Heft 60, 2017 WSL Berichte FORUM ISSN 2296-3588 für Wissen 2017

Naturschutzgenetik

Redaktion Daniela Csencsics Felix Gugerli

Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL CH-8903 Birmensdorf

Heft 60, 2017 WSL Berichte FORUM ISSN 2296-3456 für Wissen 2017

Naturschutzgenetik

Redaktion Daniela Csencsics Felix Gugerli

Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL CH-8903 Birmensdorf 2 Forum für Wissen 2017

Das Forum für Wissen ist eine Veranstaltung, die von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL durchgeführt wird. Aktuelle Themen aus den Arbeitsgebie- ten der Forschungsanstalt werden vorgestellt und diskutiert. Neben Referenten von der WSL können auswärtige Fachleute beigezogen werden. Gleichzeitig zu jeder Veranstaltung «Forum für Wissen» erscheint eine auf das Thema bezogene Publikation in der Reihe WSL Berichte. Alle Beiträge wurden von zwei Fachpersonen begutachtet.

Verantwortlich für die Herausgabe der Schriftenreihe Prof. Dr. Konrad Steffen, Direktor WSL

Verantwortlich für dieses Heft Prof. Dr. Rolf Holderegger, Leiter Forschungseinheit Biodiversität und Naturschutzbiologie Daniela Csencsics, Stv. Gruppenleiterin Ökologische Genetik Dr. Felix Gugerli, Gruppenleiter Ökologische Genetik

Schriftleitung Sandra Gurzeler

Wir danken folgenden Personen, welche sich als Reviewer zur Verfügung stellten, für die kritische Durchsicht der Beiträge und die hilfreichen Kommentare: Kurt Bollmann, Rolf Holderegger, Christine Huovinen, Sabine Fink, Martin Fischer, Martin Moritzi, Martina Peter, Jérôme Prunier, Maik Rehnus, Christian Sailer, Max Schmid, Bene- dikt Schmidt, Gernot Segelbacher, Josef Senn, Christoph Sperisen und Ivo Widmer.

Zitierung Csencsics, D.; Gugerli, F. (Red.) 2017: Forum für Wissen 2017. Naturschutzgenetik. WSL Ber. 60: 82 S.

Layout Jacqueline Annen, WSL Sandra Gurzeler, WSL

Fotos Umschlag 1, 3: Martin C. Fischer, ETH 2, 5: Felix Gugerli, WSL 4: Nicolas Martinez, Hintermann & Weber 6: Sylvain Dubey, Hintermann & Weber

Bezugsadresse WSL Shop Zürcherstrasse 111 CH-8903 Birmensdorf [email protected] PDF Download: www.wsl.ch/berichte

ISSN 2296-3448 (Print) ISSN 2296-3456 (Online)

© Eidgenössische Forschungsanstalt WSL Birmensdorf 2017 Forum für Wissen 2017 3

Vorwort

Genetische Vielfalt ist ein grundlegender Bestandteil der Biodiversität und muss als solcher beachtet, beschrieben und erhalten werden. Dafür kommen moderne genetische Methoden zum Einsatz, die als Werkzeug auch im praktischen Natur- schutz zunehmend Anwendung fnden. Die neuesten Technologien ermöglichen es, genetische Muster und die ihnen zugrundeliegenden biologischen Prozesse auf vielfältige Art und Weise zu beschreiben. Dennoch ist die Thematik in breiten Kreisen der Praxis noch wenig bekannt und hohe Erwartungen stehen grundle- gendem Misstrauen gegenüber. Damit Fachleute aus der Praxis das Potenzial ge- netischer Methoden im Naturschutz besser einschätzen und dadurch zielgerichtet anwenden können, ist der fortwährende Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis eminent wichtig. Dabei geht es auch darum, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und gemeinsam spannende Fragen aus der Praxis mit Ansätzen aus der Werkzeugkiste der Naturschutzgenetik gemeinsam zu klären. Die Beiträge des diesjährigen WSL Forums für Wissen zum Thema Naturschutz- genetik gliedern sich in einführende Beispiele aus der Forschung einerseits und in konkrete Anwendung der genetischen Methoden oder der Forschungsresul- tate in der Praxis andererseits. Es kommen verschiedenste methodische Ansätze zur Sprache, und die räumliche, zeitliche wie auch taxonomische Aufösung ist in den vorgestellten Beispielen ebenso unterschiedlich wie die dafür gesammelten und analysierten Proben, die zur Beantwortung der gestellten Fragen verwendet werden. Zudem wird ausgeführt, wie der Bund, insbesondere das Bundesamt für Umwelt (BAFU), die Erfassung und Erhaltung genetischer Ressourcen in die lau- fenden und zukünftigen Erhebungen und Monitorings einbinden wird. Letzteres ist im Zusammenhang mit dem kürzlich verabschiedeten Aktionsplan zur Biodi- versitätsstrategie Schweiz des Bundes besonders aktuell. Für die sehr vielfältige Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Forums be- danken wir uns bei Rolf Holderegger. Die Organisation des Forums und die Re- daktion des Tagungsbandes wurde von folgenden Personen sehr umsichtig und kompetent durchgeführt: Susanne Senn-Raschle, Sandra Gurzeler, Jacqueline Annen, Lisa Bose, Christine Huovinen und Martin Moritzi. Ebenso war der WSL- Hausdienst jederzeit ein unterstützender und hilfreicher Ansprechpartner. Ihnen allen danken wir sehr herzlich.

Birmensdorf, 28. November 2017

Daniela Csencsics und Felix Gugerli Konrad Steffen, Direktor WSL

Forum für Wissen 2017 5

Inhalt Seite

Vorwort 3

Genetik im Naturschutz: eine Übersicht 7 Rolf Holderegger

Inzucht und ihre Bedeutung für den Naturschutz 15 Iris Biebach und Lukas Keller

Isoliert oder vernetzt? Auswirkungen der Landschaft auf den Genfuss 23 Janine Bolliger und Felix Gugerli

Bedeutung der lokalen Anpassung in der Naturschutzgenetik­ 31 Christian Rellstab, Martin C. Fischer, Daniela Csencsics, Felix Gugerli und Rolf Holderegger

Der Boden – eine wertvolle Ressource für die genetische Vielfalt 39 Martin Hartmann und Christoph Sperisen

Werkzeugkasten für genetische Methoden in der Biodiversitätsförderung 49 Robert Meier und André Stapfer

Einsatz von eDNA im Amphibien-Monitoring 57 Benedikt R. Schmidt und Christoph R. Grünig

Bedeutung der Naturschutzgenetik für den Bund 63 Francis Cordillot

Naturschutzgenetik aus Ökobürosicht – Chancen und Erfahrungen 71 Conny Thiel-Egenter

Application de la génétique de la conservation dans les bureaux d’études 77 en écologie Christoph Bühler et Sylvain Dubey

Forum für Wissen 2017: 7–13 7

Genetik im Naturschutz: eine Übersicht

Rolf Holderegger

Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf [email protected]

Naturschutzgenetik stellt einerseits Grundlagen für die Argumentation im Natur- menten des Bundes: zum Beispiel Stra- schutz bereit. Andererseits wird sie bei Einzelstudien eingesetzt, bei denen es um tegie zur Anpassung an den Klimawan- die Beantwortung spezifscher Fragen aus der Praxis geht, zum Beispiel bei Er- del (UVEK und BAFU 2013), Waldpo- folgskontrollen. Anwendungsmöglichkeiten der Naturschutzgenetik reichen von litik 2020 (BAFU 2013), Vollzugshilfe der Erfassung ökologischer Prozesse wie Verbund oder Zerschneidung von Le- zur Biodiversität im Wald (Imesch bensräumen, über Arterkennung bis zur genetischen Fitness betreffend Inzucht, et al. 2015), Waldbericht (Rigling Angepasstheit und Anpassungsfähigkeit. Ein neues Thema ist genetisches Moni- und Schaffner 2015) oder Umwelt- toring, wo Veränderungen der genetischen Vielfalt in Raum und Zeit verfolgt wer- ziele Landwirtschaft (BAFU und BLW den. Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht über Möglichkeiten und Bedeu- 2008). Folgerichtig spielt Genetik im tung von Naturschutzgenetik in der Praxis. Bereich Biodiversität im Forschungs- konzept des Bundesamts für Umwelt BAFU für die Jahre 2017 bis 2020 eine 1 Genetik im Naturschutz: 2 Genetik: Wie wichtig ist sie wichtige Rolle (Pesch et al. 2016). Dort Mehr als eine Modeströmung­ im Schweizer Naturschutz? werden Untersuchungen zur geneti- schen Vielfalt von Arten, zum Evolu- Genetische Methoden im Naturschutz Bekanntlich umfasst die Biodiversität tionspotenzial von (Meta-)Populatio- sind in vieler Munde. In der Praxis­ be- als Ganzes vier Ebenen: die genetische nen und zur Vernetzung bzw. ökologi- sonders beliebt ist es, Arten mit gene- Vielfalt innerhalb von Arten sowie schen Infrastruktur verlangt. Also: von tischen Methoden zu bestimmen, also die Vielfalt der Arten, Lebensräume der genetischen Diversität bis zur ge- eine Antwort auf die Frage zu ­fnden, und Wechselwirkungen. Will man den netischen Untersuchung einer einzel- welche Arten in einem Gebiet vorkom- Rückgang der Biodiversität und das nen Art – Genetik in allen Papieren! men. Mittels einer Teichwasserprobe Aussterben von Arten oder Populati- Und in der Realität? Genetische können zum Beispiel Amphibien be- onen aufhalten, so müssen auch geneti- Überlegungen oder Zielsetzungen spie- stimmt werden – mit bekannterweise sche Aspekte in die Planung und Mass- len in der Praxis noch eine beschei- grossem medialem Echo. Aber geneti- nahmen einfiessen. Welche Vorgaben dene Rolle, obwohl sie oft zur Argu- sche Methoden im Naturschutz können zum Schutz der genetischen Vielfalt als mentation im Naturschutz herange- viel mehr. grundlegender Ebene der Biodiversität zogen werden. Genetische Methoden Die einen in Wissenschaft, Behör- und welche Konzepte zur Verwendung werden selten in Einzelstudien einge- den, Praxis und Öffentlichkeit sind fas- genetischer Methoden im Naturschutz setzt. Dabei haben genetische Metho- ziniert von den Möglichkeiten der Ge- gibt es in der Schweiz? den inzwischen Praxistauglichkeit er- netik: Letztere erscheinen (fast) un- In der Strategie Biodiversität Schweiz reicht. Sie können routinemässig ein- begrenzt und neue Perspecktiven im (Schweizerische Eidgenossenschaft gesetzt werden, und ihre Kosten sind Naturschutz öffnen sich. Andere sind 2012) spielt genetische Vielfalt eine wegen des grossen technischen Fort- gegenüber der Genetik im Naturschutz grosse Rolle: Die Biodiversitätsstrate- schritts stark gesunken. eher skeptisch eingestellt. Wie aber gie fordert, dass die genetische Vielfalt sind die Möglichkeiten für Genetik im von wildlebenden Tieren, Pfanzen, Pil- Naturschutz tatsächlich einzuordnen? zen und Bodenorganismen, aber auch Wie, wann und warum sollen geneti- von Nutztieren und -pfanzen für die 3 Einige grundlegende sche Methoden im praktischen Natur- Zukunft erhalten, die genetische Ver- ­Gedanken schutz angewandt werden? Werden ge- armung bis 2020 gestoppt und ein Kon- netische Methoden im Naturschutz nur zept für die Überwachung der geneti- Viele ökologische Faktoren und Pro- deshalb verwendet, weil sie Mode und schen Vielfalt eingeführt werden. Auch zesse beeinfussen die genetische Viel- technisch machbar sind oder bieten sie soll die Anpassungsfähigkeit der Arten falt einer Population. Dies ist darum einen wirklichen Mehrwert? Das Ziel an den Klimawandel sichergestellt wer- der Fall, weil die Populationsgrösse mit des vorliegenden Artikels ist es, eine den, wobei der Vernetzung zwischen der genetischen Vielfalt zusammen- kurze Übersicht zu den Möglichkeiten, Populationen für den Austausch von hängt. Es gilt die Faustregel: Je grösser der Bedeutung und den Grenzen von Erbgut eine wichtige Rolle zukommt. die Population, desto grösser ist ihre ge- Genetik und genetischen Methoden im Dies mündet in die Forderung einer netische Vielfalt. Damit wirken sich alle Naturschutz zu geben. funktionierenden ökologischen Infra­ Faktoren und Prozesse, die die Popula- struktur für die Schweiz. Eine ähnlich tionsgrösse bestimmen, auch auf die ge- starke Gewichtung der genetischen netische Vielfalt aus (Abb. 1). Es sind Vielfalt fndet man in weiteren Doku- dies zum Beispiel Lebensraumverän-

WSL Berichte, Heft 60, 2017 8 Forum für Wissen 2017

Lebensraumänderung Lebensraumverlust Inzucht Landnutzungsänderung Populations- Genetische Genetische grösse Vielfalt Fitness Angepasstheit Zerschneidung Anpassungsfähigkeit Klimawandel

Individuenbestimmun g Raumnutzung Artbestimmung

Abb. 1. Eine zentrale Grösse im Naturschutz ist die lokale Populationsgrösse (bzw. die Grösse der Metapopulation). Wegen der Abhängigkeit der genetischen Vielfalt einer Population (Mitte) von ihrer Grösse lassen sich via Genetik Rückschlüsse auf ökologische Prozesse ziehen, die die Populationsgrösse beeinfussen. Dies gilt etwa für den Austausch von Individuen und Genen (Genfuss) zwischen Populationen (linke Seite). Die genetische Vielfalt beeinfusst hingegen, wie überlebensfähig eine Population kurz- und langfristig ist (genetische Fitness). Mit genetischen Methoden können Inzucht, Angepasstheit oder Anpassungsfähigkeit untersucht werden (rechte Seite). Da die Individuen und Arten der Wirbeltiere und Gefässpfanzen sowie vieler Insekten, Moose und Flechten eine einzigartige genetische Zusammensetzung auf- weisen, kann man mit genetischen Methoden auch Individuen (sowie deren Raumnutzung) und Arten bestimmen (blau unten).

derungen und -verlust, Landnutzungs- 4 Was lässt sich mit Natur­ dere in Teilbereichen des Naturschut- änderungen, Zerschneidung oder Kli- schutzgenetik untersuchen? zes wichtige genetische Anwendungen mawandel. Der obige Zusammenhang wie bei der Hybridisierung (etwa zwi- zwischen Populationsgrösse und geneti- Drei grössere Themenkreise können schen einheimischen und nicht-einhei- scher Vielfalt ermöglicht es umgekehrt, mit Genetik im Naturschutz angegan- mischen Arten oder zwischen Haus- anhand der genetischen Vielfalt Rück- gen werden: 1. Genetische Methoden und Wildtieren, wie zum Beispiel bei schlüsse auf diese Prozesse zu ziehen, können für die Beschreibung von öko- der Wildkatze; Nussberger et al. 2014), also zum Beispiel von der genetischen logischen Prozessen verwendet werden; die hier aber nicht weiter behandelt Zusammensetzung von Populationen 2. Genetische Methoden erlauben die werden. auf deren Zerschneidung zu schliessen. Bestimmung von Individuen und Ar- Des Weiteren hat die genetische ten; 3. Mit Genetik kann die genetische Vielfalt direkten Einfuss auf Indivi- Fitness geschätzt werden. Es gibt also 4.1 Untersuchung ökologischer duen und Populationen. Man spricht vielfältige Anwendungsmöglichkeiten Prozesse von genetischer Fitness (Abb. 1). Im von genetischen Methoden im Natur- Fokus stehen hier die von der geneti- schutz (Holderegger und Segelba- Wenn es um ökologische Prozesse wie schen Vielfalt massgeblich beeinfusste cher 2016). Aus dieser Palette von An- Zerschneidung oder Verbund von Po- Angepasstheit und Anpassungsfähig- wendungen betrachte ich die in Tabelle pulationen geht, können genetische keit sowie die Inzucht und ihre nega- 1 gegebenen als für die Naturschutz- Methoden einen grossen Beitrag zum tiven Folgen (Abb. 1) – Themen, die im Praxis, für die überkommunale Pla- Naturschutz leisten. Wieso ist dies Fall? Naturschutz bei Wiederansiedlungen nung im Naturschutz und auch für die Betrachtet man die derzeit gängige oder bei den Auswirkungen des Klima- Argumentation im Naturschutz gegen- ­Praxis der Planung von Vernetzung im wandels diskutiert werden. Wiederum über Politik und Öffentlichkeit als be- praktischen Naturschutz, so zeigt sich gilt allgemein, je höher die genetische sonders wichtig. Daneben gäbe es an- ungefähr folgendes Bild. Entlang der in Vielfalt, desto besser. Schliesslich besitzen (fast) alle höhe- ren Organismen eine einzigartige ge- netische Zusammensetzung (Geno- Tab. 1. Wichtige Anwendungen von Genetik und genetischen Methoden im Naturschutz. typ). Bekannt ist uns das vom Men- schen, wo jedes Individuum genetisch Ökologische Prozesse Verbund und Zerschneidung (Wanderung und Abb. 2a–d einzigartig ist (genetischer Fingerab- Austausch von Individuen und Genen zwischen Po- druck; ausser bei eineiigen Zwillingen). pulationen) Auch Arten unterscheiden sich gene- Veränderung der Populationsgrösse Abb. 2e tisch voneinander,­ ist es doch die ge- Individuen- und Bestimmung der Populationsgrösse Abb. 2f netische Zusammensetzung, die Arten Artbestimmung Raumnutzung von Individuen Abb. 2g ausmacht. Somit kann man genetische Artbestimmung (Barcoding oder Metabarcoding) Abb. 2h Methoden verwenden, um Individuen Genetische Fitness Inzucht Abb. 2i innerhalb einer Art zu bestimmen bzw. Angepasstheit Abb. 2k man kann mit ihnen Arten unterschei- den (Abb. 1). Anpassungsfähigkeit Abb. 2l

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 9 den kantonalen Richtplänen vorgege- (a) (b) (c) benen Vernetzungskorridore werden verschiedenste Massnahmen ergriffen und bestehende Schutzgebiete, natur- nahe und renaturierte Flächen oder verschiedenste strukturelle Einzelele- mente zu einem Vernetzungskorridor Aktuelle Wanderer Austauschrate Austauschrate während zusammengefasst. Andere Möglichkei- innerhalb weniger vieler Generationen (gene- tische Differenzierung) ten sind punktuelle Verbesserungen Generationen wie Grünbrücken, um die Durchgängig- (d) (e) (f) keit für Wildtiere wiederherzustellen. Schliesslich werden für einzelne Arten oder Artengruppen Trittsteine erstellt, Zeit so zum Beispiel neue Teiche zwischen bereits vorhandenen Amphibien-Laich- gewässern. Alle diese strukturellen Ver- Genetische Reduktion Bestimmung Popula- netzungsmassnahmen dienen dazu – so Gruppen Populationsgrösse tionsgrösse aufgrund genetischer Typen wird angenommen –, den verschiede- nen Arten sicheren Zugang zu Teil­ (g) (h) (i) lebensräumen zu gewährleisten, Wie- AGCAGCATTACG der- und Neubesiedlungen zuzulassen, AGCAAAAATACG den Austausch zwischen Populationen Art? möglichst über grosse Räume hinweg Referenzdatenbank zu gewährleisten und so auch den gene- tischen Austausch sicherzustellen. Doch Hand aufs Herz: Wir planen Art XY das alles aus Menschensicht nach bes- Bestimmung von tem Wissen und Gewissen. Aber was Raumnutzung Genetische von Tieren Artbestimmung Inzucht mittels genetischer wissen wir wirklich darüber, über wel- (Barcoding) Zusammensetzung che Distanzen Organismen wandern, wie häufg sie das tun, welche Land- (k) (l) schaftselemente für sie dabei Barrieren Lebensraum Lebensraum Heutiger Zukünftiger Rot Blau Lebensraum Lebensraum oder Vernetzungselemente darstellen und ob unsere Massnahmen grossräu- mig überhaupt wirken? Mit Ausnahme einiger gut untersuchter Wirbeltierar- † Zeit ten wissen wir sehr wenig. Gerade beim Thema Verbund und Zerschneidung können genetische Methoden (oder Gut Schlecht angepasst angepasst Besenderungen mit GPS-Sendern) we- sentlich zu unserem Verständnis dieser Angepasstheit Anpassungsfähigkeit ökologischen Prozesse beitragen. Genetische Methoden erlauben es, Abb. 2. Anwendungsmöglichkeiten der Naturschutzgenetik. den Austausch und die Wanderung (a–e) Kapitel 4.1. (a) Erfassung aktuell gewanderter Individuen. Kreise: Populationen; far- von Individuen und Genen (Genfuss) bige Punkte: verschiedene genetische Typen; Pfeile: Wanderungsrichtung. (b) Austauschrate zu erfassen – und dies auf verschiede- innerhalb weniger Generationen (Quellen und Senken). Zweifarbige Punkte: Individuen, nen Zeitskalen. Es lassen sich einer- die verschiedene Genvarianten von ihren Eltern geerbt haben. Hier, Nachkommen von an- seits die sich ausbreitenden Individuen sässigen Individuen und eingewanderten Individuen; Dicke der Pfeile: Ausmass des Aus- selbst bestimmen, indem man sie ih- tausches und dessen Richtung. (c) Austauschraten während vieler Generationen. Farbige Kreise: genetische Zusammensetzung der ganzen Population; schwarze zweiköpfge Pfeile: ren Ursprungspopulationen zuordnet Austauschrate (im Verhältnis umgekehrt zur genetischen Differenzierung). (d) Geografsch (Abb. 2a) und dabei auch Aussagen strukturierte genetische Gruppen, hier beidseits einer Strasse. (e) Verkleinerung der Popu- zu ihren Ausbreitungsdistanzen erhält. lationsgrösse. Anderseits kann man Austauschraten (f–h) Kapitel 4.2. (f) Bestimmung der Individuenzahl aufgrund der vorkommenden geneti- und ihre Richtung zwischen Populatio- schen Typen in einem Untersuchungsgebiet (Rechteck) zur Abschätzung der Populations- nen während der letzten paar Genera- grösse. (g) Raumnutzung von Tieren. Farbige Polygone: genutzter Raum eines Individuums. tionen bestimmen (Abb. 2b) oder man (h) Genetische Artbestimmung (Barcoding) aufgrund von DNA-Sequenzen und Vergleich mit einer Referenzdatenbank. untersucht wie sich Populationen gene- (i–l) Kapitel 4.3. (i) Bestimmung der Inzucht aufgrund der genetischen Zusammensetzung tisch unterscheiden (genetische Diffe- von Individuen (einfarbig: homozygot; zweifarbig: heterozygot). (k) Angepasstheit. Farbige renzierung). Letzteres erlaubt Aussa- Rechtecke: verschiedene Lebensräume. (l) Anpassungsfähigkeit. Im oberen Fall besteht gen zum längerfristigen Verbund und keine Anpassungsfähigkeit an einen veränderten Lebensraum.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 10 Forum für Wissen 2017

Austausch zwischen Populationen über Stellen wir uns vor, wir wollen wis- Aus den obigen Daten lassen sich viele Generationen hinweg (je weni- sen, wie viele Baummarder in einem weitere Information – quasi gratis – ger verschieden, desto mehr Austausch; Gebiet leben. Zählen lassen sie sich ableiten: zum Beispiel die Raumnut- je verschiedener, desto weniger Aus- kaum. Mittels Beobachtungen und Fo- zung von Individuen (Reviergrösse tausch; Abb. 2c; Bolliger und Gu­ tofallen lassen sich die Einzeltiere nicht oder home range; Abb. 2g). Verbindet gerli 2017, in diesem Band). Der Vor- unterscheiden. Die Anzahl Baummar- man nämlich die Orte, an denen der gang fehlenden Austauschs zwischen der lässt sich aber genetisch bestim- Kot desselben Individuums gefunden Populationen oder Gruppen von Po- men: Wir sammeln im ganzen Gebiet wurde, miteinander, so ergibt sich ein pulationen führt zu geografsch struk- den Kot von Baummardern und analy- Polygon. Dieses zeigt, welches Gebiet turierten Gruppen, die sich genetisch sieren diesen im Labor. Denn der Kot ein Individuum innerhalb der unter- nachweisen lassen (Abb. 2d). Welcher von Tieren enthält Erbgut (DNA) des suchten Fläche während des Sammel- Zeitraum betrachtet wird, hängt von jeweiligen Individuums. Weder haben zeitraums der Kotproben genutzt hat. der Generationsdauer der untersuch- wir dabei einen Baummarder gesehen, Die gleiche bzw. detailliertere Informa- ten Arten ab: von unter einem Jahr bei noch mussten wir einen fangen, um ge- tion erhält man mit Besenderungen. Insekten bis zu Jahrzehnten bei Bäu- netische Proben zu nehmen (nicht-in- Eine auch in der Schweiz besonders men. vasives Sammeln). Aufgrund der ver- populäre Anwendung – die oft als ge­­ Bei alldem – und das ist der entschei- schiedenen genetischen Zusammen­ netisches Monitoring bezeichnet wird dende Punkt – erfassen wir, was tat- setzung der DNA im Kot fnden wir (siehe aber unten) – ist die Artbestim- sächlich zwischen Population in gross- heraus, wie viele Individuen des Baum- mung mittels genetischer Methoden. räumigen Landschaften geschieht oder marders im Gebiet mindestens vor- Arten sind genetisch voneinander ver- geschah (funktionale Vernetzung), kommen. Vermutlich haben wir von schieden, was sich zu deren Bestim- unabhängig von unserer Menschen- manchen Baummarder-Individuen zig- mung nutzen lässt. In der Regel ver- sicht. Zerschneidung und Verbund fach Kot gesammelt und von anderen wendet man ein kurzes Stück der DNA werden in den Kapiteln von Bolliger nur einmal oder sogar keinmal. Was (DNA-Sequenz), das sich zwischen, und Gugerli (2017) und Meier und sich also bestimmen lässt ist die Anzahl aber nicht innerhalb von Arten unter- Stapfer (2017) in diesem Band näher verschiedener genetischer Typen, die scheidet. Jede Art zeigt gewissermas- behandelt. Dort fnden sich konkrete der Mindestanzahl des Baummarders sen einen einzigartigen genetischen Beispiele. im Gebiet entspricht (Abb. 2f). Natür- Strichcode; man spricht von geneti- Auch ein ganz anderer ökologischer lich müssen wir sicher sein, dass es Kot schem Barcoding. Man sammelt eine Prozess lässt sich mit Genetik erfassen, vom Baum- und nicht vom Steinmarder Probe im Feld – das kann eine geneti- nämlich ob in der Vergangenheit eine ist. Auch diese Artbestimmung erfolgt sche Probe direkt vom Organismus starke Reduktion der Populations- genetisch (siehe weiter unten). Die Er­­ oder eine nicht-invasive Probe wie Kot, grösse stattgefunden hat. Eine solche fahrung­ zeigt, dass die genetische Be­­ Haare, Federn usw. sein –, analysiert Studie lässt Rückschlüsse darauf zu, ob stimmung der Populationsgrösse meist diese im Labor und vergleicht die er- eine Art früher in einem Gebiet deut- grösser ausfällt als jene, die mit her- haltene DNA-Sequenz mit einer Refe- lich häufger war als heute. Dazu benö- kömmlichen ökologischen Zähl- oder renzdatenbank, die die DNA-Sequen- tigt man entweder altes Museumsmate- Monitoring-Methoden bestimmt wurde. zen aller relevanten Arten enthält. So rial, das man mit heutigen genetischen Manchmal unterscheiden sich die Er- kann man feststellen, um welche Art es Proben genetisch vergleicht, oder man gebnisse sogar drastisch (Gugerli et al. sich handelt (Abb. 2h). weist eine Reduktion der Populations- 2008). Besonders eindrücklich sind Bei- grösse mittels statistischer Verfahren Übrigens ist uns dieser Ansatz der spiele, bei denen aus einer kleinen aufgrund der heute vorkommenden ge- genetischen Bestimmung von Indivi- Menge Wasser bestimmt wird, welche netischen Vielfalt nach (Abb. 2e). Bis- duen anhand von Kot- oder Speichel- Lebe­wesen in einem Teich vorkom- lang wurden solche Tests in Mitteleu- proben aus den Massenmedien bes- men. Das Erbgut dieser Lebewesen ropa selten und nur für spezifsche Ziel- tens bekannt. Er wird gebraucht, wenn schwimmt natürlich im Teichwasser, da arten durchgeführt, zum Beispiel beim es zum Beispiel darum geht festzustel- es über Kot, über die Haut oder durch Birkhuhn (Segelbacher et al. 2014). len, welcher Bär in der Schweiz gese- das Absterben der Lebewesen ins Was- hen wurde oder ob ein Schaf von wel- ser gelangt. Man spricht hierbei von chem Wolf gerissen wurde. Umwelt-DNA (eDNA = environmen- Genetische Daten können ausser- tal DNA). So lässt sich genetisch fest- 4.2 Bestimmung von Individuen dem verwendet werden, um mit statisti- stellen, ob etwa der seltene Teichmolch und Arten schen Verfahren die Populationsgrösse in einem Teich vorkommt. Natürlich noch genauer zu schätzen (Fang-Wie- lassen sich auch mit einem Streich alle Wie oben erwähnt, besitzt jedes Indi- derfang). Ebenso kann die Anzahl der Amphibienarten in einem Teich gene- viduum der Wirbeltiere, aber auch der Individuen, die sich an der Fortpfan- tisch nachweisen – also nicht nur der meisten Insekten, Gefässpfanzen, Pilze zung beteiligen – also der eigentlich für Teichmolch. Man spricht dann von Me- und Flechten eine einzigartige gene- den Naturschutz relevante Teil einer tabarcoding. tische Zusammensetzung (Genotyp). Population – aufgrund theoretischer Es ist leicht, sich weitere Anwendun- Das kann man sich im Naturschutz zu- Überlegungen berechnet werden. Bei- gen genetischer Artbestimmung im Na- nutze machen. des wird allerdings selten gemacht. turschutz vorzustellen, vor allem dort,

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 11 wo diese schwierig ist (z. B. bei Totholz- bei wenigen Arten von besonderem (Abb. 2l) – sind also Bestandteile der pilzen und Flechten) oder wo Tiere Interesse, vor allem bei grossen Wir- Naturschutz-Argumentation. Doch heimlich leben und sich nur schwer be- beltieren wie etwa dem Bartgeier, an- was wissen wir zu Anpassung und An- obachten lassen. Besonders wichtig ist gewandt. Wie das geht und konkrete passungsfähigkeit und zur Geschwin- dabei das Vorhandensein einer voll- Beispiele dazu, zeigt der Beitrag von digkeit, mit der diese ablaufen, tat- ständigen und qualitativ hoch­­­stehen­ Biebach und Keller (in diesem Band). sächlich? Eigentlich wenig. Der Grund den Referenzdatenbank (Schmidt und Der letzte hier vorgestellte Themen- dafür ist, dass Untersuchungen zu An- Grünig 2017, in diesem Band). Das ist kreis umfasst die Angepasstheit und passung und Anpassungsfähigkeit bis- leider für viele Artengruppen noch Anpassungsfähigkeit von Organismen. lang sehr aufwändig und fast nur im nicht der Fall. In einigen Projekten und Menschen verändern Lebensräume in Rahmen wissenschaftlicher Untersu- Programmen in der Schweiz wird Ge- rasantem Tempo. Das können global chungen bei Nutztieren und -pfan- netik zur Artbestimmung aber bereits wirkende Faktoren wie der in Massen- zen durchgeführt wurden. Das ändert (fast) routinemässig eingesetzt. Bei- medien und Politik omnipräsente Kli- sich derzeit rasant, da neue genetische spiele zeigen Meier und Stapfer sowie mawandel oder der fächendeckende Techniken entwickelt werden, welche Schmidt und Grünig in diesem Band. Stickstoffeintrag sein, das können aber die direkte Untersuchung von Anpas- Hartmann (in diesem Band) macht zu- auch lokal wirkende Faktoren wie sung und auch die Vorhersage von An- dem deutlich, wie die weitgehend un- Landnutzungs- und Lebensraumverän- passungsfähigkeit in die Zukunft erlau- bekannte Biodiversität der Bodenorga- derungen oder Schwermetallbelastung ben (Mimura et al. 2016). Das Thema nismen mittels genetischer Bestim- sein. Manche Forscher behaupten so- Angepasstheit und Anpassungsfähig- mung zu­­gän­glich gemacht wird. gar, dass heutige Umweltveränderun- keit wird von Rellstab et al. (2017, in gen so grundlegend ablaufen, dass die diesem Band) genauer vorgestellt. An- herkömmlichen Instrumente des Na- gepasstheit spielt schon heute eine 4.3 Genetische Fitness turschutzes nicht mehr funktionieren, wichtige Rolle im Naturschutz, etwa da ganz neue Ökosysteme mit neuen dann, wenn es um Spenderfächen für Die genetische Zusammensetzung ei- Artenkombinationen entstehen wür- Direktbegrünungen oder um Quellen- nes Individuums beziehungsweise einer den (Stöcklin 2017). populationen für (Wieder-)Ansiedlun- Po­­pulation beeinfusst deren Zustand Wie aber reagieren Arten auf Um- gen oder Ex-situ-Vermehrungen geht. massgeblich. Inzucht kann die Überle- weltveränderungen? Beim Klimawan- bensfähigkeit einer Population negativ del ist dies augenfällig: Arten können beeinfussen (Inzucht-Depression). Sol- lokal aussterben, sie können an andere, che Prozesse können sich kurzfristig noch günstige Orte wandern oder sie 5 Einsatzmöglichkeiten von auswirken. Die genetische Zusammen- können sich anpassen. Betreffend Wan- Genetik im Naturschutz setzung von Individuen und Populatio- derungen von Organismen infolge des nen zeigt auch, wie gut diese an die heu- Klimawandels sind wir recht gut un- Wo können genetische Methoden im tigen Lebensräume angepasst sind und terrichtet (Essl und Rabitsch 2013). Naturschutz eingesetzt werden? Aus wie gut sie sich an zukünftige Änderun- Die in der Strategie Biodiversität den oben genannten Anwendungen gen der Umwelt anpassen können. Schweiz (Schweizerische Eidgenossen- können vor allem vier Einsatzmöglich- Ob in einer Population Inzucht – also schaft 2012) postulierte ökologische keiten der Naturschutzgenetik abgelei- die Paarung zwischen genetisch nah Infrastruktur soll dieses Wandern von tet werden. verwandten Individuen – vorkommt, Organismen infolge des Klimawandels Mit genetischen Methoden können lässt sich mit genetischen Methoden begünstigen. Ob Klimawandel kurzfris- Grundlagen zu Phänomenen und Pro- bestimmen. Vor allem kleine Popu- tig zum lokalen Aussterben von Arten zessen, die für den Naturschutz wichtig lationen weisen Inzucht auf (Frank- führt, ist noch unklar. Wie aber steht es sind, untersucht werden. Diese grund- ham 2015). Allerdings bedeutet das mit der Anpassung und Anpassungsfä- legenden Untersuchungen sind for- Vorkommen von Inzucht alleine noch higkeit von Organismen? Oft wird mit schungsnah. Ihre Ergebnisse fiessen nicht, dass dies auch negative Folgen der Erhaltung dieser Anpassungsfähig- in die allgemeine Argumentation des für die Anzahl der Nachkommen einer keit im Naturschutz argumentiert: Eine Naturschutzes ein. Wie weit wandern Population und deren Überlebensfä- hohe genetische Vielfalt sei wichtig, um Tiere? Was sind Barrieren für die Aus- higkeit haben muss (aber es kann!). die Anpassungsfähigkeit von Organis- breitung? Herrscht Inzucht in kleinen Jeder Nachkomme erbt zwei Vari- men (Darwin 1859) und indirekt von Populationen? Wie gross ist die Boden- anten pro Gen, eine Variante von der Lebensräumen an eine sich ändernde biodiversität? Wie gross ist die Anpas- Mutter, eine vom Vater. Sind diese Va- Umwelt zu gewährleisten. Nur so wür- sungsfähigkeit von Organismen? Dies rianten gleich, liegt das Gen homo- den auch deren Ökosystemleistun- sind einige der vielen möglichen Fra- zygot vor. Paaren sich genetisch nah- gen längerfristig gesichert (Pesch et al. gen, deren Beantwortung für den Na- verwandte Individuen, ist die Wahr- 2016). turschutz von allgemeiner Bedeutung scheinlichkeit für Homozygotie gross. Genetische Vielfalt, Angepasst- ist. Was erarbeitet wird, ist Grundla- Homozygotie gibt somit Auskunft über heit (Abb. 2k) und Anpassungsfähig- genwissen, zum Beispiel zur Wirksam- das Ausmass von Inzucht (Abb. 2i). Ge- keit – die Möglichkeit von Organis- keit der ökologischen Infrastruktur. naue Inzuchtuntersuchungen wurden men, sich in Zukunft an ändernde Um- Einzeluntersuchungen werden spe- im praktischen Naturschutz bislang nur weltbedingungen genetisch anzupassen ziell für den praktischen Naturschutz

WSL Berichte, Heft 60, 2017 12 Forum für Wissen 2017 durchgeführt, meist zu wichtigen Ziel- Genetische Methoden kann man sich um die Erfassung der Veränderun- arten des Naturschutzes. Beispielsweise auch für Erfolgskontrollen einsetzen. gen der genetischen Vielfalt von Arten lauten die Fragen, ob die Populationen In diesem Punkt ist das Potenzial der in Raum und Zeit. Genetisches Moni- des Moorbläulings in den zerstückel- Naturschutzgenetik bislang nicht aus- toring ist also ähnlich wie das Arten- ten Mooren eines Mittellandkantons geschöpft. Gerade im Bereich Verbund und Lebensraummonitoring des Bun- mitein­ander verbunden sind oder wie ist vieles möglich: Führt eine Grünbrü- des. Zielgrössen des genetischen Moni- viele Schneehühner in einem Bergmas- cke über eine Autobahn tatsächlich zu torings sind dabei die Vernetztheit von siv der Alpen leben. Solche genetischen einer grossräumigen Lebensraumver- Populationen, der Inzuchtgrad oder die Untersuchungen sind weitgehend Rou- netzung mit Fernwanderung oder ver- für die Anpassungsfähigkeit relevante tine. Es ist offensichtlich, dass hier ein bindet sie einfach die lokal ansässigen genetische Vielfalt (genetische Fitness). grosses Feld für den Einsatz von Na- Wildtiere rechts und links der Auto- Wiederum stossen im Moment tech- turschutzgenetik besteht. Es handelt bahn, ohne massgebliche Wirkung im nische Entwicklungen in der Genetik sich dabei um evidenzbasierten Natur- Hinterland? Durchmischen sich die neue Türen auf. Zwar ist genetisches schutz (Hofer 2016). Sind einmal viele Arten einer frisch angesäten Wiese mit Monitoring noch Neuland, aber es sind genetische Einzelartenstudien durch- jenen der Nachbarwiesen oder wurde weltweit Überlegungen und Planun- geführt, lassen sich daraus wieder all- nur eine weitere nicht vernetzte Le- gen dazu im Gang (Mimura et al. 2016); gemeine Argumente ableiten. Die Bei- bensrauminsel geschaffen? die Schweiz sollte nicht abseits stehen träge von Thiel-Egenter (2017) sowie Schliesslich fordert die Strategie Bio- (Holderegger et al. 2016; Cordillot Bühler und Dubey (2017) in diesem diversität Schweiz (Schweizerische Eid- 2017, in diesem Band). Band zeigen Beispiele für solche Ein- genossenschaft 2012) ein genetisches zelstudien aus der Schweiz. Monitoring (Abb. 3). Hier handelt es

6 Naturschutzgenetik ist kein Allerweltsheilmittel

Die Erwartungen und Hoffnungen an die Naturschutzgenetik sind hoch, manchmal zu hoch. Nur ein Beispiel: Zwar kann man genetisch bestimmen, welche Amphibienarten in einem Ge- wässer vorkommen, aber (noch) nicht, wie viele Individuen es pro Art sind. Wie alle Methoden hat auch die Na- turschutzgenetik ihre positiven und negativen Seiten. Einige dieser nega- tiven Seiten sind methodische De- tails, genetische Fachbegriffe und sta- tistische Auswertungen, die nicht ein- fach zu verstehen sind für diejenigen, Abb. 3. Genetisches Monitoring muss verschiedene Lebensräume und Arten mit je ver- schiedener Funktionalität umfassen. Beim genetischen Monitoring von Trockenwiesen die nicht täglich damit zu tun haben. (Xero- und Mesobrometum; links) kann beispielsweise das dominante und strukturgebende Wieviel muss man als PraktikerIn­ bei Gras dieses Wiesentyps – die häufge Aufrechte Trespe (Bromus erectus) – genetisch unter- einer Behörde, bei einer Naturschutz- sucht werden. Zusätzlich können die weniger häufge, aber doch regelmässig vorkommende organisation oder in einem Planungs- Spitzorchis (Anacamptis pyramidalis; Mitte) oder der seltene, streng an warm-trockene Le- büro von Naturschutzgenetik verste- bensräume gebundene Schmetterlingshaft (Libelloides coccajus; rechts) genetisch analysiert hen (Abb. 4)? Es empfehlt sich fol- werden (Fotos: Rolf Holderegger). gendes Vorgehen: Wer eine genetische Untersuchung durchführen will, sollte zuallererst eine möglichst präzise Frage stellen. Mit Genetik-Spezialisten zu- Frage Sammel- Sammeln Genetische sammen wird dann ein Konzept für das Konzept Laboranalyse Sammeln der Proben erstellt. Hier ist Statistische viel Fach- und Feldwissen gefragt, wes- Auswertungen halb die PraktikerInnen einen mass- Umsetzung Schluss- Interpretation geblichen Beitrag zu diesem Sammel- Implementierung folgerungen der Resultate konzept leisten sollten. Was beim Sam- meln falsch läuft, lässt sich später kaum Abb. 4. Ablauf einer naturschutzgenetischen Einzeluntersuchung. Blau: Arbeitsschritte der Praxis. Rot: Zusammenarbeit von Praxis und Genetik-Experten. Grau: Arbeitsschritte der mehr korrigieren. Die genetischen Genetik-Experten. Nur wenn die Frage präzise gestellt wird, kann eine naturschutzgeneti- Analysen im Labor, die spezialisierten sche Untersuchung gut auf die Umsetzung und Implementierung der Ergebnisse in der Na- statistischen Auswertungen und die In- turschutzpraxis ausgerichtet werden (zweiköpfger blauer Pfeil). terpretation dieser Resultate kann man

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 13

getrost den Genetik-Spezialisten über- Gugerli, F.; Jacob, G.; Bollmann, K., 2008: sion in European wildcats in the Swiss lassen, wobei natürlich von Praxisseite Molekulare Marker erzählen aus dem Ge- Jura. Conserv. Genet. 15: 1219–1230. her Verständnis- und Rückfragen mög- schichtenbuch: Auerhuhn-Populationsge- Pesch, M.-L.; Jacquat, O.; Zürcher, D., lich sein müssen. Um aus der Interpre- netik in den Schweizer Alpen. Ornith. Be- 2016: Forschungskonzept Umwelt für die tation der Resultate Schlussfolgerun- obachter 105: 77–84. Jahre 2017–2020. BAFU, Bern. gen zu ziehen, müssen die PraktikerIn- Hartmann, M., 2017: Der Boden – eine Rellstab, C.; Fischer, M.C.; Csencsics, D.; nen wieder wesentlich beitragen: Ein wertvolle Ressource für die genetische Gugerli, F.; Holderegger, R., 2017: Be- gewisses Grundverständnis der geneti- Vielfalt. WSL Ber. 60: 39–47. deutung der lokalen Anpassung in der schen Resultate ist also wichtig (Hol- Hofer, U., 2016: Evidenzbasierter Natur- Naturschutzgenetik. WSL Ber. 60: 31–37. deregger und Segelbacher 2016). Die schutz. Haupt, Bern. Rigling, A.; Schaffer, H.-P. (Eds.), 2015: Anwendung und Implementierung der Holderegger, R.; Segelbacher, G. (Hrsg.), Waldbericht 2015. BAFU, Bern. Schlussfolgerungen ist dann natürlich 2016: Naturschutzgenetik. Ein Handbuch Schmidt, B.; Grünig, C., 2017: Einsatz von Sache der PraktikerInnen. Ein Wech- für die Praxis. Haupt, Bern. eDNA zum Amphibien-Monitoring. selspiel zwischen Genetik-Spezialis- Holderegger, R.; Segelbacher, G.; Widmer, WSL Ber. 60: 57–62. ten von spezialisierten privaten Firmen A., 2016: Genetisches Monitoring. In: Hol­ Schweizerische Eidgenossenschaft, 2012: und Planungsbüros (Meier und Stap- der­egger, R.; Segelbacher, G. (Hrsg.). Strategie Biodiversität Schweiz. BAFU, fer 2017, in diesem Band) oder der For- Naturschutzgenetik. Ein Handbuch für Bern. schung mit der Praxis ist somit nötig. die Praxis. Haupt, Bern, 165–182. Segelbacher, G.; Strand, T.M.; Quintela, Naturschutzgenetische­ Methoden bie- Imesch, N.; Stadler, B.; Bolliger, M.; M.; Axelsson, T.; Jansman, H.A.H.; Koele­- ten zwar nicht alles, aber vieles. Nutzen Schneider, O., 2015: Biodiversität im Wald: wijn, P.; Höglund, J., 2014: Analysis of wir sie! Ziele und Massnahmen. BAFU, Bern. historical and current populations of Meier, R.; Stapfer, A., 2017: Werkzeugkas- Black Grouse in Central Europe reveal ten für genetische Methoden in der Bio- strong effects of genetic drift and genetic Dank diversitätsförderung. WSL Ber. 60: 49–56. diversity. Conserv. Genet. 15: 1183–1195. Ich danke Michèle Büttner, Felix Gu- Mimura, M.; Yahara, T.; Faith, D.P.; Vazquez- Stöcklin, S., 2017: Das gestaltete Naturpara- gerli und einem anonymen Begutachter Dominguez, E.; Colautti, R.I.; Araki, H.; dies. Horizonte 113: 42-43. für die gründliche Durchsicht und vielen Javadi, F.; Nunez-Farfan, J.; Mori, A.S.; Thiel-Egenter, C., 2017: Naturschutzgene- Verbesserungen des Manuskripts sowie Zhou, S.; Hollingsworth, P.M.; Neaves, tik aus Ökobürosicht – Chancen und Er- dem KTI-Projekt Nr. 19204.1 PFLS-LS L.E.; Fukano, Y.; Smith, G.F.; Sato, Y.-I.; fahrungen. WSL Ber. 60: 71–76. für fnanzielle Unterstützung. Tachida, H.; Hendry, A.P., 2016: Under- UVEK; BAFU, 2013: Anpassung an den standing and monitoring the consequen- ­Klimawandel in der Schweiz. UVEK, ces of human impacts on intraspecifc va- BAFU, Bern. riation. Evol. Appl. 10: 121–139. 8 Literatur Nussberger, B.; Wandeler, P.; Weber, D.; Keller, L.F., 2014: Monitoring introgres- BAFU, 2013: Waldpolitik 2020. BAFU, Bern. BAFU; BLW, 2008: Umweltziele Landwirt- schaft. BAFU, Bern. Abstract Biebach. I.; Keller, L., 2017: Inzucht und Genetics in conservation management: an overview ihre Bedeutung für den Naturschutz. Conservation genetics produces basic knowledge that forms part of the catalogue WSL Ber. 60: 15–22. of arguments for nature conservation. But it is also used in case studies, in which Bolliger, J.; Gugerli, F., 2017: Isoliert oder answers to specifc questions from conservation management are sought for, vernetzt? Auswirkungen der Landschaft e.g. studies on implementation success. Applications of conservation genetics auf den Genfuss. WSL Ber. 60: 23–29. range from the determination of ecological processes such as connectivity or Bühler, C.; Dubey, S., 2017: Application de fragmentation, across species identifcation – e.g. the detection of species from la génétique de la conservation dans les water samples through environmental DNA and barcoding – to the determination bureaux d’études en écologie. WSL Ber. of genetic ftness encompassing inbreeding, adaptation and adaptability. A new 60: 77–82. theme is genetic monitoring. Here, changes in the genetic diversity of populations Cordillot, F., 2017: Bedeutung der Natur- and species are assessed across space and time. The present article provides an schutzgenetik für den Bund. WSL Ber. 60: overview of the importance and the possibilities of conservation genetics in 63–69. practical conservation management. Darwin, C., 1859: On the origin of species. John Murray, London. Keywords: conservation genetics, barcoding, connectivity, inbreeding, genetic moni­ Essl, F.; Rabitsch, W. (Hrsg.), 2013: Biodi- toring, adaptability, conservation management versität und Klimawandel. Springer, Berlin. Frankham, R., 2015: Genetic rescue of small inbred populations: meta-analysis reveals large and consistent benefts of gene fow. Mol. Ecol. 24: 2610–2618.

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Forum für Wissen 2017: 15–22 15

Inzucht und ihre Bedeutung für den Naturschutz

Iris Biebach und Lukas Keller

Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften, Universität Zürich, Winterthurerstrasse 190, CH-8057 Zürich [email protected], [email protected]

Naturschutzrelevante Populationen sind meist klein und isoliert – Eigenschaften, samte Leben betrachtet weniger fort- die zu Inzucht führen. Ingezüchtete Individuen leiden häufg unter einer redu- pfanzungsfähige Nachkommen hat als zierten Fitness wie zum Beispiel geringere Fruchtbarkeit. Diese Inzuchtproble- ein weniger ingezüchtetes. Die Ursa- me wurden in vielen Wildpopulationen nachgewiesen. Ohnehin gefährdete kleine chen dafür sind mannigfaltig, bei- Popula­tionen werden also durch Inzucht noch stärker bedroht. Zudem bleiben die spielsweise kann die Überlebenswahr- negativen Effekte der Inzucht noch lange bestehen, nachdem eine Population wie- scheinlichkeit dieses Individuums, sei- der gewachsen ist. Beispielsweise ist dies bei wiederangesiedelten Steinbockpopu- ne Abwehrkräfte gegen Krankheiten, lationen in der Schweiz der Fall. Wenn Inzucht nicht berücksichtigt wird, besteht die Fruchtbarkeitsrate oder das Über- die Gefahr, das Aussterberisiko einer Population zu unterschätzen und somit den leben seiner Nachkommen bis ins Er­­ Schutzstatus falsch einzuordnen. Daher sollte Inzucht und ihre negativen Folgen wachsenenalter reduziert sein. in kleinen oder ehemalig kleinen Populationen beachtet und gegebenenfalls mit Am einfachsten lässt sich Inzuchtde- geeigneten Massnahmen verringert werden. pression an einem Stammbaum veran- schaulichen (Abb. 1). Jedes Individu- um trägt an jedem Genort zwei Gen- 1 Was ist Inzucht? die Anzahl Jahre. So steigt die Inzucht varianten in sich, wobei eine Variante während eines bestimmten Zeitraums von der Mutter und die andere vom Inzucht entsteht durch die Verpaarung in Populationen von gleicher Grösse Vater stammt. Nachkommen erben von verwandten Individuen und kann mit kurzer Generationszeit (z. B. ein- zufällig eine der beiden Genvarian- in zwei Kategorien eingeteilt werden. jährige Pfanzen, kleine Singvögel) ten von jedem Elternteil. Nachkom- In der ersten Kategorie wählen Indi- stärker an als bei solchen mit langer men einer Geschwisterverpaarung kön- viduen bevorzugt Verwandte als Paa- Generationszeit (z. B. Steinbock, Ele- nen – wenn sie die gleiche Genvariante rungspartner, obwohl auch weniger fant). von jedem Elternteil vererbt bekom- verwandte Individuen zur Auswahl Selbst wenn eine kleine Populati- men haben – zweimal die gleiche Gen- stünden. Die extremste­ Form dieser on wieder angewachsen ist, bleibt die variante in sich tragen, die ursprünglich Inzucht kommt bei denjenigen Orga- Inzucht noch lange erhalten. Die ein- vom Grossvater oder der Grossmut- nismen vor, die sich selbst befruchten zigen Möglichkeiten, die Inzucht in ter stammen. Individuen, die zweimal können, wie dies häufg bei Pfanzen Populationen wieder zu reduzieren, die gleiche Genvariante in sich tragen, vorkommt. Bei Wirbeltieren kommt sind die Einwanderung von Individu- nennt man homozygot. Homozygot Inzucht in natürlichen Populationen en aus anderen Populationen oder die an Genorten zu sein ist dann nachtei- jedoch nur selten durch bevorzugte Entstehung von neuen Genvarianten lig, wenn die homozygote Genvarian- Partnerwahl von Verwandten vor. durch Mutationen im Erbgut. Letzte- te schädlich und rezessiv ist. Rezessiv Bei der zweiten Kategorie handelt es res ist ein langwieriger Prozess, der vie- bedeutet, dass die Genvarianten nicht sich um kleine Populationen, in denen le Generationen dauert und den man auffällig sind, solange eine der beiden­ die Anzahl der Paarungspartner allein im Naturschutz nicht abwarten kann. gesund ist. Das ist bei ­heterozygoten durch die geringe Grösse der Popula- Denn nur wenige kleine und isolierte Individuen der Fall, welche die schäd­ tion limitiert ist. Dadurch kommt es Populationen werden ohne Eingreifen liche Genvariante nur von einem El­­ selbst bei zufälliger Partnerwahl zur eine so lange Zeit überleben. tern­­­teil geerbt haben. Wenn aber ein Verpaarung von verwandten Indivi- Individuum eine schädliche Genva- duen. In Populationen, die im Natur- riante zweifach in sich trägt, kommen schutz von Interesse sind, kommt auf- die Nachteile zum Vorschein, weil die grund der oft begrenzten Populations- 2 Inzuchtdepression schädliche Genvariante nicht von einer grösse diese Art der Inzucht häufg gesunden überdeckt wird. Solch schäd- vor. Je länger Populationen klein sind, Inzucht ist für naturschutzrelevan- liche rezessive Genvarianten kommen desto mehr Inzucht sammelt sich an. te Populationen bedeutsam, weil inge- häufg vor: Jeder Mensch trägt hunder- Denn solange die Population klein züchtete Individuen im Vergleich zu te solcher schädlicher Genvarianten in ist, kommt mit jeder Generation wei- Individuen mit weniger Inzucht eine sich (Agrawal und Whitlock 2012), tere Inzucht zu der bereits bestehen- niedrigere Fitness haben. Dies wird meist aber in Kombination mit einer den hinzu. Dabei ist zu bedenken, dass als Inzuchtdepression bezeichnet. Eine gesunden Genvariante. Beispielsweise das relevante Zeitmass die Genera­ niedrigere Fitness bedeutet, dass das ist die Ursache für die Krankheit cys- tionszeit einer Population ist, und nicht ingezüchtete Individuum über das ge­­ tische Fibrose eine rezessive Mutati-

WSL Berichte, Heft 60, 2017 16 Forum für Wissen 2017 on des Cystic Fibrosis Transmembrane sogar nur dann nachweisbar sein. Zu in Computersimulationen mit 18 Säu- Conductance Regulator (CFTR) Gens. den ungünstigen Umweltbedingungen getier- und 12 Vogelarten die Zeit bis Anzahl und Art dieser schädlichen zählen etwa widrige Klimabedin­ gun­ ­ zum Aussterben um ein Drittel ver- Genvarianten unterscheiden sich von gen oder starke Umweltveränderun- kürzt (O’Grady et al. 2006). Es ist Population zu Population. Die Unter- gen. Beispielsweise galten Nacktmulle jedoch nicht so, dass Inzuchtdepressi- schiede zwischen Populationen entste­ ­ (Heterocephalus glaber) lange Zeit als on immer zu einem geringeren Popu- hen durch Unterschiede in der Ge­­­ Ausnahme unter den Wirbeltieren, da lationswachstum führt. Das Populati- schich­­te der Populationen, etwa, wie sie trotz hoher Inzucht keine Anzei- onswachstum wird zum Beispiel von gross die Populationen in der Vergan- chen von Inzuchtdepression aufwiesen. Inzucht wenig beeinfusst, wenn weni- genheit waren. Dementsprechend ist Als ein fremdartiges Virus in einer Ko­­ ger ingezüchtete Tiere die geringe- auch die Inzuchtdepression zwischen lonie von Nacktmullen ausbrach, zeigte re Anzahl an fortpfanzungsfähigen Populationen verschieden ausgeprägt, sich die Inzuchtdepression jedoch deut­ ­Nachkommen der mehr ingezüchte- da sie davon abhängt, wieviele und lich: Stark ingezüchtete Tiere hatten ten Tiere ausgleichen, indem sie selbst ­welche schädlichen Genvarianten in­­ ein 300 Prozent höheres Risiko, an dem mehr fortpfanzungsfähige Nachkom- gezüchtete Individuen zweifach in sich Virus zu sterben, als nicht ingezüchtete men haben. Die Bedingungen, unter tragen. Im Durchschnitt jedoch ist die Tiere (Ross-Gillespie et al. 2007). denen sich Inzucht auf das Populati- Inzucht schädlich und die Nachteile der Für den Naturschutz ist die Inzucht- onswachstum auswirkt, sind jedoch Inzucht wurden wiederholt in Wildpo- depression vor allem dann bedeutsam, noch wenig erforscht. Ebenso ist wenig pulationen nachgewiesen. Beispielswei- wenn sich der Fitnessverlust der inge- darüber bekannt, wie häufg Wildpo- se haben Singammern mit steigendem züchteten Individuen auch im Popula- pulationen auf Grund von Inzucht im Inzuchtgrad eine geringere Lebens­ tionswachstum zeigt. Denn dann wird Populationswachstum gehemmt sind erwartung und eine geringere Anzahl eine ohnehin kleine Population noch (Kardos et al. 2016). Nachkommen (Nietlisbach et al. 2017). kleiner oder wächst nur sehr langsam In manchen Fällen zeigt sich ein Zu­­ an. Die Inzuchtprobleme verstärken sammenhang zwischen Inzuchtdepres- sich noch und tragen gemeinsam mit sion und Umweltbedingungen: Unter anderen Faktoren zu einem erhöhten 3 Wie erfasst man Inzucht ungünstigen Umweltbedingungen kann Aussterberisiko von kleinen Popula- und Inzuchtdepression? Inzuchtdepression ausgeprägter oder tionen bei. So hat Inzuchtdepression 3.1 Erfassung von Inzucht

Quantitative Erfassungen von Inzucht beziehen sich immer auf eine bestimm- te Generation in der Vergangenheit, in der aus pragmatischen Gründen ange- nommen wird, dass alle Tiere nicht inge- züchtet und nicht miteinander verwandt sind (Inzuchtgrad = 0). Der Inzuchtgrad ist also ein relatives Mass, was bei der Inzuchtmessung mit Stammbäumen anschaulich wird: Der Inzuchtgrad ist höher, wenn der Inzuchtschätzung ein Stammbaum über mehrere Genera- tionen zu Grunde liegt, als wenn die Schätzung nur über zwei Generationen erfolgt. Im zweiten Fall fehlt die Infor- mation, dass zum Beispiel die Grossel- tern verwandt sind. Dementsprechend liegen die meisten mit Stammbäumen berechneten Inzuchtgrade unter dem tatsächlichen Wert. Die Inzucht kann mit Stammbäu- men oder mit genetischen Methoden gemessen werden. Die Inzucht mit Hilfe von Stammbäumen zu messen, Abb. 1. Illustration zur Entstehung von schädlichen Folgen durch Inzucht. Die farbigen Punk- galt bis zur Entwicklung neuer geno- te stellen unterschiedliche Genvarianten an einem Genort dar. Die rote Genvariante ist eine mischer Methoden als die genaues- schädliche Genvariante, die anderen nicht. Tiere, die eine schädliche und eine gesunde Gen- te Methode, solange der Stammbaum variante tragen, haben keine Einbussen in der Fitness, da die gesunde Genvariante den Effekt der schädlichen Genvariante überdeckt (=rezessiv). Hat ein Tier jedoch von beiden Eltern die Informationen über mehrere Genera- schädliche Genvariante geerbt (hier ursprünglich vom Grossvater), kommt es zu Einbussen in tionen enthielt. Die Erstellung solcher der Fitness (gepunktetes Tier; Steinbockzeichnungen von Nadine Colin). Stammbäume ist jedoch für die meis-

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 17 ten Populationen sehr zeitaufwändig, 3.2 Erfassung von Inzuchtdepression Inzuchtgrad präzise genug gemessen wenn sie überhaupt möglich ist. Denn werden. Eine unpräzise Messung kann man muss eine Population über meh- Zur Messung der Inzuchtdepressi- dazu führen, dass man keine Inzucht- rere Generationen hinweg markieren on müssen zusätzlich zu den Inzucht- depression feststellen kann oder den oder genetisch erfassen, um einen mög- werten von Individuen oder Popula- Effekt der Inzucht auf das Fitness- lichst fehlerfreien Stammbaum erstel- tionen Fitnessmerkmale erfasst wer- merkmal unterschätzt. Bei Seehunden len zu können. den. Mit einem statistischen Modell (Phoca vitulina) zum Beispiel wurde Die Schätzung der Inzucht mit gene- wird anschliessend berechnet, ob und Inzuchtdepression mit wenigen gene- tischen Methoden ist hingegen für wie stark die Inzucht das Fitness- tischen Markern (27 Mikrosatelliten) sehr viele Populationen möglich, da merkmal beeinfusst. Häufg erfass- und auch mit sehr vielen genetischen man nur einmalig genetisches Mate- te Fitnessmerkmale sind beispielswei- Markern (14 500 SNPs) untersucht rial von Individuen sammeln muss se die Anzahl Nachkommen in einer (Hoffman et al. 2014). Nur die Ana- und kein Stammbaum nötig ist. Vor bestimmten Zeitspanne, das Überle- lyse mit den vielen Markern konnte der Entwicklung neuer genomischer ben, der Parasitenbefall, oder Merkma- Inzuchtdepression statistisch deutlich Methoden, mit denen unter anderem le, die der sexuellen Selektion unterlie- feststellen. Viertens müssen genügend aber­tausende über das Genom ver- gen wie Gesang bei Vögeln oder Horn- viele Individuen oder Populationen teilte Marker genotypisiert werden grösse bei Wildschafen. Merkmale, die untersucht werden, damit vorhandene können, war es üblich, die Inzucht in der sexuellen Selektion unterliegen, Inzuchtdepression auch statistisch fass- naturschutzrelevanten Populationen sind Indikatoren der Fitness, da Indi- bar wird. mit etwa 10 bis 40 genetischen Mar- viduen mit einem stärker ausgepräg- Die oben genannten Faktoren zei- kern (Mikrosatelliten) zu berechnen. ten sexuellen Merkmal mehr Nach- gen, dass eine Population durchaus an Diese relativ wenigen genetischen kommen haben: Entweder sind sie bei Inzuchtdepression leiden kann, auch Marker können den Inzuchtgrad ein- den Paarungspartnern begehrter oder wenn ein direkter Nachweis fehlt. zelner Individuen nur schlecht abbil- sie können sich bei der Paarungswahl Daher sollte man davon ausgehen, dass den. Um die durchschnittliche Inzucht besser gegen Konkurrenten durchset- eine Population unter Inzuchtdepressi- von Populationen zu schätzen, ist die- zen. Wird die Inzuchtdepression auf on leidet, wenn ein hoher Inzuchtgrad se geringe Anzahl von Markern jedoch Populationsebene untersucht, so treten festgestellt wurde. Dies vor allem dann, ausreichend – vorausgesetzt die unter- anstelle der Fitnessmerkmale von Indi- wenn es sich um kleine Populationen suchten Populationen stammen alle viduen populationsspezifsche Merk- handelt, wie sie häufg im Naturschutz von einer gemeinsamen Population ab. male wie zum Beispiel das Populations- vorkommen. Dann kann mit dem Grad des gene- wachstum. tischen Unterschieds einer Population Der Nachweis von Inzuchtdepressi- relativ zu den anderen untersuchten on wird jedoch durch einige Faktoren Populationen (populationsspezifsches erschwert: Erstens muss ein Fitness- 4 Inzucht und Inzuchtdepres­

FST; psp FST) berechnet werden, wieviel merkmal untersucht werden, das auch sion bei Steinböcken Inzucht sich seit der Trennung von der tatsächlich durch Inzucht beeinfusst gemeinsamen Population angesam- wird. Da sich Inzucht in verschiede- Steinböcke (Capra ibex) in der Schweiz melt hat. nen Merkmalen äussern kann, kommt sind ideal, um Inzucht und Inzucht- Mit den neuen genomischen Tech- es vor, dass man nicht das Merkmal depression zu studieren, da die Grün- niken können einige wenige bis hun- gemessen hat, bei dem sich die Inzucht- dungsgeschichte der Schweizer Stein- derttausende genetische Marker (sin- depression tatsächlich zeigt. Zweitens bockpopulationen einem genetischen gle-nucleotide polymorphisms; SNPs) muss es Unterschiede im Ausmass der Grossexperiment gleicht: Es gibt viele pro Individuum untersucht werden. Inzucht zwischen den untersuchten Populationen, die weitgehend isoliert Mit so vielen genetischen Markern Individuen oder Populationen geben. sind und Details zur Gründung und kann der Inzuchtgrad einzelner Indi- Bei Populationen, die schon über viele Entwicklung der Populationen sind gut viduen sehr präzise gemessen werden, Generationen hinweg klein sind, kann dokumentiert. oft sogar besser als bei der Berechnung es sein, dass alle Individuen einen ähn- mit Hilfe von Stammbäumen (Kardos lich hohen Inzuchtgrad haben. In die- et al. 2015). Es gibt mehrere Methoden, sem Fall kann man Inzuchtdepression 4.1 Geschichte der Schweizer die Inzucht mit genomischen Daten zu erst feststellen, wenn man Individuen Steinbockpopulationen berechnen. Bei einer dieser Methoden aus anderen Populationen einkreuzt. werden Erbgutstücke gesucht, die an Beispielsweise hat man innerhalb von Alle heutigen Alpensteinbockpopula- allen genetischen Markern homozygot Zuchtlinien des mexikanischen Wolfs tionen gehen auf die Gran Paradiso- sind. Über die Länge von homzygoten (Canis lupus baileyi) zunächst keine Population in Italien zurück, der ein- Erbgutstücken kann zwischen Inzucht Inzuchtdepression feststellen können. zigen überlebenden Steinbockpopula- unterschieden werden, die mehrere Erst durch Kreuzungen zwischen den tion des 19. Jahrhunderts. Anfang des oder nur wenige Generationen zurück- Zuchtlinien konnte starke Inzuchtde- 20. Jahrhunderts wurde in der Schweiz liegt. Längere homozygote Erbgutstü- pression vor allem bei einer der drei ein Zuchtprogramm für Alpenstein­ cke zeigen dabei Inzucht an, die erst vor Zuchtlinien gezeigt werden (Fredrick- böcke mit Kitzen aus der Gran Para- wenigen Generationen entstanden ist. son et al. 2007). Drittens muss der diso-Population aufgebaut. Steinböcke

WSL Berichte, Heft 60, 2017 18 Forum für Wissen 2017 aus zwei Wildparks (Wildpark Peter und Paul, Wildpark Interlaken-Harder), die vorwiegend zum Zuchtprogramm 1000 beitrugen, waren die Gründertiere der ersten freilebenden Steinbockpopula- tionen in der Schweiz seit ihrer Aus- 900 geschätzt

rottung. Vor allem aus drei dieser früh rn gegründeten und gut wachsenden frei- ke 800

lebenden Populationen wurden Stein- Mar Erbstücken >5Mb; in Mb) böcke für alle weiteren Wiederansied- (Summe von homozygoten

lungen in der Schweiz ausgewählt. Inzucht mit vielen genetischen Dadurch wurden viele Schweizer Stein- 700 bockpopulationen mehrmals stark in 0,06 0,08 0,10 0,12 ihrer Grösse reduziert — sie haben Inzucht mit wenigen genetischen Markern geschätzt sogenannte genetische Flaschenhälse (populationsspezifisches FST) durchlaufen — und mit jedem geneti- Abb. 2. Zusammenhang der Inzuchtschätzungen mit jeweils wenigen und vielen genetischen schen Flaschenhals ihre Inzucht erhöht. Markern in 10 Schweizer Populationen des Steinbocks. Die Inzuchtschätzung mit wenigen Den ersten genetischen Flaschen- genetischen Markern wurde mit 37 Mikrosatelliten durchgeführt und zeigt die Inzucht an, hals haben alle heute noch lebenden die sich über die letzten 12 Generationen angesammelt hat. Die Inzuchtschätzung mit vie- Alpensteinböcke erfahren, als nur eine len genetischen Markern wurde mit 31 580 SNPs berechnet und schätzt die Inzucht, die sich kleine Population im Gran Paradiso- in den letzten 10 bis 12 Generationen angesammelt hat (Mb = Megabasen: 1 Mb entspricht 1 Million Nukleotiden). Die Linie zeigt die Korrelation zwischen den beiden Inzuchtschät- Gebiet der Ausrottung im 19. Jahrhun- zern an (r = 0,79; p = 0,007). dert entkommen war. Der zweite gene- tische Flaschenhals entstand bei der Gründung der Zuchtpopulation in der neuen Population angesiedelt wurden schiedlich viele genetische Flaschen- Schweiz. Durch die Gründung der ers- und je stärker die Population nach der hälse erfahren haben: einen (Gran ten freilebenden Steinbockpopulatio- Gründung gewachsen ist, desto gerin- Paradiso), drei (Albris, Mont Pleu- nen durchliefen die Populationen den ger ist die durchschnittliche Inzucht reur, Brienzer Rothorn), drei bis vier dritten genetischen Flaschenhals. Zum einer Population (Biebach und Keller (Graue Hörner, Schwarzmönch und vierten und manchmal auch fünften 2010). Aletsch-Bietschhorn) und vier (Rhein- genetischen Flaschenhals kam es, als In einer Vergleichsstudie überprüf- wald, Weisshorn und Cape au Moine).­ alle weiteren Steinbockpopulationen ten wir, ob die Inzuchtschätzung mit Es zeigte sich, dass der Inzuchtgrad im aus bereits bestehenden freilebenden Mikrosatelliten ein ähnliches Bild Durchschnitt höher ist, je mehr gene- Populationen gegründet wurden. ergibt wie eine mit vielen genomischen tische Flaschenhälse eine Population Markern (31 580 SNPs). Dazu unter- durchlaufen hat (Abb. 3; Grossen et al. suchten wir den statistischen Zusam- 2017). Populationen, die vier genetische 4.2 Inzucht bei Alpensteinböcken menhang der unterschiedlich berech- Flaschenhälse erfahren haben, haben neten Inzuchtschätzungen. Die beiden einen signifkant höheren Inzuchtgrad Die heutigen Steinbockpopulationen Inzuchtschätzer zeigen eine hohe Kor- als Populationen, die nur einen bis drei stammen letztendlich alle von der Gran relation. Das heisst Populationen mit genetische Flaschenhälse durchlaufen Paradiso-Population ab, weshalb es hohem Inzuchtgrad, der aus der Ana- haben. möglich ist, mit relativ wenigen gene­ lyse mit den wenigen Markern hervor- Alpensteinböcke in der Schweiz sind tischen Markern die durchschnittliche ging, haben auch einen hohen Inzucht- deutlich ingezüchteter als ihre Ver- Inzucht pro Population zu berechnen. grad bei der Schätzung mit vielen wandten, die iberischen Steinböcke und Wir haben mit 37 Mikrosatelliten die genetischen Markern. Dieser Zusam- die Hausziegen (Abb. 3; Grossen et al. Inzucht, die sich seit dem Zuchtpro- menhang zeigt sich sowohl für Inzucht, 2017). Iberische Steinböcke haben eine gramm über etwa 12 Generationen an­- die sich erst über die letzten vier bis ähnlich hohe oder niedrigere Inzucht ge­­­­­­­­sammelt hat, in 41 Schweizer Stein- fünf Generationen angesammelt hat wie die Gran Paradiso-Population der bockpopulationen gemessen (Biebach wie auch für die Inzucht, die sich seit Alpensteinböcke. Die Hausziegen hin- und Keller 2010). Die Inzucht (psp den Aussetzungen angesammelt hat. gegen sind etwa 50-mal weniger inge-

FST) ist im Durchschnitt bei den Stein- Wie zu erwarten war, besteht die beste züchtet als die zehn untersuchten Popu- böcken fast so hoch (psp FST = 0,118) Korrelation jedoch für die Inzucht, die lationen der Alpensteinböcke. wie bei Nachkommen einer Halbge- in den letzten 10 bis 12 Generationen schwisterverpaarung (Inzuchtgrad = entstanden ist (Abb. 2), der Zeitspanne 0,125). Es gibt aber Unterschiede zwi- also, über die wir die Inzucht mit den 4.3 Inzuchtdepression bei ­ schen den Populationen, die zum gros- wenigen genetischen Markern gemes- Steinböcken sen Teil mit der Anzahl der Gründer- sen haben. tiere und dem Wachstum der Populati- Die Inzuchtberechnung mit den vie- Ob Inzucht die individuelle Fitness von onen nach der Gründung zu erklären len genomischen Markern wurde an Steinböcken herabsetzt, wurde in der sind. Je mehr Tiere zur Gründung einer Populationen durchgeführt, die unter- Gran Paradiso-Population untersucht.

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Das Ausmass der Inzucht der unter- te aussergewöhnlich gut dokumentiert. Population, die zum Beispiel jährlich suchten Böcke wurde mit 37 Mikrosa- Von den meisten Populationen wurden um 15 Prozent wächst, hat nur noch telliten berechnet. Obwohl die Schät- sowohl die Anzahl wie auch die Her- ein jährliches Wachstum von 5 Pro- zung der Inzucht mit diesen relativ kunft der Gründertiere und der jähr- zent wenn der Inzuchtgrad um 0,1 wenigen genetischen Markern nicht liche Bestand erfasst. Mit den jährli- ansteigt. Das reduzierte Populations- sehr präzise ist, wurde Inzuchtdepres- chen Bestandsdaten seit der Gründung wachstum durch Inzucht ist in diesen sion gefunden: Mit steigender Inzucht einer Population konnte das Wachs- statistischen Analysen klar zu erken- hatten adulte Böcke ein geringeres tum von 26 Populationen berechnet nen, in den Bestandeszahlen der meis- Körpergewicht, kürzere Hörner und werden. Von den gleichen 26 Popula­ ten Steinbockpopulationen aber noch mehr Parasiten (Brambilla et al. 2015). tionen wurden die Inzuchtwerte mit nicht, denn sie sind meist im Wachstum Eine weitere Studie untersuchte, ob wenigen genetischen Markern ermit- begriffen und werden jagdlich genutzt. sich die Inzucht bei Steinböcken auch telt. Die Untersuchung zeigte, dass die Wenn noch mehr Steinbockgenera- auf das Populationswachstum auswirkt. Inzucht einen deutlichen Einfuss auf tionen vergehen, kann sich dies aber Bei den Schweizer Steinbockpopulati- das Populationswachstum­ hat (Abb. 4; ändern: Ohne weitere Massnahmen ist onen wurde die Aussetzungsgeschich- Bozzuto et al., unveröffentlicht). Eine die Inzucht dann noch höher und wird das Populationswachstum dementspre- chend stärker reduzieren. Die Stärke der Inzuchtdepressi- Cahi Caib Capy on hing dabei vom Sommernieder- 1200 schlag ab, der auch sonst das Wachs- tum von Steinbockpopulationen stark beeinfusst (Grotan et al. 2008). In Gebieten mit niedrigem Sommernie- 900 derschlag zeigten Populationen kei- ne Inzuchtdepression, in Gebieten mit hohem Sommerniederschlag war hin- gegen die Inzuchtdepression stark aus- 600 geprägt. Inzuchtgrad Bisherige Studien über den Einfuss von Inzucht auf das Wachstum natür- licher Populationen haben diesen 300 Zusammenhang nur innerhalb einer Generation untersucht. So haben zum Beispiel Populationen des Wegerich- 0 Scheckenfalters (Melitaea cinxia) mit stärkerer Inzucht ein höheres Risiko, ge gp al br pl rh cm wh ab sm gh sn ma innerhalb einer Generation auszuster- Populationen ben, als weniger ingezüchtete Falterpo- Cahi: Hausziege ge: Gemsfarbene cm: Cape au Moine pulationen (Saccheri et al. 1998). Mit Caib: Alpensteinbock Gebirgsziege wh: Weisshorn der Steinbockstudie konnten wir zei- Capy: iberischer Steinbock gp: Gran Paradiso ab: Aletsch Bietschhorn al: Albris sm: Schwarzmönch gen, dass Inzucht auch langfristige Kon- br: Brienzer Rothorn gh: Graue Hörner sequenzen auf die Demographie von pl: Mont Pleureur sn: Sierra Nevada Populationen haben kann. Für die dau- rh: Rheinwald ma: Maestrazgo erhafte Erhaltung von isolierten und kleinen Populationen oder solchen, die Abb. 3. Ausmass der Inzucht, basierend auf einer Schätzung mit vielen genomischen Mar- vor einigen Generationen klein waren, kern (SNPs). Es ist die Inzucht gezeigt, die sich über die letzten 10 bis 12 Generationen in spielen solche genetischen Konsequen- Populationen des Alpensteinbocks (grün), des iberischen Steinbocks (blau) und der Haus- zen also eine wichtige Rolle. ziege (rot) angesammelt hat. Die Schattierung der Grünfärbung bei den Alpensteinböcken markiert die Anzahl der genetischen Flaschenhälse, welche die jeweilige Population erfah- ren hat: Dunkelgrün: 1 genetischer Flaschenhals, mittelgrün: 3 genetische Flaschenhälse, hellgrün: 4 genetische Flaschenhälse, mittelgrün-hellgrün gestreift: 3–4 genetische Flaschen- hälse, da die Gründertiere aus verschiedenen Populationen stammen. Die Kästen markieren 5 Reduktion von Inzucht und den Bereich, in dem die mittleren 50 % der Inzuchtwerte pro Population liegen. Die Querli- Inzuchtdepression nien in den Kästen zeigen den mittleren Wert an: Die Hälfte der Inzuchtwerte liegt darüber und die andere Hälfte darunter. Die vertikalen Linien kennzeichnen jenen Bereich, in dem Die negativen Auswirkungen von alle Inzuchtwerte der jeweiligen Population mit Ausnahme von extremen Werten zu fnden In­zucht auf die Fitness von Individuen sind. Individuen mit extrem hohem oder niedrigem Inzuchtgrad im Vergleich zu den ande- ren Individuen ihrer Population sind mit schwarzen Punkten gekennzeichnet. Populationen, sind inzwischen unumstritten. Inzucht- die vier genetische Flaschenhälse durchlaufen haben (hellgrün), haben eine höhere Inzucht depression in Populationen nachzuwei- als Populationen, die nur 1–3 genetische Flaschenhälse (mittelgrün und dunkelgrün) erfah- sen, ist – wie oben beschrieben – jedoch ren haben. oftmals aufwändig und schwierig. Man

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stellt oder gefördert werden, sofern es 2,5 benachbarte Populationen gibt. Zum anderen können Individuen aus ande- 2,0 ren Populationen umgesiedelt werden. Die umgesiedelten Individuen soll- ten zur gleichen Art gehören und aus 1,5 einer Population stammen, wo ähnli- che Umweltbedingungen herrschen (Hedrick und Fredrickson 2010). Denn bei zu grossen genetischen Unterschie- 1,0 den oder unterschiedlichen Anpas- sungen an jeweils andere Umweltbe- ohne andere Einflüsse dingungen zwischen den beiden Popu- Populationswachstumsrate lationen besteht das Risiko, dass man mehr schadet als hilft: Es kann zu soge- nannter Auszuchtdepression kommen, 0,5 also eine Reduzierung der Fitness bei Kreuzungen von Individuen aus gene- 0,05 0,10 0,15 0,20 tisch stark unterschiedlichen Populati- InzuchtF ST onen. Auch sollte die Herkunftspopu- lation nicht zu nahe verwandt mit der Abb. 4. Einfuss der Inzucht auf die Wachstumsrate von 26 Steinbockpopulationen, nach- Empfängerpopulation sein, um die dem andere Einfüsse wie Sommer- und Winterniederschlag oder das Jahr der Aussetzung statistisch entfernt wurden. Die Fläche der Kreise zeigt, wie gross der Schätzfehler der Inzucht möglichst effektiv zu reduzie- Populationswachstumsrate bei jedem Datenpunkt ist: Je grösser der Kreis ist, desto gerin- ren. Welche Herkunftspopulationen ger ist der Schätzfehler. Die gestrichelte Linie zeigt das berechnete statistische Modell: Die sich am besten eignen, wird idealerwei- Wachstumsrate einer Population ist kleiner, je grösser der Inzuchtgrad der jeweiligen Popu- se mit Hilfe von genetischen Analysen lation ist. bestimmt (Whiteley et al. 2015). Zum Beispiel kann mit den neuen genomi- schen Methoden festgestellt werden, kann allerdings davon ausgehen, dass lation auch Individuen mit keiner oder ob starke genetische Unterschiede zwi- Individuen mit hohem Inzuchtgrad wenig Inzucht sind und die schädlichen schen Populationen als Folge jahrhun- Einbussen in ihrer Fitness haben, auch Genvarianten einen starken negati- dertelanger Trennung und Isolierung wenn es keinen unmittelbaren Nach- ven Effekt auf die Fitness des einzel- durch den Verlust von Habitaten ent- weis für Inzuchtdepression gibt. Popu- nen Individuums haben (Hedrick und standen sind oder durch Anpassung lationen, deren Inzucht reduziert wer- Garcia-Dorado 2016). Diese Bedin- an verschiedene Umweltbedingungen den kann, werden so wieder eine höhe- gungen kommen in Wildpopulatio- (Rellstab et al. 2017). Im ersten Fall re Fitness erlangen (z. B. Johnson et al. nen, um die sich der Naturschutz küm- wären die genetischen Unterschiede 2010). Wenn sich die Inzucht auf das mert, selten vor: Sie sind meist klein, rein zufällig entstanden, da die Popula- Populationswachstum auswirkt, bedeu- so dass die Inzucht schnell ansteigt, tionen keine Individuen mehr austau- tet das in der Folge ein erhöhtes Popu- und alle Individuen sind ähnlich stark schen können und klein sind. Dann ist lationswachstum und dementspre- ingezüchtet. Dementsprechend gibt es ein künstlicher Austausch von Indivi- chend eine schnellere Erholung nach auch kaum Nachweise von Wildpopu- duen zwischen den Populationen gut Einbrüchen in der Populationsgrösse. lationen, deren schädliche Genvari- geeignet, um der Inzucht in den klei- Dies ist besonders bei kleinen Popu- anten durch Inzucht ausgemerzt wor- nen isolierten Populationen entge- lationen wichtig, da sie ohnehin schon den sind. Selbst in Zuchtpopulationen gen zu wirken. Sind die Unterschiede ein erhöhtes Aussterberisiko durch ist die gezielte Inzucht keine erfolgrei- hingegen durch Anpassungen an ver- demographische Faktoren haben. che Strategie, um die negativen Folgen schiedene Umweltbedingungen ent- Häufg diskutiert wird eine nur ver­ der Inzucht zu mildern. Denn das Risi- standen, würden bei einem Austausch meintlich geeignete Methode zur Re­­ ko ist gross, dass genau das Gegenteil von Individuen Kreuzungen entstehen, duktion der Inzuchtdepression, nämlich des erwünschten Effekts erreicht wird, die weder an die eine noch die ande- schädliche Genvarianten durch Inzucht nämlich dass schädliche Genvarianten re Umwelt angepasst sind. Sind gene- auszumerzen («purging»). Wenn sich in ihrer Häufgkeit zunehmen. tische Untersuchungen nicht möglich, ingezüchtete Individuen nicht mehr Die einzige praktikable Möglichkeit, kann folgende Faustregel angewendet erfolgreich fortpfanzen, sollten schäd- die Inzucht einer Population zu redu- werden: Wenn die Populationen in ähn- liche Genvarianten mit der Zeit selte- zieren, besteht darin, dass Individuen lichem Lebensraum beheimatet sind ner oder gar nicht mehr in der Popula- aus anderen Populationen hinzukom- und nicht mehr als 500 Jahre getrennt tion vorkommen. Unter ganz bestimm- men und sich erfolgreich fortpfanzen. sind, sind die genetischen Unterschie- ten Bedingungen ist dies tatsächlich Um dies zu erreichen, kann zum einen de zwischen Populationen mit grosser auch der Fall, beispielsweise wenn die die natürliche Einwanderung von be­­ Wahrscheinlichkeit zufällig entstan- Inzucht langsam ansteigt, in der Popu- nachbarten Populationen wiederherge- den und ein künstlicher Austausch von

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Individuen zwischen den Populationen 6 Inzucht im Naturschutz probability of outbreeding depression. kann ins Auge gefasst werden (Frank- Conserv. Biol. 25: 465–475. ham et al. 2011). Wie vorhergehend beschrieben sind Fredrickson, R.J.; Siminski, P.; Woolf, M.; Bei der Planung von Massnahmen also viele Populationen, die im Natur- Hedrick, P.W., 2007: Genetic rescue and zur Reduzierung der Inzucht muss schutz von Interesse sind, von Inzucht inbreeding depression in Mexican wolves. bedacht werden, dass einige Generati- und ihren negativen Folgen betroffen. Proc. R. Soc. B Biol. Sci. 274: 2365–2371. onen vergehen, bis die neu eingeführ- Ohne Berücksichtigung von Inzucht Grossen, C.; Biebach, I.; Angelone-Ala­ ten Genvarianten in der Population werden wichtige Kriterien zur Einord- saad, S.; Keller, L.F.; Croll, D., 2017: weit verbreitet sind und eine sichtliche nung des Schutzstatus, wie beispiels- Populations genomics analyses of Euro- Reduktion von Inzucht und Inzucht­ weise der Rückgang von Populationen pean ibex species show lower diversity depression bewirken können. Bei und das Aussterberisiko, unterschätzt. and higher inbreeding in reintroduced einem langlebigen Tier wie dem Stein- Mit den heutigen genomischen populations. Evol. Appl. DOI: 10.1111/ bock bedeutet dies eine Vorauspla- Methoden kann das Ausmass der eva.12490 nung von 10 bis 20 Jahren. Auch sollte Inzucht präzise bestimmt werden. Grotan, V.; Saether, B.E.; Filli, F.; Engen, beachtet werden, dass man mit der Ein- Dies hilft, das Risiko, welches von der S., 2008: Effects of climate on population führung von Individuen aus anderen Inzucht ausgeht, einzuschätzen, auch fuctuations of ibex. Global Change Biol. Popula­tionen Krankheiten einschlep- wenn Inzuchtdepression nicht direkt 14: 218–228. pen kann. Daher sollten Herkunftspo- nachgewiesen werden kann. Eine früh- Hedrick, P.W.; Fredrickson, R., 2010: pulationen frei von unerwünschten zeitige Erkennung von Inzucht ist Genetic rescue guidelines with examples Krankheiten sein oder die Individuen wichtig, damit genügend Zeit bleibt, from Mexican wolves and Florida pan- vor der Umsiedlung auf entsprechende um Massnahmen einzuleiten. Denn es thers. Conserv. Genet. 11: 615–626. Krankheiten getestet werden. vergehen einige Generationen, bis die Hedrick, P.W.; Garcia-Dorado, A., 2016: Es gibt einige erfolgreiche Beispie- Inzucht und Inzuchtdepression durch Understanding inbreeding depression, le von kleinen, isolierten natürlichen das Einführen von Individuen aus purging, and genetic rescue. Trends Ecol. Populationen, deren Populations- anderen Populationen reduziert ist. Evol. 31: 940–952. grösse rückläufg war und nach der Inzucht und ihre negativen Folgen Hoffman, J.I.; Simpson, F.; David, P.; Rijks, Ansiedlung von Individuen aus ande- bleiben viele Generationen bestehen J.M.; Kuiken, T.; Thorne, M.A.S.; Lacy, ren Populationen wieder anstieg (Whi- oder können sich im Laufe der Zeit R.C.; Dasmahapatra, K.K., 2014: High- teley et al. 2015). Beispielsweise wies noch verstärken, auch wenn die Popu- throughput sequencing reveals inbreeding eine kleine Population von Dickhorn- lation bereits wieder angewachsen ist. depression in a natural population. Proc. schafen abnehmende Bestandeszah- Daher ist es im Naturschutz wichtig, Natl. Acad. Sci. U. S. A. 111: 3775–3780. len auf. Nach der Einführung von 15 die Inzucht auch in solchen Populati- Hogg, J.T., Forbes, S.H.; Steele, B.M.; Tieren aus anderen Populationen über onen im Auge zu behalten, die keiner ­Luikart, G., 2006: Genetic rescue of an einen Zeitraum von 10 Jahren stiegen direkten Bedrohung mehr ausgesetzt insular population of large mammals. die Bestandeszahlen wieder beträcht- sind, aber in früheren Generationen Proc. R. Soc. B Biol. Sci. 273: 1491–1499. lich an (Hogg et al. 2006). Individu- kleine Populationsgrösse aufwiesen. Johnson, W.E.; Onorato, D.P.; Roelke, en, die relativ mehr Genvarianten der M.E.; Land, E.D.; Cunningham, M.; eingeführten Individuen in sich tragen, ­Belden, R.C.; McBride, R.; Jansen, D.; leben länger und haben mehr Nach- Lotz, M.; Shindle, D.; Howard, J.; Wildt, kommen. Trotz dieser dokumentier- 7 Literatur D.E.; Penfold, L.M.; Hostetler, J.A.; ten Erfolge fndet die genetische Ret- Oli, M.K.; O’Brien, S.J., 2010: Genetic tung durch Ansiedlung von Individu- Agrawal, A.F.; Whitlock, M.C., 2012: restoration of the Florida panther. Sci- en aus anderen Populationen noch Mutation load: the ftness of individuals ence 329: 1641–1645. wenig Anwendung im Naturschutz. Die in populations where deleterious alleles Kardos, M.; Luikart, G.; Allendorf, F.W., Gründe dafür sind vielfältig. Ein häu- are abundant. Ann. Rev. Ecol. Evol. Syst. 2015: Measuring individual inbreeding in fger Grund jedoch ist, dass die gene- 43: 115–135. the age of genomics: marker-based mea- tische Distanz zwischen Populationen Biebach, I.; Keller, L.F., 2010: Inbreeding sures are better than pedigrees. Heredity überbewertet und das Risiko der Aus- in reintroduced populations: the effects 115: 63–72 zuchtdepression als zu hoch einge- of early reintroduction history and con- Kardos, M.; Taylor, H.R.; Ellegren, H.; stuft wird. Gerade in kleinen Popula- temporary processes. Conserv. Genet. 11: Luikart, G.; Allendorf, F.W., 2016: tionen oder solchen, die einmal klein 527–538. Genomics advances the study of inbree- waren, sind genetische Distanzen meist Brambilla, A.; Biebach, I.; Bassano, B.; ding depression in the wild. Evol. Appl. zufällig entstanden und stellen keine Bogliani, G.; von Hardenberg, A., 2015: 9: 1205–1218. Anpassung an verschiedene Umwelt- Direct and indirect causal effects of Nietlisbach, P.; Keller, L.F.; Camenisch, bedingungen dar. Solche Populatio- ­heterozygosity on ftness-related traits in G.; Guillaume, F.; Arcese, P.; Reid, J.M.; nen müssen also aus genetischer Sicht Alpine ibex. Proc. R. Soc. B Biol. Sci. 282: Postma, E., 2017: Pedigree-based inbree- nicht getrennt bleiben und der Aus- 20141873. ding coeffcient explains more variati- tausch von Individuen zwischen sol- Frankham, R.; Ballou, J.D.; Eldridge, on in ftness than heterozygosity at 160 chen Populationen würde auch keine M.D.B.; Lacy, R.C.; Ralls, K.; Dudash, microsatellites in a wild bird population. Auszuchtdepression hervorrufen. M.R.; Fenster, C.B., 2011: Predicting the Proc. R. Soc. B Biol. Sci. 284: 2016–2763.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 22 Forum für Wissen 2017

O’Grady, J.J.; Brook, B.W.; Reed, D.H.; Abstract Ballou, J.D.; Tonkyn, D.W.; Frankham, Inbreeding and its impact in conservation R., 2006: Realistic levels of inbreeding Populations of conservation concern are often small and isolated — properties depression strongly affect extinction risk that lead to inbreeding. Inbreeding depression, the negative consequences in wild populations. Biol. Conserv. 133: of inbreeding, include reduced ftness of individuals such as lower survival or 42–51. fecundity, or reduced pathogen resistance. These may lead to reduced population Rellstab, C.; Fischer, M.J.; Csencsics, growth rates. Inbreeding depression has been shown to be ubiquitous in natural D.; Gugerli, F.; Holderegger, R., 2017: populations. Thus, inbreeding depression is an additional threat in populations Bedeutung der lokalen Anpassung in der already endangered for other reasons. However, the threat of inbreeding still Naturschutzgenetik. WSL Ber. 60: 31–37. remains once a population has again increased in size and is no longer threatened Ross-Gillespie, A.; O’Riain, M.J.; Keller, demographically. Reintroduced Swiss Alpine ibex (Capra ibex) populations serve L.F., 2007: Viral epizootic reveals inbree- as an example for this phenomenon. Therefore, it is crucial to consider inbreeding ding depression in a habitually inbree- in conservation applications to determine the conservation status of a population ding mammal. Evolution 61: 2268–2273. and to initiate timely management strategies to reduce inbreeding. Saccheri, I.; Kuussaari, M.; Kankare, M.; Vikman, P.; Fortelius, W.; Hanski, I., 1998: Keywords: inbreeding, inbreeding depression, conservation genetics, Alpine ibex, Inbreeding and extinction in a butterfy outbreeding metapopulation. Nature 392: 491-494. Whiteley, A.R.; Fitzpatrick, S.W.; Funk, W.C.; Tallmon, D.A., 2015: Genetic rescue to the rescue. Trends Ecol. Evol. 30: 42–49.

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Isoliert oder vernetzt? Auswirkungen der Landschaft auf den Genfuss Janine Bolliger und Felix Gugerli

Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf [email protected], [email protected]

Der Verlust naturnaher Lebensräume und ihrer Vernetzung in intensiv genutzten tive Korridorwirkung einzelner Land- Landschaften isoliert die Populationen seltener Arten und gefährdet langfristig schaftselemente erklärt werden. Im die biologische Vielfalt. Mit genetischen Methoden werden Beziehungen zwischen Fall von Korridoren gleichen sich ge- isolierten Populationen und damit ihre funktionale Vernetzung erfasst. Dies lässt netische Unterschiede zwischen Po- Rückschlüsse auf kurz- oder langfristige Bewegungen von Individuen in der Land- pulationen aus (hoher Genfuss), wäh- schaft zu. Die Landschaftsgenetik stellt genetische Beziehungen zwischen Popu- rend bei Barrieren sich die Populati- lationen oder Individuen in Zusammenhang mit der Anordnung von Landschafts­ onen aufgrund geringen Genfusses elementen und leistet so in verschiedenen Naturschutzbereichen einen wichtigen genetisch auseinanderentwickeln. Fehlt Beitrag: Genetische Methoden erlauben, die Bewegung von Organismen und de- die Durchlässigkeit, so können gezielte ren Richtung im Raum zu messen oder Barriere- und Korridorwirkungen von Vernetzungsmassnahmen wie zum Bei- Landschaftselementen wie zum Beispiel Strassen zu analysieren. Dies ermöglicht, spiel Trittsteinbiotope oder Grünbrü- Naturschutzmassnahmen zu optimieren und hinsichtlich ihrer Wirkung zu beur- cken den Genfuss längerfristig erhö- teilen. hen (Gugerli et al. 2016).

1 Genfuss als Mass ner Population zur anderen bewegen funktionaler Vernetzung und dadurch für die Durchmischung 2 Genfuss messen in der Landschaft des Erbguts sorgen. Reger Genfuss hat also eine ausgleichende Wirkung auf Die Bestimmung von Genfuss erfolgt Die Bewegungen von Organismen, ins­ die genetische Zusammensetzung von entweder indirekt oder direkt (Holde- besondere von Tieren, lassen sich mit Populationen und verhindert, dass sich regger 2017, in diesem Band). Als indi- verschiedenen Ansätzen beschreiben. Populationen genetisch auseinander- rektes Mass für Genfuss wird oft die Einerseits liefern Methoden wie Sicht- entwickeln. Diese Gefahr besteht ins- genetische Differenzierung zwischen beobachtungen, Fang–Wiederfang, GPS- besondere bei kleinen Populationen. Individuen oder Populationen verwen- Tracking oder Telemetrie räumlich Wandern Individuen, Samen oder Pol- det. Die genetische Differenzierung er- exakte Daten darüber, wie sich die In- len von aussen in eine kleine Popula- rechnet sich aus genetischen Markern dividuen in der Landschaft bewegen. tion ein, erhöhen sie die genetische und wird zum Beispiel als FST-Wert an-

Andererseits bleibt bei diesen Metho- Vielfalt. Dies wirkt dem zufälligen Ver- gegeben. FST ist ein relatives Mass und den unklar, welchen Einfuss die Bewe- lust bestimmter Genvarianten (geneti- wird von verschiedenen Faktoren be- gung auf das längerfristige Fortbeste- sche Drift) entgegen, den die räumliche einfusst wie zum Beispiel der Stichpro- hen von Populationen hat beziehungs- Isolation einer Population mit sich bengrösse, ihrer Dichte, der Grösse des weise ob die beobachteten Bewegungen bringt. Genfuss ist ein wichtiges Mass Untersuchungsgebietes, und nicht zu- von Organismen für die genetischen für den realisierten Austausch zwi- letzt von den verwendeten genetischen

Beziehungen zwischen Populationen schen Individuen und Populationen Markern. FST nimmt Werte zwischen bedeutend sind. Dies ist nämlich nur und beschreibt somit die funktionale 0 (Populationen sind genetisch iden- dann der Fall, wenn es zu Paarungen Vernetzung. Für die langfristige Erhal- tisch) und 1 an (Populationen sind ge- zwischen Individuen aus verschiede- tung der Biodiversität ist Genfuss von netisch komplett verschieden). Somit nen Populationen kommt und die herausragender Bedeutung. deuten tiefe FST-Werte auf einen regen Nachkommen somit genetisch durch- Grundsätzlich geht man davon aus, genetischen Austausch zwischen den mischt sind. Zudem sind die erwähnten dass räumlich nahe beieinanderlie- Populationen, während FST-Werte nahe Methoden oft mit grossem logistischem gende Populationen einen hohen Gen- 1 darauf hinweisen, dass es kaum Aus- Aufwand verbunden. Daten über Gen- fuss aufweisen, während weit ausei- tausch zwischen den Populationen gibt. fuss, welche mit Hilfe genetischer Ana- nanderliegende Populationen gerin- Allerdings ist zu beachten, dass die ge- lysen bestimmt werden, bieten eine gen Genfuss zeigen und sich dadurch netische Differenzierung FST den his- einzigartige Möglichkeit, die räumliche genetisch stärker unterscheiden. Die torischen Genfuss widerspiegelt: Was Vernetzung (oder umgekehrt Isolation) Landschaftsgenetik untersucht, wel- wir heute messen, ist ein Ergebnis aus von Populationen zu beschreiben. Gen- che Landschaftsstrukturen nebst der der Vergangenheit. Das kann dazu füh- fuss bedeutet, dass sich Tiere oder geographischen Distanz einen Einfuss ren, dass die gemessene genetische Dif- pfanzliche Ausbreitungseinheiten wie auf den Genfuss haben. Setzt man also ferenzierung und der daraus abgelei- Samen, Pollen oder Sporen in der Genfuss und Landschaftsstruktur in tete Genfuss nicht direkt mit der heute Landschaft ausbreiten, sich so von ei- Beziehung, können Barriere- respek- vorhandenen Landschaft in Beziehung

WSL Berichte, Heft 60, 2017 24 Forum für Wissen 2017 stehen. Die Barrierewirkung einer neu (= Gesamtheit der Genvarianten ei- tal, dass die Wanderungsdistanz einzel- erbauten Strasse wird zum Beispiel nes Individuums) zu einer lokalen Po- ner Tiere beträchtlich war (bis zu 7 km) für Rehe erst in ein paar Jahrzehnten pulation gehört. Wenn der Genotyp und dass dabei offenbar die Reuss als erhöhte genetische Differenzie- des untersuchten Individuums nicht überquert wurde (Abb. 1). Die Stu- rung sichtbar werden. Ebenso können zu den Genotypen der lokalen Popu- die zeigte ebenso, dass die Besiedlung Wirkungskontrollen von Vernetzungs- lationen passt, ist das Individuum ver- neu erbauter Tümpel nicht nur von den massnahmen wie Trittsteinbiotope für mutlich zugewandert. Im besten Fall nächsten benachbarten Tümpeln er- Amphibien erst nach ein paar Jahren kann aufgrund der Ähnlichkeit des folgte, sondern auch von weiter weg. erkennbar werden, wenn man sich auf Genotyps sogar die Herkunftspopula- Der Genfuss zwischen zwei Popula- die Messung von genetischer Differen- tion und somit die zurückgelegte Dis- tionen ist entweder in beide Richtun- zierung beschränkt. tanz und die Ausbreitungsrichtung be- gen gleich gross oder in einer Richtung Als direktes Mass für den aktuellen stimmt werden. Dieser Ansatz verlangt stärker ausgebildet als in der anderen. Genfuss wird aufgrund sogenannter jedoch, möglichst alle in Frage kom- Wenn zum Beispiel mehr Genfuss von Zuordnungstests die Wanderungsrate menden Herkunftspopulationen eben- Population 1 zu Population 2 stattfn- bestimmt, die durch Landschaftsver- falls genetisch zu charakterisieren, was det, wird Population 1 als Quelle und änderungen in jüngerer Vergangenheit sehr aufwändig sein kann. Dafür ist Population 2 als Senke bezeichnet. geprägt wird. Dieser Ansatz erlaubt, es so möglich, den aktuellen Genfuss Quellen sind oft grosse Populationen, den aktuellen Austausch von Indivi- räumlich einzuordnen und die Popu- während kleine Populationen zumeist duen zwischen Populationen aufzuzei­ lationsdynamik genauer zu beschrei- Senken sind. Eine Studie über die gen. Zuordnungstests berechnen die ben. Basierend auf verschiedenen sol- zierliche Moosjungfer (Libelle) zeigte, Wahrscheinlichkeit, dass ein Indivi- cher Zuordnungstests zeigten Le Lay dass drei von vier untersuchten Popu- duum mit einem bestimmten Genotyp et al. (2015) für Laubfrösche im Reuss­ lationen im Reusstal keine bevorzugte

Abb. 1. Ergebnisse von Zuordnungstests für Laubfrösche (Hyla arborea) im Reusstal. Die Laubfrösche bewegen sich bis zu 7 km in der Landschaft, und die Reuss scheint keine vollständige Barriere für die Bewegung der Tiere zu sein. Verändert nach Le Lay et al. (2015). Foto: Thomas Reich.

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Richtung von Genfuss aufwiesen. Die durch die Autobahn zugeordnet wer- chen um bis zu 40 Prozent vermin- kleinste Population war jedoch klar den könnte, erkennen (Gugerli et al. dern kann (Van Buskirk 2012). Ob in eine Senke, ihr Fortbestand somit von 2017). Ähnliche Resultate wie beim letzterer Studie bei entsprechend ge- der Zuwanderung aus den andern drei Bergmolch fanden sich für die Wasser- ringer räumlicher Aufösung nicht an- Populationen abhängig (Bolliger et al. frösche (Kleiner Wasserfrosch, Teich- dere, in die Analyse nicht miteinbe- 2011). frosch, Seefrosch). Abgeleitet von der zogene Landschaftsmerkmale als die genetischen Differenzierung hatten Autobahnen eine Barrierewirkung er- auch hier die untersuchten Autobahn- zielen, bleibt unklar. Dies nicht zuletzt abschnitte im Kanton Zürich und Aar- deshalb, weil eine sehr ähnliche Studie 3 Verkehrsinfrastruktur als gau nicht die erwartete starke Trenn- in Frankreich beim Bergmolch eben- Barriere für den Genfuss? wirkung auf die Bewegung der Tiere. falls keine Trennwirkung durch eine Vielmehr spielte die räumliche Anord- Autobahn nachweisen konnte (Pru- Autobahnen stehen an erster Stelle, nung und die Distanz zwischen den nier et al. 2014). wenn von Barrierewirkung im Zusam- Bruttümpeln sowie der Anteil Land- Grundsätzlich stellt sich immer die menhang mit Landschaftselementen wirtschaftsfäche zwischen Populati- Frage, ob alle relevanten Faktoren, die die Rede ist. Eine Studie untersuchte onspaaren eine wichtige Rolle für die das Mass des Genfusses zwischen Po- in der Gegend von Aarau, Zürich und Bewegung der Wasserfrösche in der pulationen erklären können, erfasst im Thurgau drei Autobahnabschnitte, Landschaft (Gugerli et al. 2017). und in die Analyse miteinbezogen sind. um abzuschätzen, wie durchlässig die Diese Studien zu Amphibien sind auf Es bleibt somit offen, ob und wie stark Landschaft für Bergmolche ist. Es regionaler Ebene durchgeführt wor- solche unterschiedlichen Resultate wie zeigte sich, dass Autobahnen und grös- den (40–100 km2), und die teils gerin- beim Bergmolch durch Faktoren wie sere Flüsse die genetische Struktur des gen Stichprobenzahlen erlauben nur Stichprobenzahl und -dichte, Wahl der weitverbreiteten und häufgen Berg- begrenzt statistisch gesicherte Aussa- genetischen Marker oder Landschafts- molchs nicht substanziell beeinfus- gen. Eine auf grösserer Landschafts- konfguration beeinfusst sind. Den- sen. Vielmehr liess sich in der am in- skala durchgeführte Untersuchung noch lassen die Ergebnisse den Schluss tensivsten beprobten Region bei Aarau (ca. 800 km2) zeigte, dass Autobahnen zu, dass eher häufge und kleine Tierar- ein genetischer Gradient statt einer sowie urbane Siedlungen den Gen- ten in einer Landschaft, die wir struktu- klaren Teilung, die der Trennwirkung fuss von Grasfröschen und Bergmol- rell als stark fragmentiert wahrnehmen,

Abb. 2. Schematische Darstellung des Austauschs zwischen lokalen Vorkommen bei der Kreuzkröte (Epidalea calamita) im Suhretal. Die unterschiedlichen Ansätze Telemetrie, direktes (aktuelle Wanderer) und indirektes Mass für Genfuss (Wanderungsrate) widerspiegeln ver- schiedene Prozesse und räumlich-zeitliche Skalen. Links: Zuordnungswahrscheinlichkeit der untersuchten Individuen (horizontale Balken; geordnet nach Populationen von Nord [oben] nach Süd [unten]) zu einer von drei genetischen Verwandtschaftsgruppen. Der Anteil der gel- ben Gruppe nimmt von Nord nach Süd zu, derjenige der roten Gruppe verringert sich entsprechend. Verändert nach Frei et al. (2016). Foto: Christoph Bühler.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 26 Forum für Wissen 2017 zumindest regional nicht so stark am Expertinnen und Experten beurteilt als strukturelle Barriere, das Mass des Austausch zwischen Populationen ge- wird, gut mit der funktionellen Vernet- Genfusses verändert sich hingegen hindert werden wie befürchtet. zung übereinstimmt, wie sie über den erst nach mehreren Generationen. In Anders sieht die Situation bei gros- historischen, langfristigen Genfuss ab- diesem Fall ist wiederum ein direktes sen Wirbeltieren aus. Am Beispiel geschätzt wird. Wenn hingegen eine Mass für den genetischen Austausch, des Rehs konnten Hepenstrick et al. markante landschaftliche Veränderung wie zum Beispiel die Anzahl Nachkom- (2012) im Wildtierkorridor Suret (Kan- erfolgt – beispielsweise wenn ein Stras- men von eingewanderten Individuen, ton Aargau) die Barrierewirkung der sen- oder Eisenbahnabschnitt neu ein- aussagekräftiger. beiden eingezäunten Autobahnen auf- gezäunt wird – erkennen wir dies zwar zeigen: Rehe, die zwischen der Natio- nalstrasse A1 und der kantonalen Au- tobahn T5 vorkommen, zeigten eine erhöhte genetische Differenzierung zu ihren umliegenden Artgenossen als Vorkommen, die durch die Aare, wel- che ebenfalls das Untersuchungsge- biet durchschneidet, getrennt sind (Abb. 2). Hingegen beeinfusste die vierspurige, sehr stark befahrene, aber nicht eingezäunte Eisenbahnlinie Zü- rich–Olten den Genfuss nicht erkenn- bar. Diese Untersuchung wurde ange- regt, um die Situation in diesem sehr wichtigen Wildtierkorridor zwischen Jura und Voralpen zu erfassen, bevor umfangreiche Vernetzungsmassnah- men durchgeführt werden. Dank dieser Beschreibung der genetischen Struk- Aare tur der Rehvorkommen ist nach Ab- schluss der Aufwertungen eine Wir- kungsanalyse möglich. Da eine Vernet- SBB zungsmassnahme ihre Wirkung je nach Populationsgrösse wie bereits erwähnt T5 erst nach 10 bis 15 Generationen ent- faltet, muss für eine Wirkungskontrolle jedoch noch zugewartet werden. A1 Eine ähnliche Frage hinsichtlich der Barrierewirkung von Autobahnen auf Genfuss beim Reh stellten sich Bur- S U R E T kart et al. (2016). In dieser Studie ging es darum, die Experteneinschätzung U zur Durchlässigkeit von Wildtierkorri- doren im Bereich von Autobahnen zu R E überprüfen. Dazu wurde ebenfalls auf- E T grund der genetischen Differenzierung bei Rehvorkommen im Umfeld aus- T gewählter Wildtierkorridore das Mass an Genfuss abgeschätzt und in Bezie- hung zur Expertenbeurteilung gesetzt. Als Datengrundlage dienten die Geno- Autobahn typen von über tausend Rehen aus der 020211 44 RiverFluss s Freeways Jagd und von Fallwild, gesammelt in UrbanSiedlung areas RailwayEisenbahns vier Grossregionen des Schweizer Mit- KilometerKilometer s ForestWald areas MainHauptstrasse roads tellands. Die von Experten als intakt eingeschätzten Korridore wiesen tat- Abb. 3. Barrierewirkung (Stärke symbolisiert durch Dicke der farbigen Linien) von li- sächlich mehr Genfuss auf als die Kor- nearen Landschaftselementen, die den Wildtierkorridor Suret zwischen Rupperswil und Aarau durchqueren. Rehproben von Jagd und Fallwild (graue Punkte) zeigten erhöhte ge- ridore, welche als beeinträchtigt oder netische Differenzierung zu benachbarten Rehvorkommen aufgrund der abgezäunten Au- unterbrochen erachtet wurden. Dar- tobahnen A1 und T5 (dicke rote Linien) und geringe Einschränkung des Genfusses durch aus lässt sich ableiten, dass beim Reh die Aare (dünne blaue Linie). Die Eisenbahnlinie (SBB) liess hingegen keine Barrierewir- die strukturelle Vernetzung, wie sie von kung erkennen. Verändert nach Hepenstrick et al. (2012). Foto: Josef Senn.

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4 Die Kreuzkröte trotzt der aufhalten, und ob sie sich dort erfolg- Verluste von möglichen Habitaten, da- fragmentierten Landschaft reich fortpfanzen können. Eine Te- mit dieses Netzwerk von Populationen lemetriestudie bestätigte, dass sich nicht mehr durchlässig ist und als Folge Die zunehmende Zersiedlung, der Aus- Kreuzkröten im oberen Suhretal (Kan- davon die Kreuzkröte regional ver- bau von Verkehrsinfrastruktur, die in- ton Aargau) das ganze Jahr über im schwinden könnte. tensivierte Agrarwirtschaft und die Ka- Landwirtschaftsgebiet aufhalten und nalisierung von Fliessgewässern führ- dieses auch durchqueren (Schweizer ten vielerorts dazu, dass temporäre 2014, Abb. 3). Dass diese Bewegungen Gewässer und Ruderalfächen, wel- auch der genetischen Durchmischung 5 Keine erkennbare Land­ che Amphibien Laichplätze oder Le- der Populationen dienen, belegten Frei schaftsbarriere für Auer­ bensraum bieten, verschwunden sind. et al. (2016). Sie haben mit genetischen hühner im Toggenburg Ebenso erschwert die derart verän- Markern untersucht, wie gut vernetzt derte Landschaft, dass die Tiere zwi- die Vorkommen im Suhretal sind. Die Und wie sieht es denn mit natürlichen schen verschiedenen Laichplätzen Resultate zum historischen Genfuss – zum Beispiel topographischen – Hin- wandern können, wodurch die Erhal- zeigten, dass keines der elf untersuch- dernissen für den Genfuss aus? Ein tung dieser mehrheitlich geschützten ten Kreuzkröten-Vorkommen gene- erstaunliches Resultat zeigte die Un- Artengruppe erschwert wird. Es stellt tisch isoliert war. Vielmehr waren die tersuchung der fragmentierten Auer- sich auch hier die Frage, wie die Am- meisten Vorkommen genetisch durch- huhnvorkommen im Toggenburg zwi- phibien die stark fragmentierte Land- mischt, was auf eine gute Vernetzung schen Amden und Wildhaus (Kanton schaft des Mittellandes nutzen und wie der Populationen hindeutet (Abb. 3). St. Gallen): Auch ein breites, besiedel- gut ihre Populationen vernetzt sind. Aufgrund von Zuordnungstests erwie- tes und landwirtschaftlich intensiv ge- Bei der Kreuzkröte wird zum Beispiel sen sich die zwei grossen Vorkommen nutztes Tal muss keine abschliessende beobachtet, dass sie Kiesgruben als Er- im nördlichen und südlichen Bereich satzlebensräume nutzt. Diese Lebens- des untersuchten Gebiets als Quel- räume geraten jedoch zunehmend un- len, aus denen Individuen in die da- ter Druck, wenn der Kiesabbau intensi- zwischenliegenden Lebensräume wan- viert wird oder Kiesgruben aufgegeben dern. Es zeigte sich auch, dass weder und – nicht zuletzt als Landschafts- Strassen noch die kanalisierte Suhre schutz- oder gar Naturschutzmass- den Austausch zwischen den Populati- nahme – zugeschüttet werden. Neu an- onen erkennbar einschränken. Kreuz- gelegte Laichgewässer in Agrarfächen kröten scheinen sich im Suhretal also können hier Ersatzbiotope bieten. Al- weiträumig zu bewegen. Den Vorkom- lerdings ist unklar, wie lange und wo men muss jedoch Sorge getragen wer- sich die Kreuzkröten in Agrarfächen den, denn es braucht wohl nur wenige

Abb. 4. Mithilfe eines genetischen Stammbaums abgeleitete Austauschhäufgkeit als direktes Mass für Genfuss zwischen fünf lokalen Vor- kommen des Auerhuhns (Tetrao urogallus) im Toggenburg. Auch ein besiedeltes und intensiv genutztes Tal kann von den scheuen, grossen und nicht sehr fugtüchtigen Vögeln überwunden werden. Kreise symbolisieren die untersuchten Vorkommen, die Zahlen zu Pfeilen ent- sprechen der Anzahl gefundener Vögel, die zwischen Paaren von lokalen Vorkommen ausgetauscht wurden (in Klammer: unbekannte Rich- tung). Verändert nach Kormann et al. (2012). Foto: Sébastien Sachot.

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Landschaftsbarriere sein für diese selementen zu identifzieren. Solche wirklich relevant sein, ist es unabding- scheuen Waldvögel, die wegen ihrer Analysen ermöglichen, Naturschutz- bar, dass Forschende von Beginn an Grösse keine gewandten Flieger sind. massnahmen hinsichtlich ihrer Wir- mit Vertreterinnen und Vertretern aus Kormann et al. (2012) verwendeten ei- kung zu beurteilen und letztlich zu op- der Praxis zusammenzuarbeiten (Bol- nen von genetischen Markern abgelei- timieren. liger et al. 2015). Nur offene Kommu- teten Stammbaum als direktes Mass Dabei gibt es viele Herausforderun- nikation von Projektbeginn an kann si- für den Genfuss im Untersuchungs- gen. Während technische Fortschritte cherstellen, dass ein solches transdiszi- gebiet. Die Autoren untersuchten die und sinkende Analysekosten erlau- plinäres Projekt für alle Beteiligten ein kleinen lokalen Vorkommen des Auer- ben, landschaftsgenetische Methoden Erfolg wird und dem Artenschutz und huhns mithilfe von DNA aus frischem im Naturschutz vermehrt anzuwen- der Erhaltung der biologischen Vielfalt Kot. Danach wurden die Verwandt- den, steigen die technischen Anforde- – auch auf genetischer Ebene – dient. schaftsverhältnisse der Individuen be- rungen, diese Daten auch richtig zu in- rechnet, um so den aktuellen geneti- terpretieren und in Wert zu setzen. So schen Austausch (dasselbe Individuum sind zum Beispiel Daten aus der Fer- Dank in verschiedenen lokalen Populationen nerkundung (z. B. LiDAR) auf immer Einige der genannten Beispiele wur- gefunden) oder kürzlichen Genfuss feineren räumlichen und zeitlichen den durch die ETH/CCES-Projekte (zumindest ein Elternteil und Nach- Skalen für immer grössere Landschaf- ENHANCE und GeneMig und durch komme nicht aus derselben lokalen Po- ten hochaufgelöst und fächendeckend Beiträge des Kantons Aargau mitfnan- pulation) zu bestimmen. Es zeigte sich, verfügbar (Zellweger und Bollmann ziert. Wir danken Hintermann & We- dass doch einige Vögel zwischen den 2017). Diese Daten können mit gene- ber AG (C. Bühler) und der karch (B. Populationen wandern und sogar das tischen Kennzahlen verknüpft wer- Schmidt) für Ideen, Beratungen und Tal überqueren (Abb. 4). Die daraus den, um die Barriere- oder Korridor- Datengrundlagen. resultierenden Nachkommen gelten als wirkung von Landschaftselementen Nachweis funktionaler Vernetzung. abzuschätzen (Milanesi et al. 2017). Allerdings sind die lokalen Vorkom- Wie die Landschaft können verschie- men des Auerhuhns in der untersuch- dene demographische Prozesse die ge- 6 Literatur ten Region sehr klein. Deshalb sind netische Struktur ebenfalls prägen. Die auch über kurze Zeit schon durch Zu- Populationsgrösse oder artspezifsche Bolliger, J.; Junge, X.; Wülser, G.; Pohl, fall starke genetische Unterschiede Eigenschaften, die im Zusammenhang C.; Vaupel, A.; Gugerli, F.; Teilnehmende möglich (genetischer Drift), so dass die mit Ausbreitung und Bewegung stehen der GeneMig Workshops, 2015: Heraus- genetische Differenzierung als indirek- (z. B. maximale Ausbreitungsdistanz), forderungen und Chancen in der Zusam- tes Mass für Genfuss nur beschränkt sowie Verhalten (besonders bei grös- menarbeit Praxis–Wissenschaft – ein Er- aussagekräftig wäre. So fanden Kor- seren Säugetieren) können die geneti- fahrungsbericht. N&L Inside 2015/2: 24– mann et al. (2012) bereits nach fünf sche Struktur ebenso beeinfussen wie 28. Jahren teils erhebliche genetische Un- Korridore oder Barrieren in der Land- Bolliger, J.; Keller, D.; Holderegger, R., terschiede innerhalb derselben loka- schaft. Gleichzeitig gilt es, vermehrt 2011: When landscape variables do not len Vorkommen. Dies lässt sich kaum auf die zeitlichen Verzögerungen zwi- explain migration rates: an example from durch starke Zu- oder Abwanderung schen Ursache (z. B. Landschaftsver- an endangered dragonfy (Leucorrhinia erklären. Vielmehr dürften diese Un- änderung) und Wirkung (z. B. erhöhte caudalis). Europ. J. Entomol. 108: 327– terschiede durch zufällige genetische Isolation von Populationen) zu achten. 330. Drift entstehen. Es ist also Vorsicht ge- Veränderungen sind möglicherweise Burkart, S.; Gugerli, F.; Senn, J.; Kuehn, boten, wenn Genfuss ausschliesslich nicht unmittelbar in den Populations- R.; Bolliger, J., 2016: Evaluating the indirekt, aufgrund der genetischen Dif- grössen oder der genetischen Struk- functionality of expert-assessed wildlife ferenzierung abgeleitet wird. tur und Vielfalt abgebildet, sondern corridors with genetic data from roe deer. treten mit zeitlicher Verzögerung auf. Basic Appl. Ecol. 17: 52–60. Es ist deshalb wichtig, genetische Da- Frei, M.; Csencsics, D.; Brodbeck, S.; ten und Kennwerte im Zusammenhang Schweizer, E.; Bühler, C.; Gugerli, F.; 6 Herausforderungen für mit der Wirkung von Landschaftsele- Bolliger J., 2016: Combining landscape landschaftsgenetische menten in einen zeitlich passenden Be- genetics, radio-tracking and long-term Vernetzungsanalysen zug zu setzen. Und nicht zuletzt spielt monitoring to derive management impli- die anpassungsrelevante genetische Va- cations for Natterjack toads (Epidalea ca- Diese Beispiele zeigen, dass die Land- riation, die durch Selektion aufgrund lamita) in agricultural landscapes. J. Nat. schaftsgenetik einen wichtigen Beitrag von sich ändernden Umweltbedingun- Conserv. 32: 22–34. zu vielen Aspekten im Naturschutz gen auftritt, für die langfristige Über- Gugerli, F.; Vaupel, A.; Ellenbroek, T.; leisten kann. Einerseits kann die In- lebenswahrscheinlichkeit einer Popula- Nagel, D.; Muller, R.; Luqman, H.; tensität und die Richtung individuel- tion eine grosse Rolle (Rellstab et al. Brodbeck, S.; Bolliger, J., 2017: Amphi- ler Bewegung in der Landschaft quan- 2017, in diesem Band). bien und Autobahnen: eine Trennungsge- tifziert werden, andererseits erlaubt Abschliessend sei noch Folgendes schichte? N&L Inside 2017/2: 26–30. die Landschaftsgenetik, Barriere- und vermerkt: Soll eine landschaftsgeneti- Gugerli, F.; Balkenhol, N.; Bolliger, J., Korridorwirkungen von Landschaft- sche Vernetzungsanalyse für die Praxis 2016: Genfuss und Landschaftszerschnei-

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dung. In: Holderegger, R.; Segelbacher, ony-based pedigree analysis and indivi- Rellstab, C.; Fischer, M.C.; Csencsics, D.; G. (ed.) Naturschutzgenetik – Ein Hand- dual-based landscape genetics suggest Gugerli, F.; Holderegger, R., 2017: Be- buch für die Praxis. Bern, Haupt. 107–128. topography to restrict dispersal and con- deutung der lokalen Anpassung in der Hepenstrick, D.; Thiel, D.; Holderegger, nectivity in the endangered capercaillie. Naturschutzgenetik. WSL Ber. 60: 31–37. R., Gugerli, F., 2012: Genetic disconti- Biol. Conserv. 152: 241–252. Schweizer E. 2014: Raumnutzung der nuities in roe deer (Capreolus capreolus) Milanesi, P.; Holderegger, R.; Bollmann, Kreuzkröte (Bufo calamita) im Acker- coincide with fenced transportation infra- K.; Gugerli, F.; Zellweger, F., 2017: baugebiet. Unveröffentl. BSc-Arbeit Zür- structure. Basic Appl. Ecol. 13: 631–638. Three-dimensional habitat structure and cher Hochschule für Angewandte Wis- Holderegger, R., 2017: Genetik im Na- landscape genetics: a step forward in esti- senschaften, Wädenswil. turschutz: Eine Überischt. WSL Ber. 60: mating functional connectivity. Ecology Van Buskirk, J., 2012: Permeability of the 7–13. 98: 393–402. landscape matrix between amphibian Le Lay, G.; Angelone, S.; Flory, C.; Holde- Prunier, J.G.; Kaufmann, B.; Léna, J.-P.; breeding sites. Ecol. Evol. 2: 3160–3167. regger, R.; Bolliger, J., 2015: Increasing Fenet, S.; Pompanon, F.; Joly, P., 2014: A Zellweger, F.; Bollmann, K. 2017: Der pond density to maintain a patchy habitat 40-year-old divided highway does not Schweizer Wald und seine Biodiversität: network of the European tree frog (Hyla prevent gene fow in the alpine newt Ich- LiDAR ermöglicht neue Waldstruktur- arborea). J. Herpet. 49: 217–221. thyosaura alpestris. Conserv. Genet. 15: analysen. Schweiz. Z. Forstwes. 168: 142– Kormann, U.; Gugerli, F.; Ray, N.; Exc- 453–468. 150. offier, L.; Bollmann, K., 2012: Parsim-

Abstract Isolated or connected? Effects of landscape properties on gene fow The preservation or establishment of functional connectivity is a key goal of conservation management. Yet, spatially often rather confned habitat may not warrant dispersal and gene fow of individuals to allow for the intended long-term resilience and persistence of populations in human-dominated landscapes. Gene fow, as inferred from the relationships between individuals and populations, is a valuable measure to assess functional connectivity. The power of gene fow to identify the effects of anthropogenic and natural landscape elements as barriers or corridors, so-called landscape genetics, is illus- trated using various examples. Traffc infrastructure revealed surprisingly low ef- fects on gene fow in amphibians. Large population sizes and possibly occasional successful highway crossing may counteract the barrier effects of highly frequen- ted roads, expected to result in genetic differentiation as a consequence of ran- dom genetic drift. In turn, fragmentation effects were observed in roe deer due to fenced traffc infrastructure. The study of a potential barrier effect of natural land- scape elements, such as a densely populated valley, unexpectedly identifed move- ment of capercaillie between populations. Although the small local populations appeared fragmented, no lack of gene fow was observed. These examples show that landscape genetics may contribute to important as- pects of nature conservation to identify magnitude and direction of exchange bet- ween individuals or populations and to assess barrier or corridor effects of lands- cape elements. Hence, this approach may be applied in the evaluation of needs as- sessment and implementation success.

Keywords: conservation genetics, barcoding, connectivity, inbreeding, genetic mo- nitoring, adaptability, conservation management

WSL Berichte, Heft 60, 2017

Forum für Wissen 2017: 31–37 31

Bedeutung der lokalen Anpassung in der Naturschutz­genetik

Christian Rellstab1, Martin C. Fischer2, Daniela Csencsics1, Felix Gugerli1 und Rolf Holderegger1, 2

1 Eidg. Forschungsanstalt WSL, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf. 2 ETH Zürich, Institut für Integrative Biologie, Universitätstrasse 16, CH-8092 Zürich. [email protected], [email protected], [email protected], [email protected], [email protected]

Wie gut sind Populationen, die durch Klimawandel und Habitatverluste gefährdet schlickige Uferbereiche von Altwas- sind, an ihre heutigen und zukünftigen Umweltbedingungen angepasst? Welche sern in Flussauen besiedelt (Abb. 1). Quellpopulationen eignen sich am ehesten für Wiederansiedlungen, damit sich gut Solche Lebensräume sind heute sehr angepasste Populationen im Zielhabitat entwickeln können? Bisher gaben bes- selten, und daher kommt auch der frü- tenfalls ökologische Kriterien Hinweise, um solche Fragen zu klären. Inzwischen her verbreitete Kleine Rohrkolben nur können neue genetische Labormethoden das Erbgut zu einem grossen Teil oder noch an wenigen Orten in der Schweiz vollständig charakterisieren. Dank dieser Methoden ist es heute möglich, die an- vor (Csencsics und Holderegger passungsrelevante genetische Vielfalt abzuschätzen und zu untersuchen, welche 2014). In Deutschland sind sämtliche Umweltfaktoren und Gene bei der lokalen Anpassung eine Rolle spielen. Da- früheren Vorkommen erloschen. Ar- mit lässt sich aussagen, welche Individuen oder Populationen am Untersuchungs- ten wie der Kleine Rohrkolben, de- oder Zielort potenziell am besten angepasst sind. ren isolierte Populationen kaum eine natürliche Wiederbesiedlung ermög- lichen, werden gelegentlich künstlich 1 Naturschutz und lokale Liste (Cordillot und Klaus 2011), bei angesiedelt – entweder da, wo sie frü- Anpassung anderen Organismengruppen ist die Si- her vorkamen, oder an neuen, geeig- tuation nicht besser. Lebensraumspezi- net erscheinenden Orten (Csencsics Menschlich verursachte Prozesse wie alisten sind besonders gefährdet, da sie und Müller 2015). Dabei ist das Ziel, der globale Klimawandel oder die in- beim Verlust ihres Lebensraums kaum die Anzahl der Populationen und da- tensive Landnutzung wirken sich auf Ausweichmöglichkeiten haben. Ein mit der Individuen zu erhöhen und so viele Arten negativ aus. In der Schweiz Beispiel dafür ist der Kleine Rohrkol- das langfriste Überleben der Art zu si- steht zum Beispiel ein Drittel der Farne ben (Typha minima), eine konkurrenz- chern. Bei Pfanzen verwendet man für und Blütenpfanzen auf der Roten schwache Pfanzenart, die sandige bis Wiederansiedlungen Samen oder Jung-

a) c)

b)

Abb. 1. Der Kleine Rohrkolben (Typha minima; a) benötigt zur Besiedlung sandige bis schlickige, bei Hochwasser neu geschaffene Rohbö- den in naturnahen Flussauen (b). Die Art ist in ihrem gesamten europäischen Verbreitungsgebiet gefährdet. In der Schweiz gibt es nur noch wenige natürliche Vorkommen (grüne Kreise; c), während sie früher an vielen grösseren Flüssen vorkam (graue Dreiecke). In verschiede- nen Kantonen gibt es heute Ex-situ-Kulturen (Erhaltungskulturen) oder Wiederansiedlungen (blaue Quadrate; Csencsics und Holdereg- ger 2014). Fotos: Daniela Csencsics.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 32 Forum für Wissen 2017 pfanzen von natürlichen Populationen Beispiel bei Pfanzen durch die Kei- lation ist? Eine naheliegende Möglich- oder Ex-situ-Kulturen (Erhaltungskul- mungsrate, das Überleben oder die An- keit ist es, Populationen zu verwenden, turen). Doch welche Population(en) zahl gebildeter Samen. Individuen, die die aus sehr ähnlichen Lebensräumen soll man als Spender (Quellpopula- unter bestimmten Umweltbedingun- stammen. Denn wenn eine Population tion) für Wiederansiedlungen verwen- gen eine höhere Fitness haben als an- an ihre lokalen Verhältnisse angepasst den? dere, geben mehr von ihrem Erbgut ist, sollte dies auch für ähnliche Le- Genetische Vielfalt ist wertvoll und (=Genom) an die nächste Generation bensräume der Fall sein. Eine andere schützenswert (z. B. Pertoldi et al. weiter als solche mit geringerer Fitness. Möglichkeit ist, die Fitness der Indivi- 2007), weil sie es Arten erlaubt, sich Durch diese natürliche Auslese (=Se- duen von möglichen Quellpopulatio- an ihre Umwelt anzupassen: Die Ar- lektion) entstehen so über Generatio- nen unter den Bedingungen zu messen, ten sind dann anpassungsfähig (Hol- nen hinweg Populationen, die an die lo- die am Zielort herrschen. Dafür sind deregger 2017, in diesem Band). Daher kalen Umweltbedingungen angepasst Experimente geeignet, sei es im Ver- erscheint es naheliegend, für Wieder- sind. Individuen in diesen Populatio- suchsgarten oder durch Verpfanzungs- ansiedlungen Populationen mit grosser nen haben insgesamt eine höhere Fit- versuche. Für viele seltene und gefähr- genetischer Vielfalt auszuwählen. Ist ness als Individuen, die aus einer ande- dete Arten und die meisten Tierarten diese nicht bekannt, könnte man statt ren Population eingeführt werden (Ka- sind Experimente aber keine Option. der genetischen Vielfalt die Populati- wecki und Ebert 2004). Für das oben Oft ist auch nicht klar, welche Merk- onsgrösse als Auswahlkriterium ver- genannte Beispiel der Wiederansied- male für die Fitness gemessen wer- wenden, da grosse Populationen häufg lung des Kleinen Rohrkolbens wäre es den sollen. Zudem sind solche Expe- eine grössere genetische Vielfalt beher- daher sinnvoll, die an den Ort der Wie- rimente äusserst aufwändig. So nimmt bergen als kleine Populationen (Leimu deransiedlung am besten angepasste man zum Beispiel an, dass bei Bäu- et al. 2006). Eine andere Möglichkeit Quellpopulation zu verwenden. Aller- men während der Keimung und Etab- ist, eine geographisch möglichst nahe dings muss man sich bewusst sein, dass lierung der Jungbäume die natürliche gelegene Population zu verwenden, es auch Populationen gibt, die nicht lo- Auslese am stärksten ist. Viele Bäume weil nähere Populationen sich norma- kal angepasst sind. Dieser Fall kann tragen aber erst nach Jahrzehnten lerweise genetisch ähnlicher sind als insbesondere dann auftreten, wenn ho- Früchte, und diese Früchte repräsentie- solche, die weit entfernt voneinander her Genfuss in einer Population viele ren am Schluss den Genpool, der an sind (Hochkirch 2016). nicht-angepasste Genvarianten ein- die nächste Generation weitergegeben Auswahlkriterien wie genetische bringt (z. B. Quellen–Senken-Dynamik, wird. Bei so langen Generationszeiten Vielfalt, Populationsgrösse oder geo- Bolliger und Gugerli 2 0 1 7, in diesem sind Fitnessexperimente somit eher un- graphische Distanz vernachlässigen Band), wenn die effektive Populations- geeignet. aber einen ganz wichtigen evolutionä- grösse (z. B. Anzahl fortpfanzungsfä- Genetische Labormethoden sind eine ren Faktor: die Fitness. Die klassische higer Individuen) sehr klein ist oder interessante Alternative zu den Experi- Defnition von Fitness ist die Anzahl wenn der Selektionsdruck nicht sehr menten. Die genetische Zusammenset- fortpfanzungsfähiger Nachkommen. stark ist. zung jedes Individuums ist das Resultat Sie kann jedoch auch durch andere Doch wie fndet man heraus, wel- von vielfältigen, über viele Generatio- Merkmale beschrieben werden, zum ches die am besten angepasste Popu- nen wirkenden Prozessen wie Mutati-

Tab. 1. Unterschiede zwischen neutraler und anpassungsrelevanter genetischer Vielfalt, mit zugrundeliegenden Prozessen, genetischen Me- thoden und möglichen Fragen. Für mehr Details, siehe auch Widmer und Holderegger (2016) und Holderegger (in diesem Band).

Neutrale genetische Vielfalt Anpassungsrelevante genetische Vielfalt Defnition – Kein (direkter) Einfuss auf die Fitness – Einfuss auf die Fitness – Im ganzen Erbgut zu fnden – Nur im Bereich funktioneller Gene zu fnden Prozesse – Mutationen – Natürliche Auslese (Selektion) – Ausbreitung – Lokale Anpassung – Zufällige Veränderung der Häufgkeit von Genvarianten (Drift) – Genfuss Genetische – Mikrosatelliten – Bestimmung vieler Stellen der DNA (SNPs) Methoden – Bestimmung vieler Stellen der DNA (SNPs) – Sequenzierung von Genen mit bekannten Funktionen – Sequenzierung des ganzen Erbguts – Sequenzierung des ganzen Erbguts Typische – Wie gross ist die neutrale genetische Vielfalt? – Wie gross ist die anpassungsrelevante genetische Vielfalt? Fragen – Finden sich Hinweise auf Inzucht? – Welche Stellen im Erbgut sind an der lokalen Anpassung – Wie sind Populationen untereinander vernetzt? beteiligt? – Wie gross ist die Populationsgrösse? – Welche Umweltfaktoren sind für lokale Anpassung – Wie hat sich die Populationsgrösse über die Zeit wichtig? verändert? – Welche Individuen/Populationen sind am besten – Wie hoch ist der Anteil von Klonen in einer Population? angepasst?

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 33 onen, zufällige Veränderung der Allel- Genvarianten. Sie wirkt sich auf das da eben nicht das ganze Erbgut, son- Häufgkeiten (Drift), Genfuss oder na- ganze Erbgut aus, beeinfusst die Fit- dern nur wenige Ausschnitte davon un- türliche Auslese (Tab. 1). Genvarianten ness eines Individuums aber nicht di- tersucht werden. Das könnte zu fal- (=Allele), die unter bestimmten Um- rekt. Ein bekanntes Beispiel dafür sind schen Schlussfolgerungen und falschen weltbedingungen die Fitness erhöhen, Blutgruppen bei Menschen. Die Blut- daraus abgeleiteten Massnahmen füh- werden unter diesen Umweltbedingun- gruppe ist zwar genetisch bestimmt, ren (Abb. 2). Andererseits sagt diese gen über Generationen hinweg durch aber unterliegt (mit Ausnahmen) nicht neutrale genetische Vielfalt eben nichts die natürliche Auslese häufger als an- der natürlichen Auslese, da sie nor- über anpassungsrelevante genetische dere. Ohne die Fitness zu bestimmen malerweise die Fitness des Menschen Vielfalt aus: Anpassung erfolgt ja an oder aufwändige Verpfanzungsexperi- nicht beeinfusst. Trotzdem liefert die funktionellen Genen, die nicht neutral mente durchzuführen, kann man daher neutrale genetische Vielfalt wichtige sind. Diese anpassungsrelevanten Stel- mit genetischen Labormethoden die Informationen, zum Beispiel für die len im Erbgut kann man nur fnden, Spuren fnden, welche die natürliche Bestimmung von Verwandtschaften wenn man grosse Teile oder das ganze Auslese im Erbgut hinterlassen hat, und oder über den Genfuss zwischen Popu- Erbgut von mehreren Individuen und so lokale Anpassung erfassen und mes- lationen (Holderegger 2017, in diesem Populationen untersucht (=Genomik). sen. Diesen Spuren kann man mit ver- Band). Die anpassungsrelevante gene- Der vorliegende Artikel beschreibt schiedenen Methoden auf den Grund tische Variation hingegen hat einen di- zwar nicht hauptsächlich die Rolle der gehen (Kap. 3). Der vorliegende Arti- rekten Einfuss auf die Fitness der In- Genomik, sondern die der lokalen An- kel befasst sich insbesondere mit dieser dividuen. Sie ist geprägt durch die na- passung im Naturschutz. Da aber die genetischen Basis der lokalen Anpas- türliche Auslese jener Individuen, die Untersuchung der lokalen Anpassung sung, wie sie in Labors untersucht wer- gut an ihren lokalen Lebensraum ange- oft durch genomische Methoden er- den kann. passt sind. Dieser Prozess wirkt nur auf folgt, sind die beiden Themen eng mit- einen Teil des Erbguts. einander verbunden. Naturschutzgenetische Studien ba- Durch die riesigen Fortschritte der sierten bis vor kurzem hauptsächlich genetischen Labormethoden im letzten 2 Anpassungsrelevante auf neutraler genetischer Vielfalt, be- Jahrzehnt sind genomische Analysen genetische Vielfalt und schrieben durch eine beschränkte An- häufg geworden. Mit den modernen Genomik zahl Stellen im Erbgut, z. B. wenige Mi- Methoden können Tausende bis Milli- krosatelliten. Dieser Ansatz hat neben onen von Stellen (sogenannte SNPs – Grundsätzlich muss man zwischen so- vielen Vorteilen – er ist insbesondere single-nucleotide polymorphisms) im genannter neutraler und anpassungsre- gut etabliert und lässt sich einfach an- Erbgut charakterisiert werden. Daher levanter (=adaptiver) genetischer Viel- wenden – auch gewichtige Nachteile: wurde in letzter Zeit zunehmend ge- falt unterscheiden (Tab. 1). Die neut- Einerseits lassen sich dadurch popula- fordert, genomische Methoden auch in rale genetische Vielfalt wird beeinfusst tionsgenetische Merkmale wie neut- der Naturschutzgenetik anzuwenden, durch Prozesse wie Ausbreitung, Gen- rale genetische Vielfalt, Genfuss oder um sowohl neutrale wie auch anpas- fuss zwischen Populationen oder zu- Inzucht nur ungenau beschreiben (z. B. sungsrelevante genetische Vielfalt so fällige Veränderung der Häufgkeit von Fischer et al. 2017; Väli et al. 2008), genau wie möglich zu beschreiben (Al-

0,50 0,40 a) b) c) 0,35

0,45 0,30

0,25

0,40 0,20

0,15

0,35 0,10

0,05

Genetische Vielfalt (Mikrosatelliten) 0,30 0,00

0,12 0,13 0,14 0,15 0,16 Gen. Differenzierung (Mikrosatelliten) 0 0,02 0,04 0,06 0,08 0,1 Genetische Vielfalt genomweit Gen. Differenzierung genomweit (SNPs) (SNPs) Abb. 2. Unabhängig davon, ob man neutrale oder anpassungsrelevante genetische Vielfalt untersucht, verschiedene genetische Untersu- chungsmethoden werden unterschiedliche Resultate und Schlussfolgerungen nach sich ziehen. Bei der Hallerschen Schaumkresse (Arabi- dopsis halleri; a) entspricht die genetische Vielfalt (erwartete Heterozygotie, He), die mit 19 Mikrosatelliten geschätzt wurde, nicht jener, die über das ganze Erbgut hinweg mit >2 Millionen SNPs bestimmt wurde (b). Die Werte der genetischen Verschiedenheit der Populationen

(genetische Differenzierung, FST) basierend auf Mikrosatelliten und SNPs passen hingegen gut zueinander, sind aber bei Mikrosatelliten fast viermal so hoch wie bei SNPs (c). Daten vereinfacht aus Fischer et al. (2017). Foto: Martin C. Fischer.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 34 Forum für Wissen 2017 lendorf et al. 2010; McMahon et al. sind es vorwiegend zwei Methoden, die einigermassen abgedeckt sein. Drei bis 2014). Auf der anderen Seite gibt es in Frage kommen: Bei Ausreisser-Tests fünf Populationen sind dabei das Mini- auch Kritik an der Genomik im Na- («outlier tests»; zusammengefasst in mum. Verpasst man es etwa, Populati- turschutz, weil es eine Kluft zwischen Hohenlohe et al. 2010) wird nach Stel- onen an sehr kalten oder sehr warmen Wissenschaft und Praxis in Bezug auf len im Erbgut gesucht, die zwischen Standorten in die Analyse miteinzube- Wissen, Technik, Computerprogramme Populationen extrem verschieden sind ziehen, wird man kaum die Stellen im und Finanzen gäbe (Shafer et al. 2015). (hohe genetische Differenzierung, FST) Erbgut fnden, die bei der Anpassung Tatsächlich sind zum Beispiel in einer im Vergleich zum Erbgut-weiten, neu- an die Temperatur eine wichtige Rolle genomischen Untersuchung durch die tralen Durchschnitt. Die Idee dahin- spielen. Die Probenahme muss also mit enorm grossen Mengen an Daten die ter ist, dass Genvarianten, die unter ge- grosser Sorgfalt geplant werden. benötigten computer-technischen Res- wissen Umweltbedingungen von Vor- sourcen hoch. Es gibt aber schon einige teil sind, in den dortigen Populationen Fälle, in denen die Naturschutzgenetik häufg sind. Die anderen Genvarian- Genomik verwendet hat (aufgelistet in ten hingegen sind dort eher selten oder 4 Wie kann man die Garner et al. 2016), zum Beispiel beim kommen gar nicht vor. Solche Stel- Untersuchung der lokalen Nachweis von genetischer Durchmi- len gelten als anpassungsrelevant und Anpassung in die Natur­ schung von wilden atlantischen Lach- werden in einem nächsten Schritt mit schutzgenetik integrieren? sen mit Lachsen aus Fischzuchten den lokalen Umweltbedingungen und/ (Glover et al. 2013). oder der biologischen Funktion des be- Wenn anpassungsrelevante Stellen Der Schritt zur Genomik bringt der treffenden Gens in Bezug gesetzt. Bei im Erbgut einmal bestimmt sind, lässt Naturschutzgenetik somit verbesserte der zweiten Methode, der Analyse von sich die anpassungsrelevante geneti- naturschutzgenetische Analysen durch Umweltassoziationen (zusammenge- sche Vielfalt von Populationen berech- eine höhere Aufösung und Erfassung fasst in Rellstab et al. 2015), sucht nen. So kann man zwischen Populatio- von anpassungsrelevanter genetischer man nach Stellen im Erbgut, an denen nen vergleichen oder die Genvarianten Vielfalt. Daher ist es wichtig, zukünftig die Häufgkeiten von Genvarianten identifzieren, die unter bestimmten bei naturschutzgenetischen Untersu- mit Umweltfaktoren zusammenhängen Umweltbedingungen vorteilhaft sind. chungen vermehrt auf genomische An- (Abb. 3a). Auch hier wird angenom- Für eine Wiederansiedlung – denken sätze zu setzen (vgl. auch Biebach und men, dass gewisse Genvarianten bei wir dabei wieder an den anfangs er- Keller 2 0 1 7, in diesem Band). bestimmten Standortbedingungen von wähnten Kleinen Rohrkolben – gibt es Vorteil sind und daher dort häufger grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wie vorkommen. Umweltassoziationen ge- man die Quellpopulation auswählen ben zusätzlich einen direkten Hinweis kann: Entweder man verwendet eine 3 Wie kann man die lokale darauf, welcher Umweltfaktor für die Population, die eine möglichst grosse Anpassung genetisch Anpassung verantwortlich sein könnte. anpassungsrelevante genetische Viel- untersuchen? Idealerweise erfolgen danach wie bei falt (=Anpassungsfähigkeit, Holder­ den Ausreisser-Tests weitere Abklärun- egger in diesem Band) hat oder eine Um die anpassungsrelevante geneti- gen, zum Beispiel die Überprüfung der Population, die einen möglichst hohen sche Variation zu untersuchen, müs- funktionellen Rolle der als anpassungs- Anteil der im Zielhabitat vorteilhaften sen zuerst die Stellen im Erbgut ge- relevant identifzierten Gene mit Hilfe Genvarianten aufweist (Rellstab et al. funden werden, die bei der Anpassung von Referenzdatenbanken. 2016b). Bei der ersten Variante ermög- eine Rolle spielen. Dazu untersucht Für Ausreisser-Tests und Umwelt- licht man der neuen Population, mög- man nach Möglichkeit 20 oder mehr assoziationsanalysen gibt es mehrere lichst breit abgestützt mit den heutigen Individuen von mehreren Populatio- wichtige Grundregeln. Erstens sollten und zukünftigen Umweltbedingungen nen. Nach relativ umfassenden geno- die Untersuchungen einen so grossen zurechtzukommen. Möglicherweise mischen Labor- und Computeranaly- Anteil des Erbguts wie möglich bein- bringt man aber unangepasste Gen- sen erhält man eine Liste von Tausen- halten. Nur dann kann man davon aus- varianten in die Population ein. Beim den bis Millionen von Stellen (SNPs) gehen, dass die wichtigen Anpassungs- zweiten Ansatz geht man viel gezielter im Erbgut, die Unterschiede in der prozesse nicht verpasst werden. Aus- vor. Da aber die Fitnessrelevanz von DNA-Sequenz zwischen Individuen serdem werden zahlreiche Merkmale, Genvarianten oft noch nicht bewiesen aufweisen. Der überwiegende Teil die- so auch die Fitness, von einer Vielzahl ist, nimmt man ein gewisses Risiko in ser SNPs ist neutral, aber einige spie- von Genen gesteuert. So wurde gezeigt, Kauf, dass man sich auf falsche Stellen len für die lokale Anpassung eine Rolle dass die Körpergrösse von Europäerin- im Erbgut stützt. Daher ist auch eine (Fischer et al. 2013). Diese müssen nun nen und Europäern mit über tausend Kombination der oben genannten An- mit statistischen Verfahren identifziert Stellen im Erbgut zusammenhängt sätze attraktiv, also sowohl vielfältige werden. (z. B. Turchin et al. 2012). Zweitens wie auch angepasste Populationen aus- Es gibt verschiedene statistische An- ist es wichtig, dass man immer meh- zuwählen. Zusätzlich könnten natür- sätze, um anpassungsrelevante Stellen rere Populationen aufs Mal betrach- lich auch nicht-genetische Aspekte wie im Erbgut zu fnden (zusammengefasst tet, und es sollten sowohl die geneti- ähnliche ökologische Bedingungen und in Rellstab et al. 2016a; Widmer und sche Vielfalt als auch die Vielfalt an Le- ähnliche äussere Merkmale berück- Holderegger 2016). Im Naturschutz bensräumen, in denen die Art aufritt, sichtigt werden, um die Auswahl der

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Quellpopulationen auf möglichst viele kann also die Genvarianten, die am zu- St. Clair und Howe 2007). Hier wird Pfeiler abzustützen. künftigen Standort einen Vorteil brin- es für den Naturschutz interessant. Ein interessanter Ansatz, wie man gen, mittels Umweltassoziationen iden- Wenn wir eine oder mehrere Popula- Populationen für Wiederansiedlungen tifzieren (siehe oben) und dann Samen tionen für eine Wiederansiedlung aus- auswählen kann, kommt nicht von un- von Populationen verwenden, die diese wählen müssen, können wir mit die- gefähr aus dem Waldbereich. Die Kom- Genvarianten enthalten. sem Konzept abschätzen, welche Po- bination von langer Generationszeit Mit genomischer Information (aber pulation am zu besiedelnden Standort und schnell voranschreitendem Klima- auch mit ftnessrelevanten äusseren das kleinste Risiko von Fehlanpassung wandel kann bei Waldbäumen zu ei- Merkmalen, siehe unten) lässt sich hat (Abb. 3c). Das Konzept des Risikos nem hohen Grad von Fehlanpassung auch das Risiko der Fehlanpassung ei- der Fehlanpassung wird also hier nicht führen (Aitken et al. 2008). Daher be- ner Population an ihre zukünftigen im zeitlichen, sondern im räumlichen schäftigt sich die Waldwirtschaft schon Umweltbedingungen unter Klimawan- Sinne angewandt. seit längerem mit der Idee, bei Pfan- del berechnen (Rellstab et al. 2016b). St. Clair und Howe (2007) berech- zungen standortfremdes, aber als an- Dabei misst man das Vorkommen und neten das Risiko der Fehlanpassung des gepasst eingeschätztes Saatgut zu ver- die Häufgkeit von anpassungsrelevan- Nadelbaums Douglasie (Pseudotsuga wenden. Die Auswahl solcher Quell- ten Genvarianten in Populationen ent- menziesii) an zukünftige klimatische bestände für Pfanzungen ist daher mit lang eines Umweltgradienten und er- Bedingungen anhand von verschiede- der Wahl einer Quellpopulation für stellt ein statistisches Modell, das deren nen äusseren, ftnessrelevanten Merk- die Wiederansiedlung einer gefährde- Beziehung beschreibt. Anschliessend malen – also nicht anhand von Stellen ten Art zu vergleichen. Dieses Konzept berechnet man, wie weit entfernt sich im Erbgut. Gewisse Populationen wie- der künstlichen Wanderung von Ge- die Population vom zukünftigen Opti- sen ein sehr grosses Risiko der Fehlan- nen einer Art wird unter dem Begriff mum befndet (Abb. 3b). Die geneti- passung unter dem Klimawandel auf «assisted gene fow» zusammengefasst sche Distanz von der heutigen zur zu- und sollten daher mit Genotypen aus (Aitken und Bemmels 2016). Für sol- künftigen Situation stellt dann das Ri- südlicheren und tieferen Lagen er- che Pfanzungen wird Saatgut aus Re- siko der Fehlanpassung dar. Je kleiner gänzt werden. In ähnlicher Weise zeig- gionen verwendet, die heute das Klima die Distanz, desto kleiner die Fehlan- ten Frank et al. (2017), dass die Fichte haben, das zukünftig für den Ziel­ passung und desto grösser die bereits (Picea abies) und die Buche (Fagus syl- standort unter Klimawandel voraus- bestehende Anpassung an zukünf- vatica) in der Schweiz eher schlecht an gesagt wird. So könnte man z. B. Saat- tige Umweltbedingungen. Dieses Kon- die zukünftigen Bedingungen ange- gut aus dem Tessin in der Nordschweiz zept beschreibt also das Risiko der passt sind. Im Gegensatz dazu dürfte ausbringen, damit die Jungpfanzen Fehlanpassung am heutigen Stand- die Weisstanne (Abies alba) weniger für die zukünftig höheren Temperatu- ort in Bezug auf die zukünftig erwar- Probleme haben. Mit genomischen Da- ren gewappnet sind. Hat man nun ge- teten Umweltbedingungen. Mit die- ten untersuchten Rellstab et al. (2016 b) nomische Information zur Hand, trifft sem Konzept lässt sich nicht nur das das Risiko der Fehlanpassung der drei man die Auswahl solcher Quellpopu- Risiko der Fehlanpassung einer Popu- häufgsten Eichenarten der Schweiz lationen nicht nur basierend auf den lation an ihren zukünftigen Lebens- im Hinblick auf den Klimawandel. Die Umweltbedingungen, sondern bezieht raum abschätzen, sondern auch das Ri- Stieleiche (Quercus robur) war zwar auch Kenntnisse über die anpassungs- siko der Fehlanpassung an einen ande- im Vergleich zur Trauben- (Q. petraea) relevante genetische Vielfalt ein. Man ren Lebensraum (Gugerli et al. 2016; und Flaumeiche (Q. pubescens) poten-

a) b) c) 1,0 1,0 1,0

0,8 0,8 0,8

0,6 0,6 0,6

0,4 0,4 Fehlanpassung 0,4 0,2 0,2 0,2 Umweltveränderung

Häufigkeit von Allel A 0 0 0 0246810 0246810 0246810 Temperatur [°C] Temperatur [°C] Temperatur [°C] Abb. 3. a) Bei Umweltassoziationen werden Stellen im Erbgut gesucht, deren Genvarianten(Allel)-Häufgkeiten (hier die relative Häufg- keit der Genvariante A) in verschiedenen Populationen mit einem Umweltfaktor (hier Temperatur) zusammenhängen. b) Berechnung des Risikos der Fehlanpassung an zukünftige Umweltbedingungen nach Rellstab et al. (2016b). Dargestellt ist die relative Häufgkeit einer Genvariante (Allel A) in verschiedenen Populationen (schwarze Punkte) entlang eines Temperaturgradienten. Verändern sich in Zukunft die Temperaturverhältnisse in einer Population (roter Pfeil und Punkt), stellt die Länge des blauen Pfeils (Distanz zum berechneten Modell, gestrichelte Linie) die genetische Fehlanpassung dar. c) Dieses Konzept kann auch im räumlichen Sinn für eine Wiederansiedlung im Na- turschutz verwendet werden. Der rote Bereich zeigt die Umweltbedingung am Zielort an, die schwarzen Punkte die möglichen Quellpopu- lationen, die in Betracht gezogen werden. Die Population (blau), die nach der Verschiebung entlang der X-Achse (Wiederansiedlung, rote Punkte) am nächsten bei der gestrichelten Linie liegt, hat das kleinste Risiko der Fehlanpassung am Zielort.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 36 Forum für Wissen 2017

ziell am besten an die steigenden Tem- Naturschutz relevanten Masse wie In- WSL Ber. 60: 15–22. peraturen angepasst, aber am schlech- zucht, Populationsgrösse oder Anzahl Bolliger, J.; Gugerli, F., 2017: Isoliert oder testen an die abnehmende Wasserver- Klone genauer zu bestimmen als mit vernetzt? Auswirkungen der Landschaft fügbarkeit. Dieses Resultat deckt sich den bisher verwendeten Methoden. auf den Genfuss. WSL Ber. 60: 23–29. mit den ökologischen Bedürfnissen Ein Bereich, wo anpassungsrele- Cordillot, F.; Klaus, G., 2011: Gefährdete der drei Eichenarten: Die Stieleiche ist vante genetische Vielfalt und damit Arten in der Schweiz: Synthese Rote Lis- vor allem in warmen (da tief gelege- genomische Daten besonders wich- ten, Stand 2010. Umweltzustand Nr. 1120. nen) und feuchten Lagen im Mittelland tig wären, ist das genetische Monito- Bundesamt für Umwelt, BAFU. zu fnden und potenziell am besten ring. Dort wird verfolgt, wie genetische Csencsics, D.; Holderegger, R., 2014: Klei- an die steigenden Temperaturen und Vielfalt von Arten und Populationen ner Rohrkolben – Genetische Grundla- am schlechtesten an die zunehmende sich in der Zeit verändert (Holdereg- gen für erfolgreiche Wiederansiedlungen. Bodentrockenheit angepasst. Trau- ger 2017, in diesem Band). Ein wichti- N+L inside 4, 14: 21–25. ben- und Flaumeiche fndet man hin- ger Schritt hierzu wäre es, die anpas- Csencsics, D.; Müller, N., 2015: Die Be- gegen in trockeneren Lebensräumen sungsrelevante genetische Vielfalt von deutung der genetischen Vielfalt bei Wie- und scheinen am besten für die zuneh- ausgewählten, für den Naturschutz be- deransiedelungsprojekten – Untersu- mende Trockenheit gewappnet zu sein. deutsamen Arten zu integrieren. Da- chungen am Zwerg-Rohrkolben (Typha mit könnten auch die Forderungen der minima) im Naturpark Tiroler Lech. AN- Biodiversitätsstrategie der Schweiz be- liegen Nat. 37, 2: 67–76. treffend dem Monitoring der geneti- Fischer, M.C.; Rellstab, C.; Tedder, A.; 5 Monitoring der schen Vielfalt als der grundlegenden Zoller, S.; Gugerli, F.; Shimizu, K.K.; anpassungsrelevanten Komponente der Biodiversität erfüllt Holderegger, R.; Widmer, A., 2013: Po- genetischen Vielfalt werden (Schweizerische Eidgenossen- pulation genomic footprints of selection schaft 2012). and associations with climate in natural Die lokale Anpassung als einer der populations of Arabidopsis halleri from wichtigsten Prozesse der Evolution the Alps. Mol. Ecol., 22, 22: 5594–5607. spielt also bei Umweltveränderungen Dank Fischer, M.C.; Rellstab, C.; Leuzinger, M.; – ob vom Menschen verursacht oder Wir bedanken uns für die fnanzielle Roumet, M.; Gugerli, F.; Shimizu, K.K.; nicht – eine grosse Rolle. Naturschutz- Unterstützung der hier vorgestellten Holderegger, R.; Widmer, A., 2017: Esti- relevante Arten wie der Kleine Rohr- Forschungsarbeiten durch den Schwei- mating genomic diversity and population kolben bestehen oft aus kleinen und zerischen Nationalfonds (SNF), das differentiation – an empirical compari- isolierten Populationen. Gerade bei ih- Bundesamt für Umwelt (BAFU) und son of microsatellite and SNP variation nen ist es wichtig abzuschätzen, ob sich das von der WSL und dem BAFU un- in Arabidopsis halleri. BMC Genomics eine Art oder eine Population anpassen terstützte Forschungsprogramm Wald 18, 1: 69. kann oder ob Eingriffe durch das Na- und Klimawandel. Das Verfassen des Frank, A.; Howe, G.T.; Sperisen, C.; Brang, turschutzmanagement nötig sind. Trotz- Artikels wurde durch die SNF-Pro- P.; St. Clair, J.B.; Schmatz, D.R.; Heiri C., dem hat die Naturschutzgenetik diesen jekte 31003A_152664/1 (CR, FG) 2017: Risk of genetic maladaptation due wichtigen Aspekt bislang vernachlässigt und CRSI33_127155 (MCF), das Ad- to climate change in three major Euro- und sich mehrheitlich auf Untersuchun- aptation to a Changing Environment pean tree species. Glob. Chang. Biol. doi: gen der neutralen genetischen Vielfalt (ACE) Center der ETH Zürich (MCF) 10.1111/gcb.13802. konzentriert (Garner et al. 2016; Sha- sowie das KTI-Projekt 19204.1 PFLS- Garner, B.A.; Hand, B.K.; Amish, S.J.; Ber- fer et al. 2015). Dank neuen Laborme- LS (DC, RH) ermöglicht. natchez, L.; Foster, J.T.; Miller, K.M.; thoden, gekoppelt mit sinkenden Kos- Morin, P.A.; Narum, S.R.; O’Brien, S.J.; ten, verändert sich aber diese Situation. Roffler, G.; Templin, W.D.; Sunnucks, P.; Genomische Analysen sind heute für Strait, J.; Warheit, K.I.; Seamons, T.R.; viele Arten machbar. Es ist an der Zeit, 6 Literatur Wenburg, J.; Olsen, J.; Luikart, G., 2016: dass diese Möglichkeiten auch in der Genomics in conservation: case studies Naturschutzpraxis genutzt werden. Aitken, S.N.; Bemmels, J.B., 2016: Time to and bridging the gap between data and Obwohl wir in diesem Artikel eine get moving: assisted gene fow of forest application. Trends Ecol. Evol. 31, 2: 81– Wiederansiedlung als Beispiel genom- trees. Evol. Appl. 9, 1: 271–290. 83. men haben, lässt sich die Information Aitken, S.N.; Yeaman, S.; Holliday, J.A.; Glover, K.A.; Pertoldi, C.; Besnier, F.; über anpassungsrelevante genetische Wang, T.L.; Curtis-McLane, S., 2008: Ad- Wennevik, V.; Kent, M.; Skaala, O., 2013: Vielfalt auch für andere Ansätze im aptation, migration or extirpation: cli- Atlantic salmon populations invaded by Naturschutz verwenden. So kann man mate change outcomes for tree populati- farmed escapees: quantifying genetic in- damit zum Beispiel die anpassungsre- ons. Evol. Appl. 1, 1: 95–111. trogression with a Bayesian approach and levante Vielfalt von Populationen und Allendorf, F.W.; Hohenlohe, P.A.; Lui- SNPs. BMC Genetics 14: 19. Arten generell einschätzen oder zu kart, G., 2010: Genomics and the future Gugerli, F.; Frank, A.; Rellstab, C.; Plu- schützende Populationen priorisieren of conservation genetics. Nat. Rev. Ge- ess, A.R.; Moser, B.; Arend, M.; Speri- oder bestimmen («conservation units»). net., 11, 10: 697–709. sen, C.; Wohlgemuth, T.; Heiri, C., 2016: Genomische Daten können ausserdem Biebach. I.; Keller, L., 2017: Inzucht und Genetische Variation und lokale Anpas- – wie oben gezeigt – helfen, die für den ihre Bedeutung für den Naturschutz. sung bei Waldbaumarten im Zeichen des

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Abstract The relevance of local adaptation for conservation genetics Natural selection results in populations that are adapted to their local environment. The feld of conservation genetics has so far mainly looked at neutral genetic variation that is not directly linked to local adaptation. However, it would be reasonable to know which populations are best adapted when it comes to conservation measures like re-introductions or translocations. Modern genetic methods that can describe a large part of or even the whole genome (genomics) enable the estimation of adaptive genetic variation and the identifcation of environmental factors and genes that play a major role in local adaptation. As a result, one can determine which individuals and populations are potentially best adapted to the environment at the investigated locations. Here, we present possible applications for integrating genomic approaches in conservation strategies that should help mitigating potentially detrimental effects of management practice on small, vulnerable populations of rare species.

Keywords: adaptive genetic variation, conservation genomics, landscape genomics, local adaptation, natural selection, neutral genetic variation, next-generation sequencing, translocation.

WSL Berichte, Heft 60, 2017

Forum für Wissen 2017: 39–47 39

Der Boden – eine wertvolle Ressource für die genetische Vielfalt

Martin Hartmann und Christoph Sperisen

Eidg. Forschungsanstalt WSL, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf [email protected], [email protected]

Der Boden ist ein Schlüsselelement der terrestrischen Ökosysteme. Er ist ein ligen Ökosystem wird oft als Mikrobi- komplexes Netzwerk unzähliger Organismen, das wir noch immer kaum ver- om bezeichnet. Da sie kaum sichtbar stehen. Mikroorganismen in ihrer immensen Vielfalt – dazu gehören Bakterien, sind, fnden Mikroorganismen jedoch Archaeen und eukaryontische Kleinstlebewesen wie Pilze und Protisten – machen oft nur wenig Beachtung. So können in den grössten Teil dieser Biodiversität aus und bewerkstelligen praktisch alle wich- nur einem Gramm Boden Milliarden tigen Stoff- und Energiefüsse. Diese Ressource gilt es zu erhalten, auch unter den Mikroorganismen leben – ähnlich viele starken menschenbedingten Einfüssen auf den Boden. Die Naturschutzgenetik wie es Menschen auf der Welt gibt. Das untersucht die genetische Vielfalt innerhalb von Arten und Populationen sowie globale Mikrobiom umfasst über eine genetische und ökologische Prozesse. Damit möchte sie Massnahmen ableiten, Quintillion (1030) Organismen beste- um die genetische Vielfalt dauerhaft zu sichern. Da Mikroorganismen unschein- hend aus etwa einer Billion (1012) ver- bar und schwierig zu beschreiben sind, wurden sie aus naturschutzgenetischer schiedener Arten (Locey und Lennon Sicht bisher kaum beachtet. Wir diskutieren, wie makroökologische Grundprin­ 2016). Diese Arten sind bei praktisch zipien der Naturschutzgenetik auch auf Mikroorganismen angewendet werden allen biogeochemischen Stoffkreisläu- können. Damit lässt sich besser verstehen, wie ihre genetische Vielfalt entsteht fen der Erde beteiligt und spielen beim und sich verändert – eine wichtige Voraussetzung, um diese funktionell äusserst globalen Nährstoffzyklus, dem Abbau wichtige genetische Ressource zu erhalten. von Schadstoffen und der Entwicklung des Klimas eine wichtige Rolle (Fal- kowski et al. 2008). Das Mikrobiom ist 1 Einleitung etwa 100 Jahre braucht. Diese langsame somit der biogeochemische Motor des Entstehung von Boden und seine zentra- Bodens (Barrios 2007) und beeinfusst Der Boden verbindet Grundgestein, le Bedeutung für unseren Planeten ver- die Widerstands- und Anpassungsfä- Grundwasser und Atmosphäre. In die- langt nach einem schonenden Umgang higkeit des Bodens gegenüber Umwelt- ser Rolle ist er ein Schlüsselelement mit dieser Ressource. Damit sich der veränderungen (Lladó et al. 2017). terrestrischer Ökosysteme und erfüllt Boden und seine Funktionen auch unter vielfältige Ökosystemleistungen. Er ist der intensiven an­thropogenen Nutzung eine zentrale Komponente für viele und den globalen klimatischen Verän- 2.2 Analytik des Mikrobioms im wichtige Stoff- und Energiefüsse, dient derungen erhalten lassen, muss man ihn Zeitalter der Molekulargenetik als Habitat und Substrat für unzählige besser verstehen. Pfanzen, Tiere und Kleinstlebewesen Die Analyse dieser mikroskopisch klei- und fungiert als Filter für Wasser. Aus- nen Lebewesen ist eine der grossen serdem ist er ein wichtiger Kohlenstoff- wissenschaftlichen Herausforderungen speicher, wodurch er das globale Klima 2 Der Boden als genetische der letzten Jahrzehnte. Lange Zeit war massgebend beeinfusst. Ohne Boden Ressource die Technik nicht genug ausgereift, stände auch die Land- und Forstwirt- um diese komplexen Gemeinschaften schaft schlecht da: Rund 99 Prozent der 2.1 Das Bodenmikrobiom – Motor adäquat zu untersuchen. Unter dem globalen Nahrungsmittel werden auf im Untergrund Mikroskop sind die Millionen Arten terrestrischen Flächen gewonnen (Jef- von Mikroorganismen kaum morpho- fery et al. 2010). Der Boden ist aber Der Boden beherbergt eine immen- logisch zu unterscheiden. Auch tradi- auch Lagerstätte für Rohstoffe, Trä- se Vielzahl von Lebewesen, wobei die tionelle Ansätze, einzelne Arten auf ger für Infrastrukturen und Archiv der meisten mikroskopisch klein sind und speziellen Nährmedien zu vermehren Natur- und Kulturgeschichte. sich dadurch unserem blossen Auge und physiologisch zu untersuchen, sind Der Boden ist das Produkt unzähli- entziehen. In der Tat stellen die Mik- oftmals von mässigem Erfolg gekrönt. ger Zyklen von Ab-, Um- und Aufbau roorganismen – dazu gehören Bakte- Nur wenige Prozente der Mikroorga- mineralischer und organischer Sub­ rien, Archaeen und eukaryontische nismen lassen sich überhaupt kulti- stanzen und ist damit eine sensible und Kleinstlebewesen wie Pilze und Protis- vieren, weil wir deren Nährstoffan- endliche Ressource. Dies wird deutlich, ten – auf der Welt die diverseste Grup- sprüche und allenfalls essenzielle bio- wenn man bedenkt, dass es für den Auf- pe von Lebewesen dar. Die Gesamtheit logische Interaktionen zwischen den bau einer 1 cm mächtigen Bodenschicht der Mikroorganismen in einem jewei- Organismen noch nicht kennen oder

WSL Berichte, Heft 60, 2017 40 Forum für Wissen 2017 sie sich gar nicht aus dem natürlichen Veränderungen wie Klimaerwärmung, organismen kaum Beachtung fanden. Substrat lösen lassen. So sind heute Umweltverschmutzung oder intensive Da der mikrobielle Stoffwechsel aber von den geschätzten 1012 bakteriellen Bewirtschaftung beeinfussen die ter- die Diversität von Makroorganismen Arten (Locey und Lennon 2016) gera- restrischen und aquatischen Ökosys- massgeblich mitbestimmt, ist es essen- de mal rund 16 000 Arten (also etwa teme und damit auch das Mikrobiom­ ziell, das Mikrobiom in die Überlegun- 0,000001 %) gültig beschrieben (www. stark. Nachhaltige Veränderungen sind gen der Landschaftsgenetik miteinzu- bacterio.net). Von den geschätzten 2 die Folge, von Verlust der genetischen beziehen (Dudaniec and Tesson 2016). bis 4 Millionen Arten von Pilzen sind Vielfalt bis zur Beeinträchtigung essen- es etwa 3 bis 8 Prozent (Hawksworth zieller Ökosystem-Funktionen. Da das und Lücking 2017). Ein ähnliches Ver- Mikrobiom die Stoff-und Energiefüs- 3.2 Landschaftsgenetische hältnis zwischen der total geschätz- se in einem Ökosystem (z. B. Anreiche- Grundsätze und ihre Gültigkeit ten und der tatsächlich beschriebenen rung von Stickstoff oder Abbau von in der mikrobiellen Ökologie Diversität gilt wohl auch für andere organischem Material) stark prägt, ist grössere Gruppen von Mikroorganis- es naheliegend, dass Zusammensetzung Eine landschaftsgenetische Grundfra- men wie die Protisten. und Funktion des Mikrobioms sensiti- ge ist, ob Mikroorganismen – analog Dank neuer Verfahren, die das Erb- ve Indikatoren (Zeiger) für Umwelt- zu Makroorganismen – räumliche Mus- gut entschlüsseln – sogenannten «Next- veränderungen sind. Das Mikrobiom­ ter zeigen und somit nicht-zufällig ver- Generation Sequencing» (NGS) Me­­ lässt sich daher als Frühwarnsystem teilt sind. Viele wirtassoziierte Mikro- thoden­­­­ –, hat sich diese Situation grund- nutzen: Es erfasst einerseits Ökosys- organismen (z. B. Symbionten) weisen legend geändert. So ist es heute möglich, tem-Veränderungen, bevor sich lan- Muster von genetischer, morphologi- das Erbgut (Desoxyribonukleinsäure, ganhaltende oder gar irreversible Kon- scher und funktionaler Differenzierung DNS) von Mikroorganismen und die in sequenzen manifestieren. Andererseits auf, die mit der räumlichen Verteilung diesem Erbgut kodierten funktionalen lässt sich damit nachfolgend auch die ihrer Wirte im Zusammenhang stehen Elemente (Gene) direkt aus Umwelt- natürliche und anthropogene Regene- (Hedlund und Staley 2004; Papke proben zu extrahieren und die Diversi- ration der Ökosystemfunktionen eva- und Ward 2004). Ob dieser Grundsatz tät, das metabolische Potenzial und die luieren. auch auf freilebende Mikroorganismen Aktivität dieser Lebensgemeinschaften zutrifft – wohl die Mehrheit der Mikro­ zu beschreiben (Myrold et al. 2014). organismen im Boden – ist umstritten. Mit dem sogenannten Metabarcoding- So schlagen gewisse Studien vor, dass Verfahren lassen sich spezifsche Gene 3 Mikrobielle Naturschutz­ geografsche Barrieren die Ausbreitung – zum Beispiel ribosomale Gene, die genetik und somit den Genfuss von freileben- von allen zellulären Organismen für die den Mikroorganismen kaum begren- Proteinsynthese benötigt werden – von 3.1 Defnitionen und Potenzial zen (Fenchel und Finlay 2004; Fin- Millionen von Arten innert Tagen ent- lay 2002). Immer mehr Studien zeigen schlüsseln. Dies ermöglicht nie dagewe- Die Naturschutzgenetik ist eine Sub- jedoch, dass auch freilebende Mikro- sene Einblicke in die Vielfalt und Evo- disziplin der Populationsgenetik. Aus- organismen in Häufgkeit, Verteilung lution der Mikroorganismen (Hug et al. gehend von genetischen Daten lassen und Vielfalt über verschiedene räum- 2016), hat bahnbrechende Erkenntnis- sich damit in erster Linie Massnah- liche Skalen variieren (Martiny et al. se in der Medizin geliefert (Pflughoeft men ableiten, um die Populationen 2006). Da sich mit den neuen mole- und Versalovic 2012) und wird uns und ihre genetische Vielfalt dauer- kulargenetischen Methoden sowohl auch helfen, den Boden als wohl kom- haft zu sichern. Ein zentrales Element die taxonomische und phylogeneti- plexeste genetische Ressource der Erde der Naturschutzgenetik ist die Land- sche Aufösung wie auch der Durchsatz besser zu verstehen. schaftsgenetik. Sie untersucht, wie geo- (Anzahl Proben) und die analytische grafsche Elemente (z. B. räumliche und Tiefe (Anzahl analysierter Organismen zeitliche Isolation, landschaftsspezif- pro Probe) massiv steigern liess (Han- 2.3 Das Mikrobiom als Indikator sche Barrieren wie Berge und Flüsse) son et al. 2012; Tedersoo et al. 2014), für Umweltveränderungen und Umweltveränderungen (z. B. durch werden diese biogeografschen Muster Klimawandel oder Landnutzung) gene- immer deutlicher. Dabei stellt sich die Mit den neuen NGS-Technologien lässt tische Prozesse und damit die geneti- Frage, inwieweit diese Variation auf 1) sich auch bestens untersuchen, wie die sche Vielfalt von Arten und Populati- den historischen Genfuss oder 2) die Umwelt das Mikrobiom beeinfusst. Ist onen beeinfussen (Holderegger und aktuellen Umweltbedingungen zurück- die ursprüngliche mikrobielle Diversi- Wagner 2006). Im Vordergrund stehen zuführen ist. tät eines Ökosystems bekannt, ermög- dabei Prozesse wie Genfuss, Gendrift, Baas-Becking erstellte einen weit licht ein Monitoring des Mikrobi- demografsche Schwankungen und bekannten Lehrsatz, wie Mikroorganis­ oms in Zeit und Raum zu messen, wie evolutionäre Anpassung, wobei sich men räumlich verteilt sind: «everything­ sich eine veränderte Umwelt auf den diese Prozesse unterschiedlich auf die is everywhere, but the environment Boden oder andere Systeme auswirkt. genetische Vielfalt auswirken. Traditio- selects» (Baas-Becking 1934). Dies Ausserdem lässt sich so untersuchen, nellerweise hat sich dieses Forschungs- bedeutet, dass alle mikrobiellen Arten wie diese Veränderungen mit Ökosys- gebiet bisher vor allem auf Makroorga- global verteilt sind und nur die Umwelt tem-Prozessen verknüpft sind. Globale nismen konzentriert, während Mikro- bestimmt, welche Arten wo vorkom-

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 41 men. Dies würde heissen, dass die aktu- Ein fundamentales Theorem der le Studien haben gezeigt, dass gewis- ellen Umweltbedingungen entschei- Popula­tionsgenetik ist der sogenannte se Umweltparameter wie der pH-Wert dend sind für das Entstehen von biogeo- «isolation-by-distance»-Effekt (Wright des Bodens die Zusammensetzung von grafschen Mustern. Der historische 1943), auch «distance-decay»-Bezie- mikrobiellen Gemeinschaften stark prä- Genfuss und somit die geografschen hung genannt­­ (Soininen et al. 2007). gen (Lauber et al. 2009). Der kombi- Barrieren würden – im Ge­­gensatz zu Dieser Effekt charakterisiert den histo- nierte Effekt dieser zwei Ebenen auf die makroökologischen Erkennt­­ nissen­­­­ – rischen Genfuss, indem er den positi- genetische Vielfalt des Mikrobioms ist die genetische Variation jedoch kaum ven Zu­sammenhang zwischen dem schlussendlich abhängig von der relati- beeinfussen (O’Malley 2008). Im Zuge Grad der genetischen Divergenz und ven Grösse der jeweiligen Komponen- der technologischen Entwicklungen in der geografschen Distanz zwischen Po­­ te. So wurde gezeigt, dass mit steigender der Umweltgenetik wird dieser Lehrsatz pulationen beschreibt. Mit anderen geografscher Distanz der Einfuss der aber immer mehr in Frage gestellt. Es Worten, je weiter Populationen räum- lokalen Umweltbedingungen abnimmt wird zunehmend klar, dass auch bei lich voneinander entfernt sind, desto und umgekehrt (Martiny et al. 2006). Mikroorganismen beide Faktoren eine grösser sind die genetischen Unterschie- Auch ein spezifscher Stressor, zum Bei- gewisse Rolle spielen (Dudaniec­ und de, da der Genfuss mit zunehmender spiel eine starke mechanische Belas- Tesson 2016) und oft zwei sich über­ Distanz immer geringer wird (Holder­ tung des Bodens, kann die Zusammen- lagernde Ebenen bilden (Abb. 1A). egger und Segelbacher 2016). Wie setzung des Mikrobioms langanhaltend Betrachten wir also zunächst den histo- erwähnt, können Landschaftselemente oder gar permanent stören. Bei einem rischen Genfuss als eine erste Ebene. als Barrieren wirken und die genetische starken Stressor kann die Ebene der Der Genfuss bezeichnet in der Evoluti- Divergenz zusätzlich beeinfussen (Bol- aktuellen Umweltbedingungen so stark onsbiologie den Austausch von geneti- liger und Gugerli in diesem Band). dominieren, dass die lokale Zusammen- schem Material innerhalb und zwischen Das gleiche Konzept lässt sich anstatt in setzung an unterschiedlichen Stand- Populationen. Charakteristisch für Mik- der räumlichen Dimension auch in einer orten in die gleiche Richtung konver- roorganismen ist sowohl eine extrem zeitlichen Dimension verstehen, sodass giert und somit die lokale genetische kurze Generationszeit und damit auch der Genfuss zwischen Gemeinschaften Vielfalt potenziell verloren geht (Abb. eine schnelle Artenbildung, als auch der oder Population mit zunehmender zeit- 1B). Nur wenn wir beide Ebenen und weit verbreitete Mechanismus des ase- licher Distanz abnimmt (sogenannte deren Zusammenspiel erfassen, verste- xuellen Austauschs von Genmaterial «time-decay»-Beziehung; Shade et al. hen wir das Bodenmikrobiom als gene- zwischen Arten durch horizontalen 2013). tische Ressource besser und können es Gentransfer. Genfuss ist deshalb wohl Umweltfaktoren wie etwa Landnut- im naturschutzgenetischen Sinne auch auch für Unterschiede zwischen mikro- zung oder Klimawandel bilden eine besser bewahren. Im Folgenden präsen- biellen Gemeinschaften (und nicht nur zweite Ebene, welche die genetische tieren wir eine Fallstudie, in der beide Populationen) von grosser Bedeutung. Vielfalt beeinfusst (Abb. 1A). Vie- Ebenen eine tragende Rolle spielen.

AB● ● ● Genetische Vielfalt ●

● ● ● Ebene 2 2 ● Aktuelle Umweltbedingungen ●● ●● ●● (lokale Bedingungen wie z.B. ●● ● ●● ● bodenchemische und bene 1 >> Ebene ● ● E ●● -physikalische Eigenschaften, ● ● ●● klimatische Faktoren) Ebene 2 >> ●● ●● Ebene 1 ●● ●● Historischer Genfluss Ebene ● ● ● ● (räumliche und zeitliche ●● ● ● 1 ● ● Distanz, spezifische ● Gemeinschaft A ●● Ausbreitungsbarrieren) ● Gemeinschaft B ● Gemeinschaft C ● ohne Stressor mit Stressor

Abb. 1. A) Der historische Genfuss und die aktuellen Umweltbedingungen bilden zwei sich überlagernde Ebenen, welche die genetische Vielfalt von Populationen und Gemeinschaften beeinfussen. Die abstrakten Punkte repräsentieren den relativen Einfuss von den gemesse- nen Parametern in Ebene 1 und 2 auf die fnalen Komponenten der genetischen Vielfalt. B) Abhängig davon, welche Ebene einen stärkeren Einfuss hat, wird die Vielfalt entweder vom historischen Genfuss oder von den aktuellen Umweltbedingungen dominiert. Wenn die aktuel- len Umweltbedingungen einen sehr grossen Einfuss ausüben (Stichwort Stressor), kann die genetische Vielfalt an den verschiedenen Stand- orten konvergieren und somit die lokale genetische Vielfalt verloren gehen. Die verschiedenen Farben repräsentieren Gemeinschaften an drei geografsch verschiedenen Standorten, die verschiedenen Symbole verschiedene Umweltbedingungen (ohne und mit Stressor). Je näher die Punkte beieinanderliegen, desto ähnlicher ist die genetische Vielfalt der mikrobiellen Gemeinschaft.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 42 Forum für Wissen 2017

3.3 Fallstudie: Das Bodenmikrobiom Dabei steigt das Risiko von Boden- 2012). Die sechs Standorte wurden so im Wald unter dem Druck der schäden, insbesondere durch Verdich- ausgewählt, dass Standortstruktur und gesteigerten Holzernte tung, wodurch der Boden schlechter Bodeneigenschaften möglichst uniform mit Sauerstoff und Wasser versorgt waren. Zudem wurde auf allen sechs Waldökosysteme sind wesentliche B­e­ wird. Flächen die gleiche Baumart (Küsten- standteile der Biosphäre und regulie- Um zu beurteilen, wie Ernteabfuhr kiefer, Pi­nus contorta) gepfanzt,­ um ren grundlegende Nährstoff- und Ener- und Bodenverdichtung die Bodenpro- auch den Einfuss der Vegetation auf giefüsse mit direkter Rückkopplung zesse und Standortproduktivität über den Boden möglichst konstant zu hal- auf das Klima (Canadell und Rau- die wichtigsten nordamerikanischen ten. Bei jedem Standort wurden ausser- pach 2008). Intakte Wälder verringern Boden- und Waldtypen hinweg beein- dem die lokalen bodenchemischen die Zunahme von Treibhausgasen in fussen, rief das Landwirtschaftsminis- Bedingungen in Kombination­ mit den der Atmosphäre und gehören zu den terium der Vereinigten Staaten 1989 das verschiedenen Bewirtschaftungsformen grössten globalen Kohlenstoffsenken Langzeit-Bodenproduktivitäts-Netz- gemessen. Die unterschiedliche geo- (Bonan 2008; Fahey et al. 2010). Wäl- werk (eng. Long-Term Soil Producti­ grafsche Distanz der Versuchsfächen der sind aber auch wirtschaftlich sehr vity, LTSP) ins Leben. Aufgrund der mit möglichst einheitlichen Standorts- wichtig und werden weltweit vermehrt Forschungsresultate lassen sich letzt- eigenschaften macht diesen Datensatz und intensiver genutzt, um nachwach- lich nachhaltige Bewirtschaftungsme- zu einem idealen Instrument, um den sende Roh- und Treibstoffe zu produ- thoden identifzieren (Powers 2006). Einfuss der landschaftsgenetischen zieren (Kirschbaum 2003). Die ver- Heute gehören mehr als 100 Standor- Komponenten auf die genetische Viel- mehrte Entnahme von organischer te zum weltweit grössten koordinierten falt der mikrobiellen Gemeinschaften Substanz (Biomasse) durch die Hol- Forschungsnetzwerk. An jedem Stand- zu untersuchen. Zu diesem Zweck wur- zernte und die damit verbundene ort werden jeweils drei Intensitätsstu- den 10 bis 15 Jahren nach der Ernte an mechanische Belastung der Böden sind fen des Erntegrades und der Bodenver- jedem der sechs Standorte von allen potenzielle Risikofaktoren für die Bio- dichtung in einem vollständig faktoriel- neun Behandlungen (3 Erntestufen × diversität im Boden. Zum einen kann len Design untersucht. Der umliegende 3 Verdichtungsstufen) und dem nicht- die gesteigerte Entnahme von Rohstof- Wald dient als nicht-bewirtschafteter bewirtschafteten Referenzstandort fen – zum Beispiel durch grossfächige Referenzstandort (Abb. 2). Bo­denproben entnommen – sowohl Vollbaumernte – dazu führen, dass Auf sechs LTSP-Flächen im kan­ des organischen wie auch des minerali- wichtige Nährstoffe im Boden abneh- adischen Britisch-Kolumbien (Abb. 2) schen Oberbodens. Das Ziel war zu men und das Ökosystem somit langfris- haben wir der Einfuss der verschiede- verstehen, 1) inwiefern die geograf- tig unterversorgt ist. Zum anderen ist nen Bewirtschaftungsformen auf das sche Komponente (Ebene 1) und die aber auch die mechanische Belastung Bodenmikrobiom (Bakterien und Pil- aktuellen Bodeneigenschaften (Ebene der Böden durch die schweren Ernte- ze) mittels NGS von ribosomalen 2) die genetische Vielfalt des Bodenmi- maschinen ein zunehmendes Problem. Markern untersucht (Hartmann et al. krobioms beeinfussen, und 2) ob die massiven Eingriffe ins Ökosystem mit den verschiedenen Bewirtschaftungs- formen zu einem Verlust der lokalen Standort Log Lake (LL) genetischen Vielfalt führen, sodass die bewirtschafteten Flächen an allen Standorten eine ähnliche mikrobielle Sub-boreal Spruce Zusammensetzung aufweisen. Mit den vier Faktoren Standort (n=6), Bodenhorizont (n=2), Ernte­ grad (n=3) und Bodenverdichtung TO LL (n=3) konnte 31 Prozent der Variabi- Ernteverfahren lität in der Zusammensetzung der mik- SL Stammernte (OM1) robiellen Gemeinschaft erklärt wer- BPBP Vollbaumernte (OM2) den. Der Faktor Standort machte mit OLOL Vollbaumernte + org. Auflage (OM3) DC Interior Douglas-Fir 18 Prozent (p < 0,001) den grössten Bodenverdichtung Teil dieser Variabilität aus, gefolgt von keine Verdichtung (C0) mässige Verdichtung (C1) den Faktoren Bodenhorizont (11 %, starke Verdichtung (C2) p < 0,001), Erntegrad (2 %, p < 0,001) Abb. 2. Die Long-Term Soil Productivity (LTSP)-Standorte in Britisch-Kolumbien, Kanada. und Bodenverdichtung (1 %, p < 0,05). Drei Standorte (To, Topley; LL, Log Lake; SL, Skulow Lake) befnden sich in der biogeokli- Eine Haupt­­koordinaten-Analyse (PCO; matischen Zone Sub-boreal Spruce (in blau), drei andere Standorte (BP, Black Pines; OL, Gower 2005) bestätigte, dass Stand- O’Connor Lake; DC, Dairy Creek) in der Zone Interior Douglas-Fir (in orange). An jedem ort und Bodenhorizont die massgeben- Standort wird der Einfuss von drei Intensitätsstufen des Erntegrades (Stammernte OM1, den Faktoren waren, welche die gene- Vollbaumernte OM2 und Vollbaumernte mit Entfernung der organischen Aufage OM3) und der Bodenverdichtung (keine Verdichtung C0, mässige Verdichtung C1 und starke Ver- tische Vielfalt beeinfussten (Abb. 3). dichtung C2) in einem vollständig faktoriellen Design untersucht. Der umliegende Wald Diese Unterschiede wurden auf den dient als nicht-bewirtschafteter Referenzstandort. ersten zwei Hauptkoordinaten sicht-

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 43 bar. Ein statistisches Filtern der Effek- zung des Bodenmikrobioms als nahe relevanten Skala). Zum anderen haben te aufgrund der a-priori-Gruppen mit- gelegene Standorte (BP, OL, DC). Die- die beiden Bodenhorizonte aber auch tels einer sogenannten kanonischen ses Resultat legt nahe, dass der «iso- substanziell unterschiedliche physikali- Analyse der Hauptkoordinaten (CAP; lation-by-distance»-Effekt einen star- sche und chemische Eigenschaften, die Anderson und Willis 2003) wurde ken Einfuss hatte, auch wenn die sechs dazu beitragen, dass sich unterschied- eingesetzt, um 1) den relativen Einfuss Standorte in Bezug auf ihre Umwelt- liche mikrobielle Gemeinschaften eta- von Standort und Bewirtschaftungsfor- bedingungen nicht genau gleich waren blieren. men zu quantifzieren (Abb. 4) und 2) (was bei einem Feldversuch nahe- Auch die Bewirtschaftungsformen die relativen Unterscheide innerhalb zu unmöglich ist). Wie weiter oben hatten einen signifkanten, jedoch ver- der untersuchten Faktoren zu evalu- erwähnt war auch der Bodenhorizont hältnismässig kleinen Einfuss auf die ieren (Abb. 5). Diese Analysen zeig- ein massgebender Faktor für die mik- gesamte genetische Vielfalt des Boden- ten klar, dass die geografsche Lage robielle Vielfalt (Abb. 3). Die unter- mikrobioms (Abb. 5). Dies ist doch ein die mikrobielle Vielfalt stärker beein- schiedlichen ­Bodenhorizonte spie­geln erstaunliches Resultat, da die intensi- fusste als die Bewirtschaftungsmass- wohl sowohl die geografsche Distanz ven Bewirtschaftungsformen massiv in nahmen (Abb. 4). Die relativen Unter- wie auch die aktuellen Umweltbedin- den Boden eingreifen, zum Beispiel die schiede in der mikrobiellen Vielfalt gungen wider. Zum einen ist die Quel- Vollbaumernte inklusive Entfernung zwischen den Standorten widerspiegel- le für die organische Aufage (Vegeta- der organischen Aufage (OM3) kom- ten die geografsche Lage der Standor- tion) eine grundlegend andere als die biniert mit einer schweren Bodenver- te, obwohl alle Standorte ganz deutlich für den mineralischen Boden (ver- dichtung (C2). Man hätte davon aus- voneinander getrennt werden konnten wittertes Gestein), was eine gewisse gehen können, dass über alle sechs (Abb. 5). Weiter auseinanderliegende geografsche Isolierungskomponen- Standorte hinweg die gleichen Mikro­ Standorte (TO, LL, SL) zeigten grösse- te widerspiegelt (wenn auch auf einer organismen sich an diese doch sehr re Unterschiede in der Zusammenset- kleineren, jedoch für Mikroorganismen harschen und limitierten Bedingungen

OM1C0 30 0,3 OM1C1 OM1C2 OM2C0 OM2C1 OM2C2 OM3C0 OM3C1 OM1C0 OM3C2 0,2

20 OM1C1 REFREF OM1C2 OM2C0 ● ● ● ●● OM2C1 ● OM2C2 ●● ● ● ●●● OM3C0 ● ● ● ● ● ● OM3C1 ● ● ● ● ●● ●●● 0,1 OM3C2 ● ● ●● ● ● ● ● ● REFREF ● ●● ● ●●●● ● ●●● 10 ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ● ●● ● ●● ● ●● ● ● ● ● ●●●●●●●●●●●●●●●●●● ● ● ●● ●●● ● ●●●●● ● ● ● ● ● ●● ●●●● ●● ● ● ●●● ● 0,0 ● ●●● ● ●● ● ● ●●●● ● ● ● ● ● ●● ●● ● ●● ●●●● ● ● ●● ●● ●●● ●●●●● ●● ● ●● ● ●●● ● ● ● ● ●●● ● ●●● ● ●● ● ●●● ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ●● ●● ●●● ● ● ● ● ● ● ● ● ●● ● ●● ● ● ● ● ● ●● ● ● ● ●● ● ● ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● CAP2 ● ● ● ● ● ●● ● ● ● ● ● OM1C0

0,1 ● ● ● ● ● OM1C0 OM1C1 ● ● ●●● ● OM1C1 OM1C2 −

PCO2 ( 11,1 %) ● ● ● OM1C2 OM1C0 OM2C0 ● ● ● OM2C0 OM2C1 ●● OM1C1 ● ● ●● OM2C1 OM1C2 OM2C2 ● OM2C2 OM3C0 ● –2 00 OM2C0 OM3C0 OM2C1 OM3C1 ● OM3C2 0,2 ● OM3C1 OM2C2 OM3C2 REFREF − ● ●● OM3C0 ● REFREF OM3C1 ●●● ● ● ● ●● ● ● OM3C2 ● ● ● ● OM1C0 REFREF ● ● TO (ORG) TO (MIN) ● ● ● ● ● OM1C1 ● ● ● ● ● ● ● 20 ● ●● ● ● ● ● ● OM1C2 ●●●● ● ● ● ● ● ●● ● LL (ORG) LL (MIN) OM2C0 ● ● ● ● ● ● 0,3 ● ● ● ●● ●● ● ● ● ●● ● ● ● ● OM2C1 ● ● ●●● ●

− ● ● ● ● ● ● ●● ● ● ● ● ● ● SL (ORG) SL (MIN) OM2C2 ● ● ● ● OM3C0 ● ● ● ● ● ● ●● ● ●● TO BP BP (ORG) BP (MIN) OM3C1 ●● OM3C2 ● ● ● REFREF LL OL OL (ORG) OL (MIN) 0− ● ●

0,4 ●

DC (ORG) DC (MIN) −3 SL DC −

–0,3 –0,2 –0,1 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 –20 –10 0102030 CAP1 PCO1 ( 12,8 %)

Abb. 3. Unterschiede in der genetischen Vielfalt des Bodenmikro­ Abb. 4. Unterschiede in der genetischen Vielfalt des Bodenmikro­ bioms gemessen durch NGS von phylogenetischen Markern für bioms gemessen durch NGS von phylogenetischen Markern für Bakterien und Pilze. Die Abbildung zeigt eine Hauptkoordinaten- Bakterien und Pilze. Die Abbildung zeigt eine kanonische Analy- Ordination (PCO) von allen analysierten Bodenproben, mit wel- se der Hauptkoordinaten aus Abbildung 3. Diese Analyse ist eine cher ein möglichst grosser Teil der Variabilität im Datensatz auf statistische Filterungsmethode, um den relativen Einfuss der Fak- einen niederdimensionalen Raum projiziert wird. Die ersten zwei toren Standort und Bewirtschaftung (Erntegrad und Bodenver- Hauptkoordinaten (PCO1 und PCO2), welche den grössten Teil dichtung) zu untersuchen. Analog zur Hauptkoordinatenanalyse der Gesamtvarianz erklären (12,8 % und 11,1 %), sind dargestellt. entspricht ein Datenpunkt in der Ordination einer mikrobiellen Jeder Datenpunkt in der Ordination entspricht der mikrobiellen Gemeinschaftsstruktur einer Bodenprobe, und je näher sich zwei Gemeinschaftsstruktur einer Bodenprobe, und je näher sich zwei Datenpunkte sind, desto ähnlicher sind diese zwei Proben in Bezug Datenpunkte sind, desto ähnlicher sind diese zwei Proben in Bezug auf die mikrobielle Zusammensetzung. Die ersten zwei kanoni- auf die mikrobielle Zusammensetzung. Die ersten zwei Hauptko- schen Hauptkoordinaten (CAP1 und CAP2) zeigen, dass der Faktor ordinaten zeigen, dass die Faktoren Standort und Bodenhorizont Standort einen grösseren Einfuss auf die mikrobielle Zusammen- einen übergeordneten Einfuss auf die mikrobielle Zusammenset- setzung hat als die verschiedenen Bewirtschaftungsmassnahmen, da zung ausüben. Die Abkürzungen der Standorte sind in Abbildung die Gemeinschaften primär aufgrund der geografschen Lage und 2 gegeben. Die zwei verschiedenen Bodenhorizonte bestehen aus nicht aufgrund der Bewirtschaftung strukturiert sind. Die Unter- der organischen Aufage (ORG) und den obersten 20 cm des mine- schiede, verursacht durch die Bewirtschaftungsmassnahmen, sind ralischen Bodens (MIN). innerhalb jeder Standort-Gruppe sichtbar und sind durch die Box- plots (Kastengrafken) visualisiert. Die Abkürzungen der Standor- te und Bewirtschaftungsmassnahmen sind in Abbildung 2 gegeben.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 44 Forum für Wissen 2017

● ● Standort erklärt 18% der Gesamtvarianz ● ● ●●● anpassen würden – mit einem entspre- ●●● ● ●●●● ● ● ●●●● ● ●●●●● ●●●●●●●●● ●●● ●● ● ● ● ● chenden potenziellen Verlust der gene- ● ● ● ●● ● ● ●● ● ● ● ● ● ●● ● ● tischen Vielfalt zwischen den Standor- ●● ●● ●● ● ● ●●● ● ● ● ●● ● 20 ●●● ● ● ● ●●● ● ● ten. Dies war aber nicht der Fall, und ● 15 die standorttypische Zusammensetzung blieb trotz der intensiven Veränderun- 10 ● ●●● ● gen der Umweltbedingungen erhalten. ● ● ● ●●●●●●●●● ●●●●●●●●●● ●●● ●●● ●●●●● ● Auch hier liessen sich jedoch die ver- 5 ● ●

● ● ● ●● 0 ●● schiedenen Intensitätsstufen mittels ●●●●●●● ●● ● ●●●●●●●●●●●●● CAP3 ● ● ●●●●●●● ● ●●●●●●●●●●●●●●● ●●●●●●●●●●●●● ● 15 ●● ●●●●●●● entsprechendem statistischen Filtern ●● ●●●●●●● ● ● ●●●●● ● ● 10 5 relativ deutlich unterscheiden (Abb. 5). –5 0 Vor allem mikrobielle Gruppen, die in −5 –10 −1 0 CAP1 Symbiose mit Pfanzen leben, oder sol- −1 5 che, die im Abbau von organischem −20 –15 ● TO (100%) ● BP (100%) –15 −10 –5 0510 Material eine wichtige Rolle über- ● LL (100%) ● OL (100%) CAP2 ● SL (100%) ● DC (100%) nehmen, waren von den intensiven Bewirtschaftungsformen stark betrof- fen (Hartmann et al. 2012). Da die- Bodenverdichtung erklärt 1% der Gesamtvarianz se Mikroorganismen essenziell sind für die Versorgung der Pfanzen mit Nähr- stoffen, stellt sich natürlich die Frage, 6 ob intensiv genutzte Wälder langfris-

● ● ● tig genügend Nährstoffe haben. Mehr ● 4 ● ● ●● Details über die Effekte der Bewirt- ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● schaftungsformen auf einzelne mik- ● ●● ● ● 2 ● ●● ●● ● ● ● ● robielle Arten können in der origina-

● ● 6 CAP3 0 4 len Publikation nachgelesen werden 2 (Hartmann et al. 2012). 0 Um den relativen Einfuss der räum- –2 −2 CAP2 lichen Distanz und der lokalen Boden­ −4 ● REF (91%) eigenschaften auf die genetische Vielfalt –4 −6 C0 (73%) des Mikrobioms zu untersuchen, wurde –5 0510 15 20 C1 (64%) CAP1 C2 (73%) ein partieller Mantel-Test (Smouse et al. 1986) durchgeführt. Dieser Test berech- net die Korrelation zwischen zwei Dis- Erntestufe erklärt 2% der Gesamtvarianz tanzmatrizen unter Berücksichtigung und Korrektur des Einfusses einer drit- ten Distanzmatrix. Damit können wir 6 untersuchen, wie die Geografe die mik-

● ● robielle Zusammensetzung beeinfusst, ● ● ● 4 ●● ● ●●● ● ●● währendem wir den Einfuss der loka- ●● ● ●● ● ● ● ●● len Umweltbedingungen kontrollie- ● ● ● ●● 2 ●● ● ren und umgekehrt. Sowohl die räum-

● ● 4 0 ● CAP3 2 lichen Koordinaten (r = 0,52; p < 0,001) 0 wie auch die Bodeneigenschaften zum −2 Zeitpunkt der Beprobung (r = 0,63; –2 −4 CAP2 p < 0,001) korrelierten mit der Gemein- −6 schaftsstruktur. Der relativ starke Ein- ● REF (97%) –4 −8 OM1 (81%) fuss der Bodenparameter war jedoch −1 0 –5 0510 15 20 OM2 (84%) zum grössten Teil auf den Unterschied CAP1 OM3 (96%) dieser Parameter zwischen den Boden- Abb. 5. Kanonische Analyse der Hauptkoordinaten analog zu Abbildung 4, aber jeweils nur horizonten zurückzuführen. Wenn man mit einem Faktor gefltert (Standort, Erntegrad oder Bodenverdichtung). Die ersten drei die Bodenhorizonte separat analysier- kanonischen Hauptkoordinaten (CAP1, CAP2 und CAP3) zeigen die relativen Unterschie- te, beeinfusste die räumliche Distanz de in der mikrobiellen Zusammensetzung aufgrund der verschiedenen Stufen innerhalb die genetische Vielfalt stärker als die eines Faktors. Sowohl die sechs verschiedenen Standorte wie auch die verschiedenen Ernte- Bodeneigenschaften, sowohl im organi- grade und Verdichtungsstufen weisen unterschiedliche mikrobielle Gemeinschaften auf. Die schen (r = 0,52; p < 0,001 versus r = 0,38; Prozentangabe bei jeder Gruppe zeigt, wie gut das statistische Modell die jeweilige Gruppe von den anderen Gruppen separieren kann (also wie stark der Unterschied zwischen den p < 0,001) wie auch im mineralischen Gruppen ist), mit 100 Prozent gleich einer maximalen Separation. Die Abkürzungen der (r = 0,63; p < 0,001 versus 0,38; p < 0,001) Standorte und Bewirtschaftungsmassnahmen sind in Abbildung 2 gegeben. Boden. Daraus lässt sich schliessen, dass

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 45 primär die geografsche Distanz für schen Genfuss bestimmt, während und globale Veränderungen sie beein- die Unterschiede in der mikrobiellen andere Arten wohl nur bedingt den fussen. Die mikrobielle Landschaftsge- Zusammensetzung über die sechs Wald- landschaftsgenetischen Prinzipien fol- netik ist jedoch mit spezifschen Her- standorte verantwortlich ist und nur in gen. Oder um auf die ursprüngliche The- ausforderungen konfrontiert, die sich zweiter Linie die aktuellen Bodeneigen- orie von Baas-Becking zurückzukom- fundamental von den makroökologi- schaften. Hier muss man jedoch anfü- men, könnten wir wohl sagen: «Some schen Grundprinzipien unterscheiden. gen, dass höchstwahrscheinlich nicht things are everywhere and some things Bei Mikroorganismen ist es schwierig, alle potenziell relevanten Umweltbe- are not; sometimes the environment Arten genetisch zu defnieren, da der dingungen gemessen wurden und die- selects and sometimes it doesn’t» (van asexuelle Austausch von Genmateri- se Aussage nur auf den gemessenen der Gast 2013; van der Gast 2015). al die Artengrenzen verzerrt und vie- Parametern basiert (Bodenwasserge- Eine weitere erschwerende Kompo- le Arten weder aufgrund äusserlicher halt, pH, Kohlenstoff, Stickstoff, mine- nente ist, dass die räumlichen (Milli- Merkmale noch genetisch beschrieben ralischer Stickstoff, Calcium, Kalium, meter zu Kilometer) und zeitlichen wurden. Die relativ schnelle Artenbil- Magnesium, Phosphor, Schwefel, Alu- (Minuten zu Jahre) Komponenten bei dung erschwert zudem aufgrund der minium, Natrium und Kationenaus- Mikroorganismen fundamental anders oft ex­trem kurzen Generationszeit die tauschkapazität). Bodenparameter wie sind als bei Makroorganismen. Beson- Analyse in Raum und Zeit. Immense Kohlenstoffgehalt, pH und Bodenfeuch- ders schwierig ist es zudem, mikrobi- technische Fortschritte in den letzten te schienen Bodenparameter mit subs- elle Arten überhaupt adäquat zu def- Jahren machten landschaftsgenetische tanziellem Ein­fuss zu sein. nieren, da die extrem kurze Generati- Analysen bei Mikroorganismen über- onszeit sowie das Fehlen reproduktiver haupt erst möglich. Trotzdem braucht Isolierung durch den asexuellen Aus- es eine noch bessere analytische Auf- 3.4 Herausforderungen und tausch von Genmaterial (Stichwort lösung, um den Genfuss auf der Ebe- Limitierungen horizontaler Gentransfer) die Arten- ne von Populationen zu untersuchen grenzen vermischen. Ein grosser Vor- (Stichwort Populationsgenetik). Neus- Aus den oben ausgeführten Erkenntnis- teil der Naturschutzgenetik ist jedoch te genomische Technologien wie etwa sen können wir schliessen, dass Mikroor- gerade, dass solche Artgrenzen nicht die Einzel-Zell-Genomik werden uns ganismen analog zu Makroorganismen unbedingt defniert werden müssen, da einen grossen Schritt weiterbringen. a) räumliche Verteilungsmuster zeigen um die genetische Vielfalt zu messen. Mit dieser Technologie werden einzel- und b) nicht nur aktuelle Umweltbedin- Wer die Ansätze und Theorien der ne mikrobielle Zellen direkt von der gungen diese Muster g­enerieren, son- Naturschutzgenetik auf mikrobielle Matrix – zum Beispiel Boden – iso- dern auch der histo­rische Genfuss. Trotz Gemeinschaften übertragen möchte, liert und anschliessend das gesamte dieser landschaftsgenetischen Überein- muss zuerst besser verstehen, welche Genom (Erbgut) sequenziert. Mit die- stimmung zwischen Makro- und Mikro- Umweltfaktoren für die Verbreitung sem Ansatz lassen sich kleinste gene- organismen gibt es doch fundamentale und Strukturierung von Mikroorganis- tische Verschiebungen innerhalb von Unterschiede, die es zu berücksichtigen men relevant sind. In diesem Sinne ist Arten und somit zwischen Populatio- gilt (Prosser et al. 2007). Faktoren wie 1) die oben diskutierte Fallstudie wichtig, nen untersuchen, um evolutive Anpas- Art der Ausbreitung, 2) variable Lebens- um zu lernen, wie das Bodenmikrobi- sungsmechanismen besser nachzuvoll- zyklen und 3) hohe Reproduktionsraten om und die darin enthaltenen geneti- ziehen. Dies wird ein weiterer Schritt kombiniert mit grossen Populationen schen Ressourcen auf Umweltverän- sein auf dem Weg, Genfuss und Anpas- bringen zusätzliche Herausforderungen derungen reagieren, und wie sich die sungsprozesse innerhalb von Mikroor- mit sich (Dudaniec und Tesson 2016). genetische Vielfalt in Zeit und Raum ganismen zu verstehen. So unterscheiden sich Mikroorganis- verhält. Genetische Ressourcen im Boden men, die unterschiedliche Wege der Aus- zu erhalten ist nicht nur weltweit, son- breitung (aktiv, passiv, wirtsassoziiert), dern auch national ein Thema. Fakto- unterschiedliche Entwicklungsstadien ren wie Bewirtschaftung und Klima- (sexuell, asexuell) oder unterschiedliche 4 Schlussfolgerungen wandel führen auch in der Schweiz zu Überdauerungsphasen (z. B. Sporenbil- Umweltveränderungen, die sich direkt dung) aufweisen, sowohl hinsichtlich 4.1 Bedeutung für die Wissenschaft auf das Bodenmikrobiom auswirken ihrer Ausbreitungswege und -geschwin- können. So zeigten wir mit genetischen digkeiten wie auch ihrer Anpassungsme- Mikroorganismen zeigen analog zu Methoden, dass land- und forstwirt- chanismen gegenüber Umweltveränd­ ­ Makroorganismen geografsche Ver- schaftliche Einfüsse wie etwa mecha- erungen. Viele Mikroorganismen wech- teilungsmuster. Diese Muster wer- nische Bodenbelastung oder verschie- seln diese Zustände auch im Verlaufe den sowohl durch geografsche Ele- dene Düngungs- und Pfanzenschutz- ihres Lebenszyklus, sodass Genfuss und mente (räumliche Distanz, spezifsche massnahmen das Bodenmikrobiom in Anpassung schwierig zu modellieren Landschaftsmerkmale) wie auch durch der Schweiz verändern (Hartmann et sind. Das heisst auch, dass Modelle je dynamische Umweltbedingungen (kli- al. 2014; Hartmann et al. 2015). Kli- nach mikrobieller Art unterschiedlich matische Faktoren, Landnutzung) maassoziierte Faktoren wie Trocken- ausfallen dürften. Die genetischen Ver- gebildet. Beide Ebenen sind notwendig, heit oder steigende Temperaturen breitungsmuster von gewissen Arten um zu verstehen, wie genetische Viel- zogen Konsequenzen für das Boden- werden massgebend durch den histori- falt entsteht und wie lokale, regionale mikrobiom in Wald und Gebirge nach

WSL Berichte, Heft 60, 2017 46 Forum für Wissen 2017

sich (Frey et al. 2016; Hartmann et al. orttypische, biologisch aktive Lebensge- Earth’s biogeochemical cycles. Science 2017). All diese Fallstudien wurden meinschaft aufweisen muss. Mit den 320: 1034–1039. jedoch nur an einzelnen oder wenigen neuesten molekulargenetischen Metho- Fenchel, T.; Finlay, B.J., 2004: The ubiquity Orten durchgeführt, sodass die räum- den können wir nun diese standorttypi- of small species: patterns of local and liche Variation dieser Veränderun- sche genetische Ressource beschreiben global diversity. Bioscience 54: 777–784. gen nicht erfasst werden konnte. In und langfristig beobachten. In ver­ Finlay, B.J., 2002: Global dispersal of Zukunft wird es wichtig sein, entlang schiedenen Beobachtungsprogrammen free-living microbial eukaryote species. möglichst grosser geografscher Gra- (Stichwort Monitoring) wie zum Bei- Science 296: 1061–1063. dienten zu untersuchen, wie eine ver- spiel dem Nationalen Bodenbeobach- Frey, B.; Rime, T.; Phillips, M.; Stierli, B.; änderte Umwelt das Bodenmikrobiom tungsnetzwerk (NABO) oder dem Bio- Hajdas, I.; Widmer F.; Hartmann, M., beeinfusst. Daraus liessen sich generell diversitäts-Monitoring Schweiz (BDM) 2016: Microbial diversity in European gültige Schlussfolgerungen ziehen. lassen sich die räumlichen und zeitli- alpine permafrost and active layers. chen Veränderungen der Biodiversität FEMS Microbiol. Ecol. 92: 1–17. untersuchen, auch im Zusammenhang Gower, J.C., 2005: Principal Coordinates 4.2 Bedeutung für die Praxis mit dem globalen und lokalen Wandel Analysis. Encyclopedia of Biostatistics. der Umwelt. In diesen Programmen John Wiley & Sons, Ltd. Weltweit sind Bestrebungen im Gange, sollte auch die mikrobielle Biodiversität Hanson, C.A.; Fuhrman, J.A.; Horner- den Rückgang der globalen Artenviel- berücksichtigt werden. Es ist an der Devine, M.C.; Martiny, J.B.H., 2012: falt zu bremsen. Auch in der Schweiz Zeit, das Mikrobiom als wohl diverses- Beyond biogeographic patterns: processes gibt es Richtlinien, die helfen sollen, ter und vielleicht funktional grundle- shaping the microbial landscape. Nat. die Artenvielfalt zu schützen. Das Bun- gendster Bestandteil der Biodiversität Rev. Micro. 10: 497–506. desgesetz über den Natur- und Hei- in die Betrachtungen der Naturschutz- Hartmann, M.; Howes, C.G.; VanIns­ matschutz führt im Artikel 1d auf, genetik miteinzubeziehen. berghe, D.; Yu, H.; Bacha,r D.; Chris- dass «die einheimische Tier- und Pfan- ten, R.; Nilsson, R.H.; Hallam, S.J.; zenwelt sowie ihre biologische Vielfalt Mohn, W.W., 2012: Signifcant and persis- und ihren natürlichen Lebensraum zu tent impact of timber harvesting on soil schützen» sind. Der immense Wert der 5 Literatur microbial communities in Northern coni- Biodiversität wurde erkannt, sodass ferous forests. ISME J. 6: 2199–2218. der Schweizerische Bundesrat am 25. Anderson, M.J.; Willis, T.J, 2003: Canonical Hartmann, M.; Niklaus, P.A.; Zimmermann, April 2012 die Strategie Biodiversität analysis of principal coordinates: A useful S.; Schmutz, S.; Kremer, J.; Abarenkov, K.; Schweiz verabschiedete. Ausgerech- method of constrained ordination for Lüscher, P.; Widmern F.; Frey, B., 2014: net die diverseste aller Gruppen, die ecology. Ecology 84: 511–525. Resistance and resilience of the forest Mikroorganismen, hat in dieser Strate- Baas-Becking, L.G.M., 1934: Geobiologie soil microbiome to logging-associated gie aber wenig bis gar keine Beachtung of inleiding tot de milieukunde. WP Van compaction. ISME J. 8: 226–244. gefunden. In Anbetracht der Schlüs- Stockum & Zoon NV: Den Haag, The Hartmann M.; Frey B.; Mayer J.; Mader P.; selrolle von Mikroorganismen für alle Netherlands. Widmer, F., 2015: Distinct soil microbi- biogeochemischen Prozesse auf der Barrios, E., 2007: Soil biota, ecosystem al diversity under long-term organic and Erde und somit für das Funktionie- services and land productivity. Ecol. conventional farming. ISME J. 9: 1177– ren unserer Ökosysteme muss diese Econ. 64: 269–285. 1194. Komponente zwingend mitberücksich- Bolliger, J.; Gugerli, F., 2017: Isoliert oder Hartmann, M.; Brunner, I.; Hagedorn, F.; tigt werden. Wer das globale Mikrobi- vernetzt? Auswirkungen der Landschaft Bardgett, R.D.; Stierli, B.; Herzog, C.; om als genetische Ressource schützen auf den Genfuss. WSL Ber. 60: 23–29. Chen, X. ; Zingg, A.; Graf-Pannatier, E.; und nutzen möchte, muss besser verste- Bonan, G.B., 2008: Forests and climate Rigling, A.; Frey. B., 2017: A decade of hen, wie genetische Vielfalt bei Mikro­ change: forcings, feedbacks, and the irrigation transforms the soil microbiome organismen generiert und beeinfusst climate benefts of forests. Science 320: of a semi-arid pine forest. Mol. Ecol. 26: wird. Unsere Untersuchungen haben 1444–1449. 1190–1206. gezeigt, dass geografsche Faktoren Canadell, J.G.; Raupach, M.R., 2008: Hawksworth, D.L.; Lücking, R., 2017: nicht nur für Makroorgansimen, son- Managing forests for climate change Fungal Diversity Revisited: 2.2 to 3.8 dern auch für Mikroorganismen wich- mitigation. Science 320: 1456–1457. Million Species. Microbiology Spectrum tig sind. Dies hat zur Folge, dass – ana- Dudaniec, R.Y.; Tesson, S.V.M., 2016: 5: FUNK-0052-2016. log zu Makroorganismen – Refugien, Applying landscape genetics to the Hedlund, B.P.; Staley, J.T., 2004: Microbial vernetzte Landschaften und ein Mini- microbial world. Mol Ecol 25: 3266–3275. endemism and biogeography. In: Bull mieren von Stressoren wichtig sind, um Fahey, T.J.; Woodbury, P.B.; Battles, J.J.; A.T, (ed) Microbial Diversity and Bio­ die genetische Vielfalt und ihre Weiter- Goodale, C.L.; Hamburg, S.P.; Ollinger, prospecting. ASM: Washington DC. entwicklung aufrecht zu erhalten. 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WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 47

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They are Lladó, S.; López-Mondéjar, R.; Baldrian, complex and dynamic biological systems harbouring a vast diversity of organisms P. , 2017: Forest soil bacteria: Diversity, from all domains of life. Microorganisms in their immense variety – including involvement in ecosystem processes, and bacteria, archaea and eukaryotic microorganisms such as fungi and protists – response to global change. Microbiol. make up most of this biodiversity and regulate virtually every biogeochemical Mol. Biol. Rev. 81. cycle on Earth. In a time of global change and massive anthropogenic infuences Locey, K.J.; Lennon, J.T., 2016: Scaling laws on the soil system, it becomes increasingly important to protect this resource. predict global microbial diversity. Proc. Conservation genetics aims at understanding origin and dynamics of biodiversity Natl. Acad. Sci. U.S.A. 113: 5970–5975. and the associated processes in order to preserve and protect this resource. 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Micro­ Keywords: soil microorganisms, microbiome, genetic resources, conservation biol. 4: 102–112. genetics, landscape genetics, global change, forest ecosystems, disturbances Myrold, D.D.; Zeglin, L.H.; Jansson, J.K., 2014: The potential of metagenomic approaches for understanding soil micro­ bial processes. Soil Sci. Soc. Am. J. 78: 3–10. O’Malley, M.A.; 2008: “Everything is everywhere: but the environment selects”: ubiquitous distribution and ecological determinism in microbial biogeography. Studies in History and Philosophy of Science Part C: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical. Sciences 39: 314–325. Papke, R.T.; Ward, D.M., 2004: The impor- tance of physical isolation to microbial

WSL Berichte, Heft 60, 2017

Forum für Wissen 2017: 49–56 49

Werkzeugkasten für genetische Methoden in der Biodiversitätsförderung

Robert Meier1 und André Stapfer2

1 ARNAL, Büro für Natur und Landschaft AG, Kasernenstrasse 37, CH-9100 Herisau 2 HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Oberseestrasse 10, CH-8640 Rapperswil [email protected], [email protected]

In Zusammenarbeit mit dem Bund und verschiedenen Kantonen entwickelt ein angewandten genetischen Methoden Team von Forschenden und Partnern aus der Wirtschaft ein «Werkzeugset Natur- zum Artnachweis mittels DNA-Barco- schutzgenetik» zuhanden der Naturschutzpraxis. Dieses soll zukünftig bei der För- ding sowie zur Erforschung des Wan- derung der Populationen und Vernetzung der Lebensräume dazu beitragen, die derverhaltens von Arten mittels Mikro­ Biodiversitätsförderung in der Schweiz wirksamer zu machen. Hauptbestandteil satelliten haben gezeigt, dass die Anwen- des angestrebten Werkzeugkastens sind bezüglich Aufwand und Ertrag erprobte, dung der Genetik die Naturschutzpraxis transparente Workfows für das Sammeln von Proben im Feld und für die Analyse in den Bereichen Artbestimmung und und Auswertung im Labor. Das gezielte Ausrichten auf eine Optimierung der Kos- Vernetzung wesentlich unterstützen ten und auf für den Naturschutz relevante Fragestellungen soll dazu beitragen, das kann (Holderegger und Segelbacher Potenzial der genetischen Methoden für den Alltag im Naturschutz besser nutzbar 2016). Neue Entwicklungen wie z. B. das zu machen und die Naturschutzgenetik in der Praxis zu etablieren. Der Artikel Next Generation Sequencing erlauben beschreibt den aktuellen Zwischenstand des bis Herbst 2018 laufenden Projekts. es, sehr grosse Datenmengen für ver- gleichbar geringe Kosten zu analysie- ren, sodass beispielsweise über DNA- 1 Genetik, eine Chance für und helfen, die Massnahmen wirksamer Barcoding nicht nur einzelne Arten, die Biodiversitätsförderung zu machen. Hinzu kommt, dass im Rah- sondern ganze Artengemeinschaften men der Einführung der wirkungsorien- untersucht werden können. Der Akti- Gemäss einer Studie der Eidgenös- tierten Verwaltung in den letzten Jah- onsplan zur Biodiversitätsstrategie des sischen Forschungsanstalt für Wald, ren Wirkungs- und Zielkontrollen­ sowie Bundesrates (Stand 2013) weist deshalb Schnee und Landschaft WSL, von Pro die damit verbundene Berichterstattung auf das Potenzial genetischer Methoden Natura und dem Forum Biodiversität auch im Naturschutz zur Pficht gewor- für die Biodiversitätsförderung hin und (Ismail et al. 2009) investieren Bund den sind. Diese Vorgaben bedingen möchte den Zugang der Biodiversitäts- und Kantone jährlich rund 73 Mio. CHF einerseits aussagekräftige und gleichzei- forschung und der Naturschutzpraxis in die Erhaltung und die Aufwertung tig kostengünstige Methoden zur Erfas- zu diesen neuen Technologien fördern der Biotope von nationaler Bedeutung. sung der an einem Ort vorkommenden (Cordillot 2017, in diesem Band). Zusammen mit den Aufwendungen Tier- und Pfanzenarten.­ Andererseits für kantonale und lokale Lebensräu- müssen auch Prozesse beurteilt wer- me und für Artenschutzmassnahmen den. Insbesondere bei der Vernetzung sowie den Biodiversitätsbeiträgen der von Biotopen ist über die Wirkung der 2 Ein Werkzeugkasten für die Direktzahlungen des Bundesamtes für getroffenen Massnahmen immer noch Praxis – Routine als Ziel Landwirtschaft (BLW 2016) betragen wenig bekannt. Die zu beantworten- die jährlich in der Schweiz getätigten den Fragen sind mit konventionellen Die in der Schweiz existierenden gene- Investitionen zur Erhaltung und För- Datenerhebungen oft nur aufwändig tischen Labors haben sich in den letz- derung der Biodiversität zurzeit über oder gar nicht zu beantworten. Auch das ten Jahren mit wenigen Ausnahmen CHF 500 Mio. Auf den ersten Blick ist 2016 vom Bundesamt für Umwelt pub- mit anderen, für die Biodiversitäts- dies eine beachtliche Summe, sie ent- lizierte «Forschungskonzept Umwelt förderung oder den Naturschutz nicht spricht aber lediglich zwischen 0,25 für die Jahre 2017–2020» (BAFU 2016) relevanten Fragestellungen beschäf- und 0,3 Prozent der jährlichen Staats- sieht deshalb als prioritäres Thema tigt. Eigene Erfahrungen – die Auto- ausgaben. beim Bereich Biodiversität die «Opti- ren dieses Artikels sind seit über zwei Die Aufgabe, die Mittel möglichst mierung der Monitoringmethoden für Jahrzehnten in der Naturschutzpraxis wirksam und am richtigen Ort einzuset- Arten und Lebensräume [und] Erfolgs- tätig – zeigen, dass sich die Anwendung zen, gilt für alle Tätigkeiten des Staa- kontrollen von Massnahmen zur För- genetischer Methoden in der Natur- tes, stellt aber beim Naturschutz ange- derung der Biodiversität» vor. Der Be­­ schutzpraxis auch heute noch fast aus- sichts der beschränkten Mittel und des darf an standardisierten Methoden, schliesslich auf Einzelfälle beschränkt. gleichzeitig grossen Handlungsbedarfs die qualifzierte und zahlbare Resul- Bei diesen handelt es sich zumeist um in eine besonders grosse Herausforderung tate liefern, ist also gross, und geneti- Zusammenarbeit mit Forschungsinstitu- dar. Instrumente wie Inventare, Rote sche Methoden haben hier ein nach tionen durchgeführten und von diesen Listen oder Erfolgskontrollen unter- wie vor nicht ausgeschöpftes Potenzial. publizierten Untersuchungen. Im Rah- stützen dabei das Setzen von Prioritäten Die in den letzten Jahren zunehmend men des vom Bundesamt für Umwelt

WSL Berichte, Heft 60, 2017 50 Forum für Wissen 2017 und der WSL lancierten Projektes «Wir- «Werk­­zeugkastens» – bestehend aus te «Schublade» des Werkzeugkastens. kungskontrolle Biotopschutz Schweiz» er­­probten, praxistauglichen, auf geneti- Das Projekt, auf den raschen Erfolg der werden testweise genetische Methoden schen Methoden basierenden Arbeits- erarbeiteten Produkte bei potenziel- für Untersuchungen in den Amphibien- abläufen («workfows»), damit Natur- len Anwendern (Bund, Kantone, Öko- laichgebieten von nationaler Bedeutung schutzbehörden und Ökobüros dieses büros) ausgerichtet, soll letzteren das eingesetzt (Bühler und Dubey 2017, in grosse Potenzial bei ihrer Arbeit ver- Potenzial der neuen Methoden auf- diesem Band). Dies in Zusammenarbeit stärkt nutzen (siehe auch: www.arnal. zeigen und dazu beitragen, die Natur- mit der Koordinationsstelle für Amphi- ch/leistungen/naturschutzgenetik.htm). schutzgenetik in der Praxis zu imple- bien- und Reptilienschutz KARCH. Der Werkzeugkasten soll dem Anwen- mentieren. Die Projektinitianten sind Deshalb waren sich auch die Teilneh- der möglichst transparent aufzeigen, überzeugt mit ihrem Projekt eine ver- menden des «1st Annual Meeting in für welche Fragestellungen sich zu wel- stärkte Anwendung der neuen Metho- Conservation Genetics» vom Januar chem Preis welche genetischen Metho- den auslösen und dadurch einen Beitrag 2015 an der WSL einig, dass der Stand den eignen und welche Antworten zu an die effziente Förderung der Biodi- der Forschung zwar soweit fortgeschrit- erwarten sind. versität in der Schweiz leisten zu kön- ten sei, dass sich die Anwendung gene- Projekt- und Produktrahmen sind vor- nen. Im Detail hat das Projekt folgende tischer Methoden für verschiedenste erst aber bewusst eng gehalten. Das Pro- zwei Teilprodukte im Fokus: Bereiche der Biodiversitätsförderung dukt beschränkt sich auf das Lösen aus- anbiete. Es fehle jedoch der letzte ent- gewählter, für die Effzienz der täglichen Workfow «Verbund» scheidende Schritt: Die konkrete Imple- Naturschutzarbeit besonders wichtiger – Evaluation eines erweiterbaren Sets mentierung der neuen Methoden in ein- und häufg wiederkehrender Fragestel- an Indikatorarten zu vorgängig for- fachen und leicht zugänglichen Arbeits- lungen, für die die Anwendung geneti- mulierten, für die Praxis besonders hilfen für die Naturschutzpraxis. scher Methoden einen Mehrwert bringt. relevanten und häufg wiederkehren- Das vorliegende Projekt soll einen Ein Set von solchen, sich im Natur- den Fragestellungen im Bereich der Beitrag leisten, diese Lücke zu schlies- schutzalltag häufg stellenden Fragen Vernetzung. sen. Ziel des Projekts ist die Entwick- und die für die Untersuchungen ausge- – Evaluierung von geeigneten geneti- lung eines Sets von Hilfsmitteln – eines wählten Indikatorarten bildet die obers- schen Analysemethoden (inkl. Ent- wicklung und Festlegung von Mikro- satelliten-Markern) zu ausgewählten Indikatorarten. – Entwicklung eines möglichst kosten­ günstigen und praxistauglichen Workfows,­­ der alle Teilarbeiten von der Probenahme im Feld über die Arbeiten im Labor und der statisti- schen Auswertung bis zur Interpreta- tion der Resultate und die benutzer- freundlichen Darstellung der Ergeb- nisse umfasst.

Workfow «Arterkennung in ­Gewässern» – Evaluation eines erweiterbaren Sets an Indikatorarten zu vorgängig for- mulierten, für die Praxis besonders relevanten und häufg wiederkeh- renden Fragestellungen im Bereich der Förderung der Artenvielfalt in Gewässern. Das Projekt legt – ge­­ stützt auf eine Bedürfnisabklärung bei den Kantonen – den Schwerpunkt auf Amphibien in Stillgewässern. – Evaluierung von geeigneten geneti- schen Analysemethoden (inkl. Fest- legung des Sammelprotokolls für Umwelt-DNA, eDNA, und Entwick- lung der Barcoding-Marker) zur Abb. 1. Die Abbildung visualisiert das mit dem vorgestellten Projekt angestrebte Produkt. Der zu entwickelnde und erweiterbare «Werkzeugkasten Naturschutzgenetik» soll der Pra- genetischen Erkennung der ausge- xis dank genetischen Methoden aussagekräftige Antworten auf für die Biodiversitätsförde- wählten Zielarten. rung relevante Fragestellungen liefern, dies dank transparenten und bezüglich Aufwand und – Entwicklung eines möglichst kos- Aussagekraft optimierten Workfows zu einem relativ kostengünstigen Preis. tengünstigen und praxistauglichen

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Tab. 1. Die Workfows des Werkzeugkasten «Verbund» werden anhand der fünf für die ver- Workfows, der alle Teilarbeiten von tiefte Bearbeitung ausgewählten Arten entwickelt. der Probenahme im Feld über die Arbeiten im Labor und der statis- Art Leitartfunktion für: Verbreitung tischen Auswertung bis zur Inter- pretation und benutzerfreundlichen Melittis Lichte, wärmeliebende Wälder: Jurabogen, Mittelland nähe melisso­phyllum z. B. Orchideen-Buchenwald, Jura, Tessin Darstellung der Ergebnisse umfasst. Immenblatt Flaumeichenwald, Pfeifengras- Bei den genetischen Analysemetho- Föhrenwald den steht das sich rasant entwickeln- Stethophyma Feuchtgebiete: Ganze Schweiz de Next Generation Sequencing im grossum z. B. Flachmoore, Seggenrieder, (Tessin nur spärlich) Vordergrund. Sumpfschrecke Feuchtwiesen Trockenwarme, langgrasige Jurabogen von Genf bis Das Projekt ist gemäss den Vorgaben (= bicolor) Wiese: vorwiegend Halbtrocken- Schaffhausen, Bündner Rhein- der Kommission für Technologie und Zweifarbige und Trockenrasen tal und Tessin. Im Mittelland Innovation des Bundes KTI (ab 2018: Beissschrecke sind die Vorkommen verstreut Innosuisse) organisiert, die den Auf- Zebrina detrita Offene Bodenstellen in war- Warme Tallagen zwischen bau des Werkzeugkastens Naturschutz- Zebraschnecke, men Lagen: z. B. an trockenen Schaffhausen und Genf, genetik fnanziell unterstützt. Die Ent- Weisse Böschungen, in Magerwiesen und Unterengadin und Wallis wicklung der Workfows «Verbund» Turmschnecke in Grubenhabitaten (Mikrosatelliten) und «Arterkennung Bombina variegata Warme, fache, temporär was- Auf der ganzen Alpennord­ in Gewässern» (eDNA) erfolgt in enger variegata serführende Kleingewässer: seite bis gegen 700 m ü. M. Zusammenarbeit von Forschungs- und Gelbbauchunke z. B. in Auen, feuchten Wäldern, Abbauarealen und Deponien mit Wirtschaftspartnern. Feuchtstellen Mit fnanzieller Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt BAFU er­­ mög­­­lichen über 10 kantonale Natur- schutzfachstellen mittels Aufträgen das Testen der Projektentwicklungsschritte Forschung: Umsetzungspraxis: in konkreten Aufgabenstellungen. Basie­ HSR, WSL ARNAL AG rend auf den gewonnenen Erfahrungen werden die angestrebten standardisier- ten Abläufe bei der Beprobung im Verbund: Anwendung Feld, der genetischen Analyse im Labor Indikatorenset Feldmethodik: sowie der Auswertung und Interpreta- (Zielarten) Projektbetreuung tion laufend optimiert. Methoden- Kantone grundlagen

3 Die einzelnen Werkzeuge Arterkennung Anwendung 3.1 Workfow «Verbund» – Fragen- in Gewässern: Labormethodik: Indikatorenset Genetische Analysen katalog, Arten- und Lebens- (Zielarten) Kantone raumset Methoden- grundlagen Die Fragmentierung und Isolation von Lebensräumen gilt neben dem Lebens- raumverlust und den invasiven Neo- Forschung: Umsetzungspraxis: biota als eine der Hauptursachen für HSR, WSL, Uni ZH Microsynth AG den Rückgang der Biodiversität. Aus diesem Grund ist der Biotop-Ver- Abb. 2. Die Abbildung zeigt die Arbeitsteilung der am Projekt beteiligten Partner. HSR: bund eine wichtige Naturschutzstra- Hochschule für Technik Rapperswil / Institut Landschaft und Freiraum; WSL: Eidgenössi- tegie in der Schweiz. Zahlreiche Kon- sche Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft; Uni ZH: Universität Zürich, Ins- titut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften; ARNAL AG: ARNAL, Büro für zepte, Programme und Einzelprojekte Natur und Landschaft AG, Herisau; Microsynth AG: Microsynth AG und ecogenics GmbH, in den Kantonen haben das Verbinden Balgach. der zumeist kleinräumigen Schutzge- biete mittels Anlegen von linearen Ele- menten und fächigen Trittsteinen zum topverbund, das Bundesamt für Stras- das Pilotprojekt Ökologische Infra- Ziel. Auch verschiedene Bundesämter sen ist in die Sanierung der Wildtierkor- struktur in den Pärken oder die Längs- beschäftigen sich mit dieser Thematik: ridore involviert, und vom Bundesamt vernetzung der Gewässer initiiert bezie- Das Bundesamt für Landwirtschaft för- für Umwelt wurden Projekte wie das hungsweise fnanziell unterstützt. In dert mit Vernetzungsprojekten den Bio- Nationale Ökologische Netzwerk REN, der Strategie «Biodiversität Schweiz»

WSL Berichte, Heft 60, 2017 52 Forum für Wissen 2017 des Bundesrates von 2012 ist der Auf- Weg zum neuen Trittsteingewässer weiterer Vernetzungselemente an? bau einer «Ökologischen Infrastruktur» gefunden? Welche Empfehlungen für 2) als Indikatoren dienen verbreitete, – also eines schweizweiten Biotopver- eine Optimierung der Vernetzung, mittelhäufge Arten mit Leitartfunk- bundsystems – ein zentrales Element. bzw. den Aufbau einer starken Meta- tion für Lebensräume, die im Biotop- Die im Jahr 2007 vom Forum Biodiver- population bieten sich an? schutz und bei der Biotopvernetzung in sität Akademie der Naturwissenschaf- der Schweiz eine wichtige Rolle spie- ten Schweiz SCNAT durchgeführte Findet zwischen zwei Populationen ein len. Tagung «Biologische Vernetzung zwi- genetischer Austausch statt? Aus der aufgrund der vorgängig darge- schen Theorie und Praxis» hat klar vor – Ist die Population der Art X im stellten Auswahlkriterien entstandenen Augen geführt, dass es an Erkenntnis­ Gebiet Y isoliert oder in Verbindung Leitartenliste wurden stellvertretend sen zur Zerschneidung / Fragmentierung mit der benachbarten Population? und abgestimmt auf die vorhandenen von Lebensräumen und zum Erfolg – Welche im Gebiet X bekannten Projektressource, fünf In­­­­­­­­­­­­di­­katorarten von umgesetzten Vernetzungsprojekten Sumpfschreckenvorkommen sind für das Entwickeln der Workfows im mangelt.­ Eine wichtige Ursache dafür miteinander vernetzt, beziehungs- Feld und im Labor ausgewählt. Zusätz- ist, dass auch heute noch viele Fragen weise welche Populationen kön- liche Vorgaben für die Auswahl dieser bei der Vernetzung offen sind. Vernet- nen als Teil welcher Metapopulati- fünf Arten waren: zung als gewichtige Strategie in der on angesprochen werden? Wo bietet – mindestens je eine Tier- und Pfan- aktuellen und zukünftigen Schweizer sich in diesem Gebiet die Schaffung zenart Naturschutzpolitik und der durch wis- senschaftliche Untersuchungen beleg- ten grossen Mehrwert, den genetische Methoden bei der Evaluation von Ver- im Naturschutz anerkannte Leitart netzungsmassnahmen erbringen kön- UZL-Leitart (Walter et al. 2013) und/oder empfohlene Leitart im Kanton Luzern (Bolzern-Tönz und Graf 2007) und/oder empfohlene Leitart im Kanton Zug (Meier 2004) nen, waren ausschlaggebend, dass sich und/oder Charakterart in «Lebensräume der Schweiz» (Delarze et al. 2015) ein Teilprojekt des Werkzeugkastens und/oder Gilden-Zeigerart gemäss Nationalem ökologischen Netzwerk REN auf die Vernetzungs-Thematik fokus- (Berthoud et al. 2004) siert. Folgende­ weitere Überlegungen grenzten dabei­­ das Vorgehen weiter ein: mittelhäufge Art in der Schweiz Gefährdungskategorie gemäss IUCN von höchstens NT (potenziell gefährdet), aber auch nicht sehr häufge Art (gemäss eigener 1) das Teilprojekt «Verbund» ist auf Einschätzung und Umfrage unter Experten) wichtige, sich häufg stellende Fragen in der Umsetzung von Vernetzungs- Art ist Leitart eines häufg im Biotopschutz / bei der massnahmen ausgerichtet, für deren Ökologischen Infrastruktur im Fokus stehenden Lebensraums Beantwortung sich genetische Metho- z.B: Hochmoor, Ruderalfäche, Lichter Wald, wärmeliebender Trockenrasen usw. den besonders gut eignen. Einige Bespiele solcher Fragen sind: keine hochmobile Art dieses Kriterium schliesst z. B. alle Vogelarten aus Findet zwischen zwei Kerngebieten genetischer Austausch statt? Art ist im Feld relativ einfach bestimmbare – Sind die benachbarten Kerngebiete­ gute Erkennungsmerkmale, geringe Verwechslungsmöglichkeiten X, Y und Z miteinander vernetzt Art ist fächenmässig in der Schweiz relativ verbreitet oder ist die Anlage von zusätzlichen in mind. 3 Kantonen verbreitete Art Vernetzungselementen notwendig? – Wie gut sind artenreiche Trocken- Art ist für Untersuchungen mit standorte im Untersuchungsgebiet naturschutzgenetischen Methoden geeignet vernetzt? -– Aufwand für Probenentnahme möglichst gering, gute Qualität des genetischen Markers zu erwarten -– Probenentnahme mit Biotop-,Tier- und Funktionieren umgesetzte Massnah- Artenschutzgesetzen vereinbar men zur Vernetzung? – Trägt das neu aufgewertete Gebiet zur Vernetzung der beiden Kernge- biete A und B bei? Reduzierte Liste – Führen als geeignet betrachtete Ver- möglicher Indikatorarten netzungselemente zwischen den Kerngebieten tatsächlich zur Vernet- zung und welche Empfehlungen las- sen sich für die Umsetzung weiterer Auswahl 5 Arten Massnahmen ableiten? – Von welchem bisher isolierten Kern- gebiet aus hat die Kreuzkröte den Abb. 3. Kriterien für die Auswahl der Indikatorarten für den Workfow «Verbund».

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– Art, die sich für die Beantwortung weises für Fischvorkommen und von he getragen und das speziell entwickelte der konkreten Fragestellungen Amphibien-Krankheitserregern disku- Probenahme-Werkzeug zwischen jeder der am Projekt beteiligten Kantone tiert, jedoch aufgrund der eingeschränk- Probenahme trocken gereinigt. eignet ten Projektressourcen zurückgestellt. Weiter gilt es bei der eDNA-Probe- – Vertreter von möglichst unterschied- nahme zu beachten, dass die DNA nach lichen Artengruppen und Leitarten 1) Beispiele von Fragestellungen für den einer gewissen Zeit abgebaut wird (etwa von unterschiedlichen naturschutzre- Workfow «Arterkennung in Ge­­wäs­ zwei Wochen). Generell ist dem DNA- levanten Lebensräumen sern». Abbau Rechnung zu tragen, indem die – Kommen im Gewässer Amphiben Proben einerseits in einem geeigneten Ziel ist, dass das anhand dieser fünf vor und wenn ja, welche Arten? Medium (Puffer) und bei tiefen Tem- Arten entwickelte Vorgehen – Probe- – Leben im Gewässer noch Arten, peraturen gelagert werden. So werden nahme im Feld, Entwicklung der gene- etwa seltene Molche, die mit klassi- nach der Probenahme die Röhrchen tischen Methode (Mikrosatelliten Mar- schen Feldbegehungen nicht erfasst (Tubes) in einer Isolierbox mit Kühl- ker), statistische Analyse und Interpre- wurden? elementen aufbewahrt und innerhalb tation – möglichst ohne Anpassungen – Welche Vertreter des Wasserfrosch- von zwei Tagen ins Labor gebracht. auch für die anderen Arten der Indi- komplexes sind im Gewässer fest- Eine längere Lagerung bis zu mehreren katorenliste zum Workfow «Verbund» stellbar? Tagen vor dem Transport ins Labor ist oder auch für ganz andere Arten ver- – Wurde das für die Kreuzkrötenförde- in einem Tiefkühler (–20 °C) möglich. wendet werden kann. Da in den Kanto- rung neu erstellte Trittsteingewässer Für die Probenahme in Stillgewäs- nen im Artenschutz immer auch beson- von der Kreuzkröte angenommen? sern wurde zwischen Gewässerkomple- ders seltene Arten im Fokus stehen, xen beziehungsweise grösseren Gewäs- wurde stellvertretend die Bearbeitung sern (Weiher, Teich) und kleineren einer Fragestellung zur endemischen 3.3 Methoden für die Gewässern (Tümpel) differenziert. So Nidwaldner Haarschnecke (Trochulus Felderhebungen können bei kleinen Gewässern Einzel- biconicus) in das Projekt aufgenom- proben genommen werden, während men. Für solche sehr seltene Arten ist eDNA-Probenahme in Stillgewässern bei grösseren Gewässern «gepoolte» es schwierig, allgemein gültige Work- Die Felderhebungen respektive Probe­ Probenahmen erfolgen. fows zu defnieren. nahmen für die eDNA-Analysen unter­ ­ stehen besonderen Rahmenbedingungen. Einzelproben So gilt es, mit geeigneten Massnahmen Bei Kleinstgewässern werden die Was- 3.2 Workfow «Arterkennung in die Kontamination des Probematerials serproben direkt entnommen. Dazu Gewässern» – Fragenkatalog, (insbesondere auch durch humane DNA) wird zunächst ein offenes Probenah- Arten- und Lebensraumset zu vermeiden. Daher werden alle Probe- me-Röhrchen (50 ml) in der Klemme nahme-Materialien, wenn immer mög- des Probenahmewerkzeugs fxiert. Das Das Projekt beschränkt sich bei die- lich, nur einmal verwendet (u. a. PET- Röhrchen wird nun an der ausgewähl- sem Workfow auf die Arterkennung Flaschen), für die Arbeiten Handschu- ten Probenahme-Stelle in etwa 1 m der sich in der Schweiz regelmässig in Stillgewässern fortpfanzenden Amphi- bien. Folglich wurden in einem ersten Schritt für alle Amphibienarten der Schweiz mit Ausnahme des Alpensala- manders die genetischen Marker fest- gelegt (siehe detaillierte Informationen in Schmidt und Grünig 2017, in diesem Band). Amphibien haben in der Schweiz sowohl im Biotop- als auch im Arten- schutz einen besonders hohen Stel- lenwert. Zudem liegen zu einzelnen Vertretern dieser Artengruppe schon Erfahrungen mit der Anwendung naturschutzgenetischer Methoden vor und es ergeben sich Synergien mit dem in den Amphibienlaichgebieten von nationaler Bedeutung laufenden Pro- jekt «Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz» (siehe oben). In der Startphase des Projekts wur- Abb. 4. Die Probenahme von eDNA im Feld benötigt spezielles Feldmaterial beziehungs- den auch die Bearbeitung der Libel- weise Chemikalien. Dabei wird der Verwendung von «Einwegmaterialien» besondere len sowie die Entwicklung eines Nach- Bedeutung beigemessen.

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Entfernung zum Ufer und einer Tiefe < 50 m2 = 2 Probenahmestellen verschlossen und geschüttelt. Danach von etwa 10 cm vollständig mit Was- 50–500 m2 = 3–4 Probenahmestellen werden in ein Probenahme-Röhrchen ser gefüllt. Danach wird der Inhalt des > 500 m2 = > 5 Probenahmestellen (50 ml) 15 ml der Wasserproben abge- Röhrchens bis auf 15 ml ausgeleert, füllt und mit Puffer aufgefüllt. Zum um dann mit der Pufferlösung wieder Für die Probenahmen wird ein offe- Schluss wird die Probe mit den entspre- auf 50 ml aufgefüllt zu werden. Zum nes Röhrchen (50 ml) in der Klemme chenden Kenndaten beschriftet (siehe Schluss wird die Probe mit den entspre- des Probenahmewerkzeugs fxiert. Das oben). Die PET-Flasche wird nur ein- chenden Kenndaten beschriftet (z. B. Röhrchen wird bei den Probenahme- mal verwendet. Datum, Objekt, Nummer Probenahme- stellen in etwa 1 m Entfernung zum Ort usw.). Ufer und einer Tiefe von etwa 10 cm mit DNA-Probenahme für den Workfow Teichwasser vollständig gefüllt. Diese 50 «Verbund» Gepoolte Proben ml werden danach in eine PET-Flasche Für die Fragestellungen des Workfows Bei grösseren Gewässern oder Gewäs- (z. B. 0,75 l) abgefüllt. Dieses Vorgehen «Verbund» wird vorgängig das Bepro- serkomplexen werden an drei bis rund wird an jeder Probenahmestelle­ durch- bungsdesign festgelegt. Dabei gilt es, sechs Stellen Wasserproben entnom- geführt (max. 300 ml bei 6 Probenah- die Populationen beziehungsweise Teil- men. Die Anzahl der Probenahmestel- mestellen). populationen abzuschätzen, um festzu- len wird vor Ort (bzw. vorgängig im Sind alle Wasserproben an den Pro- legen, in welchen Gebieten jeweils die Luftbild) abgeschätzt. Folgende Grös- benahmestellen entnommen, wird die Probenahme zu erfolgen hat (abhängig senangaben dienen als Richtwerte: PET-Flasche mit der gepoolten Probe von der geographischen Verbreitung der Indikatorart und der Fragestellung). In der Regel werden pro Standort zwi- schen 10 und 20 Individuen beprobt. Welches DNA-enthaltende Material gesammelt wird, ist organismen- oder sogar artspezifsch.

Fallbeispiel «Gelbbauchunke» Pro Gebiet werden zwischen 12 und 14 Individuen beprobt. Die Gelb- bauchunken werden eingefangen und von jedem Individuum werden zwei Schleimhautabstriche entnommen. Die Beprobung erfolgt so, dass mit einem Plektrum (Plättchen, das bei Zupfns- trumenten zum Einsatz kommt; wird hier nur einmal verwendet) das Maul der Tiere geöffnet und danach ein zuvor steril versiegeltes Wattestäb- chen an Wange und Zunge der Tiere befeuchtet wird. Die Wattestäbchen werden für die Laboranalyse in ein lee- res Probenahme-Röhrchen gesteckt, Abb. 5. Beprobung eines Gewässers. welches mit den nötigen Kenndaten versehen ist.

Fallbeispiel «Immenblatt» Pro Gebiet werden 20 Individuen beprobt. Eine Probenahme umfasst – abhängig von der Blattgrösse – 2 bis 4 junge, gesunde Blätter pro Pfanze. Die Blätter werden für das Labor in einem Couvert mit den Kenndaten bereitge- stellt und im Tiefkühler gelagert.

Einzelgewässer Mischprobe Teichwasser 15 ml Teichwasser Fallbeispiel «Sumpfschrecke» (z.B. 3 Probeentnahmeorte (z.B. 3 x 50 ml) + 35 ml Puffer Pro Gebiet werden 20 Individuen abhängig von Gewässergrösse) beprobt. Für die Probenahme muss den Tieren ein Bein abgetrennt werden. Das Abb. 6. Gepoolte Probenahme (Mischprobe) bei grösseren Gewässern und Gewässerkom- Bein wird für das Labor in einem Pro- plexen. bengefäss mit reinem Alkohol bereitge-

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Abb. 7. Laichgewässer, Gelbbauchunke und Entnahme einer Schleimhautprobe.

stellt, mit den Kenndaten versehen und werden die im Labor erhaltenen Barco- Wochen später noch mit eDNA nach- kühl gelagert. Untersuchungen zeigen, ding-DNA-Sequenzen mit einer Refe- weisen, da DNA während diesem Zeit- dass die Tiere durch die Entnahme von renzdatenbank verglichen, in der die raum im Gewässer erhalten bleibt Beinen nicht wesentlich beeinträchtigt betreffenden DNA-Sequenzen sämt- (Schmidt und Ursenbacher 2015). Ein werden (Marschalek et al. 2013). licher in der Schweiz vorkommender weiterer Vorteil von eDNA-Erhebun- Amphibienarten enthalten sind. Durch gen besteht darin, dass sich schwie- Fallbeispiel «Nidwaldner Haar­ diesen Vergleich kann bestimmt wer- rig zu unterscheidende Arten (z. B. die schnecke» den, welche Amphibienarten in einem Weibchen von Faden- und Teichmolch) Bei dieser seltenen, endemischen Art Gewässer vorkommen. oder Arten im Larvenstadium sicher kann das Ziel, möglichst nicht destruk- Betreffend dem Workfow «Ver- bestimmen lassen. Auch vereinfacht tive Sammelmethoden anzuwenden, bund» sind die genauen Labormetho- diese Nachweismethode die Feldar- nicht erreicht werden: Aus den leeren den für die Mikrosatelliten-Analy- beit, da sie nicht in der Nacht durch- Schneckenhäuschen lässt sich keine se, aber insbesondere die statistischen geführt werden muss. Dies bedeutet DNA genügender Qualität gewinnen, Auswertungen für den Routinebetrieb aber keineswegs, dass die Beprobun- und Schleimabstriche sind wegen der zurzeit noch in Bearbeitung. gen ohne Fachkenntnisse über Amphi- Kleinheit der Schnecke nicht möglich. bien und deren Lebensräumen durch- Pro Gebiet werden deshalb höchstens geführt werden können. Dieses Wissen 10 Individuen beprobt. Für die DNA- ist zum Beispiel wichtig, um die Pro- Probenahme müssen die Schnecken 4 Erste Erkenntnisse und benahmestellen sinnvoll auszuwählen. getötet werden. Die Tiere werden für Resultate Werden Nachweise nur gestützt auf das Labor in Röhrchen mit den Kenn- eDNA-Erhebungen gemacht, ist dar- daten in reinem Alkohol bereitgestellt, Im Vergleich zum Workfow «Ver- auf zu achten, dass sowohl der Anzahl kühl gelagert und anschliessend tiefge- bund» ist der Bearbeitungsstand beim Zeitpunkte für Probenahmen (z. B. kühlt. Workfow «Arterkennung in Gewäs- März und Mai) als auch der Anzahl sern» bereits deutlich fortgeschritte- Probenahmestellen pro Gewässer (z. B. ner. Zur Zeit liegen erste Ergebnisse viele, um den Kammmolch sicher nach- 3.4 Workfows im Labor und und Erkenntnisse zur eDNA-Analyse zuweisen, wenn dieser vorkommt) statistische Auswertungen vor. So liess sich bei mehreren mit der Beachtung geschenkt werden. Zentral eDNA-Methode beprobten Gewässern ist auch die Vermeidung von Kontami- Betreffend der DNA-Extraktion wer- ein Mehrwert an Information gegen- nation im Feld und im Labor, welche zu den herkömmliche Methoden verwen- über herkömmlichen Feldmethoden falschen Resultaten führen kann (sie- det. Das methodische Vorgehen für erzielen, indem unter anderem ver- he oben). die eDNA-Analyse mittels DNA-Bar- steckt lebende Arten wie der Kamm- Im Vergleich zu konventionellen coding bei Amphibien stellen Schmidt molch mit eDNA in manchen Gewäs- Felderhebungen ist davon auszugehen, und Grünig (2017) in diesem Band sern nachgewiesen werden konnten. dass die Kosten für einen Artnachweis genauer vor. Die im Projektteil «Ver- Arten wie der Kammmolch können mittels eDNA oft tiefer sind und ein bund» verwendeten Mikrosatelliten- bei herkömmlichen Amphibien-Daten- ähnlich zuverlässiges Resultat liefern. Labormethoden entsprechen ebenfalls erhebungen (Sichtbeobachtung, akus- Zu diesem Ergebnis kommt auch die gängigen Standards (Holderegger tische Erhebung) leicht übersehen Studie von Schmidt und Ursenbacher und Segelbacher 2016). werden. Auch Arten, welche vor der (2015). Beim Workfow «Amphibienbestim- eDNA-Probenahme ein Gewässer ver- Als Fazit kann gelten, dass die mung in Stillgewässern mittels eDNA» lassen hatten, liessen sich ein bis zwei eDNA-Methode sich gut zum Nach-

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Tab. 2. Nachweise von Amphibien 2016 bei einem Weiher (hellgrün = Art mit beiden Methoden festgestellt; gelb = Artnachweis nur mit tra- ditioneller Feldbegehung; rot = Artnachweis nur mit eDNA).

Art Felderhebung Resultate eDNA (Probeaufnahmen) 2016 Summe Reads/Sequenzen Reads/Sequenzen Bemerkungen Rana temporaria Grasfrosch X 28+244+199 471 Bufo bufo Erdkröte X Hyla arborea Laubfrosch X 26390+3119+1985 31494 Pelophlyas sp. Wasserfrosch- X 129+76+9 214 P. bergeri Komplex Seefrosch X 30+0+0 30 P. kurtmuelleri ridibundus complex Ichthyosaura alpestris Bergmolch X 463+303+111 877 Triturus cristatus Kammmolch 66+109+146 321 Lissotriton helveticus Fadenmolch X 49+7+0 56

weis von Amphibienarten eignet, ins- mes) butterfy. Conserv. Div. 6: 658– nachweis in Gewässern. Zeitschr. Feld- besondere bei versteckt lebenden oder 662. herpetologie 22: 1–10. schwierig zu bestimmenden Arten. Es Meier, P., 2004: Rahmenplan LEK, Ziel- Walter, T.; Eggenberg, S.; Gonseth, Y.; macht allerdings oft Sinn, die eDNA- und Leitarten im Kanton Zug. Amt für Fifaz, F.; Hedinger, Ch.; Hofer, G.; Klie- Methode mit traditionellen Felderhe- Raumplanung, Baudirektion des Kantons ber-Kühne, A.; Richner, N.; Schneider, bungen zu kombinieren. Zug, Zug. 51 S. K.; Szerencsits, E.: Wolf, S., 2013: Ope- Schmidt, B.; Grünig, C., 2017: Einsatz von rationalisierung der Umweltziele Land- eDNA zum Amphibien-Monitoring. WSL wirtschaft. Bereich Ziel- und Leitarten, Ber. 60: 57–62. Lebensräume (OPAL). ART Schriften- 5 Literatur Schmidt, B.R.; Ursenbacher, S., 2015: Um­­ reihe 18: 1–136. welt-DNA als neue Methode zum Art- BAFU, 2016: Forschungskonzept Umwelt für die Jahre 2017–2020. BAFU, Bern. 70 S. Berthoud, G.; Lebeau, R.P.; Righetti, A., 2004: Nationales ökologisches Netzwerk Abstract REN. BUWAL, Bern. 131 S. A toolbox for genetic methods in nature conservation practice BLW, 2016: Agrarbericht 2016. BLW, Bern. In cooperation with the federal government and various Swiss cantons, a team 460 S. of researchers and partners from the economy develop a “Toolkit Conservation Bolzern-Tönz, H.; Graf, R., 2007: Leitar- Genetics”. Addressee is the community of conservation practitioners. The toolkit ten für die Lebensräume der 12 Land- intends to make future efforts to conserve biodiversity more effcient and effective. schaften des Kantons Luzern. Umwelt The main components of the toolbox are transparent and tested workfows for und Energie Kanton Luzern, Luzern. 15 S. collecting samples in the feld and for the analysis and evaluation in the laboratory. Cordillot, F., 2017: Bedeutung der Natur- Focusing on optimizing costs and on issues relevant to nature conservation should schutzgenetik für den Bund. WSL Ber. 60: help to achieve the intended goal: To make the potential of genetic methods 63–69. available and usable for everyday life in nature conservation and to establish Delarze, R.; Gonseth, Y.; Eggenberg, S.; conservation genetics in practice. The article describes the current status of the Vust, M., 2015: Lebensräume der Schweiz. project, which will run until autumn 2018. Ott, Thun. 456 S. Ismail, S.; Schwab, F.; Tester, U.; Kienast, Keywords: conservation, ecological infrastructure, eDNA, microsatellites, conser­ F.; Martinoli, D.; Seidl, I., 2009: Kosten vation genetics, , monitoring eines gesetzeskonformen Schutzes der Biotope von nationaler Bedeutung. WSL; Pro Natura; Forum Biodiversität SCNAT, Birmensdorf, Basel, Bern. 122 S. Holderegger, R.; Segelbacher, G. (Hrsg.), 2016: Naturschutzgenetik. Ein Handbuch für die Praxis. Haupt, Bern. 247 S. Marschalek, D.a.; Jesu, J.a.; Berres M.e., 2013: Impact of non-lethal genetic samp- ling on the survival, longevity and behavi- our of the Hermes copper (Lycaena her-

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Einsatz von eDNA im Amphibien-Monitoring

Benedikt R. Schmidt1,2 und Christoph R. Grünig3,4

1 Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (Info Fauna Karch), Passage Maximilien-de- Meuron 6, CH-2000 Neuchâtel 2 Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften, Universität Zürich, Winterthurerstrasse 190, CH-8057 Zürich 3 Microsynth AG, Schützenstrasse 15, CH-9436 Balgach 4 Ecogenics GmbH, Schützenstrasse 15, CH-9436 Balgach [email protected], [email protected]

Monitoring ist ein unverzichtbarer Teil des Naturschutzes, denn Monitoring infor- et al. 2016). Ein Beispiel aus den USA miert über den Zustand der Biodiversität und liefert so die notwendigen Grundla- zeigt das grosse Potenzial des Artnach- gen für die Evaluation der praktischen Naturschutzarbeit und für die zu ergreifen- weises durch eDNA. In Gewässern um den Schutzmassnahmen. Während klassische Monitorings mittels Nachweis von Chicago wird intensiv nach invasiven Arten oder Artengruppen direkt im Feld durchgeführt werden, sind kürzlich Me- Fischarten gesucht, damit diese nicht thoden entwickelt worden, welche Umwelt-DNA (eDNA) für den Artnachweis in die Grossen Seen gelangen. Zwei verwenden. Im vorliegenden Artikel geben wir einen Überblick über eDNA-Me- der unerwünschten Arten sind der thoden und deren Eignung für Monitorings, mit speziellem Fokus auf den Nach- Silberne Tolstolob (Hypophthalmich- weis von Amphibien in Gewässern. thys molitrix) und der verwandte Ge- feckte Tolstolob (Hypophthalmichthys nobilis bzw. Aristichthys nobilis). Mit 1 Einleitung ein Teil der Arten über Sichtbeobach- eDNA konnten die Arten nachgewie- tungen oder über das Quaken nachge- sen werden, aber es waren anschlies- Monitoring ist ein unverzichtbarer Teil wiesen werden, aber für manche we- send 93 Personentage Elektrofscherei des Naturschutzes, denn Monitoring niger gut nachweisbare Arten (z. B. notwendig, um ein einziges Exemplar informiert über den Zustand der Bio- Molche) ist der Fang mit dem Kescher dieser grossen Fische zu fangen. Dieses diversität und liefert so die notwendi- oder das Stellen von Fallen notwendig. Beispiel zeigt, dass eDNA herkömm- gen Grundlagen für die Evaluation der Je nach Aktivität, Phänologie und Le- lichen Methoden, je nach Kontext, für praktischen Naturschutzarbeit und für bensweise der Arten erfolgt der Nach- den Artnachweis überlegen sein kann. die zu ergreifenden Schutzmassnahmen weis tagsüber oder es ist Nachtarbeit Amphibien standen schon früh im (Yoccoz et al. 2001; Weber et al. 2004). notwendig. Trotz bewährten Methoden Fokus von Studien zur Anwendbarkeit Grundsätzlich können in einem Mo- ist bekannt, dass nie alle Arten, die an von eDNA, denn bereits eine der ers- nitoringprogramm verschiedene Ele­ einem Ort vorkommen, entdeckt wer- ten Arbeiten wies den invasiven Ame- mente der Biodiversität (Gene, Arten, den (Kéry und Schmidt 2008). Da- rikanischen Ochsenfrosch (Lithobates Ökosysteme) untersucht werden, wie her wird versucht, Methoden zu entwi- catesbeianus) mit Hilfe von eDNA nach dies beispielsweise im Biodiversitäts- ckeln, welche die Nachweisbarkeit von (Ficetola et al. 2008). Die Publikation monitoring Schweiz der Fall ist, aber oft Arten verbessern, beziehungsweise bei von Thomsen et al. (2012) weckte das wird nur die Präsenz/Absenz, manch- ressourcenintensiven Erhebungen eine Interesse an eDNA bei vielen Öko- mal auch die Häufgkeit (Abundanz) Vereinfachung zu erzielen. logen; auch diese Arbeit verwendete von Arten in Untersuchungsfächen Artnachweis über Umwelt-DNA Amphibien als Modellorganismen erfasst. Präsenz/Absenz-Daten reichen (eDNA) ist eine relativ neue Methode, (Kammmolch [Triturus cristatus] und für die Zielsetzung vieler Monitoring- die viele Vorteile hat (Thomsen et al. Knoblauchkröte [Pelobates fuscus]). programme aus und sind meist ver- 2012; Schmidt und Ursenbacher 2015). Hier beschreiben wir die Anwendung gleichsweise einfach und kostengünstig Bei eDNA sammelt man beispielsweise von eDNA als Nachweismethode für zu erheben. eine Wasserprobe in einem Gewässer Amphibien in stehenden und fiessen- Feldbiologen haben für den Nach- und untersucht diese dann auf das Vor- den kleinen Gewässern. weis von Arten eine Vielzahl von Me- handensein von DNA der gesuchten thoden entwickelt, die auf die jewei- Art (Meier und Stapfer 2017, in diesem lige taxonomische Gruppe ausgerich- Band). Zudem sind, wie später gezeigt tet sind. Manche Tiergruppen, wie etwa wird, auch eDNA-basierte Methoden 2 Was ist Umwelt-DNA Vögel, können einfach über Sichtbeob- vorhanden, welche nicht nur eine, son- (eDNA)? achtungen oder Gesang erfasst werden. dern gleichzeitig viele Arten nachwei- Manchmal, wie etwa bei Schmetter- sen können, was aus Monitoring-Pers- Umwelt-DNA oder eDNA (environ- lingen, sind Sichtbeobachtungen mög- pektive besonders interessant ist. Man- mental DNA) bezeichnet Erbsubstanz­ lich, aber der Fang der Individuen ist che Autoren vertreten die Ansicht, von Organismen, welche in Umwelt- notwendig für eine sichere Artbestim- dass eDNA die Erfassung der Biodi- proben gefunden wird und nicht mehr mung. Im Falle der Amphibien kann versität revolutionieren könne (Deiner direkt einem Individuum zugeordnet

WSL Berichte, Heft 60, 2017 58 Forum für Wissen 2017 werden kann (Bohmann et al. 2014; nen grössere Mengen Wasser verarbei- dere dann die Methode der Wahl, wenn Schmidt und Ursenbacher 2015; Bal- tet werden. Allerdings geht die freie spezifsch eine oder wenige Arten in digo et al. 2017). Diese eDNA kann ei- eDNA verloren, da diese nicht auf dem eDNA-Proben nachgewiesen wer- nerseits in freien DNA-Molekülen in Filter zurückbleibt. Zudem ist eine Fil- den sollen, da nach der methodischen der Umwelt vorliegen oder aber im- tration von Wasserproben bei vielen Entwicklung des Ansatzes die Kos- mer noch Bestandteil von Zellen sein, Schwebepartikeln (z. B. Phytoplank- ten für die eigentlichen Analysen ver- welche Lebewesen ausscheiden oder ton) schwierig, da die feinporigen Fil- hältnismässig gering sind. Ein Beispiel von ihrer Oberfäche verlieren. So ist ter schnell verstopfen. In beiden Fäl- dafür ist der Nachweis des Erregers zum Beispiel bekannt, dass der Mensch len wird die DNA von allen im Gewäs- der Chytridiomykose (der Chytridpilz rund 40 000 verhornte Hautzellen pro ser vorkommenden Arten in der Probe Batrachochytrium dendrobatidis) von Minute verliert. Ebenso werden Zellen gewonnen, also auch DNA von Bakte- Amphibien in Wasserproben (Schmidt von Individuen bei Körperausscheidun- rien, Pilzen, Insekten, Algen, (Wasser-) et al. 2013) oder aber der Nachweis gen (z. B. Urin, Kot, Drüsenausschei- Vögeln, Fischen und Säugetieren inklu- nur des Kammmolchs (Thomsen et al. dungen) in die Umwelt abgegeben. Die sive dem Menschen. Bei einem Moni- 2012). Ausscheiderate von eDNA dürfte da- toringprojekt für Amphibien in Gewäs- Sobald jedoch über die eDNA Aus- mit einerseits von der Art (Grösse und sern wird daher nur eine sehr kleine sagen über ganze Artengruppen oder weitere artspezifsche Charakteristika) Menge der vorhandenen DNA von deren Zusammensetzung gemacht wer- als auch von der Anzahl Individuen ei- Amphibien stammen und damit den den sollen, so werden kurze Regionen ner Art in einem Gewässer abhängen. Nachweis erschweren. der DNA mittels PCR vervielfältigt Allerdings fehlen dazu noch verlässli- und anschliessend mithilfe von Next- che Daten für Amphibien, und unse- Generation Sequencing (NGS) sequen- res Wissens wurden noch keine spezif- ziert (Abb. 1A). Dabei wird der zu ver- schen Untersuchungen bei Amphibien 3 Nachweis-Methoden bei vielfältigende Abschnitt auf der DNA durchgeführt, welche die Ausscheide- eDNA Proben so gewählt, dass seine Enden für die rate von eDNA zwischen Amphibien- Artengruppe einheitlich sind und da- arten untersucht haben. Da eDNA (normalerweise) in sehr zwischen eine möglichst grosse Vielfalt Die ausgeschiedene eDNA verbrei- kleinen Mengen und in kurzen DNA- vorhanden ist, sodass man die einzel- tet sich danach passiv durch Strömun- Stückchen vorliegt, erfolgt der Nach- nen Arten in der Artengruppe unter- gen in den Gewässern. Dabei ist die weis mittels der Vervielfältigung (Am- scheiden kann. Diese vielfältige Region eDNA biotischen und abiotischen Um- plifkation) einer kurzen Region auf kann dann als Barcode für die einzel- welteinfüssen ausgesetzt, was zum Ab- der DNA (ca. 70 – 150 Basenpare), dies nen Arten dienen (Barcoding; MacDo- bau der eDNA führt. Dadurch werden analog zur molekularen Diagnostik nald und Sarre 2017; Abb. 1B). Da- die ursprünglich langen DNA-Mole- von Krankheitserregern in der Medizin bei muss aber beachtet werden, dass küle zunehmend in kleine Bruchstücke oder Anwendungen in der Forensik. Je die einheitlichen Enden nicht zu stark zerteilt oder auch ganz abgebaut. Wie nach wissenschaftlicher Fragestellung einheitlich sind, da ansonsten alles ver- schnell dieser Prozess stattfndet, hängt können dazu verschiedene Techniken vielfältigt wird, also zum Beispiel auch wesentlich davon ab, wie gut die DNA eingesetzt oder kombiniert werden. menschliche DNA, welche praktisch gegenüber Umwelteinfüssen geschützt Dabei sind sowohl methoden-techni- in jeder eDNA-Probe in grossen Men- ist. So wurde gezeigt, dass Fisch-eDNA sche Überlegungen wie auch solche zu gen vorliegt und den Nachweis von Ar- in Gewässern während rund 14 Tagen Kosten entscheidend bei der Metho- ten beeinträchtigen kann. Zudem sollte nachweisbar ist, während in Sediment- denwahl. der untersuchte Abschnitt möglichst proben noch nach 132 Tagen nach Ent- Mithilfe der Polymerasen-Ketten- kurz sein (wenn möglich auch in meh- nahme der Fische die entsprechende Re­aktion (PCR/quantitative PCR) reren Kopien pro Zelle vorliegen), da- eDNA nachgewiesen werden konnte ge­nann­­ten Methode kann man aus- mit die Sensitivität der Analyse erhöht (Turner et al. 2015). gewählte Regionen der DNA ver- wird. Aus diesem Grund liegen viele Bei der Entnahme von Wasserpro- vielfältigen. Dadurch kann man ver- der gebräuchlichsten Barcoding-Regi- ben aus einem Gewässer kann die vor- einfacht gesagt eine «vorhanden / nicht onen auf der DNA der Mitochondrien handene eDNA direkt aus dem Was- vorhanden»-Aussage betreffend dem (mtDNA), der Ribosomen (rDNA) ser gewonnen werden. Dabei wer- Vorkommen von Arten machen. Der oder, im Falle der Pfanzen, der Chloro- den aus praktischen Gründen relativ methodische Ansatz (Assay) kann spe- plasten (Little 2014; Meusinier et al. kleine Mengen entnommen (einige zifsch für eine Gattung, Art oder Un- 2008; Bellemain et al. 2010). ml). Mit diesem Verfahren wird neben terart entwickelt werden. Dabei ist ent- Nach der Vervielfältigung des Bar- der freien DNA im Wasser auch DNA scheidend, dass der Ansatz validiert ist coding-DNA-Abschnitts, werden bei isoliert, welche noch in Zellen einge- und unter anderem die Nachweisgrenze dieser Methode Tausende von einzel- schlossen ist und als Schwebepartikel­ oder nicht gewünschte Vervielfältigung nen DNA-Stücken sequenziert. Diese im Wasser vorkommt. Als weitere Me- von nahe verwandten Arten oder Ar- stammen von verschiedenen Arten. thode wird oftmals ein Filtrations- tengruppen überprüft wird, da diese Bei den anschliessenden (bioinforma- schritt verwendet, und die DNA wird die Aussagekraft der Ergebnisse beein- tischen) Analysen wird den einzelnen aus dem Niederschlag auf dem Filter trächtigen würden (MacDonald und Sequenzen, welche von einer Wasser- gewonnen. Bei dieser Methode kön- Sarre 2017). PCR/qPCR ist insbeson- probe stammen, durch einen Vergleich

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 59 mit einer Referenzdatenbank mit ent- Artengruppen wie zum Beispiel die Li- Während man versucht, durch eine ad- sprechenden und überprüften DNA- bellen untersucht würden. äquate Beprobungsstrategie im Feld Sequenzen der Artengruppe die Art die Punkte (i) und (ii) zu berücksich- zugewiesen. Die Referenzdatenbank tigen, wird bei den Laboranalysen bei und die darin abgebildeten Arten (und jeder Probe eine Inhibitionskontrolle Artnamen!) sind also enorm wichtig 4 Herausforderungen bei der durchgeführt, damit man falsch-nega- für die Qualität der Analyse. Wenn in Analyse von eDNA-Proben tive Resultate, welche nur auf PCR-In- der Referenzdatenbank eine falsche hibition beruhen, erkennt (Punkt iii). Art-Sequenz vorhanden ist, zum Bei- eDNA hat ihre Stärken, aber auch Die Nachweiswahrscheinlichkeit mit- spiel durch eine falsche Bestimmung, Schwächen, wie dies mit allen Me- tels eDNA ist in der Regel hoch (um so führt auch die Analyse zu falschen thoden zum Artnachweis der Fall ist 90 %), aber nur mit hohem Aufwand Zuordnungen (Kap. 4). (Kéry und Schmidt 2008). Auch mit nahe bei 100 Prozent (Biggs et al. 2015; Ein weiterer Vorteil der eDNA ist, eDNA weist man die Zielart oder die Valentini et al. 2016). Hoher Aufwand dass, sobald die eDNA-Isolation erfolgt Zielarten nicht immer nach, obwohl bedeutete in einer Studie von Biggs ist, mehrere Analysen durchgeführt diese vorkommt (sogennante «falsch- et al. (2015) zum Nachweis von Amphi- werden können, da meist genügend ge- negative»-Befunde; Schmidt et al. 2013; bien zwanzig Wasserproben pro Wei- wonnene DNA vorhanden ist. Damit Bohmann et al. 2014). Die Nachweis- her. Diese Proben wurden gemischt können je nach Fragestellung mehrere wahrscheinlichkeit ist dabei wesent- und davon sechs Proben genommen. Artengruppen analysiert werden oder lich von drei Faktoren beeinfusst (bei Anschliessend wurde jede Probe mit ein Einzelarten-Nachweis kann mit ei- sonst gleichbleibender Beprobungs­ 12 qPCRReaktionen analysiert. Alles nem Multi-Arten-Nachweis kombi- strategie): (i) der Anzahl Individuen im in allem also ein sehr grosser Aufwand. niert werden. Dies wäre zum Beispiel Gewässer und deren räumlichen Ver- Der Zusammenhang zwischen Anzahl dann der Fall, wenn die Amphibien- teilung im Gewässer, (ii) der eDNA- Individuen und falsch negativen Re- Gemeinschaft in den Proben ermittelt Ausscheiderate der Art und (iii) allfäl- sultaten konnte durch Ficetola et al. würde und parallel dazu die Probe auf ligen Inhibitoren, das sind chemische (2008) aufgezeigt werden, da grosse das Vorkommen des pathogenen Chy- Substanzen, welche die Vervielfälti- Populationen mit vielen Individuen des tridpilzes Batrachochytrium dendroba- gung der DNA in der PCR erschwe- Amerikanischen Ochsenfrosches bes- tidis getestet wird oder aber weitere ren (z. B. Humin-Säuren in Moorseen). ser nachweisbar waren als kleine Popu-

Abb. 1. Ablauf einer eDNA-Analyse zu einem Artengruppen-Nachweis mittels Next-GenerationSequencing. (A) Nach der Probenahme von eDNA in einem Gewässer wird die gesamte eDNA in der Wasserprobe gewonnen (Extraktion), die Barcoding-Region mittels PCR ver- vielfältigt (Amplifkation) und dann mittels Next-Generation Sequencing sequenziert. Im Anschluss werden die Daten bioinformatisch aus- gewertet und den DNA-Sequenzen die jeweiligen Artnamen (z. B. Amphibienarten) zugewiesen. (B) Aufbau einer Barcoding-Region mit den für die Zielgruppen einheitlichen Enden (hier v. a. rot) und dem sehr vielfältigen Bereich, welcher als Barcode dient (hier v. a. blau und schwarz).

WSL Berichte, Heft 60, 2017 60 Forum für Wissen 2017 lationen. Daraus ergibt sich, dass meh- vor schädlichen Einfüssen besser ge- litativ hochstehende Referenzdaten- rere Proben oder eine Mischprobe pro schützt ist (Turner et al. 2015; siehe bank, welche DNA-Sequenzen enthält, Gewässer auf jeden Fall für einen si- Kap. 2). Wenn eDNA also aus Wasser- welche von durch Artenspezialisten be- cheren Artnachweis notwendig sind proben genommen wird, dann zeigt sie stimmten Individuen stammen. Dies ist beziehungsweise ist. praktisch das gegenwärtige Vorkom- vor allem dann wichtig, wenn die Be- Ein weiteres Problem, welches bei men einer Art an. Wenn bei der Pro- stimmung einer Art über ihr Aussehen Kartierungen und Monitoring-Program­ benentnahme jedoch Sediment aufge- anspruchsvoll ist. Dagegen sollten die men vorkommt, sind falsch-positive wirbelt wird, so kann eDNA die Prä- zugänglichen DNA-Sequenzdatenban- Befunde, das heisst der Nachweis einer senz einer Art anzeigen, die schon ken nur ergänzend verwendet werden, Art an einem Ort, an dem sie gar nicht länger nicht mehr im Gewässer vor- da sie oftmals falsche Sequenzen und vorkommt. Bei den herkömmlichen kommt. Je nach Fragestellung kann Bestimmungen enthalten. Methoden kann das passieren, wenn dies ein Problem sein oder aber auch Im Falle der Amphibien wurde im man eine Art falsch bestimmt oder ver- ein Vorteil; auf jeden Fall sollte man Rahmen eines KTI-Projektes zwischen wechselt bzw. wenn die Feldprotokolle sich aber dessen bewusst sein. Zum universitären Partnern, dem Umwelt- fehlerhaft sind. Falsche Positive wurden Beispiel sollten Beprobungen von Ge- büro ARNAL und Microsynth/ecogenics auch bei eDNA-Anwendungen disku- wässern nach starken Winden, welche ein Barcoding-System für den eDNA- tiert und nachgewiesen (Lahoz-Mont- Sediment aufwirbeln können, vermie- Nachweis von Amphibien (ohne den fort et al. 2016). Auch wenn die Fehler- den werden. Alpensalamander) in Gewässern ent- raten in der Regel klein sind (Ficetola Wie bei den Feldbegehungen für eine wickelt und getestet (Meier und Stap- et al. 2015), so können sie doch die aus klassische Artenbestimmung sind auch fer 2017, in diesem Band). Dieses zeigt den Daten abgeleiteten Vorkommen bei eDNA-Arbeiten detaillierte Arten- eine gute Aufösung der Amphibien- einer Art verzerren. Dies ist insbeson- Kenntnisse wichtig. Zum Beispiel kann arten. Innerhalb des «Wasserfrosch»- dere dann der Fall, wenn eine Art sel- eine falsche Zuordnung eines Artna- Komplexes kann gezeigt werden, dass ten ist (Lahoz-Montfort et al. 2016). mens von einem falschen Eintrag in mit dem vorhanden Barcoding-An- Bei eDNA-Analysen können verschie- der Referenzdatenbank, einem zu un- satz zwar nicht alle sechs Pelophylax- dene Faktoren zu falsch positiven Re- spezifschen methodischen Ansatz im Arten, doch immerhin vier Gruppen sultaten führen, welche nur zum Teil Labor, Hybridisierungen oder durch erkannt werden (z. B. Pelophylax be- beeinfusst werden können. Es sind das sehr nah verwandte Arten oder Arten- drigae, P. bergeri, P. esculentus-lesso- (i) Eintrag von eDNA in ein Gewässer, komplexe verursacht werden. In die- nae-Komplex und P. kurtmuelleri-ridi- beispielsweise Fisch-DNA durch Was- sem Falle ist es wichtig, sich der metho- bundus-Komplex). Im Feld ist dagegen servögel, oder ein Fliessgewässer be- dischen Grenzen des Artnachweises mit herkömmlichen Methoden eine ziehungsweise der Verbleib der DNA mit eDNA bewusst zu sein. Beispiels- solche Aufösung des «Wasserfrosch»- im Gewässer, auch wenn die Art nicht weise ist aus Untersuchungen bekannt, Komplexes nicht zu erreichen. Dies ist mehr im Gewässer ist – sozusagen ein dass in der Region des Genfersees ein klarer Vorteil der eDNA. unverschuldeter falsch-positiver Be- durch Hybridisierung zwar viele Indivi- fund – und (ii) Kontaminationen mit duen des Kammmolchs noch das Mito- fremder DNA bei der Beprobung im chondrien-Erbgut von Triturus crista- Feld und bei den Arbeiten im Labor. tus besitzen, allerdings das Erbgut im 5 Vergleich zwischen Damit Kontaminationen minimiert Zellkern weitgehend durch das Erbgut eDNA und klassischem werden, ist es sehr wichtig, dass sehr von T. carnifex ersetzt wurde (Dufres- Monitoring sauber gearbeitet wird. Dies bedingt ei- nes et al. 2016). Allerdings sind solche nerseits eine optimale Sammelstrategie Einblicke in die Evolution der Arten Eine wichtige Frage ist, wie gut eDNA im Feld (z. B. Verwendung von Einweg- nur mittels wissenschaftlichen Studien ist im Vergleich mit den herkömmli- Sammelmaterial), wie auch besondere realisierbar und sprengen den Rahmen chen Feldmethoden, welche seit langem Vorsichtsmassnahmen im Labor. Dabei von praktischen Monitorings. Zudem zum Einsatz kommen. Mehrere Studien gibt es aus der genetischen Diagnos- sind solch detaillierte Kenntnisse, wel- haben gezeigt, dass die Nachweiswahr- tik für die Laborarbeit Richtlinien, wie che für die Interpretation von eDNA scheinlichkeiten bei eDNA höher sein eine Kontamination minimiert werden Analysen wichtig sein können, meist können als bei den traditionellen Me- kann (z. B. ISO 17025-Richtlinien für nur für gut studierte Artengruppen thoden (Schmidt und Ursenbacher DNA-Analytik). vorhanden. Dies ist aber nicht der Nor- 2015). Daher lohnt sich aus dem Blick- Bei der Interpretation der eDNA- malfall, denn viele Artengruppen, wie winkel der Nachweiswahrscheinlichkei- Analysen ist es wichtig, auch die Ver- zum Beispiel Libellen, sind weniger gut ten der Einsatz von eDNA. Allerdings weildauer von eDNA im Wasser bezie- erforscht. liegen für Amphibien bisher noch keine hungsweise Sediment zu berücksichti- Während die oben erwähnten Punkte Daten hinsichtlich des Vorkommens gen. Im Wasser bleibt eDNA etwa zwei unabhängig der Nachweismethode (Ein­ von falsch-positiven Resultaten vor. Bei Wochen erhalten (Dejean et al. 2011; zel-Artennachweis oder Nachweis von der Methodenauswahl für ein Monito- Thomsen et al. 2012). Im Sediment hin- Gemeinschaften) relevant sind, so er­ ring respektive auch bei der Kombina- gegen kann sie deutlich länger erhal- geben sich beim Nachweis von Ge- tion von verschiedenen Methoden müs- ten bleiben und liegt auch in höherer meinschaften einige spezifsche Punkte. sen die Ziele des Monitorings genau Konzentration vor, da die DNA hier Ganz besonders wichtig ist eine qua- defniert werden. Es sind zwar Bestre-

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bungen im Gang, eDNA in diese Rich- 2016). Abhängig ist dies von der Ver- Foster, J.; Wilkinson, J.W.; Arnell, A.; tung zu entwickeln, doch zurzeit kön- fügbarkeit von DNA-Sequenzen in den Brotherton, P.; Williams, P.; Dunn. F.; nen Abundanzen nur sehr grob abge- entsprechenden Datenbanken, wobei 2015: Using eDNA to develop a natio- schätzt werden (Thomsen et al. 2012). es sich lohnt, für ausgewählte Arten- nal citizen science-based monitoring pro- eDNA liefert ebenfalls keine Hinweise gruppen eigene und überprüfte Refe- gramme for the great crested newt (Tri- auf das Lebensstadium (bei Amphibien renzdatenbanken aufzubauen. Bestre- turus cristatus). Biol. Conserv. 183: 19–28. Adulte, Larven etc.). Daher lässt sich bungen in diese Richtung werden zum Bohmann, K.; Evans, A.; Gilbert, M.T.; über eDNA beispielsweise nicht nach- Beispiel durch die Forscher und For- Carvalho, G.R.; Creer, S.; Knapp, M.; Yu, weisen, ob sich eine Amphibienart er- scherinnen im Swiss Barcode of Life D.W.; de Bruyn, M., 2014: Environmen- folgreich in einem Gewässer fortpfanzt. Projekt verfolgt (www.swissbol.ch). Al- tal DNA for wildlife biology and biodi- Auch Alter, Grösse oder Gesundheits- lerdings zeigt sich dabei, dass die ver- versity monitoring. Trends Ecol. Evol. 29: zustand kann eDNA, mindestens bei wendeten Barcoding-Regionen nicht 358–367. Amphibien, nicht liefern. Sofern für ein unbedingt für eDNA-Analysen von Deiner, K.; Fronhofer, E.A.; Mächler, E.; Monitoring derartige Merkmale wich- Gemeinschaften mittels Next-Gene- Walser, J.C.; Altermatt, F., 2016: Envi- tig sind, sollte eDNA nur ergänzend ration Sequencing geeignet sind. Da- ronmental DNA reveals that rivers are eingesetzt werden. her kann durch das gezielte Sequen- conveyer belts of biodiversity informa- Weitere wichtige Punkte beim Ein- zieren interessanter Arten die Grund- tion. Nature Comm. 7: 12544. satz von eDNA sind Zeit und Kosten. lage geschaffen werden, dass weitere Dejean, T.; Valentini, A.; Duparc, A.; Pel- Die Probenentnahme für eDNA hat Artengruppen, welche auch in Amphi- lier-Cuit, S.; Pompanon, F.; Taberlet, P.; meist folgende Vorteile im Vergleich biengewässern vorkommen (z. B. Libel- Miaud, C., 2011: Persistence of environ- zu einem herkömmlichen Monitoring: len, Wasserpfanzen oder national pri- mental DNA in freshwater ecosystems. (i) kleinerer Zeit-Bedarf pro Gewäs- oritäre Arten), erfasst werden können. PLoS ONE 6: e23398. ser, (ii) grössere Unabhängigkeit von Später wird vielleicht ein umfassendes Dufresnes, C.; Pellet, J.; Bettinelli-Ric- der Witterung und der Tageszeit (je- Monitoring der aquatischen Biodiver- ciardi, S.; Thiébaud, J.; Perrin, N.; Fuma- doch nicht von der Jahreszeit!) und da- sität möglich. galli, L., 2016: Massive genetic introgres- mit die Möglichkeit, Beprobungen von Die Anwendung genetischer Metho- sion in threatened northern crest newts mehreren Gewässern an einem Tag den bei naturschutzbiologischen Feld- (Triturus cristatus) by an invasive conge- durchzuführen und keine Nachtarbeit studien und Monitoringprogrammen ner (T. carnifex) in western Switzerland. einsetzen zu müssen sowie (iii) allen- versetzt manche Biologen und Arten- Conserv. Gen. 17: 839–846. falls weniger Besuche am Gewässer, als kennerinnen in Angst, denn sie haben Ficetola, G.F.; Miaud, C.; Pompanon, F.; Ta- bei klassischem Monitoring. Dafür ent- das Gefühl, dass sie durch die neuen berlet, P., 2008: Species detection using stehen neben der eigentlichen Arbeits- Techniken ersetzt würden. Wir sehen environmental DNA from water samples. zeit im Feld noch zusätzlich Kosten für diese Gefahr nicht, da es für die Pro- Biol. Lett. 4: 423–425. die Analysen im Labor. Zudem dau- benentnahme wie auch die Interpre- Ficetola, G.F.; Pansu, J.; Bonin, A.; Coissac, ern die Laboranalysen mehrere Wo- tation der Daten ausgewiesene Fach- E.; Giguet-Covex, C.; de Barba, M.; chen, da im Labor die parallele Bear- personen mit detaillierten Arten- Gielly, L.; Lopes, C.M.; Boyer, F.; Pompa- beitung von möglichst vielen Proben kenntnissen braucht. Aber wir sind der non, F.; Rayé, G.; Taberlet, P., 2015: Re- am einfachsten und billigsten ist. Da- Überzeugung, dass genetische Metho- plication levels, false presences and the her lohnt es sich, die Kosten der un- den ein wertvolles Werkzeug in der Na- estimation of presence/absence from terschiedlichen Methoden genau abzu- turschutzbiologie sein können und zu- eDNA metabarcoding data. Mol. Ecol. klären (Smart et al. 2016). Letztlich ist nehmend auch sein werden. Res. 15: 543–556. es wie bei jedem Projekt wichtig, dass Kéry, M.; Schmidt, B.R., 2008: Imperfect de- man sich darüber klar wird, welches tection and its consequences for moni- die Projektziele sind und welche Me- toring for conservation. Comm. Ecol. 9: thoden am besten geeignet sind, diese 7 Literatur 207–216. Ziele zu erreichen (Yoccoz et al. 2001). Lahoz-Montfort, J.J.; Guillera-Arroita, Baldigo, B.P.; Sporn, L.A.; George, S.D.; G.; Tingley, R., 2016: Statistical approa- Ball, J.A., 2017: Effcacy of environmen- ches to account for false-positive errors in tal DNA to detect and quantify Brook environmental DNA samples. Mol. Ecol. 6 Ausblick trout populations in headwater streams Res. 16: 673–685. of the Adirondack Mountains, New York. Little, D.P., 2014: A DNA mini-barcode for Trotz rasantem Fortschritt bei der Me- Trans. Amer. Fish. Soc. 146: 99–111. land plants. Mol. Ecol. Res. 14: 437–446. thodenentwicklung ist eDNA noch eine Bellemain, E.; Carlsen, T.; Brochmann, MacDonald, A.J.; Sarre, S.T., 2017: A neue Methode. Die methodischen Ent- C.; Coissac, E.; Taberlet, P.; Kauserud, framework for developing and validating wicklungen bei der eDNA werden wei- H., 2010: ITS as an environmental DNA taxon-specifc primers for specimen iden- ter gehen und diese mit grosser Wahr- barcode for fungi: an in silico approach tifcation from environmental DNA. Mol. scheinlichkeit in Zukunft noch inte- reveals potential PCR biases. BMC Mi- Ecol. Res. 17: 708–720. ressanter machen. Es ist jetzt bereits crobio. 10: 189. Meier, R.; Stapfer, A., 2017: Werkzeugkas- möglich, viele Artengruppen in einer Biggs, J.; Ewald, N.; Valentini, A.; Gabo- ten für genetische Methoden in der Bio- Wasserprobe zu erfassen (Deiner et al. riaud, C.; Dejean, T.; Griffiths, R.A.; diversitätsförderung. WSL Ber. 60: 49–56.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 62 Forum für Wissen 2017

Meusnier, I.; Singer, G.A.C.; Landry, J.F.; 2016: Assessing the cost-effciency of en- Valentini, A.; Taberlet, P.; Miaud, C.; Hickey, D.A.; Hebert, P.D.N.; Hajibabaei, vironmental DNA sampling. Methods Civade, R.; Herder, J.; Thomsen, P.F.; M., 2008: A universal DNA mini-barcode Ecol. Evol. 7: 1291–1298. Bellemain, E.; Besnard, A.; Coissac, E.; for biodiversity analysis. BMC Genomics Thomsen, P.F.; Kielgast, J.; Iversen, L.L.; Boyer, F.; Gaboriaud, C.; Jean, P.; Pou- 9: 214. Wiuf, C.; Rasmussen, M.; Gilbert, M.T.P.; let, N.; Roset, N.; Copp, G.H.; Geniez, P.; Schmidt, B.R.; Kéry. M.; Ursenbacher, S.; Orlando, L.; Willerslev, E., 2012: Mo- Pont, D.; Argillier, C.; Baudoin, J.-M.; Hyman, O.J.; Collins, J.P., 2013: Site oc- nitoring endangered freshwater biodi- Peroux, T.; Crivelli, A.J.; Olivier, A.; cupancy models in the analysis of envi- versity using environmental DNA. Mol. Acqueberg, M.; Le Brun, M.; Moller, ronmental DNA presence/absence sur- Ecol. 21: 2565–2573. P.R.; Willerslev, E.; Dejean, T., 2016: veys: a case study of an emerging am- Turner, C.R.; Uy, K.L.; Everhart, R.C., Next generation monitoring of aquatic phibian pathogen. Methods Ecol. Evol. 4: 2015: Fish environmental DNA is more biodiversity using environmental DNA 646–653. concentrated in aquatic sediments than metabarcoding. Mol. Ecol. Res. 25: 929– Schmidt, B.R.; Ursenbacher, S., 2015: Um- surface water. Biol. Conserv. 183: 93–102. 942. welt-DNA als neue Methode zum Art- Weber, D.; Hintermann, U.; Zangger, A., Yoccoz, N.G.; Nichols, J.D.; Boulinier, T., nachweis in Gewässern. Z. Feldherpetol. 2004: Scale and trends in species richness: 2001: Monitoring of biological diversity 22: 1–10. considerations for monitoring biological in space and time. Trends Ecol. Evol. 16: Smart, A.S.; Weeks, A.R.; van Rooyen, A.R.; diversity for political purposes. Global 446–453. Moore, A.; McCarthy, M.A.; Tingley, R., Ecol. Biogeo. 13: 97–104.

Abstract Use of environmental DNA in amphibian monitoring Monitoring is an essential part of conservation biology because the results of mo- nitoring programs inform management decisions and allow an assessment of the effectiveness of conservation action. Classical monitoring methods are based on direct observations of species or species groups in the feld. However, these feld studies can be very labour-intensive and there are many species which are hard to monitor due to their natural history. New methods were recently developed where the species are detected based on DNA present in the environment (eDNA). In the present article we give an overview of monitoring methods of aquatic orga- nisms based on eDNA and discuss the advantages and limitations of these me- thods with a strong focus of monitoring amphibian species in ponds and wetlands.

Keywords: environmental DNA (eDNA), DNA barcoding, conservation biology, monitoring

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017: 63–69 63

Bedeutung der Naturschutzgenetik für den Bund

Francis Cordillot

Bundesamt für Umwelt (BAFU), Abteilung Arten-Ökosysteme-Landschaften, CH-3003 Bern [email protected]

Genetische Methoden nehmen als praktisches Hilfsmittel des Naturschutzes an sen sind (Staub et al. 2011). Der Über- Bedeutung zu. Auch der Bund bedient sich dieser Methoden, hauptsächlich im blick umfasst auch nicht die Aktivitä- Vollzug des Schutzes (Management) von Tier- und Pfanzenpopulationen sowie ten des BAFU bezüglich Umsetzung zur Identifzierung von äusserlich schwierig zu bestimmenden Arten in der Über- des Nagoya-Protokolls der Biodiver- wachung (Monitoring und Erfolgskontrolle) der Biodiversität. Der Bundesrat be- sitätskonvention, welches zur Errei- kräftigt seit 2012, wie bedeutend es ist, die genetische Vielfalt zu erhalten und zu chung der Erhaltung der Biodiversi- fördern. Der nationale Aktionsplan soll dabei insbesondere das strategische Ziel tät und der nachhaltigen Nutzung ihrer von Generhaltungsgebieten (Waldbäume, Regionale Floren, Wildarten von Kul- Bestandteile (genetischen Ressourcen) turpfanzen) und Ex-situ-Erhaltungs- und Ansiedlungsmassnahmen (Pfanzen, beiträgt. Denn es geht darin vor allem Tiere) unterstützen. Bei der Konkretisierung der «Ökologischen Infrastruktur» um den Zugang zu genetischen Res- könnte es wichtig sein zu wissen, wie stark die Landschaft den Genfuss zwischen sourcen und den gerechten Vorteils- Populationen und deren Raumnutzung beeinfusst. ausgleich aus deren Nutzung. Die in den Abschnitten Artenför- derung (Kap. 4) sowie Erhaltung und 1 Einleitung können. Zudem lassen sich mittels gene- Nutzung der genetischen Ressourcen tischer Methoden wichtige Indikatoren (Kap. 5) genannten Projekte zeigen die Die Schweiz zeichnet sich durch eine zum Zustand der Biodiversität erfas- Bestrebungen des Bundes, Plattformen grosse Vielfalt an Lebensraumtypen sen (z. B. genetische Vielfalt in Populati- und Informationssysteme zur Erhal- und Ökosystemen aus. Besonders in onen, Populationsgrösse, geographische tung der genetischen Vielfalt mit zu- den Alpen, die rund zwei Drittel der Populationsstrukturen, Vernetzung). gehörigem Wissensmanagement aufzu- Schweizer Landesfäche ausmachen, Im Vollzug des Artenschutzes sind bauen und zu fördern. Damit werden gibt es eine hohe Dichte an vielfältigen beim Bund hauptsächlich das Bundes- vorhandene Informationen über gene- Lebensräumen. Es ist anzunehmen, amt für Umwelt BAFU und das Bun- tische Ressourcen und wildlebende Ar- dass die darin lebenden Arten eine desamt für Landwirtschaft BLW tätig, ten der Schweiz zusammentragen, mit hohe Vielfalt an geographisch unter- meistens in Partnerschaft mit Kanto- Fundmeldungen gekoppelt und der schiedlichen Formen und genetischen nen und wissenschaftlichen Institutio- Fachwelt und Öffentlichkeit zur Verfü- Gruppen entwickelt haben und die nen des Bundes (Eidg. Forschungsan- gung gestellt. Genetische Monitorings Schweiz insgesamt eine relativ hohe stalt WSL, ETH Zürich, ETH Lau- werden bisher nur in ganz speziellen genetische Vielfalt aufweist. Diese Le- sanne, Agroscope) und anderen. Diese Fällen durchgeführt. Allgemein werden bensraumvielfalt hat auch zum Entste- wenden für die Artenförderung (Ma- fallweise Abklärungen mit genetischen hen endemischer Arten beigetragen nagement, Planung von Massnah- Methoden angestellt, sei es zur Iden- (Tschudin et al. 2017). Allerdings ist men) und -überwachung (Monitorings tifkation von Arten, wenn diese mor- von den evaluierten einheimischen Ar- und Erfolgskontrollen) sowie zur Er- phologisch schwierig zu unterscheiden ten heute mehr als ein Drittel gefähr- haltung von genetischen Ressourcen oder nur Spuren vorhanden sind, sei es det, was eine grosse Herausforderung (nachhaltige Nutzung) unterschiedli- für ein gezieltes Management von Art- für ihre Erhaltung darstellt (BAFU che genetische Methoden an. beständen (Tab. 1). 2017b). Mit der Artenvielfalt geht auch Im Folgenden werden für den Bund eine genetische Vielfalt einher, die typische Aktivitäten mit genetischen beim Artenschwund und bei Populati- Hilfsmitteln im Vollzug des Arten- onsverlusten geschmälert wird. schutzes genannt, die er in den letz- 2 Mittelfristige Schwer­ Die Naturschutzgenetik kann eini- ten zehn Jahren durchgeführt hat oder punkte des Bundes ges zum Management der biologischen mittelfristig bis 2023 weiterzuentwi- Vielfalt beitragen. Holderegger und ckeln gedenkt. Dies soll einen Ein- Gemäss Oberziel des Bundesrats (BR- Segelbacher (2016) verdeutlichen, wie druck über die Bedeutung der Natur- Beschluss vom 1. Juli 2009) sind sowohl genetische Methoden wichtige Werk- schutzgenetik beim Bund vermitteln. die Biodiversität reichhaltig und gegen- zeuge des Naturschutzes sind, um evo- Folgender Überblick behandelt aber über Veränderungen reaktionsfähig als lutive (z. B. Anpassungsvermögen von nicht diejenigen genetischen Ressour- auch ihre Ökosystemleistungen lang- Arten an Umweltveränderungen) oder cen, welche primär als Ökosystemleis- fristig zu erhalten. Folglich müssen das ökologische Prozesse (z. B. Austausch tungen für Versorgungsleistungen an Überleben der einheimischen Arten in zwischen Populationen, Genfuss) in der das menschliche Wohlergehen und die ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet Landschaft verstehen und erkennen zu wirtschaftliche Entwicklung aufzufas- sichergestellt sein und die genetische

WSL Berichte, Heft 60, 2017 64 Forum für Wissen 2017

Tab. 1. Beispiele zur Verwendung genetischer Methoden beim Bund. Die aufgeführten Beispiele mit Referenzen werden in den angegebe- nen Unterkapiteln ausgeführt.

§ Beispiel Referenzen 3.1 Barcoding als Bestimmungshilfe für Flechtenarten, Mark et al. 2016; Prax C. und Müller A.: Bienen der Schweiz Wild­bienenarten (CSCF) Identifkation einer morphologisch nicht sichtbaren Dufresnes et al. 2016; Amphibien (karch) Hybridisierungsausbreitung bei Wasserfröschen Abklärung der Kontaktzonen verschiedener Reptilienarten; Kindler et al. 2017; Ursenbacher S.: Reptilien (karch) Erkennen einer neuen Reptilienart Genetisches Monitoring zur Abklärung von Nutztierrissen Grossraubtiere (Bundesamt für Umwelt BAFU); Rigling et al. durch Grossraubtiere und Überwachung von Schadorganismen 2016: Schadorganismen für den Wald (WSL) für den Wald 3.2 Informationen aus DNA-Barcode Sequenzen und Funddaten Info BOL (Fach- und Koordinationsstelle) über GBIF.ch 4.1 Genetische und demografsche Grundlagen für Amphibien­ Brandt 2015; Müller 2016; Cruickshank 2017; Cruickshank förderung et al. 2017 4.2 Hilfsmittel für die räumliche Orientierung der ökologischen BAFU 2017a: Aktionsplan zur Schweizer Biodiversitätsstrategie Infrastruktur an artspezifschen Verbreitungsmustern und Populationsstrukturen 4.3 Ex-situ-Erhaltung und Wiederansiedlung gefährdeter Blüten- www.infofora.ch/de/fora/ansiedlung/tagung-2015 pfanzen 5.1 Stärkung von Fischpopulationen Vonlanthen und Hefti 2016; Selz et al. 2017 5.2 Regionale Saatgutzentralen und Crop wild relatives (CWR) www.regiofora.ch, BUWAL 1997; NAP-PGREL (Bundesamt für Landwirtschaft BLW) 5.3 Generhaltungsgebiete im Wald, BGI-Wälder Rudow 2016

Vielfalt der einheimischen Wildarten, tere Vorstellungen vermitteln. Diese schen Prozessen (beispielsweise durch Nutzrassen und Kultursorten erhal- sollen im Rahmen des vom Bundes- Wanderung) zwischen diesen Lebens- ten werden. Entsprechend bekräftigt rat genehmigten Aktionsplans (BAFU räumen mit Korridoren und Trittstei- die Strategie Biodiversität Schweiz 2017a) in zwei Umsetzungsphasen kon- nen gewährleistet» werden oder auch («SBS», BAFU 2012a) mit dem stra- kretisiert werden. In einer ersten Um- nicht (vgl. Bolliger und Gugerli 2 0 1 7, tegischen Ziel 7.4 die generelle Bedeu- setzungsphase 2017 bis 2023 sollen spe- in diesem Band), zum Beispiel dann, tung der Erhaltung und Förderung von zifsche Massnahmen für ca. 800 Arten wenn eine Hybridisierung mit alloch- genetischer Vielfalt als Grundlage für mit klarem Massnahmenbedarf über thonen Arten droht (Kap. 4). Der Ak- das Überleben von Arten und die Auf- die Pfege- und Aufwertungsmassnah- tionsplan sieht zudem eine Prüfung rechterhaltung von Ökosystemleistun- men der Lebensräume hinaus konkre- weiterer Massnahmen für eine zweite gen als Quelle genetischer Ressour- tisiert werden. Zudem sollen Synergie- Umsetzungsphase 2024–2027 vor, wo- cen: «Die genetische Verarmung wird massnahmen zur Konkretisierung der mit sektorspezifsche Instrumente und bis 2020 gebremst, wenn möglich ge- in der nationalen Biodiversitätsstrate- Programme zur Vermeidung der gene- stoppt. Die Erhaltung und die nach- gie geforderten landesweiten Ökologi- tischen Verarmung ausgearbeitet und haltige Nutzung der genetischen Res- schen Infrastruktur anhand von Pilot- weiterentwickelt (BAFU 2017a: Tab. 3, sourcen, einschliesslich der Nutztiere projekten ab 2019 umgesetzt werden Kap. 5.2) sowie Ex-situ-Sammlungen und Kulturpfanzen, werden gesichert.» (BAFU 2017a: Kap. 3.2.1, 3.3 und Tab. zur Erhaltung prioritärer genetischer Das zugehörige Konzept Artenförde- 4.1.4, 4.2.1). Zu diesem Zweck werden Ressourcen und gefährdeter Arten auf- rung (BAFU 2012) gibt an, nach wel- «konzeptionelle Grundlagen» erarbei- und ausgebaut werden sollen (BAFU chen Grundsätzen artspezifsche Mass- tet, wobei «vorhandene Daten zur Dar- 2017a: Tabelle 3 und Kapitel 5.3). Auch nahmen umgesetzt werden sollen, wo- stellung der Ökologischen Infrastruk- die Generhaltungsgebiete in Synergie bei National Prioritäre Arten (BAFU tur geprüft und Lücken identifziert» mit Waldreservaten sowie die Förde- 2017b) bei der Erhaltung der geneti- werden (Synergiemasnahmen 4.2.1). rung der regionalen Vielfalt im Grün- schen Vielfalt speziell zu berücksichti- In diesem Schritt dürften genetische land stellen weiterhin klare Schwer- gen sind. Das Wissen über die geneti- Abklärungen als Entscheidungsgrund- punkte in den Umsetzungsphase dar. sche Vielfalt von wildlebenden Arten lagen für die räumliche Planung von Die prioritären Forschungsthemen ist zurzeit noch gering, unter anderem Vernetzungsmassnahmen zugezogen des BAFU (Ressortforschung) bezüg- auch mangels nötigen Spezialist/innen werden. Denn durch die funktionale lich der Erarbeitung von wissenschaft- und Ressourcen im Vollzug. Eine Neu- Vernetzung von Lebensräumen soll ja lichen Grundlagen zur Erhaltung und aufage des Konzepts Artenförderung «der Austausch und die Bewegungen Förderung der genetischen Vielfalt ist derzeit in Erarbeitung und konkre- von Individuen, Genen und ökologi- sind auch im Forschungskonzept Um-

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 65 welt (BAFU 2016) für die Jahre 2017– bei Flechten) sind in der Zwischen- erwähnten Arbeiten wurden die Ver- 2020 ein Thema. Sie umfassen unter an- zeit etabliert. In der laufenden Revi- breitungsareale der Reptilien in der derem Untersuchungen über die gene- sion der Roten Liste der gefährdeten Schweiz aktualisiert. tische Diversität von Arten, welche für Flechten der Schweiz kommt Barco- Genetische Methoden kommen auch die Überlebensfähigkeit und das Evo- ding zum Beispiel zur Unterscheidung im Management von Wildtierpopu­ lutionspotenzial von Populationen und von äusserlich ähnlichen Arten («spe- latio­nen zum Einsatz. Das BAFU be- Metapopulationen wichtig ist (adap- cies pairs», wobei die eine häufg und teiligt sich u. a. an einem (passiven) ge- tive genetische Diversität; Rellstab die andere sehr selten ist) zur Anwen- netischen Monitoring zur Abklärung et al. 2017, in diesem Band). Die gene- dung. Auch Wildbienen sind teilweise von Nutztierrissen durch Grossraub- tischen Methoden können dazu beitra- morphologisch schwierig bestimm- tiere. Ferner werden genetische Ana- gen, mögliche regionale Unterschiede bar. Im Rahmen der laufenden Revi- lysen in Form von Forschungsprojek- bezüglich der (anpassungsrelevanten) sion der Roten Liste der gefährdeten ten in Auftrag gegeben, um das Wild- genetischen Vielfalt von Populationen Bienen der Schweiz werden etliche der tiermanagement von Arten wie zum bestimmter Arten und deren Bedarf 600 Wildbienenarten genetisch über- Beispiel des Steinbocks zu verbessern an Lebensraumvernetzung zu unter- prüft (Christophe Praz und Andreas (siehe auch Biebach und Keller 2 0 1 7, suchen. Diese wissenschaftlichen Er- Müller, UniNE). Das Potenzial des in diesem Band). kenntnisse sind für den Vollzug als Ent- Einsatzes von genetischen Methoden Genetische Analysen werden bei scheidungsgrundlage für ein zielfüh- als Hilfsmittel zur Unterscheidung von der Überwachung von Schadorganis- rendes Management von Artbeständen Arten zeigt sich besonders eindrück- men für den Wald routinemässig an- und den Aufbau der Ökologischen In- lich an Resultaten, die im Rahmen ei- gewendet. Zum Beispiel waren 2016 frastruktur (Flächenbedarf, Qualität nes Vorprojekts zur Revision der Ein- die Arbeiten geprägt durch die Ana- und Verteilung) wichtig. stufung des Gefährdungszustands der lyse von Nadelproben mit einer spe- Amphibien in der Schweiz erarbeitet ziellen Hochdurchsatz-Diagnostik-Me- wurden (Sylvain Dubey, UniL; Duf- thode zur Erhebung der Rotband- und resnes et al. 2016; siehe auch Bühler Braunfeckenkrankheit (besonders ge- 3 Artbestimmung und Daten­ und Dubey 2017, in diesem Band): Der fährliche Schadorganismen) bei Föh- fuss aus Norditalien eingeschleppte Italie- ren. Im Routinebetrieb wurden zusätz- nische Wasserfrosch Pelophylax bergeri lich biologische Proben von Bakterien, Genetische Monitorings fnden zurzeit hat den Kleinen Wasserfrosch Pelophy- Insekten, Nematoden, Oomyzeten und nicht systematisch statt. Jedoch wer- lax lessonae fast überall in der Schweiz Pilzen genetisch analysiert. Der Erst- den fallweise genetische Methoden zur verdrängt. Morphologisch sind die zwei nachweis des Bakteriums Pseudomo- Identifkation von Arten bzw. zur Fest- Arten, die sich untereinander kreuzen nas syringae pv. aesculi an Rosskasta- stellung von Artvorkommen vorge- können, kaum abgrenzbar. Hier hilft nien führte zu einem merklichen Zu- nommen. die genetische Analyse, die es erlaubt, wachs an Bakterien-Untersuchungen diese zwei Arten (und die Hybriden) (Rigling et al. 2016). zu unterscheiden. Ebenfalls als Vor- 3.1 Hilfsmittel zur Bestimmung projekt der Revision der Roten Liste und Unterscheidung schwierig der gefährdeten Reptilien der Schweiz 3.2 Informationen aus DNA-Bar­code bestimmbarer Arten (Sylvain Ursenbacher, UniBS) erfolgte Sequenzen und Funddaten bei der Abklärung der Kontaktzonen Das Projekt «Barcoding als Bestim- verschiedener Reptilienarten eine Be- Wie bereits in Kapitel 3.1 erwähnt, ist mungshilfe für Flechtenarten» (Chris- urteilung auf Ebene Unterarten und in Barcoding eine vielversprechende Me- toph Scheidegger und Silvia Stofer einem Fall auf derjenigen der geneti- thode, um morphologisch schwierig ab- WSL, 2009–2011) testete genetische schen Gruppe. Dabei stellte sich heraus, zugrenzende Arten sicherer anspre- Methoden zur Bestimmung von mor- dass die beiden in der Schweiz vorkom- chen zu können. Referenzsequenzen phologisch schwierig identifzierbaren menden Unterarten der Ringelnatter, für die routinemässige Bestimmung ge- baumbewohnende Flechten und be- Natrix natrix natrix und N. n. helvetica, sammelter Belege aller Arten liegen schrieb das Verfahren vom Präparie- basierend auf genetischen Untersu- aber noch (lange) nicht vor; und die ren von Krustenfechten bis zur DNA- chungen taxonomisch eigentlich zwei Genetik kann nicht Gewissheit für alle Sequenzierung (Mark et al. 2016). Die Arten darstellen. Dass Natrix helvetica Fragen zu Artkonzepten bringen. Denn Artansprache mittels Barcodes wurde eine neue europäische Schlangenart ist, für eine genaue taxonomische Anspra- mit der Artansprache mittels Dünn- haben Senckenberg-Wissenschaftler che von Organismen werden in der Re- schicht-Chromatographie (herkömm- mit einem internationalen Team die- gel morphologische, geographische und liche Bestimmungsmethode aufgrund ses Jahr bestätigt (Kindler et al. 2017). genetische Informationen benötigt. chemischer Inhaltsstoffe) verglichen. Aufgrund genetischer Untersuchungen Diese werden vermehrt in «Barcode Auch wurden dabei erste Sequenzen konnte zudem im Tessin und im Misox of Life»-Initiativen zusammengetra- für eine genetische Referenzdaten- die Anwesenheit einer zweiten Blind- gen. Nach Projektabschluss einer Start- bank von Flechten der Schweiz gene- schleichenart, der Italienischen Blind- phase für die Schweizer Beteiligung riert. ITS-Sequenzen für das Barco- schleiche (Anguis veronensis), nach- mit Anschubfnanzierung des BAFU ding von Pilzen (entscheidende Art gewiesen werden. Basierend auf den wurde 2015 der Verein SwissBol (www.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 66 Forum für Wissen 2017 swissbol.ch) gegründet, der nationale schiedene Massnahmen zur Verbesse- zur Erreichung des strategischen Ziels Aktivitäten zu DNA-Barcoding koor- rung der Datennutzung, Visualisierung «Wissen generieren und verteilen» der diniert und fördert. Da die Finanzie- und Datenqualität bis 2021 weiterent- Strategie Biodiversität Schweiz bei und rung von Barcoding keine Aufgabe des wickelt werden. entsprach den Schwerpunkten des For- BAFU ist (sondern der Wissenschaft), schungskonzepts Umwelt 2013–2016 fördert es den Daten- und Informati- des BAFU. Unter anderem zeigten ge- onsfuss zu einheimischen Arten via netische und demographische Analy- Info Species und Global Biodiversity 4 Artenförderung sen, dass sich die genetische Diversität Information Facility Switzerland GBIF. angesiedelter und natürlicher Popula- ch. Zu diesem Zweck wird eine nati- Folgende Beispiele zeigen unterschied- tionen der Geburtshelferkröte kaum onale genetische Referenzdatenbank liche Anwendungen der Naturschutz- unterscheiden (Artenförderungspro- mit der Fach- und Koordinationsstelle genetik im Bereich Artenförderung, an jekt Geburtshelferkröte des Kantons Info BOL zur Verfügung gestellt, wo- denen Forschungsinstitute und Behör- Luzern; Müller 2016). Sowohl die An- mit DNA-Sequenzen von Arten aus der den des Bundes beteiligt sind. siedlung der Geburtshelferkröte als Schweiz standardisiert abgelegt wer- auch das Vernetzungsprojekt der Gelb- den. Die Verknüpfung einer Sequenz bauchunken waren erfolgreich und kön- auf BOLD oder der internationalen 4.1 Genetische und demo­- nen als Beispiele für ähnliche Projekte DNA-Sequenzdatenbank Genbank graphische Grundlagen für in anderen Kantonen dienen (Vernet- (a) mit dem entsprechenden Voucher/ Amphibienförderung zungsprojekt Gelbbauchunke Schwyz- Referenzbeleg, (b) der DNA-Extrakte Ingebohl; Brandt 2015; Cruickshank in einer öffentlichen DNA-Bank und Für einen verbesserten Schutz und die 2017; Cruickshank et al. 2017). (c) dem validierten Eintrag der natio- Förderung von Laubfrosch, Geburts- nalen Referenzdatenbank ist sicherge- helferkröte und Gelbbauchunke wur- stellt (Abb. 1). Die Daten stehen damit den für diese stark gefährdeten Arten 4.2 Hilfsmittel für die Ökologische den Vollzugsstellen für Artenschutz, im Auftrag des BAFU wichtige Grund- Infrastruktur Jagd und Fischerei als zuverlässige und lagen erarbeitet. Mittels naturschutz- raumbezogene Referenzen zur Ver- genetischer Untersuchungen und der Im Rahmen der Konkretisierung der fügung und sind über GBIF öffent- Entwicklung von Methoden zur ver- «Ökologischen Infrastruktur» und der lich zugänglich. Dank den Vorarbei- besserten Auswertung von Monito- «spezifschen Förderung national pri- ten von Info fauna – CSCF und GBIF ring-Projekten wurden mögliche Ursa- oritärer Arten» gemäss Aktionsplan Schweiz wird die Datenbank für die In- chen für den Rückgang der Populatio- Biodiversität (BAFU 2017a: Tab. 4.1.4 tegration von Barcodes mit Informati- nen identifziert und die Methodik des und 4.2.1) zur nationalen Biodiversi- onen der Datenbanken von Info Spe- Biodiversitätsmonitorings verbessert. tätsstrategie (BAFU 2012a) müssen cies (www.infospecies.ch) ab 2018 zur Das von 2012 bis 2016 an der Univer- Fragen beantwortet werden, wie zum Verfügung stehen. Zudem sollen ver- sität Zürich durchgeführte Projekt trug Beispiel ob ein genetischer Austausch zwischen Teilpopulationen bestimm- ter Arten stattfndet oder ob die Be- stände bedingt durch die Fragmentie- rung der Landschaft voneinander iso- DNA EXTRAKT liert sind. Derzeit überlegt man sich Hinterlegte, isolierte DNA (DNA Bank) unter anderem, welche Arten (z. B. na- tional prioritäre Arten) und/oder Orga- nismengruppen (mit Ziel- und Leitar- ten, von denen jeweils zahlreiche na- tional prioritäre Arten proftieren) bei FUNDMELDUNG GBIF.ch REFERENZBELEG solchen Überlegungen stellvertretend registriert, validiert Swiss Biodiversity Hinterlegtes Gewebe, Bild für die Vielzahl der in der Schweiz vor- (Info Species) (Wissenschaftl. Sammlung) Data Network kommenden Arten betrachtet werden sollen. Bei der regionalen Operationa- lisierung des ökologischen Netzwerks in den kommenden Jahren werden sich dann Fragen stellen, die fallweise Ana- DNA SEQUENZ Registrierte Daten (BOLD, Genbank) lysen von artspezifschen Verbreitungs- mustern und Populationsstrukturen Abb. 1: Info-BOL-Dokumentationsstandard für DNA-Sequenzen aus der Schweiz. Ver- (Kerngebiete, Differenzierungszonen, knüpfung von Sequenzdaten mit Nachweisen der nationalen Datenzentren (Info Species), Ökotypen) verlangen könnten. Metho- dem hinterlegten Referenzbeleg und dem DNA-Extrakt in einer öffentlichen Sammlung über die Fach- und Validierungsstelle Info BOL. Auf dem Portal GBIF Schweiz (Swiss den der Landschafts- und Naturschutz- Biodiversity Data Network) werden die Informationen der Partnerinstitutionen zusam- genetik können bei diesen Untersu- mengeführt. Morphologische, geographische und genetische Daten sind zugänglich. Quelle: chungen unter anderem dazu beitragen, P. Tschudin GBIF.ch herauszufnden, wie stark sich Populati-

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 67 onen genetisch unterscheiden, ob zwi- 5 Erhaltung und Nutzung der Besatzfsche charakterisiert werden. schen ihnen ein genetischer Austausch genetischen Ressourcen Für eine nachhaltige Bewirtschaftung stattfndet und ob zum Beispiel Ver- müssen jedoch mittelfristig aufgrund netzungsmassnahmen erfolgreich sind In Ergänzung zur Artenförderung wer- der genetischen Eigenschaften der Po- (Bolliger und Gugerli 2017, in diesem den auch Massnahmen zur Erhaltung pulationen sogenannte Bewirtschaf- Band). und Nutzung genetischer Ressourcen tungseinheiten bestimmt werden. Die realisiert, die eine langfristige Erhal- Grösse dieser Einheiten hängt von der tung der genetischen Vielfalt bezwe- Biologie und Ökologie der jeweiligen 4.3 Ex-situ-Erhaltung und cken und potenziell für den Menschen Art ab. Dabei ist eine möglichst lokale Wiederansiedlung gefährdeter von Nutzen sind. Dies betrifft sowohl Bewirtschaftung der Fische (also nach Blütenpfanzen wildlebende Arten als auch Nutztiere Einzugsgebiet) anzustreben (Vonlan- und Kulturpfanzen. Beispielsweise then und Hefti 2016). Bis sich die Be- Neben vielen wichtigen Zielen des dienen die Erhaltung lokal angepass- satzmassnahmen z. B. als Folge von er- Naturschutzes, wie die Erhaltung der ter Fischpopulationen oder Wildfor- folgreichen Gewässerrenaturierungen Lebensräume in-situ, lautet eines der men unserer Kulturpfanzen der Er- erübrigen, wird die Bewirtschaftung Ziele die langfristige Sicherung gene- nährungssicherheit, die Erhaltung von der Fischbestände mittels den oben be- tischer natürlichen Ressourcen, die un- Waldbäumen und Wildpfanzen der schriebenen genetisch kontrollierten ter anderem durch Ex-situ-Erhaltung, nachhaltigen Sicherung von Ökosys- Massnahmen optimiert. Vermehrung und Wiederansiedlung er- temleistungen. Bei morphologisch schwer zu be- reicht werden kann. Die Global Stra- stimmenden Arten, wie zum Beispiel tegy for Plant Conservation der Bio- bei der Gattung der Felchen, sind gene- diversitätskonvention (CBD) fordert 5.1 Stärkung von Fisch- tische Hilfsmittel zur Artbestimmung jeden Vertragsstaat auf, bis 2020 bis popu­lationen: Lokale Herkunft unumgänglich. Als taxonomischen 75 Prozent (544 Taxa für die Schweiz) und Genetik sind wichtig «Beifang» konnten vor zwei Jahren der gefährdeten heimischen Pfanzen- aufgrund genetischer Untersuchungen arten (725 Taxa) in allgemein zugängli- Die Lebensraumfragmentierung und 8 bis 10 zusätzliche Arten identifziert chen Einrichtungen mit Ex-situ-Erhal- Nutzungsinteressen führen zu unüber- werden (BAFU-EAWAG-Projekt: Fel- tungsmassnahmen aufzunehmen und legten Aussetzungen von Fischpopula- chenvielfalt der Schweizer Seen mit 20 Prozent (145 Taxa) für Wiederan- tionen aus verschiedenen Einzugsge- drei Modulen: taxonomische Revision; siedlungsmassnahmen zur Verfügung bieten mit unterschiedlichen ökologi- Zusammenstellung über Taxonomie, zu stellen. In dem vom BAFU fnan- schen und genetischen Eigenschaften. Ökologie und Evolution; Selz et al. zierten Pilotprojekt zur Ex-situ-Erhal- Der Einsatz von Fischen spielt bei der 2017) – eine unverhoffte, wenn auch tung und Wiederansiedlung gefährde- fschereilichen Bewirtschaftung nach nur theoretische Bereicherung der ein- ter Blütenpfanzen wurden bereits ein wie vor eine wichtige Rolle (Besatz). heimischen Biodiversität. gutes Netzwerk aufgebaut, verschie- Künstlich aufgezogene Fische werden dene wichtige Fragen beantwortet und dabei in bestehenden Fischpopulatio- wissenschaftlich fundierte Konzepte nen freigelassen. Für eine nachhaltige 5.2 Regionale Saatgutzentralen zur Ex-situ-Erhaltung und Ansiedlung Bewirtschaftung ist es dabei wichtig, und Crop wild relatives (CWR) erarbeitet, die 2015 an der Konferenz dass die genetischen Eigenschaften ein- «Ex-situ-Erhaltung und Ansiedlung ge- zelner Populationen einer Art erhalten «Regiofora» (www.regiofora.ch) ist fährdeter Pfanzenarten» präsentiert bleiben und so wenig wie möglich in die das Schweizer Portal zur Förderung wurden (www.infofora.ch/de/fora/an- vorhandenen evolutiven Prozesse ein- der regionalen Vielfalt im Grünland. siedlung/tagung-2015.html). Als logi- gegriffen wird. Es wird deshalb empfoh- Durch die Verwendung von regiona- sche Konsequenz will das BAFU im len, dass wenn die natürliche Fortpfan- lem Saatgut für Direktbegrünungen Folgeprojekt 2017–2021 mit Markus Fi- zung in einem Gewässer funktioniert, wird dem genetischen Verlust regional scher der UniBE das Netzwerk aus For- immer auf Besatzmassnahmen verzich- angepasster Wildpfanzen auf Wiesen schungsinstituten, Botanischen Gär- tet werden soll. Falls Besatzungsmass- und Weiden, an Strassenböschungen, ten, naturschutzrelevanten Behörden, nahmen notwendig sind, sollen die Be- auf Naturschutzfächen, Biodiversitäts- Umweltbüros und dem Datenzentrum satzfsche möglichst im gleichen Ge- förderfächen, Skipisten oder Rekulti- Info Flora ausbauen und wissenschaft- wässer und geografsch möglichst nahe vierungsfächen entgegengewirkt. «Re- lich begleitete Förderprojekte zuguns- zum Besatzort beschafft werden (Von- giofora» ist ein Projekt von Pro Na- ten 100 gefährdeter Pfanzenarten (was lanthen und Hefti 2016). Diese Mass- tura Schweiz, unterstützt durch BAFU, 14 % der in der Schweiz gefährdeten nahmen haben zum Ziel, die Erhal- BLW und andere Partnerinstitutionen. Pfanzenarten entspricht) durchführen, tung der genetischen Vielfalt innerhalb Diese sind am Aufbau eines Spender- für welche die Schweiz eine besondere und zwischen den Populationen­ sowie fächenkatasters für die Ansaat stand- Verantwortung trägt. Dabei sollen po- das Anpassungspotenzial der Fischar- ortgerechter Wiesen beteiligt. Dafür pulationsbiologische Aspekte in bei- ten zu gewährleisten (siehe auch Rell- werden Gebiete in der Schweiz gemel- spielhafter Weise berücksichtigt, offene stab et al. in diesem Band). Anhand von det, die sich durch Arten und Populati- Fragen geklärt und Beratungen geleis- standardisierten DNA-Analysen kön- onen mit genetischen und anderen Be- tet werden. nen die genetischen Eigenschaften der sonderheiten auszeichnen.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 68 Forum für Wissen 2017

Das BAFU fördert seit Jahren den PGREL) des BLW. Pfanzengenetische meinsame Erhaltungsstrategien def- Aufbau und die Vermittlung von prak- Ressourcen sind auch Bestandteil der niert, technische Leitlinien entwickelt tischen Informationen zur Verwendung nationalen Biodiversitätsstrategie. Das und Forschungsprojekte initiiert. Die von standörtlich und regional ange- BLW fördert die Erhaltung und nach- Schweiz ist Mitglied bei EUFORGEN passten Pfanzen. Zum Beispiel wurde haltige Nutzung von alten Sorten von und beteiligt sich seit 1997 aktiv in den anlässlich des Europäischen Natur- Kulturpfanzen, zusammen mit pri- Netzwerken und Arbeitsgruppen. Da- schutzjahrs von 1995 (ENSJ’95; BU- vaten und öffentlichen Erhaltungsor- bei hat sie sich verpfichtet, nationale WAL 1997) einerseits die Wildpfan- ganisationen (Pro Specie Rara, Fruc- Generhaltungsgebiete (gene conserva- zen-Infostelle als Vermittlungspor- tus u.a.m.). Von 2015 bis 2018 läuft die tion units, GCU) auszuscheiden und tal zwischen Wildstaudenproduzenten fünfte Förderphase in Form von Leis- sich am paneuropäischen Verfahren zu und Konsumenten aufgebaut (Info tungsaufträgen oder Finanzhilfen an beteiligen. Im Rahmen des nationalen Flora überarbeitet momentan das Por- Projekte, damit alte Kulturpfanzen ge- Konzepts «Forstliche Genressourcen tal) und andererseits die innovative funden, erhalten, sicher bestimmt und und Klimawandel» stehen Überlegun- Idee der regionalen Saatgutzentralen beschrieben werden können, um sie für gen an, wie bestehende und zusätzlich konkretisiert. Beide Angebote basie- die Ernährung und die Landwirtschaft begründete Sonder- oder Naturwald- ren auf den Empfehlungen der vorma- nutzbar zu machen. Agroscope betreibt reservate, die bestimmte Voraussetzun- ligen Schweizerischen Kommission zur die Nationale Genbank (BDN) für PG- gen erfüllen, eine zusätzliche Funktion Erhaltung der Wildpfanzen (SKEW- REL. Dort werden auch jene Sorten, als sogenannte Generhaltungsgebiete CPS), deren Aufgaben das nationale welche über Samen vermehrt werden, übernehmen könnten (Rudow 2016). Daten- und Informationszentrum Info gesichert. Das bisher diesem Zweck dienende In- Flora übernommen hat. strument der «Wälder von besonderem Zur Bewahrung und nachhaltigen genetischem Interesse» (kurz BGI- Nutzung der Agrobiodiversität unter- 5.3 Generhaltungsgebiete im Wald Wälder) (Bonfils und Bolliger 2003) stützt das Bundesamt für Landwirt- mit baumartenspezifschen Zielsetzun- schaft (BLW) Initiativen und Partner- Als Folge der Waldsterbediskussion gen soll also mittel- bis langfristig ins schaften für die Erhaltung der Viel- der 80er-Jahre schuf der Bund «Gen- Waldreservatnetz integriert werden. falt von genetischen Ressourcen, reservate» zur In-situ-Erhaltung gene- Dabei sollen unterschiedliche Ansprü- Arten und Ökosystemen im Zusam- tischer Vielfalt von Waldbäumen und che berücksichtigt werden, zum Bei- menhang mit der Landwirtschaft. In Sträuchern. Aufgrund ihrer tragenden spiel dass Eingriffe in gewisse Schutz- diesem Rahmen fnden Förderungs- Rolle in Waldökosystemen ist die ge- gebiete unerwünscht und als störend massnahmen für mit Kulturpfanzen netische Vielfalt der Baumarten ein empfunden werden, während Bewirt- verwandte Wildarten (Crop wild relati- Garant für die nachhaltige Sicherung schaftungsmassnahmen in Generhal- ves, CWR) zwecks Erhaltung der pfan- von Waldleistungen, gerade auch un- tungswäldern nötig sind. Eine Heraus- zengenetischen Ressourcen (Genpools ter sich rasch ändernden Umweltbe- forderung besteht darin, dass weder von Kulturpfanzen) statt. Unter Ein- dingungen, zum Beispiel als Folge des aktuelle Daten über den Zustand der bezug der internationalen Defnition Klimawandels. Ausgewiesene Samen- in Frage kommenden Waldbestände für CWR und deren gewählten Metho- erntebestände (Kataster) und Ex-situ- (z. B. Verjüngungszustand) noch ent- dik wurden die CWR der Schweiz def- Samenernte- und Erhaltungsplanta- sprechende Pfegekonzepte vorhan- niert. 83 Prozent der Schweizer Flora gen von Bund und Kantonen für die den sind. Zur Behebung heutiger De- kann als CWR bezeichnet werden. Mit- einheimischen Hauptbaumarten und fzite hat das BAFU die ETH Zürich tels Experteneinschätzung zum Poten- einige Nebenbaumarten sind aufge- mit spezifschen Leistungen beauftragt. zial der Wildpfanzen in Bezug zu ihren führt (vgl. Gugerli et al. 2015), aber verwandten Kulturpfanzen wurde eine eine systematische qualitative Über- prioritäre CWR-Artenliste mit 143 Ar- prüfung der genetischen Eigenschaften ten erarbeitet. Aufgrund von Aktions- (Ökotypen) fehlt bisher. Jedenfalls be- 6 Literatur feldern und ihren Zielen, welche die stehen die nationalen Handlungsziele ad hoc Gruppe bezüglich der Erhal- bis 2030 unter anderem in der gezielten Biebach. I.; Keller, L., 2017: Inzucht und tung und nachhaltigen Nutzung von Auswahl der Provenienzen des forstli- ihre Bedeutung für den Naturschutz. CWR erarbeitete, wird der allgemeine chen Vermehrungsgutes bei der Jung- WSL Ber. 60: 15–22. Handlungsbedarf abgeleitet. Weiter waldpfege sowie im Ausscheiden von Bolliger, J.; Gugerli, F., 2017: Isoliert oder zeigen Fallstudien zu drei CWR-Ar- Samenerntebeständen durch die Kan- vernetzt? Auswirkungen der Landschaft ten den artspezifschen Handlungsbe- tone, um die Anpassungsfähigkeit und auf den Genfuss. WSL Ber. 60: 23–29. darf auf. Diese Resultate sind die ers- das Überleben der sich daraus entwi- Bühler, C.; Dubey, S., 2017: Application de ten Schritte auf dem Weg zu einer na- ckelnden Waldbestände langfristig zu la génétique de la conservation dans les tionalen CWR-Strategie und wichtig sichern (Imesch et al. 2015). In den bureaux d’études en écologie. WSL Ber. zur Verankerung der CWR-Thematik letzten Jahren wurde durch EUFOR- 60: 77–82. im Nationalen Aktionsplan für pfan- GEN das Fundament für eine paneu- Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2012a: zengenetische Ressourcen für Ernäh- ropäisch koordinierte Erhaltung forst- Strategie Biodiversität Schweiz. Ausar- rung und Landwirtschaft (kurz Natio- genetischer Ressourcen geschaffen, das beitung einer Strategie zur Erhaltung und naler Aktionsplan PGREL oder NAP- den Erfahrungsaustausch fördert, ge- Förderung der Biodiversität in Erfüllung

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 69

der Massnahme 69 (Ziel 13, Art. 14, Ab- Cruickshank, S.S., 2017: Dealing with ropean snake species. Scientifc Reports schnitt 5) der Legislaturplanung 2007– uncertainty in amphibian and reptile po- 7: 12 S. 2011. Bern, Bundesamt für Umwelt. 89 S. pulation monitoring for conservation. Mark, K.; Cornejo, C.; Keller, C.; Flück, Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2012b: Dissertation, Universität Zürich. D.; Scheidegger, C., 2016: Barcoding li- Konzept Artenförderung Schweiz. Cruickshank, S.S.; Jansen van Rensburg, chen-forming fungi using 454 pyrose- Grundlagen für den Aktionsplan zur A.; Brandt, H.; Ozgul, A.; Schmidt, B.R., quencing is challenged by artifactual and Strategie Biodiversität Schweiz im Be- 2017: Demographic and genetic analysis biological sequence variation. Genome reich Artenförderung - Handlungsfeld of an isolated population network of an 59, 9: 685–704. II.2 Artenförderung mit Beiträgen zu endangered amphibian under habitat ma- Müller, R. P., 2016: Genetic assessments of weiteren Handlungsfeldern. Bern, Bun- nagement. Unpubliziertes Manuskript, translocations: a case study of two endan- desamt für Umwelt. 64 S. Universität Zürich. gered amphibians. Masterarbeit, Univer- Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2016: For- Dufresnes, C.; Di Santo, L.; Leuenberger, sität Zürich. schungskonzept Umwelt für die Jahre J.; Schuerch, J.; Mazepa, G.; Grandjean, Rellstab, C.; Fischer, M.C.; Csencsics, D.; 2017–2020. Schwerpunkte, Forschungsbe- N.; Canestrelli, D.; Perrin, N.; Dubey, Gugerli, F.; Holderegger, R., 2017: Be- reiche und prioritäre Forschungsthemen. S., 2017: Cryptic invasion of Italian pool deutung der lokalen Anpassung in der Bern, Bundesamt für Umwelt. 70 S. frogs (Pelophylax bergeri) across Western Naturschutzgenetik. WSL Ber. 60: 31–37. Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2017a: Ak- Europe unraveled by multilocus phylo- Rigling, D.; Prospero, S.; Hölling, D.; tionsplan Strategie Biodiversität Schweiz. geography. Biol. Invasions 19: 1407–1429. Schöbel, C.; Cornejo, C.; Schneider, S.; Bern, Bundesamt für Umwelt. 50 S. Gugerli, F.; Holderegger, R.; Bolliger, Meier, F.; Dubach, V.; Queloz, V., 2016: Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2017b: M., 2015: Genetische Ressourcen. In: Überwachung von besonders gefährli- Liste der National Prioritären Arten Waldbericht 2015: Zustand und Nutzung chen Schadorganismen für den Wald – und Lebensräume. Prioritäre Arten und des Schweizer Waldes. Bern, Bundesamt Jahresbericht 2016. Eigd. Forschungsan- Lebensräume für die Förderung in der für Umwelt BAFU. 82–83. stalt für Wald, Schnee und Landschaft Schweiz. Bern, Bundesamt für Umwelt. Holderegger, R.; Segelbacher, G. (Hrsg.), WSL, Birmensdorf. 53 S. 89 S. 2016: Naturschutzgenetik – Ein Hand- Rudow, A., 2016: Generhaltung in Waldreser- Bundesamt für Umwelt, Wald und Land- buch für die Praxis. Bern, Haupt. 247 S. vaten. Schweiz. Z. Forstwes. 167: 344–347. schaft (BUWAL) 1997: Einzelideen für Imesch, N.; Stadler, B.; Bolliger, M.; Selz, O.; Vonlanthen, P.; Seehausen, O., Natur und Landschaft. Erste Serie Voll- Schneider, O., 2015: Biodiversität im 2017: Felchenvielfalt der Schweizer Seen. version. Bern, Bundesamt für Umwelt. Wald: Ziele und Massnahmen. Vollzugs- Zwischenbericht zum Modul 1 Taxono- Bonfils, P.; Bolliger, M., 2003: Wälder hilfe zur Erhaltung und Förderung der mische Revision zum BAFU-EAWAG- von besonderem genetischem Interesse biologischen Vielfalt im Schweizer Wald. Projekt. Eigd. Wasserforschungsinstitut (BGI-Wälder). Bern, Bundesamt für Um- Bundesamt fur Umwelt, Bern. 186 S. Eawag, Kastanienbaum. 19 S. welt. 60 S. Kindler, C. ; Chèvre, M.; Ursenbacher, S.; Staub, C.; Ott, W.; Heusi, F.; Klingler, G.; Brandt, H., 2015: Dispersal in a metapo- Böhme, W.; Hille, A.; Jablonski, D.; Vam- Jenny, A.; Häcki, M.; Hauser, A., 2011: pulation of the yellow-bellied toad: does berger, M.; Uwe Fritz, U., 2017: Hyb- Indikatoren für Ökosystemleistungen: conservation action work? Masterarbeit, ridization patterns in two contact zones Systematik, Methodik und Um-setzungs- Universität Zürich. of grass snakes reveal a new Central Eu- empfehlungen für eine wohlfahrtsbe- zogene Umweltberichterstattung. Bern, Bundesamt für Umwelt BAFU. 106 S. Abstract Tschudin, P.; Eggenberg, S.; Fivaz, S.; Jutzi, Signifcance of conservation genetics for federal authorities M.; Sanchez, A.; Schnyder, N.; Senn-Ir- Genetic methods are increasing in their relevance as practical tools in conserva- let, B.; Gonseth, Y., 2017: Endemiten der tion. Also federal agencies are applying these methods, mainly in the implemen- Schweiz – Methode und Liste, Schluss- tation of the protection (management) of and plant populations, and for bericht. Bern, Bundesamt für Umwelt the identifcation of taxa that are diffcult to morphologically distinguish when it BAFU. 37 S. comes to the surveillance (monitoring, implementation success) of biodiversity. Vonlanthen, P.; Hefti, D., 2016: Genetik Since 2012, the federal council has affrmed the importance of maintaining and und Fischerei. Zusammenfassung der ge- promoting genetic diversity. To do so, the national action plan should particularly netischen Studien und Empfehlungen für support the strategic aims of gene conservation units (forest trees, regional foras, die Bewirtschaftung. Bern, Bundesamt wild relatives of cultivated crops) and measures for ex-situ preservation and trans- für Umwelt BAFU. 90 S. locations (plants, ). In the course of implementing the “ecological infra- structure”, it may be important knowing to what degree landscape features affect gene fow among populations and their habitat use.

Keywords: areas of concern, conservation, genetic diversity, genetic ressources, governance, landscape genetics, population assignment, species management

WSL Berichte, Heft 60, 2017

Forum für Wissen 2017: 71–76 71

Naturschutzgenetik aus Ökobürosicht – Chancen und Erfahrungen

Conny Thiel-Egenter

FORNAT AG, Bergstrasse 162, CH-8032 Zürich [email protected]

Sei es bei der funktionellen räumlichen Vernetzung in Wildtierkorridoren, bei Tauchgänge, Reusen und ähnliches ist der Früherkennung von aquatischen Neozoen oder der Wiederansiedlung von der Nachweis von Fischen in der An- seltenen Pfanzenarten: Mit herkömmlichen feldökologischen Methoden stos- fangsphase jedoch nicht realistisch. Zur sen Ökobüros bei der Beantwortung von Naturschutzfragen an Grenzen. Na- Umsetzung der Strategie soll den kan- turschutzgenetische Methoden eröffnen hier neue Wege, wie ein Praxisbeispiel tonalen Neobiota- und Fischereiverant- zur Vernetzung des Ameisen-Bläulings in mehreren Kantonen zeigt. Allerdings wortlichen daher empfohlen werden, gibt es Hindernisse und Probleme bei der Anwendung naturschutzgenetischer die Präsenz von Schwarzmeergrundeln Methoden, wie hohe Kosten, lange Projektdauer, schwierige Interpretation und in gewissen Gewässern mittels Umwelt- heikle Umsetzung in die Praxis. Ökobüros müssen deshalb Partnerschaften mit DNA (eDNA) zu untersuchen (Meier Forschungsinstituten oder Stiftungen eingehen. Sie nehmen dabei eine wichtige und Stapfer 2017, in diesem Band). Funktion bei der praxisnahen Vermittlung der Resultate an den Auftraggeber ein. Auch bei der Wiederansiedlung von In der heutigen Naturschutzpraxis werden naturschutzgenetische Methoden bei Arten oder der Stärkung von beispiels- Nicht-Modell-Arten fast nur dank solchen Allianzen angewendet und sind da- weise kleinen und isolierten Populatio- durch für den Auftraggeber bezahlbar. nen tappt die Naturschutzpraxis ohne genetische Methoden im Dunkeln: Welche Populationen sind als Spender 1 Neue Chancen durch die den Arten über die Kantons- oder Lan- zu empfehlen? Während genetische Anwendung von desgrenzen hinaus konzipiert sind, wäre Untersuchungen bei Wiederansiedlun- naturschutzgenetischen jedoch das Erfassen von «Langdistanz- gen von Säugetieren und Vögeln heute Methoden Wanderern» wünschenswert. Wenn auf wohl als Standard angesehen werden einer Grünbrücke im Mittelland nicht können (vgl. genetische Begleitung Als klassisches «Ökobüro» befasst sich nur «ein Hirsch» sondern ein weit- Wiederansiedlung Bartgeier, geneti- Fornat (Forschung für Naturschutz und gewanderter «Hirsch aus einer Zent- sche Untersuchung Steinbockkolonien; Naturnutzung) seit bald 40 Jahren mit ralschweizer Population» nachgewiesen Biebach und Keller 2017, in diesem Naturschutzthemen an der Schnitt- werden kann, so wäre die Funktionali- Band), ist dies bei anderen Artengrup- stelle zwischen angewandter Forschung tät dieser Vernetzungsstruktur viel bes- pen erst selten der Fall. Gerade bei sel- und Praxis. Schon in der Gründungszeit ser dokumentiert. tenen Pfanzenarten werden Umsied- wurden neue Methoden ausprobiert Herkömmliche Methoden stossen in lungen oder Neuansiedlungen als be- und eingeführt, wie beispielsweise die der Praxis auch bei der Früherkennung liebte Artenschutzmassnahmen häufg Schätzung des Rothirschbestands mit- von invasiven, gebietsfremden Arten vorgenommen. Misserfolge werden tels nächtlicher Scheinwerfertaxatio- an Grenzen. Der Erstnachweis solcher meist den nicht geeigneten oder nicht nen und Dunkelziffer (Blankenhorn unerwünschter Arten erfolgt meist zu- ausreichenden Pfegemassnahmen und et al. 1979), oder die Erfolgskontrolle fällig, und oft erst in einem späten Sta- den unzureichenden ökologischen Be- von Wildtier-Vernetzungsmassnahmen dium, welches eine Tilgung nicht mehr dingungen am Standort zugeschrieben. mit Infrarot-Kameras. Solche heute eta- zulässt. So wäre zum Beispiel eine frühe Solche Naturschutzfragen rufen nach blierten Methoden können gewisse Fra- Entdeckung invasiver Schwarzmeer- neuen Untersuchungsmethoden. Die gestellungen in der Praxis jedoch nicht grundel-Arten in Schweizer Gewäs- Naturschutzgenetik kann bei der Be- beantworten. sern wichtig für die Verhinderung der antwortung neue Wege eröffnen. In der So steht man mit herkömmlichen aktiven Ausbreitung fussaufwärts resp. Folge sollen Möglichkeiten, Chancen Feldmethoden beispielsweise an, wenn der passiven Verschleppung von Laich und Hindernisse bei der Anwendung es darum geht, die funktionelle räum- mittels Sportbooten in weitere Gewäs- von naturschutzgenetischen Methoden liche Vernetzung von Tier- oder Pfan- ser. Zurzeit hat sich die Schwarzmund- im praktischen Naturschutz und Arten- zenarten nachzuweisen. Mit Fotofal- Grundel (Neogobius melanostomus) management aufgezeigt werden. Dabei len kann in einer Wirkungskontrolle vom Rhein-Hafen bei Basel bis nach stützt sich der Text auf Beispiele aus ei- zwar festgestellt werden, ob beispiels- Rheinfelden ausgebreitet. Gemäss der genen Projekten, aus Projekten mit de- weise eine Vernetzungsstruktur in ei- Strategie Schwarzmeergrundeln der nen Fornat konfrontiert war, sowie auf nem Wildtierkorridor von den Zielar- AGIN-D (Arbeitsgruppe invasive Neo- die Erfahrung aus der Zusammenar- ten genutzt wird. Gerade bei Korridoren zoen der Kantone) soll eine weitere beit mit Auftraggebern wie kantonale von überregionaler Bedeutung, welche Ausbreitung zwingend gestoppt werden Naturschutzfachstellen. auf die Vernetzung von weit migrieren- (Dönni et al. 2016). Durch Abfschung,

WSL Berichte, Heft 60, 2017 72 Forum für Wissen 2017

Beispiel: Allianz von Ökobüros und diese Grundlagen deshalb erarbeitet Verbesserung der Vernetzung). Forschung für die Vernetzung des werden. – Auswahl von Populationen, welche Ameisen-Bläulings in drei Kantonen Herkömmliche feldökologische Me- prioritär vernetzt werden sollen. thoden wie die Farb-Markierung von – Ermittlung von möglichen Ausbrei- Der Lungenenzian-Ameisenbläuling Tagfaltern für die Fang-Wiederfangme- tungsbarrieren (z. B. Siedlungen, in- (Kleiner Moorbläuling, Phengaris [Ma- thode eignen sich aufgrund des grossen tensives Kulturland) und Vernet- culinea] alcon, Abb. 1) legt seine Eier Aufwands, der eingeschränkten Aussa- zungsstrukturen mit Defnition von vorwiegend auf Lungen- oder Schwal- gekraft oder der Gefährdung von Rest- Massnahmen zur Überwindung von benwurzenziane (Gentiana pneumo- populationen hierzu nicht. Auf Initia- Barrieren und zum gezielten Ein- nanthe, G. asclepiadea), und lebt daher tive zweier Ökobüros mit Art- und Ge- satz von Vernetzungselementen. fast ausschliesslich in Flachmooren mit bietskenntnis (Büro für faunistische Vorkommen von einer dieser beiden Felduntersuchungen, G. Dušej und For- Die Resultate dienen als Basis für in Pfanzenarten sowie der entsprechen- nat, D. Keller) wurde mit der WSL (D. die Praxis umsetzbare Empfehlungen den Wirtsameise. Aufgrund des starken Csencsics, R. Holderegger) als Natur- zur gezielten Förderung des Lungen­ Rückgangs der Flachmoore oder nicht schutzgenetik-Expertin und den Na- enzian-Ameisenbläulings. Die Natur- angepasster Bewirtschaftung sind viele turschutz-Fachstellen der Kantone St. schutzbehörden proftieren dabei vom Bestände dieses Bläulings nur noch Gallen, Schwyz und Zug eine Allianz Forschungsinteresse der WSL an der klein und inselartig zerstreut. Der Lun- gebildet und ein populationsgeneti- Anwendung der neuen genetischen genenzian-Ameisenbläuling ist auf der scher Ansatz gewählt: Methode. Die Laborarbeiten werden schweizerischen Roten Liste als «stark An über 25 Standorten wurden je ca. als Eigenleistung der WSL, das Kon- gefährdet» eingestuft und hat höchste 20 Raupen aus den Frasspfanzen ent- zept und die Initialisierung der Zusam- nationale Priorität (BAFU 2011). Es nommen (Abb. 2). Mittels SNP-Ana- menarbeit als Eigenleistung der beiden wird angenommen, dass die zuneh- lyse (single-nucleotide polymorphisms) Ökobüros durchgeführt. Aufwand und mende Isolation von Beständen eine und der neuen Methode RADseq (re- Ertrag bleiben damit für die fnanzie- weitere Gefährdungsursache darstellt striction site-associated DNA sequen- renden Kantone in einem geeigneten und zum Aussterben von (Teil-)Popula- cing) werden die Raupen genetisch Verhältnis. Hierdurch konnte das Pro- tionen führen kann (Dušej et al. 2008). analysiert. jekt überhaupt erst lanciert werden. Für den langfristigen Schutz und die Mit den Analysen soll Folgendes er- Förderung des Lungenenzian-Amei- örtert werden: senbläulings in der Schweiz müssen – Vernetzungs- respektive Isolations- (Teil-)Populationen deshalb gezielt grad zwischen den Tagfalter-Popula- 2 Hindernisse und Probleme miteinander vernetzt werden. Hierzu tionen an den untersuchten Stand- bei der Anwendung von müssen zuerst die aktuelle Vernet- orten sowie ihre möglichen Ausbrei- naturschutzgenetischen zungssituation, die effektiven Ausbrei- tungsdistanzen. Methoden in der Praxis tungsdistanzen der Tagfalter, die Funk- – Bezeichnung von (genetisch) beson- tionalität von Vernetzungselementen ders gefährdeten Populationen mit Naturschutzgenetische Untersuchungs­ sowie allfällig vorhandene Ausbrei- Vorschlägen zu Schutzmassnahmen methoden weisen gegenüber herkömm­ ­­ tungsbarrieren bekannt sein. In einem (z. B. Anpassung der Bewirtschaf- lichen­ Feldmethoden bei gewissen Fra- Pilotprojekt in drei Kantonen sollen tung, Erhaltung des Lebensraums, gestellungen viele Vorteile auf, respek-

Abb. 1. Die Bestände des Lungenenzian-Ameisenbläulings sind stark Abb. 2. Sammel-Standorte (rote Punkte) des Lungenenzian- zurückgegangen und inselartig zerstreut. Foto: Goran Dušej. Ameisen­bläulings für die populationsgenetische Untersuchung. Kartengrundlage: Swisstopo.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 73 tive ermöglichen erst gewisse Fragen Beispiel: Umsetzung des Aktions­ zu beantworten. Literatur und Anwen- plans Frauenschuh (Cypripedium dungsbeispiele zu naturschutzgeneti- calceolus) schen Projekten nehmen deshalb ste- tig zu. Trotzdem werden naturschutzge- Im Kanton Aargau konnten bisher nur netische Methoden heute in der Praxis noch 18 der bekannten rund 140 histo- von Ökobüros noch wenig angewandt. rischen Vorkommen des Frauenschuhs Nicht zuletzt weil solche Methoden bei bestätigt werden (Abb. 3, Thiel-Egen- den entsprechenden Behörden oder bei ter 2009). Die Abteilung Landschaft Bauherren nicht bekannt sind und von und Gewässer des Aargaus hat diese diesen nicht fnanziert werden. Einige attraktive Art deshalb als Handlungs- Hindernisse und Probleme bei der An- art defniert, für die der Kanton hohe wendung von naturschutzgenetischen Verantwortung zum Schutz und zur Methoden in der Praxis sollen hier be- Förderung übernimmt. In einem Ak- sprochen werden. tionsplan sind Massnahmen für diese Orchidee defniert wie die gezielte Standortpfege, die Förderung der Be- 2.1 Hohe Kosten und lange stäuber, die künstliche Bestäubung, Projektdauer Samenausbreitung vor Ort aber auch Neugründungen mit Ex-situ-Kulturen Abb. 3. Der Frauenschuh (Cypripedium cal- Ein häufges Hindernis für die Anwen- aus nahe gelegenen Spenderpopulatio- ceolus) ist im Kanton Aargau stark zurück- dung genetischer Methoden in Natur- nen (Thiel-Egenter 2009). In den letz- gegangen und soll mit einem Aktionsplan schutz und Wildtiermanagement sind ten acht Jahren wurde vor allem in die gezielt geschützt und gefördert werden. erfahrungsgemäss die hohen Kosten. Standortaufwertung und das Monito- Foto: Conny Thiel-Egenter Insbesondere Auftraggeber aus kleine- ring investiert. Dabei hat sich gezeigt, ren Verwaltungen schrecken vor ver- dass einzelne Individuen gar nie Blüten meintlich aufwändigen Genetik-Pro- entwickelten und der durchschnittliche jekten zurück. Gerade bei geringem Fruchtansatz an den Standorten unter- Die hohen fnanziellen Aufwändun- Budget fokussieren Fachstellen ver- schiedlich tief ausfällt. Auffällig nied- gen standen im Kanton Aargau bisher mehrt auf die praktische Umsetzung rig ist an allen Standorten die Anzahl der Finanzierung einer naturschutzge- von konkreten Naturschutzmassnah- neuer Keimlinge. An einigen Standor- netischen Untersuchung im Wege. Dies men anstelle von Konzepten, Moni- ten ist ausserdem die natürliche Her- ist insofern verständlich, als noch wei- toring oder Grundlagenarbeiten. Als kunft der Pfanzen in Frage gestellt. tere rund 120 Tier- und Pfanzenarten Grundlagenarbeiten werden Unter- Aktuell prüft die kantonale Fachstelle als Handlungsarten des Kantons gelis- suchungen mit genetischen Methoden das Ausbringen von ex-situ kultivierten tet sind. So wurden bisher schnell um- denn auch häufg angesehen, und des- Pfanzen an bestehenden oder neuen setzbare, unkomplizierte Erhaltungs- halb als Aufgabe der Forschung ver- Standorten. und Fördermassnahmen im Sinn von standen. Bei Erfolgskontrollen im Rah- Ob die festgestellten Fitnesspro- Sofortmassnahmen in den Vorder- men von Wiederherstellung und Ersatz bleme der Populationen genetische Ur- grund gestellt. Sollen in Zukunft auch bei Bauprojekten besteht vermutlich sachen haben, welche Populationen weitere Massnahmen des Aktionsplans noch wenig Erfahrung über die (Zah- miteinander vernetzt sind, und ob In- wie die ex-situ Kultur, Neugründung lungs-)Bereitschaft für genetische Me- dividuen fremder Herkunft ausgesetzt und Populationsstützung umgesetzt thoden. Im Hinblick auf eine zukünf- wurden – all diese Fragen lassen sich werden, so wäre es für den effzien- tige Erfolgskontrolle einer geplanten nur mit genetischen Methoden klären. ten und langfristigen Schutz des Frau- Grünbrücke über die Autobahn A1 Sie sind letztlich die Grundlage für den enschuhs zu hoffen, dass naturschutz- wollte die Jagdverwaltung des Kantons Entscheid, ob und welche Populatio- genetische Untersuchungen Licht ins Aargau die genetische Fragmentierung nen sich als Spender für Neuansiedlun- Dunkel bringen können. der lokalen Rehpopulationen eruieren. gen oder zur lokalen Populationsstär- Die gemeinsam mit der WSL gewonne- kung eignen. Mikrosatellitenanalysen nen Resultate dieser landschaftsgene- haben in Dänemark gezeigt, dass inner- 2.2 Schwierige Umsetzung in tischen Untersuchung können dereinst halb und zwischen den einzigen zwei die Praxis für die Wirkungskontrolle herangezo- überlebenden Frauenschuh-Populatio- gen werden (Hepenstrick 2011). Die nen keine genetische Diversität mehr Die Auswertung und Interpretation Bereitschaft, so lange vorauszuplanen vorhanden war (Pedersen et al. 2012). von naturschutzgenetischen Daten ist und erst Jahrzehnte später eine Wir- In Grossbritannien konnten ange- komplex und für Nicht-Genetiker nicht kungskontrolle vorzunehmen, dürfte pfanzte Individuen genetisch ausfndig einfach verständlich und nachvollzieh- bei Auftraggebern jedoch meist nicht gemacht und für das laufende Wieder- bar. Für eine konkrete Umsetzung im vorhanden sein. ansiedlungsprogramm der Naturschutz- praktischen Naturschutz und Wildtier- behörde als Spenderindividuen ausge- management sind die Resultate und schlossen werden (Fay et al. 2009). Erkenntnisse nicht immer so klar und

WSL Berichte, Heft 60, 2017 74 Forum für Wissen 2017 eindeutig wie vom Auftraggeber er- Fischereiverwaltung des Kantons Aar- terial für den Besatz verwendet haben. wünscht. Bei gewissen Fragestellungen gau wollte das Bachforellen- und Be- Die Bachforellen-Populationen zeigten entstehen keine «richtig/falsch-Empfeh- satzmanagement in seinen kantonalen ausserdem eine sehr kleinräumige ge- lungen» sondern können lediglich Stoss- Gewässern überprüfen. An Besatzf- netische Differenzierung, das heisst es richtungen aufgezeigt werden. Oft steht sche wurde bisher einzig die Anforde- fand nur wenig Austausch zwischen ver- zu Beginn eines naturschutzgenetischen rung gestellt, dass sie aus Aargauer Ge- schiedenen Gewässerstandorten statt. Projekts noch nicht fest, wie deutlich die wässern stammen. Denn bisher hat man Diese Differenzierung war jedoch sehr Resultate sein werden, und ob gewisse angenommen, dass es sich bei den Fo- gering: 80 Prozent der paarweisen Ver- Fragestellungen überhaupt beantwor- rellen im Kanton um eine einzige Po- gleiche zwischen den Standorten wiesen tet werden können. Dies kann zwar al- pulation handelt (Departement Bau, nur schwache genetische Unterschiede les auch bei herkömmlichen Feldmetho- Verkehr und Umwelt, 2011). Nun soll- auf (FST zwischen 0 und 0,05). den und deren statistischen Auswertung ten der Effekt des Besatzes eruiert und Die Studie hat unzweifelhaft wich- der Fall sein. Das Misstrauen scheint biologisch sinnvolle Bewirtschaftungs- tige Kenntnisse zur Forellengenetik bei genetischen Methoden jedoch grös- einheiten ausgeschieden werden. Be- geliefert, und es ist den Autoren sehr ser zu sein aufgrund der noch geringen wirtschaftungseinheiten sind Gewäs- gut gelungen, die Erkenntnisse auf ver- Bekanntheit und Anwendung sowie der serbereiche, innerhalb deren Grenzen ständliche Art zu beschreiben. In der oben beschriebenen Kostenintensität. Laichfschfang, Aufzucht und Besatz ge- Praxis dürften die Resultate trotzdem schehen sollen. Hierzu eignete sich ein nicht ganz einfach umzusetzen sein und genetischer Ansatz zur Untersuchung neue Fragen werden entstehen: Was Beispiel: Festlegen von Bewirtschaf­ der Populationsdifferenzierung und der bedeutet beispielsweise die signifkante tungseinheiten für die Bachforelle Verwandtschaftsbeziehung von Forel- aber sehr geringe Differenzierung der mit genetischen Methoden len der Fischzuchtanlage und der Ge- Forellenbestände, und wie relevant ist wässer. Der Kanton Aargau beauftragte sie wirklich für das Management? Wo Aufgrund der Degradierung vieler das Ökobüro Aquabios mit der Unter- genau werden die Grenzen von Bewirt- Fliessgewässer sind Lebensraum und suchung (Volanthen et al. 2017). Die- schaftungseinheiten in einem durch- Fortpfanzungsmöglichkeiten von Bach­ ses konnte zeigen, dass zwar Genfuss gängigen Gewässer gezogen? Was ge- forellen (Salmo trutta) mehr oder we- zwischen Besatzmaterial und Forellen- schieht, wenn Aufstiegshindernisse und niger stark beeinträchtigt. Zur Unter- bestand in den Gewässern stattfand, damit «genetische Barrieren» entfernt stützung der Fortpfanzung der Forellen die lokalen Bestände sich aber von den werden? sowie auch zur Erhaltung der Angel- Besatzfschen genetisch unterschieden. Hätte die Fischereifachstelle die ge- fscherei wird daher von den meisten Vonlanthen et al. (2017) konnte damit netischen Resultate 1:1 in die Praxis Kantonen ein an die lokalen Gewässer auch aufzeigen, dass Fischzuchtanlagen umsetzen wollen, so wären daraus über angepasster Fischbesatz unterstützt. Die bislang ungeeignetes genetisches Ma- 100 Bewirtschaftungseinheiten ent-

Abb. 4. Bewirtschaftungseinheiten (BWE) für die Forelle am Beispiel der Bünz im Kanton Aargau. Links: Anzahl BWE basierend auf der genetischen Untersuchung (differenzierte Forellenpopulationen); rechts: redimensionierte Anzahl BWE für die Praxis (Vonlanthen et al. 2017).

WSL Berichte, Heft 60, 2017 Forum für Wissen 2017 75 standen (Abb. 4). Eine separate Be- wirtschaftung jedes einzelnen Gewäs- sers ist jedoch nicht praxistauglich. Ge- meinsam haben Auftragnehmer und Fischereibehörde deshalb die Anzahl Bewirtschaftungseinheiten auf 35 redu- ziert. Ob diese immer noch anschau- liche Zahl an Gewässerabschnitten handhabbar ist, und ob die Massnah- men der Förderung lokal angepasster Forellenpopulationen wirklich dienen, wird sich durch zukünftiges Monitoring weisen.

Beispiel: Hybridisierung von Sika- und Rothirsch

Zurzeit wandern Rothirsche (Cervus elaphus) in viele neue, in den letzten Jahrhunderten durch die Art unbesie- delte Gebiete im Mittelland wieder ein. Diese erfolgreiche Wiederbesied- lung birgt insbesondere in der Nord- Abb. 5. Geschätzte Verbreitung von Sika- (rot) und Rothirsch (gelb) in deren möglichem ostschweiz jedoch eine (zu) wenig dis- Überschneidungsgebiet der Nordostschweiz basierend auf Daten von Arndt (2013) so- kutierte Gefahr: Der aus Ost-Asien wie Angaben der kantonalen Jagdverwaltungen und von Jagdrevieren. Kartengrundlage: stammende Sikahirsch (Cervus nip- Swisstopo. pon) kommt im Grenzgebiet der Kan- tone Schaffhausen, Zürich und Aargau vor und gehört zur länderübergreifen- den Population in Baden-Württem- reine Rothirsche. Diese starke gene- Jägerschaft akzeptiert noch von Tier- berg. Die Zürcher Rothirschpopulatio- tische Vermischung basiert erstaunli- schutzkreisen toleriert. So wird es wohl nen im Tössbergland und in der Region cherweise auf nur wenigen Hybridisie- mit oder ohne genetische Analyse da- Zimmerberg und Albis liegen in rund rungsereignissen (Senn 2009). bei bleiben, dass die Kantone Zürich 30 km Entfernung zu den Sikavorkom- Auch wenn zwischen den heutigen und Schaffhausen versuchen, den Sika- men im Rafzer Feld (Abb. 5). Der Sika- Rothirsch- und Sikavorkommen einige bestand jagdlich bezüglich Raum und hirsch ist nah verwandt mit dem Rot- Hindernisse und unterbrochene Wild- Anzahl in Grenzen zu halten und die hirsch und die beiden Arten können tierkorridore liegen, wird es früher weitere Ausbreitung zu verhindern. sich kreuzen. Durch die Hybridisierung oder später zu einer Überlappung der ist die genetische Integrität des Rot- Bestände kommen. Nicht auszuschlies- hirschs bedroht. Sika-Rothirsch-Hy- sen ist, dass es auf deutscher Seite be- briden bringen fruchtbare Nachkom- reits zu Kreuzungen gekommen ist. 3 Literatur men mit Hybridmerkmalen hervor. Ab Daher wäre eine frühzeitige geneti- der 2. Generation hingegen kann eine sche Untersuchung von auf der Jagd Arndt, G., 2013: Erfassung des Sikawildbe- Unterscheidung zum genetisch reinen erlegten Sika- und Rothirschen im standes im Bereich des Sikavorkommens Rothirsch phänotypisch sehr schwierig Überlappungsgebiet und dessen Um- Hochrhein «Klettgaurücken» Im Auftrag werden. In Schottland existieren Hyb- kreis aufschlussreich. Unabhängig von der Gemeinden Klettgau, Hohentengen ridrudel, die vor der genetischen Un- den Ergebnissen dürfte sich jedoch die und Dettighofen. tersuchung als reine Rothirschrudel Umsetzung von Massnahmen als poli- BAFU, 2011: Liste der National Prioritä- betrachtet wurden (Senn 2009). Die tisch heikel und praktisch sehr schwie- ren Arten. Arten mit nationaler Priorität Studie in Schottland zeigte auch, dass rig erweisen. Ein selektiver Abschuss für die Erhaltung und Förderung, Stand es meistens die Sikastiere sind, die sich von Hybridhirschen ist aufgrund der 2010. Bundesamt für Umwelt, Bern. Um- mit ansässigen Rothirschkühen ver- äusserlichen Ähnlichkeiten schwierig. welt-Vollzug Nr. 1103: 132 S. paaren. Das Hybridkalb wächst dann Ein Totalabschuss von Sikawild wäre Biebach. I.; Keller, L., 2017: Inzucht und in der Rothirschpopulation auf und auch mit grossem Aufwand kaum zu ihre Bedeutung für den Naturschutz. verbreitet dort das Erbgut des Sika- erreichen, zumal die grosse Quell-Po- WSL Ber. 60: 15–22. hirschs. In einem untersuchten Gebiet pulation mit geschätzten 700 Tieren Blankenhorn, H.J.; Buchli, Ch.; Voser, P.; in Westschottland, wo die beiden Arten auf deutscher Seite (Arndt 2013) lau- Berger, Chr., 1979: Bericht zum Hirsch- um 1970 erstmals in Kontakt kamen, fend Nachschub liefert. Zudem würde problem im Engadin und im Münstertal. existieren heute nur noch 40 Prozent ein Totalabschuss wohl weder von der Proget d’ ecologia, Zernez. 160 S.

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Departement Bau, Verkehr und Umwelt, dium calceolus (Orchidaceae) with a fo- Senn, H.V., 2009: Hybridisation between Abteilung Wald, 2011: Fischbesatz im cus on north-western Europe, as revealed red deer (Cervus elaphus) and Japanese Kanton Aargau, Besatzkonzept. by plastid DNA length polymorphisms. sika (C. nippon) on the Kintyre Penin- Dönni, W.; Thiel-Egenter C.; Walther, G.- Ann. Bot. 104: 517–525. sula, Scotland. PhD-Thesis, University of R.; Knutti, A.; Bittner, D.; Scarselli, Hepenstrick, D., 2011: Spannende For- Edinburg. M.; Hamburger, D.; Zopfi, D.; Fischer, schung an Rehen im Wildtierkorridor Su- Thiel-Egenter, C., 2009: Aktionsplan Frau- D.; Buckelmüller, J.; Schwendener, S.; ret. Umwelt Aargau 51: 35–36. enschuh (Cypripedium calceolus) Kanton Holm, P., 2016: Schwarzmeergrundeln Meier, R.; Stapfer, A., 2017: Werkzeugkas- Aargau (Stand 2016), Abteilung Land- Schweiz - Eine Strategie von KVU und ten für genetische Methoden in der Bio- schaft und Gewässer, Departement Bau, JFK, erstellt durch die AGIN-D. diversitätsförderung. WSL Ber. 60: 49–56. Verkehr und Umwelt, Kanton Aargau. Dušej G.; Wermeille, E.; Carron, G., 2008: Pedersen, H.Æ.; Rasmussen, H.N.; Kahan- Volanthen, P.; Kreienbühl, T.; Schmid, C., Aktionsplan Nr. 9, Kleiner Moorbläuling dawala, I.M.; Fay, M.F., 2012: Genetic di- 2017: Populationsgenetische Untersu- (Maculinea alcon). versity, compatibility patterns and seed chung der Forellen im Kanton Aargau. Fay, M.F.; Bone, R.; Cook, P.; Kahanda- quality in isolated populations of Cyp- Aquabios GmbH im Auftrag des Depar- wala, I.; Greensmith, J.; Harris, J.; Pe- ripedium calceolus (Orchidaceae). Con- tements Bau, Verkehr und Umwelt, Sek- dersen, H.Æ.; Ingrouille, M.J.; Lexer, serv. Genet. 13: 89–98. tion Jagd und Fischerei, Kanton Aargau. C., 2009: Genetic diversity in Cypripe-

Abstract Conservation genetics from the perspective of ecological consultancies – chances and experiences Whether it be the functional spatial connectivity of wildlife corridors, early detection of aquatic alien species or the re-introduction of rare plant species, ecological consultancies are pushed to their limits when answering nature conservation issues using conventional methods. Here methods in conservation genetics open up new pathways, as a practical example of the connection of the Alcon blue in several cantons shows. However, there are constraints and problems in applying conservation genetic methods, such as high costs, long project duration, diffcult interpretation of data and delicate practical implementation. Ecological consultancies must therefore collaborate with research institutes and foundations. In doing so, they take on an important role in practically conveying the results to the client. In today’s practical conservation, genetic methods using non-model species are mainly applied due to such alliances, which also make them affordable for clients.

Keywords: conservation genetic methods, ecological consultancy, alliances with research institutes and foundations, population connectivity, detection of alien species, hybridization of species

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Application de la génétique de la conservation dans les bureaux d’études en écologie

Christoph Bühler1 et Sylvain Dubey2,3

1 Hintermann & Weber AG, Austrasse 2a, CH-4153 Reinach 2 Hintermann & Weber SA, rue de l’Eglise-Catholique 9b, CH-1820 Montreux 3 Département d’Ecologie et d’Evolution, Biophore, Université de Lausanne, CH-1015 Lausanne [email protected], [email protected]

Les analyses génétiques offrent de nouvelles perspectives en conservation. Nous rents et vont des programmes de suivi détaillons ici l’application de la génétique de la conservation dans les bureaux au niveau national aux programmes de d’études en écologie en illustrant les différentes possibilités par des exemples conservation des espèces pour les can- concrets concernant: (i) l’analyse de processus écologiques (écologie des popula- tons ou les régions, parfois simplement tions), (ii) la détermination d’espèces locales et invasives, (iii) des inventaires d’es- pour la protection d’une seule popula- pèces par le biais de l’ADN environnemental, et (iv) l’estimation de la diversité gé- tion d’une espèce rare. Holderegger nétique au sein d’une espèce. et Segelbacher (2016) ont décrit en détail la mise en application de la gé- 1 Introduction raisons de fragments d’ADN offrent de nétique de la conservation. Nous sui- nouvelles perspectives tout en mettant vons ici cette structure thématique et Les bureaux d’études en écologie tra- en évidence encore quantités d’autres présentons d’une manière analogue vaillent dans le domaine de la protec- informations qui peuvent diffcilement quelques exemples de la façon dont tion de la nature et du paysage pour être obtenue par le biais d’autres tech- les méthodes génétiques moléculaires les autorités, des institutions ou des en- niques: Quelle est la parenté entre les in- pourraient contribuer à répondre aux treprises. Les clients mandatent les bu- dividus et quelle est leur origine géogra- questions du client. reaux pour sous-traiter les travaux qui phique? Quelle distance ont-ils parcou- vont au-delà de leurs propres capaci- rue? Souffrent-ils de consanguinité? Il tés. La plupart du temps, il s’agit de est à présent possible d’identifer des es- 2.1 Analyser les processus projets et de questions très spécifques pèces endémiques ou des sous-espèces écologiques (écologie des rencontrés quotidiennement dans leurs et de les distinguer des espèces intro- populations) activités. Les biologistes des bureaux duites ou des hybrides issus d’individus d’études en écologie travaillent dans relâchés dans la nature. Si la génétique L’analyse des processus écologiques, ce sens, comme des «artisans» qui re- moléculaire est encore majoritairement tels que par exemple le comporte- prennent les travaux de «construction» utilisée dans la recherche, elle com- ment spatial des individus, la compéti- de leurs clients. Souvent, il s’agit de mence à être appliquée de manière rou- tion interspécifque, ou encore la pré- travaux liés à la biologie de la conser- tinière. Les exemples suivants montrent dation, est important pour la conserva- vation, comprenant des projets et me- où son emploi a déjà fait ses preuves tion d’espèces menacées. En effet, leurs sures en faveur de la biodiversité à pré- ou où il pourrait se généraliser dans le connaissances sont des prérequis pour voir ou à mettre en œuvre. La qualité futur. Surtout, l’analyse de l’ADN pré- élaborer des plans de conservation ef- des habitats, l’état des populations des sent dans l’environnement (ADNe) fcaces. espèces concernées, et l’évolution de la ouvre de nouvelles portes concernant Les autorités en charge de la conser- biodiversité sont toujours des thèmes les suivis faunistiques, puisqu’il permet vation de la nature ou les ONG mettent centraux. Étant donné que les délais de détecter la présence d’espèces, par en place des plans de conservation des pour fournir des résultats sont souvent exemple dans un étang, par un simple espèces, des projets de mises en réseau courts et que le coût doit être aussi bas prélèvement d’eau. d’habitats ou des plans d’actions vi- que possible, seules des méthodes bien sant à promouvoir les espèces subissant établies sont utilisées. de fortes contraintes environnemen- Actuellement, un vent de révolution tales. Pour que ces mesures soient eff- souffe sur la biologie de la conservation 2 Applications dans nos caces, il est essentiel de comprendre le et ses outils. De nouvelles méthodes de projets: comportement spatial de la faune. En génétique moléculaire offrent un grand amont du plan d’action en faveur du nombre de perspectives, par exemple Répondre aux questions en lien avec crapaud calamite (Epidalea calamita; dans la détection d’espèces rares, dans l’état et l’évolution de la biodiversité Fig. 1) du canton d’Argovie, il s’agis- la planifcation de programmes de pro- et la documenter est l’une des com- sait tout d’abord de clarifer si les dif- tection des espèces, ou lors du suivi des pétences de base d’un grand nombre férentes populations présentes dans mesures de projets de mise en réseau de bureaux d’études en écologie. Les la zone agricole du Suhretal étaient d’habitats et de populations. Les compa- thèmes abordés peuvent être très diffé- connectées (fréquents échanges d’in-

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Fig. 1. Site de ponte dans une zone agricole, une mesure effcace à la conservation du crapaud calamite (Epidalea calamita)? Le canton d’Argovie souhaitait une réponse à cette question avant de fnancer des mesures de ce type. Photos: Christoph Bühler, Sylvain Dubey.

dividus) et représentaient une mé- seront favorables à la consolidation de minué de 68 % et ayant été rempla- tapopulation viable sur le long terme cette population. cée par la blennie. En outre, la condi- ou s’il s’agissait uniquement de petites Les espèces non indigènes peuvent tion physique des serpents a augmenté stations isolées et potentiellement en avoir de forts impacts sur la biodi- considérablement après l’arrivée de la danger d’extinction. Cette question a versité en affectant les relations tro- blennie. Concernant la couleuvre vipé- été adressée par une étude compre- phiques dans leurs nouveaux environ- rine, nous avons trouvé un effet signi- nant deux parties. Une première par- nements. La couleuvre tessellée (Na- fcatif de la régulation des couleuvres tie ayant pour but de localiser les lieux trix tessellata) a été introduite dans le tessellées sur leur condition physique. utilisés pendant la période d’activité et lac Léman, où une espèce en voie d’ex- Ces découvertes ont des implications comme abris, ainsi que les mouvements tinction, la couleuvre vipérine (Natrix importantes concernant la conserva- à petite échelle. Ces résultats sont is- maura) est présente. Le déclin drama- tion de la couleuvre vipérine, car cette sus d’un suivi de crapauds munis d’un tique de la population de couleuvre vi- nouvelle proie abondante pourrait ré- émetteur (Schweizer 2014). La deu- périne pourrait être associé à l’appa- duire fortement la compétition alimen- xième partie de l’étude s’est concen- rition de la couleuvre tessellée par le taire entre les deux espèces de serpent trée sur la connectivité à plus grande biais d’une compétition alimentaire, et la régulation de la couleuvre tes- échelle, soit celle entre les huit stations ces deux espèces se nourrissant prin- sellée semble infuencer positivement de crapauds (distantes de plusieurs ki- cipalement de Chabot (Cottus gobio). les couleuvres vipérines (Dubey et al. lomètres et distribuées à travers la val- En réponse à ce déclin, un programme 2015). lée). Une comparaison des séquences de contrôle de la couleuvre tessellée a d’ADN de 284 individus a procuré des été mis en place en 2007 pour réduire informations assez précises sur la pro- les effectifs de ce serpent introduit. En 2.2 Détermination des espèces venance des crapauds calamites en 2010, une nouvelle espèce de poisson, l’espace d’une génération (Frei et al. la blennie fuviatile (Salaria fuviati- L’identifcation d’espèces est une 2016). L’obtention de tels résultats lis), qui partage le même habitat que condition préalable nécessaire à la pro- n’aurait jamais été possible par le biais le chabot, a été introduite accidentelle- tection légale des espèces vulnérables d’un suivi standard plus laborieux et ment dans le lac Léman et a atteint des et prioritaires. Les espèces discrètes ou devant être effectué sur de nombreuses densités très élevées. Nous avons déter- prêtant à confusion, ainsi que les es- années pour fournir des résultats ex- miné l’impact de la blennie sur la com- pèces invasives étroitement apparen- ploitables. Conjointement aux résultats position du régime alimentaire et la tées, sont la cause de problèmes im- de la radio télémétrie, les analyses gé- condition physique des couleuvres tes- portants en conservation. Cependant, nétiques ont démontré que la popula- sellées. Nous avons recueilli 294 cou- ceux-ci peuvent être résolus plus facile- tion de crapauds vivant dans la zone leuvres tessellées entre 2007 et 2013. A ment avec l’aide de la génétique. agricole est viable et interconnectée et l’aide d’un marqueur génétique, nous Les résultats des recherches géné- ne constitue pas seulement une popu- avons identifé les espèces de poissons tiques de ces dernières années ont mon- lation «puit» ne survivant que grâce à contenues dans les estomacs de la cou- tré que, en Europe centrale, au moins une immigration permanente des zones leuvre tessellée. Nous avons trouvé un 4 espèces de grenouilles du genre Pe- avoisinantes «sources». Par conséquent, changement radical dans le régime des lophylax ont été introduites, plu- les mesures de conservation en faveur serpents après l’arrivée de la blennie, tôt qu’une seule espèce, la grenouille du crapaud calamite en zone agricole la consommation de chabot ayant di- rieuse (P. ridibundus; Dubey et al. 2014,

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2017; Dubey et Dufresnes 2017). En ris ont été trouvées. Les résultats des exemple dans un milieu aquatique (en effectuant une analyse génétique par analyses génétiques se sont révélés être prélevant un simple échantillon d’eau), le biais de frottis buccaux sur 48 indivi- surprenants. En effet, 5 quartiers avec telles que des poissons, amphibiens ou dus, nous avons étudié quelles espèces la présence du rare oreillard gris ont mammifères, a permis le développe- sont présentes dans la région de la Pe- été détectés. Ces résultats montrent ment de compagnies privées spéciali- tite Camargue Alsacienne, une réserve que le canton de Bâle-Ville a une res- sées dans ce type d’analyses et propo- naturelle au nord de Bâle. Pour chaque ponsabilité importante concernant la sant des prestations à des prix abor- individu, un gène mitochondrial et un conservation d’espèces nationales prio- dables. Par ce biais, il est désormais gène de l’ADN nucléaire ont été analy- ritaires de chauves-souris. Les données possible d’effectuer des suivis d’es- sés et comparés aux séquences d’ADN recueillies fournissent également des pèces aquatiques avec de l’ADNe à des publiées dans des bases de données gé- informations importantes sur le déve- prix qui peuvent être (beaucoup) plus nétiques. Sur la base des résultats, on loppement des colonies individuelles abordables que des suivis standards peut dire (1) qu’au moins cinq espèces et constituent une base pour un pro- (détection à vue, pêche électrique ou de Pelophylax sont présentes, (2) qu‘il gramme national de suivi prévu pour avec des nasses; voir par exemple Davy y a une forte introgression génétique les oreillards. et al. 2015) et avec moins d’impact sur entre les espèces avec la présence de l’environnement. De plus, ceux-ci per- nombreux hybrides, (3) et que la petite mettent une bonne détectabilité des grenouille verte P. lessonae, endémique 2.3 Inventaire des espèces espèces rares (Valentini et al. 2016). du centre de l’Europe, n’est plus pré- Bien que l’analyse de l’ADNe ne donne sente dans la zone d’étude. Par consé- Depuis quelques années, un certain pas toujours des résultats complets (ab- quent, les cartes de distribution régio- nombre d’études basées sur des ana- sence de détection d’une espèce mal- nales existantes des espèces du genre lyses de l’ADN environnemental gré sa présence), il est possible d’ef- Pelophylax devraient être révisées sur (ADNe: ADN présent dans l’environ- fectuer des inventaires de routine sur la base de ces constatations. nement, tel que l’eau, par ex. par le la base de son analyse, plus particuliè- En raison de leur activité nocturne et biais des sécrétions et excréments dé- rement en Europe où le nombre d’es- de leurs quartiers parfois inaccessibles, posés par les organismes) ont été pu- pèces d’amphibiens est limité. De plus, les chauves-souris sont des organismes bliées dans des revues internationales l’analyse de l’ADNe permet de mettre diffciles à étudier. Les chauves-sou- en lien avec la biologie de la conser- en évidence des espèces cryptiques ou ris sont des vertébrés jouissant d’une vation et le suivi de populations (voir diffciles à observer en raison d’une vé- haute priorité de conservation, qui sont revue de Shaw et al. 2017). Ces tech- gétation aquatique importante ou des suivis par un grand nombre d’ama- niques étaient dans un premier temps eaux turbides. teurs. Cependant, il n’y a que peu de réservées principalement aux milieux Un test pratique portant sur 10 données concernant leurs quartiers, et universitaires et considérées comme points d’eau, dans le cadre d’un suivi ceci même dans les zones urbaines. Les onéreuses. Cependant, l’effcacité de des amphibiens du canton d’Argo- églises et les vieilles écoles possédant celles-ci pour détecter des espèces, par vie, a confrmé l’aptitude du procédé des accès à l’intérieur de leur toit de- puis l’extérieur sont des quartiers po- tentiellement attractifs pour certaines espèces de chauve-souris, telles que le grand murin (Myotis myotis) et les oreillards roux et gris (Plecotus auritus, P. austriacus; Fig. 2). Ces deux derniers sont assez similaires morphologique- ment. Puisque, comme chez d’autres es- pèces de chauve-souris, les individus ne sont pas présents dans une colonie pen- dant toute l’année et souvent diffcile- ment accessibles, la détermination au moyen des excréments offre une alter- native intéressante. Celle-ci nécessite une analyse génétique de l’ADN pré- sent dans les excréments. En 2016, à la demande de la ville de Bâle, 25 églises ayant un fort potentiel pour les espèces de chauve-souris utilisant les habita- tions ont été sélectionnées et exami- nées. Pour chaque église, une visite a été Fig. 2. La détermination des espèces à l’aide de l’ADN contenu dans leurs excréments est effectuée afn d’y rechercher des quar- avantageuse pour des espèces cryptiques ou inaccessibles. Ainsi, l’analyse génétique a tiers potentiels. Dans 11 bâtiments, des prouvé l’existence de cinq stations d’oreillard gris (Plecotus austriacus) inconnues jusqu’à preuves de la présence de chauves-sou- présent à Bâle. Photo: Dietmar Nill.

WSL Berichte, Heft 60, 2017 80 Forum für Wissen 2017 de détection, permettant par exemple met de réduire très fortement le temps lon demi-deuil (Melanargia galathea) d’identifer une nouvelle population passé à effectuer un suivi sur le ter- effectuée par le WSL (Schmid et al. de triton crêté. Bien que l’analyse de rain (0,5–1 h par site) par rapport à un 2015), qui combine les analyses géné- l’ADNe ne soit pas en mesure de rem- suivi classique (chasse à vue et pose de tiques avec le travail de terrain effectué placer le travail sur le terrain de plus de nasse) et par conséquent l’impact sur par les bureaux d’études en écologie. 90 bénévoles effectuant des suivis de les milieux naturels. Par le biais du MBD (Monitoring de la populations d’amphibiens chaque an- Biodiversité en Suisse), il a été possible née dans le canton d’Argovie, les ana- en un court laps de temps de collecter lyses génétiques fournissent une mé- 2.4 Etude de la diversité génétique un nombre d’individus suffsant pour thode de détection puissante lorsque le effectuer des analyses génétiques (Fig. travail de terrain conventionnel atteint La surveillance de la biodiversité est 4). Le MBD est un projet de la Confé- ses limites (par exemple: points d’eau une responsabilité fédérale. La diver- dération, qui est organisé et coordonné diffciles d’accès ou envahis par la végé- sité génétique, ainsi que la diversité par un bureau d’études en écologie. Le tation et eau turbide). des espèces et des habitats, sont des travail de terrain est effectué par des Cette année, nous avons analysé, en niveaux d’organisation distincts de la indépendants. Le demi-deuil est une collaboration avec Spygen (www.spy- biodiversité. Leur importance pratique espèce adéquate pour effectuer un mo- gen.com), des échantillons provenant est reconnue principalement pour la nitoring génétique, car ce papillon est de 65 étangs dans le but de déterminer viabilité de populations d’espèces rares un spécialiste des prairies sèches et est la présence (i) d’une espèce menacée (p. ex. baisse de la capacité à faire face considéré comme une espèce indica- dans le secteur du Chablais vaudois, le à des changements environnementaux trice dans de nombreux projets de mise triton crêté (Triturus cristatus; Fig. 3) en cas de perte de diversité génétique en réseau des habitats. La diversité gé- et (ii) d’une espèce de triton invasive au sein des populations), mais a aussi nétique du demi-deuil a été déterminée dans le canton de Genève (Lissotri- été montrée d’une manière plus géné- au moyen de microsatellites. Quatre ton vulgaris merdidionalis). De plus, la rale chez des semis de plantes de pâ- indicateurs de la diversité génétique technique utilisée, (NGS: next genera- turage, certaines lignées génétiques ont été utilisés, tels que la richesse al- tion sequencing) permettant de détec- locales étant plus vigoureuses que lélique et le degré d’hétérozygotie. ter la totalité des espèces d’amphibiens d’autres qui étaient de provenances D’après les données, 4 groupes géné- présentent dans un échantillon d’eau et géographiques plus éloignées (Bucha- tiques différents, structurés essentielle- non qu’une seule espèce cible, un suivi rova et al. 2017). Ce résultat montre ment par la topographie des Alpes et des différentes espèces d’amphibiens que l’importance de l’adaptation géné- les refuges pendant la dernière glacia- présentes dans les sites a pu être effec- tique devrait être considérée dans les tion, ont été détectés chez cette espèce. tué. Ces résultats ont ensuite été com- mesures de conservation (Durka et al. Toutefois, la taille des populations et parés à des données obtenues par le 2016). L’étude de l’état de la diversité les fux génétiques infuent directement biais de suivis standards. Les résultats génétique dans le cadre d’un suivi de sur les mesures de diversité génétique. montrent qu’il est possible de déter- la biodiversité nationale est donc plei- Il n’est donc pas encore clair de quelle miner la présence de ces deux espèces nement justifée. Les indicateurs qui re- manière les données doivent être in- d’une manière effcace avec l’ADNe, fètent la diversité génétique sont per- terprétées et quelle est l’infuence de ainsi que les autres espèces d’amphi- tinents, mais nécessitent encore d’être l’homme sur ces mesures. D’une ma- biens présentes dans les points d’eau développés (Hoban et al. 2014). Une nière plus générale, l’utilisation de la analysés. De plus, cette technique per- première étape est l’étude sur le papil- diversité génétique comme indicateur

Fig. 3. Exemple de prélèvement d’eau sur le terrain pour effectuer des analyses d’ADNe dans le cadre d’un suivi du triton crêté dans le canton de Vaud. Photos: Sylvain Dubey.

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Fig. 4. Instruction du personnel sur le terrain pour capturer les papillons: les programmes de suivi existants permettent d’effectuer des prélèvements pour les analyses génétiques d’une manière effcace et avec peu d’effort supplémentaire, par exemple pour le demi-deuil (Melanargia galathea). Photos: Salome Reutimann, Thomas Stalling.

national est techniquement réalisable, velopper et d’optimiser les méthodes bridogenetic descendant. Sci. Rep. 7: les nouvelles méthodes d’analyses gé- permettant d’effectuer des inventaires 12768. nétiques étant particulièrement per- d’insectes à large échelle, en analysant Dubey, S.; Leuenberger, J.; Perrin, N., 2014: formantes lorsque l’étude d’un grand par exemple les contenus de pièges à Multiple origins of invasive and « native » nombre d’échantillons est nécessaire. insectes. Afn de pouvoir obtenir des water frogs (Pelophylax spp.) in Switzer- Il reste à améliorer nos connaissances informations, issues d’analyses géné- land. Biol. J. Linn. Soc. 112: 442–449. concernant l’interprétation des résul- tiques, aussi fables que possible pour Dubey, S.; Christe, P.; Formenti, V.; Staub, tats en rapport avec les espèces cibles. un nombre croissant de groupes taxono- E.; Schuerch, J.; Glaizot, O.; Ursen- Cependant, avec le MBD comme pro- miques, il est important de progressive- bacher, S., 2015: Introduced freshwa- jet à long terme de la Confédération ment compléter les banques de données. ter blenny infuences the diet and body et la disponibilité des analyses molécu- Finalement, les méthodes génétiques condition of the invasive dice snake in laires couplée aux échantillons du de- (estimation des fux de gènes entre Lake Geneva. J. Wildl. Manage. 79: 338– mi-deuil déjà récoltés, la situation ini- les populations) permettant d’estimer 343. tiale est meilleure que jamais. l’effcacité des mesures favorisant la Dufresnes, C.; Di Santo, L.; Leuenberger, connexion des populations devraient J.; Schuerch, J.; Mazepa, G.; Grandjean, être utilisées d’une manière plus systé- N.; Canestrelli, D.; Perrin, N.; Dubey, matique, ce qui permettrait de pouvoir S., 2017: Cryptic invasion of Italian pool 3 Besoins importants à comparer les effets et de mieux les in- frogs (Pelophylax bergeri) across Western l’avenir terpréter. Europe unraveled by multilocus phylo- geography. Biol. Invasions 19: 1407–1420. Malgré la précision actuelle et la Durka, W.; Michalski, S.G.; Berendzen, grande effcacité des techniques d’ana- K.W.; Bossdorf, O.; Bucharova, A.; Her- lyses génétiques, il est important de 4 Références mann, J.M.; Hölzel, N.; Kollmann, J., pouvoir mieux connaître l’effcacité de 2016: Genetic differentiation within mul- celles-ci, particulièrement concernant Bucharova, A.; Michalski, S.; Hermann, J.- tiple common grassland plants supports l’ADNe et p.ex. la probabilité de détec- M.; Heveling, K.; Durka, W.; Hölzel, N.; seed transfer zones for ecological restora- tion d’une espèce en lien avec sa den- Kollmann, J.; Bossdorf, O., 2017: Gene- tion. J. Appl. Ecol. 54: 116–126. sité et le type de points d’eau échantil- tic differentiation and regional adapta- Frei, M.; Csencsics, D.; Brodbeck, S.; lonnés. En effet, la présence potentielle tion among seed origins used for grass- Schweizer, E.; Bühler, C.; Gugerli, F.; de faux négatifs dans de telles analyses land restoration: lessons from a multispe- Bolliger, J., 2016: Combining landscape est un point important, qu’il est néces- cies transplant experiment. J. Appl. Ecol. genetics, radio-tracking and long-term saire de considérer lorsque des me- 54: 127–136. monitoring to derive management impli- sures de conservations sont basées sur Davy, C.M.; Kidd, A.G.; Wilson. C.C., 2015: cations for Natterjack toads (Epidalea ca- ce type de suivis. Development and validation of environ- lamita) in agricultural landscapes. J. Nat. Dans un contexte de monitoring de la mental DNA (eDNA) markers for de- Conserv. 32: 22–34. biodiversité, Il est aussi urgent de com- tection of freshwater turtles. PLoS One. Hoban S.; Arntzen J.A.; Bruford M.W; pléter les banques de données géné- 2015; 10: e0130965. Godoy J.A.; Hoezel A.R.; Segelbacher tiques concernant les organismes aqua- Dubey, S.; Dufresnes, C., 2017. An extinct G.; Vila C.; Bertorelle G., 2014: Com- tiques (invertébrés), ainsi que de dé- vertebrate preserved by its living hy- parative evaluation of potential indica-

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tors and temporal sampling protocols for baugebiet. Bachelorarbeit, unpubliziert. Pont D.; Argillier C.; Baudoin J.M.; Pe- monitoring genetic erosion. Evol. Appl. Zürcher Hochschule für Angewandte roux T.; Crivelli A.J.; Olivier A.; Ac- 7: 984–999. Wissenschaften, Wädenswil. queberge M.; Le Brun M.; Møller P.R.; Holderegger, R.; Segelbacher, G., 2016: Shaw, J.L.A., Weyrich, L.; Cooper, A., 2017: Willerslev E.; Dejean T., 2016: Next-ge- Naturschutzgenetik. Ein Handbuch für Using environmental (e)DNA sequen- neration monitoring of aquatic biodiver- die Praxis. Bern, Haupt. 248 S. cing for aquatic biodiversity surveys: a sity using environmental DNA metabar- Schmid, M.; Birrer, S.; Bolliger, J.; beginner’s guide. Mar. Freshw. Res. 68, coding. Mol. Ecol. 25: 929–942. Csencsics, D.; Gugerli, F., 2015: Mo- 20–33. nitoring genetischer Vielfalt: Fallbeis- Valentini, A.; Taberlet P.; Miaud C.; Ci- piel Schachbrettfalter. INSIDE Natur vade R.; Herder J.; Thomsen P.F.; Bel- Landschaft 1/15: 19–24. lemain E.; Besnard A.; Coissac E.; Schweizer E., 2014: Raumnutzung der Boyer F.; Gaboriaud C.; Jean P.; Pou- Kreuzkröte (Bufo calamita) im Acker- let N.; Roset N.; Copp G.H.; Geniez P.;

Abstract Application of conservation genetics in consulting frms on environment Genetic analyses offer new perspectives and allow responding various questions relevant to conservation, e.g.: what is the kinship of individuals and their geogra- phic origin? How far are they dispersing? Are they suffering from inbreeding? It is also possible to identify endemic species or subspecies, as well as invasive spe- cies and their hybrids with local species. Importantly, the analysis of environmental DNA (eDNA) is opening new doors concerning wildlife monitoring, as it renders possible to detect the presence of species in water bodies, by a basic sampling of water. Here we illustrate these different possibilities and their limits with concrete studies about species determination and inventories, ecological processes, and ge- netic diversity, in various vertebrate species and in a butterfy species distributed throughout Switzerland.

Keywords: biodiversity monitoring, environmental DNA, species identifcation, species inventory, vertebrates, .

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