JÜDISCHES LEBEN IN BAYERN

MITTEILUNGSBLATT DES LANDESVERBANDES DER ISRAELITISCHEN KULTUSGEMEINDEN IN BAYERN

33. JAHRGANG / NR. 136 è“òùú äðùä ùàø 5. SEPTEMBER 2018

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Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 1 Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern wünscht

zum Neujahrsfest 5779

dem Staat , seiner diplomatischen Vertretung in der Bundesrepublik, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, den Rabbinern und allen Mitgliedern der Gemeinden ein gesundes Jahr voll Frieden und Segen!

Dr. Josef Schuster Präsident Ilse Danzinger Anna Zisler Vizepräsidentin Vizepräsidentin Karin Offman Geschäftsführerin

STOLPERSTEINE HEPPENHEIM, LEHRSTRASSE Aus: www.stolpersteine-heppenheim.de

HIER WOHNTE LUDWIG SUNDHEIMER HIER WOHNTE HIER WOHNTE JG 1919 EVA SUNDHEIMER MAIER SUNDHEIMER SCHUTZHAFT 1938 JG 1923 JG 1881 DACHAU DEPORTIERT 1942 DEPORTIERT 1942 DEPORTIERT 1942 PIASKI PIASKI PIASKI ERMORDET ERMORDET 1942 MAJDANEK IN AUSCHWITZ ERMORDET

Unser Titelbild: Die Klagemauer in . Foto: Renatus Schenkel. Bilder Rückseite: Nr. 1: Das Grab von David ben Gurion (Seite 13), Foto: Renatus Schenkel. Nr. 2: Der neue Museumsbau (Seite 9), Foto: Jüdisches Museum Franken/Annette Kradisch. Nr. 3: In der Negev-Wüste (Seite 13), Foto: Renatus Schenkel. Nr. 4: ZWST Israel-Reise (Seite 18), Foto: Robert Poticha. Nr. 5: Museum Franken (Seite 9), Foto: Jüdisches Museum Franken/Annette Kradisch. Nr. 6 und 7: Heppenheim (Seite 23), Foto: Höhn.

2 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 EDITORIAL

Liebe Leserinnen, liebe Leser, worden ist, weil die Zahl antijüdischer Vorfälle auch in Bayern gestiegen ist. in den nächsten vier Wochen werden unsere Synagogen wieder die höchsten Herr Spaenle wird jetzt ein niedrigschwel- Besucherzahlen des Jahres aufweisen. An liges Meldesystem für antisemitische Vor- manchen Gottesdiensten zu Rosch Ha- fälle im Freistaat entwickeln. Im Moment schana und Jom Kippur wird es in eini- ist es leider eher so, dass Juden entweder gen Städten auch überfüllte Synagogen einen Vorfall der Polizei nicht melden, geben. Die Jamim Noraim, die Tage der weil sie fürchten, nicht ernst genommen Ehrfurcht, Rosch Haschana, Jom Kippur zu werden, oder weil sie den Gang zu einer und die dazwischen liegenden sieben amtlichen Meldestelle scheuen. Bußtage sind Festtage, die viele auch nicht regelmäßigen Gottesdienstbesucher Wir brauchen aber valide Daten, damit mit eigenen Vorstellungen und Erinne- die Mehrheitsgesellschaft das Problem rungen verbinden. Dazu gehören der Be- überhaupt ernst nimmt. Und zwar so ginn des Jüdischen Jahres, das Fasten am ernst, dass sie sich nachhaltig damit be- Versöhnungstag und das Schofarblasen. schäftigt, und sich nicht bei einem Vorfall Aber auch der Gedanke an Umkehr, an kurzfristig empört, um dann im Alltag Teschuwa, die weiße Festtagsbekleidung genauso weiterzumachen wie bisher. und die traditionellen Speisen Apfel mit Honig gehören zu den Besonderheiten Wir brauchen zu den Vorfällen gesicherte der Jamim Noraim. Daten, denn nur dann werden wir ein Bild erhalten, das der Realität einiger- Unsere Autoren Rabbiner Berger und maßen entspricht. Und nur dann können Yizhak Ahren werden auf den nächsten verschiedenen Fronten und mit unter- wir auch gezielte Gegenmaßnahmen ent- Seiten einige inhaltliche Gedanken dazu schiedlichen Mitteln bekämpfen zu müs- wickeln. vorstellen. Für mich ist auch wichtig, das sen. Sukkot-Fest in diesen Feiertags-Zyklus Auch unsere Gemeinden will der Beauf- miteinzubeziehen. Denn auch auf die Zeit Es ist daher ein wichtiger Schritt, dass tragte in seine Arbeit miteinbeziehen. in einer reich geschmückten Laubhütte auf Bundesebene erstmals das Amt eines Einige hat er zu Gesprächen bereits be- freue ich mich. Die besondere „Mystik“ „Beauftragten für jüdisches Leben in sucht, alle anderen Besuche sollen bis unserer Feiertage kann man in den nächs- Deutschland und den Kampf gegen Anti- Ende des Jahres gemacht werden. ten Wochen auch in unseren Synagogen semitismus“ geschaffen wurde. Der Be- erleben. Und viele Gemeindemitglieder auftragte ist für uns ein wichtiger Partner Ich wünsche Herrn Spaenle bei seinen werden dabei sein. im Kampf gegen Antisemitismus. Gerade Bemühungen großen Erfolg und Ihnen, weil es darum geht, Antisemitismus zu liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich Auch noch 73 Jahre nach der Befreiung beobachten unter Rechtsextremen, bei ein gutes und gesundes neues Jahr 5779. vom Nationalsozialismus erleben wir in Muslimen sowie im politisch häufig eher Deutschland und leider auch in sehr linken Spektrum in Form einer heftigen SCHANA TOWA vielen anderen europäischen Ländern Israel-Feindschaft. Antisemitismus. Es ist ein Antisemitismus Ihr in verschiedenen Erscheinungsformen Seit einigen Monaten ist der frühere baye- Dr. Josef Schuster und Gesellschaftsschichten. Und keinen rische Kultusminister Ludwig Spaenle der Präsident gilt es zu verharmlosen. Wir stehen vor Beauftragte Bayerns gegen Antisemitis- des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Herausforderung, Antisemitismus an mus. Eine Position, die eigens geschaffen des Landesverbandes der IKG in Bayern

Rosch Haschana 5779 Nachrichten aus Frankreich IMPRESSUM Von Landesrabbiner Dr. Joel Berger . . 6 Von Gaby Pagener-Neu ...... 19 Umkehr – Gebet – Wohltätigkeit JÜDISCHES LEBEN IN BAYERN Jüdisch Reisen Von Yizhak Ahren ...... 7 erscheint im April zu Pessach, Zu Besuch bei Martin Buber im September zu Rosch Haschana und Kultur in Heppenheim im Dezember zu Chanukka. Klinkersteine erinnern an Jerusalem Von Bernd Sterzelmaier ...... 23 Von Verena Erbersdobler ...... 9 Was es heißt, ein Mensch zu sein Redaktion: Benno Reicher, [email protected]. Die Sukka in Zell am Main Von Angela Genger ...... 27 Von Israel Schwierz ...... 11 Bayern Herausgeber: Landesverband der Israeli- tischen Kul tusgemeinden in Bayern K.d.ö.R, Israel 70 Jahre Gedenken an Israel Offman sel. A. . . 34 Effnerstraße 68, 81925 München. Reiseziel Israel Aus den jüdischen Gemeinden Von Renatus Schenkel ...... 13 in Bayern ...... 36 Gesamtherstellung: Druckerei Höhn, 111 Orte in Tel Aviv Inh. Martin Höhn, Gottlieb-Daimler-Str. 14, Von Andrea Livnat ...... 16 Buchbesprechungen ...... 48 69514 Laudenbach.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 3 GRUSSWORTE ZU ROSCH HASCHANA 5779

Zum jüdischen Neu- schmerzt es, wenn der Antisemitismus heute der Selbstbesinnung und inneren Einkehr. jahrsfest geht mein wieder vermehrt in Erscheinung tritt. Die Sie ziehen eine persönliche Zwischenbilanz herzlicher Gruß an Bayerische Staatsregierung stellt sich die- und erneuern für das anstehende Jahr ihren die jüdischen Bürge- sem Ausdruck von Menschenverachtung Bund mit Gott. Ganz in diesem Sinne ein rinnen und Bürger entschlossen entgegen. Mit der Schaffung gesundes, glückliches und erfolgreiches unsers Landes. des Amtes eines Antisemitismusbeauftrag- Jahr 5779! Ihre Gemeinden neh- ten setzt sie ein Zeichen für religiöse Tole- men einen festen Platz ranz. Wir werden den notwendigen Debat- in unserer Gesell- ten nicht ausweichen und klar auf der Seite schaft und in unse- der Menschenwürde stehen. Dr. Markus Söder rem religiösen Leben ein. Umso mehr Rosch Haschana ist für die Juden ein Fest Bayerischer Ministerpräsident

Die Ankunft eines rüber, dass jüdisches Leben in unserem das gelingt, kann daraus mehr als Toleranz neuen Jahres kann Land wieder so stark Fuß gefasst hat. Das entstehen, nämlich echtes Interesse fürein- man gut miteinander jüdische Gemeindezentrum am Münchner ander und aufrichtiger Respekt voreinander. feiern; es geht aber Jakobsplatz ist in gewisser Weise der Be- Das ist im Kleinen nicht anders als im grö- auch sehr gut neben- weis dafür, was heute überall im Land mög- ßeren politischen Rahmen. 70 Jahre nach einander. Denn jüdi- lich ist. Immer wieder engagieren sich Bür- der Staatsgründung Israels sind die deutsch- sche und christliche gerinnen und Bürger oder ganze Gemein- israelischen Beziehungen sehr eng. Manche Traditionen lassen den, um die Erinnerung an jüdisches Leben Kommentatoren sprechen von einem „klei- sich in entspannter vergangener Zeiten wachzuhalten oder es nen Wunder“. Und das ist es wohl auch. Wir Weise leben. Und so in die Gegenwart hereinzuholen. Ein Bei- sollten es bewahren und aus ihm eine wun- möchte ich den Mit- spiel dafür ist Memmelsdorf in meiner frän- derbare Normalität machen. Das wünsche gliedern der Jüdischen Gemeinden in Bayern kischen Heimat. Dort hat eine örtliche Initia- ich uns und Ihnen, liebe Mitglieder der Jü- namens des Bayerischen Landtags und per- tive die Synagoge der früheren Landjuden- dischen Gemeinden in Bayern, am „Tag der sönlich zum Fest Rosch Haschana ganz herz- gemeinde zu einer Begegnungsstätte umge- Erinnerung“ von ganzem Herzen. lich gratulieren und alles Gute wünschen. staltet. So etwas zu tun, ist ganz wichtig. Natürlich müssen wir auch weiterhin wach- Denn letztlich kommt es beim friedlichen sam sein, was Antisemitismus betrifft, ganz Zusammenleben der Menschen immer auf gleich, von wem er kommt. Aber bei mir die persönliche Begegnung, auf die Bereit- Barbara Stamm, Präsidentin persönlich überwiegt doch die Freude da- schaft, aufeinander zuzugehen, an. Wenn des Bayerischen Landtags

Mehr als 10 Jahre liegt gen überhaupt abreißen ließ. Abscheu vor jeglichem Antisemitismus und die Eröffnung der Noch ein anderes Ereignis hat das vergan- ihr tiefes Verbundensein mit der Jüdischen Ohel-Jakob-Sy n agoge gene Jüdische Jahr 5778 geprägt: die Staats- Gemeinde mit einer Großdemonstration auf auf dem Jakobsplatz gründung Israels vor 70 Jahren. Auch in dem St.-Jakobs-Platz entschlossen zum Aus- nun schon zurück und München gab es zum Jubiläum eine ganze druck gebracht. In diesem Sinne möchte ich damit auch der Neube- Reihe von Veranstaltungen, unter anderem die Jüdische Gemeinde Münchens hier noch- ginn jüdischen Lebens den großen Festakt in der Münchner Haupt- mals ausdrücklich der unumstößlichen Soli- im Herzen unserer synagoge. Wobei einmal mehr deutlich ge- darität der gesamten demokratischen Münch- Stadt. Das ist ein worden ist, dass es Antisemitismus und Ras- ner Stadtgesellschaft versichern. Und in eben Glücksfall für Mün- sismus auch bei uns nach wie vor gibt und diesem Sinne wünsche ich allen jüdischen chen und ebenso Ausdruck unserer engen wir alle dringend gefordert sind einzuschrei- Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt zum Verbundenheit und unserer unverbrüch- ten, wenn Jüdinnen und Juden beleidigt, be- Neujahrsfest Rosch Haschana ein gutes, lichen Solidarität mit der Jüdischen Ge- droht oder angegriffen werden. Die Stadt glückliches und friedliches Jahr 5779! meinde. Gleichzeitig erinnern wir uns aber München hat ihre klare Haltung dazu Ende auch an die Barbarei vor 80 Jahren, als die 2017 mit einem umfassenden Stadtrats- natio nal sozialis tische Münchner Stadtver- beschluss gegen jede Form von Antisemitis- waltung auf Befehl Adolf Hitlers die einsti- mus erneut und demonstrativ bekräftigt. ge Münchner Hauptsynagoge an der Her- Und erst im Juni haben zudem Tausende Dieter Reiter, Oberbürgermeister zog-Max-Straße als eine der ersten Synago- von Münchnerinnen und Münchnern ihre der Landeshauptstadt München

Liebe jüdischen schung, Reue vor Gott und dem Nächsten, und Israel mit dem Titel „Zwischen Jerusa- Schwestern und Bitte um Vergebung und Neuanfang. Auch lem und Rom“ vom letzten Jahr. Mit dieser Brüder, im jüdisch-christlichen Verhältnis gab es in Erklärung würdigen sie die „neue Ära der den letzten fünfzig Jahren einen Neuan- friedlichen Ko existenz und Akzeptanz“ und das zu Ende gehende fang: die Bitte um die Vergebung von christ- die „Jahrzehnte der fruchtbaren Interaktion Jahr und das neue licher Seite, die Bereitschaft zur Versöh- und Zusammenarbeit“, die vor allem mit Jahr nach Ihrem Ka- nung von jüdischer Seite. Ein solches Zei- der Konzilserklärung „Nostra aetate“ von lender bedeutet für chen der Versöhnung ist auch die Erklärung 1965 begonnen haben. Sie Gewissenserfor- orthodoxer Rabbiner von Europa, Amerika Natürlich gibt es bleibende Unterschiede

4 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 zwischen Juden und Christen, aber zugleich und ich möchte die Worte von Papst Fran- Schana towa! teilen wir grundlegende Über zeugungen ziskus zitieren bei seinem Besuch in der Ihr und Werte einschließlich des Bezugs auf die Synagoge in Rom: „Von Feinden und Frem- Hebräische Bibel. Die orthodoxen Rabbiner den sind wir zu Freunden und Brüdern ge- sehen in der genannten Erklärung in den worden ... Ich wünsche, dass die Nähe, die Katholiken „Partner, enge Verbündete, gegen seitige Kenntnis und Wertschätzung Freunde und Brüder in unserem gemeinsa- zwischen unseren beiden Gemeinschaften Reinhard Kardinal Marx men Streben nach einer besseren Welt“. immer mehr wachsen mögen.“ Erzbischof von München und Dieser Sichtweise schließe ich mich voll an Ein friedvolles und gesegnetes Neues Jahr – Freising

Im Namen der Evan- Wir hoffen auf Lernprozesse, die unsere Kir- Misstrauen zu säen gegenüber denen, die an- gelisch-Lutherischen che und unsere Gesellschaft, weiterbringen. ders als sie leben, glauben, aussehen. Denje- Kirche in Bayern und Wie nötig das ist, hat sich auch in den letz- nigen, die die Vielfalt nicht achten, treten auch ganz persönlich ten Monaten wieder gezeigt. wir mit allem Nachdruck entgegen. wünsche ich Ihnen Die wieder gewachsenen antisemitischen Das Motto „Mensch, wo bist du?“ erinnert ein glückliches und Tendenzen sind eine Schande für unsere gerade Christen hier in Deutschland daran: friedliches Jahr 5779. Gesellschaft. Gerade für uns als Kirche gibt Wir stehen in der Verantwortung, wenn un- Das abgelaufene Jahr es allen Anlass, Antisemitismus energisch sere jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn hat Schönes und Er- entgegenzutreten. bedroht, beschimpft oder gar angegriffen freuliches, aber auch Vor 20 Jahren hat die Evangelisch-Lutheri- werden. Beunruhigendes und Trauriges mit sich ge- sche Kirche in Bayern im November 1998 in Deshalb wollen wir in Nürnberg und an- bracht. Nürnberg ihr Verhältnis zum Judentum derswo zeigen, dass wir in Bayern zusam- Mich freut, dass es durch eine gemeinsame grundlegend neu beschrieben. In der Zwi- menhalten – jüdische, christliche und alle Anstrengung gelungen ist, die Mittel für eine schenzeit haben wir Fortschritte gemacht. Menschen guten Willens. von der Evangelischen Kirche in Deutsch- Gleichzeitig bleibt noch viel zu tun – aber Ich freue mich auf ein spannendes Pro- land initiierte Stiftungsprofessur in Berlin auch noch viel zu entdecken. gramm und anregende Begegnungen, im zusammenzubekommen, die Theologiestu- Im kommenden März wird die bundesweite März in Nürnberg und das ganze Jahr über- dentinnen und -studenten künftig mehr über Woche der Brüderlichkeit in Bayern eröffnet, all in Bayern. das Judentum und das besondere christlich- nämlich in Nürnberg. Das Motto: „Mensch, jüdische Verhältnis vermitteln soll: wo bist du?“ erinnert uns da ran, dass wir SCHANA TOWA UMETUKA Wie leben Menschen ihr Judentum heute nicht für selbstverständlich halten, was wir wünscht Ihnen Ihr und wie taten sie es früher? Was in den Be- erreicht haben. Was Sorge macht und irri- ziehungen von Christen zu Juden müssen tiert, soll ebenso zur Sprache kommen wie wir besonders ausleuchten? Wo gibt es Vor- alle Freundschaft, die gewachsen ist, und die bilder und Vorbildliches, aus dem wir heute Verbundenheit, die wir erleben. Das Motto schöpfen können? Was haben wir erreicht fordert uns dazu heraus, Gesicht und Hal- Dr. Heinrich Bedford-Strohm im christlich-jüdischen Dialog und woran tung zu zeigen, wenn Gruppen und Kräfte Landesbischof der Evangelisch- müssen wir arbeiten? ver suchen, die Gesellschaft zu spalten und Lutherischen Kirche in Bayern

Sehr geehrte Damen und Konflikten geprägt ist, beruft sich der Es freut mich, dass sich in diesem Jubi- und Herren, Staat Israel auf seine Stärken: Demokratie, läumsjahr viele jüdische Gemeinden hier in liebe Freunde, Pluralismus, Freiheit, technologischer Fort- Bayern so sichtbar im Zeichen der deutsch- schritt und humanitäres Engagement – die israelischen Freundschaft engagieren. Die zum jüdischen Neu- dem Land seine innere Stabilität garantieren. jüdischen Gemeinden werden immer Israels jahrsfest Rosch Ha- Das zentrale Ereignis dieses Jahres ist jedoch stärkster Partner sein. schana sende ich Ih- das 70-jährige Jubiläum der Staatsgründung Für das neue Jahr wünschen wir uns für nen meine besten Israels. Am 14. Mai 1948 erklärte David Ben Israel und für alle Juden weltweit Sicherheit Wünsche und Grüße. Gurion die Unabhängigkeit des Staates Israel und Frieden und wollen uns dafür gemein- Für den Staat Israel – die Erfüllung des Traums des Visionärs der sam stark machen. war es ein ereignisrei- zionistischen Bewegung, Theodor Herzl – Ich wünsche Ihnen ein friedliches, gesun- ches Jahr: die USA haben Ihre Botschaft von und des gesamten jüdischen Volkes. Zahlrei- des und erfolgreiches Jahr 5779. Tel-Aviv nach Jerusalem verlegt und damit che Veranstaltungen in deutschen Städten Jerusalem als offizielle Hauptstadt Israels standen und stehen in diesem Jahr unter SHANA TOVA U-METUKA! anerkannt, Guatemala und Paraguay folg- dem Motto „70 Jahre Israel“ und zelebrieren KETIVA VE-CHATIMA TOVA! ten. Doch gleich zeitig stellten Entwicklun- das ganze Jahr über dieses besondere Ereig- gen in unseren arabischen Nachbarstaaten nis: bei kulturellen Begegnungen, auf Konfe- und der extremistische Terror im gesamten renzen zu Bildung, Wirtschaft, Umwelt, Wis- Nahen Osten die Bevölkerung Israels vor im- senschaft und Forschung, bei künstlerischen merwährende Herausforderungen. Doch in- Projekten oder im Jugendaustausch und bei Sandra Simovich, Generalkonsulin mitten dieser Region, die so oft von Un ruhe Städtepartnerschaften. des Staates Israel in Süddeutschland

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 5 ROSCH HASCHANA 5779

Rosch Haschana 5779 Von Landesrabbiner a. D. Joel Berger

gegangenen und hofft, dass uns ihr Bei- versuch Abrahams. Das Schofarblasen am spiel beseelen wird, wenn wir an den Rosch Haschana kündigt an, dass wir uns Hohen Feiertagen Gnade für uns und für auf das Kommen des großen Versöh- die Unsrigen erflehen werden. Heute, nungstages Jom Kippur innerlich vorbe- nach dem Jahrhundert der Vertreibungen reiten sollen. und des Mordes, können viele von uns die Gräber ihrer Angehörigen nicht mehr auf- Was aber wären diese ernsten Feiertage suchen, weil viele von uns nicht wissen, zum Anbruch des neuen Jahres ohne wo und wann sie ermordet wurden. Auch eine besondere Speisekarte für das Fest? daher hat es sich bei uns eingebürgert, Die einzelnen Gerichte des Festmenüs die meist namenlosen Gräber und Denk- sind so zusammengestellt, dass deren Ge- mäler der KZ-Friedhöfe unserer Umge- schmack oder äußere Form an die Inhalte bung aufzusuchen. Durch das Anzünden und Gedankenwelt des Festes erinnern eines Gedenklichtes und dem gemein- oder damit in Verbindung gebracht wer- samen Rezitieren des Kaddisch-Trauer- den können. Dabei hat man auch die gebetes tun wir kund, dass, solange wir günstige Wende des Schicksals der Tisch- Rabbiner Joel Berger noch am Leben sind, es auch kein Ver- gemeinschaft durch die Speisen beein- gessen, kein Verdrängen vor der Allmacht flussen wollen, wenn es nur der Herr so Für die jüdische Gemeinschaft beginnt des Herrn geben kann. wollte. am Rosch Haschana ein neues liturgi- sches Jahr. Unser Neujahrsfest wird zu- Vor Anbruch des Feiertages pflegen ge- Daher pflegt man zu Rosch Haschana sammen mit dem darauf folgenden Ver- setzestreue Männer das Ritualbad, die Rosinen in die Challa, den geflochtenen söhnungstag Jom Kippur als „Jamim Mikwe, aufzusuchen. Mit dem Untertau- Festtagszopf, mit hinein zu verarbeiten. Noraim“, als „Ehrfurchterregende Tage“ chen im Becken des Bades möchte man Ebenso wird das Festbrot, nachdem es bezeichnet. Rosch Haschana überragt symbolisch zum Ausdruck bringen, dass mit dem Segensspruch, mit der Bracha, alle jüdischen Feste als Tage der Erinne- nach jüdischer Auffassung die Körper- gebrochen wurde, in Honig getaucht, be- rung, denn wir sollen beim Eintritt ins hygiene und die Reinheit der Seele eine vor wir es zu uns nehmen. Süß soll das neue Jahr auch die Zukunft in die Ver- harmonische Einheit bilden. Nach dem neue Jahr werden, süß, sorgenfrei und gangenheit miteinbeziehen. Rosch Ha- Abendgottesdienst begrüßt man sich mit friedlich. schana und Jom Kippur werden traditio- dem traditionellen Gruß „Leschana Towa nell als die Gerichtstage Gottes betrach- Tika tewu“, „für ein gutes, neues Jahr mö- Die Sehnsucht nach dem „versüßten Le- tet. Wir fühlen uns innerlich verpflich- gen wir eingetragen werden.“ In der ben“ ist der Grund dafür, dass man an tet, über die Ereignisse unseres Lebens volkstümlichen jüdischen Vorstellung ist den Neujahrsfeiertagen nach dem Ver- im vergangenen Jahr aufrichtig Rechen- das Bild lebendig, in dem Gott in diesen speisen des Festbrotes auch Apfelstücke schaft vor unserem Schöpfer abzulegen. Tagen diejenigen, die aufrichtig Buße in Honig zu tunken pflegt und sie der Man klagt sich häufig selbst an, weil man tun, in das Buch des Lebens einträgt. Tischgemeinschaft mit folgenden Worten im Laufe des Jahres vielleicht nicht stand- Diese bildhafte Vorstellung steckt hinter reicht: „Möge uns ein süßes Jahr beschert haft genug geblieben war, weil man trotz der Formulierung des Festtagsgrußes. werden.“ Gereicht werden auch Granat- guter Vorsätze Ideale leichtsinnig verließ äpfel, die bekanntlich viele Kerne haben. und sie verletzte. Am Rosch Haschana wird der Schofar, Sie versinnbildlichen die Erfüllung der das Naturinstrument aus einem Widder- vielen Wünsche und Hoffnungen. Diese grundsätzlichen Gedanken des Fes- horn, geblasen. Dies zur Erinnerung an tes könnten den Anschein erwecken, dass die „Bindung Isaaks“, an den Opferungs- Unser Festbrot ist der hierzulande wohl- die Hohen Feiertage von einer traurigen, bekannte Mohnzopf. Jedoch wird an den wehmütigen Stimmung überschattet wer- Hohen Feiertagen die längliche Form den. Dies trifft jedoch nicht zu. Unserem verändert. Man bevorzugt einen runden, Leben verleihen diese Feste viele bunte geflochtenen Wecken. Dieser soll zum Farben. Die Farbenpracht lässt sich am Ausdruck bringen, dass man sich zu Be- eindrucksvollsten mit der Schilderung je- ginn des Neuen Jahres ein rundes Jahr ner Sitten und Bräuche veranschaulichen, wünscht, ohne Ecken und Kanten, ohne die engstens mit der Gedankenwelt dieser Kummer und Leid. Die Mohnkörner, die Feiertage verbunden sind. den Zopf fast vollständig bedecken, sollen Überfluss symbolisieren. Es ist vielerorts üblich in der Woche vor Rosch Haschana oder sogar bis zum Jom Am Rosch Haschana kommt noch der Schofar aus dem Jüdischen Museum Franken Kippur, bis zum Versöhnungstag, die Grä- in Fürth. Es wurde 1938 von Familie Wild aus Wunsch hinzu, dass unsere Verdienste ber der Verstorbenen, nächsten Anver- den Trümmern der Synagoge des ostjüdi- um das Wohl unserer Mitmenschen vor wandten und frommen Rabbiner aufzu- schen Vereins „Bikur Cholim“ in der Max- dem Herrn am Gerichtstag, am Jom Ha- suchen. An den Ruhestätten gedenkt man straße in Fürth geborgen. Foto: Annette Kra- din, genau so zahlreich wie die Mohnkör- der tugendhaften Lebensweise der Heim- disch, Nürnberg, © Jüdisches Museum Franken ner erscheinen mögen, damit uns Gnade

6 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 und Erbarmen widerfährt. Aus dem glei- Damit nicht der Eindruck gewonnen trauen. Der „Sargenes“ ist auch „Memen- chen Grund stehen noch auf der fest- wird, dass nur die Gastronomie im Mittel- to-mori“, Ermahnung, dass wir alle ver- lichen Menükarte süß zubereitete, in Ho- punkt der Hohen Feiertage steht, möchte gänglich sind und spornt uns zur Umkehr nig und Dörrpflaumen gedünstete Möh- ich einige weitere Bräuche anführen. Vie- und Buße an. ren, auf Jiddisch „Zimmes“ genannt. lerorts ziehen die Betenden und der Chasan, der Vorbeter, während der Got- Nach dem Mittagessen am ersten Rosch Manche meinen, dass nicht nur wegen tesdienste in der Synagoge am Rosch Ha- Haschana-Tag üben wir noch einen ande- dieser Namensbezeichnung der Zimmes, schana und Jom Kippur einen weißen ren Brauch aus. Wir suchen einen Fluss, dessen Farbe an Gold und Wohlstand Kittel an. Der weiße Kittel ist eigentlich Bach oder See auf und sprechen feierlich erinnert, auf den Festtagstisch kommt. die Tracht der Verstorbenen. Es ist das am Ufer einen klassischen Vers aus dem Das Wort „Möhren“ wird in einigen jid- letzte Hemd, in dem wir unsere Toten in Buch des Propheten Micha. Dieser Vers dischen Dialekten als „Mehren“ ausge- den Sarg betten. besagt, dass der Herr unsere Sünden und sprochen und erinnert somit an das Ge- Verfehlungen in die Tiefe des Meeres ver- bot der Tora „seid fruchtbar und mehret Daher wird der Kittel auch „Sargenes“ senken wird. Viele von uns bringen noch euch.“ (1. B. M. 1:28) An diesem Fest gilt genannt. Die Rolle und die Bedeutung einige Brotkrümel vom Mittagstisch mit dies als eine Verheißung. Fisch, dessen des weißen Kittels an den Hohen Feierta- und werfen sie, wie für die Sünden erhofft, Kopf, auf He bräisch Rosch, mitserviert gen sind vielfältig. Zunächst drückt das ins Wasser. Die Krümel dienen dann als wird, ist ein Symbol der Fruchtbarkeit. Tragen des Kittels das Streben nach der Nahrung für Fische oder Wasservögel. Ein Saure oder bittere Speisen werden an Reinheit der Seele und nach Vergebung kleines, unscheinbares Zeichen der diesen Tagen nicht verzehrt. Zu den aus. Dafür steht die weiße Farbe. Es be- menschlichen Barmherzigkeit, um viel- symbolträchtigen Speisen des Rosch Ha- deutet ferner, dass wir dem einzig ge- leicht dadurch einen Hauch der göttlichen schana gehört auch der Honigkuchen, der rechten Richter, Gott, der Seinen Ge- Gnade zu verdienen. Nötig hätten wir es, Honiglekach. schöpfen Gnade walten lassen will, ver- wie auch unsere Welt, in der wir leben.

Umkehr – Gebet – Wohltätigkeit Drei Glossen zum Talmud

Umkehr eines Sexsüchtigen bitten, denn es heißt: ,Der Himmel wird sich aus den tiefsten Niederungen einer wie Rauch zerstieben und die Erde wie Sucht befreit hat und den Weg der Te- Nachträglich können Psychologen heute ein Gewand zerfallen‘ (Jesaja 51,6). Da schuwa einschlug. die Diagnose eines im Talmud beschrie- sprach er: Sonne und Mond, bittet für Die Passage, in der Elazar Ben Dordaja benen Falles stellen. Über einen willens- mich um Erbarmen! Sie erwiderten ihm: Naturerscheinungen anfleht, für ihn um starken Mann wird berichtet: „Man er- Ehe wir für Dich bitten, wollen für uns Erbarmen zu bitten, bedarf einer Erläute- zählt von Rabbi Elazar Ben Dordaja, dass selbst bitten, denn es heißt: ,Der Mond rung. Wie kann man sich das vorstellen, er keine Hure in der Welt zurückließ, die wird sich schämen und die Sonne zu dass Berge und Hügel sowie Sonne und er nicht beschlafen hätte. Als er einst Schanden werden‘ (Jesaja 24,23). Da Mond Verse des Propheten Jesaja zitie- hörte, dass es in einem überseeischen sprach er: Sterne und Sternbilder, bittet ren? Die Tosafot zu unserer Stelle sowie Lande eine Hure gäbe, die einen Beutel für mich um Erbarmen! Sie erwiderten zu Chullin 7a erklären, dass der talmudi- voll Dinare als Lohn nimmt, nahm er ihm: Ehe wir für Dich bitten, wollen für sche Text einen inneren Monolog schil- einen Beutel voll Dinare und passierte uns selbst bitten, denn es heißt: ,Und das dert. Elazar Ben Dordaja dachte, dass die ihretwegen sieben Flüsse.“ Elazar Ben ganze Heer des Himmels wird zergehen‘“ angesprochenen Naturerscheinungen so Dordajas Verhalten legt die Vermutung (Jesaja 34,4). ihm hätten antworten können. Am Ende nahe, dass er sexsüchtig war. Aus den gleichlautenden Antworten, die seiner Überlegungen zog er den folgen- Der Besuch bei der hochpreisigen Hure ihm Berge und Hügel, Himmel und Erde, reichen Schluss: „Ich bin auf mich selbst verlief jedoch nicht so, wie der Freier sich Sonne und Mond sowie Sterne und Stern- angewiesen!“ In einer psychotherapeuti- die Begegnung erträumt hatte: „Bei der bilder gaben, zog Elazar Ben Dordaja ei- schen Behandlung braucht der Klient oft Vollziehung der Sache hatte sie eine Blä- nen wichtigen Schluss: Ich bin nun auf viele Stunden, bis er zu dieser Erkenntnis hung und sprach: ,Wie wenig diese mich selbst angewiesen! Da senkte er sein gelangt. Blähung zu ihrer Stelle zurückkehren Haupt zwischen die Knie und schrie Erwähnenswert ist ein im Talmud über- wird, so wenig wird man Elazar Ben weinend so lange, bis seine Seele ausfuhr. lieferter Kommentar von Rabbi Jehuda Dordaja durch Buße wieder aufnehmen.‘“ Da erscholl eine Hallstimme und sprach: HaNassi zu Elazar Ben Dordajas Ge- Diese frivole Bemerkung hat Elazar Ben Rabbi Elazar Ben Dordaja ist für das schichte: „Rabbi weinte und sprach: Man- Dordaja offensichtlich erschüttert und Leben der zukünftigen Welt vorgesehen! cher erwirbt seine Welt in vielen Jahren, wachgerüttelt: Ist ihm der Weg der Um- (Awoda Zara 17a). mancher aber erwirbt sie in einer Stunde! kehr (hebr.: Teschuwa) wirklich versperrt? Dass eine solche pikante Geschichte im Ferner sagte Rabbi: Nicht genug, dass Was tat Elazar Ben Dordaja? „Er ging fort Talmud vorkommt, dürfte viele Leser ver- man die Bußfertigen aufnimmt, sondern und setzte sich zwischen zwei Berg- und blüffen. Die zitierte Passage wirft in der man nennt sie auch Rabbi.“ Warum wein- Hügelreihen und sprach: Berge und Hü- Tat einige Fragen auf: Man erzählt von te Rabbi? Er hätte sich doch freuen sollen, gel, bittet für mich um Erbarmen! Sie er- Rabbi Elazar Ben Dordaja – war der sex- dass der Liebhaber aller Huren am Ende widerten ihm: Ehe wir für Dich bitten, süchtige Mann ein ordinierter Tora-Leh- seines Lebens Teschuwa machte! wollen wir für uns selbst bitten, denn es rer? Rabbiner Mosche Feinstein verneint Rabbiner Menachem Mendel Taub (Jahr- heißt: ,Berge werden weichen und Hügel diese Frage; er bemerkt, dass Elazar Ben gang 1923), besser bekannt als der Kali- werden wanken‘ (Jesaja 54,10). Da sprach Dordaja der Titel Rabbi erst postum ver- wer , erklärte einmal Rabbis Trä- er: Himmel und Erde, bittet für mich um liehen wurde (Responsa Igrot Mosche, nen wie folgt: Die Geschichte von Elazar Erbarmen! Sie erwiderten: Ehe wir für Jore Dea Band 1, Nr. 135). Warum bekam Ben Dordaja lehrt uns, dass ein Bußferti- Dich bitten, wollen wir für uns selbst der Hurenbock diesen Ehrentitel? Weil er ger seine Welt in einer Stunde erwerben

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 7 kann – und doch gehen viele Sünder nicht Negativ bewertete auch R. Yizhak die Wie sehr Rabbi Eleasar die eigenen Inter- den Weg der Teschuwa! Ist das nicht zum Andacht beim Gebet: „Drei Dinge brin- essen zurückzustellen bereit war, zeigt Weinen? gen die Sünden des Menschen in Erinne- folgende Geschichte: „Eines Tages ging rung, und zwar: eine sich neigende er auf den Markt, um Brautausstattung Altruistisches Beten und Wand, Ijun Tefilla und wenn man seinen für seine Tochter zu kaufen. Als die Spen- egoistisches Beten Nächsten beim Himmel anklagt“ (Bera- densammler ihn bemerkten, versteckten chot 55 a). Raschi erklärt in seinem Kom- sie sich vor ihm; er aber eilte ihnen nach An mehreren Talmud-Stellen ist von der mentar zu dieser Stelle, dass diese drei und sprach: Ich beschwöre euch, womit Andacht beim Gebet (hebr.: Ijun Tefilla) Dinge die Sünden des Menschen in Er- befasst ihr euch? Diese erwiderten: Mit die Rede. Was Ijun Tefilla in der Praxis innerung bringen, weil die betreffende der Ausstattung eines Waisenpaares. Da bedeutet, erklärt Rabbiner S. R. Hirsch Person offensichtlich ihrer Verdienste sprach er zu ihnen: Beim Kult, diese sind wie folgt: „Wenn du betest, habe deinen ganz sicher ist – deswegen werden ihre bevorzugter als meine Tochter. Hierauf inneren Sinn geöffnet auf den Inhalt des Taten gründlich untersucht, und wer ist gab er ihnen alles, was er bei sich hatte.“ Gebetes, damit du ihn dir aneignest und ohne Sünde?! Wie ist seine Handlung zu rechtfertigen? er dir wahrhaft zur Tefilla werde: zur Nun drängt sich die Frage auf, warum Diese Frage hat Talmud-Kommentatoren Geistes- und Herzensläuterung. Denke, Ijun Tefilla im Talmud manchmal positiv beschäftigt. Sicher ist jedenfalls, dass du stehst gegenwärtig vor Gott; entferne und manchmal negativ gesehen wird. Rabbi Eleasars ungewöhnliches Verhalten alle fremdartigen, störenden Gedanken, Eine einleuchtende Antwort auf diese na- anderen Menschen keineswegs Vorbild bis Geist und Gemüt rein nur der Tefilla heliegende Frage hat Rabbiner Elieser sein kann. geöffnet sind“ (Chorew § 690). Berkovitz veröffentlicht (in der Aviad-Ge- Für unsere heutige Praxis ist eine Anord- Wie sehr Ijun Tefilla sich lohnt, kann man denkschrift, Jerusalem 1986). Rabbiner nung maßgebend, die im Traktat Ketubot der folgenden Lehre entnehmen: „R. Jehu- Berkovitz geht davon aus, dass wir egois- (50 a) steht: „Rabbi Ilea sagte: In Uscha da ben Schila sagte im Namen R. Asis im tisches Beten und altruistisches Beten ordnete man an, wer verschwenderisch Namen R. Jochanans: Von sechs Dingen voneinander unterscheiden müssen. Be- spendet, verschwende nicht mehr als ein genießt der Mensch die Früchte auf die- tet jemand nur für seine eigenen Ziele, Fünftel …, damit er nicht selber der Men- ser Welt, während das Kapital für die zu- ohne die Spur einer Fürbitte, dann pro- schen bedürftig werde. Einst wollte je- künftige Welt erhalten bleibt, und zwar: voziert er eine himmlische Prüfung, ob er mand mehr ausgeben, da ließ ihn sein Ge- Gastfreundschaft, Krankenbesuch, An- es tatsächlich verdient, dass die von ihm nosse nicht. Rabbi Acha Ben Jakob sagte: dacht beim Gebet, frühzeitiger Besuch geäußerte Bitte erfüllt wird. Die oben Hierauf deutet folgender Schriftvers: Alles des Lehrhauses, Erziehung der Kinder zitierte Aussage von Rav, Ijun Tefilla sei was du mir geben wirst, werde ich dir wie- zum Studium der Tora und die Beurtei- eine Sünde, bezog sich auf ein solches derholt verzehnten (1. Buch Mose 28,22).“ lung seines Nächsten zu seinen Gunsten“ Beten. In der Tat ist Ijun Tefilla dann pro- Die in Uscha beschlossene Anordnung ist (Schabbat 127 a). blematisch, wenn der Beter nur eigene verbindlich, denn sie wurde in die reli- Eine leicht veränderte Fassung der Lehre Ziele im Sinn hat. gionsgesetzlichen Werke aufgenommen von R. Jochanan wird täglich im Morgen- Die harte Prüfung durch den Himmel (siehe z. B. Rabbiner Samson Raphael gebet gesagt, und zwar unmittelbar nach kann ein Beter vermeiden, indem er alt- Hirsch, Chorew, Paragraph 572). Aller- den Segenssprüchen über die Tora. Diese ruistisch handelt und in seinem Gebet dings gibt es unter Halachisten eine Mei- Passage erinnert Beter jeden Morgen an stets auch an andere Menschen denkt. nungsverschiedenheit, wie die Anord- wichtige Aufgaben, die sie zu erfüllen ha- Die Belohnung für ein solches Beten hat nung zu interpretieren sei: Gilt sie in je- ben. In dieser Liste der religiösen Pflich- R. Jochanan beschrieben: Der Beter ge- dem Fall ohne Blick auf das Bankkonto ten befindet sich auch Ijun Tefilla, der nießt die Früchte auf dieser Welt, und das des Spenders oder wurde sie nur für sol- Gegenstand unserer Betrachtung. Kapital bleibt für die zukünftige Welt er- che Menschen erlassen, die ein durch- Mit der gebotenen Andacht zu beten, ist halten. schnittliches Vermögen und Einkommen gewiss keine leichte Aufgabe. Unsere Wei- Es ist bemerkenswert, dass sämtliche Bit- haben? sen haben daher sogar von einer Kunst ge- ten im zentralen Achtzehn-Gebet in der So hat u.a. Rabbiner Jakob Emden die sprochen (Raschi zu 2. Buch Mose 14,10). Mehrzahl und nicht in der Einzahl formu- Ansicht vertreten (Responsa „Scheilat Ja- Der Beter muss sich auf den Gebetstext liert sind. Und wenn man ein Gebet für wetz“, Band 1, Nr. 3), dass jemand, der konzentrieren und darf sich nicht mit an- eine bestimmte kranke Person einfügen extrem reich ist, mehr als ein Fünftel für deren Dingen beschäftigen. Die Gedanken will, so nennt man ihren Namen und Zedaka geben darf (und dies auch soll); und die Blicke beim Beten nicht schweifen endet: „inmitten der übrigen Kranken Rabbiner Emden fügte allerdings hinzu, zu lassen, ist eine Leistung, die mühevoll Israels.“ Gerade beim Beten sollte man der Krösus möge darauf achten, dass ihm erarbeitet werden muss. Nicht ohne Stolz niemals egoistisch sein. genügend Geld für den Rest seines Le- sagte R. Jehuda: „Möge es mir zugutekom- bens übrig bleibt. Sinn der Zedaka-Be- men, dass ich die Andacht beim Gebete be- Grenzen der Wohltätigkeit grenzung ist, dass der Spender nicht sel- wahrt habe“ (Schabbat 118 b). ber der Hilfe bedürftig werde. Allerdings gibt es einige Talmud-Stellen, Wer Gelder für einen wohltätigen Zweck Die große Bedeutung der Wohltätigkeit in denen Ijun Tefilla nicht gelobt wird. Im sammelt, der freut sich natürlich über je- im Judentum ist unbestritten. Im Talmud folgenden Ausspruch wird die Andacht den großzügigen Spender. Im Talmud (Baba Batra 10 a) heißt es: „Rabbi Jehuda beim Gebet sogar negativ bewertet: „R. (Taanit 24 a) wird über einen seltsamen sagte: Groß ist die Wohltätigkeit, denn sie Amram sagte im Namen Ravs: Drei Sün- Fall berichtet, der wohl eine Ausnahme beschleunigt die Erlösung.“ Sowohl am den sind es, denen ein Mensch keinen Tag bildet: „Wenn die Spendensammler Elea- Rosch Haschana als auch am Jom HaKip- entgeht: Gedanken der Sünde, Ijun Tefilla sar aus Birat sahen, versteckten sie sich, purim beten wir: „Doch Umkehr, Gebet und üble Nachrede (hebr.: Laschon haRa)“ weil er ihnen alles hergab, was er bei sich und Wohltätigkeit wenden das böse Ver- (Baba Batra 164 b). Hier wird Ijun Tefil- hatte.“ Offensichtlich hatte Rabbi Eleasar hängnis ab!“ Wichtig ist zu wissen, dass la als eine Sünde angesehen. Was meinte Ben Jehuda eine allen bekannte Schwäche beim Zedaka-Geben bestimmte Regeln Rav? Wieso kann jemand Ijun Tefilla ne- für Wohltätigkeit (hebr.: Zedaka), die die und Grenzen zu beachten sind. gativ bewerten? Spendensammler nicht ausnutzen wollten. Yizhak Ahren

8 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 KULTUR

Klinkersteine erinnern an Jerusalem Jüdisches Museum Franken mit bemerkenswerten Erweiterungen Von Verena Erbersdobler

Sogar das Wetter meinte es gut mit der Nach einer dreijährigen Bauzeit eröffnete Wiedereröffnung des Jüdischen Museums das Museum seinen Erweiterungsbau am Franken (JMF). Obwohl für den Nachmit- 13. Mai 2018 mit einem großen Festakt in tag Gewitter vorhergesagt wurde, kamen der Fürther Stadthalle. die zahlreichen Gäste trockenen Fußes Grußworte zur Einweihung sprachen der von der Fürther Stadthalle zum neuen Er- Fürther Oberbürgermeister Dr. Thomas weiterungsbau und wohnten bei noch Jung, der Erste Vorsitzende des Träger- klarem Himmel der Bandschneidezere- vereins Jüdisches Museum Franken e.V. monie bei, bevor sie endlich das neue Bezirksrat Alexander Küßwetter und der Gebäude betreten konnten. Staatsminister für Unterricht und Kultus Von der Idee eines Erweiterungsbaus bis Bernd Sibler. Auch Zentralrats-Präsident zur Eröffnung verging beinahe ein Jahr- Dr. Josef Schuster kam zur Eröffnung. In zehnt. Bereits bei der Eröffnung des Für- seiner Rede sprach er von einem „Tag der ther Museums im Jahr 1999 war klar, Freude“ und stellte das Fürther Museum dass es in der Zukunft eine Erweiterung an die Seite der Jüdischen Museen Berlin geben müsse. Dem historischen Altbau und Frankfurt, mit denen es „einen kost- Rabbiner Jan Guggenheim mit Mesusa. mangelte es an Platz und Flexibilität für baren historischen Schatz“ bildet. „Kein Wechselausstellungen und museumspä da- Mensch wird als Antisemit geboren“, sagte des Eingangs anbrachte und damit den gogische Angebote oder größere Veran- Schuster, und das JMF könne zum besse- Neubau einweihte. Nach der anschließen- staltungen. ren Verständnis der Religionen und Kul- den Bandschneidezeremonie mit Bezirks- Verwaltung, Bibliothek und Archiv waren turen beitragen. tagspräsident Richard Bartsch, Oberbür- viele Jahre in Räumlichkeiten außerhalb Minister Sibler betonte, dass die Staats- germeister Dr. Jung, Architekt Ulrich des Museums untergebracht. regierung für ein „blühendes jüdisches Manz, Dieter Christoph von der Kulturstif- 2008 schrieb die Kulturstiftung Fürth Leben“ in Franken und Fürth eintrete, tung Fürth als Bauherr, Alexander Küß- einen Architekturwettbewerb für einen auch wolle er sich für eine stärkere Ak- wetter, Museumsleiterin Daniela Eisen- Erweiterungsbau des Jüdischen Museums zentuierung des Themas Nationalsozia- stein und der Referentin für Soziales und aus. Erster Preisträger mit einem einstim- lismus in den bayerischen Lehrplänen ein- Kultur der Stadt Fürth, Elisabeth Reichert, migen Juryurteil war die ARGE Gatz, setzen. konnten die Gäste endlich das neue Haus Kuntz und Manz. Doch aufgrund der Nach den Feierlichkeiten in der Stadthalle betreten. Wirtschaftskrise musste die Umsetzung zog die Festgesellschaft weiter zum Stand- Schon von außen sticht der Erweiterungs- zunächst wieder auf Eis gelegt werden. ort des Museums in der Königstraße, wo bau mit seinen großen Fensterflächen 2013 beschloss die Stadt Fürth schließ- zunächst der neue Fürther Rabbiner Jan und der archaisch anmutenden Fassade lich, den Entwurf zu realisieren, der erste Guggenheim in einer Chanukkat ha-bajit- ins Auge. Er präsentiert sich in Propor- Spatenstich erfolgte am 8. Mai 2015. Zeremonie eine Mesusa am Türpfosten tion, Materialität und Rhythmus der Fas-

Das Jüdische Museum mit dem Neubau. Alle Fotos: Jüdisches Museum Franken/Annette Kradisch

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 9 „Die konzeptionelle Idee für den Entwurf des Jüdischen Museums Franken bestand bereits zum Wettbewerb 2008 in der Aus- einandersetzung mit der jüdischen Kultur in der Stadt Fürth. Auf der Spurensuche sieht man überraschende Dinge, Verbor- genes tritt ans Tageslicht“, so der Archi- tekt Ulrich Manz. Auch in den Namen für die neuen Räum- lichkeiten findet man „fränkische Wur- zeln“. Angesehene „Raumpaten“ haben „ihren“ Raum nach jüdischen Persönlich- keiten benannt. Im neuen, lichtdurchfluteten Foyer findet der Besucher neben der Museumskasse den Museumsshop und das „Mary S. Ro- senberg Café“, das auf eine kleine Pause mit saisonalem jüdischen Feiertagsgebäck und traditionellen Rezepten jüdischer Fa- milien einlädt. In den warmen Monaten können die Besucher von hier aus auch gleich den „Julius Sachs Museumsgarten“ im neuen Innenhof zwischen Alt- und Neubau erkunden. Ausgestattet mit Pflan- zen, die Bezüge zur fränkisch-jüdischen Geschichte oder zur Bibel aufweisen, Museumsleiterin Daniela Eisenstein. werden hier in Zukunft auch Kinder- und Blick in das neue Museums-Foyer. Jugendworkshops stattfinden. sade als besonderer Baustein der Fürther Im Erdgeschoss befindet sich auch der Im ersten Stock können sich Besucher in Innenstadt. Die verschlämmten Klinker- „Ernst-Kromwell-Saal“, ein repräsentati- der 12.000 Medien umfassenden „Kraut- steine, die je nach Lichteinfall ein faszi- ver Veranstaltungsraum für 70 Besucher, heimer Studienbibliothek“ selber weiter- nierendes Spiel aus Licht und Schatten der auch als erweiterter Raum für Wech- bilden. In dieser Präsenzbibliothek finden werfen, erinnern an die Heilige Stadt selausstellungen genutzt werden kann. sich neben Werken und Forschungslitera- Jerusalem, die im Judentum lange Zeit Der eigentliche Raum für Wechselausstel- tur zur jüdischen Geschichte und Kultur ein jenseitiger, eschatologischer Ort war. lungen im Untergeschoss ist mit moder- in Franken und Süddeutschland auch Als Jerusalem bezeichneten Juden in der ner Technik ausgestattet und erlaubt dem Zeitschriftenbestände, aktuelle Periodika Diaspora früher bedeutende jüdische Lehr- Museum endlich, auch große, raumgrei- und elektronische Medien. Zu den beson- und Lernorte, wie auch Fürth, das vom fende Ausstellungen zu zeigen. Zusam- ders wertvollen Teilen der historischen 17. bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Zen- men mit dem „Ernst-Kromwell-Saal“ steht Sammlung gehören hebräische Druck- trum jüdischen Lernens für Süddeutsch- so eine Ausstellungsfläche von insgesamt erzeugnisse und Handschriften aus Fran- land war. 300 qm zur Verfügung. ken aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Bequem machen können es sich die Be- sucher zum Lesen auch in der „Adolph S. Ochs Leselounge“, einem gemütlich ein- gerichteten Rückzugsort innerhalb der Bibliothek. Nicht nur Einzelbesucher oder Forschende, auch Schulklassen und Schü- lerprojekte sollen die „Krautheimer Stu- dienbibliothek“ nutzen können. Ab 2020 wird sich das integrierte Learning Center mittels e-Learning ganz besonders an diese Zielgruppen richten. Doch auch im historischen Altbau hat sich im Zuge der Baumaßnahmen vieles verändert. So sind im Erdgeschoss neue Bildungsräume entstanden, die museums- pädagogisch genutzt werden. Im Semi- nar- und Werkraum finden Workshops, Seminare und Lehrerfortbildungen sowie Kunst- und Werkprojekte statt. In diesem Bereich können Schulklassen und Studen- ten kleine Ausstellungen der Öffentlich- keit präsentieren. In der neu eingerichte- ten Projektküche werden Workshops zum Thema Essenskulturen angeboten. Neben der Dauerausstellung zeigt das Die neue Bibliothek. JMF noch bis zum 14. Oktober 2018 auf

10 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 zwei Etagen die Ausstellung „Cherchez la die Werke um Texte, Skizzen, Fotografien Die „Altschul“ und der „Schulhof“ wur- Femme“, die die Geschichte und Bedeu- und einen Film. den in der Pogromnacht zerstört und spä- tung von Verhüllung und religiöser Kopf- Im Altbau wird wegen der großen Nach- ter überbaut. Übrig geblieben sind nur bedeckungen in Judentum, Christentum frage und des diesjährigen 80-jährigen Worte und Bilder. In einer bewusst frag- und Islam beleuchtet. Die Ausstellung Gedenkens an die Pogromnacht vom No- mentarisch gehaltenen und künstlerisch setzt sich mit dem Thema wissenschaft- vember 1938 im Anschluss an die Dauer- verfremdeten Inszenierung zeigt die Aus- lich, kulturell und künstlerisch auseinan- ausstellung erneut die Wechselausstel- stellung noch bis Jahresende, aus der Foto- der und fand im vergangenen Jahr schon lung „Von Glanz, Zerstörung und Verlust sammlung des Museums, Impressionen im Jüdischen Museum Berlin großen An- – 400 Jahre Fürther Altschul“ gezeigt. der „Altschul“ und des „Schulhofs“, da- klang. Die Ausstellung erinnert mit historischen runter auch bisher wenig bekannte Foto- Kernthema ist die Stellung der Frau zwi- Stichen, Drucken und Fotografien an die grafien der Synagoge vor ihrer Zerstö- schen Religion und Selbstbestimmung, 1617 errichtete Fürther Hauptsynagoge. rung. worauf auch der Titel der Ausstellung hin- Sie war das beeindruckendste Gebäude Am 24. Oktober eröffnet dann mit „Bür- weist. Unterschiedliche Positionen zahlrei- auf dem sogenannten „Schulhof“, auf gerliche Welten“ eine neue Abteilung der cher Frauen stehen nebeneinander und er- dem sich noch drei weitere Synagogen, Dauerausstellung. Vom 19. Jahrhundert möglichen den Besuchern facettenreiche Talmudschulen, ein Rabbinerhaus, eine bis zum Ende des Ersten Weltkrieges um- Blicke auf und hinter die Kopfbe deckung. Mikwe und das Haus des Schächters be- spannt sie jüdisches Bürgertum in Fran- Als Ergänzung dazu kann man in den fanden. Der Schulhof war über Jahrhun- ken mit faszinierenden Gegenständen, Räumen der Bildungsabteilung die Aus- derte das Herz jüdischen Lebens in Fürth. die im Nationalsozialismus mit in die stellung „HUT AB!“ der Klasse 9D des Hier wurde gelehrt und gelernt, disku- Emigration gerettet wurden und jetzt als Heinrich-Schliemann-Gymnasiums Fürth tiert und gebetet. Aus ganz Europa ka- Schenkung jüdischer Familien mit frän- sehen. In Anlehnung an die Thematik von men Schüler und Lehrer nach Fürth, um kischen Wurzeln wieder nach Fürth zur „Cherchez la Femme“ haben sich die in den berühmten Talmudschulen zu Präsentation im Museum zurückkehrten. Schüler im Fach Kunst intensiv mit dem unterrichten und sich weiterzubilden. www.juedisches-museum.org Thema Kopfbedeckungen befasst und da- Heute, 400 Jahre nach ihrer Einweihung, bei eigene phantasievolle Kreationen ent- erinnert im Stadtbild kaum mehr etwas Unsere Autorin Verena Erbersdobler ist stell- worfen und umgesetzt. Ergänzt werden an die Hauptsynagoge. vertretende Direktorin des Museums.

Die Sukka in Zell am Main

Im Markt Zell/Main, ganz nahe bei Würz- hier sind Spuren der Mesusa zu erah- Zell genutzt werden kann. Damit soll auch burg, existierte von 1818 bis ca. 1908 eine nen. Sehr gut erhalten ist ferner die das fast 100-jährige Wirken der Familie eigenständige Jüdische Kultusgemeinde, Original-Bausubstanz der Sukka, eben- Rosenbaum zur Zeit der Juden emanzi pa- deren weltliches und geistliches Ober- falls mit Spuren der Mesusa an der Ein- tion dokumentiert werden. haupt bis 1860 Raw Mendel Rosenbaum gangstür. Das Bayerische Städtebauförderungspro- war. Er war es, der mit Hilfe des Würz- Diese Sukka, die wohl bis 1908 als Laub- gramm gibt erhebliche finanzielle Mittel burger Oberrabbiners Bing den späteren hütte der Kultusgemeinde diente, wird ge- zur Finanzierung der umfangreichen Sa- weltberühmten „Würzburger Raw“, Rab- genwärtig renoviert, damit sie in Zukunft nierung. Im Oktober 2017 begannen die biner Seligmann Bär Bamberger nach als Informationspunkt für jüdische Kultur- notwendigen Renovierungsarbeiten an Würzburg brachte. geschichte und als Zeugnis der kulturellen dem geplanten Informationspunkt für Die Zeller Gemeinde besaß eine Synago- und religiösen Vielfalt der Marktgemeinde Besucher. Das Sanierungsprogramm be- ge bzw. einen Betsaal, ein Schulzimmer, eine Rabbinerwohnung, eine Mikwe im Keller des gleichen Hauses und davor eine Sukka (Laubhütte). Die Gemeinde war in dem heute noch existierenden „Judenhof“, einem kleinen Ghetto im säkularisierten Kloster Unterzell, unter- gebracht. Außerdem gab es im Ort früher auch ei- nen Judenfriedhof, der aber heute nicht mehr auffindbar ist. Er soll sich auf dem heutigen Kleeacker rechts der Stein brücke in halber Höhe der sog. „Neuen Straße“ – im Kataster mit dem Namen „Judenfried- hof“ geführt – befunden haben. Von der früheren Kultusgemeinde sind bis heute noch mehrere Zeugnisse erhal- ten geblieben: so beispielsweise der Name „Judenhof“ mit den Spuren der Mesusot (Türpfostenkapseln) an beiden Toren des einstigen Ghettos, dem vorderen an der Hauptstraße und dem hinteren (Wiesen-) Tor am Main. Erhalten geblieben ist auch das Haus, in dem sich Betsaal, Wohnung, Schulraum und Mikwe befanden – auch Foto: Frank Stößel

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 11 inhaltet neben den baulichen Maßnah- Wechsel im Museum Augsburg men am Äußeren der Sukka auch die Wiederherstellung der Wandmalereien im Dr. Barbara Staudinger (45) wird zum Schurk, Vorstand der Stiftung Jüdisches Inneren sowie die Sichtbarmachung des 1. September 2018 die neue Leiterin des Kulturmuseum Augsburg-Schwaben. noch im Original erhaltenen Laubrostes Jüdischen Kulturmuseums Augsburg- Zu den Schwerpunkten ihrer Forschung und der Dachöffnungskonstruktion. Hier- Schwaben. Sie folgt auf Prof. Dr. Benigna und Arbeit, zu denen sie zahlreich publi- für erhielt der Markt Zell/Main im Febru- Schönhagen, die das Museum seit 2001 ziert hat, gehören die jüdische Geschichte ar 2018 zusätzlich noch die Bewilligung leitete und am 1. August in den Ruhe- der Frühen Neuzeit in Österreich und eines Zuschusses der EU aus dem Förder- stand ging. Süddeutschland, das Landjudentum im programm für die Erhaltung des kulturel- „Mit Dr. Barbara Staudinger konnten wir süddeutschen Raum und Niederösterreich, len Erbes. Das Fördergeld wird auch für eine international erfahrene Forscherin die frühen Hofjuden in Wien und Prag die Errichtung des Informationspunktes und Kuratorin gewinnen, die in den Aus- und die jüdische Rechts- und Kulturge- mit Bild- und Texttafeln, für Informa- wahlgesprächen mit innovativen Ideen schichte. Zudem die jüdische Volkskunde tionsbroschüren und für die Schulung zur Programmentwicklung, Museums- im 19. Jahrhundert, die jüdische Migra- von Gästeführern verwendet. Die Fertig- pädagogik, Sammlung und Erinnerungs- tionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhun- stellung des Gesamtprojekts ist noch in arbeit in Augsburg überzeugen konnte“, derts und die jüdische Geschichte im diesem Jahr geplant. Israel Schwierz sagt Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Hans-Eberhard Nationalsozialismus. „Die zukünftige Programmausrichtung wird von den breitgefächerten inhalt- lichen Interessen und kuratorischen Kenntnissen von Dr. Barbara Staudinger außerordentlich profitieren“, sagt Dr. Georg Haindl, Vorsitzender des Stiftungs- rats des Jüdischen Kulturmuseums Augs- burg-Schwaben. Staudinger studierte Geschichte, Theater- wissenschaften und Judaistik an der Universität Wien. 2001 wurde sie mit einer Studie über Judenfeindschaft und jüdische Rechtsstellung am Reichshofrat 1559–1670 promoviert. Gegenwärtig ist sie freischaffende Kuratorin in Wien und Mitkuratorin der neuen österreichischen Ausstellung „Entfernung. Österreich und Auschwitz“ in der Gedenkstätte Auschwitz- Birkenau. Zuvor arbeitete sie viele Jahre am Institut für jüdische Geschichte Öster- Prof. Benigna Schönhagen führte Augsburgs OB Dr. Kurt Gribl im Mai 2018 durch eine reichs in St. Pölten und war als Kuratorin Judaica-Ausstellung in der Synagoge in Kriegshaber. Foto: JKMAS an zahlreichen Ausstellungen im Jüdi- schen Museum München, im Österreichi- JKMAS verabschiedet B. Schönhagen schen Museum für Volkskunde, im Welt- museum Wien und im Jüdischen Museum Zum redaktionellen Konzept von JÜDISCHES LEBEN IN BAYERN gehört auch, Wien beteiligt. dem Themenbereich „Jüdische Kultur in Bayern“ einen besonderen Raum zu geben. Seit 2012 haben wir auch die Arbeit des Jüdischen Kulturmuseums in Augsburg (JKMAS) intensiv begleitet. Deshalb waren unsere Leser immer gut über die Augs- burger Ausstellungen und Projekte informiert. Aus Sicht der Redaktion können wir sagen, dass dort in Schwaben bisher ein gutes und für Medien auch ein beachtens- wertes Programm gemacht wurde. Dazu gehört natürlich auch eine professionelle Pressearbeit. Dies alles hatte seit vielen Jahren die Museumsleiterin Benigna Schönhagen zu ver- antworten, die sich im Sommer in den Ruhestand verabschiedete. Dazu wünschen wir ihr alles Beste. Uns wünschen wir dazu, dass wir sie in Zukunft als Autorin für unser Heft gewinnen können. Viele Wegbegleiter, Kooperationspartner und Freunde verabschiedeten sich Anfang Juni im Festsaal der Synagoge mit persönlichen Worten von der langjährigen Mu- seumsleiterin. Stiftungsvorstand Prof. Dr. Hans-Eberhard Schurk und Stiftungs- ratsvorsitzender Dr. Georg Haindl überbrachten den Dank der Stiftung, Arkadiy Lyubinskiy lobte die gute Zusammenarbeit im Namen der Augsburger Gemeinde. Auch Cilly Kugelmann, die Grand Old Lady der Jüdischen Museen, und Hanno Loewy, Leiter des Jüdischen Museums in Hohenems, Österreich, würdigten die Kol- legin. In einer ganz persönlichen Bildpräsentation bedankten sich die Mitarbeiter des Museums bei ihrer Chefin. Musikalisch umrahmt wurde der Abend von der Augsburger Band Feygele. Als Überraschungsgast trat Kantor Nikola David auf, der sich mit der Arie „Adio, Querida“ von Benigna Schönhagen als Museumsleiterin verabschiedete. Benno Reicher Dr. Barbara Staudinger. Foto: Daniel Shaked

12 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 ISRAEL 70 JAHRE

INNENANSICHTEN

Im 70. Jahr des Staates Israel stellen wir in drei Beiträgen Innenansichten vor, die sonst, neben aktuellen politischen Nahost-Debatten, in unseren Medien wenig Platz finden. Besser mitreden kann man aber, wenn man schon mal dort im Land war. Unser Autor Renatus Schenkel beschreibt in seinem packenden Reisebericht eine organisierte Exkursion mit über raschenden Innenansichten. Die Historikerin, Journalistin und Herausgeberin der jüdischen Webseite hagalil.com, Andrea Livnat, entdeckt in ihrem Buch „111 Orte in Tel Aviv, die man gesehen haben muss“ kulturelle, historische, aber auch kuli narische Plätze abseits touristischer Wege. Mit ihrem Buch im Reise-Rucksack bringt jeder Besuch in Tel Aviv eine neue Entdeckung. Wir haben für unsere Israel-Seiten aus Andrea Livnats Buch vier Orte ausgewählt und dürfen sie, mit freund licher Genehmigung des Emons-Verlages, für unsere Leser nachdrucken. Der dritte Beitrag berichtet über den Jugend kongress von ZWST/ZR im Frühjahr in Israel. Über 200 junge Mitglieder aus unseren Gemeinden hatten dabei Gelegenheit zu intensiven Gesprächen mit wichtigen Persönlichkeiten der israelischen Gesellschaft. Partys soll es aber auch gegeben haben. Benno Reicher Reiseziel Israel Erstaunlich und vielfältig – mit manchem Widerspruch Von Renatus Schenkel

Reiseziel Israel – in einer derart ange- in der Nähe des alten Jaffa zur Groß- Habima Theater oder an einfallsreich ge- spannten politischen Situation? Wir wa- metropole entwickelt hat, ein sehenswer- stalteten Bushaltestellen mitten in der ren nicht die Einzigen, die sich diese tes Beispiel dafür, was Architekten zu Wüste. Frage stellten, als sich die Gelegenheit leisten imstande sind, wenn man sie nur Diese moderne Interpretation von Archi- bot, das Land endlich auch einmal per- lässt. Selbst Skeptikern nötigen die küh- tektur hat möglicherweise, das war in der sönlich in Augenschein zu nehmen. Eine nen Hochhausbauten Tel Avivs Respekt Kürze der Zeit nicht zu erfahren, auch ganze Reihe von Vorbehalten reisten mit ab, sei es der Trade Tower, dessen hoch Wurzeln in der historischen Bauhaus - uns, sei es gegenüber der offiziellen Re- reckendem Rundbau kontrastreich ein tradition. Nicht zufällig ist Tel Aviv mit gierungspolitik Israels, sei es in Bezug auf Rechteckbau angeflanscht ist, seien es die über 4.000 Bauhausgebäuden die welt- mögliche Reaktionen der einheimischen Renaissance- oder Sheraton-Hotels oder weit größte zusammenhängende An- Bevölkerung. Doch gerade beim letzten Wohntürme, die weniger erschreckend sammlung dieser wegweisenden Tradi- Punkt konnten wir positive Erfahrungen als geradezu schützend um althergebrach- tion, ist als „White City“ UNESCO-Welt- machen, manche Vorstellungen erwiesen te Café-Bars wie das Paradiso empor- erbe. Leider ist dies unguten historischen sich als Vorurteil. So zeigten sich Israelis, wachsen mit Balkonen, die auch in der Umständen zu verdanken. Denn unzäh- mit denen wir ins Gespräch kamen, uns 30. Etage frei zugänglich sind – ein Kon- lige deutsche Architekten mit jüdischen Deutschen gegenüber sehr freundlich und trast, der aus dem Blickwinkel des gegen- Wurzeln mussten in den dreißiger Jahren erstaunlich offen, auch selbstkritisch zu überliegenden, ursprünglichen Jaffa mit des vorigen Jahrhunderts ihr angestamm- vielem, was in ihrem Land passiert. Und seinen historisch gewachsenen Gassen tes Heimatland verlassen, um dem Ras- so kehrten wir von unserer spannenden und Häusern noch weit imposanter ins senwahn und der Terrorherrschaft der Reise mit der Gewissheit zurück, dass Auge sticht. Die architektonische Kühn- Nazidiktatur zu entkommen. pauschale Sichtweisen der komplexen heit zeigt sich jedoch auch im Kleinen, ob Notgedrungen gingen sie mit ihrem Wis- Wirklichkeit dort nicht gerecht werden. in weit geschwungenen Parkbänken nahe sen und ihrem Knowhow ins Exil, ein Die Möglichkeit zur Gruppenreise hatte dem Charles Bronfman Auditorium und nicht wiedergutzumachender Aderlass für die Entscheidung leicht gemacht. Fach- liche Betreuung, aufgeschlossene Mit rei- sende, Ziele jenseits nur touristischer At- traktionen, das hatte die Aussicht auf neue Erfahrungen und ungewohnte Ein- sichten eröffnet. Die erste Überraschung: Nach Vorverlegung der Sicherheitskon- trollen auf den deutschen Flughafen ging die Einreise vor Ort geradezu schnell. Erste Eindrücke im modernen Flughafen von Tel Aviv: Gelassener Umgang mit den Einreisenden, internationales Stimmen- gewirr, ethnische Vielfalt. Und dann: Das Gebäude ein architektonischer Hingucker – ein gutes Omen, wie sich kurze Zeit später herausstellen sollte, als der ge char- terte Bus seinen Weg durch Stau und ver- winkelte Straßenzüge in Tel Aviv fand. Denn nicht nur durch die historische Bau- haustradition ist diese Stadt, die sich erst ab 1900 durch Einwanderung und Zuzug Tel Aviv, die Bauhaus-Stadt …

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 13 Deutschland. Er öffnete den tumben groß- lässlich des Bauhaus-Jubiläums neben Die Meinungen über Sinn oder Unsinn die- germanischen Phantasien eines Albert vielen Einrichtungen in Deutschland im- ses Bauwerks gehen weit auseinander. Speer und anderer Naziverbrecher Tür merhin auch den Ausbau des Bauhaus- Derartige Widersprüche ziehen sich durch und Tor und wirkt in Deutschland bis zentrums in Tel Aviv. viele Bereiche, die wir beim Besuch die- heute nach. Die Immigranten brachten Der Kontrast dann zum alten Jerusalem ses wunderbaren Landes durchstreifen den in der Tradition von Walter Gropius mit seinen welthistorischen, insbeson- konnten. So rücken die bei Überlandfahr- und Mies van der Rohe von Sachlichkeit dere für die europäische Entwicklung ten unübersehbaren Wellblechbehausun- und Alltagspraxis geprägten Bauhausstil prägenden Geschichtsbezügen könnte grö- gen von Beduinen gleich neben modern nach Tel Aviv und passten ihn den be- ßer nicht sein. Die Unterschiedlichkeit im und zeitgemäß errichteten Städten einen sonderen klimatischen und kulturellen Alltagsleben der Einwohner, Leichtlebig- weiteren fragwürdigen Kontrast in den Gegebenheiten dort an. keit und kleidungsmäßige Lockerheit in Blick. Er zeigt, dass der friedliche Aus- Micha Gross vom Bauhaus-Center Tel Tel Aviv, gestrenge Lebens- und Kleidungs- gleich mit den hier lebenden Beduinen- Aviv hat dies 2015 sehr anschaulich in rituale in Jerusalem, drängt sich auch dem stämmen nach wie vor nicht befriedigend seinem Buch „Preservation and Renewal oberflächlichen Betrachter schnell auf. gelöst ist. Das schmälert keineswegs die – Bauhaus and International Style Buil- Für den deutschen Besucher ebenfalls großartige Aufbauleistung, wo Brache dings in Tel Aviv“ dargelegt. Die klimati- überraschend, wenn er nur die Alltagsbe- war, die inzwischen grün erblüht, wo sich sche Anpassung zum Beispiel kann man richterstattung über Jerusalem im Kopf Dattelpalmen aus vermeintlich unfrucht- gut an den mit Lüftungsschlitzen ver- hat: Die beeindruckende Altstadt macht barer Wüste in den Himmel recken, weil sehenen Balkonbrüstungen nachvollzie- nur einen kleinen Kern aus in dieser größ - das Land tatsächlich fruchtbar ist und hen, wenn man den Boulevard Rothschild ten Stadt Israels mit über doppelt so viel nur das Wasser fehlt. (Sderot Rothschild) und seine Seitenstra- Einwohnern wie Tel Aviv. Allerdings pral- Immer wieder geraten bei Überlandfahr- ßen entlang bummelt. Eine rege Bautätig- len hier all’ die Widersprüche des Landes ten weite grüne Flächen inmitten gelb- keit sucht dem drohenden Verfall dieser in besonders krasser Weise auf einander. lich-grauer Umgebung in den Blick und historischen Kleinode entgegenzuwirken. Beim Rundgang durch die alten Gassen zeugen von den produktiven Seiten einer Inzwischen hat eine finanzkräftige Mit- und Gebäude, von denen gewissermaßen intelligenten Landwirtschaft. Nicht nur tel- und Oberschicht Gefallen gefunden jeder Stein seine besondere Geschichts- da fragt sich der auswärtige Betrachter, an diesen einmaligen Bauten. Das kommt trächtigkeit ausstrahlt, fällt dem Betrach- ob nicht gerade in einer tieferen schöpfe- der Entwicklung sicher zugute. Die Kehr- ter erst nach und nach auf, dass diese rischen Kooperation über die religiösen seite: dieser Wohnraum wird für Normal- Stadt genaugenommen aus vier Teilen be- und politischen Abgrenzungen hinweg bürger immer unbezahlbarer, so die steht. Nicht nur aus einem jüdischen und ein riesiges Potenzial zur weiteren Aus- Kritik von Einheimischen – ein Phäno- muslimischen, sondern auch aus den klei- und Umgestaltung des Landes liegt. Ein men, das uns auch aus deutschen Städten nen christlichen und armenischen Vier- praktisches Beispiel ist der Kibbuz Mas- bekannt ist. teln. Natürlich fällt auf, dass es je nach habei Sade in der Negev-Wüste. Eine Be- Für den aus Deutschland kommenden Be- Bezirk viele oder wenige Kippa-Träger wohnerin der ersten Stunde schilderte trachter sind es dennoch überraschende oder Frauen mit Kopftuch oder ganz ohne uns die immense Aufbauarbeit, die sie und neue Eindrücke. Denn in der norma- Symbolbekleidung gibt. Darin scheint für mit inzwischen mehreren Generationen len Berichterstattung deutscher Medien sich genommen noch keine weltpolitische geleistet hat, um aus dem buchstäblichen ist dieser israelisch-deutsche Aspekt des Brisanz auf. Spätestens die lang gezogene Nichts einer wüstenartigen Umgebung Bauhauses meist unterbelichtet, zu sehr und von den Hügeln außerhalb leicht zu eine heute blühende Oase und wirt- ist sie auf unmittelbar sensationelle As- erkennende mehrere Meter hohe Sperr- schaftlich erfolgreiche landwirtschaft- pekte des Nahostkonflikts fixiert. 2019 mauer, die die israelische Regierung um liche Produktionsgemeinschaft zu ma- wird die einhundertjährige Tradition des die palästinensischen Viertel der Stadt hat chen. Noch gibt es in ganz Israel zirka Bauhauses zu feiern sein; dankenswerter- bauen lassen, löst aber nicht nur beim 200 solcher Genossenschaften, die einen weise fördert die Bundesregierung an- deutschen Betrachter ungute Gefühle aus. kollektivistischen Anspruch haben. Sie sollten einem damals zionistisch-sozialis- tischen Leitbild zufolge neue, nichtkapita- listische Produktions- und Lebensformen schaffen. Arbeiten, Wohnen und in Gemeinschaft jenseits von Ausbeutung leben – das war eines der Hauptziele dieser Bewegung. Das führt zu gleicher Bezahlung, vermei- det soziale Unterschiede und gewährleis- tet eine Absicherung bis ins hohe Ren- tenalter. Stolz erzählte die Pionierin, dass sie auch als Rentnerin nach Ausscheiden aus der Produktion ihren vollen Lohn weiter erhalte und in ihrer Wohnung bleiben könne – davon können deutsche Rentnerinnen nur träumen. Wir übernach- teten in komfortablen Gästehäusern und konnten uns direkt von der hohen Le bens- qualität im Kibbuz überzeugen. Leider scheint aber die Attraktivität des genos- senschaftlichen Zusammenlebens für die jüngeren Generationen nachzulassen. Kurz … und die moderne Metropole. Fotos: Renatus Schenkel vor unserem Besuch wurde die erste privat

14 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 wirtschaftende Familie auf dem Kibbuz- Gelände zugelassen. Damit scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis dieses er- staunliche und ja wirtschaftlich nach wie vor erfolgreiche Modell gemeinsamen Wirt schaftens Vergangenheit ist. Eine weitere sehenswerte Aufbauleistung konnten wir im Ramat Negev Research and Development Center besichtigen. Hier werden in langjährigen Versuchsreihen neue Nutzpflanzen gezüchtet und auf Verträglichkeit mit salzhaltigem Wasser hin entwickelt. Einige Prototypen sind vielversprechend und stehen offenbar kurz vor der Marktreife. Gleich nebenan ist mit einer der größten Solaranlagen und einem über zweihun- dert Meter hohen Turm ein weiteres Vor- zeigeprojekt buchstäblich unübersehbar. Strom soll hier indirekt über die Erwär- mung von Dampf erzeugt werden. Mit den hier gesammelten technologischen Landwirtschaftliche Innovationen im Negev … Erfahrungen will sich Israel nicht nur un- abhängiger von herkömmlichen Energie- Ähnlich hautnah das Baden im Toten entfernt. Auch die Industrie hat wohl quellen machen, sondern hofft auch auf Meer, mit 428 Metern unter dem Meeres- einen Teil der Verantwortung hierfür. So einen erfolgreichen Exportartikel. Denn spiegel eines der niedrigsten Gewässer werden dem Meer, das neben Salz wei- den Grundstoff Sonne gibt es nicht nur in auf der Erde. Herkömmliches Schwim- tere wertvolle Mineralien enthält, südlich Nahost zur Genüge. men ist im hochprozentigen Salzwasser von En Bokek größere Wassermengen zur Eine andere wirtschaftlich erfolgreiche unmöglich. So bleibt das flach auf der Gewinnung wertvoller Mineralien für die Zusammenarbeit konnten wir in der West- Oberfläche Liegen als dankbares Foto- Automobilindustrie, hier für Audi, ent- bank besichtigen. Das Unternehmen Ex- motiv. Auf noble und entsprechend teure nommen. Den deutschen Touristen über- tal in der Nähe von Ma’le Adumim produ- Art geht das zum Beispiel im Hotel Lot raschen solche Fakten, denn in den gla- ziert hier seit 1988 mit 250 Mitarbeitern mit angeschlossenem Spa in En Bokek. mourösen Reiseprospekten ist davon na- Aluminiumteile aller Art, Fenster- und Die zunehmende Versalzung des Gewäs- türlich nie die Rede. Türbeschläge, aber auch kompliziertere sers schafft aber ein ernstes Problem und Die Vielzahl von Höhlen und andere geo- Bauteile, etwa für Automobile des Audi- bedroht langfristig seine Existenz. Zu grafische Attraktionen, das sehenswerte Konzerns. Bemerkenswert offen die Um- große Wasserentnahmen sowohl auf is- Grab des Staatsgründers Ben Gurion, die gangsweise mit ausländischen Besuchern. raelischer wie jordanischer Seite – die architektonischen Details der Knesset, So berichtete uns Rafi Adlersberg, En- Grenze verläuft mitten im See – haben zu die geschichtsträchtigen Gebäude Jeru- gineering & Technical Assistance Mana- einem starken Absinken des Wasserstan- salems, all das und vieles mehr sind wei- ger, über die vielfältigen Aktivitäten sei- des und zur Unterhöhlung weiter Gebiete tere gute Gründe, das Land nochmals zu nes Unternehmens. geführt. besuchen, nicht zuletzt die erlebte Auf- Er schilderte aber auch freimütig die Strände, die vor Jahrzehnten noch am geschlossenheit und Freundlichkeit der Probleme, die sich aus dem Produktions- Wasser lagen, sind inzwischen 40 Meter Bevölkerung. standort ergeben. Trotz der für die paläs- tinensischen Beschäftigten im Vergleich zu anderen Firmen weitaus besseren Arbeitsbedingen und entsprechender Be- zahlung werden die Boykottaufrufe von Kritikern der israelischen Politik lauter. Ein Gespräch mit Beschäftigten war lei- der aus Zeitgründen nicht möglich. Dafür konnten wir in der Produktionsstätte frei von jeder Kontrolle fotografieren, in deut- schen Unternehmen für Journalisten schier unmöglich. Angesichts solcher spannenden Informa- tionen gerieten die vielen landschaft- lichen Sehenswürdigkeiten der von uns bereisten Gegenden fast ins Hintertref- fen, zu Unrecht! Denn die weltberühmte Negev-Wüste zu durchwandern oder den mit 40 Kilometer Breite weltgrößten Ero- sionskrater Maktesh Ramon zu erkunden, das sind unvergessliche Erlebnisse, die ebenfalls einen Wiederbesuch geradezu als zwingend erscheinen lassen. … und internationale Kooperation in Ma’le Adumim. Fotos: Renatus Schenkel

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 15 110_Das Zentrum Weiße Stadt Deutsch-israelische Kooperation im Max-Liebling-Haus

Es ist die größte Ansammlung von Häusern Liebling-Haus ist hierfür sehr passend. der klassischen Moderne weltweit: 4.000 Karmi, einer der wichtigsten Architekten Gebäude im internationalen Stil bilden in der Stadt, wurde in der Ukraine geboren Tel Aviv die sogenannte „Weiße Stadt“. und kam mit 16 Jahren nach Palästina. Ihre Architekten wurden allesamt in Euro- Architektur studierte er in Belgien, von pa ausgebildet und brachten die Grundsät- wo er den internationalen Stil nach Tel ze ihrer berühmten Lehrer mit ins Land. Aviv mitbrachte. Für die junge, rasch wachsende Stadt war dieser verkürzt oft als Bauhaus bezeich- Adresse: Idelson Street 29, Tel Aviv-Stadt- nete Stil genau passend: modern, aber mitte | ÖPNV Bus 3, 17, 19, 22, 31, Halte- schlicht, funktionell und ohne Schnörkel. stelle Allenby / Yona haNavi, Gegenrich- Dass dieses Architektur-Erbe etwas Be- tung: Allenby / Geula | Öffnungszeiten im sonderes ist, wurde spätestens mit der Er- Moment nur bei Veranstaltungen, Webseite klärung zum UNESCO-Weltkulturerbe ist im Aufbau, Kontakt: Touristeninforma- 2003 offiziell. Die Erhaltung ist jedoch tion: [email protected], Tel. eine große Aufgabe, der die Stadt nicht 03/5166188 | Tipp: Nur einige Schritte wirklich gewachsen ist. Nicht nur weil es weiter liegt der historische Stadtkern mit in Tel Aviv in der Vergangenheit am Be- dem ehemaligen Rathaus Beit haIr, heute wusstsein für Denkmalschutz und heute Museum zur Geschichte der Stadt, und stark an Wohnraum mangelt, die klima- dem Beit Bialik, dem Wohnhaus des tisch bedingten Umwelteinflüsse nagen großen hebräischen Nationaldichters, der Das Zentrum Weiße Stadt. im wahrsten Sinne des Wortes an den Ge- hier seine letzten neun Jahre verbrachte. Foto: Andrea Livnat bäuden, und es fehlt an Geld. Mit deutscher Beteiligung soll sich nun ei- niges ändern. Seit 2014 gibt es dazu das 46_Das Hummus Abu Hassan „Netzwerk Weiße Stadt“, das dem Aus- Hummus oder Massabcha, das ist hier die Frage tausch von Expertenwissen, Technik und Produkten dient. Im Mai 2015 wurde ein Ob es eine palästinensische oder israeli- sobald man gegessen hat, räumt man den Denkmalschutzzentrum mit einer Aus- sche Speise ist, darüber lässt sich streiten. Platz für die nächsten schon wartenden stellung von Studenten der Bauhaus-Uni- Auch darüber, ob der Hummus in Galiläa Gäste. Die Schlange füllt vor allem frei- versität Weimar eingeweiht. Das Zentrum oder in Abu Gosh besser schmeckt. Un- tags die ganze Straße. dient als Mittelpunkt der Zusammenar- zweifelhaft ist aber die Stellung von Abu Der Hummus ist hier herrlich cremig und beit, die keineswegs nur einseitige Ent- Hassan in Jaffa. kommt mit Tchina und wahlweise Ful, wicklungshilfe sein soll, sondern eine In einer kleinen Seitenstraße nahe dem also Fava- oder Ackerbohnen. Richtig richtige Partnerschaft. Neben dem fach- Hafen wird täglich, von acht Uhr früh bis göttlich ist aber das Massabcha. Anders lichen Austausch soll das Haus Tel Avi- dass die Töpfe leer sind, der beste Hum- als bei Hummus werden beim Massabcha vern und Touristen das architektonische mus, Ful und Massabcha verkauft. Begon- die Kichererbsen noch weicher gekocht, Erbe der Weißen Stadt vermitteln. nen hat der legendäre Ladengründer Ali aber nicht püriert, sondern mit Tchina Das 1936 von Dov Karmi für den namens- Karavan, der 2007 verstarb, mit einem gebenden Unternehmer gebaute Max- Handwagen, von dem aus er im Ajami- Viertel Hummus verkaufte. Dann eröffne- te er ein kleines Geschäft, und Anfang der 1970er Jahre zog er in die Dolfin Stra- ße, wo der Laden auch heute noch ist. Ali Karavan bereitete den Hummus gut 40 Jahre selbst zu, stand jeden Morgen um fünf Uhr auf und begann die Kicher- erbsen zu kochen. Nachdem er es viele Jahre abgelehnt hatte, weitere Filialen zu eröffnen, stimmte er am Ende doch zu, und so gibt es heute zwei weitere Abu- Hassan-Restaurants in der Shivtei Israel Straße. Alle drei Läden werden heute von Ali Karavans Söhnen geführt. Wer das wirklich echte Hummus-Erlebnis sucht, muss in die Dolfin-Straße kom- men. Und zwar zum Essen – und nur zum Essen. Hier ist keine Zeit für geselliges Beisammensein, noch während man ei- nen der einfachen Tische zugewiesen be- kommt, den man sich mit anderen teilt, gibt man die Bestellung auf. Bis man rich- Das Hummus Abu Hassan. tig sitzt, steht der Teller vor einem, und Foto: Angelika Baumgartner

16 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 und Gewürzen angerührt und warm ser- Margoza / Yefet | Öffnungszeiten 8 – 14 viert. Wer noch nicht genug hat, kann oder 15 Uhr (bis die Töpfe leer sind) | Tipp: auch eine Portion mit nach Hause neh- An der Yehuda haYamit Street liegt der alte men. jüdische Friedhof Jaffas mit gut 800 Grä- bern, den die jüdische Gemeinde zwischen Adresse: haDolfin Street 1, Tel Aviv-Jaffa / 1839 und den 1920er Jahren nutzte. Er ist Ajami | ÖPNV Bus 10, Haltestelle Yefet / derzeit montags und donnerstags zwischen Louis Pasteur, Bus 37, Haltestelle Yehuda 8 und 12 Uhr geöffnet.

96_Das Tel-Aviv-Museum Neubau mit dem schönsten Restaurant der Welt

2011 weihte das Tel-Aviv-Museum of Art Haltestelle Beit haMischpat / Sderot Schaul seinen Erweiterungsbau ein: das Herta- haMelech | Öffnungszeiten Mo, Mi, Sa 10 – und-Paul-Amir-Gebäude. Durch einen 18 Uhr, Di, Do 10 – 21 Uhr, Fr 10 – 14 Uhr | Übergang am Rande des Skulpturengar- Tipp: Ebenfalls zum Tel Aviv Museum of Art tens ist es mit dem Altbau verbunden, gehört The Helena Rubinstein Pavilion for der seit 1971 an seinem jetzigen Ort am Contemporary Art am Kikar haBimah, der Schaul-haMelech-Boulevard zwischen wechselnde Ausstellungen zu zeitgenössischer Das Tel-Aviv-Museum. der Stadtbibliothek Beit Ariela und dem Kunst unterschiedlicher Richtungen zeigt. Foto: Angelika Baumgartner Gericht residiert. Das Museum beheimatet nicht nur die be- deutendste Sammlung israelischer Kunst 11_Das Beit-Daniel-Zentrum seit den 1920er Jahren, sondern auch ei- Die liberale Art, den Schabbat zu begrüßen nen eindrucksvollen Querschnitt interna- tionaler Kunst vom 19. Jahrhundert bis Im 19. Jahrhundert entstand in Deutsch- Kippur, Rosch haSchana und Purim ist das zur Gegenwart, darunter Arbeiten von land das Reformjudentum infolge von Haus richtig voll. Das Reformjudentum Chagall, Kandinsky und Picasso. Aufklärung und Emanzipation und bilde- legt großen Wert auf interreligiösen Dia- Der Erweiterungsbau wurde von Architekt te vor 1933 die Mehrheit der sogenannten log, deswegen sind auch Nichtjuden im- Preston Scott Cohen, der an der Harvard Einheitsgemeinden. Mit der Vernichtung mer willkommen. Wer zum ersten Mal in Graduate School of Design lehrt, geplant. der deutschen Juden verschwand auch eine Synagoge geht, der besucht Beit Da- Die fünf Ebenen, auf denen sich ineinan- diese später als liberal bezeichnete Strö- niel am besten zum Kabbalat Schabbat am der verschachtelt die Ausstellungsräume mung im Judentum. Emigranten stärkten Freitagabend, der für alle offen ist. erstrecken, sind durch das lichtdurchflute- die Bewegung in den USA, wo es bereits te, spiralförmige Atrium miteinander ver- in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Adresse: Bnei Dan Street 62, Tel Aviv – bunden, von Preston als „lightfall“ bezeich- erste Gemeinden gab. Heute hat die 1926 Neuer Norden, www.beit-daniel.org.il | net. Eröffnet wurde 2011 unter anderem gegründete Weltunion für Progressives ÖPNV Bus 5, 7, 25, 89, Haltestelle Yehuda mit einer großen Werkschau Anselm Kie- Judentum 1,8 Millionen Mitglieder auf haMaccabi / Derech Namir | Öffnungszei- fers. Im neuen Haus ist auch die „Galerie der ganzen Welt. Auch in Israel gibt es ten Uhrzeit für Gottesdienste und Pro- der Deutschen Freunde“ untergebracht. gut zwei Dutzend Gemeinden übers ganze gramm für Kulturveranstaltungen auf der Sie eröffnete mit einer Sammlung von Land verteilt, aber das Reformjudentum Webseite | Tipp: In Jaffa unterhält Beit Da- Grafiken des deutschen Expressionismus ist hier ganz klar in der Minderheit. Im niel ein weiteres Zentrum, Mishkenot Ruth und zeigt wechselnde Ausstellungen mit Großraum Tel Aviv gibt es nur eine Ge- Daniel, das neben den Gottesdiensten so- kulturdeutschem Hintergrund. meinde: Beit Daniel. wohl Gästezimmer zur Übernachtung wie Wer sich vom Museumsgang ausruhen Seit 1991 tritt Beit Daniel, von Rabbiner auch geführte Touren durch Jaffa anbietet. will, kann das im schönsten Restaurant Meir Azari geleitet, mit Synagoge, religiö- der Welt tun: der Pastel Brasserie im Mu- sem Unterricht und Kulturveranstaltun- seumsneubau. gen für ein pluralistisches Judentum ein. Sie gewann 2014 den „International Space Das Reformjudentum unterscheidet zwi- Design Award–Idea Tops“. Das in dunklen schen ethischen und rituellen Geboten, Tönen gehaltene Design von Alon Barano- wobei letztere den Lebensumständen an- witz und Irene Kronenberg verschmilzt gepasst werden können und die Einhal- harmonisch mit der Architektur des Ge- tung dieser Gebote dem Einzelnen über- bäudes. lassen bleibt. Frauen und Männer sind Das Pastel folgt einem Trend in großen vollkommen gleichgestellt, sodass auch Museen, der weg von der schnöden Cafe- Frauen zur Tora aufgerufen und Rabbine- teria, hin zu stylishen Restaurants geht, rinnen werden können. Das Reformjuden- die auch für Nicht-Museumsbesucher zu- tum erkennt außerdem gleichgeschlecht- gänglich sind. Auszeichnung hin oder liche Partnerschaften an. Diese Grund- her, die Brasserie ist definitiv ein schönes sätze haben dazu geführt, dass Beit Daniel Plätzchen, um das Gesehene Revue pas- weit über den engeren Kreis der Mitglieder sieren zu lassen, mit einem kleinen oder hinaus bekannt und beliebt ist und auch großen Happen dazu. von säkularen Israelis gerne besucht wird. Die Gottesdienste sind sehr lebhaft gestal- Adresse: Shaul-haMelech-Boulevard 27, Tel tet und immer von viel Gesang und Gitarre Das Beit-Daniel-Zentrum. Aviv-Neuer Norden | ÖPNV Bus 9, 38, 82, begleitet. Vor allem an Feiertagen wie Jom Foto: Angelika Baumgartner

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 17 Begegnungen – Workshops – Exkursionen ZWST-Jugendkongress mit 220 Teilnehmern in Israel

Der jüdische Staat feierte 2018 sein 70. währten. Der Moralkodex um die Bemü- Gründungsjubiläum. Diesen runden Ge- hungen der israelischen Streitkräfte, im burtstag nahm die ZWST mit Unterstüt- Kriegseinsatz stets so human wie möglich zung durch den Zentralrat der Juden zum zu handeln und der damit einhergehende Anlass, nach zehn Jahren den Jugend- Druck, der auf den jungen Menschen las- kongress erstmals wieder in Israel zu ver- tet, hinterließen einen bleibenden Ein- anstalten. Es sollte aber eben nicht eine druck. „Reise nach Jerusalem“ oder an den Strand nach Tel Aviv werden. Direktor Tag drei verbrachten die Teilnehmenden Beni Bloch war es ein besonderes Anlie- auf den Golanhöhen. Eine abenteuerliche gen, jungen jüdischen Erwachsenen die Jeeptour führte sie bis an die syrische Seiten Israels zu zeigen, die sie bei Taglit Grenze, die anschließende Weinverkos- oder im Urlaub nicht erleben könnten. tung beschrieben viele als eines der High- lights. Danach begrüßte der Vorsitzende Im Gespräch mit Eli Alaluf, Abgeordneter Teils Konferenz, teils Rundreise, ließ be- der drusisch-zionistischen Vereinigung der Knesset. reits der erste Tag in Jerusalem wenige Yussuf Nassr-Addin die Teilnehmenden Verschnaufpausen. Die 220 Teilnehmen- zum Mittagessen. Zurück in Ramat Gan Referenten fanden sich Olga Deutsch, Di- den, aufgeteilt in vier Gruppen, besuch- leitete die Jüdische Studierendenunion rektorin des Europe Desk von NGO Moni- ten die Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem, Deutschland (JSUD) einen Late Night tor, Sivan Rahav-Meir, Journalistin und den Sitz des Staatspräsidenten, den be- Workshop zum Thema „Lokal bis global – Nachrichtensprecherin, Grisha Alroi-Ar- rühmten Machane Yehuda Markt und die wie sich jüdische Studierende politisch loser, Geschäftsführer der deutsch-israe- Jerusalemer Altstadt. Mittags trafen sich engagieren können“, zu dem auch die lischen Industrie- und Handelskammer, alle zu Gesprächen mit den Knesset-Ab- Vorsitzende der World Union of Jewish und Steven Schmerz, Leiter der Reprä- geordneten Dr. Anat Berko und Eli Alaluf. Students, Avigayil Benstein, zu Gast war. sentanz der bayrischen Staatskanzlei in Israel. Die Gottesdienste und die Havdala Auch in Israel sollten auf dem Jugendkon- Den Donnerstag verbrachte die Gruppe wurden wie immer großartig von Maf- gress vor allem Themen eine Rolle spie- zunächst am IDC Herzliyah, wo sie vom teach Soul begleitet. len, die die Teilnehmenden in ihrem All- Vize-Präsidenten Jonathan Davis begrüßt tag betreffen. Bei der Podiumsdiskussion und im Anschluss von deutschen Studie- Den krönenden Abschluss des JUKO18 am Abend diskutierten die aktiven Stu- renden über den Campus geführt wurde. bildete die Abschlussparty, die durch eine dierenden Naomi Ellenbogen und Ron Vor allem die Vorstellung des Projektes ganz besondere Überraschung gekrönt Sobol, der neue Beauftragte der Bundes- Act.IL, das von Studierenden der Universi- wurde: Konstantin Shuxtelinski machte regierung für jüdisches Leben und gegen tät entwickelt wurde und sich die Online- seiner langjährigen Freundin Susi Schnei- Antisemitismus Botschafter Dr. Felix Klein Bekämpfung antiisraelischer Kampagnen der vor allen Feiergästen einen Heiratsan- und Zentralratspräsident Dr. Josef Schus- zum Ziel gesetzt hat, stieß auf besonderes trag! Beide sind schon seit ihrer Kindheit ter mit ZWST-Mitarbeiterin Laura Cazés Interesse. Den Nachmittag verbrachten und heute auch noch eng mit der Jugend- über Herausforderungen und Chancen in die Teilnehmenden in der Start Up- und arbeit der ZWST verbunden und lernten der Antisemitismusbekämpfung. Hightech-Szene Tel Avivs. sich 2012 auf einem Machane der ZWST kennen. Die Verlobung auf dem JUKO sei, Der kommende Tag führte die Gruppe in Das Wochenende drehte sich um den so Konstantin, „auch ein Dank an die die Negevwüste zu den Armeestützpunk- Schabbat, den alle gemeinsam im Hotel ZWST, ohne die es diese Beziehung gar ten Shisafon und Sayarim. Überraschend in Ramat Gan verbrachten. Wie auch ge- nicht geben würde.“ Die Teilnehmenden waren für viele Teilnehmenden vor allem nerell auf dem Jugendkongress wurde waren begeistert und feierten, bis der die persönlichen Einblicke in den Militär- der Schabbat mit interessanten Work- erste Bus zum Flughafen fuhr. dienst, die die jungen Soldaten ihnen ge- shops und Vorträgen gefüllt. Unter den Laura Cazés, ZWST

Zu Besuch bei der Militärbasis Shisafon im Süden Israels. Im Taglit Innovation Center in Tel Aviv. Fotos: Robert Poticha

18 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 NACHRICHTEN AUS FRANKREICH

Nur jüdische Gemeinschaft betroffen? Das Land diskutiert über Antisemitismus und juristische Auslegungen Von unserer Frankreich-Korrespondentin Gaby Pagener-Neu

„Klein-Jerusalem“ wird das jüdische Vier- In letzterem Fall zumindest wäre die fungen kaum etwas riskieren“, so der Ex- tel von Sarcelles, der symbolträchtigen Rechnung ggf. aufgegangen. Die Staats- Bürgermeister. „Banlieue“ 15 km nördlich von Paris, oft anwaltschaft machte bei der 15-jährigen genannt. Hier konzentriert sich, um seine Schülerin „keine äußeren Merkmale aus, Der Fall Sarah Halimi imposante Synagoge herum, eine der welche darauf hätten schließen lassen, Ein entsprechendes Gesetz, wäre es denn größten jüdischen Gemeinden Europas dass es sich um ein jüdisches Mädchen bereits in Kraft, hätte unter Umständen mit einer Vielzahl von koscheren Läden, handelte.“ auch das juristische Tauziehen um einen jüdischen Institutionen und Schulen. Jedenfalls titelte die Presse vor allem anderen, nicht minder bekannten und Von einigen seltenen antisemitischen nach dem Vorfall in Sarcelles, der die mediatisierten Fall wie der des Achtjähri- Zwischenfällen abgesehen ist Sarcelles Medien über mehrere Tage beherrschte, gen aus Sarcelles anders ausgehen lassen: als Paradebeispiel für das einträchtige „Die jüdische Gemeinschaft steht unter den Mord an Sarah Halimi, alias Lucie Zusammenleben dieser dynamischen jü- Schock“. Eine Überschrift, die den Histo- Attal, wie sie eigentlich hieß. „Bei diesem dischen Gemeinschaft, die sich aktiv in riker und Essayisten Marc Knobel auf- Verbrechen deutet alles darauf hin, dass die Belange der Stadt einbringt, mit den bringt, wie er gegenüber der Huffington die Weigerung, der Realität ins Auge zu anderen religiösen und ethnischen Grup- Post erklärte: „Betrifft es etwa nur die sehen, wieder einmal zugeschlagen hat“, pen bekannt. jüdische Gemeinschaft, wenn ein achtjäh- erklären die Philosophen Elisabeth Ba- riges Kind angegriffen wird, nur weil es dinter, Ehefrau des früheren Justizminis- Sarcelles in den Schlagzeilen eine Kippa trägt und jüdisch ist?“ Er sieht ters Robert Badinter, sowie der Philosoph Und dennoch, ausgerechnet Sarcelles ist hier die Gesamtgesellschaft in der Pflicht. Alain Finkielkraut. nun in die Schlagzeilen geraten. Ende Ja- Die 65-jährige orthodoxe Jüdin und ehe- nuar wurde ein achtjähriger Junge, an- Antisemitisches Motiv malige Leiterin eines konfessionellen Kin- hand seiner Kippa, der Zizit und Schlä- häufig nicht anerkannt dergartens war im April 2017 von ihrem fenlocken unschwer als Jude identifizier- Diese Meinung teilt offenbar der Sozialist 27-jährigen muslimischen Nachbarn Ko- bar, auf dem Weg zu seiner Schule von François Pupponi, langjähriger ehemali- bili Traoré, der dabei Koranverse rezitier- zwei etwa 15- bis 16-jährigen dunkelhäu- ger Bürgermeister der Stadt. Pupponi te und „Allah Akbar“ rief, auf ihrem Bal- tigen Jungen angegriffen. Die Jugend- geht sogar noch einen Schritt weiter, in- kon zusammengeschlagen und schließ- lichen hatten sich hinter einer Mülltonne dem er den juristischen Rahmen dahin- lich aus dem Fenster geworfen worden. versteckt, den Schüler abgepasst, zu Bo- gehend erweitern möchte, dass ein An- „Ich habe den Scheitan (arabisch: Teufel, den geworfen und mit Fußtritten trak- griff dann als besonders schwerwiegend Anm. d. Red.) getötet“, hatte er danach tiert. Danach konnte sich das Kind unter gelten soll, wenn er sich gegen Personen geschrien. ein Auto in Sicherheit bringen. mit einem sichtbaren religiösen Symbol Neun Monate nachdem die Staatsanwalt- Allerdings haben die Angreifer weder et- richtet. schaft einen Antrag auf Anerkennung was entwendet, noch das Opfer bedroht Ziel eines solchen Gesetzesentwurfs sei des antisemitischen Charakters der Tö- oder antisemitisch beschimpft. Dessen es, ein rassistisches oder antisemitisches tung gestellt hatte, gab die Untersu- ungeachtet nahm René Taïeb, Vorsitzen- Motiv leichter erkennbar machen zu kön- chungsrichterin ihm erst nach langem der der Vereinigung der jüdischen Ge- nen. „Die Anerkennung des besonders Hin und Her statt, wie die französische meinden des Département Val d’Oise, zu schwerwiegenden Umstands soll den Nachrichtenagentur AFP meldete. dem Sarcelles gehört, gegenüber der Opfern zugutekommen, nicht den Tätern, Der hinzugezogene psychiatrische Sach- Tageszeitung LE FIGARO kein Blatt vor denn Letzteren ist voll bewusst, dass sie verständige bestätigte zwar, dass der An- dem Mund: „Wenn jüdische Kinder, die ohne explizit antisemitische Beschimp- geklagte in der betreffenden Nacht nach wie alle anderen, Kinder der Republik dem Genuss von Cannabis einen psycho- sind, zu roten Tüchern dieser Republik tischen Schub erlitten habe, der jedoch werden, dann ist das sehr ernst.“ mit seiner strafrechtlichen Verantwor- tung und einer antisemitischen Dimen- Gesamtgesellschaftliche sion seiner Tat nicht unvereinbar sei. Betroffenheit gefordert Allerdings wurde zum Leidwesen der Bereits drei Wochen zuvor war in einer Nebenkläger der Straftatbestand der vor- anderen Vorstadt des Pariser Speckgür- sätzlichen Tötung nicht berücksichtigt. tels, in Seine-Saint-Denis, eine jüdische „Dies ist eine Beleidigung des Gedenkens Gymnasiastin auf dem Rückweg von der an Sarah Halimi und ein zusätzlicher Privatschule Merkaz-Hatorah, deren Uni- Schmerz für ihre Kinder und ihre Fami- form sie trug, von einem 30-jährigen lie“ twitterte Francis Kalifat, Präsident Mann überwältigt und ins Gesicht ge- der jüdischen Dachorganisation CRIF. schlagen worden. Auch er hat bei sei- Präsident Emmanuel Macron hatte einige nem Angriff nichts gesagt. Wohlweislich? Tage nach dem Mord in Gegenwart des Wollten beide Aggressoren so vermeiden, israelischen Ministerpräsidenten Benja- dass ihnen ein antisemitisches Motiv min Netanjahu gefordert, „die Fakten nachgewiesen werden kann? Foto: MBR voll ständig aufzuklären“.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 19 Schweigemarsch für Mireille Knoll – gegen Antisemitismus Zuweilen liegen Heldentum und Barbarei oder sog. Gefährder handelt, sondern: Kosten gekommen sein. So sind nicht dicht beieinander, zumindest zeitlich. „der Alltagsantisemitismus kann töten, allein Würdenträger der verschiedenen So geschehen im Frühjahr dieses Jahres. wenn er sich mit Alltagskriminalität Religionsgemeinschaften, katholische, An ein und demselben Tag verlieh Frank- paart.“ evangelische, muslimische und buddhis- reichs Staatschef Emmanuel Macron ei- Laut dem Nachrichtensender LCI soll es tische, dem Aufruf gefolgt, sondern ha- nem Helden der Nation bei dessen Bei- der obdachlose Freund gewesen sein, der ben es sich auch Vertreter sämtlicher Par- setzungsfeier auf dem Pariser Place des beim Polizeiverhör Yacin M.’s antisemi- teien nicht nehmen lassen, einträchtig Invalides die höchste französische Aus- tische Äußerungen erwähnt hat. Dieser mitzumarschieren. zeichnung, und fand einer der größten habe das Opfer als „reich“ bezeichnet. Auch die Vorsitzenden des rechtsextre- Schweigemärsche des Landes anlässlich Eine bei der Bewohnerin einer Sozial- men Front National, Marine Le Pen, so- der Ermordung der 85-jährigen Jüdin wohnung einigermaßen absurde Ein- wie der linksextremen Partei „La France Mireille Knoll statt. schätzung. Insoumise“ (Das Widerspenstige Frank- Oberstleutnant Arnaud Beltrame hatte Anders als im Fall Sarah Halimi stuft reich), Jean-Luc Mélenchon, die aller- sich als Austauschgeisel angeboten, um auch die Staatsanwaltschaft die Tat sehr dings vom CRIF als unerwünscht galten, bei einem Anschlag auf einen Super- schnell als antisemitisch motiviert ein, waren dennoch erschienen. Letzterer war markt im südfranzösischen Trèbes das obwohl gleichzeitig der Spur eines Raub - persona non grata, weil er den BDS-Boy- Leben einer jungen Frau zu retten. Er er- mordes nachgegangen wird. Der Vorsit- kott unterstützt. Der Ausschlusswunsch lag dabei den Verletzungen, die ihm der zende des Konsistoriums, Joël Mergui, hatte bereits im Vorfeld der Veranstal- Attentäter zugefügt hatte. stellt allerdings gegenüber der Zeitung LE tung hohe mediale Wellen geschlagen. Mireille Knoll, die 1942 dank des brasilia- PARISIEN eine Parallele zwischen beiden Mélenchon und Le Pen wurden ausge- nischen Passes ihrer Mutter der Massen- Fällen fest: eine neue Vorgehensweise buht, wofür der CRIF anschließend all- verhaftung von Vél d’Hiv entkommen derer, die Frankreichs Juden bedrohen: seits heftig kritisiert wurde. Man warf konnte, lebt in einer Sozialwohnung des „alte Menschen in ihrer Wohnung anzu- ihm vor, die nationale Einheit gesprengt 11. Pariser Arrondissement. Den Nach- greifen“. Er urteilt: „Dies ist ein ernster zu haben. So urteilte etwa die Ministerin barn ist sie als jüdische Mitbewohnerin Einschnitt.“ Jaqueline Gourault, der CRIF-Vorsitzende bekannt, so auch dem 30-jährigen Mos- Anne Sinclair, Starjournalistin und Grün- Francis Kalifat „habe übertrieben, indem lem Yacine M., der bei ihr ein- und aus- derin der französischen Huffington Post, er einige einfach ausschloss, auch wenn geht. fordert indes eine andere Parallele ein: man verstehen kann, dass die Gemein- Am 23. März findet die Feuerwehr den „Gestern Charlie, heute Mireille Knoll“, schaft gegenüber den politischen Argu- teils verkohlten, teils von Messerstichen schreibt sie im Kontext der in diversen menten des einen oder andern sehr sensi- gezeichneten Körper der behinderten und Zeitungen zu lesenden und ihr unerträg- bel ist, an einem solchen Tag des Sich an Parkinson leidenden Rentnerin in ih - lichen Schlagzeile „Die jüdische Gemein- Versammelns, der Andacht, muss man rer Wohnung. Die Spurensuche führt die schaft ist tief betroffen“. Die Jüdin Sin- sich tatsächlich versammeln können“, er- Polizei unmittelbar zu dem vorbestraften clair spielt auf die Solidaritätsbekundun- klärte sie im Rundfunksender RADIO Yacine M. und seinem Freund, einem für gen „Je suis Charlie“ anlässlich des An- CLASSIQUE. Raubüberfälle polizeibekannten 21-jäh- schlages auf die Satirezeitschrift CHAR- Damit liegt Gourault ganz auf der Linie rigen Obdachlosen. Gegen beide wird LIE HEBDO 2015 an. Die Journalistin der Angehörigen Knolls. Der Sohn des wegen Mordes ermittelt. erwartet, wie damals, die Betroffenheit Opfers hatte eine Politisierung des Er- Dazu ein treffender Hinweis des Polito- aller Franzosen. eignisses ausdrücklich abgelehnt, und logen Jérôme Fourquet gegenüber der Sie dürfte angesichts der Teilnahme von Enkelin Jessica postete auf Facebook die Zeitschrift L’EXPRESS, nämlich, dass es Tausenden an dem vom jüdischen Dach- unzweideutige Botschaft: „Ich rufe zu sich bei keinem der beiden mutmaßlichen verband CRIF organisierten Schweige- Frieden, Würde, Liebe und Brüderlichkeit Attentäter um radikalisierte Islamisten marsch gegen Antisemitismus auf ihre auf der ganzen Welt auf.“ GPN Waffenschmuggel Ein Angestellter des französischen Gene- aus finanziellem Interesse und ohne das der französischen Botschaft gegenüber ralkonsulats in Jerusalem wird beschul- Wissen seiner Vorgesetzten im Konsulat der Zeitschrift „l’Obs“, allerdings lehnte digt, Waffen vom Gebiet der Hamas ins gehandelt haben, erklärten die israeli- er es ab, näher auf Details einzugehen. Westjordanland geschmuggelt zu haben. schen Ermittler. Auch wird ein bei der Bereits 2013 war der Garagenchef des- Der 24-jährige Franzose Romain Franck französischen Vertretung angestellter pa- selben Konsulats am Grenzposten Allen- konnte als Chauffeur unter dem Deck- lästinensischer Wachmann verdächtigt, by an der israelisch-jordanischen Grenze mantel seiner diplomatischen Mission in dieselbe Sache verwickelt zu sein. verhaftet worden. Im Kofferraum seines einer Durchsuchung am Checkpoint Erez Obgleich die Israelis die französischen Diplomatenwagens fand man eine La- zwischen dem Gazastreifen und Israel Behörden von einer Verantwortung in der dung mit 152 kg Gold, Schecks im Wert entgehen. Er soll während fünf Fahrten Affäre freisprechen, ist das Thema äu- von knapp 2 Millionen Dollar, hunderte 70 Faustfeuerwaffen und zwei Sturm- ßerst heikel. So hat es der Staat auf das Handys sowie 500 kg Tabak. gewehre im Kofferraum transportiert ha- Konsulat in Jerusalem abgesehen, dessen Auch er hatte seinen Dienstpass genutzt, ben. Rolle als inoffizielle Botschaft für die ein offizielles Dokument, das jedoch kei- Laut einer Veröffentlichung des Shin Beth palästinensischen Behörden Israel regel- ne diplomatische Immunität verleiht, um hatte ein Angestellter des französischen mäßig anprangert. den Kontrollen zu entgehen. Kulturzentrums in Gaza dem Chauffeur „Wir nehmen die Sache sehr ernst und Seinerzeit hatten die israelischen Behör- das Waffenarsenal übergeben, damit es verfolgen die Entwicklung in enger Zu- den es jedoch vorgezogen, die Affäre nicht an palästinensische Schmuggler im West- sammenarbeit mit den israelischen Be- zu verbreiten und den Betroffenen diskret jordanland geliefert werde. Franck soll hörden“, beteuerte ein Verantwortlicher nach Frankreich abzuschieben. GPN

20 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Neuer Name – altes Programm Ob Namen nur Schall und Rauch sind, Rechtskurs des „Front National“ steht, er- tritt Frankreichs aus der EU ist spätestens wird sich zeigen. Jedenfalls hat die rechts- scheint jedoch fraglich. seit der krachenden Nieder lage der FN- extreme Partei „Front National“ sich im Dafür spricht die Tatsache, dass die Par- Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen Sommer einen neuen Namen gegeben. Die teivorsitzende auch die Parteiinstanzen im Mai 2017 nicht mehr die Rede. wiedergewählte Parteichefin Marine Le umbenannt hat und unbestrittenerma- Für den ausgebooteten Ex-Parteichef Pen hatte dies auf dem Par teitag in Lille ßen seit ihrem Amtsantritt 2011 gezielt Jean-Marie Le Pen kommt die Namensän- bereits angekündigt. Der neue Name „Ras- an einer „Entdiabolisierung“ ihrer Partei derung einem „politischen Mord“ gleich, semblement National“ (Nationaler Zusam- arbeitet. Höhepunkt dieser Strategie war wie er im Rundfunksender „France Inter“ menschluss) entspreche vor allem einem der Parteiausschluss ihres Vaters 2015, erklärte. Der neue Name bringe jedoch Neuanfang, so die Vorsitzende. u. a. wegen plump antisemitischer Aus- „nichts Neues“. In der Tat klingt „Zusammenschluss“ weit fälle. Bei dieser letzten Einschätzung würde weniger aggressiv als „Front“, ein vom Dass jedoch ausgerechnet Steve Bannon, ihm die Tageszeitung LE MONDE, die inzwischen mit seiner Tochter Marine der rassistisch angehauchte, geschasste titelte: „Beim FN ein neuer Name für eine über Kreuz liegenden Parteigründer Jean- Berater von US-Präsident Donald Trump, harte Linie“, wohl beipflichten. Marie Le Pen seinerzeit sicher mit Bedacht zu jener Zeit auf Europatournee zwecks Das linksliberale Blatt attestiert der Vor- gewählter Begriff der Kampf ansage an die Gründung einer Art populistischer Inter- sitzenden, „die Linie und die Flamme des Etablierten. Das Wort „Rassemblement“ nationale, auf besagtem Erneuerungs- FN beizubehalten, jedoch eingenistet im indes hatten sich bereits andere Parteien parteitag als Gastredner auftreten durfte, für potenzielle Verbündete beruhigende- auf die Fahne geschrieben, so u. a. die weist eher in eine andere Richtung. ren Gehäuse des RN.“ Mitterechtspartei „Rassemblement pour Ebenso muten die Themen von Le Pens Bei einem ehemaligen Minister von Ex- la République“ (RPR), der heutigen „Les Rede nach wie vor „frontistisch“ an: un- Staatspräsident Nicolas Sarkozy scheint Républicains“ (LR). bezwingbare Immigration, offene Gren- sich Le Pens Strategie bereits als geschick- Offensichtlich soll die neue Betitelung zen und die von Präsident Macron ver- ter Schachzug ausgezahlt zu haben und Kompromissbereitschaft in Richtung LR tretene offene Gesellschaft wurden mit auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein: signalisieren, um mittelfristig koalitions- gewohnter Schärfe angeprangert. „Der FN hat sich verändert. Schauen wir und somit regierungsfähig zu sein, unge- Mit Blick auf die im nächsten Jahr anste- mal, ob eine Übereinstimmung oder eine achtet der Tatsache, dass die überwälti- henden Europawahlen hält auch Le Pen, Annährung möglich ist“, entfuhr es dem gende Mehrheit der bürgerlichen Gaullis- wie Bannon, „eine euroskeptische Mehrheit Politiker gegenüber der Zeitung JOURNAL ten ein solches Bündnis zumindest aktuell im Europaparlament für plausibel“. Und DU DIMANCHE. strikt ablehnt. Ob die Namensänderung weiter: „Es wird bei den Wahlen ein Europa Ein Dammbruch? für eine inhaltliche Kehrtwende oder we- der Nationen gegen die Europäische Kom- nigstens eine Abkehr vom strammen mission geben“. Immerhin, von einem Aus- GPN

Französische Gabeldiplomatie

Seitdem Frankreich für die Resolution ge- rael verbinden, auf dem gastfreund lichen Küche jenseits der Grenzen auszustrahlen“. stimmt hat, welche die amerikanische Ent- und geselligen Parkett der Gastronomie.“ Unabhängig von der weltweit einzigarti- scheidung verurteilt, die US-Botschaft nach Letztere gehört seit jeher zum französi- gen „Gabeldiplomatie-Veranstaltung“ in Jerusalem zu verlegen, kann man die fran- schen Kulturerbe und wird traditionell Israel hatten auch etliche hochrangige ko-israelischen Beziehungen ohne Über- als Waffe französischer Diplomatie einge- französische Politiker Israel in den voran- treibung als eisig bezeichnen. Daher ver- setzt. Das Außenministerium am Quai gegangenen Monaten besucht. Der Erste suchte Frankreich im letzten Frühjahr, mit d’Orsay knüpft damit an die von Auguste unter ihnen, Präsident Macron, hatte dies einer gastronomischen Charmeoffensive Escoffier 1912 eingeführte Tradition der bereits 2015 als damaliger Wirtschafts- israelische Mägen zu erwärmen und Her- „dîners d’Epicure“ an, die das Ziel ver- minister nicht versäumt. zen zu gewinnen. folgten, „das Prestige der französischen GPN So mühte sich die Botschaft im Rahmen einer Gourmetwoche dem Land, wo Milch und Honig fließt, gallisches Savoir-Vivre nahezubringen. Dazu wurde schweres Ge- schütz aufgefahren: 17 Spitzenköche und ein Starkonditor unter der Leitung von Guillaume Gomez, seit 1997 Chefkoch im Elyséepalast, luden zahlreiche israelische Persönlichkeiten zum Schlemmen ein. Mit der Verkostung stellt Frankreich sei- ne Gastronomie vorrangig in den Dienst der Diplomatie, jedoch soll die Initiative ebenso den Export fördern, ausländische Investoren empfangen und die Zusam- menarbeit von Industriekapitänen beider Länder entwickeln helfen. Dazu die Bot- schafterin Hélène Gal: „Die französische Gastronomiewoche feiert die besonderen Beziehungen, welche Frankreich und Is- Foto: MBR

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 21 Manifest gegen Antisemitismus In Frankreich steht der radikale Islam im Zwei Tage darauf wies ein Kollektiv von die nach seiner Einschätzung aktuell we- Zentrum der Antisemitismus-Debatte. 30 Imamen die „unselige These“ zurück, sentlich gefährlichere spezifisch islamisti- Zwei Manifeste, veröffentlicht in den Zei- laut welcher der Koran zum Mord auf rufe. sche Judenfeindlichkeit zu lange verleug- tungen LE MONDE und LE PARISIEN, haben Und der Rektor der Pariser Großen Mo- net, „um eine ohnehin prekäre Bevölke- die Spaltung in dem europäischen Land mit schee, Dalil Boubakar, bedauert „eine un- rungsgruppe nicht zu stigmatisieren“. Er der größten jüdischen und der größten mus- gerechte und verrückte Unterstellung“. Zu- spielt dabei auf die teils gefühlt, häufig je- limischen Gemeinschaft wie derbelebt. gleich engagieren sich die Religions führer, doch reell marginalisierten und diskrimi- Prominente aus Politik und Kultur, dar- die Radikalisierung einer Jugend zu be- nierten arabischstämmigen Franzosen an unter Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy, kämpfen, die in Versuchung gerät, im Na- und nimmt einen „von guten Absichten ver- der ehemalige Direktor der Satirezeit- men des Islam Verbrechen zu be gehen. blendeten Antirassismus“ unter Beschuss. schrift CHARLIE HEBDO Philippe Val, Was neu sei an der Spielart des Antisemi- Es stellt sich indes zum einen die Frage, ob der Philosoph Alain Finkielkraut und der tismus, welche das Manifest anklagt, ist, ein solches Manifest nicht kontraproduk - Sänger Charles Aznavour unterzeichne- dass dieser Diskurs sich unterscheidet von tiv sein könnte, da es offensichtlich das ten das erste Manifest gegen einen neuen der traditionellen Idee eines diffusen, von Randgruppengefühl der muslimischen Ge- Anti semitismus. Darin wird gefordert, allen gesellschaftlichen Schichten ausge- meinschaft noch verstärkt. Und soll es zum „diejenigen Koranverse, welche zum henden Antisemitismus, zu allererst vom andern wirklich darum gehen, Passagen Mord und zur Bestrafung von Christen, rechtsextremen Milieu. Anders als das, aus dem Koran, deren Lektüre zweifelsoh- Juden und Ungläubigen auf rufen, von was zu diesem Thema gemeinhin zu lesen ne so unerträglich ist wie manche aus der den muslimisch-theologischen Autoritä- und zu hören ist, nämlich, der Antisemitis- Bibel, wenn man sie denn wörtlich und ten für ob solet erklären zu lassen“. mus in Frankreich nehme kontinuierlich aus dem Kontext herausgelöst liest, für ob- Die Streitschrift prangert vehement eine zu, erklärt Finkielkraut in der linksgerich- solet zu erklären? Oder müsste nicht viel- „islamistische Radikalisierung“ und eine teten Tageszeitung LIBERATION: „Der mehr eben diese Lesart für obsolet erklärt „schleichende und leise ethnische Säube- französische Antisemitismus existiert, werden? Lässt sich schließlich ohne weite- rung“ an und sieht einen direkten Zu sam- aber es ist ein blutleerer Restbestand, er res ein direkter, monokausaler Zusam- menhang zwischen einigen Koranversen wurde sogar in spektakulärer Art und menhang zwischen einem Text und einem und Gewaltakten, welche von Leuten ver- Weise von der rechtsextremen Partei Front Gewaltakt herstellen? Der Beweis wird übt werden, die sich auf den Islam berufen. National aufgegeben.“ Hingegen habe man schwer zu erbringen sein. GPN Filmfestival in Paris Die israelische Botschafterin ist der dies- Ashkenazi und Sarah Adler in den Haupt- schaft in Frankreich ist stolz, das Pariser jährigen Eröffnungsfeier des Israelischen rollen war im letzten Jahr mit dem Silber- Festival des israelischen Films seit seiner Filmfestivals, das im März in Paris statt- nen Löwen beim internationalen Mostra- Gründung vor 18 Jahren zu unterstützen fand, ferngeblieben. Der Grund: Ein Pro- Filmfestival in Venedig ausgezeichnet und mischt sich normalerweise nicht in test gegen die Aufführung des umstritte- worden. Miri Regev, Israels Kultusminis- die Auswahl der während des Festivals nen Films „Foxtrot“, wie das israelische terin, hatte dem Film vorgeworfen, „Ritu- ausgestrahlten Filme ein.“ Außenministerium verlautbaren ließ. Der almordbeschuldigungen“ gegenüber isra- Muss man daraus den Schluss ziehen, Streifen von Samuel Maoz, welcher Fehl- elischen Soldaten Vorschub zu leisten. Sie dass die Botschaft sich in diesem Fall verhalten innerhalb der Armee in Szene hatte sich zufrieden da rüber gezeigt, dass eben doch massiv eingemischt hat, weil setzt, hatte bereits im Land selbst für das Werk im Januar nicht für einen Oscar es sich um den Film zur Eröffnungsfeier Polemik gesorgt. Die Absage war erfolgt, nominiert wurde und erklärte: „Das hat handelte? nachdem die Festivalleitung der Em pfeh- uns eine bittere Enttäuschung sowie eine Samuel Maoz hatte im September 2017 lung der Botschaft nicht nachgekommen wahrheitswidrige Darstellung der israeli- zu der Produktion angemerkt, er kritisie- war, für die Eröffnungsfeier einen Film schen Armee erspart.“ re den Ort, an welchem er lebt, „weil ich zu wählen, der keine Kontroverse auslöst. Dennoch heißt es in einem Kommuniqué mir Sorgen mache, weil ich ihn schützen Der komplexe und surreale Film mit Lior des Ministeriums: „Die israelische Bot- will, ich tue es aus Liebe“. GPN Schoa-Witz im Fernsehen „Was ist Juden und Turnschuhen gemein? für schwar zen Humor Jérémy Ferrari. Einige Nutzer meldeten sich auch beim Von beiden gibt es in 39 mehr als in 45“ Etliche Zuschauer zeigten sich irritiert bis Sender bzw. bei der Prorammgesellschaft (Anm. d. Red.: Im Französischen wird vor empört. Jedoch merkt die Künstlerin, die France Télévisions und erinnerten daran, der Jahreszahl dieselbe Präposition „en“ gerade einen Talentwettbewerb beim dass kurz zuvor einem anderen Humo- verwendet wie bei der Bezeichnung von Privatsender M6 gewonnen hat, in der- risten wegen einer Pointe zur Gewalt ge- Schuhgrößen). Diese Pointe der Comedy- selben Reportage an: „Ich wollte nie gen Frauen gekündigt worden war. Da- Künstlerin Laura Laune in dem öffent- Witze um ihrer selbst willen machen. Ich hingehend äußerte sich u. a. der Anwalt lich-rechtlichen Sender FRANCE2 hat schreibe Dinge auf, die mich zum Lachen Gilles-William Goldnadel, Präsident der hohe Wellen geschlagen. bringen, dann teste ich sie vor anderen Vereinigung Frankreich-Israel, gegenüber In den 20 Uhr-Nachrichten wurde im Menschen und schaue, was ankommt, ob der Internetplatt form FigaroVox: „Wenn Rahmen einer Reportage zum Thema sie ebenfalls lachen. Daran passe ich mich das öffentliche Fernsehen Witze über „Freie Töne bei der Nachwuchsgeneration an.“ Wie ein Video zeigt, brachte der Geno- Gewalt in der Ehe zensiert, jedoch solche von Comedy-Künstlerinnen“ ein Auszug zid-Witz zwar die im Saal an wesenden Zu- die Schoa betreffend sendet, dann frage aus dem Kabarettprogramm von Laune schauer zum Lachen, aber die Reaktion in ich mich, ob die mediale Empörung nicht „Der Teufel ist ein braves kleines Mäd- den sozialen Netzwerken nach der Vor- doch selektiv ist.“ chen“ gezeigt. Co-Autor ist der Spezialist stellung klang ganz anders. GPN

22 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 JÜDISCH REISEN

Zu Besuch bei Martin Buber in Heppenheim Von Bernd Sterzelmaier Wohnen und arbeiten, wo andere ihren seitdem die Kosten der Instandhaltung. Urlaub verbringen. Diesen Wunsch hat Als Sitz des ICCJ mit 38 Mitgliedsorgani- sich Martin Buber 1916 in Heppenheim sationen in 32 Ländern ist das Buber- erfüllt. Als der jüdische Religionsphilo- Haus eine Arbeits- und Begegnungsstätte soph (1878 bis 1965) an die Bergstraße für Wissenschaftler, Studenten und allen zog, hatte er schon halb Europa gesehen. am interreligiösen Dialog Interessierten. Buber wurde in Wien geboren. Er wuchs Von hier gehen regional und international in Lemberg (heute Ukraine) auf und hat- Im pulse für ein gegenseitiges Verständnis te in Berlin, Leipzig und Zürich studiert. der Religionen und gegen rassistische Vor- In dem Städtchen südlich von Darmstadt ur teile aus. Es werden inter nationale Kon- gefi el es ihm offenbar so gut, dass er in ferenzen organisiert, weltweite Netz werke ein Haus an der Werléstraße zog. für Völkerverständigung geknüpft, Vor- Dieses Haus wurde Ende des 19. Jahrhun- tragsreihen und Seminare veranstaltet. derts für den Großherzoglichen Kreisarzt Besucher können nach Anmeldung das Dr. Karl Scotti erbaut. Mitten im Ersten Haus besichtigen und in den kleinen Zim- Weltkrieg zog Martin Buber dann zusam- mern die Atmosphäre spüren, die Martin men mit seiner Frau Paula und den bei- Buber und seine Familie in Heppenheim den Kindern Rafael und Eva zunächst als umgab. Die Liste der prominenten Gäste, Mieter ein. Vier Jahre später kaufte er es. die in den vergangenen 40 Jahren das Die zuvor in einer Mietwohnung in Berlin- Buber-Haus besichtigten, ist lang: Die Bun- Zehlen dorf ansässige Familie suchte an despräsidenten Richard von Weizsäcker, der Bergstraße nicht nur Ruhe für Arbeit Roman Herzog und Johannes Rau sowie und Fami lien leben. Martin Buber liebte Bundeskanzler Helmut Kohl sind die wohl seit einem Kuraufenthalt in Lindenfels die bekanntesten Namen, die im Gästebuch Landschaft am Übergang zwischen Oden- stehen. wald und Rheinebene mit dem milden Während Bubers Heppenheimer Zeit war Klima. Wegen seiner Lehraufträge in der jüdische Mediziner Fritz Frank, der Frankfurt und der späteren Professur an von 1919 bis 1935 in Heppenheim wohnte, der Goethe-Universität schätzte er die Hausarzt der Familie. Von 1914 bis 1918 In der Nähe der Werléstraße, im Graben, guten Bahnverbindungen an den Main so- war er Sanitätsleutnant im Ersten Welt- blickt Martin Buber, als Bronzeskulptur, auf wie nach Heidelberg und nach Worms. krieg. Seine Erinnerungen an die Grau- sein gegenüberliegendes Haus. Foto: MBR Im Erdgeschoss des Hauses befanden sich samkeiten des Krieges hat er in dem Buch der Salon und die Arbeitszimmer von „Stahlbad“ verewigt. 1945/46 schrieb Stadt hatte er zuletzt gelebt, bevor er Paula und Martin Buber sowie Küche, Ess- Fritz Frank in Israel seine Erinnerungen emigrierte. zimmer und Teezimmer. Im Obergeschoss an seine Kindheit unter dem Titel „Ver- Zurück zu Buber nach Heppenheim: Hier lagen das Schlafzimmer und die Zimmer schollene Heimat“ auf. Er starb 1978 im entstanden seine bedeutenden Werke der Kinder, in die später die Enkelkinder Alter von 92 Jahren. Das Buch wurde „Ich und Du“ und der erste Teil der Bibel- Barbara und Anna Judith einzogen. 2016 vom Synagogenverein in Zusam- übersetzung, an der er gemeinsam mit Seit Beginn des Zweiten Weltkrieges wur- menarbeit mit dem Kultur- und Museums- Franz Rosenzweig (1886 bis 1929) arbei- de das Haus von einer Behörde genutzt verein in Horb veröffent licht. In dieser tete. Als Buber damit beschäftigt war, und 1941 ging es in den Besitz des Kreises stand in Heppenheim auch noch die gro- über. In den siebziger Jahren sollte es ße Synagoge am Fuß des Schlossbergs, abge rissen werden, um für einen Neubau die im Jahr 1900 nach Plänen des Ju- des Landratsamtes Platz zu schaffen. Zwei gendstil-Architekten Heinrich Metzen- Heppenheimer Bürgerinnen protestierten. dorf (1866 bis 1921) gebaut wurde. Die Sie stellten die Bedeutung des Gebäudes Finanzierung der Synagoge übernahmen für die deutsche und jüdische Geistesge- die aus Heppenheim stammenden Brüder schichte des 20. Jahrhunderts heraus und HEPPENHEIM Hirsch, die in London Inhaber eines pri- retteten es so vor dem Abriss. Mit der vaten Bankhauses waren. Das Gotteshaus Maßgabe, das Haus einem Zweck zuzu- war so groß, dass sämtliche 110 Mitglie- führen, der Martin Bubers philosophi- der der Jüdischen Gemeinde Platz gehabt sches Erbe verwaltet und verbreitet, wur- hätten. Damals hatte die Stadt 10.000 de es 1976 von der Hessischen Landesre- Einwohner. gierung unter Denkmalschutz gestellt. Buber konnte mit seiner Familie im Früh- Der Internationale Rat der Christen und jahr 1938 den NS-Verfolgungen entkom- Juden (ICCJ), der bis zu diesem Zeit- men und nach Palästina auswandern. Die punkt seinen Hauptsitz in London hatte, Synagoge wurde in der Pogromnacht 1938 beschloss darauf hin, diesen in das Mar- kom plett zerstört. Erhalten geblieben ist tin-Buber-Haus nach Heppenheim zu ver- das Haus am Rand der Altstadt, das vor legen. Das geschah 1979. Der Kreis trägt Grafi k: MBR 1900 als Synagoge diente.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 23 Auch in Heppenheim wurden die meisten bereits gegründet. Der Wissenschaftler Juden im Laufe der NS-Diktatur in die setzte sich nicht nur für die Versöhnung Konzentrationslager gebracht und dort zwischen Israelis, Arabern und Palästi- ermordet. Stolpersteine des Künstlers nensern, sondern auch mit der noch jun- Gunter Demnig erinnern auf den Bürger- gen Bundes republik Deutschland ein. steigen vor den Häuser an die jüdischen 1953 wurde er in der Paulskirche in Frank- Familien, die dort gelebt haben. Ein Ver- furt mit dem Friedenspreis des Deutschen ein kümmert sich auch darum, dass das Buchhandels geehrt. Buber starb 1965 in Andenken an die Synagoge bewahrt wird. Israel. Für den Biografen Dominique Zwar erinnert eine Gedenktafel an den Bourel gilt Buber als der größte jüdische Standort. Doch in den vergangenen 80 Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, ne- Jahren hatte kaum jemand nach Spuren ben Sigmund Freud und Albert Einstein. gesucht. Mittlerweile wurde die freie Flä- Martin Bubers Ehefrau Paula (1877 bis che vom Gestrüpp befreit, sodass Mauer - 1958) schrieb unter dem Pseudonym reste freigelegt werden konnten. Georg Munk den Roman „Muckensturm“. Das markante Gebäude in der Heppen- Sie schildert am Beispiel einer Kleinstadt, heimer Fußgängerzone ist das ehemalige wie sich das Volk der Dichter und Denker Kauf haus Mainzer. Auch dieses Haus hat 1933 innerhalb von Wochen in ein Volk Metzendorf geplant. Es wurde 1906/07 von Barbaren verwandelte. von den Brüdern Jakob und Berthold Altstadt, Weinberge, die Jugendstil-Villen Mainzer gebaut. Die jüdischen Kaufleute am Maiberg und an der Karl-Marx-Straße überlebten den Holocaust nicht. Jakob sowie das Buber-Haus sind nicht die ein- und dessen Ehefrau Bertha wurden im zigen Attraktionen. 1974 hat der Schau- Konzentrationslager Auschwitz getötet, spieler Hans Richter (1919 bis 2008) die Berthold Mainzer starb an den Misshand- Heppenheimer Festspiele gegründet, die lungen, die ihm von der Gestapo in Darm- seitdem Jahr für Jahr im Sommer das stadt zugefügt wurden. Liebig-Apotheke, ein Fachwerkhaus vom kulturelle Angebot bereichern. Das Stra- Nachdem das Kaufhaus Anfang dieses Beginn des 18. Jahr hunderts. In den ßenfestival „Gassensensationen“ geht im Jahrhunderts jahrelang leer stand, kaufte Jahren 1818/19 war hier der später zu Veranstaltungskalender jeweils den Fest- es die Stadt, um es mit großem Aufwand Weltruhm gelangte Chemiker Justus Lie- spielen voraus. Anfang Dezember bildet sanieren zu lassen. Auch für das Land big für einige Monate als Apothekerlehr- ein Nikolausmarkt in den Gassen der Alt- Hessen ist dies ein Prestigeprojekt. Das ling tätig. Ein unscheinbares Fachwerk- stadt einen Kontrast zu den kommerzia- ehemalige Kaufhaus Mainzer soll ein haus am Marktplatz war die Heimat von lisierten Weihnachtsmärkten. Mit der Schmuckstück im Stadtbild werden. Margarethe Berg. Sie wanderte Ende des Straßenfastnacht endet in Heppenheim Mehr als 200 vorbildlich sanierte Ge- 19. Jahrhunderts als junge Frau nach der Winter. Wenn die Baumblüte an der bäude, darunter viele Fachwerkhäuser, Amerika aus. Sie war die Großmutter der Berg straße Frühlingsstimmung verbreitet, bilden ein Ensemble, das zur Attraktion Schauspielerin Grace Kelly, der späteren zeigt sich Heppenheim in bunten Farben. für Touristen geworden ist. In der Hep- Fürstin von Monaco. Ähnlich wie das Buber-Haus symbolisiert penheimer Alt stadt ragen die Pfarrkirche Als die Familie Buber Heppenheim 1938 das Hotel Halber Mond ein Stück deut- Sankt Peter und das historische Rathaus verließ, schien es ein Abschied für immer scher Geschichte. Dort tagte am 10. Okto- heraus. Es über ragt den Marktplatz, auf zu sein. Doch schon wenige Jahre nach ber 1847 eine Versammlung, die das Pauls - dem die Gastronomie blüht. Dem Rathaus dem Ende des Zweiten Weltkriegs besuch- kirchen-Parlament vorbereitete. Entwürfe schräg gegenüber liegt die ehemalige te Buber Europa. Der Staat Israel war einer demokratischen Verfassung wurden in Heppenheim vorformuliert und flossen im März 1948 in den Text ein, der in Frankfurt verabschiedet wurde. Selbst im Grundgesetz finden sich Passagen, die in der Heppenheimer Versammlung erdacht wurden. Als am 12. Dezember 1948 in Heppenheim die FDP gegründet wurde, beriefen sich Theodor Heuss, Hildegard Hamm-Brücher und ihre Mitstreiter auf die liberalen Traditionen an der Bergstraße. Sowie die Heppenheimer Versammlung den Anfang der Demokratiebewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts markiert, war die Schlacht bei Ober-Laudenbach im Früh jahr 1849 der Anfang vom Ende. Preußische Truppen standen sich damals wenige Kilometer von Heppenheim ent- fernt an der hessisch-badischen Landes- grenze einem revolutionären Heer gegen- über. Nach einem Schusswechsel zogen sich die Aufstän dischen Richtung Süden und über den Neckar zurück. Mit den jüdisch-historischen Bezügen, dem geschichtlichen Hintergrund, der Alt-

24 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 stadt, dem kulturellen Angebot und der landschaftlichen Kulisse bietet die Stadt Heppen heim ideale Voraussetzungen für einen Kurzurlaub. Ziel eines Spaziergangs könnte die Starkenburg auf dem Schloss- berg sein. Von dort reicht der Blick über die Rhein ebene bis nach Mannheim, Lud- wigshafen und nach Worms. Die Burg aus dem elften Jahrhundert dient heute als Jugendherberge. Unterhalb des histori- schen Gemäuers unterhält ein Verein die nach eigenen Angaben größte Amateur- sternwarte Deutsch lands. Die Starkenburg wurde zum Schutz des Reichsklosters Lorsch gebaut. Die Stadt Lorsch und die ehemalige Benediktiner- abtei liegen fünf Kilometer westlich von Heppenheim. Die Torhalle als Teil der Klosterreste gilt als das am besten er- haltene Gebäude aus der Karolingerzeit nördlich der Alpen. Mit dem Freilicht- labor „Laures ham“ wurden die Reste des Klosters mit mehreren Millionen Euro für den Tourismus aufgewertet. Im Stil eines Eine Gedenktafel erinnert an die Synagoge und Gemeinde. Bild: Höhn mittelalterlichen Bauernhofes wird ge- zeigt und geforscht, wie die Menschen zur Mikwe. Worms gehört wie Speyer und Bacharach (1575 bis 1615). Er war Ober- Zeit der Mönche lebten und arbeiteten. Mainz zu den drei SCHUM-Städten. Ein rabbiner von Worms, eine der ältesten anderes Dokument der jüdischen Kultur jüdischen Gemeinden auf deutschem Bo- Alle Reisen haben in der Region Bergstraße ist der Friedhof den. In Alsbach sind auf einer Fläche von eine heimliche Bestimmung, in Alsbach, zwölf Kilometer nördlich von 2,2 Hektar 2128 Grabsteine erhalten. die der Reisende nicht ahnt. Heppenheim. Dort beerdigten auch die Wer von Heppenheim Richtung Osten Martin Buber Heppenheimer Juden ihre Verstorbenen. fährt, kann nicht nur die Mittelgebirgs- Eines der berühm testen Gräber ist das land schaft des Odenwaldes genießen. Die Das ehemalige Kloster steht als Welt- von Rabbi Abraham Samuel Ben Isaak Kreisstadt Erbach mit dem Deutschen kulturerbe auf der Unesco-Liste. Lorsch ist Sitz des Geo-Naturparks Bergstraße- Odenwald und eines Museumszentrums. Mein persönlicher Reisetipp 1 Kloster geschichte, Volkskunde und die Geschichte des Tabakanbaus werden dort Eigentlich wollten wir nur ein paar Ta- mit Martin Bubers Geschichte. Interes- dokumen tiert. gen wandern, uns ausruhen, etwas ver- sante Informationen dazu auch auf Von Heppenheim aus empfiehlt sich auch wöhnen. Dann entdeckten wir am Tor www.martin-buber-haus.de, auch evtl. ein Besuch der Stadt Worms mit dem zum Odenwald schöne Wanderwege, notwendige Kontaktdaten. Besucher Dom, dem jüdischen Friedhof und der auch durch die Weinberge, einen Ries- sollen vorher einen Termin absprechen, ling, vorzüglich und gut gekühlt, und da das Haus keine regelmäßigen Öff- Martin Buber. Alle Aspekte konnten wir nungszeiten hat. Außerdem ist Sabine bei mittlerweile drei Besuchen in Hep- Fraune, 1. Vorsitzende des Vereins Stol- penheim vertiefen. Wesentlich dazu bei- persteine Heppenheim e.V., im Bereich getragen haben der Kollege Bernd Ster- der jüdischen Stadtgeschichte und im zelmaier, früher Redaktionsleiter des Gedenken an die Heppenheimer Juden Starkenburger Echo, der mit uns an ei- besonders aktiv und mit anderen Grup- nem frostigen Wintertag eine Führung pen vernetzt. Auch hier zeigt sich, wie durch das Jüdische Heppenheim mach- vielerorts, dass wichtige Impulse und te und die Bildungsreferentin Birgit Initiativen oft von bürgerschaftlichen Meurer, die bei einem Besuch im Mar- Gruppen kommen. tin-Buber-Haus mein Interesse an Buber Literaturtipps: Wilhelm Metzendorf, weckte. So entstand die Idee zu diesen Geschichte und Geschicke der Heppen- Seiten. Ein Reisetipp zum Weitersagen heimer Juden, 423 S., Arbeitsgemein- und zum Entdecken. schaft der Geschichts- und Heimatver- Zur ersten Orientierung ist die Seite eine im Kreis Bergstraße, Heppenheim Stadtgeschichte auf www.heppenheim. 1982. de sehr hilfreich, auch mit Hinweisen Harald E. Jost und Ulrich Lange: Martin auf die jüdische Stadtgeschichte, auf die Buber in Heppenheim, in: Blickpunkt Synagoge und das Martin-Buber-Haus. Heppenheim 1/95, herausgegeben vom Dort, im ehemaligen Wohnhaus der Fa- Archiv und dem Museum der Kreisstadt milie Buber, beschäftigt sich die Regio- Heppenheim. Steintraube am Erlebnispfad Wein & Stein. nale Bildungsreferentin Birgit Meurer Benno Reicher Bild: MBR

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 25 dem Herrenhaus steht der mit über 40 Meter wohl höchste Mammutbaum in Europa. Vom Fürstenlager aus könnte das Naturdenkmal „Felsenmeer“ im Lautertal Ziel einer Wanderung sein. Dieses Natur- denkmal wie derum liegt am sogenannten Nibelungensteig, einem zertifizierten Fern- wander weg, der Zwingenberg an der Berg- straße mit Freudenberg am Main und damit die drei Bundesländer Hessen, Ba- den-Württemberg und Bayern verbindet. Doch der Gast muss von Heppenheim aus

Reisetipp 2 Alle nützlichen Hinweise zu Unter- künften, zu gastronomischen Angebo- ten, zu Freizeitaktivitäten und Sehens- würdigkeiten gibt die Tourismus-Infor- mation der Kreisstadt Heppenheim, Großer Markt 9, 64646 Heppenheim, [email protected] und Blick über die Weinberge auf die Starkenburg. Foto: Höhn auf www.heppenheim.de unter hep - penheim-erleben/tourismus. Hier kön- Elfen beinmuseum und dem gräflichen Bensheim. Sehenswert sind neben der nen auch Info-Material, Stadtplan, Schloss sowie Michelstadt mit dem histori- Starkenburg die Wachenburg und Burg Unterkunftsverzeichnis, Altstadtführer schen Rathaus sind ideale Ziele für einen Windeck in Weinheim, das Auerbacher und der Weinführer Bergstraße bestellt Tagesausflug. In Michelstadt wurde das und das Alsbacher Schloss sowie Burg werden. Grab von Rabbi Jizchok Arje (1768 bis Frankenstein. Als unmittelbare Nachbar- Weintrinker sollten nicht auf eine Wan- 1847) zum Pilgerort. Der Seckel Löb stadt hat Bensheim mit dem Naturschutz- derung durch die Weinberge verzich- Wormser genannte Jude wird bis heute zentrum, dem Parktheater, dem Basinus- ten. Sehr informativ ist ein 7 Kilometer als „Wunderrabbi“ und „Baal Schem von Freizeitbad und einer 18-Loch-Golfan lage langer Rundweg durch die verschie- Michelstadt“ verehrt. großen Freizeitwert. denen Weinlagen mit sehr guten Infor- Heppenheim ist gut über die Autobahnen Von Bensheim aus lohnt sich ein Spa- mationen über den Weinbau, die Reb- 5 und 67 zu erreichen. Am sogenannten ziergang zum Kirchberghäuschen in den sorten, Bodenarten und regionale Flora „Postknoten“ kreuzen sich die Bundes- Weinbergen oder durch den Staatspark und Fauna. Danach will man die Weine straßen 3 und 460. Mannheim, Heidel- Fürstenlager im Stadtteil Auerbach, einer auch probieren. Das kann man ganz in berg und Darmstadt sind weitere Aus- Landschaft im Stil eines englischen Gar- der Nähe, in der Bergsträsser Winzer flugsziele mit jüdischer Geschichte, genau tens. Das Fürstenlager war Sommerresi- e.G. im Viniversum, Darmstädter Stra- wie die Nachbarstädte Weinheim und denz der Darmstädter Großherzöge. Vor ße 56. Wie schon im Reisetipp 1 gesagt, bei mir war’s der Riesling. www.berg straesserwinzer.de. Der Ort hat ein großes Angebot an Hotels und Ferienwohnungen. Wir ha- ben bisher im „bed & breakfast am Mai- berg“ von Ulrike Bertsch übernachtet. Ihr Haus hat nur wenige Zimmer, ist inhabergeführt und liebevoll-gemütlich eingerichtet. Es liegt in der Altstadt, ganz ruhig oben auf dem Berg und vor den Zimmern gibt es einen kleinen Hausgarten. Dort tranken wir unser Glas Riesling. www.unterkunft-ammai berg-heppenheim.de. Auf dieser Start- seite findet sich von Martin Buber das Zitat „Alles wirkliche Leben ist Begeg- nung“. Unser Autor Bernd Sterzelmaier emp- fiehlt für Gruppen auch das Haus am Maiberg, www.haus-am-maiberg.de. Auf den Webseiten www.martin-buber- haus.de und www.stolpersteine-hep- penheim.de finden sich weitere Infor - mationen zur jüdischen Stadtgeschichte, zu Martin Buber und alle notwendigen Kontaktdaten. bere. Der Marktplatz mit dem Rathaus von Heppenheim. © Stadt Heppenheim

26 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 nicht in die Ferne schweifen. Das Städt- Juni trägt die Heppenheimerin Caroline Vorzeigewein auf Heppenheimer Gemar- chen verfügt über ein modernes Freibad, Hillenbrand (25) die Krone. kung ist der „Stemmler“, der aus der Ries- eine Freilichtbühne mit 2500 Plätzen so- Junge Frauen bilden nicht nur das sympa- ling-Traube gekeltert wird. In der Lage wie über den Kurfürstensaal im Amtshof. thische Aushängeschild einer lebendigen „Centgericht“ steht der sogenannte Reb- Das Saalbau-Kino zeigt aktuelle Filme im Weinbauregion. Viele traditionelle Win- muttergarten, der dem hessischen Staats- Flair eines Lichtspielhauses der fünfziger zerbetriebe werden mittlerweile von gut weingut als Versuchsbetrieb diente. Jahre. ausgebildeten Frauen geleitet. Unter ihnen Das markante Gebäude mitten in den Das verbindende Element zwischen Bens- sind Charlotte Freiberger und Caroline Weinbergen wird mittlerweile als Vino- heim und Heppenheim ist der Wein. Mit Guthier, die sich in den vergangenen Jah- thek genutzt. Bei einem Glas Wein von 400 Hektar bildet die Hessische Berg- ren als Weinköniginnen für die Wahl zur der Bergstraße aus den Sonnenuntergang straße das kleinste Anbaugebiet Deutsch- Deutschen Weinprinzessin qualifizierten. über der Rheinebene zu genießen, gehört lands. Eine Gebietsweinkönigin wird jähr- Welche Bedeutung der Wein als Kultur- zu den romantischen Momenten in einer lich im Sommer abwechselnd auf dem gut hat, wird auf dem Lehrpfad „Wein Region, die Erholung von der Hektik des Winzerfest in Bensheim oder auf dem und Stein“ erklärt, der am „Vinoversum“ Alltags bietet, aber auch zu Jüdisch-Rei- Weinmarkt in Heppenheim gekürt. Seit der Winzergenossenschaft beginnt. sen einlädt.

Was es heißt, ein Mensch zu sein

Dieses 971 Seiten umfassende Buch ist im 1899 nimmt Martin Buber erstmals am guten Sinne ein lesenswertes Werk. Ob- Zionistenkongress teil, dem III., 1929 zum wohl sein Verfasser, Dominique Bourel, letzten Mal. Dabei spricht er, nicht zum langjähriger Professor für Philosophie ersten und nicht zum letzten Mal über die und Religionsgeschichte an der Pariser „Araberfrage“. Er mahnt: „Hüten wir uns Sorbonne, zwanzig Jahre daran arbeitete, davor, das, was uns fremd und nicht ge- liest es sich mühelos. Es ist eine Biografie nügend bekannt ist, als das Niedrigere des großen Philosophen, Soziologen und anzusehen und so zu behandeln! Hüten Kommentators seiner Zeit Martin Buber wir uns, das, was uns widerfahren ist, (1878–1965). nunmehr selbst zu tun! Gewiss ... ist In Wien geboren, wächst Buber zunächst Selbstbehauptung die selbstverständliche in der großelterlichen Familie in Lemberg Voraussetzung aller unserer Handlungen; auf, bis sein Vater ihn nach zweiter Ehe- aber sie ist nicht genug; es gehört auch schließung zu sich nimmt. Lemberg ist Phantasie dazu: die Fähigkeit, sich die eine multikulturelle Stadt, in der zehn Seele des anderen, des Fremden nach der verschiedene Sprachen zu hören sind, Wirklichkeit der eigenen vorzustellen.“ eine Stadt mit Museen, Theatern, Biblio- Hier klingt ein für Leben und Denken Mar- theken, einer Technischen Hochschule, tin Bubers durchgängiges Motiv durch: Universitäten und mehreren Gymnasien. Das Dialogische. Dies durchzieht sein gan- 28 Prozent der Bevölkerung sind jüdisch, zes Werk, auch sein Briefwechsel mit mehr vertreten sind der Chassidismus, Haska- als 50.000 Briefen. Davon wurde eine Aus- la, Bundisten und Zionisten. wahl in drei Bänden veröffentlicht, Bourel Martin Bubers Großvater Salomon Buber hat aber wesentlich mehr eingesehen. ist orthodox, aber auch ein aufgeklärter Mit 18 Jahren kehrt Martin Buber zu- Auch seine Diskussionen mit vielen wichti- Jude, der mit den Großen seiner Zeit nächst nach Wien zurück, daran schlie- gen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts korrespondiert, mit Heinrich Graetz und ßen sich die Universitäten in Leipzig, Zü- zeugen vom „dialogischen Prinzip“. Leopold Zunz, mit Nachman Sokolow rich und Berlin an. In Berlin begegnet er Im April 1916 zieht Buber mit seiner Fa- und vielen anderen. Er schreibt Artikel, Achad Haam, in Zürich seiner Gefährtin milie nach Heppenheim. Hier schreibt er eine Biografie über Elias Levitas, dem von mehr als 50 Jahren, Paula Winkler. 1923 sein wohl bekanntestes Werk „Ich großen Grammatiker der Renaissance, Mit ihr wird er im Jahr 1900 einen Sohn, und Du“ und er beginnt 1925 gemeinsam und vieles mehr. Gleichzeitig ist er Ge- Rafael, ein Jahr später Tochter Eva ha- mit Franz Rosenzweig mit einer Überset- schäftsmann, Getreidehändler und Groß- ben. Im Jahr 1907 heiratet das Paar. zung der Bibel. grundbesitzer, der seinem Enkel Martin Es ist hier nicht der Ort, in aller Breite bis zum 10. Lebensjahr Privatlehrer be- oder gar einen vertieften Blick auf Bubers zahlt, ihn dann auf das polnische Gymna- Leben und Werk zu werfen, für das Bou- sium schickt. rel fünf Teile und 25 Kapitel entfaltet, im- Die Vielsprachigkeit und Vielfalt seiner mer nah am Werk Bubers bleibend. Auch Kindheit und Jugend wird Martin Buber ohne Spezialist zu sein, erkennt der Leser prägen (er spricht und schreibt auf Pol- in Buber einen der großen Gestalten des nisch, Deutsch, Hebräisch, Italienisch, vergangenen Jahrhunderts, auf den der Französisch und spät auch auf Englisch) Untertitel des Buches: „Was es heißt, ein und ihn selbst zu einem vielseitig interes- Mensch zu sein“ wunderbar passt. sierten und interessanten Mann machen. Angela Genger Hannah Arendt wird 1957 über ihn sagen: „Er ist besser als all diese Juden, weil er eine wirkliche Neugier und Lernfähigkeit Dominique Bourel: Martin Buber – Was es heißt, für die Welt hat.“ Zu diesem Zeitpunkt ist ein Mensch zu sein, 971 S., Gütersloher Verlags- Buber bereits in seinem 80. Lebensjahr. Dominique Bourel Foto: Sandra Saragoussi haus, Gütersloh, 2017.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 27 Nachdruck: Heppenheim, ein Philosoph auf dem Lande

... Während dieser Zeit trifft Martin Buber kannt sind. Buber versäumt es nicht, sie die Entscheidung, die Stadt Berlin, in der während seiner Tagungen zur Pädagogik seit 1906 wohnt, zu verlassen. Die Fami- zu besuchen und dort in zwangloser Form lie Buber möchte nicht mehr im Rhyth- Gespräche zu führen; in dieser Schule mus der großen Städte leben und lässt wird ihn zum Beispiel der junge Ray- sich am 1. April 1916 in Heppenheim mond Klibansky (1905–2005) zum ersten nieder, einem südhessischen Städtchen. Mal sehen. Das Verzeichnis der Schüler, Mehrere Faktoren haben die Wahl dieser die dieses Internat besucht haben, ist Ortschaft motiviert. Buber hatte ein paar gleichsam ein Adelsregister der geistigen Ruhetage im Odenwald verbracht, und Welt Europas. Die Stadt selbst ist sehr alt zwei Freunde hatten ihm von dem milden (die erste Erwähnung datiert von 755), Klima vorgeschwärmt: Hermann (Chaim) die jüdische Gemeinde sehr klein: Um Müntz und Theodor Spira. Der erste un- 1700 zählt man kaum ein Dutzend Juden terrichtet Mathematik an der Odenwald- unter 1.700 Einwohnern. Als 1900 die schule, in der Nachbarschaft Heppen- Synagoge erbaut wurde (die während des heims. Der zweite, zunächst Anglist an Pogroms vom 9. und 10. November 1938 der Odenwaldschule, dann an der Uni- in Brand gesteckt wird), gab es in Hep- versität Königsberg und neben Florens penheim unter 6.000 Einwohnern 111 Ju- Christian Rang und Paul Natorp einer der den, die in die ländliche Welt Hessens großen Reformpädagogen, ist einer der vollständig integriert waren. Die Stadt ist wenigen Freunde, die Buber duzt. Hep- mehrheitlich katholisch, die Ansiedlung penheim gehörte damals zum Großher- von Protestanten ist relativ neu, trotz der Martin Buber, Gemälde von August Rumm, zogtum Hessen-Darmstadt; Ende 1919, Präsenz von Hugenotten seit dem sieb- 1928. nach der Revolution, erhält Hessen die zehnten Jahrhundert. Bezeichnung Volksstaat. Buber nimmt wenig am Leben dieser klei- ten Jahrhundert stammt und in dem Buber findet in der Werléstraße ein ge- nen jüdischen Gemeinde teil, die Mühe Katharina II. abgestiegen sein soll. Hep- räumiges Haus mit einem Garten, das er hat, ein minyan (das Quorum von zehn penheim an der Bergstraße – „dort, wo mietet und später kauft; bis 1938 wird er Männern, die für das Gebet in der Öf fent- Deutschland Italien wird“, wie Joseph II. darin wohnen. Die Lokalzeitung meldet lichkeit erforderlich sind) sicherzustellen, angeblich gesagt hat – liegt nicht weit von die Ankunft der Familie in Heppenheim. selbst zu Jom Kippur. Er wird, zumindest Heidelberg entfernt, wo unter anderem Eine der wenigen Attraktionen war da- bis 1933, das Leben eines Patriarchen Lukács lebt, den er bei Gelegenheit wie- mals die Odenwaldschule in dem angren- führen, so wie er es sich wünschte: Seine derzusehen hofft, und Max Weber. Eine zenden, heute eingemeindeten Ort Ober- Frau wird von dem italienischen Dienst- Anekdote ist erhellend. Ein Reisender, in Hambach. Diese Versuchsschule war 1910 mädchen unterstützt; seine Enkelinnen Heppenheim angekommen, fragt am von dem großen Pädagogen Paul Geheeb, Barbara und Judith werden nach der Bahn hof nach dem Haus Martin Bubers. einem engen Freund Bubers, gegründet Trennung ihrer Eltern, Rafael und Marga- Der Bahnbeamte fragt zurück: „Buber, worden, dessen Frau Edith geb. Cassirer rete, ab 1928 bei ihm wohnen. Ein Ar- Prof. Buber, ist das der kleine Mann mit (1885–1982) aus dem jüdischen Berliner beitszimmer für seine vielfältigen Akti- dem Bart, der denkt, wenn er geht?“ Patriziat stammt. Nachdem er an den vitäten, Tausende von Büchern und zwei Schulgründungen der reformpädagogi- kleine Kinder finden also ihren Platz in schen Bewegung beteiligt war (Ilsenburg, diesem schönen zweigeschossigen Haus. Nachgedruckt aus der neuen Buber-Bio- Haubinda, Wickersdorf), ist Geheeb die In Heppenheim wird er seine Tagungen grafie „Martin Buber – Was es heißt, ein Seele einer Institution, die auf dem Prin- zur Pädagogik organisieren und dabei Mensch zu sein“ von Dominique Bourel, zip der Koedukation gründet und von der von dem altehrwürdigen Hotel Halber Gütersloher Verlagshaus, 2017, mit freun- einige ihrer Absolventen heute sehr be- Mond profitieren, das aus dem siebzehn- licher Genehmigung des Verlages.

Das Martin-Buber-Haus in der Werléstraße. Foto: MBR Das Arbeitszimmer von Martin Buber. Foto: MBR

28 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Jüdisches Heppenheim In einem Dokument des Mainzer Erzbi- erbautes neues Kaufhaus in der heutigen schofs aus dem Jahre 1318 werden erst- Fußgängerzone Friedrichstraße. Die Stadt mals Juden erwähnt. Außerdem sind in Heppenheim erwirbt das denkmalge- Frankfurter Gerichtsbüchern zwei Rechts- schützte Gebäude 2015 und saniert es vorgänge aus den Jahren 1333 und 1341 zurzeit. Mit der städtischen Musikschule für den Juden Jacob von Heppenheim und Ämtern der Stadtverwaltung soll der eingetragen. historische Bau noch Ende dieses Jahres In einem Vertrag von 1715 wird die Er- eröffnet werden. richtung einer Mikwe geregelt. Martin Buber zieht 1916 mit seiner Fami- 1782 Erwähnung einer „Hausschul“. lie nach Heppenheim in ein Haus in der 1811 Erste Synagoge in der Kleinen Bach, Werléstraße. Im heutigen Martin-Buber- im Erdgeschoss Lehrerwohnung und Haus hat der Internationale Rat der Chris- Schulraum, im Obergeschoss der Gebets- ten und Juden (ICCJ) seit 1979 seinen raum mit Platz für etwa 60 Personen im Hauptsitz. Eine Gedenktafel erinnert an Jahre 1850. Bald ist dieser Raum für die den früheren Bewohner: wachsende Gemeinde zu klein. Am 10. Oktober 1900 eröffnet die Jüdi- „Hier lebte in den Jahren 1916–1938 / der sche Gemeinde am Starkenburgweg eine große jüdische Religionsphilosoph / Mar- vom Architekten Prof. Heinrich Metzen- tin Buber / geboren: Wien 8.2.1878 / ver- dorf erbaute neue Synagoge mit 180 Plät- storben: Jerusalem 13.6.1965 / Vom Un- zen. Finanziert wird der Neubau durch geist jener Zeit verfolgt / verließ er Deutsch- die nach England ausgewanderten Ge- land im Jahre 1938.“ brüder Hirsch. Der Stiftungsvertrag von innert eine Gedenktafel am Starkenburg- 1897 erklärt dazu: „Um der Liebe zu ihrer weg an die Gemeinde und Synagoge. Martin Bubers Leben und Werk, auch die Heimat einen dauernden Ausdruck zu Deportation der noch verbliebenen Hep- Geschichte des Hauses, sind zentrale The- verleihen und zum ehrenden Gedenken penheimer Juden im März 1942 in ein Ver- men der Regionalen Bildungsarbeit im an ihre Eltern und Großeltern lassen die nichtungslager in Polen. Seitdem gibt es Martin-Buber-Haus, betreut von der Bil- Herren Hirsch auf ihre Kosten eine Syna- keine Jüdische Gemeinde mehr im Ort. dungsreferentin Birgit Meurer. Besuche goge in Heppenheim bauen.“ Der jüdische Kaufmann Wilhelm Mainzer und Führungen sind nach Absprache Die Synagoge wird in der Pogromnacht und seine Söhne Berthold und Jakob er- möglich. 9./10. November 1938 zerstört. Heute er- öffnen 1907 ein von Heinrich Metzendorf Die Haupt- und Realschule des Kreises Bergstraße erhält am 20. Januar 1979 den Namen „Martin-Buber-Schule“. Der im April 2013 gegründete Verein „Stolpersteine Heppenheim“ verlegt im November 2014 die ersten sieben Steine für Familie Sundheimer in der Lehr - straße 3. bere.

Judith Buber Agassi

Am 15. Juli 2018 verstarb die Heppenhei- 1938 unter dem Druck der nationalsozia- Judith Buber Agassi war seit 1949 mit dem mer Ehrenbürgerin Prof. Judith Buber listischen Judenverfolgung verlassen. Philosophen Prof. Joseph Agassi verheira- Agassi im Alter von 94 Jahren. Der Bür- Nach dem Studium an der Hebräischen tet. Sie lebten zuletzt in Herzlia, Israel. germeister der Kreisstadt an der Berg- Universität in Jerusalem und der London straße, Rainer Burelbach, würdigte die School of Economics erwarb Judith Buber Verstorbene als eine Dialogpartnerin, die 1960 den Doktorgrad in Politikwissen- über die Abgründe der deutsch-jüdischen schaft. Ihre akademische Laufbahn führ- Geschichte hinweg ganz im Sinne ihres te sie an renommierte Universitäten in Großvaters Martin Buber Gespräche ge- Israel, England, den USA, Hong Kong und führt und die Begegnung gesucht habe. Deutschland. Während all der Jahre blieb „Heppenheim verliert mit Judith Buber sie in Kontakt zu Menschen in ihrer Ge- Agassi eine hoch geschätzte Botschafte- burtsstadt Heppenheim, mit denen sie rin, deren Offenheit und Engagement schon während ihrer Schulzeit Freund- nicht zu ersetzen ist.“ schaft geschlossen hatte. In ihrem Ge- Judith Buber wurde 1924 im Haus der burtshaus war sie immer wieder auf Ein- Großeltern in der Heppenheimer Werlé- ladung des Internationalen Rats der Chris- straße geboren. Nach der Scheidung der ten und Juden als Referentin und Zeit- Eltern 1929 lebte sie dort mit ihrer älte- zeugin zu Gast. Im Jahr 2004, zu ihrem ren Schwester Barbara bis zur Emigra- 80. Geburtstag, verlieh die Kreisstadt tion. Ihre Großeltern, der Religionsphilo- Heppenheim Judith Buber Agassi durch Judith Buber Agassi stellt 2008 eine Neu- soph und Gelehrte Martin Buber und des- Beschluss der Stadtverordnetenversamm- ausgabe ihres Romans „Muckensturm“ vor. sen Ehefrau Paula, mussten Deutschland lung die Ehrenbürgerwürde. Foto: Stadt Heppenheim

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 29 Der Landesausschussvorsitzende SCHANA TOWA der Jüdischen Gemeinden in Bayern Zu Rosch Haschana 5779 wünscht allen Gemeinden und deren Mitgliedern wünschen wir allen unseren Mitgliedern, Freunden ein friedliches, frohes und gesundes neues Jahr. und Bekannten im In- und Ausland ein erfolgreiches und glückliches neues Jahr. åáúëú äáåè äðùì Jüdische Gemeinde Regensburg David Kapzan

Allen unseren Mitgliedern Alles Gute zum neuen Jahr 5779 und allen Juden in Bayern und der ganzen Welt den jüdischen Gemeinden in Deutschland, wünschen wir ein gesegnetes neues Jahr 5779. dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und dem Zentralrat wünscht

Israelitische Kultusgemeinde Augsburg Israelitische Kultusgemeinde Bamberg K.d.ö.R.

Allen unseren Mitgliedern Allen unseren Mitgliedern und allen Juden in Bayern und der ganzen Welt sowie den Mitgliedern unserer Nachbargemeinden wünschen wir ein gesegnetes neues Jahr. und allen Verwandten, Freunden und Bekannten im In- und Ausland wünschen wir ein glückliches neues Jahr.

Israelitische Kultusgemeinde Bayreuth Israelitische Kultusgemeinde Straubing

Jüdische Gemeinde Die Israelitische Gemeinde Würzburg Schanah Towa Weiden 5779 übermittelt allen ihren Mitgliedern, Die besten Wünsche zum Neujahr Freunden und Bekannten an alle Mitglieder und alle, die uns kennen, die besten Neujahrswünsche! mit uns zusammenarbeiten und uns mögen. Der Vorstand

Allen unseren Mitgliedern sowie SCHANA TOWA den Mitgliedern unserer Nachbargemeinden, Freunden und Bekannten wünschen wir wünschen wir allen unseren Gemeinden, Glück und Frieden zum neuen Jahr. dem Landesverband und allen Freunden und Gönnern unserer Gemeinde. Israelitische Kultusgemeinde Amberg Vorstand IKG Amberg Israelitische Kultusgemeinde Erlangen Ignaz Berger, Alexander Iolowitsch, Rabbiner Elias Dray

30 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Wir wünschen allen Gemeindemitgliedern, Statt Karten Freunden und Bekannten Die Israelitische Kultusgemeinde Fürth ein gesundes, gutes und süßes neues Jahr 5779. wünscht dem Zentralrat, dem Landesverband, den jüdischen Gemeinden in Deutschland ä÷åúîå äáåè äðù und unseren Mitgliedern Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Hof ein gesegnetes, friedliches und gesundes Jahr 5779. Dr. Jakob Gonczarowski åîúçúå åáúëú äáåè äðùì 1. Vorsitzender

Allen Freunden und Bekannten wünschen wir ein gesundes neues Jahr! Allen unseren Verwandten, Freunden und Bekannten übermitteln wir auf diesem Wege åáúëú äáåè äðùì zum neuen Jahr Ilse Ruth Snopkowski unsere herzlichsten Glück- und Segenswünsche. Familie Dr. Peter Snopkowski Familie Dr. Jona Snopkowski-Bigagli Familie Karin und Bernhard Offman

åáúëú äáåè äðùì Die »Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition e.V.« Allen Verwandten, Freunden und Bekannten im In- und Ausland die besten Glück- und Segenswünsche wünscht allen Mitgliedern zum neuen Jahr 5779. und Freunden im In- und Ausland ein gesundes neues Jahr! Familie Michael Trüger Regensburg åáúëú äáåè äðùì

Ein gesundes und glückliches neues Zum neuen Jahr allen Freunden, Verwandten und Jahr 5779 wünschen Ihnen Bekannten die herzlichsten Glückwünsche „LESCHANAH TOVA TIKATEVU – die Mitarbeiter möget ihr eingeschrieben werden für ein gutes Jahr“ des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern KdöR Familie Mazo, Augsburg

Statt Karten Allen Freunden und Bekannten Zu den Hohen Feiertagen wünschen wir ein frohes entbieten wir allen unseren Verwandten, und glückliches neues Jahr. Freunden und Bekannten die besten Glück- und Segenswünsche! Familie Cella Pilla Felix Gothart, Bayreuth

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 31 Wir wünschen dem Vorstand und den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Regensburg Allen Freunden und Bekannten sowie allen Bekannten die herzlichsten Wünsche ein frohes und gesundes neues Jahr. zum neuen Jahr. Schana towa, tikotewu w’tichoteimu Edith Kuszner, München Familie Soroka Regensburg

Wir wünschen allen unseren Freunden, Allen Freunden und Bekannten Verwandten und Bekannten ein gutes und gesundes neues Jahr. entbiete ich zu den Hohen Feiertagen meine herzlichsten Wünsche für Le’Schana Towa Tikatewu We’Techatemu ein gesundes neues Jahr!

Familie Wladimir Barskyy, Regensburg RA Uri Siegel

Allen Freunden, Verwandten und Bekannten Allen Freunden und Bekannten wünsche ich ein frohes wünschen wir ein gesundes neues Jahr! und gesundes Jahr. åáúëú äáåè äðùì Schana towa, tikotewu w’tichoteimu Rabbiner Joel Berger und Familie Paulette Citronenbaum, Regensburg Stuttgart – Antwerpen – Berlin

Wir wünschen allen unseren Freunden, Allen Freunden, Verwandten und Bekannten Verwandten und Bekannten wünschen wir ein frohes ein gutes und gesundes neues Jahr. und gesundes Jahr. Schana towa, tikotewu w’tichoteimu Schana towa, tikotewu w’tichoteimu Genia Danziger und Familie David Danziger Jakov Denyssenko, Regensburg mit Cela Feinstein Regensburg

Wir wünschen allen unseren Freunden, Allen unseren Freunden und Bekannten Verwandten und Bekannten wünschen wir ein gutes und gesundes neues Jahr. ein gesundes und glückliches neues Jahr! Schana towa, tikotewu w’tichoteimu Luba Silberstein und Familie Familie Kuzenko, Regensburg

32 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Allen unseren Verwandten, Freunden und Bekannten Statt Karten im In- und Ausland senden wir auf diesem Wege übermitteln wir auf diesem Wege unsere herzlichsten Glück- und Segenswünsche allen Verwandten, Freunden und Bekannten zum neuen Jahr! zum neuen Jahr unsere herzlichsten Glückwünsche.

åáúëú äáåè äðùì Familie Daniel und Dorothea Krochmalnik Familie Dr. Josef und Jutta Schuster íåìùå äáåè äðù

Statt Karten Anlässlich des Neujahrsfestes Zu den Hohen Feiertagen allen Verwandten, Bekannten und Freunden entbieten wir allen unseren Verwandten, alles Gute. Freunden und Bekannten die besten Glück- und Segenswünsche! Familie Steinberg, München Familie Hanna Zisler

Zum neuen Jahr Allen Freunden, Verwandten und Bekannten senden wir allen Freunden wünschen wir ein frohes und Bekannten im In- und Ausland und gesundes Jahr. die herzlichsten Glückwünsche! Schana towa, tikotewu w’tichoteimu Schana towa !

Rachela Schwerdt Familie Brenner, Weiden

Statt Karten åîúçúå åáúëú äáåè äðùì Allen Verwandten, Freunden und Bekannten úåîéòðå úåáåè úåáø íéðùì åëæú im In- und Ausland entbieten wir auf diesem Wege die besten Glück- und Segenswünsche Allen unseren Freunden im In- und Ausland zum neuen Jahr! möchten wir auf diesem Wege unsere besten Wünsche anlässlich Rosch Haschana 5779 zum Ausdruck bringen. åáúëú äáåè äðùì

Familie Dr. Asher Khasani Familien Ignaz Berger, Michael Berger und Elias Dray, Amberg

Allen Freunden und Bekannten Wir wünschen unseren Autoren und Lesern, entbieten wir die herzlichsten Wünsche unserem Landesverband und allen Gemeinden zu den Hohen Feiertagen ein gesundes und glückliches neues Jahr. und für ein gesundes neues Jahr! Redaktion und Druckerei Oded Baumann, Würzburg JÜDISCHES LEBEN IN BAYERN

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 33 BAYERN

Redeauszug des Zentralrats-Präsidenten und Präsidenten des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Dr. Josef Schuster, zum Gedenken an Israel Offman sel. A., 30. Mai 2018, Israelitische Kultusgemeinde Straubing

Wir haben Israel Offman verloren und wir 1950 kehrte er nach Straubing zurück das Herz und die Seele seiner Straubinger trauern um ihn: seine Familie, seine Ge- und begegnete seiner späteren Frau Inge. Gemeinde war. Er war viele Jahre Mit- meinde Straubing, seine Freunde und auch Über die Beziehung zwischen dem Juden glied im Präsidium des Landesverbandes ich. Wir trauern um einen Mann, der in und der Katholikin wurde in Straubing und des Direktoriums des Zentralrats … den 92 Jahren seines Lebens die Tragödie nicht wenig getratscht, aber das junge An Israel Offman habe ich viele Erinne- des jüdischen Volkes, aber auch seinen Paar setzte sich souverän darüber hin- rungen. Er war mit meinen Eltern befreun- Optimismus, seine Lebensfreude und sei- weg. Inge konvertierte und wurde Jüdin. det und ich habe ihn häufig in meinem ne Energie verkörperte wie die wenigen 1955 heirateten sie und bekamen vier Elternhaus getroffen. Als ich 2002 zum Menschen, die die Schoa überlebt haben. Kinder … Präsidenten des Landesverbandes der Isra- Geboren am 20. Juli 1925 kam Israel elitischen Gemeinden gewählt wurde, war Offman als jüngstes von sieben Kindern Seit den 1980er Jahren widmete er der er einer der ersten, die mir mit ehrlicher im polnischen Tschenstochau zur Welt. Is raelitischen Kultusgemeinde Straubing Freude zu diesem Amt gratulierte. Seine Kindheit und Jugend währte nur mit der für ihn typischen Energie als Trotz seines hohen Alters ließ er es sich 14 Jahre. Dann zwangen die Nazis die Gemeindevorsitzender seine ganze Kraft. nicht nehmen, weiterhin die Geschicke Familie ins Ghetto und anderthalb Jahre Mir wurde erzählt, dass er bei den ersten seiner Gemeinde als Vorsitzender zu lei- später wurden alle etwa 45.000 Men- Verhandlungen zum Abschluss eines ten, die von ehemals 60 Mitgliedern in den schen in Konzentrationslager deportiert. Staatsvertrages wegen des schleppenden achtziger Jahren auf inzwischen mehr als Beim Abtransport wurde er von den Eltern Fortgangs so in Rage geriet, dass er den 900 Mitgliedern angewachsen ist. Seine getrennt und er sollte sie nie wieder sehen Schlüsselbund der Synagoge auf den Tochter Hanna Zisler war als Geschäfts- … Wenige Wochen im KZ Dachau wurde Tisch knallte und dem Ministerpräsiden- führerin der Gemeinde dabei seine rechte er im Februar 1945 bei eisigen Tempera- ten – oder war es eine andere hochrangi- Hand. Und seine Schwiegertochter, das turen im offenen Viehwagen nach Platt- ge Persönlichkeit? – empfahl: „Hier, küm- möchte ich nicht unerwähnt lassen, ist die ling deportiert … Amerikanische Solda- mern Sie sich um die Synagoge!“ Geschäftsführerin des Landesverbandes. ten fanden den bis auf 29 Kilo abgema- Bei der Finanzierung für die Sanierung Mit Israel Offman haben wir eine be- gerten 19-jährigen Jungen. Sie hielten und damit den Erhalt der Straubinger deutende Persönlichkeit verloren. Für die- ihn für tot … Er muss kaum genesen ge- Synagoge war er ebenso die treibende jenigen aber, die ihn gekannt und geliebt wesen sein, als er nach Palästina ging Kraft wie für die täglichen Aufgaben haben, ist ein Freund gegangen. Aber als und dort 1948 für Israels Unabhängigkeit eines Gemeindevorsitzenden. Ich denke, Freund wird er in unseren Herzen weiter kämpfte. es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er leben.

Israel Offman sel. A. Die Israelitische Kultusgemeinde Straubing Die Israelitischetrauert Kultusgemeinde um Straubing trauert um Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern K.d.ö.R. HerrnHerrn trauert um das langjährige Mitglied IsraelIsrael OffmanOffman sel. sel. A. A. des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Präsidiums des Landesverbandes Träger desTräger bayerischen des bayerischen Verdienstordens Verdienstordens Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse Empfänger des Ehrenbriefes der Stadt Passau sowie Vorsitzenden der Israelitischen Empfänger des Ehrenbriefes der Stadt Passau Herr Offman war über lange Jahre Vorsitzender Kultusgemeinde Straubing. der Israelitischen Kultusgemeinde Straubing, HerrMitglied Offman im Präsidium war desüber Zentralrats lange derJahre Juden Vorsitzender in Deutschland und des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Sein jahrelanger Einsatz in den Gremien unseres der Israelitischen Kultusgemeindein Bayern. Straubing, Verbandes und sein außergewöhnliches persönliches Mitglied imMit Direktorium großem Engagement des widmeteZentralrats er sich der Juden dem christlich-jüdischen Dialog und verschiedenen Engagement für die Israelitische Kultusgemeinde Straubing in Deutschland undsozialen im PräsidiumHilfsorganisationen. des Landesverbandes werden uns unvergessen bleiben. der IsraelitischenMit Herrn Offman Kultusgemeinden verliert die jüdische Gemeinde in Bayern. nicht nur Ihren Vorsitzenden, Mit großemsondern Engagement auch die Seele der widmete Gemeinde. er sich Mit Respekt und Anerkennung dem christlich-jüdischenUnser tiefstes Mitgefühl gehörtDialog seinen und Angehörigen. verschiedenen haben wir uns vor seinem Grab verbeugt. sozialen Hilfsorganisationen. Wir werden Herrn Israel Offman immer in Ehren gedenken. Möge seine Seele eingebunden sein in das Bündel des ewigen Lebens. Mit Herrn Offman verliert die jüdische Gemeinde nicht nur Ihren Vorsitzenden, sondern auch die Seele der Gemeinde. Dr. Josef Schuster Präsident Unser tiefstes Mitgefühl gehört seinen Angehörigen. Wir werden Herrn Israel Offman immer in Ehren gedenken.

34 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Neuer Antisemitismus-Beauftragter Bayerns Ministerpräsident Dr. Markus nen Antisemitismus-Beauftragten. Der Schon als Kultusminister hat sich Dr. Söder hat am 14. Mai 2018 gemeinsam mit Landesverband sieht in der Berufung ei- Spaenle mit großem Engagement für dem Präsidenten des Zentralrates und des nes Beauftragten für jüdisches Leben und unsere Belange eingesetzt“, erklärte Dr. Landesverbandes der Israelitischen Ge- gegen Antisemitismus ein überaus wich- Schuster. „Seinem Einsatz verdanken wir meinden in Bayern Dr. Josef Schuster, der tiges Signal. Damit zeigt die bayerische auch das Olympia-Denkmal in München.“ Präsidentin der Israelitischen Kultusge- Staatsregierung, dass sie dem wachsen- Die Einrichtung des neuen Amtes sei ein meinde München und Oberbayern Char- den Antisemitismus in unserem Land wichtiger Schritt für die Dokumentierung lotte Knobloch und der Generalkonsulin nicht einfach tatenlos zusehen will. Der und Bekämpfung des Antisemitismus. des Staates Israel San dra Simovich den neue Beauftragte wird sich nachhaltig „Wir sind zuversichtlich, dass Dr. Spaenle neuen „Beauftragten für jüdisches Leben für die Bekämpfung des Antisemitismus beherzt und zugleich klug klare Linien und gegen Antisemitismus, für Erinne- in all seinen Erscheinungsformen ein- gegen Antisemitismus ziehen wird. Un- rungsarbeit und geschichtliches Erbe“ setzen. sere bayerischen Gemeinden werden ihn Staatsminister a. D. Dr. Ludwig Spaenle bei seiner Arbeit unterstützen. Ich freue mit seiner Aufgabe und Funktion in der „Mit Staatsminister a. D. Dr. Ludwig mich auf die Zusammenarbeit mit ihm Bayerischen Staatskanzlei vorgestellt. Spaenle wurde dafür eine Persönlichkeit und wünsche ihm viel Erfolg für die neue Damit hat der Freistaat, nach dem Bund gewonnen, die bereits das Vertrauen der Aufgabe“, sagte Schuster. und anderen Bundesländern, einen eige- Jüdischen Gemeinden Bayerns genießt. bere. Grußwort zu Rosch Haschana Zum Beginn des Jah- Antisemitismus, für Erinnerungskultur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen res 5779 möchte ich und geschichtliches Erbe“ vorzustellen. will. allen Mitgliedern der Die Errichtung dieses Amtes zeigt den Ich möchte die Aufgaben dieses neuen Israelitischen Kultus- Willen der Staatsregierung, gerade in Amtes in engem Kontakt mit Ihnen und gemeinde in Bayern einer Zeit des zunehmenden Antisemitis- den von Ihnen gewählten Vertretern der sowie allen ihren mus ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen IKG angehen und bitte dabei um Ihre Freunden ein gutes der Wertschätzung unserer jüdischen Unterstützung. und glückliches neues Bürger und ihres Beitrages in Kultur und Ich wünsche allen ein gutes neues Jahr. Jahr wünschen. Politik, in Wirtschaft und Sport, in allen Dr. Ludwig Spaenle Ich möchte die Gele- gesellschaftlichen Bereichen. Ein Zeichen Beauftragter der Bayerischen Staatsregie- genheit nützen, mich in meiner Funktion auch dafür, dass die Staatsregierung rung für jüdisches Leben und gegen Anti- als „Beauftragten der Bayerischen Staats- Antisemitismus in all seinen Formen in semitismus, für Erinnerungskultur und ge- regierung für jüdisches Leben und gegen geeigneter Weise und mit allen ihr zur schichtliches Erbe Geschichtskultur „In Bayern haben wir aufgrund des Arti- für Schulen, geschichtliche Ereignisse ver- kels 131 in der Bayerischen Verfassung tieft zu behandeln oder aktuelle ge sell- eine besondere Verpflichtung, unsere schaftspolitische Themen aufzu grei fen, Schülerinnen und Schüler im Geiste der z.B. durch den Besuch von Gedenk stätten Demokratie zu erziehen. Politisch-histori- oder die Veranstaltung von Ge denktagen. sche Bildung hat daher an unseren Schu- Zudem hat Minister Sibler, selbst ausgebil- len einen hohen Stellenwert“, betonte deter Geschichtslehrer, eine breit angeleg- Kultusminister Bernd Sibler Anfang Juli te Werte-Initiative angekündigt. zur Diskussion um die gegenwärtige Ge- Die politisch-historische Bildung ist eng schichtskultur. mit der Demokratie- und Werteerziehung „Mir ist wichtig, unseren jungen Men- verbunden und findet sowohl im Unter- schen, gerade in Zeiten von Fake News richt als auch im schulischen Leben täg- und extremistischer Stimmungsmache, lich an den bayerischen Schulen statt. ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein „Unsere jungen Menschen sollen demo- zu vermitteln. Sie sollen die Bedeutung kratische Spielregeln und Verhaltenswei- historischer Phänomene und Entwicklun- sen im Unterricht kennenlernen und auch gen für unsere heutige Zeit erkennen und die Möglichkeit erhalten, sie einzuüben – aktiv und verantwortungsbewusst an der zum Beispiel als Klassensprecher oder in gegenwärtigen Geschichtskultur mitwir- Kultusminister Bernd Sibler © StMUK der SMV. Und auch übergeordnet ist mir ken. Unsere Lehrerinnen und Lehrer leis- die Mitwirkung unserer Schülergremien ten hier einen wertvollen Beitrag.“ Herbst 2017 neu veröffentlichte „Gesamt- ein wichtiges Anliegen. Deswegen treffe Politische Bildung und Demokratie- und konzept für die politische Bildung an ich mich regelmäßig mit ihren Vertretern Werteerziehung sind als fächerübergrei- baye rischen Schulen“. und beziehe den Landesschülerrat in Ent- fende Bildungsziele an allen Schularten Über die konkrete Unterrichtsgestaltung scheidungen mit ein.“ Sibler lobte das in Bayern Querschnittsaufgabe und Grund- hinaus, insbesondere in den Leitfächern Engagement der Schülerinnen und Schü- prinzip jeder pädagogischen Arbeit – be- der politischen Bildung – zu denen Sozial- ler, das neben der Beteiligung an Schüler- reits ab der Grundschule. Unterstützung kunde, Geschichte, Geographie sowie gremien auch bei Projekten wie „Schule und Impulse erhalten die Lehrerinnen Wirt schaft und Recht gehören – gibt es ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und Lehrer unter anderem durch das im zahlreiche und vielfältige Möglichkeiten deutlich wird. pmb.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 35 AUS DEN JÜDISCHEN GEMEINDEN IN BAYERN

pe ein Sedermahl veranstaltet. Auch Lag Bamberg BaOmer, welches eng mit der jüdischen Mystik, der Kabbala, verbunden ist, wur- Pessach de in der Jugendgruppe thematisiert. Als Zum diesjährigen Pessach kamen zahl- wir über Schawuot sprachen, besuchten reiche Gemeindemitglieder, Angehörige wir mit dem pädagogischen Leiter Felix und Gäste in die Gemeinde, um gemein- Lehle die Synagoge, wo er mit den Kin- sam den Auszug der Israeliten aus Ägyp- dern den Anlass des Festes erörterte: den ten zu feiern. Zunächst begaben wir uns Empfang der Tora und der zehn Gebote in die Synagoge, wo Rabbiner Salomon auf dem Berg Sinai. Wir erfuhren, dass Almekias-Siegl uns durch den Abendgot- die Bimah in der Synagoge den Berg Sinai tesdienst zu Erew Pessach geleitete. Dann symbolisiert. Darüber hinaus wurde uns einstudiert, um es zum Schawuot-Fest in kamen wir im feierlich dekorierten Ge- gezeigt, wo sich in der Synagoge die Ge- der Gemeinde aufzuführen. Passend zu meindesaal zusammen und erfuhren vom setzestafeln befinden und die Kinder und der mit Sträuchern dekorierten Synagoge Rabbiner viel Interessantes über die Be- Jugendlichen bestaunten die reich ver- trugen auch die Kinder und Jugendlichen deutung des Pessach-Festes und der rituel- zierten Tora-Rollen. beim Auftritt hübsche Blumenkränze im len Speisen. Auch die Kinder kamen auf Haar, und besonders den Jüngeren unter ihre Kosten an diesem Abend beim Suchen Im Mai bewegte die Jugendgruppe in ihnen bereitete das Singen sichtlich gro- des Afikoman und sie trugen das tradi- erster Linie eines: das Kunstprojekt, in ße Freude. tionelle „Ma Nischtana“ vor. Gemeinsam dem insbesondere die Erzählungen zu wurde die Haggada gelesen, um allen An- Schawuot und Pessach von den Kindern Im Juni wurden von mir zwei Gruppen- wesenden die Geschichte des Auszugs aus und Jugendlichen kreativ verarbeitet wur- diskussionen mit den Jugendlichen ge- Ägypten zu vergegenwärtigen. Im An- den. Zunächst fertigten sie erste Skizzen führt. Da ich mich in meiner psychologi- schluss begann das Festmahl. Das Essen an und dann wurden diese mit Acrylfar- schen Masterarbeit vor allem mit religiö- war sehr schmackhaft und reichhaltig. In ben auf Leinwände übertragen. Die Ge- sem Lernen in der Jugendgruppe ausein- entspannter, gelöster Atmosphäre saßen schichten der Tora sollten den Kindern andersetze, interessierte mich dabei in die Feiernden noch bis in die späten und Jugendlichen dabei als Inspiration erster Linie, wie die Jugendlichen selber Abendstunden beisammen und unterhiel- für ihre Bilder dienen und beim Malen über das Judentum denken und wie sie ten sich angeregt. Zum feierlichen Aus- wurden sie tatkräftig von Svetlana Vo- die Jugendgruppe wahrnehmen. Die Ju- klang wurden später im kleineren Kreis loshko unterstützt. Was in diesen Stun- gendlichen und jungen Erwachsenen stimmungsvolle und inspirierende Lieder den entstand, kann in der Galerie der Ge - nahmen sehr engagiert an der Diskussion wie „Echad mi jodea“ (Eins, wer weiß es) meinde bewundert werden. Die farben- teil und erzählten mir danach, es sei inte - und „Chad Gadja“ (Ein Lämmchen) aus frohen und fantasievollen Bilder erzählen ressant gewesen, sich über diese Themen der Haggada gesungen. Dieser schöne, von biblischen Geschichten, davon, wie auszutauschen. Wir besprachen in diesem fröhliche und lehrreiche Abend wird uns Mose in einem Körbchen im Fluss ausge- Rahmen insbesondere die verschiedenen allen noch lange in guter Erinnerung setzt wurde, von den zehn schrecklichen individuellen Bedeutungen, die das Jü- bleiben. Swetlana Fork Plagen, dem brennenden Dornbusch und disch-Sein für sie hat, welche konkrete vom Leben der Israeliten in Ägypten. In Rolle dies in ihrem Alltag spielt und was den Bildern kommt deutlich zum Vor- sie dazu bewegt, die Gemeinde und spe- Jugendarbeit in der IKG schein, mit wie viel Freude und Kreativität ziell die Jugendgruppe zu besuchen. Ich In der Jugendgruppe lernten die Kinder die Kinder und Jugendlichen ihre Ideen danke allen Jugendlichen, die an den Dis- und Jugendlichen in den letzten Monaten künstlerisch zum Ausdruck brachten. kussionen teilnahmen, für ihr Engage- viel über Bedeutungen und Rituale rund Auch musikalisch wurde die Jugendgrup- ment und ihre Offenheit. um die drei bedeutsamen Feste der Omer- pe im Mai anlässlich Schawuot aktiv. Be- Zeit: Pessach, Lag BaOmer und Schawuot. gleitet von Anna Faerman am Klavier Swetlana Fork, Studentin der Universität So wurde zu Pessach in der Jugendgrup- wurde das fröhliche Lied „Ki Mi Zion“ Bamberg

Seder-Abend in der Gemeinde Bamberg. Jom Haazmaut am 19. April 2018.

36 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Blick in die Zukunft sind, die Herausforderung anzunehmen, Mischkan-Ha-Tfila jüdisches Leben in Deutschland auf Dauer Bamberg e.V. Ich freue mich immer wieder, unsere Ge- aufzubauen. Hier ist die Generation unse- meinde für unsere Mitglieder, Familien- rer Zuwanderer gefordert, die in unserer Am zweiten Wochenende im März gab es angehörigen, aber auch für Gäste von Gesellschaft schon ihren Platz gefunden in der Liberalen Jüdischen Gemeinde außerhalb attraktiv zu gestalten. Wir ha- hat. Sicherlich sind die meisten noch da- Misch kan-ha-Tfila Bamberg e.V. zwei wich- ben in den letzten Jahren viel geschafft. mit beschäftigt, für sich und ihre Familie tige Ereignisse. Am Schabbat wurde der Die jetzt vergangenen 3. Jüdischen Kul- eine gesicherte Existenz aufzubauen. Er- Gemeinde in einem kleinen Festakt eine tur tage Bambergs haben dies gezeigt. So fahrungsgemäß kommt erst im Alter, Torarolle von Irith Michelsohn, der Gene- viele Besucher hatten wir ansonsten nur wenn man bereits beruflich in der Gesell - ralsekretärin der Union Progressiver Juden, bei wenigen Malen. Besonders das Auf- schaft arriviert ist und wenn die Kinder als persönliche Dauerleihgabe übergeben. taktkonzert von Evgeny Fischkin, aber groß sind, das Streben, auch außerhalb Die Gemeindemitglieder mit Rabbinerin auch der Vortrag von Herrn Klemenz von der Familie an der Politik in der Gemein- Dr. Antje Yael Deusel an der Spitze waren der Bierothek Bamberg mit anschließen- de mitzuwirken. Aber auch unsere jungen darüber mehr als glücklich und dankten der Bierverkostung „Weiße Taube“ waren Erwachsenen, die bei uns lebenden Stu- Frau Michelsohn dafür. Danach leitete Rab- ein Highlight. Zusammen mit der reno- denten, sind gefordert, aktiv an der politi- binerin Deusel, unterstützt durch Kantor vierten Arbeitsgemeinschaft der Deutsch- schen Willensbildung unserer Gemeinde Yuval Adam, den Morgengottesdienst. Israelischen Gesellschaft, dem Jungen mitzuwirken. Von daher begrüße ich es Am nächsten Tag kamen viele Mitglieder Forum der DIG und dem damit verbunde- sehr, dass unsere Studenten einen Schab- zur Jahreshauptversammlung mit Neu- nen Café Israel in der Universität Bam- batonkreis aufziehen möchten und wir wahlen der Vorstände in den Gemeinde- berg und mit unserem langjährigen Ko- haben der jungen Gruppe unsere Unter- saal. Vor der Entlastung des Vorstandes, operations partner, der Willy-Aron Gesell- stützung, auch finanziell, zugesagt. Der der am Vortag den Rücktritt erklärt hatte, schaft Bamberg e.V., hoffen wir, dass auch Schabbatonkreis will jedes Quartal einen bedankte sich die Rabbinerin in ein- jüngere Menschen, die sich für Israel und fränkischen Schabbaton gestalten und drucksvollen Worten bei den ausscheiden- das Judentum interessieren, eine Anlauf- die jungen Leute aus den Gemeinden den Vorständen Alexander Kantorowitsch stelle für ihre Fragen und ihren Wunsch, rund um die IKG Bamberg einladen. Das und Dr. Elisabeth Käser-Barga. Judentum praktisch zu erfahren, in der soll auch den uns umgebenden Gemein- Danach erfolgten die Wahlen. Der 1. Vor- Gemeinde finden. den zeigen, dass hier in Bamberg libera- sitzende ist jetzt der frühere Lay Leader les Judentum gerne gelebt wird. der Jüdischen US-Militärgemeinde Fran- Mit unserem neuen Gastrabbiner Dr. Sa- ken, Rektor i. R. Israel Schwierz aus Würz- lomon Almekias-Siegl von der Allgemei- So erfreulich und wichtig das Engage- burg. In das Amt der 2. Vorsitzenden wur- nen Rabbinerkonferenz haben wir einen ment unserer Senioren auch ist, die ge- de die Judaistin Prof. Susanne M. Tala- profunden Kenner des Judentums und genwärtig die Aktivitäten in unserer Ge- bardon gewählt. Thomas Dror Schindler praktischen Seelsorger, der einfühlsam in meinde wesentlich gestalten, so hoffe ich wurde Schriftführer und Fiona Atay-San- gutem Deutsch die Gemeindemitglieder dennoch darauf, mit der jüngeren Gene- dyk Schatzmeisterin. Judith Bar-Or erreicht. ration den Fortbestand der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und die Zukunft Die Mitarbeiter vom Bundesfreiwilligen- der jüdischen Gemeinschaft in Deutsch- dienst unterstützen uns sehr, und mein land zu sichern. Sie haben die Möglich- Erlangen Dank geht auch an alle Ehrenamtlichen keit, sich im Vorstand der Israelitischen und Vorstandsmitglieder, die sich selbstlos Kultusgemeinde, aber auch im Chor, im Mittelfränkischer Denkmal- für die Gemeinde engagieren, sei es in der Literaturcafé, im jüdischen Lehrhaus Bam- preis für Tahara-Haus Bibliothek, Kulturarbeit und Jugendarbeit, berg – Heinrich C. Olmer oder bei den Chor und vielen anderen Aufgaben. Nicht vielen anderen Aktivitäten zu engagie- Das historische Tahara-Haus auf dem zuletzt unser Mitarbeiterstab und die Be- ren. Über Ihre Mitwirkung zum Wohle Friedhof der Jüdischen Gemeinde an der rater garantieren einen reibungs losen Ab- der jüdischen Gemeinschaft würde ich Rudelsweiherstraße wurde 2015 bis 2017 lauf aller Verwaltungsangelegenheiten. mich freuen. Alles Gute und vor allem umfassend restauriert (siehe dazu auch: Gesundheit im Neuen Jahr 5779. JÜDISCHES LEBEN IN BAYERN, Dezem - Was uns in Zukunft bewegen wird, ist das ber 2017, Seite 38). Nun hat die Gemein- Bemühen, Menschen zu finden, die bereit Martin Arieh Rudolph, 1. Vorsitzender de dafür einen Denkmalpreis des Bezirks

Mittelfränkischer Denkmalpreis für Tahara-Haus. Das Vermessungsteam.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 37 Mittelfranken erhalten. Die Ehrung er- deren Dienst erwiesen. Zur Aner kennung entführten sie unsere Seelen und Herzen folgte im Rahmen einer öffentlichen Feier ihres Engagements haben wir am 7. Juni in die mysteriöse und zauberhafte Welt in Erlangen im März dieses Jahres. 2018, anlässlich der Vorstellung des Pro- der Musik“, fuhr sie begeistert fort. „Mein Zofia Fishmann vom Gemeindevorstand jekts vor der Studentenschaft, allen Betei- Dank gilt allen, die uns dieses wunder- nahm die Urkunde entgegen, in welcher ligten eine Urkunde überreicht. volle Erlebnis geschenkt haben.“ die „hervorragenden denkmalpflegerischen Christof Eberstadt Nach dem Konzert durfte eine Flasche Leistungen“ gewürdigt werden, mit denen koscheren Weins als kleines Dankeschön unsere Gemeinde dazu beigetragen hat, Das klingt wie jüdische nicht fehlen. Zudem stimmte die Bereit- „wertvolles Kulturgut in unserem Raume Musik in meinen Ohren schaft des Quartetts, im nächsten Jahr [zu] erhalten“, wodurch sie sich „um die noch ein Konzert in der Gemeinde zu ge- Heimat verdient gemacht“ hat. In einem Ausgerüstet mit einem Cello, zwei Vio- ben, das Publikum glücklich. zusammen mit der Urkunde übergebenen linen und einer Viola kamen die Musiker Ein weiteres Konzert, ebenfalls vom Zen- Buch ist das Projekt kurz beschrieben und Misha Nodelman, Evgenij Selitski, An- tralrat finanziert, konnten wir Mitglie- bebildert. Unsere Projektleiterin Johanna dreas Kosinski und Mark Mefsut am 29. dern und Gästen am 13. Juni, zum 70. Käferlein und Chris tof Eberstadt als Unter- April zu einem Konzert in unsere Ge- Geburtstag des Staates Israel anbieten. stützer des Unternehmens vertraten die meinde. Ein weiteres Mal entpuppten sich Ina-Esther Joost Ben-Sasson ist eine ganz ungezählten Mithelfer. C. E. die gut gelaunten Musiker des Nodelman- besondere Cellistin aus Israel. Ihre wert- Quartetts als Geheimtipp der Klassik- vollen Erklärungen und Geschichten zu Vermessung des Friedhofs szene. Zahlreiche jüdische Melodien wie den Stücken ließen die Musik noch leben- als Seminararbeit „Hava Nagila“ oder „Bei mir biste schejn“ diger werden. Verschiedene kulturelle Ele- umschmeichelten die Herzen und Ohren mente europäischen, chassidischen und Im September 2017 wurde mit Prof. Dipl.- der Zuhörer. Über jüdische Folklore bis sephardischen Ursprungs hinter ließen mit Ing. Berthold Best von der Fakultät Bau- zur Kammermusik war alles vertreten. der wunderbaren Cellomusik dieser au- ingenieurwesen der Technischen Hoch- Begeisterung lag in der Luft. Die große ßergewöhnlichen Künstlerin beim Publi- schule Nürnberg vereinbart, unseren Spielfreude der Musiker übertrug sich kum einen tiefen Eindruck. PM-ERL Fried hof am Burgberg im Fachbereich Ver- bereits in den ersten Augenblicken auf messung als Gegenstand einer Seminar- den gut gefüllten Gemeindesaal. „Wir ha- Jüdische Studenten arbeit anzubieten. Vier Studentinnen ben schon seit vielen Jahren die Möglich- feiern mit Gemeinde wählten das Thema für sich aus. Nach keit, durch den Zentralrat der Juden in Bereitstellung der digital erfassten topo- Deutschland, zweimal im Jahr ein Kon- Am 13. Mai versammelten sich über 100 grafischen Grunddaten durch die Stadt zert in unserer Gemeinde auszutragen. Gäste im Garten der Gemeinde, um mit Erlangen und nach einer Besichtigung im Dies haben wir stets gern genutzt. Die dem Jüdischen Studentenverein Jom November begannen die Arbeiten vor Ort vorhergehenden Konzerte waren zwar Haaz maut und Jom Jeruschalajim zu im Spätwinter 2017/18, als Schneefrei- gut, aber dieses hier hat die Erwartungen feiern, darunter viele alte und junge Men- heit bestand und die Vegetation noch übertroffen“, berichtete Sofiya Fishmann, schen und zahlreiche Studenten. Die an- minimal entwickelt war. Beisitzende des Vorstands der Jüdischen gekündigten dunklen Wolken und der Vom 12. bis 16. März erfassten Jennifer Kultusgemeinde. Regen machten Platz für einige sonnige Baumann und Selina Maidhof mit dem „Als die ersten Töne erklangen, beschlich Momente. Neben der bezaubernden Aus- Theodolithen mehrere tausend Mess- mich ein unglaubliches Gefühl. Ich stellte sicht sorgte der Jüdische Studentenverein punkte. Zur Unterstützung der Feldarbeit mir vor, wie ich in einem großen Konzert- für Speis und Trank, auch israelische bei der Auswertung im technischen Labor saal saß und den Meistern ihres Faches Köstlichkeiten durften nicht fehlen. setzte man eine Fliegerdrohne ein, die lauschte. Während meine Ohren von den Aber nicht nur das Essen trug zur aus- vom Pilot Thomas Killing in 50 m Höhe Klängen verzaubert waren, entging mei- gelassenen und fröhlichen Atmosphäre über das Gelände gesteuert wurde und nen Augen nicht, dass diese bescheidenen bei, sondern auch die Klezmer-Band von dabei digitale Fotografien an die Boden- Männer auch noch jung, attraktiv und Leonid Henkins. Wir feierten, sprachen, station schickte. Aus den Einzelfotos talentiert waren. Vom ersten Moment an tranken, genossen das Wetter und solida- montierten Michael Buschbacher und El- mar Faltermeier ein Foto des gesamten Geländes, das der Gesamtkontrolle und als Grundrahmen für die verzerrungs- freie zweidimensionale Darstellung nach Verarbeitung der dreidimensional erfass- ten Vermessungsdaten durch Sina Mei- dinger und Nicole Butto diente. Das Ergebnis der Gemeinschaftsarbeit ist die Erfassung und Darstellung des Be- standes mit modernsten Mitteln. Wir ver- fügen nun über einen Grundriss unseres Friedhofs, auf dem alle Gräber des Alten und des Neuen Teils zu erkennen sind, wie auch die beiden Denkmäler, das Tahara-Haus mit Pumpenschacht und der Geräteschuppen; außerdem sämtliche Büsche und Bäume und der Zaun, der das gesamte Gelände umschließt. Damit hat die Technische Hochschule Nürnberg unserer Gemeinde einen beson- Jom Haazmaut-Gartenfest.

38 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 risierten uns mit Israel. Dem Grillen ging stadt, angeregt durch die Lehrerin Ger- gen brachten wir den Kindern Freude. Die sogar ein Morasha Workshop in Zusam- traud Großkopf der 10. Klasse der Fach- Mitglieder des Jugend-Zentrums traten menarbeit mit dem Studentenverein Fran- und Berufsoberschule Erlangen, während mit einem Theaterstück, Liedern und kens voraus. Auch hier war das 70-jährige zwei Unterrichtseinheiten mit rund 25 Tänzen auf. Das Ensemble „Chawerim“ Jubiläum Israels selbstverständlich The- Schülern ein Gespräch geführt. Ziel war spielte Tum Balalajka. Der Chor Schalom ma. es, den Jugendlichen zu zeigen, dass der unter der Leitung von Alla Urizka hat uns Es waren jedoch nicht nur die benannten heutige Umgang mit Menschen, die an- eine großartige Stimmung gebracht. Die Anlässe, die Grund zum Feiern gaben, ders scheinen, berechtigten Anlass zur Musik der Brüder Landsmann und der sondern auch die offizielle Neugründung Sorge gibt, es könne sich etwas wieder- Gesang von Anna Vinichuk, Stella Ayn- des Studentenverbands Erlangen JSE, der holen, was überstanden geglaubt schien. binder und Elena Vinogradova ließen den bereits seit 2009 Gestalt annahm. Das Der Referent berichtete über das Leben Tag harmonisch ausklingen. Aufleben alter, jüdischer Werte lag vielen seiner Großeltern als Vertreter einer typi- Im März-Treffen des Club Injan hielt Ljud- Erlanger Studenten, insbesondere Chaim schen deutschen national denkenden Fa- mila Zelenko einen Vortrag über „Die Haidar, einem der Gründer des JSE und milie des frühen 20. Jahrhunderts. Sie ha- schönsten, prominenten jüdische Frauen stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden ben ab 1879 die Blüte der Emanzipa tion des Universums“. Am 25. 3. hatten wir der Kultusgemeinde Erlangen, am Herzen der Juden im Deutschen wilhelminischen ein sehr schönes Konzert mit dem Quar- und so konnten sie sich nach längerer Reich persönlich erlebt. Am Anfang des tett Tamara Lukasheva. Sie beeindruckte Planung ihren langersehnten Wunsch er- Ersten Weltkrieges wurden sie als Deut- uns mit Melodien von sowjetischen Zei- füllen und ihre eigene Solidarität zum sche aus ihrem Wohnort in Belgien ver- ten, aber auch mit Eigenkompositionen. Ausdruck bringen. Die heitere Stimmung, trieben. Nach der Weimarer Zeit mit Infla- Erew Pessach begann mit dem Abend- die fröhlichen Gesichter und die gut ge- tion und goldenen Zwanzigern durchlitten gebet für Schabbat und für den Feiertag. füllten Mägen waren wieder einmal den sie die Entrechtung während des Dritten Danach leitete Rabbi David Goldberg den großen Aufwand wert. PM-ERL Reiches, und ihr bisheriges Dasein endete Gemeinde-Seder mit dem rituellen Pes- mit der Flucht 1939 nach Südamerika, wo sach-Teller, den Matzen, den traditionel- Friedhofs-Führung sie bis 1978 lebten. Zurück im Deutschen len Speisen und den vier vorgeschriebe- Reich der Nationalsozialisten blieben nen Bechern Wein. Zum Schluss hielten Im Rahmen einer Exkursion rund um den engste Angehörige, wo sie Verschleppung wir unseren traditionellen Wettbewerb Erlanger Burgberg hat die Volkshoch- und Tod in Konzentrationslagern Europas ab, dem schnellsten Lesen von Chad-Gad- schule am 13. Mai eine Besichtigung un- erwartete, aber auch das Überleben als ja, jeder in seiner Sprache. Gewinnerin seres Friedhofs organisiert. Besonderes Entwurzelte. Der Vortragende ermahnte war Frida Lizine auf Deutsch. Interesse fanden das kürzlich wieder in die Schüler, aus den geschichtlichen Vor- Mitte April machten wie einen Ausflug Betrieb genommene historische Tahara- gängen die richtigen Lehren für das eigene nach Augsburg. In der Synagoge der Ge- Haus und das Denkmal für die Opfer des Leben zu ziehen. C.E. meinde hörten wir einen Vortrag über das Nationalsozialismus. Bei der Friedhofs- Leben der Juden in Augsburg in der Ver- Führung kamen Gastgeber und Gäste ins gangenheit. Danach gab es eine Stadt- Gespräch. Um die Geschichte unserer Hof führung und einen Besuch der alten Syna- Gemeinde und des Friedhofs darzustel- goge mit einer Ausstellung über jüdische len, haben wir beschlossen, Friedhof und Ende Februar fanden wir uns nach dem Lebensweisen. Ende April nahmen zahl- Tahara-Haus zum Tag des offenen Denk- Ende des Ta’anit Esther-Fastens in der reiche Mitglieder unserer Gemeinde an mals am 9. September für die Öffentlich- Synagoge ein, um mit Rabbiner David der Gedenkfeier des Landesverbandes in keit zugänglich zu machen. Goldberg nach Ma’ariv die Megilat-Esther Dachau teil. Die Weitergabe von Erfahrungen und zu lesen. Das Pfeifen, Trampeln und Klop- Am 13. Mai feierte die Gemeinde Jom Wissen um den Nationalsozialismus und fen der Purim-Ra’aschanim nahm beim Jeruschalajim und Jom Haazmaut im die Förderung der Integration verschie- Namen Haman kaum ein Ende. Anfang Rahmen des Familientages. Vorführun- denster Volksgruppen in ein gemeinsa- März feierten wir dann in der Gemeinde gen gaben das Jugend-Zentrum Simcha, mes Ganzes liegt uns in Erlangen beson- das Purim-Fest. Es gab Kaffee, Kuchen, das Ensemble Chawerim und der Chor ders am Herzen. Als kleinen Beitrag dazu Hamantaschen und „a bissele“ Wein. Mit Schalom. Gedichte, Lieder und Tänze hat unser Beauftragter Christof Eber- Spielen, Geschenken und Überraschun- wechselten sich harmonisch ab. In jedem Abschnitt der Vorführung wurden Fotos auf eine große Leinwand projiziert, die Jeruschalajim und dem 70. Geburtstag des Staates Israel gewidmet waren. Der Gemeindesaal war mit weißen und blauen Luftballons und Papierschlangen deko- riert. Die Aufführung schloss mit der is- raelischen Nationalhymne Hatikva. Da- nach gab es die übliche Grill-Party mit Musikbegleitung der Brüder Landsmann. Auch die Schawuot-Feiertage im Mai wurden traditionell begangen. Wir alle freuten uns bei den Kidduschim über Blinchikes mit Quarkfüllung. Am 24. Mai fuhren unsere Kinder und Ju- gendlichen zusammen mit der Würzbur- ger Gemeinde nach Rothenburg ob der Tauber. Alexander Schiff aus Würzburg Kinder und Jugendliche aus Hof bei einem Ausflug nach Rothenburg ob der Tauber. gab uns eine hervorragende Stadtführung.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 39 Der Gemeinde-Ausflug Ende Mai führte Im Namen des Vorstandes begrüßte die set, mit vier Bechern Wein und der gesun- uns nach Salzburg und zum Königssee. Gemeindevorsitzende Ilse Danziger alle genen Pessach-Geschichte, der Haggada. Wir alle waren von der Aussicht, der Teilnehmer und wünschte ihnen ein fröh- „Wer den Seder schon erlebt hat“, sagte Landschaft und der guten Luft begeistert. liches Fest, gute Gesundheit und viel Er- er, „der weiß, dass man die Haggada mit Die Stadtführung in Salzburg war er- folg. Danach erzählten Anastasia, Lana, den Seder-Gebeten mitsingen kann und kennt nisreich und auch qualitativ sehr Denis, Jonathan und Odelia mit 11 selbst soll“. gut. Am nächsten Tag während der Schiff- gemalten Bildern die Geschichte von Das Pessachfest in der Gemeinde war fahrt hatten wir bei der Echo-Wand eine Purim und das Publikum konnte mehr wieder einer der Höhepunkte in unserem Auszeit genommen, um von den reflek- über die Hintergründe des Festes erfah- jüdischen Leben. Im Konferenzsaal mit tierten Tönen des gespielten Horns beein- ren, als Veronika und Mark als Waschti Gemeindemitgliedern, mit geladenen Gäs- druckt zu werden. Vor der fröhlichen und Ahasveros und Lukas und Floria als ten aus dem politischen und kulturellen Heimfahrt konnten wir auch das könig- Haman und Esther die Geheimnisse der Leben der Stadt und bei guter Laune lei- liche Schloss besuchen. Errettung des jüdischen Volkes preis- tete der Rabbiner den Seder-Abend. Mit Am 10. 6. führte unser Vorsitzender Dr. gaben und dabei erstaunliches schauspie- viel Freude und Kawanna führte er alle Jakob Gonczarowski die zahlreichen in- lerisches Talent erkennen ließen. Gäste durch die Haggada. Zum guten Ge- teressierten Gemeindemitglieder durch Doch schon folgte der nächste Höhe- lingen trugen besonders die Köchinnen die Ausstellung „Die Künstlerfamilie Pis- punkt, als Magier Dimitri die Bühne be- bei. Für die Speisen und Spezialitäten be- sarro – 15 Maler aus 5 Generationen“ im trat und Groß und Klein mit seinen kunst- dankten sich herzlich alle Anwesenden Kunstverein Hof, deren Kurator er auch vollen Zaubertricks begeisterte. Zum Ab- bei der Köchin und allen ehrenamtlichen war. Einer der Gründe, die ihn dazu schluss gab es für die junge Generation Helferinnen. Ein unvergesslicher traditio- führte, war der Umstand, dass der große Geschenke. neller Abend wurde mit gemeinsamem Maler Camille Pissarro, geboren als Jakob Nach dem Brunch (Se’udat Purim) und Singen beendet. Abraham Camille Pissarro, auch jüdisch dem gemeinsamen Bentschen konnten Am 1. Tag Pessach sprach unser Rabbiner war. die Gäste Geschenkpäckchen erwerben, über die Omer-Zählung und betonte, dass die dann als Mischloach Manot weiter am fünfzigsten Tag die Juden die Tora am verschenkt wurden. Anschließend wurde Berg Sinai bekamen. Am letzten Tag des eine Spendentüte herumgereicht, um für Festes findet nach der Tora- und Prophe- Regensburg bedürftige Menschen in Israel zu sam- tenlesung eine Seelenfeier zum Gedenken meln. Purim feierten die Regensburger der Toten (Iskor) statt. Beim Kiddusch an Purim mit Hamantaschen, Wein, Saft und Wod- diesem Tag gratulierten der Rabbiner und Zwei Wochen vor Purim erläuterte Rabbi- ka. Auch ein feierlicher Tisch mit ver- das Vorstandsmitglied Volodimir Barskyy ner Bloch in seinem Schiur die Hinter- schiedenen Speisen, israelitischen Spe- im Namen der Gemeindemitglieder der gründe dieses jüdischen Festes. Er sprach zialitäten, Kaffee, Tee und Kuchen war Mitarbeiterin Elsa Aronov zum Jubiläum über den freudigen Gedenktag, insbeson- von den Gemeindeköchinnen vorbereitet und der Köchin Ludmila Burdljai zum dere über die Errettung der Juden durch worden. Geburtstag und wünschten ihnen gute Königin Ester in Persien, und er erinnerte Pessach Gesundheit, viel Erfolg und Masel Tow. nochmals an die Geschichte von Achasch- verosch, Mordechai, Haman und Esther. So wie immer vor Pessach hat unser Rab- Jom Jeruschalajim Der alte Gemeindesaal quoll dann an biner Bloch einen Schiur zum Thema Purim nach dem Morgengebet und der „Pessach – Befreiung“ durchgeführt. Er An einem Sonntag im Mai feierten wir in Megilat-Esther-Lesung über von Mitglie- erklärte Pessach als ein großes histori- der noch unfertigen neuen Gemeinde das dern und Gästen. Dazu trugen die Kinder, sches Fest und betonte, dass wir Pessach Fest Jom Jeruschalajim. Unser Religions- Eltern und übrigen Gemeindemitglieder in Erinnerung an den Auszug der Israe- lehrer Ephraim hielt eine schöne Einfüh- bei, die gekommen waren, um das Fest liten aus Ägypten, an die Befreiung der rungsrede und zeigte uns ein bewegendes mit Leben zu füllen. Bereits am Eingang Juden aus Sklaverei, Erniedrigung und Video über die Geschichte . erwartete die Gäste die erste Überra- Knechtung feiern. Rabbiner Bloch erzählte Dann wurden Liedtexte ausgeteilt und schung: Wer Lust hatte, konnte sich von vom Seder-Abend mit Mazzot, mit ri tuel- alle Anwesenden sangen kräftig mit. Es Julia kunstvoll schminken lassen. len Speisen wie Bitterkraut und Charos- folgte eine Tanzeinlage und die ange-

Purimfeier in Regensburg.

40 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 reisten Madrichim animierten alle mitzu- Freunde gefeiert. Alle Besucher freuten tanzen. Da ich nicht besonders überzeugt sich bei den Kidduschim über den Käse- Gemeindewahlen von meinen Tanzkünsten bin, ging ich kuchen und die israelischen Spezialitäten Am 1. Juli fand eine Generalversamm- nach oben und erkundete die neue Ge- und Früchte, welche die reichen Ernte- lung mit Wahl des neuen Vorstandes meinde etwas genauer. gaben symbolisierten. der Jüdischen Gemeinde Regensburg Der neue Gebetsraum mit der hölzernen Dachau statt. Nach dem Rechenschaftsbericht Innenverkleidung und den großen Fen s- und einer Diskussion stellten sich tern, durch die man in den Himmel sehen Auch in diesem Jahr fuhr die Jüdische sechs Kandidaten zur Wahl. Danach kann, kam mir jetzt schon wunderschön Gemeinde nach Dachau zum Gedenktag setzt sich der neue Vorstand aus fünf vor und ich wusste, dass jeder Freitag- der Befreiung des Konzentrationslagers. Gemeindemitgliedern zusammen. abend in dieser Gemeinde ein besonderer Wie der Organisator, der Leiter des Klubs Die Vorstandsmitglieder Ilse Danziger, werden wird. Ich entdeckte auch den Schalom Volodomir Barskyy, schon im Wladimir Barskyy, Jakov Denissenko Raum, in dem wir Religionsunterricht ha- Bus erläuterte, jährte sich der Tag der und Irina Gaydar wurden wiederge- ben werden. Er ist geräumig und man hat Befreiung des KZ durch amerikanische wählt. Neu im Vorstand ist jetzt Irina einen schönen Ausblick auf die Straße. Soldaten zum 73. Mal. Barskyy konnte 52 Beck, die der ausgeschiedenen Lia Bugl Als ich hörte, dass die Musik wieder et- Teilnehmer begrüßen – nicht nur aus der nachfolgt. Als Ersatz wurde Regina was leiser wurde, beschloss ich, mich am Gemeinde, sondern auch Gäste aus der Romanenko gewählt. Buffet zu bedienen und genoss die Atmo- Gesellschaft für christlich-jüdische Zu- s phäre, die heute ganz anders war als die sammenarbeit und des Freundeskreises bei den sonst leider spärlich besuchten Israel in Regensburg. Erinnerung – Ehrung Festen. Ich finde es großartig, dass eine Bei der Gedenkfeier begrüßte der Zen- so schöne neue Gemeinde erbaut wird tralrats- und Landesverbands-Präsident, Zwei Tage nach Lag Baomer, den 6. Mai, und die Menschen motiviert, wieder mehr Dr. Josef Schuster, die Anwesenden und hat der Klub Schalom den Überlebenden die Synagoge zu besuchen. Mir hat das forderte in seiner kurzen Ansprache eine des Holocaust gewidmet. Die traditionelle Fest sehr gut gefallen. Jonathan Alber genaue statistische Aufgliederung anti- Veranstaltung wurde wieder im Melanch- semitisch motivierter Straftaten, um das thon-Saal des Evangelischen Bildungs- Schawuot Ausmaß besser abschätzen zu können. werks durchgeführt. In den ersten Reihen Anschließend hielt Dr. Charlotte Knob- saßen die ehemaligen Gefangenen der Im Monat Ijar sprach unser Rabbiner über loch, Präsidentin der Israelitischen Kul- nationalsozialistischen Konzentrations- das kommende Wochenfest Schawuot, tusgemeinde München und Oberbayern, lager, die Überlebenden der Ghettos, die insbesondere über die Übergabe der Tora eine bewegende Rede, in der sie auch auf in Leningrad Blockierten und die Teilneh- am Berg Sinai und über die Bräuche die- den zunehmenden Antisemitismus ein- mer der Arbeitsfront. Unter ihnen auch ses Festes. Er betonte, dass die Tora unser ging. Bewegend war auch der Beitrag der Genja Danziger (92), Lena Kanjekevitsch Lebenselixier ist und jeder von uns nach Jüdischen Jugend in Bayern mit der Vor- (93), Leonid Mednik (91), Ljusja Kaplan der Tora leben soll. Schawuot wurde tra- stellung der Lyrikerin Thekla Stoll und (85), Klara Barska (80), Raisa Lade (80), ditionell begangen. Am ersten Tag wird dem Vortrag ihres Gedichtes „Begegnung“. Pjotr Lade (80), Leonid Podolski (86) und in der Tora ein Stück aus dem 2. Buch Den Abschluss bildeten das Totengeden- Boris Wachs (86). Mose gelesen, das die Zehn Gebote ent- ken durch Rabbiner Jan Guggenheim von Vorstandsmitglied Volodimir Barskyy, Lei- hält. Im Morgengebet wird nach der Te- der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth ter des Klub Schalom, begrüßte von filla das Hallel, die Psalmen 113–118 ge- und das Kaddisch für die in der Schoa ganzem Herzen die Überlebenden und sagt. Nach der Lesung des zweiten Tages Ermordeten. Nach der Kranzniederlegung wünschte ihnen gute Gesundheit und ein findet eine Feier statt. Im Mittelpunkt der nutzten auch viele die Gelegenheit, mit- langes Leben. Er bedankte sich herzlich Aufmerksamkeit standen insbesondere gebrachte Kerzen zu entzünden. Sie be- bei den Mitgliedern der Gemeinde, den unsere KZ-Überlebende Genia Danziger suchten das ehemalige Krematorium, die Vertretern der Öffentlichkeit und vielen (91), die Ghetto-Überlebende Klara Barska Baracke sowie die Fotoausstellung im ört- deutschen Freunden. „Der Zweite Welt- (80) sowie eines der ältesten Gemeinde- lichen Museum. „Das dürfen wir nicht krieg“, betonte er, „war eine tragische, mitglieder, Monja Jusim (89). Mit uns ha- vergessen!“ – dachten die Regensburger furchtbare und unvorstellbare Seite in der ben auch Gäste aus Israel und deutsche auf der Heimfahrt. Reinhard Rößler Geschichte der Menschheit. Das, und die

Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Dachau.

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 41 sechs Millionen ermordeter Juden dürfen Getöteten eine Kerze auf und legten eine wir nicht vergessen. Otto Schwerdt sel. A. Schweigeminute ein. Der Vorsitzende un- schrieb in seinem Buch ,Erinnerung – seres Clubs Schalom Volodimir Barskyy unsere Pflicht!‘ Und wir erfüllen immer sprach das traditionelle El male rachamim sein Vermächtnis.“ Alle Anwesenden ehr- und ein Kaddisch zum Totengedenken. ten das Gedenken an die Opfer durch Er- Anschließend erzählte unser Führer Leo- heben von den Plätzen. Gemeindevor- nid uns noch einige berührende Einzelhei- sitzende Ilse Danziger ehrte die Helden ten zum Attentat und einzelnen Opfern. der Veranstaltung mit Nelken und Ge- Wir waren betrübt und froh zugleich, schenken. denn es ist gut, dass endlich dieses Mahn- Im Rahmen des Kulturprogramms des mal zu den Ereignissen geschaffen wurde. Zentralrats gratulierten den Überleben- Danach fuhren wir auf jüdischen Spuren den und Gästen die Sängerin Susan Bo- durch München und Leonid erzählte inter- rofsky, der Historiker L. Joseph Heid und essante Geschichten zu jüdischen Men- der Pianist Jaromyr Bozenko. Fast zwei schen, die hier gelebt haben. Unser letztes Stunden lang haben sie alle Zuhörer mit Ziel war Schloss Nymphenburg. Es liegt im dem Leonard-Cohen-Liederabend herr- Westen Münchens und bildet zusammen lich unterhalten. Die vorgetragenen Lie- mit dem Schlosspark und den kleinen der, vor allem „Suzanne“ und „So long, Parkburgen eine Einheit. Es zählt zu den Marianne“ ließen niemanden im Saal großen Königsschlössern Europas und ist gleichgültig. Und „Hallelujah“ von Leo- heute eine vielbesuchte Sehenswürdig- Israel Offman sel. A. nard Cohen sangen alle begeistert mit keit. Das Schloss war jahrhundertelang die und riefen „Soll immer Frieden sein!“ Am Sommerresidenz der Wittelsbacher und Barmherzigen Brüder aus einem Stapel Ende wurden alle Gäste zum Imbiss mit heute ist es für die Öffentlichkeit zugäng- von Leichen gerettet und sorgsam wieder Kuchen, Früchten, israelischen Speziali- lich. Nach einer Führung durch die Räume aufgepäppelt wurde. Am 9. Mai ist Israel täten und Wein eingeladen. und einem Spaziergang im wunderschö- Offman im Alter von 92 Jahren nach ei- nen Park fuhren wir voller Eindrücke wie- ner sechswöchigen Krankheit gestorben. Jüdisches München der nach Regensburg. Ingrid Liemant Er überlebte mehrere KZ, wurde Vater und Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. Der 5. September 1972 gehört zu den Israel Offman war 1925 als jüngstes von schwärzesten Tagen der Münchner Stadt- sieben Kindern im polnischen Tschensto- geschichte. Bei einer Geiselnahme durch Straubing chau zur Welt gekommen. Seine Kindheit palästinensische Terroristen während der endete mit einem Schlag: 1941 wurde er Olympischen Spiele kamen elf israelische Gemeinde als Lebensaufgabe mit 14 Jahren mit seiner Familie ins Sportler und ein deutscher Polizist ums Ghetto gezwungen – eineinhalb Jahre Leben. Am 5. 9. 2017 hatten nun endlich Eigentlich hatte Israel Offman drei später wurden alle etwa 45.000 Ghetto- Bundes präsident Walter Steinmeier und Geburtstage: am 20. Juli 1925 kam er bewohner in Konzentrationslager depor- Israels Staatspräsident Reuven Rivlin ein in Tschenstochau in Oberschle sien zur tiert. Israel Offman wurde beim Abtrans- Denk mal für die Opfer des Attentats eröff- Welt. Wegen eines Verständnisfehlers port von seinen Eltern getrennt. Er sollte net (JÜDISCHES LEBEN IN BAYERN hat notierten jedoch die Nazis im Konzent- sie nie wieder sehen. Mit seinem älteren darüber im Heft Nr. 134 vom Dezember rationslager Auschwitz den 20. Mai Bruder Issac kam er in das Lager Blizyn in 2017 ausführlich berichtet). Der Gedenk- 1925. Aus Angst vor Schlägen wagte Polen, im Sommer 1944 nach Auschwitz- ort „Einschnitt“ informiert heute über die Israel Offman nicht, dem SS-Mann zu Birkenau. Hier wurde Israel Offman, so zwölf Opfer in einem Pavillon. Er war widersprechen. erzählte er es dem Regensburger Foto- auch das erste Ziel unseres Gemeindeaus- Deshalb stand der 20. Mai bis heute als grafen Stefan Hanke, wegen seiner guten fluges nach München. Geburtstag in seinem Pass. Als dritten Deutschkenntnisse als Dolmetscher ein- Als wir an diesem bedeutenden Ort an- Geburtstag empfand er den 28. April 1945, gesetzt. Mitunter übersetzte er auch für kamen, stellten wir vor den Bildern aller als er in Straubing von einem Pater der den sadistischen KZ-Arzt .

Veteranentreffen in Regensburg. Am Gedenkort „Einschnitt“ in München.

42 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Im KZ Sachsenhausen bei Berlin musste ner deutschen und ameri kanischen Gäste. Woche der Brüderlichkeit er Zwangsarbeit im Großziegelwerk leis- Wie seine Tochter schreibt, verpflichtete ten. Später wurden die Brüder nach Leon- er in den 1960ern Bands wie The Kinks, „Angst überwinden – Brücken bauen“ berg bei Stuttgart deportiert, wo sie in Black Sabbath und die Scorpions. lautete in diesem Jahr das Motto der einer unterirdischen Fabrik Teile für die Weil das Espresso gut lief, eröffnete er Woche der Brüderlichkeit, die unter der Messerschmitt-Jagdflugzeuge ME 262 pro- einen zweiten Nachtclub, das Colosseum Schirmherrschaft von Regierungsprä- duzieren mussten. In Leonberg verhun- in Regensburg. sident Rainer Haselbeck in unserem Ge- gerte Issac. Nach einigen Wochen im KZ Israel Offmans zweite Lebensaufgabe meindesaal stattfand. Die Schriftstellerin Dachau wurde Israel Offman im Februar wurde die Synagoge in Straubing. 1988 Mirjam Pressler aus Landshut las aus ih- 1945 bei eisigen Temperaturen im offe- war er treibende Kraft bei ihrer Sanierung rer Werkausgabe der Tagebücher von nen Viehwaggon nach Plattling depor- und sammelte unermüdlich Spenden. Als Anne Frank, und die musikalische Gestal- tiert. Die Zwangsarbeiter mussten auf Gemeindevorsitzender erhielt er viele Aus- tung des Abends übernahmen Schülerin- dem niederbayerischen Flugplatz Gan- zeichnungen, darunter das Bundesver- nen des Gymnasiums der Ursulinen. acker eine Rollbahn bauen. Sie schliefen dienstkreuz. Offman saß auch im Direkto- in Erdlöchern – zahllose Häftlinge star- rium des Zentralrats der Juden in Deutsch- Fotoausstellung ben durch Hunger, Kälte, Auszehrung land und engagierte sich für den Dialog Schalom Straubing und alliierte Bombenangriffe. zwischen den Juden und Christen. „Israel sah Berge von Leichen und auch Dem aktuellen Gemeindeleben gewidmet Fälle von Kannibalismus“, schreibt Stefan Purim war eine Ausstellung der jungen Strau- Hanke in seinem Buch „KZ überlebt“. US- Am letzten Sonntag im Februar haben binger Fotografin und Kulturförder- Soldaten fanden den bis auf 29 Kilo- viele bei unserer Kinder-Party zu Purim preisträgerin Franziska Schrödinger. gramm abgemagerten Offman. Der Zei- mitgemacht. Wir führten ein Puppenthe- „Meine Arbeit soll einen emotionalen tung „Jüdische Allgemeine“ sagte er 2010: ater mehrsprachig auf und haben ge- Eindruck des Gemeindelebens wider- „Ich lag bei den Leichen, weil ich nicht meinsam getanzt und gesungen. Unser spiegeln“, erläutert die Fotografin. „Sie mehr atmete. Als mir ein Pater die letzte Purimspiel basierte auf dem Buch Esther erhebt keinen Anspruch auf Vollstän- Ölung geben wollte, habe ich die Augen mit der Königin Esther, Haman und Mor- digkeit, sie zeigt Leben, wie es statt- aufgeschlagen und gesagt: Nicht taufen, dechai. Zum Schluss machten sich alle findet, mit allen Besonderheiten und ich bin Jude. Das war am 28. April 1945.“ Kinder über Haman lustig. allen Banalitäten.“ Im Krankenhaus in Straubing kämpfte Diese Purim-Party war für einige Familien Franziska Schrödinger zeigte eine repor- sich Offman in ein zweites Leben – und der erste Kontakt zur jüdischen Tradition. tageartige Auseinandersetzung mit der drei Jahre später für die Unabhängigkeit Die kostümierten Kinder erhielten für jüdischen Gemeinde. Dazu wurden Men- Israels. 1950 kehrte er nach Straubing ihre Verkleidungen als Könige, Prinzes- schen fotografiert, die wichtige Funktio- zurück – und begegnete dort seiner zu- sinnen und Tänzerinnen einen Preis und nen einnehmen. So sind auch Portraits künftigen Frau Inge. Israel und Inge hei- ein traditionelles Purimgeschenk. Durch von Verantwortlichen der Gemeinde ent- rateten 1955. das Programm führte Baruch Chauskin. standen, vom Rabbi, der Religionslehre- Auch beruflich packte Israel Offman sei- Leckere Hamantaschen und andere Spe- rin und der Sozialarbeiterin. Unterstützt ne Zukunft an. Inge und er kauften 1958 zialitäten rundeten einen gelungenen wurde die Fotografin von Alexandra Ros- das Straubinger Ring-Café und verwan- Abend ab. Die traditionelle Purimfeier für zkowski, die mit verschiedenen Personen delten es in den Nachtclub Espresso – den Erwachsene fand am 4. März bei Essen, Biografiegespräche geführt hat. Das Pro- ersten Tanzclub in Niederbayern mit Live- Trinken und Unterhaltung im Gemeinde- jekt wurde im Rahmen des Bundespro- Rockmusik. Offman bewies gutes Gespür saal statt. Alex Burdo hatte den Nachmit- gramms „Demokratie leben! Aktiv gegen für Bands und den Musikgeschmack sei- tag musikalisch begleitet. Rechtsextremismus, Gewalt und Men- schenfeindlichkeit“ sowie durch das Kul- turamt der Stadt Straubing gefördert.

10. Straubinger Religionsgespräch Das Straubinger Religionsgespräch feierte mit seiner 10. Ausgabe ein kleines Jubi- läum. Es fand am 19. April in unserem Gemeindesaal statt. „Synagoge – Kirche – Moschee“ hieß dieses Mal das Thema. Die religiösen Gebäude erzählen ja viel von der Lehre einer Religion und dem Leben der Gläubigen. Was ist zentral in der Reli- gion und steht deshalb auch im Mittel- punkt des religiösen Versammlungsortes? Welche Symbole, Bilder, Einrichtungs- gegenstände sind wichtig? Wo habe ich meinen Platz? Wie verhalte ich mich in der Synagoge, der Kirche, der Moschee bei ei- nem Besuch oder bei einem Gottesdienst? Wie immer haben Rabbiner Mendel Mu- raiti von der gastgebenden Israelitischen Kultusgemeinde, Imam Bayram Aydin Siegesblume am „Tag der Befreiung“. von der türkisch-islamischen Gemeinde

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 43 und Pfarrer Heinrich Weber für die Chris- die Kleinen machten den Feiertag zu ei- Respekt begehen. Am 10. Mai wurde der ten in das Thema eingeführt. Dann haben nem festlichen Ereignis. Die Stimmung Tag der Befreiung in unserer Gemeinde jeweils Laien darüber Auskunft gegeben, war gut. Es sind viele Familien gekom- feierlich begangen. Zahlreiche Mitglieder was ihnen an ihrem Gebäude wichtig ist. men. Bei angenehmen Frühlingstempera- haben sich versammelt, um unsere Vete- Dazu konnte jeder Besucher Fragen stel- turen und angeregten Gesprächen fand ranen zu ehren. Es war ein besonderer len. Pfarrer Hasso von Winning mode- der Lag baOmer einen schönen Ausklang. Nachmittag, der den Veteranen und rierte den Abend. Über lebenden des Holocausts gewidmet Die Idee bei diesen Religionsgesprächen Jugendarbeit ist und auch ein Gedenktag für die Opfer ist die Einsicht, dass Angehörige der ver- des Na tionalismus. schiedenen Religionen nicht übereinan- Unsere Gemeinde ist stolz auf den regen Unter der Regie von Luisa Zap wurde der, sondern miteinander reden sollten. Zuspruch von Kindern und Jugendlichen, von den Kindern ein Theaterstück auf- In loser Folge werden eine Reihe von The- deren Förderung uns sehr am Herzen geführt. Dank ihrer Bemühungen wur- men des Glaubens angesprochen. Reihum liegt. Zu nennen ist hier vor allem die den Dut zende Tänze auf sehr hohem ist immer eine Religion Gastgeberin. Theatergruppe, die aktuell von über 20 Niveau vorgeführt. Sie widmete viel Kraft Am Beginn des Abends stand ein gemein- Kindern und Jugendlichen besucht wird. und Energie der erfolgreichen Durch- sames Zeichen der drei großen mono- Unsere Jugend zeigt Interesse an den führung dieses Nachmittags. In den ers- theistischen Religionen, indem das so ge- jüdischen Traditionen und nimmt regel- ten Reihen saßen die Kriegsveteranen, nannte ‚gemeinsame Straubinger Bekennt- mäßig an den Veranstaltungen der Ge- die Überlebende der Leningrader Belage- nis’ gesprochen wird – eine Erklärung meinde teil. rung und die Soldaten der Arbeitsfront. zum guten Zusammenleben der Religio- Unter ihnen Boris Koline, Rafael Levine, nen in Respekt und Toleranz. Ziel ist es, Tag des Sieges Olga und Michael Sherel. Die Kinderauf- trotz der Unterschiede zu einem gegen- Vor 73 Jahren, am 9. Mai, endete der führung „Soll immer Frieden sein“ hat seitigen Verstehen und einem freund- Zweite Weltkrieg. An diesem Tag denken bestimmt jeden im festlichen Saal be- schaftlichen, ja fast heiteren Miteinander wir mit Stolz an unsere jüdischen Kämp- rührt. zu finden, so wie es bei den bisherigen fer und Kämpferinnen, die gemeinsam In einer stillen Gedenkminute erinnerten Religionsgesprächen möglich war. mit anderen Nationen an den Fronten des sich alle an die Freunde und Kameraden, Großen Vaterländischen Krieges gekämpft welche ums Leben gekommen waren. Die Gedenkfeier KZ haben. Für diesen Befreiungstag müssen Aufführung wurde mit anhaltend langem wir immer dankbar sein. Die Beendigung Applaus und dem Zwischenruf „Soll im- Wie jedes Jahr fuhren wir am 29. April des Zweiten Weltkrieges in Europa hat mer Frieden sein“ beendet. Jeder Kriegs- nach Dachau und nahmen an der jährlich viele Menschen und uns Juden besonders veteran wurde mit Nelken als Symbol des stattfindenden Gedenkveranstaltung des von einem schrecklichen Albtraum erlöst. Sieges geehrt. Anschließend kam unser Landesverbandes teil. Anschließend fuh- Es ist eine Tradition am Tag der Befreiung Chor unter der Leitung von Marina Ko- ren wir mit dem Bus nach München. unsere Veteranen zu ehren. petska auf die Bühne und erfreute alle Zu- Der Tod von Israel Offman sel. A. über- schauer mit den lebhaften Liedern damali- Lag baOmer schattete die Veranstaltung. Aber nach- ger Zeit. Es war eine wunderbare Veran- dem der Vorsitzende diesen Tag vor 20 staltung, die mit großem Applaus der Zu- Am 3. Mai haben wir in unserem Garten Jahren zum Feiertag für die Gemeinde schauer endete. Lag baOmer mit einem Grillfest gefeiert. ausgerufen hatte, wollte man ihn auch Herzlichen Dank an alle Mitwirkenden Würstchengrillen, Softdrinks, ein lecke- ihm zu Ehren nicht ausfallen lassen, son- für die Organisation und die Durchfüh- res Buffet und natürlich viele Spiele für dern mit der gebührenden Würde und rung des Nachmittags.

Es ist eine Tradition am Tag der Befreiung unsere Veteranen zu ehren.

44 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Gedenkstätte Würzburg Dürrenberg übergeben Der historische Grabstein In Heidingsfeld erinnert seit Anfang Juli eine Gedenkstele am Dürrenberg zusam- Anfang Juni machten sich sechs engagier- men mit drei Informationstafeln an die te ehrenamtliche Museums führe rin nen Geschichte der Jüdischen Gemeinde und auf den Weg nach Höchberg bei Würz- an die zerstörte Synagoge. burg, um einen historischen Grabstein zu Seit Jahren sei das Gedenken an die Würz- bergen und ihn ins Museum Shalom burger Juden, die früher hier lebten, von Europa zu bringen. „Der Stein gehörte denen viele verfolgt und ermordet wur- ursprünglich zu dem 1147 angelegten den, ein wichtiger Teil der städtischen Er- mittelalterlichen Judenfriedhof auf dem innerungskultur, erklärte der Würzburger Gelände des heutigen Julius spitals“, er- Oberbürgermeister Christian Schu chardt läuterte dazu Franz Josef Erb. „Nach der bei der Einweihung des Gedenk ortes. „Wir Zerstörung des Friedhofs im 16. Jahrhun- werden alles tun, um zu verhindern, dass dert wurden fast alle Grabsteine für das Rassismus, Antisemitismus und Ausgren- Mauerwerk des Frauenklosters St. Markus zung von Minderheiten in Würzburg wie- im Stadtteil Pleich verwendet. Beim Ab- der gesellschaftsfähig werden.“ Deshalb riss dieses Gebäudes im Jahr 1987 waren sei es gerade heute so wichtig, die Erinne- viele Steine verschwunden.” rung wach zu halten und das gute Mitein- Dennoch gelang es David Schuster und ander in Würzburg zu fördern. „Wir sind Prof. Karlheinz Müller, diese Hinterlas- Foto: Franz Josef Erb gemeinsam für den Frieden in der Stadt senschaft zu retten, um die Steine später verantwortlich“, so Schuchardt. im Kulturzentrum, eingebunden in mo- Vor Ort wurde dann am 10. Juni zunächst Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentral- derne Museumspädagogik, zu präsentie- fleißig mit dem Spaten gearbeitet, bis der rates und der Würzburger Gemeinde, strich ren. Diese Zeitzeugen aus Stein erinnern Grabstein frei lag. Vier Männer und eine die Rolle der Jüdischen Gemeinde in Hei- heute an eine recht lebendige jüdische Frau bemühten sich anschließend, den dingsfeld heraus. Da Juden damals in Gemeinde zwischen 1126 und 1346. Findling aus der Mulde zu heben. „Der Würzburg nicht wohnen durften, wuchs Bei einer Exkursion in Höchberg vor ei- Stein war sehr tief im Boden verankert“, die Heidingsfelder Gemeinde zu einer der nem Jahr stellte Prof. Müller auf dem berichtete Klaus Warmut. „Deswegen fiel bedeutendsten in Bayern an. Im Laufe der Friedhof fest, dass ein Stein aus dem his- es uns nicht so leicht, ihn zu bergen.“ Für Zeit seien aber viele nach der Aufhebung torischen Bestand stammt. Es wurde dar- kurze Wege war eine Sackkarre im Ein- des Verbots nach Würzburg zurückge- über nachgedacht, wie der Findling zu- satz. Danach wurde das Fundstück mit zogen. „Es ist wichtig, dass wir die Stele, rückzuholen ist. Die Rettungsaktion mit langen Riemen in einen Autoanhänger die schon länger existiert, nun mit Worten einer längeren Vorbereitungsphase plan- verfrachtet und dort fixiert. Die Reise ausgestalten“, betont Schuster mit Blick te der Wissenschaftler akribisch, unter- von Höchberg bis zum Kulturzentrum in auf die Informationstafeln, die die lange stützt durch eine hoch motivierte Koordi - Würz burg dauerte nicht lange. Geschichte der Jüdischen Gemeinde in nierungsgruppe. „Da einige Genehmigun- „Es hat mir Spaß gemacht“, sagte danach Heidingsfeld darstellen. gen bei der Gemeinde Höchberg einge- die an der Bergung beteiligte Ursula Jä- Auf das Selbstverständnis des Städtchens holt werden mussten, wurde die Überfüh- ger. „So eine Aktion ist etwas Besonderes Heidingsfeld, das bis in die 1930er Jahre rung ein paar Mal verschoben. Bei der und nichts Alltägliches.“ Jetzt liegt der selbständig war und auch heute noch ein letzten Sitzung der Koordinierungsgrup- historische Grabstein dort, wo er auch starkes Selbstbewusstsein hat, machte pe war dann alles perfekt“, erklärte Franz hingehört, im Museum Shalom Europa in Stefan Rettner, Vorsitzender der Bürger- Urban die Feinheiten der Vorbereitungen. Würzburg. Tatjana Lodermeier vereinigung Heidingsfeld, aufmerksam.

Von links die Stadträte Heinz Braun, Benita Stolz, Emanuele La Rosa, Heinrich Jüstel, Udo Feldinger zusammen mit Oberbürgermeister Christian Schuchardt, Stefan Rettner von der Bürgervereinigung Heidingsfeld, Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, Victor Heck und Stadtrat Willi Dürrnagel vor den neuen Informationstafeln am Dürrenberg. Foto: Christian Weiß

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 45 Konzert Philosophisches Seminar S. Brauner / K. Troyke Seit 15 Jahren öffnet die Initiative des Jü- Sie kennen sich schon seit mehr als 25 dischen Soziokulturellen Vereins JSKV Jahren. Er wuchs in Ost-Berlin auf, sie in (Ru: ECKO) unter dem Dach von Shalom West-Berlin. Nach dem Mauerfall treffen Europa in Würzburg Monat für Monat sie sich immer wieder mal, aber erst vor ihre Tür für alle Interessenten, die sich drei Jahren beschließen Sharon Brauner über philosophische Problemstellungen und Karsten Troyke gemeinsam aufzutre- der modernen Wissenschaften austau- ten. „Es war beim 1. New Yorker Festival schen wollen. Pro und Contra werden 2015. Wir traten nacheinander als Solo- vorgetragen, Freunde und Gleichgesinnte sänger auf. Danach tauschten wir uns mit diskutieren lebhaft miteinander und über- unseren Eindrücken intensiv aus und be- zeugen ihre Widersacher mit triftigen Ar- schlossen, gemeinsam kreative Ideen zu gumenten. entwerfen“, kommentiert der Sänger die- Gegründet wurde dieses Forum von Pro- ses Ereignis. Seitdem gibt das Quartett feurige Solo von Geiger Daniel Weltlinger fessor E. E. Kovaljov, dem Gelehrten auf jährlich ca. 20 Konzerte in jüdischen Ge- und seine ausgeklügelte Pizzicato-Tech- dem Gebiet der Weltraumindustrie. Das meinden bundesweit. nik sorgen für langen Applaus. Harry Seminar ist in Form einer Ringvorlesung Mit freundlicher Unterstützung durch Ermer versetzt das Publikum in Staunen, so konzipiert, dass jede Sitzung aus einem den Zentralrat der Juden in Deutschland wenn er zwei Musikinstrumente gleich- Vortrag und einem daran anschließenden gastierten die Musiker aus Berlin am 3. zeitig spielt. In der rechten Hand hält er Gedankenaustausch besteht. Federfüh- Juni im Kulturzentrum Shalom Europa die Mundharmonika und mit links kreiert rend sind aktuell Stanislav Yarzhembov- Würzburg. Nach der Begrüßung bedankte er die Klavierbegleitung. skiy (Kurator) und Edvard Kovalertschuk sich Sharon Brauner bei den Zuschauern Es geht auch heiter weiter. Die Bühne ist (wiss. Sekretär). im David-Schuster-Saal für ihre Geduld der Ort, wo Sharon Brauner ihre hinrei- Über die Ziele der Veranstaltungen schrieb und ihr anhaltendes Interesse, da das ßende Wirkung entfaltet. Sie singt, tanzt, die Chefredakteurin der Gemeindezeitung Konzert zweimal wegen schlechtem Wet- spielt Ukulele und Tamburin. Karsten „Unser Panorama“ (April 2016) Margarita ter abgesagt werden musste. Troyke animiert die Zuschauer zum ge- Gogolewa: „Der Sinn dieser intellektuel- „Was brauchen wir so im Leben? Liebe, meinsamen Singen. Da im Publikum viele len ,Spiele‘ ist das Wohl. Die hohe Wahr- Gesundheit, ein paar Geldmoneten, treue russische Mitglieder der Gemeinde sitzen, heit lässt uns teilhaben an den Grundla- Freunde und auch Freude am Leben.“ So werden auch Klassiker wie „Bublitschki“ gen des Seins, und schon allein das ist ein leitet die Sängerin den ersten Song „Abi und „Schwarze Augen“ aufgeführt. Kars- kostbares Geschenk. Die Wahrheit, unter gezunt“ ein, den sie im Duett mit Kars- ten traut sich was und singt einige Lieder anderem auch die wissenschaftliche, er- ten Troyke präsentiert. Es folgen heitere auf Russisch. „Bravo!“ – ruft immer wie- höht den Menschen, erhebt ihn über den jiddische und deutsche Lieder, die das der das Publikum. Alltag auf solche Höhen, dass sein Atem Künstlerpaar mit schwungvollen Tanz- Insgesamt siebzehn Lieder auf Jiddisch, stockt. Das Hohe in der empirischen Viel- einlagen beeindruckend performt. Das Hebräisch, Deutsch, Russisch und Eng- falt zu finden ist an sich eine Kunst. Unser enganliegende Etuikleid aus Silberpail- lisch werden vom Quartett um Sharon Seminar trägt zu dieser Suche bei.“ letten betont die schöne Figur der Künst- Brauner und Karsten Troyke vorgetragen. Im Fokus der Überlegungen der Intellek- lerin. Und wenn sie tanzt, dann flattert Die Kulturinteressenten im gut gefüllten tuellen stehen gegenwärtig zwei philo- der hellgraue Strickcardigan um ihre David-Schuster-Saal sind davon sehr be- sophische Richtungen. Zum einen wird Hüften herum und der silberne Herzan- geistert und bedanken sich mit guten über die ontologische Frage nachgedacht: hänger am Hals flattert mit im Takt. Die Worten und fränkischem Wein. Was ist unsere Welt und wie entwickelt Stimmung unter den Gästen steigt. Das Tatjana Lodermeier sie sich? Zum anderen werden zahlreiche Ansichten zu einer erkenntnis-theoreti- schen Fragestellung gesammelt: Woher wissen wir das, was wir glauben zu wis- sen? Der sichere Anker der Überlegungen bleibt nach wie vor die Physik als Wissen- schaft. Außerdem werden gerne sozio- logische sowie wirtschaftswissenschaft- liche Grundannahmen in die Gespräche eingebunden. Das Seminar wird größtenteils auf Rus- sisch geführt; dennoch sind auch deutschsprachige Lektoren gern gesehe- ne Gäste. So nahm Günter Meier mit einer Reihe an Vorträgen zum Thema „Deutsche Wissenschaftler auf den Gebie- ten des Raumschiffs und Atomenergie“ am Forum teil, auch Rainer Wolf mit sei- nem Beitrag „Aberglaube auf dem Prüf- stand der Wissenschaft“. Die Sitzungen werden mit dem Studentenlied „Gaudea- mus igitur“ eingestimmt, welches ge- Vorne links Edvard Kovalertschuk, hinten rechts Stanislav Yarzhembovsky beim philo- meinsam auf Latein gesungen wird. sophischen Seminar. Foto: Larissa Dubovska Tatjana Lodermeier

46 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 JÜDISCHE JUGEND IN BAYERN

Mini-Machane

Als alle Madrichim Ende Mai im Haus koach“. Der Mittwoch begann mit dem Wiesengrund im Bayerischen Wald an- Morgengebet und einem gemeinsamen kommen, heißt es erst mal Plakate schrei- Frühstück. Danach gab es Iwrith bei ben, aufhängen, Zimmer aufteilen, Mate- Sarah Bruckner, Rav Bruckner und Or. Es rial auspacken und Programme vorberei- ging dann mit Theater-, Sport- und Tanz- ten. Nachdem wir uns spät in der Nacht chugim und anschließend Peulot in den für ein paar Stunden hinlegen konnten, Kwutzot mit dem Menora-Programm, ging es nach einem gemeinsamen Früh- welches wir Madrichim in Israel kennen- stück mit der Vorbereitung des Machane- gelernt haben, weiter. Liedes und des Tanzes weiter. Nachmit- tags kamen auch schon die Kinder und Nach dem gemeinsamen Mittagessen wir starteten nach einem gemeinsamen gingen die Kinder mit den Teamern von Mittagessen mit der Vorstellung des „Ma- den „Erlebnistagen“ für ein paar Stunden chane Menora“. Spielprogramm in den Wald. Als sie dann ganz ausgepowert und glücklich zurück- Das Madrichim-Team hat sich den Kin- kamen, gab es erst mal Abendessen und dern in Form eines Videos vorgestellt. anschließend ein Abendprogramm der Das Team des Hauses stellte sich eben- Madrichim. Donnerstag war, wie ange- falls vor und wir gingen gemeinsam die kündigt, der aktionsreichste und produk- Regeln von unserem Machane und dem tivste, aber auch der anstrengendste Tag Aufenthalt im Haus Wiesengrund durch. des Mini-Machane. Nach Morgengebet Nach dem organisatorischen Beginn ha- und Frühstück gab es, mit einer Mittags- ben wir das Machane mit einer Runde pause, bis in den späten Nachmittag ein Tanzen und Singen offiziell begonnen. Kletterprogramm und Menora-Peulot im Schon in wenigen Minuten brüllten über Zirkelsystem für die Kwutzot. 30 Kinder den Text unseres Machane- Liedes „Wo ist das Licht? – Menora! Du Tanzeinlagen zu „Toy“ waren im Tages- bist das Licht! Gib es weiter! Wir zünden ablauf nie zu vermeiden. Anschließend meinsam mit dem Team vom Haus mit jeweils eine Kerze, bis der Shabbes kommt genossen die Jungen eine Stunde Iwrit Gesang am Lagerfeuer ausklingen. Frei- und die neue Woche anfängt!“ und wir mit Rav Bruckner und die Mädchen Chal - tag ging, wie schon üblich, mit Gebet und tanzten unseren Machane-Tanz zum Song lotbacken mit Sarah Bruckner. Als krö- Frühstück los. Da es unser letzter Tag im „Toy“ von Netta, der Israel den Sieg beim nenden Abschluss des Menora-Program- Bayerischen Wald war, musste aufge- Eurovision Song Contest brachte. mes gab es ein Kwutzabattle im Menora- räumt und gepackt werden. Nach einem Brettspiel, bei dem man nur darüber Gruppenfoto-Shooting und der Verab- Danach ging es an die Einteilung der Kin- staunen konnte, wie viel die Kinder in so schiedung vom Team der „Erlebnistage“ der in Kwutzot und der Verteilung der kurzer Zeit über die Geschichte des jüdi- ging es für uns alle schon in den Bus auf Zimmer. Nach dem Abendessen gab es schen Volkes spielerisch gelernt haben den Weg nach Passau und anschließend einen Singabend mit Machane-Klassikern und das Erlernte auch erfolgreich anwen- mit dem Zug zurück nach Hause. wie „Kol haolam kulo“ und „Ana be den konnten. Den Abend ließen wir ge- Alexandra Chernyshenko

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 47 BUCHBESPRECHUNGEN

Von Bayern nach Israel Dr. Zwi Braun zum 70. Geburtstag Von Yizhak Ahren

Die Literatur zum Wochenabschnitt, der Netanya 2017). Der dritte Band soll dem- jeden Schabbat in der Synagoge vorgetra- nächst gedruckt werden. Für das noch gen wird, wächst ständig. Dass auch im unvollendete Projekt wählte Braun ein deutschsprachigen Raum nach der Schoa neues Format. Zu lesen sind nicht wie neue Kommentare und Glossen zur Tora früher abgerundete Essays zu einem be- erschienen sind, zeugt von der Lebendig- stimmten Thema, sondern wir finden nun keit des toratreuen Judentums. Ein Autor, kurze Bemerkungen zu einzelnen Versen. von dem bisher schon 4 Bände in deut- Manchmal lässt der Autor auch seine Frau scher Sprache zu den Wochenabschnitten Charlotte zu Wort kommen, die ebenfalls vorliegen, heißt Dr. Zwi Braun. Am 21. exegetische Ideen hat. November kann dieser freundliche Zeit- genosse seinen 70. Geburtstag feiern. Wie Braun im Vorwort zum ersten Band bemerkt, hat ihn schon immer das weite Geboren wurde Braun 1948 im bayeri- Gebiet der Gematriot fasziniert, d.h. der schen Rosenheim. Die Familie ließ sich in Tora-Auslegungen aufgrund des Zahlen- München nieder, wo der Knabe zur Schule wertes von Wörtern und Wendungen. ging und später an der Universität Chemie Wer Deutungen mittels Gematriot gerne studierte. Seine Dissertation schrieb Braun hat, wird viele schöne Beispiele in den auf dem Gebiet der Biochemie an der Eid- Tora Funken finden. Aber auch wer von genössischen Technischen Hochschule diesen Gleichungen oder Zahlenspielen ETH in Zürich. Neben seiner beruflichen wert sind. Braun zitiert aus den verschie- nicht sonderlich beeindruckt ist, wird in Tätigkeit war Braun stets im jüdischen denartigsten Tora-Kommentaren; ganz be- Brauns Spätwerk zahlreiche originelle Leben Zürichs sehr aktiv. Nach seiner sonders liebt er Erklärungen des liberalen Gedanken finden. Der Midrasch spricht Pensionierung ist der überzeugte reli- Rabbiners Benno Jacob. von 70 Interpretationsmöglichkeiten der giöse Zionist vor wenigen Jahren mit sei- Tora. Von jedem geistreichen Autor kann ner Frau Charlotte nach Netanya (Israel) Erwähnenswert ist, dass Wladimir Weiß- man einiges Neue lernen. übergesiedelt. berg eine Auswahl der Essays von Braun ins Russische übersetzt hat. Die „Chewro Dem Jubilar Dr. Zwi Braun wünschen Mehrere Jahre lang schrieb Braun die für Ahavas Reim“ in Köln hat dieses Werk im wir, dass er auch weiterhin viele strah- eine jüdische Zeitung obligate Kolumne Jahre 2006 veröffentlicht. Brauns Buch in lende Funken bei seinem Tora-Studium zum Wochenabschnitt im „Israelitischen russischer Sprache hat vielen Juden aus findet. Möge der stets verbindlich und Wochenblatt“ (Zürich). Aus dieser Arbeit der ehemaligen Sowjetunion als eine Ein- bescheiden auftretende Autor bei guter sind zwei materialreiche Bücher hervor- führung in die Welt der Tora gedient. Gesundheit sein selbstgestecktes Ziel (5 gegangen: „Drei Minuten Ewigkeit“ (1997) Bände „Tora Funken“) in absehbarer Zeit und „Zeitlos aktuell“ (2002). Beide Bü- Ein groß angelegtes Projekt hat Braun vor erreichen. Es freuen sich mit ihm nicht cher, die vom Publikum gut angenommen fünf Jahren in Angriff genommen. „Tora nur Familienmitglieder und seine Freun- wurden, enthalten populär gehaltene Be- Funken“ lautet der Titel des fünfbändigen de, sondern auch alle diejenigen, die trachtungen zum Wochenabschnitt, die Werkes, von dem uns bereits die ersten deutschsprachige Tora-Interpretationen selbstverständlich auch heute noch lesens- zwei Bücher vorliegen (Zürich 2013 und zu schätzen wissen.

Wolffsohns Familiengeschichte

Der Titel des Buches von Michael Wolff- titel „Eine Weltgeschichte meiner Fami- liches Festhalten an einigen wenigen Prin- sohn mag für manchen Leser irritierend lie“ wird im Laufe der Lektüre erläutert zipien, wie die Akzeptanz der Werte des klingen: „Deutschjüdische Glückskinder und einsichtig, denn aus der exemplari- Rechtsstaates, Furchtlosigkeit im Umgang – Eine Weltgeschichte meiner Familie“. schen Familiengeschichte der Wolffsohns mit Wahrheit und Dialog bereitschaft lang- Kann es „deutschjüdische Glückskinder“ lassen sich zeitgeschichtliche Erkenntnis- fristig durchaus zu einer zufriedenstellen- geben? Es gibt sie, und nach der Lektüre se ableiten. Aus dem Titel spricht also den Lebenssituation führen kann. des spannenden, ungemein informativen nicht Arroganz, sondern eher der Mut, Buches verstehe ich, wie der Historiker offen über eigenes Erleben der ganz Karl Wolffsohn, geboren 1881 in Woll- und Autor den Begriff „Glückskind“ und privaten Familiengeschichte zu sprechen stein, damals Preußen, ging um 1900 die Schreibung „deutschjüdisch“ ohne und daraus Rückschlüsse auf größere nach Berlin, wo er bei Ullstein eine Bindestrich meint. Zusammenhänge zu ziehen. Druckerlehre begann. Der junge Karl gründete 1908 mit seinen Brüdern Max Sein neues Buch ist 2017 als Hardcover Am Beispiel seines Großvaters Karl Wolff- und Jacques eine eigene Buchdruckerei erschienen und soll demnächst auch als sohn und weiterer Familienmitglieder weist samt Verlag, die Gebrüder Wolffsohn Taschenbuch erhältlich sein. Der Unter- Wolffsohn überzeugend nach, dass beharr- GmbH. Aufgrund seines Interesses für

48 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Filme entwickelte der Jungunternehmer seine Frau kennenlernte. Beide bauten nach Übernahme der Filmzeitschrift am Fuß des Tabor-Berges einen Bauern- Jenseits der persönlichen Tragödien vie- Lichtbildbühne auch ein Archiv für Filme hof auf. ler Juden, die um die Rückerstattung und Filmliteratur, „das weltweit erste ihres Eigentums betrogen wurden, analy- und bis 1933 größte Archiv für Filmwis- Max übernahm die väterliche Glasver- siert der Verfasser klar die politisch-histo- senschaft“. sicherung, mit der sich Karl in Britisch- rischen Verhältnisse, die dieses Unrecht Palästina eine bescheidene Existenz nach 1945 ermöglichten und nennt drei Er hatte erfasst, dass Kino den Menschen aufgebaut hatte und heiratete Thea, de- Gründe: das Interesse der Westmächte, mit kleinem Geldbeutel ein kleines Ver- ren faszinierender Lebensbericht in das Deutschland als Bollwerk gegen die gnügen ermöglichte, und er gründete zu- Buch eingebaut ist. Hier wird in knap- Bedrohung durch die kommunistische sammen mit anderen Unternehmern die per Form das Leben in Deutschland von Sowjetunion aufzurüsten, das weitge- „Lichtburg“-Kinos in Berlin, Essen und 1933 bis 1939, das Leben in Israel bis hend gleiche Personal in der Justiz wie Dortmund, auch das „Plaza“, ein Varieté 1947 und dann wieder in Berlin bis vor 1945 und „die Unwilligkeit der Be- mit 3000 Plätzen und die berühmte 2015 geschildert. Eine weltoffene, klu- völkerung“. „Scala“ in Berlin. Auch im Bereich der Im- ge Frau erzählt selbst erlebte Geschich- mobilienwirtschaft verfolgte Karl Wolff- te in kleinen Geschichten, die in ihrer 1957 starb Karl Wolffsohn. Der Vater von sohn mit der Wohnanlage „Gartenstadt Direktheit, Klarheit, Selbstkritik und Michael Wolffsohn, Max Wolffsohn, wid- Atlantic“ in Berlin den Grundsatz, „Men- Offenheit nicht zu überbieten sind. mete sich „bis an sein Lebensende der schen mit niedrigem Einkommen ... lufti- Einem jugendlichen Leser von heute Gartenstadt Atlantic.“ Der Geschichts- ge, lichte Wohnungen mit Grün mitten in wird hier erfahrbar, dass vor dem Glück professor Michael erbte 2000, nach dem der Stadt“ einen lebenswerten Ort zu ver- die Wachsamkeit steht, die sowohl die Tod des Vaters Max, die Gartenstadt schaffen. Neben Einkaufsmöglichkeiten eigenen Egoismen als auch die Bru- Atlantic und entschloss sich, das Fami- und Restaurants gab es dort auch eine talitäten anderer zu reflektieren hat. lien erbe zu erhalten. Die Gartenstadt Lichtburg. Die Beschreibung ihrer Herkunfts- wurde aufwändig saniert und ist heute familie Saalheimer, die in Bamberg ein Vorzeigemodell für gelingende Inte- Ab 1933 begann gnadenlos die Arisie- einen Damenkonfektionshandel be- grationsarbeit in einem vorher schwieri- rung, also die Beschlagnahmung jüdi- trieb, ist hinreißend und kann lang- gen Stadtteil Berlins. schen Vermögens. Dagegen wehrte sich weilige Stunden im Geschichtsunter- Karl Wolffsohn erfolgreich bis 1939. Von richt ersetzen. Dankbarkeit scheint durch, wenn der August 1938 bis Februar 1939 kam er in Autor an vielen kleinen Episoden deutlich Schutzhaft, „weil er sich beharrlich ge- 1949 kehrte Karl Wolffsohn nach Berlin macht, wie sehr es ihn bis heute wundert, weigert hatte, die Gartenstadt Atlantic zurück, um seinen Besitz wieder zu erlan- dass er sich „ohne Gefahr für Leib und arisieren zu lassen“. In letzter Minute gen. 1954 bat er seinen jüngeren Sohn Leben“ als Subjekt fühlen kann in einem fand er schließlich eine Lösung. „Aus tak- Max mit Frau Thea und Kind, dem da- Staat, in dem demokratische Strukturen tischen Gründen, um den Schein der mals zehnjährigen Verfasser, nach Berlin greifen. Als Professor an der Bundeswehr- Arisierung zu wahren, wurde ein Pro-for- zu kommen, um ihn zu unterstützen. universität München (1981–2012) hatte ma-Kaufvertrag verfasst. Geld floss je- Dass die einst in den besten Wohnvierteln Wolffsohn manche öffentliche Anfein- doch nicht auf Wolffsohns Konto. Es war Berlins lebende Familie Wolffsohn sich dung zu bestehen, die in der Ausein- ein Scheinkauf.“ nun als Untermieter auf kleinstem Raum andersetzung über die Begriffe „legal“ einrichten musste, ist nur ein kleiner Hin- und „legitim“ mit dem damaligen Bun- Sofort nach der Entlassung „verkaufte“ er weis auf die schwierigen Verhältnisse, desverteidigungsminister Peter Struck die Aktien der Gartenstadt an vier „Käu- unter denen die Familie um ihr Recht ge- einen Höhepunkt fand. Dennoch schreibt fer“, mit denen er jedoch in persönlicher kämpft hat. er freimütig: „Man vergleiche meine poli- Absprache „eine Treuhandschaft verein- tischen Einfluss- und Widerspruchs-, al- barte. Einer der vier Käufer gab nach so Selbstbestimmungs-Möglichkeiten mit 1945 seine Aktien unverzüglich zurück“. denen meiner Vorfahren im jeweiligen Die drei anderen konnten nur mit äußers- Militär. Nicht nur 100, sondern Lichtjahre ter Hartnäckigkeit seitens Karl Wolff- scheinen vergangen.“ sohns dazu bewegt werden. Mit Ausnah- me der Gartenstadt Atlantic hat Karl Ausführlich berichtet wird im Kapitel Wolffsohn fast sein ganzes Vermögen ver- „Götterdämmerung“ über die Streitthe- loren. Auch die Kinos in Düsseldorf, Köln men des Verfassers mit einigen öffent- und Dortmund, die Berliner und die Esse- lichen Vertretern der jüdischen Gemeinde ner Lichtburg und die Varietés. in Deutschland, wie zum Beispiel mit Heinz Galinski und Ignatz Bubis. Dabei Im Gegensatz zu vielen anderen jedoch betont der Autor: „Kaum ein Gruppen- gelang es den meisten Familienmitglie- streit ist so heftig wie ein innerjüdischer. dern unter Verlust von sehr viel Geld und Schon das Alte Testament berichtet da- Besitz das nackte Leben zu retten. Karl rüber. Jüdische Streitkultur ist meist Wolffsohn reiste mit seiner Frau Recha im heftig und nicht selten mehr Streit als Frühjahr 1939 über die Niederlande und Kultur, aber sie stärkt Individuen und Belgien nach Britisch-Palästina, wo sie Kollektiv im Überlebenskampf.“ aber nie richtig heimisch wurden. Ihre beiden Söhne, Willi und Max, die schon Es ist diese Stärkung des Individuums, dort waren, entwickelten sich unter- die sich an der persönlichen Entwicklung schiedlich. Willi wurde glühender Zionist Michael Wolffsohns vor dem Hintergrund und kämpfte in der Jewish Brigade, wo er der Schilderung historischer Fakten und

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 49 Zusammenhänge erkennen lässt. Sie sollten zuerst nach Israel auswandern. unterhaltsam zu informieren. Ein beque- macht die Lektüre neben den reinen „Galinski und ich fochten diese Mei- mes Buch ist es aber nicht, sowohl in Be- Sachinformationen so spannend. Hier nungsverschiedenheit offen aus. Er ob- zug auf den Erzählfluss als auch in Bezug schreibt jemand, der selbst heftig streiten siegte – und er hatte recht. Sage ich in- auf die Inhalte. Manchmal springt der Er- kann, über dem Streiten aber nicht ver- zwischen.“ zähler von einem Thema zum anderen gisst, dass er ein Mensch mit Schwächen und der Leser hat die Bausteine zusam- und Fehlern ist, der sich irren kann und Das Judentum von vor 1933, dem sich menzufügen, eine kleine, aber lohnens- in einer sympathischen Weise zu Selbst- Wolffsohn zugehörig fühlt, ist „ausgestor- werte Denkaufgabe. kritik und Selbstironie fähig ist. ben (worden)“. Dabei hat Wolffsohn eine Bei der Lektüre wäre anstatt der Genealo- versöhnliche Haltung, denn „unbestreit- gie in Form einer reinen Auflistung der Zum Streit mit Galinski in der Jüdischen bar hat uns die selten freundliche Außen- Personennamen die Darstellung der ver- Gemeinde Berlin sei erwähnt: „1990/91 welt durch ihre Unfreundlichkeit und wandtschaftlichen Beziehungen als gra- setzte er, sehr zum Missfallen Jerusa- Feindschaft zusammengeschweißt, aber phische Struktur hilfreicher gewesen. lems, bei der Regierung Kohl durch, dass es gab und gibt genügend innere Leit- nicht alle Juden, welche die Sowjetunion linien, die sich als individueller und kol- Priska Tschan-Wiegelmann verließen, automatisch nach Israel müss- lektiver Kompass bewährt haben. Sie wa- ten, sondern auch nach Deutschland ren lange religiös motiviert und wurden kommen könnten. Ohne diese demogra- auch trotz und nach der Verweltlichung fisch-strategische Weitsicht Galinskis konserviert.“ wäre das seinerzeit völlig überalterte und winzige Judentum in Deutschland eher Dieses Buch ist auch für junge Leser Michael Wolffsohn: Deutschjüdische Glücks- über kurz als lang ausgestorben.“ Damals hochinteressant, um sich über die Ent- kinder – Eine Weltgeschichte meiner Familie, war Wolffsohn der Meinung, Sowjetjuden wicklung der Bundesrepublik nach 1945 432 S., dtv Verlagsgesellschaft, München 2017.

Erzählungen eines jüdischen Philosophen

In der Zeit vor der Schoa war die deutsche später seine Position revidierte, hat sein Judenheit oft der Diskussionsklub des Di - Sohn Mordechai Breuer in einer Abhand- a sporajudentums. Einer der bekanntesten lung dargelegt, die von den Herausgebern Sprecher der Orthodoxie war der Reli- angeführt wird. gionsphilosoph Dr. Isaac Breuer (1883– 1946). Sein vielseitiges Werk ist in der Der neue Band der IBWA enthält auch ei- heutigen deutschsprachigen Welt nur nige bisher ungedruckte Texte von Breuer. noch Spezialisten bekannt. Das Erschei- Es handelt sich um Hochzeitsgedichte und nen einer Isaac Breuer Werkausgabe Couplets, die sich im Archiv des Kibbuz (IBWA) ist sehr zu begrüßen. Das IBWA Chafetz Chajim fanden. Diese Gelegen- macht Breuers Schriften, die originelle heitsarbeiten zeigen, dass Breuer eine Einsichten enthalten, mehr als 70 Jahre Hochzeitsgesellschaft geistreich zu unter- nach dem Tod des Autors, den Nachge- halten verstand. Der Verfasser hat diese borenen wieder zugänglich. Gedichte nicht publiziert, und er wusste wohl, weshalb er so handelte. Dem nun vorliegenden 3. Band gaben die Herausgeber M. Morgenstern und M. Hil- Erwähnenswert ist, dass im vorliegenden desheimer den Titel „Frühe literarische 3. Band sämtliche Veröffentlichungen Texte“. In diesem Buch sind kurze Ge- Isaac Breuers aufgelistet sind. Wer be- schichten über Konflikte und Lebensent- stimmte Texte lesen will, die nicht in die scheidungen sowie eine längere histori- IBWA aufgenommen wurden, weiß nun, sche Erzählung abgedruckt. Um die Lek- in welcher Publikation sie zu finden sind. türe zu erleichtern, wurden hebräische sich, wie der Autor in seiner Autobiogra- Wie geht es weiter mit der IBWA? Nach Zitate ins Deutsche übersetzt und Anspie- fie Jahrzehnte später bekannte, der Zio- dem Plan der Herausgeber wird eine kom- lungen auf biblische und talmudische nistenführer Theodor Herzl, der damals mentierte Neuedition von Breuers Haupt- Stellen nachgewiesen. In Fußnoten wer- noch lebte. werk „Der neue Kusari“ (1934) als 4. Band den historische und judaistische Erläute- erscheinen. Der Schreiber dieser Zeilen rungen gegeben. Druckfehler in den Vor- Die Erzählung schildert die Judenverfol- ist gespannt, ob Breuers in einer Fußnote lagen haben die Herausgeber korrigiert. gung in England Ende des 12. Jahrhun- erwähnte Manuskript „Ich und der Krieg“, Ein Kommentar zu jedem Text hilft dem derts. In seinem Kommentar stellt Asher das für die Forschung sicher interessant Leser eine Antwort auf die klassische Bieman fest, dass Breuer sich auf eine sein dürfte, im Rahmen der IBWA das Frage zu finden: Was wollte uns der Dich- Darstellung des Historikers Heinrich Licht der Welt erblicken kann. ter sagen? Graetz gestützt habe. Es ging dem Autor jedoch in erster Linie um Probleme des Yizhak Ahren Die historische Erzählung „Jerusalem“ 20. Jahrhunderts: Wie soll man den poli- wurde 1903 als Fortsetzungsroman in tischen Aktivismus von Juden bewerten? einer Zeitung veröffentlicht. Hinter der Die Erzählung läuft auf eine Kritik des Isaac Breuer: Frühe literarische Texte, Werkaus- Hauptgestalt David Ben Sebulon verbirgt zionistischen Handelns hinaus. Dass Breuer gabe Band 3, 294 S., LIT Verlag, Berlin, 2018.

50 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG JÜDISCHER KULTUR UND TRADITION E.V.

Simon-Snopkowski-Preis 2018

Rund 300 Gäste aus Politik und Kultur folg- ten der Einladung der Ehrenvorsitzenden der Gesellschaft zur Förde- rung jüdischer Kultur und Tradition e.V. Ilse Ruth Snopkowski zur festlichen Simon-Snopkowski-Preis- verleihung 2018 in das Cuvilliéstheater der Münchner Residenz. Kultusminister Bernd Sibler übermittelte in Vertretung des Schirmherrn, Minister- präsident Dr. Markus Söder, die Grüße der Bayerischen Staatsregierung. Aus- drücklich dankte Kultusminister Sibler Ilse Ruth Snopkowski für ihr großartiges Engagement gegen das Vergessen und für Von links: Jutta Schuster, Ehrenvorsitzende Ilse Ruth Snopkowski, Dr. Josef Schuster, die Erinnerung. Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Barbara Stamm, Präsidentin des Der Simon-Snopkowski-Preis wird alle Baye rischen Landtags. Foto: Andreas Gebert zwei Jahre von der Gesellschaft für jüdi- sche Kultur und Tradition e. V. für be- Das Schicksal von jüdischen Kindern aus Erinnerung an deren Opfer aus der Hand sondere Verdienste auf dem Gebiet der den ehemaligen Landkreisen Haßfurt, der Ehrenvorsitzenden Ilse Ruth Snop- Forschung zur jüdischen Geschichte und Hofheim und Ebern in der Zeit des Natio- kowski. Die Laudatio hielt der Präsident Kultur bzw. zum Holocaust mit besonde- nalsozialismus“ und das Gabrieli-Gym- des Zentralrats der Juden in Deutschland rem Bezug zu Bayern, vorzugsweise an nasium Eichstätt für die Ausstellung und Präsident des Landesverbands der Is- jugendliche Forscher verliehen. „Hoffnung – Das Erbe von Emilie und raelitischen Kultusgemeinden in Bayern Den ersten Preis erhielt das Regiomonta- Oskar Schindler“. Ein Sonderpreis ging Dr. Josef Schuster. Joachim Gauck zeigte nus-Gymnasium Haßfurt für das inter- an 7 Schülerinnen und Schüler des sich sehr beeindruckt von den ausge- nationale Projekt „Local traces of Jewish Gymna siums Höchstadt a. d. Aisch für zeichneten Schülerprojekten und beton- life in Europe“, bei dem über 100 Schüle- ihre herausragenden Seminararbeiten zu te: „Gemeinsam mit jungen Menschen rinnen und Schüler aus fünf europäi- „Antisemitismus in Geschichte und Ge- neue Wege zur Begegnung mit der Ge- schen Ländern (Deutschland, Rumänien, genwart“. schichte zu finden und Verantwortung zu Polen, Griechenland, Portugal) im Rah- Bundespräsident a. D. Joachim Gauck er- übernehmen für jüdisches Leben in ei- men von gemeinsamen Projekten zur jü- hielt den diesjährigen Ehrenpreis für nem offenen, demokratischen Deutsch- dischen Geschichte Europas forschten. seine herausragenden Verdienste um die land, – das ist eine große Aufgabe. Der Den zweiten Preis teilten sich das Fried- konsequente Auseinandersetzung mit der Simon-Snopkowski-Preis für die enga- rich-Rückert-Gymnasium Ebern für die nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gierten und kreativen Schüler zeigt uns, Wanderausstellung „Vergissmeinnicht – und für seinen Einsatz für die stetige dass sie gelingen kann.“

Bundespräsident a. D. Joachim Gauck (1. v. rechts) und Ilse Ruth Snopkowski (2. v. links) mit den Preisträgerinnen und Preisträgern. Foto: Andreas Gebert

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 51 RUSSISCHERUSSISCHE BEITRÄGE BEITRÄGE (Redaktion Vladislav Zeev Slepoy)

Тайна календаря

Умение делать календарные расчеты называется в еврейских мя, необходимое для одного оборота Земли вокруг Солнца. источниках «тайной». Но парадокс состоит в том, что этой Этот период принято делить на 24равных части (24 часа). Как тайной должны владеть все. В трактате «Шаббат» известно, день в еврейском календаре начинается не (75а) приводятся слова р. Шмуэля бар Нахмани от имени в полночь , как это принято в гражданском календаре, а р. Йоханана: «Откуда мы знаем, что каждый человек обязан вечером накануне. Об этом говорится в самой Торе, которая уметь вычислять календарь и движение звезд? Ведь подводит каждому из дней творения итог словами «И был сказано (Втор. 4,6): ибо это мудрость ваша и разум ваш пред вечер, и было утро – день такой-то». При расчете еврейского глазами народов. Что же это за мудрость , которая доступна календаря принято отсчитывать время от 6 часов вечера. всем народам? Это умение вычислять календарь и движение Таким образом, например, «5 часов » по «еврейским» часам звезд». Если умением делать календарные расчеты должны соответствуют 11 часам вечера по «гражданскому» времени , а владеть все – в чем же тогда «тайна»? «15 часов» 9 часам утра. (Для вычисления календаря этого вполне достаточно , а вот для определения фактического Общие сведения начала следующего дня, конечно, требуется знать время Еврейский календарь – это, пожалуй, то немногое, что захода и восхода солнца. Но это к нашей теме сейчас объединяет весь еврейский народ . И недаром для наших не относится .) мудрецов всегда было особенно важно, чтобы именно Час принято делить не на 60 минут, а на 1080 «халаким» (от в исчислении календаря среди евреев не было разногласий. «хелек», «часть»). Таким образом, 1 хелек = 3 1/3 с. (Число Когда в 922 году н. э. вспыхнул спор по поводу одной 1080 кажется несколько случайным, но на самом деле это не календарной тонкости между раввинами Земли Израиля и так. Дело в том, что оно имеет целых 32 делителя, в том Вавилонии, р. Саадья Гаон, крупнейший авторитет своего числе все однозначные числа [кроме 7 и, разумеется, 0]. Это времени, выступил на стороне Вавилонии и таким образом делает его удобным при многих вычислениях.) При некоторых предотвратил схизму – разделение еврейского народа на расчетах необходимо еще более точное указание времени. Для течения в зависимости от приверженности одному или этого используется другая единица – «рега», мгновение« », другому календарю (.т е. именно то, что произошло на 600 лет причем 1 «рега» = 1/76 «хелек» (ок. 0,04 с). позже в христианстве: тогда римский папа Григорий XIII провел календарную реформу, которая было отвергнута Православной церковью, вследствие чего ее календарь оказался смещен по отношению к католическому). Еще в древние времена, когда начало нового месяца опреде- лялось по показаниям свидетелей , которым первым удавалось разглядеть на небе тончайший серп молодой луны и которые были обязаны сообщить об этом судьям иерусалимского Синедриона, провозглашавшего в свою очередь новомесячье, – еще тогда еврейские жители тех мест , куда посланники суда не могли добраться за короткое время, были обяза- ны удваивать все еврейские праздники. Делалось это именно для того, чтобы даже в случае ошибки оставался хотя бы бы один праздничный день, общий для всех евреев. Этот обычай сохранился и после того, как после 359 года н. э. при патриархе Гиллеле IIкалендарь стал вычисляться исключи- тельно математически . Сегодня за пределами Земли Израиля удваиваются все праздники кроме Йом Киппура, а Рош га- Шана удваивается даже в Земле Израиля. Именно желанием не допустить схизмы и объясняется постановление Талмуда о том, что каждый человек обязан владеть знаниями, позволяющими ему самостоятель- но вычислить календарь. И вследствие этого все народы смогут восхититься еврейской мудростью – не столько их умением вычислять календарь (это искусство было Иссахар, сын Якова, получает премудрость исчисления календаря, доступно многим древним народам), сколько пониманием XVII век того, что именно доступный и понятный для всех календарь является залогом еврейского единства. Конечно, вычисле- Месяц и год ние календаря требует некоторых астрономических и Другие основные календарные единицы – месяц и год. Для математических знаний и аккуратности – но все никогда не определения их продолжительности используют повто- должно было стать уделом избранных . Знание общедоступно, ряющиеся явления. Самыми очевидными для наблюдения и любой человек может овладеть им. являются, с одной стороны, смена лунных фаз, а с другой, Конечно, в наше время многое делают за нас машины. Но это движение Земли вокруг Солнца, которое можно наблюдать по не избавляет нас от обязанности знать и понимать хотя бы периодическому повторению расположения «неподвижных» основные принципы, лежащие в основе календаря . Тем более звезд на небосводе (т. е. по видимому движению небосвода жаль, что для большинства евреев даже эти принципы вокруг Земли). В первом случае мы имеем дело с лунным остаются тайной за семью печатями! Давайте же поговорим о календарем, во втором – с солнечным; в первом случае них. решающую роль играет средняя продолжительность лунного месяца (ок. 29,5 дней), во втором – солнечного День (т. н. « тропического») года (ок . 365,25 дней). Легко заметить, В основе любого календаря лежит основная единица – день. что суммарная продолжительность 12 лунных месяцев День (или, точнее, сутки) – это (если не принимать во примерно на 11 дней короче солнечного года. Поэтому , если внимание некоторые астрономические тонкости) вре- следовать исключительно за фазами луны, один и тот же день

52 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 по лунному календарю будет каждый год смещаться по от- ность солнечного года принимается за 365,2464 дней ношению к солнечному, а значит – и к временам года. Именно (принятая сегодня продолжительность календарного года это происходит с календарем в Исламе, где праздники могут составляет 365,2425 дней). Теперь посчитаем: выпадать на любое время года. В отличие от Ислама, 29,53056·235/365,2464=19. Иными словами: 235 лунных христианский календарь – солнечный, и поэтому многие месяцев длятся ровно столько же , сколько 19 солнечных лет. праздники могут приходиться на любую из лунных фаз (за При этом: 235=12·12+7·13. Таким образом, для того, чтобы исключением Пасхи и связанных с ней праздников – здесь привести лунный и солнечный календари в соответствие друг сказывается влияние еврейского Пессаха). с другом, требуется в течение каждого 19-летнего периода Еврейский календарь в основе своей – лунный. Обыкновен- добавлять 7 лет по 13 месяцев – это и есть високосные годы. ный год делится на 12 месяцев , високосный – на 13. Так как По традиции, каждый 3,6,8,11,14,17 и 19 год 19-летнего один лунный месяц длится около 29,5 дней, то, на первый периода является високосным. Для того, чтобы узнать, взгляд, достаточно, чтобы длина месяцев составляла по- високосный год или нет, требуется поделить его порядковый очередно 29 и 30 суток (очевидно, что в месяце не может быть номер на 19. Если остаток будет равняться одной не целое количество дней). Так оно примерно и происходит из указанных цифр, то год будет високосным (следующий год (см. таблицу), однако есть несколько нюансов. Первая – 5779; 5779=19·304+3, т .е. этот год – високосный). сложность заключается в том, что длина лунного периода В високосный год добавляется дополнительный месяц, подвержена довольно существенным колебаниям из-за который вставляют между месяцами Шеват и Адар. Этот эллиптической орбиты, по которой Луна движется вокруг месяц называют «первый Адар», его продолжитель- Земли. Поэтому принято использовать продолжительность ность составляет 30 дней. Следующий за ним месяц получает т. н. «синодического» меся- название «второй Адар», в ца – это то время, которое в нем, как в обычном Адаре, среднем проходит от ново- номер* название количество 29 дней. Из-за того, что во луния до новолуния дней втором Адаре стандартное (новолуние – это тот 1 Нисан 30 количество дней (29) мы момент, когда луна находит- знаем, что именно этот ся примерно на прямой 2 Ияр 29 месяц и является «обыкно- между Землей и Солнцем 3 Сиван 30 венным» Адаром. Поэто- и оттого не видна). Уже в 4 Тамуз 29 му Пурим отмечается 14 Талмуде указана продолжи- числа второго Адара (14 тельность синодического 5 Ав 30 число первого Адара назы- месяца с точностью до трети 6 Элуль 29 вают «Пурим катан » - секунды: 29 дней, 12 часов и 7 Тишрей 30 «маленький Пурим»). Таким 793 «халаким» (или 29 дней, образом, если обыкновен- 12 часов, 44мин . 3 1/3 сек.; 8 Хешван 29 или 30 ный год может состоять из это значение на 2/15 сек. 9 Кислев 29 или 30 353, 354 или 355 дней, то отличается от значения, 10 Тевет 29 високосный год может которое приводит Гиппарх , иметь продолжительность в древнегреческий астроном, 11 Шеват 30 383, 384 или 385 дней. живший во II веке д. н. э., и в обыкновенном году в високосном году Длина еврейского года в на полсекунды от значения , 12 Адар 29 12 Адар 1 30 любом случае должна со- ). принятого сегодня Как уже 13 Адар 2 29 ответствовать одному из было сказано, этот про- этих значений. примечание: несмотря на то, что еврейский год начинается в Тишрее, межуток времени но- * Порядок лет еврейского отсчет месяцев ведется, начиная с Нисана сит чисто теоретический ха- календаря исчисляется с рактер, т. к. реальная длина месяцы еврейского календаря «сотворения мира». Этот лунного месяца может от- число достаточно условно, клоняться на несколько часов. Если «просто» чередовать ибо, понятно, что вычислено оно «постфактум» по датам, месяцы из 29 и 30 дней, каждый месяц будут «пропадать» 44 которые упомянуты в Торе. Традиционно считается, что мир мин. и 3 1/3 сек. Таким образом, за год «пропадает», был сотворен в 3761 году до н. э. Однако т. к. еврейский год примерно, 8 часов. Чтобы уравновесить эту неточность, начинается осенью, незадолго до окончания гражданско- примерно каждые три года следует добавлять один лишний го года , принято приравнивать гражданский год к еврейскому день. Для этого удлиняется второй месяц года – X ешван (этот по бóльшей совпадающей части . Иными словами, чтобы месяц называют еще «Мархешван»), который, таким образом, получить номер еврейского года, проще прибавлять к номеру может состоять из 29 или из 30 дней. гражданского года не 3761, а 3760. Таким образом: По причинам, о которых мы расскажем позже, также и третий 2018+3760=5778, т. е. б óльшая часть 2018 гражданского года месяц после начала года –Кислев – может длиться как 29, так соответствует еврейскому 5778 году (заметьте, что в данном и 30 дней. Таким образом, обыкновенный год еврейского случае последние цифры всегда совпадают). календаря может иметь в сумме 353, 354 или 355 дней. Год из Для того, чтобы мы могли получить всю необходимую ин- 353 дней называют «недостаточным» или «ущербным», год из формацию о любом годе, нам, однако , недостаточно знать, ка- 354 дней – «обыкновенным» или правильным« », а год из 355 ков номер этого года с сотворения мира. Требуется также дней «достаточным» или «полным». точка отсчета для лунных месяцев. За такую точку принимается новолуние месяца Тишрей 1 года по еврейскому Високосный год календарю, которое, как принято считать, пришлось на Вторая сложность заключается в том, что 12 лунных месяцев понедельник, 6 октября 3761 года д.н.э. в 11 часов 11 мин 20 с длятся в сумме примерно на 11 дней меньше, чем один утра (5 ч. 204 халаким « ») по иерусалимскому времени. солнечный год. Но многие еврейские праздники привязаны к Именно это время является точкой отсчета . урожаю, а значит, к временам года (так, например, Тора В принципе, этих данных достаточно для вычисления начала называет Пессах весенним« праздником»). Для того, чтобы любого нового месяца (для упрощения вычислений сущест- наши праздники не «ползали» по временам года , мы обязаны вует целый ряд вспомогательных инструментов, но их объяс- привести наш пока еще чисто лунный календарь в нение здесь невозможно). соответствие с солнечным . Вот как это делается: длина В своей «математической» части еврейский календарь не синодического лунного месяца принимается (если выразить ее является чем-то исключительным. Уже вавилонский ка- в десятеричной дроби) за 29,53056 дней. Продолжитель- лендарь основывался на схожих элементах. Более того, как и

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 53 любое математическое описание реальности , еврейский кален- что если новолуние состоялось после 12 часов дня, вечером дарь, основанный только на вычислениях, не идеален. Так , того же дня новой луны видно быть не может. например, он смещается по отношению к самому точному Следующее правило носит еще более практический характер: из известных календарей, григорианскому, примерно на один крайне неудобно, если самый важный праздник в еврейском день каждые 230 лет. (Мы сможем избежать нарастания этой календаре, Йом Киппур, выпадет на пятницу или воскресенье неточности, когда у нас вновь появится возможность «освя- – в первом случае у нас не будет возможности подготовиться щать» месяцы не только в соответствии с математичес- к Шаббату, а во втором – к самому Йом Киппуру. Еще мы не кими расчетами , но и с фактическими наблюдениями. хотим, чтобы седьмой день праздника Суккот , Гошанна рабба, Поэтому, несмотря на то, что вот уже более полутора тысяч выпадал на субботу. Т. к. Йом Киппур празднуется через лет еврейский календарь высчитывается математически, мы не девять дней после Рош га-Шана, 10 Тишрея, то, если Рош га- теряем надежды , что когда-нибудь эти теоретические вы- Шана выпадет на среду, то Йом Кипур придется на пятницу, а числения вновь будут подтверждаться показаниями очевид- если Рош га-Шана выпадет на пятницу, то Йом Киппур будет цев, прибывших с таковой целью в Иерусалим.) в воскресенье. Гошанна рабба всегда празднуется через 20 дней после Рош га -Шана. Поэтому, если Рош га-Шана выпадет Календарь с «еврейским акцентом» на воскресенье, Гошанна рабба будет в субботу , а ведь именно Еврейский календарь предназначен в первую очередь для этого мы хотим избежать. Поэтому наш календарь должен людей. Пожалуй, самым ярким подтверждением этому быть устроен так, чтобы Рош га-Шана не выпадал ни на является тот факт, что в качестве момента начала воскресенье, ни на среду, ни на пятницу . Если мы видим, что нового лунного месяца не берется чисто математически новый месяц Тишрей выпадает на один из этих дней, вычисленное время. Мы считаемся с тем фактом, что новый мы также переносим Рош га-Шана на один день. Если же он месяц имеет для человека значение лишь в том случае, когда уже был перенесен на один день из-за предыдущего правила, он может не только теоретически его рассчитать, но и увидеть но выпал на один из трех «запрещенных» дней, то Рош га- на небосводе. Этого требует от нас и Тора, которая обязывает Шана «откладывается» еще на один день. объявить начало нового месяца только тогда, когда это было Помимо этих двух «задержек» есть еще две других, которые подтверждено двумя прибывшими в Иерусалим свидетелями. призваны обеспечить, чтобы следующий год не пришлось Если такого не произошло, то начало нового месяца придется удлинять на еще один день, вводя новые типы календаря отложить на один день (в еврейском календаре, как уже было помимо шести перечисленных выше. Но эти «задержки» сказано, месяц никогда не может продолжаться больше 30 встречаются достаточно редко. Возможность «двигать» Рош дней). По этой причине (и по некоторым другим, о которых га-Шана у нас имеется благодаря двум месяцам, Мархешван и чуть позже) для определения начала нового месяца Кислев, длина которых может варьироваться от 29 до 30 дней. существует несколько дополнительных правил. Все они, в конечном счете, приводят к тому, что начало нового месяца Это лишь самые общие правила, на которых строится откладывается, они носят общее название «задержки». календарь. Но даже из них понятно , что еврейский календарь Первая из этих «задержек» призвана сделать новый месяц не – это не просто математическая абстракция, а очень искусное только вычисляемым , но и наблюдаемым. Поэтому, если совмещение «объективной реальности» с практической не - математически вычисленное новомесячье Тишрей выпадает обходимостью, продиктованной не просто «удобством», а позже чем на 18 часов от начала ночи (12 часов дня), желанием наилучшим способом выполнить предписания то празднование Рош га-Шана, который приходится на первое Торы. Именно в этом и кроется его тайна. (и второе) Тишрея откладывается на один день, т. к. понятно, Владислав Зеев Слепой биография “МУЛЯ, НЕ НЕРВИРУЙ МЕНЯ!” ФАИНА РАНЕВСКАЯ

Начало Фанни Гиршевна Фельдман, известная всем как Фаина Мытарства Георгиевна Раневская, родилась 27 августа 1896 года в С 1917 до 1924 года Фаина Раневская служила в Таганроге в семье Гирша Хаимовича Фельдмана и Милки «Передвижном советском театре» в Крыму. Она вспоминала : Рафаиловны, в девичестве Заговайловой. Семья владела «В Крыму в те годы был ад. Шла в театр, стараясь не фабрикой красок, домами и пароходом «Святой Николай », на наступить на умерших от голода . Жили в монастырской келье, котором она после Октябрьской революции уплыла в Турцию. сам монастырь опустел, вымер – от тифа, от голода, В семье росло ещё четверо детей, и всем им было дано от холеры … Иду в театр, держусь за стены домов, ноги соответствующее воспитание – музыка, иностранные ватные, мучает голод. В театре митинг, выступает Землячка; языки, укрепление здоровья регулярными путешествиями в видела, как бежали белые, почему-то на возах и пролетках Крым, Италию, Швейцарию. Фаня чувствовала себя одиноко, торчали среди тюков граммофон, трубы, женщины кричали, и однажды, попав на «Вишневый сад» во МХАТ, записалась дети кричали, мальчики юнкера пели: „Ой, ой, ой, мальчики , в театральную студию, а потом бросила гимназию, сбежала из ой, ой, ой, бедные, погибло все и навсегда!“ Прохожие дома и отправилась в Москву поступать в театральный плакали. Потом опять были красные и опять белые. Покамест институт. Она два раза провалилась на экзаменах, но не был взят Перекоп…» А 1925 Раневская вместе с намерения стать актрисой не оставила. Это стоило скандалов с любимой учительницей Паолой Вульф поступила в родными и разрыва с семьёй. Уже в раннем детстве девочка Государственный московский камерный театр. Режиссёром ощутила в себе актёрское дарование – горько плача, она не там был Александр Таиров, а примой – его супруга Алиса забывала посмотреть в зеркало , как выглядит лицо, залитое Коонен, которой Раневская опасалась. Ей досталась роль в слезами. А в Москве юная Раневская познакомилась спектакле «Патетическая соната», но Раневскую с Цветаевой , Мандельштамом, Маяковским, Качаловым... Но вскоре убрали из репертуара, а других ролей для неё не было, голод не позволил ей засидеться в полюбившемся городе, и Фаина Георгиевна была вынуждена уйти в Центральный девушка подписала контракт и уехала в Керчь «на роли Театр Красной Армии к режиссеру Юрию Завадскому. героинь-кокетт с пением и танцами за 35 рублей со своим гардеробом». Псевдоним «Раневская» – её дань Чехову. «Умерла от отвращения»

54 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Первый фильм, в котором она снялась – «Пышка» Михаила актрисы скрашивала любимая собака. Великой актрисы не Ромма по Мопассану, это был 1943 год . Затем было стало 19 июля 1984 года. множество других фильмов, а знаменитым сделала Раневскую роль Лили в фильме Татьяны Лукашевич «Подкидыш». Слова Абрам Комар «Муля, не нервируй меня!» стали визитной карточкой Фаины Раневской, эту фразу она придумала сама. Дети и взрослые буквально не давали пройти ей по улице, так и обращались к ней, называли Мулей. Она бесновалась и даже сделала дорогому Леониду Ильичу замечание, когда он вместо приветствия сказал: «А вот идёт Муля -не-нервируй-меня». На всю страну прогремела слава спектакля «Дальше – тишина» – незабываемый дуэт с Ростиславом Пляттом. В театре Моссовета, где актриса прослужила с 1963 года до 1984, она сыграла всего лишь семь ролей. Но мы и сегодня с восторгом смотрим фильмы, ставшие знаменитыми благодаря гениальному исполнению Раневской, великой актрисы эпизодов ! Она любила работу в кино несмотря на то, что о киносъемках говорила: «Представьте, что вы моетесь в бане, а туда пришла экскурсия». В театре Моссовета Раневская прославилась ролью Маньки-спекулянтки в спектакле «Шторм!». Текст она от начала до конца придумала сама , а играла так, что зрители шли только на «Маньку-Раневскую», и после её игры сразу покидали театр. Завадский, режиссёр, был взбешён и снял актрису с роли. Может быть, именно тогда Раневской пришел в голову афоризм: «Напишите надгробном камне - “ Умерла от отвращения !”». Остроумные формулировки, которыми она блистала не задумываясь, сделали Раневскую не менее знаменитой, чем роли. Она же в какой-то момент поняла, что литература дает больше свободы и личного пространства, нежели актёрская работа. Но на сцене ли или перед листом бумаги – она жила в единственной возможной для нее роли – себя, Фаины Раневской , получившей в 1961 году звание народной артистки СССР. Сестра Белла, вернувшись из -за границы, провела остаток дней у Фанни. Одиночество

литература ФАИНА РАНЕВСКАЯ: АФОРИЗМЫ И АНЕКДОТЫ

Я заметила, что если не кушать хлеб, сахар, жирное мясо, не премьере моей новой пьесы, — похвастался Раневской Виктор пить пиво с рыбкой – морда становится меньше, но грустнее. Розов. — Люди у касс устроили форменное побоище! — И как? Удалось им получить деньги обратно? Отпускайте идиотов и клоунов из своей жизни. Цирк должен гастролировать. Если бы я часто смотрела в глаза Джоконде, я бы сошла с ума: она обо мне знает все, а я о ней ничего. Искать женщину без изъянов может только мужчина без извилин. Раневская со всеми своими домашними и огромным багажом приезжает на вокзал. Однажды Раневская поскользнулась на улице и упала. — Жалко, что мы не захватили пианино, — говорит Фаина Навстречу ей шел какой-то незнакомый мужчина. Георгиевна. — Поднимите меня! — попросила Раневская. — Народные — Неостроумно, — замечает кто-то из сопровождавших. артистки на дороге не валяются... — Действительно неостроумно, — вздыхает Раневская. — Дело в том, что на пианино я оставила все билеты. Меня попросили написать автобиографию. Я начала так: «Я — дочь небогатого нефтепромышленника…» Нас приучили к одноклеточным словам, куцым мыслям, — играй после этого Островского! — Я была вчера в театре, — рассказывала Раневская. — Актеры игралик та плохо, особенно Дездемона, что когда Актриса прогуливалась по городу, а за ней долго следовала Отелло душил ее, то публика очень долго аплодировала. толстая гражданка, то обгоняя, то заходя сбоку, то — Ну-с, Фаина Георгиевна, и чем же вам не понравился финал отставая, пока наконец не решилась заговорить: моей последней пьесы? — Я не понимаю, не могу понять, вы — это она? — Он находится слишком далеко от начала. — Да, да, да, — басом ответила Раневская. — Я — это она! — Очень сожалею, Фаина Георгиевна, что вы не были на

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 55 JIDDISCHER BEITRAG

Mordechai Strigler (1918–1998) Von Marion Eichelsdörfer

„Mein weiterer Aufenthaltsort ist unbe- Verlusts seiner Schriften ein. „Jedes Mal Als die Gefangenen aus dem Lager von kannt und ich weiß nicht wohin es mich wurden andere Teile von ihnen (den Skarżysko-Kamienna nach Buchenwald treibt – oder ich getrieben werde ...“1 Schriften) vernichtet … So geschah es in gebracht wurden, kam Newman im den ersten Tagen des Krieges, als er nächsten Umfeld mit Strigler zusammen Mit diesen Worten eröffnete Mordechai (Strigler) zusammen mit seinen Manu- in den Block 23 des Großen Lagers. Beide Strigler im Mai 1945 seinen ersten Brief skripten, einer jahrelangen Arbeit, in die wurden im Sommer 1944 von einer Grup- aus dem befreiten Buchenwald an den Hände der Lubliner Gestapo fiel und als pe älterer jüdischer Gefangener ausge- Schriftsteller H. Leivick in New York. ein paar gute Menschen ihn halbtot und sucht, die mit dem kommunistischen Un- Nach fast sechs Jahren, in denen er in zerschunden in einer abgelegenen Ecke tergrund zusammenarbeiteten, um mit zwölf verschiedene Lager von den Natio- der Stadt fanden, gelang es ihnen, ihn jüdischen Kindern und Jugendlichen zu nalsozialisten verschleppt worden war, wieder zum Leben zurück zu bringen; arbeiten, die gerade aus den Arbeits- war mit dem Moment der Befreiung zwar nur seine Werke waren in den Händen lagern in Westpolen gebracht wurden. Sie Erleichterung eingetreten, aber auch viel der Henker geblieben … Später … begrub sollten die Neuankömmlinge beaufsichti- Unsicherheit mit Blick auf die Zukunft. er Manuskripte in einem Bauernhaus gen und mit ihnen arbeiten. Es war unter Mordechai Strigler wurde 1918 in Zamosc neben seiner Bettstatt und bis jetzt weiß anderem Striglers und Newmans Aufgabe (Polen) geboren. Er besuchte dort eine er nicht, was damit geschehen ist … Sei- für Beschäftigung zu sorgen und sie zu Mussar-Jeschiwa und studierte in ande- ne neuesten Werke, geschrieben in den ermutigen. Sie unterrichteten die Kinder ren Jeschiwot wie Luck und Kleck, hier Lagern um die „judenreinen“ Städte her- und Jugendlichen mit Geschichten und unter Rabbiner Aharon Kotler (1891– um, konnte er selbst aufbewahren bis zur Liedern.8 Strigler schrieb in einem Brief 1962). Als er 1937 nach Warschau zog, Schwelle der Gaskammer von Maidanek; an H. Leivick, er habe begonnen ca. 50 arbeitete er als Matif (Moralprediger) in dort kam er als Nackter heraus und ließ Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren der Großen Synagoge, vermehrt aber die Werke voll Geschrei an jenem Ort im Geheimen zu unterrichten. Kurz vor auch als Journalist, Schriftsteller und zurück, wo sie zusammen mit seinen der Befreiung musste er seine Vorträge Lehrer. Zum Zeitpunkt des Einmarsches Schwestern, seinen Brüdern und Freun- schließlich vor über 800 Jugendlichen ab- der Deutschen in Polen versuchte Strigler den ins Feuer geschickt wurden …“4 halten.9 nach Russland zu fliehen, wurde aber von Später, im Werk C von Skarszysko-Ka- In einem Video-Interview des Yiddish den Deutschen gefasst und zunächst in mienna, begann Strigler wieder zu schrei- Book Center erzählt Martin Schiller, der das Ghetto seiner Heimatstadt Zamosc ben, weil er seinen verlorenen Werken als Kind in Buchenwald war, dass er Mor- gebracht. Hier waren schon seine Eltern nachtrauerte. Er versuchte sie aus der Er- dechai Strigler begegnet war und von und Schwestern eingesperrt. Mit der Auf- innerung erneut zu schreiben. Als er ihm Lieder gelernt hatte. Er war in einer lösung des Ghettos zwischen dem 16. bis schließlich weiter nach Buchenwald ver- anderen Baracke untergebracht als sein 18. Oktober 1942 wurde er in verschiede- schleppt wurde, musste er wieder alles kleiner Bruder. Von Zeit zu Zeit gelang es ne Lager zur Zwangsarbeit verschleppt. zurücklassen. Schließlich wollte er auf- ihm ihn zu besuchen. In derselben Ba- Im Juni 1943 wurde er nach Maidanek geben und nicht noch einmal von vorne racke traf er auf Mordechai Strigler. Er gebracht, wo er sieben Wochen war, bevor beginnen. „Ganze Teile waren aber in sei- konnte ihn bei seiner schriftstellerischen man ihn in das Arbeitslager Skarszysko- nem verzweifelten Geist stecken geblie- Arbeit beobachten. „West lachn“ war ei- Kamienna (Werk C) brachte. Über seine ben. Sie begannen sich dort wieder zei- nes der Lieder, die Strigler ihnen vorsang. Erfahrungen und Beobachtungen in lenweise zu formieren.“5 Hierin ging es um das Gespräch zwischen Maidanek verfasste Strigler den ersten Buchenwald war das letzte der zwölf La- zwei Jungen, Avremele und Motele. Der Band seines Zyklus Ojsgebrente Lihkt (Er- ger, in denen Strigler gefangen war. Dort eine ist Optimist und verheißt ein glück- loschene Kerzen), der 1947 in der Reihe arbeitete er für den jüdischen kulturellen liches neues Leben: „West lachn! … me Dos pojlische jidntum (Nr. 20) in Buenos Untergrund, der die Erziehung und Be- hert schojn die signaln …“, der andere Aires erschien.2 schulung organisierte.6 David Newman fragt: „Wie kann ich lachen?“ und hält Strigler begann seine schriftstellerische (1919–2002) schrieb in seinen Memoiren, ihm den Verlust seiner Familie entgegen, und journalistische Arbeit in der Zeit zwi- dass Mordechai Strigler sich bereits im während der erste immer wieder positiv schen den beiden Weltkriegen, aber seine Lager von Skarżysko-Kamienna, wo sich in die Zukunft schaut.10 Texte wurden erst mit Ende des 2. Welt- die Munitionsfabrik der Firma HASAG Jack Werber war Schreiber im Block 23 krieges in breiterer Öffentlichkeit wahr- (Hugo Schneider Aktiengesellschaft) be- unter dem kommunistischen Blockältes- genommen. All seine Arbeiten, die er fand, daran beteiligte, kulturelles Leben ten Karl Siegmeyer und war ebenfalls bereits vor dem Krieg und in den Lagern selbst unter den schwierigsten Umstän- Mitglied der Untergrundgruppe, die es verfasst hatte, waren verloren gegangen den aufrechtzuerhalten. An Sonntagen sich zu Aufgabe gemacht hatte, jüdische bzw. unwiderruflich zerstört worden. wurden Konzerte und Lesungen abgehal- Kinder zu retten. Werber schrieb sowohl Gleich nach der Befreiung beschloss ten, für die Strigler Texte verfasste und über Newman als auch über Strigler in Strigler alles von vorne zu beginnen und auch selbst vortrug. „Jeden Abend nach deren erzieherische Bemühungen. Strig- ermutigte auch andere Überlebende der Arbeit saß ich mit meinem neuen ler sei in Buchenwald hochangesehen als dazu.3 Freund Mordechai zusammen, um jiddi- Lehrer und Schriftsteller gewesen. Er soll In seinem Vorwort zum Gedichtband In a sche oder polnische Gedichte und Sket- den Kindern Hoffnung gemacht haben, fremdn dor (In einer fremden Generation, che oder Satiren über das Lagerleben zu indem er ihnen Geschichten vom jüdi- 1947) geht Strigler auf die Umstände des schreiben.“7 schen Widerstand und Mut in der Vergan-

56 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 genheit erzählte. Aber die Aufgabe, die doch frei! ... die Draht-Gräuel, mit denen seinem Gedicht A lebn asojns (Welch ein sich Strigler stellte, war nicht einfach, da man eure Körper in Maidanek oder Leben) schrieb Strigler über die verbote- schon manche der jüngsten Kinder keine Auschwitz eingezwängt hatte, sind be- ne Lektüre eines Gedichtbandes von Lei- Hoffnung mehr in sich trugen. So soll ein reits aufgehoben; … Man muss aber das vick während des täglichen Lernens in achtjähriger Junge gefragt haben: „Wozu Gefühl der Befreiung in sich haben, um der Jeschiwa. 18 Als er erwischt wurde soll ich zur Schule gehen? Ich komme aus der Psychose herauszukriechen, die und man von ihm verlangte das Buch zu hier sowieso nicht lebendig raus.“11 sich bis zum Wahnsinn in eines jeden zerstören und zu schwören, solche Litera- Bereits am 4. Mai 1945, ungefähr drei Seele eingegraben hat … Wir müssen uns tur nie wieder zu lesen, blieb er standhaft Wochen nach der Befreiung, gab Strigler selbst befreien!“13 und zog die Konsequenz. Strigler verließ eine erste Zeitschrift für Schoa-Über- Strigler ging es darum den Überlebenden die Jeschiwa und suchte sich eine andere. lebende heraus: Tchijes HaMejsim (Auf- wieder Selbstbewusstsein zu vermitteln, Dieser erste Brief an Leivick vermittelte, erstehung der Toten). Diese Zeitung be- sich nicht mehr minderwertig zu fühlen, wie das Zitat zu Beginn dieses Artikels inhaltete sechs handgeschriebene Seiten, sich nicht verstecken zu müssen. Er sah in andeutet, das Bild eines Überlebenden, die aus selbstverfassten Texten zusam- den Überlebenden vor allem den Samen, der auf der Suche nach einem neuen Ort mengestellt waren. Strigler eröffnete auf der neues Leben schafft und aus dem sich ist, an dem er seine schriftstellerische Seite eins mit einer kurzen Stellungnah- das jüdische Volk erholen muss und der Arbeit fortführen kann. Leivick verstand me zur Frage „Farvos a zajtung?“ (Wozu die jüdische Kultur wieder aufbaut: „Auf Striglers Anliegen und erkannte in ihm eine Zeitung?): den Ruinen des alten Europa wird neues einen talentierten Schriftsteller. Er publi- „Mit Herausgabe dieser Zeitung wird der Leben wachsen. Keine Bewegung und zierte das Gedicht Der letzter jid in geto, erste Versuch einer jiddischen Presse für keine eifernde Fanatiker-Gruppe, son- das Strigler seinem Brief beigelegt hatte. die Überlebenden veröffentlicht … Wir dern ein Volk mit dem Namen: Der neue Das Gedicht über die Ermordung des sind wenige, Übriggebliebene! Eine Sache Jude! ... Wir werden als kulturelle Einheit letzten Juden in Striglers Heimatstadt haben wir aber in den schrecklichen Jah- auftreten, mit eigener Sprache, eigenen Zamosc, den Bäcker Mosche Rapoport, ren gelernt: Hartnäckigkeit! Wir werden Dichtern, Denkern und Volksvertretern, zeigte ein Ausmaß der Gräuel unter Nazi- uns darin verbeißen alles erneut zusam- und der kulturelle Jude braucht das kom- Herrschaft auf, das der damaligen Leser- menzutragen, es zu zementieren und mit pakte, organisierte Judentum … die all- schaft bis dahin unbekannt war.19 allen physischen und geistigen Anstren- europäische Föderation des geretteten Leivick selbst war 1913 nach New York gungen beginnen gemeinsam unser Le- Judentums … gemeinsam sind wir die gekommen, nachdem er im Jahr zuvor ben und unsere Welt aufzubauen … Sind Kraft zum Aufbau, zum Wiedererschaf- seinem sibirischen Exil entkommen konn- wir die letzten, die ihr Leben durchge- fen! Nicht „polnisch-jüdisch“ soll gesagt te. Er hatte vier Jahre in einem Arbeits- schleppt haben oder gibt es noch andere, werden, sondern europäisch-jüdisch.“14 lager verbringen müssen und wurde die auf unser erstes Lebenszeichen war- Ungefähr zwei Monate nach der Befrei- schließlich in einem viermonatigen Fuß- ten? Wie der biblische Noah schicken wir ung begleitete Strigler eine Gruppe jüdi- marsch nach Witim gebracht. Er war die erste Taube aus … wird sie uns einen scher Waisenkinder nach Paris, wo er dazu verurteilt worden, weil er öffentlich Gruß bringen? sieben Jahre, von 1945 bis 1952, ver- das zaristische Regime kritisiert hatte. So Verschiedene physische und psychologi- brachte.15 Es wird vermutet, dass Elie spielte in Leivicks eigenem Schreiben die- sche Schwierigkeiten haben sich im Ver- Wiesel in dieser Gruppe war, die in ein se Erfahrung seines Lebens stets eine lauf der schweren Lagerzeiten an uns ge- jüdisches Waisenhaus gebracht wur- Rolle und ließ ihn gegenüber den Schoa- heftet … wir haben den Kontakt mit dem den.16 Dort war er Mitarbeiter und Her - Überlebenden besondere Empathie emp- normalen Leben verloren und es ist unse- ausgeber der Zeitung Unser Wort und en- finden. Seinen Gedichtband, der Texte re schwere Aufgabe ihn wieder zu finden! gagierte sich in der kulturellen Arbeit der Jahre 1940 bis 1945 enthält, nannte Wir kennen die Erschütterungen, wir verschiedener Organisationen, die von Leivick In treblinke bin ich nit geven (Ich kennen aus eigener Erfahrung die große Überlebenden für Überlebende gegrün- war nicht in Treblinka).20 Nervenprobe und Geisteslast, die ihr, det worden waren. Auch wenn Strigler In den sieben Jahren ihres Briefwechsels schwer geprüfte Freunde und Brüder, auf überaus aktiv zu sein schien, war das Le- haben sich Strigler und Leivick dreimal euch tragt und wir wollen uns mit euch ben in Paris für ihn schwierig. Er fühlte persönlich getroffen. Das erste Mal im nicht wie Literaten und nicht wie Redak- sich fremd in dieser „normalen“ Welt, es Rahmen einer Visite einer Delegation von teure unterhalten, sondern wie einfache widerstrebte ihm einfach zum Tagtäg- drei Kulturschaffenden (H. Leivick, Sän- Menschen in der einfachsten klarsten lichen überzugehen und er spürte, dass er gerin Emma Shaver und der Schriftsteller Sprache … Dies soll unser Weckruf sein. noch eine Verpflichtung gegenüber der Israel Efros), die der Jüdische Weltkon- Wacht auf! Kommt, lasst uns zusammen Vergangenheit hatte: „Er zog sich in ein gress in New York entsandt hatte. Am 10. in die neue Welt von Morgen aufbre- entlegenes Eck zurück, wie jemand, der April 1945 startete die Delegation, unter chen!“12 mit dieser fremden, normalisierten Gene- der Leitung der UNRRA (United Nations Diesem ersten öffentlichen Auftreten ration immer noch nichts zu tun hat … In Relief and Rehabilitation Administra- nach der Befreiung folgte Striglers umfas- seiner Abgesondertheit grub er weiter in tion), und besuchte achtzehn DP-Lager in sender Aufruf Zu ajch schwester un brider den Gräbern der Vergangenheit, lebte mit der amerikanischen Besatzungszone.21 bafrajte (An euch, befreite Schwestern seiner verschwundenen und ausgelösch- Darunter waren die Orte München, Gar- und Brüder), den er noch in Buchenwald ten Generation und suchte für sie – für misch, Mittenwald, Landsberg, Holzhau- Ende Mai 1945 verfasste. Einen Monat sich und sein gepeinigtes Leben von frü- sen, St. Ottilien, Dachau, Föhrenwald, später, als er sich bereits in Paris aufhielt, her – einen Funken Erlösung.“17 Tutzing, Gauting, Neu-Freimann, Ain- überarbeitete er seinen Text und konnte Als er noch in Buchenwald war, suchte ring, Leipheim, Feldafing, Stuttgart, ihn schließlich im selben Jahr in New Strigler bereits Kontakt zu anderen jiddi- Berchtesgaden und Aschau.22 Ende Mai York unter der Herausgeberschaft des schen Literaturschaffenden und journa- 1946 wurde die Verlängerung des Visums Workmen’s Circle veröffentlichen. Ähn- listischen Kreisen in den USA. Seinen ers- der Delegation abgelehnt und die Mit- lich wie in seiner ersten Zeitung für die ten Brief schrieb er an H. Leivick (1888– glieder waren gezwungen Deutschland Überlebenden ruft Strigler der Sche’erit 1962) in New York. Ihn bewunderte zu verlassen, noch bevor sie alle Orte be- HaPleta wiederum zu: „Hej du! Du bist Strigler bereits als Jeschiwa-Schüler. In suchen konnten, die sie eingeplant hat-

Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 57 ten. Sie reisten nach Paris ab, wo sie vom sönlichen Erinnerungen, aber auch Pas- Fußnoten 31. Mai bis 11. Juni 1946 blieben. Die sagen in denen er versucht, das Seelen- 1 Yechiel Szeintuch: Introduction to the corre- dortigen Überlebenden organisierten ver- leben der Mitgefangenen erahnend zu spondence between M. Strigler and H. Leivick schiedene Treffen für sie, unter anderem beschreiben.27 Die sehr literarisch und 1945–1952, Jerusalem 2015, S. 47. 2 Yechiel Szeintuch: Strigler, Mordechai, in: En- 23 mit Mordechai Strigler. poetisch gestalteten Texte des Autors las- cyclopaedia Judaica, second edition, Vol. 19, In den Jahren bis 1952 wurde Striglers sen den Leser die geschilderten Situatio- Detroit 2007, S. 258. journalistischer und schriftstellerischer nen intensiv wahrnehmen. Strigler geht 3 Szeintuch (2015), Introduction, S. 31. Weg geprägt. Als er nach New York kam, es hier nicht in erster Linie um eine chro- 4 Mordechai Strigler: In a fremdn dor. Lider un war Strigler gerade mal 34 Jahre alt und nologisch genaue Darstellung der Ereig- poemen, Paris 1947, S. 9. dem jüdischen Lesepublikum bereits be- nisse, als vielmehr um die Vermittlung 5 Ebd., S. 10. kannt. Er hatte hunderte Artikel über- der verstörenden Eindrücke des Erlebten. 6 Szeintuch (2007), Strigler, S. 258. 7 David Newman: Hope’s Reprise, Chapter: Would wiegend in Jiddisch, aber auch Hebrä- In seinem ersten Brief an H. Leivick I had never known this place, The Azrieli Series isch, verfasst und bereits seine Schoa- schreibt Strigler: „Ich muss aber wegen of Holocaust Survivor Memoirs, Toronto 2015, Erfahrung in sechs Bänden in der Reihe meiner Art zu schreiben etwas anmerken. S. 4. Dos pojlische jidntum veröffentlicht.24 Ich schreibe alle erlebten Eindrücke ele- 8 Ebd., S. 6, 8. Leivick verfasste zum Band Majdanek ein mentar und kondensiert. Ich möchte, 9 Szeintuch (2015), Introduction, S. 79. Vorwort, in dem er Striglers Schriften dass nicht der kleinste Punkt angetastet 10 Yiddish Book Center, Wexler Oral history Pro- empfahl, weil er in bis dahin unbekann- wird, selbst an jenen Stellen, wo der Stil ject, 2013 [https://www.youtube.com/watch? v=n4cSZuAWP5I]. ter Weise die Abgründe des menschlichen roh ist. In den Stunden, in denen ich 11 Jack Werber, William B. Helmreich: Saving Verhaltens schilderte: „Strigler war in der schreibe – durchlebe ich die Sache ein Children: Diary of a Buchenwald Survivor and allerschlimmsten Hölle – in Hitlers In- zweites Mal, und ich will jene Stunden Rescuer, New Brunswick; London 2014, S. 101. ferno; was er dort sah, hat nicht nur mit nicht mit dem geringsten Strich korrigie- 12 Yechiel Szeintuch: “Tchijes HaMejsim” – HaIton Hitler, nicht nur mit Nazideutschland zu ren.“28 HaRischon Schel Sche’erith HaPleta, Khulyot – tun, sondern mit dem ganzen Menschen- In New York war Strigler bis 1995 Heraus- Journal of Yiddish Research, No. 10, Winter geschlecht. Er sah das Grauenhafteste in geber der sozialistisch-zionistischen Zei- 2007, S. 195. der grauenhaftesten längsten Nacht, und tung Der Jiddischer Kemfer. Hier veröffent- 13 Mordechai Strigler: Tsu ajch schwester un bri- der bafrajte, Nochmilchome-problemen fun ji- – er sah auch den Juden in der längsten lichte er Texte der bekanntesten jiddischen dischn folk, New York 1945, S. 3. Nacht, und – auch sich selbst in der näm- Autoren seiner Zeit: Abraham Reisen, H. 14 Ebd., S., 12, 16. lichen Nacht … Meine Begleitworte sind Leivick, Jacob Glatstein und Isaac Bashe- 15 Smith, Dinitia: Mordechai Strigler, Editor of Ausdruck der Anerkennung für einen vis Singer.29 1978 erhielt er den Itzik Yiddish Forward, dies at 76, in: New York jungen Kollegen, der sich aus der Zerstö- Manger Preis für jiddische Literatur. Ab Times, 12. Mai 1998. rung erhoben hat und dessen Sendungs- 1987 bis zu seinem Tod 1998 war er au- 16 Susanne Klingenstein: Mordechai Striglers Ma- drang nicht ruhen wird, ehe er uns alle ßerdem Herausgeber des Forwerts. So- jdanek (1947); oder warum aus Motl Strigler nie ein Elie Wiesel wurde. Eine Buchvorstel- mit seinen Erlebnissen bereichert hat. Er wohl mehrere seiner jiddischen und he- lung, Fritz Bauer Institut, Frankfurt, 17. Okto- 25 ist dazu berufen.“ bräischen Novellen, als auch über tau- ber 2016. Strigler fühlte sich tatsächlich zum send seiner Kurzgeschichten, Essays und 17 Strigler(1947), In a fremdn dor, S. 11. schreibenden Zeugen berufen und er hat- Artikel in jiddischen und hebräischen 18 Ebd., S. 23–25. te sehr früh nach der Befreiung den Plan Zeitschriften erschienen nicht unter sei- 19 Szeintuch (2015), Introduction, S. 31. Das Ge- gefasst, seine Erfahrung aus sechs Jahren nem Eigennamen, sondern unter Pseudo- dicht ist nachzulesen in Striglers Band In a nazistischer Unterdrückung in diesem nym.30 Strigler soll über 20 Pseudonyme fremdn dor, Paris 1947, S. 157–163. 20 Jan Schwarz: Survivors and Exiles. Yiddish Cul- Bücherzyklus zu verarbeiten und dabei verwendet haben, die er jeweils für ein ture after the Holocaust, Detroit 2015, S. 71. mit größter Genauigkeit vorzugehen. bestimmtes Themengebiet, über das er 21 Szeintuch (2015), Introduction, S. 35. Dieses Anliegen verstärkte sich bei ihm schrieb, reservierte.31 22 Tamar Lewinsky: Un az in Treblinke bin ikh yo noch, als er mit der Zeit erkannte, dass es Strigler blieb sein Leben lang der jiddi- geven iz vos? H.Leyvik und die Sheyres-Hap- bis dahin noch nicht gelungen war, sich schen Sprache treu und publizierte in ihr. leyte, in: Leket. Jiddistik heute, Bd. 1, Düssel- ein vollständiges Bild von den Ereignissen Dies ist sicher einer der Gründe, warum dorf 2012, S. 545. Die Autorin verweist darauf, zu machen, „obwohl so viel geschrieben seine Literatur nicht zu seinen Lebzeiten dass alle drei Delegationsmitglieder ihre Reise- wurde. Die Geschichte der „Zerstörung den Weg zu einem breiteren internatio- eindrücke publiziert haben. 23 Szeintuch: (2015), Introduction, S. 35. der jüdischen Welt“ muss noch aus dem nalen Lesepublikum gefunden hat, wie es 24 Ebd., S. 33. Inneren heraus geschrieben werden … die Bücher anderer Überlebender, wie 25 Mordechai Strigler: Majdanek. Ein früher Zeit- das musste das Schicksal meines schrift- zum Beispiel die Elie Wiesels, geschafft zeugenbericht vom Todeslager, hg. von Frank stellerischen Sinns werden, beim noch- haben. Erst in seinem Todesjahr 1998 Beer, aus dem Jiddischen von Sigrid Beisel, maligen Eintauchen der Feder in die kam eine französische Übersetzung sei- Springe 2016, S. 15f. Leiden unserer jüdischen Generation. Bei nes Buches Majdanek heraus. Schließlich 26 Mordechai Strigler: Gojroles, Buenos Aires der Planung der Konzeption meiner Ar- erschien 2016, kurz vor dem siebzigsten 1952, S. 349f. 27 Schwarz (2015), Survivors, S. 74. beit habe ich ein Lager ausgewählt, das Jahrestag der Ersterscheinung, die deut- 28 Szeintuch (2015), Introduction, S. 47f. von Leben wimmelte – und durch dieses sche Übersetzung von Sigrid Beisel unter 29 Smith (1998), Mordechai Strigler. symbolisiert den ganzen katastrophalen der Herausgeberschaft von Frank Beer, 30 Szeintuch (2007): Strigler, S. 258. Weg unseres Schicksals in ganzer Tiefe. der bereits an der Quellenedition „Nach 31 Smith (1998), Mordechai Strigler. Maidanek war nur der Korridor zu den dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der 32 Mordechai Strigler, Frank Beer (Hrsg.): Majda- tiefsten Abgründen ...“26 Schoa in Polen 1944–1947“ (2014) mitge- nek. Verloschene Lichter. Ein früher Zeitzeugen- Der Charakter von Striglers Zeugnislite- arbeitet hatte. Mittlerweile ist im vergan- bericht vom Todeslager. Aus dem Jiddischen von ratur ist vielfältig. Einerseits gibt es Pas- genen Jahr der zweite Band In den Fabri- Sigrid Beisel. Mit einem Vorwort von Yechiel Szeintuch, Springe 2016. 32 sagen, die einem historischen Dokument ken des Todes gefolgt. Es ist zu hoffen, Mordechai Strigler, Frank Beer (Hrsg.): In den gleichen, das die Ereignisse verzeichnet, dass auch die nachfolgenden Bände bald Fabriken des Todes. Verloschene Lichter II. Ein andererseits durchmischt Strigler dies in dieser wertvollen Übersetzung dem früher Zeitzeugenbericht vom Arbeitslager Skar- mit Aussagen anderer Zeugen und per- deutschen Lesepublikum vorliegen. zysko-Kamienna, Springe 2017.

58 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018 Mordechai Strigler: In a fremdn dor, Paris 1947, S. 23f., 245. Fotos: http://yiddish.forward.com/articles/192865/ correspondence-between-mordechai-strigler-and-h-le/ https://www.buchenwald.de/1256/

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7 Die Bildunterschriften finden Sie auf Seite 2, Beiträge zu den Bildern im Heft. 60 Jüdisches Leben in Bayern · Nr. 136/2018