Unsere Mutter – „Staatsfeind Nr. 1“ Die Tochter Bettina Röhl* Über Ulrike Meinhof, Die Vor 25 Jahren in Den Untergrund Ging
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TITEL Unsere Mutter – „Staatsfeind Nr. 1“ Die Tochter Bettina Röhl* über Ulrike Meinhof, die vor 25 Jahren in den Untergrund ging s gibt ein Märchen von den Brüdern Grimm, das heißt E„Der Froschkönig oder der ei- serne Heinrich“. Darin erlöst eine schöne Prinzessin einen Prinzen, der von einer bösen Hexe in einen Frosch verwandelt und in einen Brunnen gesperrt worden war. Als er, wieder ein Mensch, in sein Königreich zurückkehren will, holt ihn sein Diener, der treue Heinrich, mit dem Pferde- wagen ab. Über diesen heißt es: „Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, daß er drei Bande hatte um sein Herz le- gen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge.“ Erst nachdem sein Herr erlöst ist, brechen die Bande von seinem Herzen. So wie dem eisernen Heinrich ist es mir, als ich mit 13 Jahren die DPA Nachricht vom Tod meiner Mut- Meinhof-Töchter Regine, Bettina (1969): Im Scheidungskrieg zerrieben ter, Ulrike Meinhof, bekam, er- gangen. Eiserne Bande legten sich um mein Herz. Ich konnte nichts fühlen, ich konnte nicht weinen, ich konnte es nicht begreifen. Mei- ne Mutter war wie der Prinz im Märchen verwandelt worden. Wie ein großes schwarzes Monster hat- te sich ein Mythos um sie gelegt. Etwas, das größer war als ich, verstellte mir den Blick auf meine Mutter und, wie ich später begriff, auf mich selbst. Wie der eiserne Heinrich hörte ich nicht auf zu warten, in der Hoffnung, mir mei- ne Mutter irgendwann zurücker- obern zu können. Seit sie in den Untergrund gegangen war, gehör- te sie der Öffentlichkeit mehr als uns Kindern, den Verwandten und nächsten Freunden. Eines Tages wollte ich sie heimholen in ihr Pri- vatleben zu ihrer Familie. Auch meine Mutter hatte nicht geweint – damals war sie 14 Jahre alt –, als ihre Mutter, meine Groß- mutter, nach dem Krieg an einer Grippe gestorben war. Ihre beiden Töchter, Ulrike Marie und Wien- M. ZUCHT / DER SPIEGEL Meinhof-Töchter Regine, Bettina (1995): Hatte sie uns denn nie geliebt? * Mitarbeit: Carola Niezborala. 88 DER SPIEGEL 29/1995 . ULLSTEIN Fahndungsplakat (1970), Meinhof privat*: Es war etwas geschehen ke, waren durch ihren Tod zu Waisen sondern auch Liebe. Das geworden. Renate Riemeck, die Freun- Glück war perfekt, als 1962 din Ingeborg Meinhofs, die mit den bei- auch noch Zwillingskinder den Schwestern zusammen am Grab ge- zur Welt kamen, meine standen hatte und später die Vormund- Schwester und ich. Doch schaft übernahm, sagte einmal darüber schon bald hörten meine El- zu mir: „Deine Mutter und Wienke ha- tern auf, sich zu verstehen. ben sich gut benommen, sie haben nicht Meine Mutter verfolgte kon- geweint.“ sequent ihren beruflichen „Nicht weinen“, das war die Haltung Weg, während mein Vater von Frauen, die sich nach dem Zweiten Zuneigung und Liebe bei an- Weltkrieg geschworen hatten, nie wie- deren Frauen suchte. der den Männern die Führung zu über- Im März 1968, als die Ehe lassen, nie wieder schwach zu sein. In meiner Eltern geschieden diesem Sinne versuchte Renate Rie- wurde, zeigte meine Mutter meck, meine Mutter zu einer selbständi- ihre wahren Gefühle nicht. gen, starken Frau zu erziehen. Schon als Obwohl sie meinen Vater Studentin mauserte sich Ulrike Meinhof geliebt und verteidigt hatte, zur Sprecherin der Antiatombewegung. konnte sie nicht weinen. Sie Als sie 1958 Klaus Rainer Röhl, den richtete ihren Zorn auf ihren Chefredakteur und Herausgeber der Ex-Mann, er wurde zum Zeitschrift Konkret, kennenlernte, be- Feind. Ulrike Meinhof war gann für meine Mutter ihre Karriere als 34 Jahre alt, als dieser Ab- Journalistin. schnitt ihres Lebens zu Ende Mit meinem Vater verband sie nicht ging. Gemeinsam mit uns nur die berufliche Zusammenarbeit, Kindern zog sie nach Berlin. In dem folgenden Schei- * Aus einem Super-8-Familienfilm. dungskrieg wurden wir Kin- TITEL der aufgerieben. Meine Mutter erholte gen von Zigaretten in ihrem Arbeits- militärische Einsatz der Polizei mit sich von diesem Zusammenbruch ihres zimmer saß, begeisterte es sie immer, paramilitärischen Mitteln beantwortet Lebens nie wieder. Sie stürzte sich in die wenn sie selbst etwas erlebte, wenn sie wird . Arbeit, ihre Aufgabe als Journalistin gab mit dabeigewesen war. ihr Kraft. Die politischen Ereignisse, die Regelmäßig schrieb sie ihre Kolum- Die Frage, ob Gewalt das richtige 1968 ihrem Höhepunkt zuliefen, begei- nen in Konkret. Hinzu kam jetzt ihre Mittel sein kann, politisches Bewußtsein sterten sie, nahmen sie in Anspruch. Arbeit als Rundfunk- und Fernsehjour- zu erzeugen, wurde zur beherrschenden Mit fünf Jahren besuchten meine nalistin. Sie wurde zu der Berichterstat- Frage der Zeit. Schwester und ich einen der ersten Berli- terin der Studentenrebellion. In der lin- Es war das gleiche Jahr 1968, in dem ner Kinderläden. Gemäßder neuen Idea- ken Szene, das war ihr bewußt, hatte mit dem Schritt vom Protest zum Wider- leder „antiautoritären“Erziehung wurde ihre Meinung Gewicht. Durch ihre poli- stand Ernst gemacht wurde. Am 2. uns viel von dem erklärt, was die Erwach- tischen Analysen in Konkret war sie zu April 1968 zündeten vier junge Leute senen jetzt machten und worum es bei einer Autorität geworden. ein Frankfurter Kaufhaus an. Unter ih- dem politischen Kampf, von dem jetzt Die Titel ihrer Kolumnen hießen nen die 27jährige Gudrun Ensslin und ständig geredet wurde, ging. Was ein Ka- „Gegen-Gewalt“, „Der Kampf in der 25jährige Andreas Baader. Nie- pitalist ist und warum Polizisten Bullen den Metropolen“, „Notstand-Klassen- mand wurde getötet, ein Sachschaden heißen. Von Maos Revolution in China kampf“. Nach dem Attentat auf Rudi von fast 300 000 Mark entstand. oder dem Krieg in Vietnam. Dutschke am 11. April 1968 kam es un- Die herausragende Person im Prozeß Wir saßen neben Bergen von Flugblät- ter den Studenten zu Gewaltausschrei- war die Studentin Gudrun Ensslin. Ihre tern in Mammis Auto, einem klapprigen tungen. In „Vom Protest zum Wider- Verteidiger konnten sie als Überzeu- blauen R 4, wenn sie mit uns über die stand“ schrieb meine Mutter darüber: gungstäterin darstellen. Sie trat mit ei- Stadtautobahn ins da- mals entstehende Mär- kische Viertel fuhr. Während sie dort wie üblich mit irgendwel- chen Menschen über die Verbesserung der Wohnverhältnisse dis- kutierte, liefen wir durch die Matschpfüt- zen. Wir begleiteten sie auf ihrem Weg in ein Erziehungsheim, in dem und über das sie den Film „Bambule“ drehte, was soviel wie Aufstand, Aufbruch, Rebellion bedeutet. In unseren Hosentaschen wurden Zangen in das Heim geschmuggelt, damit die Jugendli- chen den Stacheldraht durchschneiden und fliehen konnten. Stän- dig hörten wir, wie schrecklich alles sei und welches soziale Unrecht in der Welt geschehe. Auch daß die Reichen ihr Geld mit den Armen teilen sollten war leicht zu Ehepaar Meinhof-Röhl, ehemaliger Familienwohnsitz in Hamburg-Blankenese: Nicht nur berufliche verstehen. Und dann die großen Demonstratio- Protest ist, wenn ich sage, das und das ner imponierenden Lässigkeit, ja fast ei- nen, auf die wir Kinder von unserer paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich ner geistigen Arroganz auf. Ihr wurde Mutter und ihrem neuen Geliebten Pe- dafür sorge, daß das, was mir nicht die Menschenrechtlerin abgenommen. ter Homann mitgenommen wurden. paßt, nicht länger geschieht. Gegenge- Vor Gericht sagte Gudrun Ensslin im Viele der Genossen, mit denen wir „Ho- walt, wie sie in diesen Ostertagen prak- Namen von sich und Andreas Baader: Tschi-minh“ singend durch die Straßen tiziert worden ist, ist nicht geeignet, „Wir taten es aus Protest gegen die zogen, wurden später zu gesuchten Ter- Sympathien zu wecken, nicht, er- Gleichgültigkeit, mit der die Menschen roristen. schrockene Liberale auf die Seite der dem Völkermord in Vietnam zuse- Mehr als einmal kam unsere Mutter Außerparlamentarischen Opposition zu hen . Wir haben gelernt, daß Reden von den Wasserwerfern der Polizei naß- ziehen. Gegengewalt läuft Gefahr, zu ohne Handeln unrecht ist.“ gespritzt nach Hause. Das waren Mo- Gewalt zu werden, wo die Brutalität der Das Interesse meiner Mutter war ge- mente, in denen sie glücklich aussah. Da Polizei das Gesetz des Handelns be- weckt. Für Konkret fuhr sie noch wäh- sie sonst meistens an der Schreibmaschi- stimmt, wo ohnmächtige Wut überlege- rend des Prozesses zu Gudrun Ensslin ne mit einer Kanne Kaffee und Unmen- ne Rationalität ablöst, wo der para- und besuchte sie in der Haftanstalt. Sie 90 DER SPIEGEL 29/1995 . und warfen mit Bonbonpapier. Noch gab es keinen tieferen Grund, nieder- geschlagen zu sein. Es waren ja keine Menschen verletzt oder getötet wor- den. Die Studentenrevolte flaute Anfang 1970 ab. Intensiv wurde jetzt disku- tiert, wie man die Bewegung am Leben halten könnte. Der Weg in die Illegali- tät, der Kampf gegen den Staat wurden offen diskutiert. Auch meine Mutter war mit dieser Frage beschäftigt. „Sie sprach fast beiläufig davon, ihre Kinder zu verlassen“ Persönlich ging es ihr immer noch nicht gut. Sie befand sich in einer grundsätzlich depressiven Verfassung. Noch hatte sie die Scheidung nicht ver- kraftet, Perspektiven für ein wahres neues Leben hätten sich erst bilden müssen. Ständig war sie auf Reisen, hatte Termine. Wenn sie zu Hause war, fand sie wenig Zeit für uns. Politik stand im Mittelpunkt ihres Lebens. Meine Schwester und ich waren jetzt sieben Jahre alt. Auch wir Kinder spür- ten, daß etwas Schweres in der Luft lag. Zur Jahreswende 1969/70 wurde mei- Mutter Meinhof, Zwillinge Regine, Bettina (1963): Das Glück war perfekt ne Mutter von der Filmemacherin Hel- Gegen Brandstiftung im allge- ma Sanders interviewt. meinen spricht, daß dabei Men- In einem schwarzen T-Shirt, blaß, ei- schen gefährdet sein könnten, ne Zigarette nach der anderen rau- die nicht gefährdet werden sol- chend, saß meine Mutter auf einem len. Gegen Warenhausbrandstif- Sessel – die langen, braunen Haare hin- tung im besonderen spricht, daß gen ihr ins Gesicht –, während meine dieser Angriff auf die kapitalisti- Schwester Regine – dagegen unendlich sche Konsumwelt . eben die- klein und süß – am Klavier hockte und se Konsumwelt nicht aus den die tristen Worte meiner Mutter mit Angeln hebt, sie nicht einmal vorsichtigen Klaviertönen unterbrach: verletzt..