Richard Wagner
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APuZAus Politik und Zeitgeschichte 63. Jahrgang · 21–23/2013 · 21. Mai 2013 Richard Wagner Martin Geck Lassen sich Werk und Künstler trennen? Udo Bermbach Wagners politisch-ästhetische Utopie und ihre Interpretation Sven Oliver Müller Richard Wagner als politisches und emotionales Problem Dieter Borchmeyer Richard Wagners Antisemitismus Eberhard Straub Wagner und Verdi – Nationalkomponisten oder Europäer? Anno Mungen Wagner-User: Aneignungen und Weiterführungen Hanns-Werner Heister Zu den politischen Dimensionen von Musik Sven Oliver Müller deutschen Öffentlichkeit bis in die Gegenwart hinein ist erstaunlich und letztlich rätselhaft: Warum veränderten sich die Interpretationen Richard Wagner von Richard Wagners künstlerischem Werk so häufig, aber seine politische und emotiona- le Präsenz so wenig in der an Umbrüchen rei- als politisches chen Zeit zwischen 1883 und 2013? Die Aneignung seines Werkes stand in einem und emotionales Wechselverhältnis von affirmativen Wieder- holungen und kontroversen Neuschöpfungen. Vielleicht lag genau in diesem Spannungsver- Problem hältnis eine der Ursachen des Erfolgs. Der Wagner-Mythos hielt keine unverrückbaren ur der Mensch Richard Wagner starb Deutungen bereit, sondern funktionierte of- N1883 an einem Herzinfarkt – nicht das fenbar stets durch seine Vieldeutigkeit. Das Phänomen und das Problem Wagner. Seine Werk ließ sich nicht nur leicht weitererzählen, Faszination hat mehr sondern auch den Veränderungen der deut- Sven Oliver Müller Menschen in Deutsch- schen Gesellschaft anpassen. Die historischen Dr. phil., geb. 1968; Leiter der land angezogen als Versuche, den Rang Wagners und die Bot- Forschungsgruppe „Gefühlte seine Fragwürdigkeit schaft seiner Kunst trennscharf zu bestimmen Gemeinschaften? Emotionen abgeschreckt. Sicher und mithin für eine bestimmte Deutung zu um Musikleben Europas“ scheint, dass die wi- vereinnahmen, sind jedoch allesamt geschei- am Max-Planck-Institut für dersprüchliche Rezep- tert. Die Wagner zugeteilten öffentlichen Rol- Bildungsforschung; Autor des tion Wagner am Leben len folgten größtenteils dem Wandel der deut- Buches „Richard Wagner und hält. Er ist vielleicht schen Gesellschaft – und triumphierten und die Deutschen. Eine Geschichte der einzige Kompo- scheiterten mit ihr. Die Wagner-Rezeption von Hass und Hingabe“ nist, über den die deut- kann als eine Suche nach Gewissheit gegen Be- (2013); Max-Planck-Institut für sche Gesellschaft bis drohungen, Ängste und Unsicherheit gedeutet Bildungs forschung, heute nicht zur Ruhe werden. In Wagners Werk lassen sich zentrale Lentze allee 94, 14195 Berlin. gekommen ist. Um Merkmale des gesellschaftlichen Wandels er- [email protected] Wagner gab es keinen kennen, der nicht nur das 19., sondern auch das Frieden, weil zahl- 20. Jahrhundert prägte: Herrschaft und Ge- reiche Musikfreunde, darunter große Teile walt, Politik und Migration, soziales Wachs- der Elite in der deutschen Gesellschaft, kei- tum und neue Unübersichtlichkeit. ❙2 ne Ruhe vor ihm haben wollten. Aus kultur- historischer Perspektive gewann Wagner seine Bedeutung nicht nur durch die Reproduktion Wer besitzt den „wahren Wagner“? seines Werkes, sondern auch durch die einzig- artige Figur des Komponisten – genauer: im Verlässt man die Position der Werkimmanenz öffentlichen Umgang mit dieser durch Regie- und blickt auf das Nachleben der Musikdra- rungen, Institutionen, Medien und Publikum. men in den Inszenierungen und beim Publi- Seine Aneignung lässt sich als eine Form der Politik mit kulturellen Mitteln verstehen. ❙1 Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner. Ein Musi- kanten-Problem, Leipzig 1889. Vgl. Joachim Fest, Ri- Die „postume Karriere“ Wagners im chard Wagner – Das Werk neben dem Werk, in: Saul 20. Jahrhundert ist ein Ausdruck der gesell- Friedländer/Jörn Rüsen (Hrsg.), Wagner im Drit- ten Reich. Ein Schloß Elmau-Symposium, München schaftlichen Entwicklungen in Deutschland. 2000, S. 24–39; Peter Wapnewski, Richard Wagner. Friedrich Nietzsche nannte das zu seiner Die Szene und ihr Meister, München 1983. Zeit den „Fall Wagner“. ❙1 Seit dem ausgehen- ❙2 Vgl. Hartmut Zelinsky, Richard Wagner – ein deut- den 19. Jahrhundert ist Wagners Werk fester sches Thema. Eine Dokumentation zur Wirkungsge- Bestandteil des musikalischen Repertoires in schichte Richard Wagners 1876–1976, Frank furt/M. Deutschland. Monarchen und Politiker, Hörer 1976. Abwägender und analytisch treffender ist die Ar- beit von Udo Bermbach, Richard Wagner in Deutsch- und Intendanten, Künstler und Journalisten – land. Rezeption – Verfälschungen, Stuttgart 2011. sie alle ließen in ihrem Interesse für Wagners Wichtig ist auch Hannu Salmi, Imagined Germany. Musikdramen nie nach. Seine Präsenz in der Richard Wagner’s National Utopia, New York 1999. 16 APuZ 21–23/2013 kum, wird eines deutlich: Wagners Werk ist äs- In der Rezeptionsgeschichte Wagners wird thetisch und politisch eine Herausforderung. deutlicher als wohl bei jedem anderen Kompo- Das spezifisch Politische an seinen Bühnen- nisten, dass Emotionen im Musikleben auch als werken ist, wenn nicht im Notentext und der Strategien der Macht eingesetzt werden kön- Handlung, dann im interessengeleiteten Um- nen. Sie oszillieren dann oft zwischen spon- gang damit zu erkennen. Diese Handlungs- taner Reaktion und ausgeklügelter Absicht. macht des Publikums hat schon Friedrich Die in der Öffentlichkeit agierenden „Wagne- Nietzsche erkannt und geurteilt, es sei „der rianer“ waren oft versierte Experten mit einer Wagnerianer Herr über Wagner geworden“. ❙3 großen Sensibilität für emotionale Interpreta- tionen und die zu erwartenden Reaktionen des Wagners Werk vermittelt keine verbind- Publikums. Die Emotionen ihrer Gegner wa- liche Weltsicht. Seine Botschaft bleibt deu- ren ihnen nicht nur nicht fremd, sie nutzten tungsoffen und unbestimmt. Genau das diese auch, um die Wünsche und die Ängste aber ermöglicht einen Blick auf die zahlrei- der Gegner zu treffen, ja um die musikalisch chen, oft widersprüchlichen Rezeptions- „Ungebildeten“ persönlich zu verletzen. weisen. Die Frage nach der „richtigen“ oder „falschen“ Rezeption eines Wagner-Stückes Man kann die Wagner-Rezeption zwischen führt nicht weit. Es gibt keinen abschließend dem Kaiserreich und der Bundesrepublik als zu bewertenden Wagner, keinen „wahren“ eine Erregungsspirale bezeichnen. Damit ist Wagner, keine Deutung, der nicht wider- nicht nur gemeint, dass sich die emotionalen sprochen werden kann. Der Regisseur Heinz Reaktionen auf die Musik, die Hörgewohn- Tietjen hatte mit seiner Bayreuther Lohen- heiten und der Geschmack veränderten. Das grin-Inszenierung 1936 ebenso „recht“ wie Bild der Spirale kann auch das Phänomen Christoph Schlingensief mit seinem Parsifal beschreiben, dass die emotionale Bewer- von 2004. Beide realisierten ein authentisches tung Wagners in Deutschland mit der Zeit so Stück originären Wagnertums. wirkmächtig wurde, dass es leichter schien, sie immer weiter zu drehen, als sie zu durch- Im Zusammenhang mit Richard Wagner brechen. Die Benennung von Emotionen hat- haben Emotionen stets eine soziale Dimen- te immer neue Erregungen zur Folge. sion, die einerseits dem individuellen Emp- finden eine besondere Relevanz verleiht und Der Weg der emotionalen Deutungen und andererseits immer wieder auf Wagner zu- Umdeutungen Richard Wagners ist ein Weg rückstrahlt. Die Musik, die Sprache, die voller Hindernisse und Fallen. Der Politik- Handlung und die Bilder der einzelnen Mu- wissenschaftler Udo Bermbach stellt ganz sikdramen bewirken damals wie heute inten- zu Recht die Frage, ob es nicht angemessen sive und konfliktträchtige Gefühle. Auf Hass wäre, von einer „schiefgelaufenen Rezeption“ und Hingabe in der Wagner-Rezeption zu bli- zu sprechen. ❙5 Das bezieht sich nicht nur auf cken, ist deshalb aufschlussreich, weil beide die nationalsozialistische Instrumentalisie- einerseits von einem Kontrollverlust zeugen, rung Wagners. Wahrscheinlich beging auch andererseits aber auch willentlich herbeige- die demokratische Linke einen Fehler, indem führte Reaktionen waren, durch die sich be- sie bis in die 1960er Jahre hinein Wagner be- stimmte Interessen befriedigen ließen. Positi- reitwillig dem nationalistischen und rechts- ven Emotionen wie Stolz, Glück oder Rausch konservativen Lager „überließ“, ihn dann standen in der Wagner-Rezeption negative aber umso engagierter für sich beanspruchte. wie Wut, Scham oder das Gefühl des Verrats Was immer durch die Wagner-Rezeption des gegenüber. Wagners Werk bietet offenbar zu viel, als dass es emotional eindeutig begrif- kussion über das Verhältnis von Musik und Emotion fen werden könnte. Auch deshalb enthält es bieten Patrik N. Juslin/John A. Sloboda (eds.), Music 4 so zahlreiche Identifikations möglichkeiten. ❙ and Emotion: Theory and Research, Oxford 2001. ❙5 Udo Bermbach, Opernsplitter. Aufsätze, Essays, Würzburg 2005, S. 224. Vgl. Dietrich Mack (Hrsg.), ❙3 Vgl. Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzu- Richard Wagner. Das Betroffensein der Nachwelt. menschliches. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Beiträge zur Wirkungsgeschichte, Darmstadt 1984; Giorgio Colli, Berlin 1967, S. 323. Sven Friedrich, „Der Prophet seines Volkes“. Der ❙4 Vgl. Sven Oliver Müller, Richard Wagner und die Wagner-Mythos um 1900, in: Laurenz Lütteken Deutschen. Eine Geschichte von Hass und Hinga- (Hrsg.), Musik und Mythos – Mythos Musik um be, München 2013. Einen guten Überblick zur Dis- 1900, Kassel 2009, S. 14–71. APuZ 21–23/2013 17 radikalen Nationalismus bis 1945 angerichtet zur offiziellen Festoper des nationalsozialis- worden war – nun spielte man unter