstand, die Gäste Franco Capuana ny und Regisseur Paul Graf „Die verkaufte und Klobucar, sowie Anton Paulik teilten Braut" in einer aufgelockerten, sorgfältig sich in die Hauptaufgaben am Dirigenten- vorbereiteten und vor allem musikalisch pult beider Häuser. K. W. inspirierten Neuinszenierung heraus. Man griff damit auf die ursprüngliche Fassung zurück, für deren Aufführung in nichr- D Δ V Der Musikverein brachte ne- tschechischer Sprache Smetana seinerzeit ' ** ben dem Galakonzert Ben- erst nach der Uraufführung die verbinden- iamino Giglis nur ein von den Grazer den Texte rezitativisch durchkomponiert Philharmonikern bestrittenes Orchester- hatte. Den Charakter des originalen Sing- konzert, in dem Dr. Robert Wagner die spieles unterstreicht die in zweifacher Be- effektvolle, auf tänzerische Rhythmik ein- setzung einstudierte Grazer Neuinszenie- gestellte Entrata von Orff und Franz rung in der Absicht, dem Werk ein breite- Schmidts 3. Symphonie dirigierte. Das Mit- res Publikum auch über die Opernfreunde telstück des Abends bildete Schumanns hinaus zu sichern. Die folkloristisch-heitere Klavierkonzert mit Poldi Mildner. — Prof. Note kommt auch in R. E. Jahrens farbig- Karl v. Baltz, der geschätzte Pädagoge am buntem Bühnenbilderbogen zur Geltung. hiesigen Konservatorium, spielte, von der Dem Unterhaltungs- und Schaubedürfnis Pianistin Alma Mlosch verständnisvoll be- der Besucher wurde weitgehendst Rech- gleitet, unter dem Titel „Sonaten des 20. nung getragen, wozu nicht unwesentlich Jahrhunderts" Werke von Debussy, Reger, auch das Ballett beitrug. In der Partie des Prokoffief und Wilhelm Petersen sowie Kezal alternieren Felden und Etterer, in eine geistig tief fundierte eigene Sonate.

26 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT der des Hans die Tenoristen Feiersinger des) Ergebnis eines Ausschreibens der Städti- und Höbarth, als Marie die Sopranistinnen schen Musikdirektion kamen Kammermu- Hopf und Pöltinger. Dr. Dw. sikwerke von oberösterreichischen Kompo- nisten zur Urdarbietung, und zwar von Franz Kinzl, Theodor Thanner, Fritz Ι I Kl ~7 An zwei Neueinstudierungen Heinrich Klein und Hugo Placheta. — ' ' ^ ies Landejtheaters, Verdis Benjamino Gigli begeisterte 4000 Men- „Traviata" und Mozarts „Zauberflöte", ist schen in der geschickt zu einer Konzert- vor allem die saubere musikalische Leitung halle umgewandelten Straßenbahnremise durch Siegfried Meik und die Regie zu lo- Linz/Kleinmünchen. J. U. ben, welche in jener Oper Oskar Waliccx mit gewohntem Können, in dieser Stefan Eine nicht be Zadejan in geschmackvoller Stilisierung CAI 7 R I I Ό C, - besorgte. Die Violetta sang zunächst, Sonja Or\LZ_DUI\*U sonders geglück- Koliiko, danach als Gast die Amerikanerin te Aufführung von „Tiefland" veranstal- Helen Mauborgne, die auch als Königin tete das Landestheatcr mit einer Reihe von der Nacht besondere stimmliche und dar- Gästen. Anny Konetzni und Günther Trep- stellerische Qualitäten zeigte. In „Traviata" tow, die für die Hauptrolle der Marta bewährte sich noch Hans Krotthammcr nls und des Pedro aufgeboten worden waren, Alfred, Hugh Beresford als Germont Vater, entsprachen wohl stimmlich, doch nicht in der „Zauberflöte" Kolisko als Pamina, optisch den von ihnen dargestellten Per- Hans Schwarzinger als Tamino, Aibert sonen. In der Rolle des Sebastiano hörte Messany als Papageno u. a. — Im II. man ebenfalls einen Gast, Robert Hager, Städtischen Symphoniekonzert führte Bogo, der noch am besten abschnitt.-Den erfreu- Leskovic das verstärkte Theaterorchester lichsten Eindruck hinterließ Elfriede Pod- mit eleganten, präzisen Zeichen zu tadel- hajecki, dem eigenen Ensemble angehörend, loser Wiedergabe der g-moil Symphonie mit ihrem gutgeschulten Koloratursopran. von Mozart, der „Scheherezade" von Rim- Um die Nebenrollen bemühten sich Joschv skij-Korssakow und zur Erstaufführung des Eberle, Erich Joseph Laßner, Beppo Louca, Violinkonzertes von Uro? Krek. Dieses Marianne Dietrich, Anneliese Fleischmann Werk des preisgekrönten jungen Laibacher und Gerda Fried. Ein konventionelles Komponisten wurde von Jelka Stanic-Krek Bühnenbild hatte Günther Schneider- gespielt. Es ist gut gearbeitet, von der Siemssen entworfen, für eine ebensolche Folklore beeinflußt und ohne besondere Inszenierung zeichnete Horst Reday, wäh- Probleme; seine musikalische Substanz er- rend für eine präzise Choreinstadierung scheint für seine Länge etwas dürftig. — Robert Kuppelwieser verantwortlich war. Das Liebhaberorchester des Linzer Kon- Paul Walter betreute die Partitur mit viel zertvereines machte seinem guten Ruf Ehre Sorgfalt. — Edouard van Remooxtel (Brüs- mit der Aufführung der Zweiten Bruckner sel) stand am Pult eines Konzertes des und des Violinkonzertes von Brahms, in Mozarteums-Orchesters. Das Programm dessen Solopart Walter Schneiderhan über- war nicht gerade glücklich gewählt. Nach legene Sicherheit bewies. Das Salzburger einem nicht voll gelungenen Vorspiel zu Kammerorchester „Camerata académica" den „Meistersingern", lag dem Dirigenten unter Bernhard Paumgartner erfreute mit das Vorspiel und der Liebestod aus „Tri- einem Weihnachtskonzert. Um die Auf- stan und Isolde" recht gut. Präzision und führung alter Meister machten sich dabei Intensität scheinen seine Stärke zu sein, die Geigerinnen Christa Richter-Steiner un·! doch ist die äußerlich geballte Zeichen- Herta Kendler, der Oboist Arthur Jensen gebung nicht immer auf die innere Ver- und der Viola da Gambaspieler Karl Ma- bundenheit mit dem Werk hinzudeuten. ria Schwamberger verdient. — Die „Sing- Der zweite Teil des Programms bot Beet- und Spielgruppe o.-ö. Lehrer (Hans Bach!) hovens VII. Symphonie. Die beschwingte und ein amerikanischer Soldatenchor (Sam Heiterkeit, die diesem schönen Werk eig- Spence) zeigten ein gleich hohes, wenn net, kam in der Wiedergabe gut zum Aus- auch völlig anders ausgerichtetes Könneo druck. Dr. G. P. an einem gemeinsam bestrittenen Weih- nachtsprogramm. — Das zweite Musica CK \~7 ïin Symphoniekonzert viva-Konzert machte mit Werken roma- D Κ DU LI Ν der Gesellschaft der nischer Komponisten (de Falla, Ravel, Musikfreunde Bregenz unter der Leitung Messiaen, Dallapiccola und Turchi) be- von Arnold Becke brachte als ansprechende kannt. Vollendung ist dem Abend des aus- Leistung Haydns Symphonie G-dur mit wendig spielenden Wiener Ebert-Trios dem Paukenschlag und — mit Hans Heid- nachzurühmen. Als (keineswegs überragen- rich als stilgerechten Solisten — Mozarts Haff ner-Serenade.— Benjamino Gigli, dessen

27 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Osterreich-Tournée in Bregenz begann, schönen Chordarbietungen und nebst eige- sang in der dichtgefüllten Stadthalle und nen Schöpfungen auch Musik zu Bühnen- eroberte vor allem durch die Kraft seiner werken von O. Lutz und H. Moltkau. — einmaligen künstlerischen Persönlichkeit Die städtische Musikschule Dornbirn ver- das sonst nicht so leicht mitzureissende anstaltete ein stimmungsvolles Weihnachts- Publikum. — In einem Tschaikowsky- konzert. (Corelli, das schwierige Doppel- Konzert des Vorarlberger Funkorchesters konzert d-moll von J. S. Bach.) — Der unter Hans Molt kau hörte man nach der in letzter Zeit sehr regsam tätige Musik- Nußknacker-Suite die von Senta Benesch verein Feldkirch unter Clemens Mihatsch vorgetragenen reizenden, selten zu hören- hatte sich Enrico Mainardi zu Gast geladen den Rokoko-Variationen. Besonders be- und begleitete ihn einfühlsam im immer eindruckt aber war man über die Wieder- gerne gehörten Cellokonzcrt D-dur von gabe der Fünften Tschaikowskys. — Haydn. — Starken Eindruck in Feldkirch Moltkau dirigierte wiederholt auch erfolg- hinterließen Walter Puschauer und Lilly v. reich das Tonkünstler-Orchester in Wien, Herbestein mit Beethovens „Kreutzer- dabei wurde mit besonderem Interesse seine sonate" und im Verein mit dem Cellisten Erstaufführung der 1. Symphonie C-dur Knava im Klaviertrio B-Dur von Schubert. von Oswald Lutz vermerkt. — Wilhelm — Auch Bludenz meldete sich mit einem Stärk brachte mit dem Dornbirner Gesang- Orchesterkonzert und brachte unter Hani verein „Liederkranz" und dem Funkorche- Rubey neben der „Arlesienne"-Suite von ster ein Opern- und Operettenkonzert mit Bizet, auch dessen Svmphonie in C-dur. O. L.

WAS DIE ANDERN SCHREIBEN

The Musical Times, London, December Musikerziehung, Wien, Dezember 195 j: 1953: J. Herbage: The Music of Arnold E. Werba: Sache und Personen, Strömun- Bax. — W. L. Smoldon: Mediaeval Music- gen und Einflüsse im Musikleben Öster- Drama — Α. Jacobs: A Glance at Austral- reichs — A. Silbermann (Sydney):,Erhoffte' asia — H. Antcliffe: The Disappcirence musikalische Erziehung durch den Rund- of the Partsong. funk — F. Eibner: Interpretation als Sinn- wiedergabe — K. Hirschkorn: Probleme The Musical Times, London, January des Violinunterrichts. 1954: D. Nadson: Mendelssohn in His Letters — A. Milner: Charles Avison — Schweizerische Musikzeitung, Zürich, E. Newman: Competition. Dezember 1953: H. Strobel: Neue Musik und Humanitas — Ο. E. Deutsch: Neue Musica, Kassel, November 1953: F. Schubert-Dokumente — W. Tappolet: Hamel: Zur Notlage des Musiklebens — Homage à Ernest Ansermet — J. Bruyr: H. A. Fiechtner: Der Konflikt um die Louis Beyndts — E. Jucker: Das Werk Wiener Oper — H. J. Moser: Der Schwa- Max Ettlingers — W. Hess: Eine, merk- nendreher — F. Bose: Eine klingende würdige Triosonate von Beethoven — F. Denkmal-Ausgabe — F. Hoerburger: Tanz Ernst: Stimmungshöhe. ,gegen' Musik — P. Nettel: Nationalhym- nen. Schweizerische Musikzeitung, Zürich, Jänner 1954: A. Orel: Die Wende zur Musik im Unterricht, Mainz, Dezember .Neuen Musik' im historischen Aspekt — 1953: H. Teuscher: Weihnachtsfeier und R. Wittelsbach: Paul Müller — R. Raugel: Schule — F. Reusch: Spiel und Form — Les Silbermann et la France Musicale de H. Schermall: Erwachsenenbildung in der leur temps. Musik. Das Musikleben, Mainz, Dezember 1953: Musik im Unterricht, Mainz, Januar O. Riemer: Peripherie und Zentrum der 1954: H. Erpf: Neue Wege der Musiker- künstlerischen Existenz — H. Rosbaud: ziehung — S. Borris: Zur Problematik des Das Problem der Stimmung im Orchester kompositorischen Schaffens der Gegenwart — P. W. Jacob: Humperdinck und seine — F. Metzler: Lebendiger Tonsatzunter- Märchen-Oper — H. Schmidt-Hagen: Der richt. Kritiker Berlioz.

28 LITERATUR

MUSIKBÜCHER von einem derartigen Handbuch auch kaum gefordet. Die Kontinuität des Kurt Blaukopf: „Große Dirigenten" Werkes bis in die jüngste Vergangenheit (Arthur Niggli und Willy Verkauf-Ver- erhöht seinen Wert. Rudolf Klein lag, St. Gallen - Bregenz). Ein Buch über Erich Valentin: Mozart — Wesen und die großen Zauberer des Taktstockes, das Wandlung. Otto Müller-Verlag, 280 Seiten, sich freimütig zu seiner Subjektivität be- Salzburg 1953. Keine sensationelle, aber kennt und damit das einzig richtige tut. eine gründliche und stilistisch wertvolle Denn selbst ein Musiker, wie der bekannte Biographie! Der Autor ist in Mozarts Le- und geschätzte Verfasser, der durchaus ben und Mozarts Schaffen „daheim"; das in der Lage ist, mit objektiven Maßstäben, spürt man aus jeder Zeile. Valentin dient d. h. unter Zugrundelegung fachlichen un I seinem Meister, wenn er den Briefen Mo- unparteiischen Wissens, zu messen, wird zarts besonderes Augenmerk schenkt. Des letzten Endes bei der Beurteilung von Per- Autors Deutungen sind nicht klug erson- sönlichkeit eigene Persönlichkeit aufbieten nen oder weit hergeholt, sondern ergeben müssen. Es gelingt Kurt Blaukopf tatsäch- sich sinnfällig aus dem Ablauf des Le- lich, durch die Kraft dieser eigenen Per- bens und des Schaffens. Besonderes Au- sönlichkeit Bilder von den Dirigenten zu genmerk heischt die „Zeitgeschichtliche entwerfen, die nichts an Lebendigkeit und Übersicht", die jedes einzelne Lebensjahr Anschaulichkeit zu wünschen übrig lassen. des Komponisten mit den Ereignissen in Jeder Leser wird sich über die Überein- der Musik-, Literatur-, Theatergeschichte, stimmung von eigener Vorstellung und in der Bildenden Kunst, Geistes- und Na- Portrait Rechenschaft geben müssen. Bei turwissenschaft, sowie mit allgemein inter- mir ist in nahezu allen Fällen Identität essanten Fakten konfrontiert. festzustellen. Darüber hinaus gelingt Blau- kopf das Kunststück, über das gleiche Hermann Abert: Mozarts Persönlichkeit. Thema in 22 Variationen jeweils Verschie- Neu herausgegeben von Anna Amalie denes, Treffendes, Kurzweiliges und Amü- Abert. 42 Seiten. Breitkopf und Härtel, santes auszusagen, ohne sich zu wieder- Wiesbaden. 1953. Die neuerliche Veröffent- holen und ohne daß der Eindruck des lichung des so benannten Kapitels aus Suchens und des Gesuchten entsteht. Da- der großen Mozart-Biographie Aberts ist bei sucht er sein Heil weder in der billigen 26 Jahre nach dem Tode des Verfassers Anekdote noch im Klatsch, noch weniger gerechtfertigt. Alle seither geschriebenen in einer Vergötterung, die — wie es leider Mozart-Biographien (und es sind deren häufig anzutreffen ist — nichts vom Leser, viele) brachten bis zum heutigen Tag kein alles aber von den Göttern erwartet. ausgesprochen „neues" Wesensbild Mo- Nichts davon. Dafür blendender St:l, gute zarts zu Tage. Nicht weil die Verfasser Beobachtung und als Einleitung einige besonderer Erkenntnisse nicht fähig ge- treffende Apercus, die nicht direkt zum wesen wären, sondern weil ihnen Abert Thema gehören, aber amüsant zu lesen diese in einer Zeit, die auf dem Gebiete der und bei weitem nicht „nur so daherge- Interpretation noch den romantischen, plaudert" sind. Ein wertvolles und amü- „süßen" Mozart-Stil bevorzugte, vorweg- santes Buch. genommen hatte. Mozart-Jahrbuch 1951. Herausgegeben Jean Boyer: „Kurzgefaßte Geschichte von der Internationalen Stiftung Mozar- der französischen Musik" (Breitkopf 6 teum. Salzburg 19J3. 157 Seiten. Die all- Härtel, Wiesbaden). Die französische Mu- jährliche Tagung des Zentralinstituts für sikgeschichte des Professors an der Uni- Mozartforschung, die meist in der letzten versität Toulouse dürfte pädagogischen Woche der Salzburger Festspiele beginnt, Gründen ihre Existenz zu verdanken haben. findet in dieser Jahrbuchreihe, die diesmal In der Hauptsache auf Personalhistorik durch einen aufschlußreichen Beitrag Egon konzentriert, vermittelt sie wenig Wissen Komorzynskis („Sänger und Orchester des von Stil- und Kulturgeschichte, dient da- Freihaustheaters") und eine mühevoll zu- gegen als brauchbares Nachschlagewerk sammengetragene „Mozart-Bibliographie für Namen und Daten. Jeder Komponist 1945 bis 1950" aus der Feder Rudolf El- ist mit trockener Lebensbeschreibung, vers' und Geza Rechs ergänzt wird, ihren einigen Werken und kurzen, im allgemei- Niederschlag. Wien ist durch Alfred Orel, nen treffenden Stilabrissen gewürdigt. Roland Tenschert und Robert Haas ver- Persönlichkeit oder auch nur eigene treten, Innsbruck durch Wilhelm Fischer, Meinung wird kaum angedeutet, allerdings Salzburg durch Gesa Rech, der über „Das

29 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Mozart-Wohnhaus" schreibt. Sechs Bei- gewiß recht sorgfältig zusammengestellte träge kommen von deutschen Mozartfor- Auswahl von Zeitungskritiken aus aller schern: Hans Engel (Marburg) behandelt Welt, die durch einige Zeilen Text verbun- „Mozarts Jugendsymphonien", Erich Va- den werden. Auf diese Weise hat man lentin (Detmold) hat das Wort über „Mo- weit eher den Eindruck eines 50 Seiten zart als Persönlichkeit", Hans Dcnnerlein umfassenden Werbeprospekts, wie ihn ein (Bamberg) nimmt zum „Unbekannten Manager verschickt, um seinen Künstler ein- Mozart (Die Welt seiner Klavierwerke)" zuführen. Gewiß ist der Leser danach über Stellung, Rudolf Steglich (Erlangen) die Berühmtheit Guidas und über die spricht über „Mozarts Adagio-Takt"; Eindrücke, die sein meisterhaftes Spiel in Ernst Fritz Schmid (Augsburg) befaßt aller Welt hinterläßt, gut informiert, aber sich mit „Leopold Mozart und die Kinder- der Mensch Guida tritt dabei leider ein sinfonie", Thrasybulos Georgiades (Hei- wenig zu sehr in den Hintergrund. F.s ist delberg) gibt Prolegomena zur „Musik- bestimmt schwer, über einen Künstler zu sprache der Wiener Klassiker". schreiben, der erst wenige Jahre tätig ist. aber es handelt sich doch bei einer solchen Mozarteum-Jahresbericht 19Í2/53. Ak.i- Biographie auch noch nicht darum, Ab- demie für Musik und darstellende Kunst schließendes oder Endgültiges zu sagen. „Mozarteum" in Salzburg. 82 Seiten. Man hätte von Erich Jantsch doch ein Franz Tenta ist für die Ausführung und wenig mehr Eigenes erwartet. Trotzdem den Entwurf der hübschen Schrift, die wird man daran nicht vorübergehen kön- auch — aus Anlaß der Erhebung des »Mo- nen, denn es bedeutet den ersten Schritt zarteum" zur Akademie — mit Bildern zu einer mit den Jahren gewiß anwachsen- versehen ist, verantwortlich. Dem Bericht den Gulda-Literatur. über das abgelaufene Studienjahr, der den Personalstand, die Unterrichtsfächer, Per- Dolf Lindner sonalnachrichten, die Schülerstatistik, Prüfungsergebnisse, Schulnachrichten, die KAMMERMUSIK Camerata académica, Berichte und Zu- sammenstellungen der Veranstaltungen Arcangelo Corclli: Zwölf Sonaten für und der Internationalen Sommerakade- Violine und Generalbaß, herausgegeben mie umfaßt, gehen zwei Artikel voraus, in von Bernhard Paumgartner und Günter denen Prof. Dr. Eberhard Preussner Streif- Kehr, 2 Bände (Edition Schott). Die Neu- lichter auf die musikerziehlichen Verhält- ausgabe wurde von den beiden Experten, nisse in den USA fallen läßt und Armin dem Salzburger Mozarteum-Direktor und Klinger über die Probleme der Studenten- dem deutschen Geiger, nach dem Urtext schaft des Mozarteums spricht. besorgt. Zur Revision zogen sie vor allem die vierte Auflage zu, die auch von Erik Werba Chrysander zum Neudruck des Jahres 1890 Moritz V. Schwind: Silhouetten aus Ba- verwendet worden war, und in der die im den. Herausgegeben von Prof. Dr. Edwin Urtext nicht vorhandenen, aber nach der Rollet. Verlag der österreichischen Staats- Praxis der Zeit unbedingt angebrachten druckerei. Gerade recht zu den Festlich- Diminutionen der Violinstimme in den keiten anläßlich des 125. Todestages von langsamen Sätzen eingetragen waren. Da , gab Edwin Rollet dieses sie wahrscheinlich auf Corelli selbst zu- Mappenwerk heraus, welches Schuberts rückgehen, zumindest aber als authentisches Freund Schwind von einer Seite zeigt, die Dokument der Verzierungstechnik aus der heute an ihm (und an sich) schon ganz Barockzeit hohen Wert besitzen, ist ihre in Vergessenheit geraten ist: als Silhouet- Aufnahme in die Neuausgabe mehr als tenschneider. 32 Gestalten ,aus Baden' tre- berechtigt, um so mehr, als unter der aus- ten dabei vor uns hin, 32 verschiedene geführten Violinstimme — sowohl im Typen, Menschen, die zur Zeit Beethovin; Generalbaßpart als auch in der Stimme und Schuberts gelebt haben, und deren — die Urfassung eingetragen ist. Der Ver- Namen längst vergessen sind. Eine köstli- gleich der beiden Stimmen liefert wert- che Besonderheit, zu deren Verständnis der vollstes Studienmaterial, zumal was die sachkundige Herausgeber einen sehr in- freie rhythmische Gestaltung der Diminu- formativen einleitenden Text verfaßte. tionen betrifft. Phrasierung und Strich- bezeichnung der Violinstimme sind mit Erich Jantsch: Friedrich Guida. Verlag Sorgfalt ausgeführt. desgleichen die Josef Weinberger. Daß über den hervor- Harmonien des Generalbasses, die, in ragendsten jungen Pianisten der Gegenwart schnellen Sätzen meistens dreistimmig, auch geschrieben werden mußte, stand fest! Al- auf unseren verdickenden Klavierinstru- lerdings hätte man sich doch ein klein menten gut zu spielen sind. Eine Cello- werkig mehr erwarten dürfen, als nur die

30 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

stimme kann nach Wunsch geliefert wer- esse der Zeitgenossen besonders bean- den. R. K. spruchen sollten: vor allem „Drei kleine Alexander Wunderer: Sonate für Viola geistliche Chöre a cappella" von Anton und Klavier, op. 21. Verlag Doblinger- Heiller, wundervoll herbe und zugleich K. G., Wien I. Wesentlich: Einfühlung in ekstatische Musik. Robert Scholium publi- das Wesen der gewählten Instrumente, ziert „Drei Chöre nach altitalieni- klingender Satz, Formenbeherrschung, schen Dichtern" besinnlichen Inhalts, die maßvolle Aussage in überkommener Wei- durch ihre nicht organisch wirkende Chro- se. Der zweite Satz („Tanz") ist der matik den Sängern allzuviel zumuten, aber stärkste. E. W. immerhin einige Originalität aufweisen. Leichter haben sie es bei Ernst Schandl. der in das weite Gebiet des homophon ge- CHORLITERATUR setzten schlichten Chorliedes überleitet. Erich Valentin: „Handbuch der Chor- Sauber gesetzte, leicht singbare Lieder von musik" (Gustav Bosse Verlag, Regensburg). Robert Ernst, Robert Keldorfer, Max Ein erster Versuch eines Lexikons der Springer, Franz Burkhart und Armin Chorliteratur, der eminent praktischen Kaufmann umspannen da das ganze Aus- Wert besitzt. Das Handbuch des bekann- drucksgebiet vom besinnlichen Vers bis ten deutschen Chorfachmannes sollte für zum Scherzlied und den Heimatgesängen. jeden Chorleiter oder Programmgestalter Lieder von Otto Siegl, Hans Schemitsch, ein unentbehrliches Vademecum werden. Ernst Tittel, Wagner-Schönkirch, Louis Zwar kann das Werk nicht auf Voll- Dite, Hans Bauernfeind und Cesar Bresgen ständigkeit Anspruch machen: einem Ein- wären in die Sparte der soliden Gebrauchs- zelnen wäre eine solche Arbeit nimmer musik einzureihen, die man ohne weiteres möglich. Indessen steht so viel und so viel empfehlen kann. Zur Freude seiner Ver- Gutes drinnen, daß Chorvereinigungen auf ehrer gibt es auch einiges von Joseph Jahre hinaus sich aus dem Büchlein An- Lechthaler. Obwohl viele Heimatlieder und regungen holen können. Speziell die alte, Kirchenchöre in die Sammlung aufge- die „musikwissenschaftliche" Literatur, die nommen wurden, findet sich kaum çin so viel vergessenes Wertvolle enthält, ist Opus, das als Kitsch zu bezeichnen wäre. stark berücksichtigt, ebenso das Gegen- Im gleichen Verlag, wenn auch nicht wartsschaffen. Die Aufnahme von Ma- in der gleichen Publikationsreihe, erschie- nuskripten erweist sich dagegen als weni¿ nen „Vier Chöre für drei gleiche Stim- praktisch und stört etwas die einheitliche men" a cappella von Karl Schiske, die — Basis der Auswahl, ebenso das Auslassen vorwiegend diatonisch gehalten — doch einzelner Männerchöre mit der Be- sehr Originelles und gut Klingendes aus- gründung, daß sie zu bekannt sind. Die sagen. Besonders der zweite Chor nach Einteilung des lexikalischen Teils erfolgte Stefan George ist ein Kleines Meisterwerk, nach aufführungspraktischen Grundsätzen, dem sich der „Psalm 99" für gemischten also nach Besetzungen. Jedem Werk, das sechsstimmigen Chor a cappella op. 30 unter dem Namen des Komponisten ver- würdig zur Seite stellt, ein Stück rau- zeichnet ist, wurden Chor- und Solisten- schender Festmusik. besetzung, ev. Instrumentalbesetzung, ge- legentlich Bemerkungen über historische R. K. Stellung etc. und der Verlag beigefügt. Das Werk Verzeichnis ist international. Eine MODERNE MUSIK Abhandlung über die Geschichte des Chor- Karlheinz Stockhausen: ,JKontra-Punkte" gesanges, eine über die Formen der welt- (Universal-Edition, Wien, Taschenpartitur). lichen Chormusik, ein Verzeichnis der Stockhausen, ein heute 26jähriger deut- Sammlungen und Gesamtausgaben, Uber- scher Komponist, ist gegenwärtig in deut- setzungen der Texte lateinischer Kirchen- schen und italienischen Fachkreisen die musik, eine Erklärung wichtiger Begriffe große Mode. Sein zehn Minuten dauerndes der Fachsprache und ein Register vervoll- und für zehn Instrumente (sechs Bläser, ständigen und bereichern das Handbuch. Violine, Cello, Harfe und Klavier) ge- schriebenes Stück „Kontra-Punkte" läßt „Blätter fiir gemischten Chor" (Verlag dies allerdings nicht ganz verständlich er- Ludwig Doblinger—Bernhard Herzmansky) scheinen. Es handelt sich hier um ein. rei-, vermitteln laufend Bekanntschaft mit nes Klangexperiment, in dem dynamische Werken österreichischer Chorkomponisten. Effekte verschiedenartiger Instrumente, Aus der ersten Lieferung von 60 Stück eigenartig rhythmisierte Tongebilde und hebe ich einige Werke heraus, die auf viele Pausen nach geheimnisvollen Ge- Grund ihrer modernen Fraktur das Inter- setzen (falls solche überhaupt vorhanden

31 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT sind) zusammengefügt werden. Der Titel (einschließlich des Bindestriches) ist buch- NEUE SCHALLPLATTEN stäblich zu nehmen: das Partiturbild gleicht einer graphisch höchst reizvollen Gegenüberstellung von Punkten und Richard Strauss: Salome, Musikdrama in Strichen, die meist in sorgfältig eingehal- einem Akt. Philipps A 00163/64. tener Abwechslung über 12 Notensysteme Die beiden Langspielplatten verdienen verteilt sind, und zwar derart, daß jedes aus technischen und inhaltlichen Gründen Instrument nur ein oder zwei Töne zu Beachtung. Das große Schallplattenpubli- spielen hat und dann die Fortführung der kum kauft „Salome" eher als ein anderes Punkte und Striche seinem Nachbarn über- Opern werk; gerade für den Nichtfach- läßt. Manchmal, besonders beim Eintritt mann ist diese Oper noch immer „sensa- des in exponierter Weise verwendeten tionell". Werkteile, wie der Tanz oder Klaviers, verdichtet sich das musikalische der Schlußgesang der Salome, stehen im Geschehen zu hektisch hervorgestoßenen Mittelpunkt der Beliebtheit. Den Fachmann Passagen mit weiten Intervallsprüngen muß in erster Linie das Besetzungsproblem und kaum spielbaren dynamischen Kon- und die aufnahmetechnische Durchführung trasten. Auch in rhythmischer Hinsicht interessieren. Letztere verdient uneinge- werden den Musikern so ungemein schwie- schränktes Lob: die akustischen Gegeben- rige Einsätze zugemutet, daß deren an- heiten sind ideal, die Wortdeutlichkeit der nähernd richtige Darstellung eine lange Sänger wurde in einem hohen Ausmaß Probenarbeit erfordet. Auch der avant- erreicht, der Ausgleich Orchester-„Bühne" gardistisch eingestellte Musiker wird die- ist vollzogen. Auch die Abstufungen von sem Experiment, das mehr konstruktive Nah- und Fernwirkungen (siehe „Auftritt" als musikalische Qualitäten hat, ziemlich des Jochanaan) sind bemerkenswert. ratlos gegenüberstehen. Und das will schon allerhand heissen. Die Besetzung: Rudolf Morali, der Di- rigent, ist der Garant des Gelingens. „Sein" Hanns Jelinek: Trio für Violine, Viola Strauss hat keine Bruchstellen, keine „De- und Violoncello aus dem „Zwölftonwerk", markationslinien"; bei aller harmonischen op. IS ¡9 Universal-Edition). Dieses und rhythmischen Sorgfalt blüht immer Streichtrio ist der letzte Teil jener als und überall das Melos. Die Wiener Sym- „Zwölftonwerk" bezeichneten Sammlung, phoniker spielen virtuos, als hätten sie all- in der Jelinek den Versuch unternimmt, abendliche Opernerfahrung. Der „Wiener" eine Unterweisung in den Regeln der Klang der Streicher bestrickt. Moralts Zwölftonkomposition mit lebendiger Mu- Tempi geben dem Sänger innere Freiheit sikausübung zu verbinden. Die Bezeichnung und Natürlichkeit in der Phrasierung. Bis „musikantisch" trifft nicht nur auf den auf die Salome Walburga Wegner handelt Komponisten selbst, sondern auch auf den es sich da um Wiener Staatsopernbesetzung : Charakter dieser Sammlung zu, in der be- Laszlo Szemeres Herodes fesselt durch In- wiesen werden sollte, daß die sogenannte telligenz des Ausdrucks, Georgine Milin- „Zwölftontechnik" keine exklusive Ange- kovic singt eine interessante Herodias. Jo- legenheit für einen kleinen Kreis von Ge- sef Metternichs Jochanaan ist nicht mehr lehrten ist. Wenn dieser Beweis auch nur und nicht weniger als eine große Hoffnung. mit Hilfe gelegentlicher Ausbrüche aus den Josef Metternichs Organ ist einer Welt- Gesetzen der orthodoxen Regeln geglückt karriere fähig, leider finden sich noch un- ist, so hat dies dem Prinzip gewiß nicht ausgeglichene Stellen, solche des allzu ge- geschadet. Auch das vorliegende Trio ver- wichtigen Kraftverbrauchs, ungenügender wendet die zitierte Technik „con alcune Balance. Eine ausgezeichnete, überzeu- lizenze". Es besteht aus drei Sätzen: einem gende Leistung setzt der junge Tenor walzerartigen Allegro mit klaren, ein- , dessen Organ die Auf- prägsamen Themen und deren ebenso über- nahmetechnik noch männlicher, noch „run- sichtlicher Verarbeitung, einem langsamen der als sonst gemacht hat. Die Interpre- Mittelteil, der sich mit seinen ostinaten tation der Episodenaufgaben ist vorbildlich. Begleitungsakkorden und häufigen Parallel- Die Aufführung wie die Aufnahme steht bewegungen am weitesten vom „strengen und fällt mit der Besetzung der Salome. Satz" der Dodekaphonie entfernt, und Walburga Wegner bringt für diese schwere einem als Allegretto grazioso bezeichneten Aufgabe überdurchschnittliche Intelligenz Finale, das echten Humor besitzt und wirk- und eine gute dramatische Stimme mit. lich graziös und gut klingt. Ein gutes En- Leider gelingen nicht alle exponierten Stel- semble wird an diesem Stück gewiß seine len intonationsrein, aber die deutsche Sän- Freude haben. Aufführungsdauer: 16 Mi- gerin ist auf jeden Fall ein großes Talent. nuten. Karl Löbl. ewe

32 NACHRICHTEN

Hermann Scherchen wird in einem Düs- Oscar Straus f seldorfer Konzert die „Symphonie" von René Leibowitz uraufführen. Im gleichen Am 11. Jänner 1954 verschied in Programm außerdem die „Toccata für seiner Villa in Ischl der große Re- Schlagzeug-Orchester" von Chavez, „Das präsentant der Wiener Operette, Zwölftonspiel" von J. M. Hauer, die cho- Oscar Straus. Der fast 84 Jahre alt reographische Phantasie „Labyrinth" von gewordene Komponist kam über das H. W. Henze sowie von R. Liebermann Berliner „Überbrettl" Wolzogens „Musik für Orchester und Sprechstimmi.·" zur Operette. Sein erstes Bühnen- nach drei Gedichten von Baudelaire. werk war die Oper „Columbine" 1904). Neben dem „Walzertraum" Die Staatsoper Hamburg kündigt die (1907) hat sich auch „Rund um die Uraufführung einer komischen Oper von Liebe" (1914) und „Der letzte Wal- Bohuslav Martinu an, der eine Dichtung zer" durchgesetzt. Oscar Straus, der Gogols zugrunde liegt und die den Titel lange in New York lebte, ist erst „Die Heirat" trägt. kürzlich in seiner Heimat zurück- schrieb im Auftrag gekehrt. der Stadt Bielefeld ein Violoncello-Kon- zert, das den Titel „Ode an den West- wind" trägt. Die Oper „Boulevard Soli- Die österreichische Erstaufführung von tude" von dem gleichen Komponisten wird Hindemiths Oper „Mathis der Maler" wird in Kürze am San-Carlo-Theater in Neapel demnächst am Landestheater Linz im Rah- zur Aufführung kommen. men der Feiern zum 150. Jubiläum dieser Bühne stattfinden. Der Philharmonische Chor Stuttgart, Leitung Heinz Mende, bereitet unter Mit- Die Wiener Staatsoper hat Rossini- Respighis „Zauberladen" für einen Ballett- wirkung von Elisabeth Schwarzkopf eine abend im März erworben. Aufführung von Hermann Reutters Chor- werk „Der große Kalender" vor. Von Franz Schmidts Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln" erscheint eine Wolfgang Fortner schrieb ein neues Studienpartitur auf Dünndruckpapier. Die Werk „Mouvements für Klavier und Or- Titelseite zeigt eine Reproduktion aus Dü- chester", das Carl Seemann in einem Kon- rers „Apokalypse". zert des Südwestfunk-Orchesters Baden- In diesen Tagen feierte der bekannte Baden unter Ernest Bour uraufführen wird. Sängerkomponist Erwin Kosch in Wien sei- Fortners dramatische Szene „Der Wald" nen 60. Geburtstag und wurde bei einem nach der Tragödie „Bluthochzeit" von wohlgelungenen Kompositionsabend ge- Lorca wird in Kürze im Rahmen der bührend geehrt. Münchner Musica-viva-Konzerte und vor- Die Senderguppe Rot-Weiß-Rot wird das aussichtlich auch beim Wiener Musikfest gesamte „Zwölftonwerk" von Hanns Jeli- aufgeführt werden. nek bringen. Der Komponist wird die Kla- Vom 8.—16. Mai finden die .Tübinger vierstücke daraus selbst spielen. Musiktage' statt, die es sich zur Aufgabe Die „Bayer-Philharmoniker" Leverkusen gemacht haben, das musikalische Schaffen feiern in der Konzertsaison 1953/54 das der Gegenwart zu fördern. 50jährige Fest ihres Bestehens. Aus diesem Anlaß wird das Orchester, welches aus 75 Das Hessische Staatstheater Wiesbaden Mitgliedern besteht, die sämtliche Werks- wird während der diesjährigen Maifest- angehörige der Farbenfabrik Bayer Lever- spiele als erste deutsche Bühne nach dem kusen sind, im Januar 1954 in verschiede- Kriege die Oper „Aus einem Totenhaus" nen Städten u. a. München, , Ham- von Leos Jana¿ek herausbringen. burg, gastieren. Das Orchester steht seit Paul Hindemiths „Gesang an die Hoff- 1935 unter der künstlerischen Leitung von nung" nach einem Text von Paul Claudel Erich Kraack, dem Dirigenten des Kölner wird durch das Hamburger NWDR-Or- Kammerorchesters, und hat eine Entwick- chester in Paris zur französischen Erstauf- lung genommen, die weit über die Gren- führung kommen. zen eines „Laien-Orchesters" hinausgeht. Die August Halm-Gesellschaft Ulm a/D. Es ist seit Jahren Träger der Symphonie- teilt mit, daß sie ihre, durch den Krieg konzerte in Leverkusen unter Mitwirkung und die Nachkriegswirren ins Stocken ge- namhafter europäischer Solisten. ratene Arbeit jetzt wieder aufgenommen

33 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT hat. Sie hat die Aufgabe, das Gesamtwerk AUS DER FRANZ SCHMIDT- des schwäbischen Komponisten, Musik- GEMEINDE schriftstellers und Musikpädagogen, di:r am 1. Februar vor 25 Jahren, kurz vor Die ordentliche Mitgliederversammlung Vollendung seines 60. Lebensjahres starb, der Franz-Schmidt-Gemeinde am 7. De- durch Drucklegung zu retten, es zu zember im Vortragssaal der Akademie für verbreiten und das öffentliche Interesse Musik und darstellende Kunst in Wien dafür zu gewinnen. Dem Vorstand gehören wurde nach Begrüßungsworten des Prä- u. a. die Witwe August Halms und der sidenten Dr. August Weissei mit einem Musikhistoriker Univ. Prof. Dr. W. Ger- künstlerischen Teil eingeleitet, an dessen stenberg, Tübingen an. Den Vorsitz hat der Spitze der Landesmusikdirektor der Steier- Musikhistoriker Dr. Hugo Jos. Kinzel, mark, der au; Franz Schmidts Schule hervorgegangene Komponist Professor Dr. Prag/Minden i. W. übernommen. Erich Marckhl zum Thema „Franz Schmidt Arnold Schönbergs „Erwartung", Mono- und die Moderne" sprach. Prof. Marckhl drama für Sopran und Orchester, führte führte in seinem Vortrag aus, das Ver- in Turin mit ausge- hältnis Schmidts zur Moderne sei dis das sprochenem Publikumserfolg auf; Solistin Lehrers zum Schüler; die ernste künstleri- war Magda Laszlo. sche Haltung Schmidts, der sich vorurteils- Dallapiccola's „Tre Poèmi" nach Ge- los mit jeder wertvollen künstlerischen dichten von Michelangelo, Joyce und Produktion beschäftigt habe, müsse Vor- Machado für Sopran und Kammerorche- bild für die schaffenden Musiker der Ge- ster werden unter der Leitung von Her- genwart sein. Ausschlaggebend für die inne- mann Scherchen im Januar in der Aka- re Wirkung der Musik Franz Schmidts sei demia Santa Cecilia in Rom aufgeführt nicht die Nationalität, auch nicht eine be- werden. rtimmte Stilrichtung oder Kompositions- Mario Peragallo hat seine neueste Oper technik, sondern die schöpferische Persön- „La gita in campagna" vollendet. Die lichkeit. Akademie-Angehörige der Blä- serkammermusikklasse Prof. Leopold Mailänder Scala wird das Werk im März Wlachs spielten den letzten Satz des Kla- uraufführen. rinetten-Quintetts in B-Dur, die schwe- Anläßlich des internationalen Kompo- dische Sopranistin Marianne Nordquist nistenwettbewerbes in Lüttich hat der ame- sang, begleitet von Mimi Freisler, die rikanische Komponist Elliot Carter für Schlußszene aus der Oper „Fredigundis" sein Werk „Chronométras" den ersten und Felicitas Karrer brachte gemeinsam mit Preis erhalten. Der zweite Preis ging an Prof. Hermann Nordberg (der am zwei- den Polen Stanislaw Scruwazenski, der ten Klavier das Orchester ersetzte) die dritte an den Holländer Oskar van Hem- Beethoven-Variationen. mel. An dem Wettbewerb nahmen 117 Komponisten aus 20 Ländern teil. In der anschließenden Sitzung erstattete Im Sommer dieses Jahres wird Hermann Dr. Friedrich Jolly den Wahl vorschlag : Es Scherchen in seinem Haus in Gravesano im wurden Generaldirektor Dr. August Weissei Schweizer Tessin unter dem Thema „Inter- als Präsident, Prof. Dr. "Hans Sittner und pretation und Realisation" einen Meister- Rechtsanwalt Dr. Otto Mayr als Vizeprä- kursus für Dirigent veranstalten. sidenten, Professor Hermann Obermeyer , der seit dem vorigen (Vorstand der Wiener Philharmoniker), Jahre als Professor für Musiktheorie an Dr. Alexander Hryntschak (Präsident der der Universität Zürich wirkt, wird end- Gesellschaft der Musikfreunde), Prof. gültig in Europa bleiben und nicht nach (Direktor der Wiener den Vereinigten Staaten zurückkehren, Staatsoper), Alfred Jirasek (Wiener Sym- deren Staatsbürgerschaft er während des phoniker), Dr. Egon Seefehlner (General- Krieges erworben hatte. sekretär der Wiener Konzerthausgesell- Die Internationale Gesellschaft für neue schaft) und Hofrat Dr. Wilhelm Wald- Musik" in New York führte eine Publi- stein (Sektionsrat im Bundesministerium kumsbefragung durch, welche zeitgenössi- für Unterricht) als Vorstandsmitglieder schen Komponisten in den letzten 25 Jahren wiedergewählt; neu in den Vorstand wur- die größte Wertschätzung errangen. Es er- den berufen: Hof rat Prof. Dr. Joseph gab sich, daß Paul Hindemith die verbrei- Marx, Professor Alois Forer, Prof. Anton tetste Popularität genießt. Einige Stimmen Heiller, Prof. Dr. Heinrich Kralik (Ravag), weniger fielen auf Arthur Honegger. In Landesgerichtstat Dr. Friedrich Jölly¡ Dr. größerem Abstand wurden u. a. Milhaud, Heinrich Haerdtl, Dr. Irmengard Loben- Strawinsky, Bartók und Schönberg genannt. stein und Oberlandesgerichtsrat Dr. Lahr.

34 NACHRICHTEN DER AKADEMIE FDR MUSIK, WIEN

Gigli vor Musikstudenten. Am 4. Dezem- den Star, sondern den Künstler, nicht nur ber 1953 durften Lehrkörper und ein den Sänger, sondern auch den Menschen großer, das Akademietheater füllender Gigli. Eine Schülerin, Inge Leitermayer, Kreis der Studierenden Maestro Benp- überreichte den Lorbeerkranz, Hilde Koch mino Gigli empfangen, der der Einladung sprach italienisch Dankesworte. Hans Sittner des Präsidenten Prof. Dr. Doch Gigli kam — auf Bitte des Prä- gefolgt war, einige Stunden in der Aka- sidenten — noch einmal. Am 11. Dezem- demie. unter den Gesangsschülern, zu ber, am Tag vor seinem zweiten Wiener Hans verbringen. Kammersänger Prof. Konzert, wurden dem Maestro in einem Duhan machte sich zum Sprecher nimens richtigen kleinen Vortragsabend im Sit- des Lehrerkollegiums, aus dem die Pro- zungssaal der Akademie Spitzenta- Gallos, Graef, Raimondo, Witt fessoren lente aus dem Kreis der Studierenden vor- auf der Bühne erschienen waren. Die geführt. Nach dem Gesangsvortrag jedes Schulkantorci Elisabeth Fahsl mit als So- einzelnen Studenten gab Gigli seine Kri- listin eröffnete unter Leitung des Schul- tik, gab Anregungen hinsichtlich des Vor- Franz Xaver Mayer musik-Studenten mit trages, der Phrasenbildung, technischer Schubert. Dann fogten — mit Professor Einzelheiten. Der Bariton aus den USA Graef am Flügel — Gesangsvorträge der Jackson (Klasse Rado) interpretierte Verii, sich freiwillig zum Vorsingen stellenden der finnische Koloratur-Sopran Ruth Anton Bergmeister Giovanni Tenore und Jacobsen (Kl. Kundegraber> Rossinis Rosi- Hazidamos. Auch jüngere Jahrgangsstu- na-Arie, intensiv gestaltete die Deutsch- Pro- dierende hatten Mut; für sie tritt Frl. amerikanerin Eleanor Schneider (Kl. Rado) chaska auf. Einem Puccini-Duett, ausge- Boito, die Schwedin Marianne Nordquist Bergmeister führt von Herrn und Frau (Kl. Rado) bewährte sich mit der zweiten Fischer folgte die Rudolf-Arie aus Pucci- Mimi-Arie, der Klagenfurter Bassist nis „Bohème", gesungen von dem ehemali- Franz Pacher (Kl. Giurescu) bot Schuberts gen Gallos-Schüler der Akademie, Staits- „Erlkönig", die Kopenhagnerin Eva Brinck , opernsänger der sich mit (Kl. Rado) wagte sich an die erste Hin- seiner schönen Stimme und dem guten demith-Motette, der jugoslawische Tenor Vortrag des Werkes der Zustimmung des Bogdan Vorkapic (Kl. Rado) sang Puccini, Meisters versicherte. Dann aber antwortete die Schottländerin Elisabeth Doherty Gigli, der sich bis dahin zum Objekt der (Kl. Rado) Mozarts Rosen-Arie und die aufregenden Stunde gemacht hatte. Er Norwegerin Lilimari östvig (Kl. Debicka) erinnerte sich an seine Studienzeit an der kam mit Beethoven (Marcelline) und Puc- Santa Cecilia in Rom, in der er wichtige cini (Liu). Am Flügel wirkte Prof. Dr. Impulse für seine spätere Laufbahn emp- Erik Werba. Gigli tat alles dazu, innigen fing, aber auch schon Krisen durchzu- Kontakt zwischen „Kandidaten" und machen hatte, wie sie jeden Sänger immer „Vorsitzendem" herzustellen. wieder bedrohen. F.r gedachte auch der Not, des Hungers, die er durchzustehen hatte. Er sei ganz mit der Jugend, er «ei Der Akademie-Kammerchor Prof. Fer- für die Jugend, er fühle sich jung in die- dinand Großmanns kehrte nach erfolg- sem Kreise. Aber er sprach auch zur Sache reicher Absolvierung seines 12wüchigen des Singens selbst. Unbegleitet gab Gigli USA-Gastspiels, das am 13. Dezember in Beispiele des gestützten und des lungc- New York seinen Abschluß fand, am 23. stützten Singeris, Exempla in deutscher und Dezember nach Wien zurück. italienischer Sprache. Er riet den jungen Sängern: singt in eurer Muttersprache, wenn ihr die Fremdsprache nicht ein- Die wandfrei beherrscht. Schließlich entdeckte er eine ehemalige Kollegin in der ersten SYMPHON1A Reihe: Hedwig von Debicka, die als Ge- Wiener Symphonlker- Tonaufnahme Gesellschaft m. b. H. sangsprofessorin an der Akademie wirkt. verfügt Im Konzerthaus, Wien ΠΙ, Er bat sie auf die Bühne und begrüßte sie Lothringerstraße 20, über die modern- herzlich. Er sagte noch der Jugend herz- sten Tonaufnahmeeinrichtungen, wie Studios, Magnetophone, Tonfllmappa- liche Wünsche und mahnte, das Studium ratur samt Projektion, Platten-, Wachs- ernst zu nehmen. Siegesgewohnt nahm er und Folienschneidemaschinen, die von mit gesungenem „Auf Wiedersehen" (auf Sendestationen und namhaften In- und deutsch!) Abschied. Das Gros der Akade- ausländischen Film- und Schallplatten- gesellschaften benutzt werden. Unsere miesmdiierenden hatte den größten Sän- erfahrenen Tonmeister und Techniker ger der Gegenwart kennengelernt, nicht stehen mit diesen Einrichtungen auch Ihnen zur Verfügung.

35 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

geführt hat, wurde am 2. Dezember sieb- MOZARTEUM SALZBURG zig Jahre alt. Schon der Vater Hausners, ein bedeutender Klarinettist, war dem al- ten Mozarteum durch vierzig Jahre als Prof. Dr. Eberhard Preussner lud im De- Pädagoge verbunden, so daß sich mit dem zember die Hörer und ehemaligen Absol- Namen Hausner der Begriff von über 70 venten der Seminare zu einem geselligen Jahren verdienstvoller Arbeit für das In- Beisammensein, welches in wechselseitigem, stitut verbindet. Durch Fachkenntnis und für die Praxis nutzbringendem Gedanken- gewinnende Herzlichkeit erfreut sich Amts- austausch den Wunsch laut werden ließ, rat Hausner, der mit Jahresende in den künftig und in regelmäßigen Zeitabstän- wohlverdienten Ruhestand geht, besonde- den ähnliche Zusammenkünfte zu veran- rer Sympathie bei den Professoren und stalten. Grüße zum Jahreswechsel und Be- Studierenden der Akademie. richte über ihre künstlerische Tätigkeit kamen vornehmlich von jenen ehemaligen Als Weihnachtsgeschenk für die Aka- Studenten, die zur Zeit in den USA leben. demie war eine großzügige Buchspendc So erfreuen sich zum Beispiel die Ge- der österreichischen Industrie und Kauf- schwister Ingrid und Karin Gaibergs und mannschaft anzusehen, die bei der Studen- die Pianistin Florence Boccarius außeror- tenschaft allgemein große Freude bereite- dentlicher künstlerischer Erfolge. Hubertus te. Edwin Fischer spendete der Akademie Boese, ein Absolvent der Klavierklasse eine wertvolle Anlage für die Wiedergabe Prof. Heinz Scholz, erhielt, nach Beschluß- von Schallplatten. Uber eine großherzige fassung durch das Kuratorium der Inter- Geldspende für die Akademie Mozarteum, nationalen Stiftung Mozarteum, die „Lilli- die der Initiative einer großen Freundin Lehmann-Medaille" verliehen. Salzburgs und des Mozarteums, Mrs. Hazel Rasmussen (USA) zu danken ist, wird im Der Quästor der Akademie, wirkl. Amts- Monat Jänner berichtet werden können. rat Karl Hausner, der seit dem Jahre 1922 Der „Verein Freunde der Akademie Mo- die Agenden des Instituts teils in der Lan- zarteum" erhielt auf dem Spendenweg desregierung und teils am Mozarteum selbst ebenfalls wertvolle Zuwendungen.

INHALTSVERZEICHNIS Prof. Dr. Walter Kolneder: Johann. Nepoir.uk David 1 Jörg Demus: Bach am Klavier 7 Dr. Nobori Kaneko: Die abendländische Musik in Japan (II) 17 Prof. Dr. Leopold Nowak: Robert Lach — 80 Jahre 22 Dr. Erik Werha: Die Förderungspreisträger für Musik 23 Prof. Dr. Roland Tenschert: Staatspreisträger 1952 uraufgeführt .... 24 Osterreichische Chronik 25 Was die andern schreiben 28 Literatur , 29 Neue Schallplatten 32 Nachrichten , 33 Nachrichten der Akademie für Musik, Wien 35 Nachrichten des Mozarteum in Salzburg 36 Fotos: Archiv (2)

Bezugsbedingungen: Jahresabonnement: öS 75—, DM 20.—, sir 20.—, t 4.50 (Inkl. Porto; Halb]ahrsabonn.: öS 40.—, DM 11.—, sfr 11.—. $ 2.40 (inkl. Porto); Viertel]ahrsabonn.: öS 21.—, DM 6.—, sfr β.—. 9 1.30 (inkl. Porto); Einzelheft: ÖS 7.50, DM 2—, sfr 2.—, $ —.45. Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Elisabeth Laflte, Wien IV, Hauptstr. 15, Tel. U4t 4M (Redaktion). Für den Inhalt verantwortlich: Dr. Dolf Lindner, Wien VI, Gumpendorferstr. 71. Zentralvertrieb: Wien III, Metternichgasse 8, Telefon U 18 4 37. Druck: Josef Schwarz' Erbin, Wien IX, Sensengasse 4, Telefon A 25 4 13. ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

BEGRÜNDET VON DR. PETER LAFITE t

9. JAHRGANG FEBRUAR 1954 HEFT 2

Otto Erich Deutsch

MOZART UND DIE SCHÖNBRUNNER ORANGERIE

Links vom Eingang in den großen Hof des Lustschlosses Schönbrunn stellt, ziemlich verborgen, der verkürzte Rest der langgestreckten Orangerie, die einst berühmt gewesen ist, aber heute unter den Warmhäusern des Parkes «inen bescheidenen, fast vergessenen Rang einnimmt. In den vielen Büchern und Abhandlungen über Schönbrunn ist sie'kaum erwähnt, und die Zeit ihrer Erbauung scheint nicht bekannt zu sein. Es heißt, daß Kaiser Josef II., der Ruß- land 1780 bereist hatte, von den 'Wintergärten dort so beeindruckt gewesen sei, daß er die Orangerie einrichtete. Ihre Länge wird von Zeitgenossen mit 100 Klaf- tern, das sind etwa 190 Meter angegeben; die Breite mit 36 Schuh (oder Fuß), das sind 6 Klafter oder etwa 11 Meter, und die Höhe mit 25 Schuh, oder etwa 8 Meter. Nikolaus v. Jacquin, der bekannte Botaniker, nannte sie in seinem „Hortus Schoenbrunnensis" um 1800 „jene herrliche gewölbte Orangerie, die viel- leicht unter allen in Europa die größte ist". Die südliche, gegen das Schloß gelegene Längsseite war verglast; vor ihr lag der Treibobstgarten mit dem erhaltenen Renaissance-Brunnen, und dort wurden viele der 8Ò0 Orangen-, Granatäpfel- und Lorbeerbäume im Sommer hinausgestellt. Da diese exotischen Pflanzen des Winters in der Orangerie einer guten und gleichmäßigen Heizung bedurften und damit besser versorgt waren als die Bewohner und Gäste des Schlosses und seines Theaters, so war es naheliegend, besondere Empfänge in der kalten Jahreszeit dort abzuhalten. Der Großfürst Paul wurde 1781 und 1782 (nicht 1784 und 85, wie es in manchen Quellen heißt) noch im Schlosse selbst bewirtet.

Die erste der vier großen Veranstaltungen in der Orangerie, von denen wir Kunde haben, mag auch ihre förmliche Eröffnung bedeutet haben. Der Kaiser gab am 6. Februar 1785 für eine Zahl von adeligen Gästen eine Mittagtafel und ließ sie dann von Schauspielern und Sängern der Hoftheater unterhalten. In der Mitte des Raumes, der mehr einem langen Gang als einem Saale glich, stand die Tafel, an seinen beiden Enden aber je ein aus Topfpflanzen gebildetes Theater.

37 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Auf der einen Bühne wurde eine Szene aus Lessings „Emilia Galotti" aufgeführt, dann auf der anderen Bühne Teile aus Paesiellos Singspiel „La finta amante", endlich wieder auf der ersten Bühne eine Szene aus dem Lustspiel „ Der seltene Freier", nach dem Französischen des Souffleurs Gernevalde von F. L. W. Meyer geschrieben. Dieses Lustspiel war 1784 zuerst in Laxenburg, dann am gegeben worden und war für den berühmten Friedrich Ludwig Schröder bestimmt gewesen, der nun in der Orangerie seinen endgültigen Abschied von Wien und dem Kaiser nahm. Der Bericht der amtlichen „Wiener Zeitung" vom 9. Februar 1785 lautete:

Am verwichenen Sonntage gaben des Kaisers Maj. den hiesigen Herrschaften eine eben so angenehme als in gegenwärtiger Jahreszeit seltene Unterhaltung in Ihrem Lustschlosse zu Schönbrunn. Es waren 56 Personen beyderley Geschlechtes von dem hiesigen ein- heimischen und fremden höchsten Adel dazu geladen, die durch das Loos bestimmt, paar- weise in Pierutschen und geschlossenen Wägen von der hiesigen Hofburg aus, um halb 3 Uhr Nachmittags nach Schönbrunn fuhren, und allda in der Orangerie abstiegen. Diese war zum Empfang der Gesellschaft, nach Sr. Maj. Anordnung, herrlich zugerichtet. Die Tafel befand sich unter den Orangenbäumen und zwar überdiess mit ausländischen und einheimischen Gartengewächsen und Blumen jeder Art besetzt. Des Kaisers Maj. geruhten mit gedachten Herrschaften an derselben das Mittagmahl einzunehmen, nach dessen Endigung die Tafel schnell abgetragen und in Spieltische versetzet wurde, an denen man sich so lange ergötzte, bis auf dem an einem Ende der Orangerie von Bäumen künstlich errichteten Theater das Schauspiel angieng, das in einer Szene aus dem zweyten Akte der Emilia Galotti bestand, wobey die Herren Schröder, Brockmann, Miller und Schütz nebst Mad. Sacco und Mlle. Jaquet spielten. Nach diesem Schauspiele wurde auf der andern Seite der Orangerie auf einem dergleichen anderen dazu errichteten Theater die wälsche Oper II Finto Amante, aufgeführt, sodann aber wieder auf der andern Seite mit einer Szene aus dem Lustspiele: Der seltene Freyer, die Unterhaltung dieses Tages geschlossen. Die Orangerie war Abends mit einigen hunden Waxlampen und auf den Lustern und Piaken mit eben so vielen Waxlichtern herrlich beleuchtet. Um 8 Uhr kehrten Se. Majest. und der Adel, der Sie zu begleiten die Ehre gehabt hatte, nach der Stadt zurück. Zur Ergänzung und Berichtigung dieses Reports kann das französisch ge- schriebene Tagebuch des Grafen Karl von Zinzendorf helfen, das im Staatsar- chiv aufbewahrt ist. Er spricht von 18 Pierutschen und 10 geschlossenen Wagen. In einem der offenen fuhr der Kaiser mit der Fürstin Kinsky. Die Orangerie er- strahlte noch im Sonnenschein, als die Gesellschaft dort eintraf. Sie bewunderte nicht nur die Orangen, Hyacinthen und andere Pflanzen, auch lebende Fische in einem gläsernen Behälter. Die nach dem Mahle aufgestellten Spieltische seien nicht benützt worden. Unter den Schauspielern des ersten Fragments nennt Zinzendorf, statt Müller und Schütz, Herrn Dauer. Er nennt aber auch die Sänger Mandini, Viganoni und Signora Manservisi. Im dritten Fragment traten Schröder, Brockmann und Fräulein Jaquet wieder auf. In der Beschreibung von Schönbrunn, die Josef Oehler 1806 herausgab, ist dieses Fest irrtümlich in das Jahr 1784 verlegt, aber es wird dort auch berichtet, daß die Orangerie nachher drei Tage lang öffentlich zu besichtigen war. Ernst M. Kronfeld, der verläßliche Chronist des Schlosses, weiß zu berichten, daß um 1900, bei Reinigungsarbeiten in Schönbrunn, hölzerne Luster gefunden worden

38 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT seien, die zur festlichen Illumination der Orangerie im 18. Jahrhundert gedient hätten. Glücklicherweise haben wir von der Hand Hieronymus Löschenkohls, der interessante Wiener Ereignisse in Kupferstichen festzuhalten pflegte, eine Dar- stellung des Festes von 1785. Je ein schwarz-weißes und ein koloriertes Exemplar dieses Stiches ist im Museum der Stadt Wien zu finden. Er ist betitelt: „Frühlings- fest an einem Wintertage, gefeyert in der Orangerie zu Schönbrunn den 6te Febr: 1785", links ist „Ein Theater für die Oper" zu sehen, und rechts eines „für die Komödie"; beide leider leer, denn die Gesellschaft ist noch an der Tafel. Dieses Blatt hat Löschenkohl erst am 1. April 1786 in der „Wiener Zeitung" an- gekündigt, und zwar mit folgenden Worten: „Das Fest und die Verzierungen der Orangerie zu Schönbrunn am 7. Februar 786. 1 fl." Über dieses zweite Fest berichtete die „Wiener Zeitung" am folgenden Tage, den 8. Februar 1786:

Dienstag gaben Se. Maj. der Kaiser den durchlauchtigsten Generalgouverneuren der Κ. K. Niederlanden und einer Gesellschaft des hiesigen Adels ein Lustfest zu Schönbrunn. Es waren dazu 40 Kavaliers, wie auch . . . Fürst Poniatowsky, geladen, die sich ihre Dames selbst wählten, und paarweise in Pierutschen und geschlossenen Wägen, um 3 Uhr, von der hiesigen Hofburg aus, mit Sr. Mai., Höchstweiche die durchl. Erzherzoginn Christina führten, nach Schönbrunn aufbrachen, und allda in der Orangerie abstiegen. Diese war zum Empfang dieser Gäste auf das herrlichste und zierlichste zum Mittagmahle eingerichtet. Die Tafel unter den Orangeriebäumen, war mit einheimischen und fremden Blumen, Blüthen und Früchten auf die angenehmste Weise besetzt. Während dem Se. Maj. mit den hohen Fremden und den Gästen das Mahl einnahmen, ließ sich die Musik der Kaiserl. Königl. Kammer auf blasenden Instrumenten hören. Nach aufgehobener Tafel wurde auf dem an einem Ende der Orangerie errichteten Theater ein neues für dieses Fest eigens komponiertes Schauspiel mit Arie, betitelt: der Schauspiel-Direktor, durch die Schauspieler von der Κ. K. Nazionalbühne aufgeführt. Nach dessen Ende wurde' auf der wälschen Bühne, die am andern Ende der Orangerie errichtet war, die ebenfalls ganz neu für diese Gelegenheit verfaßte Opera buffa, unter dem Titel: Prima la musica e poi le Parole, von der Gesellschaft der Hofoperisten vorgestellt. Während dieser Zeit war die Orangerie mit vielen Lichtern an Lüstern und Piaken auf das herrlichste beleuchtet. Nach 9 Uhr kehrte die ganze Gesellschaft in voriger Ordnung, jeder Wagen von zwey Reitknechten mit Windlichtern begleitet, nach der Stadt zurück.

Die „Generalgouverneure", damals in Wien zu Besuch, waren der Herzog von Sachsen-Teschen und seine Gemahlin, die Erzherzogin Marie Christine, des Kaisers Schwester. Fürst Stanislaus Poniatowsky war der Vetter des gleich- namigen Königs von Polen. Die beiden parodistischen Singspiele waren von Mozart und Salieri komponiert. „Der Schauspieldirektor", eigentlich eine Ko- mödie mit Musik, war von Gottfried Stephanie verfaßt; der Text der buffa stammte von Giovanni Battista Casti. Beide Werke kamen dann ans Kärntnertor- Theater, wo sie sich nicht lange gehalten haben. In der Komödie waren die Schauspieler Brockmann, Lange, Weidmann und der Textdichter, ferner die Schauspielerinnen Sacco, Adamsberger und Stephanie beschäftigt, die — ausge- nommen der Dichter, der den Titelhelden spielte — paarweise je eine Szene aus den Schauspielen „Der aufgehetzte (oder aufgebrachte) Ehemann", „Bianka

39 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Capello" und „Die galante Bäuerin" als Einlagen produzierten. Mozarts Sänger waren die Damen Lange (geborene Weber) und Cavalieri, und Herr Adamberger. Der Text des Singspieles von Salieri, in dem die Herren Benucci und Mandini, die Damen Storace und Coltellini auftraten, bot eine Verulkung Dapontes, mit einem Zitat aus Sartis „Giulio Sabino", worin die Storace den Kastraten Marchesi imitierte, der 1785 in Wien gastiert hatte. Handschriftliche Partituren der zwi- schen 18. Januar und 3. Februar 1786 geschriebenen Mozartschen Musik, die aus einer Ouvertüre und vier Gesängen besteht, wurden von Sukowaty und von Lausch im März 1786 ausgeboten; das Textbuch mit dem Wortlaut der Gesänge erschien bei Kurzböck. Aus Salieris Musik ist nur die Ouvertüre und eine Arie abschriftlich vertrieben worden. Er bekam 100 Dukaten, Mozart aber nur 50, so viel wie jeder Sänger und Schauspieler. Die Gesamtkosten für die Produktion beliefen sich auf 1000 Dukaten. Auch in diesem Falle kann Zinzendorfs Tagebuch den gedruckten Bericht ergänzen; seine Eintragung von 1786 ist zum Teil bereits gedruckt worden. Dies- mal gab es 23 oder 24 Pierutschen und 9 oder 10 geschlossene Wagen; der Kaiser fuhr mit seiner Schwester in einem offenen. Der Weg war bis zur Mariahilfer Linie von Neugierigen umsäumt. Die Orangerie scheint noch schöner als im Jahr zuvor geschmückt gewesen zu sein. Eine Prinzessin, die an der Tafel gegenüber Zinzendorf saß, wurde durch den Anblick an die Märchen von Tausend und einer Nacht erinnert. Die kaiserliche Harmonie-Musik spielte Weisen aus Salieris Oper „La Grotta di Trofonio", die im Herbst 1785 zuerst im Burgtheater gegeben worden war. Als man sich von der Tafel erhob, war es draußen schon Nacht geworden. Der Kaffee wurde vor dem italienischen Theater (das linke auf dem Stiche) eingenommen. Uber den „Schauspieldirektor" urteilte Zinzendorf, ohne Mozarts Musik zu erwähnen, sehr lakonisch: „Das Ganze war recht mittelmäßig." Nach seinem Tagebuch schloß der Abend um halb Neun. Am Ende dieses Tages aber schrieb er: „Ein schöner Frühlingstag", was an Löschenkohls Titel von 1785 anklingt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Einrichtung der Orangerie von 1786 der von 1785 ähnlich gewesen ist. Der unbeholfene Stich von Löschen- kohl, mit den Lustern über den Bühnen in irreführender Perspektive, jener Stich, den er 1785 verfertigt hatte und 1786 für das zweite Fest gelten ließ, gibt uns eine Idee davon, wie die beiden Gelegenheits-Stücke dort präsentiert worden sind. Diesmal hatte man auf das Kartenspiel von vornherein verzichtet. Für die Gäste des Kaisers wurden, nach Aufhebung der Tafel, die Stühle einmal links und einmal rechts aufgestellt, damit sie den beiden Produktionen bequem folgen konnten. Die Schönbrunner Orangerie ist unseres Wissens nach 1785 und 86 nicht mehr für Aufführungen verwendet worden. Wohl aber gab es am 11. Oktober 1814, nach einer Opern Vorstellung im Schloßtheater, in der Orangerie ein Souper für die Herrschaften des Wiener Kongresses, wo an den beiden Enden beleuchtete

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Obelisken zu sehen waren, und seitwärts ein künstlicher Wasserfall. Das Gebäude war damals außen durch 28-000 Lampen, innen durch mehr als 3000 Wachslichter illuminiert. Und am 10. März 1839 gab es dort noch ein Souper für einen anderen Großfürsten, den späteren Zaren Alexander III. Dieses Ereignis wurde in einer Zeichnung von Gurk, lithographiert von F. Wolf, festgehalten. Nach jenem Souper scheint die Orangerie nicht mehr für Hoffeste benützt worden zu sein.

H. C. Robbins Landen EINE NEUE MOZART-QUELLE Eine unlängst angestellte Untersuchung des Musikarchives des Franziskaner- klosters in Maria Enzersdorf bei Wien hat einen für die Mozart-Forschung höchst interessanten Fund zutage gebracht, nämlich die einzige zeitgenössische Quelle von zwölf Menuetten für Orchester aus dem Jahre 1791. Die Autographe aller Mozart-Tänze dieses Jahres sind bekanntlich verlorengegangen. Das Kloster scheint im Besitz einer reichen Musiksammlung gewesen zu sein. Während eine Anzahl von kirchlichen Kompositionen in Abschriften des 18. Jahr- hunderts noch heute vorhanden ist, sind von den profanen Werken nur wenige erhalten, unter denen sich dieses wertvolle Mozart-Manuskript befindet. Die zwölf Menuette sind im Kochel-Verzeichnis unter den Nummern 599, 601, und 604 angeführt; die Aufteilung des Werkes geht wahrscheinlich auf Mozarts eigenhändiges „Verzeichnüssl Aller meiner Werke/Vom Monat h Febrario 1784 bis Monath [nicht ausgefüllt] 1 [nicht ausgefüllt]/WoZ/gang Amadé Mozart [mpria]" *) zurück, wo die Menuette wie folgt angeführt sind: „23ten [Jänner] 6 Menuet ti [Κ. V. 599] für die Redoute. — mit allen Stimmen."; „den y Hornung. 4 Menuett, [Κ. V. 601] und 4 Teutsche [Κ. V. 602]."; „den 12* [Hornung] 2 Menuett [Κ. V. 604] und 2 Teutsche [Κ. V. 605, Nr. 1 und 2]". Alle diese Tänze wurden für die im Fasching in den k. k. Redoutensälen abgehaltenen Bälle geschrieben; auch Haydn, wie später Beethoven, komponierte zahlreiche Deutsche und Menuette für diese Veranstaltungen. Die Tänze für die Ballsaison des Winters 1791 waren die letzten, die Mozart schrieb, da er keinen anderen Fasching mehr erleben sollte. Sie waren für den kl. Redoutensaal bestimmt und sind, die Menuette wie die Deutschen, als „2te Abtheilung" bezeichnet.*) Die Gesamtausgabe von Breitkopf&Härtel (Seriell) konnte als Quelle für die vollständige Orchesterfassung nur eine „höchst mangelhafte" Partiturabschrift aus dem 19. Jahrhundert (Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde, Wien) ver- wenden. Die Menuette wurden noch zu Lebzeiten Mozarts von dem Verlagshaus Artaria") in zwei verschiedenen Arrangements gedruckt: 1. für Klavier .mit dem Titel „12 Minuetti de la Redoute" (Plattennummer 344), in der „Wiener Zeitung" vom 30 März und 10. August angekündigt, und 2. für zwei Violinen und Baß (Plattennummer 362), in der „Wiener Zeitung" vom 30. November

42 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

1791 annonciert. Dieses zweite Arrangement wurde im Kochel-Ver- zeichnis (vielleicht in der nicht unmöglichen Annahme, daß Mozart selbst der Bearbeiter gewesen sei) als Anhang Nr. 164 separat angeführt. Laurent Lausch, der Wiener Kopist, der Noten zum Verkauf kopierte und dessen Dienste Mozart gerne in Anspruch nahm, offerierte der Öffentlichkeit nicht nur ein Arrangement für Klavier in Manuskript, sondern auch die vollständigen Orche- sterstimmen, die er in der „Wiener Zeitung" vom 12. März 1791 anbot. (Laut Λ. Einstein wurden diese Tänze in der vollständigen Orchesterfassung im Dezem- ber 1791 wiederholt angekündigt.) Bisher konnte keine Kopie der Orchester- stimmen dieser Menuette ausfindig gemacht werden; die dazugehörigen „Teut- schen" aber sind bei der Gesellschaft der Musikfreunde in einer Lausch-Kopie der Stimmen erhalten geblieben. Die in Maria Enzersdorf gefundene Quelle erweist sich ebenfalls als eine Arbeit aus der Lausch-Werkstatt, da die erste Violinstimme deutlich die Unterschrift Lauschs in der unteren rechten Ecke trägt; daher handelt es sich hier um die einzige authentische und zeitge- nössische Quelle für dieses Werk. Die Stimmen sind leider unvollständig, da nur „Violino Primo", „Violino 2do", „Oboa [sic] e Clarinetto lmo", „Oboa e Clarinetto 2d0", Jagotto 2do" und „Corno lmo" gefunden werden konnten. Das Papier in Hochformat ist zwölf- A zeilig, ca 32 X 23 cm, und weist folgende Wasserzeichen auf : HF REAL und drei Sterne in einem Barockornament; es ist ein charakteristisch italienisches Papier, das häufig von Haydn und Mozart verwendet worden ist. Der Titel auf der ersten Violinstimme lautet: (links oben) „Mozart/2te Abtheilung/ Menuetti", (rechts oben) „Aus dem k: k: kleinen RedoutentSaale 791". Die Bogenzahl {z. B. „2 V*" [= 5 Blätter, d. h. 10 Seiten]) ist auf jeder der Stimmen für die Preisberechnung vermerkt. Von Lausch selbst sind die Violinstimmen, während die vorhandenen Bläserstimmen von einem anderen Kopisten, wohl einem seiner Gehilfen, angefertigt sind. Es war im 18. Jahrhundert allgemeine Gepflogenheit, nicht einem einzigen Kopisten alle Stimmen eines Werkes zu übergeben, damit das weitverbreitete Piratentum erschwert werde; in einem von A. Sandberger entdeckten Brief schreibt Haydn, daß er einen seiner Kompositionsschüler mit dem Kopieren einer Partitur beauftragte „und nachero durch verschiedene Copisten/-.damit mir dieselbe nicht entfremd werden:!abschreiben zu lassen".*) Ein Vergleich der Stimmen mit der Gesamtausgabe ergibt, daß die Kopie von Lausch, obwohl unvollständig, in textlicher Hinsicht von großer Wichtigkeit ist, so daß eine Anzahl von groben Irrtümern der Gesamtausgabe, wie falsche Stimmführung, Phrasierung, Dynamik u. a. berichtigt werden können. Wie der Revisionsbericht der Gesamtausgabe meldet, war man genötigt, sich bei der Stimm- führung auf das Klavier- und das Streicherarrangement zu stützen, da in der vor-

43 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT handenen Partiturquelle in einer Reihe von Takten verschiedene Stimmen unaus- gefiillt sind. Die erste Violine der Lausch-Kopie ist in 'Wirklichkeit eine sogenannte Direktionsstimme, mit häufiger Angabe der Instrumente und sogar zusätzlich ausgeschriebenen Stimmen, so daß im Falle des Fehlens eines oder des anderen Instrumentes die erste Violine dasselbe ersetzen konnte. Deshalb können wir jetzt, mit Hilfe der Partitur der Gesellschaft der Musikfreunde, einige der schwierigen textlichen Probleme lösen. Es ist ein glücklicher Zufall, daß diese Stimmen gerade zu einem Zeitpunkt aufgefunden wurden, zu dem die neue Gesamtausgabe der 'Werke Mozarts unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. Ernst Fritz Schmid angekündigt wird.

') Faksimiledruck mit Kommentar von O. E. Deutsch, Wien, 1937. ) Die erste und die dritte Abteilung der Menuette entsprechen K. 568 und 585, die der Deutschen Tänze K. 536 mit 567 und 586. ') Vgl. A. Weinmann, Vollständiges Verlagsverzeichnis von Artaria & Comp., Wien, 1952, S. 29 f. *) Es wurde bisher angenommen, daß diese Papiertype Wiener Ursprungs sei. Mit Hilfe des wichtigen Werkes Some Watermarks, mainly of the Seventeenth and Eighteenth Century, Hilversum, 1950, konnte nun festgestellt werden, daß beinahe alle Papiersorten dieser Art italienischen Ursprungs sind. Vgl. auch H. C. Robbins Landon, The Symphonies of Joseph Haydn (in Vorbereitung: Universal Edition, London). s) Vgl. A. Sandberger, Gesammelte Aufsätze, München, 1921, S. 226. Mozart selbst schreibt an seinen Vater (15. Mai 1784): „. . .allein die 4 Concerte bitte ich bey sich im Hanse abschreiben zu lassen, denn es ist den Copisten in Salzburg so wenig zu trauen, als den in Wien; — ich weis ganz zuverlässig, daß Hofstetter des [Michael] Haydn Musique dopelt copiert — ..."

Othmar W e s s e l y MOZARTS „GLÜCKS-WUNSCH, BEIM PUNSCH" Am 4. August 1782 hatte in der Pfarrkirche zu St. Stephan in Wien Konstanze Weber (1762-1842), der Tochter des Mannheimischen Hofkapellbassisten Fridolin Weber (1733-1779) und Schwester seiner Jugendliebe Aloisia Lange, geb. Weber (um 1762 bis 1839), geheiratet. Dieser von Leopold Mozart zunächst schroff abgelehnte und schließlich nur zögernd gebilligte Schritt hat bekanntlich mit dazu beigetragen, die schon mit dem Tod der Mutter (3. Juli 1778) beginnende Entfremdung zwischen Vater und Sohn1) noch zu verschärfen. Um nunmehr bessere Verhältnisse zu schaffen, reiste Mozart bekanntlich in der zweiten Julihälfte 1783 mit seiner jungen Gattin zu einem mehrmonatigen Besuch nach Salzburg. Er mag damals geahnt haben, daß seine Schwester Maria Anna, das „Nannerl" (1751-1829), in dieser Situation „des Vaters Starrsinn schürende Zufuhr" angedeihen ließ2). In seinem Bestreben, die Schwester günstig zu stimmen, überreichte er ihr am 31. Juli ein selbst- verfaßtes humoristisches Gedicht. Das in Rede stehende Poem, der „Glücks-Wunsch, Beim Punsch", ist der Mozart-Literatur seit langem bekannt und in der Gesamtausgabe der Poesien des Meisters*) sowie den großen Briefausgaben4) leicht zugänglich. Mozart hat mit

44 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

diesem dichterischen £rguß zweifellos die ganz bestimmte Absicht verfolgt, seiner Schwester, der er schon in einem an den Vater gerichteten Brief aus Mannheim (20. Dezember 1777)'') ähnliche Reimereien hatte zukommen lassen, die unbe- schwerte Jugendzeit in Erinnerung zu rufen, um sie so zu einer versöhnlicheren Haltung zu bewegen. In die gleiche Kerbe schlägt auch die Bezeichnung „Scheibenpoet", die er sich selbst in der Unterschrift beilegt und mit der er Maria Anna sicher die Freuden des Salzburger „Bölzelschießens" in Erinnerung rufen wollte. Hatte doch jeder der an diesem Vergnügen Teilnehmenden die Verpflichtung, eine mit scherzhaften Zeichnungen ausgestattete Schießscheibe zu fertigen"); dieses den Eingeweihten wohlverständliche „Scheibenbild" mußte der Verfertiger sodann als „Scheibenpoet" mit eigenen Versen erläutern. Einen direkteren Appell an die Schwester scheint dagegen die Erwähnung von Bändern darzustellen. Solche hatte Mozart nämlich tatsächlich zwei Jahre zuvor dem „Nannerl" mit Unterstützung seiner Schülerin Josephine Auernhammer ver- schafft, wie einem Brief vom 4. Juli 1781 zu entnehmen ist7). Das Autograph dieses dichterischen Ergusses ist seit langem verschollen; als Quelle für den Abdruck diente stets die nicht immer wörtlich übernommene und an einigen Stellen offensichtlich unkorrekte Erstveröffentlichung von Jahn- Deiters8). Der Fachwelt nunmehr einen zweifellos authentischen Text vorzulegen ermöglicht erfreulicherweise eine bisher unbekannt gebliebene, von Maria Annas Sohn Leopold Alois Freiherrn von Berchtold zu Sonnenburg (1785-1840)·) nach dem Autograph gefertigte Kopie. Sie erliegt in der Autographensammlung des Oberösterreichischen Landesmuseums zu Linz; ihr zufolge lautet der Text des kleinen Gedichtchens also10): Glücks-Wunsch, Beim Punsch. Ich bin heut' ausgegangen, Du wüstest nicht, warum, Ich kann nur so viel sagen, daß es geschah darum, Um Dich mit etwas kleinem ein wenig zu erfreu'n, Wobei ich weder Kosten, noch Fleiß noch Müh wollt' scheu'n Ich weiß zwar nicht gewieß, ob Du den Punsch magst trinken. O sage doch nicht Nein, — sonst möcht' das Bindband stinken Ich dachte so bei mir, Du liebst die Engeländer, Den liebtest Du Paris, so gäbe ich Dir Bänder, Wohlriechende Gewässer; ein künstliches Bouquet, Du aber, liebste Schwester, Du bist keine Coquette, Drum nim aus meiner Hand den guten, kräft'gen Punsch, Und laß' ihn Dir recht schmecken, das ist mein einz'er Wunsch.

Salzburg den 31. Juli 1783. W. A. Mozart m gekrönter Scheiben-Poet

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Die auf der Rückseite des Autographs von Konstanze Mozart vermerkte Echtheitsbeglaubigung hat Berchtold zu Sonnenburg auf der Rückseite seiner Kopie wie folgt überliefert:

Autentique. Daß dies die Handschrift meines seligen Gatten Mozart ist, bestätiget meine Unterschrift: Constanze £tett-Räthin von Nissen, gewesene Wittwe Mozart.

Salzburg am 19 Febr. 1830.

Ein darangefügter Satz zeigt, auf welche Weise das Blatt in seinen heutigen Verwahrungsort gelangte: „Vom Eingangs unterschriebenen dem hochverehrlichen Linzer Musaeum gewidmet". Da der am Kopf mit einer Ansicht von Innsbruck, dem Dienstort Berchtolds, gezierte Begleitbrief einige nicht unwesentliche Details zeigt, sei auch er im Wortlaut mitgeteilt:

Innsbruck den 6ten April 1836

Nachstehendes ist eine getreue Copie eines kleinen Gedichtes, das der berühmte und nur zu früh' verstorbene Tonkünstler, Wolfgang Amadeus Mozart, seiner Schwester, Maria Anna Mozart, meiner geliebten Mutter sei., ein Jahr vor ihrer Verehelichung mit meinem sei. Vater Johann Baptist Freih:[errn] v:[on] Berchtold zu Sonnenburg, fürstlich-,Wz¿«rg'schen Rath und Pfleger zu Hüttenstein, zu ihrem Geburts-Tag machte, so ich nach deren Tod 1830. unter ihrem Nach- laß mit mehr andern fand.

Meine noch lebende Tante, Mozart's Unterlassene, und· jetzt auch Wittwe ihres 2ten Gattens, des k:[öniglich] Dänischen Etafi-Raths v. Nissen, bestättigte auf dem nämlichen Blatt, worauf dieses Gedicht geschrieben ist, die eigenhändige Schrift ihres lten Gattens, Mozart.

Leopold Freih:[err] v:[on] Berchtold zu Sonnenburg k.k. vereinigter Cameral-Gefällen- Verwaltungs-Oeckonomats-Co»tro//or

Wie man den Ausführungen Berchtolds entnehmen kann, war also der Geburtstag Maria Annas der unmittelbare und zur Verschleierung der eigent-

46 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT liehen Absicht gewiß nicht unwillkommene Anlaß, der Mozart zur Feder hatte greifen lassen. Da der Festtag bereits am 30. Juli, demnach einen Tag vor der Abfassung des Gedichtes, gewesen war und Mozart zudem unterm 19. Juli 1783 der Schwester schrieb, er hoffe, ihr persönlich zum Namenstag gratulieren zu können"), hat man das Gedicht stets mit dem letztgenannten, vom Zeitpunkt seiner Entstehung weiter entfernt liegenden Festtag (26. Juli) in Verbindung gebracht. Die Richtigkeit von Berchtolds Angabe, die sicher auf persönlicher Mitteilung seiner Mutter beruht und auf die schon der Verfasser einer unlängst erschienenen Biographie Maria Anna Mozarts aufmerksam gemacht wurde1*), steht zweifellos außer Frage; auch der Titel des Gedichtes sowie sein von Geschenken handelnder Inhalt lassen viel eher auf ein Geburts-, denn ein Namensfest schließen. Endlich läßt sich zudem noch feststellen, daß Mozart offenbar geradezu peinlich darauf bedacht war, der Schwester seine Glück- wünsche zum Namenstag stets rechtzeitig vor dem Feste auszusprechen. Briefe aus Paris (20. Juli 1778) und Wien (25. Juli 1781, 24. Juli 1782, 21. Juli 1784)") bezeugen dies. Lediglich einmal gratuliert er im nachhinein (Wien, 2. August 1788) und kann da nicht genug Worte zur Entschuldigung seines Versäumens finden"). Das Autograph selbst hatte Berchtold im Nachlaß seiner Mutter vorgefunden. Die hochbetagte Frau hat das Blatt als persönliches Andenken an ihren früh verstorbenen Bruder offenbar besonders geschätzt und deshalb bis zu ihrem Tod bei sich behalten. Die Korrespondenz zwischen Mozart und Vater Leopold hatte sie ja, wie man einem Brief Konstanzes an den damals bereits verstorbenen[!] Sänger und Komponisten Benedikt Schack (1758-1825) vom 16. Februar 1826 entnehmen kann, bereits einige Jahre zuvor deren zweiten Gemahl, Georg Nikolaus von Nissen (1765-1826) übergeben"). Am 19. Februar 1830 hat endlich Konstanze die Echtheit der Handschrift bestätigt. Dies ist zugleich die letzte Nachricht, die man von der- Existenz des Blattes besitzt. Uber seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt.

') Vgl. E. Schenk, Ein unbekannter Brief Leopold Mozarts, Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akad. d. Wissenschaften Bd 225, Abh. 1 (Wien 1947) S. 3, 14 ff. ') A. Schurig, Wolfgang Amade Mozart, Bd 2 (Leipzig 1923) S. 127. 3) W. A. Mozarts gesammelte Poesien, hrsg. v. R. Batka (Prag 1906) S. 19. *) L. Schiedermair, Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie (München 1914) Bd 2, S. 234 f. — Ε. H. Müller von Asow, Briefe Wolfgang Amadeus Mozarts (Berlin 1942) T. 2, S. 212. 5) L. Schiedermair, a. a. O., Bd 1, S. 145 f. — Ε. H. Müller von Asow, a. a. O., T. 1, S. 348. ·) H. Abert, W. A. Mozart, T. 1 (Leipzig 1919) S. 490. ή L. Schiedermair, a. a. O., Bd 2, S. 96. — Ε. H. Müller von Asow, a. a. O., T. 2, S. 108. ") O. Jahn, W. A. Mozart, 3. Aufl., bea*, ν. Η. Deiters, Th. 2 (Leipzig 1891) S. 709 f.

47 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

·) Über ihn vgl. F. Hummel, Nannerl (Wien 1952) S. 95 ff. 10) Der Abdruck erfolgt getreu nach der in Kurrent geschriebenen Vorlage. Latein- schrift wird durch Kursivsat? angezeigt. ") L. Schiedermair, a. a. O., Bd 2, S. 234. — Ε. H. Müller von Asow, a. a. O., T. 2, S. 212. ") F. Hummel, Nannerl (Wien 1952) S. 62. ,s) L. Schiedermair, a. a. O., Bd 1, S. 219 f.; Bd 2, S. 100, 259. — Ε. H. Müller von Asow, a. a. O., T. 1, S. 498; T. 2, S. 111, 169, 234. ") L. Schiedermair, a. a. O., Bd 2, S. 288. — Ε. H. Müller von Asow, a. a. O.. T. 2, S. 251. 15) Vollständig veröffentlicht bei [K. F. E.] v. Schafhäutl, Wolfgang Amadeus Mozart. Wie hat er eigentlich ausgesehen?, Neue Musikzeitung Jg 9 (Stuttgart 1888) S. 242. Fehlt bei A. Schurig, Konstanze Mozart. Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente (Dresden 1922).

Hans S i 11 η e r

ZUR SOZIALEN LAGE DES BERUFSMUSIKERS

Der Präsident der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst nimmt hier zu aktuellen Problemen Stellung, von denen nicht zuletzt die künftige Entwicklung unserer Musikkultur abhängt.

In einem lesenswerten Aufsatz (Zeitschrift „Erziehung" VI/6/53) hat kürz- lich Thornton Wilder die Jugend unserer Tage als „schweigsame Generation" jener des — wie er es nennt — „Jazz-Age" (der Zeit um den ersten Weltkrieg) und der „verlorenen Generation" (der Zwanziger- und Dreißiger-Jahre) gegen- übergestellt. Mit den vom „Jazz-Age" revolutionär erkämpften neuen Freiheiten habe die „verlorene Generation" nichts anzufangen gewußt, die „schweigsame Generation" aber, der man am meisten ihre Teilnahmslosigkeit vorwerfen müsse, sei „vorsichtig, abgeneigt, Stellungen oder Verantwortungen zu über- nehmen, für die sie sich nicht feieignet und hinreichend vorbereitet fühle", sie habe „wenig Ehrgeiz" und strebe nur nach „guten, gesicherten Posten". Wenn sich Musikerzieher fragen, was für diese Generation im Berufsfeld der Musik getan werden kann, ist damit zugleich ihre hohe Verantwortung berührt. Darum mag es angezeigt sein, einen Blick auf die „Sozialerwartung" (in Ana- logie zum Begriff der „Lebenserwartung") des jungen Berufsmusikers zu werfen. Die soziale Situation des professionellen Musikers von heute resultiert aus folgenden Komponenten:

1. aus der geschichtlichen Entwicklung des Musikerstandes, 2. aus seiner gegenwärtigen gesellschaftlichen Eingliederung, 3. aus dem speziellen Arbeitsmarkt, 4. aus den künstlerischen Voraussetzungen und 5. aus den wirtschaftlichen Voraussetzungen der Gegenwart.

48 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Die erste Komponente darf als bekannt angenommen werden. Für ihre Be- deutung sei nur ein Beleg für viele angeführt, der Orchestermusiker, der noch um 1800 regulär als //¿//smusiker für Laienorchestervereinigungen herangezogen •wurde (welche Übung überdies auch heute noch nicht ganz ausgestorben ist). Die voneinander sehr abweichenden Entwicklungstendenzen je nach Fachge- bieten (Sänger, Instrumentalsolisten, Blechbläser usw.), aber auch nach Land- schaften und Regimen machen es noch heute schwer, alle Berufsmusiker standes- mäßig unter einen Hut zu bringen.Weder genießen sie das gleiche gesellschaftliche Ansehen, noch sind ihre Arbeitsbedingungen und Arbeitsleistungen in einem einigermaßen befriedigenden System miteinander zu vergleichen, alles nicht zuletzt Folgen der sehr uneinheitlichen und unkonstanten historischen Entwick- lung dieses Standeskomplexes. Davon wissen Gewerkschaften und Kammern ihr Lied zu singen. Stößt mithin schon die Erfassung der Berufsmusiker als eines Berufsstandes auf bedeutende Schwierigkeiten, so sind diese hinsichtlich der zweiten Kompo- nente, also der organischen Eingliederung der Berufsmusiker in die gegenwärtige Gesellschaftsordnung, nicht geringer. Auch wenn wir von der jeweilig mehr pri- vatkapitalistisch oder staatssozialistisch ausgerichteten Lebensform der ein- zelnen Nationen absehen, verlangen schon Differentialdiagnosen wie: Arbeit- nehmer oder Arbeitgeber? Lohnempfänger oder selbständiger Einkommensträger? öffentlicher oder privat Bediensteter? Im Haupt- oder Nebenerwerb musika- lisch Tätiger? —Sonderfeststellungen in jedem Einzelfall, wozu noch manchmal die Schwierigkeiten einwandfreier nationaler Zuordnung kommen. Beispielsweise hat Ernst H. "Meyer in seinem Buch „Musik im Zeitgeschehen" — von einer be- stimmten Weltanschauung ausgehend — eine derartige Diagnose für den Kom- ponisten gestellt, dessen gemeiniglich angenommene „Klassenferne" er rundweg als Fiktion bezeichnet, mit der Konsequenz, daß er ihn zwischen die herrschende, bürgerliche und die Arbeiterklasse in die „kleinbürgerliche Mittelschicht" einreiht und als „soziales Zwittergebilde aus Kleinunternehmer und Arbeiter", ähnlich dem Handwerker, sieht. Man denkt dabei sogleich auch an die Schwierigkeiten der Eingliederung etwa eines Ensemble-Leiters, der, seinerseits vom Manager engagiert, wiederum seine Musiker engagiert, um nur ein Beispiel zu nennen. Die seinerzeitigen Verhandlungen über die österreichische Kapellmeister-Union und den Musikerring haben einschlägige Probleme zum Überfluß geoffenbart. So dürfte kaum ein sozialer Erwerbstyp vom Almosenempfänger bis zum Groß- unternehmer (Jazzkönig!) unter den Berufsmusikern nicht vertreten sein. In Osterreich besteht zudem eine bedeutende Schwierigkeit auf dem Gebiet des staatlichen Berufsschutzes insoferne, als wohl für den Musikpraktiker gewisse einschränkende Vorschriften gelten, aber das gesamte Gebiet des privaten Musik- unterrichtes staatsgrundgesetzlich völlig einschränkungsfrei und jeglichem un- kontrollierbaren Pfuschertum ausgeliefert ist. Wir sehen uns hier in einem Cir-

49 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT cuius vitiosus befangen! Das Fehlen von Schutzbestimmungen hindert die Er- fassung des Standeskreises; seine Uferlosigkeit erschwert das Erlassen von Schutzbestimmungen. Das Opfer sind wie immer die qualifizierten Fachkräfte. Was die dritte Komponente, den speziellen Arbeitsmarkt, betrifft, so mögen den augenblicklichen Stand am Beispiel Österreichs einige Daten beleuchten: bei einer Bevölkerungszahl von nicht ganz sechs Millionen sind unter etwa 20.000 ausübenden Musikern die Hälfte, also 10.000, hauptberuflich tätig. Etwas über 7.000 Musiker sind gewerkschaftlich organisiert. Einschließlich der Musiklehrer stehen etwa gleichviele in ständigem Erwerb, davon etwa 1.000 als ganzjährig beschäftigte Orchestermusiker. 3.000 bis 4.000 sind auf Gelegenheitsbeschäfti- gungen angewiesen. Auch unter den von der Bühnengewerkschaft erfaßten Mit- gliedern stehen nur etwa ein Drittel in ständigem Engagement. Der Anteil der Musiker an den vom Bundesministerium für Unterricht seit 1950 aus Mitteln des Ravagschillings, also einer Art Rundfunksteuer, unterstützten schwer notleiden- den Künstlern beträgt alljährlich rund 50°/o, und zwar müssen dreimal soviel In- strumentalmusiker unterstützt werden als Sänger bzw. Komponisten. Was aber besonders bedenklich stimmt, ist, daß drei Viertel der Unterstützungsempfänger noch nicht sechzig Jahre alt sind und daß unter diesen 20°/o erst im Alter zwi- schen vierzig und fünfzig Jahren stehen. Trotzdem möchte ich aus den Erfahrungen der Wiener Musikakademie (die allerdings keine ausschließliche Berufsschule ist) bei der Überleitung ihrer Absol- venten in den Musikerberuf in den letzten Jahren nicht zu pessimistisch sein. Von den Sängern und Streichern konnten mehr als die Hälfte, von den Bläsern drei Viertel sofort von der Schule weg bezahlte Stellen antreten. Ganz aussichtslos sieht nur der Pianistenberuf aus. Die Forderungen, die sich aus solchen Ziffern ergeben, sind: strenge Begabungsprüfung, Umlenkung auf Mangelfächer, wie es ziemlich allgemein Schlagwerk, Kontrabaß, Viola, Oboe, Fagott, eventuell noch Horn und Flöte sind, und fortwährende strengste Selektion. Gegenwärtig sind — insbesondere auch im Hinblick auf ausländische Stellenangebote — die Aus- sichten für hochqualifizierte Orchesternachwuchsmusiker nicht ungünstig, für gute Tenore sogar ausgezeichnet- Nun zur vierten Komponente, zu den musikalischen Voraussetzungen! Hans Engel hat im XVII. Jahrgang der Zeitschrift für Musikwissenschaft den Stufenbau unseres Musiklebens wie folgt skizziert: Auf der untersten Stufe steht die Volksmusik. Ihr Kulturgut ist, wenn vom gregorianischen und protestantischen Choral abgesehen wird, kaum zweihundert Jahre alt. Ihre Ausführenden sind in erster Linie Laienmusiker. Dann folgt die Unterhaltungsmusik, auch populäre Musik genannt, deren Musiziergut Engel mit 1800—1900 datiert, wobei allerdings der in dieser Sparte allgemein einen großen Raum einnehmende Jazz (im weiteren Sinn) nicht berücksichtigt erscheint. Da Engel überdies für heute den Bestand einer echten Volksmusik weitgehend

50 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT negiert, an deren Stelle Abfälle und abgesunkene Kunstmusik getreten seien, vergrößert sich die zweite Stufe auch noch um diese. Sic stellt also das weitaus größte Reservoir für Berufsmusiker dar, wozu kommt, daß ihre handwerklichen Voraussetzungen zumeist erheblich geringere sind als bei der nächstfolgenden Stufe. Andrerseits hat die Installierung mechanischer und elektrischer Wieder- gabegeräte gerade in diesem Bereiche katastrophale Breschen in die Arbeitsmög- lichkeiten gerissen. Auf der dritten Stufe in Engels Pyramide stehen Oper, höhere Chormusik und populäre Symphoniekonzerte. In der Chormusik überwiegen eher die Laienmusiker, Oper und Symphoniekonzerte aber sind fast ausschließlich Domäne des Berufsmusikertums. Auf der vierten Stufe steht das Konzertleben mit bevorzugter Literatur von 1720—1920 und der sogenannten „Großen Welt" auf den teuren, den musikliebenden Kreisen auf den billigen Plätzen, ebenfalls Domäne des Berufsmusikers, auf der fünften der immer schmäler werdenden Stufen die „Alte Musik" für Kenner und Liebhaber, auf der sechsten die soge- nannte „Moderne Musik" für ein kleines, aber interessiertes Publikum, beides Be- tätigungsgebiete vor allem der Berufsmusiker. Was aus dieser Pyramide für unsere Erkenntnis bemerkenswert erscheint, ist eben ihre Pyramidenform, und was wir anstreben müßten, daher, diese der Quaderform zu nähern, mit anderen Worten, die Wirkungsbreite alter und zeitge- nössischer Musik zu vergrößern, aber auch für Konzert und Oper weitere Kreise zu gewinnen als bisher. Besucherorganisationen, Theater der Jugend, Jeunesses musicales etc., Volksbildungsunternehmungen und nicht zuletzt der Rundfunk haben ja hier schon viel Erfreuliches geleistet, vieles bleibt aber noch zu tun. Wir kommen zur fünften Komponente, den wirtschaftlichen Voraussetzun- gen, oder deutlicher: dem allgemeinen Wohlstand. In der Allgemeinen Musikzeit- schrift von 1807 steht der Satz: „Sinkender Wohlstand, sinkende Kunst", und wie man damals über das Zurückgehen des Musikstudiums zugunsten des Franzö- sischlernens klagte, so tut man dasselbe heute mit Ausfällen gegen den Sport. Ohne hier ins Bereich wirtschaftlicher Probleme zu weit vorstoßen zu wollen, scheint mir dennoch, daß man ihnen, zumindest in Europa, noch nicht genügend Beach- tung bei der Beurteilung der Berufsmöglichkeiten für Musiker geschenkt hat- Es scheint, daß die vorwiegend idealisierende und zweckfremde, romantische Pflege der Musik auf einige Zeit hinaus vorbei sein dürfte und daß wir nicht nur hör- bar nüchterner musizieren, sondern auch nüchterner kalkulieren sollten. Dazu gehört aber vor allem, daß wir alle vorhandenen Möglichkeiten, Musik zu machen und Berufsmusiker einzustellen, erschöpfen, mehr noch, daß wir neue erfinden. Schon hat man in Nordamerika mit Erfolg mit der Betreu- ung von Kranken in Spitälern und Nervensanatorien durch ausgebildete und bezahlte Musiker begonnen, ein Beispiel für die Erschließung völlig neuer Arbeits- möglichkeiten. Bei uns wäre zunächst zu denken an einen großzügigeren Ausbau der Volksmusikschulen, an denen viele Berufsmusiker Erwerbsmöglichkeiten

51 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT finden könnten und die zugleich ein breiteres und besser vorgebildetes Massen- publikum heranzubilden berufen wären, ferner an die Reorganisation der so zahlreichen, aber leider nur zu oft ungenügend geschulten Landmusikkapellen, schließlich an die Entsendung ausgebildeter Kirchenmusiker besonders in die Dekanatskirchen, und an die Sicherstellung staats- und landeseigener Or- chester, wo es solche noch nicht gibt. International gesehen gibt es noch Riesen- gebiete in der Welt ohne Orchester oder — wie ζ. B. in Nord- und Südamerika — ohne Opernbetrieb. Hier liegen ebenso Investitionsmöglichkeiten wie organisa- satorische und künstlerische Aufgaben brach, an die zweifellos bald herange- gangen werden muß. Alle diese Dinge aber schaffen Arbeitsmöglichkeiten für den musikalischen Berufsnachwuchs. Wie es in der Wirtschaft durchaus falsch ist, sich von einer generellen Produktionsbeschränkung Gesundung zu erhoffen, sondern Produktionslenkung im Rahmen eines vernünftigen Wettbewerbes auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber Hebung der Verbrauchskapazität das einzig richtige ist, so wäre es falsch, zum Berufsmusikertum einwandfrei ge- eignete junge Menschen gewaltsam in andere Berufe drängen zu wollen; fachliche Beratung gemäß der Nachfrage einerseits, Hebung des Musikinteresses, Vermeh- rung der Musikliebhaber, Schaffung von Musiziergelegenheiten, all dies aber unter tätigem Interesse aller kulturpflichtigen Regierungen andererseits sind das Gebot der Zukunft. Zu warnen ist vor der vor kurzem auch in Wiener Fachkreisen erhobenen Forderung einer obligatorischen zusätzlichen Ausbildung aller Musiker in einem »ic^tmusikalischen Beruf und vor der Aufnahme nicht fertig ausgebildeter Musiker in die Praxis.

Haben die Sorgen um den künstlerischen Nachwuchs, die angesichts der Haltung der eingangs geschilderten „schweigsamen Generation" heute besonders schwer auf uns lasten, aber nicht schon immer bestanden? (Wobei von zeitlich und regionär begrenzten, meist ungesunden Verhältnissen entsprungenen besonde- ren Konjunkturwellen abgesehen werden soll.) Sicherlich, denn sie wurzeln letzten Endes auch im Begabungsproblem, das jedoch gesonderter Betrachtung bedarf, wenn wir uns nicht mit Goethes Xenie begnügen wollen:

„Hätte Gott mich anders gewollt, So hätte er mich anders gebaut; Da er mir aber Talent gezollt, Hat er mir viel vertraut.

Ich brauch es zur Rechten und Linken, Weiß nicht, was daraus kommt; Wenn's nicht mehr frommt, Wird er schon winken."

52 AUS DER ZEIT

Egon Seefeh In er

AMERIKANISCHE MUSIKPFLEGE AUF BREITER BASIS

Der Aufbau des amerikanischen Musiklebens ist von dem europäischen, zumal von dem unsrigen, völlig verschieden. Private Konzerrveranstalter, die Orchestervereinigun- gen selbst und im besonderen Maße die Universitäten bestimmen den Geist und die äußere Form des musikalischen Geschchens in den Vereinigten Staaten. Alle genannten Organisa- tionen üben ihre Tätigkeit über Initiative von Privatpersonen aus und werden auch ausschließlich von privater Seite finanziert. Darauf ist es zurückzuführen, daß oft in kleineren Industriestädten, wo man kaum irgend eine künstlerische Betätigung er- wartet, Zentren des musikalischen Lebens entstanden sind, die überall in Amerika ge- rühmt werden. So entwickelte sich in Cleveland binnen wenigen Jahren unter der Leitung des Wieners ein hervorragendes Orchester und Hand in Hand damit ein blühendes Konzertleben. Die Initiative hiezu ging von einigen wohlhabenden Clevelander Bürgern aus, die sich obendrein bewußt waren, daß eine wirklich dauernde Leistung nur dann erreicht werden kann, wenn die private Finanzierung nicht nur fallweise, sondern auf Dauer erfolgt. Cleveland ist nur ein Beispiel für eine ganze Anzahl ähnlicher Fälle, die insgesamt zu der ständigen Aufwärtsentwicklung des ameri- kanischen Musiklebens führen. Wir sind in der Regel der Meinung, daß das amerikanische Musikleben wesentlich von kommerziellen Gesichtspunkten geleitet wird. Das stimmt indessen in dieser Ver- allgemeinerung nicht. Die Konzertveranstalter sind wohl in den großen Städten wie New York, Chikago und Los Angeles sehr häufig Konzertmanager, die von den Kon- zerten leben und darum nach kommerziellen Grundsätzen vorgehen müssen. Für sie kommen daher nur wirkliche Attraktionen in Frage und nur publikumswirksame Pro- gramme ohne Rücksicht auf die geistige Linie. Das Konzertleben wird aber mindestens -ebenso stark beeinflußt von Mäzenen, die Orchester finanzieren und die dafür sorgen, daß gute Künstler mit gut abgewogenen Programmen in der eigenen Heimatstadt kon- zertieren. Der Einfluß dieser Personen, die auch sehr oft als Gründer von Universi- täten, Colleges, Bibliotheken und Museen auftreten, wird im Musikleben immer stärker fühlbar, da auch das Publikum immer mehr nach wirklich guter Musik verlangt und dafür dankbar ist, daß auch Musik geboten wird, die mehr dem Geist als dem Ver- gnügen dient. Diese Entwicklung vom Kommerz zur Vergeistigung spielt sich hauptsächlich in den Universitäten, Colleges, Museen und Bibliotheken der Vereinigten Staaten ab. Es gibt in Amerika eine große Anzahl hervorragend geleiteter, moderner Universitäten, die sich alle die Pflege der Künste angedeihen lassen. Jede Universität verfügt über eine Musikabteilung, die sehr häufig unter der Leitung eines allgemein anerkannten Musikers steht. So war an der Yale-Universität bis vor kurzem Paul Hindemith Leiter der Musik- abteilung, in Harvard führt Walter Piston die Musiksektion, an der Universität von Chicago ist Alexander Tscherepnin tätig, am Mill's College Darius Milhaud, und an der Howard-Universität in Washington leitet der berühmte Gründer und Dirigent des dor- tigen Chores Walter Lawson die Musikabteilung. Diese Musikabteilungen werden mei- stens nach den gleichen Grundsätzen geführt. Die Studenten erhalten eine gründliche Ausbildung in Theorie, werden aber gleichzeitig je nach ihren Wünschen mit den prakti- schen Problemen des Musikers bekanntgemacht. Die Universitäten verfügen also in den meisten Fällen über eine eigene Musikakademie in unserem Sinn, die mit den theoretischen Fächern der Musik an unseren Universitäten gekoppelt ist. Die Studenten müssen aber gleichzeitig auch eine Reihe von Unterrichtsfächern besuchen, die mit der Musik so gut wie nichts zu tun haben, die aber für die Allgemeinbildung des werdenden Musikers not- wendig erscheinen. Die meisten Universitäten haben hervorragend geschulte Chöre und Studenten- orchester. Es kommt immer wieder vor, daß in den Orchestern die Professoren mitspielen und auf diese Weise die Qualität des Orchesters bedeutend beeinflussen. Jede Universität verfügt über ihr eigenes Konzertbureau und veranstaltet regelmäßig Konzerte, die sich,

53 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT wie ich schon angedeutet habe, durch besonderes Niveau auszeichnen. An vielen Univer- sitäten wird neben der klassischen und romantischen Musik besonders die Barockmusik und die moderne Musik gepflegt. Meistens haben die Universitäten eigene Institute zur Pflege dieser speziellen Musikarten. Besonders wichtig scheint mir, daß Musik an den allgemeinen Universitäten gelehrt wird und daß die Musik aus diesem Grunde nicht nur für einen kleinen Kreis von Spezialisten bestimmt ist, sondern schon allein durch den Einbau dieses Faches in die allgemeine Universitäten zu einem Gegenstand von allgemeiner Bedeutung erklärt wird. Es scheint mir auch von einer gewissen Bedeutung, daß die Musik- studenten nicht wie bei uns weitgehend getrennt von den übrigen Studenten leben, sondern zusammen in einer Gemeinschaft mit allen übrigen Studierenden. Sie haben deshalb die Möglichkeit, für die Musik unter den Kollegen propagandistisch zu wirken und das Ver- ständnis in ständigem Kontakt auch bei solchen Menschen anzuregen, die sonst wahrschein- lich von Musik nichts erfahren würden. So ergibt sich die Tatsache, daß gerade in cien Städten, in denen sich Universitäten befinden, das Musikleben in geradezu unwahrschein- licher Weise aufblüht, und Orte, die noch vor 10, 15 Jahren außer einigen, von Managern durchgeführten Sensationskonzerten überhaupt kein Musikleben hatten, heute fast täglich Konzerte erster Qualität veranstalten. Die Universitäten sind es auch, die den verschiedenen Kirchen die technischen Grund- lagen für ihre Musik zur Verfügung stellen und hier in besonderer Weise dazu beitragen, daß auf einem weiteren Sektor des allgemeinen Lebens Musik in wirklicher Vollendung betrieben wird. In Amerika gibt es bekanntlich eine außerordentlich große Anzahl von verschiedenartigen religiösen Gemeinschaften. Der evangelische Glaube und die katholische Kirche stehen mit den Baptisten und den Anhängern der Christlichen Wissenschaft an der Spitze. Sie alle verfügen über ausgezeichnete, gepflegte Musiziergemeinschaften, die von den Gläubigen mit großen Subventionen unterstützt und aufgebaut werden. Ein gesunder Wettbewerb, der so zwischen den einzelnen Pfarren der gleichen Glaubensgemeinschaft, darüber hinaus aber auch zwischen den verschiedenen Gemeinschaften geübt wird, scheine mit die Ursache für das hohe Niveau der Kirchenmusik. Sehr verschieden von unserer Kirchenmusik sind die Gesänge, die zur Begleitung des Gottesdienstes dienen. Hier kann man sehr oft höchst weltliche europäische Lieder, die dann in Amerika einen frommen Text unterlegt bekommen haben, hören. Zwischen den einzelnen Teilen der Gottesdienste werden auch häufig symphonische Stücke eingelegt. So entsteht meistens bei den Gottes- diensten der Eindruck einer Morgenfeier, die je nach Geschmack und Idee des Geistlichen differiert. Die Universitäten sind sehr bemüht, hier vorbildliche Verhältnisse zu schaffen und je nach Glaubensbekenntnis auch in musikalischer Hinsicht den Traditionen der ein- zelnen Kirchen zu entsprechen. .Dies ist umso selbstverständlicher, als ja die meisten Universitäten von den einzelnen Kirchen gegründet und geführt werden. Sehr bezeichnend ist, daß z. B. gerade die zahlreichen Jesuitenuniversitäten ihre Aufgabe nicht nur in der Tradition sehen und diese wahren, sondern daß sie aus den großen Traditionen de katholischen Kirchenmusik eine starke, bewußt neuartige, aber doch im Historischen verankerte Kirchenmusik entwickeln. Gerade die Jesuitenuniversitäten gelten in den Vereinigten Staaten als besonders modern, und schon der rein äußere Eindruck ihrer meist erst vor kurzem errichteten Universitäten beweist den modernen Charakter dieser Institute. Eine besondere Rolle im Musikleben der Vereinigten Staaten spielen die zahlreichen Bibliotheken, die über ungeheure Schätze verfügen. Die meisten Bibliotheken halten nicht nur eine komplette Sammlung der zeitgenössischen Literatur den Lesern zur Verfügung, sondern besitzen auch unschätzbare Werke der Vergangenheit. Die Archive und Manuskriptensammlungen z. B. der Library of Congress in Washington oder der Pierpont Morgan Bibliothek wie der Public Library in New York gehören zu den reichsten, die es überhaupt gibt. Die Library of Congress hat eine Sammlung von Partituren und Erstaus- gaben, der nur die Wiener und die Pariser Nationalbibliothek gleichkommen. So besitzt die genannte Bibliothek die autographen Partituren von Brahms-Symphonien und Auto- graphe wichtiger Werke fast sämtlicher großer europäischer Komponisten. Von bedeutendem Interesse dürfte es noch sein, daß nahezu sämtliche Werke Schönbergs in dieser Bibliothek im Manuskript aufbewahrt werden. Die Musikabteilungen der großen amerikanischen Bibliotheken begnügen sich aber nicht nur damit, Manuskripte und Musikalien zu sammeln, sondern leisten auch sehr bedeutende musikerzieherische Arbeit, indem sie dafür Sorge tragen, daß z. B. Ausstellungen von bestimmten Musikaliengruppen durchgeführt werden, die mit Konzerten verbunden sind. So hat die Library of Congress gerade in der letzten Zeit aus ihren Sammlungsbeständen eine umfassende Flötenausstellung durchgeführt, in der unter anderen eine Flöte Friedrichs des Großen zu sehen war. In

54 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT dieser Ausstellung, die natürlich auch Literatur über die Flöte zum Gegenstand hatte, gab es auch immer wieder sehr hochstehende Flötenkonzerte. Die Library of Congress steht überhaupt mit ihrer Musikpflege in erster Reihe, indem sie nicht nur wöchentlich Konzerte, ζ. B. des mit der Library of Congress vertraglich verbundenen Budapester Quartetts, durchführt, sondern auch alljährlich Musikfeste mit vornehmlich modernem Programm veranstaltet. Neben den außerordentlich zahlreichen Bibliotheken, die entweder mit Universitäten verbunden sind oder auf Grund privater Initiative ihre Tätigkeit ausüben, gibt es eine besondere Bibliothek, die in der ganzen Welt einzig dasteht. Es handelt sich um die sogenannte S. Fleischer-Bibliothek, die in Philadelphia ihren Sitz hat und die von Samuel Fleischer gegründet wurde. Diese Bibliothek besitzt eine fast vollständige Sammlung von Orchestermaterialen aus allen Zeiten und aus aller Welt. Da aber im Augenblick die finanzielle Basis für diese Bibliothek nicht geklärt ist, fehlen die modernen Werke der letzten Jahre. Es sind Bemühungen im Gange, diese außerordentlich wertvolle Bibliothek, die ihr Material an die verschiedenen Orchestervereinigungen unentgeltlich verleiht, der Bibliothek von Philadelphia einzugliedern und so das bedeutsame Werk Samuel Fleischers fortzusetzen, insbesondere den berühmten Fleischer-Katalog, der für jeden Konzertveran- stalter unentbehrlich ist, neu herauszubringen. Ein Bericht über die maßgeblichen' Pfeiler des Musiklebens in Amerika wäre unvoll- ständig, wenn man nicht auf die großen Orchestervereinigungen eingehen würde. Wie schon erwähnt, üben die Orchestervereinigungen ihre Tätigkeit ausschließlich mit privaten Mitteln aus und bezeugen weithin am sichtbarsten, wie sehr die Intensität des amerika- nischen Musiklebens zugenommen hat. Es gibt heute fast keine Stadt mehr, die nicht über ein großes symphonisches Orchester verfügt. Diese Orchester stehen fast ausnahmslos unter der Leitung eines ständigen Dirigenten. Die meisten Orchestermusiker und Dirigenten kommen dabei aus Europa. Die Qualität der Orchester ist durchwegs sehr gut. Viele Orchester können den Vergleich mit den besten europäischen Orchestern aushalten. An der Spitze des amerikanischen Musiklebens stehen die Orchester von Philadelphia, Boston, New York, Minneapolis und Cleveland. In New York gibt es neben den New Yorker Philharmonikern das ganz hervorragende Orchester der NBC. Ormandy leitet das Phila- delphia-Orchester, Mitropoulos die New Yorker Philharmoniker, George Szell ist in Cleveland, Charles Munch in Boston (ab kommender Saison übernimmt dieses Orchester), Antal Dorati in Minneapolis tätig und Arturo Toscanini steht mit an der Spitze des NBC-Orchesters. Die Qualität aller dieser Orchester wird durch die Beschäftigung ständiger Dirigenten erreicht. So ist z. B. Ormandy seit 17 Jahren ausschließlicher Dirigent des Philadelphia-Orchesters. Die Programme, die von den ständigen Dirigenten zusammengestellt werden, enthalten im allgemeinen dieselben Werke wie bei uns. Einige Dirigenten aber haben es sich zum Grundsatz gemacht, kein Programm ohne ein modernes Werk zu dirigieren. Besonders Mitropoulos und George Szell führen außerordentlich viel moderne Musik auf. Das Orchester von Washington, das unter Leitung von Howard Mitchell steht, setzt seinen Ehrgeiz daran, in jedes Programm ein amerika- nisches Werk einzubauen. Die Konzerte werden in den meisten Fällen 1- bis 2mal wieder- holt und sind gewöhnlich schon im Abonnement ausverkauft. Universitäten, Bibliotheken und Orchestervereinigungen sind also die Organisationen, die das amerikanische Musikleben bestimmen. Hinzu kommt noch eine sehr beachtenswerte musikalische Tätigkeit der meisten amerikanischen Museen, die sich besonders auf das Gebiet der Kammermusik spezialisiert haben. Die Oper, die doch in unserem Musikleben eine so große Rolle spielt, ist im amerikanischen Musikleben ohne wesentliche Bedeutung. Es würde einen eigenen Aufsatz erfordern, über den merkwürdigen Mangel dieser Kunst- form in Amerika zu berichten. Selbstverständlich gibt es die Metropolitan-Opera und die Ciry Center-Opera in New York und darüber hinaus, in allem aber ist der Anfeil der Oper in Amerika nur ein Bruchteil des gesamten Musiklebens, das fast ausschließlich durch das Konzert repräsentiert wird. »

„In mir lebt die liebgewordene Meinung, daß es kein bloßes sehnsuchtserfülltes Ver- muten verkörpert, sondern gute Begründung in sich trägt, daß wir mit bedeutenden Komponisten rechnen dürfen. Der große, jun-gamerikanische Komponist wird sich aus einer langen Reihe Halbgenies entwickeln, von denen jeder in seiner Art und mit seinen eigenen Qualitäten den Weg für unsere reife Kunst bereiten wird." AARON CORLAN D

55 VOR EINER NEUEN STAATSOPERN-AERA

An Stelle eines Briefes

Die Bundestheaterverwaltung teilt mit: „Die von der Öffentlichkeit mit großem Interesse diskutierte Frage der Neubesetzung der Opern- direktion, die durch die für den Herbst 1955 bevorstehende Eröffnung der Staatsoper auf dem Ring aktuell geworden ist, wurde im Sinne der vom Unterrichtiminister eingeleiteten grundsätzlichen Neuordnung der Ver- waltung und Leitung der Bundestheater jetzt der Lösung zugeführt. Nach eingehenden Besprechungen wurde am 31. Jänner 1954 zwi- schen Dr. Karl Böhm und der Bundestheaterverwaltung ein Vertrag ab- geschlossen: Dr. Böhm wird mit 1. September 1954 auf die Dauer von fünf Jahren zum künstlerischen Leiter der Wiener Staatsoper berufen. Opemdirektor Dr. Böhm, dem die Direktoren Professor Salmhofer und Dr. Juch bei der Leitung des Theaters an der Wien und der Volksoper weiterhin zur Seite stehen, wurde zur Lösung der ihn erwartenden ver- antwortungsvollen Aufgaben im neuen Haus mit ausreichenden Vollmachten in allen künstlerischen Belangen ausgestattet

Sehr verehrter Herr Dr. Böhm!

Zu allererst sei gratuliert. Nicht zur Berufung, nicht zu den schweren Entscheidun- gen, die Sie werden fällen müssen, sondern zum persönlichen Entschluß, das künstlerische Schicksal unserer Staatsoper in Ihre Hände zu nehmen. Erinnern Sie sich noch an ein Salzburger Gespräch im letzten Festspielsommer, da Sie meinten, es nicht verant- worten zu können, angesichts der ihrer vielerorts harrenden Dirigentenaufgaben sieben Monate des Jahres einem schwierigen Aufbau der großen Staatsoper in Wien widmen zu können? Damals haben wir — offen sei es gestanden — ein wenig an Ihnen ge- zweifelt; wo gibt es noch (so gings durch den Kopf) Persönlichkeiten, die es unter- nehmen, Mut, Entschlußkraft, reiche Erfahrung und alles erworbene Können in den Dienst einer gewiß nicht dankbaren, aber großen, die Lebenskraft voll in Anspruch nehmenden Aufgabe zu stellen, obwohl sie in der weiten Welt als Künstler begehrt und (auch das verdient Erwähnung) hoch honoriert sind?! Heute darf festgestellt werden: Sie haben die Staatsoperndirektion sicherlich nicht deshalb übernommen, um sich in Wien zur Ruhe zu setzen und hier einen Musikpapst mehr zu spielen, nicht deshalb, um im Hinblick auf weitere „Karriere" die Wiener Staatsoper als Renommé-Mittel zu verwenden, sondern aus dem einzigen Grund, weil Sie erkannt haben, daß der Wiener Staatsoperndirektor in allererster Linie das Musikleben dieser ruhmreichen Stadt vor Provinzialisierung und Snobismus, vor Rückfall ins vergangene Gestern und vor „Anti- zipierung" kommender Entwicklung retten kann. So sei Ihnen und uns gratuliert. Uns deshalb, weil wir von Ihnen auf Grund Ihrer und unserer Erfahrung ein klares Konzept und eine folgerichtige Durchführung Ihrer Pläne erwarten. Es nahm besonders für Sie ein, daß Sie, hochverehrter Herr Doktor, die Öffent- lichkeit nicht mit einer spontanen „Regierungserklärung" bedachten. Dazu ließ Ihnen, Herr Staatsoperndirektor, der Dirigent Karl Böhm wenig Zeit. Der Dirigent, der an diesem Sonntag des 31. Jänner vormittags an der Spitze der Wiener Philharmoniker für Mozart — Reger und Richard Strauss wirkte, der am Montag nach Berlin abflog, um weiteren prominenten Dirigierverpflichtungen zu genügen. Andrerseits ist es wohl be- greiflich, daß wir — entrückt der Tagespublizistik — im Sinne unserer Leser, denen das Musikleben einen gewichtigen Teil ihres eigenen Lebens bedeutet, einige Fragen zu stellen uns verpflichtet fühlen. 56 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Die künstlerische Arbeit wird ab 1. September 1954 in drei Häusern — die Proben- tätigkeit in der Oper am Ring, die Aufführungen im Theater an derWien und in der Volksoper — vor sich gehen; wird es sich bei den Premieren und Neustudierungen bereits um Werke handeln, die eine Saison später ins Repertoire des großen Hauses übernommen werden? Nach welcher Richtung hin soll im kommenden Jahre der Spielplan der beiden bespielten Häuser erweitert werden? Welche Opern sind an erster Stelle für das neue große Haus vorgesehen? Werden sich schon für den Termin Ihres Amtsantrittes starke persönliche Verän- derungen im Ensemble und in der Organisation der Wiener Staatsoper ergeben oder ist die kommende Saison noch als Übergang zu betrachtend Die derzeitigen Ensembles der Wiener Staatsoper umfassen Stars, Utilite-Sängcr und Nachwuchs-Künstler. Werden diese Mitglieder der Wiener Staatsoper — wie bisher — nebeneinander verwendet werden? Wird der Spielplan im Sinne der Schlagwort- Entscheidung zwischen »Starund ,Ensemble-Oper" geführt werden? Ist an die Neu- gründung und öffentliche Erprobung eines »Opernstudios" gedacht? Wird eine Erweiterung des Staatsopemchores und eine Vergrößerung des Staats- opcrnorchesters im Hirtblick auf die Gegebenheiten des großen Hauses in Erwägung ge- zogen Wird für eine weitreichende Publikumsorganisation Sorge getragen werden, die den regen Besuch in der Staatsoper am Ring zu gewissem Teil gewährleisten wirdt Kann sich Wien in der Saison 1955156 drei Opernhäuser leisten? Wenn nicht, bestehen grund- sätzliche Bedenken, das Thteaer an der Wien der Kammeroper und gleichzeitig der klassischen Operette zu widmen? » Nicht Neugierde ist es, die uns solche Fragen stellen läßt. Auch nicht das Bestreben, Dinge öffentlich diskutieren zu wollen, die Sache des Nachfolgers Mahlers, Wein- gartners, Schalks und Richard Strauss', Clemens Krauß', Bruno Walters und — Karl Böhms sind. Die Wiener Staatsoper hat nun wieder einen großen Dirigenten an der Spitze. Einen Musiker, der seit 1944, als ihn die Kriegsverhältnisse zum Abtreten zwangen, älter, welterfahrener und — sagen wir es offen — größer geworden ist, einen Orga- nisator, dem nun nicht die Machtmittel eines autoritär gelenkten Staates zur Verfügung stehen, der sich vielmehr dem vielgestaltigen demokratischen Mitspracherecht gegen- übersieht.' Mit dem Wunsche, daß dem in Graz geborenen Weltbürger Karl Böhm Wien eine neue Heimstätte werde — im Sinne Ernst Kreneks („Reisebuch aus den österreichischen Alpen"): „Möchtest du, unser schönes Land, mir Heimat sein! Liebes Vaterland?" — , und den Ausdruck besonderer Wertschätzung. Ihr ergebenes Redaktionskomitee der österreichischen Musikzeitschrift

Ernst Krenek: HEIMKEHR

So trägt der schnelle Zug mich wieder heimwärts, die Reise ist zu End*. Die schnellen Felder fliegen uns vorbei, Wald, Städtchen, Burg und Kapelle, und von neuem empfind' ich den Schmerz der Vergänglichkeit. Bald wird es klar: Jedes Ziel ist ein neuer Anfang, und so werd' ich wieder reisen und will es gerne tun. Doch möge mir vergönnt sein, eine Heimat dann zu finden, wenn ich wiederkehre. Möchtest du, unser schönes Land mir Heimat sein! Liebes Vaterland? 57 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Alexander Spitzmüller 60 Jahre alt Der sechzigste Geburtstag des Komponisten Alexander Spitzmüller ist willkommener Anlaß, der Leistungen dieses Österreichers zu gedenken, der in selbstloser Weise in Paris für die Geltung unserer Musik bemüht ist. Die Glückswünsche der Heimat mögen ihm beweisen, daß seine Tätigkeit nicht ohne Anerkennung bleibt. Alexander Spitzmüller wurde am 22. Februar 1894 in Wien geboren. Erst nach Absolvierung der rechtswissenschaftlichen Studien wandte er sich ganz der Musik zu, in der der Schrekerschüler Ernst Kanitz sein Lehrer wurde. Seit 1928 lebt Spitzmüller in Paris und entwickelte hier eine intensive Tätigkeit zur Förderung österreichischer Musik in Frankreich. Namentlich die Verbreitung der Werke Alban Berg's, mit dem ihn eine jahrelange, tiefe Freundschaft verband, ist sein Verdienst. Der Schwerpunkt des musikalischen Schaffens Spitzmüllers liegt im Instrumentalen. Nach einer Reihe von Klavier- und Kammermusikwerken entstanden seit 1932 ebenso gehaltvolle wie musikalisch ansprechende Orchesterkompositionen, in denen sich deutsche kontrapunktische Strenge mit französischer orchestraler Farbigkeit glücklich vereinigen. Der Weg, der von der „Sinfonietta ritmica", dem Klavierkonzert oder etwa der „Marsch- musik" zu den aus dem „unerschütterlichen Glauben an den schließlichen Endsieg der Freiheit des Geistes" geborenen „Drei Hymnen an den Frieden" (entstanden 1944) führte, war der der zunehmenden geistigen Vertiefung im Sinne eines europäisch orientierten humanistischen Ideals. O. T.

ZUM TODE VON OSCAR STRAUS t Am 6. April 1870, also wenige Wochen vor Franz Lehar in Wien geboren, studierte Oscar Straus Komposition bei Grädener und dann bei Max Bruch in Berlin. Von 1895 bis 1900 war er Theaterkapellmeister in Brünn, Teplitz, Mainz, Berlin und wurde in der Folge Kapellmeister an Ernst von Wolzogens „Oberbrettl", für das er zahlreiche Stücke schrieb, z. B. „Der lustige Ehemann", „Die Haselnuß" oder „Die Musik kommt". Auch ernste Werke hat Oscar Straus komponiert, so eine Ouverture zu Grillparzers „Der Traum, ein Leben", ferner eine Serenade für Streichorchester, eine Violinsonate usw. Am 12. November 1904 hat Oscar Straus im Carltheater in Wien als Komponist und Kapell meister mit „Die lustigen Nibelungen" — halb Offenbach-Travestie, halb Gesangsverein-Ulk — debütiert. Die wienerischeste Operette der zweiten Blüte geschaffen zu haben, dieser Ruhm gebührt Oscar Straus: „Ein Walzertraum". Die Premiere fand am 2. März 1907 im Carl- Theater unter dem Komponisten statt. Wenn irgendeine Operettenschöpfung an Herz und Geist der klassisch-wienerischen Operette anknüpfte, sich Enkel nennen durfte, so diese. Liederworte, Handlung und Musik sind erfüllt — wie einst bei Johann Strauß — von der zauberischen Macht des Walzers. Hier gelang Komponist und Dichter die unwiderstehliche Verschmelzung von Lustigkeit und Schwermut in ein hübsches Sinnbild, in eine gemütstiefe Klangwirkung: „Leise, ganz leise klingt's durch den Raum, liebliche Weise — Walzer- traum . . ." Es folgte im Jahre 1908 „Der tapfere Soldat", dessen Libretto nach Bernard Shaws Komödie „Helden" geschrieben wurde. Schon die Titel einiger seiner erfolgreichsten Operetten verraten, daß Oscar Straus, trotz seines fehlenden zweiten ,s', ein rechter Nach- folger der Walzerdynastie ist; sie lauten: „Der erste Walzer", „Der letzte Walzer" und „Drei Walzer". In den letzten Jahren hatte Oscar Straus sein Domizil in Bad Ischl aufgeschlagen, dessen Sommergast er seit 18&2 war. Als zwölfjähriger Bub kam er mit seinen Eltern zum ersten Mal dorthin. In seinem Heim zeigte Oscar Straus Erinnerungsstücke seines ereignisreichen Lebensweges, darunter einen Theaterzettel vom 16. August 1907, an welchem Tag zu Ehren des anwesenden englischen Königs, Eduard VII., der Franz Joseph einen Besuch abstattete, „Die lustigen Nibelungen" im Ischler Kurtheater zur Aufführung gelangten. Erinnerungen an Brahms und Johann Strauß waren unserem Meister unver- gessen, dem zu Ehren die Stadt Bad Ischl den oberen Teil des Traun-Kais im vergangenen Sommer „Oscar-Straus-Kai" benannt hat. Sein jüngstes Musenkind „Bozena", das im Mai 1952 an der Staatsoper in München zur Welturaufführung und im Oktober 1952 am Salzburger Landestheater zur österreichischen Erstaufführung kam, zählte Straus zu seinen Lieblingsschöpfungen. Mit Straus ist nach Lehar und Kaiman der letzte Großmeister der Wiener Operette von uns gegangen. Dr. Gustav Pichler

58 ÖSTERREICHISCHE CHRONIK

\Υ/1 Γ Kl Reiches Konzertleben im ponisten zu einem Austauschkonzert einge- W I L I Ν Vorfasching. Die Phil- laden, die nicht sonderlich aufhorchen harmoniker waren im traditionellen Neu- ließen. Auch die Sängerknaben nahmen jahrskonzert unter Clemens Krauss und in sich zeitgenössischer Musik an und ver- einem Beethoven-Programm mit Backhaus halfen einem Angehörigen der Arbeitsge- unter Knappertsbusch zu hören, in welch meinschaft junger Komponisten, Karl letzterem sie auch gelegentlich einer kur- Brandstetter, zum verdienten Erfolg. Das zen Reise in die Schweiz Triumphe feierten. Tonkünstlerorchester brachte unter Leitung Viel Beifall auch um Karl Böhm, dessen von Volkmar Andreae eine kleine Sensa- Erscheinen mit seiner Bestellung zum künf- tion: die Erstaufführung einer Original: tigen Staatsoperndirektor zusammenfiel. Fassung von Schuberts „Unvollendeter" Die Symphoniker spielten im Musikverein mit geringfügigen Änderungen gegenüber Bruckner unter Andreae, im Konzerthaus der gebräuchlichen Fassung. Das Orchester unter dem in England wirkenden Karl spielte ferner unter dem gleichnamigen Rankl, der als Komponist seiner vierten Enkel Eduard Strauss' Musik der Walzer- Symphonie Anerkennung fand und sich als dynastie. Die Bach-Gemeinde gedachte in Dirigent auch mit Mahlers Vierter Sym- einem ihrer Abonnementkonzerte durch phonie in einem Rot-Weiß-Rot-Konzert festliches Programm und eine Rede Rudolf auszeichnete. Ebenfalls in einem Sender- Hanzls ihres 40jährigen Bestandes. konzert stand der Südamerikaner Eleazar In der Staatsoper und auf den Operet- de Carvalho am Pult und brachte vielbe- tenbühnen drei Premieren: Verdis „Don dankt Werke seiner Landsleute. Charles Carlos", Lecocqs „Giroflí-Giroflá" und Adler dirigierte mehr interessante als Oscar Straus' „Walzertraum". Bei der Be- schöne Musik von Milhaud, Eckhardt- urteilung der Inszenierungen muß bedacht Gramatté und Thomson in einem Ars- werden, wie unterschiedlich die Mittel nova-Konzert der RA VAG. Das Kammer- waren, die den Regisseuren zur Verfügung orchester der Konzenhausgesellschaft standen. In dieser Hinsicht führt die Volks- zeichnete sich unter Mainardi aus, der im oper mit der faschingsgemäßen Erneuerung gleichen Konzert auch als Solist auftrat und einer nicht unbedingt renaissancebedürf- im Dienste der Mozart-Gemeinde beste tigen Vorläufer-Operette, für die regielich Ausführung garantierte, wobei ihn Wolf- Hans Jaray, musikalisch Anton Paulik gang Schneiderhan unterstützte. Unter Paul eintrat und auf der Bühne Wiener Lieblinge Sacher wurden Strawinskys Messe und die vom Schlage Elfie Mayerhofers (die sich Weihnachtshistorien von Schütz gegenüber- bewundernswert mit einer an sich undank- gestellt. Unter Anton Heiller besorgte das baren Aufgabe abfand), Josef Meinrads Ensemble schließlich die Begleitung eines (der sich über Nacht in einen „Gesangs"- Kantatenabends, als dessen Solist Fried- Schauspieler zu verwandeln hatte), Fritz rich Fischer-Dieskau, der auch mit Imhoffs und Kurt Pregers aufgeboten wa- Demus am Klavier einen Schubert-Abend ren; neben ihnen bewährten sich Rudolf gab, Beifallsstürme entfesselte. Als Gesangs- Christ, Hilde Längauer und Sonja Knittel. solistin gefiel auch die amerikanische — Josef Witt und Heinrich Hollreiser war Negerin Lucretia 1Vest. Weit zahlreicher die nicht eben amüsante Aufgabe übertra- waren die Pianisten, die mit Backhaus an gen worden, Verdis „Don Cralos" spar- der Spitze in Wien konzertierten. Neben samst im Spielplan des Theaters an der dem Meister der Pianisten schnitten die Wien zu verankern. Obwohl eine hervor- heimischen Künstler Jörg Demus (Das ragende Besetzung internationalen Ranges Wohltemperierte Klavier), Alfred Brendel, — Christi Goltz, Elisabeth Höngen, Gott- Hans Kann, Fritz Egger und Blaschka lob Frick, Hans Braun, , Hans nicht schlecht ab. Der Genfer Preisträger Hopf — zur Verfügung stand, konnte man aus Brasilien Jacques Klein erstaunte durch der Aufführung nicht recht froh werden, seine Technik, der aus zahlreichen Filmen da es an der starken Dirigentenhand bekannte José Ithrbi durch die romantische fehlte. — „Ein Walzertraum" wurde im Freizügigkeit seines Spiels. Die Kammer- Raimundtheaterin der Neufassung Robinson musik wurde außer von den heimischen — Rogatis.(Franzis Verzicht wandelt sich nun Ensembles, dem Musikvereinsquartett, dem zur tätigen Mithilfe, Prinzessin und Leut- Konzerthausquartett, dem Wiener Oktett nant glücklich zu vereinen) zu einer wür- und dem Wiener Streichtrio auch vom digen Feier für den dahingegangenen Mei- Kölner Streichquartett gepflegt, das sich ster. Tony Nießners Inszenierung war be- mit Beethoven und Prokofieff auszeichnete. strebt, gemeinsam mit bewährten und neuen Die ÖGZM hatte diesmal deutsche Kom- Kräften der Wiener Operette starken

59 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Schwung zu geben. Josef Drexler gebührt Komponisten spielte: Eine knapp gehalte- als musikalischem Leiter von Erfahrung ne, Orgelregister erfordernde Passacaglia und Rang besondere Anerkennung. Elfi von Walter Piston. Dann eine eigenwillige, Koses Ballett wartete mit hübschen Lei- von Hindemith beeinflußte Sonate von stungen auf. Hedy Faßlers Franzi wuchs Norman Dello Joio. Eine impetuose So- im zweiten Akt zu einer besonderen Lei- nate von Ray Green und die kaleidoskop- stung, im Zeitalter des Tenormangels war artigen „Excursions" von Samuel Bar- es die beste Lösung, Stimmung, wie sie ber. Nießner als Leutnant Niki schuf, der Dr. Dw. Stimme vorzuziehen. Routiniers ihres Faches: Max Brod, Emmerich Arleth, Mimi I I Kl ~7 Eine geschmackvolle Ein- Stelzer, Rosi Dorena und Debütanten (Eta 1— I I Ν Stimmung auf den Fasching Köbrer als stimmbegabte Prinzessin und bedeutete das Programm des III. Sympho- Alfred Rossmann) gaben der Aufführung niekonzertes: „Concertante Musik" von eine nette Mischung von Erfüllung und Boris Blacher, Klavierkonzert B-Dur von Versprechen. K.-W. Mozart und VII. Symphonie von Beetho- ven. Das verstärkte Theaterorchester diri- D Δ ~7 Die avantgardistische Neu- gierte mit sicherer Überlegenheit Heinrich ^ Inszenierung der „" hat Hollreiser. Das Publikum nahm das Werk lebhaften Widerspruch hervorgerufen. Ar- von Blacher, eine Erstaufführung für Linz, chitekt Heinz Ludwig und Oberspielleiter mit freudiger Zustimmung auf und spen- André Diehl entzauberten radikal die dete dem Solisten Alfred Brendel (Wien) Bühne und verzichteten auf jegliche Ku- für sein technisch und im Vortrag tadel- lisse und alles Gegenständliche. Die Hand- loses Spiel reichen Beifall. — In erst- lung rollt in einem kahlen, stufenförmig klassiger Wiedergabe brachte der Weiser aufgebauten Raum ab, wobei für den ein- Bachchor unter der Leitung von Josef heitlichen Schauplatz die hieratischen Friedrich Doppelbauer in der Welser Evan- Grundsätze eines szenischen Oratoriums gelischen Kirche die „Weihnachtsge- geltend gemacht werden. Man drängte schichte" von Hugo Distler zur Erstauf- Äußerliches zurück, um mit Unter- führung. Von dem ergänzenden Programm stützung von Licht und Farbe die seeli- ist besonders die von Hedwig Ebermann schen Vorgänge in ein verdichtetes Blick- wiedergegebene Partita für Orgel über feld zu rücken. Umso einmütiger war die „Nun kommt der Heiden Heiland" von Anerkennung der vorbildlichen musikali- Distler erwähnenswert. Die Wiener Sänger- schen Führung durch Fritz Zaun und knaben machten mit einem Konzert in Chordirektor Ladislaus Töldes. Oualitäts- Linz ihrem Ruf Ehre. — Besonderen Erfolg leistungen boten die alternierenden Ver- brachte dem Linzer Domchor und seinem treter der Hauptpartien: Hopf-Sörrensen Dirigenten Prof. Joseph Kronsteiner die (Aida), Feiersinger-Janko (Radames), Fe- Uraufführung der „Missa choralis" von nyves-Wiener (Amonasro). Die Partie der Johann Nepomuk David. Sie ist als erste Amneris ist der schönstimmigen jungen lateinische Messe des Meisters auf Anregung Griechin Litza Liotzi anvertraut. — Prof. des Linzer Diözesanbischofs Dr. Joseph Fritz Zaun scheidet übrigens mit Ende der Cal. Fließer entstanden, über Motive der Spielzeit von seinem Posten als Opern- VIII. Choralmesse „De angelis" kompo- direktor. — Von dem überwiegenden Teil niert, setzt den Geist des Chorales, sowie der Zuhörer wurde die von Zaun mit dem der alten a-cappella-Meister in die Ge- Grazer Philharmonischen Orchester im genwart und verlangt von den Ausfüh- Rahmen des Musikvereines aufgeführte 3. renden die Überwindung größter Schwierig- Symphonie von J. N. David wegen ihrer keiten, wie sie von den Chorwerken der allzu zeitnahen Sprache abgelehnt. Viele jüngsten Schaffensperiode Davids bekannt verließen nach den einzelnen Sätzen de- sind. — Dem Arzt-Quartett vom Bruckner- monstrativ den Saal. Einheitlich war die konservatorium gelang gut der Vortrag des stürmische Begeisterung für die vollen- Streichquartettes op. 132 a-moll von Beet- dete Interpretation von Beethovens Kla- hoven. — Die Freunde virtuosen Violin- vierkonzert in Es durch Wilhelm Back- spieles begeisterte Vasa Prihoda. J. U. haus. — Ein schöner Erfolg war dem jun- gen österreichischen Pianisten Hans Kann beschieden, der als Gast des Amerikahauses SALZBURG '"„ Iftfc mit blendender Technik Werke von Men- delssohn, Liszt, Hummel und John Field, monat stand Johannes Brahms im Vorder- sowie Proben moderner amerikanischer grund. Zweimal hörte man die Thuner- Sonate in A-Dur op. 100, sowohl von dem 60 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

namhaften belgischen Geiger Arthur ner gab zu den einzelnen Werken auf- Grumiaux, in seiner ganzen Art mehr schlußreiche Erklärungen. Mozarts Kla- dem Impressionismus zuneigend, was er vier-Konzert in Es- Dur KV. 271 bot der auch in der Wahl der Sonate von Debussy jungen Pianistin (Klasse Prof. Kurt äußerte. Vasa Prihoda wiederum reprä- Neumüller) Maria Michaela Cuway Ge- sentierte mehr die Brillanz des Virtuosen, legenheit, ihre künstlerische Reife und die er insbesondere in der „Teufelstriller- ihre prächtige Technik voll unter Beweis Sonate" von Tartini unter Beweis stellen zu stellen. Sowohl die Solisten, als auch konnte. Die Reverenz vor Bach wurde das begleitende Akademie-Orchester unter durch die Wiedergabe des Adagios und der Leitung von Prof. Theodor Müller der Fuge aus der g-moll Sonate abgelegt, wurden mit herzlichstem Beifall bedankt, während Grumiaux eingangs die erste der ebenso wie bei der Wiedergabe des in der drei Beethoven-Sonaten für Salieri op. 12 Stimmung dunkler gehaltenen d-moll-Kon- in D-Dur gewählt hatte. Grumiaux be- zertes KV. 466, das die begabte Erika Fauss schloß sein Programm mit „Nocturne et (Klasse Prof. Heinz Scholz) prächtig inter- Tarantella" von Karol Szymanowsky. pretierte, wenn auch das Tempo manchmal Das Publikum spendete beiden Künstlern ein wenig zu schnell genommen wurde. Die herzlichen Beifall, in welchem die pia- Ouverture „La Betulia liberata" KV. 118, nistischen Partner Riccardo Castagnione des noch nicht Fünfzehnjährigen, war eine und Otto Schulhof berechtigterweise ein- geeignete Einleitung, wie die „Linzer Sym- geschlossen waren. — Alceo Gaitera (Mai- phonie" ein beschwingter und flotter Aus- land), als Festspieldirigent bereits bekannt, klang war. — Das Landestheater· brachte leitete die Zweite Symphonie von Brahms. in einer sehr ansprechenden Aufführung Als Introduktion seines Abends hatte der im Festspielhaus Richard Heubergers Dirigent zwei kleine Stücke gewählt „Opernball". Dr. G. P. und zwar von Giorgio Frederico Ghedini und die Suite für Orchester zu einem Drama d'Annunzio's „La INNSBRUCK Pisanella". Es ist eine Musik, die mehr städtischen Sym- den äußerlichen Klangrausch als die gei- phoniekonzerte gab Musikdirektor Kurt stige Tiefe des Werkes im Auge hat. Herz- Rapf auch modernen Werken Raum: Respi- licher Beifall dankte dem gewandten Diri- ghi war mit „Fontane di Roma", Chat- genten für seine und des Orchesters Lei- schaturian mit dem Violinkonzert (Roman stung. — Das Kölner Streichquartett Wolf- Wisata war der hervorragende Solist) und gang Marschner, Werner Neuhaus, Erich Paul Hindemith mit seiner Tanzsuite Sohlscheid, und Maurits Frank, hatte sich „Nobilissima visione" vertreten; daneben (in nicht alltägliches Programm für sein standen Werke von Rossini, Händel und Salzburger Gastspiel gewählt. Am Anfang Tschaikowskys 4. Symphonie, sowie Bachs stand das II. Streichquartett von Serge 2. Brandenburgisches Konzert. — Stürmisch Prokofieff, welches das starke Musikanten- gefeiert wurde der Gastdirigent des 4. tum seines Schöpfers zeigt. Das dreisätzige Symphoniekonzertes Dr. Volkmar Andreae Werk berührt in seinen beiden Ecksätzen (Zürich), dessen Bruckner-Interpretation neuromantisch, während der Mittelsatz, besonders tiefen Eindruck machte (3. Sym- das Adagio, von zarter Innigkeit erfüllt phonie). — Das heimische Klaviertrio ist und sozusagen der impressionistischen (Rapf-Bruckbauer-Kurz) spielte Werke Epoche angehören könnte, wüßte man von Schubert und Dvorak (Dumky), das nicht, daß es erst 1941 geschaffen wurde. Barylli-Quartett Werke von Mozart, Beet- Den stärksten Eindruck des Abends ver- hoven und als willkommene Seltenheit mittelte Béla Bartóks Streichquartett Schuberts G-dur Quartett op. 161. — Hier- Nr. 5. Dieses, in kräftigen Rhythmen ge- her gehört auch der Abend der Preisträger halten, ist durchaus packend, wobei beson- des Pariser Konservatoriums Désiré ders das originelle Scherzo a la Bulgarese N'Kaaua (Klavier), Norbert Bourdon (Kla- aufhorchen läßt. Das Publikum erbat diesen rinette) und Roben Bex (Cello), an dem originellen Satz nach Programmschluß zur neben klassischen und romantischen Werken Wiederholung. Als letztes Stück erklang auch Honeggers Cellosonate zu hören war. das Streichquartett des in Paris lebenden — Zahlreich waren die Solisten: Paul Tschechen Bohuslav Martinu. — Die Kölner Badura-Skoda (Wien) hatte mit Bach, Gäste zeigten ihre hohe musikalische Ein- Mozart, Schubert und der Suite op. 14 fühlungsgabe und brillante Technik und von Béla Bartók großen Erfolg, desgleichen wurden von den Zuhörern mit besonderer die mehrfache Preisträgerin Haiina Czemy- Herzlichkeit gefeiert. Dr. Eberhard Preuss- Stefanska (Warschau) mit zwei Chopin- abenden. Bruno Mondl-Greissinger spielte 61 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT italienische Klaviermusik aus drei Jahr- bezeichneten damit völlig entsprechend Be- hunderten (Gabrieli, Monteverdi, Busoni, deutung und Gelingen dieses Unternehmens. Respighi, Petrassi und Casella), Patricia Doch auch der Klagenfurter Männerge- Carroll (London) meist unbekannte Werke sangverein stimmte sein jüngstes Konzert von Arne, Barber, Ireland u. a., sowie auf einen sakralen Akkord. Es empfing Prokofieffs virtuose Toccata op. 11. Wei- ihn durch Johann Sebastian Bachs Fantasie tere Solistenabende waren der Celloabend und Fuge in g-moll für Orgel, die der Enrico Mainardis, der stets besonders ge- Opernchef und Vereinschormeister Otto feiert wird, der Violinabend Elfriede Eisenburger in vorbildlicher Auffassung Bachners (Wien) und der Liederabend des spielte und an . die Spitze religiöser und jungen Bariton Max Hechenleitner. Endlich weltlicher Chorwerke stellte, Zwischen gastierte auch das staatliche russische denen man Karl Heinz Tultner mit Schu- Volksinstrumentenorchester Ossipow mit bert-Gesängen und Hilde Rychlink mit großem Erfolg. — Im Rahmen der Euro- Liedern des persönlich anwesenden großen pawoche bot das Amerikahaus einen be- Steirers Joseph Marx hörte. Ein anderer sonders interessanten Abend: Das „Mozart- Komponist aus Graz, Ernst Ludwig Uray, trio" — Barbara Troxell (Sopran), John leitete das von Karl Randolf umsichtig Yard und Joseph Collins (Bariton) — ent- dirigierte zweite Jugend-Symphoniekon- zückte mit meist unbekannten Arien und zert mit seiner ein wenig monoton schwel- Ensembles des Salzburger Meisters, wobei gerischen „Intrada" ein, der zwei von dem Paul Higinbothom am Flügel einfühlsam jungen Kärntner Bassisten Franz Pacher assistierte. — Auf dem Oratoriensektor ist trefflich gesungene Arien von Mozart und nur die dankenswerte Erstaufführung des dessen reizvolles A-Dur-Violinkonzert, deutschen Weihnachtsliederspiels „Christ- KV. 219 — stilvoll von Gustav Mayer nacht" von Joseph Haas durch die akade- interpretiert — folgten. Höhepunkt und mische Musikgesellschaft unter Dr. Anton Ausklang bildete Beethovens im Subtilen Steyrer zu erwähnen, weiters die Wieder- wie im Dramatischen überzeugend ausge- holung der großangelegten „Missa Salis- legte „Fünfte". — Am Opernspielplan er- burgensis" von Vittorio Gnecchi (Mailand) wiesen sich Puccinis „Boheme" unter Otto durch den Pfarrchor St. Jakob (Prof. Karl Eisenburger, sowie Mascagnis „Cavalleria Koch) unter Mitwirkung des ausgezeichne- rusticana" und Leoncavallos „Bajazzo" mit ten Züricher Soprans Mary Jacob-Gimmi ; Günter Lehmann am Pult als erfreuliche Karl Walters (Wien) Cäcilienmesse fand Erfolge, die gesanglich und darstellerisch unter Dr. Franziska Kaufmann ihre Urauf- durch Hilde Rychlink, Maria Bowoden führung, der Pfarrchor Pradl (Prof. Her- und die Gäste , bert Gschwenter) machte in Radioüber- Alexander Fenyves und Wolfram Merl7 tragungen mit seltenen Werken von Tiroler gut fundiert waren. Vor allem aber zeigte Komponisten bekannt (Senn, Messner, sich darin erneut die große bühnenbildne- Lechthaler, Goller, Eiter). rische Begabung Dr. Wolfgang Skalickis. Im Landestheater fanden die sorg- — Operettenbeschwingte Kurzweil ver- fältig inszenierten Opern „" unter mittelte das Gründungskonzert des von Operndirektor Siegfried Nessler und Lort- Alois Krall und Karl Kolb geleiteten zings „Wildschütz" unter Kapellmeister Unterhaltungsorchesters der Klagenfurter Walter Hindelang sehr beifällige Auf- Arbeiterkammer, zu dem Ellen Hiltl und nahme. HGJ. Franz Christoph temperamentvoll vorge- tragene Lieder und Duette von Lehar und Oscar Straus beisteuerten. — Nach wert- volleren Schätzen griffen andere Veranstal- KLAGENFURT ter. Arien und Duette der Barockzeit sowie Hauptereignis der vom Advent und Fa- Lieder von Schubert, Brahms und Dvorak sching umfaßten Zeit war die Aufführung standen auf dem Programm der Sänge- von Giuseppe Verdis „Requiem", das rinnen Maja Weis-Osbom und Maria Wolfgang Schubert mit den Gastsängern Weutz. Selten gesungene Liedkostbarkeiten Waldemar Kmehtt und Walter Berry, den von Haydn bis Yrjö Kilpinen brachte der heimischen Solisten Maria Bowoden, Maria finnische Bassist Kim Borg auf eindringli- Weutz und Odo Ruepp, dem Klagen- che Art zu Gehör. Meisterhaft gestaltete furter Frauengesangverein, einem starken Hans Braun, mit der stimmungsvoll mit- Männerchor und dem Kärntner Landes- malenden Begleitung Dr. Erik Werbas, symphonieorchester mit prachtvoller Ein- „Die " von Schubert. Als be- fühlung gestaltete. Die Publikumsstimmen, achtliche Klaviertalente konnte man die die diese Aufführung eine Tat nannten, junge Engländerin Patricia Carroll und

62 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

die begabte Berg- und Zechi-Schülerin Erna wieder, ohne Anfang, ohne Ende. Auch Wittermann aus Graz begrüßen. Eine in je- diese Auffassung, die eigentlich die land- der Hinsicht vollkommene Bach-Interpre- läufige ist, liegt im Wesen der Komposition. tation war Jörg Demus in Gemeinschaft Eugene Ormandy und das Philadelphia- mit1 dem Kammerorchester der Wiener Symphonieorchester geben der Iberia- Konzerthausgesellschaft und ein interessan- Suite ganz anderes Kolorit. Auch hier ist ter Musizierabend dem Geige-Klavier-Duo es nicht ganz das französische Timbre, das Walter Schneiderhan und Hins Bohnen- erzielt wird, die Orchesterfarben sind stingl zu danken. Beethovens sämtliche glänzender, nicht ganz so dezent, wie sie Violinsonaten wurden in chronologischer sein könnten, aber von makelloser Rein- Reihenfolge an drei Abenden hervorragend heit. In Verbindung mit einer geradezu von Willy Schweyda und Robert Keldorfer phänomenalen Virtuosität der technischen dargestellt. H. S. Ausführung und ausgiebiger Gelegenheit zu solistischcm Hervortreten ergibt sich ein Tableau von kaum zu überbietender NEUE SCHALLPLATTEN Brillanz, vielleicht mit einer Spur zuviel Technicolor, mit wenig Zwischentönen, Debussy: aber durchaus im Sinn der Komposition, „La mer", New Yorker Philharmoniker deren spanisches Kolorit ja den Komponi- unter Mitropoulos, sten zu recht scharfer Absetzung der Linien Iberia-Suite, Philadelphia-Symphonie- und Flächen geführt hat. Das Gegensätz- orchester unter Ormandy, liche zur verschwimmenden Naß-in-Naß- Philips A 01100 L. Technik der „La mer"-Komposition tritt Die beiden Kompositionen aus der Früh- deutlich hervor. Obwohl technisch akurate zeit der modernen Musik gewähren zu- Ausführung bei Schallplatten ja erwartet gleich mit der Erkenntnis aller für De- werden darf, erstaunt die Genauigkeit und bussy und seinen Impressionismus charak- Behendigkeit der Holzbläser und die Flink- teristischen Stilmerkmale einen tiefen Ein- heit der Horner. Ormandy hält die Zügel blick in das Wesen dieser subtilen, mehr aus straff und unterstreicht die Brillanz durch Farben als aus Klängen bestehenden Musik. Betonung des rhythmischen Elements, Ein Vergleich der beiden Plattenseiten, wozu er hier ausgiebig Gelegenheit hat. bzw. der Qualitäten der Orchester und „Les parfums de la nuit" im zweiten Satz Dirigenten wird zwar einiges über deren duften eine Spur zu schnell. spezifischen Charakter erkennen lassen, Mit der Gewißheit, eine stilistisch ' und aber keinen Vergleichsmaßstab liefern, da klanglich im hohen Maße entsprechende „La mer" in viel kompakterer, dickerer Aufnahme zu genießen, darf sich der Technik geschrieben ist als die durch- glückliche Besitzer der Platte Genüssen sichtige, die Solisten stark beschäftigende hingeben, die die prominentesten amerika- Iberia-Suite. Die New Yorker Philharmo- nischen Orchester und ihre Dirigenten in niker zeichnen sich durch äußerst homoge- all ihren typischen Eigenschaften vorteil- nen Klang aus, die 'Ensemble-Wirkung des haftest zur Geltung bringen. Orchesters ist hervorragend und die Ab- stimmung der einzelnen Instrumental- Debussy: gruppen fehlerfrei. Obwohl das Blech „12 Préludes pour piano" (1. Band), ge- offensichtlich nicht in der engen französi- spielt von Hans Henkemans, schen Bauart zur Verfügung stand, ent- Philips A 00 142 L. behren die Stellen, wo es melodiös hervor- Hans Henkemans stammt zwar aus Hol- tritt, nicht der Farbe und des speziellen land, huldigt aber dem typisch französi- Timbres, freilich nicht ganz in der Art, wie es schen Klangideal und wohl auch der Pari- ein französisches Orchester zustandebringt. ser Klaviertechnik. Der Besitzer der Platte Die Geschlossenheit in klanglicher Hin- darf daher mit absolut authentischen In- sicht wird vom Dirigenten Mitropoulos terpretationen rechnen. Das Typische dieser durch ziemlich schnelle Tempi und beweg- Auffassung besteht in einer bei allem liche Agogik. unterstützt. Das in diesem stilistisch bedingten „Verwischen" und Werk deutlich erkennbare architektonische „Verschleifen" durch das Pedal aufs Element — das allzuoft in Debussys Wer- höchste gesteigerten Akuratesse, in ge- ken unterschätzt wird — tritt auch in Mi- nauestem Anschlag, bei dem der fallende tropoulos Auffassung offenbar zugunsten Finger nie seine „Hammerqualität" verliert, des impressionistischen Stimmungsbildes also nie, wie es außerhalb Frankreichs zurück. Wie aus dem Nebel tauchen die gerne geschieht, auf die Tasten hingewischt Klänge und Klangfetzen auf, verschwinden wird. Dieses Fingerspiel, das auch weit-

63 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT gehend auf den Einsatz des Hand- und nicht nur eine Rekonstruktion dieses Ideals, Armgewichtes verzichtet, führt zu einem sondern eine durchgreifende Neuorien- Klangideal, das jeden einzelnen Ton wie tierung des Orgelspiels und sogar der Kom- eine kleine Glocke ertönen läßt, wenn er position für dieses Instrument ergab, dann ins Pedal genommen wird. Pianisten dieser ist dies der schönste Lohn für eine wissen- Geschmacksrichtung pflegen auch nicht die schaftliche Tat, der es vergönnt war, den Phrasierung im mitteleuropäischen Sinne, Erfolg ihres Beginnens an der Gegenwart sie fügen der notierten Dynamik kaum zu ermessen. Für die Fundiertheit des etwas hinzu und spielen mit Vorliebe alle Werkes spricht, daß in der Neuauflage Töne einer Melodie in gleicher Lautstärke. nichts geändert werden mußte. Doch sind Henkemans spielt die 12 Preluden durch- viele Bereicherungen von großem Wert, Be- wegs einwandfrei, musikalisch und stili- reicherungen, die über den engen Rahmen stisch perfekt. Vorzüglich gelingen ihm der Themas hinaus den ganzen Orgelbau die Gitarre-Imitationen, etwa in den des Bach-Zeitalters, seine Vor- und Nach- „Minstreis" und in der „Sérénade inter- geschichte beleuchten. Großes Interesse rompue". Tempo und Ausdruck ent- müssen auch die historisch interessierten sprechen durchaus dem Ideal. Nur in der Pianisten an dem Buch haben, da es ihnen „Cathédrale engloutie" scheint der Pianist erstmals wertvolles Material über den Kla- unmotiviert etwas zu drängen. Echtester vierbauer Silbermann und aus der Frühzeit Debussy bleibt gleichwohl das Ergebnis, des Klavierbaus zuträgt. Das Erscheinen hier wie in den andern Stücken der des Werkes zum 200. Todestage Silber- Sammlung, die einen wahren Schatz dar- manns sollte seine Wirkung ebensowenig stellt und in nuce schon alle technischen verfehlen wie zur Zeit der Orgelrenais- Neuerungen der modernen Musik enthält. sance. Rudolf Klein Walter Emery: Bach's Ornaments (Ver- lag Novello, Lonion) in englischer Sprache. Das nahezu unübersehbare Gebiet barocker LITERATUR Verzierungstechnik und speziell der Bach'- schen Ornamentik wurde von dem Autor MUSIKBÜCHER in durchaus gründlicher und übersichtlicher Einteilung dargestellt. Jede einzelne Ver- Emst Fla.de: „Gottfried Silbermann" zierung wurde nach den historischen Be- (Breitkopf & Härtel, Leipzig). Die Neu- legen, nach ihren möglichen Erscheinungs- auflage des 1926 erschienenen Werkes über formen, nach ihrer Stellung in der Musik den Orgelbauer Gottfried Silbermann ist und den Möglichkeiten ihrer Ausführung eine kultur- und musikgeschichtlich unge- geprüft, die verschiedenen Versionen wur- mein wertvolle und anerkennenswerte Lei- den nebeneinandergestellt und verglichen. stung, umso mehr als der Interessentenkreis Keineswegs kommt der Autor zu einer ein- für ein derartiges Spezialwerk doch zu zigen Auslegung oder mehreren starren klein ist, um die großen Kosten der Her- Regeln. „Gegenstand des Buches ist die Vor- stellung kompensieren zu können. Das lage einer wesentlichen Sammlung von Werk gehört zur Standardliteratur, nicht Verzierungen in der Aufführungspraxis nur des Orgelbaus, sondern der Orgelge- des 18. Jahrhunderts, mit allen Konfusio- schichte, der Stilkunde und der Musikge- nen und Widersprüchen" erklärt der Ver- schichte des Barock schlechthin. Überdies fasser. Auch wenn man nicht unbedingt ist es ein kompletter Katalog der noch be- allen Schlußfolgerungen und eliminierten stehenden Silbermann-Orgeln, die heute Möglichkeiten beipflichtet, bietet der Uber- ein Kulturgut von unschätzbarem Wert blick über alle Eventualitäten der Aus- darstellen, und in deren Bestand der An- führung eines bestimmten Ornaments doch hang über die Kriegsschäden schmerzliche wesentliche Anregung und die Gewähr Verluste ausweist. Das Buch stand schon einer so weit als überhaupt erreichbaren 1926 an der Wiege der modernen Orgel- authentischen Interpretation. Weniger bewegung und nicht umsonst ist es Albert sympathisch berühren einzelne Schnitzer, Schweitzer gewidmet. War es doch aus- wie etwa die Verwechslung der Bezeichnung nahmsweise die Wissenschaft, die hier „Nachschlag" mit dem Vorschlag. der Kunst den Weg geebnet hat und Rudolf Klein gehörte Ernst Flades Werk damals zu den ersten wissenschaftlich fundierten Richard Strauss-]ahrbuch 1954. Heraus- Arbeiten, die uns Wesen und Klang eines gegeben von Willi Schuh. Verlag Boosey schon fast vergessenen Orgelideals wieder- and Hawkes, Bonn am Rhein, 171 Seiten. gaben. Wenn sich aus diesen Anfängen Dem Strauss-Jahr entsprechend (90. Ge-

64 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT burtstag des Meisters am 11. Juni) legt der unbestritten aufgewandten Mühe und vertraute Biograph zunächst den Brief- Liebe etwas Fragmentarisches und auch wechsel Bülow-Strauss, dann das Tagebuch Fragwürdiges an sich: der Fachmann und der ersten Griechenland-Reise (1892) vor. Kenner bedarf ihrer nicht (ihm stehen Weiters finden sich in dem Jahrbuch zwei kritische Ausgaben zur Verfügung) und bisher unbekannte Lieder mit Gitarre- und der musikliebende Laie gewinnt auch nach Harfenbegleitung zu Calderons „Richter der Lektüre solcher Publikationen kein von Zalamea" (1904) und ein mit musika- gültiges Bild von der Persönlichkeit jenes lischen Zitaten gewürztes Lied aus Goethes Meisters oder wenn, dann nur ein beschei- „West-östlichem Divan" (1935). Der zweite denes. Teil des Werkes umfaßt acht Aufsätze, von Von den beiden vorliegenden Bruckner- denen der Beitrag Willi Schuhs als Kom- Brevieren unterscheidet sich das Schweizer mentar dem erstveröffentlichten Goethe- Herkunft schon rein typographisch ange- Lied zuzurechnen ist. Kurt Wilhelm spricht nehm von dem in Wien verlegten. Inhalt- über „Die geplante Volksoper .Till Eulen- lich überschneiden sie sich zwangsläufig spiegel' ", Franz Tretmer behandelt das auf weiteste Strecken, ja teilweise sogar in Verhältnis Richard Strauss' zu Ernst von der Auswahl der Bruckner.-Erinnerungen Wolzogen, Heinrich Strobel stellt den Mei- von fremder Hand! Reichs Edition hält, ster in klugen Folgerungen als „Deutschen viel angenehmer, eine strenge Chronologie Weltbürger" dar. Ernst Roth befaßt sich ein, doch transkribiert der Herausgeber eingehend mit dem Aufenthalt Richard bedauerlicherweise die Originalschreibung, Strauss' 1947 in London. Drei Beiträge wobei es zu Textabweichungen kommt. haben Strauss—Österreich zum Thema: Rolf Orel hingegen behält die Brucknersche Wilhelm erhofft auf Grund des vorhande- Orthographie bei, unterteilt aber die nen Materials (vier Skizzenbücher, zwei Lebensabschnitte in große Gruppen, er- Klavierskizzen, deren letztere in größter reicht jedoch dadurch kaum die vielleicht Ausführlichkeit Figurationen, Kontra- beabsichtigte Übersicht. Beiden Ausgaben punktik und Instrumentationsvermerke aber fehlt ein Register, welches sie zu- enthält) zumindest in fragmentarischer mindest als kleine Nachschlagbücher Form eine Fertigstellung der Symphoni- brauchbar gemacht hätte. schen Dichtung „Die Donau", die der Dolf Lindner 70jährige Meister den Wiener Philharmo- nikern zur Jubelfeier des hundertjährigen MODERNE MUSIK Bestandes in Aussicht gestellt hatte; Rudolf Christopher Shaw: Sonata for Clarinet Hartmann spricht sich in einem Brief an (or Violin) and Piano (Verlag Novello, den Herausgeber über die Regieprobleme London). Der hier unbekannte Komponist der „Liebe der Danae" eingehend aus; der verrät mit diesem Werk außerordentliche Wiener Strauss-Forscher Roland Tenschert Begabung. Ja, man dürfte schwerlich wi- gibt schließlich eine kenntnisreiche, genaue derlegt werden, wenn man diesen Künstler Darstellung „Richard Strauss und die Salz- unter den englischen Komponisten der burger Festspiele". Ihr ist u. a. zu entneh- Nachkriegszeit nach Britten an erste Stelle men, daß Strauss mit „" setzte. Die Sonate, die wahrscheinlich für in der Wiener Fassung anno 1926 Einzug Klarinette besser geeignet ist als für Kla- ins Programm der Salzburger Festspiele vier, ist in Zwölftontechnik gearbeitet, doch hielt, mit jenem Werk, das im kommenden sind die zugrundeliegenden Reihen so orga- Sommer die Statistik der 94 Aufführungen nisiert, daß ausgesprochene Motiv- und Strauss'scher Opern an den ersten Hunder- Thementechnik nicht als Konstruktion, ter heranführen wird. sondern als organisches Element aus ihr re- Dr. Erik Werba. sultiert. Überdies gelingt dem Komponi- sten eine zwar stark chromatische, aber Willi Reich: Anton Bruckner. Ein Bild durchaus tonale und auch tonal verständ- seiner Persönlichkeit. Verlag Benno Schwa- liche, ja sogar logische Schreibweise, die be. Basel 1953. nichts mit den rein errechneten Linienzügen Alfred Orel: Bruckner-Brevier. der zerebralen Dodekaphonik zu tun hat. 16 Bilder. Verlag Kaltschmid, Wien 1953. Ein wirklicher Musiker hat hier in einer Breviere sind mehr oder weniger will- Technik geschrieben, die zugleich kon- kürlich ausgewählte Bruchstücke aus struktiven und musikalischen Gesetzen un- Briefen, Erinnerungen oder Kritiken, er- terworfen ist. Der eigentliche Sinn dieser wecken aber immer den Eindruck von Konstruktionstechnik wird hier weniger Auszügen aus einer .Lebensregistratur'. im 'bewußten Nachempfinden der mathe- Unternehmen solcher Art haben trotz der matischen Grundlagen, als in der Erzie-

65 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT lung einer ungemein kräftigen Expressivität nanten Zusammenstöße gegeneinander erreicht. Dies besonders im ersten Satz, der laufender Bewegungslinien gekennzeichnet, nicht nach dem Sonatenschema, sondern die Klangwirkung durch ausgeklügelte dreiteilig angelegt ist. Das Scherzo und der dynamische Nuaiften, die stellenweise mit ausdruckstiefe langsame Satz werden von außerordentlich brutalen Kraftausbrüchen einem marschartigen Schlußsatz gefolgt, der abwechseln. Der Aufbau ist von gewissen wieder die klare und übersichtlich geglie- mystischen, vielleicht auch kultischen Vor- derte Faktur des ersten Satzes aufnimmt. stellungen bestimmt, ruhige Lyrismen und Die Sonate ist gute moderne Musik: eines und fast rondoartig wiederkehrende Motiv- der seltenen Werke, deren Technik ihr gruppen wechseln mit ekstatischen Aus- Verständnis nicht auf die Insassen des brüchen ab. Eine außerordentlich effekt- elfenbeinernen Turms beschränkt. volle Interpretation wäre die Vorbe- dingung für eine Wiedergabe, die den Arthur Bliss: Sonata for Pianoforte Hörer fesseln sollte. (Verlag Novello). Mit einigen zusätzlichen Mitteln moderner Harmonisierungskunst Leopold Spinner: Sonate für Klavier, führt Bliss den Klavierstil der Salonroman- op. 3 (Universal-Edition). Spinner steht tik weiter. Die ganze Breite der Klaviatur der sogenannten „Wiener Schule" nahe. durchmessend, fügt er Akkordzerlegung an Seine dreisätzige, insgesamt nur viereinhalb Akkordzerlegung, weidet sich an Oktaven Minuten dauernde Klaviersonate ist im und rasanten Läufen und benötigt gelegent- strengen Zwölftonstil geschieben, lehnt lich vier Systeme, um alle Klangwunder sich allerdings, vor allem im ersten Satz, unterzubringen. Die Komposition berührt, sehr stark an die Variationen von Webern abgesehen von ihrer romantischen Klang- an. Während die Ecksätze einem rhythmisch sehgkeit, nicht unsympathisch. Offensicht- sicheren Pianisten keine großen Schwierig- lich hat ein Könner und geschickter Hand- keiten bereiten werden, gibt es im schnellen werker ein durchaus passables Werk ge- Mittelsatz spieltechnische und klanglichc schaffen, das, gemessen an den Werken Probleme, die auch versierten Spielern aller- Chopins und Liszts, eine große Tradition hand Kopfzerbrechen bereiten dürften. In fort- und blendende Virtuosen voraus- welchem Maße das Stück ein Publikum setzt. Selbst lyrische Melodien wirken nie ansprechen kann, wird nicht zuletzt von wirklich banal und die Harmonien nicht der Dissonanzgewöhnung der Hörer ab- weichlich. Trotzdem atmet das Werk, das hängen. Karl Löbl — bei englischen Komponisten recht selten — dem Impressionismus aus dem Weg geht, nicht die frischere, herbere Luft der Gegen- NACHRICHTEN wart. R. κ. Österreichische Künstler im Ausland. Irm- Olivier Messiaen: ,,Cantéyod')ay¡¡' für gard Seefried und Elisabeth Schwarzkopf Klavier (Universal-Edition). Der franzö- gastieren unter der Leitung Herbert Kara- sische Klangzauberer und Tonkulissen- jans an der Mailänder Scala in der Neuin- maler hat hier mit allem ihm zu Gebote szenierung der Mozart-Oper „Figaros Hoch- stehenden Raffinement eine zwischen ge- zeit". — Hans Braun gastierte sehr erfolg- wollter Primitivität und diffiziler, fast reich als Germont in den „Traviata"- süchtiger Chromatik, zwischen klarem Aufführungen an der Münchner Staats- Aufbau und rhapsodischer Freiheit schwan- oper. — Dagmar Hermann, Maria Rei- kende Suite geschaffen, die auch für erst- ning, Ruthilde Bäsch, Ljubomir Pant- klassige Pianisten manche heikle rhyth- scheff, Emmy Loose, Wilhelm Loibncr wa- mische, klangliche und technische Probleme ren österreichische Gäste bei der deutschen bergen dürfe. Der Titel „Cantéyodjayâ" Stagione in Barcelona, wo „Tannhäuser" ist Sanskrit, und auch im Notentext stehen und „Rosenkavalier" zur Aufführung ka- Bezeichnungen, die man ohne Gebrauchs- men. — Wolfgang Schneiderhan konzer- anweisung nicht deuten kann. Interpreten tierte in Rom, wo er Beethovens Violin- werden auch an der recht ungenauen Tem- konzert unter Sergiu Celibidache spielte. — pobezeichnung keine Freude haben; das ist von seinen Gastspielen an Stück beginnt etwa' „Très vif". Takt und der Metropolitan-Opera New York zu- Metronom sind nicht vorgeschrieben, und rückgekehrt. — Ljuba Welitsch gastierte so bleibt die Frage offen, ob das „schnell" an der Londoner Covent-Garden-Opera. — für die Achtel oder Viertel gilt. Die Har- Das Wiener Oktett hat sich anschließend monik ist durch eine engmaschige An- an die Tournee der Wiener Philharmoni- wendung chromatischer Fortschreitungen ker auf ein kurzes Schweizer Gastspiel und verminderter Akkorde und die disso- begeben.

66 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Das Kulturamt der Stadt Linz hat im Die Firma .Columbia' hat Strawinskys Sommer 1953 zur Förderung des Schaffens Oper „The Rakes Progress" auf Langspiel- o.-ö. Komponisten ein Kompositionsaus- platten herausgebracht. Die Hauptrollen schreiben für Kammermusik durchgeführt. sind mit Hilde Güden, Blanche Thebom, Aus 23 eingereichten Kompositionen wur- Eugene Conley (Rakewell) besetzt. Stra- den zur Uraufführung im Rahmen eines winsky dirigiert Chor und Orchester der Konzertes der Städtischen Musikdirektion Metropolitan Opera Association. ein Romantisches Bläserquartett von Franz Die Mailänder Scala wird im März Mario Kinzl, ein Streichquartett von Theodor Peragallos neueste Oper „La gita in cam- Tanner, eine Partita für sechs Instrumente pagna" zur Aufführung bringen. von Fritz Heinrich Klein und ein Bläser- quartett von Hugo Placheta ausgewählt. Der diesjährige Genfer Musikwettbewerb wird vom 20. September bis 3. Oktober Die Schola Cantorum Basiliensis hat das stattfinden und ist für die Fächer Gesang, 20. Jahr ihrer Tätigkeit abgeschlossen. In Klavier, Violine, Flöte und Bläserensem- diesen 20 Jahren hat sie sich unter der Lei- bles ausgeschrieben. tung Paul Sachers als Lehr- und Forschungs- Dem Pianisten Walter Gieseking wurden institut einen Namen geschaffen. Musik- die Insignien eines Ritters der französi- studierende aus dem In- und Ausland fin- schen Ehrenlegion überreicht. Gieseking den sich immer wieder an der SCB ein leitet seit 1946 die Meisterklasse für Kla- — Als Lehrer für Blockflöte und Theorie vier am Staatlichen Konservatorium in wurde Christopher Schmidt neu ver- Saarbrücken. pflichtet. — Leider hat die Schola Canto- Ein internationaler Wettbewerb für rum mit dem Tode ihres Mitbegründers Orgelkompositionen wurde zu dem im Prof. Dr. Wilhelm Merian einen Freund Juni stattfindenden Orgelspieler-Treffen und Gönner verloren. Neu in den Vorstand in der holländischen Stadt Haarlem ausge- gewählt wurde Dr. Jean Druey. schrieben. Walter Andress, Förderungspreisträger Meinhard v. Zallinger, der neue musika- im österreichischen Staatspreis für Musik lische Oberleiter der .Komischen Oper' 1953, feiene am 2. Februar seinen 50. Berlin, wurde zum Generalmusikdirektor Geburtstag. Aus diesem Anlaß brachte ernannt. Radio Wien zwei Sendungen festlichen Charakters: am 31. Jänner kam der Opern- Die Königliche Musikakademie in Stock- Einakter „Der Flötenspieler", ein unpro- holm wählte Benjamin Britten und Darius blematisches, heiteres Stück, in ausge- Milhaud zu korrespondierenden Mitglie- zeichneter Besetzung zur Aufführung, am dern. 2. Februar wurde die zweite Symphonie des Die Fédération Internationale des Jeu- Wiener Komponisten, der „Prolog" und nesses Musicales* beschloß, ihren IX. Welt- ein Concertino für Flöte und Orchester kongreß in Deutschland und nicht, wie (Solist: Prof. Camillo Wanausek) aufge- ursprünglich vorgesehen, in Kanada abzu- führt. halten. Der Kongreß findet vom 2.—8. Juni in Hannover statt. An ihm neh- Der neue Innsbrucker Musikdirektor men die offiziellen Vertreter der fünf- Prof. Kurt Rapf befindet sich gegenwärtig zehn europäischen und überseeischen Län- mit dem Collegium musicum Wien auf einer der-Sektionen teil. Konzertreise durch die Vereinigten Staaten, die durch 45 Städte führt. Eine Tagung junger europäischer Kom- ponisten hält die Musikalische Jugend Prof. Dr. Karl Senn, der repräsentativste Deutschlands im März 1954 in München ab. Tiroler Komponist, wurde anläßlich seines Hierbei gelangen Werke unbekannter und 75. Geburtstages mit dem Ehrenring der bekannter jüngerer Komponisten zur Auf- Stadt Innsbruck ausgezeichnet. führung. Ein damit verbundener Kompo- Die Austauschkonzerte der Akademie, nistenwettbewerb kommt soeben zu seinem die wieder — wie in den letzten Jahren Abschluß. In der Jury dieses Wettbewerbes — im Verlaufe des Sommersemesters statt- sind Boris Blacher, Fritz Büchtger, Karl finden, werden sich diesmal um die Städte Amadeus Hartmann, Karl Höller, Wilhelm Köln und München, die ihrerseits eine Maler und Carl Orff. Musikstudentengruppe der führenden Mu- Im Rahmen der „Woche des Gegenwarts- siklehranstalten ihres Bereiches nach Wien theaters" in Nürnberg, gelangt die erste senden, vergrößern. Die Austauschkon- Oper des jungen österreichischen Kompo- zerte mit Lüttich, Brüssel und Belgrad nisten Gerhard Wimmer, „Schaubudenge- werden ebenfalls wieder durchgeführt. schichte" zur Uraufführung.

61 NACHRICHTEN DER AKADEMIE FÜR MUSIK, WIEN

HOFRAT MAX SPRINGER t meisten Konzerte der Tournee übernom- men. So gab es durchwegs ausverkaufte Mit dem am 20. Jänner im 77. Lebensjahr Häuser, zumeist in den modernst ausge- dahingegangenen Meister ist eine der an- statteten High schools. Tausend bis zwei- gesehensten Lehrer- und Musikerpersönlich- tausendfünfhundert Zuhörer pro Auffüh- keiten der Akademie für Musik und dar- rung — alle Mitglieder der Community stellende Kunst dahingegangen. 1910 Concerts, die durch Subskription das wurde Max Springer an die neugegründete Recht zum Besuche von 4 bis 6 Konzerten Kirchenmusikalische Abteilung der Akade- pro Saison erworben haben — zeigten mie — zunächst als Lehrer für Orgel — großes Interesse und Kunstverständnis und berufen; bald erweiterte sich sein Unter- spendeten starken Beifall. richtsgebiet auf die Fächer des gregoriani- schen Chorals, des Kontrapunkts und der Von New York aus führte die Reise- Komposition. Seit 1921 unterrichtete Sprin- route Mitte September durch Pennsylva- ger an der Hauptanstalt Musiktheorie und nien und West-Virginia über Louisville wurde auch wiederholt zum Vorstand die- nach Milwaukee, wo nicht weniger als ser Fachgruppe gewählt. Als 1924 die 6 Draufgaben stürmisch verlangt wurden. Hochschule für Musik gegründet wurde, Bis zur kanadischen Grenze durch die wurde Springer als Professor berufen; drei Staaten Montana und Washington fuhr Jahre später erfolgte seine Bestellung zum „Großmanns Wunderinstrument" („West- Direktor der Akademie; 1931 übernahm er Virginia" vom 2. Oktober) in einem eine Meisterklasse für Komposition. Neben luxuriös ausgestatteten Großautobus und seinem Lehramt und reichem kompositori- fand trotz der knapp bemessenen Zeit schen Schaffen, das zumeist und in seinen Gelegenheit, die abwechslungsreiche Land- bedeutendsten Leistungen (wie etwa dem schaft, Nationalparks, riesige Industrie- „Tedeum") der Kirchenmusik1 gewidmet komplexe zu bewundern und die Black- war, hat Springer auch im Bereich der fach- food-Indianerreservation zu besuchen. Nach wissenschaftlichen Arbeit Großes geleistet, Portland und Seattle waren San Fran- wie seine Werke „Die Kunst der Choral- zisco und Los Angeles im südlich warmen begleitung", „Der liturgische Choralgesang Kalifornien die nächsten größeren Statio- in Hochamt und Vesper" sowie sein nen. „Höchste Anerkennung für Professor Kontrapunktlehrbuch bezeugen. Dem be- Großmanns Werk und die prächtige Qua- deutenden Musiker wie don gütigen, lität seiner Stimmen . . . eine hinreißende hilfsbereiten Menschen ist ein dauerndes Choraufführung, die wahrlich das große Andenken sicher. Erbe der Wiener Musikakademie eindrucks- voll erkennen ließ . . ." war am 17.11.1953 DIE USA-TOURNEE in der „Daily Newspost" zu lesen. Die erfolgreiche Konzertreise ging weiter vor- DES AKADEMIE-KAMMERCHORS. bei an der freundlichen Mormonenstadt Salt Professor Großmanns AkaJemie-Kammcr- Lake City, an Omaha in Nebraska und chor nach 30.000 km Amerika-Tournee Uber den 3800 m hohen Monarchpaß in wieder in Wien. Nach mehr als dreimo- Colorada nach Chikago, wo Konsul natiger Abwesenheit traf der Chor am Dr. Anderwald, nach einem außergewöhn- 23. 12., von Präsident Dr. Hans Sitt- lich beifällig aufgenommenen Konzert in ner, dessen Anregung diese bisher größte der 25000 Personen fassenden Orchestra Reise eines Akademie-Ensembles zu danken Hall, ein Festdiner gab. ist, herzlich begrüßt, am Wiener West- Durchaus im Mittelpunkt der Ovatio- bahnhof ein. nen stand der Gründer und Erzieher des In 75 Konzerten wurde vor rund Akademie-Kammerchors Professor. Ferdi- 120.000 Amerikanern ein meist dreigeteil- nand Großmann, der in unermüdlicher, be- tes Programm gesungen: ein sakraler Teil wunderswerter Vitalität den Chor zu höch- mit Werken von Gallus, Lotti, Mozart und sten Leistungen anspornte und dessen jahre- Bach (in schwarzem Abendkleid, bzw. Frack) lange zielbewußte Arbeit diesen Triumph eine Volksliedgruppe (in österreichischer für Österreichs Musik und Chorkultur Tracht) und schließlich Kompositionen von zeitigte. Beethoven, Haydn, Schubert und Johann Abschluß und Höhepunkt der Tournee Strauß. Die größte Konzert-Organisation war das von Persönlichkeiten der diploma- der Welt, die Community Concert Asso- tischen und musikalischen Welt besuchte ciation, welche Tausende von Konzert- Konzert in der New Yorker Town Hall, orten in ganz Amerika mit ersten inter- wo im zweiten Programmteil ausschließ- nationalen Künstlern versorgt, hatte die lich zeitgenössische Chormusik (darunter

68 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

ein viel beachtetes Werk von Anton Heil- sang der „Süddeutsche Madrigalchor" ler) zur Aufführung gelangte. In der ein- (Stuttgart), unter der Leitung von Thomas flußreichen „New York Times" von Christian David Chöre von Joh. Nep. 14. Dezember stand: „Es fällt schwer zu David, Paul Hindemith, Helmuth Bräuti- sagen, was man am meisten bewundern gam, Th. Chr. David und Carl Orff. Am soll, die exquisite Qualität des chorischen 20. Jänner spielte das „Kölner Streich- Stimmengewebes oder die Klarheit der quartett" (Wolfgang Marschner, Werner individuellen Vokallinien in der polypho- Neuhaus, Erich Bohlscheid, Maurits Frank) nen Musik." Der vorbildlich korrekte und Werke von Bartók, Prokoffieff und Mar- weitblickende Personaldirektor der „Co- tinu. Von den obligaten Mittwochstunden lumbia", Mr. Mertens, lud das Ensemble ist der Vortragsabend der Violinklasse zu einer weiteren Amerika-Tournee im Prof. Theodor Müller besonders zu er- Herbst 1954 ein. Dr. Wilfried Scheib. wähnen. Die nächsten Veranstaltungen: Am Der Verein „Freunde der Akademie für 23. Februar spricht Dozent Gerhard Krause Musik und darstellende Kunst Mozarteum" über „Norwegen in der heutigen Musik". ermöglichte 30 Hörern der Akademie eine (Vortrags-Saal). — Am 25. Februar findet Studienfahrt nach München. Die Studen- in Belgrad der diesjährige Abend Wiener ten, durchwegs Hörer der Opernschule und Musikakademie-Studenten (im Rahmen der Kapellmeisterklasse, hatten dort die der Austauschkonzerte) statt. — Die Wie- Gelegenheit eine Aufführung von Stra- ner öffentliche Generalprobe für dieses winsky's „The Rake's Progress" zu besuchen Belgrader Konzert findet am 22. Februar und fanden dabei eine wertvolle Anregung im Vortrags-Saal statt. — Für den 26. Fe- für ihre eigene Arbeit. Weitere solche bruar ist ein Klavierduo-Abend des deut- Fahrten sind geplant; in Kürze soll Linz schen Künstlerpaares Juliana Lerche — besucht werden, um Hindemiths „Mathis Ingeborg Herkomer (Weimar) mit Werken der Maler" zu hören. Prof. Dr. Fritz Tu- von Bartók, Hindemith, Schröter, Britten, tenberg, der Leiter des operndramatischen Heil 1er, Poulenc, Milhaud im Vortrags- Unterrichtes wurde von der königlichen Saal angesetzt. — 6. März: Klaviernach- Musikakademie in Stockholm zum kor- mittag der Vorbereitungs-Klassen im Vor- respondierenden Mitglied auf Lebenszeit trags-Saal. — Am 9. März reisen die Stu- ernannt. Prof. Dr. Ernst Reichert absol- dierenden zur Absolvierung der Austausch- vierte eine Vortragsreise in Deutschland konzerte in Köln (11. März), Lüttich (Essen, Hamburg, Braunschweig) und (13. März) uftd Brüssel (16. März) ab. Im sprach über das Thema „Nietzsche und Laufe des Sommersemesters werden Studen- Wagner als Liederkomponisten" und über tenensembles aus Belgrad, Köln, Lüttich das Thema „Das Liedprogramm der Sän- und Brüssel in Wien konzertieren. — Am gerin". Mit dem Bariton K. H. Bäcker 12. März findet der Opernabend der Klasse brachte Dr. Reichert in Essen das „Heitere Prof. Kammersänger Hans Duhan im Herbarium" von Waggerl-Salmhofer zur Akademietheater statt. — Ebenfalls im dortigen Erstaufführung. Akademietheater wird am 19. März zu- gunsten der „Freunde der Akademie für Prof. Franz Babor, als Solotrompeter Musik" eine „Festakademie prominenter langjähriges Mitglied des Mozarteumorche- Absolventen der Akademie" durchgeführt. sters und als ehemaliger Pädagoge an der Akademie Mozarteum sehr ge- schätzt und beliebt, feierte am 19. Jänner MOZARTEUM SALZBURG in seltener Frische semen 75. Geburtstag Am 27. Jänner fand zum Anlaß de> Bericht der Studentenschaft. Bei der 198. Geburtstages von W. A. Mozart im Hochschülerwahl am 27. November 1953 Großen Saal ein Festkonzert statt. Erika wurde von der Studentenschaft der Aka- Fauß (Klasse Prof. Heinz Scholz) und Ma- demie Mozarteum die überparteiliche ria Michaela Cuway (Klasse Prof. Kurt Liste der Studentenvertreter gewählt und Neumüller) spielten die Klavierkonzerte vom Zentralausschuß in Wien anerkannt. d-moll KV 118, bezw. Es-Dur KV 271. Fer- Die Liste wird aus Vertretern verschiede- ner kamen die Ouvertüre „La Betulia libera- ner Fachgruppen gebildet. In nächster ta" und die Symphonie C-Dur KV 425 zur Zeit soll die Aufteilung der Referate er- Aufführung. Es spielte das Akademie- folgen und der Vorsitzende dieses Haupt- orchester unter der Leitung von Prof. ausschusses gewählt werden. Ist dies Theodor Müller. Zwei Veranstaltungen erfolgt, kann mit der eigentlichen des „Musikkreises" hatten ein besonders Arbeit im Ausschuß begonnen wer- künstlerisches Gepräge: am 13. Jänner den, der aus sieben Mitgliedern be-

69 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT stehen wird, von denen jedes ein Referat Melos, Mainz, Januar 1954: J. Cocteau: übernehmen wird: 'Wirtschaft, Kultur, Die Gruppe der Sechs. — F. Goldbeck: Sport, innere, rechtliche und finanzielle Dissonanzen-Dämmerung. — W. Freytag: Angelegenheiten. Die große Zahl der aus- Blachers Concertante Musik im Musik- ländischen Hörer wird ebenfalls durch einen diagramm. — O. F. Schuh: Gedanken über Vertreter ihre Interessen wahren. Die Stu- das musikalische Theater der Gegenwart. dentenschaft hat nun in Zukunft die Mög- Musica, Kassel, Januar 1954: W. Tappo- lichkeit, mit den Hörern der philosophischen let: Die Musik in der zeitgenössischen Fakultät zusammenzuarbeiten, dies haupt- Kunst. — O. Riemer: Der langsame Sat/.. sächlich in Bezug auf gemeinsame wirt- — Α. Machner: Zwischen gestern und heute schaftliche Fragen, wie ζ. B. die Errichtung (R. Stephan). — A. Suder: Musikwissen- einer Mensa. Schon im abgelaufenen Schul- schaft und Berufsausbildung. — E. Nick: jahr war es möglich gewesen, Mittagstische Operetten dämmung. in Privathäusern und Gaststätten zu er- Musique et Radio, Paris, Jänner 1954: halten. In der Absicht des Hauptausschusses J. Bathori: Au sujet de l'interprétation des wird es auch sein, den Hörern der Aka- mélodies de Debussy. — Β. Loth: Henri demie den Zutritt bei verschiedenen kultu- Expert. — G. Aubanel: L'Etude du rellen Veranstaltungen zu günstigen Be- Rythme dans l'Education musicale. dingungen zu ermöglichen. Symphonia, Hilversum, Jänner 1954: A.B.C. Bonser: Een terugblik in 1953. — Auteursrecht in de kerkmuziekpractijk. — WAS DIE ANDERN SCHREIBEN P. Nuten: Activiteit in de Koninklijke Vlammse Opera te Antwerpen. — M.P.v. Wely : Grote toonkunstenaars op bezoek in Das Musikleben, Mainz, Januar 1954: ons land (). A. Holde: Die musikalischen Schätze der Zeitschrift für Musik, Regensburg, Jän- öffentlichen Institute in USA. — ner 1954: E. Valentin: Um die Wahrheit H. Scherchen: Das Opernland Italien. — der Kunst. — E. Valentin: Mäzene sind E. Vietta: Die Entstehung der ,Ariadne' wir alle! — E. Kroen: Industrielles im Briefwechsel von Hugo von Hofmanns- Mäzenatentum — C. Henning-Bachmann: thal und Richard Strauss. Aktives Mäzenatentum.

INHALTSVERZEICHNIS

Prof. Dr. Otto Erich Deutsch: Mozart und die Schönbrunner Orangerie ... 37 Dr. IL C. Robbins Landon: Eine neue Mozart-Quelle 42 Dr. Othmar Wessely: Mozarts „Glücks-Wunsch, beim Punsch" .... 44 Prof. Dr. Hans Sittner: Zur sozialen Lage des Berufsmusikers 48 Dr. Egon Seefehlner: Amerikanische Musikpflege auf breiter Basis 53 Redaktionskomitee: Vor einer neuen Staatsopern-Aera 56 T. O.: Alexander Spitzmüller, 60 Jahre alt 58 Dr. Gustav Pichler: Oscar Straus t 58 Österreichische Chronik 59 Neue Schallplatten 63 Literatur 64 Nachrichten 66 Nachrichten der Akademie für Musik in Wien 68 Nachrichten aus dem Mozarteum, Salzburg 69 Was die andern schreiben 70

Bezugsbedingungen: Jahresabonnement: öS 75.—, DM 20.—, sfr 20.—, S 4.50 (inkl. Porto; Halbjahrsabonn.: öS 40.—, DM 11.—, sir 11.—. J 2.40 (inkl. Porto); Vierteljahrsabonn. : öS 21.—, DM 6.—, sfr 6.—. $ 1.30 (Inkl. Porto); Einzelheit: öS 7.50, DM 2.—, sfr 2.—, t —.45. Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Elisabeth Lalite, Wien IV, Hauptstr. 15, Tel. U 46 4 56 (Redaktion). Für den Inhalt verantwortlich: Dr. Doll Lindner, Wien VI, Gumpendorferstr. 71. Zentralvertrieb: Wien ΙΠ, Metternichgasse 8, Telefon U 18 4 37. Druck: Josef Schwarz' Erbin, Wien IX, Sensengasse 4, Telefon A 25 4 13. Unverlangt eingesandte Manuskripte werden nur retourniert, wenn Rückporto beiiiegt. ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

BEGRÜNDET VON DR. PETER LAFITE t

9. JAHRGANG MÄRZ 1954 HEFT 3

Isolde Ah l gr i mm und Dr. Erich Fiala.

ZUR AUFFUHRUNGSPRAXIS DER BACH'SCHEN CEMBALOWERKE Die bekannte Wiener Cembalistin, auf musikwissenschaftlichem Gebiet stets mit ihrem Gatten Dr. Fiala zusammenarbeitend, setzt mil ihren eminent wichtigen Darlegungen unsere Beitragsserie „Künstler zu Problemen der Wiedergabe" fort.

Der Zweck folgender Zeilen ist es, die Notwendigkeit der Beherrschung aller handwerklichen Kenntnisse nachzuweisen, über die ein Interpret barocker Musik verfügen muß. Jeder Komponist rechnet bei der Aufzeichnung seiner Musik mit den Notierungsgewohnheiten seiner Zeit, d. h. er notiert so, daß sich im kontem- porären Interpreten bei Lesung des Notentextes zwangsläufig die gleiche musi- kalische Vorstellung bildet, die den Komponisten bei der Aufzeichnung beherrschte. Da sich aber Gebrauch und Bedeutung der Notation kontinuierlich ändert, sollte es jedem Musiker vor allem wesentlich sein, die Notationsge- wohnheiten jener Zeiträume genau zu kennen, denen die zu interpretierenden Kompositionen angehören. Wir verlangen heute von einer Notierung, daß ihre Zeichen sowohl die Tonhöhe als auch den Ablauf der Musik in der Zeit (Noten- und Pausenwerte) genau und eindeutig anzugeben vermögen. Am Beginne der abendländischen Notenschrift waren diese beiden Erfor- dernisse noch nicht erfüllt. Zu Bach's Zeit aber waren die Möglichkeiten, Ton- höhe und Zeitwerte eindeutig aufzuzeichnen, bereits vollkommen ausgebildet. Trotzdem notierte das Barock nicht immer mit der möglichen, absoluten Genauigkeit. Es gestattete nicht nur, sondern forderte sogar gewisse Abweichun- gen. Diese entsprangen einerseits dem Wunsche, beim Notenschreiben Arbeit und damit Zeit zu sparen, andrerseits aber rein künstlerischen Gründen. Couperin sagt ganz offen: »„Wir notieren nämlich abweichend von unserer wirklichen Ausführung; daher spielen :die Ausländer unsere Musik weniger gut als ihre •eigene". Hatte doch jedes Land im Lauf der Zeit seine eigenen Gewohnheiten

71 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT entwickelt, die man unter dem Begriff „Schule" zusammenfaßte. So gab es eine deutsche, eine italienische, eine französische Schule. Viele Musiker beherrschten nur die Schule ihres Vaterlandes; von einem wirklich guten Musiker erwartete man aber, daß er alle drei Schulen kenne. Bach übertrifft vielleicht alle anderen Musiker seiner Zeit in der virtuosen Beherrschung der drei führenden Stile. Manche Originaltitel seiner Werke beziehen sich sogar wörtlich auf diese Schulen: „Ouverture nach französischer Art", „Aria variata alla maniera italiana". (Die Titel „Französische" und „Englische" Suiten und „Deutsche Partiten" hingegen sind apokryph.) Der Interpret Bach'scher Werke sollte daher in diesen drei Schulen genau Bescheid wissen. Welcher Art sind aber die Abweichungen der barocken Notation von der heute gebräuchlichen? Betrachten wir zunächst einmal ein aufschlußreiches Beispiel aus dem Gebiet der Rhythmik, das allgemein bekannte Thema der Bach'schen Violinchaconne, das im Autograph so lautet:

Alle Geiger des 19. und 20. Jhs. empfanden „intuitiv", daß bei ihrer gewohnten Ausführung des Themas „etwas nicht stimme" und versuchten es mit verschiedenen Veränderungen, von denen wohl die Petersausgabe (Hellmesberger) am weitesten φgeht und dahe r wohl am beliebtesten geworden ist:

Nur wenige Geiger wissen heute Uberhaupt mehr, daß sie damit eine schänd- liche Bearbeitung spielen. Was aber die rhythmische Ausführung betrifft, ruht sie auf den Noteniesegewohnheiten des 19. Jhs. Denn in der Barockzeit herrschte dafür eine Regel, die in unzähligen Belegen überliefert ist, deren einen wir hier zitieren: „... bey der Loure, Sarabande, Courante und Chaconne müssen die Achttheile so auf punctirte Viertheile folgen, nicht nach ihrer eigent- lichen Geltung, sondern sehr kurz und scharf gespielet werden. Die Note mit dem Punct wird mit Nachdruck markiret, und unter dem Puñete der Bogen abge- setzet" (Quantz). Demzufolge hat die Chaconne in Wahrheit so zu klingen: ί1 ^"ί,ί..;^-:^ 72 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Wir haben vielen Geigern diese richtige Lösung mitgeteilt, wobei wir stets auf die Fülle des vorhandenen Beweismaterials hingewiesen haben. Zwei der bekanntesten europäischen Solisten (die Namen sind der Redaktion bekannt) antworteten uns ganz unabhängig von einander: „Ja, Sie haben sicher recht; es klingt auch wirklich viel besser, aber wir getrauen uns nicht, so zu spielen, denn die Kritik würde uns das sehr übel vermerken" und so spielen beide bewußt falsch weiter. Leider sind die beiden aber durchaus im Recht, denn der Musiker muß auch leben und ist auf die Wohlmeinung von Publikum und Kritik angewiesen. Als ich ζ. B. im vergangenen Dezember die „Kunst der Fuge" spielte, schärfte ich selbstverständlich den punktierten Rhythmus im 6. Kontrapunkt. Prompt konnte ich dann in der Zeitung lesen, daß durch meine „recht eigenwillige rhythmische Akzentuierung das Verständnis des Auf- baues erschwert wurde". Wenn man sich eine Vorstellung von der Vergewaltigung Bach'scher Musik durch die Mißachtung dieser angeführten Regel machen will, dann spiele man sich nur einmal den Beginn des op. 111 von Beethoven in folgender Form vor:

w y ^ mmρ JE.

» - , I

Bach hat aber alle seine „111er" so notiert, da er nicht ahnen konnte, daß man in späteren Zeiten seine Notierung nicht mehr verstehen werde. Kann man solche Veränderungen noch unwesentliche nennen? Kann eine Interpretation, die über all das „intuitiv" hinweggeht, überhaupt noch mit der Bezeichnung „Wieder"gabe geehrt werden? Wohin kommen wir aber, wenn man sich am Ende hüten muß, Erkennt- nisse zu verwerten, die bei der Kritik eine ungünstige Aufnahme finden könnten? Es war daher für mich selbstverständlich, Bach's Sarabande mm Ί rf=P

•ru j ?=f=f= ¥ so auf die Schallplatte zu spielen, wie sie tatsächlich klingen soll:

73 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

—/ Ufi Ή J>—f·— r^%r r — 1 1 ^ i rv. λ f 4f 14 ÌUP r r

In der Musik französischen Stils war die Punktierung so üblich, daß Couperin sa^en konnte: „Zum Beispiel spielen wir mehrere stutenmäßig verlaufende Achtel, als seien sie punktiert, und doch zeichnen wir sie als gleichwertige auf'". Sollten einmal ausnahmsweise gleiche Achtel gespielt werden, setzte Couperin ,,.ί notes égales" über das Stück. Auch die Bezeichnung „Andante" hatte zuweilen diese Bedeutung (s. Walther) und es ist sehr zu überlegen, ob das „Andante" am Beginn der 15. Goldberg-Variation überhaupt eine Tempobezeichnung darstellt. Wir möchten annehmen, daß auch hier die genaue Beobachtung der „notes egales" gemeint war. Zum Gebiet des zeitlichen Ablaufes der Musik gehört aber auch das Tempo, das heute durch Mälzel'sche Metronomzahlen festgelegt wird. Erfunden wurde das Metronom aber schon 1698 von Loulié, der es mit folgenden Worten anpries: „Beschreibung des Chronometers, eines Instrumentes mittels dessen die Komponisten in Zukunft die wahre Schnelligkeit ihrer Kompositionen angeben können, so daß man ihre Airs in ihrer Abwesenheit ausführen kann, als ob sie selber den Takt schlügen". Trotz dieser Erfindung, benutzten die Barockmusiker kein Metronom, denn sie besaßen ein viel feineres Gefühl für Tempo als wir Heutigen. Quantz nennt den menschlichen Puls das Maß aller Tempi. Er stützt sich dabei mehr auf eine uralte Musizierpraxis als er selbst vielleicht ahnte. Bezieht er sich doch damit unbewußt auf das „tempo ordinario", einen fest- stehenden Begriff der Mensuralmusik, der weit ins Barock hinüberreicht (Gersten- berg). Die Tempi der Tanzmusik (Suiten) sind nahezu eindeutig aus den Tanz- schritten abzuleiten, vorausgesetzt, das man sich die Mühe macht, diese Schritte nach alten choreographischen Aufzeichnungen und Beschreibungen zu studieren, was nicht einfach ist (s. unseren Artikel zu „Die sechs Englischen Suiten" i. d. Serie „Sämtliche Werke für Clavicembalo von J. S. Bach", Philips A 00169/71 L). Ein anderes großes Gebiet, dessen genaue Kenntnis für den Interpreten eine Selbstverständlichkeit sein sollte, pflegt man mit dem Begriff der Ornamentik zu umreißen. Sie zerfällt in zwei große Gruppen, deren erste jene Ornamente umfaßt, deren Noten durch kleine Zeichen angedeutet sind. Dolmetsch zählt deren genau siebzig auf! Dem heutigen Musiker sind nur vier oder fünf bekannt: der Pral- ler, der Mordent usw. Vor der Benützung der heute üblichen Faustregel ihrer

74 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Ausführung „ein langer Vorschlag beträgt die Hälfte des folgenden Notenwertes" sei eindringlich gewarnt. Es sind leider nicht alle Vorschläge der Barockzeit lang und schon gar nicht beträgt der lange Vorschlag immer die Hälfte des Noten- wertes. Es gab seinerzeit dafür eine Unzahl von Regeln, die sich teilweise über- schnitten, teilweise sogar widersprachen. Selbst die alten Lehrbücher müssen ge- stehen, daß nur eine genaue Kenntnis der Setzkunst ermöglicht, die oft schwierige Entscheidung zu fällen, welche der Regeln für den betreffenden Fall Geltung hat. Ein besonders markantes und uns heute fremd anmutendes Beispiel eines langen Vorschlages sei hier angeführt (Quantz, Tb. VI.): Notierung # Ausführung Wenn wir bei Kammermusiken auf einen solchen Fall stießen, gab es unter unseren Musikern immer helle Aufregung. Und es ist ja wirklich viel verlangt, v/enn die Noten dort gespielt werden sollen, wo die Pausen stehen! Immerhin kann man mit einigem Fleiß die Bedeutung dieser Zeichen erlernen. Schwieriger ist es mit der zweiten Gruppe, der sogenannten freien Ornamentik. Quantz überschreibt sein davon handelndes Kapitel: „Von den willkürlichen Veränderungen über die simplen Intervalle". Aus der Unzahl der Beispiele zeigen wir nur, was im Rahmen eines einfachen Quartschrittes für Möglichkeiten offenstanden: m mmFfgFr f Hfl pita (gtUL ΓΓΓΓΓ 1'ΓΓ]¥ì4ffff r 4n ti*-*·fftfffH- * 1 m J Γ Triff famm Es ist nicht verwunderlich, daß die heutigen Interpreten bei der Aus- führung barocker Musik von dieser großen und seit Mozart in der ernsten Musik nicht mehr wiederkehrenden Chance, die „eigene Persönlichkeit" tatsächlich wirken zu lassen, niemals Gebrauch machen. Sind sie doch von Kindheit an zu einer „notengetreuen" Art der Ausführung erzogen worden. Jetzt sind sie so unselbständig, daß sie die Zumutung ängstlich von sich weisen würden, etwa bei Wiederholungen Anderes, Eigenes zu spielen, das allerdings auf dem Boden der vorgezeichneten Komposition stehen muß. Wie gering der Persönlichkeits- anspruch unserer heutigen Musiker geworden ist, beweist am besten die Tatsache,

75 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT daß es zu den klassischen Konzerten gedruckte Kadenzen gibt. Diese wurden — meist vor mehr als fünfzig Jahren — von einem damals berühmten Pianisten oder Geiger aufgeschrieben und werden heute gleich mit dem Originaltext des Kon- zertes auswendig gelernt. Der geringste Stadtmusikant des 18. Jhs. hätte sich geschämt, so zu handeln. Eigene Kadenzen wären schon deshalb sehr begrüßens- wert, da sie einen untrüglichen Wertmesser der Stilkenntnis des Interpreten liefern würden; über die Richtigkeit dieser Feststellung lassen uns die Kadenzen des 19. Jhs. zu den Konzerten Mozart's leider nicht im Zweifel! Welche Folgen ergeben sich aber aus der Mißachtung dieser eben angedeu- teten Zierpraxis? Stellen Sie sich vor, Chopin hätte die Takte 83 bis 85 im f-moll-Konzert so notiert

nicht aber so

und man würde sie heute auch in der ersten Form spielen! Solche „ausge- schriebene" Ornamentik erfüllt bei Chopin fast jeden Takt. Glauben Sie, daß es erträglich wäre, einen ganzen Chopinabend ohne seine Ornamentik zu hören? Das Barock hat aber fast alle seine Werke in der vereinfachten Form notiert und dem Ausführenden die Wahl des Ornaments freigelassen. Der heutige Inter- pret spielt aber nur mehr die notierten Noten und alles, was seinerzeit ja erst die „Würze" ausmachen sollte, wird aus Unkenntnis weggelassen. Bach hat diese freie Ornamentik für den Geschmack seiner Zeitgenossen schon sehr eingeschränkt, was ihm den Tadel seines Kritikers Scheibe eintrug; trotzdem gibt es auch in Bach's Werk viele Stellen und ganze Sätze, die unverkennbar mit der breitesten Anwendung der freien Ornamentik rechnen. Allen voran und auch allen bekannt: die berühmten Arpeggien in der „Chromatischen Fantasie", die sich leider zumeist mit leeren Dreiklangszerlcgungen abfinden müssen, wobei Pianisten gerne noch ein wenig „Klangfarbenrisotto mit Pedal" servieren.

Daß Bach aber sogar den Unterricht dieser Zierpraxis für die Ausbildung seiner Schüler als unumgänglich notwendig erachtete, beweist ein kleines Stück- chen, das er seiner Frau Anna Magdalena 1722 ins Notenbüchlein schrieb, ein kleines Fragment: „Air mit Variationen". Bach notiert zuerst eine kleine Melodie mit wenig Verzierungen, dann zeigt er sie aller — in diesem Falle ausgeschrie- benen — freien Ornamentik entkleidet und gibt zuletzt eine reich verzierte Fassung. ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Der beschränkte Raum erlaubte uns nicht mehr, als — beinahe wahllos — •einige Probleme zu berühren, die selbst wieder nur wenigen Gebieten entnommen sind. Wer aber über ein tatsächlich ausreichendes Rüstzeug für die Interpretation Bach'scher Musik verfügen will, muß außerdem noch die — von den unseren sehr abweichenden — Gewohnheiten des Barocks auf folgenden Gebieten eingehend studiert haben: Kenntnis, Pflege und Wahl des richtigen Instrumentes (Cembalo, Clavichord oder Orgel), Temperatur, Textkritik, Anschlag, Fingersetzung, Phra- sierung, Agogik, Registrierkunst, Setzkunst, Rethorik und Generalbaß. Daneben sollten auch weitgehende biographische Studien betrieben werden. Wenn man das alles gelernt hat und nebenbei noch Zeit gefunden hat, genügend Fingerübungen zu machen, um die spieltechnischen Voraussetzungen des virtuosen Musizierens zu schaffen, dann erst ist die Möglichkeit einer richtigen Interpretation gegeben. Ob es aber auch eine künstlerisch und menschlich ergreifende Leistung wird, darüber entscheiden Mächte, die sich eige- nem Intellekt und eigenem Wunsch entziehen. Wir möchten aber allen, insbe- sondere den jungen Musikern raten, nicht im Vertrauen auf diese Mächte, das Studium der wichtigsten Hilfsmittel gering zu schätzen. Wer Barockmusik interpretieren, noch mehr aber, wer sie lehren oder gar kritisieren will, muß sich an die Anordnungen der Barockmeister selbst halten: „Ein Fleiß also, der eine brennende Liebe und unersättliche Begierde zur Musik zum Grunde hat, muß mit einem beständigen und eifrigen Nachforschen, und reifen Nachdenken und Untersuchen verknüpfet werden. Es muß ein edler Eigensinn dabey herrschen, welcher nicht erlaubet, daß man sogleich in allen Stücken mit sich selbst zu- frieden sey, sondern immer vollkommener zu werden trachte. Denn wer die Musik nur auf das Gerathewohl, nur als ein Handwerk, nicht als eine Wissen- schaft treiben will, der wird lebenslang ein Stümper bleiben" (Quantz).

Literatur. Die hier angeführten Werke des 18. Jhs. sind sämtlich in Neu- drucken bei Bärenreiter, Breitkopf und Kahnt erschienen und im Buchhandel erhältlich; -wenigstens folgende Schriften sollte ein Interpret barocker Musik täglich zur Hand haben:

Couperin, L'Art de toucher le clavecin, 1716 (1933) Walther, Musicalisches Lexicon, 1732 (1952) Mattheson, Der vollkommene Kapellmeister (Neudruck in Vorbereitung) Adlung, Musikalische Gelahrtheit, 1758 (1933) C. Ph. Bach, Versuch über die wahre Art das Ciavier zu spielen, 1759 (1925) Quantz, Versuch einer Anweisung, 1789 (1952) Haas, Barockmusik, 1928 (Neuaufl. in Vorbereitung) Haas, Aufführungspraxis, 1931 (Neuaufl. in Vorbereitung) Unger, Musik und Rhetorik, 1941 Dolmetsch, The interpretation of the music of the 17. & 18. Cent., 1946 - Gerstenberg, Die Zeitmaße und ihre Ordnungen in Bach's Musik, 1951.

77 Karl Kob aid JULIUS BITTNER UND FRANZ SCHREKER

Dieser Tage gedenkt das musikalische Wien zweier Künstler eigen- artigster Prägung: am 9. April wäre Julius Bittner 80 Jahre alt geworden, am 21. März jährt sich zum 20. Mal der Todestag Franz Schrekers.

Um die Jahrhundertwende und in den ersten Dezennien unseres Säkulums erfreute sich Wien eines reichen Kunstlebens. Überall regte sich ein neuer Geist, entstanden Bewegungen zur seelischen und geistigen Erneuerung des künstleri- schen Schaffens. Auf dem Gebiete der bildenden Künste entfaltete die neuge- gründete „Sezession" unter der Führung von Gustav Klimt, Olbrich, Karl Moll u. a. eine rege künstlerische Tätigkeit. In die Literatur streute Hermann Bahr, der glänzende Essayist und feine Lustspieldichter, unermüdlich neue Anregungen und wurde der Führer der Dichtergruppe „Jung-Wien". der unter anderen Dichter wie Arthur Schnitzler, , Peter Altenberg an- gehörten. Die Nachfolge Anzengrubers trat Karl Schönherr an, dessen Dramen und Komödien mit ihrer elementaren Kraft und großen theatralischen Wirkung bedeutende Erfolge erzielten. Besonders trat auch im Wiener Musikleben ein starker Verjüngungsprozeß zutage. Der Feuergeist Gustav Mahlers gab als Operndirektor und schaffender Künstler dem Wiener Kunstleben neue Impulse, Arnold Schön- berg suchte, unbekümmert um Erfolg, neue Wege für das musikalische Schaffen. Neben diesen bedeutenden Tondichtern und anderen mehr oder weniger be- scheidenen Begabungen, die ruhig und sicher ihren Weg gingen, erlebte das musi- kalische Wien damals auch zwei interessante Künstler, die neben Kienzl, Ale- xander von Zemlinsky und später Erich Wolfgang Korngold und Franz Schmidt auf dem Gebiet der Oper hervortraten: Julius Bittner und Franz Schreker.

Noch stand in jener Zeit die Oper im Banne Richard Wagners, der die Idee des Wort-Tondramas verwirklicht und ihm alle Künste dienstbar gemacht hatte. Die ihm folgende Generation, durch ihn befruchtet und doch auch wiederum durch sein überragendes Genie gehemmt, mußte ihren Weg über ihn hinaus oder durch und um ihn herum suchen. Es galt für den Schaffenden, dem Dämon Wag- ner nicht ganz zu verfallen, vielmehr sich mit ihm auseinanderzusetzen und dann, derart befruchtet, den eigenen Weg zu finden, also eine Möglichkeit des Tondramas zu suchen, dessen Wesen, wohl erhöht durch sinnvollen und poetisch interessanten Inhalt des Textes, hauptsächlich durch die Musik bedingt wird, ohne daß hiebei des ursprünglichen Sinnes der Oper als reizendes Spiel, als Berauschung des Ohrs und des Auges vergessen wird. Es waren Julius Bittner und Franz Schreker, die, wenn auch durch Wagners Werk, letzterer auch durch Debussy und den Impressionismus beeinflußt, jeder in seiner Art ihre eigenen Wege gingen in der Erkenntnis, daß man sein Kunstwerk nicht aus anderen Schöpfungen ableiten dürfe, also Kunst „Können" bedeutet, das ausdrücken,

78 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT was im Künstler leibhaftig lebendig geworden ist und ans Licht drängt. Es waren zwei Künstlerpersönlichkeiten, die wie Wagner selbst ihre Texte für die Opern schrieben und deren Doppelbegabung von Anfang an die Entwicklung ihres Schaffens beeinflußte, die aber sonst in ihrem Wesen als Mensch und Künstler ganz verschiedene Naturen waren und auch als Tondichter ganz verschiedene Wege gingen. Julius Bittner, der am 9. April 1874 geboren wurde, war — er bekleidete durch mehrere Jahrzehnte das Richteramt — der Typus des musischen Beamten, wie ihn nur Österreich hervorgebracht hat. Er war eine Vollnatur, die, natur- verbunden, kräftigen Humor mit kindlicher Einfalt verband, aber auch klar- heit des Geistes mit reichem, durch eifriges Studium erworbenen Wissen be- kundete. Wo man ihn traf, in seiner Familie, im Freundeskreis, in Konzerten, bei heiterer Tafelrunde, immer freute man sich seiner Gegenwart, die so etwas Gesundes, Rustikales, Freude und Glücksgefühl ausstrahlte. Er war anders als die anderen, originell als Mensch und Künstler, und es war ein Genuß, ihm, mochte man auch anderer Ansicht sein, zuzuhören, wenn er in der zupackenden, saftigen Art seiner scharfen, lauten Diktion über Probleme der Kunst sprach. Er war im Leben durchaus ein Optimist. So erinnere ich mich, wie er kurz nach dem ersten Weltkrieg ins Unterrichtsministerium in mein Büro kam und mir fast jubelnd mitteilte, nun werde ein eigenes Staatssekretariat für schöne Künste, wie ein solches in Paris bestehe, errichtet, und man werde ihn mit dessen Leitung betrauen — ein Wunsch, der natürlich nie in Erfüllung ging. Wie als Mensch, so war Bittner auch als Künstler ein Original. Die Mutter seiner Schöpfungen war die Heimat. Was sie ausstrahlte, lebte und blühte auch in seinem Werk, aus dem das heimatliche Gefühl frisch und rein wie Bergquell sprang. Trotz seiner streng formalistischen Schulung bei Labor und seinem Oheim, dem alten Krenn, der auch eine Zeitlang Lehrer Mahlers war, stand der Jüngling zunächst noch völlig unter Wagners Einfluß und begann vorerst deutsche Heldenopern zu kompo- nieren. Erst in der „Roten Gred" (1906) gelangte Bittner zur Eigenentfaltung. Sein Bemühen galt nun der volkstümlichen Oper, der er durch sein Schaffen neues Leben zuführte. Romantiker, liebte er in seinen Opern und Dichtungen Gestalten, die an die mittelalterliche Romantik gemahnten, Ritter und Lands- knechte, Mägde, Hexen wie in „Höllisch Gold", „Bergsee", „Rote Gred", „Rosen- gärtlein". Er gestaltete in dem „Augustin" mit dem Dudelsack eine urwüchsige Gestalt des Wiener Bodens. Sein feinstes Werk war meines Erachtens „Der Musikant", eine Schöpfung, in welcher der ganze Bittner lebt, mochte er der rührenden Gestalt des „Geigerlein" die holdesten Melodien in den Mund legen oder den Roßmist als besten Dung für den Ackerboden in Tönen feiern. Man nannte ihn einen „Naturburschen der Kunst". Er war eine ursprüngliche pro- duktive Kraft, die nur intuitiv das beste ihres Wesens hergeben konnte. Die Kritik hatte zuweilen seinem Schaffen gegenüber das böse Wort „Dilettant"

79 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

•gebraucht, weil seine Baßschritte, das thematische Gerüst der Motive nicht immer einwandfrei seien. Mochten die Superklugen in manchem recht haben, aber Bittner war mit allen seinen Vorzügen und Fehlern doch eine der erfreulich- sten Erscheinungen im Musikleben jener Zeit, ein Natürlicher unter all der Künstelei, der seine Operngestalten aus jenen Bereichen holte, in denen das Herz, die Güte, die lautere Menschlichkeit herrschen. Nichts störte dieses optimistische freudenvolle Künstlerleben, bis auch in dieses harmonische Dasein der Schatten menschlicher Tragik fiel. Er wurde zuckerkrank, ein Fuß mußte ihm amputiert werden. Zuletzt sah ich ihn noch manchmal in einem Konzertsaal, wohin er in einem Rollwägelchen geführt •vvurde. Wenn man ihn fragte, wie es ihm gehe, erwiderte er: „Ausgezeichnet". Sein Antlitz schien nicht zu verraten, daß diese Antwort wohl ironisch gemeint sei. Er stand schon über den Dingen, ein Weiser, dessen Seele nicht mehr von dem Irdischen berührt wurde. — — — Ganz anders als Bittner war der Mensch und Künstler Franz Schreker, der vor zwanzig Jahren plötzlich aus dem Leben schied. Schon sein Äußeres hatte etwas Dämonisches. Er war origineller, wohl auch der größere Künstler, er war ein Feuergeist, zugleich ein raffinierter Artist voll schillernder Farbe, schwüler Erotik, zauberischen Klangs in seiner Musik, dem eine außerordentliche Theater- bcgabung eigen war. Charakteristisch für sein künstlerisches Wesen ist, daß in seinen Dramen häufig verwachsene, mißgestaltete Personen die Hauptgestalten der Szene bilden, und zuweilen schwüle Erotik bis zum pathologischen Sexual- trieb ausartet. Als Sohn deutscher Eltern in Monaco 1878 geboren, erlebte er, da sein Vater, ein Fotograf, bald starb, eine harte Jugend voll Armut und Sorge. Schüler von Bachrich, Rose, Grädener und Robert Fuchs am Wiener Konserva- torium, blieb er zunächst, in ärmlichen Verhältnissen in Wien lebend, verborgen und ohne Erfolg. Ein Ereignis brachte die für seinen Aufstieg nötige Wendung. Im Sommer 1908 komponierte er zur feierlichen Eröffnung der von der Klimt- •Gruppe veranstalteten „Kunstschau" die Musik für die Pantomine „Geburtstag der Infantin", in der Grete Wiesenthal tanzte. Im selben Jahr rief er den phil- harmonischen Chor ins Leben, in dem er vor allem Werke moderner Chormusik, darunter Schönbergs „Gurre-Lieder", Werke von Mahler, Delius, Zemlinsky, 'Walter Braunfels, Schilling zur Aufführung brachte. 1912 wurde er als Lehrer für Komposition an die Wiener Musikakademie berufen, wo er, bald ein geistiger Führer der musikalischen Jugend, einen suggestiven Einfluß auf junge Talente ausübte. Eine große Zahl jüngerer Komponisten wie Haba, Krenek, Rosenstock, Gmeindl, Petyrek u. a. sind aus seiner Schule hervorgegangen. Auch als Opern- "komponist lenkte er nun die Aufmerksamkeit der musikalischen Welt auf sich. Es begann der Siegeszug seiner Opern, von Frankfurt ausgehend, vor allem in Deutschland. Er erhielt eine Berufung als Direktor an die Musikhochschule in Berlin, wo er bald im Musikleben eine führende Rolle einnahm. Er wurde dort

80 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT als der zukunftsvolle Erneuerer eines musikdramatischen Stiles gefeiert, in dem das alte Kulturgut der Oper mit dem neuen des Wagner'schen Wortdramas ver- schmolzen wird. Er fand einen temperamentvollen Propagator in dem Musik- schrittsteller Paul Bekker, der ihn als den Musiker pries, der — trotz Richard Strauss und Pfitzner — als erster nach Wagner wieder musikalisch und drama- tisch berufen schien, einen neuen modernen Operntypus zu schaffen. Seine Opernwerke wie der „Ferne Klang", das „Spielwerk und die Prinzessin", die „Gezeichneten", dramatische Phantasien über dasselbe Urthema „Klang", der, aus einer primären musikalischen Vision erwachsend, in Schrekers Werke gleich- sam als geisterhaftes, das Leben bald bedrängendes, bald berauschendes Symbol erscheint, fanden in Deutschland — in Wien verhiehlt man sich ihnen gegenüber mehr skeptisch — eine sensationelle Aufnahme, wurden in gewissen Kreisen als die fruchtbarste Umbildung Wagner'scher Gestaltungsart im neuzeitlichen Sinne bezeichnet. Viel gepriesen, aber auch scharf kritisiert, ja viel geschmäht stand Schrekers Schaffen eine Zeitlang im Mittelpunkt der Diskussion der musikalischen Kreise. Schreker stand im Zenith seines Ruhmes ... Da kam im Jahre 1933 plötzlich der Rückschlag. Das nationalistische Regime versetzte ihm und den Förderern seiner Kunst den Todesstoß. Seine Musik wurde als entartet bezeichnet. Er wurde seines Amtes als Direktor der Berliner Hochschule enthoben. Es war ein Sturz aus strahlender Höhe in die finstere Nacht. Nach Wien fliehend, besuchte er mich damals in der Musikakademie, als deren Präsident ich fungierte, und bat mich, wenn möglich ihm in Wien einen Wirkungskreis als Lehrer der Akademie zu schaffen. Es war ein erschütterndes Bild. Unter Tränen schilderte er mir seine trostlose Lage und erklärte sich, da er gegenwärtig vor dem Nichts stehe, bereit, zunächst jede noch so bescheidene Stellung anzunehmen, um sich und seine Familie vor Not zu schützen. Ich empfing noch einen langen Brief, in dem er sein tragisches Schicksal darlegte und zugleich eine Art Pro- gramm für eine eventuelle Lehrtätigkeit entwarf. Eben begann ich damals die erforderlichen Schritte einzuleiten, um Schreker durch eine eventuelle Berufung an die Akademie zu helfen, als ich die Nachricht von seinem plötzlichen Tod erhielt. So endete das Leben eines außergewöhnlichen, einst viel gefeierten und auch viel geschmähten österreichischen Tondichters, dessen Werk heute, wohl mit Unrecht, in Vergessenheit geraten ist...

81 Rudolf Klein DER ORGELMEISTER JOHANN NEPOMUK DAVID

Das umfangreiche Orgelwerk unseres Staatspieisträgers Johann Nepomuk David liegt in 21 Heften der Edition Breitkopf vor, zu denen zwei weitere Werke hinzukommen, in denen die Orgel Teil eines Ensembles ist. Doch sind lediglich die zwei jüngsten Bände des Orgelwerkes in Wiesbaden erschienen, während der größte Teil aus dem Leipziger Stammhaus hervorgeht. Das bedeutet, daß der Verbreitung von Davids Orgelwerk derzeit politisch bedingte Grenzen gezogen sind. Politische Grenzen sind materielle Barrieren, sie können den Geist nur behindern, nicht unterdrücken. Die Schönheit, die da ein Österreicher, ein jetzt im Ausland lebender Österreicher, geschaffen hat, wird länger dauern als künstliche Absperrung. Gelegentlich, in Konzerten, in Kirchen ist uns ein kurzer Blii:k auf sie vergönnt. Doch türmen sich auch andere Hindernisse auf: das im allgemeinen geringe Verständnis, das der Polyphonie und speziell der Orgel bei uns entgegengebracht wird, der geringe Platz, den die katholische Liturgie dem solistischen Orgelspiel zuweist, der protestantische Charakter von Davids Orgelwerk. Dies alles wird den "Wert und den Bestand von Davids Orgelwerk nicht vermindern, genau so wenig wie es etwa unser Verhältnis zu Bach beeinträchtigt hat. Doch wäre es zu wünschen, daß wir auf dieses Werk nicht im Sinne eines Bibliothekars stolz sind, der sich an Schätzen freut, die nie das Tageslicht erblicken. Wir sollten uns dieser lebendigen Schönheit bewußt werden, die nur auf uns wartet. Auf diese lebendige Schönheit aufmerksam zu machen ist in erster Linie Sinn dieser Zeilen. Freilich, musikalische Schönheit läßt sich nicht in Worte fassen und das Wesentliche darf nur hinter ihnen gesucht werden. Zugänglich ist dem Geist lediglich der Stil und die Technik einer Komposition. Wenn ich mich daher mit Fragen befasse, die offenbar nicht an den Kern der Sache rühren können, dann ist die Ursache dafür dieselbe, die jeder wissenschaftlichen Analyse eines Kunstwerkes zugrunde liegt: sie beruht auf der Hoffnung, daß der Leser auf dem Wege der geistigen Induktion aus der Logik und Technik eines Werkes zum Schlüsse kommt, daß dessen Schönheit auf ähnlich hohem Niveau steht, daß die hochorganisierte äußere Form einen ebensolchen Inhalt einschließt. Die Wechsel- beziehungen zwichen Geist und Schönheit sind im Laufe der Musikgeschichte zu offenbar geworden, als daß sie uns heute nicht zur Grundlage unserer Analyse dienen könnten. Der Name des maximus organista ist nicht ganz ohne Grund gefallen. Eine auch nur flüchtige Bekanntschaft mit Davids Orgelschaffen

82 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

wird den Namen des Thomaskantors wie von selbst in Erinnerung rufen. Die Verwandtschaft ist keine rein äußerliche, durch Vorliebe oder Zufall bedingte. Diese Verwandtschaft entspringt der Ubereinstimmung im Wesen zweier Musiker, die zwar durch Jahrhunderte getrennt, aber durch zahlreiche, um nicht zu sagen die meisten Stilfaktoren ihrer Kunst verbunden sind. David hat dort begonnen, wo moderne Künstler nur selten beginnen, weil ihnen dazu die Demut fehlt: beim Nachmachen. Tatsächlich sind seine frühen Orgelwerke so aus dem Geist und dem Stil Bachs geschaffen, daß nur wenig sie von den 200 Jahre früher ent- standenen Orgelkompositionen des Thomaskantors unterscheidet. Das frühe Ricercare in c-moll, Passamezzo und Fuge in g-moll und noch die Toccata und Fuge in f-moll, selbst noch Präambel und Fuga d-moll sind "Werke, die nicht nur in vielen Stilmerkmalen an Bach anschließen, sondern häufig sogar thema- tisch an ihn erinnern (die zwei letztgenannten Werke etwa an die Orgelfugen samt ihren Präludien in f-moll, bzw. in dorisch d.). Die Gegenwart ist da schnell mit Bezeichnungen wie Kopie oder Epigonentum bei der Hand und vergißt nur allzuleicht, daß Bach selbst genau so begonnen hat, daß viele seiner Kompositionen in ihrer Echtheit bezweifelt werden, da selbst der Umstand, daß Autographe vorliegen, nicht als vollkommener Beweis für ihre Authentizität gelten kann. Obwohl Davids „Bach-Stil" nur als Ausgangspunkt seiner künftigen Ent- wicklung zu betrachten ist, sollen einige der gemeinsamen Stilmerkmale näher betrachtet werden, da ja auch in Davids Spätstil die Grundlagen, die er mit Bach teilt, in ihren wesentlichsten Zügen gewahrt bleiben. Gemeinsamer Wesensgrundzug ist die Vorliebe für den Kontrapunkt. „Die musikalischen Bauten sind das Ergebnis gespanntester Konzentration und eines bis ins letzte gekonnten Handwerkes" schrieb David im Bach-Jahrbuch 1939. In all seinen Orgelwerken hat er diese Erkenntnis, dem Beispiel seines Vorbildes folgend, zu verwirklichen gesucht. Eine ähnliche Meisterschaft im Kontrapunk- tieren hat es seit jenem nicht wiedergegeben. Alle Formen des Kontrapunktes hat David verwendet, von der Invention bis zur Fuge, von der Choralbearbeitung bis zur Passacaglia. Die Konzentration der Aussage war dabei stets sein vor- nehmstes Ziel. „Bei der kontrapunktischen Musik ist der schöpferische Mensch ganz und gar nichts anderes als gehorsamster Erfüller aller sich organisch aus dem Cantus firmus ergebenden Möglichkeiten; er ist der eigentliche „tonkünst- lerische" Mensch im Sinne Piatons, der ungeteilt, d. h. seine persönlichen Regun- gen ausschaltend, die Musik formt. Während die Meister der homophonen Musik sich als Menschen der Musik bedienen, um ihr persönlichstes Erleben in sie zu verströmen." Dieser Grundsatz wird zur Richtlinie in Davids Orgelschaffen. Ihm entspricht in technischer Hinsicht am vollkommensten die Einthematik, in for- maler der Kanon. Und tatsächlich zeigt die Konsequenz in Davids Orgelstil die wachsende Liebe zur Konzentration in dieser Richtung: immer mehr wird der

83 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Kanon bevorzugt, immer mehr das ganze Stück aus nur einem einzigen Thema entwickelt. Künstlichkeit liegt ihm dabei fern. Ein Kanon wird nicht sozusagen „um jeden Preis" ausgeführt, ein Thema nicht so verklausuliert, daß es nur auf dem Papier auf seine Herkunft erkannt werden kann. Bezeichnend für letzteren Umstand, daß die zerebrale Form der Krebs-Gängigkeit fast nie verwendet wird. Ausnahmen sind im lntroitus, Choral und Fuge für Orgel und 9 Blasinstrumente zu finden, wo das Thema so gebaut ist, daß der Krebsgang es nahezu spiegelt. Eine weitere Ausnahme findet sich im Heft 6 des Choralwerkes, eines Lehrstückes für Orgel, das in der Art von Bachs Variationen über „Vom Himmel hoch" die diversen Formen kontrapunktischer Verarbeitung zeigt, so daß deren Vollständig- keit als Grund anzunehmen ist. Zwar ist David nach seiner Schrift keineswegs ein unbedingter Anhänger jener Richtung, die alle Linienzüge eines Kontrapunkts nur unter dem Aspekt ihrer sofortigen Erkennbarkeit beurteilt. Er weist auf die Kathedrale hin, deren Gesamteindruck zunächst vorherrscht, bis längeres und detailliertes Betrachten auch die Einzelheiten ausnimmt. Doch scheint er ein ebenso entschiedener Feind jener Künstlichkeiten zu sein, die den Hörer vor glatte Unmöglichkeiten stellen.

Am Vorbilde Bachs hat David auch die andern Disziplinen geschult, die in einem Kunstwerk konkordieren. Seine Melodik folgt dem Vorbild so getreu, daß abgesehen vom Thema der G-Dur-Fuge aus „Zwei kleine Pläludien und Fugen", in dem sich zwei Quinten aufeinandertürmen, kein einziges der früheren Orgel- werke sich auch nur eine melodische Figur leistet, die nicht auch Bach verwendet haben könnte. Naturgemäß spielt bei David neben der bei Bach vorherrschenden Diatonik auch die Chromatik eine große Rolle. Doch wird sie in den frühen Orgelwerken nicht anders eingesetzt als durch die Regeln der Funktionsharmonie möglich schien, also durch Alterierung und Nebendominanten. Abgesehen von diesen erst in der Zeit der Romantik zur Regel gewordenen Harmonierückungen, ist in der Verwendungsweise des vertikalen Zusammenklanges manche Parallele aufzudecken. Vor allem ist es der dem Vorgänger wie dem Zeitgenossen gemein- same Sinn für starke, also dominantische Akkordbeziehungen, die der Musik des einen wie des andern den Charakter entschiedener Logik, auch im Harmonischen, verleiht. Kontrapunkt und dominantische Harmonie sind übrigens die Jahr- hunderte überdauernden Eigentümlichkeiten des deutschen Musizieridioms. Sie haben es verhindert, daß David jemals unter dem Einfluß des allgewaltigen Impressionismus geriet. Manches könnte man noch in Davids Setzweise finden, was auf Bach hin- weist: die Art, wie aus dem Thema ein Satz entwickelt wird, wie sich Buch- staben zu Worten, Worte zu Phrasen formen. Ähnlichkeiten der Imitation, der Figuration, der Baßbehandlung. Wesentlicher erscheint mir jedoch noch eine andere Beziehung: diejenige zum Instrument, die beide über die Jahrhunderte ver- bindet, jene „Orgelnatur" Bachs, die ich auch in Davids Werken bewundere.

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Auf seine einfachste Formel gebracht, würde mit dieser „Orgelnatur" eine Satzweise zu bezeichnen sein, die den Möglichkeiten und Erfordernissen des Instrumentes am besten gerecht wird. In dieser Gleichung spielt also der Klang der Orgel die ausschlaggebende Rolle. Und so ist es kein Zufall, daß die „deutsche Orgelbewegung" der zwanziger Jahre und der Historismus unseres Jahrhunderts, der in jener Zeit in einer „Zurück zu Bach"-Bewegung kulminierte, mit der Wiederentdeckung des barocken Orgelideals zusammenfiel. Fast mehr noch als den schaffenden Künstlern ist es den Musikhistorikern, vor allem Albert Schweitzer und den Orgelbauern zu danken, daß in jener Zeit der Klang und damit der Sinn eines Instrumentes wieder entdeckt wurde, das fast zwei Jahrhunderte lang durch eine Art überdimensioniertes Orchestrion ersetzt worden war. Von seinen ersten Orgel- werken an hatte David den Orgelstil gefunden, der für dieses neue, alte Instru- ment Geltung hatte. Und eine Ursache, daß er sich so lange und so genau an sein Vorbild Bach gehalten hat, mag der Umstand gewesen sein, daß er instinktiv bei der Wegsuche in dem Neuland der wiederentdeckten Barockorgel die Hand ergriff, die dem sichersten Führer zu gehören schien. Auf die Dauer wird sich aber kein schaffender Geist, selbst wenn er im gleichen Boden wurzelt, den Gesetzen beugen, die sich eine andere Zeit geschaffen hat. David begann zu suchen, gelegentlich Seitenpfade einzuschlagen, Experimente- zu machen. In den 14 Jahren, die diese Entwicklung währte, mögen die Orgel- werke, die er herausgab, stets das Minimum an Kühnheiten dargestellt haben, die seinen Geist beschäftigten. Tatsache ist, daß diese Entwicklung bedeutend weniger zum Vorschein kommt als das Festhalten am Bach'schen Ideal. Und daß die Erreichung des Zieles im Jahre 1939 deshalb selbst für Freunde des David'schen Orgelwerkes als Umschwung, als plötzliches Volte-face erscheinen mußte. Indessen liegt diese Entwicklung des eigenen Stils wirklich so tief unter der Oberfläche verborgen? Bei näherem Eingehen findet man Einzelheiten, die wohl für sich genommen unbedeutend erscheinen, die aber zusammengenommen nichts anderes bedeuten, als was den Weg der Musik von der Funktionsharmonie zur modernen Tonalität, als was das Entstehen der modernen Musik überhaupt aus- gemacht hat. Am Beispiel Davids läßt sich daher der Weg der modernen Musik — freilich auf deren polyphonem Spezialgebiet — verfolgen. Im Technischen ist die Ausgangsbasis eine verstärkte Vorhalts- und Durch- gangsverwendung. Keine Reibung wird gescheut, keine Durchgangshärte ver- mieden. Aber immer noch folgt der Dissonanz die Auflösung auf dem Fuß, nie bleibt eine Dissonanz „hängen". Indessen liegen die harten Nebennoten immer wieder auf starken Taktzeiten, werden immer länger, wichtiger, die Auflösung wird gerne hinausgezogen. Neben rein diatonischen Stücken wird immer mehr Gebrauch von der Chromatik gemacht. Freilich ist es vorläufig noch die funk- tionsharmonisch gebundene Chromatik, die in Anwendung gebracht wird. In

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•der Chaconne etwa, Davids vielleicht populärstem Stück, erinnert die Chro- matik mit ihrem häufigen, dichten Akkordwechsel (übrigens auch im Verein mit einem „rauschenden" Orgelklang) noch an den Orgelstil der Neuromantik. Doch zeichnen sich bereits auch Passagen mit chromatischen Durchgangstönen ab, die keine weitere technische Funktion haben als die Ausweitung der allzu eng gewor- denen Tonalität. Es zeigt sich in diesem wie auch in manchem andern Werk der frühesten Periode, daß eine der Quellen harmonischer Kühnheiten im Klang- rausch der romantischen Orgel gelegen sein mag. Womit auch in dieser Richtung der Anschluß hergestellt und die Kontinuität gewahrt isr, wenn auch künftig der dicke Klang der Orchesterorgeln nur in der sublimierten Form tonaler Kühn- heiten erhalten blieb. Immerhin zeigt sich auch hier ein Entwicklungsgesetz der modernen Musik: tonale Ausweitungen werden zunächst im Akkord erprobt und nachher erst in die Horizontale transponiert. Eine andere Quelle, die wichtigste vielleicht unter denen, die Davids späteren Orgelstil bestimmten, liegt im gesteigerten Ausdrucksbedürfnis vieler Komponisten der zwanziger Jahre, jenem Ausdrucksbedürfnis, das andere zum radikalen Expressionismus geführt hat. Eine gewisse Bindung des Ausdrucks hat ja das Orgelspiel schon seit jeher durch seinen vorwiegend liturgischen Zweck erfahren. Zu einer Trauerfeier konnte der Organist nicht jubilieren, an einem Bußtag nicht weltlicher Lust frönen. Auch Bach hat seine Choralbearbeitungcn unter das Motto gestellt, das den Text des Chorals bestimmte. Nicht anders David im 20. Jahrhundert. Obwohl ja auf der Orgel die „objektive" Kunst ihre Heimstatt hat, wird dem Text, der in Verbindung mit der Komposition steht, Beachtung geschenkt. Zunächst in der Form, daß ein ganzes Werk nach dem Sinn des Chorals gehalten ist. Dort wo der Sinn der Strophen differiert, wird der Ausdruck der respektiven Vertonungen deutlich abgesetzt, z. B. in den Zwei Hymnen aus dem Jahre 1928. Man beachte, wie der Inhalt des „Pançe lingua", besonders aber der Strophe „Verbum caro" auf den Ausdruck des Satzes Ein- fluß hat, ja im gewissen Sinn sogar die Innigkeit der Linien bestimmt. Der wichtigste „Fortschritt" — der Fortschritt zum neuen Orgelstil — scheint mir in der „Fantasia sur l'homme armé" aus dem Jahre 1929 gemacht. Wenn auch die Fuga weniger wagemutig erscheint, so finden sich dafür in der Einleitung zum erstenmal unaufgelöste Dissonanzen. Bemerkenswert, dnß sie ohne Schwierigkeiten mit außermusikalischen Vorstellungen gekoppelt werden können: die aus dem Thema gewonnenen hörnerartigen Quarten können ohne weiteres mit dem Bild des „bewaffneten Menschen" verbunden werden. Das Werden des neuen Orgelstils muß also, wenn dabei Text und Vorstellung eine Rolle spielen, besonders an den textgebundenen Werken Davids klar werden. Tatsächlich ist gerade der erste Teil des großen Choralwerkes — sechs Bände, die Cantus-firmus-Werke von 1930 bis 1939 enthalten — eine wahre Fundgrube für technische und ausdrucksmäßige Merkmale, die gemeinsam zu

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neuen Ufern führen. Gelegentlich geht dabei die Expression bis ins Detail, etwa in der Toccata „Lobe den Herren, den mächtigen König" aus dem zweiten Heft, wo der Vers „Psalter und Harfe, wacht auf" wohl durchaus wörtlich zu nehmen ist. Wenigstens gibt es charakteristische Harfenarpeggi, die ansonsten dem Orgel- stil fremd sind, und das Staccato des Thema erinnert ohne irgendwelchen Zwang an die gezupften Saiten des Psalters. Zu allem Uberfluß schließen sich auch noch Hörner mit ihren typischen Quinten dem allgemeinen Lobgesang an. Dies nur als Beispiel. Man bagatellisiere nicht diese „Spielereien". Denn gerade das Streben nach Ausdruck und neuen Möglichkeiten des Ausdrucks mag die Frage aufgeworfen haben: wie mache ich die musikalische Linie nicht nur zu einem Spiegel der Äußerlichkeit, wie kann ich das Wesen der Dinge selbst in Musik fassen? Die Werke des Heftes Nr. 3 geben bereits eine recht deutliche Antwort. In der kleinen Partita „Mit Fried' und Freud' ich fahr dahin", ist der Sinn des Verses „Der Tod ist mein Schlaf worden" zwar offenbar und hand- greiflich in Musik übersetzt worden: es bimmelt eine Totenglocke, Violen singen ein Schlummerlied (arpeggiertü). Aber der Ausdruck des Friedens und des Schmerzes hängt schon nicht mehr von den Assoziationen ab. Er besteht schon in der Musik, ist ganz für sich da, sublimierter Ausdruck. Gleichzeitig erreicht die Technik bereits eine Kühnheit, die nicht mehr weit von der moder- nen Technik des David'schen Spätstils steht. Auch in den nächsten Heften des Choralwerkes deutet sich die Entwicklung in zunehmendem Maße an. Quarten- akkorde werden bereits aufgebaut, rhythmische Experimente werden — im Rahmen der geringen Möglichkeiten der Orgel, der' ja die dynamische Betonung fehlt — unternommen, sogar reale Bitonalität, im Bicinium der Fantasia „Eine feste Burg ist unser Gott", wird versucht. Die Diatonik, die David jederzeit, auch in späteren Werken, gerne neben der Chromatik beibehält, scheint in dieser Periode reiner und unvermittelter zu fließen als die Chromatik, die irgendwie noch immer im Zusammenhang mit der Dominantharmonik steht, nicht den entschei- denden Schritt zur vollkommenen Lösung aus der Funktion unternehmen kann und auch ausdrucksmäßig eine gewisse Schwierigkeit nicht los wird.

Mit dem Erscheinen des siebenten Heftes des Choralwerkes im Jahre 1939 setzt dann die Reihe jener Orgelwerke ein, die mir Musterbeispiele eines wirklich modernen Orgelstils und darüber hinaus Kunstwerke von größter Schönheit und weittragender Bedeutung zu sein scheinen. Die sechs Bände des Choralwerkes, die bis zum heutigen Tag erschienen sind und denen hoffentlich eine noch längere Reihe gleichwertiger Kunstwerke folgt, diese sechs Bände enthalten Komposi- tionen von so großartiger Schönheit und Gefühlstiefe, daß sie mir nicht nur die Krönung des persönlichen Lebenswerkes eines großen Komponisten bedeuten, sondern einen Höhepunkt der Orgelkomposition überhaupt, wie er seit über 200 Jahren nicht mehr erreicht wurde. Der subjektiven Wertschätzung sei die objektive Stilbeschreibung hinzu-

87 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT gefügt. Wie bereits angedeutet, kommt der „moderne" Stil Davids wohl nach zahlreichen tastenden Versuchen und Experimenten, aber dann doch wieder so plötzlich, daß zwischen dem sechsten Heft des Choralwerkes — der Zusam- menfassung kontrapunktischer Gelehrsamkeit — und dem siebenten ein Unter- schied besteht, der die Bezeichnung „Stilumbruch" einigermaßen rechtfertigt. Der neue Orgelstil Davids ist genau so kontrapunktisch wie der alte, die Linearität gehorcht den gleichen Gesetzen. Das technisch Neue ist vor allem die moderne Verwendung der Chromatik. In gleicher Weise wie die sieben diatonischen Töne werden nun auch die fünf chromatischen eingesetzt: als gleichwertige Partner,, die sich auf denselben Grundton beziehen wie die diatonischen. Also keine Tonikalisierung von Nebenstufen, keine Alteration. Jeder der elf Töne markiert zum Grundton eine gewisse Distanz, ein Intervall, so daß wohl verschiedenartige Beziehungen und Spannungsunterschiede entstehen, das Erscheinen eines nicht- diatonischen Tones aber nicht automatisch eine Modulation oder „Ausweichung" bedeutet. Die solcherart erzielte Erweiterung der Tonalität führt auch zur Auf- gabe aller sogenannter Auflösungsfunktionen. David zieht nach wie vor in der Horizontale die Verwendung des stärksten melodischen Intervalls, also der Sekunde, vor, doch besteht keinerlei Zwang mehr, eine größere Spannung in eine geringere aufzulösen. Die eine wie die andere hat ihre Existenzberechtigung und der Zwang einer Folge ist der Freiwilligkeit des Gegenüberstellens gewichen. Was hier am Umbruch in Davids Stil beschrieben wurde, ist in der ganzen Musik unseres Jahrhunderts zu einem Kriterium der modernen Musik geworden. Diese moderne Musik hat die neuen Mittel oft bis zum Extrem eingesetzt. Sein gesunder Konservatismus hat David vor solchen Extremen bewahrt. Niemals ist ihm der Grundton verloren gegangen, nie hat er die Tonalität aufgegeben. Ja, sein Stil behält fast immer, sogar in strengster Linearität, den Sinn für den Akkord, für den vertikalen Zusammenhang, der nicht nur aus der Herkunft und dem Ziel der in ihm zusammenströmenden Linien zu erklären ist, sondern seinen selbständigen Wert besitzt. Trozdem ist David nicht erspart geblieben, was der ganzen modernen Musik zuteil wurde: das Unverständnis der breiten Masse, die im Geleise der Funktionsharmonik sich nicht auf die Werte der neuen Kunst umstellen konnte. Daß trotz des erwähnten Umbruchs in Davids Orgelwerk ein schnurgerader Weg zu dieser modernen Kunst führt, kommt für sie, die ihre Ästhetik fast ausschließlich im Symphoniekonzert heranbildet, kaum in Betracht. Der neue Orgelstil Davids mußte jedoch auch auf die formale Struktur der Werke einen gewissen Einfluß ausüben. Die Tatsache, daß man in der neuen Schreibweise praktisch ungebunden jede Note gegen jede Note setzen kann, mußte wohl zu einer Gewissensfrage führen: Inwieweit hat der Kontrapunkt in dieser neuen Kunst noch seine Berechtigung? Wenn man „alles darf", wo bleibt da. noch die Kunstfertigkeit? Die Antwort, die David in semem neuen Orgelstil gefunden hat, deckr

88 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT meiner Meinung nach den Fehler in der Fragestellung auf. Denn besteht die Kunst des traditionellen Kontrapunkts tatsächlich in der Befolgung gewisser Regeln? Nicht die Regeln waren zuerst da, sondern die Schönheit und Aus- druckskraft der Stimmen. Die Regeln kristallisierten sich dann heraus, um die Regelmäßigkeit der Harmonie — des stärksten Ausdrucks der Harmonie — ?u gewährleisten. Die neue Harmonie unserer Epoche hat die Möglichkeiten harmo- nischer Bildungen verhundertfacht. Eine Schematisierung ist heute nicht mehr möglich. Doch das Ohr des Musikers wird nichtsdestoweniger die feinen Unter- schiede in der Grundtonbezogenheit der Harmonien, in ihrem Spannungsver- hältms und ihrer gegenseitigen Bezugnahme abzuschätzen wissen. Die anschei- nende Regellosigkeit moderner Kontrapunktik bezieht sich daher nur auf die Nicht-Anwendung einer bestimmten Technik. Die Musik selbst, die Auswahl, die „KomDOsition" der Töne isr nach wie vor nicht mit der Anwendung einer Technik zu identifizieren, sondern in der einen wie in der andern Schreibweise Ergebnis der persönlichen Verantwortung. Nur daß die moderne Schreibweise keinen Teil dieser Verantwortung auf die Technik abschieben kann. Die neuen Möglichkeiten vermehren also die Verantwortung des Kompo- nisten ins Unermeßliche. Eine gewisse Verschiebung der Kompositieastechnik im Formalen ist die Folge. Denn nicht mehr kann der Komponist seinem inneren Auftrag dadurch genügen, daß er durch Imitation, Kanon, kontrapunktische Technik die Logik der Stimmen allein zum Inhalt seines Werkes macht. Die große Freiheit, die große Anzahl der Möglichkeiten auf diesem Gebiet verlangt gebieterisch eine Verlagerung des Ausdrucks willens auf die Führung der einzelnen Stimmen. Die Musik macht somit eine Wandlung durch: sie gibt einiges von ihren architektonischen Werten zugunsten einer neuen Expressivität auf. „Improvisation" heißt geradezu symbolisch das erste Stück Davids in seiner neuen Schreibweise, als ob dadurch die Freizügigkeit des nun ungebundenen Stils angedeutet werden soll. Der zeigt sich nun sofort: in der ungeheuer gesteigerten Ausdruckskraft der melodischen Linien, in der Bereicherung des Akkordmatcriais, das durch eine zwar nicht mehr kontrollierbare, aber um nichts weniger wirk- same Kraft wohlgeordnet und logisch wirkt, und durch die formale Freizügigkeit der Stimmen. Wohl verzichtet David nicht ganz auf das architektonische Element der Imitation. Aber daneben gibt es freie Stimmen, deren Sinn nur in ihrer Expression besteht, in dem, was ich „Ausdruckskontrapunkt" nennen möchte. Das erste Heft im neuen Stil, Heft 7 des Choralwerkes, für Orgelpositiv scheint noch der Wegsuche gewidmet. Gewisse Stücke, etwa das Bicinium in der Partita „Vom Himmel hoch", scheinen Experiment. Die Fugs der Partita „Wie schön leucht' uns der Morgenstern" ist aber bereits ein so erhabenes Meister- werk, daß der Übergang zu den nun folgenden großen Konzertstücken wie von selbst gegeben ist. Das geistliche Konzert „Es s unge η drei Engel ein süßen Ge- sang", die Partita „Unüberwindlich starker Held, Sankt.Michael" und die Partita

89 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

„Es ist ein Schnitter, heißt der Tod" sind die Höhepunkte in Davids bisherigem Orgelschaffen, wenn man den konzertanten Zweck und die großformale Anlage mit in die Bewertung einbezieht. Die Freizügigkeit der Gestaltung beweist, daß die Phantasie des Komponisten nicht etwa einseitig auf die Kombination archi- tektonischer Elemente beschränkt war, sondern auch in den Gebieten künstle- rischer Freiheit Schönheit in reichstem Maße spenden kann. Die „Orgelnatur" Davids weiß dabei auch in klanglicher Hinsicht die Grenzen zu wahren, so daß es nie zu Rückfällen in den Akkordstil der Reger-Zeit kommt. Die beiden vorläufig letzten Hefte im Choralwerk sind wieder intimer ge- halten. Die Partita „Da Jesus an dem Kreuze stund" weist mit vertieftem Aus- druck einen Weg zur weiter gesteigerter Sensibilität der Linienführung, die aber weiter konsequent melodisch (was gleichbedeutend mit „orgelmäßig" ist) bleibt, d. h. auf die weiten Sprünge der Expressionisten verzichtet. Heft 12, die Partita „Lobt Gott, ihr frommen Christen", läßt hingegen mehr an eine Spielmusik, etwa an die Orgelsonaten Bachs denken. Neue Aspekte finden sich jedoch auch in technischen Details dieser letzten Hefte. So vor allem die immer intensiver wer- dende Beschäftigung mit der Bitonalität. David verwendet sie vorsichtig, ob er sie nun latent wirken läßt oder sie in den Akzidentien zum Ausdruck bringt. Er wählt relativ nah verwandte Tonarten, etwa a-moll und c-mol! im neunten Stück von Heft 11, oder gleich drei nahe Verwandte (c-moll, f-moll, g-moll) in Stück 3 des zwölften Heftes, er setzt die differierenden Töne selten gegenein- ander. Durch ihre Querständigkeit, häufig auch durch das aparte Mittel einer ..Engführung" zweier Linien, die sich auf engstem Raum, sozusagen im Einklang umspielen, erreicht er wundervolle Wirkungen. Es scheint nicht verwegen, das künftige Schaffen des Komponisten in der Richtung der noch weiter ausgebauten Tonartenkombinationen zu erwarten. Stil und Technik, obwohl nur äußere Merkmale einer Komposition, können doch viel Aufschlußreiches über deren Autor aussagen. Freilich, der eigentliche Inhalt der Aussage spricht unabhängig von der Form, in die er sich kleidet, zu uns. Das Wesen der Orgelmusik Davids wird dem Hörer, sobald er nur gelernt hat, die Sprache des Komponisten zu verstehen, in ihren beiden Formen, der Bach-Nachfolge und der modernen Ausdrucksweise, in gleichem Maße klar. Ihre Schönheit zu beschreiben, kann allerdings nicht mehr Aufgabe der Systematik sein, dazu bedarf es der Aufgeschlossenheit des Einzelnen und der Gelegen- heit, die Werke zu hören. Wenn ich auch abschließend subjektiven Eindrücken Raum gebe, dann im Bewußtsein, daß meine Empfindungen heute schon von einer großen Schar Lieb- haber des Instrumentes und Musikliebhabern schlechthin geteilt werden. Wir freuen uns bei allen, leider recht spärlichen Gelegenheiten, an der Schönheit und edlen Einfachheit dieser Musik, an ihren architektonischen Werten und der Ausdruckskraft ihrer Linien. Wir bewundern die Phantasie eines Meisters, der

90 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT sich trotz strengster Observanz eines Stils niemals wiederholt, für jedes Werk einen eigenen Einfall parat hat, diesen dann aber mit eiserner Konsequenz bis zur letzten Möglichkeit ausschöpft. Wir werden von dieser Musik beglückt, deren Reichtum sich in jeder kleinen Phase ebenso kundtut wie im Aufbau weitge- spannter Formen. Wir zögern nicht, das große Wort vom genialen Menschen zu gebrauchen, wenn wir uns der tiefen Wirkungen seiner Musik auf uns gewahr werden. Und wir glauben nicht, ihn zu überschätzen. „Wäre eine Geschichte der Orgelmusik um 1910 geschrieben worden, so hätte sie mit einem Fragezeichen enden müssen. Die Geschichte der Orgel- komposition von 1933 kann mit einem Ausblick abschließen, weil sie Kräfte sieht, die einer Entwicklung dienen können .. .", schrieb Gotthold Frotscher am Ende seiner monumentalen Geschichte des Orgelspiels. Die Synthese, die er damals vorausblickend erahnte, scheint uns heute in der Person Johann Nepomuk Davids verwirklicht. Aus der Fülle der Namen, die Frotscher als zukunftsweisend erwähnt, scheint mir der des großen Österreichers heute eindeutig hervor- zuragen. Wenn das Orgelspiel jemals wieder zu Bedeutung kommen wird, dann wird es dieser Künstler sein, dem wir die Renaissance zu verdanken haben. Dann wird er bereits als Vollender eines orgeknäßigen und zugleich modernen Stils anerkannt werden, zu dessen Entstehung unser kleines, so homophon ver- anlagtes Land, auch durch zwei andere Musiker — Franz Schmidt und Joseph Lechthaler — einen bemerkenswerten Beitrag geleistet hat. Dann wird der Dank einer kleinen Gemeinde für Stunden tiefsten Glücks der Dank einer Nation sein.

Verzeichnis der Orgelwerke Davids Ricercare in c-moll 1927 Chaconne in a-moll 1927 Passamezzo und Fuge g-moll 1928 Toccata und Fuge f-moll 1928 Zwei Hymnen 1928 DAS CHORAL WERK Fantasia super l'homme armé 1929 Präambel und Fuga d-moll 1930 Heft 1 1930 Zwei kleine Präludien und Fugen (a-moll, G-Dur) 1931 Heft 2 1931 Heft 3 1932 Heft 4 1933 Heft 5 1934 Zwei Fantasien und Fugen (e-moll, C-Dur) 1935 Heft 6 1937 (Introitus, Choral und Fuge für Orgel und 9 Blasinstrumente) 1939 Heft 7 1939 Heft 8 (Es sungen drei Engel ein süßen Gesang) 1941 Heft 9 (Unüberwindlich starker Held) 1941 („Ich stürbe gerne aus Minne' für Frauenstimme und Orgel) 1942 Heft 10 (Es ist ein Schnitter, heißt der Tod) 1946 Heft 11 1950 Heft 12 1952 91 AUS DER ZEIT

Vor einer neuen Staatsopern-Aera

Auf unsere Begrüßungsadresse in Heft 2/19S4 übersandte uns Staats- operndirektor Dr. Karl Böhm nachfolgende Stellungnahme:

Sehr geehrte Herren!

Zunächst einmal möchte ich fesstellen, daß es mich mit größter Freude erfüllt hat, daß die Presse Wiens, die Österreichische Musikzeitschrift im Besonderen, sich so überaus positiv zu meiner Berufung als Direktor der nun wieder in ihr traditions- reiches Haus am Ring einziehenden Staatsoper gestellt hat. Das ist ein gutes Gefühl bei der Übernahme einer so verantwortungsvollen und gewiß nicht leichten Aufgabe. Nun speziell zu Ihrem freundlichen Brief, für den ich Ihnen hier besonders danke und dessen klar umrissene Fragen ich, so weit das schon heute möglich ist, beantworten möchte. Grundsätzlich ist zu sagen, daß ich mit dem 1. September ds. J. meine Arbeits- räume im neuen Haus beziehen werde, um damit auch nach außenhin zu dokumentieren, wohin ich gehöre. Da der Tag der festlichen Eröffnung noch nicht feststeht, wird der Spielbetrieb vorerst im Theater an der Wien und der Volksoper in gewohnter Weise fortgesetzt. Mit dem Tage meines Amtsantrittes wird mir im neuen Haus bereits ein Probenraum mit den Ausmaßen 25 X 25 m zur Verfügung stehen, in dem alle Vor- bereitungsarbeiten für die Inszenierungen nach den neuen Raumverhältnissen durch- geführt werden. Die kommende Spielzeit ist, nach Ihren Worten, also in mancher Beziehung als „Obergang" anzusehen. Es liegt mir zunächst daran, jene Repertoire-Opern, die später auch ins große Haus übernommen werden sollen, für die sich dort er- gebenden Verhältnisse zurechtzurichten. Im Hinblick auf Neuinszenierungen möchte ich im Theater an der Wien möglichst sparsam sein und denke an etwa drei, deren Auswahl jedoch noch nicht spruchreif ist. Da wir wohl vorerst im großen Haus kaum täglich spielen werden, wird eine weitere Belassung des Theaters an der Wien für wenigstens zwei Spielzeiten notwendig «ein. Die Entscheidungen über Has weitere Schicksal dieses Hauses scheinen damit noch in eine weite Ferne gerückt. Was nun den Spielplan im neuen Haus anlangt, so wird es wahrscheinlich mit „Fidelio" eröffnet werden. An weiteren Werken sind „" und „Frau ohne Schatten' vorgesehen. Die Leitung dieser drei Opern habe ich mir selbst vorbehalten. Für eine Wagner-Oper möchte ich Furtwängler, für „Rosenkavalier" Karajan und für eine Verdi-Oper de Sabata einladen. Bis 1956, dem Mozartjahr, werden selbstverständlich alle repräsentativen Werke des Meisters ins Repertoire aufgenommen sein, von Schuh und Neher szenisch betreut und von mir dirigiert. Zu der von Ihnen gestellten Frage, die die Ensemble-Führung betrifft, ist zu sagen, daß es meine Anschauung ist, daß wir vor einem Ende der deutschen Oper im weitesten Sinne stehen, wenn nicht radikal von dem immer mehr überhandnehmenden „Prominen- tensystem" (um das Wort Star zu vermeiden) abgegangen wird. Opern können nur von einem Ensemble getragen werden und ausschließlich auf diesem Weg kann es ereicht werden, daß Gesamtleistungen Zustandekommen, die der großen Tradition, im besonderen der Wiener Oper, entsprechen. Mein Ziel ist es daher, alle ersten Sängerinnen und Sänger für mindestens 6 Monate innerhalb einer Spielzeit zur Verfügung zu haben. Veränderungen im Personalstand sind vor 1955 aus vertraglichen Grün- den nicht zu erwarten; hingegen muß es unbedingt zu einer Erweiterung des Staats- opernorchesters kommen, da die veränderten akustischen Verhältnisse einen Ausgleich zwischen den Bläsern und Streichern verlangen, wobei die letzteren verstärkt werden müssen. Ihre Frage, ob an die Gründung eines Opernstudios gedacht wird, tv ill ich gerne als eine Anregung aufgreifen, doch scheint mir eine Verwirklichung erst zu einem Zeitpunkt möglich, wenn die Problemkomplexe im Zusammenhang rr.it dem großen Haus restlos gelöst worden sind. Besondere Bedeutung messe ich Ihrer Frage bezüglich einer Publikumsorganisation bei. Es scheint mir unerläßlich notwendig, daß eine solche auf überparteilicher Basis 92 OSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

geschaffen wird, um im großen Haus während der besuchsschwächeren Wochentage wenigstens eine garantierte Besucherzahl von täglich 1000 Personen zu gewährleisten. Da derartige Organisationen in den übrigen Staatstheatern und außerdem an allen großen Häusern, zumindest in Europa, bestehen, sehe ich keine besonderen Schwierig- keiten, diese auch in Wien zu realisieren. Ich hoffe Ihnen damit Ihre Fragen erwartungsgemäß beantwortet zu haben. Abschließend möchte ich nur noch die Hoffnung aussprechen, daß seitens der Presse, die mich, wie ich schon sagte, so freundlich begrüßte, auch weiterhin das Vertrauen zu mir erhalten bleibt, auch dann, wenn ich aus reiflich überlegten Gründen auch einmal eine unpopuläre Maßnahme werde treffen müssen. Schließlich wurde ich an diese verant- wortungsvolle Stelle nicht als „Ja-Sager" berufen. Jedenfalls aber werde ich das Haus nach den strengsten künstlerischen Grundsätzen führen und mich in keiner Weise von meinen Intentionen abbringen lassen, die ausschließlich von dem Bestreben geleitet sein werden, dem neuen „alten" Haus wieder die Geltung zu verschaffen, mit der es einst die ganze Welt erobert hat. Mit den herzlichsten Grüßen verbleibe ich Ihr aufrichtig ergebener Karl Böhm

Das Programm der Wiener Festwochen 1954 Zum vierten Male nach dem Krieg werden heuer die Wiener Festwochen abge- halten, die dank der Initiative der Stadt Wien und insbesondere dank der in ihrem Rahmen stattfindenden Veranstaltungen der großen Wiener Konzeninstitute bereits internationales Ansehen gewonnen haben. Wie bisher soll auch heuer der Akzent auf eine möglichst starke Teilnahme der Wiener Bevölkerung gelegt werden, was natürlich nicht ausschließt, daß diese Leistungsschau österreichischer Kultur auch im Ausland lebhaften Wiederhall findet. Die diesjährigen Festwochen werden am 29. Mai eröffnet und währen bis zum 20. Juni. Die Konzerthausgesellschaft bietet heuer ein Programm, wie es in ähnlicher Ge- schlossenheit und Güte bisher noch nicht offeriert worden war. Wie es in der Linie dieses Institutes liegt, steht dabei die moderne Musik, die eine Gesamtaufführung des Werkes Alban Bergs vorsieht, im Vordergrund. Nicht weniger als acht große Orchester- konzerte sehen international bekannte Dirigenten an der Spitze der Wiener Sympho- niker, unter ihnen Orchesterleiter vom Ruf eines Henri Cluytens, eines Eugene Ormandy, eines Hindemith, eines Karl Böhm, eines George Szell. Große Solisten wie etwa Alexander Brailowsky, Robert Casadesus, Arthur Grumiaux, Enrico Mainardi, Hilde Zadek, Elisabeth Höngen, Christi Goltz und Kurt Böhme sind vorgesehen. Als Chöre werden die Singakademie und der Akademiekammerchor Prof. Ferdinand Grossmanns auf- geboten. Von den verschiedenen Veranstaltungen seien einzelne Höhepunkte hervorgehoben. Zu ihnen zählt das zweimalige Erscheinen Hindemiths am Dirigentenpult, der einmal seine Fassung von Monteverdis „Orfeo" (auf alten Instrumenten) vorführt, während er beim zweiten Mal als Komponist und Dirigent die Welturaufführung einer Kantate leitet, die aus drei Teilen besteht, von denen nur einer — nämlich der Gesang an die Hoffnung — bereits bekannt ist. Der Dichter Paul Claudel hat sein Erscheinen zugesagt. Die beiden amerikanischen Dirigenten Ormandy und Szell bringen gemischte Programme mit Musik von Prokoffief, Strawinsky, Ravel und Bloch. Cluytens wird ein reines Strawinsky-Programm am letzten Tag des Festival zu Gehör bringen (Les noces, Le Rossignol, Sacre du Printemps). Von weiteren amerikanischen Gästen sei der Kritiker- Komponist Virgil Thomson und der Ballettdirigent Paul Strauss genannt, der unter anderem das Step-dance-Concerto von Morton Gould mitbringt, in dessen Solopartie der berühmte Steptänzer Danny Daniels erscheint. Deutsche und österreichische Komponisten werden ebenfalls in die Schranken gerufen. Heinrich Hollreiser dirigiert Werke von Orff, Henze, Berger, Wildgans und Salmhofer. Bartoks „Herzog Blaubarts Burg" wurde von Karl Böhm gewählt. Dazu kommen Kammermusikveranstaltungen des Wiener •Oktetts (Erstaufführung von Strawinsky« Septett) und des Kölner Streichquartetts, Klavierabende von Brailowsky und Casadesus, ein Liederabend Elisabeth Höngens.

93 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT

Die Überführung des Cranium Joseph Haydns vom Musikvereinsgebäude in die Bergkirche in Eisenstadt gibt den Anlaß für ein großangelegtes Haydn-Festival der Gesellschaft der Musikfreunde, das ebenfalls im Rahmen der Wiener Festwochen abrollt. Als Gastorchester werden die Hamburger Philharmoniker unter der Leitung Joseph Keilberts die „Schöpfung" zunächst in Eisenstadt, denn aber auch in Wien zum Vortrag bringen. Das gleiche Ensemble wird auch Beethovens Neunte Symphonie zur Aufführung bringen. Die Chorpartien in beiden Werken bestreitet der Singverein der Gesellschaft. Auch das Oratorium „Die Jahreszeiten" wird unter der Stabführung Karl Böhms, gespielt von den Symphonikern, sowohl in Eisenstadt als auch in Wien erklingen. Die konzertante Erstaufführung der Oper „Orfeo ed Euridice", ein Solistenkonzert mit zwei von Lubka Kolessa gespielten Klavierkonzerten, einem Cellokonzert () und dem Violinkonzert (Wolfgang Schneiderhan) unter der Leitung Wilhelm Schüchters, und eine konzertante Aufführung der Cäcilienmesse, die in der ungekürzten Fassung noch nie gespielt wurde, unter Leitung von Nino Sanzogno (Mailand) und mit dem Staatsopernchor, sind des weiteren vorgesehen. Ein Liederabend Elisabeth Schwarz- kopfs, zwei Veranstaltungen des Musikvereinsquartetts, eine Aufführung der Nelson- Messe in Eisenstadt und ein Konzert des Singverein-Kammerchors unter Reinhold Schmid vervollständigen das Programm des Haydn-Festival. Als Gesangssolisten werden Sena Jurinac, Wilma Lipp, Hilde Rössel-Majdan, Emst Häfliger, Otto Edelmann, Gottlob Frick, Josef Greindl und Walter Berry zu hören sein. Die Wiener Staatsoper wird an den 22 Festtagen 22 verschiedene Werke heraus- bringen. „Die Hochzeit des Figaro" wird dabei wieder im Hof des Schönbrunner Schlosses gespielt, „Cosi fan tutte" und „Die Entführung aus dem Serail" sollen im Redoutensaal der Hofburg gegeben werden. Im Stammhaus erscheinen neben den Repertoireopern unter anderem: „Intermezzo" von Richard Strauss, „Der Liebestrank" von Donizetti, „Julius Caesar" von Haendel, Alban Bergs „Wozzek", Einems „Prozess" und Strauss' „Capriccio", sowie zwei Ballettabende. Festvorstellungen und Premieren in den Theatern sowie zahlreiche Ausstellungen und Bezirksveranstaltungen ergänzen das Programm der Festwochen, die als Höhepunkt der diesjährigen Saison einen stolzen Beweis von der kulturellen Aktivität der Stadt Wien erbringen werden.

Ein Jubiläum des Wiener Walzers

ZUM 150. GEBURTSTAG VON JOHANN STRAUSS (VATER)

Vor hundertfünfzig Jahren, am 14. März 1804, wurde Johann Strauß, der Vater des Valzerkönigs, im Hause Floßgasse Nr. 7 (2. Bezirk, Leopoldstadt) geboren. Seine Eltern führten in diesem Hause das Gasthaus „Zum guten Hirten", wo abends die „Bratel- geiger" ihre Tanzweisen spielten und der kleine Johann auf einem Geiglein die einfachen Ländlermelodien nachfiedelte. Einer Buchbinderlehre entzog er sich durch die Flucht. Der Musiker Polischansky setzte es bei den Eltern durch, daß sie ihrem Sohn die Erlaubnis gaben, Musiker zu werden. Nun nimmt Johann fleißig Violinunterricht und eignet sich musiktheoretische Kenntnisse durch Selbststudium aus Büchern an. Orchesterpraxis holt er sich in der damals sehr beliebten Kapelle Michael Pamer, wo er Joseph Lanner kennenlernt und sich mit ihm befreundet. Diese Freundschaft wird entscheidend für den Aufstieg des Wiener Walzers. Als Lanner eine eigene Kapelle gründet, kommt Strauß zu ihm und steht bald an der Spitze eines zweiten Orchesterensembles der Lannerschen Kapelle. Doch Strauß, eine herrische Natur, mußte selbständig sein, um seine Kompositionen zum Erfolg zu führen. So kam es kurz nach seiner Vermählung mit der schönen Gastwirtstochter Anna Streim im Jahre 1825 zur Trennung von Lanner und bald erklang neben dem kosenden, lyrisch- romantischen Lanner-Walzer der prickelnde Rhythmus und der mitreißende melodische Schwung des Strauß-Walzers. Die Walzergeige des schwarzgelockten Magiers lockte, verführte, wühlte die Leidenschaften auf, die Feste im weltberühmten Sperl-Etablissement in der Leopoldstadt werden zum Wiener Bacchanal. Strauß wird der Regent des Wiener Faschings der Biedermeierzeit. Mit 29. Jahren zieht er mit seiner Kapelle in die Welt, spielt in Budapest, Dresden, Leipzig, setzt ganz Süddeutschland in Begeisterung. Mir 33 Jahren kommt er nach Frankreich, unterwirft Paris dem Wiener Walzer. Alle Musik- größen seiner Zeit anerkennen sein Genie und bewundern ihn. Nach einem Konzert beglückwünscht ihn Paganini in sehr herzlicher Weise auf dem Podium vor dem

94 ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT erstaunten Publikum. Auch in England bleibt ihm der Erfolg treu und in London klingt in die Festlichkeiten anläßlich der Krönung der Königin Viktoria der Strauß-Walzer. Die Anstrengungen des Reisens, die rastlose künstlerische Tätigkeit zehren an seinen Kräften. Schwer krank bringen ihn seine Musiker nach Wien zurück. Als er, nach langem Krankenlager wieder genesen, am 1. Mai 1839 im Augarten ans Dirigentenpult tritt, bringen ihm die Wiener eine jubelnde Huldigung dar. Sein Ruhm wuchs, er wurde zum Kapellmeister des ersten Bürgerregiments, zum Hofballmusikdirektor, zum Ehrenbürger von Wien ernannt. Im Sturmjahr 1848 entstand der Radetzky-Marsch, der heute noch zu den beliebtesten Wiener Musikstücken zählt. Unter seinen 251 Kompositionen findet sich neben vielen schönen Walzern, Polkaweisen und Galopps auch die Quadrille, die Johann Strauß aus Paris mitgebracht und als Novität in Wien eingeführt hat. Als Strauß am 25. September 1849 starb, da trauerte ganz Wien um ihn und viele klagten, daß nunmehr die fröhliche Wiener Melodie verstummt sei. Seine Söhne Johann, Joseph und Eduard, vermochten aber das von ihm begonnene Werk weiterzuführen und der volkstümlichen Wiener Musik neue künstlerische Werte zu verleihen. Vater Strauß' Lebensaufgabe war es, die Tanzmusik des Volkes von der bloßen Gebrauchsmusik zur Konzertfähigkeit emporzuheben und durch seine geniale geigerische und konzertkompositorische Begabung dem Wiener Walzer die Liebe einer ganzen Welt zu erringen. Dr. Philipp Ruff

Die Wiener Hofmusikkapelle in der Schweiz

Die Hofmusikkapelle, eine Gründung Kaiser Maximilians I. aus dem Jahre 1498, wurde bei Errichtung der Republik Österreich in die Verwaltung und Betreuung des Staates übernommen und hat als ihre vornehmste Aufgabe die Besorgung der Kirchen- musik in der Wiener Hofburgkapelle beibehalten. Sie ist eine Dienststelle des Bundes- ministeriums für Unterricht, das die Kapellenmitglieder aus dem Orchester und Herren- chor der Staatsoper besonders auswählt und auch mit dem Institut der Wiener Sänger- knaben den Vertrag wegen Beistellung der Sopran- und Altstimmen abgeschlossen hat. Es erscheint daher die Hofmusikkapelle so recht berufen und geeignet, als Repräsentant des österreichischen Musiklebens auch ins Ausland gesendet zu werden, um für Osterreich zu zeugen und zu werben. Daher haben auch Bundeskanzler, Kardinal-Erzbischof von Wien und Bundes- minister für Unterricht als Patronatsherren die erste Konzertreise der Hofmusikkapelle in die Schweiz unter ihren besonderen Schutz genommen. In der Schweiz fungierten die Bischöfe von Basel und Lugano, sowie von Chur als Schirmherren dieser Reise. Sie fand in der Zeit vom 6. bis 12. Februar 1954 statt, umfaßte Konzerte in Basel, Luzern, Fribourg, Genf und Zürich und trug der Hofmusikkapelle und ihrem Vaterlande bei Publikum und Presse triumphalen Erfolg ein. Das Programm war ganz auf Mozart ab- gestellt und brachte die Krönungsmesse, das Ave verum und das Requiem. Dirigent der Konzerte war der langjährige künstlerische Leiter der Hofmusikkapelle, Prof. , die Solopartien wurden von den Kammersängern Julius Patzak und Endre v. Koreh, sowie von zwei Sängerknabensolisten bestritten. Dieser — wie allgemein bestätigt wurde — einmalige Zusammenklang von Knaben- und Männerstimmen in den Solo- und Chor- partien mit dem Orchester versetzte jedesmal das .Publikum, das nicht nur die Sitz- reihen, sondern auch die Gänge und Stiegen füllte, in ehrliche Begeisterung. „Glücklich das Land", konnte ein Schweizer Blatt schreiben, „das solche musikalische Ambassa- doren entsenden kann." Bei dem Galaempfang nach dem Züricher Schlußkonzert, dem die Spitzen der kan- tonalen und städtischen Behörden, der Bischof von Chur, der Fürstabt von Einsiedeln und der österreichische Gesandte in Bern, sowie viele Repräsentanten des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens beiwohnten, wurde in offiziellen Ansprachen die Hof- musikkapelle für ihre Leistungen und die österreichische Regierung für die Entsendung dieser Künstlerschar bedankt. Schon vorher, bei einer Konzertprobe in Basel, hatte es sich der don weilende 91jährige Erzherzog Eugen, auf den bekanntlich in der franzisko- josephinischen Ara das musikalische Erbe der Habsburger übergegangen war, nicht nehmen lassen, die Hofmusikkapelle zu begrüßen und ihren Darbietungen dankbar zu. folgen. Dr. Karl Wisoko-Meytsky

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