MEGGG 1•2010 Marcus Mogk: Globalisierungsaspekte bei ThyssenKrupp Steel Europe

liden Arbeitern kostenlos zur Verfügung Einige der historischen Häuser der Siedlung stehen und ihnen einen angenehmen Le- Altenhof (Altenhof I) sind im Eingangsbereich bensabend ermöglichen. Begonnen wurde des Gußmannplatzes und im Hundackerweg Marcus Mogk der Altenhof 1893 und bis 1907, über den erhalten. Der Großteil der Siedlung wurde je- Tod F. A. hinaus, weiter ausgebaut. doch im Zuge der Neubaupläne für das Al- Globalisierungsaspekte am Beispiel Im Osten war er durch den Kruppschen fried Krankenhaus Anfang der 1980er Waldpark begrenzt. Jede der eineinhalbstö- Jahre abgerissen. der Stahlerzeugung bei ThyssenKrupp Steel Europe ckigen Häuser im Cottagestil war von einem Dagegen ist der zwischen 1907 und 1914 (TKSE) und Vorgängergesellschaften Gärtchen umgeben. Für die Bewohner des erbaute Teil des Altenhofs, ursprünglich nur Altenhofs standen eine katholische und eine durch den Kruppschen Waldpark und heute evangelische Kirche, eine Bücherausgabe der auch von der A 52 vom Altenhof I getrennt, Der ThyssenKrupp Konzern Kruppschen Bücherhalle, zwei Konsuman- im Wesentlichen erhalten geblieben. Dieser stalten, eine Badeanstalt, jeweils ein Witwer- Altenhof II besteht aus vereinfachten, aber Die ThyssenKrupp Steel AG (seit dem 01. Ok- Rohstahl erzeugt und verarbeitet. Die lang- und ein Witwenhof sowie eine Korbflechterei abwechslungsreich angelegten Putzbauten tober 2009: ThyssenKrupp Steel Europe AG, jährige durchschnittliche Erzeugungsmen- für Pensionierte, die leichtere Arbeiten ver- ohne Fachwerk, die zu Häusergruppen zu- kurz: TKSE) ist Deutschlands größter Stahl- ge aller deutschen Stahlhersteller beträgt ca. richten wollten, zur Verfügung. sammengefasst wurden. erzeuger und ein führender Flachstahlher- 40 - 45 Mio. t / Jahr. Im letzten Geschäftsjahr steller weltweit. An den Standorten Duisburg, vor der Krise 2007 / 2008 erwirtschaftete die Bochum, Dortmund, Finnentrop und Sie- Steel-Gruppe mit ihren ca. 41.000 Mitarbei- Standort 7: Kruppscher Friedhof gen-Kreuztal werden jährlich ca. 15 Mio. t tern bei 14,4 Mrd. € Umsatz einen Vorsteu- Die Krupp-Familiengrabanlage befindet ger Tor begraben. Durch die Erweiterung des ThyssenKrupp AG sich auf dem Friedhof Bredeney. Die Grä- südlichen Bahnhofsvorplatzes war allerdings Umsatz: 53,4 Mrd € • EBT: 3.128 Mio € • Mitarbeiter: 199.000 ber der Familie haben sich allerdings nicht 1910 eine Umbettung von Therese Krupp Konzernzahlen konsolidiert immer hier befunden. So wurde der Kauf- auf den Kruppschen Friedhof an der Frei- mann Friedrich Jodocus Krupp (1709 - 1757) heit notwendig. Auch Alfred Krupp und sei- Steel Stainless Technologies Elevator Services noch in der Essener Marktkirche (St. Ger- ne Frau Bertha sowie Friedrich Alfred Krupp Umsatz: 14,4 Mrd € Umsatz: 7,4 Mrd € Umsatz: 12,4 Mrd € Umsatz: 4,9 Mrd € Umsatz: 17,3 Mrd € trud) beigesetzt und sein Enkel, der Fir- und seine Gattin Margarethe wurden hier be- EBT: 1.540 Mio € EBT: 126 Mio € EBT: 741 Mio € EBT: 434 Mio € EBT: 750 Mio € mengründer Friedrich Krupp, im Oktober graben, ferner der Ur-Enkel Alfred Krupps, Mitarbeiter: 41.000 Mitarbeiter: 12.000 Mitarbeiter: 54.000 Mitarbeiter: 43.000 Mitarbeiter: 46.000 1826 zwischen der I. und II. Weberstraße, Arnold von Bohlen und Halbach, der schon • Steelmaking • Nirosta • Plant Technology • 4 regionale • Materials Services • Industry • Acciai Speciali Terni • Marine Systems Business Units International dem damaligen evangelischen Friedhof Es- als Säugling starb. • Auto • Mexinox • Mechanical • Escalators/ • Materials Services Passenger North America sen, begraben. Dieser Friedhof fiel der Bau- 1955 fiel auch dieser Friedhof der Stadtpla- • Metal Forming • Shanghai Krupp Components Boarding Bridges • Industrial Services planung zum Opfer und wurde eingeebnet. nung zum Opfer, es entstand ein neues Park- • Processing Stainless • Automotive • Accessibility • Stainless International Solutions • Special Products Therese Krupp, geborene Wilhelmi, wurde haus. Die Gräber bzw. Grabplatten der Krupps • VDM • 24 Jahre nach ihrem Mann auf der nörd- wurden auf einen abgetrennten Teil des städ- lichen Seite des Friedhofs vor dem Kettwi- tischen Friedhofs in Bredeney verlegt.

Der Autor:

Prof. Dr. Hans-Werner Wehling GeschäftsjahrGJ 2008/2009, 2008/2009: UmsatzUmsatz bis (bis 30.06.09: 30.6.2009): 30,7 30,7 Mrd. Mrd. € € Universität Duisburg-Essen Ergebnis vor Steuern:Ergebnis 987 vor MioSteuern:€ (Vorj 987.: Mio 2.297Mio € €) Institut für Geographie 45127 Essen Abb. 1: Struktur und Kennziffern des ThyssenKrupp Konzerns; 2007/2008 und Gesamtzahlen 2008/2009

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ergewinn von über 1,5 Mrd. € und trug damit Gleichwohl ist TKSE aber Teil einer insge- Stahl – ein faszinierender Werkstoff zu ca. 50 % zum Konzernergebnis der Thys- samt globalisierten Wirtschaft, wenn man senKrupp AG bei. Globalisierung als einen Prozess zuneh- ”In vielerlei Hinsicht ist das Eisen nützlicher Mit der genannten Menge von ca. 15 Mio. t mender internationaler Verflechtung aller Be- als das Gold, auch wenn dieses viel eher die erzeugtem Stahl pro Jahr nimmt TKSE welt- reiche (Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt, Begehrlichkeit habgieriger Menschen weckt. weit nur einen Platz im Mittelfeld der Pro- Kommunikation etc.) durch den Handel mit Ohne Eisen könnte sich das Volk nicht gegen duzenten ein (Arcelor-Mittal ca. 115 Mio t, Gütern und Dienstleistungen versteht, der seine Feinde verteidigen, könnte es nicht das Nippon Steel ca. 35 Mio t). Anders sieht es durch die Bewegung von Kapital und Tech- Landrecht durchsetzen. Eisen ist der Schutz bei den Umsätzen aus. Hier spielt TKSE in nologie transnationale Institutionen entste- der Schwachen und die Strafe der Übeltäter. der ersten Liga mit, weil – nach der Tren- hen und kulturelle und gesellschaftliche Jedes Handwerk ist auf den Gebrauch des Abb. 3: Schmelzfeuer in Ägypten vor ca. 3.600 Eisens angewiesen; ohne Eisen könnte kein nung von den weniger ertragreichen Lang- Muster diffundieren lässt. Unter betriebs- Jahren produkten wie Schienen, Trägern und Draht wirtschaftlichen Rahmenbedingungen agie- Feld bestellt, kein Haus erbaut werden“. in den 90er Jahren – eine Konzentration auf rende Unternehmen drücken es prägnanter Franziskanermönch Bartholomäus, 1260 die qualitativ hochwertigen und damit beson- aus: ”Für Unternehmen bedeutet Globalisie- ders erlösstarken Produktsegmente wie Qua- rung im Wesentlichen Kostenwettbewerb!” Steinzeit – Bronzezeit – Eisenzeit: Gemessen litätsflachstahl, Weißblech, Tailored Blanks Dies gilt selbstverständlich auch für TKSE. an der Bedeutung, die Eisen und Stahl für und Elektroband stattfand. Ein kurzer Blick zurück in die Geschichte unser Leben hat, kann man sagen, dass wir Anders als andere Bereiche im Thyssen- des Unternehmers und des noch immer in einer Eisenzeit leben! Krupp-Konzern ist TKSE – gemessen an Thyssen-Konzerns soll zeigen, dass dies kei- Das chemische Element Eisen (Fe) gehört Produktionsstandorten – erst auf dem Weg ne neue Entwicklung ist oder anders gesagt: zu den weltweit am weitesten verbreiteten zu einem global aufgestellten Unternehmen. ”Globalisierung war schon immer!” Erzvorkommen. Es kommt in der Natur nicht in reiner Form vor, sondern nur in Verbin- dung mit anderen Elementen (i.w. Eisenoxide Abb. 4: Eisenzeitlicher Rennofen (ab 800 v.Chr.) Rohstahlproduktion 2007 in Mio t Umsätze 2007 in Mrd € wie z.B. Magnetit oder Hämatit) und un- brauchbarem Begleitgestein. Sein Anteil be- schung in Kleinasien. Das erste verwendete Arcelor Mittal 116,4 Arcelor Mittal 76,8 Nippon Steel 35,7 trägt in Erdrinde und Erdkruste ca. 5 %. Die Eisen wurde vermutlich vor ca. 6.000 Jah- Nippon Steel 24,7 JFE Steel 34,0 bekannten Vorräte reichen bei derzeitigem ren aus Meteoriten gewonnen. Erste Funde POSCO 31,1 Tata-Corus 23,1 Verbrauch von ca. 2,2 Mrd. t / Jahr voraus- von Schmiedeeisen finden sich bereits in der Baosteel 28,6 ThyssenKrupp 1) 22,0 sichtlich noch für die kommenden 250.000 Cheopspyramide. Seit etwa 4.000 Jahren Tata-Corus 26,5 POSCO 21,8 Jahre. Allerdings lassen sich die meisten La- wird Eisen aus Erzvorkommen erzeugt. Seit Anshan-Benxi 23,6 gerstätten heute nicht wirtschaftlich nutzen. etwa 3.000 Jahren wurde das Metall Eisen Jiangsu Shagang 22,9 JFE Holding 19,8 Tangshan Daher konzentriert sich der Abbau auf die zunehmend zu einer materiellen Grundlage 22,8 Baosteel 12,3 US Steel 21,5 großen Erzabbaugebiete, die zum größten der menschlichen Kultur und Zivilisation – US Steel 12,3 Wuhan 20,2 Teil außerhalb Europas zu finden sind. Zu den man spricht von der ’Eisenzeit’. Nucor Nucor 20,0 12,1 bedeutendsten erzliefernden Staaten zählen Frühe Formen der Eisenerzeugung finden Gerdau Group 18,6 Gerdau Group 11,5 Brasilien, Australien, die Volksrepublik China, sich überall dort, wo – aufgrund der mangel- Riva 17,9 Severstal 10,9 Severstahl 17,3 Russland und Indien. Zusammen fördern sie haften Transportmöglichkeiten für Massen- ThyssenKrupp 1) 17,0 Riva 10,1 etwa 70 % des Weltbedarfs. Zusätzlich wird güter – reduzierbare Erze gefunden wurden durch das Einschmelzen von Schrott Eisen (also “auf dem Erz”) und genügend Holz vor- 1) Segmente Steel und Stainless Quelle: World Steel Association und Wirtschafsvereinigung Stahl zurück gewonnen. handen war, um das Erz mit Holzkohle zu Die Anfänge der Eisenerzeugung befin- verhütten. Koks wurde hierfür erst ab dem Abb. 2: Produktionsmengen und Umsatz führender Stahlunternehmen den sich nach dem heutigen Stand der For- späten 18. Jahrhundert verwendet.

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Bis ins Mittelalter wurde in Europa Eisen- In den nachfolgenden Jahrhunderten wur- Koks zurück. Dieser dient im Verhüttungs- In den heutigen Hochöfen ist die Techno- erz in Gruben oder Schachtöfen aus Lehm, de versucht, mit verbesserten Produktions- prozess sowohl als Brennstoff als vor allem logie so verfeinert, dass mit einem Verbrauch den Rennfeuern oder Rennöfen, erschmol- verfahren größere Mengen an Roheisen zu auch als Reduktionsmittel: Der Kohlenstoff von < 0,5 kg Koks je Kg Roheisen die phy- zen. In diesen schornsteinähnlichen Röh- erzeugen. Aus den Rennöfen entwickelten des Kokses verbindet sich mit dem Sauer- sikalisch-chemischen Prozessgrenzen nahezu ren mit ca. 40 cm Innendurchmesser und sich im 14. Jh. Holzkohlehochöfen, die es stoff der Luft zu gasförmigem Kohlenstoff- erreicht sind. Diese Entwicklung hat erneut 100 cm Höhe wurde durch Einblasen von auch auf eine höhere Temperatur brachten. monoxid, welches das Eisenoxid zu Roheisen Auswirkungen auf die Standortfrage moderner Luft und unter Verwendung von Holzkohle Diese Öfen wurden von oben ’beschickt’, so reduziert. Diese neue Technik hat die Mon- Hüttenwerke. Mit der Roheisen- und der Roh- das Eisenerz zu Eisen reduziert. Bei Tem- dass sie mit größeren Eisenmengen befüllt tanindustrie im Ruhrgebiet beflügelt, denn stahlproduktion ist der technologische Prozess peraturen von ca. 1.200° C, die mit die- werden und kontinuierlich arbeiten konn- hier lagerte die für den Verkokungsprozess nicht beendet. Anders als noch vor 100 Jah- sen Öfen zu erzielen waren, schmilzt das ten. Durch ’Anstechen’ ließ man das glühend geeignete Fettkohle (Gasgehalt 20-30 %) ren, als es in großer Zahl reine Roheisenpro- Eisen allerdings nicht (Schmelztemperatur heiße, flüssige Roheisen ablaufen. Die erdi- sowie Gas- und Gasflammkohle (Gasgehalt duzenten gab, ist ein integriertes Hüttenwerk 1.539° C), sondern es zerrinnt. Diese Art der gen Bestandteile des Erzes schwammen als bis 40 %) in großen Mengen, die man nach durch weitere Anlagen der Stahlumformung Eisenherstellung wurde mit der Zeit verbes- ”Schlackedeckel” auf dem Eisen, das selbst dem Durchbrechen der Mergelschicht 1840 und Veredelung gekennzeichnet (Warmband- sert, in dem die natürliche Luftzirkulation frei von Schlacke blieb. Somit verbesserte (erstmals auf der Schachtanlage Graf Beust) und Kaltbandwerke, Beschichtungsanlagen mit Blasebälgen unterstützt wurde. Das Er- sich die Roheisenqualität. abbauen konnte. Da der Einsatz von Koh- etc.). Derzeit gibt es ca. 2.000 Stahlsorten gebnis des Reduktionsvorganges war ein mit Zur Rohstahlgewinnung muss in einem le im 19. Jahrhundert ca. 10 kg Kohle für mit unterschiedlichen Eigenschaften und Ver- Schlacke durchsetzter Eisenklumpen (’Lup- nächsten Prozessschritt der Kohlenstoffan- 1 kg Roheisen betrug, entwickelten sich die wendungszwecken, von denen die Hälfte we- pe’), der anschließend mehrere Male erhitzt teil des Roheisens, der zwischen 3 und 4,5 % Standorte der Eisenerzeugung weg vom Erz niger als 5 Jahre alt ist. Stahl gehört somit und mit dem Hammer ’ausgeschmiedet’ liegt, durch ”Frischen” auf unter 2 % gesenkt ’auf die Kohle’. noch lange nicht ’zum alten Eisen’! werden musste, um ihn von den Schlacke- werden; erst so ist durch Schmieden oder resten zu befreien. Walzen eine Verformbarkeit gegeben. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts wur- Globales Handeln war schon immer – Globalisierungsstrategien den die Hochöfen mit Holzkohle betrieben. am Beispiel der Stahlunternehmen August Thyssens Die Produktion von einem Kilogramm Eisen verschlang bis zu 125 kg Holz und so dezi- Im Ruhrgebiet setzten vor allem ab der zwei- 4. Die politischen Entwicklungen, die zur Ab- mierten sich die Waldbestände besonders ten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere schaffung von Zollgrenzen, zur Bildung von dort, wo zahlreiche Öfen in Betrieb waren. Selbstverstärkungseffekte einen Industriali- Zollvereinen oder zur Vereinheitlichung von Erst im 18. Jahrhundert erfolgte die Um- sierungs-Urbanisierungs-Kreislauf in Gang. Währungen führten stellung der Hochöfen von Holz auf Koh- Hierzu zählen u.a.: 5. Das Erschließen von Arbeitsmärkten und le. Im Jahre 1709 gelang es erstmals in 1. Die technologischen Verfahrensfortschritte die Förderung von Bevölkerungs- und Sied- England einen Kokshochofen in Betrieb in der Stahlerzeugung und die Verbund- lungswachstum zu nehmen. Der erste Kokshochofen in wirtschaft mit der Kohle Diese Entwicklungsprozesse wurden von Deutschland wurde 1796 – vermutlich als 2. Neue Formen des Kapitaleinsatzes und vielen Montanindustriellen im Ruhrgebiet Ergebnis erfolgreicher Industriespionage – des Kapitalverkehrs wie z.B. die Bildung mitgestaltet (Krupp, Stinnes, Hoesch, Grillo in Gleiwitz im Oberschlesischen Kohlerevier von Aktiengesellschaften, auch mit aus- u.a.m.). Einer von ihnen war August Thys- angeblasen. Im Ruhrgebiet dauerte es bis ländischem Kapital (siehe die Namen von sen (1842-1926). In Eschweiler bei Aachen 1848, als auf der Friedrich-Wilhelms-Hütte Zechen wie Hibernia, Mont Cenis, Sham- als Sohn des technischen Direktors eines in Mülheim a.d. Ruhr der erste Kokshoch­ rock, Erin) Bandeisenwerks geboren, waren ihm Eisen, ofen in Betrieb ging. 3. Der Ausbau der Transportwege, insbeson- Stahl und Kohle vertraut. Zudem gehörte Um Koks zu gewinnen, wird unter Luftab- dere der Eisenbahn und die Rolle des Staa- der Eschweiler-Stolberger Raum zu den ers- schluss Steinkohle auf 1.000 °C erhitzt. Als tes als Auftraggeber für Investitionsprojekte ten montanindustriell geprägten Räumen im Abb. 5: Kokshochofen Gleiwitz 1796 Folge der einsetzenden Entgasung bleibt der wie Eisenbahn, Wasserwegebau etc. Westen Deutschlands – die Grube Centrum

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des Eschweiler Bergwerks-Vereins war 1855 Auf dieser Basis begann er ab 1891 mit von Produktionsbetrieben wirtschaftlich un- Caen, d.h. kostengünstig vom Meer aus über das größte deutsche Steinkohlebergwerk mit dem Aufbau eines integrierten Hüttenwerkes rentabel macht. einen Stichkanal zu erreichen. Hier wurde einer Jahresproduktion von 185.000 t. in Duisburg-Bruckhausen, günstig gelegen die Produktion auf der Basis von Erzen aus August Thyssen besuchte die Polytech- ’auf eigener Kohle’ und am Rhein, wichtig Rohstoffbezug der Normandie und aus Russland (Krivoj nische Hochschule in Karlsruhe und darüber für den Transport von Erzen – also einem ”Reich an Kohle – arm an Erz”, so laute- Rog, Ukraine) sowie Kohle und Koks aus Du- hinaus die Handelshochschule in Antwer- gesamtwirtschaftlich gesehen optimalen te das Grundproblem an vielen Standor- isburg geplant. Das Normandie-Projekt wur- pen, wo er sich u.a. mit dem Standortmodell Standort hinsichtlich der Prozesskosten. Be- ten der Stahlproduktion in Deutschland im de wegen des Ausbruchs des 1. Weltkriegs von Thünens beschäftigte. 1867 gründete reits 1913 werden mit 15.000 Mitarbeitern ausgehenden 19. Jahrhundert. So ist es erst 1917 unter französischer Regie realisiert. er in Duisburg mit familiären Partnern ’auf 4,5 Mio. t Kohle gefördert und mit weiteren nachvollziehbar, dass aufgrund der rela- Bereits 1904 bezog das Oberschlesische In- der Kohle’ ein Bandeisenwerk, trennte sich 11.000 Mitarbeitern 850.000 t Rohstahl in tiv beschränkten deutschen Erzvorkommen dustrierevier per Eisenbahn 175.000 t Erz von dem Gemeinschaftsunternehmen, um Duisburg produziert und weiterverarbeitet. und der Transportschwierigkeiten von diesen aus Krivoj Rog. Die Gesamtliefermenge an 1871 ein eigenes Bandeisenwerk in Mülheim- Der Standort Duisburg wurde von August Lagerstätten hin zur Kohle der Anteil deut- das Hüttenwerk August Thyssens betrug bis Styrum, einem Eisenbahnknotenpunkt, zu Thyssen mit großer Weitsicht für seine Pro- scher Erze am Erzverbrauch in den Werken 1913 ca. 1,2 Mio t. Ab 1905 bezog das Hüt- gründen. Ab 1878 nahm er eine eigene Röh- duktion gewählt. Bereits 1841 wurde hier August Thyssens nur 25 % betrug. Weiteres tenwerk in Duisburg Erze per Schiff aus dem renfertigung und Blechverarbeitung auf. Ab ein Puddel- und Walzwerk von der Firma Erz musste aus Spanien (14 %), aus Schwe- südrussischen Abbaugebiet; ab 1910 wur- 1876 widmete er sich mit besonderer Kraft Telemaque Michiels & Cie. für Eisenbahn- den / Norwegen (28 %) und anderen Ländern de eine unternehmenseigene Seereederei dem Aufbau einer eigenen Kohlebasis, wurde schienen gegründet, aus dem sich 1853 die importiert werden. So erwarb Thyssen ab (’Vulcaan’) für den Transport gegründet und Grubenvorstand des Schalker Gruben- und Gruppe Phoenix mit Hüttenwerken in Du- 1900 zunächst weitere Erzgruben im Lahn- der Bau von Seeschiffen mit 10.000 BRT in Hütten-Vereins, beteiligte sich an Bergwerken isburg-Ruhrort entwickelte. Diese firmierte Dill-Gebiet und ab 1902 Minettefelder in Auftrag gegeben. Zur Vermeidung von Leer- in Meiderich, Gladbeck, Dorsten, Reckling- bis in die 60er Jahre als Phoenix-Rheinrohr Deutsch-Lothringen; darüber hinaus kaufte fahrten wurden Dreiecksverkehre angestrebt, hausen, Lünen und Kamen und wurde 1889 (zuletzt unter der Regie von Mannesmann), er Erzkonzessionen im französischen Teil Lo- mit denen auf den Rückfahrten z.B. Bun- Grubenvorstand der Gewerkschaft Deutscher wurde bis 1995 als Werk Ruhrort von Thys- thringens. Auf dieser Basis konnte 1911 ein kerkohle von Deutschland ins Mittelmeerge- Kaiser in Duisburg-Hamborn. sen weitergeführt und gehört seit 1995 zur integriertes Hüttenwerk in Hagendingen in biet (Suezkanal, Seeweg nach Indien) nach Arcelor-Mittal-Gruppe und produziert Vorma- Deutsch-Lothringen in Betrieb genommen Tanger, Oran, Port Said oder Suez befördert terial für die Drahtherstellung. Duisburg ist – werden. Ab 1905 beteiligte er sich an Erz- wurden. trotz des Dortmund-Ems-Kanals und der gruben in Algerien, Marokko, Spanien, Nor- Heute und vor allem nach Auslaufen des weiteren Kanalbauten im frühen 20. Jahr- wegen, auf dem Sinai und in Indien. Auch Hüttenvertrages im Jahr 2000, der den hundert im Ruhrgebiet – einer der wenigen die Erzvorkommen in Brasilien waren in sein Stahlwerken heimische Steinkohle zu Im- über viele Jahrzehnte hinweg kostenopti- Blickfeld gerückt, doch scheiterte eine inten- portkohlepreisen garantierte, kommen die malen Standorte für die großen Transport- sivere Zusammenarbeit an den damals be- benötigten Kohle- und Erzmengen überwie- mengen von Erz, Kohle und Zuschlagstoffen schränkten Transportkapazitäten über die gend aus dem Ausland. Bei der Kohle ma- geblieben, die bei den damals erforderlichen große Entfernung. Trotz aller Bemühungen chen die Importe aus Australien, Kanada, Stoffeinsatzverhältnissen in der Stahlproduk- blieb somit der Erzmangel als ein Haupt- USA und Russland ca. 75 % der 4,7 Mio t tion zu bewältigen waren. Im Laufe der Zeit problem für die weitere Expansion über viele aus. Bei den Eisenerzen sind Brasilien mit sind weitere Faktoren neben die Transport- Jahre bestehen. über 50 %, Kanada mit ca. 20 %, Südafri- frage getreten, die zu der großen Standortper- An einem Beispiel soll die bereits im frü- ka mit 10 % und Mauretanien und Australien sistenz beigetragen haben: die Verknüpfung hen 20. Jahrhundert globalisierte Sicht Au- mit je ca. 8 % und Schweden mit unter 5 % mit Zulieferbetrieben, mit Abnehmern und gust Thyssens demonstriert werden. Ab die Hauptlieferanten. die Vielzahl gut geschulter Mitarbeiter. Nicht 1907 erwarb er Erzkonzessionen in der Nor- Der Transport erfolgt heute per Schiff zuletzt ist es aber auch die enorme Kapital- mandie in den Departements Calvados und über Rotterdam und Schubleichter auf dem summe, die in einem integrierten Hüttenwerk Manche. Damit verband er das Projekt eines Rhein direkt zum werkseigenen Hafen in Abb. 6: August Thyssen gebunden ist und eine rasche Verlagerung Hüttenwerks an einem ’nassen’ Standort in Duisburg-Schwelgern. Der mit 23 m Tief-

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gang derzeit weltgrößte Massengutfrachter Bei den derzeitigen Frachtkosten von ca. der Nähe neuer Produktionsstandorte zuneh- land ein eklatanter Mangel an Kapital, der (365.000 BRT), die Berge Stahl, fährt aus- 2,30 € je Tonne rechnet sich bei einer jähr- mend wichtige Schritte für eine verstärkte sowohl den Wiederaufbau der Wirtschaft als schließlich für TKSE auf der Strecke Brasi- lichen Transportmenge von ca. 21 Mio. t Erz globale Präsenz unternommen. Der Stahlbe- auch die inländischen Absatzmöglichkeiten lien – Rotterdam – Brasilien. und Kohle eine Standortverlagerung ange- reich des früheren Thyssen-Konzerns hat dies behinderte. Die Exportmärkte konnten nur 1997 war im Magazin FOCUS zu lesen: sichts des in Anlagen investierten Kapitals bereits in der Vergangenheit mehrfach in teilweise zurück gewonnen werden, da Erzim- ”Der ideale Standort für ein konventionelles erst in mehreren hundert Jahren. Somit er- Angriff genommen, letztlich wird diese Stra- porte ins Deutsche Reich nach dem Versailler Hüttenwerk mit Roheisen-, Rohstahl- und weist sich vor diesem Hintergrund die Stand- tegie aber erst mit den Großinvestitionen ab Vertrag mit hohen Zöllen belegt wurden. Die Walzstahlerzeugung liegt am Meer. Damit ortwahl August Thyssens vor über 100 Jahren 2005 in Brasilien und USA (Alabama) kon- Eisenerz und Koks aus aller Welt anlanden als ausgesprochen weitsichtig. kret realisiert. können, ist ein Tiefseehafen in der Nach- barschaft. Dieses Werk kann fünf bis zehn Absatzmärkte Produktionsstandorte Millionen Tonnen Rohstahl im Jahr kochen. Das Verzeichnis der Außenvertretungen ca. Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges gab es in Seine Hauptkunden haben sich im Umkreis 20 Jahre nach Gründung des Konzerns kurz der deutschen Stahlindustrie für fast 50 Jah- von rund 500 Kilometern angesiedelt. Küs- vor Ausbruch des 1. Weltkrieges zeigt bereits re kaum Anlass, Überlegungen zu neuen tenstahlwerke sind für Weltmarktführer wie eine weltweite Präsenz, wobei über die In- Produktionsstandorten in Europa oder in der Nippon Steel, Kawasaki in Japan oder Pos- tensität der Beziehungen und die Bedeutung Welt anzustellen. Anders als in der heute co in Südkorea das Fundament ihrer Stärke. im Sinne von Absatzmärkten keine Quellen globalisierten Wirtschaft, in der Wirtschafts- Auch Europas Erfolgskonzerne in Frankreich, vorliegen. standorte letztlich nach kurz-, mittel- und Großbritannien oder den Niederlanden zog es Heute sind viele Produkte aus dem Stahl- langfristigen Gewinnerwartungen ausgewählt längst ans Meer. Teure Binnenstandorte ohne bereich von ThyssenKrupp weltweit verbrei- werden, war die Erzeugung von Stahl lange tiefseegängigen Anschluss wurden geräumt. tet, doch werden sie nur zu einem geringen Zeit in hohem Maß ein Produktionsprozess, in Wenn es nur in Deutschland auch so wäre. Teil direkt global vermarktet, da es sich im dem sich nationalstaatliches Handeln konsti- Dort sitzen alle drei Dutzend Stahlschmie- Wesentlichen um Vormaterial für die Investiti- tuierte. Staatliche Unabhängigkeit wurde an Abb. 8: Beteiligungsverhältnis Vereinigte Stahl- werke AG 1926 den auf dem Trockenen. Als in den 60er und onsgüter- oder Konsumgüterindustrie handelt die Versorgung mit Eisen und Stahl durch ei- 70er Jahren hierzulande leistungsfähige Hüt- (Maschinenbau, Hausgeräte, Autos, Verpa- gene, im Land vorhandene Produktionskapa- resultierende geringe Auslastung der einzel- ten an hoher See heftig angemahnt wurden, ckungsmaterial etc.). zitäten gekoppelt. nen Hüttenwerke führte ab 1926 zur Bildung ’rümpften die Stahlbosse an Rhein und Ruhr So konzentrieren sich derzeit die Ge- Nach dem ersten Weltkrieg, der Besetzung des Montantrustes ’Vereinigte Stahlwerke’, die Nase’, erinnert sich ein Experte. Auf die- schäftsbeziehungen (gemessen am Umsatz) des Ruhrgebietes und im Zeichen von Wäh- an dem sich allerdings nicht alle Unterneh- se Weise verpassten sie den Anschluss. Heu- zu 90 % auf Deutschland und Europa. Eine rungsverfall und Reparationszahlungen aus men beteiligten, da damit die Aufgabe der te darf Deutschland froh sein, mit Duisburg genauere Betrachtung der Versandmengen dem Versailler Vertrag herrschte in Deutsch- Selbständigkeit und langer Familientraditi- Europas größten Binnenhafen zu besitzen. zeigt, dass derzeit nahezu die Hälfte der Mo- onen befürchtet wurde. Zu dem Dessen Vorteil ist der Anschluss an das rund natstonnage von ca. 1 Mio. t an Kunden in Trust gehörten 153 Schachtanla- 200 Kilometer entfernte Rotterdam über die einem Radius von 200 Kilometer rund um gen, 30 Kokereien, 27 deutsche Rheinschiene – das eigentliche Tor zur Welt Duisburg geliefert wird und weitere ca. 25 % Erzgruben, 70 Hochöfen, 39 Tho- für Stahlprodukte ’made in Germany’. Die in das europäische Ausland gehen. mas-Konverter, 124 Siemens- Werke in Bremen und Hamburg zählen zur Insbesondere die Automobilindustrie passt Martin-Öfen – insgesamt eine Waterkant, doch fehlt ihnen ein Tiefseehafen sich neuen Absatzmärkten relativ rasch und Kapazität von 9 Mio. t Roh- für 350 000 Tonnen große Erzfrachter. ’Für flexibel an. Die Stahlindustrie schließt sich stahl, was damals über 40 % die klassische Großtechnik mit Erz, Kokerei zunehmend an diese Entwicklungen der in- der deutschen Stahlerzeugung und Hütte ist mittelfristig nur der Standort dustriellen Partner an. Neben der Lieferung bedeutete. Die Thyssen-Grup- Duisburg geeignet’, analysiert der Stahlexper- von Vormaterial ins Ausland werden durch pe war mit 26 % als größter An- te Helmut Wienert.” den Aufbau von Produktionskapazitäten in Abb. 7: Die Aussenvertretungen des Thyssen-Konzerns 1913 teilseigner beteiligt. Im Zuge der

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Weltwirtschaftskrise ab 1929 / 30 brach die Hütte produziert, so waren es 1958 bereits wurden. Auf die August-Thyssen-Hütte ent- Rohstahlproduktion ein und erreichte im Jahr 2,4 Mio. t und 1963 schon 4,1 Mio. t. fielen ca. 17 Mio. t. Mit der einsetzenden Re- 1932 nur noch 30 % der Vorkrisenzeit. Zeichnete sich das Ende der Boomjahre im zession sanken die die Auslastungsraten in 1936 wurden in Salzgitter (’auf dem Erz’, Bergbau bereits ab 1960 mit stagnierenden den Hüttenwerken aber rasch auf 50 % und das wegen seines geringen Eisenerzgehaltes Kohleabsatzmengen ab, so war der Stahl- weniger, die Stahlpreise brachen ein, es kam allerdings spöttisch als ’Blumenerde’ be- markt hiervon noch mehrere Jahre unberührt. zu hohen Verlusten. Die europäische Stahlkri- zeichnet wurde) die Hermann-Göring-Werke Das kräftige Wirtschaftswachstum mit einem se, die insgesamt über 20 Jahre dauern soll- gegründet, nicht zuletzt, weil sich der Staat entsprechend steigenden Stahlbedarf in Eur- te, begann. und die staatliche Rüstungswirtschaft un- opa und weltweit, das Ausbleiben zyklischer In immer mehr Ländern übernahm der abhängiger von den Ruhrdynastien machen Schwankungen, wie sie für das Stahlgeschäft Staat als Eigentümer die angeschlagene Stahl­ wollten. typisch sind, und der technische Fortschritt industrie. Mit immer höheren Subventionen Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Ver- mit dem Leitbild des integrierten Hütten- wurde versucht, nicht mehr wettbewerbs- einigten Stahlwerke in 23 eigenständige werks mit „Vollprogramm“ (Langprodukte, fähige Kapazitäten gegen den Markt durch- Nachfolgegesellschaften entflochten, die De- Flachprodukte, Röhren etc.) bescherten der zuhalten. Rasch standen zwei Drittel der montagearbeiten wurden in Westdeutschland Stahlindustrie volle Auftragsbücher. In der europäischen Stahlproduktion unter Staats- noch bis 1950 fortgesetzt. Von dem der deut- zweiten Hälfte der 60er Jahre erwiesen sich einfluss. Die privatwirtschaftlichen Konzerne, schen Stahlindustrie zugestandenen Produkti- die Kapazitäten, die in der Stahlindustrie in- zu denen auch die Thyssen-Hütte gehörte, onsvolumen von jährlich 5,8 Mio. t erhielt die nerhalb weniger Jahre europa- und weltweit sahen sich massiven Wettbewerbsverzer- August-Thyssen-Hütte eine Produktionskapa- aufgebaut worden waren, jedoch bald als zu rungen ausgesetzt. Bezogen auf die Tonne Abb. 9: Demonstration gegen die Demon­ zität von 2,3 Mio. t zugesprochen. Bei der tage der Thyssen-Hütte 1949 hoch. So stieg die deutsche Rohstahlproduk- Rohstahl erreichten die Subventionen nicht Festsetzung der jährlichen Produktionszahlen tion nach der Überwindung erster Krisenan- selten ein Viertel der Produktionskosten und wurde der Hütte durch die Militärregierung die gegenseitige Kontrolle der kriegswich- zeichen bis zum Ölpreisschock von 1973 /74 mehr. Der Einsatz von über 70 Mrd. Euro an allerdings nur die tatsächliche Erzeugungs- tigen Güter Kohle und Stahl sowie die Sicher- noch auf einen Höchststand von 53 Mio. t Steuergeldern konnte zwar notwendige An- menge von 600.000 t Roheisen erlaubt und stellung dieser für den Wiederaufbau nach (1974), wovon 60 % im Ruhrgebiet erzeugt passungen aufhalten und die Personalabbau- dies auch nur mit widersinnigen Auflagen. dem 2. Weltkrieg entscheidenden Produk-

So sollten nur 117.000 t Rohstahl und keine tionsfaktoren. Es entstand ein gemeinsamer in Millionen Tonnen Walzprodukte erzeugt werden; das bedeutete, Markt mit einem einheitlichen Regelwerk für 56 dass ca. 500.000 t Roheisen ohne weitere die beiden industriellen Schlüsselbranchen 54 Verarbeitung hätten bleiben müssen. Kohle und Stahl. Für Deutschland war der 52 Am 18. April 1951 wurde im Vertrag von Vertrag ein sichtbares Zeichen für die Wie- 50 Paris die Europäische Gemeinschaft für Koh- deraufnahme in die Völkergemeinschaft. Die 48 le und Stahl (EGKS, kurz ’Montanunion’) deutschen Montanunternehmen konnten als 46 zwischen Frankreich, Italien, Belgien, den gleichberechtigte Partner an den internationa- 44 Niederlanden, Luxemburg und Deutsch- len Tisch zurückkehren. Das Ruhrgebiet, das 42 land geschlossen; sie trat 1952 in Kraft. Der damals unter der Kontrolle einer nicht-deut- 40 EGKS-Vertrag ging auf den Schuman-Plan, schen Kommission der Siegermächte und bri- 38 eine Initiative des französischen Außenmi- tischer Besatzung stand und dessen Anlagen 36 nisters zurück: Gemeinsame Kontrolle der demontiert wurden, bekam eine Chance für 34 Montanindustrie ohne Zoll. Hauptziel des neues Wachstum. 32 30 Vertrages war in der Argumentation Schu- In den Wirtschaftswunderjahren ging es 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 9190 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2009 mans die Sicherung des innereuropäischen mit der Stahlindustrie rasch bergauf: Wur- Friedens durch ’Vergemeinschaftung’, also den 1952 erst 378.000 t auf der Thyssen- Abb. 10: Rohstahlproduktion 1960-2009

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maßnahmen sozial abfedern, letztlich aber eine ’Gruppe Ruhr’ mit Hoesch, Salzgitter zu können, in Europa heute kaum noch an- Dortmund mit circa 50 Prozent des Um- nicht verhindern. und Klöckner vor. Diese scheiterte aber nicht zutreffen. Die Regel ist vielmehr die Konzen­ satzes noch ein zu großes Gewicht hatten. Im Thyssen-Konzern setzten zu Beginn zuletzt an der unterschiedlichen Bewertung tration auf ein Kerngeschäft, bei TKSE ist 2. Davon ausgehend war in Duisburg eine der 60er Jahre in der Phase ungebrems- von Anlagen und Gewinnerwartungen sowie dies der Bereich ’Qualitätsflachstahl’. bessere Logistik der Downstream-Aktivi- ter Produktionszuwächse die ersten Über- den erforderlichen Ausgleichszahlungen von Als ein vorläufiger Schlusspunkt erfolgte täten (bis hin zu Tailored Blanks) im Pro- legungen ein, wie durch den Aufbau neuer Krupp an Thyssen. in der deutschen Stahlgeschichte 1997/98 duktionsprozess gegeben. Produktionsstandorte neue Märkte erschlos- So waren die 80er und 90er Jahre des die ’große Fusion’ von Thyssen und Krupp- 3. Die Wege zu den Schlüsselkunden wur- sen und Produktionskosten gesenkt werden 20. Jahrhundert für die gesamte Stahlin- Hoesch zum ThyssenKrupp-Konzern. In den nicht verlängert oder waren durch die könnten. Manche Gedanken sind auch heute dustrie in Deutschland die letztlich durch den Stahlbereichen dieser Konzerne führ- Rheinanbindung z.B. nach Übersee sogar wieder höchst aktuell: So sollten z.B. Halb- Konsolidierung und Konzentrationsprozesse te dies zur Reduzierung der Kapazitäten noch kürzer. zeugwerke in Brasilien oder Südafrika ’auf gekennzeichnet, d.h. durch Werkschlie- um 5,8 Mio. t Rohstahl und von 2,6 Mio. t 4. Der metallurgische Prozess besaß in Duis­ dem Erz’ gebaut werden, die die deutschen ßungen, Zusammenlegungen und Fusionen Warmwalzprodukten; dies wurde insbeson- burg mit seinen technologisch modernsten Walzkapazitäten mit preiswertem Vormate- (z.B. Schließung Hattingen 1987, Schließung dere am Standort Dortmund realisiert. Der Großhochöfen und dem kostengünstigen rial beliefern sollten. Diese Pläne wurden Rheinhausen 1988, Fusion Krupp-Hoesch Konzentrationsprozess führte zur Stilllegung Transport von Erz und Kohle über den aber ebenso wie der Bau eines eigenen inte- 1992). In der Thyssen-Gruppe zeigte sich die der kompletten Flüssigphase in Dortmund Rhein direkt an die Anlagen kostenoptima- grierten Hüttenwerkes in Australien oder an ’Vorwärtsstrategie’ in Form von Auslandsbe- (inkl. Kokerei) und der sich anschließenden le Standortbedingungen. der Nordseeküste im Europoort (Rotterdam) teiligungen in Brasilien (Galvasud, ein Joint Warmverformung im Warmbandwerk und war Als ein Ergebnis dieses über 30 Jahre wäh- nicht verwirklicht. Venture, das inzwischen wieder aufgegeben mit einer der größten Demontageaktionen in renden – zunächst nationalen, später auch Stattdessen gewann – auch vor dem Hin- wurde) und in Spanien (Galmed, eine Feu- Deutschland verbunden. internationalen – Konzentrationsprozesses tergrund der einsetzenden Krisensignale erverzinkungsanlage, die ab 2003 komplett Für die Verlagerung nach Duisburg spra- kann eine deutliche Produktivitätssteigerung – das vorsichtigere Modell der ’Beteiligung’ übernommen wurde). Vor allem aber wurde chen mehrere Gründe: festgehalten werden (s. Abb. 13 und 14). ab 1971 an Gewicht wie die Beispiele aus versucht, durch Investitionen am Standort 1. Eine eindeutige Schwerpunktsetzung in Mit dem Beginn des Stahlbooms zu Be- Brasilien und Frankreich (Cosigua, Solmer) Duisburg in modernste Hochofen- und Stahl- der Produktionsstrategie auf Flachstahl- ginn des 21. Jahrhunderts hat die Konso- zeigen. Beide Projekte blieben allerdings, werks- / Walzwerkstechnologie Anschluss an erzeugung; dies war ein marktgängigeres lidierung in der Stahlindustrie weiter an teils aus technologischen, teils aus wirt- die globale Entwicklung zu halten (z.B. Bau Produkt als die Profilstähle, welche in Dynamik gewonnen. Es hat seit diesem schaftspolitischen Gründen mehr oder we- der Hochöfen Schwelgern 1+ 2, Dünnbram- niger folgenlos. mengießanlage, Ausbau der Produktion von Standorte und Kapazitäten 1983/1984 Standorte und Kapazitäten 2007/2008 In der Stahlkrise ab 1974 blieb bis zu Be- Tailored Blanks). 11,5 ginn der 90er Jahre kein Raum mehr für wei- Diese Entwicklung vollzog sich vor dem 6,1 Σ? 19 Mio t Σ? 16,7 Mio t tere Gedanken an neue europäische oder Hintergrund einer grundlegenden Verände- (4) Schwelgern/ Schwelgern/ (7) transkontinentale Produktionsstandorte. Auf rung in der technischen Konzeption und der Hamborn Hamborn die erste Stahlkrise der 70er Jahre folgten strategischen Ausrichtung. Im Verlauf der 3,5 1982 / 83 und 1986 / 87 weitere Einbrüche Stahlkrise begannen die meisten Konzerne 0,5 2,4 (3) Meiderich (4) in so kurzen Zeitabständen, dass es kaum damit, ihr Produktprogramm zu straffen und Ruhrort (3) 5,2 Erholungspausen gab. Trotzdem scheiterten sich aus bestimmten Produktionsbereichen 2,8 2,8 Dortmund 3,31) Rhein- 0,9 (2) die deutschen Fusionspläne mit ’großen’ Lö- ganz zurückzuziehen. Für die Thyssen-Hüt- (4) (4) (2) hausen R Ru uh hr sungen weiterhin an dem Streben nach Er- te am Standort Duisburg bedeutete dies z.B. Hattingen r n Huckingen n Huckingen ei ei Rh halt der Eigenständigkeit der Konzerne. So die Aufgabe der Trägerproduktion, der Schie- Rh sah das Stahl-Moderatorenkonzept (Herrhau- nenproduktion (Abgabe an VOEST) und der Thyssen Stahl Mannesmann- ThyssenKrupp Steel Hüttenwerke Krupp Krupp Röhrenwerke Mannesmann sen, Dt. Bank / Vogelsang, Thyssen / Bierich, Drahtproduktion (Abgabe an ISPAT, heute 1) Produktionsanteil Hoesch (27) Anzahl Hochöfen (6) Anzahl Hochöfen Allianz, Mannesmann) eine Aufteilung in eine Arcelor-Mittal). Heute ist die frühere Zielset- ThyssenKrupp Steel ’Gruppe Rhein’ mit Thyssen und Krupp und zung, möglichst alle Stahlprodukte anbieten Abb. 11: Reduzierung und Verlagerung von Hochofenstandorten im Ruhrgebiet

84 85 MEGGG 1•2010 Marcus Mogk: Globalisierungsaspekte bei ThyssenKrupp Steel Europe Wirtschaftsvereinigung Stahl Erzeugung, Beschäftigung und Produktivität in Deutschland (Anteil der Stahlindustrie) Zeitpunk ca. 160 Übernahmen im Wert von zentrationsprozesse global wesentlich wei- Erzeugung Beschäftigte Produktivität in 70 Mrd. $ gegeben (davon alleine die Fusion ter fortgeschritten: So im Automobilsektor, in Mio. t/a: in Tsd: t RSt/Beschäftigter: Arcelor-Mittal mit 46 Mrd. $). Die Fachleu- in dem 65 % durch die Top 5 produziert 355 45,0 34,0 374 te gehen davon aus, dass es in dem immer werden oder im Erzbergbau, in dem 70 % 31,1 Ͳ9% noch stark fragmentierten Stahlmarkt auch durch die Top 3 produziert werden. Zu- -27% 32,7 in den nächsten Jahren zu weiteren Kon- nächst sind durch die Bündelung der Kräf- zentrationsprozessen kommen wird, da le- te wie bei Arcelor-Mittal, Tata-Corus oder Ͳ75% +195% diglich 20 % der Gesamterzeugung durch Thyssen-Krupp Einheiten entstanden, die die Top 5 der Produzenten erzeugt wird. In am Weltmarkt zumindest in nächster Zeit 120 anderen Industriesektoren sind diese Kon- bestehen können. 92

Rohstahl Walzstahl Globale Verflechtungen

1970 2009 1970 2009 1970 2009 1970 2009 2001 wurde ein erfolgreiches Joint Venture liens an die Küste transportiert wird. Unter Quelle: Statistisches Bundesamt; WV Stahl mit der zweitgrößten chinesischen Stahlgrup- Beteiligung der brasilianischen Erzförder- Abb. 12: Erzeugung, Beschäftigung und Produktivität der Eisen schaffenden Industrie pe Anben (Bau einer gemeinsamen Feuer- März 2010 · © WV Stahl Stahl-Zentrum gesellschaft Vale entsteht auf einer der in Deutschland beschichtungsanlage im Nordosten Chinas, weltgrößten Baustellen mit über 20.000 Inbetriebnahme einer zweiten Anlage 2010) Bauarbeitern auf ca. 9 qkm Land ein Kom- Rohstahlproduktion1) [Mio t/a] in 2006 abgeschlossen. Daneben griff der Thyssen- plex aus Hochöfen, Stahlwerk und Strang- Thyssen Krupp-Konzern ab 2003 vor dem Hinter- 8 bn USD ThyssenKrupp 16,8 gießanlage (plus Kokerei, Kraftwerk und Krupp grund des anhaltenden Stahlbooms und der Hoesch weiterer Nebenbetriebe), in dem ab 2011

Shanghai Steel Systems positiven Prognosen über steigende Absatz- jährlich ca. 5 Mio. t Brammen produziert Baosteel 22,5 Meishansteel möglichkeiten von Qualitätsflachstahl auf werden sollen. Eine Vergrößerung der Pro- Bayi Steel den Weltmärkten, hervorgerufen durch die British Steel duktionsmenge an diesem Standort ist Corus Hoogovens 13 bn USD Tata -Corus 24,0 zunehmende weltweite Präsenz wichtiger Au- möglich. Im Werk werden ca. 3.500 Mit- Tata Steel tomobilkonzerne, offensiv Überlegungen zu arbeiter arbeiten, weitere 10.000 indirekte Usinor Arbed Arcelor einer Produktionsausweitung und dem Auf- Arbeitsplätze werden in der Region entste- Aceralia 5 bn USD bau eines Netzwerkes kostenoptimaler und hen. Das Werksgelände bietet optimale Be- Cockeril Sambre Dofasco marktnaher Produktionsstandorte für Hüt- dingungen für eine effiziente Stahllogistik, 43 bn USD Arcelor Mittal LNM Group 13 bn USD 118,0 tenwerke auf: Projekt CSA (Brasilien), Pro- zudem verfügt das Hüttenwerk über einen Ispat LTV jekt Compass (USA) und Projekt Herkules eigenen Seehafen, von dem aus die Bram- Mittal Steel Acme (Deutschland). ISG 5 bn USD men direkt nach Europa und Nordamerika Bethlehem transportiert werden. Ein wirtschaftlicher Weirton CSA (Compania Siderurgica do Atlan- Vorteil liegt darin, dass anders als beim Nucor tico) – das neue Metallurgiezentrum Trico Nucor 20,3 Transport von Erz beim Brammentransport Birmingham Dieser neue Industriekomplex befindet sich die Gesteinsmengen entfallen, die an das NKK 14 bn USD JFE 32,0 Kawasaki in der Bucht von Sepetiba, ca. 70 Kilome- Erz als unbrauchbare Bestandteile gebun- ter südwestlich von Rio de Janeiro. Das den sind; daneben sind die Arbeitskosten 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 Grundstück liegt direkt am Meer und am in Brasilien niedriger als in Deutschland. 1) Daten an aktuelle Marktentwicklungen angepasst Ende einer Eisenbahnlinie, auf der Erz aus Gleichwohl orientiert sich die Auslegung Abb. 13: Konsolidierung der Stahlindustrie mit zunehmender Dynamik den großen Minen im Landesinneren Brasi- des Werks an modernster Technologie und

86 87 Illinois Illinois MEGGG 1•2010 Marcus Mogk: Globalisierungsaspekte bei ThyssenKrupp Steel Europe

Virginia Virginia Missouri M issouri Kentucky Kentucky Compass gischen Neuausrichtung steht das Projekt North Carolina North Carolina Tennessee Das neue Weiterverarbeitungszentrum ’Herkules’ in enger Verzahnung zu den Ver- Tennessee In der Nähe von Mobile im Bundesstaat größerungsplänen des Marktsegmentes in South CarolinaArkansas der NAFTA-Region. Basis für den Kapazi- Arkansas South Carolina Alabama entsteht in der Nähe zu den neuen •IV 1,7 Mio t/a Herkules Rotterdam R tätsausbau ist die Brammenversorgung aus 1,7 Mio t/a •Rhhei Automobilproduktionsstätten im Süden der Rotterdam•IV •Rotterdam einn Herkules R•Rh Rotterdam heein •Bochum Georgia Compass • •Bahn in Bochum Brasilien. Die Verarbeitungskapazitäten der •Antwerpen Bahn USA für ca. 3,7 Mrd. $ eine Produktions- Alabama G eorgia 1,6 Mio t/a •VBochum•Bochum Mississippi Compass 0,4 Mio t/a•Bahn •Antwerpen Bahn•DuisburgDuisburg Walz- und Oberflächen-Veredelungsanla- Alabam a 1,6 Mio t/a •V stätte für die Weiterverarbeitung von jährlich Mississippi 0,4 Mio t/a•Duisburg Duisburg über 4 Mio. t Stahl. 2010 werden hier eine gen in Deutschland werden daher seit 2006 Mt. Vernon 2,9 Mio t/a Hafenanlage, eine Warmbreitbandstraße, durch Erweiterungs- und Umbaumaßnah- MobileMt. Vernon 2,9 Mio t/a Louisiana eine Kaltbandstraße und vier Feuerverzin- men für die Verarbeitung eines Teils dieser Louisiana Mobile 2,1 Mio t/a 4,5 Mio. t/a kungsanlagen mit knapp 3.000 Arbeits- zusätzlichen Mengen mit einem Investitions- Florida 2,1 Mio t/a 4,5 Mio. t/a plätzen in Betrieb gehen. Auf dem Gelände volumen von rund 400 Mio. Euro angepasst. Florida wird darüber hinaus für den Edelstahlsektor Bei den Kapazitätserweiterungsmaßnahmen von ThyssenKrupp noch ein Elektrostahl- liegt der Fokus vor allem auf Warmband- CSA werk entstehen; Teile der gesamten Anla- werken und Feuerbeschichtungsanlagen, 5,0 Mio t/a Brammen CSA genkonfiguration werden gemeinschaftlich weitere Mittel fließen in den Ausbau der In- frastruktur und der Lager- und Transportlo- 5,0 Mio t/a Brammen betrieben. gistik. Zusätzlich zu diesen Erweiterungen wurde noch in ein Abb. 14: Projekte CSA-Compass-Herkules: Globale Vernetzung 340-Millionen-Euro- Programm für den Neu- an höchsten Umweltstandards analog der gewesen: Plankosten ca. 1,8 Mrd. €, Ist- bau eines Hochofens europäischen Vorgaben. kosten über 5 Mrd. €. Auch wird die Pro- in Duisburg sowie die Aufgrund zahlreicher Ereignisse sind un- duktion mit gut einem Jahr Verspätung Neuzustellung eines geplante Kostensteigerungen zu verzeichnen voraussichtlich erst im Spätsommer 2010 weiteren Hochofens aufgenommen, was investiert. Die Versor- aber angesichts der gungsprobleme in den derzeitigen Lage auf Jahren 2007 / 2008 dem Weltstahlmarkt mit sehr hoher Nach- kein besonderes Han- frage haben den Roh- dicap darstellt. Nach stahlmangel deutlich allen Prognosen ge- Abb. 16: Compass gemacht. Auch die hen aber die Marktbe- Tochtergesellschaften obachter auch derzeit begleiten diese Vor- weiter davon aus, dass Herkules wärtsstrategie, denn rund 30 % des Ab- die Nachfrage nach Erweiterungen von bestehenden satzes werden über diese Gesellschaften Anlagen in Deutschland hochwertigem Qua- weiterverarbeitet: So wurde die Rasselstein litätsflachstahl insbe­ Das Projekt „Herkules“ beinhaltet als mit- GmbH Andernach zum größten Weißblech- sondere in Europa und telfristiges Ziel den Ausbau der Marktposi- standort der Welt ausgebaut und Hoesch der NAFTA-Region tion in Deutschland und dem europäischen Hohenlimburg erweiterte die Walzwerkska- Abb. 15: CSA weiter steigen wird. Umland. Im Rahmen der globalen strate- pazitäten für Mittelband.

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Herausforderungen Märkten im Umfeld der Produktionsstätten Aktivitäten netzartig zu verbinden, konnte statt. Erst mit dem Aufbau neuer Produkti- durch die politischen Entwicklungen in der Der Prozess der Globalisierung wird sich wei- international operierenden Unterneh- onskapazitäten der weiterverarbeitenden In- ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Thys- ter intensivieren. Mit ihm können Vor- und men, Verlust von Arbeitsplätzen dustrie in anderen Regionen Europas und sen-Konzern nicht umgesetzt werden. Auch Nachteile verbunden sein wie z.B. Für TKSE sind u.a. folgende Faktoren we- später auf dem gesamten Globus, wurden in den nachfolgenden Jahrzehnten ging man für Unternehmen: sentlich: Die enorme Nachfrage nach Roh- in zunehmendem Umfang Primärerzeug- im Auf und Ab der Konjunkturzyklen und der + Ausweitung der Absatzmärkte, neue stoffen u.a. durch die VR China führt zu einer nisse (Brammen, Warmband, Kaltband) und lang andauernden Stahlkrise zwischen 1974 Produktionsstandorte deutlichen Preissteigerung bei Erzen, Kohle Produkte aus Downstream-Aktivitäten (z.B. und 1998 mit Beteiligungen und Joint Ven- – Verlust von Marktanteilen, Verlust der Ei- und Koks und weiteren Bodenschätzen. Der Tailored Blanks), den Kunden folgend, inter- tures eher auf Nummer Sicher. Erst in den genständigkeit durch (ausländische) Ei- Wettbewerb auf den Märkten wird darüber national vermarktet. letzten Boomjahren und vor dem Hintergrund gentümer hinaus durch verschiedene Faktoren beein- Aufgrund der enormen Höhe des in Anlagen eines zunehmenden weltweiten Konkurrenz- für Arbeitnehmer: flusst oder verzerrt. Neben direkten und in- gebundenen Kapitals kommen Standortverla- drucks durch globalisierte Waren-, Informa- direkten Subventionen, der Einführung von + Arbeitsmöglichkeiten in anderen Ländern gerungen von integrierten Hüttenwerken auf- tions- und Kapitalströme wurden die Ideen Einfuhrbegrenzungen und Strafzöllen für be- – Konkurrenz durch Arbeitnehmer im In- grund rasch wechselnder Marktbedingungen eines Netzes von kostenoptimalen Produk- stimmte Produkte sind es insbesondere die und Ausland, Produktionsverlagerungen kaum in Betracht. Daher gibt es – von der tionsstandorten wieder aufgegriffen und mit weltweit sehr unterschiedlichen gesetzlichen für Konsumenten: Schließung ganzer Standorte oder bestimmter dem Dreieck Deutschland – Brasilien – USA Standards hinsichtlich Klima- und Umwelt- Produktionsanlagen abgesehen – im Regel- global aufgespannt. + Zunehmende Angebotsvielfalt an Gü- schutz (CO2-Abgaben) oder Arbeitssicherheit, fall eine relativ hohe Persistenz an den kos- Noch immer haftet der Stahlindustrie etwas tern und Dienstleistungen, Reisemög- die hierzulande zu deutlichen Kostennach- tengünstigen Standorten (z.B. Duisburg). Die Mythisches an: Feuer, Hitze, Rauch – Schöp- lichkeiten teilen gegenüber Produzenten in außer- frühe Idee, Hüttenwerke an verschiedenen fungsmomente! Moderne Wirtschaftsanalysten – Verlust an Qualitätsstandards, Gefähr- europäischen Ländern führen. Die großen Standorten in Europa aufzubauen und die werden dagegen mit eher kühl-nüchternem dung der Versorgungssicherheit Produktionskapazitäten insbesondere in Chi- für Staat und öffentlichen Sektor: na führen dazu, dass bei sinkender Nachfra- Fazit: lokal/regional international global Netz + Wachstum und Mehreinnahmen durch ge diese z.T. subventionierten Mengen auf Handel, Arbeitsplätze und Wertschöp- die Exportmärkte drängen und dort zu einem Rohstoffbezug Absatz Produktionsstandorte fung durch Betriebsansiedlungen Preisverfall führen, dem die privatwirtschaft- – Verlust der Autarkie, Gefährdung der lichen Unternehmen in Europa kaum etwas Erz: International von Primär regional: 1. „auf dem Erz“, Anfang an Absatz zu 50 % im 2. „auf der Kohle“, Versorgungssicherheit, Abhängigkeit von entgegensetzen können. 200 KM-Radius um 3. vernetzte Standortkom- Bis 1914 Verflechtung Duisburg bination (globaler Kosten- zwischen den Produktions- vergleich) standorten angestrebt Absatzmengen in Europa (Dreiecksverkehre) auf wenige Staaten Fazit Hohe Kapitalbindung in An- Ab 2010 Vormaterial- konzentriert lagen lässt Standortverlage- rungen nur eingeschränkt zu lieferung teilw. aus erz- Absatz außerhalb Europas Bei Betrachtung der Entwicklung der ’Globa- die Kohlevorkommen sowie die limitierten (J oint Ventures) nahen Standorten bei 5 % der Erzeugung u. Zunehmender Einfluss lität’ in der Stahlbranche sollte vor dem Hin- Transportmöglichkeiten die ausschlagge- Kohle: lokal aus eigenen Berg- 10 % vom Umsatz (OV- tergrund der Bedeutung von Erzlagerstätten benden Standortfaktoren. Mit dem Eintritt in werken, ab 1950 von Ruhr- Produkte u. Tailored globaler Faktoren wie und Kohlevorkommen, der Anbindung an ge- die industriemäßige Produktion, der Kapazi- Ruhrgebietszechen außer- Blanks) Marktnähe, Rohstoffpreise, halb des Konzerns Frachtkosten, Konkurrenz, eignete Transportwege sowie politischer Rah- tätserhöhung bei den Transportmitteln und – Ab 2010: Verstärkung Nach Auslaufen des der intern. Präsenz, Fusionen, CO2-Abgaben menbedingungen zwischen Rohstoffbezug, später – dem Wegfall von Kohlesubventionen Hüttenvertrages: Inter- bes. USA: „dem Kunden führen zum Standortnetzwerk Absatzmärkten und Produktionsstandorten wurde der zunächst lokale Rohstoffbezug national: Import folgen“ unterschiedl. Prod.-stufen unterschieden werden. schnell in all seinen Facetten international. von Kohle Als Grundstoffindustrie waren zunächst Der Absatz der Primärerzeugnisse findet die Erzlagerstätten, die Holz- und später bis heute im Wesentlichen auf regionalen Abb. 17: Globalität der Stahlerzeugung am Beispiel der Thyssen-Hütte und ihrer Rechtsnachfolger

90 91 MEGGG 1•2010 Friedrich Schulte-derne / Hans-Werner Wehling: ThyssenKrupp Steel Duisburg

Blick die Frage stellen, ob die Stahlindustrie werdenden Abständen auf den Prüfstand: in einem bestimmten Land, einer bestimm- Globalisierung heißt Kostenwettbewerb! ten Region sich rechnet oder sie eine ’sys- Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Friedrich Schulte-Derne / Hans-Werner Wehling temrelevante’ Branche sei. jüngsten Vergangenheit bleibt die Hoffnung, Fusionen in der Stahlbranche zeigen, dass dass nicht ein allzu kurzfristiges Gewinnstre- Stahlproduktion und -verarbeitung im Ruhrgebiet: der globalisierte Kostenwettbewerb auch vor ben zu vorschnellen wirtschaftlichen Ent- jahrhundertealten Mythen keinen Halt mehr scheidungen führt. Es bleibt auch zu hoffen, ThyssenKrupp Steel Duisburg-Bruckhausen macht. Nationales Denken ist out, alles ist dass weiterhin die gesellschaftspolitische Ver- überall verfügbar – es kommt auf den Preis antwortung, die den Unternehmen auferlegt an! Und so geraten alle Standortfaktoren in ist, und die vor allem in der deutschen Mon- den Produktionsnetzwerken, seien es die tanindustrie über viele Jahrzehnte zum Wohl Die Anfänge in Duisburg Nähe zu Rohstoffquellen, die Verlässlichkeit der Menschen und der Region an Rhein und Die industrielle Entwicklung begann in den nächst gingen 1891 sechs Siemens-Mar- von Lieferbeziehungen, die Art der Trans- Ruhr gelebte Praxis war, auch weiterhin und 1880er Jahren, als August Thyssen (1842- tin-Öfen in Betrieb, die in den Folgejahren portwege, die Nähe zu Absatzmärkten, die in schwierigen Zeiten mit Augenmaß wahrge- 1926) nördlich von Duisburg unternehme- fünf Walzstraßen versorgten. Bereits 1895 Arbeitskraftpotentiale etc. in immer kürzer nommen wird. risch tätig wurde. Thyssen entstammte einer wurde ein Thomas-Stahlwerk, bestehend katholischen Unternehmerfamilie der Eisen- aus vier Konvertern, errichtet und 1897 ent- und Stahlbranche aus der rheinischen Indus- stand der erste Hochofen. 1919 erfolgte u.a trie- und Bergbaustadt Eschweiler. Zunächst mit Konsolidierung der Steinkohleabbau- Der Autor: brachte er sich in den Besitz der Hamborner felder Deutscher Kaiser und Beeckerwerth Marcus Mogk Bergwerksgesellschaft Gewerkschaft Deut- die Umbenennung in Gewerkschaft Fried- scher Kaiser. Im Bereich von Marxloh und rich Thyssen (Huske 1998, S. 328). Unter ThyssenKrupp Steel Europe AG Bruckhausen erwarb er zudem 1889 inner- dem Namen August-Thyssen-Hütte firmierte Personal halb kürzester Zeit am Rhein 122 Hektar fortan der Geschäftsbereich der Eisen- und Team Seminarzentrum / Wissens- Fläche für ein Stahl- und Walzwerk. Unter Stahlerzeugung und Verarbeitung. Der an management dem Dach der Gewerkschaft Deutscher Kai- das Hüttenwerk angrenzende Hafen Alsum 47166 Duisburg ser gelang es Thyssen schließlich, einen ver- wurde später durch den größeren und leis- tikal integrierten modernen Montankonzern tungsfähigeren Hafen Schwelgern ersetzt. zu schaffen, bestehend aus Hüttenzechen, 1926 wurde der Thyssenbesitz in die Vereini- Kokereien und Stahl- und Walzwerken. Zu- gten Stahlwerke eingebracht.

Hochofenstandorte

Hochofen 2 in Schwelgern ist 1993 in Be- 11 Mio. Kubikmeter Luft, die in Winderhit- trieb genommen worden. Mit einem Ge- zern auf über 1.200 Grad Celsius erhitzt wer- stelldurchmesser von 14,90 m und einem den, zugeführt werden. Bei der Produktion Nutzvolumen von 4.800 Kubikmetern gehört fallen täglich 3.300 t Schlacke und 17 Mio. er zu den größeren Hochöfen. Diese produ- Kubikmeter Gichtgas an. Schlacke findet als zieren im Durchschnitt 12.000 t Roheisen Baustoff Verwendung, das Hochofengas wird pro Tag bzw. 4 Mio. t Roheisen pro Jahr. zur Energieversorgung genutzt. Hierzu müssen täglich 19.200 t Eisenerz- Ebenfalls wurde nach einer Neuzustel- träger, 4.000 t Koks, 1.750 t Einblaskohle, lung Hochofen 9 im November 2009 wieder

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