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Rahlstedter Jahrbuch für Geschichte & Kultur

2020

Geflüster in Rahlstedt – Auf dem Ohlendorffturm „…ein so fürchterlicher Barbier“ – Das Kaufhaus Möller Historischer dänischer Vermessungspunkt – Das Ebersmoor Liliencrons Netzwerke – 100 Jahre Tischlerei Schmekal Rahlstedter Jahrbuch für Geschichte & Kultur 2020

Inhalt

Vorwort von Werner Jansen Seite 5

Geflüster in Rahlstedt von Carmen Hansch Seite 6

Auf dem Ohlendorffturm von Alexander Fromhagen Seite 10

„... ein so fürchterlicher Barbier“ von Robert Wohlleben Seite 26

Wir bei BRUNATA-METRONA Postkriptum der Redaktion von Alexander Fromhagen Seite 30 suchen: Kaufhaus Möller – Das Herz von Rahlstedt von Marina Stegner Seite 38  Kundendiensttechniker (m/w/d)  Kaufl eute für Büromanagement (m/w/d) Historischer dänischer Vermessungspunkt (Ausbildung) im Höltigbaum von Werner Jansen Seite 48  Kaufmännische Mitarbeiter (m/w/d)  IT-Spezialisten (m/w/d) Spurensuche: Das Ebersmoor von Alexander Fromhagen Seite 52

Liliencron und... Einblicke in die Netzwerke eines Modernen und seiner Zeit von Volker Wolter Seite 56

100 Jahre Schmekal – eine Familien- und Firmengeschichte aus Meiendorf von Hans-Werner Torsten Schmekal & Claudia Lauschke Seite 90 Wirsetzenauf Nachhaltigkeit

Impressum

Herausgeber: Das Jahrbuch erscheint in Kooperation zwischen dem Rahlstedter Kulturverein e.V. – www.rahlstedter- kulturverein.de –und der WBV Wochenblatt Verlag GmbH Leiter der Geschichtswerkstatt Rahlstedt: Werner Jansen

Für die einzelnen Beiträge zeichnet jeweils der Autor verantwortlich. Die Artikel geben nicht zwangsläufig die Sicherer Nachhaltige Mobilitätskonzepte Ergonomische Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion der Anzeigen liegt in der Verantwortung der Inserenten. Arbeitsplatz mit dem HVV Profiticketund Fahrrad Ausstattung Wirstellen einund setzen VomHVV Profiticketprofitierenund Moderne Büroausstattung Anzeigen: Mediahafen aufeinenachhaltige zu sehr günstigen Konditionen mit einem höhenverstell- Arbeitsplatzsicherung ein neues Fahrrad oderE-Bikenutzen barenSchreibtisch Layout: WBV Wochenblatt Verlag GmbH

Druck: Lehmann Offsetdruck, Norderstedt se geweckt? Haben wir Ihr Interes Rechte: Die Rechte in den Texten und Bildern und die Verant- sich jetzt unter: Dann bewerben Sie wortlichkeit hierfür verbleiben bei den jeweiligen Autoren. e/stellenangebote Alle Rechte, auch des auszugsweisen Nachdrucks, der w.brunata-metrona.d ww fotomechanischen Wiedergabe und der Be- und Weiterverarbeitung per EDV, vorbehalten.

Redaktion: Werner Jansen, Claudia Lauschke, Alexander Fromhagen, Wera Tränckler, Karen Rüffer BeiBRUNATA-METRONA setzen wir traditionell auf Qualität, Zuverlässigkeitund Beständigkeit sowie langfristige Mitarbeiter- und Kundenbindung.Qualifizierte, kundenorientierte Mitarbeiter sind die Basisunseres Erfolgs. Mit spürbarer Qualität bei Dienstleistungen und Geräten sichern sie die Zukunftsfähigkeit unseres Familienunternehmens. HAMBURGER Wochenblatt BRUNATA Wärmemesser Hagen GmbH &Co. KG ▪ Doberaner Weg10 ▪ 22143 Hamburg ▪ www.brunata-metrona.de RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 3 Zum Titelbild Vorwort

Die kolorierte Postkarte von 1905, die aus dem Archiv des Bürgervereins Rahlstedt stammt, zeigt eine Ansicht des Alt-Rahlstedter Bahnhofshotels von Liebe Leserinnen Jonny Godknecht. Das längst verschwundene Gebäude befand sich in der Bahnhofstraße an der Ecke zur Bachstraße, der heutigen Schweriner Straße. Der und liebe Leser! Morgenröte und den dicht belaubten Bäumen nach zu urteilen, entstand die Aufnahme an einem Sommertag zu einer frühen Stunde. Die am Bahnhofsvor- platz gelegene und mit ihrem südlichen Flair so einladend wirkende Terrasse ist Die Corona-Krise hat auch den Rahlstedter Kulturverein getroffen. Viele leider noch geschlossen… Veranstaltungen mussten abgesagt werden. Die Eröffnung der Kulturwochen mit der jährlichen Auftaktveranstaltung in der Parkresidenz Rahlstedt fiel in diesem Ein Artikel über Alt-Rahlstedt, erschienen am 8.6.1905 im Feuilleton der Jahr aus. Dank des Internets konnte das Redaktions-Team des Rahlstedter Abendausgabe der Hamburger Nachrichten und unterzeichnet von Detlev Jahrbuchs regelmäßig kommunizieren. Persönliche Treffen wurden ausgesetzt. Baron Liliencron, Mitglied des Kommunal-Vereins und Lokaldichter, widmet auch dem Bahnhofshotel einen Absatz: Über die Einweihung der Skulptur „Der Flüsterer“ von Hanno Edelmann berichtet unsere Erste Vorsitzende des Kulturvereins, Carmen Hansch, in ihrem Beitrag Das erste Wirtshaus, das alte, weitbekannte, „bestrenommierte“, liegt unmit- „Geflüster in Rahlstedt“. Die Veranstaltung fand mit Unterstützung vieler Firmen telbar am Bahnhof (…). Hier herrscht die liebenswürdige Frau Godknecht und und Privatleute am 15. Juni 2020 in der Rahlstedter Bahnhofstraße statt. ihre schöne Tochter Walburg Pepita Elvira Esmeralda (geboren an den Ufern des Guadalquivirs). Vadder Godknecht un sin Söhn Christel sünn nich to ver- In seinem Artikel über den Ohlendorffturm am Ende der Feldstraße, der heutigen geten. Zwei ausgezeichnete Herren, die ihr Geschäft verstehn. Alles ist dort zu Brockdorffstraße, schildert Alexander Fromhagen die Entstehungsgeschichte des haben. Und wären etwa Maränen oder Sterlett (…) gewünscht: flugs „spielt“ Turms. Der Turm wurde zu Ehren des Gemeindevorstehers Ohlendorff nach dessen das Telephon oder der Telegraph nach Hamburg und mit dem nächsten Zug: Tod 1907 in unmittelbarer Nähe des Wäldchens „Hegen“ errichtet. Historische Siehe da! Fotos zeigen herrliche Blicke auf Alt-Rahlstedt.

Robert Wohlleben, ein Rahlstedter Zeitzeuge, erzählt interessante Geschichten aus seiner Kindheit. „Ein so fürchterlicher Barbier“, erinnert sich der Autor in seinem Beitrag.

Viele Rahlstedter werden sich mit Wehmut an das Kaufhaus Möller erinnern. Marina Stegner behandelt den Werdegang ihres Familienbetriebes. Das einst so traditionsreiche, erfolgreiche Geschäft wurde 2012 aufgrund des veränderten Kaufverhaltens der Kundschaft nach 119 Jahren aufgegeben.

In diesem Jahr feiert die Tischlerei Schmekal in Meiendorf 100-jähriges Bestehen. Claudia Lauschke war verschiedentlich beim Firmenchef Torsten Schmekal, der ihr über wirtschaftlich schwierige Zeiten zur Zeit der Gründung des Betriebes und in späteren Jahren und den Aufschwung ab 1962 berichtete.

Über Liliencron haben wir von Volker Wolter zahlreiche Arbeiten gelesen. In einem weiteren wertvollen Aufsatz lässt der Autor nicht unerwähnt, dass berühmte Dichterkollegen wie Gerhard Hauptmann oder Thomas Mann Liliencron bewunderten.

Wir danken den Autoren und allen Helfern, die uns tatkräftig unterstützen. Ein besonderer Dank dem WBV Wochenblatt Verlag, das für uns das Jahrbuch druckt und Benjamin Grühn für sein ausgezeichnetes Layout.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

Ihr

Werner Jansen (Leiter der Geschichtswerkstatt Rahlstedt)

4 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 5 Carmen Hansch Geflüster in Rahlstedt

Am 15. Juni 2020 war es endlich so- weit. Bei strahlendem Sonnenschein fand die Einweihung der Skulptur „Der Flüsterer“ von Hanno Edelmann (1923-2013) in der Rahlstedter Bahn- hofstraße statt.

„Heute ist ein glücklicher Tag für den Rahlstedter Kulturverein. Wir dür- fen den Rahlstedterinnen und Rahl- stedtern die Skulptur „Der Flüsterer“ übergeben. Kunst für den öffentlichen Raum, für Sie alle“, so begrüßte Car- men Hansch, die erste Vorsitzende des Rahlstedter Kulturvereins, die Gäste.

Ein glücklicher Tag war es für den Kulturverein, weil es bis zur Aufstel- lung viele Hürden zu nehmen gab. Die Skulptur war Teil der Ausstellung „Fi- gurendialog“ des Rahlstedter Kultur- vereins in 2016/2017 mit 12 Großfi- guren der Künstler Hanno Edelmann, Heinz Schrand und Bernd Stöcker im gesamten Rahlstedter Ortskern gewesen. Initiator der Ausstellung war Gerhard Fuchs, Staatsrat a. D., Die Einweihung der Skulptur am 15.06.2020 in der Rahlstedter Bahnhofstraße. V.l.n.r.: Jürgen Klimke, Evelyne Fuchs, Dr. ehemaliger Bezirksamtsleiter und Melanie Braun, Herbert Wenzel, Gerhard Fuchs, Ole Thorben Buschhüter, Carmen Hansch, Thomas Ritzenhoff, verdeckt Mitglied des Vereins (ausführlicher Martina Seeger, Britta Carolus-Meinke Fotos: Carmen Hansch (8), Gigi Pleß (2), Jörg Meyer (1) Bericht zur Ausstellung im Jahrbuch 2017). Der Kulturverein hatte dann dazu aufgerufen, für eine der Skulp- Als letztlich die Mittel da waren, gab es die Firma, die den Untergrund her- turen zu votieren und zu spenden, um stellen sollte, nicht mehr. Erfreulicherweise ist WELA Straßenbau eingesprun- ihr einen dauerhaften Platz im Orts- gen. Verschiedene Schicksalsschläge bei den beteiligten Handwerkern, Corona kern zu sichern. Die Wahl fiel auf den und Urlaube verschoben den Aufstellungstermin, aber im Juni 2020 war es „Flüsterer“. Er musste erneut gegos- geschafft. Grußworte des Bezirksamtsleiters Thomas Ritzenhoff und Gerhard sen werden, weil die in 2016 gezeigte Fuchs, der an das Leben und Wirken des Rahlstedter Künstlers Edelmann er- Figur bei Erika Edelmann, der Witwe innerte, rundeten die Einweihung ab. Die örtliche Presse und ein Fernsehteam des Künstlers, verbleiben sollte. Der des NDR waren vor Ort und berichteten. Kulturverein spendete den Granitso- ckel. Dieser wurde extra hierfür in Der Dank des Kulturvereins gilt der Haspa als Hauptsponsor und allen anderen 2016 angefertigt. Die Idee war, den Spendern und Unterstützern dieser Aktion sowie den beteiligten Firmen: der „Flüsterer“ im oberen Teil der Rahls- Gießerei Wittkamp, der Firma WELA, dem Steinmetz Oliver Weiß, der Firma tedter Bahnhofstraße, im Eingangs- Josuweit und Karl-Heinz Böttger als auch dem Bezirksamt und der Bezirksver- bereich zum Ortskern zu platzieren, sammlung Wandsbek. Ein großer Dank auch an unseren Schatzmeister, Ole um mit Kunst die Besucher zu begrü- Thorben Buschhüter, der den ganzen Prozess begleitet hat. ßen. Bis es soweit war, mussten Spen- „Der Flüsterer“ von Hanno Edelmann (1923-2013) den gesammelt, Angebote für das Nach den erfolgreichen Spendenaktionen für die „Eva“ bei den Wandse- Gießen der Figur und das Herstellen terrassen und für den „Flüsterer“ möchte der Kulturverein in dieser Weise für des Untergrundes mit Fundament Rahlstedt weiter wirken: den öffentlichen Raum aufwerten, zu Diskussionen eingeholt und Haftungsfragen geklärt anregen und neue Künstler präsentieren. werden. Man ahnt anfangs gar nicht, was alles dazu gehört, bis eine Figur dann endlich im Straßenraum steht. Da die Spenden nicht ausreichten, wurde ein Antrag auf einen Zuschuss bei der Bezirksversammlung Wands- bek gestellt und positiv beschlossen. Mehr Bilder zum Aufbau der Skulptur auf der nächsten Seite.

6 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 7 Steinmetz Oliver Weiß und Gießer Michael Wittkamp bei der Montage von Sockel und Skulptur

8 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 9 Alexander Fromhagen Auf dem Ohlendorffturm Ein Alt-Rahlstedter Panorama vor dem ersten Weltkrieg

Fast fünfzig Jahre lang, nämlich von 1907 bis 1956, prägte in der Nähe des kleinen Waldstücks „Hegen“ der ungefähr fünfzehn Meter hohe Ohlendorffturm das Erscheinungs- bild Alt-Rahlstedts. Der Turm, der ein wenig wie der Rest einer mittel- alterlichen Burg anmutete, stand am Ende der Feldstraße (heute: Brock- dorffstraße), an der Abzweigung zur Ohlendorffstraße (heute: Am Ohlen- dorffturm) in Richtung Hegen.

Gewidmet war das Bauwerk Gustav Hermann Ohlendorff (1848-1906), der von 1893 bis zu seinem Tode Ge- meindevorsteher in Alt-Rahlstedt war.1 Während seiner Amtszeit verwandelte sich das kleine holsteinische Dorf zu- sehends in einen Hamburger Vorort. Der Dichter (1844-1909), seit 1901 ebenfalls in Alt-Rahlstedt zu Hause, lobte dessen Wirken in überschwänglichen Worten: Im Feuilleton der Hamburger Nach- richten schrieb er 1905, „unser prächti- ger (…) Amts- und Ortsvorsteher, Herr Ohlendorff, (…) [tut sein] Bestes, um allen Anforderungen gerecht zu werden.“2

Schon kurz nach Ohlendorffs Tod am 2. Februar 1906 reifte die Idee heran, Der Ohlendorffturm, Postkarte von 1907 Archiv Bürgerverein Rahlstedt ihm zu Ehren ein Denkmal zu errichten. Einer der Hauptinitiatoren war offenbar der Fabrikant Edward Grube, der in Alt-Rahlstedt ein Eisenwerk betrieb. Zahlreiche Geld- und Sachspenden von Familien und Firmen aus Rahlstedt und Hamburg ermöglichten bereits ein Jahr später den Baubeginn des „Ohlendorff- Gedächtnisturms“, der dann schließ- lich im August 1908 eröffnet wurde.3

Ein Monument und zugleich ein Aussichtsturm: Im Inneren des aus roten Zie- gelsteinen gemauerten Turms führte eine eiserne Wendeltreppe zu einer Aus- sichtsplattform empor. Von dort aus schweifte der Blick über Felder und Gehöl- ze, über Weide- und Heideflächen. Und natürlich ließen sich von hier oben auch besonders gut die zahlreichen Gründerzeitbauten betrachten, die das Gesicht des einst bäuerlichen Rahlstedt verändert hatten. So war der Turm viele Jahre ein beliebtes Ziel von Ausflüglern und Schulklassen.

Dann jedoch, ein Vierteljahrhundert nach der Eröffnung, begann für den Turm Lageplan des Ohlendorffturms, Skizze die lange Phase des Niedergangs. Der bauliche Zustand wurde immer schlech- Die Blaupause des Entwurfs für den Ohlendorff-Gedächtnisturm von Edward Grube aus dem Jahr 1906 schreibt, wie unten von 1906 Staatsarchiv Hamburg ter, auch eine „gründliche“ Überholung4 konnte den weiteren Verfall nicht rechts zu sehen ist, eine Turmhöhe von 15 Meter und 70 Stufen für die eiserne Wendeltreppe vor Archiv Rahlstedter Kulturverein

10 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 11 verhindern: Die Zeit war über die Idee eines Ohlendorff-Gedächtnisturms Wolkenschatten fliehen über Felder, hinweggegangen. Die Nationalsozialisten benutzen ihn als Flaggenturm für Blau umdunstet stehen ferne Wälder. ihre Hakenkreuzfahnen. Bereits in den späten 1930er Jahren wurde die Treppenkonstruktion aus Sicherheitsgründen gesperrt. Und schließlich, am 11. Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen, November 1956, verschwand der Ohlendorffturm endgültig aus dem Stadtbild: Kommen schreiend an in Wanderzügen. 5 er wurde wegen Baufälligkeit gesprengt. Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen, Im Rahlstedt von heute erinnert nur wenig an das, was da „unter einer großen Überall ein erstes Frühlingslärmen. Staubwolke zusammensank“ (Hamburger Anzeiger vom 13.11.1956).6 Einmal Lustig flattern, Mädchen, deine Bänder, der Straßenname Am Ohlendorffturm. Dann direkt am ehemaligen Stand- Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder. ort ein Findling am Rand eines Parkplatzes vis-à-vis der Bushaltestelle an der Brockdorffstraße: in den Stein eingemeißelt sind der Umriss des Turmes und Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen, ein Hinweis auf den Namenspatron. 7 Und im Supermarkt hinter dem Parkplatz Wollt es halten, mußt es schwimmen lassen. hängen zwei Fotos des historischen Bauwerks.

Vieles ist im Dunkel der Geschichte verschwunden. So lässt sich zum Beispiel nur darüber spekulieren, ob der Rahlstedter Turmbau ein lokales Echo war auf die vielen Bismarck-Türme, die um die Jahrhundertwende im Kaiserreich errichtet wurden. Auch über Gustav Hermann Ohlendorff ist nur wenig bekannt, Das höchste Bauwerk der Gegend: die Der Anfang…: Zeichnungs-Liste (Aus- die Suche nach einem Porträt des einst hochverehrten Gemeindevorstehers Alt-Rahlstedter Kirche schnitt) 1906 Staatsarchiv Hamburg vergebens. Die Kraniche ziehen weiter und ihre an Andererseits fördern Recherchen in den Archiven von Bürgerverein und Trompetenklänge erinnernden Rufe Kulturverein und im Staatsarchiv an der Kattunbleiche einiges zutage. Fotos, verhallen allmählich… Die Ausflügler Postkarten, Notizen und Bauzeichnungen. Mit ihrer Hilfe können wir uns in auf der Plattform, um sich blickend, die Jahre vor dem ersten Weltkrieg zurückversetzen, in denen jedes Kind in entdecken westwärts die Alt-Rahlstedter Rahlstedt den Ohlendorffturm kannte. Und besteigen als Zeitreisende an einem Kirche, das höchste Bauwerk der schönen Frühlingstag im März den damals noch am Rande Alt-Rahlstedts Gegend. Dort, im Zentrum des alten aufragenden Turm… Dorfes, zwischen der Kirche und der Lübecker Straße (heute: Rahlstedter Von der sandigen Feldstraße kommend, sind es acht Stufen den Sockel hinauf zu Straße), sehen sie den großen Hof, einer Art Eingangsportal, das von einer Balustrade gesäumt und von drei Rund- der Ohlendorffs zentrale Wohn- und bögen flankiert wird. Hinter der hölzernen, mit Metallstreben verstärkten Tür Wirkstätte war: Die ehemalige Bau- befindet sich die Wendeltreppe im Inneren des Turms, auf die aus einem schma- ernvogtei9, die Ohlendorff vermutlich len Fenster von oben herab Licht fällt. Beim Aufstieg hallen die Tritte auf den in den späten 1880er Jahren erworben gusseisernen Stufen von den Wänden wider. hatte.10

Auf der Aussichtsplattform angekommen, fasziniert die Weite der Landschaft, Der vielbeschäftigte Mann - im Ad- … und das Ende: Sprengung und Ab- das Spiel der Wolken und der Zug der sich von Süden her nähernden Kraniche ressbuch für Schleswig-Holstein von riss des Ohlendorffturms 1956 – eine Szenerie, die Liliencron in seinem Gedicht „Märztag“ heraufbeschwört:8 1897 als „Hofbesitzer, Gemeinde- Kraniche über Rahlstedt Farbfotografien (10): Alexander Fromhagen, 2019-2020 Archiv Bürgerverein Rahlstedt Vorsteher, Standesbeamter und Amts- Vorsteher“ aufgeführt – hat natürlich nicht alleine auf seinem Hof gewohnt und gearbeitet: Seine Frau Magda Catharina, geb. Rabe (1852-1937), seine Tochter Tony und die Söhne Ernst und Oscar haben dort ebenso gelebt, fanden aber den Gepflogen- heiten der Zeit entsprechend zunächst noch keinen Eingang in die damaligen Adress- und Fernsprechbücher.11

Ohlendorffs Wirken wird in einer Notiz anschaulich, in der ein Zeitgenosse das dörfliche Leben im Alt-Rahlstedt des ausgehenden 19. Jahrhunderts beleuchtet: „Der Ort (…) hatte um das Jahr 1890 eine Einwohnerzahl von 600 Seelen und eine Größe an Flächen- inhalt von ca. 650 ha. Gemeinde- und Amtsvorsteher war zu der Zeit Hermann Ohlendorff, Landmann in Ausschnitt aus dem Provisorischen Bebauungsplan des Villenterrains des Voror- Altrahlstedt, Lübecker Straße, Ge- tes Alt-Rahlstedt von 1900, in der Bildmitte: der Ohlendorff’sche Hof meindestellvertreter Louis Buchwald, Staatsarchiv Hamburg

12 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 13 Bäckerei am Marktplatz. (…) Wie der „Alt-Rahlstedt, welches sich durch Volksmund sagte, war hier [in der seine hohe Lage auszeichnet, hat in Bäckerei] auch die Börse und holte den letzen Jahren einen enormen sich der Amtsvorsteher die Tages- Aufschwung genommen, derselbe neuigkeiten. (…) Die Gemeindevertre- ist hervorgerufen durch die brillante tung bestand in den Jahren 1893/1894 gesunde Luft welche dort herrscht und aus Hermann Ohlendorff, Louis Buch- durch nachstehende Vorzüge welche wald, Carl Buck, Anton Schmidt, Karl Alt-Rahlstedt anderen Orten voraus Stoldt, O. Kittel, Johann Hup und hat.“ Als Vorzüge werden geltend Gustav Tiedgen. Die Vertretersit- gemacht, „mit der Lübeck-Büchener zungen tagten gewöhnlich am Sonn- Bahn in 16-18 Minuten“ Hamburg abendabend im Gasthof Gustav Oster- erreichen zu können, über eine meyer, Kirchenkrug in Altrahlstedt.“12 „electrische Strassenbeleuchtung“ zu verfügen und durch die „Anlegung Die hier erwähnte Herrenrunde im neuer Strassen ein grosses Terrain Kirchenkrug hatte unter der Ägide aufgeschlossen“ zu haben, das ihres Gemeindevorstehers Ohlendorff sich „durch seine ausserordentlich maßgeblichen Anteil an der baulichen günstige Lage nahe der Bahn und dem Entwicklung des Dorfes. Bedeutende Gehölz auszeichnet.“13 Meilensteine waren die Beschlüsse, ein Elektrizitätswerk errichten zu Zurück auf dem Aussichtsturm nehmen lassen (1898), an der „Stadt-Fern- wir die Bebauung der neu angelegten sprecheinrichtung“ der „Kaiserlichen Straßen in Augenschein: Gebäude in Ober-Postdirection Hamburg“ teilzu- gründerzeitlichen Stilen dominieren nehmen und einen „provisorischen das Bild, erst einige Jahre später Bebauungsplan“ für den „Vorort Alt- werden auch sogenannte „Hamburger Rahlstedt“ mit 803 Bauplätzen aufzu- Kaffeemühlen“ und Siedlungshäuser stellen (jeweils 1900). hinzukommen.

Ein heute im Staatsarchiv Hamburg Südlich der Feldstraße (heute: Brock- verwahrter Prospekt, der den hand- dorffstraße) fällt die bereits dichte schriftlichen Vermerk „Eigentum von Bebauung der nah am alten Dorf Ohlendorff“ trägt und potentiellen gelegenen Adolf- und Vereinsstraße Käufern den Grunderwerb in Alt- auf (heute: Pidder-Lüng-Weg und Rahlstedt schmackhaft machen sollte, Weddinger Weg). Auch auf der rühmt den aufstrebenden „Vorort“ in nördlichen Seite geht es voran, bei- plakativen Worten: spielsweise in der Liliencron- und in der Roonstraße (heute: Rungholt).

Abbildungen von oben nach unten:

Ausschnitt aus dem Adressbuch für Schleswig-Holstein von 1897 Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (SUB Hamburg)

Blick vom Ohlendorffturm auf die Feld- straße (Brockdorffstraße), Postkarte ca. 1930 Archiv Bürgerverein Rahlstedt

Bäckerei und Krämerei Otto Witt (vormals Louis Buchwald) in der Feld- straße, Postkarte von 1913 Archiv Bürgerverein Rahlstedt Gründerzeitbauten im Pidder-Lüng- Blick in die Roonstraße (Rungholt), Weg (oben), in der Liliencronstraße Postkarte von 1921 (Mitte) und in der Straße Rungholt Archiv Rahlstedter Kulturverein (unten)

14 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 15 Bilderbogen (im Uhrzeigersinn): Blick vom Ohlendorffturm auf die Bismarck- straße, Postkarte 1912; Blick auf die Villa Fuhrmeister, Postkarte 1930; Ohlendorffstraße, Postkarte 1917; „Villa Aubel“, Postkarte 1910; Künstlerhaus Ohlendorffturm Archiv Bürgerverein Rahlstedt

Blick vom Ohlendorffturm (1912) auf die Feldstraße, ganz rechts im Bild: Bis- Am Ende der Bismarckstraße ist die marckstraße 24 Archiv Bürgerverein Rahlstedt Diesseits der Waldstraße (heute: vor den Eichen des Neu-Rahlstedter Amtsstraße), also ganz in der Nähe Gehölzes aufragende Villa Fuhrmeis- unseres Aussichtspunktes, verläuft auf ter18 in voller Pracht zu sehen. Weiter ehemaligen Ländereien der Bauern- östlich ist die auf den Turm zulau- vogtei die Bismarckstraße (heute: fende Ohlendorffstraße (heute: Am Paalende).14 Und in eines der hier Ohlendorffturm), zu Lebzeiten ihres erbauten Häuser ist Ohlendorff mit Namensgebers weitgehend uner- seiner Familie in seinem letzten schlossen, ebenso wie die benachbar- Lebensjahr umgezogen, wie entspre- te Moltkestraße (heute: Buchwald- chende Einträge im „Verzeichnis der stieg) noch vergleichsweise spärlich Teilnehmer-Verzeichnis Fernsprechnetz Oberpostdirektion Hamburg, März 1904 Teilnehmer an den Fernsprechnetzen bebaut. und April 1905 SUB Hamburg im Oberpostdirektionsbezirk Ham- burg“ vom April und Oktober 1905 Direkt unterhalb des Turms, und Gebäude Bismarckstraße 24 und 22. Foto rechts: Bismarckstraße 12 belegen.15 Im alten Hofgebäude an der damit fast zum Greifen nah, präsen- „Hauptstraße“ ist zu diesem Zeitpunkt tieren sich zwei Jugendstil-Villen: nur noch das „Bureau“ verzeichnet.16 die eine wird Jahrzehnte später als „Künstlerhaus Ohlendorffturm“19 be- In welchem der Häuser in der Bis- kannt sein, die andere hingegen, die marckstraße die Ohlendorffs wohnten, „Villa Aubel“, wird die Zeiten nicht lässt sich nach Lage der Dinge nicht überdauern. mehr feststellen. Zeitweilig waren - nach der heutigen Nummerierung - die Gebäude Nr. 12, 20 und 22 in ih- rem Besitz.17

16 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 17 Etwas weiter südöstlich: der Alt-Rahl- stedter Hegen, zu dem Liliencron 1905 anmerkte: „Der Hegen ist ein „Wäld- chen“, worin man sich ganz gemütlich verirren kann. Er ist voller trefflicher Wege und hübscher Anlagen.“20 Und, nicht verwunderlich, ein beliebtes Mo- tiv vieler Postkarten jener Zeit.21

Von unserer Aussichtsplattform aus lässt sich im Zentrum des Waldes die jahrhundertealte Wiese erahnen, die zu den Ländereien der Bauernfamilie Buck gehört.22 Lassen wir erneut einen Zeitgenossen zu Worte kommen: „1898, im Jahr der Fünfzigjahrfeier zur Erinnerung an die Erhebung Schleswig-Holsteins, wurde auf dem Der Hegen auf historischen Postkarten Bahnhofsplatz vor dem Bahnhofs- von 1907 und 1908 gebäude eine Doppeleiche gepflanzt. Archiv Bürgerverein Rahlstedt An dieser Pflanzung nahmen Teil: der Archiv Rahlstedter Kulturverein Amts- und Gemeindevorsteher Her- mann Ohlendorff, Louis Buchwald [und andere]. Die Doppeleiche wurde aus dem Hegen des Herrn Carl Buck geholt; ob die Eiche noch ordentlich begossen wurde, ist mir nicht in Erinnerung.“23

Einen Teil des Waldes hatte die Gemeinde bereits vor 1900 erworben. Ohlendorff und seine Mitstreiter hatten dort offenbar größere Pläne: Karte des Gemeindebezirks Rahlstedt, 1931 (Ausschnitt) Archiv Bürgerverein Rahlstedt Am östlichen Rand des Hegens war der Das „projektierte Kur-Hotel“ im Hegen Bau eines Kur-Hotels nebst Concert- Gustav Hermann Ohlendorff war es (Bild unten, rechts rot eingezeichnet) Garten mit Pavillon vorgesehen.24 nicht vergönnt, das vermutlich 1905 mit „Concert-Garten und Pavillon“. erbaute, auf einem parkähnlichen Ausschnitt aus dem Provisorischen Zur Abrundung des Panoramas gleitet Grundstück gelegene Anwesen ge- Bebauungsplan des Villenterrains des der Blick weiter über den Waldrand nießen zu können. Magda Ohlendorff Vorortes Alt-Rahlstedt von 1900 nach Osten – nur einige wenige Häuser jedoch lebt seit 1906, dem Todesjahr Staatsarchiv Hamburg sind zu sehen, von einem Kur- ihres Mannes, auf der Hermannshö- Hotel keine Spur – und verweilt he und findet jetzt erstmals, als Wit- Adressbuch 1913 schließlich in der Alt-Rahlstedter we, auch Eingang in die Adressbücher SUB Hamburg Feldmark. Hier tragen, wie auf der Zeit.27 Bereits 1919 wird sie ihren alten Karten zu lesen ist, mehrere Landsitz allerdings wieder verlassen.28, Die „Villa Ohlendorff“, Postkarte 1920 Archiv Bürgerverein Rahlstedt Koppeln, größtenteils ehemalige 29 Die „Villa Ohlendorff“, deren Name Ländereien der Bauernvogtei, den zunehmend in Vergessenheit gerät, Flurnamen „Bei der Ziegelei“. Mitten wird die Zeiten überdauern und darin, auf einer kleinen Anhöhe viele Jahrzehnte später als „Neue gelegen, erblicken wir ein Landhaus: Schule Hamburg“ eine Renaissance es ist die Villa Ohlendorff auf der erleben.30 Hermannshöhe.25 Sie liegt in der Nähe eines länglichen Teichs, dessen Wir machen uns jetzt allmählich auffallend steiles Ufer vermuten lässt, bereit, die Wendeltreppe wieder dass es sich hier um eine frühere hinabzusteigen und in die Gegenwart Tongrube der ehemaligen Ziegelei zurückzukehren. Doch zuvor verführt handeln könnte. Auch hier hatten uns die Aussicht in luftiger Höhe noch sich die Initiatoren den Bau des zu einem letzten Blick in die Weiten Ohlendorff-Gedächtnisturms vorstel- der Landschaft. Ein gutes Stück len können, wie aus den Planungsun- hinter der Villa Ohlendorff entde- terlagen des Jahres 1906 hervorgeht, cken wir einen Hof mit dem schönen in denen am westlichen Ufer des und treffenden Namen „Fernsicht“.31 Teiches ein „projektierter Platz“ für Südlich davon erstrecken sich Heide- das Bauwerk eingezeichnet ist.26 flächen bis zum Horizont.

18 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 19 Liliencron übrigens schwärmte von Anmerkungen dieser Gegend am Rande der Rahl- stedter Feldmark in den höchsten 1 Gustav Hermann Ohlendorff erblickte am 19. November 1848 als jüngstes von vier Ge- Tönen: „… wer leidenschaftlicher schwistern in Bennigsen bei Hannover das Licht der Welt. Sein Vater Ernst August war Leh- Fußgänger ist, kann in drei Stunden rer und Küster an der Garnisonsschule Hannover. Seine Mutter Dorothea Emma verstarb Reinbeck (Friedrichsruh, Sachsen- 1855, als er erst sechs Jahre alt war. Aus der Ehe mit Magda Catharina Rabe, geboren am wald) erreichen. Und kommt da- 19. Juli 1852 in Hamburg, gingen drei Kinder hervor. In Gresse (nahe Boizenburg/Elbe), wo bei durch ein Stück Heide, wie sie, Ohlendorff als „Oberinspector“ tätig war, kam Tochter Tony am 12. Februar 1876 zur Welt. namentlich wenn sie blüht, nicht In Curau auf Gut Schönkamp (in der Nähe von Lübeck) wurden die Söhne Oscar (4. August einsamer und trostreicher gedacht 1877) und Ernst (9. Juli 1880) geboren. werden kann.“32

Szene auf der Ziegeleikoppel, Postkarte um 1900 Archiv Rahlstedter Kulturverein

Gut Gresse in Mecklenburg-Vorpom- mern Foto: Wikimedia Commons

Das Gut Gresse befand sich zeitweilig im Besitz von Albertus von Ohlendorff (1834- 1894). Dieser hatte zusammen mit seinem Bruder Heinrich von Ohlendorff (1836-1928) im 19. Jahrhundert mit Guano aus Chile gehandelt und ein Vermögen gemacht. In den Walddörfern, insbesondere in Volksdorf, finden sich zahlreiche Spuren der Familie: die Ohlendorff’sche Villa, Ohlendorffs Park und die Straßennamen Ohlendorffs Tannen und Heinrich-von-Ohlendorff-Straße. In Alt-Rahlstedt gehörten im Kaiserreich zwei Häuser in der Parallelstraße (heute Doberaner Weg) zum Besitz Heinrich von Ohlendorffs. Die ver- wandtschaftlichen Beziehungen der Ohlendorffs aus Rahlstedt und der von Ohlendorffs aus Volksdorf sind Gegenstand der genealogischen Forschung. Vermutlich gab es gemeinsame Vorfahren im 18. Jahrhundert, gesicherte Erkenntnisse liegen derzeit aber nicht vor.

Pferdeweiden in der ehemaligen Rahlstedter Heide (Blick vom heutigen Bessen- 2 Liliencron 1905, in: Lutz 1989 (52) kamp, dem früheren Reinbeker Weg) 3 Im Staatsarchiv Hamburg existieren zwei unterschiedliche Zeichnungslisten: Die Abschrift der im Grundstein hinterlegten Liste sortiert die Spender nach der Höhe ihrer Einlagen, die andere hingegen berücksichtigt die Reihenfolge der Spenden. Der Erstunterzeichner war Initiator Edward Grube selbst (200 Mark), obwohl er interessanterweise auf der im Grundstein hinterlegten Liste nicht auftaucht. Viele Namen von bekannten Persönlichkeiten aus Rahlstedt und Hamburg lassen sich auf den archivierten Blättern finden, so erscheinen dort beispielsweise der Immobilienkaufmann Wilhelm Grimm, der Tenor Willi Birrenkoven, der Literat Detlev von Liliencron und der Architekt August Nissen. Und auch der Name Ohlendorff springt ins Auge: Heinrich Freiherr von Ohlendorff und Baronin Albertus von Ohlendorff spendeten jeweils 200 Mark.

4 Zeitungsnotiz vom 18.07.1934 (vermutlich aus den Rahlstedter Neuesten Nachrichten)

Morgenstimmung in der ehemaligen Rahlstedter Heide (rechts der Rahlstedter Heideweg) Archiv Rahlstedter Kulturverein

20 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 21 5 Staatsarchiv Hamburg, 423-3/10_A II 5: Bau des Ohlendorff-Gedächtnisturms, 1906 ff.; 26 Der ursprünglich favorisierte Standort des Ohlendorffturms am Ziegeleiteich befand sich Staatsarchiv Hamburg, 731-8_A 143: Sprengung des Ohlendorffturms, 1956 nahe der „Villa Ohlendorff“ am Rande Alt-Rahlstedts.

In den Darstellungen von Hinrichsen 1984 (57), Lutz 1989 (104) und Lutz 2007 (6-16) wird als Jahr der Sprengung fälschlicherweise 1957 genannt. Die o. g. Archivalien im Staatsarchiv Hamburg und die im Archiv des Bürgervereins verwahrten Fotografien belegen übereinstim- mend, dass die Sprengung bereits im November des Jahres 1956 stattfand.

6 Staatsarchiv Hamburg, 731-8_A 143: Sprengung des Ohlendorffturms, 1956

7 Die Inschrift des Findlings lautet „Erinnerung an Gustav Hermann Ohlendorff, Amtsvorste- her von Alt-Rahlstedt, 1896 – 1906“ und ist damit nicht ganz präzise: Gemeindevorsteher war Ohlendorff seit 1893, Amtsvorsteher seit dem 1. Oktober 1895 (Jonni Schacht, [Ortsamt- leiter in Rahlstedt von 1946 bis 1969], Zeittafel der Gemeinde, 01.08.1969; Quelle: Archiv des Rahlstedter Kulturvereins).

8 Liliencron 1903

9 Bock 2001 (12-28) Blaupause (Ausschnitt) von Edward Grube, 1906 10 Vgl. Wittern 2011 (68-90). Die Bauernvogtei befand sich an der heutigen Rahlstedter Straße Archiv Rahlstedter Kulturverein auf den Grundstücken der Häuser Nr. 65 bis 75. Beim Haus Nr. 71 handelt es sich wahr- scheinlich um das ehemalige Hauptgebäude. 27 Das Hauptgebäude bewohnen Magda Ohlendorff und ihr Sohn Ernst, der zusammen mit seinem Bruder Oscar eine Automobil-Firma in Hamburg betreibt. Ein Repräsentant der 11 Adress-Buch für Schleswig-Holstein einschließlich Herzogthum Lauenburg und Fürstent- langsam zu Ende gehenden Zeit der Pferdefuhrwerke ist in der Nachbarschaft anzutreffen: hum Lübeck 1897 Der Kutscher Johannes Willendorf. Liliencron schätzte den Familienbetrieb offenbar sehr: „Herr Willendorf, der hiesige Droschkenbesitzer, fährt mit seinen schlanken Orlowtrabern 12 Tiedgen 1943/2010 (22-29) windgeschwind (…), sollte mal Wunsch und Drang nach Hamburg um die mitternächtliche Stunde gar zu rege werden.“ (Liliencron 1905). 13 Staatsarchiv Hamburg, Plankammer, 720-1/1: Provisorischer Bebauungsplan (Karte), 1900; Villenvorort Alt-Rahlstedt (Beschreibung), 1900 28 Hamburger Adressbuch 1919 und Teilnehmer-Verzeichnis Fernsprechnetz Oberpostdirekti- on Hamburg, Juli 1919 14 Wittern 2011 (68-90) 29 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges (1914-1918), in dem Ernst Ohlendorff im Janu- 15 Teilnehmer-Verzeichnis Fernsprechnetz Oberpostdirektion Hamburg, April und Oktober ar 1915 sein Leben verlor, verließ Magda Ohlendorff die Hermannshöhe und zog in die 1905 Bismarckstraße Nr. 8 (heute Paalende Nr. 12). 1924 kehrte sie Alt-Rahlstedt endgültig den Rücken und wohnte anschließend bis zu ihrem Tode 1937 in Hamburg. 16 Lübecker Straße (heute: Rahlstedter Straße) 30 www.neue-schule-hamburg.org (Stand: 02.03.2020) 17 Magda Ohlendorff war die Eigentümerin des Hauses Bismarckstraße/Paalende Nr. 8 (heute Nr. 12). Das Gebäude blieb bis zu ihrem Tod 1937 in ihrem Besitz. Ihr Sohn Oscar bewohn- te zeitweilig das Gebäude gegenüber (Bismarckstraße/Paalende Nr. 11). Bis 1910 gehörten Magda Ohlendorff auch die Häuser Nummer 16 und 18 (heute 20 und 22). Quellen: Adress- bücher für Altrahlstedt bzw. Rahlstedt aus den Jahren 1909 bis 1937.

18 Die Villa der Kaufmannsfamilie Fuhrmeister in der Wilhelmstraße (heute: Buchwaldstraße) wurde von dem Berliner Architekten Herold nach den Vorstellungen von Helene Fuhr- meister entworfen und 1910 von dem Rahlstedter Baumeister August Dabelstein auf einem etwa 7000 Quadratmeter großen Gelande erbaut. 1970 wurde sie abgerissen. Vgl. Lutz 1997 (110-113).

19 www.kuenstlerhaus-ohlendorffturm.de (Stand: 02.03.2020)

20 Liliencron 1905, in: Lutz 1989 (52)

21 Lutz 1997 (126-127) Die „Neue Schule Hamburg“ in der 22 Vgl. Bock 2001 (12-28) und Wittern 2011 (68-90) ehemaligen „Villa Ohlendorff“ 2019 Foto: Wikimedia Commons 23 Tiedgen 1943/2010 (22-29) 31 Das imposante Hauptgebäude des Hofes Fernsicht (Schimmelreiterweg 122) fiel 2016 einem 24 Staatsarchiv Hamburg, Plankammer, 720-1/1: Provisorischer Bebauungsplan (Karte), 1900 Großbrand zum Opfer.

25 Die heutige Adresse lautet Schimmelreiterweg 11. 32 Liliencron 1905, in: Lutz 1989 (52)

22 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 23 Quellen Literatur

Gunther Bock: Alt-Rahlstedt - Dorfliche Entwicklung zwischen 1288 und 1782, in: Rahlstedter Adressbücher und Verzeichnisse Jahrbuch fur Geschichte und Kultur, 2001

1. Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Hermann Hinrichsen: Rahlstedt mit seinen Nachbarn, Vom stormarnschen Dorf zum Ham- burger Wohnviertel, 1984 Adreß-Buch für Schleswig-Holstein einschließlich Herzogthum Lauenburg und Fürstenthum Lübeck 1897 Detlev von Liliencron: Alt-Rahlstedt, Hamburger Nachrichten Nr. 400, Feuilleton vom 8.6.1905, in: Annemarie Lutz: Altrahlstedt an der Rahlau, 1989 (52) Adreßbuch für Altrahlstedt, Neurahlstedt, Oldenfelde, Meiendorf, Tonndorf-Lohe 1909, 1910 und 1911 Detlev von Liliencron: Bunte Beute, 1903

Adreßbuch für Altrahlstedt, Neurahlstedt, Oldenfelde, Meiendorf, Tonndorf-Lohe, Annemarie Lutz: Altrahlstedt an der Rahlau, 1989 Stapelfeld, Stellau, Braak, Barsbüttel, Jenfeld, Volksdorf und Farmsen 1913 Annemarie Lutz: Historisches Rahlstedt, in: Rahlstedter Jahrbuch fur Geschichte Adreßbuch für Altrahlstedt, Neurahlstedt, Oldenfelde, Meiendorf, Tonndorf-Lohe, und Kultur, 2007 Stapelfeld, Stellau, Braak, Willinghusen, Barsbüttel, Jenfeld, Volksdorf und Farmsen 1914 Annemarie Lutz: Liebes altes Rahlstedt, Bilder aus der Vergangenheit, 1997 Adreßbuch für die Gemeinden Rahlstedt, Stapelfeld, Braak, Stellau, Willinghusen und Barsbüttel 1937 Gustav Tiedgen: Meine Erlebnisse in Altrahlstedt von 1890 bis 1923 (Aufzeichnungen aus dem Jahr 1943), in: Rahlstedter Jahrbuch fur Geschichte und Kultur, 2010 Hamburger Adressbuch 1919 Jürgen Wittern: Die Alt-Rahlstedter Bauernhöfe und ihre Besitzer, in: Rahlstedter Jahrbuch Verzeichnis der Teilnehmer an den Fernsprechnetzen im Oberpostdirektionsbezirk fur Geschichte und Kultur, 2011 Hamburg März 1904, April 1905, Oktober 1905 und Juli 1919

2. Archiv Rahlstedter Kulturverein Danksagung

Adreßbuch für Altrahlstedt, Neurahlstedt, Oldenfelde, Meiendorf, Tonndorf-Lohe, Ich danke Ute Schruhl-Orth, Wolf Günther und Georg Rummel, die mir umfang- Stapelfeld, Stellau, Braak, Willinghusen, Barsbüttel, Jenfeld, Volksdorf und Farmsen 1922 reiches Datenmaterial zur Genealogie der Familie Ohlendorff zur Verfügung ge- stellt haben. Adreßbuch für Rahlstedt, Stapelfeld, Stellau, Braak, Willinghusen, Barsbüttel, Wandsbek-Tonndorf und Wandsbek-Jenfeld, Volksdorf und Farmsen mit Berne 1928

Archivalien im Staatsarchiv Hamburg

Bau des Ohlendorff-Gedächtnisturms in Altrahlstedt (Zeichnungs-Liste, Situations-Skizze von E. Grube und weitere Dokumente; Zeitraum: 1906 bis 1956), 423-3/10_A II 5

Sprengung des Ohlendorffturms (Zeitungsartikel: 1956), 731-8_A 143

Provisorischer Bebauungsplan, Villenterrain des Vorortes Alt-Rahlstedt (Karte), 1900, Plankammer, 720-1/1

Villenvorort Alt-Rahlstedt (Beschreibung mit Liste der Bauplätze 1 bis 803), 1900, Plankammer, 720-1/1

24 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 25 Robert Wohlleben Und da setzt nun mein Rätseln ein: War der alte Barheine schon 1901 in Rahl- stedt etabliert und damit Liliencrons “fürchterlicher Barbier” … der sich später dann doch als nicht so schlimm erwies? Oder war der “alte Barheine” 1901 noch „… ein so fürchterlicher Barbier” nicht in Altrahlstedt tätig und Liliencrons Barbierkritik betraf jemanden anders?

Erinnerungen angesichts eines Liliencronbriefs an War es etwa der alte Kuchenbuch, des- aus dem Jahr 1901 sen Töchter, noch in meiner Kindheit, in der Bahnhofstraße ein Putzmacher- Im Juli 1937 wurde ich in der Wiemerschen Klinik in der Meiendorfer Kröger- geschäft betrieben? Der sei, wie ich straße geboren (bin also noch “Beutehamburger”), Elternhaus Parallelstraße 2, damals hörte, Barbier gewesen. Ob in in Altrahlstedt. Als Kinder wurden mein Bruder und ich zum Haareschneiden zu Rahlstedt und damit womöglich vor Vater und Sohn Barheine im Pavillon vorm Rahlstedter Bahnhof geschickt. Von “meinem” alten Barheine, weiß ich Vater und Großvater habe ich erzählen hören, dass der alte Barheine als junger nicht. Kuchenbuch erschien mir als Friseur gelegentlich frühmorgens in den einen oder andren Gasthof bestellt wur- viel älter als Barheine sen. und “prak- de, um Detlev von Liliencron zu barbieren, der – hierorts seinerzeit als “Danzba- tizierte” längst nicht mehr. Allerdings ron” bekannt – dort die Nacht durchgemacht hatte. Nun hatte mein Großvater kümmerte er sich im Alter nach wie vor das 1890 vom Bäckermeister Julius Mundt erbaute Haus Parallelstraße 2, Ecke um Zähne und sorgte für Zahnersatz … Grubesallee, aber erst 1912 erworben und war mit der Familie von Lübeck nach alte Barbierschule. Wohl nur noch für Altrahlstedt gezogen. Liliencron war schon gestorben. Meine “Gewährsleute” ha- alte Kunden, die auf ihn schworen. Das ben diese Geschichte also nur im Nachhinein erzählt bekommen, als Dorfklatsch habe ich direkt mitbekommen, als mich sozusagen, an dem aber gewiss “etwas dran” war. Ich habe es jedenfalls als hin- mein Großvater einmal zu Kuchenbuch reichend verbürgt angenommen und behaupte daraufhin gelegentlich, nicht so mitnahm: Er ließ sich von ihm das recht ernst, aber mit ernstem Gesicht: Liliencron und ich hatten denselben Fri- künstliche Gebiss richten, saß dabei in seur. der eher düsteren, “nach hinten raus” gelegenen Küche der Wohnung über Vor etwas mehr als 60 Jahren, noch in der Seminarbibliothek am Bornplatz, gab dem Kuchenbuchschen Laden in einem mir eine briefliche Äußerung Liliencrons zu denken, die mir unterkam, als ich in alten Barbierstuhl. In einer Ecke stand, der von Richard Dehmel herausgegebenen Auswahlausgabe der Liliencronbriefe wie drohend, eine alte zahnärztliche herumstöberte. Damals nicht notiert, aber als Lektüreerinnerung gut bewahrt, Bohrmaschine mit Pedalantrieb, ein Anna und Detlev von Liliencron 1904 erst jetzt ordentlich “verifiziert”. Unter dem “6. Mai 01”, also kurz nach seinem schwarzes, in meiner Erinnerung etwa Gescannt aus Detlev von Liliencron: Umzug im April, schrieb Liliencron aus “Alt-Rahlstedt bei Hamburg” an Richard mannshohes Gestell. Und vom jün- Ausgewählte Briefe (hrsg. v. Richard Dehmel, vermerkte dort gegen Schluss: “Ich lasse mir, weil hier ein so fürchter- geren Bruder und der noch jüngeren Dehmel). Zweiter Band. : Schuster & licher Barbier ist, den Bart stehn. Und siehe da – erschrick nicht – er wird eis- Schwester erfahre ich, was ich einstens Loeffler 1910, S. 9 grau.” Mit diesem neu sprießenden Bart war kaum sein prägnanter Schnurrbart verpasst habe – oder längst vergessen: gemeint, wie er über die Jahrzehnte hin auf Zeichnungen, Gemälden und Foto- Auch unser Vater nahm gebisshalber grafien zu sehen ist. Auch auf einem 1904 aufgenommenen Doppelporträt von Kuchenbuchs Dienste in Anspruch. Liliencron – Wangen und Kinn inzwischen wieder gut barbiert – und seiner Frau Anna, auf einer Bildseite vorn im zweiten Band der Briefausgabe. In Annemarie Lutz’ Buch “Altrahlstedt an der Rahlau” fällt der Name Barheine Annonce des Friseur-Geschäfts Alwin Barheine mit speziellem Hinweis auf den Liliencrons Umzug nach Altrahlstedt fand im April 1901 statt. Anfang April schrieb (S. 29): “Die Parallelstraße (heute Do- separaten Damen-Salon in der Parallelstraße 11, 1911 er an den Berliner Verlag Schuster & Loeffler, da wohl noch wie zuvor von “Altona beraner Weg) ist vor Ausbau der Bahn- Gescannt aus Annemarie Lutz: Altrahlstedt an der Rahlau, Hamburg. (Elbe), Palmaille 5” her und auf Postkarte, wie der Kürze nach zu vermuten: “M. hofstraße (auf der anderen Seite der Verlag Hiltrud Tiedemann, 1. Auflage 1989, S. 48 H. Nun geht der Umzug los: Ich habe eine entsetzliche Angst: alle die unvor- Bahn) eine wichtige Geschäftsstraße. hergesehenen Ausgaben: Marktkorb, Stiefelknecht, Nägel, Rouleauxstangen und Im Hause des Bäckers Julius Mundt Tausendes! Vom 1 5 . A p r i l an: Alt-Rahlstedt bei Hamburg.” Angabe des Stra- befindet sich der Friseur Barheine so- ßennamens und der Hausnummer – in einem anderweitigen Brief aus der Zeit als wie das Tapeziergeschäft von Eduard “ P r i v a t w e g (ohne Nummer)” spezifiziert – war für das kleine stormarnsche Fischer; daneben Eisen-Möller; weiter “Nest” überflüssig. Am 19. April eine wohl briefliche Nachricht an den Verlag nun der Photograph Vödisch u.a. und an schon aus “Alt-Rahlstedt bei Hamburg”, unter andrem mit allerknappstem Lage- der Ecke ‚Privat‘-Weg, später Linden- und Leidensbericht sowie Weisung bezüglich heikler örtlicher Gegebenheiten: straße (Boytinstraße), die Konditorei “Meine lieben Herren, n o c h im Umzug. Drei Höllen sind nichts dagegen! […] mit Café von Carl Wagener […].” Bitte ‚nach hier‘ keine P o s t k a r t e n mit internem (namentl. Finanz-) Inhalt. Weil hier nur 1000 Einwohner. Also alles auf der Post eingesehen wird. Ich ste- An anderer Stelle ist eine Werbean- cke deswegen m e i n e Post in den Bahnhofsbriefkasten, dessen Inhalt gleich in nonce Barheines wiedergegeben, am die vorbeifahrenden Züge entleert wird, daher nicht eingesehen wird.”* 21. September 1911 in den Altrahlsted- ter Neuesten Nachrichten erschienen. *Liliencron, oft verschuldet, hatte allen Grund, Postkarten mit “(namentl. Finanz-) Inhalt” zu fürchten, wie aus einem Brief an das “Magazins für die Litteratur des In- und Auslandes” Wo die Herren barbiert wurden, ver- hervorgeht, am 20. April 1886 in Kellinghusen verfasst: “300 M. […] sind angekommen! Ja! schwieg die Anzeige. Ob vielleicht da- A b e r […] die 300 M. wurden mir, statt eingeschrieben, per Postkarte gesandt […]. Längst ehe mals schon in einem Pavillon am Bahn- der Postbote bei mir war, wußte es die ganze Stadt – o Kleinstadt! – Und nun ging das Rennen, hof? Auf einer von Annemarie Lutz in Fluchen, Drängen (der Leute […] vor meiner Hausthür) […] los – – – bis ich den Gendarmen ihrem Buch “Liebes altes Rahlstedt” holen ließ, der den V o l k s a u f l a u f […] zerstreute. In den ersten drei Minuten war mir das wiedergegebenen Postkarte ist einer zu Pavillon Begemann auf dem Bahnhofsvorplatz, ca. 1910 Geld aus den Händen g e r i s s e n .” sehen – den ich nie kennengelernt habe. Archiv Bürgerverein Rahlstedt

26 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 27 Ihr Kommentar dazu: “Ein Postkarten-Automat links vom Schaufenster des 1949 oder ’50 gaben mir Barheine sen. Pavillons am Bahnhofsvorplatz, der 1906 erbaut wurde. Nachdem Rud. Bege- & jun. in eben diesem Pavillon Stoff mann aufgegeben hatte, gab es häufig Branchenwechsel, bis der Pavillon in den für den Klassenaufsatz “Ein Mensch, 40er Jahren abgerissen wurde.” Begemanns Geschäftsaufgabe der Blänsdorf- der mir auffiel”. Strenge Maßgabe war, schen Interpolation nach frühestens 1928 (s. w. u.). Bei genauerem Hineinse- nichts zu erfinden. Ich beschrieb einen hen – à la David Hemmings im Film »Blow Up« oder Harrison Ford in “Blade Herrn, der beim Friseur darauf wartet, Runner” – in die Postkarte von 1910 lässt sich ein Barheine-Bezug zu diesem an die Reihe zu kommen. Bei mir war Pavillon erahnen. aber der beschriebene Herr weisungs- widrig kein real existierender Mensch, “Damenfrisieren in & ausser dem Hause”, “Eing. Bachstr.”, verspricht Alwin sondern eine “Kompositfigur”, ent- Barheine auf dem eher blass – vielleicht farbig? – beschrifteten Schild, das Be- standen aus Beobachtungen beim gemanns Außenwerbung für Maklertätigkeit leicht überlappt. Mir ist nicht klar, Warten im Barheine-Pavillon wie auch ob das Schild besagt, dass im Pavillon neben Cigarrenverkauf und Immobilien- aus meinen Vorstellungen, wie sich maklerei auch Damen frisiert werden – von Herren ist ja auf dem Schild nicht von Langerweile genährte Ungeduld Unter dem Fenster im 1. Stock: Der die Rede. Spätestens 1911 befand sich der Damen-Salon laut der Barheineschen äußern könnte. Hinweis auf den „Damen-Frisier-Salon Annonce “im Hause des Bäckermeisters Herrn Mundt”. Auf jeden Fall ist der A. Barheine“ in der Parallelstraße 11 Herren-Salon Barheines letztlich im zweiten Pavillon auf dem Bahnhofsvorplatz Zum separaten “Damen-Salon”, den untergekommen. Barheines Annonce von 1911 in der Werbeschild für den Damensalon “Parallelstr. 11” verortet, passt ein De- Barheine Archiv Bürgerverein Rahlstedt tail aus einer alten Aufnahme meines Elternhauses, dessen Adresse ich als So wie auf dieser Postkarte von 1923 Parallelstraße 2 kenne. Annonciert habe ich ihn in Erinnerung: mit der über der Ladentür des Hauses, in dem geradezu pompösen, wenn auch nur mein Großvater wohl am 19. Februar dreistufigen Freitreppe und dem 1913 sein Geschäft eröffnete. Mit die- Turmdach über dem Eingang. Das sem Mittwoch beginnt jedenfalls das große Fenster rechts der Eingangstür erste Cassabuch der “Schwarz / Fein, mit Blickschutz, wie es sich für einen Weiss / Bäckerei” (links der Eingangs- Friseursalon gehörte. Die Postkarte tür) und “Conditorei” (rechts der Ein- von 1923, wie auch die von Annema- gangstür) Robert Wohlleben. Laut rie Lutz wiedergegebene des Bege- erstem Eintrag: Einnahmen 78,35 M, mannschen Pavillons, illustriert im Ausgabe 3,60 M. Rahlstedter Jahrbuch 2006 den Bei- trag “Kurt Tucholsky in Rahlstedt”, in Links unten ein kleines Stück Schiene dem Peter Blänsdorf dem Schriftstel- der elektrischen Kleinbahn zwischen ler ein journalistisches Manuskript Altrahlstedt und den Walddörfern. Bei unterschiebt. Thema ist Tucholskys dem an der Wand zwischen Hausein- fehlgeschlagener Versuch, Liliencrons gang und linkem Schaufenster befes- Witwe zu besuchen, für 1928 “ver- tigten Kasten mag es sich um einen mutet”. Darin heißt es über die An- Postkartenautomaten wie am Bege- Postkarte von 1923: Der Pavillon, in dem später (von 1928 an, Anm. d. Red.) der kunft in Altrahlstedt: “Das erste, was mannschen Pavillon handeln. Nicht Salon Barheine residierte Archiv Bürgerverein Rahlstedt mir auffiel, war ein ziemlich feudales erkennbar die blecherne Wetterfahne Bahnhofshotel mit Restauration, aber mit eingestanztem “J M 1890”. Nach noch geschlossen. Vor dem Bahnhof der stolzen Pose, in der mein Großva- zwei Pavillons, in dem einen wirkte ein ter (links) neben Angestellten steht, Makler, in dem anderen ein Friseur.” und nach der durchaus kaiserzeitli- Der eine wie der andere standen 1928 chen Damenbekleidung könnte ich auf dem Bahnhofsvorplatz. 1911 war mir vorstellen, dass die Aufnahme dieser andere, deutlich aufwendiger – bald nach der Geschäftseröffnung ent- und vielleicht früher? – gebaut als der stand. Begemannsche von 1906, schon da, wie durch eine im Buch »Altrahlstedt Im Übrigen war ich als Junge immer an der Rahlau« gezeigte Postkarte be- froh, wenn ich Barheine jun. unter die legt, auf der er sich in der Ecke links Schere geriet … der Senior “ziepte” so! unten so ein bisschen hinter Baum- Insofern fand ich ihn als Friseur fürch- kronen versteckt. terlich.

Der Bahnhofsvorplatz um 1911 Archiv Bürgerverein Rahlstedt Gesamtansicht des Gebäudes Parallelstraße 11, ca. 1913 Foto: privat

28 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 29 Alexander Fromhagen Die mit aller Vorsicht angestellte Überlegung, ob sich „Liliencrons Bar- bierkritik“ von 1901 auf einen Barhei- Postskriptum der Redaktion ne bezogen haben könnte, können wir angesichts der Lebensdaten als haltlos bezeichnen: Im Jahre 1901 war Alwin Barheine (1885-1917) gerade 16 Jahre Der Lyriker, Essayist, Übersetzer und Verleger Robert Wohlleben, in dessen Ver- alt, Willi Barheine (1887-1979) erst lag fulgura frango die Schriftenreihe Meiendorfer Drucke erschienen ist, hat die vierzehn. Redaktion um eine Art „Faktencheck“ gebeten: „So kann ich mir gut vorstellen (und lade dazu ein), daß womöglich jemand, der besser Bescheid weiß, in einem Für spätere morgendliche Friseur- Postskript für Aufklärung (…) und ggf. Richtigstellung etwaiger Irrtümer sorgt. und Barbier-Tätigkeiten am Haupt Letztere wären ja insofern per se interessant, als sie etwas über Zustandekom- des 1909 verstorbenen „Danzbarons“ men wie Fehlgehen von Erinnerungen aussagen.“ Dem sind wir gerne nachge- kommen im Prinzip aber beide Brüder kommen. in Frage, so dass an der vom Autor Ro- bert Wohlleben augenzwinkernd vor- Wir haben im Internet und im Archiv des Bürgervereins Rahlstedt recherchiert getragenen Sentenz „Liliencron und und einige Fakten zu Tage gefördert, die geeignet sind, die bildhaften Beschrei- ich hatten denselben Friseur“ durch- bungen des im Bergwerk seiner Erinnerungen schürfenden Autors zu ergänzen aus „etwas dran“ sein könnte. und an der einen oder anderen unscharfen Stelle zu erhellen. Es geht dabei um Biografisches und Topografisches, um Personen und Schauplätze, die in diesem Denn unseren Quellen zufolge im Stück aus Rahlstedts Vergangenheit eine Rolle spielen. Jahr 1906 hat sich Alwin Barheine Alwin Barheine vor seinem Damensalon ca. 1910. Man beachte den Schriftzug in Rahlstedt etabliert und seinen „Damen-Frisiersalon“ auf dem seitlichen Mauerwerk des Treppenaufgangs Zum Beispiel, was die Nummerierung der Häuser in der Parallelstraße (heute: Friseursalon für Damen und Herren Archiv Bürgerverein Rahlstedt Doberaner Weg) betrifft, die Anfang der 1920er Jahre geändert wurde. Erst seit in der Bahnhofstraße Nr. 80 eröff- jener Zeit hat das Elternhaus des Autors die Hausnummer 2. Davor hat das vom net. Das vor 1900 errichtete, inzwi- Bäckermeister Julius Mundt erbaute und dann vom Großvater des Autors erwor- schen längst verschwundene Eck- bene Haus die Nummer 11. Und unter dieser Nummer findet sich im Adressbuch haus lag vom Bahnhof aus gesehen Altrahlstedt 1914 erstmals der Eintrag: Robert Wohlleben, Bäckerei und Kondi- linkerhand am Beginn der Bachstra- torei. ße (heute: Schweriner Straße) - im Eckhaus gegenüber befand sich die In den Zeilen darunter begegnen wir als Mieter (wie schon in den Adressbüchern „Restauration zur Haltestelle Alt- davor) Alwin Barheine, Friseur, und Willi Barheine, Friseurgehilfe. Und sind da- Rahlstedt“, das spätere „Bahnhofs- mit mitten in der Erzählung, in der es ja wesentlich ums Frisieren und Barbieren, hotel“. Der separate Eingang zum um Liliencron und die Barheines geht. „Damen-Frisiersalon“ befand sich in der Bachstraße. Genau darauf will Adressbuch Altrahlstedt 1914 auch das auf dem Foto von 1910 zu- Staats- und Universitätsbibliothek nächst Rätsel aufgebende Schild am Hamburg (SUB Hamburg) Begemannschen Pavillon („Damen- frisieren in & außer dem Hause“, „Eingang Bachstr.“) aufmerksam machen. Wenig später schon war diese Reklametafel überholt, als Al- win Barheine im Jahr 1911 den Da- mensalon in seine Wohnung Paral- lelstraße 11 verlegte.

Alwin Barheine, auch das rufen unsere Recherchen in Erinnerung, lebte nur noch wenige Jahre. Er starb am 25. März 1917 im Alter von 31 Jahren im Ersten Weltkrieg, sein Name steht wie der vieler anderer junger Männer auf einer der Marmortafeln des Gefallenen-Denkmals in Alt-Rahlstedt (Anny-Tollens-Weg, Postkarte von 1905 (Poststempel): ehemaliger Altrahlstedter Stieg). Das Gebäude Bahnhofstraße 80, Ecke Bachstraße (Schweriner Straße). Der Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm Willi Barheine den Salon. Er ist also „der Adressbuch Altrahlstedt 1922 Schriftzug auf der Schaufensterschei- alte Barheine“, den der junge Robert Wohlleben später beim Haareschneiden Archiv Rahlstedter Kulturverein be links oben lautet: „Rasier-Frisier kennenlernte. Willi Barheine führte das - laut einer Annonce von 1922 - „älteste & Haarschneide-Salon“. Demnach Geschäft am Platze“ zusammen mit seiner Frau Emma Barheine (1888-1977). hatte der ab 1906 hier ansässige Alwin Das Adressbuch Altrahlstedt verzeichnet Emma bereits 1913 als Friseurin in Barheine offensichtlich einen Vorgän- der Parallelstraße 11, damals noch unter ihrem Mädchennamen Heitmann. Der ger. In dem Ladengeschäft wurden Damensalon wurde nach dem Ersten Weltkrieg abermals verlegt, von der Pa- auch Theater-Karten verkauft, konn- rallelstraße ging es in der Agnesstraße Nr. 11 (heute: Schrankenweg 11). Der ten Tabak und Zigarren erworben und Herrensalon blieb bis zum Umzug in den Pavillon schräg gegenüber noch ei- Druckerei-Arbeiten in Auftrag gegeben nige Jahre in der Bahnhofstraße, lediglich die Hausnummer änderte sich (aus werden Archiv Bürgerverein Rahlstedt Nr. 80 wurde Nr. 5).

30 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 31 Der Entwurf des 1906 erbauten Pavillons mit dem spitzen Turmdach stammt von Quellen Wilhelm Grimm sen. (1853-1911), im gründerzeitlichen Rahlstedt ein bekannter und einflussreicher Immobilienkaufmann. Zunächst wurde das markante Ge- Annemarie Lutz: Altrahlstedt an der Rahlau, 1989; Liebes altes Rahlstedt, 1997; Amtliches Fernsprechbuch Hamburg bäude mit der Adresse Bahnhofstraße 53 als „Blumenpavillon“ von einer Gärtne- Wilhelm-Grimm-Straße, in: Rahlstedter Jahrbuch fur Geschichte und Kultur, 2014 1928 SUB Hamburg rei genutzt (vermutlich Gärtnerei Dorothea und Theodor Meyer, Mühlenstraße 2 [heute Loher Straße]). Von 1910 bis 1914 diente der Pavillon, der inzwischen Adressbücher Rahlstedt 1909 bis 1937 (Archiv Bürgerverein Rahlstedt, einen Telefonanschluss bekommen hatte, Wilhelm Grimm jun. (1883-1914) als Archiv Rahlstedter Kulturverein, SUB Hamburg) Immobilienkontor. Nach dessen Tod im Ersten Weltkrieg führten die Nachfolger Schmidt & Bethge das Geschäft unter seinem Namen bis 1922 fort. Danach gab Telefonverzeichnisse der Oberpostdirektion Hamburg 1910 bis 1937 (SUB Hamburg) ein Speditionsunternehmen, die Firma Bruno Schenck, dort noch ein Intermez- zo, bevor schließlich 1928 der Damen- und Herrenfriseur Barheine sein Geschäft Sterbeurkunde Nr. 74, Alwin Barheine, Altrahlstedt, 9. Juni 1917 sowie die Armee-Verord- im sogenannten Pavillon am Bahnhof eröffnete. Über 60 Jahre hatte der Salon, nungsblätter 1431 und 1477 mit Verlustlisten vom 21. April und 1. Juni 1917 mittlerweile unter der Hausnummer 4b, an diesem Platz Bestand. (Archiv Bürgerverein Rahlstedt)

Auf Emma und Willi folgten in der Leitung des Familienunternehmens ihre Kin- Zeitungsartikel aus den 1990er Jahren: Rundblick vom 30.01.1996 und der: die Friseurmeisterin Hannelore Böhme, geb. Barheine, und Horst Barheine, Rahlstedter Wochenblatt, undatiert (Archiv Bürgerverein Rahlstedt) Barbier und Friseur (in Wohllebens Text „Barheine jun.“). Das Inventar mit- samt den Arbeitsgeräten, teilweise aus den Anfangstagen des Salons, boten die Geschwister nach der Geschäftsaufgabe 1991 dem Museum der Arbeit in Ham- burg-Barmbek an. Dort lassen sich heute im zweiten Stock („ABC der Arbeit“) Die Redaktion dankt Steffen Becker und Georg Rummel nicht nur verschiedene Utensilien aus dem Salon betrachten, sondern auch Aus- (Archiv Bürgerverein Rahlstedt) für die Unterstützung bei der schnitte aus Interviews mit den Geschwistern anhören, in denen sie aus ihrem Recherche nach Fakten & Fotos. Arbeitsalltag berichten. Der Pavillon hingegen, von Holzwürmern offenbar stark beschädigt, musste 1995 abgerissen werden. Der Wiederaufbau des Gebäudes, in dem sich heute ein Eiscafé befindet, orientierte sich aber erfreulicherweise an den alten Konstruktionsplänen.

Im Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek zu besichtigen: Ondulier-Eisen-Erhitzer mit Lockenschere aus dem Damensa- lon Barheine, um 1950 (links) und Utensilien aus dem Herrensalon Barheine: Harrschneidemaschine („Forfex“), um 1930, sowie Rasierpinsel mit Porzellanschale, um 1960 (rechts) Farbfotografien (2): AF 2020

Zum Schluss noch eine Anmerkung zum „alten Kuchenbuch“ und seiner Tochter: Das Geschäft von Emilie Kuchenbuch, Damenputz, und von Robert Kuchenbuch, Dentist, befand sich in der Bahnhofstraße 15. Das Gebäude ist nicht erhalten, es lag an der Stelle der Bahnhofstraße, an der heute der Boizenburger Weg ab- zweigt. Die Familie Kuchenbuch findet in den Altrahlstedter Adressbüchern erst in den 1920er Jahren Erwähnung, insofern kann auch der „alte Kuchenbuch“ nicht der gesuchte „fürchterliche Barbier“ gewesen sein.

Adressbuch Rahlstedt 1937 SUB Hamburg

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Schweriner Straße 13 ·22143 Hamburg Rahlstedt www.sh-drucklieb.de ·Telefon 040 6777171 Marina Stegner Zum 25. Geschäftsgründungstag, 1918, bekam Hermann Möller ein Eh- rendiplom vom Landesverband der Kaufhaus Möller – selbstständigen Klempner und Instal- „Das Herz von Rahlstedt“* lateure. Rahlstedt wuchs und wuchs, deshalb entschloss sich Hermann Möller, sein Geschäft in die Bahnhofstraße zu ver- Hermann Möller, geb.1872, eröffnete legen, denn die entwickelte sich immer 1893 einen Klempner-, Mechaniker- mehr zur Hauptgeschäfts- straße. 1919 und Dachdeckerbetrieb in der heuti- erwarb er in der Bahnhofstraße Nr. 29 gen Boytinstraße. das „ Ihms, Öfen und Herde“ und ver- lagerte den Geschäftsbetrieb dorthin. Durch ständige Fortbildung (er fuhr Dieser Standort wurde ständig erwei- zum Beispiel 1905 extra nach Thürin- tert und vergrößert bis zur Schließung gen zu einem Blitzableiter-Prüfung- 2012. Kursus) wurde er schnell der jüngste Meister und Ausbilder in Schleswig- Vier Generationen der Familie wirkten Holstein (Rahlstedt kam ja erst später hier. Den Handwerksbetrieb im Dobe- zu Hamburg). raner Weg verkaufte Hermann Möller Ehrendiplom (1918) 1921 an den Werksführer Max Kars- Viele Kunden des Handwerksbetrie- tens, den er selbst ausgebildet hatte. bes brachten „Pütt“ und „Pann“ zur Reparatur und fragten auch nach neu- Hermann Möller starb 1942. Sein en Töpfen und Pfannen. Da beschloss Sohn Max übernahm den Betrieb und Maria Möller, Hermanns Ehefrau, versah das Haus noch während der diesen Wünschen nachzugehen und Kriegszeit mit einem Anbau, weil die Haushaltsartikel anzubieten. Das war Ausstellungsräume für Öfen und Her- der Anfang des Kaufhauses Möller. de im „Helgoländer Haus“ an die aus- gebombte Firma Huntenburg (heute Schon 1896 wurde ein Ladengeschäft noch an diesem Standtort, Bahnhofstr. in der Parallelstr. 9 (heute Doberaner 16) abgetreten werden mussten. Weg) eröffnet. Genau vor dieser Tür hielt ab 1904 die elektrische Bimmel- Käthe und Max Möllers Tochter Mari- bahn aus Volksdorf, und außerdem anne heiratete Kurt Stegner, 1950 kam gab es dort bereits seit 1893 einen die Tochter Sylvia zur Welt, 1956 folg- Bahnhof der Linie Hamburg-Lübeck. te Marina.

Ende der 50er Jahre übernahm das Ehepaar Stegner das Geschäft und führte es erfolgreich weiter, obgleich beide „Seiteneinsteiger“ waren: Mari- Die Firmengründer Hermann und Maria Möller anne hatte den Beruf einer Kranken- schwester erlernt, Kurt Stegner aber war zunächst Postangestellter, später Doberaner Weg um 1900 Werbekaufmann gewesen.

*so urteilte eine Rahlstedterin Die zweite Generation: Max und Käthe Möller

38 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 39 1968 fand der erste große Umbau statt Der Werbefachmann Stegner entwarf auch sämtliche Anzeigen, z.B. 1984:

Der hintere Gebäudekomplex wurde Außer in der Firma Hermann Möller zugunsten eines Neubaus komplett war Herr Stegner auch sehr engagiert abgerissen. Während der ¾jährigen im Rahlstedter Schützenverein. Beide Bauzeit war „ Eisen-Möller“, so nann- Töchter können davon ein Lied singen, ten die Rahlstedter das Geschäft, im da sie sonntags immer auf verschie- ehemaligen Kinosaal Ecke Bahnhof- / denen Schützenfesten unterwegs wa- Amtsstraße untergebrach t und ver- ren und bei den Umzügen mit Papa sorgte die Kunden weiter mit allem, mit-marschierten. Der Rahlstedter was sie brauchten. Am 26. Februar Schützenverein, in der Hüllenkoppel 1969 (das Datum war bis zuletzt im 56, hatte ihm viel zu verdanken und Fahrstuhl zu lesen) gab es sensatio- benannte deshalb sein Hauptgebäude nelle Preise zur Wiedereröffnung. nach ihm: „ Kurt Stegner – Schiess- sporthalle“.

Das Geschäft hatte jetzt drei Verkaufs- Beide Stegner-Töchter erlernten den etagen mit ca. 40.000 Artikeln. Das Beruf des Einzelhandelskaufmanns. große, exklusive Warenangebot war Eigentlich wurde dieser Weg schon auf dem Niveau der Hamburger In- während der Schulzeit vorgegeben. nenstadt Sylvia spezialisierte sich auf den Fach- bereich Haushalt/Porzellan bei der Eine breite Freitreppe und ein Fahr- Firma Gevers & Myrus in der Mön- stuhl brachten die Kundschaft von ckebergstraße, und Marina wurde nun an bequem in alle Abteilungen. zum Eisenwarenhändler bei der Firma Im Obergeschoss bewegte man sich Spehr in der Steinstraße ausgebildet. auf Teppichboden, um Porzellan, Glas In der Fachschule für Einzelhändler in und Keramik anzuschauen. Neu war Wuppertal machte Sylvia noch ihren auch ein Rosenthal-Studio mit erlese- Betriebswirt, aber Marina ging sechs nem Porzellan und Kristallgläsern. Im Jahre später wegen der geänderten Erdgeschoss wurden Kunstgewerbe, Aufnahmebedingungen, die drei Jah- Korbwaren, Elektroartikel, Haushalts- re Praxis erfordert hätten, nicht mehr waren und Stahlwaren angeboten. Die dorthin. Eisenwarenabteilung wurde ebenfalls erweitert und zog in die Kellerräume, Als frischgebackene Eisenwarenhänd- die nach hinten zum Erdgeschoss wur- lerin ins elterliche Geschäft einzustei- den (denn die Amtstraße geht bergab), gen, wo Herr Aschberg seit 1955 (bis mit Ausgang zum eigenen Parkplatz zur Rente 1999) in der Eisenwarenab- (jetzt Parkhaus). Im oberen Stockwerk teilung Regie führte, wäre für Marina entstand ein neuer Ausstellungsraum nicht einfach gewesen. Berufsstarter für Gartenmöbel. Man brauchte ja viel haben ja immer tausend neue Ideen. Platz, vor allem für die Hollywood- Da ergriff Kurt Stegner die Chance, ei- schaukeln. nen lang gehegten Traum zu verwirk- Werbung (1984) lichen und zugleich für Marina ein ei- Das sollte nicht der letzte Umbau sein. genes Betätigungsfeld zu schaffen. Er Auch innerhalb des Geschäftes war wollte schon immer eine Trachtenab- Kurt Stegner ständig dabei, die Abtei- teilung oder eine Spielwarenabteilung lungen nach neuesten Trends umzuge- im Geschäft einbauen. Die Spielwa- Kaufhaus Möller (ab 1969) in der Bahnhofstraße stalten. So gab es bei den Eisenwaren renabteilung wurde es. eine der ersten Selbstbedienungswän- de in Hamburg. Schrauben, Nägel und diverses mehr hingen dort in Kunst- Der zweite große Umbau stoffboxen verpackt. ab 1974 Ein zweiter großer Umbau ab 1974 schuf Platz dafür: Links neben dem Geschäft war ein Anbau errichtet wor- den. Der Eingangsbereich mit den Schaufenstern wurde verbreitert und eine Aluminium- Fassade vor das ge- samte Gebäude montiert.

40 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 41 Nun entstand im Erdgeschoss ein Büro und unter dem Dach ein neuer Lager- zu kaufen für 1 DM und 0,50 DM für raum. In der ersten Etage gab es fast 42 qm mehr Verkaufsfläche. Die Gartenmö- den Nachschlag. Täglich wechselten bel kamen ins Kellergeschoss, denn der Verkauf der Hollywoodschaukeln hatte die Musiker, und es gab Gulaschsup- eh nachgelassen. So konnte ein Teil des ersten Stockwerks für die Spielwaren pe für alle. Im Geschäft wurde mit den ausgebaut werden. Kunden gefeiert, es gab tolle Angebo- te und ein riesiges Preisausschreiben. Dann war es soweit: Herr Stegner fuhr mit seiner Tochter Marina auf die Spiel- Dafür hatten alle Lieferanten einen warenmesse nach Nürnberg und kaufte für die neue Abteilung ein. Vorher hatte besonderen Artikel bereitgestellt. man sich Tipps von befreundeten Kollegen in Geesthacht, Lüneburg und Winsen a. d. Luhe geholt. Frau Müsings Kinder Tanja und Sven halfen kräftig mit bei diesem Fest, Die Vedes-AG, ein großer Spielwarenhändlerverband (für die Kunden fast ein denn sie wuchsen, wie schon ihre Mut- Hersteller), nahm die Firma Möller in den ersten Jahren nicht auf, da sie nur ter Sylvia und die Tante Marina, im reine Spielwarenhändler wollten und keine Mehrsortimenter. Bei Möller war Geschäft auf. Beide erlernten später man sich aber sicher, die Anerkennung würde nicht lange auf sich warten lassen, auch den Beruf des Einzelhandels- und man übernahm in der Abteilung schon mal die Farben der Vedes-Geschäfte, kaufmanns, Tanja bei Görtz und Sven Orange und Grün. 1976 eröffnete die Abteilung Spielwaren mit Hobby & Basteln. bei Karstadt. Sven entschied sich spä- Schnell wurde der Raum zu klein. Da ergab sich die tolle Möglichkeit, ins Nach- ter, bei seinem Vater in einen Produk- bargebäude zu ziehen. Dort baute die Hamburger Sparkasse, und es bot sich ein tionsbetrieb einzusteigen und sollte ca. 280 qm großer Raum zur Miete an. Die Wand zwischen den Gebäuden wur- das nicht bereuen, denn dieser Betrieb de durchgebrochen, eine Feuertür eingebaut, und die Spielwaren zogen um auf wuchs und wuchs. Bei Möller hätte Kaufhaus Möller (ab 1974) diese größere Fläche. Alle Kinder mussten nun allerdings erst durch die Porzel- Sven, wie sich zeigen sollte, keine Zu- lanabteilung, um in die Spielwarenabteilung zu kommen. Da sah man schweiß- kunft gehabt. gebadete Mütter, weil die Kinder immer aus dem Fahrstuhl stürmten, um zu den Spielwaren zu kommen. Es blieb aber immer alles heil in der Porzellanabteilung. Inzwischen wurde auch die Vedes auf diese hervorragende Abteilung aufmerk- sam, und man durfte sich Vedes-Händler nennen.

In den verlassenen Räumen entstand nun eine wunderbare neue Villeroy & Boch- Abteilung mit Kaffee- und Tafelgeschirr, dazu passend Trinkglas-Serien und Geschenkartikel aus Bleikristall. 1978 war auch das Rosenthal Studio, im hinteren Bereich zum Parkplatz, fertiggestellt, ebenso wie ein großes Hutschen- Die dritte, vierte (und fünfte) Generation (1993): oben v.l.n.r.: Marianne und Kurt reuther-Studio. Stegner, Sylvia Müsing, Marina Stegner, unten: Tanja und Sven Müsing; Tanja prä- sentiert die erste Seite des ersten Rechnungsbuchs der Firma. All die Jahre gab es immer wieder kleine Erneuerungen und Umbauten, z.B. in der Eisenwarenabteilung: zurück von der Selbstbedienungswand zur Schrauben- Bar, in der es jede Schraube, Mutter und Scheibe einzeln und unverpackt gab, was viele Kunden sehr zu schätzen wussten.

Apropos Eisenwarenabteilung: Hier fand zum Jahreswechsel immer ein großer Silvesterverkauf mit Knallkörpern, Raketen und Deko statt, dazu noch waffen- scheinfreier Pistolenverkauf für Leucht- und Knatterfeuerwerk. Die Kundschaft dafür sah man eigentlich nur ein einziges Mal im Jahr, und zwar im Dezember. Sie kam aus ganz Hamburg wegen der großen Auswahl an Pyrotechnik bei Möl- ler.

Es gab im Fachhaus Möller immer neue Herausforderungen. So musste die Spielwaren-Abteilung im Haspa-Gebäude zweimal total geräumt werden: Das erste Mal, 1986, gab es Feuer bei Radio Lehmann Ecke Bahnhofstraße / Amts- straße. Durch die Klimaanlage zog der Rauch in die Spielwarenabteilung, legte sich auf der Ware nieder und machte sie unverkäuflich. Dank der großen Feuer- tür war das restliche Geschäft nicht betroffen.

Das zweite Mal, 1994, waren Renovierungsarbeiten im Haspa-Gebäude der An- lass. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Firma Radio Lehmann ihre bereits renovier- ten Räume verlassen, und die Spielwaren zogen dort ein. Da war die Freude aller Rahlstedter Mütter groß: einfach ins Erdgeschoss rollen samt Kinderwagen! Der Umzug war wie eine große Familienfeier. Die Angestellten brachten ihre Ehe- partner und größeren Kinder mit, und mit ihrer Hilfe war an einem Wochenende Rechnungsbuch (1.12.1894) alles an neuer Stelle untergebracht.

1993 war 100jähriges Jubiläum, und ganz Rahlstedt durfte und sollte mitfeiern. In der Passage hinter dem Haus (inzwischen war das Parkhaus entstanden) wurde für eine Woche ein Partyzelt aufgebaut mit Weinausschank in „Möller-Gläsern“,

42 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 43 2001 war dann die Eröffnung

Es wurde ein großes Fest und der Höhepunkt der Firmengeschichte. Eine tolle Zeit erlebte das Fachhaus Möller damals in Rahlstedt. Viele Rahlstedter kamen fast täglich in das Geschäft und kauften bei Möller, denn es gab dort einfach (fast) alles.

Man hörte: „Ich war schon in der Innenstadt, die hatten es nicht, und hier be- komme ich es ... wäre ich doch in Rahlstedt geblieben!“ Größere Kinder vertrie- ben sich in der Spielwarenabteilung die Zeit (wohl ohne viel zu kaufen): „Ein Kinderparadies! Und immer das Neueste und Beste!“, erinnert sich ein junger Rahlstedter besonders an die Video-Spiele.

Aber in den folgenden Jahren änderten sich die Verhältnisse. Große Fachmärk- te mit Parkplätzen vor der Tür entstanden. Da gab es Vielfalt unter einem Dach, auch mit Technik, Lebensmitteln, Drogerie -Artikeln, Bekleidung. Außerdem erschwerte der Internethandel dem Einzelhandel mit Preiskampf die Geschäf- te. Der brauchte kein Beratungspersonal – gerade auf Beratung legte Möller aber immer größten Wert! Die besondere Kundenfreundlichkeit zeigte sich auch bei dem aufwändigen Verpackungs-, Liefer- sowie Reparaturservice, für den Möller bekannt war. Aber das spielte nun beim Konkurrenzkampf keine Rolle mehr.

Außerdem eröffneten die Lieferanten selbst Internetshops, in denen die Min- destmengenbestellung meist kleiner war als für uns Händler. Eine große Verän- derung des Einkaufsverhaltens zeigte sich auf der ganzen Welt; der Hamburger Einzelhandelsverband sprach von „Amerikanisierung“.

Kurt Stegner war immer ein Zahlenmensch gewesen und hatte schon längst zu- Belegschaft (1993) sammen mit seiner Frau und seinen Kindern Berechnungen für die Zukunft der Firma aufgestellt, bevor er im Februar 2007 verstarb. Und so wusste die Familie, worauf sie zu achten hatte. Zu feiern gab es im Hause Möller immer etwas: viele Jubiläen bei den Mitarbei- tern, Geburtstage, Weihnachten - oder auch einfach mal so. Fast zu jeder Feier Aber zunächst ging es auch ohne den Senior weiter: Immer wieder gab es Ver- gab es ein Gedicht von Frau Lüttmer aus dem Büro. Es war Ihre große Leiden- änderungen und Erneuerungen in den Fachabteilungen: Koch- und Backvorfüh- schaft, ganze Texte, nicht selten auch zwei bis drei DIN- A 4- Seiten lang, zu rungen, Basteltage mit Kindern, und die Spielwarenabteilung verschickte über schreiben, oft auch in Form zwei- oder vierzeiliger Strophen. die Vedes auch im Internet bestellte Waren.

Um die unvermeidlichen Umsatz- einbußen abzufangen, kam 2011 die Ab 1993 bzw. 1995 erfolgte die dritte große bauliche Idee „Shop im Shop“ auf: Vermietung Veränderung von kleinen Flächen im Geschäft. In vielen Gesprächen mit den dafür 1993 erwarb die Familie Stegner das Nachbarhaus, Bahnhofstraße 27. Dort hatte verantwortlichen Behörden stellte Optiker Bode im Erdgeschoss angemietet. Danach zog Uwe Drucklieb mit seinem sich heraus, dass dafür aber größere Geschäft ein, dann für kurze Zeit Möller mit einem Schnäppchenmarkt , darauf ein Veränderungen im Altbau nötig ge- Gemüseladen mit einem Döner (heute in der Schweriner Straße im ehemaligem wesen wären. Das war der Moment, Bendfeldt- Herrenbekleidung) und später, 2009, mietete dort ein Teppichhänd- in dem Frau Marianne Stegner zu ih- ler. Ab 1995 wurde auf dem hinteren Teil des Grundstücks ein Neubau errichtet, ren Töchtern sagte: „Kinder, wir hö- was viel Arbeit und Aufregung mit sich brachte. 500 qm Erdgeschossfläche mit ren auf.“ fast gleich großer Kellerfläche, Anbindung zum Parkhaus mit Anlieferungszone standen nun zur Vermietung. Es waren auch schon Anschlüsse für Sanitäranlagen Im Jahr 2012 verabschiedete sich und einen Fahrstuhl vorbereitet. Aber weil der Neubau nicht direkt an der Bahn- das Fachhaus Möller nach 119 Jah- hofstraße lag, fand sich kein Mieter, und er stand drei Jahre lang leer. ren mit einem großen Räumungsver- Dann erfolgte die Zusammenlegung mit Nr. 29: Nach und nach wurden von ei- kauf und tollen Angeboten von seiner nem einzigen Handwerker die Mauerdurchbrüche von dem Neubau ins Altge- treuen Rahlstedter Kundschaft. bäude gemacht, alles während des normalen Geschäftsbetriebes, fast lautlos. Im Neubau wurde Bodenbelag verlegt, Beleuchtung installiert, und Herr Stegner Jetzt bietet das Doppelhaus Bahn- baute zusammen mit Herrn Aschberg die Tegometall- Ladenregale auf. Frau Syl- hofstraße 27/29 von vorn einen via Müsing, Abteilung Haushalt, zog in den neugestalteten 1. Stock, Frau Marina ganz anderen Anblick als zu Möl- Stegner, Abteilung Spielwaren, aus dem Haspa-Gebäude auf die neue Fläche im lers Zeiten. Aber wer von hinten, von Erdgeschoss, und die Kunstgewerbeabteilung konnte sich im Erdgeschoss grö- der Passage aus guckt, sieht noch die ßer und schöner präsentieren. alten Gebäude. Bahnhofstraße 27/29 (ab ca. 2015)

44 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 45 Guter Rat fürs Eigentum

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In den späten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wurden die Dorfschaften Olden- felde1, Meiendorf2, Alt-Rahlstedt und Neu-Rahlstedt3 vermessen. Die drei Erst- genannten gehörten zum königlichen Amt Trittau, während Neu-Rahlstedt zum Amt Tremsbüttel gehörte. Die älteste Verkopplungskarte von Neu-Rahlstedt ist auf das Jahr 1775 datiert. Die Verkopplungskarten wurden in den Herzogtümern Holstein und Schleswig landesweit angefertigt. In diesen Karten wurde die ge- samte Gemarkung unter namentlicher Nennung der Besitzer und unter Angabe der Flächennutzung vermessen. Es wurden sowohl Häuser und Hofstellen als auch Teiche, Wälder, Moore, Bäche und Wege sorgfältig eingezeichnet. Diese Ar- beiten wurden Landvermessern übertragen, die lange Zeit damit beschäftigt wa- ren. 1781 bis 1785 entstanden die Karten von Alt-Rahlstedt sowie von Oldenfelde und Meiendorf. Der beeidigte Landmesser Capitaine Friedrich Rasch wurde von den königlichen Ämtern hiermit beauftragt.

Die Verkopplungskarten waren notwendig für die geplante große Agrarreform Titelemblem einer Verkopplungskarte in Schleswig-Holstein. Durch Neueinteilung der Fluren sollten die Bauern in Neu-Rahlstedt von 1775 mit Angabe der Lage sein, besser bewirtschaften zu können. Bisher lagen die Felder weit sämtlicher Ländereien, die sich auf der verstreut. Flächen der Allmende, die von mehreren Bauern und von allen Dorf- Ausgrabungsstelle Höltigbaum Karte befinden bewohnern genutzt wurden, sind ebenfalls umgewandelt worden. Die Neuver- teilung der Ländereien erfolgte innerhalb von drei Jahren nach Fertigstellung Es handelt sich dabei um eine gusseiserne, gewölbte Platte mit einem Durch- der Karten. Auf den neuen Parzellen entstanden Koppeln mit Gräben und Wäl- messer von 30 cm auf einer etwa drei Meter hohen Anhöhe auf einer Weide. Der len. Es entstand eine typische Knick-Landschaft, die heute noch zu sehen ist. Vermessungspunkt hat zwei Funktionen: zum einen den Lagepunkt (dän. FIKS Der dänische König Christian VII hatte zu der Zeit eine Agrar- und Steuerre- PUNKT) und zum anderen den Höhenpunkt (HOJDE MERKE) zu fixieren. Der form angeordnet. Tatsächlich stellte sich im Laufe der nächsten Jahre heraus, Punkt ist nach Norden ausgerichtet, kenntlich gemacht durch ein Dreieck. Ober- dass wesentlich bessere Ernten erzielt wurden und die Amtskassen davon pro- halb ist die dänische Krone zu sehen. Links auf der Platte befindet sich ein „G“ fitierten. Das Ziel der Reform war es, Einkünfte zu erhöhen und die Landwirt- (Geodätisches), rechts ein „I“ (Institut)4. In der Mitte der Platte und des Dreiecks schaft zu fördern. befindet sich eine Öffnung mit einem Durchmesser von 35 mm. Die Öffnung ist notwendig, um den Zielmessstab sicher zu halten. Die Platte wird gehalten von Es gab allerdings Unterschiede im Maßstab der einzelnen Kartenzeichner, und es einem in Ortsbeton gegossenen, groben, runden Bohrpfahl. Der Bohrpfahl hat fehlte eine Gesamtübersicht des Landes. Daher begann man 1819 durch das Ver- einen Durchmesser von 25 cm. Da nur etwa ein Meter des Vermessungspunktes fahren der Triangulation das dänische Reich auf Anordnung des Königs neu zu freigelegt wurde, war nicht feststellbar, welche Länge der Bohrpfahl hat. vermessen. Zwischen Braak und Ahrensburg fand man eine etwa 6 km lange ebe- ne Fläche mit geringem Höhenunterschied. Bei dem Verfahren der Triangulation Bisher ist in Holstein kein zweiter Messpunkt mit der dänischen Krone gefunden wird das Land in viele Dreiecke aufgeteilt. Die Winkel konnte man gut messen, worden. Anfragen bei entsprechenden Behörden in Dänemark bzgl. eines weite- die Messung einer längeren Strecke war jedoch zu ungenau, der Maßstab des ren dänischen Vermessungspunktes in Holstein ergaben keine Ergebnisse. Dänischer Vermessungspunkt Dreiecks fehlte. Die neue Basisstrecke Braak/Ahrensburg, die exakt vermessen wurde, konnte für das gesamte Dreiecksnetz zu Grunde gelegt werden. Offiziere, Der Vermessungspunkt im Höltigbaum wie auch die Endpunkte der Braaker Ba- Ingenieure und Landvermesser begannen mit der Arbeit am Rande des kleinen sis wurden nach Beendigung der Messungen wieder zugeschüttet. Die Vermes- Dorfes Braak. Es gab zwei Vermessungseckpunkte, einen in Braak und einen in sungssteine sollten an ihren Standorten erhalten bleiben, um sie vor Neugierigen Ahrensburg, wo jeweils ein Holzturm aufgestellt wurde, um den anderen Eck- zu schützen und um Vandalismus zu vermeiden. Heute befindet sich der nördli- punkt anpeilen zu können. Die Strecke wurde mit einem Holzpflock abgesteckt. che Endpunkt der Braaker Basis auf einem Privatgrundstück in der Ahrensbur- Eine vier Meter lange Metallstange wurde mit mehreren Leuten hingelegt und ger Siedlung „Am Hagen“, der südliche auf einem Feld in der Nähe der Braaker zum nächsten Pflock umgesetzt. Die Stangen lagen auf festen Blöcken und durf- Mühle. Der jetzt entdeckte Vermessungspunkt im Höltigbaum ist offenbar im ten sich nicht verschieben, da millimetergenau gearbeitet werden musste. Die Laufe der Zeit durch Erosion freigelegt worden. Metallstangen wurden in Holzkästen aufbewahrt, um sie vor Witterung zu schüt- zen. Am Tag schaffte man 200 m. Die Gesamtstrecke beträgt 5.800 m. Im Herbst 1821 wurden die Messungen der „Braaker Basis“ beendet.

Auch das Königreich Hannover und Preußen wurde im 19. Jahrhundert neu ver- messen, hierfür diente ebenfalls die Braaker Basis als Ausgangspunkt.

Ein zufällig Ende 2018 im Naturschutzgebiet Höltigbaum entdeckter historischer Vermessungsstein fand großes Interesse bei den Archäologen. Das Denkmal- schutzamt wurde informiert und beauftragte ehrenamtliche Denkmalschützer, diesen interessanten Fund eines dänischen Vermessungspunktes zu begutach- ten. Die Untersuchungen fanden im Frühjahr 2019 statt.

48 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 49 Anmerkungen

1 Jürgen Wittern: Die Oldenfelder Bauernhöfe, Verkopplungskarte von 1785, in: Rahlstedter Jahrbuch 2013

2 Günther Bock: Meiendorf auf dem Weg in die Neuzeit, Karte von 1782, in: Rahlstedter Jahr- buch 2002, S. 40/41

3 Alt-Rahlstedt: Verkopplungskarte von 1781, in: Rahlstedter Jahrbuch 2011, S. 69/70

Neu-Rahlstedt: Verkopplungskarte von 1775, in: Rahlstedter Jahrbuch 2000, S. 13

Die Originalkarte von Neu-Rahlstedt verblieb bis 1867 bei der Tremsbüttler Amtsverwaltung. Heute befinden sich die Karten der ehemaligen Rahlstedter Dörfer im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv, Schleswig.

4 Wolf-Rüdiger Wendt: Protokoll vom 8.7.20, Denkmalschutzamt Hamburg

Topografische Karte, Blatt 2327 Ahrensburg; Der nördliche Endpunkt der Braaker Basis befindet sich auf einem Privat- grundstück in der Ahrensburger Siedlung „Am Hagen“. Der südliche Endpunkt kann auf einem Feld in der Nähe der Braaker Mühle (nach der Getreideernte) besichtigt werden. Der Vermessungspunkt im Höltigbaum ist nicht zugänglich.

50 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 51 Alexander Fromhagen Die Ilenwiese, die schon 1775 auf der Karte von Capitaine Friedrich Rasch verzeichnet ist, ist die west- Spurensuche: Das Ebersmoor lichste der vier Wiesen. Ilen – hoch- deutsch Egel5 – waren auf sumpfigen Wiesen weit verbreitet.6 Ähnliche lautende Flurnamen sind im Ham- burger Raum nicht selten und auch Der Ebersmoorweg in Neu-Rahl- als Straßennamen bis heute präsent, stedt weist darauf hin, dass es hier so etwa Ilenwisch und Ilenkamp in ein Moor gegeben hat. Aber wo? Sasel oder Ilenbrook in Wilhelms- Rahlstedt-Karten von heute sagen burg. Und das Ilenkruut – hoch- einem dazu nichts. deutsch Egelkraut –, nach dem eine Straße in Bramfeld benannt ist, war Auskunft gibt die Karte der Gemar- wohl auch im Ebersmoor bekannt: kung Neu-Rahlstedts des Land- Mehrere Pflanzenarten, die an feuch- vermessers Capitaine Friedrich ten oder moorigen Standorten vor- Rasch von 1775: Nördlich des Neu- kommen, wurden früher so bezeich- Rahlstedter Dorfkerns, an der net, beispielsweise der Brennende Blick von der Ilenwiese hinüber zur Bullenwiese Grenze zur Gemarkung Oldenfelde, Hahnenfuß, das Pfenningkraut und zeigt sie das schmetterlingsförmige der Sonnentau.7 Ebers Mohr im Niederungsbereich des Neu-Rahlstedter Grabens.1 Zu Die Bullenwiese ruft aufgrund ihres dieser Zeit hatten die Bauern des Namens zunächst die Assoziation Dorfes bereits begonnen, das einer Bullenweide hervor. Gemeint Ebersmoor zu entwässern, Torf- ist hier jedoch wahrscheinlich abbau zu betreiben und es zu ein Buller, ein sumpfiges, niedrig nutzen, hauptsächlich als gemein- gelegenes und mit Schilf bewach- schaftliches Weideland.2 In den senes Gelände, also ein passendes folgenden Jahrzehnten wurden die Habitat der erwähnten Ilen. Fern Flächen dann parzelliert und unter der Rahlstedter Geest gibt es auf Gemarkung Neu-Rahlstedt 1775 Landesarchiv Schleswig-Holstein den Höfen des Dorfes aufgeteilt.3 der Elbinsel Wilhelmsburg nicht nur den Bullertweg, sondern tat- Der westliche Flügel des Ebersmoors sächlich auch einen Straßennamen, wurde zu Beginn des 20. Jahrhun- der die beiden niederdeutschen derts erschlossen und bebaut. Auf Bezeichnungen in sich vereint: der Karte des Gemeindebezirks Ilenbuller…8 Rahlstedt von 1931 erinnert nichts mehr an diesen Teil des einstigen Das Schilf, das die Neu-Rahlstedter Moorgebiets, das sich oberhalb Bauern für die Reetdächer ihrer Höfe der damaligen Rückertstraße (heute benötigten, gab es, so ist zu vermu- Relikte der ehemals sumpfigen Landschaft Ebersmoorweg) und zum größten ten, auf den beiden östlich gelege- Teil beidseits der Lessingstraße nen Wiesen früher in größeren Men- (heute Warnemünder Weg) befand. gen, wie uns die ähnlich klingenden Dagegen ist der östliche Flügel in und gleichsam sprechenden Namen Gestalt eines Wiesengebiets zwischen Reedwiese und Reetenwiese wissen Geidelberg und Höltigbaum erhalten lassen. geblieben. Die moortypische Vege- Gemeindebezirk Rahlstedt 1931 Bürgerverein Rahlstedt tation allerdings ist verschwunden, sumpfige Bereiche sind als spär- 1 Ilenwiese liche Relikte des früheren Land- 2 Bullenwiese schaftsbildes nur noch vereinzelt zu 3 Reedwiese finden. 4 Reetenwiese 5 Pahlblöckensredder (heute) Die alten Flurnamen der Wiesen sind 6 Pahlblöckensredder (historisch) mittlerweile fast vergessen. Der Karte 7 Rahlstedter Straße von 1931 lassen sie sich noch entneh- (ehem. Lübecker Straße) men: Ilenwiese, Bullenwiese, Reed- 8 Sieker Landstraße wiese und Reetenwiese. 4 (ehem. Alte Landstraße) 9 Neu-Rahlstedter „Rundling“ Und die Namen dieser vier Wiesen verraten bei näherer Betrachtung einiges über die Geschichte des Luftaufnahme 2016 LGV Hamburg Ebersmoors. Blick über die Reetenwiese und Reedwiese Farbfotos (6): Alexander Fromhagen, 2019

52 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 53 Anmerkungen

1 Karte der Gemarkung Neu-Rahlstedts des Landvermessers Capitaine Friedrich Rasch von 1775, Archiv Rahlstedter Kulturverein; Original im Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 402 A 3 Nr. 117

2 Gunther Bock: Annaherung an die Geschichte Neu-Rahlstedts vom 16. bis zum 18. Jahrhun- dert, in: Rahlstedter Jahrbuch fur Geschichte und Kultur, 2000

3 Jürgen Wittern: Die Neu-Rahlstedter Bauernhöfe und ihre Besitzer, in: Rahlstedter Jahr- buch fur Geschichte und Kultur, 2012

4 Karte des Gemeindebezirks Rahlstedt von 1931, Archiv Bürgerverein Rahlstedt

5 Es handelt sich hier in erster Linie um den Großen Leberegel (Fasciola hepatica), der vor allem Schafe und Rinder beim Weiden auf überfluteten Wiesen befallen kann. Wasserschne- cken der Gattung Lymnaea fungieren dabei als Zwischenwirt. Die Tiere infizieren sich über den Kontakt mit kontaminierten Wasserpflanzen oder Bodenschlamm. Menschen können sich beim Verzehr von Wasserkresse, Sauerampfer und Minze anstecken, was allerdings nur selten vorkommt.

Henning Brandis, Gerhard Pulverer, Lehrbuch der Medizinischen Mikrobiologie, 1988

6 Hermann Keesenberg, Wilhelmsburger Straßen im Wandel der Zeit, 1963 [Erläuterungen Der Neu-Rahlstedter Graben zur Herkunft der Straßennamen Ilenbrook und Ilenbuller], www.alt-wilhelmsburg.de/strassennamen.htm#Anfang (Online-Version vom 03.05.2020) In diesen Kontext passt auf Olden- felder Seite der Reetwischendamm, 7 Das Egelkraut ist nach Friedrich Holl ein Name für den Brennenden Hahnenfuß (Ranuncu- der zum ehemaligen Wiesenareal lus flammula), nach Jacob und Wilhelm Grimm aber ebenso auch ein Name für das Pfennig- Im Gehren führt, das nördlich der kraut (Lysimachia nummularia) und den Sonnentau (u. a. Drosera rotundifolia). vier Neu-Rahlstedter Wiesen liegt und sich völlig verwandelt hat: Friedrich Holl, Wörterbuch deutscher Pflanzennamen, Erfurt 1833 [Seite 145] Im westlichen Bereich befindet sich heute eine Teichanlage, im Deutsches Worterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Teilbanden, östlichen Bereich erhebt sich eine 1854-1961, Quellenverzeichnis Leipzig 1971 (Online-Version vom 03.05.2020) mehrere Meter hohe künstliche Aufschüttung9, wodurch der Verlauf 8 Keesenberg 1963 (s. o) des Neu-Rahlstedter Grabens, der die Grenze zwischen Neu-Rahlstedt und 9 Quelle: Biotopkartierung Hamburg, BUE, http://daten-hamburg.de/umwelt_klima/ Oldenfelde bildet, nach Süden ver- biotopkataster/erhebungsbogen_hh/7640/B_7640_62_111005.PDF (Online-Version vom schoben worden ist.10 03.05.2020)

Auch wenn das Ebersmoor nun 10 Den Abschluss des Wiesengebietes zur Straße Höltigbaum bilden die Boltwiesen, die sich Teich „Im Gehren“ längst Geschichte ist und sich mit aber nicht mehr in Neu-Rahlstedt befinden (sondern in Oldenfelde) und daher nicht zum den spärlichen Resten an Schilf kein historischen Gebiet des Ebersmoors zählen. Reetdach mehr decken ließe – die Wiesenlandschaft, die zu einem Ort der Erholung und Entspannung für die Menschen aus den umliegen- den Vierteln geworden ist, bleibt ein Zeugnis der bäuerlichen Vergangen- heit Rahlstedts.

Brennender Hahnenfuß (Jacob Sturm, 1771-1848) Wikimedia Commons

Pfennigkraut (Jan Kops, 1765-1849) Wikimedia Commons

Sonnentau (C.A.M. Lindmann, 1856-1928) Morgennebel an der Reetenwiese Wikimedia Commons

54 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 55 Volker Wolter Liliencron war ein früher „Networker“, ja ein „Influencer“. Seine Funktion lässt sich vielleicht am ehesten am Bild einer Spinne im Netz beschreiben. Er baute zahlreiche Kontakte zu Schrift-steller-Kollegen im gesamten deutschsprachigen Liliencron und... Raum auf und unterhielt diese über lange Zeit. Auch beobachtete er die Literatur 1 seiner Zeit aufmerksam, bewertete sie (manchmal vorschnell) und zog Fäden, Einblicke in die Netzwerke eines wenn es um die frühzeitige Beurteilung von jungen Literaten und ihren Werken Modernen und seiner Zeit2 ging. „Netzwerke“ sind eine zentrale „Kulturtechnik der Moderne“8. Nie war aber auch das Bewusstsein für Vernetzungen so verbreitet wie in der Moderne, noch nie sind Netze aller Art so intensiv untersucht worden wie in den Zeiten der moder- nen Krisenwissenschaften, und immer klarer wird an der Leitmetapher „Netze“ herausgearbeitet, dass sie einerseits artifizielle Konstrukte von Gesellschaften sind, andererseits aber auch entscheidende Bedingungen für deren eigendyna- mische Entwicklungen schaffen.9

Die weitgehende Vergessenheit im Bewusstsein einer breiteren literarischen Öf- fentlichkeit, die Liliencron schon im Lauf der Weimarer Republik betraf10, lässt oft übersehen, dass er seinen Zeitgenossen um die Jahrhundertwende für einen Wimpernschlag der Literaturgeschichte der „König deutscher Lyriker“11 war, wie es seine Verehrerin, die Friedensaktivistin Bertha von Suttner, formuliert hat. „Auch und gerade kurz nach seinem Tod gehört Liliencron zu den kanonischen Autoren seiner Epoche.“12 Er war in seiner Lyrik mit ihren neuen Motiven, ver- ändertem Aussagemodus und einer z.T. neuen Sprache13 ein Moderner ohne Pro- grammatik, Theorie oder Modernitätsanspruch und, wenn man so will, in seiner multiplen Persönlichkeitsstruktur eigentlich selbst ein, allerdings höchst wider- sprüchliches Netzwerk – mit gelegentlichen Kurzschlüssen an den Knoten und in der Gitterstruktur.

Die Existenz eines „Netzwerks“ beginnt indes nicht erst damit, dass jemand sei- nen Computer anwirft und sich ins Internet begibt, auch wenn der gerade gültige Zeitgeist das am liebsten so für sich reklamieren möchte. Gesellschaftliche Netz- werke waren schon immer da, sie sind Bedingungen des Menschen als soziales Wesen, Grundbaustein der conditio humana. Der sprichwörtliche Einsame auf der entlegenen Insel muss darauf verzichten, verkümmert und geht an fehlender Vernetzung über kurz oder lang zugrunde. Trifft Robinson jedoch auf Freitag, entwickelt sich damit auch sofort ein Netzwerk; arbeitsteilig wird bestimmt, wer die Keule schwingt und wer das Feuer bewacht, die „soziale Konstruktion der Wirklichkeit“14 beginnt. Die ungeheure Dynamik der Aufklärung ist ohne Aus- tausch und Verknüpfung von Ideen, Philosophien, Impulsen und das Austragen In den vergangenen Rahlstedter Jahrbüchern habe ich mich mehrfach mit Be- (und Aushalten) von Gegensätzen gar nicht denkbar. Zwar gab es noch keine merkungen zu Detlev von Liliencron, der seine letzten Lebensjahre in Rahlstedt elektronischen Datenleitungen; aber es gab deren analoge Varianten in Form verbrachte, zu Wort gemeldet. Dabei berichtete ich zunächst von dem bis heu- permanenten Briefwechsels, der schnellen Post-Depesche und - Hotspot des te nahezu vollständig erhaltenen Arbeitszimmer des Dichters3, zu besichtigen gelehrten Diskurses - des gelehrten „Salons“ als institutionalisierter Vis-à-Vis- im „Forum Gymnasium Rahlstedt“4, dann von seiner Bildersammlung5 an der Kommunikation. Das Reisen, womöglich mithilfe eines Systems von Mietkut- Wand dieses Zimmers, den Bezügen seiner Gedichte zum Impressionismus6 schen (Thurn und Taxis), die lockere oder die geplante und institutionalisierte sowie von seinen zahlreichen Lesereisen durch das Europa7 der Jahrhundert- Begegnung in einem Kurort, das System der mehr oder minder regelmäßigen pri- wende. Immer ging es dabei auch um die Bedingungen und Kontexte seines vaten Besuche und Gegenbesuche hatten Netzcharakter. Ein besonderes Beispiel literarischen Schaffens. ist der Fall des „Weimarer Viergestirns“ Herder, Wieland, Goethe und Schiller: Man zog der Einfachheit halber gleich in den selben Ort, um auf der „kurzen Dieser Aspekt soll hier vertieft werden. Ich frage in dieser Ausgabe des Schiene“ jederzeit mit dem anderen sprechen zu können. Ähnliches gilt auch für „Jahrbuchs“ danach, in welchen „Netzen“ bzw. „Netzwerken“ Liliencron sich Richard Dehmel, dessen Umzug von Berlin nach Hamburg 1901 ganz wesentlich bewegte. Damit sind zum einen die technisch-industriell-logistischen Netze durch die stetige Nähe zu Liliencron motiviert war. seiner Zeit (Eisenbahn, Elektrizität, Telefonie, Phonograph und Briefverkehr) gemeint, die das Leben seit dem 19. Jahrhundert revolutionieren, zum an- Sang keiner auf den Telegraphen, /Auf Eisenbahn und Telephon? dern aber auch die damit einhergehenden und davon profitierenden „sozia- Die Alten haben wohl geschlafen, /Wir singen auf den Luftballon! len Netzwerke“, auch wenn diese zu Liliencrons Zeiten analog waren und die Liliencron als Erlebender und kritischer Nutzer technisch-industrieller Netze „Plattformen“ in erster Linie durch die Freundes- und Bekanntenkreise, aber auch so genannte „Dichterschulen“, literarische Sezessionen und Gesellschaf- Das 19. Jahrhundert nun bot mit seiner Entwicklungsdynamik die Rahmenbe- ten sowie überraschenderweise auch ein literarisches Kartell gebildet wurden. dingungen für Liliencrons schriftstellerische Entwicklung: dadurch, dass er sie Beide Formen von Vernetzung bildeten sozusagen den allgemeinen Rahmen zur Kenntnis nahm und selbst nutzte oder sich auch bewusst von ihnen abwand- für Liliencrons gesellschaftlichen Austausch und sein kulturelles Handeln – te. Alles konnte gleichermaßen anregend sein. Generell lässt sich sagen: Lilien- in der intensiven Nutzung wie auch in seiner gelegentlichen Skepsis und cron hat technische Neuerungen nie euphorisch begrüßt, er hat sie aber auch Ablehnung. nicht verdammt. So fordert er in seinem Gedicht „Dichterzunft“15 die Literaten

56 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 57 seiner Zeit sogar auf, endlich die technischen Innovationen und Vernetzungen Dieses Gedicht klingt fast wie ein Programm der lyrischen Moderne. Schon in des industriellen Zeitalters und die sozialen Verschiebungen in Richtung einer der 3. Zeile spielt dabei eine Netz-Metapher eine Rolle: die Knoten, womit hier Industriearbeiterschaft zur Kenntnis zu nehmen. Andere Themen und andere wohl lyrische Zentralformen und Zusammenhänge gemeint sind. Sie sollen „an- Töne seien nun nötig – eine deutliche Absage an die Goldschnitt-Poesie seiner ders geschürzt“ werden, d.h. Lyriker müssen ein neues Sehen und eine neue For- Zeit. mensprache entwickeln. Die wahren Probleme in einer industriellen Gesellschaft werden nach dieser Sichtweise nicht dadurch beschrieben, dass man sie auf indi- viduelle Gefühlsregungen („Sinnen-Minnen“) reduziert. Aber keine literarische Bilderstürmerei ist angedacht, sondern, im Bewusstsein der literarischen Tradi- tionen („Es bleiben Schiller uns und Goethe“), ein Aufbruch in das Hier und Jetzt. DICHTERZUNFT (1889) Wie viele seiner Zeitgenossen registrierte Liliencron, dass mit der anstehenden „Jahrhundertwende“ nicht nur ein Ereignis auf dem Abreißkalender beschrie- Es dampft die Zeit aus tausend Schloten, ben war, sondern wirklich ein „Fin de siècle“, eine Zeitenwende, ein Umbruch Fort mit dem alten Plunderkram. auf vielen Gebieten. Spätere Generationen, so Liliencron, würden einmal fragen, Schürzt endlich einmal andre Knoten, welchen (helfenden) Anteil an der Bewältigung dieses unerhörten Vorgangs die Als Thränenguß und Liebesgram! Literatur gehabt habe. Die Schwielenfaust, Arbeit und Pflichten, Der Zimmerplatz, das Hammerwerk, „Fortfortfort, Fortfortfort drehen sich die Räder/ Die ganze Welt steht in Gedichten, Rasend dahin auf dem Schienengeäder“ Habt nur ein richtig Augenmerk! Liliencron und das Eisenbahnnetz

Den schweren Druck der Zeit zu mindern, Der rasante Ausbau des Eisenbahnwesens bedeutete für die Zeitgenossen einen Vom Kaiser bis zum Käthnersmann unerhörten Einschnitt in deren Wahrnehmungen von Geschichte, Kultur und Strebt Jeder liebevoll zu lindern, Landschaft. 1840 „waren in Deutschland (..) 549 [Eisenbahn-]Kilometer in Be- Zu helfen, wo er helfen kann. trieb, zehn Jahre später waren es bereits über 6000, nach weiteren zehn Jahren Und Ihr, mit Eurem Sinnen-Minnen, fast 12 000 und anno 1880 schließlich 33 838 Kilometer. Das entspricht unge- Mit Eurem ewigen Schmerz und Herz, fähr der Länge des Schienennetzes der Deutschen Bahn heute“16. Diese Dyna- Mit Eurem ewigen Seidespinnen, mik in der Eisenbahnentwicklung und die Geschwindigkeit der Züge waren ein Ihr klimpert weiter Herz und Schmerz? Stresstest für das Raum-Zeit-Empfinden ihrer Nutzer. Das forderte Liliencron heraus, und es scheint, als habe er den in „Dichterzunft“ formulierten Anspruch Unmännlich deucht mir Euer Flennen, an die Lyrik auch selbst erfüllen wollen: Mehrfach thematisierte er in Gedichten Die Tuterei, die Thuerei. die Eisenbahn.17 In seinem Sonett „Die neue Eisenbahn“ von 188918 beschreibt er Ein Lied soll in die Seele brennen, beispielsweise, wie die neue und völlig rücksichtslos geplante Streckenführung Dann sticht es ab im Einerlei. einer Bahnlinie, die mitten über einen historischen Friedhof führt, die Totenruhe Wir wollen nicht mehr Eure Lügen, zerstört und das kollektive Gedächtnis ignoriert. Einer der Toten empört sich - Ihr stellt das Leben falsch uns vor, stellvertretend, „unzeitgemäß“ und grotesk folgenlos - gegen den „Zug der Zeit“ Wir lassen uns nicht mehr betrügen, – und deren Ignoranz, aber „das hilft ihm Alles nichts. Ihn überschreit / Der erste Ein wahres Lied, das reißt empor! Pfiff der neuen Eisenbahn“:

Es bleiben Schiller uns und Goethe, Sie sind uns heilig immerdar, Doch über uns brennt andere Röthe, Sie scheiteln sich nicht mehr das Haar. Wir leben! Andere Gestaltung Giebt unserm Tag auch andern Ton, Und jede Stunde der Entfaltung Zeigt neue Wunder der Nation.

Bald bricht zusammen das Jahrhundert Und schickt den letzten Athem aus, Das nächste fragt sich höchst verwundert, Zerpflückt es unsern Dichterstrauß: Sang keiner auf den Telegraphen, Auf Eisenbahn und Telephon? Die Alten haben wohl geschlafen, – Wir singen auf den Luftballon!

Die Welt ist keine Nachtviole, Sie hockt nicht auf der Ofenbank, Fort mit der Limonadenbowle, Er macht uns krank, der süße Trank. Deutschland verlangt in unsern Tagen Der Poesie auch frischen Stern; Vignette aus: „Das jüngste Der alte Rock ist abgetragen, Deutschland“, Leipzig 1900 Der neue sitzt uns hochmodern. Rahlstedter Bahnhof zu Zeiten Liliencrons (ca. 1902)

58 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 59 DIE NEUE EISENBAHN (1889) nun an als freier Schriftsteller zu leben, fehlte es letztlich an allem. An manchen Tagen müsse er sich nur von unreifen Kirschen und unreifen Stachelbeeren Der Schädel ruft: „Ich bin Ambassadeur, ernähren, schreibt er. 22 Sogar sein Stammgast, der stets wiederkehrende Ge- Ich bin Baron und ich vermittelte richtsvollzieher, leihe ihm aus Mitleid ab und zu ein paar Briefmarken, damit er Den Frieden zwischen Dänemark und Holland. wenigstens einige Briefe verschicken könne.23 Am 10.11.1889, wenige Monate Wer rüttelt meines Marmorsarges Wände? vor seinem Abschied aus Kellinghusen nach München, schreibt er aus dieser Wer sprengt den Deckel? Auferstehungstag? idyllischen, aber ereignislosen Marschen-Einsamkeit an seinen Freund Theo- Gemeines Lumpenvolk, Leibeigene bald Nöthig nach Breslau: Entreißen meiner Brust das blaue Band, Das blaue Band des Elefantenordens. Ein fürchterlicher Sonntag; schleswig-holsteinischer Himmel: grau, tot; Und meines Königs, Friederich des Fünften, kein Mensch; keine Anregung, nichts nichts … ich glaube, ich leide an Ge- Des gütigen, des gnädigen Herren Bild, hirnerweichung. Die Sorgen und die furchtbare Einsamkeit sind auf dem Auf Elfenbein gemalt, an meinem Herzen, Punkte, mich in den Tod zu jagen. (…) Und wie glüht mein Herz noch, und Mir von ihm selbst geschenkt in laun‘ger Stunde, muß elendichlich [!] verbluten – verbluten (…) im ödesten Quark, unter Sie rauben es mir weg! Halunkenpack!“ langweiligen Spießbürgern, in toteinsamer Haide.“ 24

Doch, von der Eisenbahn, die Arbeiter 3 Jahre später, 1893, reflektiert er das Kellinghusener Martyrium noch einmal - Enteignet hat der Staat die Grabkapelle - in dem Gedicht „Antwort“. Aus der Perspektive eines von der Welt verlassenen, Verhöhnen das Geschrei des alten Schädels. perspektivlosen Ich wird ein Eingebundensein in menschliche Netzwerke mithil- Von ihnen einer schenkt das Königsbild fe technischer Mittel (Eisenbahn, Telegraf) offenbar ein erstrebtes, wenn auch Der Pockenliese in der Bretterbude, unerreichbares Sehnsuchtsziel: Die Schnaps ausschenkt und Schlafstellen vermietet. Und mit dem Bild als Schmuck erscheint sie dann Am Sonntag mit den Arbeitern zum Tanz. ANTWORT (1893, Auszüge)25

Der Schädel ruft: „Ich bin Ambassadeur, Was willst du hier, das Land ist kalt Ich bin Baron und ich vermittelte Und ohne Fröhlichkeit und Wälder. Den Frieden zwischen Dänemark und Holland.“ Die Sonne scheint im Wolkenspalt Das hilft ihm nichts. Die halbbetrunknen Männer Nur selten warm auf karge Felder. Erhöhen ihn auf eine Seitenleiste Was willst du hier? Des Sandwagens, der hin und her karriolt. Dann dient den plumpen Fäusten er als Ball. Was willst du hier, die Möwe schreit, Die Fischer rudern stumm die Kähne, Der Schädel ruft: „Ich bin Ambassadeur, Hoch über Wassers Einsamkeit Ich bin Baron und ich vermittelte Ziehn durch den Nebel wilde Schwäne. Den Frieden zwischen Dänemark und Holland.“ Was willst du hier? Das hilft ihm nichts. Denn, müde, werfen sie (…) Zu einer toten Katz ihn in den Schmutz. Was willst du hier, ein schwarzer Schlaf Der Schädel schreit: „Ich bin Ambassadeur, Erstickt das Leben aller Enden, Ich bin Baron und ich vermittelte Kein Bahnzug rollt, kein Telegraph Den Frieden zwischen Dänemark und Holland.“ Kann Grüße deinen Liebsten senden. Das hilft ihm Alles nichts. Ihn überschreit Was willst du hier? Der erste Pfiff der neuen Eisenbahn. Die Antworten auf diese hier gestellten existenziellen Fragen liegen, trotz des Ob Liliencron mit diesem Gedicht seinen o. a. eigenen Anspruch an zeitgemäße Titels, außerhalb des Gedichts. Lyrik dann aber tatsächlich selbst einlöst, erscheint fraglich. „Bei Liliencron [wird] sozial und konservativ argumentiert und beklagt, dass die Ignoranz und Erst 8 Jahre nach Beendigung dieser weitgehend isolierten Zeit begab Lilien- Pietätlosigkeit einer neuen Klasse an Überkommenes rühren darf, nur sanft cron sich auf ausgedehnte Lesereisen, die ihn durch fast ganz Europa führten. gemildert dadurch, dass die Klage durch die empörte Wiederholung in ihrem Etwa 4 Tage waren je Anlaufpunkt veranschlagt. Diese verhältnismäßig kurze Anspruch lächerlich wird und das Gedicht insgesamt in Fatalismus ausklingt.“19 Zeit für Aufenthalte in deutschen und österreichischen Städten, in Rumänien, In der Korrespondenz Liliencrons mit Theobald Nöthig findet sich indes eine Tschechien oder in den Niederlanden wären ohne Eisenbahn gar nicht denkbar durchaus radikalere Wirkungsabsicht für das Gedicht: „Ich sende Dir: Die neue gewesen. Die Schnelligkeit dieses Mediums war jetzt Bedingung seiner ökono- Eisenbahn. Ist es nicht originell? Es zeigt den unerbittlichen Fortschritt über mischen Existenz, denn die anstrengenden Reisen wurden Liliencron finanziell veraltete Vorurtheile [sic].“20 Liliencron nimmt wahr, ist aufgeschreckt und versüßt durch die einladenden Veranstalter, darunter literarische Vereinigun- will andere aufmerksam machen; ein wirklich zielgerichtetes Statement, eine gen, aber auch Einzelpersonen wie Rainer Maria Rilke, Franz Kafka und Max „Botschaft“ ist im Gedicht aber nicht angelegt, sondern findet bestenfalls im Brod, die ihm sowohl die Eisenbahnfahrt als auch den Auftritt vor Ort und das Privatbrief statt. Hotel bezahlten.26 Fahrten im Coupé der Eisenbahn: Das konnte für Liliencron nicht ohne Folgen für die künstlerische Wahrnehmung bleiben. Im Gegensatz Auch wenn die Kellinghusener Zeit (1883 – 1890) eine der produktivsten in der zu einem früheren Kutschennutzer war sein Blick aus dem Fenster eines dahin- schriftstellerischen Biografie Liliencrons21 darstellte, war sie wohl auch seine rasenden Eisenbahnwaggons nun bereits geprägt durch den raummäßig zwar problematischste. Verzweifelt versuchte er sich in dieser Isolation dem sozia- erweiterten, damit aber gleichzeitig zeit-räumlich undifferenzierter werdenden len, literarischen und letztlich auch physischen Frühtod entgegenzustemmen. Eindruck vorbeiziehender Landschaften. Entgrenzung und Verflachung wurden Nach seiner Kündigung als beamteter Kirchspielvogt und bei dem Versuch, von dabei zu zwei Seiten derselben Medaille.

60 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 61 Auch hier der ambitionierten Programmatik seines Gedichts „Dichterzunft“ fol- Doch während Fontane dem historisch verbürgten Geschehen29 in der Rah- gend, wollte er die neue Zeit der Gründer, das industrielle Zeitalter, das Zeitalter menhandlung noch einen mystischen Hintergrund (Hexen) gibt und damit eine der Schlote, der Eisenbahnen, des Telegrafen und des Telefons, intensiv wahr- Warnung vor menschlich-technologischer Hybris verbindet („Tand, Tand / Ist nehmen, selbst in ihren Risiken. So beschäftigte er sich 1903, 23 Jahre nach Fon- das Gebild von Menschenhand“), bleibt Liliencron mit seinem Gedicht überwie- tanes „Die Brück‘ am Tay“27, in der Ballade „Der Blitzzug“28 mit einem ähnlichen gend auf der erlebnishaft-deskriptiven Ebene.30 Er zeigt seine impressionistische Sujet: den Folgen einer entfesselten Technologie und menschlichen Versagens: Sprachkraft durch Wortneuschöpfungen („Schienengeäder“), mit der Darstel- lung des Geschwindigkeitsrausches in einem dahinrasenden Zug („verfliegen“, „versinken“, „verflattern“), mit den Alliterationen und lautmalerischen Ausdrü- Der Blitzzug (1903) cken für die sich drehenden Eisenbahnräder („rüttert und rattert“), das Kessel- ventil („Fortfortfort, Fortfortfort“) und die vergeblich blockierenden Bremsen Quer durch Europa von Westen nach Osten der aufeinanderzurasenden Züge („Halthalthalthalthalthalthalthalthaltein“). rüttert und rattert die Bahnmelodie. Den Gegensatz dazu bilden die scheinbar irrlichternden und dabei trocken bi- Gilt es die Seligkeit schneller zu kosten? lanzierenden Wahrnehmungen des entstandenen Desasters durch den lyrischen Kommt er zu spät an im Himmelslogis? Erzähler.

Fortfortfort, Fortfortfort drehen sich die Räder Nach dem Inferno bleibt nichts als die kühle Aufzählung von Relikten und Rudi- rasend dahin auf dem Schienengeäder; menten: von den „Reichen“ sei ein bisschen „Geld“ geblieben, von den Bankiers Rauch ist der Bestie verschwindender Schweif, ein „Aktienschein“, von den Offizieren „zwei Sporen“, vom Dichter ein „Gedicht- Theodor Fontane, um 1900 Schaffnerpfiff, Lokomotivengepfeif. buch“, von den vormals „lieblichen Kindern“ ein „Püppchen, im Bett verbrannt“. usw.. Versagende Technik und versagender Mensch sind Auslöser grauenhafter Länder verfliegen, und Städte versinken, Metamorphosen. Auch in diesem Beispiel nimmt Liliencron also die technische Stunden und Tage verflattern im Flug, Welt wahr, er macht sie sprachlich-atmosphärisch erlebbar; aber er nutzt seine Täler und Berge, vorbei, wenn sie winken, Lyrik „kaum zu didaktischen oder moralisierenden Zwecken. In seinen Arbeiten Traumbilder, Sehnsucht und Sinnenbetrug. äußert sich entweder unkommentierte Kenntnisnahme (…) oder ratlose Ohn- macht.“31 Eine „Botschaft“ soll oder kann offenbar auch hier nicht erfolgen. Mondschein und Sonne, noch einmal die Sterne, bald ist erreicht die beglückende Ferne, Im Jahre 1901 zog Liliencron nach Altrahlstedt bei Hamburg und wurde damit Dämmerung, Abend und Nebel und Nacht, erneut Nutznießer der Eisenbahn: Durch die Initiative des Rahlstedter Unter- stürmisch erwartet, was glühend gedacht. nehmers Cord Eduard Heinrich Grube (1856–1924) war 8 Jahre zuvor der Bau eines Bahnhofes in Rahlstedt erfolgt.32 Das bis dato beschauliche Rahlstedt war Dämmerung senkt sich allmählich wie Gaze, damit in das Hamburg-Lübecker Verkehrsnetz eingebunden, vom Hauptbahnhof schon hat die Venus die Wache gestellt. war Rahlstedt (wie heute) in 16 Minuten erreichbar und dadurch zum attraktiven Nur noch ein Stündchen! Dann nimmt sich die Straße, ländlichen Villenvorort der Großstadt avanciert. Die Pferdebahn und ab 1904 die trennt, was sich hier aneinander gesellt: elektrische Kleinbahn Alt-Rahlstedt–Volksdorf–Wohldorf erschlossen zudem das nordöstliche Rahlstedter Umland33 (Die Älteren unter uns werden sich daran Reiche Familien, Bankiers, Kavaliere, erinnern, dass diese Verbindung erst 1961 eingestellt wurde; die Schienen lie- Landrat, Gelehrter, ein Prinz, Offiziere, fen durch die Oldenfelder Straße). Liliencron war hier gleichzeitig eingebunden 1912: Die Rahlstedter Bahnhofstraße, „Damen und Herren“, ein Dichter im Schwarm, und am Rande, mit „genügend Einsamkeit, wenn er die Menschen fliehen wollte, 3 Jahre nach Liliencrons Tod liebliche Kinder mit Spielzeug im Arm. aber doch nahe der großen Stadt, wenn er sie suchte und brauchte“, wie Theodor Heuss schrieb.34 Auch mit dem Automobil, dem neuen Fortbewegungsmittel, ließ Nun ist das Dunkel dämonisch gewachsen, Liliencron sich gelegentlich ans Ziel bringen, z.B. nach Lübeck. in den Kupees brennt die Gasflamme schon. Fortfortfort, Fortfortfort, steht an der Kurve, „Wortunterstreichungen, Ausrufzeichen, Gedankenstriche, steht da der Tod mit der Bombe zum Wurfe? Gefühlszwischenräume, Buchstabendehnungen, Zickzacklinien Halthalthalthalthalthalthalthalthaltein – und Bombenpunkte, Bleistiftpfeile und Buntstift-Einsprengsel“35 Ein anderer Zug fährt schräg hinein. Ein Vielschreiber im Postnetz: Liliencrons 40.000 Briefe

Folgenden Tages, unter Trümmern verloren, Die Kulturgeschichte des Briefes ist eine Erfolgsstory. Er schaffte über Jahrhun- finden sich zwischen verkohltem Gebein, derte zentrale Möglichkeiten des geistigen Austausches. Liliencron war als ex- finden sich schuttüberschüttet zwei Sporen, tensiver und intensiver Briefeschreiber auf der Höhe seiner Zeit. Der Brief war Liliencron als Automobilist und gut ge- Brennscheren, Uhren, ein Aktienschein, im 19. Jahrhundert im Nahbereich vergleichsweise schnell, bedenkt man, dass rüsteter Beifahrer, Lübeck, Markt, 1906 Briefkästen der Deutschen Reichspost noch mehrmals täglich geleert und Briefe Geld, ein Gedichtbuch: „Seraphische Töne“, auch mehrmals täglich zugestellt wurden.36 Ringe, ein Notenblatt: „Meiner Camöne“, endlich ein Püppchen im Bettchen verbrannt, Das briefliche Gesamtwerk Liliencrons ist schier unüberschaubar. Noch heute dem war ein Eselchen vorgespannt. befinden sich zahlreiche Briefe im öffentlichen Umlauf: bei den Autographen- händlern, in Auktionen usw. Rund 40.000 Briefe soll er geschrieben haben, nach einer Schätzung von Richard Dehmel, der es gewusst haben muss. Heinrich Spiero, Liliencrons Freund und Biograph, Herausgeber mehrerer Briefausgaben Liliencrons, nennt einige weitere Zahlen37: der Vortragskünstler Adolph Tormin verwahre über 1.000 unveröffentlichte Briefe, auch Liliencrons erster Verleger Wilhelm Friedrich habe „weit über tausend Briefe, Karten und Zettel jedes For- mats“ von ihm erhalten.38 39 40, und in seiner zweibändigen Ausgabe von Lilien- crons Briefen schreibt Dehmel selbst:

62 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 63 „Die hier abgedruckte Sammlung ist aus einem Material von über 21.000 Wer mit Liliencron korrespondieren durfte, weiß, was das Wörtchen Schriftstücken (Briefen und Post karten) gesichtet, und ich schätze, daß mir „gelegentlich“ in seinen Briefen bedeutete; bitte, schreibe mir doch – höchstens die Hälfte seiner ganzen Korrespondenz zur Verfügung stand g e l e g e n t l i c h, b i t t e – wann das und das ist. Nahm der Empfän- (…). Mir allein hat er nahezu 3.000 geschrieben.“41 ger das wörtlich und antwortete nicht sogleich, so kam nach 48 Stunden, vielleicht mit zwei Buntstiften auf ein Zigarrenkistendeckblatt lapidar Zum Vergleich: Die historisch-kritische Ausgabe von Goethes bisher geschrieben, die Mahnung: Du wolltest mir doch – g e l e g e n t l i c h, bekannten Briefen enthält 15.000 Briefe. Thomas Mann dürfte 30.000 Briefe b i t t e – mitteilen, wann usw.48, geschrieben haben.42 Aber Goethe wie auch Mann hatten noch ganz andere Möglichkeiten des gedanklichen Austauschs als den Brief (Reisen, persön- schreibt Spiero. Auch verschickte er ganze Bücher (eigene oder fremde) oder ließ liche Begegnungen usw.), während für Liliencron in langen Phasen seiner diese durch seinen Verleger zusenden, immer mit der kategorischen Forderung schriftstellerischen Existenz Briefe und Karten das einzige Medium waren, an den Adressaten, sofort über deren Wirkung informiert zu werden. mit anderen Menschen außerhalb seines Haushalts überhaupt in Kontakt treten zu können. „tutete eben in den Trichter eines Phonographen“ Liliencron in Edisons Netz „phonographischer Salons“ Allein 9 Buchausgaben seiner Briefe, davon einige mehrbändig43, erschienen seit 1910, vieles Unveröffentlichte lagert noch in der Staats- und Universitätsbiblio- Liliencron war der wohl erste deutsche Autor, der einige seiner Texte nicht nur thek Hamburg und in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Viele sei- über Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, sondern auch mithilfe von Wachs- ner Briefe befinden sich auch in Briefausga ben anderer Autoren.44 walzen publizierte.49 Der „Phonograph“, eine Art früher Audiorecorder, war Porträt Richard Dehmels an der Bilder- 1877 von Thomas Alva Edison als Patent angemeldet worden und hatte auch in wand in Lieliencrons Arbeitszimmer Briefe waren für Liliencron oft ein Über-Lebens-Mittel. Sie enthalten Inter- Deutschland unter dem Namen „Sprechmaschine“ großen Erfolg.49 Man konnte essantes und weniger Interessantes, Klatsch und Tratsch, Überlegungen zu in „phonographischen Salons“ nicht nur vorgefertigte und in großen Stückzahlen literarischen Vorhaben, Weitergaben oder Abschriften von Texten Dritter, produzierte Musikwalzen erwerben, man konnte hier auch, wenn man das nötige eigene Entwürfe zum Gegenlesen, Lesefrüchte, Appelle an den Adressaten, Geld hatte, Walzen mit seiner eigenen Stimme besprechen. Liliencron begab sich dieses oder jenes Buch unbedingt zu lesen, Antworten an Schriftsteller, die am 29.Februar 1896 in den phonographischen Salon am Jungfernstieg (neben ihm ihre Manuskripte zur (natürlich wohlgefälligen) Beurteilung zugeschickt Streits’s) und las drei seiner Gedichte ein, die andere dann dort gegen Geld abhö- hatten; er schrieb Begleitbriefe zu neuen Gedichten an die Editoren, Liebes- ren konnten. Anschließend schrieb er an seine Verleger: briefe, Hinhaltebriefe an Gläubiger, Bettelbriefe an Solvente, Dankesbriefe für Spenden und Darlehen, Rechtfertigungen, weshalb man nicht ausführlicher Meine Herren, eben bin ich ‚unsterblich‘ geworden. Bitte nicht an totale antworten könne (diese fielen dann trotzdem manchmal recht ausführlich Übergeschnapptheit und Größenwahn zu denken. Aber – tutete eben in den aus), Berichte von einigen Besuchen45, Lob für junge Literaten, „denn so um Trichter eines Phonographen, der öffentlich vorgeführt wird: „Die Musik die Jahrhundertwende war es Brauch geworden bei den jungen Leuten, ihm kommt“ und „Auf der Kasse“ und „In einer Winternacht“. Was sagen Sie An der Bilderwand: Liliencron und ihre Erstlinge zuzusenden und seine liebenswürdigen Antwortzeilen als eine dazu? War je eine solche Reklame für einen teutschen Tichter? Phonograph Dehmel Art von Ritterschlag zu betrachten“46. Auch Berichte von seinen Krankenhaus- Ihr L. Kostet Stück für Stück 10 Pfennig.50 aufenthalten und für ausgewählte Regimentskameraden gern mal ein paar pi- kante Details von seinen Liebschaften sind darunter. Die Briefausgaben sind Dichterlesungen auf Wachswalze konnten aber zu diesem frühen Zeitpunkt kein von unterschiedlicher wissenschaftlicher Reputation. Die zweibändige, von Erfolgsmodell bei der Propagierung von Literatur sein. Erst den Hörbüchern Dehmel bereits ein Jahr nach Liliencrons Tod herausgegebene Briefausgabe heutiger Prägung kommt, gerade auch in Corona-Zeiten, eine wirkliche Bedeu- wird als weniger verlässlich angesehen; zu oft trifft man auf Unstimmigkeiten, tung zu. Die Walzen, die in diesem Salon mit Liliencron produziert wurden, sind unzulässige Kürzungen usw.. Wahrscheinlich haben die Notwendigkeiten der leider verschollen. Pietät so bald nach Liliencrons Tod und die emotionale Nähe Dehmels zu sei- nem Freund Liliencron einen wissenschaftlichen Blick auf die Briefe getrübt. „Um ein Uhr (…) telegraphierte ich Seiner Königlichen Hoheit, Man stelle sich aber auch die Arbeit des Suchens, des Einsammelns, Sichtens, daß Maretz unser sei“ Lesens vor (Liliencron schrieb in einer sehr individuellen Kurrentschrift, von Liliencron und das telegrafische Netz im Krieg vielen „Krähenschrift“ genannt); Man denke an das Aussortieren, Abschrei- ben, die Dokumentation und die Rücksendung mit individuellem Dankschrei- ben, wie z. B. nebenstehend ein Brief an Alma Holtorf, Liliencrons Nachbarin aus der Palmaille, der dieser viel und regelmäßig geschrieben hatte, wenn er auf Reisen war:

„(...) Anbei reiche ich Ihnen die mir gütigst zur Benutzung übersandten Briefe Liliencrons zurück, nachdem ich di [!] für meinen Auswahlzweck geeigneten habe abschreiben lassen. Die Ausgabe der Briefe wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres erscheinen können. (…)“ 47 Ein Marcus-Telegraph, um 1861

Neben der Dehmel-Ausgabe sind weitere Briefausgaben erschienen, z.T. zwei- bändig: von Wolfgang Rath (1909), von Walter Hasenclever (1914), Heinrich Spiero (1912, 1925 und 1927), Hermann Friedrichs (1910), Jean Royer (1986), Kersten/Pfäfflin (2016).

Liliencron nutzte zum Schreiben, was er gerade hatte: Papierreste, Rückseiten von Werbung, abgerissene Zettel, und ließ dabei seinen Gefühlen durch alle möglichen Zeichen, durch Sperrschrift usw. freien Lauf (siehe Überschrift dieses Brief an Holtorf Foto: Privatbesitz Kapitels). Seine Netzwerke regierte er mit eiserner Hand:

64 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 65 Eine rasante technische Revolution erlebte die Telegrafie durch die Weiterent- Durchs Telephon wicklung der Elektrizität. Liliencron hat die neue Draht-Telegrafie als preußi- scher Infanterieoffizier im „Deutschen Krieg“ (1866) und 4 Jahre später im Die Rose, die du mir heut Morgen beim Abschied deutsch-französischen Krieg (1870/71) persönlich praktiziert und wusste um die In unserm Garten brachst Bedeutung der schnellen draht-telegrafischen Übermittlung von Meldungen für Und ins Knopfloch stecktest, die taktisch-strategischen Entscheidungen in den Schlachten. In seinen „Kriegs- Damit ich im Gebrüll des Tages novellen“51 (1885) erwähnt Liliencron den Telegrafen insgesamt 9mal. Aber er Immer an dich erinnert sei, betont dabei (liliencron-typisch) nicht die technisch-militärische Seite; es sind Hat eine sonderbare Verwendung gefunden: vor allem seine individuellen, atmosphärisch dichten Hör-Assoziationen, denen er Raum gibt. Mehrmals in diesen Novellen bezeichnet er die Geräusche des Te- Ein Zufall führte mich legrafen mit dem Begriff „Spiel“, als handele es sich bei den Morsezeichen nur An den Sarg eines armen Knaben. um die zarten Töne einer zweckfreien, der Erbauung dienenden Spieluhr: „Der Weil der Sarg ohne jeden Schmuck war, Telegraph spielte ununterbrochen im großen Umgebungsringe“, „Wieder spielte Legte ich deine frische Rose der Telegraph. Seine Königliche Hoheit hatten um Mitternacht befohlen: Feuer Auf die welken Hände des Bettlerkindes. aus.“52 „Wieder spielte der Telegraph: es kam der Befehl: Feuer erlaubt“. Und die Lautmalerei, die viele seiner impressionistischen Gedichte kennzeichnet53, Ob nun beiden, ihm und der Rose, schlägt auch in dieser Prosa durch: „Tak, tak, tak, sagte es, tak, tak, tak–tak– Noch einmal ein neues Leben erblühn wird? taktak–taktaktaktak–taktak–tak–taktaktak . . . . Wie in einem großen Telegra- Vielleicht, daß Engel seiner schon harren, phen-Bureau hörte sichs an. Es waren die feindlichen Kugeln, die mit diesem Um ihm die Arme entgegen zu breiten, Geräusch in die Stämme schlugen, hinter denen wir standen. Wir konnten nichts Weil er entschwebte mit deiner Rose, vom Feinde sehen.“54 Die deine Liebe mir gebrochen hat. Schluß! Ziemlich kurz angebunden: „Schluß!“ Liliencron, das Telefonnetz und die Lakonie der Telefon-Etikette Dieser letzte, unvermittelte und geradezu bellende Ausruf „Schluß!“ scheint dort einfach nicht hinzugehören, ist ein offenkundiger Bruch mit dem vorher Erzähl- Der Elektrizität stand Liliencron mit Skepsis gegenüber. Als er 1905, gespon- ten und der vorherigen Stimmungslage des Erzählers, mit der lyrischen Traditi- sort u.a. durch seine Weimarer Förderer , Elisabeth Förster- on und mit den Erwartungswahrscheinlichkeiten des Lesers, und er wird diesem Nietzsche und Hans Olde, sein drittes und letztes Rahlstedter Wohnhaus (in der überhaupt erst verständlich, wenn er den Blick noch einmal zurückwendet, auf Rahlstedter Bahnhofstraße 3955) mietete, ließ er für die Familie Elektrizität legen den Titel: „Durchs Telephon“. Die hier geschilderte gebrochene Kommunikation – nicht aber in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock, das er weiterhin mit Gas ist quasi ein früher Fall von Neuer Sachlichkeit, ein Stück gelebter und erlittener bzw. Kerzen beleuchtete.56 Telefon-Realität des Jahres 1900, wurden die Telefonnutzer doch in einer Bro- schüre der Reichspost „Zur Nutzung der Fernsprecheinrichtungen“ (um 1900) Was aber war mit dem Telefon? Schon ab den 60er Jahren des 19.Jahrhunderts apodiktisch instruiert, ein Gespräch nach folgenden sprachlichen Codes ablaufen hatte sich dieses ebenfalls auf Elektrizität beruhende neue Medium entwickelt. zu lassen60: Liliencron als Leutnant „auf Feldwa- Im Gegensatz zum Telegrafen erforderte es nur rudimentäre technische Fertig- che“, Atelierfoto von 1870 keiten, setzte aber doch eines voraus: Sprech-Kompetenz; das hieß v. a. zeitöko- „Hier Amt, was beliebt? - Wünsche mit Nummer x zu sprechen - nomisches Sprechen. Der technische Weg vom „Erst-Erfinder“ Philipp Reis 1861 Bitte rufen - Schon besetzt, werde melden, wenn frei - Verstanden - über den Zweit-Erfinder Graham Bell bis hin zur Marktreife57 und Einführung Hier x - Nummer x jetzt frei, bitte rufen - Hier x, wer dort? - Hier x - auch im Deutschen Reich umfasste allerdings noch einmal über 20 Jahre. Das Bitte Antwort - Schluß.“ 61 Telefon wurde ein unerhört schnelles kommunikatives „Netz“ mit Breitenwir- kung. Diese verkürzende Sprech-Etikette im Fernsprechbetrieb war der damaligen Knappheit der Ressource „Telefonleitung“ geschuldet. Gespräche sollten ge- „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat!“ Der literarische Mehrwert dieses ersten schäftsmäßig kurz, nicht von epischer oder lyrischer Länge sein, damit die raren Satzes, der je durch ein Telefon gesprochen wurde (geäußert von Philipp Reis Leitungen schnell wieder freigemacht wurden. Das lyrische Ich, das in diesem bei der ersten öffentlichen Vorführung seines neuen „Fernsprechapparats“), ist Gespräch mit der Geliebten seinen Phantasien zunächst freien Lauf gelassen gewiss überschaubar. Aber er deutet doch schon die interessante Frage an, inwie- hatte, wird sich im Laufe des Berichts der Unangemessenheit des verwendeten fern die Art und Weise eines Übertragungsmediums auch die Formen und Inhal- Mediums offenbar bewusst und lässt das eben noch intensiv Gefühlte durch eben te des Miteinander-Sprechens verändern könnte. Dieses interessante Phänomen diesen unvermittelten telefonischen Kommandobefehl „Schluß!“ quasi gegen die blieb Liliencron nicht verborgen, ja er war der vermutlich erste deutsche Lyriker Wand laufen. „Das Schlusswort bringt nicht nur die allgemeine Zeitlichkeit in überhaupt, der die Unverträglichkeit von Medium und Lyrik in einem seiner Ge- eine sonst scheinbar zeitlose und ewigkeitsorientierte Diskussion hinein, son- dichte thematisierte58: In „Durchs Telephon“ (1900) nahm er „die sprachlichen dern die explizit technisch gemessene Zeit der elektronischen Kommunikati- Konsequenzen von Medien wahr, die sich gerade erst zu entwickeln begannen on. Es ist tatsächlich der Pistolenschuss im Konzert gewesen, ein ‚literarisches (…) mit einem verblüffenden Gespür für das, was in der modernen Luft lag.“59 Ereignis (..) ersten Ranges‘62, schreibt Hugh Riley 2004. Die Botschaft eines so Telefon Ein Lyrisches Ich berichtet seiner Geliebten - über das Telefon, wie die Über- augenfälligen Bruchs lautet: Das Medium Telefon ist nicht lyrikfähig, ja lyrik- schrift signalisiert - von einer etwas morbiden Traumphantasie, die zuerst von feindlich, oder, vice versa: Lyrik ist nicht telefonfähig: „Das lakonische Telefon- ihm breit entfaltet, dann aber abrupt beendet wird: „Schluß!“. Kommando ‚Schluß!‘ produziert (…) einen ‚Schock‘ des Aufeinanderprallens von traditioneller lyrischer Rede und technischem Diskurs. Doch beschädigt dieser Zusammenprall nicht das technische Reden, sondern die (…) Prätentionen des traditionellen lyrisch-aulischen Sprechens“63, schreibt der Hamburger Romanist Marc Föcking.64

Medien, insbesondere aber die modernen Medien, kreieren offensichtlich ih- ren autochthonen Sprachstil. Übers Telefon gesprochen, klingt schon der Satz „Ich liebe dich“ deplatziert, unvollständig, unemotional65; ihm fehlen wichti-

66 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 67 ge Bedeutungs- und Wirkungsdimensionen. Dieser kurze, oft elliptische Stil, den wir verstärkt in den modernsten schriftlichen Medien wie SMS, Twitter, Blogs, Chats, Facebook- und WhatsApp-Nachrichten usw. feststellen, lässt für das Uneigentliche in der Sprache keinen Platz mehr. Gefühle werden zu Emojis verzwergt. Dass ausgerechnet dabei neue Formen der Poesie gefunden werden könnten, ist nicht unbedingt zu erwarten, wird allerdings auch von nieman- dem ernsthaft gefordert. Umstritten ist zudem, ob dies überhaupt Anlass zu Kulturpessimismus gibt.66 Für Liliencron allerdings zeigte sich im Telefon eine durchaus handgreifliche Gefahr: Wenn nämlich das Technisch-Lakonische in der Kommunikation obsiegen würde, hätte das existenzielle Folgen für den Ly- riker, es entzöge ihm die Daseinsberechtigung seines originären Sprachduk- tus‘, ja seines lyrischen Blicks auf die Welt. Mehrere Liliencron-Gedichte und viele seiner Briefe thematisieren denn auch den in seinen Augen beständig sin- kenden gesellschaftlichen Stellenwert der Lyrik und des Lyrikers.67 Doch das will er nicht einfach hinnehmen. Nicht zuletzt Liliencrons engagiertes und er- folgreiches Eintreten für eine angemessene Autoren-Vergütung lyrischer Pro- duktionen und für ein reichsweites Urhebergesetz zeigt, dass er diesen Kampf um gesellschaftliche (und auch pekuniäre) Wertschätzung der Lyrik noch nicht ganz verloren gab (dazu später).

Mit dem augenfälligen Einbruch des Kontrafaktischen in eine scheinbar homo- gene Erlebenswelt und der Unverträglichkeit von Sprachduktus und Geschilder- tem in „Durchs Telephon“ leistet Liliencron einen wichtigen Beitrag zur Moderne und ist noch Jahre später Vorbild für viele „Junge“ wie z. B. Gottfried Benn (vgl. seine „Morgue“-Gedichte, u.a. „Kleine Aster“).68 Von diesem ist der Satz über seine frühen Jahre überliefert: „Damals war Liliencron mein Gott. Ich schrieb Geburtstagsbrief Rainer Maria Rilkes an Detlev von Liliencron, 3. Juni 1904 Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg ihm eine Ansichtskarte.“69 Joachim Dyck bemerkt dazu: „Die Karte, falls er sie wirklich abschickte, hat sich nicht erhalten, wohl aber ein Exemplar aus seinem Bücherregal: Detlev von Liliencron, Bunte Beute, zweite Auflage, Berlin (Schus- Gottfried Benn, Schriftsteller und Arzt, ter und Loeffler) 1903, mit dem Besitzvermerk „Gottfried Benn 1904“70 71. Aber 1934 Foto: Bundesarchiv/wikimedia nicht nur Benn, auch zum Beispiel Rilke bekannte freimütig, dass Liliencron ihm Der „Friedrichshagener Dichterkreis“, eine Vereinigung von Naturalisten um Ri- eine entscheidende Inspirationsquelle war: „Alle Jungen fühlen sich ja dem gro- chard Dehmel, Lou Andreas Salomé, Gerhart Hauptmann76, Erich Mühsam usw., ßen Detlev von Liliencron nah und dankbar. Und die Schule, die er macht, ist mit denen Liliencron in Kontakt kam, soll hier zumindest erwähnt werden, zu- eine sehr lose Vereinigung von heterogenen Geistern; denn man kann ihm nichts mal diese Autoren in Liliencron einen der Ihren sahen, ebenso übrigens wie der nachmachen“, sagt Rilke in seinem aufsehenerregenden Prager Vortrag 1898 mit Berliner literarische Verein „Durch!“, dem insbesondere Johannes Schlaf und dem Titel „Moderne Lyrik“72. Betrachtet man zudem Rilkes collagehaften Roman Arno Holz die Impulse gaben. Zahlreiche Briefe Liliencrons v.a. an Arno Holz Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910), stellt man fest, dass die sind erhalten. Inspirationen sich nicht allein auf die Lyrik beschränkten; die Affinität dieses Romans zu Liliencrons lange vorher erschienenem Erzählungsband Der Mäzen Der literarische Verein „Breslauer Dichterschule“, dem neben Liliencron auch (1889)73 mit dessen Montage aus Tagebuchnotizen, Erzählfragmenten, Lese- sein alter Kriegskamerad, Freund und jahrzehntelanger Brieffreund Theobald empfehlungen, Gedichten usw. ist ganz offenkundig. Nöthig sowie u.a. Gerhart Hauptmann , Hermann Stehr und Carl Hauptmann angehörten, sei hier kurz erwähnt, weil die „Dichterschule“ für Liliencron eine besondere Funktion hatte. „In ihren literarischen Monatsblättern von 1885 hat- Liliencron, der Networker ten die Breslauer achtundzwanzig Gedichte Liliencrons gegen Honorar veröf- fentlicht“77: dem Dichter schenkte die Vereinigung zu Zeiten seiner höchsten fi- Im Folgenden geht es mir nun um die Darstellung von überzufälligen Begegnun- nanziellen Not zudem einen Schreibtisch, besaß aber die Chuzpe, diesen offiziell gen Liliencrons mit literarischen, künstlerischen und sonstigen Figuren des da- als „Leihgabe des Vereins“ zu bezeichnen, um ihn vor der Pfändung durch den maligen öffentlichen Lebens im deutschsprachigen Bereich. Es sind in hohem Gerichtsvollzieher zu schützen78, ein Möbel, das fortan Liliencrons Zimmer in Maße Begegnungen in bestimmten „Kreisen“, in Netzwerken, und ich wähle als der Palmaille 5 zierte. Hans Merian, Karl Kraus und Detlev Beispiele Personen aus, die auch heute noch einen gewissen Bekanntheitsgrad von Liliencron haben oder es, wie Liliencron, verdient hätten, wieder stärker ins öffentliche Be- Natürlich gab es auch Einzelpersonen, die, manchmal nur vorübergehend, die wusstsein zu rücken. Über die Gruppe der Schriftsteller in Prag, die Liliencron Wege Liliencrons kreuzten. Als Beispiel sei hier Theodor Heuss, der nachmalige mehrfach in den 90er Jahren des 19. bis ins 20. Jahrhundert nach Prag einlu- erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, genannt. Es war in Heilbronn, den (Max Brod, Franz Kafka, Hugo Salus, Oskar Wiener und Rainer Maria Ril- Ende Dezember 1901. Liliencron war wieder mit seiner „Überbrettl“-Truppe un- ke), habe ich schon berichtet.74 Angemerkt sei hier nur, dass die Zuneigung und terwegs, um vorzulesen.79 Heuss, damals 18jährig, hatte den Auftrag, den Schrift- Bewunderung oft noch lange anhielt. Rilke z.B. meldete sich immer wieder bei steller vom Bahnhof abzuholen und zum Hotel zu bringen, und durfte dann doch Rainer Maria Rilke, Rom 1904 Liliencron und schrieb ihm einen langen, kalligrafischen und sehr zugewandten auch noch am nächsten Tag sein Begleiter sein. Brief anlässlich des 60. Geburtstages von Liliencron. Sogleich nahm er mich mit in das Gasthaus, und die Szene war grotesk Intensiven Kontakt hatte Liliencron auch zur literarischen Szene in Wien: Her- genug und unvergesslich, wie ich in dem banalen Hotelzimmer bei ihm mann Bahr, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig und v.a. Karl Kraus75 („Es gibt in saß, während er den Anzug wechselte, sich für den Abend zurechtmachte Deutschland einen Dichter, einen echten Dichter … dieser echte Dichter heißt und zwischen dem umsichtigen Rasieren auf die ganze Herumreiserei Detlev von Liliencron“, Karl Kraus 1892) sind hier neben vielen anderen Schrift- schimpfte, vor seinem eigenen Rezitieren warnte, das immer nach Arno Holz und Johannes Schlaf, stellern zu nennen. Kasernenhof klänge.80 vor 1900

68 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 69 Es ist die Buntheit des Lebens (ein- schließlich einiger Liebschaften), es sind die Besuche im Theater, die Vorle- sungen in der Universität (Anselm Feu- erbach) und die Aufbruchstimmung der Naturalisten und Impressionisten Münchens, die Liliencron als inspirie- rend und motivierend empfand. Con- rad schreibt über Liliencron:

Für Liliencron ist das Dichten eine Funktion wie das Essen, Trinken, Lieben, Tanzen, und im Grunde seiner Seele kümmert er sich einen Teufel darum, was andere von ihm denken oder schreiben.84

Im Dezember 1890 beteiligte sich Li- liencron zusammen mit Otto Julius Bierbaum, Julius Schaumberger, Mi- chael Georg Conrad, Hanns von Gump- penberg und Georg Schaumberg an der Gründung der Gesellschaft für mo- dernes Leben und wurde auch gleich Vorstandsmitglied. Diese Gesellschaft wollte sich der Pflege und Verbreitung modernen, schöpferischen Geistes auf allen Gebieten: Soziales Leben, Litera- tur, Kunst und Wissenschaft widmen. Bis zu ihrer Auflösung schon 1893 war der Einfluss dieser Vereinigung auf die literarische Entwicklung in Deutsch- land beträchtlich. Endlich schien sich Palmaille Nr. 5: Max Brauer (SPD), Bürgermeister von Altona, enthüllt 1927 eine Gedenkplatte an dem Haus, in dem Detlev von Liliencron das zu materialisieren, was Liliencron mehrere Jahre bei „Fräulein Rehberg“ gewohnt hatte. Das Haus wurde im II. Weltkrieg zerstört. schon 1885 an seinen Verleger Fried- rich geschrieben hatte:

Heuss, der doch seitdem zahlreiche Begegnungen mit Literaten aller Couleur ge- habt hat, sah in Liliencron, auch später noch, nicht nur seinen „ersten ‚richtigen‘ Dichter“, dem er begegnet sei, sondern setzte auch hinzu: „und er blieb wohl Einige Mitglieder der „Gesellschaft für modernes Leben“ im Bierkeller „Salvator“, einer der größten“.81 München. Von links: Otto Julius Bierbaum, Julius Schaumberger, Michael Georg Conrad, Hanns von Gumppenberg, Georg Schaumberg und Detlev von Liliencron Foto: gettyimages Münchner Netzwerk Liliencron in der Keimzelle der Moderne Auf Einladung von Münchner Schriftstellern der „Moderne“, v. a. seines 20 Jahre jüngeren Bewunderers Otto Julius Bierbaum82, von Liliencron „Ottju“ genannt, und mit geliehenem Geld seines Schriftstellerkollegen, des Rechtsanwalts Timm Kröger („Ich stehe unmittelbar vor Abgrund und unaufhaltsamem Untergang, wenn es mir jetzt nicht gelänge, wenigstens für einige Wochen einmal reisen zu können (nach München) und aufzuathmen.“83), sowie der Schillerstiftung in reiste Liliencron am 2. Februar 1890 von Kellinghusen nach Mün- chen. Nicht nur die Begegnungen in der berüchtigten „Schwabinger Bohème“ aus Schriftstellern und Malern, sondern auch die Aussicht, seine Gedichte in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ (gegründet 1885 von Michael Georg Conrad) veröf- fentlichen zu können, v.a. aber wohl die Überlegung, möglichst weit weg von der erdschweren norddeutschen Marschlandschaft frei arbeiten zu können, ließen ihm München als besonders erstrebenswertes Ziel erscheinen. Zu seinem neu- en Umgang gehörten nun neben Bierbaum und Michael Georg Conrad auch der Komponist Hugo Wolff, der vorhatte, mehrere Gedichte Liliencrons zu vertonen, und bildende Künstler wie Olaf Gulbransson und Thomas Theodor Heine, die ihn beide zeichneten..

70 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 71 Ein Lübecker wurde 1893 zum Münchner und blieb es bis zum 30.Januar 1933. Auch für diesen hatte Liliencron eine besondere Bedeutung: Es ist Thomas Mann. Die Beziehungen zwischen beiden gehen eher „über Bande“, sie laufen auch nicht auf derselben Ebene ab und gehen nicht in beide Richtungen. Und trotzdem gibt es Verknüpfungen, Einflussnahmen, Inspirationen und das Phä- nomen der „Intertextualität“, das hier ganz besonders zum Tragen kommt. Einen Beleg für eine persönliche Begegnung der beiden konnte ich nicht finden (obwohl Mann in einem Essay dies, vielleicht metaphorisch, behauptet). Aber es ist be- legt, dass Liliencron ein häufiges Thema in den direkten Kontakten und Briefen zwischen Thomas Mann und Richard Dehmel. Mit ihm zusammen plante er eine „Liliencron-Stiftung.“

Zunächst einmal gibt es einige biografische Koinzidenzen zwischen Mann und Liliencron, Parallelen, die das auffallende Interesse Manns an Liliencron be- gründeten, sowie eine Würdigung ganz besonderer Art, die hier erwähnt wer- den soll, weil sie zeigt, wie Liliencron andere, jüngere Autoren beeinflusste. Liliencron, 31 Jahre älter als Mann, gehörte zusammen mit Ibsen zu dessen frühen literarischen „Schutzgeistern“ (Detering)92. Kurz bevor Thomas Mann seine glanzlose Schulzeit am „Katharineum zu Lübeck“ mit dem so genann- Hugo Wolf, Komponist (1860-1903) Michael Georg Conrad (1846-1927) Otto Julius Bierbaum (1865-1910) ten „Einjährigen“, der Mittleren Reife, beendete, gab er auf eigene Kosten eine kleine literarische Zeitschrift heraus, die allerdings nur zwei Ausgaben erfuhr: Der Frühlingssturm „bemühte[e] sich um eine Verbindung von zeitkritischem Essay, impressionistischer Prosa und Gedichten im Stil Richard Dehmels und Das ist ja eine ganz colossale Revolution in der Dichterwelt zur Zeit. Eine Detlev von Liliencrons.“91 neue Epoche. Ich fühl’s in jeder Fiber. Und ich marschiere mit.85 Olaf Gulbransson: Galerie berühmter Nach seinem 1894 erfolgten Umzug nach München und verschiedenen kleineren Zeitgenossen, Folge 24: Liliencron. In: Bierbaum schrieb über ihn: journalistischen Arbeiten bekam Mann 1898 eine Anstellung als Redakteur und Simplicissimus, Jg. 9, H.10, 1904, S. 92 Lektor der satirischen Zeitschrift Simplicissimus, in der auch Liliencron schon „Er war für mich, wie für fast alle anderen, der große Mutmacher und das veröffentlicht hatte. köstlichste Beispiel eines modernen und doch ursprünglichen Poeten.86 Mann schrieb später sogar über Liliencron, zu dem er offenbar besondere Be- Der Aufenthalt in München endete, als das Geld verbraucht war: Ende Januar 1891. rührungspunkte verspürte. Diese lag einerseits in der gemeinsamen Herkunft Liliencron hatte aber auch über den Tag seiner Abreise hinaus weiter ständige Ver- als „Holsteiner“, sicher aber auch an der großen Popularität Liliencrons insbe- bindungen nach München, veröffentlichte neue Gedichte gern z.B. in Bierbaums sondere bei den „Jungen“. Beide hatten eine „exotische“ Mutter und führten Musenalmanach. Am 28.September 1893 erlebte Liliencrons Drama „Die Trifels eine gewisse Ambivalenz ihres eigenen Charakters darauf zurück. Liliencrons und Palermo“ seine Uraufführung in der Münchner Hofbühne87 (Es fiel durch; Mutter „stammte aus der Mischehe eines deutsch-amerikanischen Vaters und aber zumindest Theodor Storm gratulierte ihm brieflich aus Hademarschen88). einer portugiesischen Mutter – bei Thomas Mann waren es bekanntlich ein 1896-1899 vertonte der Münchner Komponist Richard Strauss Liliencron-Ge- deutscher Vater und eine deutsch-brasilianische Mutter“92. Beide haben mit dichte: „Sehnsucht“ (1896), „Glückes genug“, „Ich liebe dich“ (1898) und „Bruder dem „Einjährigen“ das Gymnasium vorzeitig verlassen. Beide, Liliencron wie Liederlich (1899)89. Mann, haben einen gesellschaftlichen Abstieg ihrer Familien miterlebt93; aller- dings nur Mann stellte diesen „Verfall“ literarisch auch ausführlich dar (in den Buddenbrooks).

Im Jahre seines 60. Geburtstages wurde Liliencron im Simplicissimus publizis- tisch „geadelt“: durch die Aufnahme in die „Galerie berühmter Zeitgenossen“, eine ständige Rubrik des damals populären norwegischen Karikaturisten Olaf Gulbransson. Thomas Mann veröffentlichte zum selben Anlass 1904 in der Wie- ner Zeitung Die Zeit einen vielbeachteten Essay mit dem schlichten Titel Lilien- cron94 „Was der Lübecker Schriftsteller (…) dem Kieler Poeten zurief, das lief auf eine Liebeserklärung hinaus, in einem sonderbaren Spiel mit Nähe und Distanz“, schreibt Heinrich Detering95, und in der Tat reibt man sich die Augen, wie der Autor des bereits international anerkannten Romans Buddenbrooks Liliencron zu hofieren scheint: „Sind wir nicht Stammesgenossen – Landsleute beinahe, der so viel Stärkere und ich?“96 Die Bewunderung ist schillernd, hat streckenweise einen leicht ironischen Unterton, ist unter dem Strich aber Ausdruck ernsthaf- ter Bewunderung und gefühlter Nähe. Bis heute haben sich Liliencron-Bände, darunter auch „Sämtliche Werke“, in Manns Privatbibliothek erhalten97, und in seinem Essay Liliencron schreibt Mann 1904:

Ich habe ein Stündchen im Poggfred gelesen, diesem göttlichen Feuilleton von einem Epos, diesem leichtesten, glücklichsten, kecksten, freiherrlichsten Gebilde der modernen Literatur, ich habe die Sommerschlacht in die Tasche gesteckt, diese erste Offenbarung des Realismus, die mir, einem Jungen Detlev von Liliencron, ca. 1898 Thomas Mann, ca. 1900 Richard Strauss, um 1900 noch, den Kopf erhitzte (…).98

72 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 73 Heinrich Detering hat auf poetologische Bezüge zwischen dem großen Budden- Rente von 2000 Mark106 (oder war es so viel nicht?), die man dem Dichter brook-Roman und Liliencrons novellistischem Werk hingewiesen, denen genau- Detlev von Liliencron mit träger Miene bewilligte und die man ihm, wie er nachzugehen sei, und macht dies fest an den ersten Seiten des berühmten für wahr erzählt wird, zu entziehen drohte, wenn er sein Liebäugeln mit „Typhus-Kapitels“, des letzten in den Buddenbrooks, das eine große erzähleri- der Sozialdemokratie nicht lasse, - eine Geschichte, die als Dokument für sche Innovationskraft und Nachhaltigkeit entfaltet hat: Mann schrieb über diese den deutschen Kulturstand zu Anfang des XX. Jahrhunderts aufbewahrt zu Passage an Adorno: werden verdient bis in fernste Zeiten.“107

„(..) ich weiß nur zu wohl, dass ich mich schon früh in einer Art von höherem Abschreiben geübt habe: z.B. beim Typhus des kleinen Hanno Buddenbrook, zu dessen Darstellung ich den betreffenden Artikel eines „Dieser ganze Geburtstagsklimbim ist unerträglich“ Konversationslexikons ungeniert ausschrieb, ihn sozusagen „in Verse Liliencron wird 60, und Deutschland nimmt teil brachte“. Es ist ein berühmtes Kapitel geworden.“99

Hanno Buddenbrook stirbt an Typhus, aber auch an seiner generellen Schwäche, Ein letzter Blick auf München: Zu seinem 60.Geburtstag 1904 war die Lilien- der Überfeinerung seiner Seele und seines Körpers; er ist die Verkörperung des cron-Verehrung in Deutschland auf ihrem Höhepunkt. Im ganzen Land wurden Verfalls einer ganzen Familie über Generationen. Im 3.Kapitel des 11.Teils nun Liliencronfeiern ausgerichtet, viele Zeitschriften und Zeitungen berichteten. zitiert Mann auf der Grundlage eines Artikels in Meyers Konversationslexikon Die Münchner Zeitschrift Jugend, die bekanntlich in Deutschland einer ganzen über mehrere Seiten die Symptomatik einer Typhuserkrankung. Durch diese künstlerischen Epoche den Namen gab („Jugendstil“), ist eine wichtige Plattform Hereinnahme eines Zitats aus einem Sachtext experimentiert er mit der literari- des liliencronschen Netzwerks. Insgesamt 40 Beiträge (Gedichte und Prosastü- schen Methode der Montage: cke) allein von ihm sind hier veröffentlicht. Und andere bekannten sich in der Sonderausgabe zu Liliencrons Geburtstag Jugend zu ihm. In ihrer Sonderausgabe108 zu Liliencrons Geburtstag 1904 schrieb Mit dem Typhus ist es folgendermaßen bestellt.Der Mensch fühlt eine see- Gerhart Hauptmann den folgenden Hymnus: lische Mißstimmung in sich entstehen, die sich rasch vertieft und zu einer hinfälligen Verzweiflung wird. Zu gleicher Zeit bemächtigt sich seiner eine physische Mattigkeit, die sich nicht allein auf Muskeln und Sehnen, sondern auch auf die Funktionen aller inneren Organe erstreckt (…) Das Gehirn schmerzt (…) 100 101

Der Bezug dieses poetologisch bedeutsamen Kapitels zu Liliencron ist bisher we- nig erforscht. Hier scheint sich aber ein Fall von „Intertextualität“, also einer erkenn- und nachweisbaren Beziehung zwischen Texten, anzudeuten. Detering weist darauf hin, dass Liliencron etliche Jahre vor Mann, ebenfalls in einem Pro- satext, die Idee gehabt hatte, Elemente einer ganz anderen Textsorte, eines tro- ckenen amtlichen Katastervermerks, in seinen literarisch-fiktionalen Erzähltext zu integrieren.

Folgende Angaben befanden sich in dem vom statistischen Bureau herausgegebenen „Handbuch des Grundbesitzes im deutschen Reiche. 1. Das Königreich Preußen. Die Provinz Pommern. 1901“: „Acker und Wiesen 578 Hektare, Wald 98, Wasser 2. Summe: 678 Hektare. Name des Gutes: Restin. Name des Besitzers: Heinrich Baron von Restin, Rittmeister a.D. Auf den Wunsch der Redaktion, er möge doch auch selbst etwas beitragen, Gerhard Hauptmann Grundsteuereintrag: 15 345 Mark. Das war eigentlich Alles, was man über reagierte Liliencron grimmig ablehnend und humorvoll zugleich, und die den Besitz und die Vermögensverhältnisse des Barons wusste.“ 102 Redaktion veröffentlicht das:

Detering nennt diese Passage eine „erzählerische Revolution“103. Die dazugehö- Dieser ganze Geburtstagsklimbim ist unerträglich. Wenn man 60 Jahre rige Novelle Der Buchenwald war Mann sehr gut bekannt. Sie erschien 1896 in (infam!) alt wird, sollen die Trauerfahnen wehen! Trotzdem besten Dank, dem Erzählband Eine Sommerschlacht104, diese „erste Offenbarung des Realis- lieber Herr Doctor, für Ihre freundlichen Zeilen. Mitfolgend ein Bild von mus“105 (Mann), ein Band, der neben Liliencrons Poggfred zu Manns frühen Lek- Hans Olde; hat vor einigen Jahren im „Pan“ gestanden, kennt also kein türefavoriten gehörte und für ihn eine narrative Inspiration gewesen sein dürfte. Mensch. (…) Nach Rilke und Benn haben wir also einen weiteren Hinweis darauf, welch hohe Bedeutung Liliencron quasi als Pate in der literarischen Kinderstube bedeuten- Endlich: „Biographisches“ habe ich nicht. Völlig unnöthig. Schreiben Sie der Schriftsteller der Jahrhundertwende hatte. doch einfach: Liliencron wurde geboren am 3. Juni 1844 in Kiel, Schleswig- Holstein. Oder auch: Liliencron wurde als Sohn eines Schneiders in Tripolis 1910, ein Jahr nach seinem Tod, ist Liliencron für Mann immer noch ein Thema, geboren. Ganz wie Sie wollen. ausgelöst nun durch die Umfrage einer Zeitschrift über den „literarischen Geist“ und die „gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers in Deutschland“. Und wie- So, das wäre wohl alles. Punktum, Streu-Sand drauf! Ihr Liliencron 109 der erscheint ihm Liliencron exemplarisch. Mit Blick auf das „Ehrengehalt“ Li- liencrons, das der deutsche Kaiser Wilhelm II. ihm als erstem deutschen Autor Aber nicht nur über Zeitschriften, auch über ganze Bücher können sich Netzwer- in Anerkennung seiner literarischen Leistungen zahlen ließ (ab 1903), kritisiert ke materialisieren: 88 österreichische Schriftsteller, darunter viele, die mit ihm Mann die aus seiner Sicht viel zu niedrige in engerem brieflichen oder persönlichen Kontakt standen, gaben ihm zuEh- ren 1904 einen ganzen Band mit literarischen Beiträgen heraus, darunter Marie von Ebner-Eschenbach, Peter Rosegger, Theodor Herzl, Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Hermann Bahr, Roda Roda, Hugo Salus, Gustav Meyrink, Leo Grün- stein und Felix Salten.110 Hermann Bahr, München 1893

74 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 75 Weimarer Netzwerk Elisabeth Förster-Nietzsche, die wegen ihrer politischen Einstellungen und ihres Ein Großherzog, ein Graf, eine Schwester und Baron von Umgangs mit dem literarischen Nachlass ihres Bruders heute mit Recht fragwür- dige Figur dieses neuen Weimar, gehörte neben Graf Kessler und dem damals in Liliencron Weimar ansässigen impressionistischen Holsteiner Maler Hans Olde (1855-1917) zu den entschiedenen Förderern Liliencrons. Sie betrieb das von ihr gegründe- Nachdem in Weimar das „Goldene Zeitalter“ (Goethe, Schiller usw.) und das „Sil- te „Nietzsche-Archiv“ als Salon: sie „hielt Hof“. Anders aber als bei Liliencrons berne Zeitalter“ (Liszt) vergangen waren, geriet die Stadt etwas aus dem Fokus der Münchner Freunden handelte es sich hier nicht um eine Beziehung auf Augen- Kunstschaffenden, und es ist das Verdienst Weimarer Persönlichkeiten wie Har- höhe. Man merkt es allen (trotzdem meist begeisterten) Äußerungen Liliencrons ry Graf Kessler und , der aufstrebenden neuen Literatur und an, dass auch er dies spürte. Der Weimarer Hof imponierte ihm ebenfalls – und Kunst zum Durchbruch verholfen und damit der Stadt Weimar eine neue Bedeu- schüchterte ihn ebenfalls ein. Bei seinen zahlreichen, meist von Kessler oder tung als Kunstmetropole verschafft zu haben. Das Bauhaus Weimar ist herausra- Förster-Nietzsche eingefädelten Besuchen in Weimar gehörten Lesungen aus gendes Ergebnis dieser Bemühungen. Harry Graf Kessler (1868-1937) war wegen seinen Werken im Nietzsche-Archiv und „bei Hofe“ zum Standard-Programm, seines ererbten erheblichen Vermögens in der Lage, als Mäzen und Kunstsammler, und Liliencron berichtet darüber: als freier Schriftsteller und als Publizist an vielen Orten in Deutschland in Erschei- nung zu treten. Das in Weimar angefertigte Gemälde Kesslers von Edvard Munch Weimar, »Internationale Pension Rosenkranz«, den 7. März 1900 (1906) offenbart Kesslers Selbstverständnis und Wirkungsabsicht in der Öffent- Na, nun wollen Sie gewiß, hochverehrtes Fräulein und unser liebes Fräu- lichkeit. Er war ein Ästhet, Bohemien, war politisch liberal, engagiert und interes- lein Rehburg, a bißl hören, wies mir hier geht. Es scheint mir der letzte Au- siert, und er förderte durch sein Mäzenatentum auch Kunstbereiche, die im Alltag genblick zu sein, Ihnen noch schreiben zu können (…) denn: von morgen an Hans Olde: Liliencron, ca. 1895 des Gewöhnlichen und im Massengeschmack unterzugehen drohten. Graf Kessler versinke ich gänzlich in den »Hof«, d. h., muß etwa erst dreißig bis vierzig war auch ein Netzwerker und interessierte sich besonders für die Strömungen des Besuche machen, vom jüngsten Kammerherrn an bis zur ältesten Hofdame. Symbolismus und des Impressionismus, und es war deshalb auch kein Zufall, dass Und dann drei bis vier Wochen hintereinander Gesellschaften; dazwischen er mit deren Protagonisten Liliencron in ein besonderes Verhältnis trat. in der nächsten Woche meine Vorstellung »bei Hofe«. Ich wundere mich selbst über mich, wie »glatt« ich hier jedes »Parkett nehme«, wie ich Als Herausgeber der Zeitschrift PAN veröffentlichte er mehrfach Liliencron-Ge- ebenso plaudere mit »Ihrer Exzellenz« der Frau Oberhofmeisterin dichte. Seiner Bedeutung für das Geistes- und Kulturleben gibt er in (übrigens eine gar scharmante Dame) wie mit dem hiesigen russischen seiner Selbstbeschreibung (5.11.1905) ambitioniert, aber durchaus treffend Aus- Gesandten usw. druck: „mir überlegt, welche Wirkungsmittel ich in Deutschland habe: den deut- Ich sehe und sah fast alle Hofdamen und „Damen, die zu Hof gehn“, und schen Künstlerbund, meine Stellung in Weimar inclusive dem Prestige trotz des Excellenzen und Kammerherren, und Grafen und Barone, bei meiner großherzoglichen Schwachsinns, (…) meine nahen Verbindungen zu Dehmel, Li- himmlischen, ja himmlischen Frau Dr. E. Förster-Nietzsche, in ihrer wun- liencron, Klinger, Liebermann, Ansorge, Gerhart Hauptmann (…) und schließlich dervollen Villa, wo ich täglich einige Stunden das Glück habe verweilen zu Detlev von Liliencron mit Hans Olde mein persönliches Prestige. Die Bilanz ist ziemlich überraschend und wohl einzig. dürfen (dieser letzte Satz eben war schon „Hofsprache“.(…) Was eigentlich Niemand anders hat eine so starke, nach so vielen Seiten reichende Stellung.“111 diese herrliche Frau Dr. F.-N. an mir „gefressen“ hat, weiß ich nicht. (…) Wie wunderlich doch der »Roman« meines Lebens ist: Jetzt mal wieder in den »Allerhöchsten Kreisen«. (…) Natürlich sind hier wie überall, und ohne Ausnahme, die Menschen Canaillen und Bestien (…). Ihr Liliencron, z.Z. lächelnde Schlange112

Liliencrons Hochschätzung gegenüber Förster-Nietzsche ist nicht zuletzt wohl auch darauf zurückzuführen, dass sie, zusammen mit Graf Kessler und dem im- pressionistischen Maler Hans Olde, den trotz seines immensen Erfolgs immer noch verschuldeten Autor finanziell großzügig unterstützte:

Und unsre liebe herrliche Frau Dr. F.-N. hat mich jeden Tag ein paar Stunden bei sich. Heute sprachen wir über meine Zukunft. Vielleicht kommt wenigstens dabei heraus: Ein Häuschen mit bescheidenster Einrichtung. Zum Herbst oder Winter.“ 113

Zum Weimarer Netzwerk Liliencrons gehörte auch die dort ansässige „Schiller- stiftung“, die bis heute existiert und zu den ganz großen finanziellen Unterstüt- zern Liliencrons zählte. Gegründet 1859, unterstützt sie Autoren und befördert literarische Projekte bis heute. Unter den 3.000 seitdem geförderten Schriftstel- lern gehörte Liliencron wegen seines fragwürdigen Umgangs mit Geld immer zu den umstrittensten, fand aber auch immer wieder Fürsprecher, die ihm dort zu Lovis Corinth: Hans Olde 1904 Einzel-Dotationen verhalfen, meist in Höhe von 400 Mark im Jahr, eine damals durchaus ansprechende Summe. Schließlich erhielt er sogar eine Dauerpension von 600 Mark pro Jahr, und seine Witwe wurde noch bis 1944 unterstützt.114

E. Förster-Nietzsche

76 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 77 Hamburger Netzwerk Liliencron profitierte von diesem „Mein Herzensrichard“, „Geliebtester!“115 „Dottore mio“ Netzwerk, wie auch Dehmel durch Li- liencron Zugänge zu dessen Kontakt- und ein Haus in Alt-Rahlstedt personen bekam. Als Liliencron 1909 starb, kümmerte sich Richard Deh- mel um seinen Nachlass. Als Dehmel Schon seit seinem Zuzug nach Ottensen und Altona (1891), intensiviert aber durch 1920 starb, ordnete Ida seinen riesi- seine neue Sesshaftigkeit in Alt-Rahlstedt ab 1901 und den damit verbundenen gen schriftstellerischen Nachlass. Als kleinen wirtschaftlichen Aufstieg, knüpfte sich um Liliencron ein Netzwerk von deutsche Jüdin gehörte sie, trotz ihrer in Hamburg ansässigen Autoren und bildenden Künstlern, die ihrerseits durch Prominenz, zu den Verfolgten des Na- ihre Vernetzungen nach Berlin (u. a.), Weimar (Kessler) und zi-Regimes und beging, in Erwartung München (Bierbaum) weit über Norddeutschland hinaus wirksam waren. Auch der Deportation, am 29.September heute noch klangvolle Namen gehören dazu, wie Richard Dehmel und Otto Ernst 1942 Selbstmord.117 („Appelschnuut“) oder aus dem Bereich der Kunst Alfred Lichtwark, der erste Direktor der Hamburger Kunsthalle; viele Namen aber sind heute fast vergessen, Die Jahrhundertwende ist in ihrer wie Jakob Loewenberg, Heinrich Spiero, Gustav Falke, Alfred Tormin oder Lili- seltsamen Mischung aus Endzeit- encrons Maler-Freund Henry Schulz, der ihn mehrfach porträtierte.116 und Aufbruchstimmung auch eine Henry Schulz: „Liliencron, in Ohn- Zeit der „literarischen Vereine“. Und macht gefallen, als er heute das erste Richard Dehmel (1863-1920), promovierter Angestellter einer Versicherungs- so bekamen die Mitglieder seines graue Haar entdeckte, 16.II.1896“ gesellschaft, scheint das genaue Gegenteil des emotional, intuitiv und wider- „Netzwerks“, die Hamburger Auto- sprüchlich denkenden und agierenden Liliencron zu sein, und doch fanden ren Gustav Falke, Jakob Loewen- Ida und Richard Dehmel im Nietzsche-Archiv, Weimar 1904 sich in den beiden zwei unverbrüchliche Gesprächspartner, Seelenverwandte berg, Otto Ernst, der Buchhändler („Mein Herzensrichard“) und Koalitionäre in der Durchsetzung wirtschaftli- Léon Goldschmidt, Maximilian Fuhr- cher Interessen von Autoren, die ihresgleichen suchen. Dehmel war Mitbe- mann (Schriftsteller) Liliencron mit gründer der oben schon erwähnten Zeitschrift PAN. Lange Zeit in Berlin an- ins Boot, um auch in Hamburg, ih- sässig, dort bereits viele Male von Liliencron besucht, entschloss er sich 1901, rem Eindruck nach eine literarische nach Hamburg umziehen, um seinem Freund näher zu sein. Seine zweite Ehe- Karstlandschaft, moderne Literatur frau Ida Dehmel (1870-1942) gehörte zu den Personen, die nach anfänglicher zu propagieren. Liliencron war schon Skepsis einen Ring von finanziellen Unterstützern um Liliencron etablierten, in München an einer einschlägigen und sorgte so 1904 mit über 11.000 Mark Spendengeld ganz wesentlich für Literaturvereinigung beteiligt. In die nahezu vollständige Entschuldung des ewig Abgebrannten (dies war 1897 Hamburg sollte sie nun Literarische schon von Richard Dehmel, Alfred Lichtwark und Theodor Fontane versucht Gesellschaft für modernes Leben hei- worden). Schon in Berlin, Am Tiergarten, hatte Ida einen prominenten „Salon“ ßen. Deren erste große Veranstaltung betrieben, in dem auch Liliencron verkehrte; Richard und Ida hatten intensive fand zu Ehren Liliencrons am 26. Kontakte zum Jugendstilkünstler und Architekten , sie waren wie April 1904 im Hamburger Convent- Liliencron häufig Gäste in Weimar (Harry Graf Kessler, Henry van de Velde garten mit 2000 Zuhörern118 statt. und im Nietzsche-Archiv), kannten Stefan Zweig, Gustav Mahler, Max Klinger Liliencron, der eigentlich zum schar- und Max Liebermann, Alfred Lichtwark, Thomas Mann und den Hamburger fen Kritiker jeder „Vereinsmeierei“ Künstler Richard Luksch, der 1910 die Jugendstil-Statue auf Liliencrons Grab gehörte, war auch in diesem Punkt in Rahlstedt, „Das rosenstreuende Mädchen“, geschaffen hat. Es gehört zu den pragmatisch und agierte dort, wo er Liliencron, Altona 1896 schönsten Grabmonumenten in Hamburg. oder andere es für sinnvoll hielten.

Zuletzt sei auf den 1862 in Altona geborenen und 1937 in Den Haag gestorbenen Constantin Brunner hingewiesen. Der Name war das Pseudonym des deutsch- jüdischen Philosophen, Literaturkritikers und Schriftstellers Leo Wertheimer. Während seines Studiums und seiner Promotion in Berlin (bis 1888) waren ihm so zahlreiche Beispiel von Antisemitismus begegnet, dass dies eines seiner zentralen Themen wurde. Dabei war er aber auch dem höheren Unsinn äußerst aufgeschlossen. Seine Freundschaft mit Liliencron beruhte weniger auf dessen Lyrik als auf einer persönlichen Sympathie. 1892 gründete Brunner mit Lilien- Alfred Lichtwark, 1899 Gustav Falke und Liliencron an Klopstocks Grab in Altona. Auf der Rückseite von cron u.a. die grotesk-komische Vereinigung „Atta Troll“ (das ist eigentlich der Liliencron beschriftet:“ Gustav und Detlev, Klopstocks Grab beschützend vor den Name eines absonderlichen Tanzbären in Heinrich Heines gleichnamigem Vers- bösen Naturalisten“. Foto: Staats- u. Univ.-Bibl. Hamburg epos von 1841 Atta Troll. Ein Sommernachtstraum): Zusammen mit den Musi-

78 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 79 kern Goby Eberhardt und Paul Geisler, der Schriftstellerin Emmy Rossi und den Mark130. Liliencron erhielt pro verkauf- Schriftstellern Otto Ernst, Gustav Falke und Leo Berg119 traf man sich regelmäßig tem Buchexemplar (Gedichtband oder zur Produktion und Entfaltung höheren Blödsinns.120 Abraham Suhl berichtet in Einzelband einer Gesamtausgabe) 50 seiner Brunner-Biografie121 von diesen Treffen: Pfennig. Das Verhältnis Liliencrons zu seinem Verleger verschlechterte sich Neue Arbeiten wurden vorgelesen und scharfe Kritik darüber geübt. Aber daher zusehends, er fühlte sich perma- zumeist ging es über die Hypothesendenker, Autoritäten und Philologen nent übervorteilt. Friedrich verkaufte her. Brunner und Geisler waren geistvolle Debatter, so daß selbst dem seine Rechte schließlich im November klugen Otto Ernst oft die Puste ausging. Liliencron schwieg zumeist, und 1895 an zwei junge, aufstrebende Ver- Falkes geistiger Fond reichte überhaupt nicht aus, um folgen zu können. leger131 in Berlin, die mit Liliencron als ihrem ersten Schriftsteller später Zwar wird Liliencron von vielen (u.a. Ida Dehmel) als charmanter und geistrei- schließlich doch noch unternehmeri- cher Plauderer beschrieben, aber man darf wohl annehmen, dass die Allotria der schen Gewinn machen sollten: Schus- hier beschriebenen Art nicht unbedingt sein Feld waren.122 Das Motiv, dort mit- ter & Löffler. zumachen, lag wohl eher in der Freundschaft zu Brunner begründet. Liliencron veröffentlichte mehrfach Gedichte in Brunners 1893 gegründeter Zeitschrift „Der Raubdrucke und Knebelverträge mit Zuschauer“. Mit ihm diskutierte er gern, wie mit Dehmel, über einzelne Formu- Autoren waren im Deutschen Reich Constantin Brunner (1862-1937) lierungen der von ihm eingereichten Gedichte: weit verbreitet, war das geltende Urhe- berrecht doch sehr verlegerfreundlich. Dottore mio (…) Anliegend das versprochene Gedicht (…) Zu Änderungen So war es durchaus üblich, Autoren für darin (…) kann ich mich nicht veranlaßt sehen. Höchstens das Wort ihre Leistung nur einmal zu honorie- „Morgenton“ (wenns Ihnen zu neutönerisch klingt) in „erste Hahn“ ren oder sie an den Druckkosten zu be- verwandeln, oder wenn Sie ein besseres fänden.“123 teiligen. Nachdrucke und weitere Auf- Liliencron bei einem Besuch im Hause seines Verlegers Wilhelm Friedrich (1893). lagen wurden oft ebenso wenig bezahlt Rechts der Schriftsteller Hans Merian Die Freundschaft hielt Liliencron nicht davon ab, Brunner immer mal wieder wie Veröffentlichungen in Schulbü- anzupumpen124: chern (man zählte Jugendbücher dann großzügig dazu), Sammelbänden usw. „Um Gottes willen, wie viel?“ sagen Sie, rufen Sie jetzt! Diesmal nur 20 M. (…) Sollte es Ihnen noch möglich sein, (…) so hole ich sie mir (…) morgen, Die Zeitschrift Die Feder. Organ Sonnabend, im Laufe des Vormittags ab. Darf ich? für alle deutschen Schriftsteller und Journalisten thematisiert die Mise- „Wer Geld hat, hat Freunde, aber bei Liliencron hieß es doch wahrlich: wer re seit 1898. Ihr Herausgeber macht Freunde hat, hat Geld“, schrieb Brunner etwas spitz in einem Essay von 1910 zum Beispiel darauf aufmerksam, über Liliencrons unerschöpflichen Geldbedarf125. Die Freundschaft der beiden dass „die Honorare für Schriftsteller blieb bis zu Brunners Umzug Ende 1895 n ach Berlin bestehen. Brunner besaß in den letzten 10-20 Jahren um 50 jedoch ein Andenken an Liliencron ganz besonderer Art: Bei seinen Besuchen in Prozent gesunken“132 seien. Vermut- der Palmaille 5 hatte er sich in dessen monumentalen Schreibtisch der „Breslauer lich auch unter dem Eindruck des Dichterschule“ verliebt, ließ ihn sich original nachbauen und nahm ihn nicht nur zunehmenden Drucks von Schrift- mit nach Berlin, sondern auch ins von den Nationalsozialisten erzwungene Exil stellern beschloss der Reichstag eine, in den Niederlanden126. Dort starb er 1937; seine Familie wurde von den Nazis allerdings nur leichte, Verschärfung in Sobibor ermordet. Es ist erschütternd, wieviele Freunde von Liliencron oder der einschlägigen Urheberrechtsge- deren Nachkommen auf diese schreckliche Weise ums Leben kamen. setze, die am 1.1.1902 in Kraft trat. Daraufhin wendete sich Arno Holz Liliencrons „Breslauer“ Schreibtisch in „Seine Launen sind fast immer ‚ritterlich‘; bloß wenn zunächst an Liliencron mit der Bit- seinem Zimmer Palmaille 5 sich‘s um Monneten [!] handelt, sind sie mitunter mal te um Unterstützung. „Um als Autor Liliencrons Arbeitszimmer. Ausstellung im Forum Gymnasium Rahlstedt strauchritterlich. (Dehmel)“ 127 auf solcherlei Missstände einwirken Liliencron und das „Kartell lyrischer Autoren“: ein Netzwerk als Kampfansage zu können, bedarf es einer gewis- sen Wirkmacht, die Liliencron und Die Briefe, in denen Liliencron sich über seine unseligen wirtschaftlichen Ver- seinen Texten allerdings tatsächlich hältnisse beklagt, Selbstmordgedanken deswegen äußert oder versucht, eine neue zukam.“133 Schließlich kam eine Ini- Geldquelle aufzutun, sind Legion. In zahlreichen Gedichten beklagt er die Ignoranz tiative aus Holz, Liliencron, Dehmel, des Publikums, die Konkurrenz der Trivialschriftsteller, die einschränkenden Vor- Bierbaum, Hofmannsthal u.a. zustan- gaben der Verlage. Auch wenn sein Bekanntheitsgrad vor allem in der literarischen de, die am 1.8.1902 in der Feder einen Welt mit den späteren 80er Jahren bereits sehr groß war, so ließen sich doch sei- Gründungsaufruf für ein Kartell lyri- ne Bücher, Prosa- wie Gedichtbände, nur schwer verkaufen. Die „Adjutantenritte“ scher Autoren veröffentlichten. Ziel z.B. waren zwar sehr populär; die erste Auflage (1.000 Exemplare) war jedoch erst war die solidarische Durchsetzung 11 Jahre nach Erscheinen (1883) vergriffen. Der Sammelband „Neue Gedichte“ bestimmter Mindest-Zeilenhonorare. (1893)128 wurde im ersten und zweiten Jahr nur je 100mal verkauft. Liliencrons Zu Beginn stark belächelt, verzeich- Verleger Wilhelm Friedrich hatte 1892 „im ganzen 13 Werke Liliencrons in Verlag, nete das Kartell aber schon 1905 etwa drei Bände Gedichte, fünf Dramen, zwei Romane und drei Novellenbände. Der ge- 100 Mitglieder, darunter Rilke und samte Absatz dieses Jahres betrug ganze 284 Bände.“129. Die Honorare waren sehr Morgenstern.134 Liliencron, der nach Liliencron mit Tochter Abel in seinem überschaubar und wurden meist ohnehin, wegen bereits geleisteter Vorschüsse, eigener Einschätzung Unpolitische, Arbeitszimmer (1904). nur verrechnet. Mit knappen Honoraren stand Liliencron aber nicht allein. S. Fi- wirkte plötzlich gesellschaftspoli- Foto: Staats- und Universitätsbibliothek scher z. B. zahlte Thomas Mann für dessen ersten Novellenband 1897 ganze 150 tisch, ja gewerkschaftlich. Hamburg.

80 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 81 Gegen Ende seines Lebens zeichnete sich aufgrund seiner hohen Popularität 1 Der Begriff des „Netzwerks“ wird uneinheitlich verwendet (vgl. https://de.wikipedia. und entsprechender Verkaufszahlen, sicher auch aufgrund seiner strikten Hal- org/wiki/Netzwerk). Dies gilt auch für den Terminus „Netz“. Beide Begriffe bedürfen, tung in Urheberrechtsfragen, eine deutliche wirtschaftliche Konsolidierung in trotz oder gerade wegen ihrer metaphorischen Stärke, in den Geistes- und Sozialwissen- Liliencrons Leben ab. Er hatte sein Haus „bestellt“, als er am 22.7.1909 starb. schaften dringend einer terminologischen Schärfung. Ich verwende im Folgenden den Noch einmal zeigte sich bei seiner Beerdigung die Vielfalt und der Umfang sei- Begriff „Netz“ meist dann, wenn es um die technischen, auf Vernetzung basierenden ner zahlreichen Netzwerke, als der Garten in der Bahnhofstraße überquoll von Technologien geht. Von „Netzwerken“ spreche ich, wenn Menschen mithilfe von „Net- Kränzen und der Trauermarsch von seinem Haus zum Friedhof gesäumt war von zen“ (Begegnungen, Post, Zeitschriften usw.) eine andauernde interpersonale Kommu- vielen Freunden und Rahlstedter Bürgern. Fast wie ein Vermächtnis liest sich die nikation aufbauen. Die genutzten „Plattformen“ und Medien („Netze“) sind dabei immer Rezeptionsvorgabe seines „Poggfred“. Sie ist eine Befreiung des modernen mitgedacht. Lesers von den Knechtungen durch den Autor: 2 Bei Originalzitaten aus Briefen, Gedichtausgaben usw. wurde die Orthografie des jeweili- Dies ist ein Epos mit und ohne Held, gen Originals beibehalten (gelegentlich wird durch ein ‚sic‘ bzw. ‚!‘ darauf hingewiesen), Ihr könnts von vorne lesen und von hinten, auch wenn die von Liliencron praktizierte Schreibung keineswegs immer einheitlich ist Auch aus der Mitte, wenn es euch gefällt. und zum Teil nicht dem Regelwerk seiner Zeit entsprach. Ja, wo ihr wollt, ich mache nirgends Finten, Klaubt euch ein Verslein aus der Strophenwelt! 3 V W: In der Poetenwerkstatt. Detlev von Liliencrons Arbeitszimmer in Alt-Rahlstedt. In: Rahls- So sucht ein Kind im Kuchen nach Korinthen. tedter Jahrbuch für Geschichte und Kultur, Jg. 2013, S. 20-39. Das Jahrbuch ist als Download Ob sie euch schmecken, kümmert mich fürwahr nicht; online verfügbar: http://www.rahlstedter-kulturverein.de/mediapool/129/1299429/data/Ge- Liliencron 1909 So lest denn mit Geduld! Meintwegen garnicht.135 samt-2013.pdf

4 mit mir, nach Vereinbarung über das Schulsekretariat

5 V W: An-Sichten. Bilderwelt und Weltbild Detlev von Liliencrons. In: Rahlstedter Jahr- buch für Geschichte und Kultur, Jg. 2017, S. 20-44. Download des kompletten Jahrbuchs: http://www.rahlstedter-kulturverein.de/mediapool/129/1299429/data/Jahrbuch_Rahls- tedt_2017_07082017.pdf

6 V W: „Mit Wörtern malen“- Liliencron und seine impressionistischen Gedichte. In: Rahls- tedter Jahrbuch für Geschichte und Kultur, Jg. 2018, S. 42-55. Download des kompletten Jahrbuchs: http://www.rahlstedter-kulturverein.de/mediapool/129/1299429/data/Rahls- tedter_Jahrbuch_2018_14082018.pdf

7 V W: Ein Bodenständiger im Höhenflug - Liliencrons 100 Reisen durch Deutschland, Eu- ropa und die USA. In: Rahlstedter Jahrbuch für Geschichte und Kultur, Jg. 2019, S. 42-76. Download des kompletten Jahrbuchs: http://www.rahlstedter-kulturverein.de/media- pool/129/1299429/data/Rahlstedter_Jahrbuch2019_KleinDruck.pdf

8 vgl. hierzu die umfassende Darstellung von Netzwerken aller Art in Jürgen Barkhoff, Hartmut Böhme, Jeanne Riou (Hrsg.), Netzwerke: eine Kulturtechnik der Moderne. Köln, Weimar, Wien 2004. Darin auch ein Aufsatz von Hugh Ridley: Liliencron und Bellow. Der literarische Zugang zum Netz um 1900 und 2000, S. 239-250

9 In dieser dialektischen Eigenschaft bilden Netzwerke entscheidende Bausteine bei der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“. Vgl. hierzu: Peter Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissens- soziologie. Frankfurt/M. (Fischer) 1970

10 Die Politik, insbesondere die Sozialdemokratie, erinnerte in den 20er Jahren noch häufiger an den Lyriker; etliche wissenschaftliche Werke erschienen zu Liliencron. Der Versuch der Nationalsozialisten, ihn, 25 Jahre nach seinem Tod, zu einem Vertreter ihres übersteiger- Richard Luksch: Das rosenstreuende Mädchen. Grabmal Detlev von Liliencrons auf dem Altrahlstedter Friedhof, 1913 ten nationalen Gedankenguts zu instrumentalisieren, war merklich getrübt, als bekannt wurde, dass Liliencron sich nicht nur an der großen Kampagne im Deutschen Kaiserreich zur Abschaffung des Homosexuellen-Paragrafen 175 beteiligt, sondern sich auch noch mehrfach für die Aufstellung eines Denkmals des von ihm sehr verehrten Heinrich Heine stark gemacht hatte. Vgl. Franz Mehring: Eine Seeschlange. In: Die Neue Zeit, 24. Jg. 1905/06 v. 8.8.1906, Zweiter Band, S. 649-653. Nach Gesammelte Schriften, Band 10, S. 488-492. Auch in: https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/mehring/ mehring-literatur/mehring-vormaerz/franz-mehring-eine-seeschlange, zuletzt aufgerufen 2.8.2020

11 Bertha von Suttner: Memoiren. Stuttgart/Leipzig (Dt. Verlagsanstalt) 1909, hier zitiert nach: www.zeno.org/Literatur/M/Suttner,+Bertha+von/Autobiographisches/Memoiren/ Siebenter+Teil+(1892-1898)/34.+Aufenthalt+in+Berlin+und+Hamburg, letzter Zugriff 1.6.2020

82 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 83 12 Maik Bierwirth, Modi der Wertentstehung am Beispiel von Detlev von Liliencron, in: ders., 33 ebd. Wiederholung, Wertung, Intertext. Strukturen literarischer Kanonisierung. (SYNCHRON) 2017, S. 214 34 Theodor Heuss (1. deutscher Bundespräsident): Vor der Bücherwand. Skizzen zu Dichtern und Dichtung, hrsg. von Friedrich Kaufmann und Hermann Leins. Berlin// 13 vgl. Elke Austermühl: Lyrik der Jahrhundertwende. In: York-Gothart Mix (Hrsg.): Hansers Wien 1961, S. 210 Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 7: Naturalismus - Fin de Siècle – Expressio- nismus 1890 – 1918, München 2000, S. 352 35 So beschreibt Dehmel das Schriftbild der Liliencron-Briefe. Er musste auf das meiste davon in seiner Briefausgabe verzichten. Vgl. Dehmel, Briefe 1910, Bd. 1, Vorwort, S. XXI 14 Berger/Luckmann 1970 36 vgl. Marc Föcking: Drei Verbindungen: Lyrik, Telefon, Telegrafie 1900-1913 (Liliencron, 15 Erstdruck in: Monatsblätter. Organ des Vereins „Breslauer Dichterschule“, Jg. 15, 1889, Altenberg, Apollinaire). In: Die schönen und die nützlichen Künste, hrsg. von Katja Schu- Nr. 1, Januar, S. 7 mann und Knut Hickethier, München (Fink) 2007, S. 167

16 Andreas Austilat: Höchste Eisenbahn, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/175- 37 Heinrich Spiero (Hrsg.), Einleitung zu: Neue Kunde von Liliencron. Des Dichters Briefe an jahre-bahn-in-deutschland-hoechste-eisenbahn/3588272.html, letzter Zugriff 10.5.2020 seinen ersten Verleger, Leipzig (Finck, vormals Xenien-Verlag) 1911, S.15

17 Neben den im Folgenden zitierten Gedichten sei auf die Gedichte „Auf einem Bahnhofe“ 38 ebd. von 1890 und „Ich war so glücklich (Ausflug)“ hingewiesen, in: Detlev von Liliencron: Der Haidegänger und andere Gedichte, Leipzig 1890, S. 42-54. 39 Der expressionistische Autor Walter Hasenclever hat 1914 eine Auswahl der Gegenbriefe Friedrichs veröffentlicht: Walter Hasenclever (Hrsg.), Dichter und Verleger. Briefe von 18 Detlev von Liliencron, Gedichte, Leipzig 1889, zit. nach: Walter Hettche (Hrsg.), Detlev Wilhelm Friedrich an Detlev von Liliencron, München und Berlin (Georg Müller), 1914 von Liliencron. Ausgewählte Werke, Neumünster (Wachholtz) 2009, S. 73f 40 ebd., S.15 19 Tessy/Tessa Korber: Technik in der Literatur der frühen Moderne. Diss. Nürnberg 1997, Wiesbaden (Deutscher Universitätsverlag) 1998, S. 176 41 Dehmel Briefe 1910, Bd. 1, Vorwort des Herausgebers, S. VIII

20 Detlev von Liliencron: Brief an Theobald Nöthig. Kellinghusen, 8.1.1888, zit. nach Jean 42 vgl. Hans Wysling (Hrsg.): Thomas Mann – Briefwechsel mit Autoren, Einleitung, Royer (Hrsg.): Detlev von Liliencron und Theobald Nöthig, Briefwechsel 1884-1909, Bd. 1, Frankfurt/M. 1988, S. V Herzberg 1986, S. 248 43 Die Ausgabe von Royer (1986) enthält fast 400 Briefe. 21 vgl. Schleswig-holsteinische Landesbibliothek (Hrsg.): Detlev von Liliencron 1844 bis 1909. Ausstellung und Nachlass. Kiel 1984 (Berichte und Beiträge der Schleswig-Holsteini- 44 zahlreiche Briefe z.B. in: Peter Hille, Sämtliche Briefe. Kommentierte Ausgabe, hrsg. von schen Landesbibliothek), Seite 55 Walter Gödden und Nils Rottschäfer, Bielefeld (Aisthesis-Verlag) 2010: S. 35, 40, 48, 55, 60, 63, 72, 77, 131, 136, 193, 197, 209 22 vgl. Jean Royer 1986, Zur Einleitung, Bd. 1, S. 32 45 z.B. von einem Besuch bei Charlotte Embden, Heinrich Heines Schwester, beim Weimarer 23 Brief an Hermann Friedrichs, Kellinghusen, 23.11.88, in: Detlev von Liliencrons Briefe an Kreis um Harry Graf Kessler uvm. Hermann Friedrichs, Berlin (Concordia Deutsche Verlagsanstalt) 1910, S. 326 15 Heuss 1961, S. 204 24 Brief an Theobald Nöthig vom 10.November 1889, zit. nach Jean Royer 1986, Bd. 1, S. 349 u. 353 47 Schreiben Richard Dehmels an Liliencrons ehemalige Mitbewohnerin Alma Holtorf, mit 25 Detlev von Liliencron: Neue Gedichte, Leipzig 1893, zit. nach Hettche 2009, S. 126f Blindprägung, Blankenese, 8.2.1910 (Privatbesitz)

26 Brief an Gustav Falke: Leipzig, 5.2.1898, zit. nach Richard Dehmel, Detlev von Liliencron.- Aus- 48 Heinrich Spiero (Hrsg.), Neue Kunde von Liliencron. Des Dichters Briefe an seinen ersten gewählte Briefe, Bd.2, Berlin (Schuster und Loeffler) 1910, S. 113: „Also jetzt wird’s mein „Brod“ Verleger, Einleitung, Leipzig 1911, S.19 werden, vom nächsten Winter an ‚vorzulesen‘. Stets 150 M. (bei einzelnen ‚Vereinen‘ 300 – 500 M.), freie Reise zweiter Güte, und 3 Tage Hotel: à 20 M. den Tag. Sonst thue ich’s nicht.“ 49 vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Phonograph, Zugriff 20.5.2019

27 Theodor Fontane: Die Brück’ am Tay. 28. Dezember 1879. In: Die Gegenwart. Wochen- 50 zit. nach Dehmel, Briefe Bd. 2, 1910, S. 67 schrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, hrsg. von Paul Lindau, Band XVII, Nr. 2, 10.1.1880, S. 20f. 51 Detlev von Liliencron: Kriegsnovellen, Leipzig 1885

28 aus: DvL, Bunte Beute, Leipzig 1903, zit. nach Hettche 2009, S. 184f 52 Detlev von Liliencron: Umzingelt. In: ders.: Kriegsnovellen (Sämtliche Werke, Bd. 1), Ber- lin und Leipzig (Schuster &Loeffler) o.J., S. 237-262 29 Es geht um den Einsturz der Firth-of-Tay-Brücke in Schottland am 28. Dezember 1879 mit 75 Toten, Passagieren eines darüber hinwegfahrenden Eisenbahnzuges 53 vgl. hierzu Volker Wolter: Mit Wörtern malen 2018

30 eingeschoben nur die Frage: „steht da der Tod mit der Bombe zum Wurfe?“ 54 Detlev von Liliencron: Eine Sommerschlacht. In: ders.: Kriegsnovellen (Sämtliche Werke, Bd. 1), S. 31-64 31 Carsten Dürkob: Der Nichterfüllung schattenvoller Kranz. Leben, Werk und literaturge- schichtlicher Ort des Prinzen Emil von Schönaich-Carolath. Diss. Paderborn 1996, Olden- 55 Vorher hatte er das Haus in der Bahnhofstraße 11 gemietet (darin befindet sich heute die burg (Igel) 1998, S. 199 Herz-Apotheke, und im aufgestockten Giebel steht seit der Renovierung 2019 die etwas verstörende Jahresangabe „1911“). Die Witwe Liliencrons erhielt das Haus später als Ge- 32 vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg-Rahlstedt (Zugriff 17.2.2020) schenk.

84 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 85 56 Eine Kenntnis, die ich Annemarie Lutz und ihrer Freundin Karin v. Liliencron, einer Enke- 72 Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke, hrsg. von Ruth Sieber-Rilke, Bd. 5, Frankfurt/M. lin Liliencrons, verdanke (2009). 1965, S. 374, zit. nach: Heinrich Detering: Das Meer meiner Kindheit. Thomas Manns Lübecker Dämonen, Heide (Boyens) 2016, S. 241. Auch nachlesbar unter http://www. 57 Die Erfindung selbst ist auf das Jahr 1861 zu datieren: Am 26. Oktober 1861 führte Philipp lyriktheorie.uni-wuppertal.de/texte/1898_rilke, letzter Zugriff 1.7.2020 Reis (1834-1874) im Physikalischen Verein zu Frankfurt am Main ein spektakuläres Ex- periment vor, bei dem Sprachübertragung mit Hilfe von Elektrizität vonstattenging. Aber 73 seit einiger Zeit wieder im Wachholtz-Verlag, hrsg. von Philipp Pabst, Neumünster 2013 erst die Weiterentwicklung durch den Amerikaner Alexander Graham Bell brachte der Erfindung in den 70er Jahren Publizität und Marktreife. 74 vgl. Wolter 2019, S. 54-60

58 Detlev von Liliencron: Durchs Telephon. Zuerst veröffentlicht im Oktober 1900 in der 75 Die Verehrung Liliencrons durch Karl Kraus, auch weit über Liliencrons Tod hinaus, ist Literaturzeitschrift „Die Insel“, hrsg. von O. J. Bierbaum, Jg.2, Heft 1, S.290; später dann inzwischen durch die von Joachim Kersten und Friedrich Pfäfflin herausgegebene und in: DvL, Bunte Beute, Berlin/Leipzig 1903, S.15. Vgl. hierzu auch Marc Föcking 2007, S. kommentierte Dokumentation „Detlev von Liliencron entdeckt, gefeiert und gelesen von 167-180. Einordnungen dieses Gedichts auch bei: Hugh Ridley: Liliencron und Bellow. Karl Kraus2, Göttingen (Wallstein) 2016, umfassend belegt. Der literarische Zugang zum Netz. In: Netzwerke: eine Kulturtechnik der Moderne, hrsg. v. Jürgen Barkhoff, Hartmut Böhme, Jeanne Riou, (Böhlau Verlag) Köln Weimar, 2004, S. 76 1893 äußerte sich Liliencron anlässlich seines Besuches der Hamburger Aufführung von 239-250 Vor Sonnenaufgang gegenüber Karl Kraus: ‚>Vor Sonnen[auf]fg[ang]< herrlich! (…). Hoch, hoch, hoch! unserm Gerhart!!!“ (Brief an K. Kraus v. 22.10.1893. In: Kersten/Pfäff- 59 Heinrich Detering: Der überaus wundervolle Herr von Liliencron. In: FAZ vom 10.7.2009, lin 2016, S. 165 vgl. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/detlev-von- liliencron-ausgewaehlte-werke-der-ueberaus-wundervolle-herr-von-liliencron-1829202.ht 77 Artist, Royalist, Anarchist: Das abenteuerliche Leben des Baron Detlev Freiherr von ml?printPagedArticle=true#pageIndex_4, letzter Zugriff 12.6.2020 Liliencron 1844-1909. Ausstellungskatalog SUB Hamburg, hrsg. von Matthias Mainholz, Rüdiger Schütt, Sabine Walter, Herzberg (Bautz) 1994, S.258f (zukünftig: ARA 1994) 60 vgl. Karlheinz Jacob: Sprachliche Aneignung neuer Medien im 19. Jahrhundert. In: Wer- ner Kallmeyer (Hrsg.): Sprache und neue Medien. Berlin/New York (de Gruyter) 2000. S. 78 vgl. ARA 1994, S.259 105 (Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 1999) 79 vgl. hierzu ausführlich: Wolter 2019, S. 70ff 61 zit. nach Jacob 2000, S. 119 80 Theodor Heuss: Vorspiele des Lebens. Jugenderinnerungen. Tübingen 1953, zit. nach 62 Hugh Ridley 2004, S. 241. Mit der Formulierung bezieht Ridley sich auf Hans Robert Griese 2009, S. 227 Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1970 81 Theodor Heuss: Detlev von Liliencron (1944). In: ders., Vor der Bücherwand. Skizzen zu Dichtern und Dichtung, hrsg. von Friedrich Kaufmann und Hermann Leins. Berlin/Darm- 63 Föcking 2007, S.176 stadt/Wien 1961 S. 203

64 Dr. Marc Föcking ist Professor für italienische und französische Literaturwissenschaft, 82 1890: An Otto Julius Bierbaum : „Otto Julius, frischester Dragonerlieutenant,/Mit den Universität Hamburg roten Backen, mit dem weichen Schnurrbart,/Mit der mächtigen Dichterstirn…“

65 80 Jahre nach Liliencron lud der amerikanische Sänger Stevie Wonder seine karge tele- 83 Brief an Timm Kröger vom 19.1.1891, in: Dehmel, Briefe 1, 1910, S. 208 fonische Liebeserklärung in seinem Jahrhundert-Song „I Just Called to Say I Love You“ durch zahlreiche Hinweise darauf, was er damit alles habe nicht sagen wollen, letztlich 84 Michael Georg Conrad, Stellungnahme zu Liliencron, in: Fritz Böckel (Hrsg.), Detlev von doch noch poetisch auf. Liliencron. Erinnerungen und Urteile, Leipzig 19122 (Xenien-Verlag), S. 388

66 vgl. hierzu Christa Dürscheid/Sarah Brommer: Getippte Dialoge in neuen Medien. 85 Brief an Hermann Friedrich v. 5.Juli 1885, in: Dehmel, Briefe 1, S.118 Sprachkritische Aspekte und linguistische Analysen. Siehe hier auch den umfangreichen Literaturanhang: bop.unibe.ch/ 86 O. J. Bierbaum, Stellungnahme zu Liliencron, in: Böckel 1912, S. 20

67 z.B. in Liliencrons Erzählung „Der Dichter“ (1885, Hettche 2009, S. 439-455, auch http:// 87 vgl. Volker Griese, Detlev von Liliencron. Chronik eines Dichterlebens, Münster (Edition www.lyriktheorie.uni-wuppertal.de/scans/1885_2liliencron.pdf ) u. i.d.Gedichten Das Octopus) 2009, S. 182 Wundertier“ (Hettche 2009, S.64f), „Der Brotwagen“ (ebd., S. 66f) und „Dichterlos in Kamtschatka“ (ebd., S. 68-70), allesamt 1889: Die Dichter werden hier entweder verrückt, 88 vgl. Heinrich Spiero, Detlev von Liliencron. Sein Leben und seine Werke, Berlin und Leip- begehen Selbstmord oder sterben, bevor Ihre Leistung anerkannt wird. Eines dieser zig (Schuster & Loeffler) 1913, S. 240 Gedichte ist schon im Titel eine Anklage: „Auf den Tod eines in Elend untergegangenen Dichters“. Vgl. hierzu: Bierwirth 2017, S. 229 89 vgl. ARA 1994, S. 236

68 vgl. Ridley 2004, S.241 90 Heinrich Detering: Das Meer meiner Kindheit. Thomas Manns Lübecker Dämonen, Vor- wort, Heide (Boyens) 2016, S.14 69 zitiert nach Joachim Dyck: Gottfried Benn - Einführung in Leben und Werk, Berlin (Verlag Walter de Gruyter) 2009, S. 21 91 Heinrich Detering, Revolte: Vom Frühlingssturm zum Journalismus. In: ders. 2016, S. 125

70 zit. nach Dyck 2009, S. 21 92 Detering 2016, S. 233

71 Im Übrigen zeigt dieses Zitat durch die Inhomogenität von Vergöttlichung und „Ansichtskarte“ 93 Liliencrons Großvater wurde wegen einer damals so genannten „Missheirat“ eines Adeli- auch die nachträgliche Distanzierung, der wohl jeder Autor anhängt, wenn er sich zu einer selbst- gen mit einer Frau aus der Unterschicht weitgehend enterbt; Thomas Mann erlebte den ständigen Künstlerpersönlichkeit emanzipieren will. Vgl. Walter Hettche 2009, Nachwort, S.558 Niedergang des väterlichen Handelshauses und schrieb darüber die Buddenbrooks.

86 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 87 94 Thomas Mann: Liliencron, erschienen in der Wiener DIE ZEIT (3. Jg., Nr. 599, vom 29. 116 Liliencron hat diese Zeichnung seinem Nachbarn in der Palmaille folgendermaßen gewid- Mai 1904, Sonderbeilage). In: Thomas Mann, Essays I, hrsg. von Heinrich Detering, Große met: „Meinem lieben Hans Gurlitt in Erinnerung an ‚einige‘ leichtsinnige Stunden. Detlev kommentierte Frankfurter Ausgabe, Frankfurt/M. 2002, S. 76f (zukünftig: GKFA 2002) 19.7.98“. Hans Gurlitt war der jüngste Sohn des renommierten Landschaftsmalers Louis Gurlitt (1812-1897), eines Vertreters der „Hamburger Schule“. 95 Detering 2016, S. 229 117 vgl. zu Ida Dehmel die Biografie von Matthias Wegner: Aber die Liebe. Der Lebenstraum 96 Liliencron, zit nach GKFA 2002, Essays I, S. 76 der Ida Dehmel. Berlin (Claas-sen) 2000

97 vgl. TM: Essays I, 1893-1914, Kommentarband I von Heinrich Detering, GKFA 2002, S. 93 118 vgl. Griese 2009, S. 241

98 TM: Liliencron (1904), in GKFA 2002, Essays I, S. 77 119 Dieser setzt sich später mit Liliencrons Lyrik auseinander: Leo Berg, Detlev von Lilien- cron und die moderne Lyrik, in: Das Magazin für Litteratur«, Jg 69,1900, Nr. 50, Seiten 99 Thomas Mann in einem Brief an Theodor W. Adorno, 30.12.1945, zit. nach Christian 1241–1244 und Nr. 51, Seite 1269 Grawe: „Eine Art von höherem Abschreiben“. Zum „Typhus“-Kapitel in Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“. In: Thomas Mann-Jahrbuch Nr. 5 (1992), S. 115 120 vgl. Jürgen Stenzel/H.Matthes: Constantin Brunner, Leben und Werk, in: https://www. constantinbrunner.net/leben-werk-und-wirkung/biographie/ zuletzt aufgerufen 19.5.2020 100 Thomas Mann: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. GKFA 2002, Bd.1.1, S. 828 121 Abraham Suhl: Constantin Brunner. Sein Leben und Werk. In: Philosophia Activa, Hefte 101 Das Zitat in dieser Montage entnahm Mann Meyers Konversations-Lexikon, 5.Aufla- 2/91 - 1 /93. ge, Bd. 17. Leipzig/Wien 1897, S. 19. Vgl. Kommentarband „Buddenbrooks“, GKFA 1.2, Frankfurt/M. 2002, S. 414 122 Diese Einschätzung wird von seinem Freund Timm Kröger gestützt. Er habe Humor ge- habt, aber keinen Witz, der auf Gedankenblitzen basiere. Vgl. Timm Kröger, Erinnerungen 102 So beginnt die Novelle Der Buchenwald. In: DvL: Roggen und Weizen. Bd. 4 der Sämtli- an Liliencron. In: Fritz Böckel 1912, S. 68 chen Werke, Berlin und Leipzig o. J. (1896-1900), S. 66, auch in Hettche 2009, S. 427-439 123 Brief von Liliencron an Constantin Brunner vom 4.5.1893, zit. nach Dehmel 1910, Briefe I, 103 Detering 2016, S. 247 S. 285

104 vgl. Spiero 1913, S. 252 124 vgl. Brief Liliencrons an Brunner vom 23.12.1892, in Dehmel 1910, Briefe I, S. 279f

105 TM, Liliencron (1904), GKFA 2002, Essays I, S. 77 125 Constantin Brunner: Liliencron und alle seine unsterblichen Dichter. In: Nord und Süd, Februar 1912; wieder in: C. Brun-ner, Vom Geist und von der Torheit, Hamburg 1971, S. 106 In einem Brief an Rudolf Presber hatte Liliencron selbst die 2.000 Mark schon mit „n 87-97. Zugänglich in der Originalhandschrift und in einer mit Rand-notizen Brunners beeten wenig! entre nous!“ kommentiert und hinzugesetzt: „(…) im Grunde mag er mich versehenen Druckfahne auf der Website der Stichting Internationaal Constantin Brunner als Künstler nicht, kann er seiner ganzen Kunstrichtung nach (die wir ja alle kennen) mich Instituut (ICBI, Den Haag) & Constantin Brunner-Stiftung (Hamburg): http://archive.org/ nicht mögen“. Brief v. 7.8.1903, In: Dehmel, Briefe 2, 1910, S.250 stream/constantinbrunne09leob#page/n534/mode/1up, zuletzt aufgerufen am 2.8.2020. Dort kann man auch in einem Videofilm den Schreibtisch Brunners (Kopie von Liliencrons 107 Thomas Mann: Die gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers in Deutschland (1910), zit. Schreibtisch) sehen. nach GKFA 2002, Essays I, S.229 126 Der Schreibtisch befindet sich jetzt im Jüdischen Museum Berlin/ Leo Baeck Institute 108 Neben der Jugend brachten zu Liliencrons Geburtstag der Hamburgische Correspondent, (LBI) die Zeitschrift Niedersachsen sowie die Wiener Zeitschrift DIE ZEIT Sonderausgaben heraus. Vgl. Spiero 1913, S. 497 127 Richard Dehmel in einem Brief an Arno Holz, 1904, zitiert nach Bierwirth 2017, S. 15

109 Brief an den Chefredakteur, veröffentlicht in der genannten Sonderausgabe der „Jugend“, 128 vgl. zu den Verkaufszahlen: Spiero, Neue Kunde, Vorwort, S. 20 Nr. 23, 1904 129 ebd. 110 Adolph Donath (Hrsg.): Oesterreichische Dichter. Zum 60. Geburtstage Detlev von Lilien- crons. Wien 1904 130 Brief von S. Fischer an Thomas Mann vom 29.Mai 1897, zit. nach: GKFA 2002, Eck- hard Heftrich und Stephan Stachorski, Bd. 1.2 Kommentarband zu „Buddenbrooks“, 111 zit. nach: https://www.deutschlandfunkkultur.de/aesthet-mit-einer-mission.988. Frankfurt/M. 2002, S. 10 de.html?dram:article_id=153801, zuletzt aufgerufen 1.5.2020 131 Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswal- 112 aus einem Brief Liliencrons an seine beiden Mitbewohnerinnen in der Palmaille, Alma de 1908, S. 879-882, zit. nach: http://www.zeno.org/nid/20011438177, zuletzt aufgerufen Holtorf und Elise Rehburg, die Eigentümerin der Wohnung. Weimar, „Internationale 6.7.2020 Pension Rosenkranz“, den 7.3.1900. In: Dehmel, Briefe 2, 1910, S.165ff 132 vgl. Bierwirth 2017, S.232 113 Brief v. 10.3.1900, Weimar, zit. nach Dehmel, Briefe 2, S. 167 133 Bierwirth 2017, S.208 114 vgl. Wulf Kirsten (Hrsg.): Die Akte Liliencron (Aus dem Archiv der Deutschen Schillerstif- tung, Heft 13), Weimar o.J. (1968), S. 46 134 Zu diesen Vorgängen vgl. Bierwirth 2017, S.232 - 234

115 Richard Dehmel, Brief an Detlev von Liliencron v. 27.3.1903, in: R.D.: Ausgewählte Briefe 135 Detlev von Liliencron: Poggfred 1896. In: Detlev v. Liliencron, Gesammelte Werke, hrsg. aus den Jahren 1902 bis 1920, Berlin (Fischer) 1922, S.26 von Richard Dehmel, Berlin (Schuster und Loeffler) 1922, Bd. 1, S. 5

88 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 89 Hans-Werner Torsten Schmekal Nach diversen Zwischenstationen gründete mein Uropa am 01.01.1920 zusam- zusammengestellt von Claudia Lauschke men mit seinem Sohn Hans Schmekal eine eigene Tischlerei in der Kiebitzstra- ße in Hamburg-Eilbeck. Hauptsächlich wurden in der Firma Möbel angefertigt. Schon 1924 zog das Unternehmen, dank stetiger und gesunder Aufwärtsentwick- 100 Jahre Schmekal – eine Familien- lung, in die Wandsbecker Chaussee 182. Robert Schmekal setzte sich wohlver- dient am 31.07.1943 zur Ruhe und verstarb im Jahre 1960. Auf seine geleistete und Firmengeschichte aus Meiendorf Pionierarbeit sind wir auch heute noch sehr stolz.

Der berufliche Werdegang meines Opas Hans Schmekal, geb. 21.03.1900, Mitten in Meiendorf in der Saseler gest.16.04.1994, war auch sehr von Eigenständigkeit geprägt. Seine vierjährige Straße 59 gelegen, ist die Tischlerei Lehre als Lithograph hatte er 1918 beendet. Im April 1918 fing Hans – genau wie Schmekal vielen „alten Meiendorfern“ sein Vater – auf der Vulkanwerft als Hilfselektriker an zu arbeiten. Jedoch wurde ein fester Begriff. Dass sich das Un- er im August 1918 noch gemustert und als Artillerist zum Krieg eingezogen. Nach ternehmen bereits seit 100 Jahren in Kriegsende wollte Hans Schmekal gerne in seinem Beruf als Lithograph arbeiten. Familienhand befindet (wenn auch Durch die Weiterentwicklung der Fototechnik waren Lithographien allerdings erst seit 1962 in Meiendorf), wissen die nicht mehr erforderlich, so dass er von März bis Ende 1919 mit der Anfertigung Wenigsten. Anlässlich des 100-jährigen von Fotovergrößerungen beschäftigt war. Firmenjubiläums in diesem Jahr habe ich mir die Zeit genommen und in den Auf einem Stallboden in der Kiebitzstraße mit nur einer defekten Kreissäge und gesammelten Hinterlassenschaften des fünf Hobelbänken startete er mit seinem Vater Robert Schmekal am 1.1.1920 Betriebes gestöbert. Es kamen hochin- zusammen in die Selbstständigkeit und in die Tischlerlehre im eigenen Fa- teressante und überraschende Zeugnis- milienbetrieb. Es war eine harte Zeit, geprägt von der Inflation, mit Verzicht se ans Licht, die mir meine Vorfahren auf Freizeit und Geld, immer nur arbeitend – sogar am Sonntagvormittag. auf eine ganz besondere Weise näher Aufgrund Platzmangels wurde die Werkstatt schon ca. ein Jahr später nach gebracht haben und auch manche Er- Wandsbek verlagert – in den dritten Stock eines Fabrikgebäudes. Dort musste innerung geweckt haben. jedes Brett und jede Platte mit einer Winde von Hand in die Werkstatt gehievt werden. Wie viel Holz in den mehr als 100 Jah- ren durch meine Familie seine Form Weil sich die Firma vergrößerte und eine räumliche Nähe zur Werkstatt er- verändert hat, kann ich Ihnen leider forderlich war, zog die Familie von der Bethesdastraße 6 nach Wandsbek. Es Firmengründer Robert Schmekal mit seiner Ehefrau (ca. 1924 zur Silberhochzeit) nicht sagen. Ich weiß aber, dass 1889- wurden trotz der wirtschaftlichen Flaute neue Maschinen angeschafft, wobei 1893 mit Uropas Lehre zum Tischler als Hauptzahlungsmittel Wechsel benutzt wurden. Auch die Zahlung für die in Helmstedt alles begann. Aufge- überwiegend Privatkunden musste auf lange Abzahlung ausgestellte Wechsel wachsen war Robert Schmekal in der mit Verlängerungsklausel anerkannt werden. Trotz all dieser Widrigkeiten ab- Hochstraße in Hamburg-Borgfelde. solvierte Hans am 03.06.1931 die Meisterprüfung, um dann weiterhin gemein- Sein Vater – also mein Ururopa – war sam mit seinem Vater den Betrieb zu führen. 1934 heiratete er die aus Heide der Sohn eines „Musikus“, der es mit in Holstein stammende Elfriede Off, geb. 7.5.1912, gest. 7.2.1993. Aus der Ehe drei Frauen auf 24 Kinder brachte, entsprangen drei Kinder: Hans Werner Schmekal, geb. 24.7.1935, und zwei wovon er der jüngste war. Die Eltern jüngere Schwestern. starben, als er 12 Jahre alt war, wor- aufhin er geborgen in der Familie ei- Doch auch dieses Glück und der pros- nes Schuhmachermeisters aufwuchs. perierende Betrieb standen auf töner- Der Stiefvater wollte gern, dass Robert nen Füßen, denn erneut bedrohte ein Lehrer werden sollte, aber den Jun- Krieg die wirtschaftlichen und famili- gen zog es zum Handwerk. So kam er ären Geschicke. Natürlich wurde auch in Helmstedt in die damals noch vier Hans Schmekal als Soldat eingezogen. Jahre dauernde Tischlerlehre. Als 1943 die massiven Luftangriffe einsetzten, wurde er aus dem Krieg Nach erfolgreicher Ausbildung erwanderte Uropa Robert Schmekal in den da- abgezogen, um als Handwerker den mals noch üblichen Wanderjahren als Geselle von 1894-1897 nach Süddeutsch- Wiederaufbau zu unterstützen. Laut land und in die Schweiz, wo man ihn jedoch aufgrund fehlender Papiere wie- Erzählungen gab es sogar eine Aus- der zur Grenze zurückschickte. So zog es ihn wieder in den Norden zurück: Sein zeichnung, weil der Betrieb nach den Meister- und Zeichnerdiplom erwarb er 1899 in der Sauermannschen Fachschu- vielen schweren Bombenangriffen als le in Flensburg. Dort lernte er auch Helene Jensen kennen, die ihm eine treue Le- erster in Hamburg wieder arbeitsfähig bensgefährtin wurde. Als er Flensburg verließ, war er Tischlermeister und Innen- war. Nach der Totalausbombung der architekt. In Hamburg, „dem Tor zur weiten Welt“, welches später sein Zuhause Tischlerei im Juli 1943 in der Wands- werden sollte, arbeitete er bis 1902 bei Blohm & Voss, um im gleichen Jahr eine beker Chaussee konnte eine HEW-Ba- Bau- und Möbeltischlerei in Leck zu kaufen. 1908 zog es ihn bereits wieder nach racke (Bombenausweichlager) an der Hamburg, weil er hier bessere Zukunftschancen sah. Er arbeitete als Meister bei Gustav-Adolf-Straße 42 (Ecke Mittel- der Vulkanwerft und führte dann Betriebe bei Fitsche Bau Möbel und Bruhns kamp) zur Miete bezogen werden. Sohn Borgfelde – bis zum Krieg 1914-1918. Robert Schmekal wurde 1916 in Ver- dun eingesetzt, wurde jedoch recht schnell abgestellt als Leiter eines Trupps für Wiederaufbau der Tischlerei im Notbetrieb an der Gustav-Adolf-Straße 42 – Holzfällarbeiten. Etwa ein Jahr verbrachte er dort, bis er von der Vulkanwerft nach der Totalausbombung Wandsbecker Chaussee 182 am 27.7.1943 abberufen wurde, um den Innenausbau der dort gebauten U-Boote zu leiten. Foto von 1950, Familienbesitz

90 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 91 Die benötigten Maschinen und das Inventar wurden aus einer Tischlerei in Leck angekauft, um den erforderli- chen Aufbauarbeiten gerecht zu wer- den. Seit der Währungsreform 1948 wurden durchschnittlich fünf Gesellen und drei Lehrlinge in der Tischlerei beschäftigt. Auch die Umsätze konn- ten seitdem stetig gesteigert werden: Lagen sie 1948 noch bei 30.300 DM, hatten sie sich ein Jahr später schon auf 62.500 DM verdoppelt, gefolgt von 81.200 DM (1950) und 1952 bei ca. 95.000 DM zu liegen.

1953 wurde Hans Schmekal das ge- mietete Grundstück mit der Baracke zum Kauf angeboten, der sich jedoch verzögerte, weil sich auf dem Gelän- Auf dem linken Bild mein Opa Hans Schmekal mit seinem Sohn Hans Werner de ein Luftschutzbunker befand. Mit Schmekal 1958. rechts im Bild die Anfertigung von Schreibtischen und Vitrinen Erwerb des Grundstücks plante er für die BP. den Ausbau einer vorschriftsmäßigen Werkstatt, auch um weitere Gesellen zu beschäftigen und den Betrieb zu vergrößern. Kurz darauf, im Dezember 1955, wurde ein angrenzendes Grund- stück im Mittelkamp erworben.

Die Tischlerei fertigte Möbel und er- ledigte Aufträge zunehmend für gro- ße Firmenkunden. So wurde 1954 der 100. Schreibtisch für die BP (British Petrol) angefertigt, was zünftig mit Kaffee, Kuchen, Cognac und Bier ge- feiert wurde. Weitere Großkunden waren die Hamburger Sparkasse, (Ge- würzgurken) Kühne und die Deutsche Bundesbahn.

Das erste Automobil – ein Tempo-Dreirad, Modell „Goliath“ - wurde im Dezember 1949 erstanden

Auszug aus dem Arbeitslehreheft der Tischlerausbildung von Hans Werner Mein Vater, Hans Werner Schmekal, geb. 24.07.1935, gest. 06.12.1993, starte- Schmekal 1950: „Mein erster Arbeitstag“. te nach der Tischlerlehre (1950-1953) beim Tischlermeister Walter Larson im Singelmannsweg 16 in Wandbek-Ost zunächst im Mai 1953 im familieneigenen Betrieb. Später ging er in die Schweiz, um sich an verschiedenen Fachschulen weiterzubilden. Da Hans Schmekal 1958 leider einen Herzinfarkt erlitt, kehrte er zurück, um den Vater zu unterstützen. Nach dessen Genesung, die ein gutes Jahr dauerte, besuchte er die Meisterschule. Nach fünf Semestern legte er am 19.12.1962 die Meisterprüfung ab. Kurz zuvor, am 23.8.1961, hatte er meine Mutter Siegrun Freya Wiegand (geb. 4.9.1940, gest. 09.06.2020) geheiratet. Die beiden hatten sich auf sehr kuriose Weise kennengelernt: Mein Vater hatte sich einen Teil der Fingerkuppe bei der Arbeit an der Kreissäge abgesägt – damals unter noch ganz anderen Arbeitsschutzbedingungen als heute leider eine typi- sche Tischler-Verletzung. Er musste also in eine chirurgische Arztpraxis, um den Finger zu versorgen. Und dort lernte er eben das nette Fräulein Wiegand kennen. Der Lehrbrief von Hans Aus der Ehe entsprangen drei Kinder: Karen, Jan und Torsten (also ich) und Werner Schmekal nach aus der zweiten Ehe von Hans Werner Schmekal zwei: Christian und Friederike. bestandener Gesellen- Doch dazu später mehr. prüfung 1953.

92 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 93 1962 wurde die Baracke verkauft, da Im Jahr 1970 konnte die Firma auf bereits 50 Jahre Unternehmensgeschichte die Räumlichkeiten zu klein und bau- zurückblicken. Das sollte natürlich gefeiert werden. Doch die 50 Jahr-Feier am fällig waren. So wurde der Betrieb in 2.1.1970 musste leider ohne die „alten“ Firmeninhaber Hans und Elfriede Schme- die Saseler Straße 59 in Meiendorf kal stattfinden, denn beiden lagen mit der Asiatischen Grippe („Hongkong-Grip- verlegt. Hier war seit 1938 mit Bau des pe“), die damals umging, gerade im Krankenhaus. Traurigerweise stehen für Hauses der Tischler Karl Burmeister unsere Tischlerei die Jubiläumsfeiern wohl unter keinem günstigen Stern, denn ansässig, von dem nach Geschäftsauf- aktuell im Jahr 2020 kann die 100 Jahr-Feier, die auch bereits vollständig vor- gabe die Räumlichkeiten übernom- bereitet war, leider aufgrund der Corona-Virus-Pandemie nicht stattfinden. So men wurden. Karl Burmeister und musste das für den 26. Juni 2020 geplante Hoffest ausfallen. Wie sich Geschichte sein Sohn waren danach noch jahre- doch wiederholt! Die 50 Jahr-Feier 1970 fand trotzdem mit zahlreichen Gästen lang als Gesellen bei der Tischlerei statt. Der damals 34-jährige Inhaber Hans Werner Schmekal, mein Vater, orga- Umzug von der Gustav-Adolf-Straße Schmekal beschäftigt und die Familie nisierte die Feierlichkeiten alleine, während seine Eltern im Krankenhaus liegen nach Meiendorf 1962. Abholung der wohnte zunächst auch noch mit der mussten. letzten Stücke mit dem VW Bulli. Familie Schmekal unter einem Dach auf relativ kleiner Fläche. Vermutlich Mitte der 60er Jahre (leider kann ich das genaue Jahr nicht mehr herausfinden) wäre die Tischlerei fast abgebrannt. Dies schlug sich auchin Am 1. Januar 1963 wurde Hans Wer- mehreren Zeitungsartikeln (Jahreszahl leider unbekannt) nieder. Dort hieß es ner Schmekal als Mitinhaber im Un- u. a.: „Brandverletzungen zweiten Grades an der rechten Hand und am rech- ternehmen aufgenommen. Zu dieser ten Oberschenkel zog sich gestern (am 13. August) der 15 Jahre alte Tisch- Zeit wurde auch meine Mutter von lerlehrling Bernd B. zu. Nitroverdünnung, mit der er sein Feuerzeug füllte, der Schwiegermutter gründlich zur war in Brand geraten. Das Feuer griff über auf vier angebrochene Kanister Buchhalterin ausgebildet und arbeite- mit Nitroverdünnung und erfasste schließlich die ganze Tischlerei in der Sa- te zehn Jahre bis zur Scheidung mei- seler Straße in Rahlstedt. Die Flammen vernichteten Regale und Schränke. ner Eltern 1973 im Unternehmen. Die Ein Zug der Feuerwehr löschte den Brand.“ Durch das schnelle Eingreifen der Jan Henrik Schmekal und seine Groß- gründliche Vorbereitung auf die Mit- Freiwilligen Feuerwehr Meiendorf war mein Vater Hans Werner Schmekal so mutter werden 1968 von der Mutter inhaberschaft sollte schon bald Früch- von der Feuerwehrarbeit angetan, dass er kurz darauf selbst der Feuerwehr in am U-Bahnhof Meiendorfer Weg im te tragen. Nach Eintritt in das Geschäft Meiendorf beitrat. Firmenwagen abgeholt. begann die Zeit der Investitionen, der Erweiterung und Modernisierungen. Altersbedingt schied mein Opa Hans Schmekal im Jahre 1966 aus dem Un- ternehmen aus.

Die Ära der neuentwickelten Kunst- stofffenster begann 1967. Firma Schmekal war auf diesem Gebiet als eine der ersten Firmen tätig und wuchs mit der um 1970 errichteten Fa- brikationshalle enorm an. Die Firma spezialisierte sich damit zunehmend auf die Herstellung und den Einbau von Fenstern und Türen, führte aber natürlich auch weiterhin alle erdenkli- chen Tischlerei- und Holzarbeiten aus.

Zu den zusätzlichen herausragenden Tätigkeiten meines Vaters gehören die jahrzehntelange Leitung des Aus- schusses für Tarif- und Sozialpoli- tik der Innung Holz- und Kunststoff Hamburg und seine gutachterliche Tätigkeit für die Hamburger Gerich- te. Zum Dank für die hervorragenden Leistungen wurde er am 3. November 1993 zum Ehrenmeister des Holz- und Kunststoff verarbeitenden Handwer- kes ernannt.

Werbeklappkarte der Bautischlerei Karl Burmeister, die vor der Tischlerei Schmekal an der Saseler Straße 59 in Meiendorf ansässig war (Vermutlich Ende Gäste der 50-Jahr-Feier 1970 waren auch die Feuerwehrkameraden von Hans Werner Schmekal: Karl-Heinz Murawski, Wer- 1950er Jahre). ner Paetow und Ewald Stut, der damalige Wehrführer.

94 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 95 Eine weitere interessante Geschichte ist die des „verschwundenen Briefes“: Im Jahr 1990 erhielten wir plötzlich Post aus der Isestraße 125 in Hamburg. In dem Haus war bei Umbauarbeiten in einer alten Eingangstür ein Brief aus dem Jahr 1938 aufgetaucht, der damals bei der Postzustellung offen- bar in die Türfüllung gerutscht und im Hohlraum der Tür gelandet war und somit den Empfänger nicht korrekt er- reicht hatte! Es handelte sich um ein Angebot der Bau- und Möbeltischlerei Robert Schmekal vom 27. August 1938 mit einem Angebot für die Herstellung von fünf Schränken, einer davon „ge- schlossen, oben für Zigarren und Li- kör, unten Schubladen für Bestecke“. Die jetzigen Bewohner des Hauses legten den Brief ihrem sehr launigen Schreiben bei, mit der Anfrage, ob un- sere Fima auch heute noch zu diesem Angebot zum selben Preis (gesamt knapp 800,- ohne Währungsangabe!) stehen würde. Die Feier zur Goldenen Hochzeit von Elfriede und Hans Schmekal im Jahr 1984. Von links nach rechts: Hans-Werner Schme- kal, Hans Schmekal, Hans-Werner Torsten Schmekal und Jan Henrik Schmekal.

Mein Leben begann am 18. Juni 1965, ich wurde als drittes und jüngstes Kind in die Tischler-Familie geboren. Da ich mich schon immer für die Feuerwehr begeistert habe und die Berufsvoraussetzung als Feuerwehrmann eine Ausbil- dung im Handwerk war, beschloss ich eine Tischler-Lehre zu beginnen. Aus der Berufsfeuerwehr wurde nichts, es ist beim Ehrenamt geblieben (1979 bei der Jugendfeuerwehr in Farmsen, da es in Meiendorf noch keine Jugendfeuerwehr gab, dann ab 1982 bei der Freiwilligen Feuerwehr in Meiendorf). Die Tischler- Lehre absolvierte ich von 1982-1985 bei der Tischlerei Siegfried Neumann in Hamburg-Wandsbek. Danach gab es Stationen im Möbelbau und in einer Bau- tischlerei, ab 1988 startete ich in der Kunststofffenster-Fertigung im elterlichen Unternehmen. Zur Meisterschule ging es für mich am Abend dreieinhalb lange Jahre, bis ich den Meisterbrief am 28. August 1993 im Hamburger Michel (nach urlanger Rede unseres Altbundeskanzlers Dr. Helmut Kohl) endlich überreicht bekam. Das Angebot für fünf Schränke aus dem Jahr 1938, das als „verschwundener Brief“ bei Renovierungsarbeiten in einer Tür im Jahr 1990 entdeckt wurde. Durch die schwere Krankheit meines Vaters im Jahr 1990 musste ich sehr schnell unternehmerisch tätig werden, um die Arbeitsplätze zu erhalten und um das Vertrauen meines Vaters in mich nicht zu enttäuschen. Dies war eine enorme Verantwortung, da sich die Firma damals zusätzlich auch noch in einer extre- men Schieflage befand. Nach dem Tod meines Vaters Ende 1993 führte ich vor- erst das Unternehmen kommissarisch weiter. Nach der Erbauseinandersetzung Wo 1970 noch ein alter Holzanbau und übernahm ich rückwirkend zum 01.01.1994 das Unternehmen als Alleininhaber. später Garagen waren, steht jetzt der Nach kurzer Zeit nahm ich einige Veränderungen vor. So wurde 1997 der Werk- moderne Neubau des Bürogebäudes. hallenbau fertiggestellt. 1998 ist die komplette Späneabsaugung erneuert worden Ganz links im Bild das so genannte und der Betriebshof wurde neu gestaltet und gepflastert. Dabei wurden einige „Jugo-Haus“. alte Gebäude und Anbauten abgerissen, u. a. 1998 das von uns Kindern „Jugo- Haus“ genannte kleine Häuschen, in dem zuletzt ein jugoslawischer Gastarbeiter gewohnt hatte, der auch in der Tischlerei beschäftigt war. Die eigene Fenster- produktion wurde im Jahre 2001 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt, ohne dass Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren. Neue Aufgabenfelder wurden er- schlossen und geschult. Neue Fenster- und Türtechniken wurden zusammenge- stellt und für unsere Kunden passend zu den Umweltaspekten angeboten.

96 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 97 Auch privat veränderte sich einiges bei mir. 1999, interessanterweise am 09.09.1999, wurde der Grundstein zur 5. Generation gefestigt und gehei- ratet. Im Jahre 2003 erblickte unsere Tochter Franka das Licht der Tischler- welt. 2006 feierte ich mein 25-jähriges Dienstjubiläum bei der Freiwilligen Feuerwehr Meiendorf. An dieser Stelle mein Dank an meine Familie und an alle anderen, die Verständnis dafür aufbrachten und noch immer aufbrin- gen, wenn ich und/oder einige meiner Jetzt Probetag vereinbaren! Mitarbeiter unerwartet zum Feuer- Tagespflege wehreinsatz ausrückten mussten und 040 -677 32 47 müssen! ...abgeholtwerden und wohlfühlen. 2007 wurde eine moderne Solaran- lage zur Stromgewinnung in Betrieb genommen. Außerdem haben wir fünf Meine langjährigen Mitarbeiter, von denen fast alle bei uns ausgebildet wurden Akazienbäume auf dem Betriebshof und einige schon über 25 Jahre bei Schmekal sind: (Von links nach rechts ste- gepflanzt. Diese sollen ein Zeichen hend): Tim Linsmeier, Joachim Hesse, Yousef Khaleil, Philipp Höwelhans, setzen, dass unser Unternehmen nicht Christian Brandt, Tugran Demirel. Vorne im Bild auf der Bank sitzen meine Frau nur Strom verbraucht und Holz ver- Gunda Schmekal und ich, Hans-Werner Torsten Schmekal. arbeitet, sondern indirekt auch für „Nachwuchs“ sorgt. Nach vielen Schu- lungen, Lehrgängen und weiteren Umstrukturierungen wurde uns 2008 das Qualitätssiegel QuB (Qualitätsverbund umweltbewusster Betriebe) verliehen. Außerdem haben wir uns der Umwelt-Partnerschaft Hamburg angeschlossen.

Es folgten weitere große Veränderungen auf dem Firmengelände: 2009 wurde der Grundstein für das neue Büro- und Ausstellungsgebäude gelegt, 2012 erfolgt die Fertigstellung der neuen Büro- und Ausstellungsfläche.

Viele der Projekte der letzten Jahre haben den Hintergrund, die Tischlerei in ein ressourcen- und umweltschonendes Unternehmen zu verwandeln. 2013 haben wir ein Elektroauto „E-Smart“ angeschafft und waren damit die erste Hambur- ger Tischlerei mit E-Mobilität. Es folgte u. a. der Umbau der Heizungsanlage Hier ist mein Zuhause. mit Umstellung von Heizöl auf umweltfreundlicheres Erdgas und der Stromver- sorgung komplett aus erneuerbaren Energien. 2016 wurde das Bürogebäude mit „Wünsche brauchen den sicheren Hafen einer starken Gemeinschaft, um in Erfüllung zu gehen. einem Gründach ausgestattet, später wurden weitere vier Bäume gepflanzt. Das ist auch beim Kauf oder Verkauf sowie bei der Anmietung oder Vermietung von Immobilien nicht anders. Doch nicht nur in nachhaltige Projekte investiert unsere Tischlerei, sondern auch in den Nachwuchs im Tischlerhandwerk. So haben wir schon immer Lehrlin- Die WARNHOLZ Immobilien GmbH ist dieser Hafen! Ausgestattet mit einem starken, dynamischen ge ausgebildet, darunter unsere erste weibliche Auszubildende Sophie, die 2014 Team, einem großen Kompetenznetzwerk und über 25 Jahren Erfahrung in der Immobilienbranche, ihre Ausbildung im dualen Ausbildungssystem begonnen hatte. Und ich bin wei- ist unser Ziel dabei klar definiert: Wir bringen Menschen und individuelle Lebens(t)räume zusammen.“ terhin bestrebt, das Unternehmen im Sinne meiner Vorfahren weiterzuführen und das ehrbare Handwerk zu schützen. Ich bedanke mich bei allen Kunden und Wir suchen laufend meinen Mitarbeitern für die größtenteils jahrzehntelange Treue! Grundstücke, Häuser und Wohnungen zum Verkauf und zur Vermietung. Keine Kosten für den Verkauf. Solide und diskrete Abwicklung, fachliche Beratung! Treptower Straße 143 · 22147 Hamburg-Rahlstedt Tel. 040 /647 51 24 · [email protected] Quellen:

Alle Unterlagen in Familienbesitz, darunter ein handschriftlich ausgefertigtes Büchlein zu Ehren des 25-jährigen Meisterjubiläums von Hans Schmekal 1956 mit alten Fotos, Sprüchen www.warnholz-immobilien.de und Texten von der Ehefrau Elfriede Schmekal.

98 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 RAHLSTEDTER JAHRBUCH 2020 99 HANSEATISCH UNDVOM FEINSTEN

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