Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur Impressum

Herausgeber Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Graurheindorfer Straße 198 53117 Bonn

Ausführliche und aktuelle Informationen unter www.kulturstaatsminister.de www.bundesregierung.de

Stand Redaktionsschluss 15. November 2012

Druck Besscom AG 12103

BildnachweisDeckblatt, Bundesregierung, Klaus Lehnartz S. 11, Bundesregierung, Kugler S. 14, Andreas Schoelzel S. 18, Bundesregierung, Henning Schacht S. 26, dpa Picture-Alliance, Arno Burgi S. 30, ddp images, dapd, Klaus-Dietmar Gabbert S. 34, 40, shutterstock S. 42, BStU, Günter Bormann S. 46, 132, BStU, Dresen S. 68, BStU, Böttcher S. 78, Deutsche Welle, Bettina Marx S. 122, Bundesregierung, Ole Krünkelfeld S. 142, Milla & Partner/Sasha Waltz S. 148, BStU, Dagmar Hovestädt

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Sie wird kostenlos ausgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. www.kulturstaatsminister.de Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur

3  Inhaltsverzeichnis Seite

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Vorwort von Staatsminister Bernd Neumann ...... 11

1 Einleitung 14 Die Notwendigkeit der Aufarbeitung der SED‑Diktatur ...... 15 Zuständigkeiten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur 16 Bundesregierung ...... 16 Länder ...... 16

2 Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung ...... 18 Die Friedliche Revolution in der DDR 1989 und die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ...... 19 Der Umgang mit den -Akten ...... 20 Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer 21 Die Aufarbeitung im Deutschen Bundestag – die Enquête-Kommissionen zur SED‑Diktatur 21 Die Gedenkstättenkonzeptionen des Bundes und ihre Fortschreibung 2008 22 Freiheit und Einheit – das Jubiläum von Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung 2009/2010 ...... 24

3 Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer ...... 26 Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz ...... 27 Das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz ...... 27 Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz 27 Die Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz 28 Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ . . . . 28

4 Opferverbände ...... 30 Die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e. V. 31 Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V...... 31

5 Beratung ...... 34 Bundesweite Beratungsangebote für die Opfer des SED-Unrechts . . . 35 Anlauf- und Beratungsstellen für ehemalige DDR‑Heimkinder 36 Beispielhafte Beratungsangebote der Länder für die Opfer des SED-Unrechts ...... 36 Berlin 36 Brandenburg ...... 36 Hessen ...... 36 Mecklenburg-Vorpommern 37 Niedersachsen ...... 37  4

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Sachsen ...... 37 Sachsen-Anhalt ...... 37 Thüringen 37

6 Offene Vermögensfragen und Res­titutionen in den neuen Ländern . . . 40

7 Strafrechtliche Aufarbeitung ...... 42

8 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung ...... 46 Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED‑Diktatur 47 Entstehung und Struktur der Bundesstiftung Aufarbeitung . . . . . 47 Die Arbeit der Stiftung 47 Die Bundeszentrale für politische Bildung 50 Die Arbeit der BpB seit 1989 ...... 50 Die Angebote der BpB zur Aufarbeitung der SED‑Diktatur . . . . . 52 Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 52 Die Struktur der Behörde ...... 52 Die Entwicklung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ...... 53 Die Verwendung der Unterlagen ...... 54 Politische Bildung beim BStU ...... 59 Internationale Zusammenarbeit ...... 61 Die Landeszentralen für politische Bildung ...... 61 Die Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ...... 62 Beratung 62 Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit ...... 62 Forschung 63 Programme und Projekte zur Politischen Jugendbildung ...... 63 Exemplarische Veranstaltungen und Projekte 63 Für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus ...... 64 DDR-Geschichte im Schulunterricht 65 Das Koordinierende Zeitzeugenbüro 66

9 Wissenschaftliche Aufarbeitung 68 Das Institut für Zeitgeschichte, München und Berlin 69 Der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin 70 Das Forschungsprojekt „Opfer des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze“ 71 Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. an der Technischen Universität Dresden ...... 71 Das Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam ...... 72 Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ...... 73 Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Potsdam ...... 74 Die Gemeinsame Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen („Deutsch-russische Geschichtskommission“) 75 5 

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Die Editionsgruppe Dokumente zur Deutschlandpolitik im Bundesarchiv ...... 75

10 Gedenkstätten und Erinnerungsorte 78 Teilung und Grenze ...... 79 Das Grenzmuseum Schifflersgrund, Asbach/Sickenberg 79 Der historische Ort 79 Entstehung und Entwicklung ...... 79 Ausstellung ...... 79 Bildungsarbeit ...... 79 Die Stiftung Berliner Mauer 79 Die Gedenkstätte Berliner Mauer 80 Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde . . . . . 81 Veranstaltungen ...... 84 Zeitzeugenarbeit ...... 84 Bildungsarbeit ...... 84 Öffentlichkeitsarbeit 85 Der „Checkpoint Bravo“ (Grenzübergang Dreilinden) und die ehemalige Grenzübergangsstelle Drewitz ...... 85 Die Gedenkstätte Point Alpha, Geisa ...... 85 Der historische Ort ...... 85 Entstehung und Entwicklung ...... 86 Ausstellung ...... 86 Forschung ...... 86 Bildungsarbeit ...... 86 Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn 86 Der historische Ort 86 Entstehung und Entwicklung ...... 87 Ausstellung ...... 87 Besucherzahlen 88 Das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth ...... 88 Der historische Ort 88 Entstehung und Entwicklung ...... 88 Ausstellung ...... 89 Sammlung 89 Bildungsarbeit ...... 89 Besucherzahlen 90 Das Grenzlandmuseum Eichsfeld e. V., Teistungen 90 Der historische Ort 90 Entstehung und Entwicklung ...... 90 Ausstellung ...... 90 Bildungsarbeit ...... 91 Überwachung und Verfolgung ...... 91 Vorbemerkung zu den sowjetischen Speziallagern ...... 91 Die Gedenkstätte Bautzen ...... 92 Der historische Ort ...... 92 Entstehung und Entwicklung ...... 93 Ausstellung ...... 93 Sammlung 93  6

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Forschung ...... 94 Bildungsarbeit ...... 94 Die Stiftung Gedenkstätte Berlin‑ Hohenschönhausen ...... 95 Der historische Ort 95 Entstehung und Entwicklung ...... 95 Ausstellung ...... 95 Sammlung 96 Forschung ...... 96 Veranstaltungen ...... 96 Zeitzeugenarbeit ...... 97 Bildungsarbeit ...... 98 Besucherzahlen 98 Das STASI MUSEUM in Haus 1/Normannenstraße, Berlin . . . . . 98 Der historische Ort 98 Entstehung und Entwicklung ...... 99 Ausstellung ...... 99 Die Dokumentationsstelle Zuchthaus Brandenburg an der Havel 99 Der historische Ort 99 Entstehung und Entwicklung ...... 99 Die Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus ...... 100 Der historische Ort 100 Entstehung und Entwicklung ...... 100 Die Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden ...... 100 Der historische Ort 100 Entstehung und Entwicklung ...... 100 Ausstellung ...... 101 Sammlung 101 Forschung ...... 101 Die Gedenkstätte Münchner Platz, Dresden ...... 102 Der historische Ort 102 Entstehung und Entwicklung ...... 102 Ausstellung ...... 102 Sammlung 102 Bildungsarbeit ...... 103 Die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt ...... 103 Der historische Ort 103 Entstehung und Entwicklung ...... 103 Die Gedenk- und Dokumentationsstätte „Opfer politischer Gewaltherrschaft 1933 bis 1989“, Frankfurt an der Oder 104 Der historische Ort 104 Entstehung und Entwicklung ...... 104 Die Gedenkstätte Ketschendorf − Sowjetisches Speziallager Nr. 5, Fürstenwalde ...... 104 Der historische Ort 104 Entstehung und Entwicklung ...... 104 7 

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Die Gedenk- und Begegnungsstätte im Torhaus, Gera ...... 104 Der historische Ort 104 Entstehung und Entwicklung ...... 105 Die Gedenkstätte ROTER OCHSE, Halle (Saale) ...... 105 Der historische Ort 105 Entstehung und Entwicklung ...... 105 Ausstellung ...... 105 Sammlung 105 Das Frauengefängnis Hoheneck ...... 105 Der historische Ort 105 Entstehung und Entwicklung ...... 106 Ausstellung ...... 106 Zeitzeugenarbeit ...... 106 Die Dokumentationsstätte in Jamlitz/Lieberose − Sowjetisches Speziallager Nr. 6 ...... 106 Der historische Ort 106 Entstehung und Entwicklung ...... 107 Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker, Leipzig ...... 107 Die historischen Orte ...... 107 Entstehung und Entwicklung ...... 107 Ausstellung ...... 108 Sammlung 108 Forschung ...... 108 Veranstaltungen ...... 109 Bildungsarbeit ...... 109 Die Gedenkstätte Moritzplatz, Magdeburg ...... 109 Der historische Ort 109 Entstehung und Entwicklung ...... 109 Ausstellung ...... 110 Zeitzeugenarbeit ...... 110 Bildungsarbeit ...... 110 Die Gedenkstätte Mühlberg − Sowjetisches Speziallager Nr. 1 . . . 110 Der historische Ort 110 Entstehung und Entwicklung ...... 111 Die Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen − Sowjetisches Speziallager Nr. 9, Neubrandenburg ...... 111 Der historische Ort 111 Entstehung und Entwicklung ...... 111 Bildungsarbeit ...... 111 Die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen − Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1, Oranienburg ...... 111 Der historische Ort 111 Entstehung und Entwicklung ...... 112 Ausstellung ...... 112 Bildungsarbeit ...... 113 Die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße, Potsdam 113 Der historische Ort 113 Entstehung und Entwicklung ...... 113  8

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Die Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 für die Opfer politscher Gewalt im 20. Jahrhundert, Potsdam ...... 114 Der historische Ort 114 Entstehung und Entwicklung ...... 114 Ausstellung ...... 114 Die Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock ...... 115 Der historische Ort 115 Entstehung und Entwicklung ...... 115 Ausstellung ...... 115 Das Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-Vorpommern für die Opfer der Diktaturen in Deutschland, Schwerin ...... 115 Der historische Ort 115 Entstehung und Entwicklung ...... 115 Das Dokumentations- und Informationszentrum Torgau 115 Der historische Ort 115 Entstehung und Entwicklung 116 Ausstellung ...... 116 Sammlung 116 Bildungsarbeit ...... 116 Die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau . . . . . 116 Der historische Ort 116 Entstehung und Entwicklung ...... 117 Ausstellung ...... 118 Sammlung 118 Zeitzeugenarbeit ...... 118 Bildungsarbeit ...... 119 Die Gedenkstätte Buchenwald − Sowjetisches Speziallager Nr. 2, Weimar ...... 119 Der historische Ort 119 Entstehung und Entwicklung ...... 119 Forschung ...... 120 Ausstellung ...... 120 Bildungsarbeit ...... 121

11 Museen ...... 122 Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 123 Die Dauerausstellung in Bonn 123 Die Dauerausstellung in Leipzig 123 Der „Tränenpalast“, Berlin 124 Die geplante Dauerausstellung in der Kulturbrauerei, Berlin ...... 124 Das Internetportal „Orte der Repression in SBZ und DDR“ ...... 124 Wechselausstellungen ...... 124 Die Stiftung Deutsches Historisches Museum 125 Sonderausstellungen ...... 125 Begleitprogramme zu Sonderausstellungen 126 Ständige Ausstellung 126 9 

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Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr, Dresden ...... 127 Dauerausstellung ...... 127 Wechselausstellungen ...... 127 Flugplatz Berlin-Gatow ...... 127 Das Deutsch-Russische Museum Berlin‑Karlshorst ...... 128 Die Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte, Rastatt ...... 128 Ausstellung ...... 128 Bildungsarbeit ...... 128 Das Kunstarchiv Beeskow: Die Geschichte der Auftragskunst in der DDR ...... 129 Die DDR Museum Berlin GmbH ...... 129 Das Mauermuseum – Museum Haus am , Berlin 130 Das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR e. V. in Eisenhüttenstadt ...... 130 Gegen das Vergessen e. V. – Sammlung zur Geschichte der DDR, Pforzheim 131

12 Archive ...... 132 Das Bundesarchiv und die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv 133 Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 134 Die Archive des BStU 134 Die Dokumentationsstelle Widerstands- und Repressionsgeschichte in der NS-Zeit und der SBZ/DDR – Dokumentationsstelle Dresden . . . 137 Entstehung und Entwicklung 137 Die Robert-Havemann-Gesellschaft e. V., Archiv der DDR-Opposition . 138 Archive 139 Das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“, Jena . . 139 Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. 139 Das Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivil- courage e. V. – Archiv der Bürgerbewegung Südwestsachsens . . . . . 140 Bildungsarbeit ...... 141

13 Denkmäler und Mahnmale ...... 142 Das Denkmal in der Gedenkstätte Berliner Mauer 143 Das Freiheitsdenkmal in Plauen 143 Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin 143 Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig ...... 144 Stelen 145 Die Erinnerungs- und Informationsstelen zur Friedlichen Revolution von 1989/90, Berlin 145 Die Erinnerungsstelen für Mauertote am Berliner Außenring 145 Die „Weißen Kreuze“, Berlin ...... 145 Die Orte der Friedlichen Revolution, Leipzig ...... 146 Die Stelen zur Erinnerung an das Grenzregime, Potsdam ...... 146  10

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14 Bilanz ...... 148

15 Anhang ...... 152 Bestände des Bundesarchives und der SAPMO zur DDR ...... 153 Einschlägige Bestände der SAPMO 153 Einschlägige Bestände der Abteilung DDR ...... 153 Einschlägige Bestände in der Abteilung Militärarchiv 155 Einschlägige Unterlagen in den Beständen der Abteilung B 155

16 Abkürzungsverzeichnis ...... 157 11 

Vorwort von Staatsminister Bernd Neumann

Die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der stärkt und intensiviert werden, da Synergien zwischen SBZ und in der DDR ist auch über 20 Jahre nach der Wie- den Einrichtungen so noch besser genutzt werden. dergewinnung der Deutschen Einheit eine für Staat und Eine wesentliche Grundlage dafür bildet die 2008 von Gesellschaft notwendige Aufgabe. Einen Schlussstrich mir vorgelegte, vom Bundeskabinett beschlossene und unter das begangene Unrecht kann und wird es nicht ge- vom Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit bestätig- ben. Dies sind wir nicht nur den Opfern, sondern auch te Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des den Menschen, die die Friedliche Revolution erst mög- Bundes. Alle dort vorgestellten Projekte wurden erfolg- lich machten, den Politikern, die die Wiedervereinigung reich umgesetzt oder befinden sich in der Schlussphase durchgesetzt haben, und vor allem unseren Werten Frei- ihrer Realisierung. Sie umfassen eine Vielzahl von Maß- heit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schuldig. Das nahmen, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzten, Bewusstsein für diese Werte wird durch die Vermittlung um interessierte Bürgerinnen und Bürger und insbeson- von Kenntnissen über die Diktatur der SED, ihre Herr- dere junge Menschen über die SED-Diktatur und ihre schafts- und Unterdrückungsmethoden und über das Folgen aufzuklären, bereits vorhandene Kenntnisse zu Leben im Überwachungsstaat gestärkt. vertiefen und in diesem Zusammenhang Widerstand Die Koalitionspartner CDU/CSU und FDP haben sich da- und Opposition in der DDR besonders zu würdigen. her für die 17. Wahlperiode vorgenommen, in einem Be- So wurden die Gedenkstätte Berliner Mauer und die Er- richt der Bundesregierung die Leistungen der letzten innerungsstätte Marienfelde, vereint in der Stiftung Ber- Jahre im Bereich der Aufarbeitung der SED-Diktatur liner Mauer, in die dauerhafte, institutionelle Förderung umfassend zu dokumentieren, Bilanz zu ziehen und Per- durch den Bund aufgenommen. An der Bernauer Straße spektiven für die weitere Entwicklung darzustellen. Die öffnete 2009 das Besucherzentrum seine Pforten, 2010 Beiträge der thematisch betroffenen Ressorts der Bun- konnte der erste Abschnitt der Open-Air-Ausstellung auf desregierung (BMI, BMJ, BMAS, BMFSFJ, BMBF, BMVg), dem ehemaligen Mauerstreifen folgen. 2011 wurde dann der 16 Länder, von Aufarbeitungseinrichtungen und Ge- der zentrale Kernbereich in einer großen Gedenkveran- denkstätten sowie der Opferverbände dienten hierfür staltung anlässlich des 50. Jahrestages des Mauerbaus am mit als Grundlage. Aktivitäten auf allen staatlichen und 13. August der Öffentlichkeit übergeben. Auch die Ge- gesellschaftlichen Ebenen können so nachvollziehbar denkstätte Deutsche Teilung Marienborn erhält als na- dargestellt werden. tional bedeutsame Gedenkstätte für die Teilung Deutsch- Als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und lands nunmehr eine institutionelle Förderung des Bundes. Medien habe ich dieses Vorhaben gerne wahrgenommen. In Berlin eröffnete die Bundeskanzlerin im September Zentrale Einrichtungen des Bundes für die Aufarbeitung 2011 die Dauerausstellung der Stiftung Haus der Ge- der SED-Diktatur gehören zu meinem Geschäftsbereich schichte der Bundesrepublik Deutschland zum Alltag der wie die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Dikta- deutschen Teilung im „Tränenpalast“ am Bahnhof tur, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staats- Friedrichstraße. Im Januar 2012 konnte Haus 1/Norman- sicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, das Haus der nenstraße, die ehemalige Zentrale des Ministeriums Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das Deut- für Staatssicherheit in Berlin-, nach Sa- sche Historische Museum sowie das Bundesarchiv. Hin- nierung und denkmalgerechter Instandsetzung der zu kommt die Förderung national bedeutsamer Gedenk- Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden. stätten, etwa in Berlin-Hohenschönhausen oder in Bereits im August 2011 hatten Sanierung und Umbau Bautzen. Durch diese sinnvolle Bündelung konnte die der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen begon- Aufarbeitung in den vergangenen Jahren erheblich ver- nen. Zugleich erhält die Gedenkstätte im zentralen  12

Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit eine Dau- hier nur das Koordinierende Zeitzeugenbüro, bei dem die erausstellung, die die sachkundige Führung durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die Bundesstiftung ehemaligen Zellentrakte ergänzt. In der Kulturbrauerei Aufarbeitung und die Stiftung Berliner Mauer erfolg- am Prenzlauer Berg bereitet das Haus der Geschichte reich zusammenarbeiten. Finanziert durch BKM ist da- eine Ausstellung zur Geschichte des Alltags in der SED- mit eine bundesweite Vermittlung von Zeitzeugen an Diktatur vor, die 2013 eröffnet wird. Schulen und andere Bildungseinrichtungen sicherge- stellt. Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption greift auch wissenschaftliche Forschungsvorhaben auf. So fi- Der vorliegende Bericht zeigt, was in den letzten 20 Jah- nanzierte BKM das Projekt „Todesopfer an der Berliner ren bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur geleistet wur- Mauer 1961 bis 1989“, das erstmals wissenschaftlich fun- de. Die Fülle der Maßnahmen ist so eindrucksvoll wie die diert Zahl, Identität und Schicksal der Todesopfer an der Besucherzahl einzelner Gedenkstätten. Erschreckend Berliner Mauer ermittelte. In diesem Jahr schließt sich bleiben gleichwohl die Befunde zum historischen Wissen ein Projekt zur Erforschung des Schicksals der Opfer des von Jugendlichen, wie ein von mir und mehreren Län- DDR-Grenzregimes an der ehemaligen innerdeutschen dern finanziertes Forschungsprojekt der FU Berlin vor Grenze an. Das Projekt soll nicht nur Klarheit über die kurzem erneut zeigte. Danach verfügt eine Mehrheit der Zahl der Opfer bringen, sondern den Toten Namen und befragten Schülerinnen und Schüler aus fünf Bundeslän- Gesicht und damit ihre Würde wiedergeben. dern über nur sehr geringe zeitgeschichtliche Kenntnis- se. In der Konsequenz kann es nicht überraschen, dass Die mit den Wettbewerbsverfahren konkretisierte Er- viele Jugendliche auch die Trennlinien zwischen Demo- richtung von zwei Freiheits- und Einheitsdenkmalen in kratie und Diktatur nicht erkennen. Dieses alarmierende Berlin und Leipzig, die an die Friedliche Revolution im Ergebnis muss alle Verantwortlichen in Deutschland Herbst 1989 und an die Wiedervereinigung im darauf wachrütteln, die Anstrengungen zur Aufarbeitung der folgenden Jahr erinnern, wird die Initiativen zur Aufar- SED-Diktatur – insbesondere in den Schulen – noch wei- beitung um die positiven Ereignisse unserer jüngsten ter zu verstärken. deutschen Geschichte ergänzen. Allen, die am Entstehen dieses Berichts mitgewirkt ha- Über die Umsetzung der Fortschreibung der Gedenkstät- ben, möchte ich sehr herzlich danken. tenkonzeption hinaus ist in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von weiteren Vorhaben zur Aufarbeitung der vierzigjährigen Geschichte von Unrecht und Unterdrü- Bernd Neumann, MdB ckung in der DDR entstanden. Beispielhaft erwähnt sei Staatsminister bei der Bundeskanzlerin

Wachturm im ehemaligen Todesstreifen in der Bernauer Straße, Gedenkstätte Berliner Mauer.

1 Einleitung Einleitung 15

Die konsequente und differenzierte Aufarbeitung der Der Bericht beruht auf den Beiträgen der thematisch be- Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands troffenen Ressorts der Bundesregierung (BMI, BMJ, (SED) in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) BMAS, BMFSFJ, BMBF, BMVg), der 16 Länder, von Aufar- ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Sie be- beitungseinrichtungen und Gedenkstätten sowie der rücksichtigt dabei auch die vorangegangene kommunis- Opferverbände. Die gelieferten Beiträge unterschieden tische Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone sich teilweise hinsichtlich ihres Umfangs und der Ge- (SBZ). wichtung einzelner Aspekte. Hieraus ergaben sich auch Unterschiede im textlichen Umfang der nachfolgenden In ihrem Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode Darstellungen. Die Beiträge wurden von BKM zu einem haben die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP festge- konsistenten Ganzen zusammengefügt und um die zen- legt, die bisherigen Anstrengungen zur Aufarbeitung der tralen Einleitungskapitel und die Schlussbilanz ergänzt. SED-Diktatur noch zu verstärken. Ein Instrument hier- zu, das auf den Koalitionsvertrag1 zurückgeht, ist der vorliegende Bericht der Bundesregierung zum Stand der Die Notwendigkeit der Aufarbeitung Aufarbeitung der SED-Diktatur unter Federführung des der SED‑Diktatur Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medi- Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert wurde en (BKM). Der Bundesrat hat der Bundesregierung mit nachhaltig durch die Terrorherrschaft des Nationalsozia- seinem Beschluss vom 15. Oktober 2010 (Bundesrats- lismus geprägt, dessen Menschheitsverbrechen und Ver- drucksache 613/10) empfohlen, die Länder in die Erstel- nichtungskriege Millionen Opfer forderten. Dem Sieg der lung des Berichts einzubeziehen. Dieser Empfehlung ist Alliierten im Zweiten Weltkrieg folgte keine stabile Frie- die Bundesregierung gefolgt, um gemeinsam mit den densordnung, sondern der Ost-West-Konflikt („Kalter Ländern eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme Krieg“), der für mehr als vier Jahrzehnte Deutschland der umfänglichen Aufarbeitungsaktivitäten in den ver- und Europa teilte. Während im Westen Deutschlands gangenen zwei Jahrzehnten vorlegen zu können. nach 1945 der Aufbau einer rechtsstaatlichen Demokra- Ziel des vorliegenden Berichts ist es, über 20 Jahre nach tie gelang, wurde in der SBZ und später in der DDR eine Vollendung der Deutschen Einheit den Stand der Aufar- kommunistische Diktatur etabliert, die erst 1989/90 beitung der SED-Diktatur zu dokumentieren. Einer überwunden werden konnte. Es ist unverzichtbar, den Übersicht über die wichtigsten Grundlagen und Ent- Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Dikta- wicklungsschritte der Aufarbeitung schließt sich die tur Rechnung zu tragen. Jede Erinnerung an die Dikta- Darstellung der Aspekte des Themas an, die die Opfer des turvergangenheit in Deutschland hat davon auszugehen, SED-Unrechts unmittelbar betreffen: Möglichkeiten zur dass weder die nationalsozialistischen Verbrechen relati- Rehabilitierung, Entschädigung und Beratung. Es folgt viert werden dürfen noch das von der SED-Diktatur ver- ein Überblick über die strafrechtlichen Aspekte der Auf- übte Unrecht bagatellisiert werden darf. arbeitung und ihren gegenwärtigen Stand. Breiten Raum Fundament der Erinnerung sind die historischen Fakten finden dann die unterschiedlichen Institutionen, Ein- und ihre wissenschaftliche Erforschung. Auf ihm ruht richtungen, Gedenkstätten und Erinnerungsorte mit ih- die Pflege der Erinnerungskultur, die sich in der Förde- ren vielschichtigen Aktivitäten zur Aufarbeitung der rung von Aufarbeitung und dem Gedenken ausdrückt. kommunistischen Diktatur in Deutschland. Ein An- Die Aufarbeitung soll die Öffentlichkeit über Ursachen spruch auf Vollständigkeit kann dabei nicht erhoben und Folgen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft werden, sind doch die Aufarbeitungsinitiativen auf den und der SED-Diktatur aufklären, um dadurch den anti- verschiedenen staatlichen Ebenen und besonders im Be- totalitären Konsens in der Gesellschaft zu festigen und reich des bürgerschaftlichen Engagements zu facetten- das Bewusstsein für den Wert der freiheitlichen Demo- reich und vielfältig. Die aufgeführten Träger der Aufar- kratie sowie der Menschenrechte zu stärken. Das Geden- beitung reichen von den Opferverbänden und einer in ken soll die Opfer vor allem am Ort ihrer Leiden in ange- ihrer Art einzigartigen Einrichtung wie der Stasi-Unter- messener Weise würdigen und Wissen über die lagen-Behörde BStU über die von Bund und Ländern ge- historischen Zusammenhänge vermitteln. förderten Gedenkstätten sowie diversen Museen bis hin zu staatlichen Archiven und solchen, die von Vereinen Die kommunistische Diktatur in der SBZ und der DDR betrieben werden. Einschlägige wissenschaftliche Ein- zählt zum historischen Erbe des wiedervereinten richtungen, die sich mit der Erforschung der Geschichte Deutschlands. Dieser Teil der deutschen Nachkriegsge- der SBZ und der DDR befassen, reihen sich ein. schichte muss konsequent aufgearbeitet werden. Jeder Generation müssen die Lehren aus diesen Kapiteln unse- rer Geschichte immer wieder neu vermittelt werden. 1 „WACHSTUM. BILDUNG. ZUSAMMENHALT.“ Koalitionsvertrag Durch den wachsenden zeitlichen Abstand zur friedli- zwischen CDU, CSU und FDP; 17. Legislaturperiode; S. 95. chen Überwindung der deutschen Teilung entwickeln 16 Einleitung sich zwei Tendenzen in der Wahrnehmung der DDR, die Bundes. Entsprechend dieser Zuständigkeit lag die Fe- besorgniserregend sind: die Verharmlosung, mitunter derführung bei der Erstellung des vorliegenden Berichts sogar Verklärung des Lebens unter der SED-Diktatur und bei BKM. das ausgeprägte Nichtwissen insbesondere junger Men- Für die politische Bildungsarbeit auf Ebene des Bundes schen über die DDR und die dort herrschenden Verhält- liegt die Zuständigkeit schwerpunktmäßig beim BMI. nisse. Dies wurde insbesondere durch die 2008 veröffent- Dementsprechend gehört die Bundeszentrale für politi- liche Studie von Monika Deutz-Schroeder und Klaus sche Bildung (BpB) zu dessen Geschäftsbereich. Diese Zu- Schroeder über das DDR-Bild von Schülern im Ost-West- ständigkeit umfasst auch die Themen Extremismusprä- Vergleich nachgewiesen und vor kurzem in einer breiter vention und Förderung demokratischer Teilhabe. Für die angelegten Folgeuntersuchung der beiden Autoren noch politische Jugendbildung im Besonderen ist das Bundes- einmal bestätigt. ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dieser Trend schwächt die zentrale Bedeutung der Werte, (BMFSFJ) zuständig. für die die Menschen in der DDR im Herbst 1989 mutig Die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur beinhal- und friedlich demonstrierten: Freiheit, Demokratie und tet auch die Rehabilitierung und Entschädigung von Men- die Achtung der Menschenrechte. Darüber hinaus zeigen schen, die in der SBZ und der DDR Verfolgung ausgesetzt die bis in die Gegenwart reichenden Fälle von Enttar- waren. Die Zuständigkeiten hierfür liegen seitens des nungen ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, umgangssprachlich auch Stasi), Bundes beim Bundesministerium der Justiz (BMJ) und dass die Herrschaft der SED und ihres Machtapparates dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). bis heute nachwirkt und ihre Aufarbeitung bei weitem Für Einrichtungen zur wissenschaftlichen Erforschung noch nicht abgeschlossen ist. Einen Schlussstrich unter der SBZ und der DDR, die vom Bund gefördert werden, die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Dik- ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung tatur in Deutschland wird es auch über 20 Jahre nach (BMBF) zuständig. Für den Bereich der Militärgeschichte dem Ende der DDR nicht geben. Sie bleibt weiter eine ge- liegt hier die Zuständigkeit beim Bundesministerium der meinsame gesamtdeutsche Aufgabe und ist ein wesentli- Verteidigung (BMVg) mit seinen nachgeordneten Dienst- cher Beitrag zur Gestaltung der inneren Einheit unseres stellen Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) Landes. und Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (MHM). Zuständigkeiten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Im BMI ist der Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer angesiedelt. Neben wirtschaftli- Bundesregierung chen Aspekten des Aufbaus Ost spielen auch Fragen des Innerhalb der Bundesregierung liegt die zentrale Zustän- gesellschaftlichen Zusammenhalts in seinem Aufgaben- digkeit für die Aufarbeitung der SED-Diktatur bei BKM. spektrum eine große Rolle. Mit Blick auf die Stärkung In seinen Geschäftsbereich wechselten 2005 konsequen- der Demokratie sieht der Beauftragte in der weiteren terweise die beiden bis dahin beim Bundesministerium Aufarbeitung des SED-Unrechts einen wesentlichen des Innern (BMI) ressortierenden Aufarbeitungseinrich- Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Das beinhaltet sowohl tungen des Bundes: Der Bundesbeauftragte für die Un- eine vertiefte historische Analyse als auch die Würdi- terlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen gung, Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern DDR (BStU) und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Praktische Beispiele dafür sind u. a. der SED-Diktatur (Bundesstiftung Aufarbeitung). Auch die Regelungen des Strafrechtlichen Rehabilitierungsge- die Stiftungen Haus der Geschichte der Bundesrepublik setzes (besondere Zuwendung für Haftopfer) und der Deutschland und Deutsches Historisches Museum gehö- Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis ren ebenso wie das Bundesarchiv zum BKM-Geschäfts- 1990“. bereich. Hinzu kommt die bei BKM angesiedelte Förde- rung national bedeutsamer Gedenkstätten. Damit Länder konnten auf der Ebene des Bundes die Zuständigkeiten Wichtige Aufgaben für die Aufarbeitung von fast 45 Jah- für die Aufarbeitung des SED-Unrechts, für thematisch ren kommunistischer Diktatur in SBZ und DDR nehmen betroffene Gedenkstätten, Museen und Archive unter ei- die Länder wahr. Bei ihnen liegt die Zuständigkeit für nem Dach vereint werden. den Schulunterricht und die universitäre Forschung so- 2008 hat BKM die Fortschreibung der aus den Jahren wie für die Durchführung der Rehabilitierungsgesetze, 1993 und 1999 stammenden Gedenkstättenkonzeptio- des Vermögensrechts und der strafrechtlichen Aufarbei- nen des Bundes vorgelegt. Sie bildet die erweiterte tung. Auch die Gedenkstättenförderung ist nach der Grundlage für die Aufarbeitungsanstrengungen des Kompetenzverteilung des Grundgesetzes in erster Linie Einleitung 17 eine Angelegenheit der Länder. Des Weiteren unterhalten Folgen der kommunistischen Diktatur), kommt hier na- die Länder für die Aufarbeitung wichtige Einrichtungen turgemäß eine besondere Rolle zu. Aber auch die westli- wie die Landeszentralen für politische Bildung. Den neu- chen Länder tragen erheblich zu den Anstrengungen zur en Ländern und dem Land Berlin, die auch die Behörden Überwindung der Folgen der SED-Diktatur bei. So unter- der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssi- halten etwa Hessen und Niedersachsen eigene Bera- cherheitsdienstes der ehemaligen DDR unterhalten tungsangebote für die Opfer kommunistischen Un- (Brandenburg: Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der rechts. Kulturstaatsminister Bernd Neumann beim Start des Forschungsprojekts zu den Todesopfern an der früheren innerdeutschen Grenze in der Gedenkstätte Berliner Mauer (August 2012).

2 Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung 19

Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die wich- gung folgen. Die Demonstranten, die zunächst skandiert tigsten seit der Friedlichen Revolution 1989/90 unter- hatten „Wir sind das Volk“, riefen nun „Wir sind ein Volk“. nommenen Initiativen und Maßnahmen, die die Grund- Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl lagen zur Aufarbeitung des kommunistischen Unrechts, nahm diesen Ruf auf. Mit dem „Zehn-Punkte-Pro- zur Würdigung, Rehabilitierung und Entschädigung sei- gramm“ vom 28. November 1989 ergriff der Bundes- ner Opfer sowie zur Erforschung der Geschichte der SBZ und der DDR bilden. kanzler die Initiative und setzte die Deutsche Einheit auf die nationale und internationale politische Tagesord- Die Friedliche Revolution in der DDR nung. Die SED versuchte unterdessen, ihre Herrschaft 1989 und die Wiedervereinigung durch Wechsel an der Staats- und Parteispitze – von Deutschlands 1990 Erich Honecker über Egon Krenz zu Hans Modrow – in die neue Zeit zu retten. Doch der friedliche Umbruch in Im Herbst 1989 geriet die Diktatur der SED in der DDR der DDR ging schließlich über die Partei hinweg. An den durch den doppelten Druck von Ausreise und vor allem überall im Land entstandenen „Runden Tischen“ wurde Bürgerprotesten ins Wanken, um schließlich durch die der friedliche Protest in konkrete Politik umgesetzt. Friedliche Revolution überwunden zu werden. Das Stre- Auch der Versuch der SED, ihr Herrschaftsinstrument ben nach freier Selbstbestimmung hatte sich durchge- MfS als „Amt für nationale Sicherheit“ (AfNS) zu erhal- setzt. Die kommunistische Diktatur hinterließ eine rui- nöse Bilanz: Mehr als 250 000 Menschen wurden ten, konnte vom Zentralen Runden Tisch verhindert zwischen 1945 und 1989 in der SBZ und der DDR aus werden. Hier erzwangen die Vertreter der Oppositions- politischen Gründen verhaftet. Mehr als 3 Millionen gruppen am 15. Januar 1990 die Auflösung des AfNS. Das Menschen flohen bis zum 13. August 1961 in den westli- MfS hatte bereits Ende November 1989 begonnen, seine chen Teil Deutschlands. Bis zu ihrem Fall am 9. Novem- umfangreichen Akten über die Menschen in der DDR zu ber 1989 kostete die Berliner Mauer 136 Menschen das vernichten. Die Opposition verhinderte die völlige Ver- Leben. nichtung der Akten durch die Besetzung fast aller Be- zirks- und Kreisdienststellen des MfS in den ersten Tagen Zum Erhalt ihrer Herrschaft hatte die SED-Diktatur ei- des Dezembers. Nur in der Zentrale in der Berliner Nor- nen gewaltigen Sicherheitsapparat aufgebaut, an dessen mannenstraße gingen Überwachungsarbeit und Akten- Spitze das Ministerium für Staatssicherheit stand. Aber vernichtung zunächst weiter. Am Tag des Beschlusses selbst dieser Apparat sah sich nicht in der Lage, den Sturz zur Auflösung des MfS/AfNS, dem 15. Januar 1990, der SED-Herrschaft im Herbst 1989 zu verhindern. Auch stürmten dann tausende Demonstranten die Geheim- wirtschaftlich stand die DDR 1989 am Ende und ver- mochte den Ansprüchen der Bevölkerung nicht mehr zu dienstzentrale in Berlin-Lichtenberg und verhinderten genügen. so die weitere Vernichtung der Geheimdienstakten.

1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und Polen, 1968 in der Im Jahr 1990 überstürzten sich die Entwicklungen. In Tschechoslowakei, 1980 erneut in Polen – immer wieder den Städten der DDR demonstrierten die Menschen wei- hatten die Menschen gegen die kommunistischen Dikta- ter für demokratische Veränderungen. Dabei wurde die turen aufbegehrt. Seit Ende der 1970er Jahre hatte sich Forderung nach einer Wiedervereinigung immer lauter. auch in der DDR eine neue Bürgerrechtsbewegung for- Das Tempo und die Dynamik der Ereignisse machten miert. Unter Führung von Michail Gorbatschow, seit schnell anfängliche Vorstellungen eines über längere 1985 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Zeit gestreckten, etappenweisen Vorgehens oder auch ei- Sowjetunion, setzte sich in Moskau die Einsicht durch, ner von manchen erhofften dauerhaften Zweistaaten- dass ein Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, Lösung obsolet. Den Wahlkampf für die ersten freien das wesentlich auf Zwang beruht, auf Dauer nicht stabil Volkskammerwahlen in der DDR am 18. März 1990 sollte und produktiv sein kann. diese Stimmung maßgeblich beeinflussen. Der Wahlsieg Die ersten Löcher im Eisernen Vorhang – zunächst in der Allianz für Deutschland, ein Wahlkampfbündnis aus Ungarn – sowie die Fälschung der Ergebnisse der Kom- der CDU (Ost), der Deutschen Sozialen Union (DSU) und munalwahl vom 7. Mai 1989 lösten in der DDR eine Dop- dem Demokratischen Aufbruch (DA), war gleichbedeu- pelbewegung von Ausreise und Protest im Innern aus. tend mit dem Ende der DDR, setzten sich doch die Kräfte Sie steigerte sich im Herbst zu Massendemonstrationen durch, die sich eindeutig für eine Wiedervereinigung mit einem ersten Höhepunkt am 9. Oktober in Leipzig, Deutschlands ausgesprochen hatten. Die neue Koaliti- als über 70 000 Menschen friedlich demonstrierten, ohne onsregierung der DDR aus CDU (Ost), SPD (Ost), DSU, DA dass die Sicherheitsorgane einschritten. Dem Fall der und dem Bund Freier Demokraten begann, gemeinsam Mauer in Berlin am 9. November 1989 sollten bald der mit der Bundesregierung auf das Ziel der staatlichen Ein- Sturz der SED-Diktatur und der Ruf nach Wiedervereini- heit hinzuarbeiten. 20 Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung

Angesichts der finanziellen und wirtschaftlichen Proble- von der Stasi unrechtmäßig erhobenen Daten umzuge- me der DDR und eines weiter ungebremsten Übersiedler- hen sei. Bürgerrechtler setzten sich dafür ein, die Unter- stroms hatte die Bundesrepublik der DDR bereits im lagen des MfS für Strafverfolgung, Rehabilitierung und Februar 1990 eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozial- Aufarbeitung zugänglich zu machen. Jeder Bürger sollte union in Aussicht gestellt. Die neue Regierung der DDR Zugang zu „seiner Akte“ erhalten. Die am 18. März 1990 unter Lothar de Maizière legte nun zusammen mit der in der einzigen freien Volkskammerwahl neugewählte Bundesregierung den Zeitplan fest. Am 18. Mai 1990 Regierung der DDR plante die Akten zunächst unter Ver- wurde in Bonn der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirt- schluss zu halten und teilweise zu vernichten, um innen- schafts- und Sozialunion unterzeichnet, die am 1. Juli politische Konflikte zu vermeiden. Am 24. August 1990 1990 in Kraft trat. sprachen sich die Abgeordneten der Volkskammer hin- gegen nahezu einstimmig dafür aus, die MfS-Unterlagen Unmittelbar im Anschluss wurden am 6. Juli 1990 die in- unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes zu öffnen, nerdeutschen Verhandlungen über einen Einigungsver- und verabschiedeten das „Gesetz zur Sicherung und Nut- trag aufgenommen. Die frei gewählte Volkskammer zung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/ stimmte ihm und damit dem Beitritt der DDR zum Gel- AfNS“. tungsbereich des Grundgesetzes in der Nacht zum 23. August 1990 nach einer turbulenten Sitzung mit der nö- In den Verhandlungen zum Einigungsvertrag zwischen tigen Zweidrittelmehrheit zu. So konnte der Einigungs- der DDR und der Bundesrepublik einigte man sich zu- vertrag am 31. August 1990 in Berlin unterzeichnet wer- nächst darauf, die Akten in das Bundesarchiv zu über- den. Am 20./21. September 1990 folgte die Ratifizierung führen. Dort wären sie allerdings wegen der archivrecht- durch den Deutschen Bundestag bzw. die Volkskammer. lichen Schutzfristen zunächst nicht zugänglich gewesen. Öffentliche Proteste und eine erneute Besetzung der Zeitgleich zu den Verhandlungen zwischen den beiden ehemaligen MfS-Zentrale im September 1990 führten deutschen Staaten mussten auch international die Vo- dazu, dass die Öffnung der Stasi-Unterlagen in der raussetzungen für die deutsche Wiedervereinigung ge- schaffen werden. Dass dies der Bundesregierung tatsäch- Durchführungsvereinbarung zum Einigungsvertrag lich gelang, ging vor allem auf die Unterstützung durch zwischen der Bundesrepublik und der DDR vom 18. Sep- den amerikanischen Präsidenten George Bush sowie eine tember 1990 verankert wurde. Die Vereinbarung sah vor, Änderung der Haltung Moskaus zurück. Lange bestand dass bei einer zukünftigen gesetzlichen Regelung die die sowjetische Führung auf einen Austritt des vereinig- Grundsätze des Volkskammergesetzes zu berücksichti- ten Deutschlands aus der NATO (North Atlantic Treaty gen seien. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die MfS-Un- Organization). Diese Position überschattete zunächst die terlagen der Verwahrung durch einen Sonderbeauftrag- Zwei-plus-Vier-Gespräche zwischen den beiden deut- ten unterstellt. schen Staaten und den vier Hauptsiegermächten des Am 28. September 1990 wählte die Volkskammer den Ab- Zweiten Weltkriegs, die den außenpolitischen Rahmen geordneten Joachim Gauck zum „Sonderbeauftragten für für die Einheit schaffen sollten. Der Durchbruch gelang die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes“. Die Bundes- der deutschen Seite Juli 1990 bei einem Treffen von regierung sicherte die Akzeptanz der Zuständigkeit Bundeskanzler Kohl mit Präsident Gorbatschow im Kau- Gaucks über den 3. Oktober hinaus zu. Folgerichtig wur- kasus. Dabei sicherte der sowjetische Präsident dem ver- de Gauck von Bundespräsident Richard von Weizsäcker einigten Deutschland nicht nur die sofortige volle Sou- und Bundeskanzler Kohl am 3. Oktober 1990 in seiner veränität zu, sondern gab überraschend auch seine Funktion bestätigt. Einwände gegen eine gesamtdeutsche NATO-Mitglied- schaft auf. Nach dem erfolgreichen deutsch-sowjetischen Das Amt des „Sonderbeauftragten der Bundesregierung Gipfel im Kaukasus nahm der Vereinigungsprozess wei- für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen ter an Fahrt auf. Am 20. September 1990 wurde in Mos- Staatssicherheitsdienstes“ erteilte Auskünfte zur Wieder- kau der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet, der den gutmachung und Rehabilitierung, für die Überprüfung Weg für die Deutsche Einheit und die volle Souveränität von Abgeordneten und Beschäftigten der öffentlichen des wiedervereinigten Deutschlands frei machte. Mit Verwaltung sowie zur Verfolgung von Straftaten auf Ba- dem Inkrafttreten des Einigungsvertrags am 3. Oktober sis einer vorläufigen Benutzerordnung. 1990 war die Einheit Deutschlands nach Jahrzehnten der Am 14. November 1991 verabschiedete der Deutsche Teilung wiederhergestellt. Bundestag das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG), das am 29. Dezember 1991 in Kraft trat. Das Parlament schuf da- Der Umgang mit den Stasi-Akten mit den rechtlichen Rahmen für den weiteren Umgang In den Monaten nach der Besetzung der MfS-Dienststel- mit den Unterlagen des MfS. Mit dem StUG war der Weg len entstand eine kontroverse Diskussion, wie mit den für die Errichtung der Behörde des „Bundesbeauftragten Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung 21 für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe- von Nachteilen in der Rentenversorgung verfolgter Per- maligen Deutschen Demokratischen Republik“ frei. Das sonen. StUG wurde seit 1991 im Zuge seiner Weiterentwicklung Am 29. August 2007 wurde die besondere Zuwendung insgesamt achtmal novelliert, zuletzt 2011. für Haftopfer, die sogenannte SED-Opferrente, gemäß Insgesamt gingen seit 1991 rund 6,7 Millionen Ersuchen § 17a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes als und Anträge beim BStU ein, darunter 2,83 Millionen An- Drittes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli- träge von Bürgern auf Auskunft, Akteneinsicht und He- cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung rausgabe (vgl. S. 54 ff.). in der ehemaligen DDR eingeführt. Wirtschaftlich be- dürftige Haftopfer erhalten damit eine regelmäßige mo- Rehabilitierung und Entschädigung natliche Zuwendung. der Opfer Seit 1. Juli 2012 besteht der vom Bund und den ostdeut- Während der Friedlichen Revolution in der DDR und des schen Ländern gemeinsam errichtete Fonds „Heimerzie- anschließenden Wiedervereinigungsprozesses wurde die hung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ mit einem Notwendigkeit offenbar, Unrechtsakte der SED-Diktatur Volumen von insgesamt 40 Mio. Euro. Daraus stehen aufzuheben und den Opfern Hilfe und Versorgung zu- ehemaligen DDR-Heimkindern, die in den Jahren 1949 kommen zu lassen. Die Aufhebung von Gerichtsurteilen bis 1990 in einem Heim der Jugendhilfe oder einem Dau- war in der DDR jedoch nur auf dem Wege der Kassation erheim für Säuglinge und Kleinkinder untergebracht durch das Oberste Gericht der DDR möglich. Dies änder- waren und denen Unrecht und Leid zugefügt wurde, Hil- te sich, als die Volkskammer am 6. September 1990 ein fen und Unterstützungsleistungen bei heute noch vor- Rehabilitierungsgesetz verabschiedete, das die straf- handenen Folgeschäden und/oder bei Minderung von rechtliche, verwaltungsrechtliche und berufliche Reha- Rentenansprüchen zur Verfügung. bilitierung regelte. Eine praktische Bedeutung erlangte Eine detaillierte Darstellung der gesetzlichen Grundla- das Gesetz vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gen zu Rehabilitierung und Entschädigung findet sich in am 3. Oktober 1990 allerdings nicht mehr. Das Thema den Kapiteln 3 und 5. fand aber Eingang in den Einigungsvertrag, dessen Arti- kel 17 vorsah, dass alle Personen rehabilitiert werden Die Aufarbeitung im Deutschen Bundestag konnten, die Opfer einer politisch motivierten Strafver- – die Enquête-Kommissionen zur folgungsmaßnahme oder sonst einer rechtsstaats- und SED‑Diktatur verfassungswidrigen gerichtlichen Entscheidung gewor- den waren. Mit seinem Beschluss vom 12. März 1992, eine Enquête- Kommission „Zur Aufarbeitung von Geschichte und Fol- Den ersten Schritt zur Umsetzung dieses Artikels des Eini- gen der SED-Diktatur in Deutschland“ einzusetzen, re- gungsvertrags stellte das am 4. November 1992 in Kraft ge- agierte der Deutsche Bundestag auf hitzige öffentliche tretene Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) Debatten nach der deutschen Wiedervereinigung: Seit als Teil des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes am 29. De- dar. Es ermöglicht die Aufhebung rechtsstaatswidriger zember 1991 hielt die Öffnung der Stasi-Akten Politik Entscheidungen deutscher Gerichte in der DDR und zu- und Öffentlichkeit in Atem. Spekulationen über mut- vor in der SBZ über Freiheitsentziehung und damit die maßliche Stasi-Mitarbeiter dominierten die Schlagzei- Rehabilitierung der Betroffenen durch Gerichtsbe- len, da auch immer wieder Politiker oder Prominente als schluss. inoffizielle Mitarbeiter (IM) des MfS enttarnt wurden – Am 1. Juli 1994 traten dann das Verwaltungsrechtliche ob tatsächlich oder vermeintlich, blieb oft nur den Ge- Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) und das Berufliche richten zu klären. Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) als Zweites SED-Un- Der politische Handlungsbedarf war also groß: Geschlos- rechtsbereinigungsgesetz in Kraft. Das Verwaltungs- sen stimmte der Bundestag für die Einrichtung einer En- rechtliche Rehabilitierungsgesetz ermöglicht die Aufhe- quête-Kommission, die sich dem belastenden Erbe der bung elementar rechtsstaatswidriger Verwaltungsakte der SED-Diktatur widmen sollte. Schwierigkeiten ergaben DDR-Organe oder die Feststellung der Rechtsstaatswid- sich aber bereits bei der Benennung der Aufgaben. SPD, rigkeit dieser Maßnahmen. Das Berufliche Rehabilitie- CDU/CSU und FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen dran- rungsgesetz knüpft an das Strafrechtliche und das Ver- gen in eigenen Anträgen darauf, die „Unterdrückung in waltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz mit der der DDR“ und die „SED-Diktatur“ politisch aufzuarbei- Zielsetzung an, noch heute spürbare Auswirkungen ver- ten. In der Nachfolgepartei der SED, der PDS (Partei des folgungsbedingter Eingriffe in den Beruf oder die Aus- Demokratischen Sozialismus), erhoben sich hingegen bildung auszugleichen – insbesondere zum Ausgleich Stimmen, die sich gegen eine pauschale Vorverurteilung 22 Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung der DDR wehrten. Nach längeren Beratungen konnte Im Jahr 1999 systematisierte die Bundesregierung ihre eine Einigung herbeigeführt werden und die Kommis- Unterstützung für Gedenkstätten auf der Grundlage der sion am 20. Mai 1992 ihre Arbeit aufnehmen. Mit ihren Gesamtkonzeption von 1993 und unter Berücksichti- 43 Mitgliedern war die Enquête-Kommission die bislang gung der Empfehlungen der Enquête-Kommission größte in der deutschen Geschichte. Auch ihr Ziel be- „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess inhaltete ein Novum: Zum ersten Mal beschäftigte sich der deutschen Einheit“ des Deutschen Bundestags in der eine Kommission des Deutschen Bundestags mit einem „Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des zeithistorischen Thema und seinen Auswirkungen auf Bundes“ (Bundestagsdrucksache 14/1569). Die Befristung die Gegenwart. der institutionellen Förderung entfiel. Unterstrichen Nach zwei Jahren intensiver Arbeit legte die Kommission wurde, dass die Gedenkstätten im gesellschaftlichen am 31. Mai 1994 ihren ersten, sehr umfangreichen Be- Kontext neben der Funktion als Gedenkorte eine heraus- richt vor (Bundestagsdrucksache 12/7820), der am ragende Bedeutung als Lernorte besitzen. Breit gefächer- 17. Juni 1994 im Plenum des Bundestags beraten wurde. te pädagogische Angebote sind daher unerlässlich, um Die Aufgabe der Kommission, dem Parlament Hand- den Besuchern Informationen zu den mit den Gedenkor- lungsanweisungen zu geben, wurde allerdings als nicht ten verbundenen historischen Ereignissen zu vermitteln. erfüllt angesehen. Aufgrund der Komplexität des The- Der Koalitionsvertrag für die 16. Wahlperiode des Deut- mas und seiner allgemeinen Bedeutung stimmte der schen Bundestags vom 11. November 2005 sah eine Fort- Bundestag schließlich für die Einrichtung der Enquête- schreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Dikta- unter „angemessener Berücksichtigung der beiden Dik- tur im Prozess der deutschen Einheit“, die die Arbeit der taturen in Deutschland“ vor. Das Ergebnis ist die von ersten Kommission in der 13. Legislaturperiode von 1995 BKM unter dem Titel „Verantwortung wahrnehmen, bis 1998 fortsetzte. Ihre zentrale Empfehlung an die Poli- Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“ vorgeleg- tik lautete schließlich in einem am 8. Oktober 1997 vor- gestellten Bericht (Bundestagsdrucksache 13/11000), eine te Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption (Bun- bundeseigene Stiftung zu gründen, die langfristig die destagsdrucksache 16/9875), die 2008 vom Bundeskabi- Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Folgen nett beschlossen und vom Deutschen Bundestag mit der SED-Diktatur fördern sollte. Ergebnis war die Bun- großer Mehrheit gebilligt wurde. desstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die am Die Fortschreibung der Konzeption basiert auf den Eck- 2. April 1998 per Gesetz errichtet wurde. Dem Errich- punkten und Grundsätzen der Gedenkstättenkonzeption tungsgesetz stimmte eine große Mehrheit des Bundes- des Bundes von 1999. Des Weiteren fanden die Ergebnis- tags zu. Bereits im November 1998 nahm die „Bundes- se der Anhörung zur Gedenkstättenkonzeption vor dem stiftung Aufarbeitung“ ihre Arbeit auf (vgl. S. 47 ff.). Kulturausschuss des Deutschen Bundestages im Februar 2005 Berücksichtigung. Einbezogen wurden auch Über- Die Gedenkstättenkonzeptionen des legungen der in der 15. Legislaturperiode von der Bun- Bundes und ihre Fortschreibung 2008 desregierung eingesetzten Expertenkommission zur Schaffung eines „Geschichtsverbunds zur Aufarbeitung Die Bundesrepublik Deutschland trägt eine besondere der SED-Diktatur“. Verantwortung für die Opfer der nationalsozialistischen Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption sieht Gewaltherrschaft und für die Folgen des Zweiten Welt- vor, auch die Zusammenarbeit aller Einrichtungen zur krieges. Seit der Wiederherstellung der Deutschen Ein- Geschichte der SBZ und der DDR verstärkt zu fördern. heit ist es zudem ihre Aufgabe, die Erinnerung an das Dabei wird den einzelnen Institutionen die für ihre Ar- Leid der Opfer der kommunistischen Diktatur wachzu- beit notwendige Freiheit gelassen, bewährte Strukturen halten. werden gestärkt, neue Wege der Zusammenarbeit be- Nach der Wiedervereinigung bekannten sich der Deut- schritten und Kooperationsprojekte ermöglicht. So hat sche Bundestag und die Bundesregierung zu der gesamt- BKM etwa das Internet-Kooperationsprojekt „Orte der staatlichen Verantwortung des Bundes zugunsten der Repression in SBZ und DDR“ angestoßen und finanziert, Gedenkstätten in den neuen Ländern und in Berlin. Die an dem unter Federführung der Stiftung Haus der Ge- hierauf gründende „Gesamtkonzeption zur Beteiligung schichte der Bundesrepublik Deutschland mehr als des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik 40 Gedenkstätten beteiligt waren (vgl. S. 124 f.). Deutschland“ nahm ab 1993 insgesamt elf national be- deutsame Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Ter- Eine vertiefte Zusammenarbeit bietet allen Einrichtun- rorherrschaft und die SED-Diktatur – zunächst auf zehn gen die Chance, Herausforderungen gemeinsam zu meis- Jahre befristet – in die institutionelle Förderung auf. tern. Der Kooperationsgedanke bildet deshalb seit 2008 Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung 23 ein eigenes Kriterium für die Förderwürdigkeit von Pro- –– Stiftung Berliner Mauer: Am 20. Jahrestag des Mauer- jekten von Gedenkstätten und Erinnerungsorten. falls am 11. November 2009 konnte das Besucherzen- trum in der Bernauer Straße eröffnet werden. Die Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption legt Open-Air-Ausstellung auf dem ehemaligen Mauer- die verstärkte Aufarbeitung der SED-Diktatur unter be- streifen mit dem „Fenster des Gedenkens“ ist seit dem sonderer Würdigung von Widerstand und Opposition 21. Mai 2010 für die Öffentlichkeit freigegeben. Am fest. So wurden weitere national bedeutsame Gedenkstät- 13. August 2011 folgte im Rahmen der zentralen Ge- ten in die Förderung durch BKM aufgenommen. Institu- denkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Baus der tionell werden derzeit die folgenden Einrichtungen mit Berliner Mauer die Einweihung des zweiten Ab- thematischem Bezug zur kommunistischen Diktatur auf schnitts des Gedenkareals. Beschluss des Deutschen Bundestages durch BKM geför- –– Haus 1/Normannenstraße: Hier befand sich bis 1989 dert: die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit. Das marode Gebäude wurde 2010/11 mit Mitteln des –– Gedenkstätte Bautzen (Stiftung Sächsische Gedenk- Konjunkturprogramms II der Bundesregierung stätten) denkmalgerecht instandgesetzt und grundsaniert. –– Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Seit Januar 2012 ist dort das STASI MUSEUM der An- –– Stiftung Berliner Mauer (Gedenkstätte Berliner Mau- tistalinistischen Aktion (ASTAK) und des BStU für er und Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Mari- die Öffentlichkeit zugänglich. enfelde) –– Forschungsprojekt „Die Todesopfer an der Berliner –– Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau- Mauer 1961 bis 1989“: Die Gedenkstätte Berliner Dora (sowjetisches Speziallager) Mauer und das Zentrum für Zeithistorische For- schung Potsdam haben in einem gemeinsamen Pro- –– Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden (Stiftung jekt die genaue Zahl, Identität und das Schicksal der Sächsische Gedenkstätten) Todesopfer, die das DDR-Grenzregime zwischen 1961 –– Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn (Stiftung und 1989 an der Mauer in und um Berlin forderte, er- Gedenkstätten Sachsen-Anhalt) mittelt und in einer Publikation dargestellt. –– Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth –– Stelenprojekte in Berlin und Leipzig: In beiden Städ- –– Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikow- ten wurden an Orten, die für die Friedliche Revoluti- straße Potsdam on 1989/90 Bedeutung erlangten – insbesondere in Hinblick auf Opposition und Widerstand –, entspre- –– Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (Stiftung chende Informationstafeln errichtet. Brandenburgische Gedenkstätten) (sowjetisches Spe- Die genannten Projekte werden im Bericht in den jewei- ziallager) ligen Kapiteln bzw. unter der mit der Umsetzung betrau- –– Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) ten Einrichtung ausführlich behandelt. Dies gilt auch für Torgau (Stiftung Sächsische Gedenkstätten). folgende Vorhaben, die gegenwärtig umgesetzt werden: Die institutionelle Förderung von Gedenkstätten wird –– Umbau und Sanierung der Gedenkstätte Berlin-Ho- durch Projektförderungen des BKM ergänzt, die klar de- henschönhausen sowie Einrichtung einer Daueraus- finierten und zeitlich begrenzten Arbeitsvorhaben die- stellung nen. Voraussetzung ist auch hier eine angemessene Be- teiligung des Sitzlandes der jeweiligen Gedenkstätte. Ein –– Einrichtung einer Dauerausstellung zur Geschichte des Alltags in der SED-Diktatur durch die Stiftung Expertengremium spricht gegenüber BKM Empfehlun- Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- gen über die Förderwürdigkeit der beantragten Projekte land in der Kulturbrauerei im Berliner Stadtteil aus. Prenzlauer Berg Die Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption the- –– Errichtung der Denkmäler für Freiheit und Einheit in matisiert darüber hinaus eine Fülle herausragender Berlin und Leipzig. Maßnahmen, deren Umsetzung seit 2008 bereits abge- Nach dem erfolgreichen Vorbild der Fortschreibung der schlossen werden konnte: Gedenkstättenkonzeption des Bundes haben auch Bran- denburg und Thüringen in Grundsatzpapieren zur Erin- –– „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße in Ber- nerungskultur Leitlinien zum Umgang u. a. mit dem lin: Hier zeigt die Stiftung Haus der Geschichte der Erbe der SED-Diktatur festgelegt. Bundesrepublik Deutschland seit September 2011 unter dem Titel „GrenzErfahrungen“ eine Daueraus- stellung zum Alltag der deutschen Teilung. 24 Grundlagen und Entwicklung der Aufarbeitung

Freiheit und Einheit – das Jubiläum von Der damalige Bundespräsident Horst Köhler erinnerte Friedlicher Revolution und am 9. Oktober 2009 in Leipzig im Rahmen eines Festakts Wiedervereinigung 2009/2010 an die entscheidende Demonstration in der Stadt 20 Jah- re zuvor. Die Bundesregierung und die anderen Verfas- In den Jahren 2009 und 2010 feierte die Bundesrepublik sungsorgane begingen die Jubiläen mit Festakten am Deutschland die 20. Jahrestage des Mauerfalls und der 9. November 2009 – zusammen mit dem Land Berlin – Deutschen Einheit. Anlässlich dieses Jubiläums fand mit am Brandenburger Tor und am 3. Oktober 2010 am Tag finanzieller Unterstützung der Bundesregierung und un- der Deutschen Einheit in Bremen. Anlässlich des 20. Jah- ter maßgeblicher Beteiligung der Einrichtungen des restags der Unterzeichnung des Einigungsvertrags hat- Bundes eine Vielzahl von Veranstaltungen statt, die die ten zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel, der damalige historischen Ereignisse 1989 und 1990 würdigten. Sie Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der Be- reichten von Ausstellungen wie beispielsweise der von auftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, BKM geförderten großen Open-Air-Präsentation der Ro- Staatsminister Bernd Neumann, am 31. August 2010 am bert-Havemann-Gesellschaft über die Friedliche Revolu- historischen Ort der Unterzeichnung im Berliner Kron- tion und die Wiedervereinigung auf dem Berliner Alex- prinzenpalais eine Gedenktafel enthüllt. anderplatz (Mai 2009 bis Oktober 2010) über das vom BMI und allen Ländern finanzierte Zeitzeugenportal der Die Jubiläen von Friedlicher Revolution und Wiederver- Bundesstiftung Aufarbeitung bis hin zur „Deutschland- einigung führten durch die vielseitigen Veranstaltungen tour“ des Bundespresseamtes, die als mobile Ausstellung und eine breite mediale Begleitung zu einem gesteigerten im Sommer 2010 bis zum Tag der Deutschen Einheit an Interesse an den Ereignissen von 1989/90 und an der Ge- 50 Orten im ganzen Land über die Wiedervereinigung schichte der DDR allgemein. Sie wirkten damit im Sinne informierte. Das Deutsche Historische Museum zeigte der Aufarbeitung des SED-Unrechts, da die Beschäfti- die Sonderausstellung „1990 – Der Weg zur Einheit“ (Juni gung mit diesen Themen das Wissen der Bürgerinnen 2010 bis Januar 2011). In der Erinnerungsstätte des Bun- und Bürger über die DDR und ihren Diktaturcharakter desarchivs für die Freiheitsbewegungen in der deutschen verbreiterte und vertiefte. Geschichte in Rastatt konnte die Dauerausstellung um einen Schwerpunkt zu den Freiheitsbewegungen in der DDR erweitert werden (November 2009).

Demonstration für die Einführung einer Rente für die Opfer des SED-Unrechts (Berlin, 2007).

3 Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer 27

Die Rehabilitierungsgesetze sollen die Opfer der SED- heitlichen Schädigung, zu einem Eingriff in die Vermö- Diktatur würdigen, rehabilitieren und entschädigen. genswerte oder in den Beruf geführt haben. Die Betroffe- Dazu hat der Gesetzgeber auf der Grundlage von Arti- nen können dann ggf. Ansprüche nach dem Bundes- kel 17 des Einigungsvertrages das Strafrechtliche, das versorgungsgesetz (Beschädigtenversorgung), nach dem Verwaltungsrechtliche und das Berufliche Rehabilitie- Vermögensgesetz (Rückübertragung oder Entschädi- rungsgesetz geschaffen. Die Gesetze stellen sicher, dass gung) bzw. dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz gel- alle Personen rehabilitiert werden können, die Opfer ei- tend machen. ner politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder einer sonstigen rechtsstaats- und verfassungswidri- Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz gen Entscheidung in der DDR bzw. zuvor in der SBZ wa- Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz vom 23. Juni 1994 ren. Die Betroffenen haben dadurch die Möglichkeit er- hat das Ziel, noch heute spürbare Auswirkungen verfol- halten, sich vom Makel persönlicher Diffamierung zu gungsbedingter Eingriffe in den Beruf oder die Ausbil- befreien. Der Gesetzgeber hat die Rehabilitierungsgeset- dung auszugleichen. Es knüpft an das Strafrechtliche ze mit angemessenen Entschädigungsregelungen ver- und das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz bunden. Die Rehabilitierungsgesetze sind damit ein an. Kernstück des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes wichtiger Baustein bei der rechtsstaatlichen Aufarbei- ist der Ausgleich von Nachteilen in der Rente. Darüber tung des von der SED-Diktatur begangenen Unrechts. hinaus sieht das BerRehaG in § 8 Ausgleichsleistungen für Verfolgte vor, die in ihrer wirtschaftlichen Lage be- Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz sonders beeinträchtigt sind. Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vom 29. Ok- Die Aus- und Durchführung dieser drei Rehabilitie- tober 1992 ermöglicht die Aufhebung rechtsstaatswidri- rungsgesetze obliegt den Ländern. Zum Vollzug der Ge- ger Entscheidungen von deutschen Gerichten in der DDR setze wurden in den neuen Ländern Rehabilitierungsbe- bzw. zuvor in der SBZ über Freiheitsentziehung und da- hörden eingerichtet, die über Anträge auf berufliche und mit die Rehabilitierung der Betroffenen durch Gerichts- verwaltungsrechtliche Rehabilitierung entscheiden. Die beschluss. Die strafrechtliche Rehabilitierung begründet strafrechtliche Rehabilitierung obliegt den Gerichten. Ansprüche auf soziale Ausgleichsleistungen wie bei- spielsweise die Kapitalentschädigung für rechtsstaats- Die Bundesregierung ist darauf bedacht, das System der widrige Haftzeiten in Höhe von 306,78 Euro je Haftmo- Rehabilitierung und Entschädigung von SED-Unrecht nat und Versorgungsleistungen bei haftbedingten laufend zu überprüfen und offenbarem Regelungsbedarf Gesundheitsschäden. Wirtschaftlich Bedürftige erhalten Rechnung zu tragen. So wurde die rehabilitierungsrecht- Unterstützungsleistungen oder – seit 2007 – eine beson- liche Situation der Betroffenen in der 14. und 15. Legisla- dere Zuwendung für Haftopfer in Höhe von monatlich turperiode zum Teil erheblich verbessert; Bund und Län- 250 Euro, wenn sie in der DDR eine mit wesentlichen der haben die entsprechenden Mittel aufgestockt. Das Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ord- Dritte Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtli- nung unvereinbare Freiheitsentziehung von mindestens cher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung 180 Tagen erlitten haben, die sogenannte SED-Opferren- in der ehemaligen DDR hat in der 16. Legislaturperiode te. Diese Leistungen stehen auch Verfolgten zu, die be- die besondere Zuwendung für Haftopfer eingeführt, die reits vor Inkrafttreten des StrRehaG als politische Häft- sogenannte SED-Opferrente (siehe oben). linge der SED-Diktatur nach dem Häftlingshilfegesetz Weitere Verbesserungen brachte das in der laufenden Le- anerkannt worden sind. Die strafrechtliche Rehabilitie- gislaturperiode in Kraft getretene Vierte Gesetz zur Ver- rung ist zudem Voraussetzung für die Rückgabe von Ver- besserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für mögenswerten, die im Zusammenhang mit der aufgeho- Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen benen Entscheidung eingezogen worden sind, oder für DDR. Im Bereich der besonderen Zuwendung für Haftop- eine entsprechende Entschädigung. 3 Rehabilitierung und fer ist jetzt u. a. ein Kinderfreibetrag vorgesehen; zusätz- lich bleibt das Kindergeld anrechnungsfrei. Weiterhin Das Verwaltungsrechtliche gilt die Härtefallregelung des StrRehaG jetzt auch für die Entschädigung der Opfer Rehabilitierungsgesetz besondere Zuwendung. Zudem wurde ausdrücklich klar- Gegenstand des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie- gestellt, dass das StrRehaG auch auf Personen Anwen- rungsgesetzes vom 23. Juni 1994 ist die Aufhebung ele- dung findet, die zum Zwecke der politischen Verfolgung mentar rechtsstaatswidriger Verwaltungsmaßnahmen oder aus sonstigen sachfremden Gründen in Kinderhei- der DDR-Organe oder die Feststellung der Rechtsstaats- men oder Jugendwerkhöfen der DDR untergebracht wa- widrigkeit dieser Akte. Bis heute fortwirkende Folgen ren. Darüber hinaus hat das Gesetz verschiedene Verfah- werden durch soziale Ausgleichsmaßnahmen gemildert, rensverbesserungen gebracht und die Antragsfristen in soweit die Verwaltungsmaßnahmen zu einer gesund- allen drei Rehabilitierungsgesetzen letztmalig bis zum 28 Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer

31. Dezember 2019 verlängert. Die besondere Zuwendung störung beseitigen oder bessern, ihre Zunahme verhüten, für Haftopfer kann jedoch nach wie vor unbefristet be- körperliche Beschwerden beheben und die Folgen der antragt werden. Schädigung erleichtern. Sie wird daher – ihrem Zweck entsprechend – auch bei nur vorübergehenden Gesund- Nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsge- heitsstörungen erbracht. Ein Anspruch auf Rentenleis- setz sind seit Inkrafttreten 10 400 positive Bescheide er- tungen liegt vor, wenn die Gesundheitsstörung mindes- gangen; Anträge nach dem Beruflichen Rehabilitie- tens sechs Monate andauert und der Grad der Schädi- rungsgesetz wurden seit Inkrafttreten in 67 398 Fällen gungsfolgen beim Geschädigten im Durchschnitt in positiv beschieden (Stand jeweils 31. Dezember 2011). dieser Zeit mindestens 25 beträgt. Sind Maßnahmen zur Am 31. Dezember 2011 bezogen 47 434 Personen die be- medizinischen oder beruflichen Rehabilitation erfolg- sondere Zuwendung für Haftopfer. Seit Inkrafttreten des versprechend und zumutbar, so kommt die Zahlung von StrRehaG haben Bund und Länder bis zu diesem Stichtag Renten, die für den Lebensunterhalt zur Verfügung ste- rund 1,2 Mrd. Euro für die Zahlung von Kapitalentschä- hen, wie z. B. Ausgleichsrente und Berufsschadensaus- digung und besonderer Zuwendung für Haftopfer aufge- gleich, erst nach Abschluss dieser Maßnahmen in Be- wendet. Ein signifikanter Rückgang der Antragszahlen tracht. auf strafrechtliche Rehabilitierung ist bislang nicht fest- Das BVG nimmt den Geschädigten die Mehraufwendun- zustellen: Zwischen 2002 und 2011 (einschließlich) haben gen ab, die diese durch die gesundheitlichen Folgen der 38 477 Betroffene die gerichtliche Rehabilitierung bean- Schädigung haben, und sichert ihnen und den Hinter- tragt. bliebenen, wenn der Ersatz des Schadens nicht ausreicht, Für die Durchführung der Rehabilitierungsgesetze ha- einen angemessenen Lebensunterhalt. ben Bund und Länder in den Haushaltsjahren 1993 bis einschließlich 2011 insgesamt rund 1,4 Mrd. Euro zur Fonds „Heimerziehung in der DDR Verfügung gestellt. in den Jahren 1949 bis 1990“ Die Jugendminister und Jugendministerinnen der ost- Die Beschädigtenversorgung nach deutschen Bundesländer und der Deutsche Bundestag dem Bundesversorgungsgesetz haben im Mai bzw. Juli 2011 Beschlüsse zur Würdigung Betroffene nach dem Strafrechtlichen und dem Verwal- und Anerkennung des Leids ehemaliger Heimkinder aus tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, die infolge der der DDR gefasst. Als ersten Schritt zur Umsetzung dieser Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung er- politischen Vorgaben haben die Bundesministerin für litten haben, sowie deren Hinterbliebene können wegen Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Beauftragte der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der der Bundesregierung für die Angelegenheiten der Neuen Schädigung Versorgungsleistungen in entsprechender Bundesländer und die Jugendministerinnen und Jugend- Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) er- minister der ostdeutschen Bundesländer unter Beteili- halten. Das BVG wurde ursprünglich für die Kriegsopfer gung der Betroffenen im März 2012 den Bericht „Aufar- und deren Hinterbliebene geschaffen, sein Leistungs- beitung der Heimerziehung in der DDR“ vorgelegt. Er spektrum wurde jedoch in den letzten Jahrzehnten auf basiert auf drei vom Beauftragten der Bundesregierung weitere Personenkreise übertragen, z. B. auf Wehr- und für die Neuen Bundesländer initiierten Expertisen Zivildienstopfer und Opfer von Gewalttaten. (Rechtsfragen, Erziehungsvorstellungen, Traumatisie- rungen). Als Gesamtergebnis wird im Bericht festgehal- Kennzeichnend für dieses Leistungssystem ist, dass sich ten, dass die Heimerziehung in der DDR insgesamt kein die Versorgung nach Umfang und Schwere der Schädi- Unrechtssystem darstellt. Dennoch gehörten Zwang und gungsfolgen und dem jeweiligen Bedarf aus mehreren Gewalt für viele Säuglinge, Kinder und Jugendliche in Einzelleistungen zusammensetzt und so in schweren den Heimen zum Alltag. Noch heute leiden sie an den Schadensfällen zu beachtlichen Leistungen kumulieren Konsequenzen. Vor allem in den Spezialheimen und Ju- kann, die im Prinzip einem vollen Ausgleich des gesund- gendwerkhöfen der Jugendhilfe wurden Menschenrechte heitlichen Schadens gleichkommen. Die Rentenleistun- massiv verletzt. Die Beschreibungen der Betroffenen rei- gen an Geschädigte und Hinterbliebene werden ohne Be- chen von fehlender menschlicher Zuwendung über man- rücksichtigung des Einkommens gezahlt, während die gelnde schulische und berufliche Bildungsangebote, un- Höhe anderer Leistungen vom Einkommen des Berech- sachgemäßen Arbeitseinsatz bis hin zu drastischen tigten abhängig ist. Strafen, die sich auch gegen elementarste Bedürfnisse In den Vordergrund der Leistungen hat das Gesetz die der Kinder und Jugendlichen richteten. Typisch für die Heilbehandlung wegen der Folgen der gesundheitlichen Heimerziehung in der DDR war eine an den Strafvollzug Schädigung einschließlich der medizinischen Rehabili- erinnernde Organisation in vielen Einrichtungen. Der tation gestellt. Die Heilbehandlung soll die Gesundheits- ausgeübte Zwang und die Gewalt stützten sich in star- Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer 29 kem Maße auf den politischen Auftrag einer „Umerzie- handenen Folgeschäden und/oder bei Minderung von hung“ im Kollektiv zu „allseitig entwickelten sozialisti- Rentenansprüchen zur Verfügung. Der Bund und die schen Persönlichkeiten“. Die Erlebnisse in den Heimen ostdeutschen Länder haben damit auf Grundlage ihres führten bei vielen Betroffenen zu massiven Beeinträchti- o. g. Berichtes Hilfsangebote entwickelt, die sich an den gungen der Lebenschancen und Entwicklungspotenzia- Vorschlägen des „Runden Tisches Heimerziehung in den le, die zusammen mit den Heimerlebnissen bis heute 50er und 60er Jahren“ für ehemalige Heimkinder in traumatisch nachwirken. Westdeutschland orientieren. Die Möglichkeit einer Re- habilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitie- Seit 1. Juli 2012 besteht der vom Bund und den ostdeut- rungsgesetz bleibt davon unberührt. schen Ländern gemeinsam errichtete Fonds „Heimerzie- hung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ mit einem Informationen zu konkreten Hilfsangeboten, zum Ver- Volumen von insgesamt 40 Mio. Euro. Daraus stehen fahren für die Vereinbarung von Leistungen und die ehemaligen DDR-Heimkindern, die in den Jahren 1949 Kontaktdaten der regionalen Anlauf- und Beratungsstel- bis 1990 in einem Heim der Jugendhilfe oder einem Dau- len in den Ländern, an die Betroffene sich wenden kön- erheim für Säuglinge und Kleinkinder untergebracht nen, stehen auf der Website www.fonds-heimerziehung. waren und denen Unrecht und Leid zugefügt wurde, Hil- de zur Verfügung. fen und Unterstützungsleistungen bei heute noch vor- Kulturstaatsminister Bernd Neumann und der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck bei der Eröffnung der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße (Potsdam, April 2012).

4 Opferverbände Opferverbände 31

Die Union der Opferverbände –– Cottbuser Häftlingsgemeinschaft Kommunistischer Gewaltherrschaft e. V. –– DDR-Museum in Pforzheim In der Union der Opferverbände Kommunistischer Ge- –– Doping-Opfer-Hilfe e. V. waltherrschaft e. V. (UOKG), 1992 gegründet, sind mehr –– Fördergemeinschaft Recht & Eigentum e. V. als 30 Verbände aus der gesamten Bundesrepublik orga- –– Forum zur Aufklärung und Erneuerung e. V. nisiert, deren gemeinsames Ziel darin besteht, an das Leid der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft –– Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen zu erinnern. Zweck des Vereins ist als Dachverband die –– Freiheit e. V. Erfurt Förderung, Koordinierung und Unterstützung der ihm –– Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinis- angeschlossenen Opferorganisationen. Weiter sieht die mus Berlin UOKG ihre Aufgabe in der Klärung des Schicksals Ver- –– Initiative verfolgter Schüler und Studenten (Berlin) schleppter, in der Aufklärung und Aufarbeitung kom- –– Initiativgruppe „Lager X Berlin-Hohenschönhausen“ munistischer Verbrechen, in der Beratung und Unter- stützung der Opfer sowie in der Vertretung ihrer –– Initiativgruppe Internierungslager Jamlitz e. V. Forderungen bei Parlamenten und Regierungen. –– Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf e. V.

Dies betrifft etwa die besondere Zuwendung für Haftop- –– Initiativgruppe Lager Mühlberg e. V. fer (SED-Opferrente), bei der die Stichtagregelung von –– Initiativgruppe NKWD-Lager TOST/Oberschlesien 180 Tagen und die Koppelung an wirtschaftliche Bedürf- 1945 tigkeit (siehe oben S. 27) bemängelt werden. Die Opfer- –– Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge rente solle, so die Auffassung der UOKG, zu einer „Ehren- e. V. (IEDF) pension“ umgestaltet werden, die nicht nur jedem –– Interessengemeinschaft zur Aufarbeitung der SED- früheren politischen Häftling zugutekommen soll, son- Diktatur und ihrer Folgen dern allen, die unter politischer Verfolgung in der DDR gelitten haben. Diese sei besonders deshalb notwendig, –– Interessengemeinschaft Zwangsausgesiedelter Sach- da die Träger und Funktionäre der SED-Diktatur vom sen-Anhalt e. V. Bundesverfassungsgericht ihre Systemrenten zugespro- –– Internationale Gesellschaft für Menschenrechte e. V. chen bekommen hätten. Im Interesse der sozialen Ge- (IGFM) rechtigkeit sei deshalb ein entsprechender Ausgleich für –– Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion die Opfer herzustellen. Darüber hinaus plädiert die –– Menschenrechtszentrum Cottbus UOKG für die Einführung einer Beweislastumkehr bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheits- –– OvZ-DDR e. V. Hilfe für Opfer von DDR-Zwangsadop- schäden. tionen –– Pro Universitätskirche e. V., Leipzig Die UOKG setzt sich dafür ein, dass an einem zentralen –– SED-Opferhilfe e. V. Platz in Berlin ein Mahnmal zum Gedenken an alle Op- fer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutsch- –– Stasiopfer-Selbsthilfe e. V. land errichtet wird. BKM unterstützt die vertiefte wis- –– Verband ehemaliger Rostocker Studenten (VERS) senschaftliche und gesellschaftliche Diskussion über ein –– Verband politisch Verfolgter des Kommunismus e. V. solches zentrales Mahnmal projektbezogen. (VPVDK) Die UOKG hat ihren Sitz im Gebäude Haus 1 des ehemali- –– VOK Deutschland e. V. – Vereinigung der Opfer des gen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Berlin- Kommunismus Lichtenberg. Gemeinsam mit dem BSV-Förderverein für –– Ehemalige politische Häftlinge in der CDU Beratungen e. V. gibt sie, gefördert durch die Bundesstif- –– Ehemalige politische Häftlinge in der SPD tung Aufarbeitung, die Informationszeitschrift „der sta- cheldraht“ heraus. Die Vereinigung der Opfer Mitglieder und Assoziierte der UOKG: des Stalinismus e. V. –– Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS) –– Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 bis wurde am 9. Februar 1950 von den aus sowjetischem Ge- 1950 e. V. wahrsam zurückgekehrten Kriegsgefangenen, Internier- ten und in der SBZ und der DDR zu Haftstrafen Verur- –– Bellevue-Gruppe e. V. teilten in Berlin gegründet. Aus dieser Zeit stammt der –– Bund der Vertriebenen e. V. Name des Vereins, dem später die Bezeichnung „Gemein- –– Bürgerkomitee Sachsen-Anhalt e. V. schaft ehemaliger politischer Häftlinge“ vorangestellt 32 Opferverbände wurde. Die VOS war bis zum Untergang der DDR Zielob- Geschäftsstellen Beratung für Opfer der SED-Diktatur jekt der Ausspionierung und versuchten Unterwande- anbieten. Die Vereinigung gibt das Mitteilungsblatt rung durch die Staatssicherheitsorgane der DDR. „Freiheitsglocke“ heraus und verfügt über ein umfang- reiches Archiv, das ihr jahrzehntelanges Wirken sowie Öffentlichkeitsarbeit sowie Betreuung und Beratung der besondere Opferschicksale dokumentiert. Mitglieder stellen neben den Aktivitäten zur Durchset- zung von Forderungen nach Wiedergutmachung von Die langjährig in Bonn ansässige Bundesgeschäftsstelle Schäden aus politischer Verfolgung die Schwerpunkte der VOS ist im Juli 1998 wieder an den Gründungsort der Tätigkeit der VOS dar. Die VOS ist in den einzelnen nach Berlin zurückgezogen. Ländern in Landes- und Bezirksgruppen vertreten, deren

Opferberatung.

5 Beratung Beratung 35

Bundesweite Beratungsangebote finanziellen Grundsicherung für einen Zeitraum von sie- für die Opfer des SED-Unrechts ben Jahren. Aus Mitteln des Mauergrundstückfonds wer- den rund 80 000 Euro jährlich durch den Berliner Senat In der gesamten Bundesrepublik bestehen Beratungsan- bereitgestellt und durch Mittel des Berliner Landesbeauf- gebote, die zumeist ehrenamtlich von Initiativen, Verei- tragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes nen und Verbänden auf der lokalen Ebene getragen wer- der ehemaligen DDR ergänzt. den. Eine Zusammenstellung bietet die Publikation „Übersicht über Beratungsangebote für Opfer politischer Drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit psychothera- Verfolgung in der SBZ/DDR“ der Bundesstiftung Aufar- peutischen, sozialpädagogischen und psychologischen beitung. Die Broschüre bietet einen Überblick über Bera- Qualifikationen bieten in der Beratungsstelle psychoso- tungs- und Hilfsangebote in allen 16 Ländern und führt ziale Begleitung und psychotherapeutische Hilfen im insgesamt 112 Vereine und Institutionen auf, die für Be- Umgang mit den anhaltenden Folgen politischer Trau- troffene zur Verfügung stehen. Mit der fünften Auflage matisierung an. Das Angebot ist niedrigschwellig und 2010 wurden bisher insgesamt über 20 000 Exemplare kostenfrei, d. h., es ist keine Überweisung durch einen dieses Hilfsmittels gedruckt und von Ratsuchenden so- Arzt oder Kostenübernahme durch die Krankenkassen wie Ämtern und Vereinen genutzt. erforderlich.

In Berlin besteht darüber hinaus die aus privater Initiati- Das Angebot der Beratungsstelle umfasst die Unterstüt- ve gegründete Beratungsstelle Gegenwind, die als einzige zung in entschädigungs- bzw. versorgungsrechtlichen Einrichtung der Opferberatung bundesweit tätig ist. Die Fragen, psychotherapeutische Hilfen bei Folgeerkran- Beratungsstelle Gegenwind für politisch Traumatisierte kungen nach politischer Haft und Zersetzungsmaßnah- der SED-Diktatur wurde 1998 nach einer fünfjährigen men, die Beratung von Angehörigen, die Initiierung von Projekt- und Aufbauphase für Menschen eröffnet, die Selbsthilfegruppen und die Anleitung von Gruppen zur unter der Herrschaft der SED politischer Verfolgung, In- Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen. Die Bera- haftierung und psychischer Zersetzung ausgesetzt wa- tungsarbeit wird durch wissenschaftliche Untersuchun- ren. Die Bestrebungen zur Gründung einer eigenständi- gen und Veröffentlichungen fundiert. Des Weiteren un- gen Beratungsstelle entwickelten sich aus der Arbeit terstützt die Beratungsstelle Einrichtungen zur Beratung einer Kontakt- und Beratungsstelle in Berlin-Moabit, ehemals politisch Verfolgter mit Weiterbildungsangebo- dem damaligen „Treffpunkt Walzstraße“, der 1979 ge- ten und Supervision. Gutachten zum medizinisch-psy- gründet wurde. Der Treffpunkt wurde über die Jahre zu chologischen Nachweis von haftbedingten Gesundheits- einem Anlaufpunkt für Menschen aus der DDR, die mit schäden werden auf Anfrage von Versorgungsämtern den psychischen und sozialen Belastungen ihrer Verfol- oder Sozialgerichten erstellt. Die Angebote vor Ort wer- gungserfahrung zu kämpfen hatten. den größtenteils von Berlinern und Brandenburgern ge- nutzt. Telefonische Beratungen, Email- und Briefanfra- Gegenwind ist bundesweit die einzige psychosoziale Ein- gen erfolgen bundesweit.3 richtung speziell für politisch Traumatisierte der DDR. Seit Bestehen des Beratungsangebots kam es bundesweit Gegenwind schätzt anhand der Anfragen in der Bera- zu ca. 10 000 Beratungskontakten. Insgesamt schätzt ein tungsstelle das bundesweite Beratungs- und Betreuungs- Expertengutachten im Auftrag der Konferenz der Lan- angebot als bislang unzureichend ein. Spezialisierte psy- desbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits- chosoziale und psychotherapeutische Angebote fehlten dienstes der ehemaligen DDR die Anzahl der durch poli- demnach in der Fläche. tische Repression in der DDR latent oder manifest Weiter verhindere der politische Verfolgungskontext der psychisch beeinträchtigten bzw. gestörten Personen auf traumatischen Erfahrungen in der Regel, dass die Betrof- wenigstens 300 000.2 fenen in die psychiatrisch-psychotherapeutische Regel- Die psychosoziale Beratungsarbeit von Gegenwind sah versorgung integriert werden könnten, so die Beratungs- sich nach einer Anschubfinanzierung und weiteren Teil- stelle. finanzierung durch den Berliner Landesbeauftragten, den Berliner Senat und die Bundesstiftung Aufarbeitung über viele Jahre einer unsicheren Projektförderung und wiederholter Schließungsgefahr ausgesetzt. Nach 17 Jah- 3 Circa die Hälfte der Anfragen an die Berliner Beratungsstelle ren psychosozialer Arbeit erfolgte 2010 die Zusage einer Gegenwind erfolgt gegenwärtig aus dem gesamten Bundesge- biet. Insbesondere die Gruppe der Ratsuchenden aus den alten Ländern nimmt in jüngster Zeit deutlich zu und äußert 2 Freyberger, Harald J.; Frommer, Jörg; Maercker, Andres; Steil, umfassende psychosoziale Beratungsanliegen – von grundle- Regina: Gesundheitliche Folgen politischer Haft in der DDR. genden Rehabilitierungsfragen bis hin zu psychotherapeutischem Dresden: Konferenz der Landesbeauftragten für die Unterlagen Versorgungsbedarf aufgrund jahrelang verschleppter chronifi- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, 2003. zierter Traumafolgen mit häufig krisenhaften Zuspitzungen. 36 Beratung

Anlauf - und Beratungsstellen für zeit der Behörde war die Nachfrage nach Beratung durch ehemalige DDR‑Heimkinder die Betroffenen sehr hoch, denn viele Erlebnisse waren noch sehr frisch und nicht aufgearbeitet. Besonders nach Seit 1. Juli 2012 besteht der vom Bund und den ostdeut- einer möglichen Wiedergutmachung der erlittenen Ver- schen Ländern gemeinsam errichtete Fonds „Heimerzie- folgungsschäden wurde gefragt. Gleichzeitig war es er- hung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ (vgl. forderlich, sich in die neue Rechtsmaterie der Rehabili- S. 28 ff.). Für die Information und Betreuung Betroffener tierungsgesetze und auch in angrenzende Rechtsgebiete sowie die Vereinbarung von konkreten Hilfen und Un- wie z. B. das allgemeine Sozialrecht, das Rentenrecht, das terstützungsleistungen sind in den ostdeutschen Län- Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz, das Häftlingshil- dern regionale Anlauf- und Beratungsstellen eingerich- fegesetz und das Recht offener Vermögensfragen einzu- tet worden. Die Vereinbarungen werden in einem arbeiten, um die Antragsteller umfassend beraten zu gemeinsamen Beratungsgespräch getroffen. Die Kon- können. Zur Unterstützung der genannten Beratungen taktdaten der regionalen Anlauf- und Beratungsstellen hat die Behörde schon im ersten Jahr ihres Bestehens in den Ländern, an die Betroffene sich wenden können, eine Informationsbroschüre herausgegeben, die immer stehen auf der Website www.fonds-heimerziehung.de auf aktuellem Stand gehalten wird. Pressemitteilungen zur Verfügung. informieren über Gesetzesänderungen. Beispielhafte Beratungsangebote der Länder Eine Beratung für die Opfer der SED-Diktatur wird über für die Opfer des SED-Unrechts die Rehabilitierungsbehörde hinaus durch verschiedene Behörden bzw. Institutionen angeboten: Die mit Rehabi- Da die Aus- und Durchführung der Rehabilitierungsge- litierungsangelegenheiten betrauten Mitarbeiter im setze den Ländern obliegt, wurden zum Vollzug der Ge- Ministerium des Innern beraten sowohl in laufenden Re- setze in den neuen Ländern Rehabilitierungsbehörden habilitierungsverfahren als auch insbesondere im Vor- eingerichtet. Damit verbunden sind auch Beratungsan- feld, um den Betroffenen bei der Antragstellung zu hel- gebote für Opfer der SED-Diktatur. Diese bestehen für fen. Zur Aufarbeitung des persönlichen Schicksals der die Bereiche der Rehabilitierung und der Einsicht in die von der SED-Diktatur Verfolgten arbeitet das Ministe- Unterlagen des MfS als auch für psychosoziale und medi- rium des Innern auf der Grundlage einer Vereinbarung zinische Beratung. Über die neuen Länder hinaus exis- vom 2. Februar 2001 erfolgreich mit dem Berliner Lan- tieren Beratungsangebote auch in Hessen und Nieder- desbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits- sachsen. Der Bund beteiligt sich über die Bundesstiftung dienstes der ehemaligen DDR zusammen. Außerdem hat Aufarbeitung an der Finanzierung unterschiedlicher Be- die Landesregierung im Jahr 2010 dem hohen Bedarf an ratungsangebote. So hat die Bundesstiftung seit 1998 Beratung auf Seiten der Opfer der SED-Herrschaft Rech- etwa 2 Mio. Euro für die Unterstützung von Beratungstä- nung getragen, indem sie das Amt der Landesbeauftrag- tigkeit, insbesondere auch bei den Landesbeauftragten ten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen für die Stasi-Unterlagen, zur Verfügung gestellt. Diktatur (LAkD) beim Präsidenten des Landtages Bran- denburg eingerichtet hat. Berlin In Berlin bietet der Landesbeauftragte für die Unterlagen Hessen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Bera- Die Beratung und Durchführung im Rahmen der SED- tungsangebote für Bürgerinnen und Bürger an, und zwar Unrechtsbereinigungsgesetze, soweit es die Gewährung zur Antragstellung auf Auskunft, Einsicht und Herausga- von Leistungen betrifft, obliegt in Hessen den Entschädi- be von Stasi-Akten nach dem Stasi-Unterlagengesetz, zur gungsbehörden bei den drei Regierungspräsidenten und, Rehabilitierung und Entschädigung nach den SED-Un- soweit gesundheitliche Schädigungen eingetreten sind, rechtsbereinigungsgesetzen, zur Rente, zur Behandlung den sechs Hessischen Ämtern für Versorgung und Sozia- verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden und zu den les. Archiven, in denen sich wichtige Unterlagen aus der Zeit In Ausführung eines Beschlusses des Hessischen Landta- der DDR befinden. Behörden werden zu Fragen der Be- ges vom April 2010, der das Ziel verfolgt, die Beratung wertung einer Tätigkeit für das MfS in der Einzelfallprü- von Opfern der SED-Diktatur in Hessen weiter zu verbes- fung und zur einschlägigen Rechtsprechung beraten. sern, hat die Landesregierung eine Reihe von Maßnah- men ergriffen bzw. umgesetzt. So werden u. a. von der Brandenburg Hessischen Landeszentrale für Politische Bildung regel- Die Mitarbeiter der Rehabilitierungsbehörde in Branden- mäßig Fortbildungen unter Einbeziehung von Betroffe- burg haben bereits mit Aufnahme ihrer Tätigkeit im Jah- nen und Experten angeboten, die Landesbedienstete in re 1994 einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Beratung der Beratung von SED-Opfern noch stärker für ihre Auf- von politisch Verfolgten gesehen. Gerade in der Anfangs- gabe sensibilisieren sollen. Beratung 37

Seit Januar 2010 steht auf der Internetseite des Hessi- heitsstörungen nach den SED-Unrechtsbereinigungsge- schen Sozialministeriums ein Informationsangebot zur setzen und dem Häftlingshilfegesetz, ist bei den Bera- SED-Opferentschädigung zur Verfügung. Hier wird zum tungstagen in der Fläche ebenfalls vertreten. Bei der einen auf die nach den Rehabilitierungsgesetzen mögli- Entscheidung über die Anerkennung von Gesundheits- chen Leistungen hingewiesen, zum anderen werden Zu- störungen stellt die niedersächsische Landessozialverwal- ständigkeiten und Kontakte benannt. Die entsprechen- tung einen hohen Qualitätsanspruch an die ärztlichen den Informationen der Hessischen Landeszentrale für Gutachterinnen und Gutachter und beauftragt aus- Politische Bildung sind verlinkt. Das Regierungspräsidi- schließlich Medizinerinnen und Mediziner, die mit den um Gießen hat eine Facharztstelle Neurologie/Psycholo- Problemen der Haftumstände in der DDR vertraut sind. gie eingerichtet, die sich schwerpunktmäßig um die Be- gutachtung von Folgeschäden durch die SED-Diktatur Sachsen und das entsprechende Qualitätsmanagement kümmert. In Sachsen bestehen Beratungsangebote durch den Lan- desbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheits- Auch das Schwerpunktprojekt „Politisch-historische dienstes der ehemaligen DDR zu Fragen der Rehabilitie- Aufarbeitung der SED-Diktatur“ bei der Landeszentrale rung von SED-Unrecht. Beratungsgespräche finden in für Politische Bildung versteht sich als Anlaufstelle für Dresden und an wechselnden Orten statt, eine Übersicht SED-Opfer in Hessen und schafft ihnen damit eine Mög- ist auf der Homepage des Landesbeauftragten zu finden. lichkeit, mit ihren Fragen und Nöten Gehör zu finden. Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern Der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssi- Die Geschäftsstelle der Landesbeauftragten Mecklen- cherheitsdienstes der ehemaligen DDR führt Beratungs- burg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicher- tage an verschiedenen Orten in Sachen-Anhalt durch. heitsdienstes der ehemaligen DDR in Schwerin steht Die Beratungsgespräche werden durch einen oder zwei Bürgern bei Fragen zur Akteneinsicht, zu möglichen Re- Berater aus der Behörde des Landesbeauftragten und ei- habilitierungsverfahren, zur sogenannten SED-Opfer- nen oder zwei Berater des Caritasverbandes für das Bis- rente oder auch bei allgemeinem Gesprächsbedarf zum tum Magdeburg e. V. übernommen, unterstützt von bis Thema DDR-Vergangenheit und Staatssicherheit zur Ver- zu zwei Mitarbeitern des Bundesbeauftragten für die Un- fügung. Fester Bestandteil ihres Beratungsangebotes terlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen sind die monatlichen Beratungstage in Rostock sowie ex- DDR aus den Außenstellen Halle oder Magdeburg. Anträ- terne Beratungstage. Eine Übersicht über Beratungstage ge auf strafrechtliche Rehabilitierung, berufliche Reha- im laufenden Jahr findet sich auf der Homepage der Ge- bilitierung und Anträge an die Stiftung für ehemalige schäftsstelle. politische Häftlinge in Bonn erforderten einen erhebli- chen Beratungsbedarf. Fast alle beratenen Personen Niedersachsen stellten einen Antrag auf Einsicht in „ihre“ Stasi-Akte.

Auch das Land Niedersachsen sieht in der Aufarbeitung In mehreren Fällen wurde eine weiterführende psycho- des SED-Unrechts und der Anerkennung seiner Opfer soziale Beratung gewünscht. Dieses zusätzliche Angebot ein herausragendes politisches Anliegen. Im Niedersäch- – ermöglicht durch den Einsatz der Berater der Caritas sischen Ministerium für Inneres und Sport wurde des- auch über die Beratungstage hinaus – konnte im Jahr halb eine eigene Beratungsstelle für Opfer der SED-Dik- 2010 erstmals in dieser Form der „Niederschwelligen tatur eingerichtet. Die Beratungsstelle ist Anlaufstelle Langzeitberatung“ angeboten werden. Sie wurde stark für die zahlreichen Opfer der SED-Diktatur, die hier le- nachgesucht. ben. In Zusammenarbeit mit der Behörde des Landesbeauf- Um im Flächenland Niedersachsen möglichst viele be- tragten für die Stasi-Unterlagen bietet die Universitäts- troffene Personen zu erreichen, werden regelmäßig Bera- klinik für Psychosomatische Medizin und Psychothera- tungstage in verschiedenen Städten durchgeführt. Die pie in Magdeburg eine psychosoziale Beratung für Beratungen finden in Zusammenarbeit mit Fachleuten SED-Verfolgte an. aus Sachsen-Anhalt statt; auch Vertreter der in Nieder- sachsen organisierten Opferverbände bzw. des Nieder- Thüringen sächsischen Netzwerks für SED- und Stasiopfer als Be- Um die Beratung der Betroffenen von SED-Unrecht zu troffene nehmen an diesen Beratungen teil, um mit ihrer gewährleisten, bildet die Förderung der Opferverbände Fachkompetenz die Veranstaltungen zu unterstützen. und der Beratungsinitiative (siehe unten) durch die Lan- Das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und desregierung eine wichtige Grundlage. Entsprechend der Familie, zuständig für die Anerkennung von Gesund- Richtlinie zur Gewährung von Zuschüssen für Angebote 38 Beratung zur Beratung, Betreuung und Aufarbeitung von SED- nach den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen zu betreu- Unrecht vom 9. Juli 2012 bezieht sich die Förderung bei en. Die Beratungsinitiative ist beim Caritasverband für den Verbänden auf Sachausgaben der bestehenden Bera- das Bistum Erfurt e. V. und beim Bürgerkomitee angesie- tungsstellen sowie Projekte und Betreuungsmaßnah- delt und wird vom Thüringer Sozialministerium und der men. Darüber hinaus werden bei der Beratungsinitiative Bundesstiftung Aufarbeitung finanziert. Letztere über- Sach- und Personalausgaben gefördert. nimmt seit dem Jahr 2002 eine Kofinanzierung in Höhe Insgesamt wurden bisher für die Förderung der Opfer- von jährlich 25 000 Euro. verbände und der Beratungsinitiative Landesmittel in In der Arbeit der Beratungsinitiative insgesamt verlagert Höhe von über 1,2 Mio. Euro verausgabt. sich zunehmend der Schwerpunkt. Es werden vorrangig nicht nur die Antragsverfahren zu den Rehabilitierungs- Thüringer Beratungsinitiative gesetzen, sondern zunehmend auch soziale Beratung Das Thüringer Sozialministerium und der Landesbeauf- und Betreuung bis hin zu Informationen zu Therapiean- tragte des Freistaats Thüringen für die Unterlagen des geboten nachgefragt. Unter diesem Fokus muss auch die Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR hatten Weiterentwicklung der Beratungsinitiative betrachtet 2002 die Beratungsinitiative gestartet, um SED-Opfer werden.

Teilsanierte Doppelhaushälfte.

6 Offene Vermögensfragen und Res­titutionen in den neuen Ländern Offene Vermögensfragen und Res­titutionen in den neuen Ländern 41

Die politischen Veränderungen während der Friedlichen reich endgültig Rechtsklarheit hergestellt. Der Gerichts- Revolution in der DDR 1989/90 waren mit dem Bedürf- hof hat die bestehende Rechtslage, wonach diese nis verbunden, materielles Unrecht wieder gutzuma- Enteignungen im Regelfall nicht rückgängig gemacht chen, das während der NS-Terrorherrschaft, der Besat- werden, ebenso wenig beanstandet wie die Bestimmun- zungszeit und der SED-Diktatur verursacht worden war. gen über die Höhe der Entschädigungsleistungen für die Noch die Volkskammer der DDR erarbeitete das Gesetz, Besatzungsenteignungen und die Enteignungen nach das die Wiedergutmachung von Vermögensschäden re- Gründung der DDR. gelt: Das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen Die Durchführung des Vermögensrechts ist Sache der (Vermögensgesetz – VermG –). Es trat mit dem Eini- Länder. Auf der Grundlage des Gesetzes hatten die Län- gungsvertrag in Kraft. Zentraler Gedanke dieses Gesetzes der Ämter und Landesämter zur Regelung offener Ver- ist die Wiedergutmachung von grob rechtsstaatswidri- mögensfragen zu errichten, die sowohl über die Rückga- gen Unrechtsmaßnahmen (§ 1 Absatz 1 bis 4 VermG). be als auch darüber, in welcher Höhe eine Entschädigung Eine vollständige Rückabwicklung der sozialistischen zu erfolgen hat, entscheiden. Zur Entlastung dieser Be- Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung war mit diesem hörden wurde ab dem Jahr 2004 die Zuständigkeit für Gesetz aber nicht vorgesehen. Neben der Wiedergutma- Entscheidungen über die Rückgabe und Entschädigung chung von DDR-Unrecht ist dort auch eine entsprechen- von Vermögensgegenständen, die in der Zeit der NS-Ter- de Wiedergutmachung von Vermögensunrecht aus der rorherrschaft entzogen worden waren, dem heutigen Zeit der NS-Terrorherrschaft auf dem Gebiet der DDR Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögens- vorgesehen (§ 1 Absatz 6 VermG). Dies erwies sich als er- fragen (BADV) übertragen. forderlich, weil eine effektive Wiedergutmachung von materiellem NS-Unrecht in der DDR nie erfolgt war. Von den Anträgen auf Rückgabe waren – ohne die Anträ- ge von NS-Verfolgten – über 2,2 Millionen Flurstücke er- Um den Grundstücksverkehr in den neuen Ländern fasst. Zum 31. Dezember 2011 waren insgesamt 99,4 Pro- nicht auf unabsehbare Zeit damit zu belasten, dass an zent der Rückübertragungsanträge entschieden. Im Vermögensgegenständen Rückgabeansprüche geltend Entschädigungsbereich sind von den über 557 000 An- gemacht werden können und um möglichst bald Rechts- sprüchen auf Entschädigung oder Ausgleichsleistung frieden einkehren zu lassen, wurde für die Anmeldung über 517 000 erledigt; dies entspricht einer Erledigungs- von Rückgabeansprüchen eine Schlussfrist gesetzt: An- quote von 93 Prozent. träge mussten bis zum 31. Dezember 1992 (für bewegli- che Sachen: bis zum 30. Juni 1993) eingereicht werden. Ansprüche auf Rückgabe und Entschädigung wegen Ver- Begleitend beschloss der Deutsche Bundestag Rechtsvor- mögenseingriffen in der Zeit der NS-Terrorherrschaft be- schriften, die dringend erforderliche Investitionen auch treffen fast 224 000 Vermögenswerte. Die Erledigungs- auf Grundstücken ermöglichten, die von Rückgabean- quote beträgt in diesem Bereich bislang 63 Prozent. Diese sprüchen betroffen waren. Verfahren haben sich als rechtlich und tatsächlich sehr kompliziert erwiesen. Hinzu kommt, dass die Ansprüche Die Wiedergutmachung erfolgt vorrangig dadurch, dass auf Rückübertragung von Unternehmen zunächst der der entzogene Vermögenswert dem Geschädigten oder Konkretisierung bedürfen, wobei festzustellen ist, wel- seinem Rechtsnachfolger zurückgegeben wird. Soweit che Vermögenswerte im Einzelnen von einem Antrag er- das aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht fasst sind. Mitunter verbirgt sich beispielweise hinter ei- möglich ist, hat der Berechtigte Anspruch auf Zahlung nem Antrag auf Rückgabe eines in der Zeit von 1933 bis einer Entschädigung. Eine Besonderheit gilt für Vermö- 1945 entzogenen Unternehmens, dass dieser sich heute genswerte, deren Entzug in der Zeit zwischen 1945 und auf hunderte von ehemaligen Unternehmensgrundstü- 1949 auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitli- cken bezieht. cher Grundlage erfolgte. Für diese Fälle gilt das Vermö- gensgesetz nicht, die Betroffenen haben Anspruch auf Aus dem Entschädigungsfonds wurden bis zum Ende des Zahlung einer Entschädigung (Ausgleichsleistung nach Jahres 2011 insgesamt 1,927 Mrd. Euro als Entschädigung dem Ausgleichsleistungsgesetz). Mit der Entscheidung für nicht zurückgegebene Vermögenswerte an NS-Ver- der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für folgte und 1,560 Mrd. Euro an Entschädigungs- und Aus- Menschenrechte vom 30. März 2005 zu den Bodenre- gleichsleistungen für die Enteignungen nach 1945 geleis- form- und Industrieenteignungen wurde in diesem Be- tet. Strafrechtliche Standardkommentare.

7 Strafrechtliche Aufarbeitung Strafrechtliche Aufarbeitung 43

Die strafrechtliche Aufarbeitung, d. h. die Bestrafung der Die Strafverfahren zur Aufarbeitung von in der SBZ bzw. Verantwortlichen, stellt neben der Rehabilitierung und in der DDR staatlich begangenem Unrecht haben nach Entschädigung der SED-Opfer und neben dem Themen- einer Mitteilung der betroffenen Länder – bei verschie- feld „Restitutionen und offene Vermögensfragen“ die denartiger Erfassung und Einordnung – im Wesentli- dritte Komponente der rechtlichen Aufarbeitung der chen folgende Ergebnisse erbracht: SED-Diktatur dar. Für die strafrechtliche Bewältigung –– Berlin: des SED-Unrechts, der sogenannten Regierungskrimina- 335 Anklagen, davon 111 Anklagen wegen Gewaltta- lität, sind in erster Linie die Strafverfolgungsbehörden ten an der Grenze (verurteilt wurden 119 Personen), und die Gerichte der Länder zuständig. Sie stehen dabei 159 Anklagen wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit vor der schwierigen Aufgabe, ein in 40 Jahren entstande- Totschlag oder Freiheitsberaubung (verurteilt wurden nes staatliches Unrecht mit den Mitteln des Rechts auf- 53 Personen) und 194 Anklagen wegen vereinigungs- zuarbeiten. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere bedingter Wirtschaftsdelikte (verurteilt wurden 163 daraus, dass das Strafrecht der Bundesrepublik Deutsch- Personen). land auf die Bewältigung staatlichen Unrechts in der DDR nicht zugeschnitten war und ist: Im Rechtsstaat –– Brandenburg: sanktioniert das Strafrecht individuelle Verstöße des Anklagen gegen 124 Beschuldigte, davon 80 Urteile, Einzelnen gegen die Rechtsordnung, während sich die davon zwölf Verurteilungen von Bediensteten ehema- Verantwortung für staatliches Unrecht in der DDR häu- liger Strafvollzugseinrichtungen wegen Körperverlet- fig auf viele behördliche Stufen erstreckt. Nachträglich zung und Freiheitsberaubung. ein neues „passendes“ Strafrecht für die Regierungskri- –– Mecklenburg-Vorpommern: minalität zu schaffen, hätte gegen die engen verfas- 60 Anklagen, 27 Beschuldigte wurden verurteilt. sungsrechtlichen Grenzen, denen das Strafrecht unter- liegt, verstoßen. Denn nach Artikel 103 Absatz 2 des –– Sachsen: Grundgesetzes darf sich das Strafrecht keine rückwir- 279 Ermittlungsverfahren (mit Anklageerhebung oder kende Geltung beimessen und nur das ahnden, was be- Antrag auf Erlass eines Strafbefehls) gegen 306 Be- reits bei Tatbegehung durch das Gesetz mit Strafe be- schuldigte, davon 13 Verfahren gegen 28 Beschuldigte droht ist. Dieses Justizgrundrecht ist unter anderem wegen Wahlfälschung (28 Verurteilungen), 136 Ver- Ausprägung verschiedener, durch die Ewigkeitsgarantie fahren gegen 126 Beschuldigte wegen Rechtsbeugung des Artikels 79 Absatz 3 des Grundgesetzes besonders ge- (90 Verurteilungen), 59 Verfahren gegen 65 Beschuldig- schützter Garantien (Menschenwürde, Rechtsstaatlich- te wegen Körperverletzung – ohne Doping – (33 Verur- keit) und Einschränkungen daher nur bedingt zugäng- teilungen), neun Verfahren wegen Doping (neun Be- lich. Gleichwohl steht das Strafrecht den Taten der schuldigte, sechs Verurteilungen), sieben Verfahren Verantwortlichen eines Unrechtsstaates keineswegs hilf- gegen zehn Beschuldigte wegen Urkundsdelikten (drei los gegenüber. Es sind nur realistisch die Grenzen zu se- Verurteilungen), zwei Verfahren wegen politischer hen, die einer rechtsstaatlichen Justiz bei der Bewälti- Verdächtigung (zwei Beschuldigte, eine Verurteilung), gung ihrer Aufgaben gesteckt sind. 41 Verfahren gegen 50 Beschuldigte wegen „MfS-De- Das Strafrecht konnte nach diesen rechtsstaatlichen likten“ (14 Verurteilungen), drei Verfahren gegen fünf Grundsätzen nicht das System als Ganzes aburteilen, Beschuldigte wegen Untreue (vier Verurteilungen) und sondern musste die Zusammenhänge aufklären, in de- neun Verfahren gegen elf Beschuldigte wegen Tö- nen einzelne Menschen innerhalb des Systems für gra- tungsdelikten (sechs Verurteilungen). vierendes Unrecht individuell verantwortlich waren. Die –– Sachsen-Anhalt: Justiz hat sich dabei vorrangig auf schwere Mensch- 79 Anklagen, davon 37 Anklagen wegen Tötungsdelik- rechtsverletzungen insbesondere an der innerdeutschen ten an der innerdeutschen Grenze und sechs Anklagen Grenze konzentriert. Die Strafverfahren haben die Indi- wegen Körperverletzungen im DDR-Strafvollzug. vidualität von Tätern und Opfern öffentlich wahrnehm- bar gemacht. Die Schuldigen sind benannt und bis auf –– Thüringen: wenige Ausnahmen nach dem Maßstab ihrer individuel- 103 Anklagen, 92 Angeklagte sind verurteilt worden. len Schuld bestraft worden, ganz gleich an welcher Stelle Heute lässt sich feststellen, dass die strafrechtliche Auf- der Hierarchie sie gestanden haben. Die Strafverfahren arbeitung des DDR-Unrechts in der öffentlichen Diskus- haben außerdem deutlich gemacht, dass für begangenes sion kaum noch eine wahrnehmbare Rolle spielt. Das hat Unrecht nicht abstrakte Systeme und Apparate, sondern auch mit dem inzwischen bewältigten Arbeitspensum zu Menschen verantwortlich waren und dass es auch für die tun. Die Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Ber- Mächtigen keinen straffreien Raum gibt. lin, die für alle Ermittlungen zur Regierungs- und Verei- nigungskriminalität zuständig war, hat 1999 ihre Arbeit 44 Strafrechtliche Aufarbeitung beendet. Die strafrechtliche Auseinandersetzung ist in Rede stehenden Delikten – mit Ausnahme besonders weitgehend abgeschlossen. Prozesse, die für eine größere schwerer Delikte – inzwischen die absolute Verjährung Öffentlichkeit von Interesse wären, finden nicht mehr eingetreten und eine Strafverfolgung daher ausgeschlos- statt. Außerdem ist zu beachten, dass im Regelfall bei den sen ist.

Schülergruppe bei einem Projekttag in der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg (Berlin, Januar 2013).

8 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 47

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung lifiziert ist, die vom Bundestag alle fünf Jahre gewählt der SED‑Diktatur werden. Darüber hinaus entsendet die Bundesregierung entsprechend der Zahl der Fraktionen Mitglieder in den Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Rat, in dem auch das Land Berlin mit einem Mitglied ver- fördert seit 1998 die umfassende, kontinuierliche und treten ist. Die Stiftung bedient sich der Expertise zweier pluralistische Auseinandersetzung mit den Ursachen, namhaft besetzter Fachbeiräte, die die Stiftung zum ei- der Geschichte und den Folgen der kommunistischen nen in Fragen der gesellschaftlichen Aufarbeitung und Diktatur sowie der deutschen und europäischen Teilung. des Opfergedenkens, zum anderen im Bereich Wissen- Mit ihrer Projektförderung garantiert die Bundesstif- schaftsförderung beraten. Die Rechtsaufsicht über die tung nicht nur den Fortbestand zivilgesellschaftlicher Bundesstiftung Aufarbeitung obliegt seit Anfang 2005 Aufarbeitung insbesondere in Ostdeutschland. Die von BKM, vorher lag sie beim BMI. der Stiftung bundesweit geförderten Vorhaben sowie ihre vielfältigen eigenen Angebote tragen zudem wesent- Das Rückgrat der Stiftungsarbeit bildet die Geschäfts- lich dazu bei, die Geschichte der SED-Diktatur in der ge- stelle mit derzeit 22,5 Stellen. 2011 betrug der Jahresetat samtdeutschen Erinnerungskultur zu verorten und die der Bundesstiftung rund 5,5 Mio. Euro, der sich aus ei- Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur nem Bundeszuschuss in Höhe von rund 2,8 Mio. Euro wach zu halten. Die Bundesstiftung kommt so ihrem Ge- und dem Ertrag eines Stiftungskapitals in Höhe von setzesauftrag nach, den antitotalitären Konsens in der rund 77 Mio. Euro speiste. Von dem angelegten Stif- Gesellschaft zu stärken. Die Bundesstiftung Aufarbei- tungskapital hat der Bund 75 Mio. Euro aus Mitteln des tung fördert die historisch-politische Bildung, das Opfer- sogenannten früheren SED-Parteivermögens (PMO-Mit- gedenken, die internationale Zusammenarbeit und die tel) zur Verfügung gestellt. Wissenschaft nicht nur materiell und ideell durch viel- fältige Impulse und Dienstleistungen. Die Bundesstif- Die Arbeit der Stiftung tung verfügt auch über ein Archiv sowie eine Spezialbib- Die Bundesstiftung Aufarbeitung ist gleichermaßen Im- liothek, die Dokumente und Publikationen zur pulsgeberin und Förderin der gesellschaftlichen Aufar- Geschichte von Repression und Opposition in der SBZ beitung, der historisch-politischen Bildungsarbeit, der und der DDR sowie in den kommunistischen Diktaturen schulischen Bildung sowie der Wissenschaft, Koordina- sammeln und zugänglich machen. torin der internationalen Zusammenarbeit bei der Aus- einandersetzung mit Diktaturen wie auch Fürsprecherin Entstehung und Struktur der der Opfer der SED-Diktatur, indem sie etwa bei Fragen Bundesstiftung Aufarbeitung der Opferentschädigung Gutachten und Empfehlungen Zwischen 1992 und 1998 beschäftigten sich zwei En- formuliert. Besondere Bedeutung misst die Bundesstif- quête-Kommissionen des Deutschen Bundestages mit tung Aufarbeitung der Erinnerung an Widerstand und der Geschichte der SED-Diktatur sowie ihren Folgen für Opposition in der SBZ und der DDR und dem Gedenken die Deutsche Einheit. Auf Empfehlung der zweiten Kom- an die Opfer der Diktatur bei. mission verabschiedete der Deutsche Bundestag am 2. Die Bundesstiftung Aufarbeitung hat seit 1998 bundes- April 1998 das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung weit rund 32 Mio. Euro an Projektpartner ausgereicht. zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Regierungs- und Mit ihrer Unterstützung konnten seitdem im Rahmen Oppositionsfraktionen stimmten zu, lediglich die PDS von bislang 2 236 Projekten Archivbestände erschlossen, enthielt sich der Stimme. Die Überparteilichkeit des Dokumentarfilme gedreht, Bücher und Doktorarbeiten Gründungskonsenses wurde zum Grundsatz der Bundes- geschrieben und gedruckt, Ausstellungen erarbeitet und stiftung Aufarbeitung, die im Herbst 1998 ihre Arbeit gezeigt, Seminare und Konferenzen realisiert, Bildungs- aufnehmen konnte. medien erstellt, die Arbeit der Verbände der Opfer der Mit der Entscheidung, die Aufarbeitung der kommunis- SED-Diktatur fortgesetzt, Gedenkstätten weiterentwi- tischen Diktatur einer bundesunmittelbaren Stiftung ckelt und Museen ausgebaut sowie zeithistorische Inter- des öffentlichen Rechts zu übertragen, hatte sich das Par- netangebote online gestellt werden. Mit seit 1998 rund lament für eine Rechtsform entschieden, die der Bundes- 450 eigenen Veranstaltungen und mehr als 200 seitdem stiftung Aufarbeitung ein Höchstmaß an Autonomie ge- vorgelegten Publikationen aller Art setzt die Bundesstif- währt. An der Spitze der Stiftung steht der Stiftungsrat, tung einerseits Themen und fungiert andererseits als der über Grundsatzfragen sowie insbesondere über den Dienstleisterin und – im besten Sinne – als Lobbyistin in Stiftungshaushalt entscheidet. Das oberste Stiftungsor- Sachen Aufarbeitung. Die Vernetzung der unterschied- gan setzt sich zusammen aus je einem Vertreter der im lichsten Institutionen der Aufarbeitung im In- und Aus- Bundestag befindlichen Fraktionen sowie je einer von je- land zählt weiterhin zu den Schwerpunkten der Stif- der Fraktion benannten Person, die in Fragen der Aufar- tungsarbeit. Die in der internationalen Zusammenarbeit beitung der SED-Diktatur besonders engagiert und qua- praktizierten Grenzüberschreitungen betreffen Koope- 48 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung rationen der Wissenschaft, der schulischen und außer- tenzsicherung wurden vielfach zur Voraussetzung dafür, schulischen Bildung, Museen und Gedenkstätten, die dass sich eine steigende Zahl an Ländern und Kommu- von der Bundesstiftung direkt oder indirekt auf dem nen in die Pflicht nehmen ließ, besonders herausragende Wege der Projektförderung unterstützt werden. Einrichtungen der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung mittel- und/oder langfristig zumindest ansatzweise fi- Die erfolgreiche Arbeit der Bundesstiftung Aufarbeitung nanziell abzusichern. Mit dem über die Bundesstiftung wurde 2003 auch durch eine erste größere Zustiftung ge- Aufarbeitung vorgehaltenen Förderangebot trägt der würdigt. Das Ehepaar Gerda und Hermann Weber hat im Bund der Bedeutung Rechnung, die er der Auseinander- Frühjahr 2003 die unselbstständige und gemeinnützige setzung mit der kommunistischen Diktatur und der Stiftung „Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung“ in Treu- deutschen Teilung sowie deren Folgen beimisst. händerschaft der Bundesstiftung errichtet. Die Gerda- und-Hermann-Weber-Stiftung will die Auseinanderset- Dem Gedenken an die Opfer der Diktatur in SBZ und zung mit der Geschichte des deutschen und internatio- DDR sowie deren moralische und materielle Rehabilitati- nalen Kommunismus im 20. Jahrhundert in Wissen- on widmet die Bundesstiftung Aufarbeitung besondere schaft und politischer Bildung befördern und dazu Aufmerksamkeit. Dies spiegelt sich in der kontinuierli- beitragen, die Ursachen, Geschichte und Wirkung der chen Förderung der Vereinigungen wider, in denen sich SED-Diktatur zu erhellen und diese in die Gesamtge- insbesondere Häftlinge von Lagern und Gefängnissen schichte des Kommunismus einzuordnen. zusammengeschlossen haben. Die Bundesstiftung Auf- arbeitung gewährleistete mit ihrer Projektförderung Die Bundesstiftung Aufarbeitung hat sich seit ihrer nicht nur deren Betreuungs- und Bildungsarbeit, son- Gründung im Jahre 1998 zur zentralen, überparteilich dern auch den Fortbestand der Union der Opferverbände agierenden Institution des Bundes zur Aufarbeitung der kommunistischer Gewaltherrschaft als deren Dachver- Geschichte und Folgen der kommunistischen Diktatur band, der sich auf nationaler und internationaler Ebene sowie der deutschen und europäischen Teilung entwi- für die Interessen der Opfer einsetzt. Insgesamt stellte ckelt. Sie gewährleistet mit ihrer Projektförderung bun- die Stiftung den Opferverbänden bislang rund 3 Mio. desweit die kontinuierliche, pluralistische und gesamtge- Euro für ihre verschiedenen Projektvorhaben zur Verfü- sellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. gung. Novellierungen der Unrechtsbereinigungsgesetze Eine gesamtgesellschaftliche Beschäftigung mit der SBZ sowie die 2007 eingeführte sogenannte SED-Opferrente und der DDR kann nicht vom Staat zentral verordnet (vgl. S. 27) gingen auf die gemeinsame Beratungs- und und geleistet werden. Sie gelingt nur durch die Aktivitä- Lobbytätigkeit der Bundesstiftung und der Opferverbän- ten und das Zusammenwirken der zahlreichen Aufarbei- de zurück, die hierzu durch die Stiftungsförderung über- tungsinstitutionen auf Bundes-, Landes-, regionaler und haupt erst finanziell in die Lage versetzt wurden. Zur kommunaler Ebene in öffentlicher und freier Träger- moralischen Rehabilitation der Diktaturopfer zählt die schaft. Erst die enge Verbindung unterschiedlicher An- Arbeit wider das Vergessen, die von der Bundesstiftung sätze, verschiedener Motivationen und Interessen führt Aufarbeitung durch die umfangreiche Förderung von dabei zu einer Gesamtheit, die die Vielfalt der gesell- Ausstellungen, Gedenkstättenarbeit, Publikationen, Fil- schaftlichen Aufarbeitung dokumentiert. Es ist vor allem men und wissenschaftlichen Forschungsarbeiten als der Arbeit von Universitäten und Forschungsinstituten, Querschnittsaufgabe der gesamten Stiftungstätigkeit be- Bildungseinrichtungen, Museen und Gedenkstätten, trieben wird. staatlichen und unabhängigen Archiven, Aufarbeitungs- Das Fundament der Erinnerung sind die historischen initiativen und Opferverbänden geschuldet, dass diese Fakten und ihre wissenschaftliche Erforschung. Die Thematik nach wie vor starke öffentliche Aufmerksam- Bundesstiftung Aufarbeitung konzentriert sich in die- keit erfährt. Die Bundesstiftung Aufarbeitung leistet sem Bereich auf die Förderung des wissenschaftlichen durch die finanzielle Unterstützung vieler dieser Ein- Nachwuchses und befördert durch die Bereitstellung von richtungen sowie die enge Zusammenarbeit mit den In- Sachmitteln den Wissenstransfer innerhalb der For- stitutionen der Aufarbeitung dazu einen ganz wesentli- schung sowie von dort in die Gesellschaft. Durch die Ver- chen Beitrag. gabe von mittlerweile über 90 Promotionsstipendien Die Projektförderung der Bundesstiftung war und ist der vermochte die Bundesstiftung nicht nur junge Akademi- Garant für die Existenz zivilgesellschaftlich verwurzelter ker an das Thema DDR-Geschichte und deutsche Teilung Institutionen der DDR-Aufarbeitung insbesondere in heranzuführen, sondern auch gewichtige Beiträge zur Ostdeutschland und Berlin. Mit dem Förderangebot ver- Grundlagenforschung zu leisten. Mit Druckkostenzu- band die Bundesstiftung zugleich die Forderung an ihre schüssen und der Förderung von Tagungen sorgt die Antragsteller, die eigene Arbeit kontinuierlich zu profes- Bundesstiftung zudem kontinuierlich dafür, dass die Er- sionalisieren. Professionalisierung und temporäre Exis- träge der Wissenschaft diskutiert und verbreitet werden. Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 49

Besonderen Stellenwert haben dabei Forschungen, die tusministerien, Schulverwaltungen und Lehrerfortbil- sich mit Opposition und Widerstand sowie deren Verfol- dungseinrichtungen „gebucht“ und von der Stiftung gung durch die SED-Diktatur befassen. Auf diese Weise jeweils vor Ort für Lehrerinnen und Lehrer und andere befruchtet auch die Wissenschaftsförderung die Initiati- Multiplikatoren ausgerichtet werden können. Seit Mitte ven der Stiftung im Bereich der Erinnerungskultur. Der des Jahres 2009 fanden bundesweit mehr als dreißig Ver- Wissenstransfer innerhalb und außerhalb der scientific anstaltungen statt, an denen rund 800 Lehrkräfte teil- community wird von der Bundesstiftung insbesondere nahmen. Weitere themenspezifische Seminare werden auch durch Fachtagungen und Vortragsreihen befördert. derzeit entwickelt, darunter ein methodisches Angebot, Von der Stiftung u. a. am Institut für Zeitgeschichte, an das sich an Lehrkräfte richtet, die in Schulklassen mit der Humboldt-Universität Berlin und am Hannah-­ hohem Migrationsanteil unterrichten. Arendt-Institut (Dresden) geförderte Tagungen und Kon- Vielfältig gestalten sich mittlerweile die Materialangebo- ferenzen bilanzierten die Forschungen zur SED-Diktatur te der Bundesstiftung Aufarbeitung für die schulische sowie zum geteilten wie auch zum vereinten Deutsch- und außerschulische Bildungsarbeit. Diese richten sich land. Starken Publikumszuspruch fanden Vortragsreihen zuvorderst an Multiplikatoren, also an Mittler der politi- zur Geschichte der SED (2010, gemeinsam mit dem Zen- schen Bildung sowie an Institutionen der Lehrerfort- trum für Zeithistorische Forschung und dem Institut für und -weiterbildung. Lehrer bzw. Schulen besitzen mit der Zeitgeschichte) sowie zur Geschichte des stalinistischen Terrors (2011, gemeinsam mit dem Lehrstuhl Prof. Jörg Stiftung aber auch einen direkten Ansprechpartner und Baberowski, Humboldt-Universität Berlin). 2003 erschien finden auf der Stiftungswebsite die unterschiedlichsten im Schöningh-Verlag der Sammelband „Bilanz und Per- Materialangebote, die rege abgefragt werden. Als ein be- spektiven der DDR-Forschung“, dessen Autoren eine sys- sonders innovatives Bildungsangebot erwies sich das tematische Gesamtschau der zeithistorischen Forschung Konzept, zeitgeschichtliche Ausstellungen in hoher Auf- zur SED-Diktatur und zur deutschen Teilung vornah- lage in Plakatform zu drucken und nicht nur bundesweit, men. sondern auch international zu verbreiten. Hatte die Deutschlandauflage der Schau zu „20 Jahre Friedliche Die heutigen Schülergenerationen verfügen über keiner- Revolution und Deutsche Einheit“ noch eine Auflage von lei persönliche Erinnerung an die Zeit der Teilung und 500 Exemplaren und die gemeinsam mit dem Magazin den fundamentalen Systemgegensatz der westdeutschen Stern 2010 verbreitete Exposition zum Alltag in der DDR Demokratie und der ostdeutschen Diktatur nach 1945. bereits 1 500 Exemplare gezählt, übertraf die Ausstellung Mit ihren Studien zum Schülerwissen sowie zu Lehrplä- „Die Mauer. Eine Grenze durch Deutschland“ 2011 im nen stieß die Bundesstiftung nicht nur Folgeprojekte an, fünfzigsten Jahr des Mauerbaus die Erwartungen bei sondern auch eine bis heute anhaltende Debatte über den weitem. Bis Herbst 2011 konnten rund 4 000 Ausstel- Stellenwert des Themas DDR-Geschichte im Unterricht. lungsexemplare vor allem an Schulen im gesamten Bun- Zur Beförderung der vielfältigen Bildungsarbeit trägt desgebiet abgegeben werden. Zu allen zeithistorischen auch das seit 2008 von der Bundesstiftung mit finanziel- Ausstellungen stellt die Bundesstiftung umfängliche di- ler Unterstützung von Bund und Ländern auf- und mit daktische Begleitmaterialien sowohl für die schulische Mitteln von BKM ausgebaute Online-Zeitzeugenportal als auch außerschulische Bildungsarbeit zur Verfügung. (www.zeitzeugenbuero.de) bei, in dem nicht nur 200 Derlei Handreichungen finden sich auch im ROM-Teil der Zeitzeugen angesprochen werden können, sondern auch DVD-Edition, in der die Bundesstiftung zwischenzeitlich vielfältige weiterführende Angebote, wie didaktische 15 von ihr in der Vergangenheit geförderten TV-Doku- Materialien, Sachinformationen sowie Links zu Partner- mentationen für die Bildungsarbeit zugänglich macht. institutionen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus be- Flankiert werden diese Bildungsangebote durch eine teiligt sich die Bundesstiftung Aufarbeitung am Koordi- Broschürenreihe, die die Bundesstiftung Aufarbeitung nierenden Zeitzeugenbüro (ein ausführlicher Beitrag gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bil- hierzu findet sich am Ende von Kapitel 8). Der „Bildungs- dung Thüringens verlegt. Mittlerweile sind in dieser Rei- katalog“, eine Datenbank der Stiftung, verzeichnet mitt- he über 14 Hefte erschienen, die jeweils auf rund 100 Sei- lerweile über 220 didaktische Materialien, die ausdrück- ten Fragen an die DDR-Geschichte auf anschauliche und lich für den Einsatz in der schulischen und außer­ gut lesbare Weise beantworten. schulischen Bildungsarbeit zur Geschichte der SBZ/DDR und deutschen Teilung sowie deren Überwindung, die Das papierne Gedächtnis insbesondere von Opposition Friedliche Revolution und Deutsche Einheit erstellt wur- und Widerstand gegen die SED-Diktatur zu wahren, das den und bundesweit von den verschiedensten Anbietern Schrifttum zu diesem Thema zu sammeln und zu prä- ­vorgehalten werden (www.stiftung-aufarbeitung.de/­ sentieren sowie die Aufarbeitung der SED-Diktatur seit bildungskatalog). Die Stiftung bietet derzeit sechs the- 1990 zu dokumentieren, besitzt für die Bundesstiftung menspezifische Fortbildungsseminare an, die von Kul- Aufarbeitung besonderen Stellenwert. Sie unterhält da- 50 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung für einerseits ein eigenes Archiv (mit 750 lfm Archivgut die den Kontext zu bevorstehenden Jahrestagen sowie und rund 800 000 Fotos), eine Bibliothek (mit rund Themenschwerpunkten der Aufarbeitung vermitteln. 45 000 Medieneinheiten) sowie eine Dokumentations- Generell legt die Bundesstiftung Aufarbeitung kontinu- stelle, die nicht nur die Medienberichterstattung zu Fra- ierlich einen Schwerpunkt auf die Vermittlung histori- gen der Aufarbeitung sammelt, sondern auch Selbstdar- scher Sachverhalte sowie der vielfältigen Projektergeb- stellungen, Veranstaltungsprogramme u. ä. Dokumente nisse, die aus ihrer Eigentätigkeit sowie ihrer Förderung anderer Einrichtungen, die sich mit dem Themenfeld der resultieren. Dreimal jährlich erscheint ihr Newsletter Stiftung befassen. Andererseits fördert die Bundesstif- „Bundesstiftung Aufarbeitung Aktuell“, der 2010 aus tung insbesondere Archive, die aus der DDR-Bürgerbe- dem seit 1994 erscheinenden Newsletter „Aktuelles aus wegung hervorgegangen sind und die in Berlin und Ost- der DDR-Forschung“ hervorgegangen ist. Mit ihrem His- deutschland Dokumente der Opposition sammeln und torischen Kalenderdienst informiert die Stiftung sechs archivieren. Die Bundesstiftung ist zu einer Schnittstelle Mal im Jahr die Medien über große und kleine histori- zwischen dem staatlichen Archivwesen und den Archi- sche Jahrestage. Die von der Stiftung über Jahre aufge- ven und Sammlungen zivilgesellschaftlicher Initiativen baute historische Datenbank ist Grundlage ihres Ta- geworden, die sie kontinuierlich nicht nur materiell, son- schenkalenders „Erinnerung als Auftrag“. Dieser dern auch auf dem Wege der Archivberatung unterstützt. erscheint alljährlich in einer Auflage von fünf- bis zehn- Zu den herausragenden Archivbeständen der Bundesstif- tausend Exemplaren, die zum Teil von verschiedenen In- tung zählen das Schriftgut der beiden Enquete-Kommis- stitutionen mitgedruckt und verteilt werden, so etwa sionen des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der vom Bundespresseamt. In diesem Taschenkalender fin- SED-Diktatur (12. und 13. Wahlperiode), das Archiv un- det sich jeweils eine Tageschronik, so etwa des Jahres des terdrückter Literatur, eine Reihe von Vorlässen (u. a. von Mauerbaus 1961 im Kalender 2011 und des Jahres des Markus Meckel, Rainer Eppelmann und Prof. Dr. Dr. h. c. DDR-Volksaufstand 1953 im Kalender 2013. Die Bundes- Hermann Weber), der bildkünstlerische Nachlass von stiftung hat sich als ein verlässlicher Ansprechpartner Roger Loewig sowie das Bildarchiv des vormaligen Spie- der Medien etabliert, die in jährlich mehr als 200 Anfra- gel-Fotografen Klaus Mehner und zahlreiche Zeitzeugen- gen Unterstützung bei Recherchen sowie der Suche nach interviews. Zeitzeugen erhalten und kontinuierlich über Pressemit- Ziel der Bundesstiftung Aufarbeitung ist es, die Ge- teilungen über die Arbeit der Stiftung und die Ergebnisse schichte der Teilung, der kommunistischen Diktatur in der von ihr geförderten Projekte informiert werden. Deutschland, deren Opfer und insbesondere des Wider- standes und der Opposition gegen diese Diktatur im his- Im Verlauf eines Jahrzehnts konnte die Bundesstiftung torischen Bewusstsein der Ost- und (!) der Westdeut- Aufarbeitung ein Instrumentarium und ein Bildungsan- schen als Thema von gesamtdeutscher Bedeutung zu gebot entwickeln, mit dem nicht nur auf Bundes- und verankern. Zu diesem Zweck hat die Bundesstiftung seit Länderebene Veranstaltungen und Wortmeldungen aller 2001 mit beständig wachsender Systematik und Wirk- Art angestoßen werden, sondern mittlerweile buchstäb- samkeit historische Jahrestage dafür genutzt, öffentliche lich tausende von Kommunen und vor allem Schulen da- Aufmerksamkeit auf ihr Thema zu lenken: 40 Jahre Mau- für gewonnen werden, sich mit kommunistischen Dikta- erbau im Jahre 2001, 50 Jahre Volksaufstand vom 17. Juni tur in Deutschland, der deutschen Teilung, der Fried­ 2003, fünfzehn Jahre Friedliche Revolution und deutsche lichen Revolution und dem vereinigten Deutschland Einheit 2004/2005, deren 20. Jahrestage 2009 und 2010. aktiv auseinanderzusetzen – und zwar in Ost- und in Westdeutschland. Mit den seit 2008 stattfindenden Geschichtsmessen hat die Bundesstiftung ein jährliches Forum etabliert, das Die Bundeszentrale für politische Bildung die bundesweite Netzwerkbildung und Kooperation för- Die Auseinandersetzung mit der deutschen Zeitgeschich- dert. Die Geschichtsmesse, die im Frühjahr 2012 zum te gehört seit jeher zu den Kernaufgaben der Bundeszent- fünften Mal in Suhl stattgefunden hat, versammelte 300 rale für politische Bildung, einer Behörde im Geschäfts- Träger der kommunalen Bildungs- und Kulturarbeit, bereich des BMI. Insofern nimmt auch die Auseinander- Lehrer, Vertreter von Museen und Gedenkstätten, Mitt- setzung mit der SED-Diktatur sowie der deutschen ler der historisch-politischen Bildungsarbeit sowie Medi- envertreter und ist mittlerweile zu einem zentralen jähr- Teilung und Vereinigung und damit auch deren Auf­ lichen Forum der „Public History“ in Deutschland arbeitung eine zentrale Stellung in der Arbeit der BpB geworden. Ganz im Sinne einer klassischen Messe wer- ein. den vor Ort neue Ausstellungen präsentiert, „best-prac­ tice-Beispiele“ innovativer Bildungsangebote vorgestellt Die Arbeit der BpB seit 1989 und zur Nachahmung bzw. Adaption empfohlen sowie Seit dem Mauerfall am 9. November 1989 hat sich die Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen angeboten, Bundeszentrale für politische Bildung zunächst noch in Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 51 der DDR, dann in den neuen Ländern engagiert. Die BpB Die BpB beteiligte sich außerdem konzeptionell und fi- stellte zunächst Buchpakete zur Verfügung, die an alle nanziell an den in den ersten Jahren der Einheit prakti- Schulen und Bibliotheken der DDR verschickt wurden. zierten Schulpartnerschaften. Hier ging es darum, dass Sie umfassten Materialien zu Aufbau und Struktur des sich Schulklassen aus den alten und den neuen Länder parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepu- mehrfach trafen und ein gemeinsames Projekt (z. B. zum blik Deutschland, zur Funktionsweise der sozialen Thema Umwelt) erarbeiteten. Auf diese Weise wurde der Marktwirtschaft sowie zu Aufbau und Funktionsweise Austausch zwischen Schülern aus Ost und West geför- der Kommunen, aber auch allgemeine Nachschlagewer- dert. ke, Handbücher zu Geschichte und Politik sowie zahlrei- Speziell für die Lehrkräfte des Faches Sozialkunde/poli- che Ausgaben der Informationen zur politischen Bil- tische Bildung/Gemeinschaftskunde wurde eine neue dung. Reihe mit dem Titel „Thema im Unterricht“ entwickelt. Des Weiteren wurden Seminare und Tagungen für Mul- Der Inhalt dieser Hefte wurde im Rahmen von Autoren- tiplikatoren und interessierte Bürger sowie für Politiker konferenzen, an denen Lehrer aus den alten und den und ehrenamtlich Tätige angeboten, die sich beim Auf- neuen Ländern teilnahmen, erarbeitet. War diese Reihe bau einer neuen kommunalen Infrastruktur engagieren auch zunächst auf die Lehrkräfte in den neuen Ländern wollten. Zusätzlich wurden beachtliche Zuwendungen ausgerichtet, so wurde sie in den folgenden Jahren auch (finanzielle Sondermittel) an die freien Träger erteilt, die in den alten Ländern gerne genutzt. So wurde beispiels- mit Seminaren oder Beratungsangeboten den Aufbau der weise das Heft „Grundgesetz für Einsteiger“ mittlerweile Demokratie von unten begleiteten. Spezielle Seminare in einer Auflage von rund 3 Millionen abgefragt. wurden auch für Lokaljournalisten entwickelt, um sie mit ihrer neuen Rolle im Meinungsbildungsprozess ver- Neben den Maßnahmen, die darauf ausgerichtet waren, traut zu machen und Unterstützung für den journalisti- den Bürgerinnen und Bürgern der neuen Länder Kennt- schen Alltag zu leisten. nisse über das neue politische und wirtschaftliche Sys- tem zu vermitteln, wurden dann auch Angebote mit Im Rahmen des föderativen Wiederaufbaus der fünf neu- Blick auf die gesamte Bevölkerung entwickelt. Denn das en Länder standen die BpB und die Landeszentralen für Ziel, der Bevölkerung in Ost und West gegenseitiges Wis- politische Bildung den Ministerpräsidenten beratend zur sen zu vermitteln, gemeinsame Lernprozesse zu organi- Seite. Dabei wurde vor allem die Notwendigkeit unter- sieren und damit Verständnis zu erzeugen, sollte in den strichen, die Schaffung von Landeszentralen für politi- Folgejahren Priorität erlangen. sche Bildung in den fünf neuen Ländern voranzutreiben. Bald verfügte jedes neue Bundesland über eine eigene Im Jahr 1998 wurde eine neue Buchreihe unter dem Titel Landeszentrale. „Deutsche Zeitbilder“ entwickelt. Sie griff zentrale The- men der DDR-Geschichte, der deutsch-deutschen Bezie- Im Zentrum der Aktivitäten der BpB stand außerdem die hungen, des Weges zur Einheit und des Vereinigungspro- Qualifizierung von Lehrern für das Fach Sozialkunde/ zesses auf. Die einzelnen Ausgaben sollten für einen politische Bildung/Gesellschaftskunde. Nachdem die breiten Nutzerkreis eine übersichtlich strukturierte, ehemaligen Lehrkräfte für Staatskunde der DDR keinen fachlich seriöse, leicht verständliche und anschauliche Unterricht mehr erteilen durften, wurde politische Bil- Lektüre bieten und damit einen Beitrag zur inneren Ein- dung in den neuen Ländern fachfremd unterrichtet, d. h. heit leisten. Bei den Westdeutschen sollte diese Reihe vor von Lehrern, die für dieses Fach nicht ausgebildet waren. allem das Verständnis für die Situation der Menschen Die Frage nach einer berufsqualifizierenden Lehreraus- fördern, die in der DDR gelebt haben. und -weiterbildung war somit von zentraler Bedeutung für die politische Bildung in den neuen Ländern. Aus In den vergangenen Jahren hat die BpB in nahezu allen diesem Grund führte die BpB in enger Abstimmung mit Produktsparten und Formaten – von Print über Online den Kultusministerien der neuen Länder und in Koope- bis hin zu Veranstaltungen – ein umfassendes Stan- ration mit verschiedenen Universitäten Fernstudienkur- dardangebot zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR se von vier Semestern (in Brandenburg sechs Semester) entwickelt, das kontinuierlich ausgebaut und aktuellen durch. Diese Kurse vermittelten eine neue Lehrbefähi- Anlässen entsprechend angepasst wird. Wichtiges Anlie- gung und orientierten sich an den fachwissenschaftli- gen ist es, insbesondere auch junge Menschen, die die chen und fachdidaktischen Standards einer grundlegen- Zeit der deutschen Teilung selbst nicht erlebt haben, für den Lehrerausbildung. Sie endeten mit einer das Thema zu interessieren, um durch die Herstellung Examensprüfung zu Fachlehrern für das Fach Sozial- historischer Bezüge das Bewusstsein für Freiheit, Demo- kunde/politische Bildung/Gemeinschaftskunde. kratie und die Achtung der Menschenrechte zu stärken. 52 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung

Die Angebote der BpB zur Aufarbeitung tung Aufarbeitung wird bei verschiedenen Publika- der SED‑Diktatur tionen und Veranstaltungen zusammengearbeitet. Das heutige Angebot der BpB zur Aufarbeitung der SED- –– Durch ihre wissenschaftlichen Publikationen „Aus Diktatur lässt sich wie folgt beschreiben: Politik und Zeitgeschichte“ sowie „Deutschland Ar- chiv-Online“ bietet die BpB eine permanente Platt- –– Durch umfassende Online-Dossiers auf der Home- form zur Präsentation und Diskussion neuer For- page der BpB www.bpb.de sowie durch die schungsergebnisse aus diesem Themenspektrum. externen Websites www.chronik-der-mauer.de, –– Durch die Einbeziehung von Zeitzeugen in Veranstal- www.jugendopposition.de und tungen, Internetangebote, DVDs und Printprodukte www.wir-waren-so-frei.de werden für eine breite Öf- werden Videointerviews und Zeitzeugenberichte an- fentlichkeit Ton-, Film- und Textdokumente sowie gesammelt und einer breiten Öffentlichkeit zur Ver- historische und politische Fachbeiträge zur Verfü- fügung gestellt. Auf diese Art und Weise entsteht im gung gestellt, die dazu beitragen, DDR-Geschichte zu Laufe der Zeit ein Archiv der Erinnerung. dokumentieren und Hintergründe neu zu interpre- tieren. –– Die BpB nutzt regelmäßig die große öffentliche Auf- –– Im Rahmen des breit angelegten Programms an merksamkeit, die sich im Zusammenhang mit zeitge- Printpublikationen wird das Thema in nahezu jedem schichtlichen Jahrestagen ergibt, um das Thema in Format aufgegriffen: in der Schriftenreihe, den In- Veranstaltungen und anderen Produkten aufzugrei- formationen zur politischen Bildung, dem Jugendfor- fen und zielgruppengerecht umzusetzen. Im Jahr mat fluter, in der niedrigschwelligen Pocket-Reihe 2009 war dies das 20. Jubiläum der Friedlichen Revo- und den didaktischen Reihen. Auf diese Weise wer- lution, 2010 der 20. Jahrestag der Deutschen Einheit den sehr unterschiedliche Zielgruppen erreicht. und 2011 das Gedenken an 50 Jahre Mauerbau. –– Durch zielgruppengerechte Formate unter Einbezie- Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen hung von Musik, Film und Ausstellungen werden des Staatssicherheitsdienstes der ehe- auch junge Leute für das Thema interessiert. Ebenso maligen Deutschen Demokratischen wurde gemeinsam mit dem Zentrum für Zeithistori- Republik sche Forschung Potsdam e. V. und dem Deutschland- Die gesellschaftliche Aufarbeitung der SED-Diktatur ist radio eine App für iPhone, iPad und Android-Geräte entscheidend von der Öffnung der Stasi-Akten geprägt entwickelt, die die Geschichte vom Mauerbau bis zum Mauerfall multimedial darstellt und den Nutzer worden. Der Gesetzgeber wollte mit dem Stasi-Unterla- auf Grund der Verknüpfung mit entsprechenden gen-Gesetz sicherstellen, dass die Akten des Ministe- Geodaten am ehemaligen Verlauf der Mauer entlang- riums für Staatssicherheit und damit des zentralen Re- führen kann. pressionsorgans der SED-Diktatur unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze für die Aufarbeitung ver- –– Ein vielseitiges Angebot an DVDs zu unterschiedli- wendet werden können. chen Aspekten der SED-Diktatur ist mit didaktischen Materialien ausgestattet, die für eine multimediale Unterrichtsgestaltung genutzt werden können. Die Struktur der Behörde –– Im Rahmen der in der Gedenkstättenkonzeption des Bei der Festlegung der Organisationsstruktur konnte Bundes forcierten Zusammenarbeit zur Aufarbeitung kaum auf das Vorbild anderer bundesdeutscher Behör- der SED-Diktatur wird gemeinsam mit der Bundes- den zurückgegriffen werden. Dennoch gab es vorgegebe- stiftung Aufarbeitung und dem BStU die Seite www. ne Bedingungen wie die Gliederung in eine Zentralstelle projekttag-deutsche-geschichte.de betrieben. Hier in Berlin und Außenstellen in den neuen Ländern. Ent- werden Angebote und Anregungen für die Ausgestal- sprechend dieser später in das Stasi-Unterlagen-Gesetz tung eines Projekttages 9. November an Schulen vor- übernommenen Vorgaben entstanden in der Zentralstel- gestellt. Die Kultusministerkonferenz der Länder hat le der Behörde die Abteilungen: dazu aufgerufen, in jedem Jahr am 9. November ei- AR – „Archivbestände“ – hier werden die Unterlagen des nen Projekttag in Schulen durchzuführen. Ziel dieses MfS erfasst, verwahrt, verwaltet und erschlossen. Auf Projekttags ist es, eine vertiefte Auseinandersetzung Anforderung der anderen Arbeitsbereiche werden von mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts hier aus alle Recherchen in den Karteien vorgenommen, anzuregen und damit zur Demokratieerziehung bei- Akten und sonstige Unterlagen zur Nutzung vorbereitet zutragen. Auch auf anderen Arbeitsfeldern kooperie- und bereitgestellt. ren die drei Einrichtungen. So stellt der BStU für un- terschiedliche Projekte der BpB Akten- und AU – „Verwendung der Unterlagen“ – die Abteilung bear- Filmmaterialien zur Verfügung, mit der Bundesstif- beitet die Anträge einzelner Personen auf Akteneinsicht. Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 53

Sie erteilt je nach Antrag Auskunft aus diesen Unterla- Bundes und der Länder, um einen Aktenzugang zu be- gen, stellt sie nach entsprechender Vorbereitung zur Ein- gründen. Während beispielsweise das BArchG ein sichtnahme zur Verfügung, gibt Kopien davon heraus grundsätzliches Zugangsrecht für jedermann anbietet, und bearbeitet Anträge zur Entschlüsselung von Deck- das – je nach Schutzwürdigkeit der betreffenden Unter- namen inoffizieller Mitarbeiter. Bearbeitet werden hier lagen – durch (unterschiedlich lange) Schutzfristen ein- ebenso Ersuchen öffentlicher und nicht-öffentlicher geschränkt wird, verfolgt das StUG als Opferschutzgesetz Stellen, beispielsweise zur Überprüfung auf eine frühere den Ansatz eines generellen Zugangsverbots, das durch Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit oder Ersuchen – nach Personengruppen differenzierte – Erlaubnisvor- der zuständigen Ämter zu Rehabilitierungsfragen. Hinzu behalte durchbrochen wird. kommen Anträge externer Forscher, aus dem Bereich der Das StUG ist die Arbeitsgrundlage des BStU. Es bestimmt politischen Bildung und von Medienvertretern. detailliert sowohl seine Aufgaben und Befugnisse als BF – „Bildung und Forschung“ – erforscht Struktur, Me- auch die Zugangsrechte zu den von der Staatssicherheit thoden und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes hinterlassenen Unterlagen. Seit seinem Inkrafttreten im und unterrichtet die Öffentlichkeit durch Publikationen, Jahre 1991 ist das StUG mehrfach novelliert worden. Ins- Vorträge, Ausstellungen u. ä. über ihre Forschungsergeb- gesamt sind bislang acht Stasi-Unterlagen-Änderungsge- nisse. setze in Kraft getreten. Das Gesetz in seiner sachlichen Substanz entspricht zwar heute noch der Fassung zum ZV – „Zentral- und Verwaltungsaufgaben“ – nimmt die Zeitpunkt seiner Verabschiedung und hat sich in der Pra- üblichen Verwaltungsaufgaben einer Behörde auf den xis sehr gut bewährt. Insbesondere praktische Erfahrun- Gebieten Personal, Organisation, Haushalt, Informa- gen und die aktuelle Rechtsprechung gaben in der Zwi- tionstechnik, Innerer Dienst, Beschaffung, Sicherheit schenzeit jedoch immer wieder Anlass, einerseits usw. wahr. erprobte Verfahren fortzuschreiben, den Gesetzestext Die gegenwärtig zwölf Außenstellen des Bundesbeauf- andererseits an einigen Stellen aber auch zu modifizie- tragten haben, in verkleinertem Maßstab, eine im We- ren. sentlichen analog aufgebaute Struktur. Zu nennen ist beispielsweise ein Urteil des Bundesver- waltungsgerichts (BVerwG) vom 8. März 2002, mit dem Die Entwicklung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Unterlagen 4. Juli 2001 bestätigt und einer Klage des Altbundeskanz- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen lers Dr. Helmut Kohl stattgegeben wurde: In dem Verfah- Demokratischen Republik im November 1991 löste der ren ging es um die die Frage, inwieweit personenbezoge- erste gesamtdeutsche Bundestag eine Verpflichtung des ne Unterlagen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber Einigungsvertrages ein: Er schuf ein rechtsstaatliches politischer Funktionen oder Amtsträger Vertretern der Verfahren zur Verwendung von Unterlagen, die im Kern- Forschung und der Medien zum Zwecke der politischen bereich des DDR-Repressionsapparates entstanden und und historischen Aufarbeitung durch den BStU zur Ver- für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Über- fügung gestellt werden dürfen. Das BVerwG hatte eine windung ihrer Folgen unerlässlich sind. Verwendung von Unterlagen zu Helmut Kohl als Person der Zeitgeschichte bzw. als Funktions- und Amtsträger Der Gesetzgeber entschied, die Unterlagen des MfS zu ohne Einwilligung auf der Grundlage des Wortlauts der öffnen und sie der Öffentlichkeit sofort – und damit vor damaligen Fassung des § 32 insgesamt für unzulässig er- Ablauf der in Archiven üblichen Schutzfristen – zur Ver- klärt und dem BStU damit eine neue – datenschutzrecht- fügung zu stellen. Allerdings sollte kein für jedermann lich eingeschränkte – Auslegung der Regelung vorgege- zugängliches Archiv etwa nach den Regelungen des ben. Diese war daraufhin im Zuge des Fünften Gesetzes BArchG entstehen. Da die vom Ministerium für Staatssi- zur Änderung des StUG, das am 2. September 2002 in cherheit der DDR gespeicherten Daten zum großen Teil Kraft trat, entsprechend geändert worden. unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze gewon- nen wurden, musste der Zugang zu ihnen eingeschränkt Auch heute – mehr als zwanzig Jahre nach der Deutschen und an bestimmte Zwecke gebunden werden. Größten Einheit – gehört der Zugang zu den Stasi-Unterlagen Wert legte der Gesetzgeber darauf, den Einzelnen davor nach wie vor zu den wichtigsten Instrumenten der Auf- zu schützen, dass er durch den Umgang mit den vom MfS arbeitung des SED-Unrechts. Das Interesse an einer Ein- zu seiner Person gespeicherten Informationen in seinem sichtnahme in die Stasi-Akten ist bei Bürgern, Wissen- Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Dementspre- schaftlern und Journalisten nach wie vor groß. In der chend unterscheidet sich das StUG in seiner Zielrichtung öffentlichen Debatte hat sich gezeigt, dass der gesell- und in seiner methodischen Herangehensweise von den schaftliche Bedarf an Überprüfungen bestimmter Perso- Archiv- und sonstigen Informationszugangsgesetzen des nengruppen auch in den kommenden Jahren andauern 54 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung wird. Um das notwendige Vertrauen in öffentliche Insti- deutlich, dass die Akteneinsicht Möglichkeiten zu einer tutionen und politische Gremien zu stärken, ist weiter- komplexen Verarbeitung eigener Erfahrungen eröffnet. hin Transparenz erforderlich. Manchmal werden bestimmte Aspekte der eigenen Bio- grafie durch die Aktenlektüre überhaupt erst bekannt Mit der zuletzt durchgeführten 8. Novelle des StUG im und damit für den Betreffenden einordbar. Konspirative Jahre 2011 wurde deshalb nicht nur die Frist für die Machenschaften, die einschneidende Folgen für den ei- Überprüfungsmöglichkeiten nunmehr bis Ende 2019 genen Lebenslauf gehabt haben können, werden deut- verlängert, sondern auch der Kreis der überprüfbaren lich. Auf der anderen Seite können aber auch Tendenzen Personen erweitert: Künftig sind beispielsweise auch eh- zur Überbewertung des Einflusses des Staatssicherheits- renamtliche Bürgermeister und entsprechende Vertreter dienstes auf bestimmte Entwicklungen oder Ereignisse für einen Gemeindeteil, Beschäftigte des öffentlichen abgebaut werden. Dienstes ab Besoldungsgruppe A 9 sowie ehrenamtliche Mitarbeiter und Gremienmitglieder von Aufarbeitungs- Die durch die Akteneinsicht ermöglichte Begegnung mit einrichtungen auf eine frühere Stasi-Mitarbeit überprüf- der eigenen Geschichte ist für viele Menschen ein sehr bar. Außerdem wurde der Aktenzugang für Wissenschaft persönlicher und bewegender Prozess. Die Mitarbeiter und Forschung sowie für nahe Angehörige von Vermiss- der Behörde wissen das und beantworten nicht nur die ten und Verstorbenen weiter verbessert. Auf Initiative Fragen der Betroffenen, sondern stehen ihnen oft auch der Koalitionsfraktionen regelt das Gesetz künftig zu- einfühlsam zur Seite. Dies ist besonders wichtig, wenn dem die Versetzung ehemaliger Stasi-Mitarbeiterinnen sich aus den Akten ergibt, dass das MfS weitreichend in und Mitarbeiter, die zurzeit beim BStU beschäftigt sind. das Leben eingegriffen hat oder wenn jemand von einem nahe stehenden Menschen verraten wurde. Oft reagieren Nach der Verabschiedung durch den Deutschen Bundes- Menschen mit großer Erleichterung auf die Aktenein- tag am 30. September 2011 hat der Bundesrat die 8. No- sicht, wenn sie erfahren, dass Vertrauen nicht enttäuscht velle des Stasi-Unterlagengesetzes am 4. November 2011 wurde. Chronisches Misstrauen – eine schmerzhafte Be- gebilligt. Das Gesetz ist am 31. Dezember 2011 in Kraft gleiterscheinung des Lebens in Diktaturen – hatte ihnen getreten. das Leben schwer gemacht.

Das gesetzlich verbriefte Recht auf persönliche Akten- Die Verwendung der Unterlagen einsicht ist über die individuelle Dimension hinaus zu ei- Akteneinsicht nem wichtigen Baustein gesellschaftlicher Aufarbeitung Seit 20 Jahren gibt der BStU Bürgerinnen und Bürgern geworden. Was auch immer sich über den Einzelnen in auf Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Auskunft den Archiven findet, allein die Entscheidung einen An- über und Einsicht in die Unterlagen, die das MfS zu ih- trag zu stellen, gehört zum Prozess der Aufarbeitung. Die nen angelegt hat. Es beinhaltet den Rechtsanspruch jedes erfolgte Akteneinsicht ist wiederum ein Impuls, das Ge- Einzelnen auf Einsicht in die zur eigenen Person vom lesene und die dabei erlebten Eindrücke anderen mitzu- MfS geführten Unterlagen, auf die Herausgabe von Du- teilen und damit zu verarbeiten. Noch nie haben sich so plikaten sowie die Bekanntgabe der Klarnamen von in- viele Menschen anhand von Akten eines Geheimdienstes offiziellen Mitarbeitern, die an der Bespitzelung des Be- einer Diktatur derart intensiv mit der Vergangenheit be- troffenen beteiligt waren. 1,8 Millionen Menschen haben schäftigt. Die langfristigen Auswirkungen eines solchen bislang „ihre Akte“ gelesen; das sind 1,8 Millionen Ent- massenhaften Prozesses der persönlichen Geschichtsan- scheidungen gegen das Schweigen. Zusammen mit Wie- eignung sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzuschät- derholungsanträgen, Anträgen auf Herausgabe von Kopi- zen. Als gesichert kann allerdings gelten, dass die Be- en und Bekanntgabe von Namen inoffizieller Mitarbeiter schäftigung mit der „eigenen“ Akte persönlichen wie wurden insgesamt rund 2,83 Millionen Anträge bearbei- politischen Legendenbildungen entgegenwirkt. Sie för- dert die kritische Sicht auf die Diktatur und sensibilisiert tet. für Tendenzen repressiver oder manipulativer Herr- In den ersten Jahren ging bei der Behörde eine Flut von schaftsausübung. Nur wenige Maßnahmen der politi- Anträgen im Zusammenhang mit der Akteneinsicht ein. schen Bildung dürften im Hinblick auf die Stärkung der Die Annahme, nach einiger Zeit werde das Interesse an Zivilgesellschaft ähnlich wirkungsvoll sein. Akteneinsichten deutlich nachlassen, wurde in einem Ein Vergleich mit den Erfahrungen anderer Staaten mit unerwarteten Ausmaß widerlegt. In den letzten fünf Jah- diktatorischer Vergangenheit und den dort über lange ren lag die Zahl der jährlichen Anträge im Bereich der Jahre geführten innenpolitischen Debatten zeigt auch, Akteneinsicht bei durchschnittlich etwa 92 000. Welche dass der schnelle Schlussstrich unter die Vergangenheit Bedeutung der Akteneinsicht für einzelne Personen zu- immer trügerisch ist. kommt, hat der BStU im Laufe der Jahre in mehreren Umfragen untersucht. Jede dieser Erhebungen machte Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 55

Überprüfungen die nie in der DDR wohnten und auch nicht nach 1990 in die neuen Länder zogen oder dort tätig wurden, sind bis Der Aufbau demokratischer Institutionen in den neuen auf wenige Ausnahmen nicht überprüft worden. Ländern sollte erfolgen, ohne dass ehemalige Mitarbeiter und Zuträger des Staatssicherheitsdienstes wichtige Posi- Ähnliches gilt für den privaten Sektor, bei dem ohnehin tionen in Staat und Gesellschaft behalten bzw. einneh- nur Spitzenpositionen überprüft werden durften. Kri- men konnten. Die frei gewählte Volkskammer der DDR tisch bleibt hier festzuhalten, dass durch diese unter- und später der erste gesamtdeutsche Bundestag schufen schiedlichen Regelungen erhebliche Schieflagen, z. B. im deshalb die Voraussetzungen dafür, dass die MfS-Unter- Bereich der Medien, entstanden: Während Mitarbeiter lagen zur Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten überprüft Dienst sowie von Funktionsträgern in anderen wichtigen werden konnten, war dies in den Redaktionen von Print- Bereichen der Gesellschaft verwendet werden konnten. medien und privaten Sendern nicht möglich – es sei denn, die Unternehmensleitung legte darauf Wert, dass Während die im StUG enthaltenen Zugangsrechte zu den die Mitarbeiter Anträge auf Selbstauskunft stellten, was Unterlagen in den meisten Bereichen unbefristet gelten, vereinzelt der Fall war. Bis zum 28. Dezember 2006 wa- wurde die Verwendung der Unterlagen im Zusammen- ren neben den Beschäftigten im öffentlichen Dienst hang mit Überprüfungen zunächst auf 15 Jahre (bis zum noch im Wesentlichen Rechtsanwälte und Notare sowie 28. Dezember 2006) begrenzt, mit der 7. Novellierung des leitende Personen in Wirtschaft, Verbänden und Parteien StUG dann, bezogen insbesondere auf herausgehobene überprüfbar. Funktionen in Politik, Verwaltung und Sport, um fünf Anders als häufig angenommen, gab es im öffentlichen Jahre verlängert. Mit der 2011 verabschiedeten 8. Novelle Dienst nie eine „Regelanfrage“, d. h. eine Verpflichtung des StUG wurde eine Verlängerung von Überprüfungs- der Arbeitgeber zur Überprüfung aller Beschäftigten auf möglichkeiten bis Ende 2019 festgeschrieben und der eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem MfS. Vielmehr Kreis der überprüfbaren Personen erweitert. lag und liegt es beim Arbeitgeber oder Dienstherrn zu Seit Bestehen des BStU wurden im Zusammenhang mit entscheiden, ob, in welchem Umfang und in welchem Überprüfungen über 3,3 Millionen Ersuchen bearbeitet. Verfahren Überprüfungen vorgenommen werden. Ent- Etwas über die Hälfte (ca. 1,75 Millionen) bezogen sich gegen weit verbreiteter Meinung werden solche Über- auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst, davon fast alle prüfungen auch nicht vom BStU veranlasst und durch- aus den neuen Ländern einschließlich Berlin. Der Um- geführt. Aufgabe der Behörde ist es lediglich, auf fang der in den neuen Ländern erfolgten Überprüfungen zulässige Ersuchen hin mitzuteilen, ob in Bezug auf eine war sehr unterschiedlich. Die Länder Thüringen und überprüfte Person Hinweise auf eine hauptamtliche oder Sachsen und mit geringem Abstand dahinter auch Sach- inoffizielle Tätigkeit für das MfS vorhanden sind. Der sen-Anhalt überprüften ihre im öffentlichen Dienst Be- BStU bewertet diese Unterlagen nicht, sondern stellt die schäftigten recht umfassend. Das Land Brandenburg Informationen den überprüfenden Stellen zur Verfü- überprüfte seine Beschäftigten in einem erheblich gerin- gung. Diese Stellen haben dann die oft schwierige Ent- geren Ausmaß, die wenigsten Nachfragen gingen aus scheidung zu treffen, ob unter sachgerechter Berücksich- dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in der Be- tigung der Hinweise aus den MfS-Unterlagen im hörde ein. Das Land Berlin lag hier im Mittelfeld. Auch Einzelfall arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen sonst gab es ein unterschiedliches Bild: In manchen Be- sind. hörden und überprüfbaren Institutionen gab es vollstän- Vor allem im Zusammenhang mit der Entlassung von dige und wiederholte Personalüberprüfungen, in ande- Personen, denen eine frühere Tätigkeit für den Staatssi- ren wurden Überprüfungen auf bestimmte Mitarbeiter- cherheitsdienst vorgeworfen wurde, sind im Laufe der gruppen beschränkt. Einzelne öffentliche Arbeitgeber Jahre in vielen Überprüfungsfällen Mitteilungen des verzichteten ganz auf eine Auseinandersetzung mit BStU indirekt Gegenstand von Entscheidungen der Ver- möglichen MfS-Verstrickungen ihrer Mitarbeiter. Von waltungs- und Arbeitsgerichte geworden. In der Regel Bedeutung ist zudem nicht nur die reine Anzahl der akzeptierten dabei insbesondere die Verwaltungsgerich- überprüften Personen, sondern die Frage, nach welchen te die Vorgehensweise des BStU als rechtmäßig, auch inhaltlichen Kriterien und mit welcher Konsequenz bei wenn die vom betreffenden Arbeitgeber ergriffene nachgewiesener Tätigkeit für das MfS personelle Konse- dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahme zum Teil nicht quenzen gezogen worden sind. bestätigt wurde. In nicht wenigen Fällen zeigte sich, dass die Aussagekraft von MfS-Unterlagen von Gerichten un- Von öffentlichen Stellen der alten Länder wurde Personal terschiedlich eingeschätzt wird. in der Regel nur dann überprüft, wenn es sich um Be- schäftigte handelte, die zu irgendeinem Zeitpunkt ihren Wohnsitz in der ehemaligen DDR hatten. Bundesbürger, 56 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung

Von großer Bedeutung für die Integrität gewählter poli- und Wiedergutmachung geschaffen. Darin vorgesehene tischer Mandatsträger ist die weiterhin bestehende und Regelungen sorgen zudem dafür, dass niemand zu Un- intensiv genutzte Möglichkeit, die Abgeordneten von recht in den Genuss von sozialen Ausgleichsleistungen Bundestag und Landtagen, die Angehörigen kommuna- kommt, wenn er zwar einerseits zum Kreise von staatli- ler Vertretungskörperschaften sowie die kommunalen chen Willkürmaßnahmen Betroffener gehört, sich je- Wahlbeamten zu überprüfen. Seit 1990 hat es dazu ins- doch andererseits Verstößen schuldig gemacht hat, die gesamt über 80 000 Ersuchen gegeben. das eigene erlittene Unrecht überwiegen. Die für die ent- Durch den sachgerechten Umgang mit den Überprüfun- sprechenden Verfahren zuständigen Stellen können bei gen im öffentlichen Dienst sowie in anderen von diesem ihren Entscheidungen Unterlagen der Staatssicherheit Verfahren betroffenen Bereichen der Gesellschaft gelang einbeziehen. Sie fragen beim BStU an, ob sich Nachweise es in vielen Fällen, belastete Personen aus Funktionen für eine politisch motivierte Verfolgung oder eine beruf- fernzuhalten, die für das demokratische Gemeinwesen liche Benachteiligung, für Haftzeiten und Gesundheits- wichtig sind, ohne unverhältnismäßig in Persönlich- schäden finden. Es wird ferner geprüft, ob sich Tatbe- keitsrechte einzugreifen. Dies trug wesentlich zum Auf- stände finden, die die Gewährung von sozialen bau eines demokratisch und rechtsstaatlich geprägten Ausgleichsleistungen ausschließen. öffentlichen Dienstes in den neuen Ländern bei, der das Generell ist festzustellen, dass viele zur Rehabilitierung Vertrauen der Bevölkerung genießt. Die Regelungen des und Wiedergutmachung Berechtigte erst bei der Zusam- Stasi-Unterlagen-Gesetzes haben sich auch im Bereich menstellung ihrer Unterlagen für die Rentenbeantra- der Überprüfungen als normative Grundlage für die gung feststellen, dass ihnen Belege (etwa zum Nachweis Aufarbeitung der Hinterlassenschaft der SED-Diktatur von Haftzeiten oder Entlohnungen für Arbeit in der bewährt. Haft) fehlen. Es ist davon auszugehen, dass bisher bei Eine Schwäche der personellen Erneuerung ist in den zu- weitem nicht alle Bürger, denen durch eine politische rückliegenden Jahren allerdings deutlich geworden: Verfolgung in der DDR Nachteile entstanden, von der Durch die Möglichkeit der Überprüfungen auf frühere Möglichkeit einer Rehabilitierung Gebrauch machten. Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst und die daraus Unter anderem deshalb sind die Fristen für die Beantra- folgenden Konsequenzen sind andere Formen der Mittä- gung einer strafrechtlichen Rehabilitierung im vergan- terschaft gelegentlich aus dem Blick geraten. Während genen Jahr noch einmal verlängert worden – nun bis mancher „kleine“ inoffizielle Mitarbeiter seinen Arbeits- zum 31. Dezember 2019. Das trifft auch auf die Antrags- platz verlor, hatten ehemalige Parteifunktionäre und an- fristen im Verwaltungsrechtlichen und im Beruflichen dere Personen in Schlüsselstellungen nichts zu fürchten. Rehabilitierungsgesetz zu. Dieses Ungleichgewicht darf allerdings nicht dem Stasi- Unterlagen-Gesetz angelastet werden. Es ist Aufgabe der Nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ist es Gesellschaft, bei der Aufarbeitung der Diktatur in der möglich zu beantragen, dass eine strafrechtliche Ent- DDR verstärkt die anderen Bereiche des politischen Sys- scheidung eines Gerichts der ehemaligen DDR für rechts- tems, vor allem die führende Rolle der SED, in den Blick staatswidrig erklärt und aufgehoben wird. Dies ist als zu nehmen. Hier gibt es noch Nachholbedarf. Vorstufe für eventuelle Wiedergutmachungsleistungen nach diesem Gesetz erforderlich. Insgesamt haben den Rehabilitierung und Wiedergutmachung BStU bisher mehr als 96 600 Ersuchen zum Zweck der strafrechtlichen Rehabilitierung erreicht. Viele Menschen haben in der DDR durch Verfolgung und durch Inhaftierung Unrecht erlitten oder mussten, weil Der Begriff der Wiedergutmachung, zu deren Zweck sie sich der Willkür von SED und Staat nicht beugten, MfS-Unterlagen ebenfalls genutzt werden, ist weit ge- massive Nachteile hinnehmen. MfS-Unterlagen bieten fasst. Hiervon abgedeckt werden nicht nur soziale Aus- insoweit einen unverzichtbaren Beitrag zur Aufarbei- gleichsleistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitie- tung des SED-Unrechts. Die Rehabilitierung von Betrof- rungsgesetz wie die Kapitalentschädigung oder die fenen und die Wiedergutmachung in Form von sozialen besondere Zuwendung für Haftopfer (sogenannte SED- Ausgleichsleistungen stehen deshalb zu Recht an vor- Opferrente). Auch Leistungen an Betroffene aus einer derster Stelle der vom Stasi-Unterlagen-Gesetz genann- ganzen Reihe anderer Gesetze fallen hierunter. Im Sinne ten Zwecke zur Verwendung von Unterlagen, denn sie der Wiedergutmachung wird der BStU tätig in Bezug auf waren wesentliche Intentionen des Gesetzgebers bei der das Berufliche und Verwaltungsrechtliche Rehabilitie- Öffnung der Archive des MfS. rungsgesetz, das Bundesversorgungsgesetz, das Entschä- Mit dem Ersten und Zweiten SED-Unrechtsbereini- digungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, das Häftlings- gungsgesetz wurden die Grundlagen für Rehabilitierung hilfegesetz und das Vermögensgesetz. Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 57

Nach dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Verbes- formationserhebung erkennbar auf einer Menschen- serung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Op- rechtsverletzung beruht“ (§ 32 Ziffer 1 Absatz 2 Satz 2). fer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR Die MfS-Unterlagen sind der entscheidende Quellenbe- vom 21. August 2007 hatte die Behörde in kürzester Zeit stand, wenn es um die Aufarbeitung der Unterdrückung eine sehr hohe Zahl von Ersuchen im Zusammenhang in der DDR geht, insbesondere wenn der Staatssicher- mit der beantragten Zahlung der sogenannten SED-Op- heitsdienst Instrument dieser Unterdrückung war. Aber ferrente zu bewältigen. Insgesamt gingen bisher knapp auch in Fällen, in denen die Rolle der SED, der Strafjustiz, über 41 000 Nachfragen ein. der Volkspolizei, anderer staatlicher oder beispielsweise Wer in der DDR infolge staatlicher Repression an der sowjetischer Stellen im Vordergrund stand, können die Ausübung seines Berufs oder einer angestrebten Tätig- in den Archiven der Behörde lagernden Unterlagen Auf- keit gehindert wurde, wer einer politischen Verfolgung schlüsse über Tatbestände, Hintergründe und Verant- ausgesetzt war oder durch rechtsstaatswidriges Verwal- wortlichkeiten geben; denn das MfS hat über alle politi- schen und gesellschaftlichen Bereiche Informationen tungshandeln Schaden erlitt, kann nach den Grundsät- gesammelt und maßgeblichen Einfluss genommen. Viele zen des Beruflichen oder Verwaltungsrechtlichen Reha- Todesfälle an der Berliner Mauer und der innerdeutschen bilitierungsgesetzes entschädigt werden. In diesen Fällen Grenze mit zum Teil bis dahin unbekannten Opfern wä- ersuchen die zuständigen Behörden bei dem BStU um ren beispielsweise ohne die Unterlagen des MfS nicht Unterlagen, die diese Sachverhalte belegen können. Au- aufzuklären gewesen. Für die Untersuchung und Aufklä- ßerdem wird nach Hinweisen auf Gründe angefragt, die rung der gegen die Staatsgrenze gerichteten „staatsfeind- Leistungen nach diesen Gesetzen ausschließen können. lichen Handlungen“ war das MfS zuständiges Untersu- chungsorgan. Die Nutzung der Unterlagen des MfS für die externe Forschung, die Medien und Einrichtungen der Die Behörde bearbeitet Anträge in großer Bandbreite: politischen Bildungsarbeit von Hochschulen und Universitäten, Institutionen sowie privaten Forschern bis hin zu Schülern. Nicht zu verges- Eine der wichtigsten Aufgaben des BStU ist die Bereit- sen sind die Anträge kirchlicher Einrichtungen aus dem stellung von MfS-Unterlagen für die externe Forschung Gebiet der ehemaligen DDR und zunehmend auch aus und für Medien zu Zwecken der politischen und histori- den alten Ländern. schen Aufarbeitung der Diktatur in der DDR wie auch der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (§ Auch für den Bereich des Leistungssports gibt es ein seit 32 bis 34 StUG); ohne diese Dienstleistung für Externe ist Jahren ungebrochenes Interesse, war doch der interna- eine Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht denkbar. Bis tionale Sport laut SED „ein wichtiges Feld der Klassen- auseinandersetzung“ sowohl im Weltmaßstab als auch Ende 2011 sind in diesem Bereich 26 300 Anträge einge- zwischen den beiden deutschen Staaten. Heute wissen gangen. wir, dass hier nicht nur mit methodischen Trainingspro- Der BStU ist auch in dem Sinne Dienstleister, dass er grammen gearbeitet wurde, sondern auch unerlaubte Journalisten und Forscher intensiv berät und unter- Hilfsmittel genutzt wurden. Neben der Bespitzelung ist stützt. Bei der Recherche und Auswahl von Unterlagen das Doping im Sport ein immer wiederkehrendes An- sind die Nutzer der MfS-Unterlagen viel stärker auf die tragsthema. Im Lauf der Jahre wurden über 1 000 Anträ- Unterstützung der BStU-Mitarbeiter angewiesen, als dies ge zum Thema Sport allein von externen Forschern und in „klassischen“ Archiven notwendig ist. Ein Mitarbeiter den Medien gestellt. So waren die Erkenntnisse aus den des BStU übernimmt bei der Antragsbearbeitung aus MfS-Unterlagen auch eine wichtige Grundlage für die rechtlichen Gründen viele Rechercheschritte. Dies ist Tätigkeit der Unabhängigen Dopingkommission. notwendig, da bereits die zahlreichen Karteien und Ver- Während das Wirken der Staatssicherheit in der DDR gut zeichnisse des MfS sowie die von der Behörde erstellten dokumentiert ist, sieht es bei der Westarbeit gegen die Datenbanken schutzwürdige Personenangaben enthal- Bundesrepublik Deutschland und Westberlin deutlich ten, die Dritten nicht ohne weiteres offenbart werden anders aus. Die entsprechenden Unterlagen, vor allem dürfen. Die Mitarbeiter des BStU recherchieren auf An- jene der für Spionage zuständigen Hauptverwaltung trag in den Beständen der MfS-Überlieferungen, führen Aufklärung, sind nahezu vollständig vernichtet worden. die Ergebnisse themenbezogen zusammen und stellen Zu den wichtigen Überlieferungen zählen zwei Karteien Unterlagen dann unter Berücksichtigung gegebenenfalls der HV A, die sogenannte „Rosenholz“-Datei4 sowie das kollidierender Belange des Persönlichkeitsrechts und Da- tenschutzes zur Verfügung. Dies ist notwendig, weil das

StUG für die Herausgabe von bestimmten personenbezo- 4 Bei der „Rosenholz“-Datei handelt es sich um mikroverfilmte genen Informationen die Abwägung vorgibt, „ob die In- Karteien der HV A, die während der Friedlichen Revolution unter 58 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung elektronische „Posteingangsbuch“ der HV A, die SIRA- heblichem Ausmaß für die Herrschaftssicherung der Datenbank, in der von Agenten beschaffte Informatio- SED, nutzte und verfälschte zum Teil die dort enthalte- nen verzeichnet sind. Diese Unterlagen erlauben immer- nen Informationen über die NS-Vergangenheit von Poli- hin das Erkennen von Personen und inhaltlichen tikern der Bundesrepublik zur Durchführung von Kam- Konturen der Westarbeit der HV A. Vor allem auf diese pagnen mit dem Ziel, sich als der wahre konsequent Überlieferungen heben Berichte in den Medien und in antifaschistische Staat darzustellen. Verschwiegen wur- wissenschaftlichen Veröffentlichungen ab, was zuverläs- de jedoch, dass auch in der DDR in vielen Fällen auf eine sig anzeigt, wie aktuell die Thematik bis heute ist. Strafverfolgung von NS-Verbrechen verzichtet wurde, Gleichwohl waren die Erwartungen der Öffentlichkeit, wenn es zweckmäßig erschien, das gesammelte Material der Medien und Forscher an die überlieferten zu operativen Zwecken zu nutzen. In jüngster Zeit wer- „Rosenholz“-Unterlagen überzogen. Die von manchen den die Unterlagen vermehrt genutzt, um auch die NS- prognostizierte Enthüllungswelle über bundesdeutsche Vergangenheit einzelner Institutionen in der Bundesre- Agenten ist ausgeblieben – nicht nur wegen der lücken- publik zu untersuchen. Da die im Archiv vorhandenen haften Überlieferung, sondern auch, weil die Erwartun- Unterlagen zur NS-Zeit eine umfangreiche Material- gen auf teilweise rege Spekulationen gegründet waren. sammlung zur personellen Besetzung des Justiz- und Be- Trotz dieser Einschränkungen tragen die vom BStU für hördenapparates im „Dritten Reich“, der NSDAP sowie die Westarbeit zur Verfügung gestellten Unterlagen zur der Wehrmacht beinhalten, kann für diesen Zweck wich- Erhellung dieses wichtigen Teils der deutsch-deutschen tiges Quellenmaterial zur Verfügung gestellt werden. Geschichte bei. Medien- und Forschungsanträge zum In den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes befinden Einfluss des Staatssicherheitsdienstes auf den Deutschen sich zehntausende Film- und Tondokumente, die von Bundestag, hier vor allem die 6., 10. und 11. Legislaturpe- Journalisten sehr intensiv für die Vorbereitung von Do- riode, haben große öffentliche Aufmerksamkeit erregt. kumentar- und Fernsehfilmen genutzt werden. Im ersten Nicht selten haben Anträge zu einzelnen Personen des Jahrzehnt der Behörde wurde das Thema Staatssicherheit öffentlichen Lebens den Anstoß für eine weiter greifende und Unterdrückung in der DDR vor allem in Dokumen- Aufarbeitung der DDR-Geschichte gegeben: Nach der tationen und zeitgeschichtlichen Darstellungen auf Landtagswahl in Brandenburg im September 2009 ist die Grundlage der vom BStU bereitgestellten Unterlagen be- dortige Landespolitik von Stasi-Fällen in der Linksfrakti- handelt. In den letzten Jahren nahmen sich dann häufi- on erschüttert worden. MfS-Verstrickungen einzelner ger Spielfilme des Themas an. Berühmtestes Beispiel ist Abgeordneter der Linksfraktion sind durch Medienver- der Kinofilm „Das Leben der Anderen“, aber auch für eine treter offengelegt worden. Durch deren Anträge beim Reihe von Kriminalfilmen („Tatort“ u. a.) und für Fern- BStU und die sich anschließende Herausgabe von ent- sehserien (z. B. „Weissensee“) wurden die Methoden des sprechenden Unterlagen an die Medien ist eine Debatte Staatssicherheitsdienstes sorgfältig recherchiert, und es im Land Brandenburg angestoßen worden, in der inzwi- dienten tatsächliche Beispiele seiner Arbeitsweise als schen die Überprüfungspraxis und die Aufarbeitung Hintergrund für die Drehbücher. Ferner helfen Fernseh- überhaupt thematisiert wird. Im März 2010 einigten sich filme dabei, bisher weniger beachtete Themen wie etwa alle Parteien des Landtags auf die Einsetzung einer En- das Frauengefängnis Hoheneck in den Blickpunkt zu rü- quête-Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte und cken. Auch wenn bei der Umsetzung des Stasi-Themas Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur. immer künstlerische Freiheiten in Anspruch genommen Als mit der Öffnung der Archive des MfS sichtbar wurde, wurden, sind mit Unterstützung des BStU beeindruk- dass ein nicht unbedeutender Teil der Bestände Materia- kende Filme entstanden, die vor dem Hintergrund der lien aus der Zeit vor 1945 enthielt, war nicht absehbar, fast lückenlosen Überwachung der DDR-Gesellschaft welche Bedeutung dies sowohl für die Erforschung des spielen oder sich kritisch mit der Aufarbeitung dieser Nationalsozialismus als auch für die der Geschichte des Zeit auseinandersetzen. Umgangs beider deutscher Staaten mit ihrer Vergangen- Gegenüber der Anfangszeit der Behörde hat sich die Art heit haben würde. Unterlagen aus der Zeit des National- der Berichterstattung etwas gewandelt. Zwar betrachten sozialismus, welche auf dem Gebiet der DDR und auch in Journalisten immer konkrete Ereignisse, Vorgänge und Osteuropa aufgefunden wurden, sind durch das MfS Einzelpersonen. Aber die Qualität der Berichterstattung übernommen, archiviert, systematisch erfasst und aus- und der öffentlichen Diskussion über Stasi-Verstrickun- gewertet worden. Das MfS instrumentalisierte sie in er- gen ist im Laufe der Zeit sachlicher geworden. Die Bereit- schaft der Öffentlichkeit nimmt zu, Informationen aus den Stasi-Unterlagen auch im historischen Kontext und nicht geklärten Umständen in den Besitz der US-amerikani- schen Central Intelligence Agency (CIA) gelangten und bis März mit Blick auf die individuelle Biografie für den Einzelfall 2003 der Bundesrepublik zur Verfügung gestellt wurden. zu bewerten. Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 59

Politische Bildung beim BStU Veranstaltungshöhepunkte waren über die Jahre hinweg Das Stasi-Unterlagen-Gesetz definiert als eine der Kern- auch hier wichtige Jubiläen, zum Beispiel die jeweiligen Jahrestage der Besetzung von Stasi-Dienststellen, der aufgaben des BStU die Unterrichtung der Öffentlichkeit 40. und 50. Jahrestag des Mauerbaus 2001 und 2011, der über die Struktur, Methoden und Wirkungsweise des 50. Jahrestag der Aufstände am 17. Juni 1953 und selbst- Staatssicherheitsdienstes der DDR. Diesem Auftrag verständlich Jahrestage im Zusammenhang mit der kommt der BStU mit zwei integriert angelegten Arbeits- Friedlichen Revolution in der DDR. Solche Jahrestage bereichen Forschung und Bildung innerhalb der Abtei- bieten die Möglichkeit, historische Ereignisse herauszu- lung BF sowie durch Öffentlichkeitsarbeit seitens der stellen, die Forschungsergebnisse des BStU-Wissen- Außenstellen und der Behördenleitung nach. schaftsbereichs zu vermitteln und intensiver in den brei- Der Bereich der politischen Bildung hat einen ausdiffe- ten gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Das 20. renzierten Katalog an Bildungsangeboten entwickelt. Er Jubiläum des Revolutionsjahres 1989, der Auflösung des umfasst Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit, Staatssicherheitsdienstes und der Öffnung seiner Akten Wechsel-, Wander- und Dauerausstellungen zur Ge- verdeutlichte mit über 750 Veranstaltungen des BStU schichte des MfS, Fortbildungen für Multiplikatoren, und seiner Kooperationspartner die Dimension, die die Projekttage für Schüler sowie didaktisch aufbereitete Veranstaltungstätigkeit inzwischen erreicht hat. Dabei Materialien. Die Bildungsangebote basieren auf der Aus- standen neben der Freude über die erkämpfte Freiheit wertung der MfS-Unterlagen und im Besonderen auf Er- und Demokratie auch Informationen über die überwun- gebnissen der originären Forschungstätigkeit; sie greifen dene Diktatur im Mittelpunkt. aktuelle gesellschaftliche und wissenschaftliche ein- schließlich geschichtsdidaktischer Diskussionen auf und Ausstellungen reagieren auf bildungspolitische Bedarfe. Mit seinen An- Ausstellungen des BStU sind ein wesentlicher Bestandteil geboten ist der BStU seit Jahren fest in die Bildungsland- seiner politischen Bildungsarbeit. Neben den Daueraus- schaft zur DDR-Geschichte und zur Demokratie-Stär- stellungen in den Außenstellen der Behörde wurde eine kung integriert. Reihe von themenspezifischen Wanderausstellungen er- arbeitet. Sie werden häufig in Schulen, aber auch in klei- Ausgehend von der Anbindung an das MfS-Thema, leis- neren Museen, Gedenkstätten und öffentlichen Einrich- tet der BStU damit einen Beitrag zur kritischen Aus- tungen gezeigt und leisten so eine wichtige Unterstüt- einandersetzung mit der SED-Diktatur. Als Bundesbe- zung für regionale Aufarbeitungsbestrebungen. hörde kommt ihm dabei die Aufgabe zu, das Thema für eine breite Öffentlichkeit auch in den alten Ländern auf- Mit rund 40 Wanderausstellungen, die auch von Interes- zubereiten, in denen es nur vereinzelt spezielle Angebote senten aus dem gesamten Bundesgebiet ausgeliehen wer- zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gibt. Die Arbeit des den können, stellt der BStU ein breites Themenspektrum Forschungsbereichs des BStU wird in Kapitel 9 (Wissen- zur historisch-politischen Bildung in den Regionen zur schaftliche Aufarbeitung) dargestellt. Verfügung. Viele kleinere Institutionen greifen gern auf diese Angebote zurück, die in der Regel von Begleitver- Veranstaltungen anstaltungen der BStU-Außenstellen ergänzt werden. Die Ausstellungen behandeln u. a. die Themen Flucht, Mit seinen Veranstaltungen erfüllt der Bundesbeauftrag- Stasi und Sport, deutsch-deutsche Städtepartnerschaften te seit nunmehr 20 Jahren den gesetzlichen Auftrag, die oder einzelne Ereignisse wie die Reaktionen von Opposi- Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungs- tion und Stasi auf die Atomkatastrophe in Tschernobyl. weise des Staatssicherheitsdienstes zu unterrichten. Das Angebot reicht von Zeitzeugendiskussionen, Filmaben- Seit 1996 bietet der BStU eine Wanderausstellung an, die den, Fachvorträgen, Fortbildungen und Lesungen bis hin speziell für die alten Länder konzipiert wurde. Die erste zu Theateraufführungen und Ausstellungen. Im Mittel- Ausstellung mit dem Titel „Staatssicherheit – Garant der punkt steht dabei die Information über die Staatssicher- SED-Diktatur“ hat gezielt die Bedeutung der SED als heit und ihre Funktion in der SED-Diktatur. Die Herr- Auftraggeberin der Staatssicherheit und die Rolle des schafts- und Machtsicherung spielen ebenso eine Rolle Ministeriums für Staatssicherheit für den Erhalt der SED-Diktatur herausgearbeitet. Von 1996 bis 2008 war wie die vielen Menschen, die von der Staatssicherheit ab- die Ausstellung an 86 Orten zu sehen. Die Behörde hat sie gehört, verhaftet, ausspioniert oder außer Landes getrie- auch im Ausland gezeigt, vor allem in ostmitteleuropäi- ben wurden. Nicht zuletzt sind diejenigen im Blickpunkt, schen Städten. die sich gegen die Herrschaftsmechanismen und die Ge- heimpolizei auflehnten und letztlich die Diktatur besei- Nach über zehn Jahren Laufzeit wurde eine grundlegen- tigten. de Überarbeitung nötig. Am 3. Oktober 2008 konnte die 60 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung neue Wanderausstellung „Feind ist, wer anders denkt“ in rischer Biografien die Auswirkungen der geheimpolizei- Hamburg eröffnet werden. Besondere Aufmerksamkeit lichen Repression auf das Leben der Betroffenen und lässt sie den Menschen zuteilwerden, die in das Visier des zeichnet die Einflussnahme des MfS auf das Alltagsleben Staatssicherheitsdienstes geraten sind. Ihr Schicksal der DDR-Bevölkerung nach. Ergänzend zur Ausstellung zeichnet die Ausstellung exemplarisch in biografischen finden Seminar- und Projekttage für Lehrkräfte und Sequenzen nach. Wie ihre Vorgängerin erfreut auch sie Schüler statt, wechselnde Sonderausstellungen runden sich großer Nachfrage. Sie war seit ihrer Eröffnung in das Programm ab. Aus Anlass des 50. Jahrestages des 18 deutschen Städten sowie an verschiedenen Stationen Mauerbaus hat der BStU im August 2011 z. B. die Ausstel- im europäischen Ausland zu sehen. Insgesamt besuchten lung „Täuschen und Vertuschen. Die Stasi und die Mau- bisher rund 420 000 Interessierte die alte und neue Wan- ertoten“ präsentiert, in der u. a. Unterlagen des Staatssi- derausstellung des BStU. cherheitsdienstes und persönliche Gegenstände von Maueropfern gezeigt wurden; mit Hilfe dieser Unterla- Informations- und Dokumentationszentren gen konnten Angehörige nach der Friedlichen Revoluti- on endlich Klarheit über die wahren Umstände des Todes Seinem Bildungs- und Informationsauftrag kommt der ihrer Verwandten erlangen. Das Ausgeliefertsein der An- BStU auch mit den Informations- und Dokumentationszen- gehörigen gegenüber einem Apparat, der willkürlich Le- tren in Halle, Erfurt, Dresden sowie der Dokumentations- genden selbst zu Toten produzierte, eröffnete vielen Be- und Gedenkstätte „Opfer politischer Gewaltherrschaft“ in suchern tiefe Einblicke in das Wesen dieser Geheim­ Frankfurt (Oder) und der Dokumentations- und Gedenk- polizei. stätte in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des MfS in Rostock nach. In Verbindung mit den Archiven In Haus 1/Normannenstraße auf dem Gelände des Dienst- der örtlichen Außenstellen – als authentischen Orten – sitzes des ehemaligen Ministers für Staatssicherheit in sind sie besonders geeignet, jüngere Menschen für die Berlin-Lichtenberg hat der BStU zusammen mit dem SED-Diktatur zu sensibilisieren und über sie zu infor- Verein ASTAK e. V. im Januar 2012 mit einem gemeinsa- mieren. Die Außenstellen ohne eigenes Informations- men temporären Ausstellungsangebot das „STASI MU- und Dokumentationszentrum verfügen über Aus­ SEUM. Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ eröffnet. stellungen, die über Strukturen, Methoden und Eine ausführliche Darstellung dieser Einrichtung befin- Wirkungsmechanismen des MfS Auskunft geben. Schon det sich im Kapitel 10 „Gedenkstätten und Erinnerungs- allein durch die regelmäßigen Führungen durch die Ar- orte“ im Abschnitt „Überwachung und Verfolgung“. chive geben die Außenstellen einen elementaren Ein- blick in die Arbeit der Geheimpolizei. Bildungsangebote für Schulen und Universitäten

Das erste Informations- und Dokumentationszentrum Als vor einem Jahrzehnt vermehrt Schulen bei der Be- wurde fast genau fünf Jahre nach der Besetzung der Be- hörde in Berlin und in den Außenstellen um Unterstüt- zirksverwaltung für Staatssicherheit 1994 in Frankfurt zung nachfragten, reagierte die Behörde im Jahre 2001 (Oder) in der dortigen Außenstelle eröffnet, es folgten in mit dem Angebot an die Bildungsminister der neuen den nächsten Jahren Dresden, Halle, Erfurt und Rostock. Länder und , Schulen bei der Vermittlungsarbeit Neben Dauerausstellungen über die Struktur und Wir- zum Thema Staatssicherheit als dem zentralen Machtor- kungsweise des MfS mit besonderen Schwerpunkten auf gan der SED-Diktatur zu unterstützen. Seit 2002 hat die regionalen Besonderheiten werden an diesen Orten Behörde mit allen Bildungsministerien der neuen Länder Wechselausstellungen zu zeitgeschichtlichen Themen und Berlins feste Vereinbarungen getroffen. Über die Be- sowie Kunstausstellungen präsentiert. schäftigung mit dem Ministerium für Staatssicherheit als Geheimpolizei und seiner Rolle für den Machterhalt Seit dem 9. November 1998 betreibt der BStU auch in der SED-Diktatur können Schüler die Wirkungen und Berlin ein Informations- und Dokumentationszentrum. Mechanismen der SED-Diktatur kennen und Grundla- Über 364 000 Besucher haben die erste Dauerausstellung gen von Demokratie begreifen lernen; der BStU trägt hier „Staatssicherheit – Machtinstrument der SED-Diktatur“ zur demokratischen Bildung bei. gesehen. Nach der brandschutzbedingten Schließung der Ausstellungsräume im Mai 2010 wurde – als Zwischenlö- Im Jahr 2003 reagierte der BStU auf die stetig steigende sung bis zur Fertigstellung der Ausstellung in Haus 1/ Nachfrage nach Veranstaltungen und Materialien sowie Normannenstraße und zur Aufrechterhaltung des Bür- die zunehmend zu beobachtenden Defizite in der schuli- gerservices – das neue Bildungszentrum in Berlin-Mitte schen Vermittlung zur DDR-Geschichte auch organisato- mit der Dauerausstellung „STASI – Die Ausstellung zur risch mit der Einrichtung eines neuen Sachgebiets „his- DDR-Staatssicherheit“ eröffnet. Die Ausstellung gibt ei- torisch-politische Bildungsarbeit“. Die Mitarbeiter dort nen konzentrierten Einblick in die Funktion, Struktur nehmen eine zielgruppenorientierte Aufgabe wahr. Sie und Tätigkeit des MfS, sie verdeutlicht anhand exempla- sollen die Voraussetzungen für eine noch intensivere Zu- Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 61 sammenarbeit mit Schulen schaffen, um den spezifi- Funktionieren von Diktaturen im Allgemeinen und schen Anforderungen der Schulen und den Bedürfnissen kommunistischen Repressionsapparaten im Besonderen des jugendlichen Adressatenkreises besser Rechnung zu auf breiter Basis zu fördern. tragen. Seit vielen Jahren konsultieren auch etliche nichtstaatli- Seitens vieler Lehrkräfte und anderer Multiplikatoren che Initiativen und staatliche Einrichtungen, die in an- wurde in der Frühzeit der MfS-Aufarbeitung der Mangel deren Teilen der Welt vergangene Diktaturen aufarbeiten an methodisch-didaktischen Begleitmaterialien beklagt. (wollen), den BStU. So sei als jüngstes Beispiel der intensi- Diesem Defizit hat der BStU durch schulspezifische -An ve Kontakt zu Oppositionellen und Menschenrechtlern gebote Rechnung getragen, die von regional ausgerichte- in Ägypten erwähnt; diese waren zu Gast in der Behörde ten Materialsammlungen der Außenstellen über eine ei- und ein Vertreter der Behörde war mehrfach zu Informa- gene Broschürenreihe „BStU für Schulen“ bis hin zu tionsveranstaltungen in Ägypten, um dort über die Er- einem auf den Schulunterricht zugeschnittenen Film fahrungen im Umgang mit den Unterlagen des Staatssi- über das Ministerium für Staatssicherheit reichen. cherheitsdienstes zu berichten.5

Fortbildungsseminare für Lehrkräfte sind für die Bil- dungsarbeit des BStU auch perspektivisch von großer Die Landeszentralen für politische Bildung Bedeutung, können doch motivierte und informierte Die Landeszentralen für politische Bildung begannen Lehrkräfte, die das Thema Staatssicherheit als Unter- nach der Wiedervereinigung, flächendeckend Angebote richtsthema berücksichtigen, ein langfristiges Interesse über die DDR und zur Aufarbeitung der Folgen der SED- vieler Schülergenerationen an dem Stoff wecken. Die Diktatur zu entwickeln. Weiterbildungsseminare finden sowohl beim BStU in Das Spektrum der entfalteten Aktivitäten zur politischen Berlin als auch an den jeweiligen Schulstandorten, viel- Bildung ist breit. Bereits während des politischen Um- fach auch in den alten Ländern, statt. Allein 2011 wurden bruchs im Jahr 1989/90 wurden von den Landeszentralen 84 Weiterbildungen mit 2 200 Lehrkräften von der Be- Informationen über das politische System der Bundesre- hörde durchgeführt. publik, die anstehenden Wahlen und den gesellschaftli- Die Zusammenarbeit mit geschichtsdidaktischen Semi- chen Umbruch für die Bürger in der DDR bereitgestellt. naren an den Universitäten ist dem BStU ebenfalls ein Auch unterstützten die westdeutschen Landeszentralen Anliegen, haben inzwischen doch auch die heute Studie- die neuen Länder beim Aufbau ihrer eigenen Einrichtun- renden oft keinerlei biografischen Bezug mehr zur Zeit gen zur politischen Bildung. So errichtete zum Beispiel der DDR und des geteilten Deutschlands. Seminare für die Hessische Landeszentrale eine Außenstelle in Erfurt angehende Lehrkräfte versprechen aus Sicht des BStU und ordnete Personal an die neugegründete Landeszen­ besonders große Nachhaltigkeit. Einzelne Studiensemi- trale in Thüringen ab. nare haben die Weiterbildungen zur Behandlung des Die Angebote zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sind in Themas „DDR und MfS im Unterricht“ inzwischen als re- den einzelnen Ländern teilweise unterschiedlich ausge- gelmäßige Veranstaltungen in ihr Programm aufgenom- staltet. Insgesamt ist es die Zielsetzung der politischen men. Bildungsarbeit, die Menschen, besonders die jungen, in ihrer Entwicklung zu selbstbestimmten, demokratisch Internationale Zusammenarbeit handelnden Bürgerinnen und Bürgern zu bestärken. Die Behörde hat auch Impulse für die Aufarbeitung der Hierfür steht eine Reihe von Materialien, Angeboten und kommunistischen Diktaturen in Ost- und Mitteleuropa Maßnahmen zur Verfügung: gegeben. Die dort entstandenen Institutionen haben sich –– Publikationen: Die Landeszentralen stellen einschlä- teilweise am Modell des BStU orientiert, Vertreter aus ei- gige Fachliteratur, eigene Publikationen und Unter- nigen dieser Ländern haben sich im Vorfeld eigener Ge- richtsmaterialien zur Geschichte der DDR und zu den setzgebung Rat geholt. Die Zusammenarbeit wurde Ende Folgen der SED-Diktatur zur Verfügung. 2008 durch die Gründung des „Europäischen Netzwerks der für die Geheimpolizeiakten zuständigen Behörden“ –– Internetportale: In unterschiedlichem Umfang ste- verstetigt, dem Behörden aus sieben Ländern angehören. hen Unterrichtsmaterialien, Dossiers, Berichte und Im Netzwerk findet ein regelmäßiger Austausch zu fach- Literatur auch auf den Internetauftritten der Landes- lichen Fragen und zur Aufarbeitung der kommunisti- zentralen. schen Diktaturen Osteuropas statt. Darüber hinaus exis- tieren mit einigen Ländern bilaterale Kooperationsab- kommen. Diese Kooperationen und die Einbindung der Behörde in internationale Initiativen haben sich als trag- 5 Auf die bedeutsamen archivischen Aufgaben des BStU wird in fähige Wege erwiesen, die Auseinandersetzung mit dem Kapitel 12 (Archive) eingegangen. 62 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung

–– Fortbildungsangebote: Verschiedene Landeszentra- die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehema- len bieten Fortbildungen, besonders auch für Lehr- ligen DDR bei seiner Arbeit und beraten ihn zu landes- kräfte, zum Thema SED-Aufarbeitung an. spezifischen Besonderheiten bei der Verwendung der Un- –– Außerschulische Lernorte: Einige Landeszentralen terlagen. Grundlage hierfür bildet § 38 des StUG. Sie arbeiten eng mit Gedenkstätten, Lern- und Erinne- verwalten aber nicht die Akten des MfS, dies ist Aufgabe rungsorten zusammen und beziehen diese in Veran- der Bundesbehörde. Weiter besteht ihre Aufgabe in der staltungen ein bzw. fördern deren Besuch durch Beratung zu allen Fragen, die sich aus der Tätigkeit des Gruppen. Teilweise bestehen auch direkte Zuständig- ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit ergeben, keiten der Landeszentralen für Gedenkstätten. So ist insbesondere zu Akteneinsicht und Rehabilitierung. Die die Bayerische Landeszentrale für die Weiterentwick- Beauftragten werden von den Landesparlamenten ge- lung des Deutsch-Deutschen Museums in Mödla- wählt. reuth zuständig, die Hessische Landeszentrale arbei- Im Einzelnen erstrecken sich die Aufgaben der Landes- tet – wie die Thüringer Landeszentrale – eng mit dem beauftragten auf die folgenden Bereiche, wobei ein Grenzlandmuseum Schifflersgrund und der Point Al- Schwerpunkt auf der Beratung liegt: pha Stiftung zusammen. Die Landeszentrale Meck- lenburg-Vorpommern betreibt das Dokumentations- zentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland Beratung in Schwerin. Die Landesbeauftragten sind Ansprechpartner für Bür- –– Zeitzeugenarbeit: Die Landeszentralen führen regel- ger, die Verwaltung und sonstige Stellen zu Anliegen im mäßig Veranstaltungen mit Zeitzeugen durch oder Zusammenhang mit dem MfS. Sie beraten zu Fragen der vermitteln den Kontakt zu diesen. Es bestehen auch Antragstellung, zum Recht auf Auskunft, zur Einsicht Kooperationen mit Einrichtungen wie beispielsweise und Herausgabe von Stasi-Akten, zur Rehabilitierung der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger oder der Bundesstiftung Aufarbeitung, die eigene Strafverfolgung, zur Überprüfung von Mitarbeitern im Zeitzeugenprogramme betreiben. öffentlichen Dienst sowie zu Archiven, in denen sich –– Ausstellungen: Im Angebot der Landeszentralen be- wichtige Unterlagen aus der Zeit der DDR befinden. Diese findet sich auch eine Vielzahl von (Wander-)Ausstel- Beratungen, besonders zu den Themen Akteneinsicht lungen, oft auch in Kooperation mit anderen Einrich- und zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern tungen zur politischen Bildung oder zur Aufarbei- werden regelmäßig an verschiedenen Orten in den neu- tung der SED-Diktatur. en Ländern abgehalten, oft auch in Zusammenarbeit mit den Außenstellen des BStU. –– Veranstaltungen: Besonders zu den Jubiläen in den Jahren 2009 und 2010 führten die Landeszentralen Veranstaltungen in unterschiedlichsten Formaten Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit für alle Zielgruppen der politischen Bildungsarbeit Die historisch-politische Bildungsarbeit im schulischen durch. Darunter befanden sich beispielsweise Semi- und außerschulischen Bereich hat das Ziel, eine mög- nare, Symposien, Diskussionsveranstaltungen mit lichst breite Öffentlichkeit über die Staatssicherheit in Zeitzeugen, Schülerwettbewerbe, wissenschaftliche der DDR, ihre Rolle im politischen System und die Zu- Tagungen sowie Projekttage oder -wochen für Schü- sammenhänge ihres Wirkens und die bis heute anhal- ler. tenden Folgen zu unterrichten. Dabei liegt ein besonde- Die Landeszentralen für politische Bildung leisten mit res Augenmerk auf der Zielgruppe der Jugendlichen, die ihrer Arbeit einen außerordentlich wichtigen Beitrag, die das Leben in der DDR nur aus Filmen und Büchern, dem Auseinandersetzung mit Geschichte und Folgen der Schulunterricht oder aus Erzählungen anderer kennen. SED-Diktatur in der gesamten Bundesrepublik zu er- Für sie gibt es besondere Angebote, die auf die Bedürfnis- möglichen. se junger Menschen zugeschnitten sind. So werden zum Beispiel Seminare für Schüler in Gedenkstätten angebo- Die Landesbeauftragten für die Unterlagen ten und Zeitzeugengespräche vermittelt. des Staatssicherheitsdienstes der Ihrem Bildungsauftrag kommen die Behörden der Lan- ehemaligen DDR desbeauftragten durch eine Vielzahl von Veranstaltun- Die Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssi- gen nach, oft in Zusammenarbeit mit anderen Bildungs- cherheitsdienstes der ehemaligen DDR (LStU) der neuen und Aufarbeitungseinrichtungen und Gedenkstätten. Länder und Berlin – in Brandenburg Landesbeauftragte Neben den bereits genannten Formaten für Schüler wer- zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Dik- den regelmäßig Veranstaltungen für alle interessierten tatur (LAkD) – unterstützen den Bundesbeauftragten für Personen durchgeführt, die von Diskussionsabenden mit Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 63

Zeitzeugen über Buchvorstellungen bis zu Vorträgen und Im Bereich der Politischen Jugendbildung haben in den Filmvorführungen reichen. vergangenen Jahren zahlreiche Veranstaltungen stattge- funden, die sich mit der Geschichte der DDR, der Ge- Weiter bestehen unterschiedliche Fortbildungsangebote schichte der beiden deutschen Staaten, dem Zusammen- für Lehrer, teilweise auch für Rechtsreferendare und wachsen der beiden deutschen Staaten nach der Teilnehmer am Freiwilligen Sozialen Jahr. Vereinigung und somit explizit bzw. im Kontext von Fra- gen der jüngeren deutschen Zeitgeschichte mit der Auf- Forschung arbeitung der SED-Diktatur beschäftigt haben. Dabei Die Landesbeauftragten unterstützen und begleiten Pro- wurden die Themen sowohl in Bildungsangeboten in jekte und Forschungsvorhaben, führen aber auch selbst den alten und neuen Ländern, als auch in Kooperationen Forschungsarbeiten durch. Auch hier kooperieren sie mit zwischen Einrichtungen in den alten und den neuen wissenschaftlichen Einrichtungen, Opferverbänden, Ländern bearbeitet. Aufarbeitungsinitiativen, Bildungsinstitutionen und Ge- Einige Bildungsträger – wie etwa die ET – haben zur Auf- denkstätten. arbeitung der DDR-Geschichte und der SED-Diktatur ei- nen eigenen zentralen thematischen Schwerpunkt der Programme und Projekte zur historisch-politischen Bildung eingerichtet, in dem die Politischen Jugendbildung Bildungsformate ständig weiterentwickelt werden. Die Bundesregierung fördert mit Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes die Arbeit der Träger der Exemplarische Veranstaltungen und Projekte Politischen Jugendbildung auf der Bundesebene. Politi- sche Jugendbildung bestärkt junge Menschen in ihrer Das Projekt Blended Learning DDR Entwicklung zu selbstbestimmten, demokratisch han- In einem zweijährigen Projekt (2009/10) des AdB zur Ver- delnden Bürgerinnen und Bürgern. Sie fördert den indi- bindung von Online-Lernen und Auseinandersetzung viduellen und gemeinsamen Meinungsbildungsprozess mit DDR-Geschichte in der politischen Jugendbildung über gesellschaftliche und politische Vorgänge. Sie schafft wurden mit Jugendlichen aus Ost- und Westdeutschland Möglichkeiten der friedlichen Auseinandersetzung und die Themen „Die Revolution ist großartig... Aufstand der macht kompetent für die Mitwirkung in Betrieb oder Jugend in der DDR?“, „Soundtrack zur Freiheit – Musik in Schule. Sie zeigt Handlungsmöglichkeiten auf und macht der DDR“ und „Von der Wende bewegt“ bearbeitet. Mut, diese auch zu nutzen. Sie fördert Selbstbewusstsein, Das Projekt basierte auf der Grundannahme, dass eine Teilhabefähigkeit und die Lust, sich einzumischen. Poli- Beschäftigung mit dem Thema „DDR-Geschichte“ mehr tische Bildung vermittelt jungen Menschen Kenntnisse als eine reine Informationsvermittlung erfordert: Mit über Gesellschaft und Staat, europäische und internatio- den zielgruppenadäquaten Themen bieten sich neue An- nale Politik. Der Begriff des Politischen begründet sich satzpunkte für die Bildungsarbeit; die Einbeziehung im Gemeinwesen, in der Lebenswelt und im Sozialraum. neuer Medien erhöht die Attraktivität für Jugendliche. Die außerschulische politische Jugendbildung ist ein ei- Der Online-Lernprozess unterstützte den Lernprozess im genständiger Teil der Jugendarbeit. Ihre Träger sind Bil- Seminar. dungsstätten, Akademien, Bildungswerke und Volks- Die Teilnehmenden sollten die Existenz und das Schei- hochschulen. Sie arbeiten auf örtlicher, regionaler, tern der DDR einordnen und bewerten. Sie sollten erken- Landes- und Bundesebene. Die bundesweit arbeitenden nen, dass öffentlich geäußerte Kritik und Protest an Träger politischer Jugendbildung außerhalb der Jugend- staatlicher Macht in einer Demokratie legitimes Mittel verbände haben sich in der GEMINI (Gemeinsame Initia- der politischen Auseinandersetzung sind, und entde- tive der Träger politischer Jugendbildung) zusammenge- cken, dass Bürgerbewegungen erfolgreich Wirkungen schlossen: die Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer für Menschen und für die Verbesserung von Lebensbe- Bildungswerke e. V. (AKSB), der Arbeitskreis deutscher dingungen entfalten können, wenn sie gewaltfrei demo- Bildungsstätten e. V. (AdB), der Bundesarbeitskreis AR- kratischen Zielen folgende Bedingungen erfüllen. In Prä- BEIT UND LEBEN e. V. (AL), der Deutsche Volkshoch- senzseminaren mit Jugendlichen aus Ost- und West- schulverband e. V. (DVV), die Evangelische Trägergruppe deutschland, vor- und nachgelagerten Online-Lernpha- für gesellschaftspolitische Jugendbildung (ET) und der sen mit Kommunikationsangeboten, Motivationsaufga- Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum e. V. ben, Umfragen, Arbeitsaufgaben und einer Abschluss­ Die GEMINI ist Teil des Bundesausschusses Politische tagung wurden die Projektziele umgesetzt. Bildung (bap), dem Zusammenschluss von rund 30 bun- desweit tätigen Trägerverbänden. 64 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung

Grenzerfahrungen – eröffnen Chancen stärkt die grundlegenden Bedingungen für ein gleich- wertiges und gewaltfreies Zusammenleben. Der Ent- Das grenzübergreifende Projekt der Kreisvolkshochschu- wicklung von Extremismus sowie Vorurteils- und Ge- le Ludwigslust (DVV) gab Jugendlichen aus Schleswig- waltkriminalität wird so entgegengewirkt. Holstein und Mecklenburg-Vorpommern Gelegenheit, sich gemeinsam mit Schicksalen, Entwicklungen und Wichtige Zielgruppen des Programms sind Vereine und Ansichten der jüngeren deutsch-deutschen Geschichte Verbände sowie Kommunen in ihrer Funktion als Part- im grenznahen Raum auseinander zu setzen. Dabei ging ner der Zivilgesellschaft. In diesen Bereichen entstehen es sowohl um geschichtliche Ereignisse und Befindlich- bürgerschaftliches Engagement, Demokratiebildung, Ge- keiten als auch um Entwicklungen und Ansichten nach meinsinn und die Bildung einer lokalen Identität. Dies der deutschen Vereinigung. Neben Interviews mit Zeit- alles hilft, eine engagierte, konfliktfähige und pluralisti- zeugen spielten auch Aspekte der Regionalentwicklung sche Gesellschaft zu unterstützen, die über die Fähigkeit eine Rolle, weshalb Exkursionen sowie Begegnungen mit der Selbstimmunisierung gegen extremistische Einflüsse einem Landschaftspflegeverein stattfanden. Über den verfügt. In diesem Sinne setzen sich in dem Programm Zusammenhang der wirtschaftlichen und politischen verschiedene Einzelprojekte mit der Aufarbeitung der Entwicklung verfasste eine Projektgruppe ein Skript, das SED-Diktatur auseinander. auch als Unterrichtsmaterial verwendet werden kann. Nach einem von der Projektgruppe entwickelten Dreh- Das Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – buch entstand, unter Einbezug privater historischer Auf- KOMPETENZ STÄRKEN“ nahmen und eines professionellen Drehteams, ein Film, der auf der Internetseite des DVV www.dvv-vhs.de ab- Das Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – KOM- rufbar ist. PETENZ STÄRKEN“ des BMFSFJ führt seit dem 1. Januar 2011 die erfolgreiche Arbeit der beiden Bundesprogram- Für Demokratie und Toleranz – gegen me „VIELFALT TUT GUT. Jugend für Vielfalt, Toleranz Extremismus und Demokratie“ und „kompetent. für Demokratie – Be- Das Engagement für Demokratie und Toleranz ist ein ratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ unter ei- wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Dazu braucht nem gemeinsamen Dach fort. Es zielt darauf ab, ziviles es Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren und da- Engagement, demokratisches Verhalten und den Einsatz mit die Werte unserer Demokratie an die nächste Gene- für Vielfalt und Toleranz zu fördern. Angesprochen wer- ration weitergeben. den sollen besonders Kinder und Jugendliche, aber auch Zu einer Stärkung des demokratischen Bewusstseins ge- Eltern, Pädagogen, lokal einflussreiche staatliche und zi- hört auch die Bereitstellung von zielgruppengenauen In- vilgesellschaftliche Akteure sowie Multiplikatoren. Ein formationen zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte, Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung Lokaler Ak- insbesondere der NS-Terrorherrschaft und der SED-Dik- tionspläne. Gerade in den Projekten mit stark regionalem tatur. Bezug steht die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte im Mittelpunkt. Hierzu tragen insbesondere die Angebote und Maßnah- men der Bundeszentrale für politische Bildung wie auch Das Bundesprogramm „Initiative Demokratie Stärken“ die Bundesprogramme des BMI sowie des BMFSFJ bei. Durch den positiven Ansatz, demokratische Teilhabean- Das BMFSFJ hat im Rahmen seiner Zuständigkeiten für gebote zu unterbreiten und hierfür zu qualifizieren, leis- politische Bildung im Jugendbereich 2010 seine Aktivitä- ten sie auch einen wichtigen Beitrag zur Prävention von ten im Bereich der Extremismusprävention auf die Felder Extremismus. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur stellt Linksextremismus und islamistischer Extremismus aus- dabei jedoch nur bei den Beiträgen der Bundeszentrale geweitet und diese unter dem Bundesprogramm „Initia- für politische Bildung einen Schwerpunkt dar. tive Demokratie Stärken“ gebündelt.

Das Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ Dieses Programm setzt – ähnlich wie das Präventions- des Bundesministeriums des Innern programm des Bundesfamilienministeriums gegen Rechtsextremismus – vorrangig im pädagogischen, inte- Das BMI fördert mit dem Bundesprogramm „Zusam- grativen und bildungsorientierten Bereich an. menhalt durch Teilhabe“ seit 2010 Projekte für demokra- tische Teilhabe und gegen Extremismus in Ostdeutsch- Die Ursachen von Linksextremismus bei Jugendlichen land. Im Zentrum steht die Umsetzung eines integrati- und jungen Menschen sind in Deutschland bislang wenig ven und ganzheitlichen Förderansatzes für demokrati- erforscht. Das BMFSFJ will hier Abhilfe schaffen durch sche Teilhabe. Das Programm soll vor allem im Vorfeld Beiträge zur Verbesserung der pädagogischen Praxis in möglicher extremistischer Gefährdungen wirken. Dies Form von modellhaften Präventionskonzepten. Zudem Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung 65 sollen die dafür notwendigen wissenschaftlichen Grund- fragten Schüler glaubte, wenig über die DDR und das ge- lagen geschaffen werden. teilte Deutschland zu wissen und darüber in der Schule kaum etwas oder überhaupt nichts zu erfahren. Diese Ein wichtiger Zugang zum Thema Linksextremismus ist Selbsteinschätzung wurde in der Studie bestätigt. Die die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur. Gerade große Mehrheit der Jugendlichen konnte die gestellten für junge Menschen kann die Verdeutlichung der Konse- Wissensfragen nicht richtig beantworten, sie hatten quenzen linksextremer Weltbilder ein wichtiger Beitrag kaum ausgeprägte Kenntnisse über die DDR. Eine Mehr- zur Stärkung von Demokratie und Toleranz sein. Dies ist heit wusste nicht, wer die Mauer errichtet hat. Auch die u. a. Ziel des Projekts „Rahmenkonzeption zur Auseinan- Trennlinien zwischen Demokratie und Diktatur waren dersetzung mit antidemokratischen gewaltorientierten vielen Schülern nicht bekannt. In Ostdeutschland kenn- linksextremistischen Ideologien und Strömungen“ der zeichnete nicht einmal jeder Zweite, in Westdeutschland Stiftung Europäische Jugendbildungs- und Begegnungs- immerhin noch jeder Dritte die DDR nicht ausdrücklich stätte Weimar. als Diktatur. Eine absolute Mehrheit wusste nicht, ob die DDR-Regierung durch demokratische Wahlen legiti- DDR-Geschichte im Schulunterricht miert war. Insgesamt kam die Studie zu dem Ergebnis, Der Behandlung der DDR-Geschichte im Schulunterricht dass das Bild der DDR stark vom Kenntnisstand geprägt kommt im Rahmen der Aufarbeitung der SED-Diktatur wird: Je mehr Schüler über den SED-Staat wussten, umso eine überragende Rolle zu. Hier wird jungen Menschen, kritischer fiel ihr Urteil aus, unabhängig von Herkunft, die aufgrund ihres Alters keine direkten und persönli- Geschlecht, Alter und besuchtem Schultyp. chen Erfahrungen mit und in der kommunistischen Dik- tatur in der DDR gemacht haben, vermittelt, wie das Le- Diese besorgniserregenden Befunde kurz vor den 20. Jah- ben in der DDR 40 Jahre lang vom Herrschaftsapparat restagen von Friedlicher Revolution 2009 und der deut- der SED bestimmt und kontrolliert wurde. Dieser mitt- schen Wiedervereinigung 2010 führten zu verstärkten lerweile mehr als 20 Jahre zurückliegende Teil der deut- Anstrengungen, der DDR-Geschichte im Unterricht an schen Geschichte ist als Lehrinhalt deshalb so wichtig, den Schulen den nötigen Platz einzuräumen und sie mit weil die Schüler durch die Beschäftigung mit der sozia- entsprechenden Angeboten für Lehrer und Schüler zu listischen Diktatur die im vereinten Deutschland herr- flankieren. So wurden die Lehrpläne der betroffenen Fä- schende Freiheit und Demokratie historisch besser ein- cher Geschichte, Sozial- und Gemeinschaftskunde (bzw. zuordnen und zu schätzen lernen. Zur Entwicklung eines Geschichte und politische Bildung, Gesellschaftslehre, umfassenden Geschichtsbewusstseins und für die De- Gesellschaftswissenschaften) entsprechend überarbeitet mokratieerziehung ist die vertiefte Behandlung der Ge- (zum Beispiel in Niedersachsen 2008). Bei anstehenden schichte der DDR deshalb unerlässlich. Überarbeitungen der Lehrpläne (so in Rheinland-Pfalz) sollen die Themen DDR-Geschichte und SED-Aufarbei- Das Thema DDR-Geschichte findet sich seit der Wieder- tung die gebotene Berücksichtigung finden. vereinigung in den Lehrplänen aller Länder. Dass es teil- weise nicht ausführlich genug und mit der gebotenen Der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und sei- Gewichtung unterrichtet wurde, zeigten verschiedene ner Geschichte wird in vielen Ländern durch Zeitzeugen- Studien6 in den vergangenen Jahren, die ein teilweise au- programme und Gedenkstättenbesuche um eine persön- ßerordentliches mediales Echo hervorgerufen haben. liche Erlebniserfahrung für die Schüler erweitert. Auf Demnach ist das Wissen der Schüler in Deutschland über diese Weise erhält das für viele abstrakte und historische die DDR oft sehr lückenhaft bis schlecht. Thema DDR ein Gesicht, das die Auseinandersetzung mit deren Geschichte und den Bedingungen, unter denen die Die Studie von Monika Deutz-Schroeder und Klaus Menschen dort leben mussten, fördert und erleichtert. Schroeder aus dem Jahr 2008 dokumentierte folgende Dabei ist bei diesen Maßnahmen die geografische Lage Befunde, deren alarmierende Tendenz 2012 in einer wei- der Gedenkstätten und die Verfügbarkeit von Zeitzeugen teren Untersuchung des Forschungsverbunds SED-Staat ein entscheidender Faktor für die Anwendung solcher erneut belegt wurde: Die überwiegende Mehrzahl der be- Mittel im Unterricht.

Des Weiteren erfolgen verstärkt themenbezogene Fort- 6 Vgl.: DDR-Geschichte im Unterricht. Schulbuchanalyse bildungen für die Lehrkräfte. Diesen steht mittlerweile – Schülerbefragung – Modellcurriculum. Hrsg. von Arnswald, Ulrich; Bongertmann, Ulrich; Mählert, Ulrich; Berlin 2006; ein breites Angebot an Unterrichtsmaterialien zur Verfü- Deutz-Schroeder, Monika; Schroeder, Klaus: Soziales Paradies gung, unter anderem vorgelegt von der Bundesstiftung oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern – ein Ost-West- Aufarbeitung, dem BStU, der BpB, den Landeszentralen Vergleich. Stamsried 2008 und Schroeder, Klaus; Deutz-­ für politische Bildung und den Beauftragten der Länder Schroeder, Monika; Quasten, Rita; Schulze Heuling, Dagmar: Später Sieg der Diktatur? Zeitgeschichtliche Kenntnisse und für die Stasi-Unterlagen. Einen beständig aktualisierten Urteile von Jugendlichen. Frankfurt am Main 2012. Überblick über alle derzeit verfügbaren didaktischen 66 Gesellschaftliche Aufarbeitung und politische Bildung

Materialien zur SED-Diktatur und zur deutschen Teilung Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, bietet der von der Bundesstiftung Aufarbeitung erarbei- die Bundesstiftung Aufarbeitung und die Stiftung Berli- tete Bildungskatalog (www.stiftung-aufarbeitung.de/bil- ner Mauer arbeiten seit dem 1. Juni 2011 im KZB zusam- dungs katalog). men. Sie bringen ihre bestehenden Zeitzeugenprojekte und Erfahrungen in diesem Bereich in das KZB ein. Es bestehen zurzeit Kontakte zu 150 Zeitzeugen zu den The- Das Koordinierende Zeitzeugenbüro menfeldern „Friedliche Revolution“, „Verfolgung und politische Haft“ sowie „Mauer und Teilung“. Das KZB Das Koordinierende Zeitzeugenbüro (KZB) ist die Umset- vermittelt diese über die Internetauftritte www.ddr-zeit- zung eines der im Koalitionsvertrag für die 17. Wahlpe- zeuge.de und www.zeitzeugenbuero.de und organisiert riode vereinbarten Prüfaufträge zur Verstärkung der deren Besuche in Schulen und anderen Bildungseinrich- Aufarbeitung der SED-Diktatur durch die Bundesregie- tungen. Den einladenden Einrichtungen entstehen rung. durch die Zeitzeugengespräche keine eigenen Kosten, Die Zeitzeugenarbeit ist ein besonders wichtiges Instru- diese werden vom KZB getragen. Seit dem Start des Pro- ment, um historisches Wissen, insbesondere zur Dikta- jekts wurden 537 Zeitzeugenveranstaltungen durchge- turgeschichte, zu vermitteln. Berichte aus dem eigenen führt. Die über 26 000 Teilnehmer waren mehrheitlich und unmittelbaren Erleben ermöglichen einen persönli- Schüler. Die Resonanz auf die Arbeit des KZB ist äußerst positiv. Rückmeldungen von Lehrern und Schülern bele- chen Zugang zu zeithistorischen Themen und ergänzen gen, dass die Berichte der Zeitzeugen der Verklärung der abstrakte und vergleichsweise nüchterne Untersuchun- SED-Diktatur entgegenwirken und zu einer weiterge- gen und wissenschaftliche Texte. Nicht selten wird bei henden Beschäftigung mit der DDR motivieren. jungen Menschen durch die Begegnung mit einem Zeit- zeugen das Interesse für die jüngere Geschichte über- BKM fördert die Arbeit des KZB jährlich mit 200 000 haupt erst geweckt. Euro.

Fachbibliothek des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin.

9 Wissenschaftliche Aufarbeitung Wissenschaftliche Aufarbeitung 69

Die wissenschaftliche Erforschung der DDR erlebte seit schaftlich untersucht. Diese Aufarbeitung der Aufarbei- Beginn der 1990er Jahre aufgrund der Öffnung der ehe- tung reflektierte auch das in Teilen der ostdeutschen Be- maligen DDR-Archive und eines überragenden öffentli- völkerung verbreitete Unbehagen gegenüber den in chen Interesses einen regelrechten Boom. Dabei ging es Politik und Wissenschaft vorherrschenden Deutungen zunächst, insbesondere in Ostdeutschland, um die offene der SED-Diktatur. Der anfangs dominierende Schwer- Thematisierung „weißer Flecken“ und die Entlarvung punkt der Aufarbeitung auf der Herrschafts- und Re- von Geschichtslegenden der SED, etwa um die sowjeti- pressionsgeschichte entsprach in vielen Fällen nicht den schen Speziallager und um die besonderen Umstände der individuellen Erinnerungen und wurde als „Geschichte Zwangsvereinigung von KPD und SPD 1946, aber auch von oben“ empfunden, was zu konträren Deutungsmus- um die Rolle der Geschichte als Wissenschaft unter poli- tern führte (Stichwort „Ostalgie“). tischem Primat. Überdies wurden die Herrschaftsstruk- Im Folgenden wird die Arbeit von Einrichtungen vorge- turen, die Geschichte von Repression, Widerstand und stellt, die für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Opposition genauso thematisiert wie etwas später auch DDR-Geschichte von besonderer Relevanz sind, ohne die die „Grenzen der Diktatur“, der Alltag und der „Eigen- Bedeutung insbesondere der einzelnen Grundlagenfor- Sinn“ von Einzelnen und Gruppen in der DDR. Begleitet schung an den verschiedenen Fakultäten der deutschen wurde die wissenschaftliche Auseinandersetzung von und internationalen Universitäten zu schmälern. Anfang an durch eine starke Tendenz einzelner Medien zur Fokussierung auf skandalöse Vorgänge der DDR-Ver- gangenheit und insgesamt zur Verengung auf den Kom- Das Institut für Zeitgeschichte, plex Staatssicherheit, juristische Strafverfolgung und München und Berlin Opferproblematik. Anlässlich von Jahrestagen zentraler Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) hat sich bereits seit Ereignisse, die nicht nur für die DDR, sondern auch für den 1950er Jahren mit der Geschichte der DDR auseinan- die Bundesrepublik von herausragender Bedeutung wa- dergesetzt. Nach der Friedlichen Revolution und der Ver- ren, wurde die DDR-Geschichte immer wieder in der Öf- einigung Deutschlands errichtete das IfZ Anfang 1994 fentlichkeit diskutiert. eine Abteilung in Potsdam, die ihren Sitz seit 1996 in Berlin hat, um die SED-Diktatur gründlich zu erfor- Gut ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung war die schen. Die Berliner Abteilung leistete in den ersten Jah- wissenschaftliche Aufarbeitung immer mehr von einer ren Grundlagenarbeit für die DDR-Forschung. Lag der sich professionalisierenden, differenzierten Forschung Schwerpunkt zunächst auf der sowjetischen Besatzungs- bestimmt. Das Themenspektrum erweiterte sich wesent- zone und den Anfangsjahren der DDR, so erstreckt sich lich gegenüber den 1990er Jahren. Angesichts des Vor- die Forschungstätigkeit bereits seit längerem auf die Ge- wurfs, die DDR-Forschung konzentriere sich in „Verinse- schichte der SBZ und der DDR insgesamt. Diese wird frei- lung“ zu sehr auf die ostdeutsche Diktatur selbst, wurde lich nicht isoliert, sondern im deutsch-deutschen, ost- nun verstärkt über Aussagekraft und -grenzen einer mitteleuropäischen und internationalen Kontext sowie DDR-fokussierten Forschung und ihrer Einbettung in die als Teil der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert un- deutsche und europäische Geschichte des 20. Jahrhun- tersucht. Diese Perspektiven sollen grundsätzlich beibe- derts reflektiert, wobei sich besonders Ansätze einer inte- halten werden, auch wenn sich die Forschung tendenziell grierten deutsch-deutschen Geschichte und einer ost- stärker der Gegenwart nähern wird und neue, der Gegen- mitteleuropäischen Vergleichs- und Transfergeschichte wart entstammende Fragen an die Geschichte gestellt als fruchtbar erwiesen haben. werden müssen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Arbeit der Abteilung in drei große Schwerpunkte glie- Die Forschungsförderung der Bundesstiftung Aufarbei- dern: tung verdient in diesem Zusammenhang besondere Er- wähnung (vgl. S. 48 f.). Ohne ihre Habilitations- und Pro- 1 Die Geschichte der SBZ und der DDR 9 Wissenschaftliche Aufarbeitung motionsstipendien wäre manche wichtige Arbeit zum Die Abteilung hat sich von Anfang an mit zentralen Thema nicht entstanden, ohne ihre Druckkostenzu- Aspekten des politischen, wirtschaftlichen und sozia- schüsse nicht angemessen publiziert worden. Tagungen len Systems in der SBZ und der DDR beschäftigt. Dazu und Workshops bieten der Wissenschaft ein wichtiges gehörte insbesondere die Analyse des Justizwesens, Forum des Austauschs. Mit dem Jahrbuch für Historische der ostdeutschen Planwirtschaft sowie der Vertriebe- Kommunismusforschung gibt die Bundesstiftung da- nenintegration. Zurzeit bildet die bisher in der For- rüber hinaus ein zentrales Medium zur Aufarbeitung schung vernachlässigte SED-Geschichte zwischen dieser Epoche heraus. 1961 und 1989 einen Forschungsschwerpunkt.

Die fachwissenschaftliche, öffentliche und politische 2 Die DDR im osteuropäischen und internationalen Zu- Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte seit 1990 sammenhang wurde von Beginn an aufmerksam verfolgt und wissen- Seit ihrem Bestehen hat die Abteilung immer wieder 70 Wissenschaftliche Aufarbeitung

grundlegende Studien, Dokumentationen und Hand- senschaftliche Forschung tätigen DDR-Forscher noch bücher zur Geschichte des sowjetisch-deutschen Ver- FU-Politologen und -Historiker konnten eine den neuen hältnisses zwischen 1945 und 1954 vorgelegt. Darüber Herausforderungen angemessene Konzeption entwi- hinaus hat sie die DDR in den letzten Jahren immer ckeln. stärker auch im internationalen System verortet: Zum Aus einem bestehenden, aber eher unverbindlichen Ar- einen wurde eine umfassende Gesamtdarstellung der beitszusammenhang von Wissenschaftlern aus verschie- DDR-Außenpolitik erarbeitet. Zum anderen beschäf- denen Fachbereichen und Instituten, die zur Geschichte tigt sich die Berliner Abteilung des IfZ im Rahmen des der DDR oder zum Vereinigungsprozess arbeiteten, ent- Projekts „Der KSZE-Prozess: Multilaterale Konferenz- stand die von Historikern, Politikwissenschaftlern und diplomatie und ihre Folgen“ mit den Wirkungen des Soziologen getragene Initiative, die 1992 mit tatkräftiger KSZE-Prozesses auf die Bevölkerung in den kommu- Unterstützung des FU-Präsidenten zur Gründung des nistischen Staaten. Es werden die Interdependenzen Forschungsverbundes SED-Staat führte. Anfangs stand von Außen- und Innenpolitik in der DDR untersucht, die Frage nach Herrschaftsformen und -methoden der die aus dem KSZE-Prozess resultierten. Kritik, Dissi- SED im Vordergrund der Arbeit. Hinzu kamen Untersu- denz und Opposition werden im Spiegel von staatli- chungen zu Vorgeschichte, Verlauf und Folgen der SED- chen Perzeptionen und Reaktionen analysiert. Die Ar- Diktatur. beiten in dieser internationalen Perspektive, die sich auch mit der Frage nach dem Werden des „neuen Eu- Die bisher durchgeführten und laufenden Projekte des ropa“ seit den 1970er Jahren verbinden, werden fortge- Forschungsverbundes SED-Staat konzentrieren sich auf setzt. ausgewählte Schwerpunkte der DDR-Geschichte und des deutschen Wiedervereinigungsprozesses sowie um die 3 Das doppelte Deutschland/Deutschland im Umbruch Kriegsfolgen in der SBZ, Vertreibung und Zwangsarbeit. 1970 bis 2000 Allgemein formuliert ging es um die Etablierung, Stabili- Nach dem erfolgreichen Sammelband „Das doppelte sierung und Transformierung sozialistischer Diktaturen Deutschland“ (erschienen 2008 beim Ch. Links Verlag am Beispiel der DDR. Erste Ergebnisse der verschiedenen Berlin sowie bei der Bundeszentrale für politische Bil- Projekte verdeutlichten frühzeitig den inneren Zusam- dung) setzt die Abteilung ihre Arbeit auch in dieser menhang von Geschichte und Gegenwart. Der Vereini- Richtung fort. In Planung sind nun verschiedene Pro- gungs- und Transformationsprozess lässt sich ohne Be- jekte, die im Rahmen eines neuen Schwerpunktes zug auf Strukturen und Entwicklungslinien der DDR „Historische Transformationsforschung“ in einer ebenso wenig analysieren wie die Vor- und Gründungs- deutsch-deutschen Perspektive Wandlungsprozesse in geschichte der DDR ohne die Berücksichtigung der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seit den 1970er ­vorausgegangenen nationalsozialistischen Diktatur und Jahren thematisieren und bewusst die Zäsur 1989/90 ihrer Zerschlagung durch die Alliierten. Was anfangs überschreiten („Deutschland im Umbruch 1970 bis Außenstehenden als eine verwirrende Vielzahl eher will- 2000“). Wie sehr etwa die Entwicklungen der 1970er kürlich zusammen gewürfelter Projekte erschienen sein Jahre in Ost- und Westdeutschland bis in die Gegen- mag, erwies sich in der konkreten Arbeit als nutzbrin- wart hineinwirken, verdeutlicht derzeit kaum ein an- gender Vorteil. Synergieeffekte ergaben sich insoweit deres Thema so gut wie die Finanzierung eines Teils nicht nur zwischen zeitgeschichtlichen Projekten, son- der öffentlichen Haushalte durch Schulden. Darüber dern speziell auch für Untersuchungen des Transforma- hinaus beleuchten Untersuchungen aus diesem Be- tionsprozesses. reich deutsch-deutsche Planungskulturen seit den 1970er Jahren und den gewandelten Umgang mit Se- Die Projekte des Forschungsverbundes können systema- xualität im geteilten und wiedervereinigten Deutsch- tisch in neun Themenfeldern zusammengefasst werden, land 1965 bis 2000. wobei sich der innere Zusammenhang aus den genann- ten forschungsstrategischen Schwerpunkten ergibt:

Der Forschungsverbund SED-Staat –– Errichtung und Aufrechterhaltung der Diktatur in der Freien Universität Berlin der DDR durch die Der Zusammenbruch der DDR und die nachfolgende –– SED-Führung und ihren zentralen Parteiapparat deutsche Wiedervereinigung eröffneten der Geschichts- –– die Deutschlandpolitik der SED wissenschaft und den Sozialwissenschaften ein breites –– die SED-Kirchenpolitik gegenüber der evangelischen Forschungsfeld und verdeutlichten gleichzeitig Probleme Kirche und Defizite der westdeutschen DDR- und Deutschland- forschung vor 1989/90. Auch die Wissenschaftler der –– die SED in den Systemkrisen des sowjetischen Impe- Freien Universität Berlin wurden von den Ereignissen riums überrascht. Weder die am Zentralinstitut für sozialwis- –– die Wissenschafts- und Kulturpolitik der SED Wissenschaftliche Aufarbeitung 71

–– die Medienpolitik von SED und MfS Das Projekt, das im Juli 2012 begonnen hat, soll einen –– widerständiges Verhalten und Opposition im SED- wichtigen Beitrag dazu leisten, dass das von der SED- Staat Diktatur an der deutsch-deutschen Grenze verübte Un- recht nicht in Vergessenheit gerät. BKM und die Länder –– Flucht und Vertreibung Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen unterstützen –– Vereinigungs- und Transformationsprozesse. die geplante Untersuchung finanziell. Der Forschungs- verbund SED-Staat bringt darüber hinaus beträchtliche Der Forschungsverbund, zunächst als befristete und in Eigenleistungen in das Projekt ein. regelmäßigen Abständen zu evaluierende Einrichtung konzipiert, finanziert sich von Beginn an überwiegend Die öffentliche Vorstellung des Forschungsvorhabens in aus Drittmitteln. In Kooperation mit einigen Landeszen- der Gedenkstätte Berliner Mauer am 10. August 2012 lös- tralen für politische Bildung führte der Forschungsver- te ein nachhaltiges Echo in den Medien und bei den Ein- bund seit Mitte der neunziger Jahre eine Vielzahl von richtungen der Aufarbeitung des SED-Unrechts aus. Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen zur deutschen Teilungsgeschichte und zum Vereinigungs- Das Hannah-Arendt-Institut für prozess durch. Darüber hinaus kooperiert er mit einer Totalitarismus-forschung e. V. an der Reihe von Institutionen, die sich ebenfalls mit der Aufar- Technischen Universität Dresden beitung der deutschen Teilungsgeschichte und dem Ver- Für die wissenschaftlichen Bedingungen sowie die inter- einigungsprozess beschäftigen. ne Debatte der bisherigen westlichen bzw. westdeutschen DDR-Forschung stellten die Friedliche Revolution und Der Forschungsverbund hat seit seiner Gründung mit die Wiedervereinigung 1989/90 eine Art Quantensprung seinen zahlreichen Publikationen zu wissenschaftlichen, dar. Der jetzt erstmals auf allen Ebenen mögliche Zugriff aber auch zu politischen Kontroversen um die Bewer- auf authentische Quellen und Dokumente beseitigte tung der deutschen Teilungsgeschichte, speziell der DDR nicht nur Jahrzehnte lang bestehende Beeinträchtigun- und des Wiedervereinigungsprozesses, beigetragen. Sei- gen der Forschung, sondern forderte gleichzeitig zu einer nem Selbstverständnis gemäß fühlt er sich in seiner wis- umfassenden kritischen Aufarbeitung der Geschichte senschaftlichen Arbeit den Werten einer freiheitlich-de- der SBZ und der DDR auf. mokratischen Gesellschaft verpflichtet, die für ihn Maßstäbe bei der Beurteilung der sozialistischen Dikta- Vor diesem seinerzeit politisch aktuellen und zugleich tur DDR sind. Mit seiner Arbeit will der Forschungsver- wissenschaftlichen Hintergrund vollzog sich die Grün- bund gleichzeitig zur Delegitimation jeglicher Diktatur dung des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismus- beitragen und junge Menschen gegen links- wie recht- forschung e. V. an der Technischen Universität Dresden stotalitäre Verführungen immunisieren. (HAIT), das 1993 seine Arbeit aufnahm. Diese wurzelt in der beinahe 60jährigen, doppelten Diktaturerfahrung Das Forschungsprojekt „Opfer des DDR-Grenz- Ostdeutschlands sowie im aufklärerischen Impuls der regimes an der innerdeutschen Grenze“ Friedlichen Revolution von 1989/90. Kurz nach der Wie- dervereinigung und der Gründung des Freistaates Sach- Im Jahre 2009 erschien das umfangreiche biografische sen fasste der Landtag den Beschluss zum Aufbau des In- Handbuch über „Die Todesopfer an der Berliner Mauer stituts. Die Namensgebung würdigt die deutsch-ameri- 1961 bis 1989“. Ihm lag ein Forschungsprojekt des Zen­ kanische Philosophin und Politikwissenschaftlerin trums für Zeithistorische Forschung Potsdam und der Hannah Arendt (1906 bis 1975), deren wissenschaftliche Stiftung Berliner Mauer zugrunde, das von BKM finan- Auseinandersetzung mit Diktaturen zum zentralen Be- ziert wurde (vgl. S. 83 f.). Die Veröffentlichung dieses stand der Totalitarismusforschung gehört. Entsprechend Kompendiums fand eine überaus positive Resonanz im widmet sich das Hannah-Arendt-Institut seither vor al- In- und Ausland. lem der systematischen Untersuchung des Sozialismus/ Kommunismus und des Nationalsozialismus. Noch nicht hinreichend erforscht ist dagegen das Schick- sal der Toten an der früheren innerdeutschen Grenze. Aufgrund des enormen politischen und öffentlichen In- Der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität teresses an der Geschichte der DDR ab 1989/90 sowie be- Berlin widmet sich in Kooperation mit der Gedenkstätte dingt durch den Umstand, dass die Gründung des HAIT Deutsche Teilung Marienborn den Folgen des DDR- maßgeblich von DDR-Oppositionellen bewirkt wurde, Grenzregimes an diesem Grenzabschnitt. Das For- hat sich das Institut in den inzwischen fast zwei Jahr- schungsprojekt hat zum Ziel, alle Todesfälle zwischen zehnten seiner Existenz schwerpunktmäßig mit der Ge- 1949 und 1989 im ursächlichen Zusammenhang mit der schichte der SBZ und der DDR auseinandergesetzt. Dies ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zu untersuchen fand seinen Niederschlag sowohl in durchweg quellenge- und die Toten biografisch zu würdigen. stützten zeithistorischen Forschungen als auch in poli- 72 Wissenschaftliche Aufarbeitung tikwissenschaftlich-ideologiekritisch ausgerichteten gischen Hochschulen, mit denen es durch gemeinsame Analysen, wobei Vergleiche zu anderen totalitären Dik- Berufungen und Kooperationsverträge eng verknüpft ist taturen, insbesondere zum Nationalsozialismus immer und einen gemeinsamen Studiengang anbietet (Public wieder – soweit es sinnvoll und praktikabel erschien – History Master an der FU Berlin). durchgeführt wurden. Seit 2009 ist das ZZF Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Der Aufbau des sozialistischen Herrschaftssystems, die Mit dieser institutionellen Absicherung durch eine ver- Machtsicherung und die Kaderpolitik, die praktizierte lässliche Bund-Länder-Finanzierung ging eine themati- Repression und die davon betroffenen Opfer sowie die sche Öffnung zu Fragen der europäischen Zeitgeschichte Rekonstruktion und Analyse der Friedlichen Revolution des gesamten 20. Jahrhunderts einher. Hervorgegangen von 1989/90 auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene ist das Institut aus dem „Forschungsschwerpunkt Zeit- stellen besondere Forschungsschwerpunkte des Instituts historische Studien“, der 1992 auf Empfehlung des Wis- dar. Dabei hat sich das Institut aber auch mehrfach mit senschaftsrates als eines von sieben neuen Geisteswis- einem bis heute von der DDR-Forschung vernachlässig- ten Themenfeld intensiv befasst: der Entwicklung von senschaftlichen Zentren errichtet wurde, um positiv Wissenschaft, Forschung und Technik im SED-Staat. evaluierte Forschungsprojekte ostdeutscher Fachkolle- gen mit bundesdeutschen und internationalen Arbeits- Inzwischen ist die Forschungstätigkeit des HAIT weiter vorhaben zusammenzuführen. 1996 erfolgte die Um- fortgeschritten und hat sich den Folgeproblemen der gründung zum Zentrum für Zeithistorische Forschung Friedlichen Revolution, dem Transitions- und dem sich e. V., das die zeithistorische DDR-Forschung mit seiner anschließenden Transformationsprozess gewidmet. Ins- gesellschaftsgeschichtlichen Perspektive wesentlich besondere der spezifische Transformationsprozess in den prägte. Hierauf aufbauend, dehnte es sein Arbeitsfeld in neuen Ländern im Vergleich zu früheren sozialistischen den Folgejahren rasch über die vergleichende Kommu- Staaten wird zurzeit intensiv erforscht. nismus- und Diktaturforschung hinaus auf die jüngere Das Institut leistet gemäß seiner Satzung Bildungsarbeit deutsche Zeitgeschichte im internationalen Kontext ins- auf praktisch allen Ebenen. Dies betrifft die Zusammen- gesamt aus. arbeit sowohl mit der Landeszentrale für politische Bil- dung in Sachsen als auch mit der Stiftung Sächsische Ge- Das ZZF gliedert sich gegenwärtig in fünf Abteilungen, denkstätten. Weiter gehören Vorträge, öffentliche die folgende Schwerpunkte bearbeiten: Veranstaltungen, wissenschaftliche Seminare an Universi- täten, Buchpräsentationen sowie die Fortbildung von –– In der Abteilung I „Kommunismus und Gesellschaft“ Gymnasial- und Mittelschullehrern zu den Bildungsmaß- konzentrieren sich die Forschungen auf die soziale nahmen des HAIT. Nicht zuletzt ist es ein Anliegen des Insti- Praxis der Herrschaft in der DDR und Ost(mittel)eu- tuts, wissenschaftliche Forschungsergebnisse möglichst ropa. rasch weiterzugeben, um auf diese Weise zur Stärkung –– In der Abteilung II „Wirtschaftliche und soziale Um- eines demokratischen Bewusstseins beizutragen. brüche im 20. Jahrhundert“ werden sozioökonomi- sche sowie sozialstrukturelle und soziokulturelle Das Zentrum für Zeithistorische Umwälzungen der modernen europäischen Gesell- Forschung, Potsdam schaften untersucht. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) ist ein –– Die Forschungsvorhaben der Abteilung III „Wandel zeitgeschichtliches Grundlagenforschungsinstitut, das des Politischen; Rechte, Normen, Semantik“ gehen sich mit der deutschen und europäischen Geschichte des der Frage nach, ob sich im Rückblick auf das vergan- 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts befasst und in gene Jahrhundert ein die Staaten und Machtblöcke methodisch-theoretischer Hinsicht insbesondere gesell- übergreifender Wandel erkennen lässt, im Zuge des- schaftsgeschichtliche Perspektiven verfolgt. Das Institut sen politisches Handeln sich zunehmend an transna- nimmt übergreifende Funktionen als Impulsgeber und tionalen Rechten und Normen orientiert. Reflexionsinstanz der fachwissenschaftlichen Zeithisto- –– In der Abteilung IV „Regime des Sozialen im 20. Jahr- rie wahr, wirkt aber auch als Ansprechpartner für wis- hundert. Mobilisierung, Wohlfahrtsstaatlichkeit und senschafts- und forschungspolitische Gegenwartsfragen Rationalisierung“ werden Fragen nach den Strategien im öffentlichen und politischen Raum. Über seine For- schungstätigkeit hinaus sieht das Institut einen wichti- gesellschaftlicher Integration und den Praktiken der gen Teil seiner Tätigkeit im forschungsbasierten Service Regulierung sozialer Prozesse untersucht. und Wissenstransfer. Es unterhält eine strukturierte –– Die Forschungsprojekte der Abteilung V „Zeitge- Doktorandenausbildung und engagiert sich in der uni- schichte der Medien- und Informationsgesellschaft“ versitären Lehre vor allem der Berliner und Brandenbur- analysieren die wachsende Rolle der audiovisuellen Wissenschaftliche Aufarbeitung 73

Medien in den europäischen Gesellschaften und de- Einrichtungen der DDR-Zeitgeschichtsforschung. Inten- ren transnationale Entwicklungstendenzen. siviert hat sich auch der wissenschaftliche Austausch mit den Partnerbehörden in den mittelosteuropäischen Staa- Einen besonderen Arbeitsschwerpunkt des Zentrums ten im Netzwerk der Aufarbeitungsinstitutionen und im bilden, ausgehend vom erst geteilten und dann wieder- Rahmen bilateraler Abkommen. vereinten Deutschland, die Beziehungsgeschichte von Ost- und Westeuropa und die globale Konkurrenz der Zur Unterstützung der Behörde bei der wissenschaftli- beiden gesellschaftlichen Großordnungen in der zweiten chen Aufarbeitung der Tätigkeit des MfS und bei der Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einen weiteren Akzent setzt Konzipierung der Forschungsarbeit wurde ein Wissen- das ZZF mit seinen Untersuchungen zur Geschichte und schaftliches Beratungsgremium eingerichtet, das Anfang zum Wandel der europäischen Vergangenheitsvergegen- des Jahres 2008 seine Arbeit aufnahm. Durch sein Wir- wärtigung im Zeitalter der Erinnerungskultur. Nicht zu- ken werden einerseits die Forschungsprojekte im kriti- letzt bilden regionalgeschichtliche Forschungsansätze zu schen und konstruktiven Diskurs gestärkt und anderer- Berlin und seinem Brandenburger Umland im Ost-West- seits die Arbeit der Wissenschaftler noch enger an den Konflikt einen weiteren wichtigen Themenschwerpunkt. Wissenschaftsbetrieb und andere Forschungsinstitute Das ZZF unterhält zwei eigene Publikationsreihen. Von angebunden. den „Zeithistorischen Studien“ im Böhlau-Verlag sind Die Schwerpunkte der Forschungsarbeit folgen dem ge- bereits 50 Bände erschienen. Seit 2010 gibt es im Wall- setzlichen Auftrag. Sie ergeben sich aus der Analyse der stein-Verlag zudem die neue Reihe „Geschichte der Ge- Tätigkeiten des MfS und vor dem Hintergrund aktueller genwart“, die übergreifende Signaturen des 20. Jahrhun- geschichtswissenschaftlicher Debatten. So war einer der derts in den Blick nimmt. Über die Forschungs- und ersten Forschungsgegenstände das Verhältnis des Staats- Publika­tionstätigkeit hinaus werden Ausstellungen, Dis- sicherheitsdienstes zur herrschenden SED: War das MfS kussionsveranstaltungen sowie Vortrags- und Filmrei- „Staat im Staate“ oder Instrument der Partei? Inzwischen hen zur deutschen Zeitgeschichte durchgeführt. In ei- kann es als wissenschaftlicher Konsens bezeichnet wer- nem gemeinsamen Projekt mit dem Potsdam-Museum den, dass letztere Hypothese die damalige Realität besser erarbeitet das ZZF die wissenschaftlichen Voraussetzun- trifft. gen für die Dauerausstellung in der Gedenkstätte „Lin- denstraße 54“, der ehemaligen U-Haftanstalt der Potsda- Ein weiterer früher Schwerpunkt betraf die Rolle der mer Stasi-Bezirksverwaltung. Durch seine Beteiligung Staatssicherheit in der politischen Justiz der DDR. Mit an dem von der DFG geförderten Projektverbund Clio- dem Band „Konzentrierte Schläge“ wurde die verschärfte online, die Entwicklung des Fachportals Zeitgeschichte- Verfolgungsphase zwischen dem 17. Juni 1953 und dem online und den Launch von Docupedia-Zeitgeschichte Beginn der Entstalinisierung 1956 erstmals detailliert hat sich das ZZF zu einem wichtigen Anbieter von zeit- aufgearbeitet. Für die Spätphase wurde eine Studie zum historischen Fachinformationen im Internet entwickelt. „Fall Havemann“ vorgelegt. Diese Arbeit legt die modifi- Seit 2004 wird am ZZF zudem die elektronische Zeit- zierten, scheinrechtsstaatlichen Manipulationen der Ära schrift „Zeithistorische Forschungen/Studies in Contem- Honecker offen. Seither wurde die Grundlagenforschung porary History“ (www.zeithistorische-forschungen.de) zu den für die politische Justiz maßgeblichen MfS-Berei- herausgegeben. chen vorangetrieben. So erschien ein Handbuch zur Hauptabteilung XIV, das Handbuch zur Hauptabteilung Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen IX steht vor der Vollendung. Derzeit ist ein Forschungs- des Staatssicherheitsdienstes der ehe- projekt zu Rechtsanwälten in der späten DDR in Bearbei- maligen Deutschen Demokratischen tung. Republik Wendepunkte in der DDR-Geschichte wecken im Zusam- Die BStU-Forschung nimmt seit Jahren einen festen Platz menhang mit den entsprechenden Jahrestagen immer in der Forschungslandschaft zur DDR-Geschichte ein. besonderes öffentliches Interesse. Mit zahlreichen Ta- Die dienstleistungsorientierte Forschung erfüllt die übli- gungen und Veranstaltungen, Sammelbänden, Mono- chen wissenschaftlichen Standards. Die Aufgaben des grafien und Aufsätzen wurde dem hinsichtlich des Auf- Forschungsfachbereichs bestehen in der Erarbeitung und standes vom 17. Juni 1953, des Mauerbaus am 13. August Veröffentlichung von Grundlagenwissen über die Staats- 1961 und der Friedlichen Revolution 1989 entsprochen. sicherheit zur Unterstützung von Wissenschaft, für Me- Das langfristigste Vorhaben im Zusammenhang mit der dien und politische Bildung sowie für die interessierte Aufklärung über Struktur und Methoden des Staatssi- Öffentlichkeit. cherheitsdienstes war und ist die Publikation eines orga- Von Anfang an gehörte zu den Merkmalen des Bereichs nisationsgeschichtlichen „MfS-Handbuches. Anatomie die Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur, Methoden“, 74 Wissenschaftliche Aufarbeitung das Grundinformationen zur Entwicklungsgeschichte, tematische Forschungstätigkeit zur Aufarbeitung der zu den wichtigen Zweigen des Apparates, zu den haupt- Militärgeschichte der DDR von den Anfängen bis zu ih- amtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern, zu Arbeitsprin- rem Ende. 1998 wurde ein Forschungsbereich „Militärge- zipien und deren normativen Grundlagen liefert. Es er- schichte der DDR im Bündnis“ eingerichtet. Mit der in scheint in Einzellieferungen, von denen bisher 27 von den Gesamtzusammenhang der Geschichte des Kalten insgesamt 28 geplanten Beiträgen publiziert worden sind. Krieges eingebetteten Grundlagenforschung zur Militär- Das in den letzten Jahren entstandene Fachwissen zum und Sicherheitspolitik sowie zu den bewaffneten Orga- MfS wurde in übersichtlicher Form aufbereitet und in nen der DDR leistet das MGFA nicht nur einen wichtigen dem im Jahr 2011 erschienenen „MfS-Lexikon“ veröf- Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Militärgeschich- fentlicht. te nach 1945, sondern auch zur Geschichte der SED-Dik- tatur. Die grundlegende Untersuchung der bewaffneten Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung ist seit Jahren Macht, insbesondere des Militärs als einer wichtigen die „Westarbeit“ der Staatssicherheit. Dazu wurden die Stütze des DDR-Regimes, bildet eine entscheidende Vo- einschlägigen normativen Dokumente der Hauptverwal- raussetzung, um wesentliche Funktionsmechanismen tung A, der Spionageabteilung des MfS, erstmals veröf- und Wechselwirkungen der Herrschaftssicherung der fentlicht; ein Sammelband war den Spionageaktivitäten SED nach innen und außen verstehen zu können. der sogenannten Abwehrdiensteinheiten gewidmet. Eine umfangreiche Monografie beschäftige sich mit den Zu den zentralen Fragen der Forschung des MGFA gehö- „Bundesbürgern im Dienste der Stasi“. Derzeit entsteht ren die Funktion der DDR und ihres Militärs im War- ein wissenschaftliches Gutachten für den Deutschen schauer Pakt, die Entwicklung der Nationalen Volksar- Bundestag über die Versuche der Staatssicherheit, Infor- mee (NVA), der Grenztruppen der DDR und anderer mationen über die bundesdeutsche Legislative zu erlan- bewaffneter Kräfte als Machtinstrumente der SED, ihre gen und diese zu beeinflussen. Rolle in der Gesellschaft der DDR und der Alltag der An- Mit den Aktivitäten der Staatssicherheit im Westen wie gehörigen der militärischen Organisationen. Militärhis- im Osten befasst sich ein Projekt über den KSZE-Prozess torische Erkenntnisse über den SED-Staat im Ergebnis und die Staatssicherheit. der quellengestützten Aufarbeitung der DDR-Militärge- schichte sind zum Allgemeingut der DDR-Forschung ge- Erhebliches öffentliches und wissenschaftliches Interes- worden. Für den Zeitraum der geheimen Aufrüstung in se besteht an Dokumentationen, in denen Originalquel- der SBZ/DDR bis 1955/56 sowie für die Aufbau- und Kon- len zugänglich gemacht werden. Ein systematischer solidierungsphase des ostdeutschen Militärs bis 1971 lie- Schritt nach vorn in dieser Servicefunktion war der Start gen grundlegende Studien vor. Anschlussprojekte be- eines Projekts einer auf 37 Bände angelegten Edition „Die schäftigen sich derzeit mit der ostdeutschen DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die Militärgeschichte in der Ära Honecker. Seit 2001 gibt das SED-Führung“. Mit der Veröffentlichung der geheimen MGFA die Reihe „Militärgeschichte der DDR“ heraus, in Berichte, die die Zentrale Auswertungs- und Informati- der in den letzten 10 Jahren mehr als 20 Bände zu rele- onsgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit zur In- vanten Themen der ostdeutschen Militärgeschichte er- formation der Partei- und Staatsführung der DDR vom schienen sind. Juniaufstand 1953 bis zum Dezember 1989 verfasst hat, wird der Forschung und interessierten Laien eine zeitge- Das MGFA vermittelt seine Erkenntnisse und For- schichtliche Quelle von hohem historischen Wert zur schungsergebnisse im Rahmen der an den Werten des Verfügung gestellt. Hier sind bereits Bände zu den Jahren Grundgesetzes ausgerichteten historischen Bildung der 1961, 1976, 1977 und 1988 erschienen, die Ausgaben zu Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Dabei den Jahren 1953 und 1960 befinden sich in Vorbereitung. kommt der Beschäftigung mit den deutschen Diktaturen und deren Streitkräften im 20. Jahrhundert zentrale Be- Das Militärgeschichtliche Forschungsamt, deutung zu, da sie wesentlich zum Verständnis von Krieg Potsdam und Frieden, von Diktatur und Rechtsstaatlichkeit bei- Das Militärgeschichtliche Forschungsamt ist eine Res- trägt. Darüber hinaus stellt das MGFA der breiten Öffent- sortforschungseinrichtung des Bundes und betreibt seit lichkeit historiografische Orientierungshilfen zur Verfü- 1957 im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidi- gung, die den aktuellen Forschungsstand der DDR-­ gung militärhistorische Grundlagenforschung von der Geschichtsschreibung widerspiegeln. Dazu zählen Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Mit der Vereinigung ­Bibliografien, Handbücher sowie auch mehrere Online- der beiden deutschen Staaten 1990 erweiterte sich die Datenbanken. Auch wissenschaftliche Konferenzen, Forschung des MGFA auf die Militärgeschichte der SBZ Workshops, Buchpräsentationen, Vortragsreihen und an- und der DDR. Das erste Projekt zur ostdeutschen Militär- dere öffentliche Veranstaltungen dienen der Information geschichte startete 1991. Es bildete die Basis für eine sys- der Öffentlichkeit. Wissenschaftliche Aufarbeitung 75

Die Entwicklung der DDR zu einer der am stärksten mili- findenden Sitzungen und fördert, im Rahmen der Haus- tarisierten Gesellschaften der Welt in den 1970er und haltsmöglichkeiten, die Projekte der Kommission. 1980er Jahren wird nur aufzuklären sein, wenn die For- Die Kommission führt jährlich, abwechselnd in Deutsch- schung die Gesamtkonzeption der „sozialistischen Lan- land und Russland, eine Arbeitssitzung durch, in der vor- desverteidigung“ in den Brennpunkt rückt. Nur so kann rangig der Stand der gemeinsamen Projekte beraten die gezielte Militarisierung von Staat, Wirtschaft und wird. Sie hat ein Klima der vertrauensvollen Zusammen- Gesellschaft als zentrales Anliegen des SED-Regimes so- arbeit entwickelt, in dem es möglich ist, auch problema- wie als Handlungsfeld und Erfahrungsdimension von tische und kontroverse Fragen offen und konstruktiv Politik und Alltag im SED-Staat freigelegt und begriffen miteinander zu erörtern. werden. Diese Forschungen werden künftig stärker in den Zusammenhang der gesamtdeutschen Nachkriegs- Die Sitzungen sind im Allgemeinen verbunden mit ei- militärgeschichte sowie der Geschichte der politischen nem internationalen wissenschaftlichen Kolloquium. Bis und militärischen Bündnissysteme eingeordnet. 2011 wurden zwölf Kolloquien durchgeführt, unter an- derem zu den Themen: Der Moskauer Vertrag von 1970 Die Gemeinsame Kommission für die Er- (Berlin 2000), Die Sowjetunion und die deutsche Wieder- forschung der jüngeren Geschichte der vereinigung (Moskau 2003), Opposition und Widerstand im Diktaturenvergleich (München 2004), „Deutsch-sow- deutsch -russischen Beziehungen („Deutsch- jetische Freundschaft“ in der DDR – Anspruch und russische Geschichtskommission“) Wirklichkeit (Dresden 2010), Deutschland und die Sow- Zu der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte jetunion im Ost-West-Konflikt (St. Petersburg 2011). des geteilten Deutschlands im Rahmen des Ost-West- Konfliktes leistet auch die Gemeinsame deutsch-russi- Zu den Veröffentlichungen, die aus der Arbeit der Kom- sche Kommission (DRGK) ihren spezifischen Beitrag. Sei- mission hervorgegangen sind, gehören die von einer ne Besonderheit besteht darin, dass die Veranstaltungen deutsch-russischen Redaktionsgruppe beim Institut für und Projekte dieser Kommission in deutsch-russischer Zeitgeschichte bearbeiteten „Mitteilungen“ der Kommis- Zusammenarbeit realisiert werden. sion (bisher vier Bände) sowie unter anderem dokumen- tarische und monografische Publikationen zur Sowjeti- Die Kommission geht auf eine Initiative des damaligen schen Militäradministration in Deutschland und zur Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl von 1993 und ihre posi- sowjetischen Deutschlandpolitik in den 1940er, 50er, tive Aufnahme durch den damaligen Präsidenten Boris 60er und 80er Jahren. Dank Förderung durch die DRGK Jelzin zurück. Sie wurde 1997 durch einen Grundlagen- war es möglich, die bis in die 90er Jahre gesperrten Akten briefwechsel der beiden Regierungen auf der Grundlage der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland des deutsch-russischen Kulturabkommens von 1992 er- (SMAD) zu erschließen, zu verfilmen und zu digitalisie- richtet und nahm 1998 ihre Arbeit auf. Sie steht unter der ren. Der Katalog dieser Akten liegt inzwischen elektro- Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin und des russi- nisch und gedruckt vor. Er listet rund 95 Prozent aller schen Präsidenten. SMAD-Akten im russischen Staatsarchiv auf. Die Mikro- filmaufnahmen der Akten stehen im Bundesarchiv zur Ziel der DRGK ist es, mit Hilfe gemeinsamer Kolloquien, Verfügung. Forschungs- und Dokumentationsprojekte die Zusam- menarbeit zu verbessern, das gegenseitige Verständnis zu Im Internet werden fortlaufend zwei Reihen von kom- vertiefen, den Zugang zu den erforderlichen Archivalien mentierten „Schlüsseldokumenten“ zur russisch/sowje- zu erleichtern und einen konstruktiven Meinungsaus- tischen und zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhun- tausch über Fragen der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung dert in beiden Sprachen veröffentlicht (auf der Website zu führen. Ihre inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte sind der Bayerischen Staatsbibliothek). Derzeit bearbeitet die das Zeitalter der Weltkriege, die sowjetische Politik im Kommission außerdem in Kooperation mit dem Georg- Nachkriegsdeutschland und die deutsche Frage im Rah- Eckert-Institut Braunschweig ein auch für den Schulun- men des Ost-West-Konfliktes. Der Kommission gehören terricht bestimmtes gemeinsames deutsch-russisches auf beiden Seiten je drei Leiter zentraler Archive – auf Geschichtsbuch. deutscher Seite Bundesarchiv, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (AA) und Stasi-Unterlagenbehörde Die Editionsgruppe Dokumente zur – und neun herausragende Fachvertreter an. Deutschlandpolitik im Bundesarchiv Die Kommission wird in ihrer Arbeit durch beide Regie- Die vom Bundesministerium des Innern und vom Bun- rungen unterstützt. Ihr Deutsches Sekretariat wurde in desarchiv herausgegebene Edition „Dokumente zur Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt und dem AA Deutschlandpolitik“ (DzD) stellt für Lehre und For- im BMI errichtet. Es organisiert die in Deutschland statt- schung eine dokumentarische Quellengrundlage für die 76 Wissenschaftliche Aufarbeitung

Behandlung der deutschen Frage von den Kriegskonfe- schung“ des Bundesarchivs bearbeitet. Die wissenschaft- renzen der Alliierten bis zur Wiedervereinigung bereit. liche Verantwortung trägt eine „wissenschaftlichen Lei- tung“, die sich aus renommierten Professoren und dem Die Anfänge der Editionstätigkeit gehen auf das Jahr Leiter der Editionsgruppe zusammensetzt. Für die Doku- 1961 zurück. In diesem Jahr begann die Bundesregierung mentation der innerdeutschen Beziehungen wird seit dem großen Interesse der wissenschaftlichen Forschung 1990 auch die Überlieferung der DDR-Führung neben und der interessierten Öffentlichkeit an der Politik den Akten der Bundesregierung herangezogen. Es wird Deutschlands nachzukommen. In bisher insgesamt sechs angestrebt, das Editionsprojekt im Jahr 2020 abzuschlie- Reihen (über die Zeitabschnitte 1939 bis 1945; 1945 bis ßen, wenn insbesondere die 1990 entstandenen Akten 1955; 1955 bis 1958; 1958 bis 1966; 1966 bis 1969; 1969 bis des Kanzleramtes und des innerdeutschen Ministeriums 1982) sind von 1961 bis heute 32 Bände erschienen; hinzu mit Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen 30-Jahres- kommen die Sonderedition „Deutsche Einheit“ (Erschei- Schutzfrist zugänglich sein werden. nungsjahr 1998) und ein erster Band der Sonderedition „Besondere Bemühungen“ der Bundesregierung zur Frei- Seit Ende der 90er Jahre laufen die Arbeiten an Reihe VI, lassung politischer Häftlinge (Erscheinungsjahr 2012) so- welche die Deutschlandpolitik in der Regierungszeit der wie neun sogenannte Studien (ehemals Beihefte). Die sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1982 behandelt. Bände dokumentieren vornehmlich die Entwicklungen Ebenfalls in Bearbeitung ist ein weiterer Sonderband und Entscheidungen aus Sicht der beiden deutschen über die „Besonderen Bemühungen“ der Bundesregie- Staaten sowie auch der vier für Deutschland als Ganzes rung im Zeitraum 1970 bis 1990. Eine abschließende VII. verantwortlichen Mächte. Reihe über die Jahre 1982 bis 1990 wird das Editionswerk komplettieren. Die DzD werden von einer Editionsgruppe im Referat G 4 „Dokumente zur Deutschlandpolitik; Historische For-

Wachturm im ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen.

10 Gedenkstätten und Erinnerungsorte Gedenkstätten und Erinnerungsorte 79

Gedenkstätten und Erinnerungsorten kommt eine her- Universitäten zur Verfügung. Die profilbildenden Merk- ausgehobene Bedeutung zu, da sie die Möglichkeit einer male des historischen Ortes Schifflersgrund sollen künf- besonders intensiven Auseinandersetzung sowohl mit tig stärker ins Zentrum der Dauerausstellung gerückt der Geschichte des jeweiligen Ortes als auch mit dem his- werden. Der Verein strebt daher eine wissenschaftliche torischen Thema allgemein ermöglichen, so die Fort- und museologische Standards berücksichtigende Neu- schreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. konzeption an. Dazu sollen auch Kooperationen mit dem Die folgende Zusammenstellung ist nach den dort vorge- Grenzlandmuseum Eichsfeld entwickelt werden, um nommenen thematischen Gruppierungen alphabetisch vorhandene Ressourcen so effizient wie möglich zu nut- nach Orten geordnet. zen.

Teilung und Grenze Bildungsarbeit Das Grenzmuseum Schifflersgrund, Im Bereich der historisch-politischen Bildung arbeitet Asbach/Sickenberg das Grenzmuseum mit verschiedenen Bildungsträgern Der historische Ort wie den Landeszentralen für politische Bildung Thürin- Das profilgebende Merkmal des Grenzmuseums Schiff- gen und Hessen, dem BStU, der Thüringer Landesbeauf- lersgrund ist ein sehr langer nahezu authentisch erhalte- tragten für die Stasi-Unterlagen, der Bundesstiftung ner Grenzabschnitt, der sich auf Grund topografischer Aufarbeitung etc. zusammen. Schwerpunkte legt das Besonderheiten besonders instruktiv erschließt. Auf ei- Grenzmuseum auf die Zusammenarbeit mit Schulen, der ner Fläche von ca. 5 ha sind Originalrelikte der ehemali- Bundespolizei, der Landespolizei und der Bundeswehr. gen Grenzsperranlagen erhalten. Dazu gehören ca. 3 km Für Schulklassen werden altersspezifische Seminare an- Grenzzaun mit dazugehörigem Spurensicherungsstrei- geboten und von pädagogischen Mitarbeitern begleitet. fen und Kolonnenweg. Darüber hinaus ist ein 1982 ge- Mit Hilfe eines für Informationszwecke umgestalteten bauter Beobachtungsturm sowie ein Erdbeobachtungs- Kleinbusses besuchen die Mitarbeiter Schulen unter dem bunker zu sehen. Zur Besonderheit des Ortes gehört die Motto „Demokratie – erfahren“. Zeitzeugen referieren im Geschichte des hier 1982 tödlich geendeten Fluchtver- Grenzmuseum über die „Friedliche Revolution“ im suchs von Heinz Josef Große. Eichsfeld von Sommer bis Herbst 1989.

Aus regionaler Sicht ist der einzige Gebietsaustausch, der nach dem Krieg zwischen der amerikanischen und sow- Die Stiftung Berliner Mauer jetischen Besatzungszone vorgenommen wurde, doku- Die Stiftung Berliner Mauer ist durch Gesetzesbeschluss mentiert. Im „Wanfrieder Abkommen“ wurde am 17. Berlins vom 17. September 2008 als rechtsfähige Stiftung September 1945 der Tausch von fünf hessischen Dörfern des öffentlichen Rechts errichtet worden. Ihre Gründung nach Thüringen mit zwei thüringischen Dörfern nach und die Erweiterung der Gedenkstätte an der Bernauer Hessen beschlossen, was zu nachhaltigen Konsequenzen Straße sind wichtige Schritte zur Realisierung des Ge- für die Menschen der betroffenen Ortschaften führte. denkstättenkonzepts des Berliner Senats und des Bun- des. Zur Stiftung gehören die Standorte Gedenkstätte Entstehung und Entwicklung Berliner Mauer an der Bernauer Straße und die Erinne- Das Grenzmuseum Schifflersgrund wurde am 3. Oktober rungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Bei den bei- 1991 eröffnet und befindet sich in Trägerschaft des Ver- den Einrichtungen handelt es sich um Orte der Teilung eins „Arbeitskreis Grenzinformation e. V.“ Es wird jähr- Deutschlands und Gedenkstätten, die der Erinnerung lich von über 42 000 Gästen besichtigt. und dem Opfergedenken verpflichtet sind.

Ausstellung Zweck der Stiftung ist es, die Geschichte der Berliner 10 Gedenkstätten und Mauer und der deutsch-deutschen Fluchtbewegung als Der Außenbereich des Grenzmuseums zeigt neben den Teil und Auswirkung der Teilung Deutschlands und des Grenzanlagen eine umfangreiche Sammlung von Mili- Ost-West-Konfliktes im 20. Jahrhundert zu dokumentie- Erinnerungsorte tärfahrzeugen, die zur Grenzsicherung eingesetzt wur- ren und zu vermitteln, ihre historischen Orte zu bewah- den, sowie ein Fluchtfahrzeug. Die Dauerausstellung ren und ein würdiges Gedenken an die Opfer kommunis- thematisiert die Endphase des Zweiten Weltkrieges und tischer Gewaltherrschaft zu ermöglichen. Dies geschieht die deutsche Nachkriegsgeschichte. Wechselausstelllun- durch die Erarbeitung und Realisierung von Ausstellun- gen komplettieren das Angebot. Das Grenzmuseum bie- gen, vielfältige, auf unterschiedliche gesellschaftliche tet Zugang zu den vorhandenen Originalquellen und Zielgruppen ausgerichtete Veranstaltungen sowie durch stellt seine Ressourcen sowie die Infrastruktur auch für Publikationen und insbesondere die historisch-politi- Forschungsarbeiten von Wissenschaftlern verschiedener sche Bildungsarbeit in beiden Häusern. 80 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

Die Gedenkstätte Berliner Mauer Im Jahr 2000 wurde auf dem ehemaligen Grenzstreifen an der Stelle der ehemaligen Versöhnungskirche die Ka- Der historische Ort pelle der Versöhnung eingeweiht. Die drei Elemente – Denkmal, Ausstellung und Kapelle – ermöglichen auf Die Gedenkstätte Berliner Mauer ist der zentrale Erinne- unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlicher Form rungsort an die deutsche Teilung, gelegen im Zentrum eine Annäherung an die Geschichte und die Folgen der der Hauptstadt. Am historischen Ort in der Bernauer Berliner Mauer: künstlerisch, dokumentarisch und geis- Straße erstreckt sie sich zukünftig auf 1,4 km Länge über tig-religiös. Die Besucher können somit ihren eigenen den ehemaligen Grenzstreifen. Auf dem Areal der Ge- Zugang zum historischen Ort und den Zeugnissen der denkstätte befindet sich das letzte Stück der Berliner Vergangenheit wählen. Mauer, das in seiner Tiefenstaffelung erhalten geblieben ist und einen Eindruck vom Aufbau der Grenzanlagen Im Laufe der Jahre wuchs das Bewusstsein, dass durch zum Ende der 1980er Jahre vermittelt. Anhand der Reste den fast vollständigen Abriss der Grenzanlagen nur we- und Spuren der Grenzsperren sowie der dramatischen nige aussagekräftige Anknüpfungspunkte in Berlin für Ereignisse an diesem Ort wird exemplarisch die Ge- die Vermittlung der Teilungsgeschichte erhalten geblie- schichte der Teilung nachvollziehbar. Dazu gehört auch ben sind. Das im Jahr 2006 vom Berliner Senat verab- die Kapelle der Versöhnung, die genau an dem Ort er- schiedete Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner richtet wurde, an dem die Versöhnungskirche stand. Seit Mauer sieht deshalb eine Stärkung und Vernetzung der dem Mauerbau 1961 lag die Kirche der Evangelischen verschiedenen Mauerorte in Berlin vor. Die Gedenkstätte Versöhnungsgemeinde unerreichbar im Todesstreifen. in der Bernauer Straße wird darauf aufbauend bis Im Zuge des stetigen Grenzausbaus wurde sie am 22. Ja- ­voraussichtlich zum Jahresende 2014 zum zentralen Ort nuar 1985 von der SED-Diktatur gesprengt. Nach der des Gedenkens an die Opfer der Berliner Mauer ausge- Wiedervereinigung erhielt die Versöhnungsgemeinde ihr baut. Kirchengrundstück mit der Auflage der Sakralnutzung zurück. Im Rahmen der Gedenkstättenerweiterung wurde am 9. November 2009 das Besucherzentrum in der Bernauer Straße/Ecke Gartenstraße eröffnet, das als Anlaufpunkt Entstehung und Entwicklung für Gruppen und Einzelbesucher alle Grundinformatio- nen zur Berliner Mauer und zu den Angeboten der Ge- Die Entstehung der Gedenkstätte Berliner Mauer ist auf denkstätte, darunter zwei Einführungsfilme, bereithält. bürgerschaftliches Engagement zurückzuführen. Bereits Bereits im Oktober 2009 war die Eröffnung der Ausstel- im Januar und Februar 1990 engagierten sich Bürgerin- lung „Grenz- und Geisterbahnhöfe im geteilten Berlin“ nen und Bürger um den Pfarrer der Versöhnungsge- im Nordbahnhof erfolgt. meinde, Manfred Fischer, sowie einige wenige andere für den Erhalt der Mauer am historischen Ort. Am 2. Okto- Wesentliches Erweiterungselement ist die ständig zu- ber 1990 stellte der Ost-Berliner Magistrat den über den gängliche Außenausstellung auf dem ehemaligen Mauer- Sophienfriedhof verlaufenden Grenzabschnitt und die streifen an der Südseite der Bernauer Straße. Dieser dort erhaltenen Reste der Sperranlage unter Denkmal- 1,4 km lange und 4,4 ha große Freiraum wird nach einem schutz. 1994 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, der die Entwurf der Berliner Büros sinai und ON architektur zu Gestaltung eines Denkmals für die Opfer des Mauerbaus einer neuartigen Erinnerungslandschaft umgestaltet. und in Erinnerung an die Teilung der Stadt zum Ziel hat- Die bestehenden Reste und Spuren der Berliner Mauer te. Dieses wurde am 13. August 1998 eingeweiht (vgl. werden dabei erhalten, die bisherigen Gedenkstättenele- S. 143). mente miteinander gestalterisch verbunden und die dra- matische Ereignisgeschichte der Bernauer Straße wird 1997 gründete sich auf Initiative des Berliner Senats der erlebbar. Das Konzept wurde beim Deutschen Städtebau- Verein Berliner Mauer als Trägerverein eines aufzubau- preis 2010 ausgezeichnet. enden Dokumentationszentrums, das im Gemeindehaus der Versöhnungsgemeinde zum zehnten Jahrestag des Die entstehende Dauerausstellung nutzt die hohe Spu- Mauerfalls am 9. November 1999 eröffnet wurde. Die ren- und Ereignisdichte an der Bernauer Straße, um ex- dort gezeigte Ausstellung „Berlin, 13. August 1961“ doku- emplarisch am historischen Ort und auf ihn bezogen mentiert die Ereignisse, die zum Mauerbau führten und über Zweck und Funktion der Berliner Mauer zu infor- die daraus resultierenden Folgen für die Menschen. Seit mieren. Vor allem werden die Geschichten derjenigen 2002 bietet das Dokumentationszentrum eine Aussichts- Menschen erzählt, deren Leben durch die Mauer einge- plattform, die einen eindrucksvollen Blick auf den ehe- schränkt war, die ihr weichen mussten oder die sie zu maligen Grenzstreifen mit den Resten der Grenzanlagen überwinden trachteten. Das historische Gelände mit den und das heutige erweiterte Gedenkstättenareal gewährt. originalen Relikten, die denkmalgerecht konserviert Gedenkstätten und Erinnerungsorte 81 werden, wird durch vier Ausstellungsebenen erschlos- jekte erfolgte eine umfangreiche Beratung und sen: Vermittlung von Ansprechpartnern.

–– Die originalen Relikte der Grenzanlagen werden, wo Auf der Internetseite der Gedenkstätte Berliner Mauer sie verlorengegangen sind, durch Nachzeichnungen präsentiert die Abteilung Zeitzeugenarbeit in der Rubrik aus Cortenstahl wieder sichtbar gemacht, ergänzt „Zeitzeugengeschichten“ Kurzporträts ausgewählter durch Nachzeichnungen der Fluchttunnel und der Zeitzeugen, Fotos, Dokumente und Interviewausschnit- abgerissenen Grenzhäuser. te. Zudem bringt sich die Gedenkstätte in das von BKM –– Mit Ereignismarken werden besondere Ereignisse am finanzierte Projekt des Koordinierenden Zeitzeugenbü- Ort des Geschehens markiert, deren nähere Umstän- ros mit ein (vgl. S. 66). de in einem Feldbuch nachzulesen sind. Bildungsarbeit –– Archäologische Fenster zeigen teils ältere Schichten der Grenzanlagen, teils Spuren der Stadt, wo sie von Seit 2009 ist ein auffällig starker Anstieg von Führungen Mauer und Grenzstreifen verdrängt worden sind. und Seminaren für Schüler zu verzeichnen. Gründe für die stärkere Anfrage sind u. a. die Jahrestage „20 Jahre –– Eine multimediale Ausstellung im Grenzstreifen er- Mauerfall“ und „50 Jahre Mauerbau“, die stärkere Beto- läutert den Ort, die wichtigsten Ereignisse und die nung der deutsch-deutschen Geschichte im Geschichts- historischen Zusammenhänge. unterricht der Länder Berlin und Brandenburg, das er- Im Mai 2010 wurde der erste Bereich des Ausstellungs- höhte Interesse von Lehrkräften sowie Kinder- und areals, der sich dem Thema „Die Mauer und der Todes- Jugendgruppen an der Vermittlungsarbeit der Gedenk- streifen“ widmet, der Öffentlichkeit übergeben. Zentrales stätte, die Stellung der Gedenkstätte im Berliner Mauer- Element dieses Bereichs ist das „Fenster des Gedenkens“ Gedenkkonzept und das wachsende Interesse von Berlin- auf einem Teil des ehemaligen Sophienfriedhofs: ein Besuchern an den Themen „Bau der Mauer“, „deutsche würdiger Gedenkort für die Todesopfer an der Berliner Teilung“ und „Fall der Mauer“. 2011 gab es 1 473 Führun- Mauer, der auch ein individuelles Gedenken ermöglicht. gen, davon 854 für Schülergruppen, und 96 Seminarver- anstaltungen, davon 63 für Schüler. Am 13. August 2011 wurden im Rahmen der zentralen Gedenkveranstaltung des Landes Berlin und des Bundes Besucherzahlen zum 50. Jahrestag des Mauerbaus zwei weitere Ausstel- lungsbereiche eröffnet, in denen „Die Zerstörung der Die Besucherzahlen der Gedenkstätte Berliner Mauer Stadt“ und „Der Bau der Mauer“ thematisiert werden. wiesen in den vergangenen Jahren ein außergewöhnli- Texttafeln sowie Audio- und Videostelen informieren ches Wachstum auf. So verzeichnete das Dokumentati- exemplarisch über das Schicksal der Menschen, die in onszentrum einen Anstieg von 67 000 Besuchern im den Grenzhäusern an der Bernauer Straße lebten. Jahre 2004 auf 447 000 im Jahr 2011. Auf Besucherbefra- gungen basierte Hochrechnungen zeigen, dass die Ge- Der vierte und letzte Bereich des Ausstellungsareals, der samtbesucherzahl 2011 bei 650 000 lag. Diese Zahl um- sich von der Brunnenstraße bis zur Oderberger Straße fasst das Dokumentationszentrum, das Besucherzentrum erstreckt, wird derzeit erarbeitet. Ein erster Teilabschnitt und das Außengelände der Gedenkstätte. zwischen Ruppiner und Wolliner Straße konnte im Juni 2012 eröffnet werden. Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Als wesentlicher Baustein der Gedenkstättenerweiterung Marienfelde stehen noch der Umbau des Dokumentationszentrums Der historische Ort in der Bernauer Straße 111 sowie die damit einhergehen- Die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde de Einrichtung einer neuen Dauerausstellung an. Für ist der zentrale Erinnerungsort in Deutschland zum The- den Abschluss dieser Arbeiten wird momentan der ma Flucht und Ausreise aus der DDR. Hier durchliefen Herbst 2014 angenommen. rund 1,35 Millionen Ostdeutsche das Notaufnahmever- fahren. Wie kaum ein anderer Ort beleuchtet sie die Ver- Zeitzeugenarbeit schränkung von ost- und westdeutscher Geschichte: Die Zum Jahresende 2010 umfasste das Zeitzeugenarchiv der Abwanderung aus der DDR in die Bundesrepublik hatte Gedenkstätte Berliner Mauer insgesamt 161 Audiointer- massive Auswirkungen auf die politische, wirtschaftli- views mit 165 Zeitzeugen. Anlässlich der Jahrestage che und gesellschaftliche Entwicklung in beiden deut- „20 Jahre Mauerfall“ 2009 und „50 Jahre Mauerbau“ 2011 schen Staaten. Im Notaufnahmelager Marienfelde – einst gab es eine Vielzahl von Medienanfragen aus dem In- an der Nahtstelle der konkurrierenden Systeme gelegen und Ausland mit der Bitte um die Vermittlung von Zeit- – geraten beide Seiten der Grenze in den Blick. Die dop- zeugen. Auch für künstlerische Projekte und Schülerpro- pelte deutsche Nachkriegsgeschichte spiegelt sich aber 82 Gedenkstätten und Erinnerungsorte nicht nur in Politik und Gesellschaft. Sie zeigt sich auch die Ursachen und Gründe für ihr Weggehen, ihre Flucht und vor allem in den Lebenswegen der Flüchtlinge und oder Ausreise, ihr Ankommen im Westen und ihre Auf- Übersiedler, deren Erfahrungen Ost und West umfassen. nahme in der westdeutschen Gesellschaft. Das Zeitzeu- Marienfelde ist also nicht nur ein politischer, sondern für genarchiv der Erinnerungsstätte umfasst derzeit Daten die vielen betroffenen und beteiligten Menschen ein von 516 Zeitzeugen mit grundlegenden Angaben zu ihrer ganz persönlicher Erinnerungsort. Person sowie ihrer Geschichte und 80 lebensgeschichtli- che Interviews. Darüber hinaus liegen im Archiv zu zahl- Entstehung und Entwicklung reichen Zeitzeugen weitere Materialien vor (z. B. Lebens- Die Existenz der Erinnerungsstätte ist bürgerschaftli- berichte, Dokumente im Original oder in Kopie). chem Engagement und insbesondere der Initiative von In das Archiv aufgenommen werden Personen, die aus ehemaligen Flüchtlingen und Mitarbeitern des Notauf- der DDR geflohen oder ausgereist sind oder im Aufnah- nahmelagers sowie interessierten Wissenschaftlern zu melager Marienfelde bzw. bei dort ansässigen Organisa- verdanken. Kurz nachdem die Aufnahme von Flüchtlin- tionen gearbeitet haben. Die Dauerausstellung und gen und Übersiedlern aus der DDR im Juli 1990 geendet wechselnde Sonderausstellungen ermutigen immer wie- hatte, begannen sie damit, Gegenstände, Dokumente der Besucher, sich als Zeitzeugen bei der Erinnerungs- und Informationen zum Leben und zur Arbeit in Mari- stätte zu melden. enfelde zu sammeln. Im Oktober 1993 gründeten sie den Verein „Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfel- de“ mit dem Ziel, die Geschichte des Notaufnahmelagers Bildungsarbeit und der deutsch-deutschen Fluchtbewegung zu erfor- Das Bildungsprogramm der Erinnerungsstätte Notauf- schen, zu dokumentieren und einer breiten Öffentlich- nahmelager Marienfelde wurde seit Eröffnung der neuen keit zugänglich zu machen. Der Verein wurde 1994 als Dauerausstellung 2005 kontinuierlich ausgebaut und dif- gemeinnützig anerkannt. Bereits vor seiner offiziellen ferenziert. Auch in der Erinnerungsstätte erfuhr seit Gründung eröffnete der Verein zusammen mit dem Lan- 2009 die Nachfrage nach den Bildungsangeboten einen desamt für Zentrale Soziale Aufgaben im August 1993 signifikanten Zuwachs. Insgesamt verzeichnete die Erin- eine erste Ausstellung in einem der Wohnblocks auf dem nerungsstätte eine Steigerung von mehr als 70 Prozent Lagergelände. Im Jahr 1998 wurde diese Ausstellung von bei den jungen Besuchern. 2011 gab es 252 Führungen, der Enquête-Kommission „Überwindung der SED-Dikta- davon 131 für Schülergruppen. Neben den öffentlichen tur im Prozess der deutschen Einheit“ des Deutschen Führungen bietet die Erinnerungsstätte einmal im Mo- Bundestages als Gedenkstätte von gesamtstaatlicher Be- nat eine spezielle Kinderführung für Neun- bis Drei- deutung eingestuft. zehnjährige an, die ebenfalls sehr gut angenommen wird. Im Oktober 2003 wurde mit der Erarbeitung einer neuen Zudem werden Formate angeboten, die gemeinsam mit Ausstellung begonnen, die seit 2005 im ehemaligen der Gedenkstätte Berliner Mauer durchgeführt werden. Haupthaus des Aufnahmelagers zu sehen ist. In der stän- digen Ausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ Besucherzahlen können die Besucher die Geschichte der deutschen Tei- lung und der deutsch-deutschen Fluchtbewegung von Die Erinnerungsstätte verzeichnet in den letzten Jahren 1949 bis 1990 entdecken. Auf rund 450 qm und mit über eine wachsende Zahl an Besuchern. Die positive Ent- 900 Exponaten – ergänzt durch zahlreiche Zeitzeugenbe- wicklung der Besucherzahlen mit einem Niveau von richte – erzählt sie anschaulich von Fluchtmotiven, über 10 000 Besuchern stieg 2011 auf rund 12 000. Die Fluchtwegen sowie von Chancen und Problemen beim Besucherzahlen setzen sich jeweils fast zur Hälfte aus Neubeginn in der Bundesrepublik. Außerdem ist die Ge- Einzelbesuchern und zur etwas größeren Hälfte aus an- schichte des Aufnahmelagers von den Anfängen bis heu- gemeldeten Gruppen zusammen. Bei etwa 20 Prozent der te dargestellt: vom Ablauf des Aufnahmeverfahrens über Besucher handelt es sich um Schüler. den Alltag der Bewohner bis hin zur Observierung durch Die Umsetzung des Stiftungsauftrags basiert in beiden die DDR-Staatssicherheit. Eine original eingerichtete Häusern im Wesentlichen auf den folgenden inhaltlichen Flüchtlingswohnung rundet das Bild ab. Das Themen- Säulen: spektrum der ständigen Ausstellung wird regelmäßig durch Sonderausstellungen ergänzt und vertieft. Ausstellungen Zeitzeugenarbeit Unter Federführung der Stiftung Berliner Mauer werden Ein Hauptinteresse der Arbeit der Erinnerungsstätte die „Mauer-Informationsorte“ („Galeriewände“) an der richtet sich auf die Zeitzeugen und ihr Leben in der DDR, Schwedter Straße und am Checkpoint Charlie betrieben. Gedenkstätten und Erinnerungsorte 83

Im Rahmen des Gedenkjahres „50 Jahre Mauerbau“ ver- den Grenzen in Berlin zwischen 1948/49 und 1961, das anstaltete die Stiftung Berliner Mauer die Sonderausstel- von der Bundesstiftung Aufarbeitung sowie von der Stif- lung „Hinter der Mauer. Glienicke – Ort der deutschen tung Deutsche Klassenlotterie Berlin gefördert wird. Teilung“ im Schloss Glienicke von 18. Juni bis zum 3. Ok- Diese Studie wird auch grundlegende Informationen tober 2011. Die Ausstellung zeigte die Sondersituation zum Grenzregime der DDR an den Berliner Grenzen in des Ortes Klein-Glienicke, einer Exklave der DDR auf der Zeit 1948 bis 1961 liefern, die bislang in der For- West-Berliner Gebiet, die nahezu vollständig von der schungsliteratur weitgehend fehlen. Das zweite For- Mauer umgeben war. Insgesamt weit mehr als 10 000 Be- schungsprojekt widmet sich der Rolle und Funktion an- sucher sahen die Präsentation. tikommunistischer Nichtregierungsorganisationen im bundesrepublikanischen Notaufnahmeverfahren, das In Kooperation mit der Gedenkstätte Bautzen leitete die Flüchtlinge und Ausreisende aus der DDR durchlaufen Gedenkstätte Berliner Mauer 2011 das Ausstellungspro- mussten. Diese Untersuchung wird ebenfalls von der jekt „Der weiße Strich. Vorgeschichte und Folgen einer Bundesstiftung Aufarbeitung gefördert. Kunstaktion an der Berliner Mauer“. Die Wanderausstel- lung, die von der Bundesstiftung Aufarbeitung gefördert wurde und sich besonders an Jugendliche richtete, war Das Forschungsprojekt „Die Todesopfer bis zum 31. Oktober 2011 in der Gedenkstätte Bautzen zu an der Berliner Mauer 1961 bis 1989“ sehen. Danach wird sie in Berlin gezeigt, bevor sie „auf Zahl, Identität und Schicksal der Todesopfer, die das Wanderschaft“ geht. DDR-Grenzregime zwischen 1961 und 1989 an der Mauer in und um Berlin forderte, waren lange Zeit nicht voll- Forschung ständig bekannt. Die Gedenkstätte Berliner Mauer und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e. V. Die Erforschung der Geschichte der Mauer und die der haben in einem mehrjährigen, von BKM geförderten Menschen, die in Ost und West unter ihr gelitten haben Forschungsprojekt die genaue Anzahl der Todesopfer er- oder – auf der anderen Seite – zu ihrer Erhaltung beitru- mittelt. Ziel des Projektes war es ebenso, die Lebensge- gen, ist eine wichtige Aufgabe der Stiftung Berliner Mau- schichten und Todesumstände aller Mauertoten in bio- er und Basis für jegliche Vermittlungsarbeit. grafischen Porträts zu dokumentieren, in den zeitge- Die Tätigkeit dieses Arbeitsbereichs ist eine doppelte: ei- schichtlichen Kontext einzubetten und in der Topografie nerseits die Forschungstätigkeit, andererseits der Auf- der geteilten Stadt zu verorten. und Ausbau der hauseigenen Sammlungen. In diesem Entscheidend für die Benennung als Todesopfer an der Zusammenhang erfolgen die Recherche und die Aufbe- Berliner Mauer war die Verbindung des Todesfalls mit ei- reitung von Material für die Zwecke der Gedenkstätten, ner Fluchtaktion oder unmittelbaren Auswirkungen des der Aufbau einer öffentlichen Bibliothek, einer Media- Grenzregimes. Die Überprüfung der erfassten Verdachts- thek und eines Forschungsarchivs sowie die Übernahme fälle und die Erarbeitung der Biografien erfolgten auf bzw. Ankäufe von Sammlungsgut wie Objekte, Doku- breitester Quellengrundlage. Ausgewertet wurden die mente, Karten und Fotos. Akten der Staatsanwaltschaften aus den „Mauerschüt- Zu den Aufgaben des Arbeitsgebiets gehört des Weiteren zenprozessen“ wie auch die Bestände der einschlägigen die Mitarbeit an den laufenden Projekten und allgemei- Archive. Um Erkenntnisse zu den Beweggründen und nen Aufgaben der Gedenkstätte bzw. der Erinnerungs- Lebensumständen der Toten unabhängig von Darstel- stätte, die Betreuung von historischen und sonstigen lungen der DDR-Behörden und des MfS zu erhalten, wur- Projekten Dritter (Diplomarbeiten etc.) sowie die Bear- de der Kontakt zu Familienangehörigen und Freunden beitung inhaltlicher Anfragen der Medien und Öffent- gesucht. Auf diesem Weg konnten auch private Erinne- lichkeit. rungen und der familiäre Kontext in die Biografien ein- fließen. Die Biografien der Todesopfer verdeutlichen Ein Abbild der Forschungstätigkeit in der Stiftung Berli- DDR-typische Alltags- und Repressionserfahrungen, ge- ner Mauer zeigt sich in ihren Publikationen: Neben zahl- ben aber auch Einblick in die Situation der Menschen im reichen Einzelveröffentlichungen der Mitarbeiter der geteilten Deutschland. Stiftung, die regelmäßig in einschlägigen Publikationen Die Ergebnisse des Projektes und die 136 Biografien der erscheinen, verfügt die Stiftung Berliner Mauer seit Todesopfer sind in deutscher und englischer Sprache pu- Frühjahr 2011 über zwei Publikationsreihen, die im bliziert worden. Darüber hinaus wurden sie im Internet Christoph Links Verlag in Berlin erscheinen. auf www.chronik-der-mauer.de und www.berliner-mau- Derzeit stehen zwei weitere Forschungs- und Publikati- er-gedenkstaette.de öffentlich zugänglich gemacht. Auf onsprojekte kurz vor dem Abschluss: Im September 2009 Grundlage der Forschungsergebnisse konnten das „Fens- startete ein Forschungsprojekt zu den Todesopfern an ter des Gedenkens“ (vgl. S. 81) in der Gedenkstätte Berli- 84 Gedenkstätten und Erinnerungsorte ner Mauer errichtet und Erinnerungszeichen für die To- dacht. Zu ihren Ehren wurden anschließend Kränze am desopfer entlang des Berliner Mauerwegs in der Nähe der Denkmal niedergelegt. Eine stadtweite Schweigeminute Todesorte aufgestellt werden. folgte.

Am Nachmittag bot sich den Besuchern auf dem Ausstel- Veranstaltungen lungsgelände und der Bernauer Straße ein vielfältiges Die Stiftung organisiert an ihren beiden Standorten re- Angebot. Auf der Straße präsentierten sich Aufarbei- gelmäßig öffentliche Veranstaltungen, Lesungen, Vor- tungsinitiativen, (Grenz-)Museen, Vereine und Organisa- träge und Diskussionen, Filmpräsentationen, Gedenk- tionen auf einer „Info-Meile der Zeitgeschichte“. Auf der veranstaltungen und Tagungen. Das umfangreiche Hauptbühne und in einem Zeitzeugen-Café berichteten Veranstaltungsprogramm anlässlich des Gedenkjahres Zeitzeugen in verschiedenen moderierten Podien über „50 Jahre Mauerbau“ sei gesondert aufgeführt: ihre Erinnerungen an den 13. August 1961. Am Abend klang die Gedenkveranstaltung mit der Aufführung di- Die Gesamtveranstaltung „50 Jahre Mauerbau in Berlin“ verser Filme in einem Open-Air-Kino aus, in dessen Rah- umfasste neben der zentralen Gedenkveranstaltung am men bereits an den beiden Vorabenden Filme zur deut- 13. August 2011 mit einem großen Rahmenprogramm schen Teilung gezeigt wurden. Weit mehr als 20 000 auf dem Gelände der Gedenkstätte Berliner Mauer eine Besucher nahmen an diesem Tag das Areal der Gedenk- Vielzahl von Veranstaltungen unter Einbindung anderer stätte in der Bernauer Straße in Besitz. Institutionen, weiterer Veranstaltungsorte und Aktions- flächen an historisch bedeutsamen Mauerorten der ge- Zeitzeugenarbeit samten Stadt Berlin. Zur Organisation der Gesamtveran- staltung ist die Stiftung Berliner Mauer eine Kooperation Die Lebensgeschichten von Menschen, die durch die Tei- mit der gemeinnützigen Landesgesellschaft Kulturpro- lung Deutschlands in besonderem Maße betroffen oder jekte Berlin GmbH eingegangen, welche die Gesamtkoor- aktiv in sie involviert waren, verdeutlichen die Un- dination für die außerhalb der Gedenkstätte liegenden menschlichkeit der Mauer. Gleichzeitig dokumentieren Orte übernahm. sie unterschiedliche Lebenserfahrungen, Reaktionen und Verarbeitungsmöglichkeiten der Menschen in Bezug Ausgangspunkt des Programms war die Erinnerung an auf historisch-politische Ereignisse. Es wird nachvoll- die Opfer von Mauer und Stacheldraht sowie der SED- ziehbar, unter welchen Bedingungen die Bewohner in Diktatur. Die zentrale Gedenkfeier und das stadtweite Rah- Ost- als auch West-Berlin leben mussten und welche menprogramm zum 50. Jahrestag des Mauerbaus sollten Handlungsoptionen und Erfahrungshorizonte es für sie daran erinnern, dass der Bau der Mauer den Menschen in gab. Auf dieser Grundlage sind sie als Quellen für die der DDR das höchste Gut genommen hat, dessen sich ein Ausstellungsarbeit und die historisch-politische Bil- Volk glücklich schätzen kann: Demokratie, Freiheit und dungsarbeit unerlässlich. Die Zeitzeugenarbeit der Stif- Selbstbestimmung. Durch die Einbindung von Zeitzeu- tung sammelt diese wertvollen Quellen in Interviews, gen, die von dem Erlebten berichteten, und durch die Inte- um sie zu bewahren und gleichzeitig der Öffentlichkeit gration von jungen Menschen, Schülern und Jugendlichen zugänglich zu machen. in die Programmgestaltung sollte erreicht werden, dass De- mokratie und Freiheit als Grundwerte unserer Gesell- Bildungsarbeit schaft verstanden werden, die es zu verteidigen gilt. Der historisch-politischen Bildungsarbeit der Stiftung Im Mittelpunkt aller Veranstaltungen stand die zentrale Berliner Mauer liegt die Maxime des exemplarischen Gedenkfeier am 13. August 2011 in der Bernauer Straße, Lernens an historischen Orten zugrunde. Zusammen- die live in der ARD und über die Deutsche Welle weltweit hänge wie Ursachen und Folgen des Mauerbaus im Jahr übertragen wurde. Sie ermöglichte den Opfern von Mau- 1961 werden am Beispiel der Bernauer Straße und der er und Teilung ein würdiges Gedenken und stellte die Er- Erinnerungsstätte Notaufnahme Marienfelde erläutert. fahrungen und Erinnerungen der Menschen in der ge- Hauptadressaten der Bildungsangebote sind Kinder, Ju- teilten Stadt in den Mittelpunkt. Während der Gedenk- gendliche und Gruppen der Erwachsenenbildung. Für feier, der Vertreter aller Verfassungsorgane beiwohnten, jede dieser Gruppen gibt es speziell zugeschnittene Bil- sprachen neben dem Bundespräsidenten auch der Regie- dungsangebote. rende Bürgermeister Klaus Wowereit, die Zeitzeugin Freya Klier und der Beauftragte der Bundesregierung für Mit Hilfe der vielschichtigen Angebote der politischen Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann. Im Bildungsarbeit können grundlegende Fragen der Dikta- Anschluss eröffneten der Bundespräsident und die Bun- tur (und deren Überwindung) ebenso wie Grundfragen deskanzlerin den zweiten Teil des neu gestalteten Aus- der Demokratie dargestellt und erörtert werden. Nicht stellungsareals. In einer ökumenischen Andacht in der zuletzt durch die kontrollierte und stets begleitete Ein- Kapelle der Versöhnung wurde der Opfer der Mauer ge- bindung von Zeitzeugen sind beide Häuser der Stiftung Gedenkstätten und Erinnerungsorte 85

Orte individueller Geschichten, die eine multiperspekti- Stiftung Berliner Mauer hat sich maßgeblich für die Aus- vische Herangehensweise und Methodik garantieren. zeichnung ausgewählter, repräsentativer Orte des „Eiser- nen Vorhanges“ mit dem „Europäischen Kulturerbe-Sie- Das Zusammenwachsen der beiden Häuser der noch jun- gel“ engagiert. Die Europäische Union stimmte den gen Stiftung zeigt sich insbesondere im Bereich der Bil- beiden deutschen Vorschlägen zu, sodass die Bundesre- dungsarbeit: Aufbauend auf dem ohnehin schon breiten publik seit Januar 2011 am „Europäischen Kulturerbe- Angebot konzipierten die Bildungsabteilungen im Jahr Siegel“ beteiligt ist. Auf Initiative der Stiftung Berliner 2010 einen neuen Projekttag mit dem Thema „Flucht im Mauer und in Zusammenarbeit mit der Senatsverwal- geteilten Deutschland“ für Schüler der Klassen 4 bis 7, tung für Stadtentwicklung – Oberste Denkmalschutzbe- um der wachsenden Nachfrage nach einem Angebot für hörde erfolgte dann im August 2011 die offizielle Aus- Neun- bis Dreizehnjährige gerecht zu werden. Im Rah- zeichnung der zwölf Stätten des „Eisernen Vorhangs“. men des Projekttages spüren die Schüler an beiden Orten Diese verbinden sich seitdem im Netzwerk „Europäisches der Geschichte von Flucht im geteilten Deutschland nach Kulturerbe-Siegel – Eiserner Vorhang“. Damit sind beide und begeben sich auf die Spuren von DDR-Flüchtlingen. zur Stiftung gehörenden Stätten mit dieser neuen euro- Mit speziellen Fortbildungsveranstaltungen wendet sich päischen Auszeichnung honoriert worden. die Stiftung an Lehrer, um über die Themen der Stiftung Berliner Mauer und ihr Bildungsprogramm zu informieren. Der „Checkpoint Bravo“ (Grenzübergang Dreilinden) und die ehemalige Öffentlichkeitsarbeit Grenzübergangsstelle Drewitz Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der Stiftung Ber- Mit dem erhaltenen Kommandoturm der ehemaligen liner Mauer bringt die Geschichte der Berliner Mauer Grenzübergangsstelle Drewitz befindet sich in Branden- und der deutsch-deutschen Fluchtbewegung als Teil und burg neben einem Gedenkstein in Kleinmachnow ein Auswirkung der deutschen Teilung und des Ost-West- Erinnerungsort, der eindrücklich auf die Geschichte des Konfliktes im 20. Jahrhundert in die Öffentlichkeit und Grenzregimes und der deutschen Teilung verweist. Der bereitet so den Boden für eine intensive und nachhaltige auf West-Berliner Seite gelegene Alliierte Kontrollpunkt Beschäftigung der Medien und Öffentlichkeit mit diesen „Checkpoint Bravo“ (Grenzübergang Dreilinden) mit sei- Themen. Vor allem die Gründung der Stiftung Berliner nem charakteristischen Brückenhaus, zwei Tankstellen Mauer und das Jubiläumsjahr „20 Jahre Mauerfall“ 2009 und einer Raststätte steht ebenfalls unter Denkmal- sowie das Gedenkjahr „50 Jahre Mauerbau“ 2011 haben schutz. Der Verein „Checkpoint Bravo“ hat sich die Res- zu einer verstärkten öffentlichen Wahrnehmung der Ar- taurierung, den Ausbau und die Pflege des denkmalge- beit der Stiftung geführt. schützten Turms zur Aufgabe gemacht. Dank der Unterstützung der Bundesstiftung Aufarbeitung und des Das Informationsportal Berliner Mauer Landes Brandenburg dient er als Veranstaltungsort der am Brandenburger Tor politischen Bildung insbesondere für Schüler und junge Erwachsene sowie als Begegnungsstätte für Menschen Im U-Bahnhof Brandenburger Tor (Passerelle, Treppen- mit unterschiedlichen deutschen Biografien. haus und Bahnsteig) informiert eine Ausstellung über die Geschichte des Brandenburger Tors als Symbol für die Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung. Die Gedenkstätte Point Alpha, Geisa Sie verweist auf die Informationsangebote zur Berliner Der historische Ort Mauer im Stadtgebiet. Die Stiftung Berliner Mauer unter- Der Name des vormaligen östlichsten US-Beobachtungs- stützte 2009 die Einrichtung dieses Informationsportals, postens Point Alpha steht für einen der Brennpunkte des das im Gesamtkonzept Berliner Mauer des Berliner Sena- Kalten Krieges. Die dauerhafte militärische Bedrohung tes vorgesehen war, und übernahm im Anschluss die im Ost-West-Konflikt wird durch die erhalten gebliebe- technische Pflege. nen Beobachtungstürme auf beiden Seiten der Grenze markant unterstrichen. Dort, wo bis 1989 ein Einmarsch Europäisches Kulturerbe-Siegel der Truppen des Warschauer Paktes jederzeit erwartet Auf Initiative der Kultusministerkonferenz der Länder wurde, wird heute an die Rolle der USA bei der Verteidi- wurden 2009 zwei Initiativen („Eiserner Vorhang“ und „Stätten der Reformation“) ausgewählt, für die das „Euro- päische Kulturerbe-Siegel“7 beantragt werden sollte. Die werden, die die europäische Einigung sowie die Ideale und die Geschichte der Europäischen Union symbolisieren und verdeutlichen. Sie wurde im Jahr 2006 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Europäische Union ihren Bürgerinnen und Bürgern 7 Beim „Europäischen Kulturerbe-Siegel“ handelt es sich um eine durch Verbesserung der Kenntnisse über die europäische europäische Initiative, mit der Kulturerbestätten ausgezeichnet Geschichte und ihre Rolle und Werte näher zu bringen. 86 Gedenkstätten und Erinnerungsorte gung der Freiheit an der ehemaligen Grenze und an ih- Bildungsarbeit ren Beitrag zur Deutschen Einheit erinnert. Das Konzept Neben Führungen durch die Gedenkstätte bietet die dieses bedeutenden Geschichtsortes schließt auch die er- Point Alpha Stiftung Zeitzeugengespräche, Grenzwande- haltenen bzw. zum Teil rekonstruierten Grenzanlagen rungen sowie Workshops zu unterschiedlichen Themen der DDR sowie ein Museum zur Erinnerung an das Lei- an. In erfolgreichen Kooperationen mit Schulen, Institu- den der ostdeutschen Bevölkerung unter dem DDR- tionen und Behörden führt die Stiftung junge Menschen Grenzregime im Sperrgebiet mit ein. auch jenseits des Unterrichts im Fach Geschichte an die Ereignisse des Kalten Krieges heran. In der Vor- und Entstehung und Entwicklung Nachbereitung des Gedenkstättenbesuches unterstützen Die Gedenkstätte Point Alpha wurde 1997 vom Verein die Mitarbeiter der Gedenkstätte Schulen und Lehrer Grenzmuseum Rhön „Point Alpha“ gegründet. Den hes- durch die Bereitstellung von Materialien oder den Ent- sischen Trägerverein unterstützte der thüringische Part- wurf eines speziell am Wissensstand der Schüler ausge- nerverein „Mahn-, Gedenk- und Bildungsstätte e. V.“ Die richteten Programms. Gedenkstätte wird seit 2008 von der Point Alpha Stiftung Mit einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm leistet getragen. Diese wurde im Dezember 2007 als selbststän- die Stiftung Bildungsarbeit für Erwachsene in der Re- dige Stiftung bürgerlichen Rechts von den Ländern Thü- gion. Die Ereignisse von 1989 werden in einen gesamteu- ringen und Hessen, den Landkreisen Wartburgkreis und ropäischen Zusammenhang eingebettet, um die Friedli- Fulda sowie den Anrainergemeinden Geisa und Rasdorf che Revolution in der DDR als Teil eines langfristigen, und den beiden Vereinen gegründet. Im Juni 2009 trat übernationalen und bei allen Rückschlägen letztlich er- der Bund als Stifter hinzu. folgreichen Widerstandsprozesses begreifbar zu machen Die Stiftung und die Gedenkstätte Point Alpha verzeich- und junge Menschen zu motivieren, sich mit der Ge- nen jährlich um die 100 000 Besucher. schichte der mittel- und osteuropäischen Nachbarländer, der europäischen Dimension der Freiheitsbewegung und mit den gemeinsamen, historisch gewachsenen Werte- Ausstellung grundlagen zu beschäftigen. Die Dauerausstellung auf dem Gelände der Gedenkstätte Die Stiftung eröffnete im September 2011 mit der Point Point Alpha legt besonderes Gewicht auf die Verdeutli- Alpha Akademie eine ihr angeschlossene Weiterbil- chung der internationalen Dimension der Teilung, die dungseinrichtung. Dafür engagierte sich die Stadt Geisa, Blockkonfrontation sowie die militärische Gefahr des indem sie ein historisches Gebäude zur Verfügung stellte, Kalten Krieges. Original erhaltene Bauten, eine Fahr- das sie im Rahmen des Konjunkturprogramms II zweck- zeughalle und eine militärtechnische Fahrzeugsamm- dienlich um- und ausbauen ließ. Das Bildungsangebot lung vermitteln einen authentischen Eindruck des ehe- der Point Alpha Stiftung wird unter dem Dach der Aka- maligen amerikanischen Stützpunktes. In unmittelbarer demie wesentlich erweitert. Insbesondere mit Blick auf Nähe zum Point Alpha, im „Haus auf der Grenze“, befin- Weiterbildung und internationale Projekte geht es hier det sich eine Dauerausstellung über das Grenzregime der um die Entwicklung und Etablierung weiterführender DDR und den Einfluss der Grenze auf das Leben der Men- Angebote auf wissenschaftlicher Grundlage. schen im Sperrgebiet. Eine multimediale Darstellung der Friedlichen Revolution und ihres gewaltlosen Kampfs um Freiheit und Bürgerrechte zusammen mit dem Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn Skulpturenprojekt „Weg der Hoffnung“ komplettieren Der historische Ort die Dauerausstellung. Für die Dauerausstellung im „Haus auf der Grenze“ hat die Stiftung eine grundlegende Neu- Am 1. Juli 1945 richteten die vier Siegermächte des Zwei- konzeption in Auftrag gegeben. Die Stiftung beabsich- ten Weltkrieges an der Reichsautobahn Berlin–Hannover tigt, in den nächsten zwei Jahren die Ausstellungsneuge- auf Höhe der Demarkationslinie zwischen britischer und staltung nach aktuellen Standards auszuführen. sowjetischer Besatzungszone den Alliierten Kontroll- punkt Marienborn-Helmstedt ein. 1950 übernahm die DDR das Kommando auf der Grenzübergangsstelle Forschung (GÜSt) Marienborn/Autobahn. Da diese sich dem steigen- Neben der Geschichte der Blockkonfrontation im Kalten den Verkehrsaufkommen auf der Transitstrecke zwi- Krieg soll die Vorgeschichte der Friedlichen Revolution schen der Bundesrepublik und West-Berlin nicht ge- mit Blick auf den Beitrag der europäischen Nachbarn ei- wachsen zeigte, ließ die Partei- und Staatsführung hier ner der Schwerpunkte der Forschungsarbeit der Stiftung Anfang der 1970er Jahre eine neue GÜSt errichten. Diese werden, die vom wissenschaftlichen Beirat der Stiftung war mit ca. 1 000 Beschäftigten die größte und bedeu- initiiert und begleitet wird. tendste an der innerdeutschen Grenze. Mit der Einstel- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 87 lung der Grenzkontrollen zum 1. Juli 1990 verlor die die ostdeutsche Seite der Erfahrung des Eingesperrtseins GÜSt ihre Funktion. zu dokumentieren. Über „Grenzenlos – Wege zum Nach- barn e. V.“ sind die Gedenkstätte Deutsche Teilung Mari- Entstehung und Entwicklung enborn und das Grenzdenkmal Hötensleben mit dem Zonengrenzmuseum Helmstedt verbunden. Am 13. August 1996 eröffnete der damalige Ministerprä- sident des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Reinhard Höpp- Aufgrund ihrer anerkannten gesamtstaatlichen Bedeu- ner, die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn als tung erhält die Gedenkstätte seit 2009 eine jährliche in- Gedenkstätte im Aufbau. Zur Orientierung auf dem Ge- stitutionelle Förderung durch BKM. lände diente ein provisorisch errichtetes Besucher-Infor- Im August 2011 wurde der Gedenkstätte Deutsche Tei- mationssystem, das den damaligen Kenntnisstand reprä- lung Marienborn das Europäische Kulturerbe-Siegel „Ei- sentierte. Die seither verfolgte Konzeption setzt bewusst serner Vorhang“ verliehen (vgl. S. 85). auf den Einsatz moderner Ausstellungs- und Vermitt- lungsmethoden am historischen Ort mit seinen authen- Die im Zeitraum 1972 bis 1974 errichtete Grenzüber- tischen Überresten. Deshalb wurde jeweils eine Funkti- gangsstelle ist trotz denkmalgerechter Sanierung des onseinheit der ehemaligen Grenzübergangsstelle ehemaligen Stabsgebäudes und weiterer Funktionsein- Marienborn exemplarisch im Ausbauzustand November heiten im Zusammenhang mit der ersten Dauerausstel- 1989 denkmalgerecht saniert. Anhand der konkreten lung im Jahr 2000 an vielen Stellen weiter sanierungsbe- Sachzeugen werden die Gesamtdimension der ehemali- dürftig. Das Land Sachsen-Anhalt hat in den Jahren 2011 gen GÜSt, deren Funktionen sowie entsprechende Funk- und 2012 die Sanierung des Grenzdenkmals Hötensleben tionsabläufe erlebbar. sowie die Planung und Sanierung weiterer Bereiche in der Gedenkstätte Marienborn gefördert. Die Baumaß- Am 21. Juli 1998, anlässlich eines Besuchs des damaligen nahmen sollen in den nächsten Jahren fortgesetzt wer- Bundespräsidenten Roman Herzog, erhielt die Gedenk- den. stätte ein wissenschaftlich fundiertes Besucher-Informa- tionssystem, das auf Tafeln an 23 Standorten die Funk- Ausstellung tion und Geschichte der früheren GÜSt erläuterte. Seit 2000 informiert die Dauerausstellung „Die Grenz- Zwischen 1998 und 2003 erfolgte die denkmalgerechte übergangsstelle Marienborn: Bollwerk − Nadelöhr − Seis- Sanierung des Gedenkstättengeländes. Exemplarisch mograph“ über die historischen Zusammenhänge und wiederhergerichtet wurde jeweils eine der sogenannten Auswirkungen der deutschen Teilung am Beispiel des Funktionseinheiten der DDR-Grenzübergangsstelle, d. h. historischen Ortes. Als weitere Dauerausstellung wurde die Abfertigungstrakte der Passkontrolleinheit für in die 2007 im denkmalgerecht sanierten Zollbereich der DDR einreisende PKW und LKW, der Zollbereich sowie Grenzübergangsstelle die Dauerausstellung „Zoll der der Kommandoturm als Führungsstelle der Grenztrup- DDR Marienborn“ eingerichtet, die über die Ausbildung peneinheit. Parallel dazu begann die Gedenkstätte mit der Zöllner, deren Lebensbedingungen, Aufgaben der der Schulung ehrenamtlicher Besucherbegleiter, um die Zollverwaltung, Kontrollablauf, Wirtschaftsfaktor Zoll immer zahlreicher werdenden deutschen und ausländi- sowie das Thema „Zöllner als kontrollierte Kontrolleure“ schen Gäste auf begleiteten Rundgängen über das Gelän- informiert. Sie bezieht auch jene zwei Garagen ein, in de- de der ehemaligen GÜSt zu betreuen. Um die gedenkstät- nen verdächtig erscheinende Fahrzeuge eingehenden tenpädagogische Arbeit weiter zu entwickeln, wurde am Kontrollen unterzogen wurden. Darüber hinaus entstan- 30. Juni 2000 im ehemaligen Stabsgebäude ein Informa- den auf Initiative der Gedenkstätte diverse Sonderaus- tions- und Dokumentationszentrum eingerichtet mit stellungen, die in der Gedenkstätte und an anderen Dauer- und Sonderausstellungsbereich, Seminarräumen Standorten gezeigt wurden und z. T. noch werden. und Bibliothek, Magazin- und Büroräumen und einem Die Dauerausstellung der Gedenkstätte wird zwar sehr Besucherleitsystem. gut angenommen, ist aber mittlerweile über zehn Jahre Am 1. Januar 2004 wurde das bisher von der Kommune alt. Auf Grund neuer Forschungen und der Weiterent- und ihrem Grenzdenkmalverein gemeinsam betreute wicklung der Gedenkstättenpädagogik muss in den Grenzdenkmal Hötensleben, das auf einer Länge von nächsten Jahren bis 2016 eine neue Dauerausstellung etwa 350 m den pioniertechnischen Ausbau der DDR- eingerichtet werden. Sie wird in engem Zusammenhang Grenzanlagen (Stand 1989) dokumentiert, Bestandteil mit der Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg entwickelt, der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Mit die- um die Verfolgung von Flüchtlingen und Ausreisean- ser Zuordnung bekannte sich das Land zu der Absicht, tragstellern zu dokumentieren, und orientiert sich an nicht nur die westdeutsche Erinnerung an die schikanö- den zukünftigen inhaltlichen Schwerpunkten der Ge- sen Grenzkontrollen zu vergegenwärtigen, sondern auch denkstättenarbeit: 88 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

–– Geschichte des historischen Ortes Bürgermeisters ein Bagger die trennende Mauer im Orts- –– Grenzopfer und Repression im Zusammenhang mit kern nieder. Mit dem Fall der Mauer entstand die Idee, dem Grenzregime am historischen Ort ein Museum zur Geschichte der deutschen Teilung zu errichten. –– Auswirkungen der Diktatur in SBZ und DDR auf die Bundesrepublik Entstehung und Entwicklung –– europäische Dimension, insbesondere die westeuro- päischen Solidaritätsbewegungen mit der Opposition Getragen von bürgerschaftlichen Engagement und mit in Osteuropa Akzeptanz der ortsansässigen Bevölkerung erfolgte am 3. September 1990 in einer Mödlareuther Scheune die –– Demokratieerziehung. Gründung des Vereins „Deutsch-Deutsches Museum In Kooperation mit der Otto-von-Guericke-Universität Mödlareuth e. V.“ Seine Zielsetzung ist die Darstellung Magdeburg, Institut für Geschichte, Lehrstuhl für Zeit- der Geschichte der deutschen Teilung in ihrer Gesamt- geschichte, wird sich die Gedenkstätte folgenden For- heit. Nicht nur Mauer und Stacheldraht, sondern auch schungsschwerpunkten widmen: die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und –– Wirken der Grenztruppen alltagsgeschichtlichen Aspekte dieser Teilung werden thematisiert und neben allgemeinen Einführungen –– Alltag im Grenzgebiet wenn möglich exemplarisch anhand regionaler und lo- –– Grenzopfer kaler Beispiele erläutert. Der zeitliche Rahmen beginnt –– Zeitzeugenarchiv 1944/45 mit der Festlegung der Besatzungszonen und –– Internationale Bedeutung dem Ende des Zweiten Weltkrieges und endet mit der Friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung –– Zusammenarbeit der westdeutschen und europäi- schen Solidaritätsbewegung mit der Opposition in 1990 und ihren aktuellen Auswirkungen bis in die Ge- der DDR. genwart. Inhaltliche Schwerpunkte bilden dabei die The- menbereiche Sperranlagen, Grenzüberwachungsorgane, Besucherzahlen Zwangsaussiedlungen, Grenzübergangsstellen, illegale Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn wird Grenzübertritte/Flucht, wirtschaftliche/verkehrstechni- jährlich von gut 170 000 Menschen besucht. Pro Jahr fin- sche Auswirkungen, Alltag an der Grenze sowie Friedli- den 500 bis 800 begleitete Rundgänge in verschiedenen che Revolution und Wiedervereinigung unter Berück- Sprachen statt. Darüber hinaus werden Sonderausstel- sichtigung des jeweiligen historisch-politischen lungen, Veranstaltungen, Schülerprojekttage und -wo- Kontextes in nationaler und europäischer Dimension. chen, Lehrerfortbildungen und weitere Bildungsmög- An diesem für die Geschichte der deutschen Teilung be- lichkeiten angeboten. deutsamen historischen Ort sind Teile der 700 m langen Betonsperrmauer und des Metallgitterzaunes sowie der Das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth Beobachtungsturm im Original erhalten geblieben. Die heutige Gedenkstätte verfügt über ein Freigelände, einen Der historische Ort (Sonder-)Ausstellungsbereich, museumspädagogische Mödlareuth erlangte als „Little Berlin“ weltweit traurige Räume sowie eine museale Infrastruktur mit Medienar- Berühmtheit. Mit dem Ministerratsbeschluss der DDR chiv, Archiv, Bibliothek und Depots und ist auf allen Fel- vom 26. Mai 1952 und der einen Tag später in Kraft getre- dern der klassischen Museumsarbeit (Sammeln, Bewah- tenen Polizeiverordnung des MfS senkte sich auch in ren, Dokumentieren, Forschen, Vermitteln) tätig. Ihr Mödlareuth der „Eiserne Vorhang“. Im Juni 1952 wurde Zweck besteht darin, ein Zeugnis für die Verbrechen der mit der Errichtung eines übermannshohen Bretterzau- SED-Diktatur, ein Ort der Erinnerung an die deutsche nes die totale Abgrenzung der beiden Ortsteile eingelei- Teilung und des Gedenkens an deren Opfer sowie ein au- tet. Jahrhundertealte wirtschaftliche, gesellschaftliche ßerschulischer Lernort für gegenwärtige und zukünftige und familiäre Verbindungen über den Tannbach hinweg Generationen im Rahmen der historisch-politischen Bil- kamen damit ziemlich abrupt zum Erliegen. In den fol- dungsarbeit zu sein. genden fast vier Jahrzehnten wurden die Sperranlagen in Mödlareuth immer weiter ausgebaut und perfektioniert. Der Verein „Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth 1966, fünf Jahre nach dem Mauerbau in Berlin, folgte der e. V.“ übte zunächst die Trägerschaft bis 2005 aus. Ab Ja- Bau der 700 m langen, 3,30 m hohen Betonsperrmauer nuar 2006 übernahm der länderübergreifende kommu- durch das 50 Einwohner zählende Dorf. Am 9. Dezember nale Zweckverband „Deutsch-Deutsches Museum Möd- 1989, genau einen Monat nach dem Fall der Mauer in lareuth“ die Einrichtung. Dem Zweckverband gehören Berlin, wurde der Fußgängerübergang in Mödlareuth er- der Landkreis Hof (Freistaat Bayern), der Landkreis Saa- öffnet. Am 17. Juni 1990 riss auf Initiative des Töpener le-Orla (Freistaat Thüringen), der Vogtlandkreis (Frei- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 89 staat Sachsen) sowie die Gemeinde Töpen (für die bayeri- lung im Freigelände werden hier für den Besucher die sche Seite Mödlareuths) und die Stadt Gefell (für die Weitläufigkeit und räumliche Dimension der (vorderen) thüringische Seite Mödlareuths) an. Sperranlagen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze erfahrbar. 1995 folgten die Ausgrabungen der „Unteren Die investive Förderung erfolgt seit 1991 durch den Frei- Mühle“ Mödlareuths im Rahmen eines Jugend-Work- staat Bayern sowie seit 1993 durch den Freistaat Thürin- camps mit 17 Studenten aus neun Nationen. Das Flä- gen. Bezüglich der länderübergreifenden Finanzierung chendenkmal stellt eine Stätte der Erinnerung und Mah- wurde 1994 ein gemeinsamer Kabinettsbeschluss der nung bezüglich der Themenkomplexe Grenzregime und Freistaaten Bayern und Thüringen verabschiedet. Insge- Zwangsaussiedlung dar. samt wurden bislang über 2,2 Mio. Euro investiert.

Zusätzlich erhielt das Museum Mödlareuth über 700 000 Sammlung Euro an zweckgebundenen Projektförderungen u. a. von Zum Aufbau einer musealen Infrastruktur erfolgte im der Bundesstiftung Aufarbeitung, der Oberfrankenstif- Herbst 1992 der Ankauf von Wirtschaftsgebäuden des tung, der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in ehemaligen Rittergutes Mödlareuth. Nach zweijährigen Bayern, der Bayerischen Landesstiftung, der Stiftung Planungs- und Baumaßnahmen wurden im Herbst 1994 Kreis- und Stadtsparkasse Hof sowie finanzielle Zuwen- die Räumlichkeiten für Verwaltung, Medienarchiv, Ar- dungen durch die Lottogesellschaft Thüringen und chiv, Bibliothek und Depots in Betrieb genommen. Kon- durch das Landgericht Hof in Form von Bußgeldzahlun- servatorische wie auch restauratorische Maßnahmen gen an gemeinnützige Einrichtungen. wurden bei mehreren Großexponaten (Fahrzeuge) sowie An der Finanzierung der Betriebskosten in Höhe von ca. bei einigen Sperranlagen im Freigelände (z. B. Beton- 300 000 Euro jährlich beteiligen sich der Bund (seit 1995 sperrmauer) durchgeführt. im Rahmen der Gedenkstättenförderung), der Freistaat Das Medienarchiv umfasst neben Filmen und biografi- Bayern (seit 2006), der Freistaat Thüringen (seit 2005), der schen Zeitzeugenbefragungen einen Fotobestand von ca. Bezirk Oberfranken, der länderübergreifende kommu- 60 000 Fotos, die größtenteils digital vorliegen und über nale Zweckverband (Verbandsumlage der Zweckver- eine Datenbank erschlossen sind. Das Archiv verfügt bandsmitglieder Landkreis Hof, Landkreis Saale-Orla, über einen Bestand von etwa 10 000 Aktenseiten, über- Vogtlandkreis, Gemeinde Töpen, Stadt Gefell) sowie das wiegend Reproduktionen aus den Beständen des Bundes- Museum selbst in Form von Einnahmen (Eintritt, Füh- archivs/Militärarchivs Freiburg, des BStU Berlin und sei- rungen, Museumsshop) in Höhe von ca. 100 000 Euro ner Außenstellen Chemnitz und Gera, des Bundesgrenz- jährlich. schutzes und der Bayerischen Grenzpolizei. Von 1999 bis 2003 wurden durch Umbau- und Sanie- In der über zwanzigjährigen Sammeltätigkeit konnten rungsmaßnahmen zwei Film- und Vortragsräume, ein bislang etwa 20 000 Objekte zur Geschichte der deut- Sonderausstellungsraum sowie Infothek/Museumsshop schen Teilung den Museumsdepots zugeführt werden. geschaffen. Im Sonderausstellungsraum werden jährlich Die museumseigene Sammlung ergänzen drei hinzuer- zwei bis drei Sonder-/Wanderausstellungen präsentiert. worbene Privatsammlungen. Bislang wurden etwa 14 000 Objekte wissenschaftlich in einer Datenbank in- Ausstellung ventarisiert, zum Teil auch fotografisch dokumentiert Freigelände und nach konservatorischen Gesichtspunkten gelagert.

Das Freigelände wurde von 1992 bis 1994 geschaffen. Es Die Erweiterung der bestehenden Depotbereiche erfolgte vermittelt auf einer Fläche von ca. 8 000 qm in einer Re- in den Jahren 1997/98 durch den Neubau eines Kfz-De- konstruktion die Gliederung des Grenzgebietes der DDR pots, das 2008 als „begehbares Depot“ konzipiert wurde in Sperrzone und Schutzstreifen, Aufbau und Zusam- und, mit Deckenbannern als Informationsträger verse- menwirken der verschiedenen Sperranlagen sowie die hen, ganzjährig den Besuchern zu den regulären Öff- „offene Grenze“ von Seiten der Bundesrepublik (Zeit- nungszeiten zur Verfügung steht. Derzeit werden über 30 stand 1989). Ein zweiter Teilbereich zeigt die vorderen Fahrzeuge der ehemaligen westlichen und östlichen Sperranlagen von Mödlareuth auf einer Länge von 100 m Grenzüberwachungsorgane präsentiert. im Original, wie sie das Dorf vom Mauerbau 1966 bis zur Grenzöffnung 1989 teilten. Bildungsarbeit

Im Rahmen der historisch-politischen Bildungsarbeit Geschichts-Lehrpfad wurden 635 Gruppenführungen (davon 225 Schüler- Ein ca. vier km langer Geschichts-Lehrpfad ergänzt das gruppen) betreut. Zwei Räumlichkeiten stehen für Film- Freigelände. Im Gegensatz zur komprimierten Darstel- vorführungen, Seminare und Vorträge zur Verfügung. 90 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

Seit Februar 2010 stellt das Kultusministerium Bayern Museumsverbundes Südniedersachsen gemeinsam mit eine Lehrerstelle in Form einer Teilabordnung von drei der Gemeinde Teistungen, der Stadt Duderstadt und den Lehrkräften (Mittel-/Hauptschule, Realschule, Gymnasi- Landkreisen Worbis und Göttingen gegründet. Es wird um) als gedenkstätten- und museumspädagogisches Per- seit 1996 vom Grenzlandmuseum Eichsfeld e. V. getra- sonal insbesondere für die Betreuung von Schulklassen gen. zur Verfügung. Seit September 2011 unterstützt auch das Das Museum sieht sich als wichtiger Partner des „Grünen Kultusministerium Thüringen mit einer halben Lehrer- Bands Deutschland“ 8 und darüber hinaus des „Grünen stelle (Teilabordnung) die gedenkstättenpädagogische Bands Europa“ („European Green Belt“). Das Grenzland- Arbeit des Museums Mödlareuth. In Kooperation mit der museum arbeitet hier eng mit der Heinz Sielmann Stif- Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit tung auf Gut Herbigshagen bei Duderstadt und der finden viermal jährlich ein dreitägiges Schülerseminar Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in mit jeweils einer Schulklasse aus Bayern und Thüringen Göttingen zusammen. oder Sachsen statt. Ferner werden Seminare und Projekt- tage für Schulklassen angeboten, Fach-, Diplom-, Magis- Das Grenzlandmuseum konnte in den fast 17 Jahren sei- ter- und Doktorarbeiten zur Geschichte der deutschen nes Bestehens rund 900 000 Besucher verzeichnen. Teilung vom Museum Mödlareuth betreut. 500 Führungen pro Jahr registriert das Museum mit Be- suchern aus ganz Deutschland und dem Ausland. Im Rahmen einer Lehrerfortbildung, an der Lehrkräfte von Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien teilnah- Ausstellung men, entstand 1997 ein Medienpaket zum Thema „Tei- lung und Wiedervereinigung Deutschlands“, das auch In den ehemaligen Gebäuden des früheren Grenzüber- über die Landesbildstelle Nordbayern vertrieben wurde. gangs Duderstadt – Worbis, die durch einen modernen Anbau ergänzt wurden, dokumentiert eine in den Jahren Die vier Gedenkstättenpädagogen entwickelten zusätzli- 2008 bis 2011 völlig neu gestaltete Ausstellung auf che Module, die lehrplanorientiert die Aufarbeitung der rd. 1 200 qm Fläche mit mehr als 4 000 Exponaten so- SED-Diktatur ermöglichen und ergänzend zu den Füh- wohl die Geschichte der innerdeutschen Grenze vom ers- rungen angeboten werden. ten Grenzzaun in den unmittelbaren Nachkriegsjahren bis zur nahezu perfekten Abschottung in den 1980er Jah- Besucherzahlen ren als auch die Folgen der Teilung für Menschen und Im Zeitraum 1994 bis 2005 bewegten sich die Besucher- Natur im Grenzgebiet. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt zahlen zwischen 30 000 und 50 000 jährlich. Eine genaue dabei auf der Region Eichsfeld. Um auch jüngeren Besu- Besucherstatistik wurde seinerzeit aber nicht geführt. chern Rechnung zu tragen, wurde der Ausstellungs- eine Seit 2006 (55 523 Besucher) stieg die Zahl der Besucher Vermittlungskonzeption beigestellt, die wesentliche pä- um mehr als ein Drittel auf 76 548 im Jahr 2011. dagogische und methodisch-didaktische Kontaktpunkte zur Auseinandersetzung mit deutsch-deutscher Ge- Das Grenzlandmuseum Eichsfeld e. V., Teistungen schichte aus den vielfältigen Erfahrungen der letzten Jahre aufnimmt und professionalisiert liefert. Die Neu- Der historische Ort konzeption der Ausstellung wurde von Thüringen, der Das Grenzlandmuseum Eichsfeld bewahrt und doku- Niedersächsischen Sparkassenstiftung und von BKM ge- mentiert die Geschichte der deutschen Teilung unter be- fördert. Der Bund beteiligte sich mit insgesamt rund sonderer Berücksichtigung der geteilten Region Eichs- 1,3 Mio. Euro. feld. Es befindet sich am Ort des ehemaligen Grenzüber- gangs Duderstadt – Worbis, an der heutigen Grenze der Länder Thüringen und Niedersachsen. Durch den Erhalt wesentlicher Teile des Straßenübergangs und 1,1 km zum Teil vollständig erhaltener Grenzsperranlagen kann der 8 Das Grüne Band Deutschland ist ein Naturschutzprojekt zur sogenannte „kleine Grenzverkehr“ authentisch doku- Schaffung eines Grüngürtels auf dem fast 1 400 km langen Geländestreifen entlang der ehemaligen deutsch-deutschen mentiert werden. Als Besonderheit tritt der Themen- Grenze. Das Grüne Band umfasst den Bereich zwischen dem schwerpunkt „Grünes Band“ hinzu. Das Grenzlandmu­ sogenannten Kolonnenweg und ehemaligen Staatsgrenze seum verfügt seit dem Jahr 2000 über eine eigene, dem zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Es reicht von Museum angeschlossene Bildungsstätte. Travemünde an der Ostsee bis zum ehemaligen Dreiländereck bei Hof. Das Grüne Band Deutschland ist Teil des mitteleuropäi- schen Abschnitts des Grünen Bands Europa. Dieses hat eine Entstehung und Entwicklung Gesamtlänge von über 8 500 km und reicht vom Eismeer im Norden Norwegens bis zum Schwarzen Meer an der bulgarisch- Das Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen wurde türkischen Grenze und durchläuft dabei 24 europäische Staaten 1990 durch einen Initiativkreis unter Federführung des entlang des „Eisernen Vorhangs“. Gedenkstätten und Erinnerungsorte 91

Weitere wesentliche Bausteine des Museums sind ein Überwachung und Verfolgung 6,8 km langer Grenzlandweg, der am authentischen Ort zu den Originalgrenzsperranlagen sowie der früheren Vorbemerkung zu den sowjetischen Speziallagern Grenzinformation auf „westlicher“ Seite führt, eine Do- Auf der Konferenz von Jalta kamen die Alliierten im Fe- kumentation der Milderung der Teilungsfolgen durch die bruar 1945 überein, Nationalsozialisten und Kriegsver- Einrichtung des Grenzübergangs Duderstadt – Worbis brecher in Lagern zu internieren. Am 18. April 1945 er- sowie ein 8 km langes „Grünes Band“ vom Museum bis ließ das sowjetische NKWD (Volkskommissariat für zur Heinz Sielmann Stiftung. innere Angelegenheiten) den Befehl, zur „Säuberung“ des von der Roten Armee eroberten Gebietes „feindliche Ele- Eine Ausstellung im Erdgeschoss des „Mühlenturms“ mente“ in Lagern zu inhaftieren. Damit gelangte das – dem „technischen Zentrum“ des ehemaligen Grenz- sowjetische Lagersystem des GULag (Hauptverwaltung übergangs – sowie Infotafeln auf dem „Grenzlandweg“ der Besserungsarbeitslager) auch nach Deutschland. Als informieren über den Weg hin zum „Grünen Band“ von „Speziallager“ dienten vor allem ehemalige nationalso- ersten Kartierungen Mitte der 1970er Jahre über Heinz zialistische Konzentrationslager, Kriegsgefangenenlager Sielmanns Film „Tiere im Schatten der Grenze“ bis in die und Strafanstalten. Sie unterstanden zunächst dem Gegenwart. Mit einem neu zu errichtenden Ausstellungs- NKWD, ab 1946 dem Ministerium für innere Angelegen- modul in Form eines halb in die Erde gebauten Pavillons heiten (MWD). Ihre Verwaltung oblag der Abteilung Spe- auf dem Museumsgelände will das Museum seine Gäste ziallager bei der Sowjetischen Militäradministration in in die Zukunft des „Grünen Bandes“ führen und zugleich Berlin-Karlshorst. auf dessen mittlerweile gesamteuropäische Dimension („European Green Belt“) hinweisen. Hier sollen aktuelle In den insgesamt zehn Lagern wurden ohne jedes rechts- Projekte entlang des ehemaligen „Eisernen Vorhangs“ in staatliche Verfahren zunächst vorwiegend einfache Mit- ganz Europa mit Sachstand und Zielvorstellung doku- glieder und Funktionäre der NSDAP (Nationalsozialisti- mentiert werden. Die Umsetzung ist in Planung. sche Deutsche Arbeiterpartei) der unteren Ebene, aber auch Repräsentanten der staatlichen Verwaltung festge- Bildungsarbeit halten. Auch viele Jugendliche wurden inhaftiert, wobei In vielfältiger Form sind das Grenzlandmuseum Eichs- von offizieller Seite meistens der Verdacht, Mitglied der feld und die Bildungsstätte vernetzt mit den Schulen der nationalsozialistischen Partisanenorganisation „Wer- Umgebung sowie mit den Universitäten Göttingen, Kas- wolf“ gewesen zu sein, als Grund genannt wurde, oftmals sel und Oldenburg. Das Projekt „Erinnerungskultur und ganz unabhängig von den wahren Begebenheiten. Eben- regionale Identität“ der Europäischen Union wurde zu- falls interniert wurden ehemalige Wehrmachtsangehöri- sammen mit den Universitäten Kattowitz (Polen) und ge, bevor sie in Kriegsgefangenenlager kamen, sowie Opava (Tschechien) durchgeführt und erfolgreich abge- sowjetische Staatsangehörige, die das Misstrauen der Be- schlossen. satzungsbehörden erregt hatten. Unter den Eingesperr- ten befanden sich viele Denunzierte. Nicht selten waren In der dem Grenzlandmuseum angeschlossenen Bil- die Festnahmen reine Willkürakte der sowjetischen Be- dungsstätte finden jährlich etwa 150 Veranstaltungen satzungsmacht. mit über 3 000 Teilnehmern statt. Hinzu kommen unter- schiedliche Bildungsangebote für Schüler/Jugendliche Ab 1946 kamen vermehrt von Sowjetischen Militärtri- sowie Erwachsene/Senioren. bunalen (SMT) Verurteilte hinzu – oft auf Grundlage des Artikels 58 des russischen Strafgesetzbuches, dessen brei- Die Bildungsarbeit, zu der Workshops, Seminare, Lesun- te und schwammige Tatbestandsformulierungen von gen, Vorträgen, Grenzlandgespräche und Erzählcafés ge- „konterrevolutionären Aktivitäten“ letztlich als Vorwand hören, wird eng mit der neuen Dauerausstellung ver- für fast jegliche Verhaftung herangezogen werden konn- knüpft. Dem dient ein eigens entwickeltes „Lernlabor“. ten. Darüber hinaus gelangten zunehmend Personen in Eine besondere Position nimmt hierbei das neu entwi- die Speziallager, die eine offene oder vermutete kritische ckelte Vermittlungskonzept ein, welches etwa 40 Semi- Haltung gegenüber den Verhältnissen in der SBZ einnah- narbausteine der Bildungsstätte (Schwerpunkte: Aufar- men. Selbst Angehörige des Widerstands gegen den Na- beitung der DDR-Vergangenheit, Demokratie in tionalsozialismus fanden sich in den Lagern wieder. Zu- Deutschland, Ökologie und Umwelt) beinhaltet. sammenfassend ist festzuhalten, dass die Speziallager Das Niedersächsische Kultusministerium unterstützt die keineswegs nur der Internierung von Nationalsozialisten Bildungsarbeit, die sich an Schülerinnen und Schüler so- dienten, sondern einen wesentlichen Teil der stalinisti- wie Lehrkräfte wendet, durch die Teilabordnung einer schen Herrschaftsmethoden in der SBZ darstellten. Lehrkraft. Die Lebensbedingungen in den Speziallagern waren ka- tastrophal. Hunger, Krankheiten wie Tuberkulose, Ty- 92 Gedenkstätten und Erinnerungsorte phus und Fleckfieber sowie Monotonie – gearbeitet wur- ckelter, als es das Symbol vermuten lässt, und existiert in de nicht – dominierten den Haftalltag. Alle Lager waren der Realität gleich zweimal, als Bautzen I, das „Gelbe vielfach überbelegt. Viele Inhaftierte wurden in Strafla- Elend“, und als Bautzen II, der „Stasi-Knast“. ger in der Sowjetunion überstellt, wo sie dann Schwerst- Bautzen I wird wegen seiner gelben Klinker, aus denen es arbeit leisten mussten. Insgesamt waren in den Spezialla- erbaut ist, umgangssprachlich als „Gelbes Elend“ be- gern ca. 176 000 Häftlinge interniert, von denen etwa zeichnet. Bautzen I wurde 1904 am Stadtrand Bautzens jeder Dritte den Tod fand. Im Sommer 1948 kamen fast als Königlich Sächsische Landesstrafanstalt für 1 100 30 000 Häftlinge auf Beschluss des sowjetischen Minis- männliche Häftlinge eingeweiht. Unter der NS-Terror- terrates frei. Die letzten drei Speziallager Buchenwald, herrschaft diente die Anstalt zur Inhaftierung politi- Bautzen und Sachsenhausen wurden Anfang 1950 aufge- scher Gegner. Vornehmlich waren es Kommunisten und löst. Die sowjetischen Instanzen übergaben die SMT-Ver- Sozialdemokraten, später dann auch Häftlinge, die der urteilten an die Strafvollzugseinrichtungen der DDR. rassischen Verfolgung der Nationalsozialisten zum Opfer Wer bis dahin ohne Gerichtsurteil in den Speziallagern fielen. festgehalten worden war, kam zur Aburteilung in den „Waldheimer Prozessen“ vor ein Gericht der DDR. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges richtete das sowjetische NKWD in Bautzen I das Speziallager Nr. 4 Bis zur Friedlichen Revolution waren die Speziallager in ein, das von Mai 1945 bis zur Auflösung im Februar 1950 der DDR ein Tabuthema. Öffentlich wurde nicht über insgesamt 27 000 Gefangene durchliefen. Rund 3 000 von ihre Existenz gesprochen. Deren Anerkennung hätte in ihnen starben aufgrund der unmenschlichen Haftbedin- einem fundamentalen Gegensatz zur konstruierten „an- gungen. tifaschistischen“ Gedenkkultur der DDR gestanden. Die- se wurde mit „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ in Nach Gründung der DDR wurde die Haftanstalt mit den nationalsozialistischen Konzentrationslagern umge- knapp 6 000 Insassen, die durch die Sowjetischen Mili- setzt, die den „Sieg des Antifaschismus über den Faschis- tärtribunale verurteilt worden waren, an die Deutsche mus“ symbolisieren sollten. In ihnen wurde ein einseiti- Volkspolizei übergeben. Von Februar 1950 bis zum Ende ges Geschichtsbild vermittelt, das die Verfolgung der der DDR unterstand Bautzen I dem Ministerium des In- Antifaschisten durch die Nationalsozialisten hervorhob nern der DDR. Nach Entlassung der letzten dieser Verur- und die NS-Terrorherrschaft in die bestehende ideologi- teilten Ende der fünfziger Jahre wurden in erster Linie sche Auseinandersetzung mit dem Westen einordnete. mehrfach vorbestrafte und wegen schwerer Delikte lang- Diese Stätten entstanden mit Buchenwald und Sachsen- zeitverurteilte Kriminelle inhaftiert. Bautzen I blieb bis hausen gerade auch in den Konzentrationslagern, die ab zum Ende der DDR aber auch immer ein Gefängnis für 1945 als sowjetische Speziallager genutzt worden waren. politische Häftlinge: vor allem für „Republikflüchtlinge“, „Saboteure“, „Boykotthetzer“ und Zeugen Jehovas. Mit Erst nach 1989 wagten viele ehemalige Häftlinge, die der Friedlichen Revolution 1989 endete die Geschichte „Schweigelager“ zu thematisieren. Sie sahen sich mit der des „Gelben Elends“ als Ort politischer Verfolgung. fortwirkenden Propaganda der SED konfrontiert, zu Recht als vermeintliche Nationalsozialisten inhaftiert Bautzen II, direkt im Zentrum gelegen, war 1906 als Un- gewesen zu sein. Erste Funde von Massengräbern tersuchungsgefängnis für 200 Häftlinge in Betrieb ge- 1989/1990 führten zur öffentlichen Diskussion über das nommen worden. Während der NS-Terrorherrschaft be- Schicksal der Inhaftierten. fanden sich auch hier politische Gefangene in Untersuchungshaft. Die sowjetische Geheimpolizei nutz- In einer Denkschrift vom Juli 1990 bestätigte das sowje- te Bautzen II ab 1945 als sogenanntes Operativgefängnis. tische Innenministerium die Existenz der Speziallager. Nach der Übergabe des Hauses an die sächsischen Behör- den 1949 diente Bautzen II als Außenstelle von Bautzen I Die Gedenkstätte Bautzen zunächst dem allgemeinen Strafvollzug.

Der historische Ort Seit August 1956 war Bautzen II inoffiziell dem Geheim- Der Name „Bautzen“ steht im kollektiven Gedächtnis der dienst der SED-Diktatur unterstellt. Das Ministerium für Ost- und Westdeutschen für „DDR-Gefängnis“, politische Staatssicherheit nutzte das Gefängnis für „besonders ge- Verfolgung und die Staatssicherheit der SED-Diktatur. fährliche Staatsverbrecher“. Zwischen August 1956 und Mit Bautzen verbinden sich dunkle Bilder von Mauern, Dezember 1989 waren in Bautzen II insgesamt 2 350 Gittern und Stacheldraht. Bei dieser schlagwortartigen Strafgefangene inhaftiert. Ihre Verurteilungen hatten bis Erinnerung an Bautzen spielen die konkrete Geschichte zu 95 Prozent einen politischen Hintergrund. Unter den der Haftstätten und insbesondere die Tatsache, dass es in Gefangenen waren vor allem politische Gegner der SED- Bautzen zwei sehr unterschiedliche Gefängnisse gab, kei- Führungsspitze, ausländische Häftlinge, die wegen Spio- ne Rolle. Die Geschichte des historischen Ortes ist verwi- nage oder Fluchthilfe verurteilt worden waren, aber auch Gedenkstätten und Erinnerungsorte 93 straffällig gewordene Funktionäre aus dem DDR-Herr- vorgefundenen Zustand der späten achtziger Jahre ken- schaftsapparat. Mit dem Untergang der SED-Diktatur nen. Die Kernbereiche des Stasi-Gefängnisses wie der kamen bis Dezember 1989 alle politischen Häftlinge aus Hauptzellentrakt, die Freiganghöfe, der Isolationsbereich Bautzen II frei. und die Arrestzellen, die sogenannten „Tigerkäfige“, sind den Besuchern zugänglich und werden ihnen in Form Ende 1989 wurde Bautzen I zu einer modernen Justiz- von „Ortstelen“ erläutert. Die Stelen markieren den je- vollzugsanstalt ausgebaut, die bis heute in Betrieb ist, weiligen Ort und erklären seine Funktion und Nutzung Bautzen II als Außenstelle noch bis 1992 weitergenutzt. in der Zeit zwischen 1956 und 1989. Zwanzig sogenannte Biografiestelen auf den Fluren der Haftanstalt vermitteln Entstehung und Entwicklung anhand exemplarischer Haftschicksale die Zusammen- Die Initiative, einen Gedenkort einzurichten, ging von setzung der Häftlingsgesellschaft von Bautzen II und zei- der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge der gen, wie verschieden die Wege in den „Stasi-Knast“ ver- Bautzener Gefängnisse aus. Am 40. Jahrestag der Gefan- liefen. Vereinzelte Zellenrekonstruktionen veranschau­ genenrevolte in Bautzen I am 31. März 1990 schlossen sie lichen den Wandel der Haftbedingungen. sich im Opferverein „Bautzen-Komitee“ zusammen. Ziel Über das Erfahren der „Raumdokumente“ hinaus wird des Vereins ist die „Mitwirkung bei der Aufklärung, Auf- den Besuchern die Möglichkeit gegeben, sich über die arbeitung und Bewältigung der unter der kommunisti- Geschichte der politischen Verfolgung zu informieren. schen Gewaltherrschaft begangenen Verbrechen gegen Dazu wurden vier größere Ausstellungsräume geschaf- die Menschlichkeit.“ Das Komitee forderte seit 1990 die fen, die sich auch in ihrer Formensprache deutlich als Freigabe der Haftgebäude für eine Gedenkstättennut- neutrale Orte von den übrigen Originalräumen abgren- zung. Im Juli 1993 beschloss der Sächsische Landtag nach zen. Die Trennung der Orte in „historisch Original“ und langen politischen Auseinandersetzungen schließlich, „neutral“ ist unerlässlich, um den Besuchern das Ver- dass die ehemalige Haftanstalt Bautzen II zu einer Stätte ständnis der komplexen Verfolgungsgeschichte an den werden sollte, die „der Opfer politischer Justiz in den bei- zwei Orten in drei Verfolgungsperioden überhaupt zu er- den Bautzener Haftanstalten“ gedenkt und an sie erin- möglichen. In diesen Ausstellungsräumen werden Doku- nert. mente zur Geschichte Bautzens präsentiert: Exponate, Seit 1994 steht der historische Ort für Besucher offen. Akten, Ton- und Filmmaterial erläutern und veran- Die Gedenkstätte Bautzen arbeitet unter dem Dach und schaulichen Besuchern die politische Verfolgung im his- in Trägerschaft der Stiftung Sächsische Gedenkstätten torischen Kontext. und wird aufgrund ihrer bundesweiten Bedeutung zur Neben den Dauerausstellungen erarbeitet die Gedenk- Hälfte aus Mitteln des Bundes finanziert. Sie dokumen- stätte Bautzen Wander- und Sonderausstellungen, so z. B. tiert die Geschichte politischer Verfolgung in den beiden die gemeinsam mit der Gedenkstätte Berlin-Hohen- Bautzener Haftanstalten während der NS-Terrorherr- schönhausen erarbeitete Ausstellung „Gewalt hinter Git- schaft und der kommunistischen Diktatur in der SBZ tern. Gefangenenmisshandlungen in der DDR“. Zudem und der DDR. präsentiert die Gedenkstätte Bautzen im Rahmen ihres Bei der Aufarbeitung der sehr komplexen Geschichte der Veranstaltungsprogramms wechselnde Ausstellungen Bautzener Haftorte ergeben sich drei thematische anderer Einrichtungen. Schwerpunkte für die Gedenkstättenarbeit: Sammlung –– Die Geschichte der Gefängnisse Bautzen I und Baut- zen II im Nationalsozialismus, 1933 bis 1945 Die Gedenkstätte Bautzen sammelt und bewahrt sämtli- –– Die Geschichte des sowjetischen Speziallagers (Baut- che noch vorhandenen Spuren des in Bautzen erlittenen zen I), 1945 bis 1956 Unrechts. Die historische Sammlung umfasst rund 2 000 Sachzeugnisse: Vom Hauptausstellungsstück, dem histo- –– Die Geschichte des Stasi-Gefängnisses Bautzen II, rischen Gebäude, über die Wanze in der Fußleiste, die 1956 bis 1989. Häftlingsuniform aus den achtziger Jahren und den Ge- Vom konkreten historischen Ort und von konkreten Per- fangenentransportwagen bis zum bestickten Salzsäck- sonen ausgehend, klärt die Gedenkstätte über die histo- chen, der aus Draht gefertigten Nähnadel und der aus rischen Zusammenhänge und die jeweiligen politischen Brot gefertigten Schachfigur, die aus dem Speziallager Hintergründe der drei Verfolgungsperioden auf. überliefert sind. Archiviert und der Öffentlichkeit zu- gänglich gemacht werden zudem mehrere Tausend Blatt Ausstellung Schriftgut, das aus den Haftanstalten erhalten ist wie Die Besucher der Gedenkstätte Bautzen lernen das fünf- beispielsweise interne Anweisungen, Lageberichte, Bri- stöckige historische Gebäude Bautzen II weitgehend im gadebücher, Baupläne, Formulare und Fotos. Der wich- 94 Gedenkstätten und Erinnerungsorte tigste Bestandteil der Sammlung ist das Zeitzeugenar- Ferner bietet die Gedenkstätte für Schülergruppen der- chiv, in dem die Erinnerungen und persönlichen zeit sieben Projekte an. In Kleingruppen erschließen sich Dokumente von ehemaligen Häftlingen bewahrt wer- die Schüler mithilfe von Dokumenten, Verordnungen, den. Es zählt derzeit mehr als 1 000 Personendossiers, Fotos und Häftlingsschilderungen die Inhalte des jewei- rund 80 lebensgeschichtliche Interviews, Fotos, die ers- ligen Themas selbstständig. Thematisch reichen die Pro- ten Postkarten aus dem Speziallager an Angehörige, jekte von der „Politischen Haft im Nationalsozialismus“ Haftunterlagen, Entlassungsscheine und vieles Persönli- und dem „Heimtückegesetz im Nationalsozialismus“ ches mehr. über die „Geschichte des sowjetischen Speziallagers“, „Weggesperrt. Politische Haft in Bautzen II“, „Geschichte Forschung des Stasi-Gefängnisses“, „Spitzel hinter Gittern – Häftlin- ge als IM der Staatssicherheit“ bis zur „Friedlichen Revo- Grundlage der Gedenkstättenarbeit ist die solide wissen- lution in Bautzen“. schaftliche Forschung. Neben klassischen Archivrecher- chen in staatlichen Archiven, vor allem dem Bundes- Bis 2009 konnte nur spekuliert werden, ob die pädagogi- und dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv, dem russischen sche Vermittlungsarbeit der Gedenkstätte die Zielgruppe Staatsarchiv, dem Stadtarchiv Bautzen und in Partei- erreicht und inwieweit der Besuch nachhaltig ist. Hier und Kirchenarchiven, dem Archiv der JVA (Justizvoll- setzte eine Studie im Auftrag der Stiftung Sächsische Ge- zugsanstalt) Bautzen und beim BStU sind insbesondere denkstätten an, die in der Gedenkstätte Bautzen durch- auch die Arbeiten des Zeitzeugenbüros der Gedenkstätte geführt wurde. Insgesamt lässt sich im Ergebnis von im Bereich der Biografieforschung zu nennen. Die Ergeb- Schülerbefragungen vor und nach dem Besuch sagen, nisse der Recherchen und Forschungen werden der Öf- dass viele Schüler ihren Kenntnisstand erweitern konn- fentlichkeit in den verschiedensten Formen bekannt ge- ten und angeregt wurden, über die unterschiedlichen In- macht: in Vorträgen, Fachaufsätzen, Monografien oder formationen zu reflektieren. Viele Schüler erhielten auch in Form eines Totenbuches der im Bautzener Spezi- Denkanstöße und wurden zur Auseinandersetzung mit allager Gestorbenen, in den Dauer- und Sonderausstel- vergangenem Unrecht ermutigt. lungen. Nicht zuletzt fließen die Arbeitsergebnisse um- gehend auch in geführte Rundgänge und Schülerprojekte Die Gedenkstätte Bautzen bietet jährlich mehr als fünf der Gedenkstätte ein. Lehrerfortbildungen zu den Themenbereichen der Ge- denkstätte an. Bei der Einführung neuer Schülerprojekte gehört eine Lehrerfortbildung zur Standardetablierung Bildungsarbeit des neuen Angebots. Eine regelmäßige Zusammenarbeit Die Gedenkstätte Bautzen steht als „offener Lernort“ im findet mit der Sächsischen Bildungsagentur, Regional- ständigen Austausch mit der Öffentlichkeit und bietet stelle Bautzen, den Fachberatern im Fach Geschichte, der ein vielfältiges Informations- und Bildungsangebot für sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in eine breite Zielgruppe an. Im Sommer 2012 konnte der Dresden, dem Sächsischen Bildungsinstitut in Meißen einmillionste Besucher empfangen werden. Die Gedenk- und der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen in stätte bietet sowohl Überblicksführungen als auch ge- Chemnitz statt. führte Rundgänge mit den thematischen Schwerpunk- Bereits zweimal fanden in Kooperation mit dem ten „Speziallager“, die „Literarische Führung: Auf den Deutsch-Sorbischen Volkstheater besondere Vermitt- Spuren Walter Kempowskis“, „Stasi-Gefängnis“ und lungsprojekte statt. 2002 wurde ein Theaterstück zum „Spurensuche“ an. Thema „Politische Haft in Bautzen“ konzipiert. „Romeo Eine neue Möglichkeit, die Gedenkstätte Bautzen kennen und Julia auf Bautzen II“ – so der Titel – erzählt die Ge- zu lernen, ist die „Spurensuche“. Sie verbindet Projektar- schichte eines Liebespaares, das zu Beginn der 1980er beit mit einem geführten Rundgang durch die ehemalige Jahre plant, aus der DDR zu fliehen und in Bautzen II in- Stasi-Haftanstalt Bautzen II. In Kleingruppen können haftiert wird. Bis Anfang 2004 wurde das Stück insge- die Teilnehmer den historischen Ort erkunden. Die Be- samt 71 Mal im Hauptzellentrakt des ehemaligen Stasi- sucher wählen selbst die für sie besonders interessanten, Gefängnisses aufgeführt. Das Theaterstück erregte weit unerklärlichen und spektakulären Orte aus. Mit dem pä- über die Region hinaus Aufsehen. Es erschloss der Ge- dagogischen Begleiter werden die markierten Orte auf- denkstätte völlig neue Besuchergruppen und baute ins- gesucht und Fragen beantwortet. Gleichzeitig rückt er besondere bei den Bautzenern Hemmschwellen gegen- die Inhalte in den historischen Kontext. Die Präsentation über der ehemaligen Haftanstalt ab. 2009 fand in der von Objekten und Fotos vertieft die Berichte. „Spurensu- Gedenkstätte Bautzen die Inszenierung eines neuen The- che“ ist besonders für Gruppen geeignet, die über kein aterstückes statt: „Antigone in Bautzen. Ein theatrali- historisches Grundwissen verfügen. sches Trainingscamp für Freiheitsdrang“. Gedenkstätten und Erinnerungsorte 95

Die Stiftung Gedenkstätte Berlin‑ Entstehung und Entwicklung Hohenschönhausen Ehemalige Häftlinge setzten sich Anfang der 1990er Jah- Der historische Ort re dafür ein, am Ort der Haftanstalt eine Gedenkstätte Im Mai 1945 beschlagnahmte die sowjetische Besat- zu errichten.1992 wurde das Gefängnisareal daraufhin zungsmacht das Gelände an der Genslerstraße in Berlin- unter Denkmalschutz gestellt, 1994 erstmals für Besu- Hohenschönhausen, auf dem sich seit 1939 eine Großkü- cher zugänglich gemacht. Im Dezember 1995 bildete die che der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt Berliner Senatsverwaltung für Kultur eine „Stiftung in befunden hatte. Die Sowjets nutzten das Gelände als In- Gründung“, mit der die institutionalisierte Arbeit der ternierungslager: das Speziallager Nr. 3. Es unterstand Gedenkstätte ihren Anfang nahm. Bund und Land betei- dem NKWD und diente in erster Linie als Sammel- und ligten sich zu gleichen Teilen an den Kosten. Eine Ar- Durchgangslager, von dem aus über 15 000 Gefangene in beitsgruppe von Wissenschaftlern erarbeitete eine Rah- andere sowjetische Lager transportiert wurden. Neueste menkonzeption für die künftige Arbeit. Auf dieser Untersuchungen der Gedenkstätte haben ergeben, dass Grundlage verabschiedete das Abgeordnetenhaus von von Juli 1945 bis Oktober 1946 mindestens 889 Häftlinge Berlin im Juni 2000 das Gesetz zur Errichtung der Stif- ums Leben kamen. Ihre Leichen wurden auf einem tung „Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“. Deren Schuttabladeplatz und in Bombentrichtern verscharrt. Aufgabe ist es, „die Geschichte der Haftanstalt Hohen- schönhausen in den Jahren 1945 bis 1989 zu erforschen, Ende 1946, Anfang 1947 richtete die sowjetische Besat- über Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen zungsmacht ihr zentrales Untersuchungsgefängnis für zu informieren und zur Auseinandersetzung mit den Deutschland am Ort des inzwischen geschlossenen Spe- Formen und Folgen politischer Verfolgung und Unter- ziallagers Nr. 3 ein. Im März 1951 übernahm das Ministe- drückung in der kommunistischen Diktatur anzuregen. rium für Staatssicherheit das sowjetische Gefängnis und Am Beispiel dieses Gefängnisses ist zugleich über das nutzte es von nun an als seine zentrale Untersuchungs- System der politischen Justiz in der Deutschen Demokra- haftanstalt. Im folgenden Jahrzehnt wurden hier über tischen Republik zu informieren“ (§ 2 Stiftungserrich- 10 000 Menschen inhaftiert, die der kommunistischen tungsgesetz). Diktatur im Weg standen oder gegen diese Widerstand leisteten. Die Liste der Gefangenen reicht von Streikfüh- Die Stiftung wird institutionell je zur Hälfte vom Land rern des Aufstands vom 17. Juni 1953 bis zu kritischen Berlin und vom Bund, vertreten durch BKM, gefördert. Reformkommunisten. Ende der 1950er Jahre mussten Häftlinge des benachbarten Arbeitslagers im hinteren Ausstellung Teil des Geländes ein neues Gebäude mit über 200 Zellen und Vernehmerzimmern errichten, welches das alte Kel- Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen lergefängnis als zentrale Untersuchungshaftanstalt ab- regt mit Ausstellungen zur kritischen Auseinanderset- löste. Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 wurden zung mit den Formen und Folgen politischer Verfolgung hier vor allem Menschen festgehalten, die aus der DDR in der kommunistischen Diktatur an. Das größte und fliehen oder ausreisen wollten. wichtigste Ausstellungsobjekt bildet nach wie vor die ehemalige Untersuchungshaftanstalt, die im Rahmen ei- Die physische Gewalt der 1950er Jahre wurde seit den nes ausgedehnten musealen Rundgangs besichtigt wer- 60er Jahren durch raffinierte psychologische Methoden den kann. Darüber hinaus werden regelmäßig Sonder- der Geständniserpressung ersetzt. Über den Ort ihrer führungen durch das frühere Haftkrankenhaus des Haft ließ man die Gefangenen bewusst im Unklaren. Ministeriums für Staatssicherheit und durch einen Ori- Systematisch gab man ihnen das Gefühl, einem allmäch- ginal-DDR-Gefangenenwaggon angeboten. Die Gedenk- tigen Staat ausgeliefert zu sein. Von der Außenwelt her- stätte Berlin-Hohenschönhausen zeigt ständige Ausstel- metisch abgeschnitten und von den Mitgefangenen lungen und Wechselausstellungen zu unterschiedlichen meist streng isoliert, wurden sie durch gut ausgebildete Aspekten der SED-Diktatur. Vernehmer oft monatelang verhört, um sie zu belasten- den Aussagen zu bewegen. Ständige Ausstellungen Im Januar 1990 wurde die Haftanstalt in Berlin-Hohen- schönhausen an das Ministerium für Inneres übergeben Stark frequentiert ist das Info-Center der Gedenkstätte, und mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik das im März 2007 eröffnet wurde. Die dort gezeigte stän- Deutschland am 3. Oktober 1990 für immer geschlossen. dige Ausstellung „Inhaftiert in Hohenschönhausen. Zeugnisse politischer Verfolgung 1945 bis 1989“ dient als Zwischenlösung bis zur Fertigstellung der zentralen Dauerausstellung. Nach einer Einführung in die Ge- schichte des Haftortes wird der Weg beschrieben, den die 96 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

Häftlinge von ihrer Verhaftung und Einlieferung bis zur Forschung Verurteilung nahmen. Ausgewählte Häftlingsbiografien Trotz umfangreicher Bemühungen um die Aufarbeitung ergänzen die Schau. Ein dreidimensionales Modell im der politischen Justiz in der SBZ und der DDR ist die Ge- Maßstab 1:200 zeigt die Gefängnisanlage zum Zeitpunkt schichte des Haftortes Berlin-Hohenschönhausen bisher der Friedlichen Revolution im Herbst 1989. nur unzureichend erforscht. Quellengeschützte Schät- zungen gehen von insgesamt über 40 000 Gefangenen in Zentrale Dauerausstellung den unterschiedlichen Hafteinrichtungen aus. Ver- Mit der künftigen Dauerausstellung wird das Angebot gleichsweise wenig Information gibt es immer noch über für die Besucher der Gedenkstätte erweitert und zugleich die soziale Herkunft, über Repressionswellen, die Haft- attraktiver und flexibler. Während die Besichtigung des gründe und Haftzeiten sowie über die Entwicklung der Gefängnisses bislang nur im Rahmen von Gruppenfüh- Vernehmungsmethoden und des Haftregimes. Obgleich rungen möglich war, schafft die begehbare Ausstellung fast alle prominenten politischen Gefangenen der DDR im Altbau erstmals die Möglichkeit, sich das System poli- im Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen inhaf- tischer Verfolgung in der SED-Diktatur individuell und tiert waren, sind auch ihre Verfolgungsschicksale bisher selbstständig zu erschließen. Da etwa die Hälfte aller Be- nur selten ausführlich dokumentiert. sucher Schüler- und Jugendgruppen sind, ist ein zusätzli- In den vergangenen Jahren war es der Gedenkstätte ches Lern- und Informationszentrum in der ersten Etage möglich, wesentliche Quellen ausfindig zu machen, zu vorgesehen. Im Rahmen von – zunehmend nachgefrag- erschließen und für die Zukunft zu sichern. Archivmate- ter – Projekt- und Seminararbeit sowie durch den Ein- rial wird im Zeitzeugen-, Dokumenten- und Fotoarchiv satz multimedialer Anwendungen können dort aktives gesammelt. Materialien zu bekannten Häftlingen der Lernen und nachhaltiges Verstehen gefördert werden. Gedenkstätte werden nicht nur in einem physischen Ar- Die neue Dauerausstellung soll nach derzeitiger Planung chiv gesammelt, sondern auch in einer Datenbank er- im Frühjahr 2013 eröffnet werden, wenn die Umbau-, Sa- fasst. nierungs- und Renovierungsarbeiten an der Gedenkstät- te abgeschlossen sind. Das Land Berlin und der Bund fi- Systematisch hat die Gedenkstätte auch nach Richtern nanzieren die Kosten der Einrichtung der Dauerausstel- und Staatsanwälten recherchiert, die an politischen lung und die Baumaßnahmen in Höhe von rund 16 Mio. Strafverfahren beteiligt waren. Sie werden in einer ge- Euro je zur Hälfte. sonderten Datenbank erfasst. Diese enthält Angaben zu über 3 300 politischen Prozessen zwischen Oktober 1949 Sammlung und Oktober 1989. Des Weiteren wurde nach biografi- schen Angaben und den Kaderunterlagen der in Hohen- Die Gedenkstätte unterhält eine Reihe von Sammlungen schönhausen beschäftigten MfS-Mitarbeiter recher- und Archiven mit Materialien zur Geschichte des chiert. Eine interne Datenbank enthält etwa 100 000 Haftortes Berlin-Hohenschönhausen und zum System Datensätze aus dem Zeitraum 1959 bis 1989. Hinsichtlich der politischen Justiz in der DDR. In der Objektsamm- der Aktenrecherche liegt der Schwerpunkt beim Gefäng- lung werden dreidimensionale Gegenstände aus der ehe- maligen Untersuchungshaftanstalt und angrenzenden nispersonal und den Vernehmern. Themenbereichen aufbewahrt. Daneben verfügt die Ge- Mit Hilfe der Bundesstiftung Aufarbeitung und einer Be- denkstätte über ein Fotoarchiv, ein Zeitzeugenarchiv schäftigungsgesellschaft konnte bis September 2003 ein und ein Dokumentenarchiv. Schließlich gehören eine Bi- einjähriges Forschungsprojekt zum ehemaligen Sperrge- bliothek und eine Mediathek zur Ausstattung. Sämtliche biet Berlin-Hohenschönhausen finanziert werden, aus Sammlungen sind über Datenbanken erschlossen. dem mehrere Veröffentlichungen hervorgingen. Weiter Die Gedenkstätte unterhält die bundesweit größte wurde von der Bundesstiftung Aufarbeitung das Projekt Sammlung von Exponaten zum Haftregime in Ost- „Erstellung eines Totenbuches zum Speziallager Nr. 3 in deutschland. Ein großer Teil des Bestandes stammt aus Berlin-Hohenschönhausen“ unterstützt. Dabei geht es der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhau- darum, alle im sowjetischen Lager 1945/46 Verstorbenen sen und wurde nach der Schließung des Gefängnisses namentlich zu identifizieren, was angesichts der schlech- zurückgelassen. Dazu gehören insbesondere Häftlings- ten Quellenlage eine außerordentlich schwierige Aufga- kleidung, Geschirr, Küchengeräte, Möbel und technische be darstellt. Apparaturen (Telefone, Überwachungskameras etc). Veranstaltungen

Entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag hat die Ge- denkstätte Berlin-Hohenschönhausen zahlreiche Veran- staltungen durchgeführt, um zur Auseinandersetzung Gedenkstätten und Erinnerungsorte 97 mit den Formen und Folgen politischer Unterdrückung Zeitzeugenarbeit in der kommunistischen Diktatur anzuregen. Das weit Die Sicherung historischer Quellen über den Haftort Ho- gefächerte Angebot umfasst Ausstellungseröffnungen, henschönhausen umfasst nicht nur die Recherche nach Buchvorstellungen und wissenschaftliche Vorträge bis amtlichen Unterlagen aus den verschiedenen Zeitperio- hin zu mehr kulturell orientierten Theater-, Film- oder den. Eine wichtige Rolle spielt auch die Erschließung von Literaturveranstaltungen. Große Bedeutung hatte auch Häftlingserinnerungen, für die das Zeitzeugenbüro der das Opfergedenken, namentlich an historischen Jahres- Gedenkstätte zuständig ist. Dieses hat die Aufgabe, Kon- tagen wie dem 17. Juni (Volksaufstand in der DDR), dem takte zu ehemals Inhaftierten aufzunehmen, zu pflegen 13. August (Bau der Berliner Mauer) oder dem 9. Novem- und ihre persönliche Haftgeschichte zu dokumentieren. ber (Mauerfall). Am 24. Oktober findet jedes Jahr eine Ge- Dazu sammelt es amtliche Unterlagen, persönliche Haft- denkfeier für die Opfer des sowjetischen Speziallagers berichte, Veröffentlichungen, Fotos und illustrierende Nr. 3 statt. Objekte. Außerdem hat es bislang über 500 ausführliche Interviews geführt, die in Ton und Bild dokumentiert Mit dem jährlich stattfindenden Hohenschönhausen-Fo- werden. Für ehemalige Häftlinge oder deren Angehörige, rum hat die Gedenkstätte eine neue Veranstaltungsreihe die sich mit Fragen, Hinweisen oder Wünschen an die etabliert. Die wissenschaftliche Tagung zu aktuellen Gedenkstätte wenden, fungiert es als erste Anlaufstelle. Themen der Aufarbeitung wird seit 2008 mit der Konrad- Adenauer-Stiftung durchgeführt. Dazu konnten renom- Im Zeitzeugenarchiv werden die personenbezogenen mierte Referenten aus dem In- und Ausland gewonnen Unterlagen zu allen ehemaligen Häftlingen gesammelt, werden. Beim 1. Hohenschönhausen-Forum am 1./2. Ok- die der Gedenkstätte bislang bekannt geworden sind. Zu tober 2008 ging es um das Thema „Nach dem Ende des jedem Zeitzeugen wird eine Akte geführt, in der neben Kommunismus – Die Weitergabe von Diktaturerfahrun- historischen Unterlagen auch der Kontakt zur Gedenk- gen an die junge Generation“. Im Jahr 2009 stand das Fo- stätte sowie eventuelle Veröffentlichungen dokumen- rum unter dem Thema „Auferstanden aus Ruinen – tiert werden. Die Materialien dienen als Grundlage für Droht eine Renaissance des Kommunismus?“. Das Recherchen, Publikationen und Ausstellungen. Unter 3. Hohenschönhausen-Forum im November 2010 trug Berücksichtigung des Datenschutzes wurden sie aber den Titel „Unvergleichbar? – Nationalsozialismus und auch externen Wissenschaftlern, Journalisten oder an- Kommunismus im 20. Jahrhundert“. 2011, beim 4. Forum deren Interessierten zur Verfügung gestellt. Im Rahmen in Hohenschönhausen, lautete das Thema der Veranstal- einer Kooperation mit der Archivhochschule in Potsdam tung „Vom Verrat der Intellektuellen – Diktaturverklä- wurde der gesamte Bestand des Zeitzeugenarchivs ab rung gestern und heute“. Juni 2008 gesichtet und einheitlich verzeichnet. Richt- schnur bildeten dabei die Ergebnisse einer Evaluation Zwei Jubiläen konnte die Gedenkstätte im Jahr 2010 fei- durch die Fernuniversität Hagen. ern: das zehnjährige Bestehen der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen sowie die endgültige Schlie- Mit Unterstützung der Europäischen Union wurde im ßung des Untersuchungsgefängnisses vor 20 Jahren. Aus Oktober 2008 im Rahmen des Programms „Aktive euro- diesem Anlass hatte die Gedenkstätte Berlin-Hohen- päische Erinnerung“ das Projekt „Das zentrale Untersu- schönhausen 100 frühere Häftlinge zu einem Festakt chungsgefängnis des kommunistischen Staatssicher- nach Hohenschönhausen eingeladen – stellvertretend heitsdienstes in Deutschland im Spiegel von Opferbe- für alle politischen Gefangenen der DDR. Um den Bogen richten“ begonnen. Es verfolgte unter anderem den zur jungen Generation zu schlagen, kamen am Folgetag Zweck, die transkribierten Häftlingsinterviews in eine 100 Berliner Schüler, die jeweils von einem Häftling per- Datenbank einzubinden und zu verschlagworten. In sönlich durch das einstige Stasi-Gefängnis geführt wur- ­einem zweiten Schritt wurden die Aussagen inhaltlich den. Insgesamt nahmen mehr als 350 Menschen an der analysiert, um die Haftbedingungen in den unterschied- zweitägigen Veranstaltung teil. lichen Zeiten genauer zu beschreiben.

Die Gedenkstätte hat auch durch verschiedene kulturelle Angesichts der erschreckenden Umfrageergebnisse über Angebote zur Auseinandersetzung mit der kommunisti- die fehlenden Kenntnisse von jungen Menschen über die schen Diktatur in Ostdeutschland angeregt. Lesungen SED-Diktatur vermittelt die Gedenkstätte auch ehemali- und Filmvorführungen bildeten eine wichtige Ergän- ge politische Häftlinge für Veranstaltungen an Schulen. zung zu den faktenorientierten Vortrags- und Diskussi- Die Erfahrungen der Gedenkstättenarbeit haben gezeigt, onsveranstaltungen. Auf diese Weise war es möglich, die dass die direkte Begegnung mit einem Betroffenen die für Nicht-Betroffene nur schwer nachvollziehbare Erfah- Schüler oftmals überhaupt erst für das abstrakte Thema rung politischer Verfolgung anschaulich zu machen und vergangener Diktaturen zugänglich macht. Deshalb rief neue Zielgruppen anzusprechen. die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen eine bun- 98 Gedenkstätten und Erinnerungsorte desweite Zeitzeugenbörse ins Leben, die es Schulen und tionen vermittelt und, je nach Aufbau des Seminars, auch Bildungseinrichtungen ermöglicht, ehemalige politische Texte und Medien eingesetzt. Häftlinge in den Unterricht einzuladen. Insbesondere Ju- Um auch über heutige Formen des Linksextremismus zu gendliche, die bisher noch keine Gelegenheit hatten, die informieren, entwickelte die Gedenkstätte mit finanziel- Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zu besuchen, ler Unterstützung des Bundesministeriums für Familie, sollen auf diese Weise über das politische Unrecht der Senioren, Frauen und Jugend 2011 ein neues Bildungsan- SED-Diktatur informiert werden. Das Angebot ist für gebot für Schüler unter dem Titel „Alles Geschichte? Schulen und Bildungseinrichtungen kostenlos. Seit Au- Linksextremismus in Deutschland heute“. Die entspre- gust 2010 gibt es auf der Homepage der Gedenkstätte ein chenden Seminare sollen sowohl in der Gedenkstätte als spezielles Onlineportal – www.ddr-zeitzeuge.de –, über auch vor Ort in der jeweiligen Schule durchgeführt wer- das Schulen und Bildungseinrichtungen Zeitzeugen für den. Gespräche und Veranstaltungen anfragen können. Als weiteres pädagogisches Angebot hat die Gedenkstätte Seit Juni 2011 ist die Organisation des Koordinierenden mit finanzieller Hilfe des BKM einen ehemaligen DDR- Zeitzeugenbüros bei der Gedenkstätte Berlin-Hohen- Gefangenentransporter in ein Mobiles Learning Center schönhausen angesiedelt. In dessen Rahmen setzt die umgebaut. Das rollende Gefängnis ist mit Hörstationen, Stiftung gemeinsam mit der Bundesstiftung Aufarbei- Monitoren sowie einer Ausstellung ausgestattet und soll tung und der Stiftung Berliner Mauer die bundesweite jene Schüler erreichen, die nicht in die Gedenkstätte Vermittlungsarbeit von Zeitzeugen an Schulen und an- kommen. dere Bildungseinrichtungen erfolgreich fort. Finanziert Für die Betreuung von Schülern und Lehrern betreibt die wird das KZB von BKM (ein ausführlicher Beitrag hierzu Gedenkstätte eine pädagogische Arbeitsstelle. Drei Berli- findet sich in Kapitel 8). ner Lehrer wurden dazu mit 50 Prozent ihrer Arbeitszeit abgeordnet. Die Arbeitsstelle bietet nicht nur speziell Bildungsarbeit vorbereitete Seminare und Projekttage an, sondern be- treut auch Schüler, die sich über einen längeren Zeitraum Besonders intensiv widmet sich die Gedenkstätte der Ar- mit der SED-Diktatur und dem Staatssicherheitsdienst beit mit Schülern. Viele Lehrer kommen inzwischen re- beschäftigen. Außerdem führt sie Fortbildungsveran- gelmäßig mit ihren Klassen. Sie haben die Erfahrung ge- staltungen für Lehrer durch. macht, dass der Besuch des ehemaligen Stasi-Gefäng­ nisses ihren Schülern ein ebenso lebendiges wie beein- Besucherzahlen druckendes Bild der jüngsten deutschen Geschichte ver- mittelt. Die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hat den gesetzlichen Auftrag, am Beispiel der ehemaligen Da viele Schüler nur über geringes oder gar kein Vorwis- zentralen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums sen verfügen, bedarf es besonderer pädagogischer An- für Staatssicherheit über das System der politischen Jus- strengungen, das System politischer Verfolgung in der tiz in der DDR zu informieren. Einen bedeutenden Bei- kommunistischen Diktatur verständlich zu machen. Die trag zur Erfüllung dieser Aufgabe leistet die Besucherbe- Betreuung der Schüler erfolgt deshalb nach einem abge- treuung. Qualifizierte Referenten führen das ganze Jahr stimmten didaktischen Konzept. Je nachdem, wie viel interessierte Gäste durch das ehemalige Stasi-Gefängnis Zeit die Gruppen mitbringen, können sie zwischen Füh- und informieren über seine Funktion, das DDR-Justiz- rungen, Seminaren oder Projekttagen wählen. Bei den system und die Haftbedingungen. Das Interesse am ehe- Führungen lernen die Schüler sowohl die verschiedenen maligen Stasi-Gefängnis ist in den letzten Jahren stark Haftepochen seit 1945 als auch die wichtigsten Stationen gewachsen. Seit Öffnung der Gedenkstätte hat sich die eines politischen Gefangenen in der DDR kennen. In der Zahl der Besucher mehr als verhundertfacht. Während Regel werden sie von einem ehemaligen Häftling durch 1994 rund 3 100 Besucher gezählt wurden, waren es 2011 das Gefängnis geführt, wodurch der Rundgang beson- über 342 000 Gäste. Im November 2010 konnte die Stif- ders anschaulich und nachvollziehbar wird. tung ihren zweimillionsten Besucher begrüßen.

Außer den Führungen hat die Gedenkstätte verschiedene Das STASI MUSEUM in Haus 1/ Seminartypen entwickelt, die Schülern eine weiterge- Normannenstraße, Berlin hende Beschäftigung mit dem Thema erlauben. In der Regel gehört dazu ein ausführliches Gespräch mit einem Der historische Ort Zeitzeugen, der über seine Erfahrungen in der DDR, die Die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Gründe seiner Verhaftung und seinen weiteren Lebens- Berlin-Lichtenberg war bis 1989 ein hermetisch abgerie- weg berichtet. Darüber hinaus werden Kontextinforma- gelter Ort. Der knapp zwei Quadratkilometer große Kom- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 99 plex zerschnitt ein historisch gewachsenes Wohngebiet. In Ausstellung der streng bewachten Stadt innerhalb der Stadt waren vor Nach Beendigung der mit Mitteln aus dem Konjunktur- 1989 bis zu 7 000 Geheimdienstmitarbeiter beschäftigt. programm II der Bundesregierung in Höhe von 11 Mio. Das Haus 1 im Gebäudekomplex Normannenstraße wur- Euro finanzierten denkmalgerechten Instandsetzung de Ende der 1950er Jahre als Dienstsitz des Ministers für und Grundsanierung von „Haus 1“ haben der BStU und Staatssicherheit der DDR erbaut. residierte die ASTAK im Januar 2012 zunächst Übergangsausstel- in dem Gebäude bis zum November 1989 und leitete von lungen eröffnet. Im Laufe des Jahres 2013 wird die neue dort aus im Auftrag der SED das MfS. „Haus 1“ gilt inso- gemeinsame Dauerausstellung des STASI MUSEUMS fern als das Symbol für den repressiven Machtapparat „Staatssicherheit in der SED-Diktatur“ eröffnet. Integra- der SED-Diktatur. ler Bestandteil der Ausstellung sind die überlieferten Räume der sogenannten „Mielke-Suite“: die Diensträume Am Abend des 15. Januar 1990, nach dem Beschluss zur des Ministers für Staatssicherheit der DDR, Erich Mielke. Auflösung des MfS durch den Zentralen Runden Tisch, nahmen Demonstranten die Zentrale des Ministeriums Die Dokumentationsstelle Zuchthaus für Staatssicherheit in Besitz und verhinderten so die Brandenburg an der Havel weitere Vernichtung der dort eingelagerten Akten. Ab dem Sommer 1990 richtete der Verein „Antistalinistische Der historische Ort Aktion“ in „Haus 1“ eine Forschungs- und Gedenkstätte Die für ca. 1 800 Gefangene ausgelegte Strafanstalt Bran- inklusive einer Dauerausstellung ein. Im Lauf der folgen- denburg-Görden wurde zwischen 1927 und 1935 errich- den Jahre bezogen weitere Vereine und Verbände zur tet. Unter der NS-Terrorherrschaft diente die als „Muster Aufarbeitung der SED-Diktatur in „Haus 1“ Quartier: für einen humanen Strafvollzug“ konzipierte Strafan- stalt als Instrument zur Verfolgung von politischen Geg- –– BSV-Förderverein für Beratung e. V. nern, Andersdenkenden und sonstigen missliebigen Per- –– Bürgerkomitee „15. Januar“ zur Aufarbeitung der Sta- sonen. 1940 wurde das Zuchthaus Brandenburg-Görden si-Vergangenheit e. V. auch zur Hinrichtungsstätte. Bis zum 20. April 1945 wur- –– FORUM zur Aufklärung und Erneuerung e. V. den dort 2 743 Menschen exekutiert. –– HELP e. V. – Hilfsorganisation für die Opfer politi- Im April 1945 wurde das nationalsozialistische Zucht- scher Gewalt in Europa haus in Brandenburg durch die Rote Armee befreit und –– Osteuropa-Zentrum Berlin bis 1947 von den sowjetischen Militärbehörden und dem –– Union der Opferverbände Kommunistischer Gewalt- NKWD u. a. als Untersuchungsgefängnis genutzt. Nach- herrschaft e. V. dem die Justizverwaltung der DDR das Zuchthaus im Jahr 1949 übernommen hatte, diente es erneut als Straf- anstalt, in der neben tatsächlichen Kriminellen, NS-Tä- Entstehung und Entwicklung tern und Kriegsverbrechern viele politische Oppositio- 1998 wies die Enquête-Kommission des Deutschen Bun- nelle, gescheiterte „Republikflüchtlinge“, Zeugen Jehovas destages „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur“ in und Homosexuelle inhaftiert waren. 1947 war auf dem ihrem Abschlussbericht auf den herausragenden Stellen- Friedhof am Marienberg im Auftrag der Stadt Branden- wert des historischen Ortes „Haus 1“ als ehemaligem burg an der Havel ein Denkmal für die Befreiung des Dienstsitz des Ministers für Staatssicherheit hin. Sie for- Zuchthauses errichtet worden. Seit 1990 wird das ehema- derte die Erarbeitung eines Konzepts zur Nutzung von lige Zuchthaus als Justizvollzugsanstalt betrieben. „Haus 1“ als Gedenkstätte, in der der BStU und die im „Haus 1“ ansässigen Aufarbeitungsinitiativen kooperie- Entstehung und Entwicklung ren sollten. 1975 wurden am Ort der ehemaligen Hinrichtungsstätte 2008 wurde das Thema von BKM in der Fortschreibung Gedenkräume eingerichtet. 1992 löste die Landesregie- des Gedenkstättenkonzepts des Bundes erneut aufgegrif- rung Brandenburg die „Nationale Mahn- und Gedenk- fen und konkretisiert. Die Kernvorgabe lautete, dass der stätte Brandenburg“ aus DDR-Zeiten auf. Ihr folgte die BStU und die ASTAK in „Haus 1“ eine gemeinsame Dau- Dokumentationsstelle Brandenburg, die 1993 Bestand- erausstellung einrichten sollen. Vor diesem Hintergrund teil der neu gegründeten Stiftung Brandenburgische Ge- fanden seit 2009 unter der Federführung von BKM Ge- denkstätte wurde. Eine – inzwischen aufgelöste – Aus- spräche des BStU und der ASTAK statt, um einen integ- stellung im Vorraum informierte bisher über Biografien rierten Ansatz für eine gemeinsame Ausstellung zu ent- der Inhaftierten aus der NS-Zeit. Eine Überarbeitung wickeln. 2011 unterzeichneten der BStU und die ASTAK dieser Ausstellung, ggf. in neuen Räumen, wird ange- eine Kooperationsvereinbarung. strebt. Die Dokumentationsstelle verfügt seit diesem Jahr 100 Gedenkstätten und Erinnerungsorte im sogenannten „Alten Zuchthaus“ am Nicolaiplatz über Raumordnung vorangetrieben und wird dabei durch das Räume für das Archiv und die Gedenkstättenpädagogik. Land unterstützt. Zweck des im Jahr 2007 gegründeten Schulpädagogische Angebote werden auch von der „Pro- Vereins Menschenrechtszentrum Cottbus und der beim jektwerkstatt Robert Havemann“ des Ministeriums für Bund und Land Brandenburg eingereichten Förderanträ- Bildung, Jugend und Sport angeboten. Der Geschichte ge ist es, die Unrechtsgeschichte während der NS-Terror- von Havemanns Widerstand gegen den Nationalsozialis- herrschaft und der kommunistischen Diktatur aufzuar- mus, seiner Rolle bei der Befreiung des Zuchthauses, sei- beiten und erlebbar zu machen. Das Vorhaben, eine ner weiteren Entwicklung in der SBZ und in der DDR so- Gedenk- und Begegnungsstätte mit einer Dauerausstel- wie seinem Einfluss auf die Opposition in der DDR lung in einem ehemaligen Hafthaus auf dem früheren kommt dabei eine große Bedeutung zu. Gefängnisareal zu errichten, soll innerhalb einer dreijäh- rigen Projektlaufzeit realisiert werden, beginnend im Ja- Die Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus nuar 2011. Das Gesamtvolumen der Bundes- und Lan- desmittel für die Teilprojekte „Liegenschaftserwerb“, Der historische Ort „Baumaßnahmen Hafthaus 1“ und „Dauerausstellung“ Das ehemalige „Königliche Zentralgefängnis Cottbus“ beläuft sich auf mehr als 2 Mio. Euro. Nach einer Teiler- wurde vor über 150 Jahren in Betrieb genommen und öffnung der Einrichtung im September 2012 ist die Er- diente in fünf Perioden – der Kaiserzeit, der Weimarer öffnung der Gedenkstätte einschließlich einer Daueraus- Republik, der NS-Zeit, der DDR und nach der Friedlichen stellung für den Herbst 2013 vorgesehen. Revolution bis zum Jahr 2002 – als Gefängnis. Nach dem Wiederaufbau des im Krieg stark beschädigten ehemali- gen Frauengefängnisses 1945 wurde es zunächst durch Die Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden die Justizverwaltung als Zentralgefängnis für 600 Häft- Der historische Ort linge weiter betrieben. Nach einer Justizreform 1951 Die Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung wurde das Gefängnis wie alle anderen Gefängnisse der (BV) Dresden des Ministeriums für Staatssicherheit in DDR auch dem Ministerium des Innern unterstellt und der Bautzner Straße ist heute eine Gedenkstätte. Sie ist von der Volkspolizei betrieben. Zu diesem Zeitpunkt wa- die einzige weitestgehend original erhaltene MfS-Unter- ren hier 794 Menschen unter katastrophalen Bedingun- suchungshaftanstalt (UHA) im Freistaat Sachsen. Zur gen inhaftiert. Im Zusammenhang des Volksaufstandes Gedenkstätte gehört auch ein ehemaliger sowjetischer am 17. Juni 1953 wurden die Haftarbeitslager Preschen Haftkeller, der von 1945 bis Mitte der 1950er Jahre vom und Drewitz geräumt und die Häftlinge in die Haftan- NKWD/MWD für politische Untersuchungshäftlinge stalt Cottbus gebracht. Die Folge war eine zwischenzeitli- und Internierte genutzt wurde. In diesen Zellen wurden che Belegung von 2 500 Menschen. Für die späten 1960er später vom MfS Häftlinge des Strafgefangenenarbeits- und frühen 1970er Jahre wird die Anzahl der aus politi- kommandos untergebracht. Der Keller ist jedoch in sei- schen Gründen Inhaftierten auf 600 von 800 bis 1 200 ner ursprünglichen Gestalt noch erkennbar und ein Häftlingen geschätzt. Die Haftgründe lauteten unter an- Zeugnis für den Beginn der politischen Verfolgung derem auf „Staatsverleumdung“ und „staatsfeindliche durch die sowjetische Besatzungsmacht. Neben diesen Hetze“. An diesem Ort wird die Kriminalisierung des Gebäudeteilen gehört zur Gedenkstätte auch der ehema- Verlassens der DDR als „Republikflucht“ besonders deut- lige MfS-Festsaal mit seiner originalen Einrichtung, der lich, da sich in den 1980er Jahren viele Ausreisewillige heute für größere Veranstaltungen der Gedenkstätte ge- unter den Häftlingen befanden. Die meisten von ihnen nutzt wird. Die darüber liegenden Etagen des MfS-Ver- gelangten schließlich durch „Freikauf“ in die Bundesre- waltungsgebäudes umfassen Büros der ehemaligen Be- publik Deutschland. zirksverwaltung; künftig sollen sie als Ausstellungsbe- Ab 1990 wurde das Objekt vom Land Brandenburg als reich genutzt werden. Unter anderem werden dort das Justizvollzugsanstalt genutzt und 2002 schließlich ge- Büro und der Versammlungsraum des letzten Chefs der schlossen. BV, Generalmajor Horst Böhm, zu sehen sein.

Entstehung und Entwicklung Entstehung und Entwicklung

Die Stadt Cottbus hat das Vorhaben der Sanierung des Am 5. Dezember 1989 riefen das Neue Forum und die Gebäudes der ehemaligen Haftanstalt und die Einrich- Gruppe der 20 zur Teilnahme an einer Demonstration tung einer Gedenk- und Bildungsstätte in Abstimmung vor dem Dresdner Stasi-Komplex auf, um die geplanten mit dem Trägerverein „Menschenrechtszentrum Cottbus staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen zur Aktenver- e. V.“ im Rahmen des integrierten Stadtentwicklungs- nichtung zu unterstützen. Aus dieser Protestaktion ent- konzeptes INSEK für eine EFRE-Förderung der Europäi- wickelte sich die friedliche Besetzung der Bezirksverwal- schen Union beim Ministerium für Infrastruktur und tung des Amtes für Nationale Sicherheit durch ca. Gedenkstätten und Erinnerungsorte 101

5 000 Dresdner Bürger, woraufhin ein spontan gebildetes zur Ausstellung wird das einzige vorhandene Videodo- Bürgerkomitee und die Volkspolizei die Kontrolle des kument zur Besetzung am 5. Dezember 1989 gezeigt. Gebäudes übernahmen. Ende 1992 bis Mitte 1994 erfolg- te der Umzug des gesamten Archivguts in das Bürozen­ „Bedenken“ trum Riesaer Straße. Im Dezember 1994 wurde die ehe- Jugendliche haben im Schüler-Freizeit-Projekt BEDEN- malige UHA erstmals wieder für Besucher geöffnet. KEN von 2009 bis 2011 Schicksale von politischen Häft- Innerhalb von zwei Tagen kamen mehrere Tausend Be- lingen des sowjetischen NKWD/MWD in Dresden aufge- sucher. Unter dem Eindruck des außerordentlich starken arbeitet. Entstanden ist eine Ausstellung, welche die Besucherinteresses wurden Forderungen laut, einen Teil authentischen Kellerzellen von diesen Schicksalen spre- des Gebäudes zu einem Museum oder einer Gedenkstätte chen lässt – neben zahlreichen und informativen Aus- umzubauen. Der damalige Sächsische Landesbeauftragte stellungsbannern sind auch acht von den Schülern selbst für die Stasiunterlagen, Siegmar Faust, übernahm 1997 geführte und bearbeitete Interviews mit den Zeitzeugen die Initiative zur Gründung des Vereins „Erkenntnis durch zu sehen. BEDENKEN wurde mit Mitteln des Europäi- Erinnerung e. V.“, der die Trägerschaft der künftigen Ge- schen Sozialfonds und des Freistaates Sachsen gefördert. denkstätte des U-Haft-Gebäudes übernehmen sollte. Ein Folgeprojekt startete bereits im Oktober 2011.

1999/2000 schloss der Verein einen Nutzungsvertrag mit „Untersuchungshaft des MfS in Dresden“ der Stadt Dresden, die das Gebäude dem Verein mietfrei zur Verfügung stellte. Ab 1999 übernahmen Vereinsmit- Auf Schautafeln werden Haftalltag und Haftschicksale in glieder und Mitarbeiter der Stiftung Sächsische Gedenk- der ehemaligen UHA veranschaulicht. Eine Neukonzep- stätten (StSG) Führungen für Gruppen und Einzelperso- tion wird mit der Sanierung des Hauses 2 und der damit nen. Im Juni 2001 beschloss der Stiftungsrat der StSG verbundenen Erweiterung der Ausstellungsfläche erfol- entsprechend dem Sächsischen Gedenkstättenstiftungs- gen. gesetz die Förderung der Gedenkstätte in der Bautzner Straße. „Diktatur und Widerspruch – DDR-Geschichte im Fokus“

2004 bis 2007 wurde das Haftgebäude aus Mitteln der Die Ausstellung des Sächsischen Landesbeauftragten für Stadt Dresden und des Freistaats Sachsen saniert. Im De- die Stasi-Unterlagen bietet in acht Kapiteln einen Über- zember 2010 teilte das sächsische Finanzministerium blick über die Geschichte der DDR. Sie beleuchtet dabei mit, dass 1,9 Mio. Euro aus Rückflüssen des Vermögens das Wechselverhältnis von staatlicher Repression und von Parteien und Massenorganisationen (PMO-Mittel) Widerstand. Die Darstellung umfasst zentrale Ereignisse der ehemaligen DDR für die Erweiterung der Gedenk- der DDR-Geschichte und öffnet zugleich den Blick für stätte „Bautzner Straße Dresden“ freigegeben werden. weniger bekannte Aspekte. Gleichzeitig bietet sie einen Mit den Mitteln soll die Gedenkstätte um ein MfS-Ver- Einblick in das politische System der DDR. In der Ge- waltungsgebäude erweitert werden, das zuvor saniert denkstätte Bautzner Straße werden zunächst die Kapitel werden muss. Am 2. Juli 2012 haben bei laufendem Ge- „Der SED-Staat“ und „Die DDR-Staatssicherheit“ präsen- denkstättenbetrieb die Sanierungsarbeiten für die Er- tiert. Nach dem Abschluss der Umbaumaßnahmen wird weiterung der Gedenkstätte begonnen. Die Einweihung dann die Ausstellung vollständig in der Gedenkstätte zu des Hauses mit einem grundsätzlich neuen Konzept für sehen sein. Führungen und dem ersten Teil einer neuen Daueraus- stellung soll 2013 erfolgen, damit einhergehend die Ge- Sammlung denkstätte zu einer Begegnungs- und Bildungsstätte er- Die Gedenkstätte verfügt über Zeitzeugenmaterialien weitert werden. Die Gedenkstätte besuchen jährlich ca. und einige Nachlässe sowie unerfasste Bibliotheks- und 10 000 Interessierte. Sammlungsbestände. Diese sollen in den nächsten zwei- einhalb Jahren erfasst, geordnet und der Öffentlichkeit Ausstellung zugänglich gemacht werden.

„4 Tage im Dezember“ Forschung

Die Dauerausstellung dokumentiert die Dresdner Ereig- Das Forschungsprojekt „Geschichte des Haftortes U- nisse der Tage vom 3. bis zum 6. Dezember 1989 anhand Haftanstalt Bautzner Straße und der BV Dresden des MfS von Interviews mit Zeitzeugen. Der Schwerpunkt liegt 1945 bis 1990“ dient der wissenschaftlichen Erforschung auf der Besetzung der Dresdner Staatssicherheitszentrale und Aufarbeitung der Arbeitsweisen, Strukturen und und den wichtigen Ereignissen im Vorfeld. Ergänzend Verflechtungen des sowjetischen Geheimdienstes sowie 102 Gedenkstätten und Erinnerungsorte des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Im Mittelpunkt schistischen Widerstandskampfes“ wegen gravierender des Vorhabens stehen die Reflexionen des historischen inhaltlicher Mängel im Oktober 1996 organisierte die Ortes und des historischen Geschehens, der Umstände Gedenkstätte Veranstaltungen und Wechselausstellun- von Repressalien und Verfolgung in der Lebensgeschich- gen zur Widerstands- und Justizgeschichte. Seit 1999 ge- te einzelner Menschen und die Verortung im zeitge- währleistet der Bund durch BKM gemeinsam mit dem schichtlichen Kontext. Ein Ziel ist es, Grundlagen für Freistaat Sachsen durch eine anteilige institutionelle eine Dauerausstellung und für eine Publikation zu erar- Förderung die Arbeit der Gedenkstätte als Ort mit einer beiten. Ermöglicht durch die Projektförderung der Bun- „doppelten“ Vergangenheit. Die Gemengelage ist am desstiftung Aufarbeitung werden 30 Interviews mit Münchner Platz ähnlich wie in Bautzen und Torgau, da Menschen durchgeführt, die zwischen 1945 und 1971 in- es sich um einen Ort mit mehrschichtiger Vergangenheit, haftiert waren. mit Bezug zur NS-Terrorherrschaft und zur kommunisti- schen Diktatur handelt. Anders als Bautzen und Torgau Die Gedenkstätte Münchner Platz, Dresden kann der Münchner Platz indes auf eine Geschichte als Gedenkstätte zu Zeiten der DDR zurückblicken. Dadurch Der historische Ort tritt die Auseinandersetzung mit der Geschichtskultur Als repräsentativer Justizbau für das Dresdner Landge- der DDR an diesem Ort stärker ins Blickfeld. Gleichzeitig richt zwischen 1902 und 1907 erbaut, diente das Gebäude steht angesichts der spezifischen Geschichte des natio- nach 1933 auch sächsischen Sondergerichten und dem nalsozialistischen Justizunrechts mit internationaler Volksgerichtshof als Ort für Schauprozesse, als Haftan- Ausstrahlung in die benachbarten osteuropäischen Län- stalt und Exekutionsstätte. Zwei Drittel der annähernd der an dieser Stätte die NS-Geschichte gegenüber der 1 400 hier hingerichteten Opfer der NS-Terrorherrschaft Nachkriegsgeschichte im Vordergrund. waren Tschechinnen und Tschechen.

Nach 1945 tagten am Münchner Platz sowjetische Mili- Ausstellung tärtribunale, der Gebäudekomplex beherbergte ein Sam- Die Gedenkstätte Münchner Platz hat in den Jahren nach mel- und Durchgangsgefängnis. Von 1952 bis 1956 fun- 2000 in drei eigenen Ausstellungen auch den Bezug zur gierte der Ort als zentrale Hinrichtungsstätte der DDR. Nachkriegsgeschichte des Ortes hergestellt: Während Etwa die Hälfte der mindestens 66 Getöteten waren Re- sich die Ausstellungen „Dr. Margarete Blank − Justizmord gimegegner und andere Opfer politischer Strafjustiz.1957 und Erinnerungspolitik“ (2000) sowie „Kunst und Wider- wurde das Gebäude von der Technischen Universität stand. Das Künstlerpaar Eva Schulze-Knabe und Fritz Dresden übernommen, 1959 eine erste „Mahn- und Ge- Schulze“ (2004) mit der Gedenkpolitik und dem Umgang denkstätte des antifaschistischen Widerstandskampfes“ mit dem Antifaschismus in der DDR beschäftigte, hatte eingerichtet. 1986 folgte eine Erweiterung, so wurde u. a. die Ausstellung „NS-“Euthanasie“ vor Gericht. Der Pro- eine Dauerausstellung eröffnet. Diese Ausstellung be- zess am Landgericht Dresden 1947“ (2007 in Kooperation schränkte sich jedoch auf die Zeit des Nationalsozialis- mit der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein und dem Psy- mus und konzentrierte sich im Sinne des von der SED chiatriemuseum Leipzig) die spezifische Bedeutung vorgegebenen Antifaschismuskonzeptes im Wesentli- Dresdens als Ort der Auseinandersetzung mit national- chen auf den kommunistischen Widerstand. sozialistischem Unrecht nach 1945 zum Inhalt. Zu allen drei Ausstellungen wurden ein Rahmenprogramm mit Neuere Forschungen konnten hingegen nicht nur das Filmen, Vorträgen und Führungen angeboten sowie je- viel breitere Spektrum der an diesem Ort Verurteilten weils Begleitpublikationen erarbeitet. und Hingerichteten sowie die Rolle des Justizortes Dres- den für die Errichtung und Aufrechterhaltung der natio- Für die Jahre 2011 und 2012 wurde von BKM ein Projekt- nalsozialistischen Terrorherrschaft in Sachsen und den antrag der Gedenkstätte bewilligt, der es ermöglicht, in angrenzenden besetzten Gebieten belegen. Sie zeigten einer ständigen Ausstellung auch die Nutzung des Justiz- auch die überregionale Bedeutung des Gerichts-, Haft- komplexes am Münchner Platz in der SBZ und frühen und Hinrichtungsortes in der SBZ und der frühen DDR. DDR bis 1956 sowie die Geschichte der Gedenkstätte an- gemessen darzustellen. Die dazu benötigten Ausstel- Entstehung und Entwicklung lungsräume konnten mit Mitteln des Konjunkturpro- gramms II des Bundes ausgebaut werden. In den neunziger Jahren erfolgte eine Neukonzeption der Gedenkstätte. 1994 kam sie unter das Dach der neu ge- Sammlung gründeten „Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erin- nerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft“, seit Bis zum heutigen Tage konnten 19 Audio- und Videozeit- 1999 arbeitet sie in unmittelbarer Trägerschaft der Stif- zeugeninterviews zum Themenbereich Verfolgung in der tung. Nach der Schließung des „Museums des antifa- SBZ und der DDR aufgenommen werden. Nach Recher- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 103 chen in einschlägigen Archiven bzw. Informationen von Die Gedenk- und Bildungsstätte Betroffenen und Angehörigen wurden 686 Personen in Andreasstraße, Erfurt die Datenbank für Häftlinge aus den Jahren nach 1945 Der historische Ort eingegeben. Zu 319 Personen wurden Dossiers angelegt. Auch die Informationen über Juristen, die nach 1945 in Das 1874 bis 1879 entstandene Gerichtsgefängnis an der der Strafjustiz zum Einsatz kamen, ebenso wie über das Erfurter Andreasstraße wurde von 1952 bis 1989 auch Personal der Dresdner Haftanstalten der Jahre nach 1945 von der benachbarten Bezirksverwaltung des Ministe- konnten erweitert werden. Mehr als 1 500 Fotografien riums für Staatssicherheit genutzt. Das oberste Geschoss mit Bezug zu den Jahren 1945 bis 1989 wurden in die des Westflügels der Strafanstalt, zeitweise auch das da- entsprechende Datenbank aufgenommen und nach foto- runterliegende, diente als Untersuchungshaftanstalt des archivalischen Grundsätzen gelagert. Auch der Ankauf MfS. Nach der Friedlichen Revolution und dem Mauer- bzw. die Leihnahme von Nachlässen bzw. Nachlassteilen fall am 9. November besetzten am 4. Dezember 1989 Er- von in Dresden Hingerichteten bzw. Verstorbenen konn- furter Bürger die Stasi-Bezirkszentrale. Auch die Unter- te zuletzt forciert werden. suchungshaftanstalt der Staatssicherheit wurde an diesem Tag besetzt. Bildungsarbeit Entstehung und Entwicklung Die Gedenkstätte bietet thematische Rundgänge zur Ge- schichte des Ortes nach 1945 an, beispielsweise: An diesem historischen Ort am Domplatz wird derzeit die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße einge- –– Entnazifizierung und juristische Aufarbeitung nach richtet, die im Kernbereich des ehemaligen Zellenbaus 1945 der MfS-Untersuchungshaftanstalt entsteht. Das Kon- –– Verfolgung und Haft unter der sowjetischen Besat- zept ist mehrdimensional auf Repression, Friedliche Re- zungsmacht volution und Demokratieerziehung hin ausgerichtet. –– Politische Strafjustiz in der DDR Trägerin ist die „Stiftung Ettersberg. Europäische Dikta- –– Jugendwiderstand in der DDR. turforschung – Aufarbeitung der SED-Diktatur – Ge- denkstätte Andreasstraße“. Hier errichtet Thüringen an Diesem Zeitabschnitt widmen sich auch übergreifende zentraler Stelle in der Landeshaushauptstadt Erfurt eine Themen wie: der MfS-Haft und Opposition und Widerstand gewidme- te Gedenkstätte sowie eine zeitgeschichtliche Ausstel- –– Doppelt verfolgt: Widerstand in zwei Diktaturen lung zur SED-Diktatur und deren Überwindung durch –– Todesstrafe in der NS-Diktatur und in der DDR die Friedliche Revolution in Thüringen. Die Trägerstif- –– Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangen- tung wirkt mit den örtlichen Opfer- und Zeitzeugenver- heit in der DDR. einen, die sich entscheidend für die Errichtung der Ge- Anhand ausgewählter Einzelschicksale und dazugehöri- denk- und Bildungsstätte Andreasstraße engagiert ger Dokumente (Fotos, Justizakten, Briefe, Zeitungsarti- haben, vertraglich zusammen. kel) setzen sich die Schüler während des Projekttages „In Kernstück der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstra- den Fängen politischer Strafjustiz“ mit den Verfolgungs- ße ist die neue Dauerausstellung. Sie soll eine komplexe mechanismen des politischen Strafrechts der DDR ausei- Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur bieten, die die nander. Ausgehend von den konkreten Biografien wer- Verbindung von Herrschaft, Repression, Opposition, Wi- den den Schülern historische Zusammenhänge und derstand und Alltag in der Diktatur aufzeigt. Ergänzt politische Hintergründe vermittelt. Während des Pro- wird die sich selbst erklärende Exposition durch Semina- jekttages „Spurensuche“ gehen die Schüler selbst auf die re, Führungen und Exkursionen, Sonderausstellungen, Suche nach architektonischen Spuren und erkunden den Projektwochen oder -tage, öffentliche Diskussionen, Ge- Ort mit verschiedenen Materialien, Hilfestellungen und denkveranstaltungen und Zeitzeugengespräche am his- Aufgaben. Die Fragen und Antworten der Schüler stehen torischen Ort. im Mittelpunkt des sich anschließenden, von den Schü- lern selbst gestalteten Rundgangs. Ziel ist es, den histori- Das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft schen Ort kennen zu lernen und sich anhand von Einzel- und Kultur und BKM fördern Entwicklung und Gestal- schicksalen mit der Machtübernahme und der tung der Dauerausstellung mit jeweils 839.250 Euro. Machtsicherung in Diktaturen zu beschäftigen. 104 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

Die Gedenk- und Dokumentationsstätte „Opfer teil und Einzelfallüberprüfung festgehalten und an- politischer Gewaltherrschaft 1933 bis 1989“, schließend in andere Lager verlegt. Die Gebäude wurden Frankfurt an der Oder wieder als Wohnhäuser genutzt, die Siedlung um weitere Bauten ergänzt. In der kurzen Zeit seines Bestehens star- Der historische Ort ben im Speziallager Ketschendorf über 4 600 Menschen. Die Gedenk- und Dokumentationsstätte befindet sich in Bei Bauarbeiten in den Jahren 1952/53 stieß man auf Mas- einem 1812 errichteten Polizei- und Gerichtsgefängnis in sengräber mit Opfern des Lagers. Die Gebeine der dort Frankfurt/Oder, das im Laufe der Zeit mehrfache bauli- verscharrten Toten wurden bis auf wenige Ausnahmen che Erweiterungen erfuhr. Nach 1933 wurde das Gefäng- exhumiert und in einer von der SED-Diktatur geheim nis von der Geheimen Staatspolizei übernommen, die gehaltenen Aktion auf den Waldfriedhof Halbe (Dahme- dort auch Hinrichtungen durchführte. Spreewald) überführt. In Sammelgräbern wurden sie auf den Feldern IX bis XI zur letzten Ruhe gebettet. Bis das Ministerium für Staatssicherheit das Gebäude 1950 als Untersuchungshaftanstalt übernahm, war es Entstehung und Entwicklung den sowjetischen Sicherheitsorganen unterstellt. In den Jahren 1950 bis 1952 diente das Gefängnis auch als Hin- Im Jahr 1990 gründete sich die Initiativgruppe Internie- richtungsstätte. Nach dem Umzug der UHA des MfS in rungslager Ketschendorf. Sie setzte sich zum Ziel, über ein neues Gebäude in der Otto-Grotewohl-Straße 53 die Geschichte des Speziallagers aufzuklären. Zum Ge- (heute Robert-Havemann-Straße 11) wurde das Gebäude denken an die Opfer hatten Überlebende bereits 1990 1969 an die Volkspolizei übergeben, die das Gefängnis bis eine Erinnerungsstätte errichtet. Sie wurde 1995 aus zum Ende der DDR als Untersuchungshaftanstalt führte. Mitteln des Landes Brandenburg und in Zusammenar- beit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Entstehung und Entwicklung der auch Träger der Gedenkstättenarbeit in Halbe ist, zu einem Gedenkhain erweitert. Darüber hinaus ist die Ge- Nach 1990 wurde der größte Teil des Gebäudes für die schichte des Lagers Bestandteil der ständigen Ausstel- Frankfurter Musikschule und die Stadt- und Regionalbi- lung im Stadtmuseum Fürstenwalde. Ein Zeitdokument bliothek umgebaut. Auf Initiative einer Arbeitsgruppe von Überlebenden des Lagers ist eine 2008 gestaltete des Runden Tisches Frankfurt/Oder eröffnete in einigen Wanderausstellung zur Geschichte des Lagers Ketschen- seiner Räume am 17. Juni 1994 die Gedenk- und Doku- dorf, initiiert von der Initiativgruppe Internierungslager mentationsstätte „Opfer politischer Gewaltherrschaft Ketschendorf e. V. 1933 bis 1989“. 2004 schlossen die Stadt Frankfurt/Oder und der BStU einen Kooperationsvertrag, auf dessen Grundlage der BStU die Gedenkstätte betreibt und die Die Gedenk- und Begegnungsstätte Stadt Trägerin der Einrichtung ist. Während die BStU- im Torhaus, Gera Außenstelle Frankfurt/Oder die Darstellung der Ge- Der historische Ort schichte der SBZ und DDR verantwortet, hat das Muse- Das 1874 erbaute Gerichtsgefängnis in der Straße um Viadrina die Ausstellung zur Gefängnisgeschichte im Amthordurchgang (damals Schlossstraße) wurde wäh- Nationalsozialismus realisiert. Darüber hinaus gibt es rend des Nationalsozialismus von der Geheimen Staats- seit 2006 eine weitere Dauerausstellung unter dem Titel polizei genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete die „Eingesperrt – Untersuchungshaft bei der Staatssicher- sowjetische Besatzungsmacht ein regionales Auffangge- heit in Frankfurt (Oder)“. In der Gedenkstätte und der fängnis ein. Viele Gefangene wurden von hier in das Projektwerkstatt für Schüler besteht die Möglichkeit zur sowjetische Speziallager Nr. 2 nach Buchenwald verlegt. Auseinandersetzung mit der politischen Justiz im Natio- 1947 wurde das Gefängnis dann wieder der deutschen nalsozialismus sowie während der sowjetischen Besat- Gerichtsbarkeit unterstellt. zungszeit und in der DDR. Von 1952 bis 1990 befand sich in dem Gebäude die Unter- Die Gedenkstätte Ketschendorf − Sowjetisches suchungshaftanstalt der MfS-Bezirksverwaltung Gera, Speziallager Nr. 5, Fürstenwalde die über 36 Zellen für 78 Untersuchungshäftlinge ver- fügte. 1981 starb der dreiundzwanzigjährige Matthias Der historische Ort Domaschk unter bis heute ungeklärten Umständen nach Bereits im April 1945 und damit als erstes sowjetisches einem Verhör durch das MfS in der Haftanstalt. Von 1991 Lager in Brandenburg überhaupt errichtete die sowjeti- bis 1999 wurde das Gefängnis als Untersuchungshaftan- sche Besatzungsmacht in Fürstenwalde das Speziallager stalt durch den Freistaat Thüringen genutzt, der größte Nr. 5 in der ehemaligen Arbeitersiedlung der Deutschen Teil des Gefängnisses 1999 abgerissen. Kabelwerke (DEKA). Bis zu seiner Auflösung im Frühjahr 1947 wurden insgesamt rund 10 500 Häftlinge ohne Ur- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 105

Entstehung und Entwicklung Gedenkstätte, die seit dem 15. Februar 1996 für die Öf- fentlichkeit eingeschränkt zugänglich war, auf insgesamt Der im Herbst 1997 gegründete Verein „Gedenkstätte ca. 20 provisorischen Ausstellungstafeln Einblicke in die Amthordurchgang“ e. V. betreibt die am 18. November Geschichte der Haftanstalt sowie in die politische Justiz 2005 eröffnete Gedenk- und Begegnungsstätte im Ver- zwischen 1933 und 1989. Der NS-Bereich wurde 1998 waltungsgebäude der ehemaligen Haftanstalt in Gera, durch zusätzliche Tafeln, die Mitarbeiter der Gedenkstät- das zuvor saniert worden war. te erstellten, ergänzt.

Die Gedenkstätte ROTER OCHSE, Halle (Saale) Am 15. Februar 2006 konnte die neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale) eröffnet Der historische Ort werden. Die Ausstellung erstreckt sich auf zwei Etagen Im Jahre 1842 wurde die königlich-preußische Straf-, des Gedenkstättengebäudes und nimmt mehr als 800 qm Lern- und Besserungsanstalt zu Halle eröffnet. Die archi- Grundfläche ein. Neben Ausstellungstexten beinhaltet tektonische Anordnung des Gebäudes und die beim Bau sie Videoangebote, Hörsequenzen und Vertiefungsange- verwendeten Materialien (Porphyr und rötliche Ziegel- bote vielfältiger Art. Entsprechend der Konzeption ist die steine) führten dazu, dass sich im Volksmund bald der Exposition in zwei getrennte Ausstellungsbereiche ge- Name „Roter Ochse“ durchsetzte. Als Resultat der Revo- gliedert. Die Dokumentation zur politischen Justiz im lution von 1848/49 gelangten erstmals aus politischen Nationalsozialismus ist im Erdgeschoss untergebracht, Gründen Verurteilte in die Strafanstalt. Der Gebäude- die für die Zeit der SBZ und der DDR bzw. zum Wirken komplex, zu dem auch die heutige Gedenkstätte gehört, des MfS im zweiten Obergeschoss. Sie umfasst auch eini- unterlag im Laufe der Zeit diversen baulichen Verände- ge Räume im ersten Obergeschoss. In dieser Etage ent- rungen. stand jedoch vor allem ein Bereich für Sonder- und Die Gedenkstätte befindet sich seit 1995 in einem mehr Wechselausstellungen. als 100 Jahre zuvor gebauten Lazarettgebäude, das später Das Besondere an der Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle als Hinrichtungsstätte der NS-Justiz diente, danach von (Saale) innerhalb der regionalen Gedenkstättenland- sowjetischen Geheimdiensten als Haftort genutzt wurde schaft ist die Verortung von NS-Terrorherrschaft und und schließlich als Wirtschafts- und Vernehmergebäude kommunistischer Diktatur in der SBZ und in der DDR der Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung am gleichen historischen Ort. Das Vermitteln der jeweils Halle des MfS Verwendung fand. spezifischen Aspekte bleibt eine wesentliche Aufgabe der Gedenkstätte. Entstehung und Entwicklung

Als Ergebnis einer ersten Bestandsaufnahme der regio- Sammlung nalen Gedenkstätten durch das Innenministerium des Im Zeitzeugenbüro werden zum Teil umfangreiche Un- Landes Sachsen-Anhalt wurde 1993 beschlossen, in der terlagen, die durch Opfer der politischen Justiz oder de- ehemaligen Untersuchungshaftanstalt Halle des MfS ren Angehörige sowie Opferverbände in die Gedenkstät- eine Gedenkstätte einzurichten. Im Frühjahr 1994 berief te gelangten, archiviert und für pädagogische Zwecke der damalige Innenminister eine Sachverständigen- sowie für verschiedene Präsentationen aufbereitet. Hier- Kommission ein, um eine Konzeption für die Gedenk- bei handelt es sich nicht nur um Opferakten, denn seit stätte zu erarbeiten. Während der Recherchen vor Ort Eröffnung des Hauses besteht ein Ziel der Forschungsar- wurde deutlich, dass der ehemalige NS-Hinrichtungsbe- beit darin, neben den NS-Tätern auch verantwortlich reich (1942 bis 1945) nahezu das gesamte Erdgeschoss des handelnde Akteure des MfS benennen zu können. Im Gedenkstättengebäudes einnahm, das wiederum durch Fundus der Gedenkstätte steht ein umfassender Objekt- mehrfache Umnutzung nach dem Krieg bis zur Un- bestand aus den Hinterlassenschaften des MfS zur Verfü- kenntlichkeit überformt worden war. Für die weiteren gung. Die zum Teil einzigartigen und seltenen Exponate konzeptionellen Arbeiten war insofern zu klären, wie werden im Rahmen von Sonderausstellungen zur Unter- mit der Problematik der Doppelnutzung von Räumen suchungshaft und zum Strafvollzug im „Roten Ochsen“ des Hauses aktuell und perspektivisch umzugehen sei. präsentiert.

Ausstellung Das Frauengefängnis Hoheneck Die ersten Ausstellungstafeln im heutigen Gedenkstät- tengebäude erarbeiteten 1995/96 externe Historiker und Der historische Ort die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssi- Die Burg Hoheneck wurde 1862 erstmals als Sächsisches cherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-An- Weiberzuchthaus erwähnt, später wurde sie als Haftan- halt. Im ersten Obergeschoss erhielten die Besucher der stalt für Männer und als Reservelazarett genutzt. Den 106 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

Nationalsozialisten diente Hoheneck im Frühjahr 1933 Ausstellung für den Vollzug sogenannter Schutzhaft („Frühes Kon- Am 2. Oktober 2001 wurde in der Stadtbibliothek Stoll- zentrationslager“). berg die mit Unterstützung der Bundesstiftung Aufar- Die Geschichte Hohenecks als zentrales Frauengefängnis beitung und gemeinsam mit dem Frauenkreis der ehe- der DDR begann 1950 mit der Einlieferung von maligen Hoheneckerinnen erarbeitete ständige Ausstel- 1 119 Frauen aus den Speziallagern Bautzen und Sach- lung „‘Ich dachte, es gibt draußen keine andere Welt‘. senhausen, die durch sowjetische Militärtribunale in der Frauen als politische Gefangene in Hoheneck“ eröffnet. SBZ verurteilt worden waren. Neben den Frauen befan- Es ist die bundesweit einzige Ausstellung, die den Straf- den sich auch 30 Kleinkinder im Gefängnisbereich, die in vollzug im zentralen Frauengefängnis der DDR doku- den Lagern geboren wurden. Die ersten sechs Jahre des mentiert. In der Ausstellung lassen sich zwölf Zellen­ sozialistischen Strafvollzugs in Hoheneck waren geprägt türen der ehemaligen Haftanstalt öffnen, hinter denen von Entbehrung, Überbelegung und mangelnder Hygie- die Besucher über die Haftgründe und über die Haftbe- ne. Von Ende der 50er Jahre bis 1989 waren in Hoheneck dingungen informiert werden. Ergänzend verdeutlicht mit unterschiedlicher Gewichtung kriminelle und politi- eine Zelleninszenierung die Enge der Hafträume. sche Häftlinge gemeinsam unter oft menschenunwürdi- gen Umständen inhaftiert. In dieser Zeit war die Straf- Zeitzeugenarbeit vollzugsanstalt Hoheneck mehreren Veränderungen Der Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen führt unterworfen. Mit dem Passgesetz von 1957 wurde der mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung Büro neue Straftatbestand „Republikflucht“ geschaffen. Auch Leipzig jährlich ein Treffen in Stollberg durch, in dessen der Beginn des Häftlingsfreikaufs und die Verabschie- Verlauf auch Zeitzeugengespräche in Schulen durchge- dung des ersten Strafvollzugsgesetzes von 1968 waren führt werden. von Bedeutung. Durchschnittlich waren fast 1 500 Frau- en in Hoheneck inhaftiert. Ausgelegt war das Gefängnis Der 2011 ausgestrahlte Fernsehfilm „Es ist nicht vorbei“ für etwa 600 Gefangene. Nach dem Herbst 1989 wurde führte zu einem erhöhten öffentlichen Interesse am die Anstalt weiter als JVA für den Strafvollzug genutzt. Frauengefängnis Hoheneck und dem Schicksal der dort inhaftierten Frauen.

Entstehung und Entwicklung Die Dokumentationsstätte in Jamlitz/Lieberose Im April 2001 wurde die JVA Hoheneck endgültig ge- − Sowjetisches Speziallager Nr. 6 schlossen und das Gebäude im Juni 2003 an einen priva- Der historische Ort ten Investor verkauft. Es sollte u. a. ein „Erlebnishotel“ entstehen. Nach Protesten der ehemaligen gefangenen Nach der Auflösung eines Außenlagers des nationalso­ Frauen gegen dieses Nutzungskonzept nahm der Investor zialistischen KZ (Konzentrationslager) Sachsenhausen Abstand von diesen Plänen. wurde das Gelände in Jamlitz seit September 1945 als ­sowjetisches Speziallager Nr. 6 genutzt. Insgesamt hatten Am historischen Ort besteht noch keine Gedenkstätte. bis zur Auflösung des Speziallagers im April 1947 etwa Die Besichtigung des Gefängnisses ist aber im Rahmen 10 300 Häftlinge das Lager Jamlitz durchlaufen, von de- von geführten Rundgängen möglich. Die Voraussetzung nen rund 3 400 in der Haft umkamen. Vor allem im Win- für eine Erschließung des Ortes als Gedenkstätte war zu- ter 1946/47 war die Sterberate sehr hoch. Die Toten wur- nächst eine Verständigung zwischen dem Eigentümer, den zunächst in Einzel-, später in anonymen Massen­ der Stadt Stollberg, dem Freistaat Sachsen über seine gräbern in der Nähe der Bahnlinie Frankfurt/Oder Stiftung Sächsische Gedenkstätten und dem Frauenkreis nach Cottbus verscharrt. Im Frühjahr 1947 wurden der ehemaligen Hohenekkerinnen e. V. sowie engagierter 6 000 Häftlinge aus Jamlitz in die Speziallager Mühlberg Stollberger Bürger und der Stollberger Volksvertreter in und Buchenwald gebracht, auf dem Transport gab es wei- Land und Bund. Nahziel ist die Erarbeitung einer Kon- tere Tote. Bereits Ende September 1947 riss die Rote Ar- zeption für eine Gedenkstätte im ehemaligen Frauenge- mee die Baracken des Lagers ab. In den 1950er Jahren fängnis; die Eckpunkte stehen fest, die Konzeption soll entstanden hier Eigenheime. noch 2012 der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zuge- Nachdem Bauarbeiter im Frühjahr 1971 in einer Kiesgru- hen. be bei Staakow 577 Skelette, einen Teil der im Jahr 1945 Am 13. Mai 2011 besuchte der damalige Bundespräsident insgesamt 1 342 ermordeten jüdischen Häftlinge des KZ- Christian Wulff das ehemalige Gefängnis in der Burg Außenlagers, entdeckt hatten, wurde eine Urne mit ihrer Hoheneck und sprach anlässlich des Festakts zum 20. Asche am Rande des Friedhofs in der fünf Kilometer ent- Jahrestag der Gründung des Frauenkreises der ehemali- fernten Stadt Lieberose beigesetzt und 1973 an dieser gen Hoheneckerinnen. Stelle ein „antifaschistisches“ Mahnmal eingeweiht. Die Gedenkstätten und Erinnerungsorte 107 jüdischen Toten wurden für die Staatsdoktrin des Anti- Die „Runde Ecke“ bildete in Leipzig 40 Jahre lang das faschismus vereinnahmt. Die Gebeine waren entgegen Symbol für die Unterdrückung durch die SED und die der jüdischen Bestattungsregel eingeäschert worden. Das flächendeckende Durchdringung der Gesellschaft mit Zahngold der Toten übernahm das Ministerium für Misstrauen, psychischer, aber auch physischer Gewalt. Staatssicherheit und schmolz es ein. 1982 erfolgte unweit Am 4. Dezember 1989 besetzten Leipziger Bürger im An- dieses Mahnmals die Eröffnung eines auf Initiative der schluss an eine Montagsdemonstration friedlich die Be- Stadt Lieberose errichteten Museums. Es wird heute zirksverwaltung für Staatssicherheit. Heute nutzt die Au- durch die ehrenamtliche Tätigkeit des „Vereins zur För- ßenstelle Leipzig des Bundesbeauftragten für die derung des Mahnmals“ betreut. Unterhaltungs- und Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Pflegekosten für Museum und Mahnmal trägt die Stadt DDR einen großen Teil des Gebäudes. Lieberose. Wenngleich in der mittlerweile überarbeiteten Ausstellung nun auch an die in der DDR zu kommunisti- Der Bunker schen Widerstandskämpfern umgedeuteten jüdischen Opfer erinnert wird, besteht weiterhin dringender Be- In Machern, 30 km östlich von Leipzig, unterhielt der darf an einer Kommentierung des in der Tradition des Leiter der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig Antifaschismus errichteten Mahnmals. seine Ausweichführungsstelle (AFüSt). Sie liegt im Nah- erholungsgebiet Lübschützer Teiche und war einst als Entstehung und Entwicklung eine Ferienanlage des VEB Wasserversorgung und Ab- wasserbehandlung Leipzig getarnt. Kern der Anlage ist Zum Gedenken an die Opfer des Speziallagers Nr. 6 wur- der von 1968 bis 1972 gebaute Bunker. Im sogenannten de im Herbst 1995 östlich vom Bahnhof Lieberose (Jam- Spannungs- und Mobilmachungsfall hätten 120 Haupt- litz) bei den dort lokalisierten Massengräbern ein Wald- amtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit sowie zwei Ver- friedhof eingeweiht, der auf dem Gebiet der Gemeinde bindungsoffiziere des sowjetischen KGB ihre Tätigkeit Schenkendöbern liegt. Er wird durch die Initiativgruppe aus der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig, Internierungslager Jamlitz e. V. betreut. Für die Fried- der „Runden Ecke“, nach Machern verlagert. Die AFüSt hofspflege werden nach dem Gräbergesetz Mittel durch war ein heimlich geschaffener Komplex, durch den sich das Brandenburgische Ministerium des Innern bereitge- die Führungsriege des MfS ihren Machtanspruch im Fall stellt. Die Evangelische Kirchengemeinde Lieberose ist eines Ausnahmezustands zu erhalten gedachte. Träger von Dokumentationsstätten zur Geschichte so- wohl des KZ-Außenlagers wie des Speziallagers. Mit För- Die zentrale Hinrichtungsstätte in der Leipziger derung des Brandenburgischen Ministeriums für Wis- Südvorstadt senschaft, Forschung und Kultur wurden im Jahr 2003 zwei separate Freilichtausstellungen auf dem ehemaligen In der Leipziger Südvorstadt, in abgetrennten Räumen Lagergelände in enger Kooperation mit der Stiftung der Strafvollzugseinrichtung Alfred-Kästner-Straße, Brandenburgische Gedenkstätten, dem Zentralrat der Ju- wurden zwischen 1960 und 1981 alle in der DDR ver- den in Deutschland und der Initiativgruppe Jamlitz erar- hängten Todesurteile zentral vollstreckt. Die Räume sind beitet. weitgehend im originalen Zustand erhalten geblieben. Bis 2002 befand sich hier eine Strafvollzugseinrichtung. Der Hafttrakt im Innenhof des Komplexes wurde inzwi- Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ schen abgerissen; heute ist das Gebäude Gerichtssitz. mit dem Museum im Stasi-Bunker, Leipzig

Die historischen Orte Entstehung und Entwicklung Das Bürgerkomitee Leipzig e. V. betreut drei historisch Das Bürgerkomitee Leipzig e. V. ist Träger der Gedenk- bedeutsame Orte im Raum Leipzig: stätte mit dem Museum in der „Runden Ecke“ und dem Museum im Stasi-Bunker. Die „Runde Ecke“ In der Nacht der Besetzung der Bezirksverwaltung der Nach der Befreiung Leipzigs 1945 bezog die US-Armee Staatssicherheit wurde das Bürgerkomitee Leipzig ge- für wenige Monate im Gebäude der „Runden Ecke“ – der gründet. Neben der Auflösung des MfS und der Siche- Name entstand aus der architektonischen Besonderheit rung der Akten stand immer auch die Aufklärung der des abgerundeten Eckgebäudes – Quartier. Anschließend Öffentlichkeit über die Funktionsweise der SED-Dikta- nutzten das sowjetische NKWD und der MfS-Vorläufer tur im Mittelpunkt der Bemühungen. Mit Objekten und „K5“ die Liegenschaft. 1950 wurde das Gebäude Sitz der Dokumenten aus den sichergestellten Archiven und den Bezirksverwaltung für Staatssicherheit und blieb es bis Erkenntnissen aus den Befragungen der Stasi-Offiziere 1989. erarbeitete der Verein die deutschlandweit erste Ausstel- 108 Gedenkstätten und Erinnerungsorte lung über die Staatssicherheit. In den folgenden Jahren wurde diese als Dauerausstellung „Stasi − Macht und Ba- hat sich eine Gedenkstätte entwickelt, die in einem Ge- nalität“ in den originalen Räumen der ehemaligen MfS- bäude mit wechselvoller Geschichte über die kommunis- Bezirksverwaltung gezeigt. In ihr informiert die Ge- tische Diktatur aufklärt. denkstätte Museum in der „Runden Ecke” in einer Gesamtschau über Strukturen, Geschichte und Arbeits- Im Januar 1990 wurde außerdem die Ausweichführungs- weise der Staatssicherheit. stelle des Leiters der Bezirksverwaltung in Machern bei Leipzig entdeckt und deren weitere beziehungsweise er- Wie die Stadt 1989 zum Zentrum der Bürgerbewegung neute militärische Nutzung verhindert. Seit 1996 ist das wurde, erzählt seit dem 3. Oktober 2009 eine Sonderaus- Museum im Stasi-Bunker Teil der Gedenkstätte und bis- stellung. Mit originalen Flugblättern, Fotos von Demon- lang einmal im Monat für Besucherverkehr geöffnet. Die strationen, Plakaten und Dokumenten zeichnet die Kombination aus früherer Bezirksverwaltung und zuge- Schau die Entwicklung der Oppositionsgruppen nach höriger Ausweichführungsstelle unter dem Dach einer und orientiert sich an den konkreten Aktionen des poli- Gedenkstätte ist einmalig. In beiden Einrichtungen be- tischen Widerstandes in Leipzig im Jahr 1989. Zum finden sich thematische Ausstellungen am authentischen 20-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit beleuchtet Ort in größtenteils original erhaltenen Räumen. Der ehe- die Ausstellung die Entwicklung von den ersten freien malige Stasi-Bunker in Machern ist darüber hinaus weit- Wahlen in der DDR bis zur Wiedervereinigung 1990. gehend original eingerichtet; das Außengelände ist eben- Seit dem Herbst 2010 markiert eine Stelenausstellung falls in seinem ursprünglichen Zustand erhalten. „Orte der Friedlichen Revolution“ im Leipziger Stadt- Eine dritte Stätte der Mahnung und des Gedenkens, die raum Punkte, an denen Aktionen stattfanden, die zum vom Bürgerkomitee Leipzig betreut wird, ist die ehema- Sturz der SED-Diktatur und zum demokratischen Um- lige zentrale Hinrichtungsstätte in der Leipziger Südvor- bruch beitrugen (vgl. S. 146). stadt. Momentan ist die denkmalgeschützten Stätte nur Zum Themenkomplex Todesstrafe in der DDR hat die an wenigen Tagen zu besichtigen. Das Bürgerkomitee ar- Gedenkstätte außerdem eine Werkausstellung entwi- beitet jedoch gemeinsam mit dem Sächsischen Staatsmi- ckelt, die in der Gedenkstätte Museum in der „Runden nisterium der Justiz daran, sie künftig als justizge- Ecke“ zu sehen ist. schichtlichen Erinnerungsort regelmäßig zugänglich zu machen. Sammlung Das Bürgerkomitee Leipzig e. V. betrachtet es als seine Die Gedenkstätte hat sich in den vergangenen Jahren zu vorrangige Aufgabe, die beschriebenen authentischen einem Fachmuseum für das Thema Staatssicherheit ent- Orte für die Zukunft zu erhalten, für die Öffentlichkeit wickelt. Sie verfügt über eine Sammlung mit mehr als zugänglich zu machen und sie als Stätten der Mahnung, 40 000, zum Teil einzigartigen Objekten und hat fast des Gedenkens und der Erinnerung, aber auch der politi- 2 000 davon in einer Online-Datenbank einer breiten Öf- schen Bildung zu etablieren. Es berücksichtigt dabei so- fentlichkeit zugänglich gemacht. Die umfassende Samm- wohl museologische als auch gedenkstättenpädagogische lung zum Thema Staatssicherheit wird fortlaufend er- Notwendigkeiten. schlossen. Zahlreiche Objekte und Exponate sind bereits Für den Betrieb der Gedenkstätte erhält das Bürgerkomi- fachgerecht gelagert und inventarisiert, sodass sie für tee Leipzig e. V. eine institutionelle Förderung durch den eine museale Nutzung zur Verfügung stehen. Bei der In- Freistaat Sachsen und durch BKM – ausgereicht über die ventarisierung kommen den Gedenkstättenmitarbeitern Stiftung Sächsische Gedenkstätten – und von der Stadt die Erkenntnisse aus der Akteneinsicht beim BStU zugu- Leipzig sowie für Projektförderungen u. a. von dem Kul- te, die nach Möglichkeit kontinuierlich erfolgt. Die turraum Leipziger Raum und der Bundesstiftung Aufar- Sammlung der Gedenkstätte Museum in der „Runden beitung. Ein weiterer Teil der Einnahmen besteht aus Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker wird außerdem Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Entgelten. Insgesamt gezielt vervollständigt. besuchen weit über 100 000 Menschen im Jahr die Ge- denkstätte oder kommen zu einer der rund 30 bis 40 Ver- Forschung anstaltungen. Zur Verbesserung seiner Arbeit befasst sich das Bürger- komitee auch immer wieder mit der Erforschung der Ausstellung SED-Diktatur und der Staatssicherheit. Diese ist beson- Bereits im Frühjahr 1990 eröffnete das Leipziger Bürger- ders im Zuge der geplanten Ausstellungsüberarbeitung komitee eine Sonderausstellung zu Struktur und Ar- von großer Bedeutung und soll in den kommenden Jah- beitsweise der Staatssicherheit auf dem Leipziger Sach- ren auf- und ausgebaut werden. Beim BStU laufen meh- senplatz. Wenige Monate später, ab dem 31. August 1990, rere Forschungsanträge unter anderem zur Post- und Te- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 109 lefonkontrolle, zur ehemaligen Ausweichführungsstelle, dabei um eine durch Arbeitsmaterialien gestützte Führung zu den Mobilmachungsplänen des MfS und zu den The- durch die Dauerausstellung, bei der die Schüler zunächst ei- men Opposition und Widerstand in Leipzig. Im Rahmen nen Überblick erhalten, im zweiten Teil dann selbst aktiv der Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedli- werden und sich anhand dieser Arbeitsmaterialien und chen Revolution“ sind dazu bereits wesentliche Erkennt- der Ausstellung mit der Thematik beschäftigen, ihr Wis- nisse gewonnen worden, die in den kommenden Jahren sen darüber vertiefen und am Ende jeweils einen Teil der vervollständigt werden sollen. Zum Thema Todesstrafe Dauerausstellung ihren Mitschülern präsentieren. in der DDR laufen ebenfalls Anträge zur Akteneinsicht. Daneben bietet das Bürgerkomitee für fremdsprachige Schulklassen Führungen an. Außerdem wurden die seit Veranstaltungen 2008 etablierten Audioguide-Führungen jugendgerecht Das Bürgerkomitee Leipzig lädt regelmäßig zu Veranstal- überarbeitet und erweitert. Sie sind nun in deutscher, tungen in die „Runde Ecke“ ein. Es beteiligt sich an Ver- englischer, französischer und italienischer Sprache mög- anstaltungsreihen wie „Leipzig liest“, der Museumsnacht lich. und dem Tag des offenen Denkmals, organisiert Diskus- sionsabende mit Bürgerrechtlern, Wissenschaftlern und Die Gedenkstätte Moritzplatz, Magdeburg Politikern und veranstaltet Konferenzen zu aktuellen Der historische Ort Themen des Aufarbeitungsprozesses und beteiligt sich an Arbeitsgruppen wie etwa der Initiative Herbst ´89 und Das im Jahre 1876 errichtete Gefängnis am Moritzplatz Stolpersteine Leipzig. Die Gedenkstätte Museum in der nutzten von 1945 bis 1956 die ostdeutsche Justiz und die „Runden Ecke” hat sich mit zahlreichen Veranstaltungen Deutsche Volkspolizei als „Untersuchungshaftanstalt als Ort des aktuellen gesellschaftlichen und politischen Magdeburg-Neustadt“.1958 übernahm das Ministerium Diskurses etabliert. Als Veranstaltungsort nutzt das Bür- für Staatssicherheit der DDR die Einrichtung als Unter- gerkomitee den ehemaligen Stasi-Kinosaal, den es weit- suchungshaftanstalt für den Bezirk Magdeburg. Unter gehend authentisch erhalten konnte. menschenunwürdigen Bedingungen inhaftierte es hier über 4 000 Männer und Frauen, viele wegen „versuchter Neben Führungen durch die Dauerausstellung bietet das Republikflucht“. Das MfS versuchte ihnen „Geständnis- Bürgerkomitee regelmäßig den Stadtrundgang „Auf den se“ abzupressen, auf Grund derer sie als angebliche Spuren der Friedlichen Revolution“ an. Dieser führt un- Staatsfeinde zu langen Haftzeiten verurteilt wurden. Wie ter anderem zum Nikolaikirchhof, wo schon im Frühjahr schon am 17. Juni 1953 forderten Demonstranten auch ’89 der Ruf nach Freiheit laut wurde, zum Augustusplatz, während der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 die wo im Herbst Massenkundgebungen stattfanden, und Freilassung der politischen Gefangenen. Im Dezember zum Leipziger Ring entlang der Marschroute der De- 1989 entließ das MfS die letzten Häftlinge. monstrationen. Entstehung und Entwicklung Bildungsarbeit Im März 1990 bot sich Tausenden von Interessierten erst- Besonders jungen Menschen, die die DDR nicht mehr aus malig die Möglichkeit, den Gebäudekomplex der ehema- eigenem Erleben kennen, wird die Geschichte der SED- ligen Untersuchungshaftanstalt in Magdeburg zu besich- Diktatur und deren friedlicher Überwindung altersge- tigen und sich einen ersten Eindruck zu verschaffen, unter recht und anschaulich am authentischen Ort vermittelt welchen Bedingungen der von der SED gesteuerte Geheim- und die Bedeutung der Werte Freiheit und Demokratie dienst mitten im Stadtgebiet Magdeburgs seit Jahrzehnten verdeutlicht. Die „Runde Ecke“ hat sich in den letzten vermeintliche Staatsfeinde in Haft gehalten hatte. Jahren als außerschulischer Lernort etabliert. Für zahl- Schon damals wurde die Forderung erhoben, dass dieser reiche Schulen und Jugendeinrichtungen gehört ein Be- Ort eine Gedenkstätte werden müsse. Im Herbst 1990 such in der „Runden Ecke“ zum Standardprogramm und zeigten das Bürgerkomitee Magdeburg und Memorial stößt bei den Jugendlichen selbst auf positive Resonanz. Magdeburg e. V. die Ausstellung „Stasi in Magdeburg“, die Ein Besuch in der Gedenkstätte Museum in der „Runden in sechs Wochen 23 000 Besucher zählte. Im Dezember Ecke“ gehört in vielen Leipziger Schulen zum Lehrplan. 1990 beschloss die Stadtverordnetenversammlung am Die meisten Klassen kommen zu einer Führung durch historischen Ort eine Gedenkstätte einzurichten. die Dauerausstellung. Auf Wunsch bietet die Gedenkstät- te zusätzlich dazu Gespräche bzw. Rundgänge mit the- Angebunden war die Gedenkstätte an die Städtischen matischem Schwerpunkt an. Einige Schülergruppen ge- Museen Magdeburg. Das Land Sachsen-Anhalt über- stalteten auch ihre Projekttage im Haus. Zusätzlich nahm 1994 mittels Verwaltungsvereinbarung mit der bewirbt die Gedenkstätte ein neues museumspädagogi- Kommune die Trägerschaft und finanzierte die Gedenk- sches Angebot „Schüler führen Schüler“. Es handelt sich stätte bis einschließlich 2006 zu 95 Prozent. Seit 2007 ist 110 Gedenkstätten und Erinnerungsorte die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt Trägerin der gung durch die ostdeutsche Justiz, die Deutsche Volkspo- Einrichtung. lizei und das MfS im ehemaligen Bezirk Magdeburg. Sie lässt dabei – über Medienstationen – besonders ehemali- Die Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg erinnert an die ge politische Häftlinge zu Wort kommen. Die Erstellung während der Sowjetischen Besatzungsherrschaft und in der neuen Dauerausstellung wurde von BKM und dem der DDR durch die Justiz, die Deutsche Volkspolizei und Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt gefördert. das MfS aus politischen Gründen Verfolgten und Inhaf- tierten. Sie gehört zu den wenigen Gedenkstätten in ehe- Zeitzeugenarbeit maligen MfS-Haftanstalten, in denen u. a. das im Origi- nal belassene Hafthaus und die „Freistundenzellen“ in Die enge Zusammenarbeit zwischen der Gedenkstätte die Bildungsarbeit einbezogen werden können. Im Vor- und dem im Haus ansässigen Landesverband der VOS be- derhaus (früheres Vernehmergebäude) sind ein Verneh- steht nicht nur in der engen inhaltlichen Kooperation, merraum, der Besucherkeller und der Flur im authenti- sondern auch in der Einbindung von Mitgliedern des schen Zustand zu besichtigen. VOS als Zeitzeugen in die Bildungsarbeit der Gedenkstät- te. Darüber hinaus engagieren sich auch andere ehemali- Im Rahmen von Führungen, Projekttagen, der Präsenta- ge politische Häftlinge als Zeitzeugen. Besuchergruppen tion von Ausstellungen, der Durchführung von Veran- nehmen in der Regel nach Führungen bzw. im Rahmen staltungen und der Erstellung von Publikationen schafft von Projekttagen die Möglichkeit eines Gespräches mit die Gedenkstätte für Schüler und Erwachsene Angebote einem oder mehreren Zeitzeugen wahr. auf dem Gebiet der politischen Bildung. Die Arbeit in der Gedenkstätte trägt dazu bei, durch Forschung und histo- Bildungsarbeit risch-politische Bildung über Strukturen, Wirkungsme- Seit Beginn der Gedenkstättenarbeit ist die Zahl der an- chanismen und Auswirkungen der Diktatur in der Sow- gemeldeten Gruppenführungen stetig gewachsen. Waren jetischen Besatzungszone/DDR aufzuklären und ein es zu Beginn eher Gruppen von Erwachsenen, hat sich würdevolles Gedenken an die Opfer politischer Gewalt- dies bereits Mitte der 1990er Jahre immer mehr dahinge- herrschaft zu ermöglichen. Traditionell verstehen sich hend gewandelt, dass die Gedenkstätte von vielen Schu- die Mitarbeiter der Gedenkstätte jedoch auch als An- len aus der Region als außerschulischer Lernort genutzt sprechpartner für ehemalige politische Häftlinge, bera- wird. Es werden ca. 250 bis 300 Gruppenführungen pro ten diese u. a. in ihrem Ringen um die Anerkennung der Jahr durchgeführt, davon ca. 75 Prozent für Schüler. Dies Folgen ihrer Inhaftierung und zeichnen ihre Lebensbe- ist eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Gedenk- richte auf. stätten in der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt. Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Gedenkstätte mehre- Die Mitarbeiter der Gedenkstätte und des Dokumentati- ren Vereinen Räume zur Verfügung gestellt, sowohl Op- onszentrums arbeiten fortlaufend daran, die Angebote ferverbänden als auch Vereinen, die sich mit Menschen- für Schüler zu verbessern. Es gibt ein breites Spektrum rechtsverletzungen beschäftigen. Noch heute hat der an möglichen Projekttagen, Arbeit mit Akten über Ver- Landesverband Sachsen-Anhalt der Vereinigung der Op- folgungsschicksale, Arbeit in der neuen Dauerausstel- fer des Stalinismus seinen Sitz in der Gedenkstätte. Des lung, in der Ausstellung „Im Namen des Volkes? Über die Weiteren befindet sich seit 1992 das Dokumentations- Justiz im Staat der SED“ sowie in den Sonder- und Wan- zentrum des Bürgerkomitees Sachsen-Anhalt e. V. im Ge- derausstellungen der Gedenkstätte und des Bürgerkomi- bäudekomplex der ehemaligen MfS-Untersuchungshaft- tees. Besonderer Wert wird seit Jahren auf Lehrerfortbil- anstalt am Moritzplatz. dungen gelegt, zu verschiedensten Themen finden pro Jahr mehrere solcher Veranstaltungen statt. Ausstellung Die Gedenkstätte Mühlberg − Sowjetisches Seit Juni 2004 wird die Ausstellung des Bundesjustizmi- Speziallager Nr. 1 nisteriums „Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat der SED“ in der obersten Etage des Zellentrakts Der historische Ort dauerhaft präsentiert und in die politische Bildungsar- Nach der Befreiung am 23. April 1945 durch die Rote Ar- beit einbezogen. Die neue Dauerausstellung „Grundsätz- mee wurde das ehemalige nationalsozialistische Kriegs- lich kann von jedem Beschuldigten ein Geständnis er- gefangenlager zunächst für die Rückführung von „Ost- langt werden“ und „Die Untersuchungshaftanstalt arbeitern“ und gefangen genommenen Angehörigen der Magdeburg-Neustadt 1945 bis 1989“ wurde im Januar „Wlassow-Armee“9 genutzt. Im September 1945 über- 2012 eröffnet. Sie gibt in zwölf Räumen im Zellentrakt und im Erdgeschoss des Vorderhauses einen Überblick über die Geschichte des Hauses und die politische Verfol- 9 In ihr kämpften ab Ende 1944 auf deutscher Seite als „russische Gedenkstätten und Erinnerungsorte 111 nahm das sowjetische NKWD das Lager und baute es ab 1979 zu einem Sperrgebiet und fand als Truppen- zum Speziallager Nr. 1 aus. Bis 1948 wurden hier über übungsplatz Verwendung. Die Nationale Volksarmee 21 000 Menschen festgehalten. Von ihnen überlebten (NVA) nutzte das Gelände bis 1990. etwa 7 000 die Gefangenschaft nicht. Sie wurden in Mas- sengräbern am Rande des Geländes begraben. Entstehung und Entwicklung

Entstehung und Entwicklung Mitarbeiter des Regionalmuseums Neubrandenburg ent- deckten im März 1990 erste Massengräber mit den Toten Der Initiativgruppe Lager Mühlberg e. V. ist es zu verdan- des Speziallagers. Der Fund stieß eine Debatte über das ken, dass die Geschichte des Speziallagers nicht in Ver- Lager an, ein öffentliches Gedenken an die Toten wurde gessenheit geraten ist. Mit Unterstützung des Branden- erstmals möglich. Zu Ostern 1990 fand die erste Gedenk- burgischen Ministeriums des Innern und des zustän­ veranstaltung auf dem sogenannten Südfriedhof statt. digen Landrats wurde eine Gräber- und Gedenkstätte Im April 1991 gründeten ehemalige Internierte und Hin- errichtet, in welcher der Opfer mit einem Hochkreuz ge- terbliebene die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen, die zur dacht wird. Auf der Grundlage neuerer Forschungen treibenden Kraft für die Neugestaltung der Gedenkstätte wird seit 2008 in der Anlage zudem auch namentlich an und die Erinnerungsarbeit wurde. 1993 konnte die neu die Verstorbenen erinnert. Im Mai 2012 wurde mit der Unterstützung des Landes eine Freiluftausstellung ein- gestaltete Mahn- und Gedenkstätte eingeweiht werden. geweiht, die über sämtliche historische Schichten des Neben dem Friedhof der Kriegsgefangenen sind zwei ehemaligen Lagergeländes informiert. Friedhöfe für die Gefangenen im Speziallager markiert. 1999 konnten auf dem Südfriedhof 59 Bronzetafeln mit Die Mahn- und Gedenkstätte Fünfeichen − den Namen von 5 169 Toten der Öffentlichkeit übergeben Sowjetisches Speziallager Nr. 9, Neubrandenburg werden. Im Jahr 2000 erwarb die Stadt Neubrandenburg vom russischen Staatsarchiv über 100 einzigartige Fotos Der historische Ort vom sowjetischen Speziallager, die zu Propagandazwe- In Neubrandenburg entstand 1939 auf dem Gelände der cken aufgenommen worden waren. dortigen Wehrmachtskaserne ein Kriegsgefangenenla- ger. Dieses wurde am 28. April 1945 durch die Rote Ar- Bildungsarbeit mee befreit. Von Mai bis September 1945 dienten das ehemalige Kriegsgefangenenlager und die Kasernen zur Die Arbeitsgemeinschaft Fünfeichen bietet Zeitzeugen- Unterbringung befreiter Kriegsgefangener, Zwangsarbei- gespräche und Führungen über das Gelände der Gedenk- ter und KZ-Häftlinge, die auf ihre Rückkehr in die Hei- stätte an. Die Mitarbeiter des Stadtarchivs Neubranden- mat warteten. Im Juni 1945 begannen die sowjetischen burg begleiten Projekttage oder -wochen fachlich. Im Sicherheitsorgane, in den Baracken des Kriegsgefange- Archiv können umfangreiche Materialien zur Geschichte nenlagers deutsche Internierte einzusperren. So ent- der Lager eingesehen werden. Das Regionalmuseum stand das Speziallager Nr. 9. Ungefähr 15 000 Menschen Neubrandenburg präsentiert eine kleine Ausstellung zur sind bis zur Auflösung des Speziallagers hier interniert Geschichte der Lager. worden. Aufgrund der katastrophalen Lebensbedingun- gen verstarben über 4 700 Internierte, 5 400 wurden ent- Die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen lassen, über 3 500 in andere Speziallager verlegt, andere − Sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1, kamen in sowjetische Zwangsarbeitslager oder zur Ver- Oranienburg urteilung vor ein Sowjetisches Militärtribunal. Am 4. November 1948 verließen die letzten 179 Internierten Der historische Ort das Lager, im Januar 1949 wurde seine Existenz offiziell Als Modell- und Schulungslager in unmittelbarer Nähe für beendet erklärt. der Reichshauptstadt Berlin nahm das KZ Sachsenhau- Zu DDR-Zeiten wurde ausschließlich an die Geschichte sen bei Oranienburg eine Sonderstellung im System der des Kriegsgefangenenlagers erinnert, 1961 eine Gedenk- nationalsozialistischen Konzentrationslager ein. Zwi- anlage an den Gräbern der Kriegsgefangenen errichtet; schen 1936 und 1945 hielten die Nationalsozialisten hier die Einzelgräber wurden eingeebnet und ein symboli- über 200 000 Menschen gefangen. Viele Gefangene wur- scher Glockenturm errichtet. Die Gedenkstätte gehörte den von der SS (Schutzstaffel) ermordet, fielen der Devise „Vernichtung durch Arbeit“ in den umliegenden Rüs- tungsbetrieben zum Opfer oder kamen durch die kata- strophalen Haftbedingungen um. Das Lager wurde im Befreiungsarmee“ des ehemaligen Generalleutnants Andrej A. Wlassow (1901 bis 1946) Freiwillige, Kriegsgefangene, April 1945 evakuiert, kurz bevor es von sowjetischen und Zwangsarbeiter, russische Emigranten und andere. polnischen Truppen am 22./23. April befreit wurde. 112 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

Nach Kriegsende errichtete das sowjetische NKWD in her in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Be- dem geräumten nationalsozialistischen KZ Sachsenhau- reits 1990 hatten ehemalige Häftlinge einen Gedenkstein sen das größte Speziallager der sowjetischen Besatzungs- an der nordöstlichen Lagermauer errichtet, wo sich ein zone. Im Speziallager Nr. 7 Sachsenhausen waren insge- noch erkennbarer Durchgang zwischen der „Zone I“ und samt bis zu 60 000 Menschen inhaftiert. Dieses Lager der „Zone II“ des Speziallagers befand. Ebenfalls nach befand sich bereits seit April 1945 in Weesow (Landkreis 1990 errichtete das Ministerium des Innern in Abstim- Barnim), wo einige Bauernhöfe als Lager geräumt worden mung mit der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen waren. Im August 1945 wurde das Speziallager Nr. 7 auf 1945 bis 1950 e. V. eine Gedenkanlage im Schmachtenha- das Gelände des nationalsozialistischen Konzentrations- gener Forst, an der Düne und am Kommandantenhof, lagers Sachsenhausen verlegt, im Sommer 1948 in „Spezi- weiteren Fundorten von Massengräbern aus der Zeit des allager Nr. 1“ umbenannt. Mindestens 12 000 Menschen sowjetischen Speziallagers. starben in Folge der unmenschlichen Haftbedingungen. Ausstellung Nach der Auflösung des Speziallagers im August 1950 wurden die Überlebenden von der Militärverwaltung Vor dem Hintergrund der Geschichte des KZ und des entlassen, in die Sowjetunion deportiert oder zur Verur- Speziallagers Sachsenhausen kommt der geschichtspoli- teilung durch Sondergerichte der DDR übergeben. Zwi- tischen Instrumentalisierung der NS-Geschichte in der schen 1950 und 1956 nutzte die Kasernierte Volkspolizei DDR eine wesentliche Bedeutung zu. Unmittelbar nach bzw. die Nationale Volksarmee das Gebäude und zerstör- Kriegsende setzten sich Überlebende der Konzentra- te einen großen Teil der KZ-Anlage, unter anderem das tionslager für ein würdiges Gedenken an ihre Kamera- Krematorium und die Vernichtungsstation Z. Im Jahr den ein. In den Lagern selbst war dies teilweise nicht 1961 wurde die Nationale Mahn- und Gedenkstätte möglich, weil beispielsweise Sachsenhausen und Jamlitz Sachsenhausen auf einem Teil des ehemaligen Lagerge- als sowjetische Speziallager weiter genutzt wurden. ländes eingeweiht, die an die KZ-Verbrechen erinnerte Zeichneten sich diese frühen Gedenkformen noch durch und die DDR als das bessere, antifaschistische Deutsch- einen Pluralismus aus, der sich nicht ausschließlich auf land präsentierte. Zuvor hatten die Planer abermals zahl- den kommunistischen Widerstandskampf gegen den Na- reiche Gebäude abreißen lassen und das Gelände zum tionalsozialismus bezog, wurde das Gedenken an die NS- Landschaftspark umgestaltet. Der in der DDR allgemein Verfolgten im weiteren Verlauf der Geschichte für die verbreitete Mangel an Baumaterialien führte dazu, dass Herrschaftsstabilisierung der SED instrumentalisiert. In die Mahnmale und Museen bis 1990 in erschreckendem der Gedenkstätte Sachsenhausen ist die Dauerausstel- Maße verkamen. lung „Von der Erinnerung zum Monument“ Bestandteil des dezentralen Gesamtkonzepts. Ihre Themen sind die Entstehung und Entwicklung Entstehungsgeschichte und die geschichtspolitische Be- deutung des „Museums des antifaschistischen Befrei- Überlebende des Speziallagers Weesow und ihre Angehö- ungskampfes der europäischen Völker“. Die von den Ar- rigen brachten 1992 gemeinsam mit der Gemeinde chitekten und Gestaltern der Nationalen Mahn- und Weesow, dem Landratsamt und dem Ministerium des In- Gedenkstätte auf Anweisung des ZK (Zentralkomitee) der nern des Landes Brandenburg Informationstafeln zur SED vorgenommenen erheblichen baulichen Überfor- Geschichte des Speziallagers Nr. 7 und zum Gedenken an mungen und Veränderungen in der Lagertopografie wer- die Häftlinge an. den anhand von Fotos, Plänen, Modellen, weiteren Do- 1993 übernahm die Stiftung Brandenburgische Gedenk- kumenten und filmischen Ausschnitten erläutert. stätten die Verantwortung für Sachsenhausen. Die zu gleichen Teilen vom Land Brandenburg und dem Bund Am 17. April 2011 wurde darüber hinaus die Sonderaus- finanzierte Stiftung begann mit der Neukonzeptionie- stellung „Sachsenhausen mahnt“ eröffnet. Sie beleuchtet rung der ehemaligen Nationalen Mahn- und Gedenk- die Einweihung der Gedenkstätte 1961 im zeitgeschicht- stätte der DDR. lichen Kontext, der vom Eichmann-Prozess, einer wach- senden Flüchtlingsbewegung aus der DDR und dem Im Dezember 2001 wurde in der Gedenkstätte Sachsen- Mauerbau geprägt war. hausen ein zur Geschichte des sowjeti- schen Speziallagers Nr. 7/Nr. 1 eröffnet. Stiftung, Bund Am 20. April 2012 wurden die neugestalteten Freiflächen und Land waren übereingekommen, die ursprünglich der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, in denen die nicht für das Jahr 2007 vorgesehene Eröffnung vorzuziehen. mehr vorhandenen rund 70 Baracken des ehemaligen KZ Dies geschah sowohl im Interesse der sich im vorgerück- im Boden markiert wurden, vom Beauftragten der Bun- ten Alter befindenden ehemaligen Häftlinge als auch mit desregierung für Kultur und Medien, Staatsminister der Absicht, die bislang unbekannte Lagergeschichte frü- Bernd Neumann, der Öffentlichkeit übergeben. Gedenkstätten und Erinnerungsorte 113

Bildungsarbeit der sowjetischen Militäradministration requiriert und zum Sperrgebiet „Militärstädtchen Nr. 7“ umgewandelt. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten bietet in der Gedenkstätte/Museum Sachsenhausen an den Wo- Die sowjetische Spionageabwehr Smersch baute das Haus chenenden in unregelmäßiger Folge Führungen zu spe- Leistikowstraße 1 zum zentralen Untersuchungs- und ziellen Aspekten aus der Geschichte des KZ Sachsenhau- Durchgangsgefängnis um. Im Keller, im Erdgeschoss und sen sowie zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers im Ostflügel entstanden 36 Haftzellen. Im Untersu- an. Im Rahmen von Projekten befassen sich Schüler und chungsgefängnis waren bis Mitte der 1950er Jahre nach Jugendliche mit verschiedenen Themen zur Geschichte bisherigen Schätzungen 900 bis 1 200 Menschen ohne je- des Konzentrationslagers Sachsenhausen und des sowje- des rechtsstaatliche Verfahren und unter unmenschli- tischen Speziallagers Nr. 7/Nr.1. Die Schwerpunkte wer- chen Bedingungen inhaftiert, für die Zeit danach kön- den zuvor im Hinblick auf das Alter der Teilnehmer und nen keine Angaben über Häftlingszahlen gemacht den Schultyp abgestimmt. Nach dem Selbstverständnis werden. Der Militärgeheimdienst hielt zunächst Deut- der Gedenkstätte als aktiver und offener Ort des „entde- sche und Sowjetbürger fest, von 1954 bis 1983 aus- ckenden Lernens“ sollen die Teilnehmer angeregt wer- schließlich sowjetische Militärangehörige und Zivilan- den, sich am historischen Ort selbstständig und eigen- gestellte der in Deutschland stationierten Truppen der verantwortlich mit den Erfahrungen von Terror, Sowjetarmee. Diktatur, Totalitarismus, Rassismus und staatlichem Der sowjetische Geheimdienst überstellte die Inhaftier- Massenmord auseinander zu setzen. Dabei beschäftigen ten nach ihrer Verurteilung durch ein Militärtribunal – sie sich auch mit aktuellen Formen von Ausgrenzung, zum Vorwurf „konterrevolutionärer Aktivitäten“ im Sin- Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremis- ne des Artikels 58 des russischen Strafgesetzbuches vgl. mus. Während des Projekttages, der eine intensive Vor- S. 91 – entweder direkt in eines der berüchtigten Lager und Nachbereitung erfordert, bearbeiten die Schüler in des GULag in die Sowjetunion oder in eines der zehn in verschiedenen Einzelgruppen ausgewählte Aspekte der der sowjetischen Besatzungszone befindlichen Spezialla- Geschichte des Ortes. Sie benutzen vorbereitete Material- ger wie Torgau oder Sachsenhausen. Das Gefängnisge- sammlungen, recherchieren in Ausstellungen und for- bäude wurde seit Mitte der 1980er Jahre als Materiallager schen in Bibliothek und Archiv. Sie führen Gespräche genutzt. mit Überlebenden der Lager und nehmen an den the- menspezifischen Führungen teil. Nach dem Abzug der russischen Truppen im Jahr 1994 konnte der EKH das Gebäude und das Grundstück wie- In den Sommermonaten veranstaltete „Workcamps“, in der in seinen Besitz nehmen. denen jungen Menschen aus verschiedenen Ländern zu- sammen kommen, verbinden historisches Lernen mit Entstehung und Entwicklung praktischen Pflege- und Erhaltungsarbeiten für den au- thentischen Ort. In Fortbildungsveranstaltungen für Um an die verübten Verbrechen zu erinnern und der Op- Lehrer werden insbesondere die Lernangebote der Ge- fer zu gedenken, erarbeitete der Verein MEMORIAL denkstätte vorgestellt und diskutiert. Dabei wird auch Deutschland e. V. 1997 die im Jahr 2000 aktualisierte das Haus der entstehenden Internationalen Jugendbe- Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ und betreute gegnungsstätte Sachsenhausen, die ehemalige Dienstvil- ehrenamtlich die Einrichtung einer Gedenk- und Begeg- la des KZ-Inspekteurs, mit in die politische Bildungsar- nungsstätte gemeinsam mit einem Förderverein. Bis beit einbezogen. 2008 wurde das Gebäude mit bedeutenden Mitteln des Bundes und des Landes Brandenburg behutsam saniert. Im gleichen Jahr erfolgte der Neubau eines Besucherzen- Die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte trums. Leistikowstraße, Potsdam Am 5. Dezember 2008 wurde die Stiftung Gedenk- und Der historische Ort Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam errichtet. Das Haus Leistikowstraße Nr.1 in Potsdam wurde 1916 Stifter ist der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein. Die vom Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein (EKH) errich- rechtlich unselbstständige Stiftung wird durch die Stif- tet. Bis 1945 beherbergte es die Verwaltungsräume der tung Brandenburgische Gedenkstätten treuhänderisch von der EKH gegründeten „Evangelischen Frauenhilfe“, verwaltet, deren Aufgabe in der Gewährleistung des Ge- die Dienst- und Wohnräume des leitenden Pfarrers, die denkstättenbetriebs besteht. Mit einem „Tag der offenen Wohnräume der Vikarin sowie die Redaktion der evan- Tür“ am 29. März 2009 begann eine eingeschränkte Öff- gelischen Zeitung „Der Bote“. Nach der Potsdamer Kon- nung des Hauses für Besucher. Mit der Realisierung der ferenz wurde das Pfarrhaus 1945 wie alle anderen in die- neuen Dauerausstellung wurde die Gedenkstätte am sem Teil der Nauener Vorstadt liegenden 100 Häuser von 18. April 2012 von Ministerpräsident Matthias Platzeck 114 Gedenkstätten und Erinnerungsorte und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur des Herbstes 1989 erzwungene Amnestie vom 27. Okto- und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, endgültig ber 1989 beendete die Inhaftierung aus politischen eröffnet. Diese wurde vom Bund mit 445 200 Euro und Gründen in der DDR. Die letzten politischen Häftlinge dem Land Brandenburg mit 467 200 Euro finanziert. des „Lindenhotels“ wurden vermutlich bis zum 11. No- vember 1989 entlassen. Nach dem Auszug des Staatssi- In der Gedenkstättenkonzeption des Bundes wird der cherheitsdienstes Anfang 1990 übernahmen die demo- Stellenwert dieses Erinnerungsortes als Gedenkstätte kratischen Parteien und Bewegungen aus der Stadt und von nationaler und internationaler Bedeutung hervorge- dem Bezirk Potsdam das „Lindenhotel“ als ihr erstes Ar- hoben. BKM beteiligt sich an der institutionellen Förde- beitsdomizil – aus einem „Haus des Terrors“ wurde das rung mit jährlich 134 000 Euro. Potsdamer „Haus der Demokratie“. Schon vor Übernahme der treuhänderischen Verwaltung durch die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Entstehung und Entwicklung wurden Veranstaltungen sowie Ausstellungen durch eh- Seit 1995 befand sich die Gedenkstätte auf dem histori- renamtlich tätige Vereine wie Memorial Deutschland schen Anwesen mitten im Zentrum der brandenburgi- e. V. und amnesty international durchgeführt und in der schen Landeshauptstadt in der Trägerschaft des Pots- Leistikowstraße präsentiert. Darüber hinaus finden u. a. dam-Museums. Seit 1. Januar 2012 wird die Einrichtung auch durch den Förderverein initiierte Zeitzeugenge- jeweils hälftig durch die Stadt Potsdam und das Land spräche statt. Brandenburg gefördert. Anfang des Jahres 2013 erhält sie eine neue Trägerschaft. Die Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 für die Opfer politscher Gewalt im 20. Jahrhundert, Ausstellung Potsdam Verantwortet vom Potsdamer Zentrum für Zeithistori- Der historische Ort sche Forschung wurden 2007 erste Bereiche einer Dauer- Das Gebäude in der Lindenstraße 54 in Potsdam wurde ausstellung zu den Epochen „Sowjetisches Geheim- zwischen 1733 und 1737 im Barockstil des nahen Hollän- dienstgefängnis“ und „Stasi-Untersuchungsgefängnis“ dischen Viertels erbaut. Seit 1817 befand sich auf dem eröffnet. Das Gesamtkonzept der Darstellung der Ge- Grundstück eine Haftanstalt. Das nach Kriegsende 1945 schichte des Hauses Lindenstraße 54 sieht insgesamt von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmte fünf nacheinander zu erarbeitende Ausstellungsmodule Gebäude in der Lindenstraße besaß bereits eine langjäh- vor. Modul 1 bezieht sich auf die Zeit von 1734 bis 1933, rige Geschichte als Ort der politischen Justiz in der Zeit in Modul 2 wird die Geschichte der Haftanstalt in der des Nationalsozialismus. Da die Haftanstalt von 1934 bis NS-Zeit, die Geschichte des Erbgesundheitsgerichts sowie 1944 als Gerichtsgebäude des Potsdamer Erbgesund- des Volksgerichtshofs erläutert. Modul 3 widmet sich der heitsgerichts genutzt wurde, handelt es sich darüber hi- Gefängnisgeschichte von 1945 bis 1952, Modul 4 der Zeit naus um einen wichtigen Erinnerungsort der rassischen bis 1989. Schließlich wird mit Modul 5 über die Zeit der und sogenannten sozialhygienischen Verfolgung, der Friedlichen Revolution und die Inbesitznahme des Hau- „Euthanasie“. Noch bis 1945 wurde das Gebäude als Teil ses durch Bürgerrechtler informiert. Die Module 3 und 4 des „Volksgerichtshofs“ genutzt. Nach der Beschlagnah- wurden am 16. März 2012 eröffnet. mung durch die sowjetische Besatzungsmacht im Die inhaltliche Arbeit der Gedenkstätte wurde in den Sommer 1945 diente es als Untersuchungsgefängnis und vergangenen Jahren durch das Zentrum für Zeithistori- Urteilsort sowjetischer Militärtribunale. Während der sche Forschung unterstützt und zum größten Teil aus nachfolgenden sieben Jahre wurden in der Lindenstraße Mitteln der Bundesstiftung Aufarbeitung sowie durch mehrere tausend Menschen inhaftiert und zu jahrzehn- Zuwendungen des Brandenburger Ministeriums für Wis- telangen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt. senschaft, Forschung und Kultur sowie Spenden- und 1952 erfolgte die Übergabe des von den Häftlingen als Sponsorengeldern finanziert. Die Gedenkstätte koope- „Lindenhotel“ bezeichneten Gefängnisses an das Minis- riert bei ihrer politisch-historischen Bildungsarbeit mit terium für Staatssicherheit, das die Geschichte politi- dem BStU. Die Vervollständigung der Ausstellungsmo- scher Justiz an diesem Ort bis zum Ende der DDR weiter- dule 3 und 4 – beispielsweise wurde 2011 ein neuer Aus- führte. Nun befand sich in der Lindenstraße das stellungsteil mit dem Titel „Flucht in den Westen“ sowie Untersuchungsgefängnis des MfS für den Bezirk Pots- das Ausstellungsmodul zum „Haus der Demokratie“ hin- dam. Mehr als 6.200 Frauen und Männer waren an die- zugefügt – und die Erarbeitung des Ausstellungsmoduls sem Ort den menschenrechtswidrigen Haftbedingungen zur nationalsozialistischen Geschichte sowie zur Vorge- und Verhörmethoden des Ministeriums für Staatssicher- schichte des Hauses seit 1737 werden dazu beitragen, die heit ausgesetzt. Erst die von der Friedlichen Revolution Gedenkstätte noch weiter zu profilieren. Im Jahr 2011 be- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 115 suchten ca. 19 000 Interessierte die Gedenkstätte, die de zunächst das sowjetische NKWD, ab Mitte der 1950er Ausstellungen, die Schülerprojektwerkstatt und die Ver- Jahre die Bezirksverwaltung des Ministeriums für anstaltungen. Staatssicherheit. Das Gefangenenhaus diente bis 1989 als Untersuchungshaftanstalt des MfS. Die Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock Entstehung und Entwicklung Der historische Ort Die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit wur- Das Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer de von 1958 bis 1960 auf dem Gelände der Bezirksverwal- der Diktaturen in Deutschland in Schwerin arbeitet in tung des MfS in der Rostocker Innenstadt gebaut. Sie war Trägerschaft der Landeszentrale für politische Bildung. von Bürogebäuden der Bezirksverwaltung umgeben und Im Dokumentationszentrum zeigt eine dreiteilige Dau- auf diese Weise von außen weder zu erkennen noch ein- erausstellung die Strukturen und Mechanismen der poli- sehbar. In den etwa 50 Zellen auf drei Etagen konnten bis tischen Verfolgung in den drei dokumentierten Perioden zu 110 Frauen und Männer gefangen gehalten werden. („Strafrecht ist Kampfrecht!“ – Justiz und Terror in Von 1960 bis zur Besetzung der MfS-Bezirksverwaltung Mecklenburg 1933 bis 1945/„Im Namen der Union der Anfang Dezember 1989 waren hier rund 4 900 Untersu- Sozialistischen Sowjetrepubliken!“ – Justiz und Besat- chungshäftlinge inhaftiert. zungswillkür in MV 1945 bis 1949/53/„Gemeinsam für den Schutz der Arbeiter- und Bauernmacht.“ – Staatssi- Entstehung und Entwicklung cherheitsdienst und Justiz im Norden der DDR 1949 bis Die Dokumentations- und Gedenkstätte in der früheren 1989). Im Mittelpunkt aller drei Teile der Dauerausstel- Untersuchungshaftanstalt in Trägerschaft des BStU ge- lung stehen jeweils Biografien von Opfern der Verfol- hört seit 1998 zum Dokumentationszentrum für die Op- gung. Seit der offiziellen Eröffnung des Dokumentati- fer deutscher Diktaturen des Landes Mecklenburg-Vor- onszentrums hat sich die Einrichtung zu einem pommern (siehe unten). Sie wurde im Oktober 1999 Bildungs- und Lernort insbesondere für Schulklassen eröffnet und bildet den inhaltlichen Kern für den BStU- entwickelt. Standort in Rostock. Besucher können in der Dokumen- Jährlich besuchen rund 200 Gruppen das Dokumentati- tations- und Gedenkstätte, genau wie in der Rostocker onszentrum, davon mehr als 50 Prozent Schulklassen. BStU-Außenstelle, Beratung zur Akteneinsicht, zu Fra- Führungen durch das Haus allein bilden die Ausnahme, gen der Rehabilitierung und Wiedergutmachung, zu For- meist erschließen sich die Gruppen einzelne historische schungsmöglichkeiten und zu Angeboten der politischen Abschnitte und Biografien im Rahmen intensiver Stu- Bildung erhalten. Im Gebäude ist seit 1993 auch das His- dien- oder Projekttage. torische Institut der Universität Rostock untergebracht. Das Dokumentations- und Ausstellung Informationszentrum Torgau

In der Dokumentations- und Gedenkstätte können der Der historische Ort Zellentrakt sowie die Originalzellen besichtigt werden. Mit den beiden Militärgefängnissen „Fort Zinna“ und Bei Führungen sind darüber hinaus auch der sogenannte „Brückenkopf“ sowie dem Reichskriegsgericht, das im Freihof, die Dunkelzellen und ein Gefangenentransport- August 1943 von Berlin nach Torgau verlegt wurde, ent- wagen zu sehen. wickelte sich die Stadt während des Zweiten Weltkriegs Eine ständige Ausstellung informiert über den DDR- zur Zentrale des Wehrmachtjustizsystems. Nach dem Staatssicherheitsdienst als wichtigste innere Stütze der Ende des Krieges richtete das sowjetische NKWD im Fort SED-Herrschaft und die Haftbedingungen in der Unter- Zinna und in der benachbarten Seydlitz-Kaserne die Spe- suchungshaftanstalt. Sonderausstellungen zu Themen ziallager Nr. 8 und Nr. 10 ein. Im Lager Nr. 8 wurden der DDR-Geschichte ergänzen das Angebot. Deutsche interniert, im Lager Nr. 10 deutsche und sowje- tische Staatsbürger gefangen gehalten, die von sowjeti- Das Dokumentationszentrum des Landes schen Militärtribunalen verurteilt worden waren. Die Mecklenburg-Vorpommern für die Opfer DDR-Volkspolizei nutzte das Gefängnis Fort Zinna von der Diktaturen in Deutschland, Schwerin 1950 bis 1990 für den Strafvollzug. In den fünfziger und sechziger Jahren saßen hier insbesondere politische Ge- Der historische Ort fangene ein. Bis 1975 wurden in Torgau auch jugendliche Das von 1914 bis 1916 errichtete Justizgebäude am Strafgefangene inhaftiert. Demmlerplatz und das zugehörige Gefangenenhaus wa- ren ab 1933 eingebunden in das System der Verfolgung im Nationalsozialismus. Ab 1945 beherbergte das Gebäu- 116 Gedenkstätten und Erinnerungsorte

Entstehung und Entwicklung en der Bodenflächen sowie durch eine Hainbuchenhecke voneinander unterschieden. Das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau bildete die Hauptaufgabe des Fördervereins Do- Ausstellung kumentations- und Informationszentrums Torgau e. V., der 1991 gegründet wurde. Ziel war die Schaffung einer Die ständige Ausstellung des DIZ Torgau „Spuren des Un- Einrichtung zur Dokumentation der Geschichte der rechts“ informiert über die Geschichte Torgauer Haftorte Wehrmachtjustiz, der NKWD-Lager (Speziallager Nr. 8 in während des Nationalsozialismus, der sowjetischen Be- Fort Zinna und Speziallager Nr. 10 in der Seydlitz-Kaser- satzung und der DDR. Mit Dokumenten, Fotos, Biografi- ne) und des DDR-Strafvollzugs in Torgau. en und Video-Interviews stellt die Ausstellung Torgaus Rolle als Zentrale des Wehrmachtstrafsystems, die Ge- Der Förderverein, der öffentliche Gelder akquirieren schichte der sowjetischen Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 konnte und durch Veranstaltungen die Aufmerksamkeit und des DDR-Strafvollzugs in Torgau dar. Der abschlie- auf Torgau lenkte, zeigte 1995 eine erste Ausstellung zu ßende Ausstellungsteil „Heute: Haus der Erziehung – Der den Themen Wehrmachtjustiz und Kriegsende in Tor- Strafvollzug der DDR in Torgau 1950 bis 1990“ wurde gau. Auf der Agenda stand als Thema eines Ausstellungs- 2004 fertig gestellt. abschnittes des zu schaffenden Dokumentationszent- rums der Komplex DDR-Strafvollzug in Torgau von 1950 Sammlung bis 1990. In den Anfangsjahren wurde auch das Thema Das Archiv des DIZ Torgau umfasst zum Bereich DDR- Geschlossener Jugendwerkhof Torgau bearbeitet. Hierzu Strafvollzug überwiegend personenbezogene Akten und entstand 1996 eine Wanderausstellung, die noch heute Berichte von Häftlingen der Strafvollzugsanstalt Torgau. ausgeliehen wird. Seit 1998 besteht ein eigener Träger- Es handelt es sich um Kopien aus öffentlichen Archiven verein Initiativgruppe ehemaliger Geschlossener Jugend- und Dokumente aus Privatbesitz. werkhof Torgau e. V.

Am 1. April 1999 ging die Trägerschaft der vom Förder- Bildungsarbeit verein ins Leben gerufenen und konzipierten Gedenk- Zu den Zielen der pädagogischen Arbeit zählt zunächst stätte DIZ Torgau auf die Stiftung Sächsische Gedenk- die Vermittlung von Informationen zur Geschichte Tor- stätten über. Der Bund gewährleistet durch BKM gaus als Haftort in drei unterschiedlichen Verfolgungs- gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen durch eine antei- perioden. Darüber hinaus sollen die Besucher zur eigen- lige institutionelle Förderung die Arbeit des DIZ als Ein- ständigen Auseinandersetzung mit Geschichte und richtung mit einer „doppelten“ Vergangenheit. Auch die Gegenwart angeregt werden. Hierfür werden neben Füh- Sammlung und die ständige Ausstellung „Spuren des rungen und Seminaren Projekte nach der Methode des Unrechts“ mit den beiden bereits fertig gestellten Teilen entdeckenden und forschenden Lernens angeboten. Ei- zur NS-Wehrmachtjustiz und zu den NKWD-Spezialla- nen wichtigen Ansatzpunkt für die Bildungsarbeit stel- gern wurde von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten len Biografien von ehemaligen Gefangenen dar. Außer- übernommen. Räumlichkeiten für die ständige Ausstel- dem werden regelmäßig Abendveranstaltungen mit lung sowie für Veranstaltungen, Sammlungen und Büros Lesungen, Vorträgen, Zeitzeugengesprächen und Film- konnten nach Umbaumaßnahmen mit finanzieller Un- vorführungen angeboten sowie Wander- und Sonderaus- terstützung des Freistaats Sachsen im Herbst 2003 im stellungen gezeigt und Fortbildungen durchgeführt. Flügel B von Schloss Hartenfels bezogen werden. Im Schuljahr 2011/12 setzte der Freistaat Sachsen erst- Die historischen Orte standen und stehen wegen ander- mals einen Gedenkstättenlehrer ein. In einem Pilotpro- weitiger Nutzung nicht für das DIZ Torgau zur Verfü- jekt mit dem DIZ Torgau wurden weitere Möglichkeiten gung. Der zuallererst in Frage kommende zentrale der Bildungsarbeit mit Schülern ausgelotet und erprobt. Haftort Fort Zinna dient auch weiterhin als Justizvoll- zugsanstalt. Dort konnte im Mai 2010 – nach fast acht- Die Gedenkstätte Geschlossener zehnjährigem Vorlauf – ein Gedenkort der Öffentlichkeit Jugendwerkhof Torgau übergeben werden, der auf einem Areal, aber in zwei voneinander getrennten Bereichen, an unterschiedliche Der historische Ort historische Ereignisse erinnert. Die beiden Gedenkberei- Der 1901 erbaute und später mehrfach veränderte Ge- che (für die Opfergruppen vor und nach 1945) sind je- bäudekomplex diente bis zu seiner Übernahme durch die weils durch Naturstein-Bodenbelag charakterisiert und Jugendhilfe der DDR als Gefängnis, der Verwaltungstrakt durch korrespondierende Gedenksteine und Informati- als Gerichtsgebäude. Die Jugendhilfe nutzte die Anlage onstafeln miteinander verbunden. Zugleich sind sie als einzigen Geschlossenen Jugendwerkhof der DDR, eine durch Farbigkeit des Steins, durch Textur und Geometri- Disziplinierungsanstalt, die direkt dem Ministerium für Gedenkstätten und Erinnerungsorte 117

Volksbildung (MfV) und damit Margot Honecker unter- erstmals ein Gericht feststellte, dass die Einweisung und stand. Während seines Bestehens vom 1. Mai 1964 bis Unterbringung im GJWH menschenunwürdig und zum 11. November 1989 wurden über 4 000 Jugendliche rechtsstaatswidrig war, setzte ein enormer Zulauf von im Alter zwischen 14 und 18 Jahren zur „Anbahnung ei- Betroffenen ein. Mit der Dauerausstellung und der neuen nes Umerziehungsprozesses“ eingewiesen, die in anderen Rehabilitierungssituation entstand ein stetig wachsender staatlichen Erziehungseinrichtungen negativ aufgefallen Bedarf an Bildungs-, Öffentlichkeits- und Zeitzeugenar- waren. Doch hatten sie weder Straftaten begangen, noch beit, der mit den vorhanden personellen und finanziellen gab es eine richterliche Anordnung für die Einweisung. Möglichkeiten nicht mehr zu leisten war. Auch das um- Disziplin und paramilitärischer Drill sollten eine Verän- fangreiche ehrenamtliche Engagement konnte in dieser derung ihres Verhaltens bewirken, vor allem sollten sie Lage nicht mehr abhelfen. die Bereitschaft, sich den „sozialistischen Lebensnor- Um die untragbare finanzielle Situation zu verändern men“ unterzuordnen, erhöhen. Äußerlich glich der Ge- und den Fortbestand der Gedenkstätte zu sichern, be- schlossene Jugendwerkhof Torgau mit seinen hohen gannen 2005 vor dem Hintergrund des oben genannten Mauern, den Wachtürmen, den Diensthunden und den Alleinstellungsmerkmals des GJWH die Bemühungen vergitterten Fenstern einem Gefängnis. des Vorstandes um eine anteilige Bundesförderung für 1996 verkaufte die Treuhand-Liegenschaftsverwaltung die Gedenkstätte. Diese stand im Jahr 2006 kurz vor ihrer die damals seit 1990 leer stehende Immobilie an einen Schließung. Sie konnte letztlich nur mit einer Soforthilfe privaten Investor. von BKM verhindert werden. In der Folge wurde ein wis- senschaftlicher Beirat für die Gedenkstätte installiert. Entstehung und Entwicklung Der Vorstand erarbeitete mit seiner Unterstützung in eh- Die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof (GJWH) renamtlicher Tätigkeit eine neue Konzeption für die Ge- Torgau ist bundesweit der einzige Erinnerungsort, der denkstätte, um ein letztes Kriterium für eine Bundesför- sich mit den repressiven Machtstrukturen des Bildungs- derung zu erfüllen. und Erziehungssystems der SED-Diktatur auseinander- Bei seinem Besuch im September 2008 sagte der Beauf- setzt und an das Schicksal zehntausender Opfer, denen in tragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, ihrer Kindheit und Jugend das Recht auf Freiheit und Staatsminister Bernd Neumann, eine weitere Bundesför- Menschenwürde genommen wurde, erinnert. derung zu. In den Jahren 2010 bis 2011 erhielt die Ge- denkstätte von BKM eine Projektförderung für den Auf- Mit der Ausschreibung und dem Verkauf der Liegen- und Ausbau des Gedenkstättenarchivs. schaft gründete sich im November 1996 die Initiativ- gruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e. V. mit Für das innovative Konzept der Dauerausstellung (siehe dem Ziel, am authentischen Ort die Geschichte des Ge- unten) wurde die Gedenkstätte als einziges deutsches schlossenen Jugendwerkhofs aufzuarbeiten und zu do- Projekt im Dezember 2009 mit dem „Golden Stars kumentieren. Die Gruppe begann, einen Landtagsbe- Awards of Active European Citizenship“ in der Kategorie schluss zur Schaffung einer Gedenkstätte konkret „Aktive europäische Erinnerung“ ausgezeichnet. Das umzusetzen. In der Folgezeit wurden Objekte und Ge- Bündnis für Demokratie und Toleranz würdigte die Ar- genstände des GJWH sowie das Verwaltungsgebäude für beit der Initiativgruppe GJWH Torgau für das Projekt der die Gedenkstätte gesichert und eine erste Konzeption Gedenkstätte mit dem Bundespreis „Aktiv für Demokra- zum Betrieb der Gedenkstätte entwickelt. Nach Ab- tie und Toleranz 2010“ als herausragendes Projekt in schluss der Sanierungsarbeiten konnte im Frühjahr 1998 Sachsen. mit Hilfe einer Anschubfinanzierung des Sächsischen Seit dem Bekanntwerden sexualisierter Gewalt in kirch- Staatsministeriums für Soziales im ehemaligen Verwal- lichen Heimen Anfang 2010 haben sich bis zum Jahres- tungsgebäude die Gedenkstätte Geschlossener Jugend- ende über 100 Missbrauchsopfer der DDR-Heime in der werkhof Torgau in Trägerschaft der Initiativgruppe er- Gedenkstätte gemeldet. Erstmals wurde dieser Aspekt öffnet werden. Damit wurde ein wichtiger authentischer durch Betroffene öffentlich gemacht, deren Betreuung Ort der repressiven DDR-Geschichte vor dem Vergessen wiederum ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis er- bewahrt. folgte. Intensive Bemühungen der Initiativgruppe GJWH Die Finanzierung basierte zunächst auf einer Projektför- führten zu einer Einbeziehung dieser Opfergruppe in die derung über den Kulturraum Leipziger Raum, die Stadt Arbeit des Runden Tisches zur Aufarbeitung sexuellen Torgau und den Landkreis Torgau-Oschatz, seit 2003 Kindesmissbrauchs in familiären und institutionellen dann über die Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Einrichtungen.

Mit dem entscheidenden Grundsatzurteil vom Dezember Die Bundesministerinnen Sabine Leutheusser- 2004 zur Rehabilitierung der Opfer des GJWH, in dem Schnarrenberger und Dr. Kristina Schröder als Vorsit- 118 Gedenkstätten und Erinnerungsorte zende des Runden Tisches haben sich im November 2010 Sammlung in der Gedenkstätte über das DDR-Erziehungssystem in- 67 originale Gegenstände des GJWH konnten nach seiner formiert und sind mit Missbrauchsopfern persönlich ins Schließung gesichert werden. Dazu gehören beispiels- Gespräch gekommen. Gleichzeitig wurde auf die Not- weise Arrestzellenpritschen mit Inschriften der Jugendli- wendigkeit und Dringlichkeit einer gesicherten Bera- chen und Alltagsgegenstände (z. B. Schlüssel und Ge- tungs- und Anlaufstelle für Betroffene aus DDR-Heimen schirr). Hinzu kommen originale Gegenstände (Dach­ und die wissenschaftliche Aufarbeitung sexualisierter rinne mit Stacheldraht umwickelt, Fenstergitter, Arrest- Gewalt in DDR-Heimen hingewiesen. Als erste Hilfemaß- zellentür, Suchscheinwerfer, Fluchtabweiser an Dach­ nahme für Missbrauchsopfer wurde im Jahr 2011 durch rinnen usw.), welche die Sicherheitsmaßnahmen des die Initiativgruppe GJWH eine Selbsthilfegruppe in der GJWH dokumentieren. Gedenkstätte gegründet. Ebenso wird die Einrichtung ei- ner dauerhaften gesicherten Beratungs- und Anlaufstelle Im Bestand des Archivs befinden sich insgesamt Kopien für die Opfer der DDR-Heimerziehung derzeit verfolgt. von 160 Akten (ca. 15 000 Blatt) aus dem Bundesarchiv Berlin und von 86 Akten (ca. 4 000 Blatt) des BStU. Hinzu Der Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Tor- kommen umfangreiche Bestände aus dem Sächsischen gau, Trägerverein der Gedenkstätte, gehören 83 Vereins- Staatsarchiv Leipzig, Hauptstaatsarchiv Dresden und di- mitglieder an. Neben dem Vorstand ist der Opferbeirat versen Landesarchiven. In den Beständen befinden sich gewähltes Vereinsorgan mit beratender Tätigkeit. Er ga- beispielsweise Überprüfungsberichte des GJWH Torgau rantiert eine direkte Mitarbeit und Einbeziehung der Be- und anderer Spezialheime durch das MfV, Dienstbücher, troffenen in die Vereinsarbeit. Die Zeitzeugen überneh- Entweichungen (Maßnahmen gegen Fluchtversuche), men eine wichtige Rolle beim Erhalt, Fortbestand und Meldungen zu besonderen Vorkommnissen an das MfV der Arbeit der Gedenkstätte. Der wissenschaftliche Bei- (Suizide, Fluchtversuche), Arbeitsordnung, Dienstanwei- rat begleitet die wissenschaftliche Arbeit an den Projek- sungen, Führungsberichte, Belegungsbücher (1964 bis ten der Gedenkstätte und unterstützt gleichzeitig die Be- 1989). Im Personenarchiv befinden sich derzeit 470 Per- mühungen für ihre finanzielle Grundsicherung. sonendossiers. Sie enthalten persönliche Dokumente, Korrespondenzen, Unterlagen, Fotos, Interviews und die Ausstellung Sonderakten. Die Sonderakten der ehemaligen Insassen Die erste Dauerausstellung unter dem Titel „Auf Biegen sind ein besonders wertvoller Aktenbestand. Sie wurden und Brechen. Der GJWH Torgau 1964-1989“ konnte mit in Torgau angelegt und umfassen Einweisungsantrag Hilfe der Bundesstiftung Aufarbeitung und der Stiftung und -genehmigung, bisherige persönliche Entwicklung Sparkasse Leipzig im April 2003 eröffnet werden. Im Jahr des Jugendlichen und seine familiäre Situation. Die ge- 2007 hat die Gedenkstätte eine Bundesförderung zur samte Zeit in Torgau ist dokumentiert durch Einschät- Ausstellungserweiterung durch BKM erhalten. Diese zungen, Aufzeichnungen und Beurteilungen des Jugend- setzte sich bis 2009 fort und diente ebenso wie die Förde- lichen durch den Erzieher. rung durch die Europäische Union der Erarbeitung, Pro- Das Fotoarchiv umfasst originale Aufnahmen seit den duktion und Installation einer neuen Dauerausstellung 1960er Jahren und dokumentiert den Zustand des Areals auf einer Fläche von ca. 170 qm. Sie dokumentiert die re- vor dem Umbau 1996. Archiviert sind außerdem alle Do- pressiven Machtstrukturen des DDR-Erziehungssystems, kumentationen und Beiträge zum GJWH Torgau seit erinnert an die jugendlichen Opfer und thematisiert ak- 1992, die in den Medien (Presse, Funk und Fernsehen) tuelle Aufarbeitungsprozesse zur Geschichte der Heim- ausgestrahlt wurden erziehung in der frühen Bundesrepublik und Europa. Mit der Übernahme des Originalbestandes des Heimar- Seit Herbst 2011 sind für Besucher auch der Dunkelzel- chivs des ehemaligen Spezialkinderheims und ehemali- lentrakt und der Außenbereich zugänglich. Der Dunkel- gen Jugendwerkhofs „Ernst Schneller“ in Eilenburg wur- zellentrakt umfasst nach Sicherung und Sanierung den de eine zeitgeschichtlich wichtige Sammlung in das letzten authentischen Ort des GJWH mit drei Dunkelar- Archiv der Gedenkstätte GJWH Torgau eingebracht. restzellen und dem besonders engen sogenannten „Fuchsbau“, der im Originalzustand erhalten geblieben Zeitzeugenarbeit ist. Der ehemalige Hofbereich des GJWH wird durch Er- innerungs- und Fotostelen wieder sichtbar gemacht. Der Der Aufbau eines Zeitzeugenbüros in der Gedenkstätte historische Ort soll durch die Gestaltung des öffentli- erfolgt mit der Unterstützung der Bundesstiftung Aufar- chen Raums eine dauerhafte Wahrnehmung und Erin- beitung. Für Opfer, Betroffene und Angehörige bedeutete nerung erfahren. Für Besucher der Gedenkstätte wird die Errichtung der Gedenkstätte am authentischen Ort der Weg von der Ausstellung zum Dunkelzellentrakt his- ein Zeichen der Anerkennung und zumindest der mora- torisch nachvollziehbar. lischen Rehabilitierung. Das Zeugnis der ehemaligen In- Gedenkstätten und Erinnerungsorte 119 sassen in Form von Interviews oder Lebensberichten bil- Die Gedenkstätte Buchenwald − Sowjetisches det einen wesentlichen Bestandteil der historisch- Speziallager Nr. 2, Weimar politischen Bildungsarbeit und des Gedenkstätten­ Der historische Ort archivs. Erfahrungen mit Betroffenen haben gezeigt, dass einzig die Gedenkstätte als Anlauf- und Beratungs- Das Konzentrationslager Buchenwald wurde 1937 von stelle von ihnen in Anspruch genommen wird. Teilweise der SS in der Nähe von Weimar eingerichtet. Bis 1945 sprechen die Opfer und deren Angehörige hier erstmals waren etwa 250 000 Menschen in dem Lager inhaftiert. über ihre Erlebnisse im Geschlossenen Jugendwerkhof Zwischen 1941 und 1943 war Buchenwald zeitweilig Torgau. Schauplatz von systematischen Massenmorden. Gleich- zeitig wurden die Häftlinge rücksichtslos in der Rüs- Seit 2003 findet ein jährliches Treffen ehemaliger DDR- tungsindustrie ausgebeutet. Am 11. April 1945 befreiten Heimkinder statt. Dabei können sich die Betroffenen US-amerikanische Einheiten das KZ, das zum Teil kurz über den Stand der Aufarbeitung des DDR-Erziehungs- zuvor von der SS evakuiert worden war. Im Juli 1945 systems (Vortrag, Lesung, Wanderausstellungen) infor- wurde das Lager an sowjetische Truppen übergeben. mieren und miteinander ins Gespräch kommen. Das Treffen im Herbst gehört zu den Höhepunkten in der Ar- Im August 1945 funktionierte die sowjetische Besat- beit der Gedenkstätte mit inzwischen durchschnittlich zungsmacht das Hauptlager des ehemaligen nationalso- über 100 Teilnehmern. zialistischen KZ Buchenwald in eines ihrer „Speziallager“ um. Von den 28 000 Insassen kamen über 7 000 um, ins- Bildungsarbeit besondere im Winter 1946/47. Im Februar 1950, kurz nach der Gründung der DDR, wurde das Lager von den Ein mobiles Bildungskonzept mit dem Titel „Historisches Sowjets aufgelöst. Lernen als Dimension politischer Bildung“ (2005) bietet die Möglichkeit, Schüler und Lehrer mit der Geschichte Bei den Massengräbern des KZ am Südhang des Etters- des GJWH Torgau vertraut zu machen. Gerade Schulen bergs errichtete die DDR 1958 ein weithin sichtbares KZ- haben oft durch die räumliche Entfernung sowohl orga- Mahnmal. Seine Monumentalität sollte zwar auch das nisatorische als auch finanzielle Schwierigkeiten, die Ge- Ausmaß der Buchenwalder Verbrechen widerspiegeln, denkstätte zu besuchen. Das mobile Bildungskonzept, doch der DDR diente es vorrangig als Nationaldenkmal. bestehend aus einer kleinen transportablen Ausstellung Im Zentrum standen die deutschen kommunistischen und verschiedenen Arbeitsmappen, kann deshalb außer- Widerstandskämpfer. Mit ihrer Geschichte sollte der halb der Gedenkstätte zum Einsatz kommen. Im Mittel- Führungsanspruch der SED in der DDR legitimiert wer- punkt des pädagogisch-wissenschaftsorientierten Kon- den. Die „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchen- zepts steht dabei das forschende Lernen. Gesellschaft­ wald“ wurde mit Ausstellungen, Archiv und Bibliothek liche und politische Vorgänge der DDR-Geschichte am zur größten deutschen KZ-Gedenkstätte ausgebaut. Beispiel des GJWH Torgau sollen durch die Schüler selbstständig erarbeitet und präsentiert werden. Entstehung und Entwicklung

Der interaktive Lernort bietet insbesondere Schülern, Nach der Wiedervereinigung erarbeitete eine vom Wis- Studenten, Lehrern, Sozialpädagogen sowie sonstigen senschaftsminister des Landes Thüringen berufene His- Multiplikatoren die Möglichkeit einer selbstständigen torikerkommission eine neue Konzeption für die Ge- vertiefenden Auseinandersetzung mit exemplarischen denkstätte Buchenwald, die im September 1991 vorgelegt Einzelschicksalen, verschiedenen Themenschwerpunk- wurde. Neben der völligen Neugestaltung der Daueraus- ten insbesondere zum DDR-Erziehungssystem, der stellung aus der Zeit der DDR erweiterte sie die Gedenk- Heimerziehung in der frühen Bundesrepublik, Schwar- stätte um die Erinnerung an das Sowjetische Speziallager zer Pädagogik allgemein und europäischen Einzelbei- Nr. 2. Der Schwerpunkt der Erinnerungsarbeit verblieb spielen. Der interaktive Lernort innerhalb der Ausstel- aber auf dem Konzentrationslager. lung ermöglicht dem Besucher, selbst aktiv zu werden. Er Mit Wirkung zum 1. Januar 2003 beschloss der Thüringer kann sich hier intensiv mit exemplarischen Einzel- Landtag die Errichtung der „Stiftung Gedenkstätten Bu- schicksalen ehemaliger GJWH-Insassen und Heimkinder chenwald und Mittelbau-Dora“, deren Zweck es ist, „die an Medienstationen auseinandersetzen. Geschichtliche Gedenkstätten als Orte der Trauer und der Erinnerung Zusammenhänge und Hintergründe werden über bio- an die dort begangenen Verbrechen zu bewahren, wis- grafische Zugänge erleb- und nachvollziehbar. senschaftlich begründet zu gestalten und sie in geeigne- ter Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so- wie die Erforschung und Vermittlung damit verbun­ dener historischer Vorgänge zu fördern. Dabei ist in der Gedenkstätte Buchenwald die Geschichte des national- 120 Gedenkstätten und Erinnerungsorte sozialistischen Konzentrationslagers mit Vorrang zu be- arbeitung der Lagergeschichte in der Gedenkstätte Bu- handeln. Die Geschichte des sowjetischen Internierungs- chenwald vor 20 Jahren gemeinsam mit Partnern ein lagers ist in angemessener Form in die wissenschaftliche umfangreiches Programm realisiert. und museale Arbeit einzubeziehen“. Finanziert wird die Stiftung durch das Land Thüringen und den Bund zu Forschung gleichen Teilen. Parallel zur Arbeit mit den ehemaligen Internierten und Die Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 stellt ihren Angehörigen trieb die Stiftung seit Anfang der für die historisch-politische Bildungsarbeit eine beson- neunziger Jahre die wissenschaftliche Erforschung der dere Herausforderung dar. Aus seiner Zeit sind nur weni- Geschichte des sowjetischen Speziallagers Buchenwald ge Überreste erhalten; es existiert so gut wie keine foto- entscheidend voran. Ziel war es zunächst, belastbare wis- grafische Überlieferung. Zugleich ist die Bedeutung des senschaftliche Erkenntnisse über die Geschichte des La- Speziallagers nicht zu ermessen, wenn das komplexe gers, die Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft Spannungsfeld zwischen vorausgegangenen nationalso- usw. zu gewinnen und seinen historischen Ort im Kon- zialistischen Verbrechen und der mit der Auflösung der text alliierter Entnazifizierungsmaßnahmen am Ende Lager verknüpften Gründung der DDR nicht wahrge- des Zweiten Weltkrieges, sowjetischer Besatzung in nommen wird. Deutschland und Gründung der DDR sowie des Stalinis- mus in der Sowjetunion zu bestimmen. Hierzu wurden Im SED-Staat wurde die Geschichte des sowjetischen Forschungsprojekte insbesondere in Kooperation mit Speziallagers Buchenwald und damit das Schicksal der dem Staatsarchiv der Russischen Föderation, der Fried- dort Gefangenen tabuisiert. Auch in der Bundesrepublik rich-Schiller-Universität Jena, anderen deutschen Ge- geriet sie spätestens in den sechziger Jahren an den Rand denkstätten und weiteren Partnern realisiert. Die Stif- der öffentlichen Wahrnehmung. In der akademischen tung konnte dadurch einen substanziellen Beitrag zur Forschung spielte die Lagergeschichte bis Ende der acht- wissenschaftlichen Erforschung des Lagers in Buchen- ziger Jahre keine Rolle. In die Wahrnehmung der Öffent- wald und darüber hinaus des Systems der sowjetischen lichkeit rückte dieses Thema erst wieder infolge der Wie- Speziallager insgesamt leisten. Im Zuge dessen bemühte derentdeckung der Gräber des Lagers Ende 1989. sich die Gedenkstätte auch um Sachzeugnisse aus der Seit diesem Zeitpunkt engagiert sich die Gedenkstätte in Zeit des Speziallagers. Viele der heute vorhandenen Rea- einer vertrauensvollen Verbindung mit den ehemaligen lien wurden von ehemaligen Insassen übergeben. Hinzu Insassen des Speziallagers und ihren Angehörigen für ein kommen umfangreiche Bestände in der Bibliothek der würdiges Gedenken an die Opfer. Als unmittelbare Re- Gedenkstätte zu den Themen Speziallager und Stalinis- aktion auf die Entdeckung der Massengräber stellte die mus. Des Weiteren liegen inzwischen von der Gedenk- Gedenkstätte Anfang 1990 ein Holzkreuz auf. Angehöri- stätte erarbeitete und herausgegebene Veröffentlichun- ge erhielten die Möglichkeit, an einem Erinnerungsort gen, pädagogische Materialien und Filme vor. individuelle Gedenkzeichen zu errichten. Bis Mitte der neunziger Jahre wurden die Grabfelder zu Waldfriedhö- Ausstellung fen umgestaltet, die anonymen Massengräber durch Stahlstelen gekennzeichnet. Es wurde ein Trauerplatz Auf Grundlage der gewonnenen Forschungsergebnisse eingerichtet, an dem regelmäßig öffentliche Gedenkver- erfolgt heute die öffentliche Vermittlung der Geschichte anstaltungen stattfinden. Darüber hinaus erteilte und des sowjetischen Speziallagers durch die Gedenkstätte – erteilt die Gedenkstätte Auskünfte über ehemalige Spe- in ihrer ganzen Komplexität und mit allen Ambivalen- ziallagerinsassen zur Schicksalsklärung, soweit dies auf zen und Brüchen. Ein entscheidender Schritt war die Er- Basis der Aktenlage möglich ist. öffnung der ständigen historischen Ausstellung „Sowjetisches Speziallager Nr. 2 1945 bis 1950“ im Mai Nach über 20 Jahren der regelmäßigen Zusammenarbeit 1997. In einem nahe einem Grabfeld des Speziallagers ei- besteht ein sehr enges Verhältnis zu den ehemaligen In- gens neu errichteten Museumsgebäude untergebracht, sassen und ihren Angehörigen. Die „Arbeitsgemeinschaft war sie die erste umfassende Ausstellung zu einem sow- Geschichte des Speziallagers“, in der ehemalige Insassen jetischen Speziallager in Deutschland überhaupt. und Historiker der Stiftung gemeinsam arbeiten, tritt re- gelmäßig zusammen. Auch werden jährlich stattfinden- Gleichermaßen die erste Ausstellung ihrer Art in de öffentliche Gedenkveranstaltungen gemeinsam orga- Deutschland war die im Oktober 1999 im Bereich des Bu- nisiert, die zu besonderen Jubiläen einen größeren chenwald-Mahnmals von 1958 eingeweihte Ausstellung Umfang annehmen. So wurde beispielsweise 2010 aus „Die Geschichte der Gedenkstätte Buchenwald“ zu Ent- Anlass der Einrichtung des Speziallagers Buchenwald vor stehung und Programm der Nationalen Mahn- und Ge- 65 Jahren im August 1945, des 60. Jahrestages seiner Auf- denkstätte der DDR. Sie thematisiert insbesondere den lösung im Januar/Februar 1950 und des Beginns der Auf- kommunistischen Buchenwald-Mythos, durch den bis Gedenkstätten und Erinnerungsorte 121

Ende der achtziger Jahre nicht zuletzt auch die Geschich- sche Arbeit einbezogen. Besucher können sich in einem te des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 ausgeblendet blieb. durch Lagepläne, Hinweis- und Informationstafeln so- wie mittels eines Multimediaguides erschlossenen Ge- Aufgrund ihrer museologischen Kompetenz, die auch in- lände orientieren. Die Palette der pädagogischen Ange- ternational wahrgenommen wurde, ist die Stiftung bote reicht von der standardmäßigen Thematisierung durch die Gesellschaft „Memorial“ Moskau gebeten wor- des Speziallagers in Überblicksführungen bis hin zu spe- den, eine Ausstellung zu erarbeiten, in der erstmals die ziellen ein- und mehrtägigen Programmangeboten auf umfangreiche Sammlung von „Memorial“ – und damit Basis eigens dafür erarbeiteter pädagogischer Materiali- auch das Thema „Gulag“ überhaupt – in Deutschland en unter Einbeziehung von Gelände, Ausstellungen, präsentiert wird. Die u. a. von der Kulturstiftung des ­Zeitzeugeninterviews, Archiv, Sammlung und Biblio- Bundes geförderte, als Wanderausstellung konzipierte thek. Zudem organisiert die Gedenkstätte regelmäßig Exposition „Gulag. Spuren und Zeugnisse 1929 bis 1956“ mit dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehr- wurde vom 29. April bis zum 24. Juni 2012 in Schloss planentwicklung und Medien gemeinsam Lehrerfortbil- Neuhardenberg erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. dungen zum Thema Speziallager. Während der Präsenta- Bereits an dieser ersten Station stieß die Ausstellung auf tion der Wanderausstellung „Gulag. Spuren und Zeug­ ein äußerst breites, positives Interesse in der deutschen nisse 1929 bis 1956“ in Weimar fanden zudem mehrere Öffentlichkeit und darüber hinaus. Vom 19. August bis spezielle Fortbildungen für Referendare, Lehrer und zum 21. Oktober 2012 war die Ausstellung im Schiller- Multiplikatoren statt. Museum der Klassik Stiftung Weimar zu sehen. Die sich dem historisch Interessierten heute bietenden umfangreichen Möglichkeiten, sich in der Gedenkstätte Bildungsarbeit Buchenwald über das sowjetische Speziallager Nr. 2 zu Heute ist das Thema Speziallager auch über die Ausstel- informieren, werden vielfältig von Einzelbesuchern und lungen hinaus umfassend in die gedenkstättenpädagogi- Gruppen wahrgenommen. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Kulturstaatsminister Bernd Neumann und der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Hans Walter Hütter, bei der Eröffnung der Ausstellung „GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung“ im „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße (Berlin, September 2011). 11 Museen Museen 123

Die Stiftung Haus der Geschichte der –– Auf dem Weg zum SED-Staat: Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland DDR, Stalin-Kult, Ausbau der SED-Diktatur Die Arbeit der Stiftung Haus der Geschichte der Bundes- –– Deutsche Frage republik Deutschland ist der Geschichte Deutschlands –– 17. Juni 1953 nach 1945 in ihren internationalen Beziehungen gewid- –– Anbindung der DDR an den Osten: Warschauer Pakt, met. Ihre Dauerausstellungen in Bonn (Haus der Ge- Nationale Volksarmee schichte), in Leipzig (Zeitgeschichtliches Forum) und in –– Kultur, Medien, Sport Berlin („Tränenpalast“) beruhen auf dem jeweils aktuel- len Stand der Forschung. Die Politikgeschichte bildet den –– Wirtschaft „roten Faden“. Grundlegend ist die chronologische Abfol- –– Kalter Krieg ge, wobei thematische Schwerpunkte wie auch Rück- –– Innere Entwicklung in der DDR: Industrieprogram- und Ausblicke herausgearbeitet werden. Neben politi- me der SED, politische Repression, Alltag DDR schen Ereignissen werden wirtschafts-, sozial-, alltags- –– Vertiefung der Teilung: Flucht und Mauerbau und kulturgeschichtliche Aspekte berücksichtigt. Inter- –– Machtwechsel in Ost-Berlin: Von Ulbricht zu nationalen Verflechtungen wird ebenso Rechnung Honecker getragen wie den deutsch-deutschen Beziehungen. Die Einbindung der DDR in den Herrschaftsbereich der Sow- –– Deutsch-deutsche Beziehungen jetunion wird an allen Ausstellungsorten thematisiert. –– DDR-Innenpolitik: Reformdruck, Opposition Für die Darstellung der historischen Sachverhalte wird –– Friedliche Revolution, Fall der Mauer jeweils nach aussagestarken dreidimensionalen Objekten –– Wiedervereinigungsprozess gesucht, die in einer „Geschichtslandschaft“ kontextuali- siert präsentiert werden. Der multiperspektivischen Dar- –– Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland stellung wird ebenso große Bedeutung eingeräumt wie den biografischen Perspektiven, die in besonderer Weise Die Dauerausstellung in Leipzig die Auswirkungen der politischen Entscheidungen auf Die Dauerausstellung in Leipzig wurde im Jahr 1999 er- die Alltagswirklichkeit der Menschen verdeutlichen. öffnet, ihre Überarbeitung 2007 der Öffentlichkeit prä- sentiert. Diese Ausstellung zeigt die Geschichte von Dik- Die Dauerausstellung in Bonn tatur, Widerstand und Opposition in SBZ und DDR vor dem Hintergrund der deutschen Teilung, eingebettet in Die Dauerausstellung in Bonn präsentiert die Geschichte die alltägliche Lebenswelt. Widerständler und Oppositio- der ersten erfolgreichen deutschen Demokratie in all ih- nelle werden nicht als Opfer, sondern als selbstbewusst ren Facetten sowie die des geteilten und wiedervereinten handelnde Akteure, die sich gegen die totalitäre Staats- Deutschlands. So tritt die DDR deutlich ins Bild und macht auflehnten, gezeigt. Ein weiteres wichtiges Thema wird, bezogen auf die Zeit der deutschen Teilung, auf ca. ist die deutsche Wiedervereinigung, besonders die Dar- 40 Prozent der Ausstellungsfläche gezeigt. Grundsätzlich stellung des inneren Vereinigungsprozesses. Die Ausstel- ist es ein Ziel der Stiftung, ihre Dauerausstellung in re- lung richtet sich grundsätzlich gegen alle Tendenzen zur gelmäßigen Zeitabständen zu überarbeiten. Nach der Er- Verharmlosung und Rechtfertigung der Herrschaft der öffnung in Bonn 1994 folgten Überarbeitungen in den SED, deren Machtausübung zwischen Verführung und Jahren 2001 und 2011. Insgesamt wurde die Entwicklung Gewalt, Zustimmung und Unterdrückung gezeigt wird. in der DDR zunehmend stärker konturiert und der Ge- gensatz zur Bundesrepublik deutlicher herausgestellt. Die Besuchszahl in der Dauerausstellung des Zeitge- Politische Verfolgung, der Widerstand gegen die SED- schichtlichen Forums beträgt seit 1999 über eine Million. Diktatur und deren Ende in einer friedlichen Revolution Die Schwerpunkte der Ausstellungen sind: rücken deutlich ins Bild. Das gilt auch für den Alltag un- 11 Museen ter der Diktatur sowie für Erfolge und Defizite des deut- –– Deutschland bei Kriegsende schen Einigungsprozesses. –– „Antifaschistisch-demokratische“ Umwälzung in der SBZ In der Dauerausstellung des Hauses der Geschichte konnten bisher mehr als zehn Mio. Besuche gezählt wer- –– Nachkriegsentwicklung im Zeichen des Kalten Krie- den. Die Besucher können sich an folgenden museal ge- ges stalteten Schwerpunkten mit der Geschichte der DDR –– Gründung der DDR auseinandersetzen: –– Herrschaftssicherung durch die SED –– Entstehung der Sowjetischen Besatzungszone –– Fluchtbewegung und Mauerbau –– Berlin-Krise, Währungsreform –– Deutsch-deutsche Beziehungen im internationalen Kontext 124 Museen

–– Enttäuschte Reformhoffnungen in den 1960er und Das Internetportal „Orte der Repression 1970er Jahren in SBZ und DDR“ –– Alltag im „real existierenden Sozialismus“ Initiiert und finanziert von BKM hat die Stiftung Haus –– Kunst und Jugendkultur in der DDR der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Zu- sammenarbeit mit einer Vielzahl von Gedenkstätten ein –– Militarisierung der DDR und Ausreisebewegung in Internetportal (www.orte-der-repression.de) aufgebaut, den 1980er Jahren in dem 46 Orte der Repression in SBZ und DDR themati- –– Opposition und Bürgerbewegung siert werden. Dargestellt sind u. a. Einrichtungen der –– Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit sowjetischen Besatzungsmacht, die sowjetischen Spezi- –– Friedliche Revolution, Mauerfall und Deutsche Ein- allager, Standorte des Ministeriums für Staatssicherheit, heit Untersuchungshaftanstalten, Strafvollzugsanstalten, Hinrichtungsstätten sowie Grenzorte. Ziel des Portals ist –– Erfolge und Probleme auf dem Weg in die Gegenwart. es, Basisinformationen über die Geschichte der Repressi- onsorte zu vermitteln. Zudem bietet das Portal wichtige Der „Tränenpalast“, Berlin Hinweise für Besucher der einzelnen Orte und eine Ver- Der „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße in Ber- linkung zu den Homepages der Gedenkstätten. Ergänzt lin war die Abfertigungshalle für die Ausreise von Ost werden diese Inhalte um vertiefende Erläuterungen so- nach West. Hier erlebten die Menschen unmittelbar, wie wie weiterführende Literaturangaben zum Repressions- stark sich die deutsche Teilung auf ihr persönliches Le- system in SBZ und DDR. Gängige Serviceleistungen wie ben auswirkte. Auf der Grundlage der fortgeschriebenen Such-, Druck- und Weiterempfehlungsfunktion sind Gedenkstättenkonzeption der Bundesregierung vom selbstverständlicher Bestandteil des Portals. Das Inter- Juni 2008 hat die Stiftung Haus der Geschichte der Bun- netportal „Orte der Repression in SBZ und DDR“ wurde desrepublik Deutschland hier eine Dauerausstellung er- am 15. November 2011 im Zeitgeschichtlichen Forum arbeitet, die den Auswirkungen von Teilung und Grenze Leipzig der Stiftung Haus der Geschichte der Öffentlich- im Alltag der Deutschen mit prägnanten, vor allem auch keit vorgestellt und freigeschaltet. Anlässlich dieser Ver- biografischen Beispielen nachgeht und dabei unter Nut- anstaltung berichtete Freya Klier, Autorin und Doku- zung von Originaleinrichtungsgegenständen und Zeit- mentarfilmerin, unter dem Titel „Es wurde ständig zeugeninterviews der besonderen Bedeutung der Grenz- jemand weggesperrt … Anmerkungen einer DDR-Bürger- übergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße Rechnung rechtlerin“ über ihre Erfahrungen mit den Orten der Re- pression in der DDR. trägt. Zudem werden die wichtigsten Stationen des Verei- nigungsprozesses vergegenwärtigt. Die Dauerausstellung Für das Internetportal „Orte der Repression“ erhielt das unter dem Titel „GrenzErfahrungen. Alltag der deut- Haus der Geschichte einen „Master of Excellence“ sowie schen Teilung“ wurde von Bundeskanzlerin Angela den Sonderpreis „Bestes Gesamtkonzept“ im Rahmen des Merkel am 14. September 2011 eröffnet. internationalen Wettbewerbs „Corporate Media 2011 – The European Masterclass“. Die geplante Dauerausstellung in der Kulturbrauerei, Berlin Wechselausstellungen In Umsetzung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes Die zeithistorischen Wechselausstellungen der Stiftung erarbeitet die Stiftung Haus der Geschichte der Bundes- Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland republik Deutschland in der Kulturbrauerei am Prenz- widmen sich sowohl der Geschichte der Bundesrepublik lauer Berg eine Dauerausstellung zur Geschichte des All- als auch der DDR sowie ihren Wechselbeziehungen, wo- tags in der SED-Diktatur. bei die Periode nach der Wiedervereinigung von 1990 zunehmend an Bedeutung gewinnt. Ihre Grundlage sind Grundlage der künftigen Dauerausstellung sind die um- die umfangreichen Sammlungsbestände der Stiftung in fangreichen Sammlungsbestände der Stiftung in Bonn Bonn, Leipzig und Berlin. Die enge Zusammenarbeit al- und Leipzig sowie in besonderer Weise die Sammlung ler Stiftungsstandorte ist bei der Erarbeitung der Aus- Industrielle Gestaltung in Berlin. Sie gehört seit 2005 zur stellungen ebenso von besonderer Bedeutung wie bei ih- Stiftung Haus der Geschichte, die seit ihrer Übernahme rer wechselseitigen Präsentation an den einzelnen umfangreiche Maßnahmen zur konservatorischen Si- Standorten. Dazu kommen Ausstellungen in den Foyers, cherung und zum Erhalt der Sammlung durchgeführt in der Bonner U-Bahn-Galerie sowie Wanderausstellun- hat. Die neue Dauerausstellung soll nach Umbau der gen, die in ganz Deutschland und im Ausland (bisher: Räumlichkeiten in der Kulturbrauerei im Jahr 2013 er- Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, öffnet werden. Israel, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Museen 125

Luxemburg, Marokko, Niederlande, Österreich, Polen, –– „Deutschland im Kalten Krieg. 1945 bis 1963“ Russland, Schweiz, Spanien, USA) gezeigt werden. Er- (1992/93) gänzt und vertieft werden die Ausstellungen durch Ver- –– „Lebensstationen in Deutschland 1900 bis 1993“ anstaltungen, Publikationen sowie umfassende muse- (1993) umspädagogische Angebote. –– „Auftrag: Kunst. Bildende Künstler in der DDR zwi- Informationszentren in Bonn und Leipzig bieten als Bib- schen Ästhetik und Politik 1949 bis 1990“ (1995) liothek und Mediathek zur deutschen Zeitgeschichte –– „Parteiauftrag: Ein neues Deutschland“ (1996/97) weitere Einblicke. –– „Aufbau West − Aufbau Ost. Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit“ (1997) Die Stiftung Deutsches Historisches Museum –– „Bohème und Diktatur in der DDR“ (1997/98) –– „Einigkeit und Recht und Freiheit – Wege der Deut- Das Deutsche Historische Museum (DHM) wurde im Ok- schen 1949 bis 1999“. Eine Gemeinschaftsausstellung tober 1987 gegründet. In seinem Gründungsprogramm des DHM mit der Stiftung Haus der Geschichte, Bonn verpflichtete sich das Museum, der „Aufklärung und Ver- und der Kunsthalle Bonn im Martin-Gropius-Bau, ständigung über die gemeinsame Geschichte von Deut- Berlin (1999) schen und Europäern“ zu dienen. Am 31. Dezember 1998 wurde das Zeughaus für eine Mit dem Tag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 Grundsanierung geschlossen. Bis März 2003 zeigte das wurden dem DHM die Sammlungen und Gebäude des im Deutsche Historische Museum wechselnde Ausstellun- September des gleichen Jahres von der letzten DDR-Re- gen im gegenüberliegenden . Die gierung geschlossenen Museums für Deutsche Geschich- deutsch-deutsche Lebenswelt wurde in dieser Zeit the- te der DDR übertragen. Das DHM erhielt damit seinen matisiert in der Ausstellung „Unsere Jahre. Bilder aus Sitz in dem 1695 errichteten Zeughaus . Deutschland 1968 bis 1998“ (1999). Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der SBZ und Seit Mai 2003 können die wechselnden Ausstellungspro- der DDR als einem Teil der deutschen Geschichte wurde jekte des Deutschen Historischen Museums in der neuen zu einer gewichtigen Aufgabe des Museums – in seiner von I. M. Pei entworfenen Ausstellungshalle präsentiert Ständigen Ausstellung zur deutschen Geschichte im eu- werden. Nahezu in jedem Jahr fand eine große oder eine ropäischen Kontext und ebenso in seinem Programm kleinere Ausstellung statt, die sich mit Aspekten der wechselnder Ausstellungsprojekte. In den Ausstellungen deutsch-deutschen bzw. der DDR-Geschichte auseinan- und Veranstaltungen präsentierte das DHM seitdem dersetzte. Als Beispiele seien genannt: zahlreiche Aspekte des Lebens in dem zweiten deutschen Staat und die Auswirkungen der SED-Diktatur. Nach –– „Parteidiktatur und Alltag in der DDR“ (2007) dem Fall der Mauer wurden durch das DHM im Auftrag –– „Das Jahr 1989. Bilder einer Zeitenwende“ (2009) der Treuhand große Objektbestände von DDR-Massenor- ganisationen und Institutionen gesichert, die heute –– „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945 wertvoller Bestandteil der Sammlungen sind. bis 1989“ (2009/10)

Anlässlich des 20. Jahrestages der deutschen Wiederver- Sonderausstellungen einigung am 3. Oktober 2010 zeigte das DHM vom 6. Juli 2010 bis zum 2. Januar 2011 die Wechselausstellung Bereits ab September 1991 konnte das DHM die ersten „1990 – Der Weg zur Einheit“. In ihr wurden die Ent- Ausstellungen im Zeughaus zeigen. Dazu zählten auch wicklungen der Jahre 1989/90 nachvollzogen, die den zwei Ausstellungen über die Friedliche Revolution in der Weg zur Deutschen Einheit markierten. Die Ausstellung DDR: wurde von BKM finanziert. Ebenfalls 2011 folgte die Aus- –– „Abschied und Anfang. Ostdeutsche Porträts 1989/90 stellung „Überleben – Fotografien von Thomas Hoepker von Stefan Moses“ und Daniel Biskup“, die den Lebensalltag der Menschen –– „Der wilde Osten. Photographien der Agentur Bilder- in der DDR und in Osteuropa zeigte. Am 6. Juni 2012 berg aus den Ostblockländern und der DDR um die wurde die Ausstellung „Fokus DDR. Aus den Sammlun- Wendezeit“. gen des Deutschen Historischen Museums“ eröffnet.

In den folgenden Jahren bis 1997 fanden jedes Jahr min- Seit 1996 erschienen zu nahezu jeder Sonderausstellung destens zwei Ausstellungen statt, die das Leben in der umfangreiche und wissenschaftlich bearbeitete Ausstel- DDR – im Zeichen der SED – zum Gegenstand hatten. Als lungspublikationen, die vielfach zu Standardwerken der Beispiele seien hier genannt: jeweiligen Thematik wurden. 126 Museen

Begleitprogramme zu Sonderausstellungen dienen dem wissenschaftlichen Austausch und bieten Zu jeder Sonderausstellung werden vom Fachbereich (FB) zugleich dem interessierten Publikum die Möglichkeit, Bildung und Vermittlung des DHM spezielle Führungen der Diskussion der Fachleute beizuwohnen und sich dar- und Geschichtswerkstätten (Kombination aus Führung, an zu beteiligen. Symposien zu DDR-Themen waren: eigenständiger Recherche an Originalobjekten, Arbeit –– „Auf der Suche nach dem verlorenen Staat: Die Kunst mit Hands-on Objekten und reproduzierten Materialien der Partei und Massenorganisationen der DDR“ im Geschichtswerkstattraum) angeboten (auch Führun- (13./14. Dezember 1993) gen per Audioguides in mehreren Sprachen). Zu einigen Ausstellungen bereitet der FB Bildung und Vermittlung –– „Antitotalitärer Konsens? Die Auseinandersetzung Begleithefte vor, in denen – neben der Ausstellungspub- mit der kommunistischen Vergangenheit in Polen likation – Informationen, insbesondere für Kinder und und Deutschland seit 1989“. Veranstalter: DHM, Schüler, aufbereitet werden. Materialien für Multiplika- Deutsches Polen-Institut und Bundesstiftung Aufar- toren in der Erwachsenenbildung, Lehrer und Schüler beitung (24. März 2004) sowie thematische Veranstaltungen zu Sonderausstel- –– „Spaten statt Gewehr – Bausoldaten in der DDR“. Ver- lungen für diesen Publikumskreis gehören zum Stan- anstalter: DHM und Bundesstiftung Aufarbeitung (1. dardangebot der Museumspädagogik des DHM. September 2004) Neben Führungen durch die Sonderausstellungen und –– „Integrationen – Vertriebene in den deutschen Län- dem Begleitprogramm des Fachbereichs Bildung und dern nach 1945 in Westdeutschland und der SBZ.“ Vermittlung finden innerhalb der sogenannten „Mitt- Veranstalter: DHM und Bayerisches Staatsministeri- wochsreihe“ Veranstaltungen in Form von Vorträgen, um für Arbeit und Soziales (11. und 12. Juli 2006) Podiumsdiskussionen, Führungen durch die Kuratoren –– „In sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Darstellung der Ausstellung oder Präsentationen von Büchern zum in Literatur und Fernsehen der DDR“. Veranstalter: Thema statt. Diese Veranstaltungen werden kostenlos DHM und Institut für Zeitgeschichte München angeboten und sind gut besucht. Als Beispiele seien hier (18. und 19. Januar 2008) angeführt: –– „Geschichtsforum 1989/2009“. Veranstalter: DHM, –– „Kann man die DDR ausstellen?“ Podiumsdiskussion Bundeszentrale für politische Bildung, Kulturstif- zur Ausstellung „Parteiauftrag: Ein neues Deutsch- tung des Bundes und Bundesstiftung Aufarbeitung land“ (12. März 1997) (28. bis 31. Mai 2009) –– „Die SED, ihr MfS und das Krisenjahr 1956“, Veran- –– „Die Mauer als Öffnung. Wissenstransfer und Geis- staltung des DHM gemeinsam mit der Bundesstif- tespolitik im Kalten Krieg“ (2. November 2009) tung Aufarbeitung und der Bundesbeauftragten für –– „Unbequeme Baudenkmale des Sozialismus: Der die Stasi-Unterlagen (15. Januar 2006) Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz im ost- und –– „Parteidiktatur und Alltag in der DDR“, Vortrag von mitteleuropäischen Vergleich“ Veranstalter: Euro- Jörn Schütrumpf (25. April 2007) pean University Viadrina Frankfurt (Oder), DHM und –– „Inszenierte Normalität. Bilder von Alltag in Film Landesamt für Denkmalpflege Berlin (15. bis 17. März und Fernsehen der DDR“, Vortrag von Henning Wra- 2012). ge (16. Mai 2007) –– „Stasi und kein Ende“. Podiumsdiskussion im Rah- Ständige Ausstellung men der Reihe Schlüterhof-Gespräche, in Partner- Seit Juni 2006 wird im Zeughaus die Ständige Ausstel- schaft mit dem Museumsverein des DHM (9. Juni lung zu zwei Jahrtausenden Geschichte in Deutschland 2011) präsentiert. Die Zeit der deutschen Teilung, das Leben in –– „Die DDR sammeln“, Vortrag von Carola Jüllig (9. Au- der SBZ und der DDR sowie die Politik der SED bis zum gust 2012). Fall der Berliner Mauer sind darin ausführlich darge- stellt. Der FB Bildung und Vermittlung hat zu diesen Be- Zu Sonderausstellungen werden im Zeughauskino des reichen und Themen der Ständigen Ausstellung ein um- DHM Filmreihen zum Thema der Ausstellung angebo- fangreiches Programm von Führungen, Geschichts- und ten. Die Themen „SED-Diktatur“, „DDR“, „deutsch-deut- Filmwerkstätten zu speziellen Themen der DDR-Ge- sche Geschichte“ sind aber auch jenseits von Sonderaus- schichte und Begleitmaterialien insbesondere für Schü- stellungen häufig Gegenstand von Filmreihen im ler und Lehrer, aber auch für weitere Besucherkreise im Zeughauskino. Angebot. Im Rahmen der „Mittwochsreihe“ und in der Zahlreiche Sonderausstellungen des DHM werden von Reihe „Blicke auf die deutsche Geschichte“ werden von Symposien begleitet. Die zumeist mehrtägigen Tagungen Wissenschaftlern des DHM bzw. von den Kuratoren der Museen 127

Bereiche „SBZ/DDR“ in der Ständigen Ausstellung regel- Schießbefehl und zur NVA. In einer Station wird die mäßig kostenlose Vorträge und Führungen angeboten. Kontinuität in der Uniformgestaltung von Reichswehr, Wehrmacht und Nationaler Volksarmee sowie Reaktio- Das Militärhistorische Museum nen der Bevölkerung auf Schnitt und Gestaltung thema- der Bundeswehr, Dresden tisiert. Dabei wird deutlich, dass die Funktionskleidung Uniform als Symbol für ideologische, politische und ge- Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr hat den schichtspolitische Ziele steht. Auftrag, Sachzeugen der deutschen Militärgeschichte zu sammeln, aufzubewahren, zu erschließen und die deut- Insgesamt stellt die Dauerausstellung Kriterien zur Beur- sche Militärgeschichte von den Anfängen bis zu Gegen- teilung des historischen Geschehens bereit, die der un- wart im Kontext von Militär, Staat und Gesellschaft dar- kritischen Verurteilung der Vergangenheit ebenso entge- zustellen. Mit der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 genwirken wie der Gefahr unreflektierter Faszination. übernahm die Bundeswehr das zentrale Armeemuseum der DDR. Durch die umfassende Erweiterung des gegen- Wechselausstellungen wärtig ca. 1,7 Millionen Exponate umfassenden Samm- Wechsel- und Sonderausstellungen vertiefen oder ergän- lungsbestandes mit Objekten und Dokumenten aus Bun- zen die Dauerausstellung aus wechselnder Perspektive deswehrbeständen entstand die weltweit größte Samm- und zu unterschiedlichen Anlässen (z. B. Jahrestagen). lung zur Militärgeschichte des Kalten Krieges. Als ein­ Als eine der ersten Sonderausstellungen im Jahr nach der ziges Museum stellt das MHM im Rahmen seines weiter Neueröffnung des MHM wurde am 6. September 2012 gespannten Ausstellungsprofils auch das materielle Ge- unter dem Titel „Otkuda? Kuda? – Woher? Wohin?“ eine dächtnis von zwei einander gegenüberstehenden Militär- Fotoausstellung über den Abzug der russischen Truppen bündnissen, Warschauer Pakt und NATO, dar. aus Sachsen und Dresden eröffnet.

Das inhaltliche Konzept des MHM geht von der kultur- Das MHM ist konsequent besucherorientiert. Es versteht geschichtlichen Fragestellung aus, in welchem politi- sich als Lernort für Soldatinnen und Soldaten und für schen und kulturellen Umfeld Soldaten in der Geschichte eine breite Öffentlichkeit. Das „Museum für alle“ will die handeln. Es wird also der Mensch in seinem Sein, Han- gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Geschichte deln und Leiden in den Mittelpunkt gestellt. Folgerichtig anstoßen und lebendig halten. Das Museum bietet die sammelt das MHM grundsätzlich alle Objekte, welche Plattform, auf der Betroffene, Zeitzeugen, Medien, Inte- die Verschränkung von Ereignis- und Alltagsgeschichte, ressierte aller Art und professionelle Historiker im Sinne von militärischem und zivilem Alltag darstellen. Damit eines pluralistischen Gesellschaftsverständnisses ihre steht das Haus in einer Reihe mit den großen kulturhis- konkurrierende Geschichtsdeutung diskutieren. Damit torischen Museen. leistet das MHM einen Beitrag zu einem sachlich begrün- deten, eigenen Urteil seiner Besucher und Gäste. Dauerausstellung Mit dem ausstellungsbegleitenden Rahmenprogramm, Die Geschichte der DDR ist Teil der am 14. Oktober 2011 den öffentlichen Kinovorführungen, der Vortragsreihe neu eröffneten Dauerausstellung und nimmt dort einen „Forum Museum“ und einem abwechslungsreichen An- wichtigen Platz ein. Die militärische und politische Ge- gebot sonstiger Veranstaltungen wird das MHM diesem schichte der DDR ist der chronologischen Erzählung zur Anspruch als Ort der Auseinandersetzung mit Geschich- Bundesrepublik Deutschland gegenübergestellt. Ein te – und damit nicht zuletzt der Geschichte der DDR – Markenzeichen der Ausstellung sind Doppelbiografien, gerecht. Die zwischen 2000 und 2008 herausgegebenen die durch das Museum geleiten und die Besucherinnen MHM-Hefte haben Beispiele aus den Sammlungen und und Besucher in die jeweilige Epoche oder den jeweiligen ihre Geschichte vorgestellt, darunter häufig Großgerät Zeitabschnitt einführen. Gegenübergestellt werden im- aus der DDR. Nach der Neugestaltung beginnt verstärkt mer zwei Biografien von Menschen, die in derselben Zeit die wissenschaftliche Aufarbeitung von Sammlungs- lebten, aber verschiedenen Lebensentwürfen folgten, komplexen, etwa von Gemälden aus dem Besitz der NVA. oder die in ein und derselben historischen Entschei- dungssituation andere Wege gingen. In den Abschnitten Flugplatz Berlin-Gatow zur DDR-Geschichte stehen bekannte Persönlichkeiten 1994 wurde der Flugplatz Berlin-Gatow an die Bundes- des öffentlichen Lebens neben unbekannten, Politiker wehr übergeben, die hier seit 1995 das Luftwaffenmuse- und hohe Militärs neben Dissidenten und Bausoldaten um der Bundeswehr (seit 2010 MHM Flugplatz Berlin- oder Deserteuren. Gatow) betreibt. Auf dem denkmalgeschützten Flugplatz Für Kinder und Jugendliche sind museumspädagogische stellt das Museum die Geschichte der militärischen Luft- Stationen zur Geschichte der DDR in die Dauerausstel- fahrt und Luftkriegsführung in Deutschland von ihren lung integriert, darunter Themen zum Mauerbau, Anfängen bis zur Gegenwart dar. Im Hangar 3, dem Tow- 128 Museen er-Gebäude, dem Hangar 7 und im Freigelände wird die Die Dauerausstellung wird seit Mai 2012 grundlegend Dauerausstellung zur Geschichte der militärischen Luft- überarbeitet und bleibt bis zu ihrer Wiedereröffnung im fahrt in Deutschland seit 1884 gezeigt. Hier wie in den Mai 2013 geschlossen. Wechselausstellungen werden die SED-Diktatur, die NVA und das militärische und zivile Alltagsleben themati- Die Erinnerungsstätte für die siert. Die Wechselausstellung „Ende/Neuanfang. Die Freiheitsbewegungen in der deutschen Luftstreitkräfte in der Wiedervereinigung“ deutschen Geschichte, Rastatt (2011/12) befasste sich mit der Rolle der deutschen Luft- streitkräfte in der „Armee der Einheit“ nach 1990. Rastatt spielte in der Endphase der Revolution von 1848/49 eine zentrale Rolle: Im Ehrenhof des Schlosses Das Deutsch-Russische Museum begann am 9. Mai 1849 der Aufstand badischer Soldaten, Berlin‑Karlshorst die sich auf die „Grundrechte des deutschen Volkes“ vom Dezember 1848 beriefen und sich zur Verfassung der Das Deutsch-Russische Museum am historischen Ort der Paulskirche bekannten. Hier befanden sich während der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehr- Belagerung Rastatts im Sommer 1849 das Hauptquartier macht am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst ist eine bilate- der Freiheitskämpfer und ihre letzte Bastion. Nach ihrer rale Einrichtung, die von der Bundesrepublik Deutsch- Kapitulation am 23. Juli 1849 standen sie im Ahnensaal land und der Russischen Föderation getragen wird. Es des Schlosses vor einem preußischen Standgericht. erinnert mit seiner Dauerausstellung an den Vernich- tungskrieg gegen die Sowjetunion. Träger des Museums Im Barockschloss von Rastatt wurde 1974, einer Anre- ist ein von beiden Partnern getragener Verein, dem sich gung des damaligen Bundespräsidenten Gustav W. wenig später auch die „Museen des Großen Vaterländi- Heine­mann folgend, die „Erinnerungsstätte für die Frei- schen Krieges“ in Kiew und Minsk anschlossen. heitsbewegungen in der deutschen Geschichte“ einge- Nach den deutsch-sowjetischen Vereinbarungen über richtet. Das Bundesarchiv wurde mit der Konzeption den Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland und Gestaltung einer Ausstellung beauftragt. einigten sich 1990 beide Seiten, am historischen Ort ge- meinsam an das historische Ereignis zu erinnern, mit Ausstellung dem der Zweite Weltkrieg und die nationalsozialistische Heute ist in einem Teil des Gebäudes eine Dauerausstel- Terrorherrschaft beendet wurden. Eröffnet wurde das lung zu sehen, die an die Geschichte der Freiheitsbewe- Museum anlässlich des 50. Jahrestags des Kriegsendes in gungen im 19. Jahrhundert und seit 2009 auch an Oppo- Europa am 10. Mai 1995. sition und Widerstand in der DDR bis zur Friedlichen Das Museumsgebäude, zwischen 1936 und 1938 als Offi- Revolution 1989 erinnert. zierskasino der Pionierschule 1 der Wehrmacht errichtet, Der Ausstellungsteil „Freiheitsbewegungen in der DDR“ war ein wichtiger Schauplatz in der Geschichte der SBZ gliedert sich in fünf Teile: und der frühen DDR. Hier residierte von 1945 bis 1949 der Chef der Sowjetischen Militäradministration. Am –– Freiheitsbewegungen zwischen 1945 und 1961 10. Oktober 1949 übergab hier General Wassili Tschui- –– Freiheitsbewegungen zwischen 1961 und 1989 kow der ersten Regierung der DDR die Verwaltungsfunk- –– Friedliche Revolution und Wiedervereinigung tionen, die bis dahin die SMAD innegehabt hatte. –– Jugend zwischen Anpassung und Auflehnung Die Dauerausstellung des Museums stellt aus dem Kon- –– Das Ministerium für Staatssicherheit. text des Zweiten Weltkriegs heraus auch das Verhältnis der Sowjetunion zur DDR dar. Hier liegt ein Schwer- punkt auf den Jahren bis zur Gründung der DDR 1949 Bildungsarbeit mit der Stalinisierung der SBZ und der Sicherung der Die Außenstelle des Bundesarchivs versteht sich ganz im Herrschaft durch die KPD (Kommunistische Partei Sinne von Heinemann als „lebendige Stätte der Anschau- Deutschlands), ab 1946 durch die SED. Da das Museums- ung und Begegnung“ mit Demokratie in ihrer spezifisch gebäude Sitz der SMAD war, gehört zur Ausstellung auch deutschen Tradition. Sie ist ein anerkannter außerschuli- das Arbeitszimmer des Obersten Chefs der SMAD, der scher Lernort, der einen wichtigen Beitrag dafür leistet, zugleich Oberkommandierender der Gruppe der Sowjeti- junge Menschen immer wieder für die Werte der frei- schen Streitkräfte in Deutschland sowie bis März 1948 heitlich-demokratischen Grundordnung zu sensibilisie- der sowjetische Vertreter im Alliierten Kontrollrat war. ren. Für Gruppen und Schulklassen werden Führungen Neben den Entwicklungen der sowjetischen Deutsch- mit unterschiedlichen Schwerpunkten angeboten, für landpolitik werden die wirtschaftlichen und kulturellen den Unterricht in der Ausstellung stehen verschiedene Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR erörtert. Arbeitsmaterialien zur Verfügung. Museen 129

Seit Anfang 2006 hat die Erinnerungsstätte für die Frei- gerade am Beispiel dieser Werke die verbreitete Mi- heitsbewegungen in der deutschen Geschichte ein völlig schung im alltäglichen Verhalten zwischen Kritik, Skep- neues museumspädagogisches Profil. Von 2003 bis 2005 sis und Subversion einerseits und Anpassungsleistung wurde die Museumsdidaktik der Erinnerungsstätte von andererseits aufzeigen lässt. Grund auf überarbeitet. Im Auftrag des Bundesarchivs Mit den Anteilen der Länder Berlin, Brandenburg und und mit Unterstützung verschiedener Stiftungen wurde Mecklenburg-Vorpommern befindet sich in Beeskow der ein zeitgemäßes museumspädagogisches Konzept zur größte Teil dieser Werke. Zurzeit ist das Kunstarchiv Revolution von 1848/49 entwikkelt. Auch für die im No- Partner im Rahmen des Forschungsverbundes „DDR-De- vember 2009 eröffnete Dauerausstellung zu den Frei- potkunst und Geschichtsvergegenwärtigung“, das vom heitsbewegungen in der DDR wurden entsprechende di- BMBF im Rahmen des Programms „Übersetzungsfunkti- daktische Angebote erarbeitet. on der Geisteswissenschaften“ gefördert wurde. In Zu- Mithin liegen für folgende Ausstellungsbereiche Schüler- sammenarbeit mit dem Zentrum für Zeithistorische For- arbeitsmaterialien vor: schung Potsdam und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben die Mitarbeiter des Kunstarchivs eine –– Revolution 1848/49 (Ursachen, Verlauf, Folgen) über eine Datenbank öffentlich zugängliche Bestands- –– Freiheitsbewegungen in der DDR 1949 bis 1989. aufnahme der in der SBZ und in der DDR entstandenen Gemälde in Museen und Sonderarchiven erarbeitet. Das pädagogische Konzept stellt die Erinnerungsstätte Auf der Grundlage eines Verwaltungsabkommens zwi- verstärkt auch in den Dienst des Unterrichts. Es richtet schen den drei Ländern wird das Kunstarchiv seit 2002 sich an Schulen ebenso wie an studentische Lerngruppen mit der Unterstützung des Landes Brandenburg durch und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Die Ange- den Landkreis Oder- betrieben. Seine hauptsächli- bote für Schulklassen aller Schularten sind auf die jewei- chen Aufgaben bestehen in der wissenschaftlichen Er- ligen Bildungsstandards abgestimmt. Altersgerechte Me- schließung, Veröffentlichung, Sammlung, Archivierung thoden ermöglichen Schülern unter dem Motto und Auswertung des Bestandes. „Geschichte lebendig gestalten“ ein selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten. Dabei erfahren sie Ge- schichte nicht nur chronologisch und in Daten, sondern Die DDR Museum Berlin GmbH lernen Strukturen und Zusammenhänge kennen, neh- Das „DDR Museum“ wurde 2005 als private GmbH in men unterschiedliche Perspektiven ein und werden für Berlin gegründet. Es finanziert seinen Betrieb und die die Bedeutung geschichtlicher Ereignisse auch für die Aktivitäten in den Bereichen Sammeln, Bewahren, For- Gegenwart sensibilisiert. schen, Ausstellen und Vermitteln vollständig aus selbst- erwirtschafteten Einnahmen. Mitte 2006 startete der Das Kunstarchiv Beeskow: Die Geschichte Museumsbetrieb. Schwerpunkt der Dauerausstellung ist der Auftragskunst in der DDR das alltägliche Leben in der DDR. Am 9. Oktober 2010 wurde die erweiterte Ausstellung eröffnet. Die neu hin- Zum Bestand des Kunstarchivs Beeskow zählen heute zugekommenen Bereiche ergänzen die Ausstellung des rund 23 000 Objekte, vor allem Gemälde, Druckgrafiken, Museums um die folgenden Themen: Partei, Grenze, Ver- Zeichnungen und Aquarelle, aber auch Fotografien, Plas- hältnis zum Westen, Umwelt, Gesundheit, Privilegien, tiken, Produkte des Kunstgewerbes und Medaillen aus Staat, Ideologie und Religion, Opposition, NVA, Straf- dem Besitz der ehemaligen Parteien, Massenorganisatio- vollzug und Bruderstaaten. nen und des Kulturfonds der DDR sowie des Magistrats von Berlin. Die Werke befanden sich zunächst in Verwal- Das DDR Museum hat sich dem Motto „Geschichte zum tung der Treuhand und sind nach 1994 nach dem Fund- Anfassen“ verschrieben. Informationen und Exponate ortprinzip in das Eigentum der jeweiligen Länder über- verbergen sich oft hinter Schubläden, Türen und in gegangen. Die Präsentation von Auftragskunst und die Schränken. Die Exponate sollen und können angefasst Problematisierung ihrer gesellschaftlichen Funktion, und benutzt werden, so sollen sich die Besucher interak- aber auch der Hinweis auf die in ihr teilweise versteckten tiv mit der Ausstellung auseinandersetzen. Seit 2006 ha- Botschaften der Künstler verweisen direkt auf das All- ben über 1,5 Millionen Menschen die Präsentation be- tagsleben der Menschen in der DDR. Die bildenden Küns- sucht. Neben dem Museum besteht der gemeinnützige te hatten im Herrschaftssystem der DDR zum einen eine Förderverein „DDR Museum Berlin e. V.“, der eine regel- integrative Funktion, in Auftragsarbeiten sollte die mäßige Veranstaltungsreihe im Besucherzentrum des Schaffung des „neuen Menschen“ bildlich vorwegge- DDR Museums anbietet. nommen werden. Andererseits entwickelte sich insbe- sondere unter Künstlern eine Skepsis gegenüber den ge- sellschaftspolitischen Heilversprechen, sodass sich 130 Museen

Das Mauermuseum – Museum Haus Ausstellungskonzeptionen die Transformation der ost- am Checkpoint Charlie, Berlin deutschen Gesellschaft und der Generationenwandel mit berücksichtigt. Die Konzentration des Dokumentations- Das private Mauermuseum – Museum Haus am Check- zentrums auf das Thema Alltagskultur erfolgte unter point Charlie wurde am 14. Juni 1963 von Rainer dem Gesichtspunkt der spezifischen Ergänzung beste- Hildebrandt in den Räumen des ehemaligen „Café Köln“ hender Institutionen, insbesondere der Archive, der Mu- am Checkpoint Charlie – und damit direkt an einem der seen zur allgemeinen Geschichte, der Gedenkstätten zur wichtigsten Symbole des Kalten Krieges und der deut- politischen Repression sowie der Kunstmuseen. Das Do- schen und europäischen Teilung – eingerichtet. Inhalte kumentationszentrum füllt eine Lücke in der Bewah- der Ausstellung sind die Information über das Grenzge- rung von Kulturgut und ist damit Baustein einer breiten schehen an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Auseinandersetzung mit Geschichte. Grenze und die Teilung der deutschen Hauptstadt sowie der weltweite gewaltfreie Kampf für Freiheit und Men- In den ersten Jahren des Bestehens galt die besondere schenrechte. Die Ausstellung wurde laufend erweitert, Aufmerksamkeit der Sicherung der alltagskulturellen vor allem durch Dokumentationen verschiedener ge- materiellen Hinterlassenschaften aus der DDR, die im und missglückter Fluchtversuche und Fluchtobjekte un- Zuge der Umwälzungen nach 1989/90 massenhaft ver- terschiedlichster Art, vom Mini-U-Boot bis zum Heiß- nichtet wurden. Die Sammlungen des Dokumentations- luftballon. Zu den Inhalten der Ausstellung werden zentrums umfassen heute ca. 160 000 Objekte, die über- Zeitzeugengespräche angeboten. Weiter finden regelmä- wiegend aus privater Hand stammen. Die begleitend ßige Vorführungen von Dokumentar- und Spielfilmen durchgeführte Katalogisierung sichert den Provenienz- über die Themen des Museums statt. Das Mauermuseum nachweis der Sammlungen und dokumentiert mehr als wird nach eigenen Angaben jährlich von über 800 000 2 000 private Schenker. Aus den Sammlungen werden ei- Menschen besucht. Betreiber ist die 1963 gegründete Ar- gene Ausstellungen realisiert, sie stehen dem musealen beitsgemeinschaft 13. August e. V. Leihverkehr und der Forschung zur Verfügung.

Seit dem Jahr 1995 entwickelt das Dokumentationszen­ Das Dokumentationszentrum Alltagskultur trum Sonderausstellungen. Sie sind inhaltlich und di- der DDR e. V. in Eisenhüttenstadt daktisch nach dem Prinzip diskursiver Auseinanderset- Das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in zung zwischen den Besuchern sowie einer historisch- der Stadt Eisenhüttenstadt wurde 1993 gegründet. Die vergleichenden Kontextualisierung der DDR konzipiert. Trägerschaft hatte bis 1998 die Stadt Eisenhüttenstadt, Die Ausstellungen werden national und international ge- seit 1998 ist Träger ein eingetragener Verein. Zweck des zeigt. Die aktuelle Dauerausstellung zur Alltagskultur im Dokumentationszentrums ist die Förderung der Erfor- Kontext der Zeitgeschichte besteht seit dem Jahr 2000. schung, Darstellung und Vermittlung von Geschichte, Sie wurde 2011 neu konzipiert. In dieser ständigen Aus- Kultur und Lebensweise im geteilten Deutschland. Er stellung „Leben in der DDR“ zeigt das Dokumentations- wird insbesondere durch die museale Sammlung von zentrum in zehn Kapiteln anhand spezifischer Gegen- Objekten der Alltagskultur der DDR, deren Erhalt und stände aus dem Alltag unterschiedliche Aspekte aus dem Erforschung sowie die Darstellung der Forschungsergeb- Leben in der DDR. Anhand dieser Objekte sollen Ge- nisse in Form von Ausstellungen und Publikationen ver- schichten aus dem Alltagsleben der DDR-Bevölkerung wirklicht. Die wissenschaftliche und museale Arbeit be- erzählt werden. Dabei werden politische, wirtschaftliche gleitet ein Fachbeirat. und soziale Rahmenbedingungen angesprochen. Da zu- nehmend weniger Besucher der Generation angehören, Sitz des Dokumentationszentrums ist Eisenhüttenstadt, die über eigene Erfahrungen in und mit der DDR verfügt, die erste Stadtneugründung in Deutschland nach 1945 war eine entsprechende Überarbeitung der Ausstellung und heute ein Flächendenkmal. Hier betreibt das Muse- dringend geboten. Dabei wurde sie um wesentliche In- um in einer ehemaligen Kinderkrippe ein Ausstellungs- formationen zu den einzelnen Gegenständen sowie zu und Arbeitszentrum mit Bibliothek. Das Gebäude wurde den Rahmenbedingungen insgesamt ergänzt. Dieses mit Mitteln der Europäischen Union, des Landes Bran- Projekt wurde von BKM gefördert. Die Wiedereröffnung denburg und der Stadt Eisenhüttenstadt denkmalgerecht fand am 25. Februar 2012 statt. saniert und für die Zwecke eines Museums hergerichtet. Mit der Gründung wurde auf das Fehlen eines wissen- In den Jahren von 2000 bis 2010 besuchten jährlich schaftlich fundierten, alltagsgeschichtlich ausgerichte- durchschnittlich 6 000 Besucher die Einrichtung. Die Be- ten Museums zur DDR-Entwicklung reagiert. Beim Auf- sucherentwicklung ist stabil, die Höhe der Besucherzah- bau des Museums stand die Zeitgeschichte als len aufgrund des Standorts jedoch begrenzt. Ausstellun- „Geschichte der Miterlebenden“ im Mittelpunkt. Daher gen des Dokumentationszentrums in anderen Städten wurden sowohl bei der Bestandsbildung als auch in den erreichen zum Teil deutlich mehr Besucher. Museen 131

Gegen das Vergessen e. V. – Sammlung zur –– Jugend, Schule und Sport Geschichte der DDR, Pforzheim –– Massenorganisationen Aus einer anfänglich privaten Sammlung ist 1998 das –– Sowjetischer Terror DDR-Museum in Pforzheim entstanden. Getragen wird –– Strafvollzug. es von dem am 15. Juni 2000 gegründeten Verein „Gegen das Vergessen“ e. V. Ziel des Vereins ist es, durch das Be- Die Ausstellung wurde mit Unterstützung der Stadt treiben des Museums mit der Sammlung zur Geschichte Pforzheim und der Bundesstiftung Aufarbeitung im Jah- der DDR die Erinnerung an das Unrechtssystem der DDR re 2003 erweitert. Mit der im Juli 2012 gegründeten Stif- zu erhalten. Mitglieder des Vereins – meistens Zeitzeugen tung „Lernort Demokratie – Das DDR-Museum Pforz- – bieten Führungen durch die Sammlung an. Dieses An- heim“ soll der Bestand der Einrichtung dauerhaft gebot wird besonders von Schulklassen aus der Region in ­gesichert werden. Das Museum verfügt über eine Aus- Anspruch genommen. stellungsfläche von ca. 300 qm und einen Unterrichts- raum für Veranstaltungen wie Vorträge und Podiums- Die Ausstellung der Sammlung zur Geschichte der DDR diskussionen sowie schulische Vor- bzw. Nachbearbei- umfasst die folgenden Themenfelder: tungen. Seit September 1998 hatte das Museum in ­Pforzheim rund 40 000 Besucher. Neben der Arbeit im –– Aufbau, Entwicklung und Ende der DDR Museum führt „Gegen das Vergessen“ e. V. Sonderaus- –– Alltag stellungen, Vortragsveranstaltungen, Podiumsdiskussi­ –– Berliner Mauer onen, Ausflüge und Wettbewerbe zu den Themen DDR-­ –– Innerdeutsche Grenze Geschichte und SED-Unrecht durch. –– Ministerium für Staatssicherheit Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.

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Das Bundesarchiv und die Stiftung Archiv von Forschern an Universitäten und Instituten ausge- der Parteien und Massenorganisationen wertet. Eine Liste der mit diesen Unterlagen erarbeiteten der DDR im Bundesarchiv wissenschaftlichen Publikationen wird von der Biblio- thek regelmäßig aktualisiert im Internet bereitgestellt. Das Bundesarchiv besitzt zahlreiche Bestände, die für die Aufarbeitung der SED-Diktatur wichtig sind und immer Die Quellenbasis für die Aufarbeitung der SED-Diktatur wieder für Forschungen zur DDR wie für die Klärung ist unvollständig, wenn nicht die einschlägigen Unterla- persönlicher Schicksale herangezogen werden. In der gen aus den etwa 70 Beständen aus Dienststellen der zen- Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen tralen Regierung und Verwaltung in der Bundesrepublik der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) sind die zentralen in der Abteilung B berücksichtigt werden. Hier sind in Unterlagen der SED mit rund 90 000 Akteneinheiten und rund 7 500 lfm Archivgut mit rund 100 000 Akteneinhei- über 50 Bestände der von ihr kontrollierten Massenorga- ten ebenfalls Informationen zu vielen Bereichen der nisationen einschließlich des Freien Deutschen Gewerk- innerdeutschen Beziehungen, zu Beobachtungen der Er- schaftsbunds (FDGB) mit einem Umfang von insgesamt eignisse in der DDR, zu Flüchtlingsfragen, Grenzzwi- rund 11 000 laufenden Metern (lfm) vorhanden. Diese schenfällen und zur wirtschaftlichen Entwicklung vor- Materialien enthalten Korrespondenzen, Stellungnah- handen. Die Erschließungen zu zahlreichen der men, Sitzungsvorlagen und Protokolle zu allen Fragen einschlägigen Bestände sind inzwischen in der seit sechs der Innen- und Außenpolitik, der Verwaltung und der Jahren stetig weiter ausgebauten Rechercheplattform Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Mate- ARGUS übergreifend recherchierbar (www.argus.bundes rialien werden intensiv genutzt, um herauszufinden, wie archiv.de). Dort sind Erläuterungen und Beschreibungen Entscheidungsstrukturen in der DDR funktionierten, zu rund 6 000 Beständen des Bundesarchivs vorhanden, um Hintergründe und Details der Entwicklung der DDR von denen rund 2 000 mit detaillierten Findbüchern ver- kennen zu lernen und um persönliche Rechte und knüpft sind. Von hier aus sind die bereits digitalisierten Schicksale zu klären. Bestände erreichbar. Insgesamt können 6 900 digitali- sierte Akten mit rund 2,1 Millionen Seiten aus 21 Bestän- Unterlagen aus der staatlichen Verwaltung der DDR be- den im Internet direkt gelesen werden. Die mit der Re- finden sich in der Abteilung DDR. Sie haben einen Um- chercheplattform angebotenen Möglichkeiten werden fang von etwa 40 000 lfm. Sie umfassen Archivgut aus vielfach genutzt, was sich nicht zuletzt in einer ständig den Ministerien und den ihnen nachgeordneten Stellen. wachsenden Zahl von Anfragen auf Grund von Recher- Sie werden genutzt für Fragen nach dem Rechtssystem cheergebnissen auch ohne vorherigen Archivbesuch der DDR, seiner Entstehung und seiner Anwendung in zeigt. Auch die universitäre Lehre nutzt die Möglichkeit den Gerichten bis hin zum Strafvollzug, nach Zensur- zum virtuellen Archivbesuch. Die Nutzungszahlen lagen maßnahmen und Reglementierungen bei der Ausbil- 2011 bei über eine Mio. Aufrufen pro Monat. Das Ange- dung auf allen Ebenen, nach Enteignungen bei Bodenre- bot wird im Rahmen der verfügbaren Ressourcen stetig form und Zwangskollektivierung und nach der ausgebaut. staatlichen Devisenbeschaffung, dem Dopingsystem oder dem Umgang mit den Kirchen. In der Abteilung Mi- Die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisatio- litärarchiv sind die Unterlagen des Ministeriums für Na- nen der DDR im Bundesarchiv wurde auf Grundlage des tionale Verteidigung und der Nationalen Volksarmee im neu eingefügten § 2a des Bundesarchivgesetzes (BArchG) Umfang von 5 500 lfm archiviert. Hier werden zahlreiche durch den Errichtungserlass vom 6. April 1992 (GMBl, Anfragen nach Nachweisen für Rehabilitierungsverfah- S. 310) eingerichtet. Sie wurde gegründet, um die Bestän- ren, Entschädigungen und Rentenberechtigungen be- de des Parteiarchivs der SED sowie der Massenorganisa- antwortet. Häufig werden Quellen für Untersuchungen tionen zu sichern, in ihren gewachsenen Zusammenhän- über Grenzzwischenfälle und Flucht gesucht. Viele An- gen zu erhalten und für eine allgemeine Benutzung zu fragen stammen von Stiftungen und Gedenkstätten. Oft öffnen. Die Einbringerorganisationen konnten neben werden auch von Privatpersonen Angaben zur Rekonst- den Bundestagsparteien Vertreter in ein neu eingerichte- ruktion der eigenen Biografie erbeten. tes Kuratorium der Stiftung entsenden und erhielten da- Vielfach können mit den in der DDR entstandenen Un- rüber das Recht auf jährliche Vorlage eines Arbeitsbe- terlagen Nachweise für Anspruchsberechtigungen von richts durch den Direktor der Stiftung sowie auf Privatpersonen ermittelt werden, über die früher keine jederzeitigen, privilegierten Zugang zu den von ihnen Unterlagen an Privatpersonen herausgegeben wurden. eingebrachten Beständen. Den Vorsitz des Kuratoriums Die Unterlagen aus der DDR wurden bereits für Untersu- übernahm der für das Archivwesen zuständige Grup- chungsausschüsse des Deutschen Bundestages und die penleiter bei BKM. Die Berichte an das Kuratorium sowie Zentrale Ermittlungsgruppe für Regierungs- und Verei- die Protokolle der jährlichen Sitzungen sind auf der Web- nigungskriminalität bereitgestellt. Sie werden intensiv site des Bundesarchivs einsehbar. 134 Archive

Mit der Gründung der Stiftung wurde die Frage des Ei- men in die SAPMO zu übernehmen und so die heutige gentums an den Beständen bewusst nicht entschieden. Bibliothek von 1,2 Millionen Bänden zu schaffen. Sie ist Die früheren Träger der Archive oder deren Nachfolger inzwischen mit ihrem Katalog und bibliografischen wurden zu Einbringern ihrer Archiv- und Bibliotheksbe- Diensten im Internet präsent. stände in die SAPMO. Mit den Organisationen wurde ein Das Zentrale Parteiarchiv der SED (ZPA) entstand nach Einbringungsvertrag geschlossen. Der Zugang zu den Moskauer Vorbild und begann damit, Unterlagen und Unterlagen wurde im neuen § 2a (4) des BArchG ohne Akten aus den Abteilungen des ZK zu übernehmen. Geltung der Schutzfrist von 30 Jahren für die Bestände der SAPMO ab sofort gewährt. Gleichzeitig wurde das regionale Parteiarchivwesen in Anlehnung an die Parteiorganisation aufgebaut und von Die Organisationsform der SAPMO hatte kein Vorbild. Berlin aus angeleitet. Das ZPA entwickelte sich zu einem Sie ist als eine unselbstständige Stiftung im Bundesar- voll ausgebauten Archiv, zu dem Forscher zugelassen chiv direkt dem Präsidenten zugeordnet und nicht in die wurden, soweit deren zuständige Parteisekretäre ihren Abteilungsstruktur integriert. Die Einbindung in das Antrag unterstützten. Neben dem ZPA gab es für die Bundesarchiv sollte zur Absicherung einer dauerhaften streng geheimen Protokolle und Unterlagen des Politbü- Existenz der Einrichtung Synergieeffekte speziell für die ros das Interne Parteiarchiv der SED (IPA) beim Politbüro anfallenden Verwaltungsarbeiten nutzbar machen, wäh- im Gebäude des ZK. Es stand nur dem zentralen Apparat rend gleichzeitig der Unterschied zum staatlichen der SED zur Verfügung. Im Frühjahr 1990 wurde es an Schriftgut deutlich bleiben sollte. Allerdings wurde mit das ZPA abgegeben. Gleichzeitig wurde vom ZPA noch der Einbindung in das Bundesarchiv der verfassungsmä- vor dem 3. Oktober 1990 dem Zentralen Staatsarchiv das ßigen Rolle der SED in der DDR als letztgültiger Ent- Archivgut aus den Reichsbehörden aus der Zeit vor 1945 scheidungsinstanz in einem Staat ohne Gewaltenteilung zurückgegeben. Rechnung getragen. Das Kuratorium der Stiftung tritt jährlich zusammen Die Massenorganisationen der DDR nahmen ebenfalls und berät über die bisherige Arbeit und die Planungen staatliche Funktionen wahr. So hatten etwa der FDGB der Stiftung. Es hat wiederholt betont, dass es die Öff- und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) bis zum Ende der nung der Bestände unter Nutzung des Internet sehr be- DDR Fraktionsstatus in der Volkskammer. Sie besaßen grüßt. zudem die Aufgabe, große Teile des Alltagslebens der Be- völkerung von der Sozialversicherung bis zum Ferien- dienst zu organisieren. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe- Vor Gründung der Stiftung waren die Unterlagen in den maligen Deutschen Demokratischen Parteien und Organisationen jeweils für die eigenen Republik Zwecke archiviert worden. Oft waren die Archive aus den Organisationsbibliotheken herausgewachsen, die in den Die Archive des BStU 1950er und 1960er Jahren die zusätzliche Aufgabe erhal- Als das Ende der SED-Diktatur sich ankündigte, begann ten hatten, wichtige historische Dokumente aufzube- das MfS damit, die Zeugnisse seiner Tätigkeit zu beseiti- wahren. Darunter befand sich im Institut für Marxis- gen – erst systematisch, später immer hektischer. Nach- mus-Leninismus des ZK der SED, dem die Bibliothek und dem die Verkollerungsmaschinen überlastet waren, zer- nach seiner Herauslösung daraus seit 1963 auch das Ar- rissen MfS-Mitarbeiter die Unterlagen von Hand. Reichte chiv angehörten, das aus dem Zentralen Staatsarchiv ab- auch dafür die Zeit nicht mehr, wurden Unterlagen, die gezogene Archivgut des Reichssicherheitshauptamtes. Es vor allem den damaligen aktuellen Dienstablauf doku- sollte dort als Material für die Aufarbeitung der Ge- mentieren konnten, zum Teil sehr stark in Unordnung schichte der Arbeiterbewegung ausgewertet und vor Be- gebracht. Die von den Besetzern der Stasi-Dienststellen nutzung Dritter geschützt werden. gebildeten Bürgerkomitees sorgten dafür, dass die MfS- Unterlagen gesichert wurden. Schriftgut aus den Dienst- In den Bibliotheken der Parteien und Organisationen be- zimmern wurde gebündelt und soweit möglich inventa- fanden sich umfangreiche Bestände an grauer Literatur, risiert. Durch diese ersten Sicherungsaktionen blieben da die Parteien und Organisationen über eigene Verlage die Unterlagen für die spätere Nutzung erhalten. und Druckereien verfügten, die vielfältige Druckschrif- ten auch für die interne Kommunikation erstellten. Die Davon ausgenommen waren Unterlagen, die mit Zustim- Bibliotheken hatten die Aufgabe, diese Druckwerke, die mung des Runden Tisches vernichtet wurden – eine, wie nicht über den Buchhandel vertrieben wurden, vollstän- sich später zeigte, verhängnisvolle Entscheidung. Hierbei dig zu sammeln. So war eine enge Verquickung der Be- handelte es sich vor allem um die elektronischen Daten- stände von Bibliotheken und Archiven entstanden, die es träger des MfS mit personenbezogenen Daten und die Si- nahe legte, die Bibliotheken mit den Archiven zusam- cherungskopien der Zentralen Personenkartei. Nach ei- Archive 135 ner Genehmigung der Arbeitsgruppe Sicherheit des aus dezentral geführten MfS-Karteien recherchiert wer- Runden Tisches wurden auch die Unterlagen der Haupt- den. Seit Ende 1993 werden zudem Fundstellen zu Perso- verwaltung Aufklärung und ihrer Linienorganisationen nen in die Datenbank aufgenommen, zu denen Material in den Bezirken fast vollständig vernichtet. im Rahmen der Erschließung und Auskunftserteilung der Behörde gefunden wurde. Damit erweiterten sich die Die in den Archiven des BStU aufbewahrte Hinterlassen- Kenntnisse über die Informationen, die zu Einzelnen schaft des Staatssicherheitsdienstes ist die Grundlage der vom MfS gesammelt worden waren, erheblich. Arbeit der Behörde. Unter Anwendung der Regelungen des StUG werden die Unterlagen nach archivischen Neben dem seit der Behördengründung gegebenen per- Grundsätzen bewertet, erschlossen, verwahrt und ver- sonenbezogenen Zugang zu den vom MfS archivierten waltet. Im StUG hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die und registrierten Unterlagen war es dringend geboten, Unterlagen für darin beschriebene Zwecke zu verwenden die Überlieferung auch thematisch recherchierbar zu sind und dafür zugänglich gemacht werden. Unabhängig machen. davon sind sie gemäß ihrem historischen Wert dauernd Die in den Archiven des BStU aufbewahrte Überlieferung aufzubewahren. der DDR-Geheimpolizei gliedert sich wie erwähnt in Physisch gesehen hat es der BStU mit einer äußerst hete- zwei Bereiche: die archivierten Ablagen (vom MfS archi- rogenen Überlieferung zu tun: Erstens den nach Perso- vierte Unterlagen; insgesamt ca. 51 000 lfm) und zum an- nennamen zugriffsfähigen Vorgängen (archivierte Abla- deren die Teilbestände der Diensteinheiten, die vor allem gen des MfS), zweitens den in ungeordnetem Zustand in Bündeln vorlagen. Zu den Teilbeständen der Dienst- gebündelten Mitarbeiterablagen mit unvollkommenen einheiten gehören all jene Unterlagen, mit denen bis zum Angaben zur Unterstruktur, die ohne jegliche inhaltliche Ende des Staatssicherheitsdienstes aktiv gearbeitet wur- Zugriffsfähigkeit vorlagen (Unterlagen der Diensteinhei- de (insgesamt ca. 60 000 lfm). ten). Von den rund 111 000 lfm Schriftgut – archivierte Das zum großen Teil in Form von losen Blättern überlie- Ablagen und Unterlagen der Diensteinheiten – wurden ferte Schriftgut ist im Zuge der Auflösung des MfS nach inzwischen thematisch erschlossen: 86 Prozent Unterla- Struktureinheiten (sofern erkennbar) gebündelt worden. gen der Diensteinheiten und vier Prozent archivierte Ab- Diese Bündel sind nach wie vor aufwändig zu ordnen lagen. Neben dem Schriftgut sind ca. 1,8 Millionen au- und in ihren Überlieferungszusammenhang zu stellen. diovisuelle Medien (z. B. Fotos, Filme, Tondokumente) Ein Zugriff auf sie war zunächst weder personen- noch und maschinenlesbare Daten aus wichtigen Datenpro- sachbezogen möglich. Daher wird der Erschließung die- jekten des Ministeriums für Staatssicherheit überliefert. ser Unterlagen seit Bestehen des BStU nach festgelegten Zudem sind dem Umfang mehr als 15 000 Behältnisse Kriterien hohe Priorität beigemessen. Inzwischen sind mit zerrissenen Unterlagen hinzuzurechnen. Hinzu von den Unterlagen der Diensteinheiten in den Außen- kommen weitere Unterlagen auf Sicherungs- und Ar- stellen und in der Zentralstelle 52 000 lfm erschlossen beitsfilmen. (ca. 86 Prozent).

Erschließung, Nutzung und Recherche Bei den archivierten Ablagen, die bis 1989 vom Ministe- Die Hinterlassenschaft des MfS stellte die Archive von rium für Staatssicherheit und seinen Bezirksverwaltun- Beginn der Arbeit des BStU an vor besondere Herausfor- gen abgelegt wurden, handelt es sich um Schriftgut, das derungen. Die Überlieferung von vor allem personenbe- aus vorwiegend personenbezogenen Akten und formier- zogenen Unterlagen der Geheimpolizei einer Diktatur in ten Vorgängen besteht. Dieses enthält operatives, zu- solcher Geschlossenheit ist historisch und weltweit ein- meist über die überlieferten zentralen Personenkarteien malig. Es mussten Wege gefunden werden, in die Arbeits- recherchierbares Material. Thematisch sind davon bis- weise der Staatssicherheit und ebenso in die Inhalte der lang etwa vier Prozent erschlossen. Die archivische Er- umfangreichen Unterlagen und die Verbindungen zwi- schließung dieser Vorgänge war gegenüber den Unterla- schen den Überlieferungsarten Einblick zu gewinnen. gen der Diensteinheiten zurückgestellt worden, da bereits ein personenorientierter Zugriff möglich war. Die Archivarbeit berücksichtigt zeitgleich aktuelle Nut- zerinteressen und die archivfachlichen Erfordernisse. So Unterlagen der Staatssicherheit sind neben dem Schrift- richteten sich in den Anfangsjahren die Bemühungen gut auch insgesamt fast 1,8 Millionen Fotodokumente vor allem darauf, die archivierten Unterlagen mit Perso- und ca. 30 000 Film-, Video- und Tondokumente sowie nenbezug durchgängig recherchierbar zu machen. Die maschinenlesbare Daten. Davon wurden bisher 1 Million Recherche erfolgte über die weitgehend erhalten geblie- zugänglich gemacht, sodass der Erschließungsstand hier benen zentralen Karteien des MfS. Mit dem anschließen- bei rund 55 Prozent liegt. Im Einzelnen sind die Tondo- den Aufbau und der Einführung der Datenbank Elektro- kumente aus den Außenstellen zu über 60 Prozent er- nisches Personenregister 1993 konnte auch zu Personen schlossen, die aus der Zentralstelle zu etwa drei Vierteln. 136 Archive

Während weit über die Hälfte der Fotoüberlieferung er- virtuellen Rekonstruktion ermöglichen soll, wird das Pi- schlossen ist, sind die ca. 1 120 Filme und 1 660 Videos lotverfahren abschließen. komplett erschossen. Außerdem werden die Informatio- Die ursprüngliche Planung sah den Abschluss der Pilot- nen von 46 Datenprojekten des MfS und seiner Bezirks- phase bis zum 31. März 2009 vor. Jedoch gestaltete sich verwaltungen erschlossen und die Daten in modernen die Entwicklung der verschiedenen Module wesentlich Speichermedien gesichert. zeitaufwändiger, als der Auftragnehmer bei Projektstart angenommen hatte. Es wird deshalb zu einer erhebli- Manuelle und virtuelle Rekonstruktion zerrissener chen, allerdings für Forschungs- und Entwicklungsvor- MfS-Unterlagen haben dieser Komplexität nicht ungewöhnlichen zeitli- chen Verzögerung kommen. Das Fraunhofer IPK hat Die seit 1995 bestehende Projektgruppe „Manuelle Re- bisher die Inhalte aller abgenommenen Meilensteine in konstruktion zerrissener MfS-Unterlagen“ hat den Auf- der geforderten Qualität geliefert. trag, jene Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wie- der zusammenzusetzen, die von Angehörigen des MfS An die Entwicklungsphase soll sich die Testphase des Pi- 1989/90 grob per Hand zerrissen, aber nicht mehr end- lotverfahrens anschließen, um an Hand von zerrissenem gültig beseitigt werden konnten. Im Einzelnen ist sie zu- Schriftgut aus 400 nach inhaltlicher Relevanz ausge- ständig für die Sichtung, Zusammensetzung und erste wählten Lagerungsbehältern die Komponenten auf ihre Formierung der Unterlagen. Rund die Hälfte der Gruppe Einsatzfähigkeit im Massenbetrieb zu prüfen. Mit dieser besteht aus Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration Testphase setzt auch die archivfachliche Erschließung und Flüchtlinge. und Zugänglichmachung der virtuell rekonstruierten Unterlagen durch den BStU ein. Inzwischen wurden vom BStU weit mehr als eine Million Blatt manuell rekonstruiert. Zahlreiche Schicksale, aber Der Deutsche Bundestag hat in den Haushaltsjahren auch Verantwortlichkeiten konnten erst im Licht der 2011/12 zusätzliche Mittel in Höhe von insgesamt 2 Mio. wieder zusammengefügten Unterlagen geklärt werden. Euro für eine Erweiterung des Forschungsauftrags etati- Das betrifft Dokumente aus der Beobachtung und Ver- siert. Diese Erweiterung umfasst nun auch die Untersu- folgung prominenter Oppositioneller und von Regime- chung und Entwicklung von Lösungen zur IT-gestützten kritikern. Daneben konnte ehemaligen inoffiziellen Mit- Formierung der virtuell wiederhergestellten Einzelseiten arbeitern des MfS mit Hilfe der rekonstruierten sowie zu deren Erschließung. Diese Module sind weitere Unterlagen ihre Tätigkeit nachgewiesen werden. Nach Bausteine, um die zerrissenen MfS-Unterlagen schneller Auffassung des BStU ist es für die Rekonstruktion groß- als bisher zugänglich machen zu können. teilig zerrissener Unterlagen auch künftig sinnvoll, pa- rallel zu einer künftig möglichen virtuellen die manuelle Bestandserhaltung Rekonstruktion aufrechtzuerhalten. Bei der manuellen Der Bestandserhaltung der Hinterlassenschaft des Rekonstruktion wird neben den Informationen auch das Ministeriums für Staatssicherheit wird beim BStU große historische Material selbst wieder hergestellt. Das ist bei- Aufmerksamkeit gewidmet. Aus dieser speziellen Sicht spielsweise für zeitgeschichtlich herausragende Doku- konnten seit Bestehen der Behörde sowohl die techni- mente wie Protokolle oder Aktenstücke, die von den sche Ausstattung der Archive als auch die Methoden des Spitzen der SED und des MfS oder ihren ausländischen Aufbereitens der Unterlagen für die Nutzung ständig Verbündeten selbst erstellt, unterzeichnet oder eigen- verbessert werden. Die Unterlagen waren 1990 in sehr händig bearbeitet wurden, von besonderer Bedeutung. unterschiedlichen Umgebungen vorgefunden worden. Das Spektrum reichte von zum Teil klimatisierten Maga- Im Jahr 2007 bewilligte der Deutsche Bundestag ca. zinen im MfS-Zentralarchiv in Berlin bis zur unsachge- 6 Mio. Euro für die Durchführung eines Pilotverfahrens mäßen Lagerung in einem Bunker in Cottbus. Zum Ver- zur virtuellen Rekonstruktion von zerrissenen MfS-Un- schleiß des Archivmaterials trugen zusätzlich die terlagen. Hierzu erging im Frühjahr 2007 ein For- vielfache Nutzung und der Transport zwischen den Lie- schungsauftrag an das Fraunhofer Institut für Produkti- genschaften des BStU bei. onsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK). Das Pilotverfahren besteht aus zwei Hauptbausteinen: die Mit dem Ausbau und der Modernisierung bestehender vom Fraunhofer IPK zu realisierende technische Ent- Liegenschaften oder dem Umzug in geeignete Räumlich- wicklungs- und Testphase sowie die archivfachliche Be- keiten verbesserten sich auch die Lagerungsbedingungen arbeitung der virtuell rekonstruierten Einzelseiten für das Archivgut. Ein Großteil der Unterlagen wurde durch den BStU. Ein Bericht des BStU an den Deutschen zwischenzeitlich in säurefreie Behältnisse verpackt; in Bundestag, der dem Gesetzgeber eine Entscheidung über den Magazinen wurden klimaverbessernde Lösungen ge- die Durchführung eines möglichen Hauptverfahrens zur schaffen. Tondokumente, Kinefilme und Videos werden Archive 137 unter speziellen Bedingungen zentral in Berlin gelagert. in die Thematik und verzichten dafür auf ein ausführli- Auch die voranschreitende Erschließung der Unterlagen ches Register. zieht neue Herausforderungen für die Bestandserhaltung Darüber hinaus werden Unterlagen auch außerhalb der nach sich. Erstmals 2007 wurden beispielsweise Nitratfil- Internetseiten des BStU online präsentiert. Der BStU be- me im Bestand nachgewiesen, die wegen ihrer Gefähr- teiligt sich beispielsweise mit verschiedenen Findbuch- lichkeit separat gelagert und möglichst rasch dupliziert dateien am Archivportal „SED-/FDGB-Archivgut“. Bei werden müssen. diesem Portal handelt es sich um ein Kooperationspro- Eine häufige Nutzung der Aktenbestände und der Kartei- jekt des Bundesarchivs mit den Landes- und Staatsarchi- en des MfS führt zum Verschleiß des Papiers und zu In- ven der neuen Länder und des Landes Berlin. Der BStU formationsverlusten. Die Schutzverfilmung gefährdeter hat hierzu eine online-Beständeübersicht zu im MfS- Unterlagen ermöglicht einen fortwährenden Zugang so- Überlieferungsbereich enthaltenen Unterlagen von SED wie eine dauerhafte Sicherung derselben. und FDGB erstellt, die seit Herbst 2009 in den online- Auftritt des Netzwerks „SED-/FDGB-Archivgut“ einge- Eine besondere Aufmerksamkeit gilt der Bestandserhal- bunden ist. tung der vom MfS gefertigten Mikrofilme. Diese sind durch den häufigen Gebrauch zu Recherchezwecken, zum Teil auch durch die Anfertigung von Rückkopien, Die Dokumentationsstelle Widerstands- und sehr stark beansprucht und in ihrer Substanz gefährdet. Repressionsgeschichte in der NS-Zeit und Deshalb werden für die Akteneinsicht polaritätsgleiche der SBZ/DDR – Dokumentationsstelle Duplikatfilme gefertigt. Dresden

Die Konservierung der Bestände umfasst diverse präven- Entstehung und Entwicklung tive Maßnahmen wie archivgerechte Verpackung, klima- Die „Dokumentationsstelle Widerstands- und Repressi- tisierte Lagerung und umsichtige Handhabung in allen onsgeschichte in der NS-Zeit und der SBZ/DDR“ (seit Bereichen. Die Unterlagen bestehen aus heterogenen Pa- 2010 Dokumentationsstelle Dresden) wurde auf Vor- pieren und tragen, oft herstellungsbedingt, den Keim der schlag des Sächsischen Staatsministeriums für Wissen- Zerstörung durch Säurebildung in sich. Bei der häufigen schaft und Kunst vom Frühjahr 1999 und nach einem Nutzung werden sie außerdem mechanisch stark bean- Beschluss des Stiftungsrats der Stiftung Sächsische Ge- sprucht und auch geschädigt. Eine Konservierungsmög- denkstätten vom 19. April 1999 eingerichtet. Sie nahm lichkeit für diese Papiere bietet die Entsäuerung. Das am 1.September 1999 in der StSG ihre Arbeit auf. Sie ist Massenproblem des schleichenden Papierzerfalls kann hervorgegangen aus dem Bereich Widerstandsforschung jedoch nicht in Einzelrestaurierungen bewältigt werden. am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung In der Restaurierungswerkstatt des BStU wurden daher e. V., der zu diesem Zeitpunkt an die Stiftung transferiert Unterlagen aus verschiedenen Teilbeständen für ein Pi- wurde. Die Dokumentationsstelle hat eine zentrale Auf- lotprojekt zur Massenentsäuerung ausgewählt, welches gabe darin, die sächsischen Gedenkstätten in ihrer Arbeit aus Mitteln des Konjunkturpaketes II der Bundesregie- zu unterstützen. Sie war jedoch in ihrer Tätigkeit von rung umgesetzt wurde. Anfang an nicht allein auf Sachsen beschränkt. Bereits ihr „Vorgänger“, der Bereich Widerstandsforschung am Findmittel im Internet HAIT, war in der thematischen und zeitlichen Spannwei- te seiner Arbeiten auf den gesamtstaatlichen, teils inter- Einen grundlegenden Überblick über alle beim BStU ver- nationalen Bereich ausgerichtet, was sich u. a. in der walteten Bestände vermitteln die Bestandsübersichten, Breite seiner Materialsammlung zeigte. die wesentliche Erkenntnisse aus dem Erschließungspro- zess widerspiegeln. Sie sind seit einigen Jahren im Inter- Seit der Einrichtung der Dokumentationsstelle bilden die net abrufbar und werden regelmäßig aktualisiert. Hinzu Aufgabenbereiche „Auskunftstätigkeit“ und „Forschung“ kommt eine Reihe von Findbüchern und Aktenverzeich- zwei ihrer vier zentralen Aufgabenbereiche sowohl für nissen. Beispielhaft sei verwiesen auf die online-Einstel- die Opfer der NS-Terrorherrschaft wie auch der SED- lung des Verzeichnisses für Filme und Videos im Jahre Diktatur: 2009. Diese Bestandsübersichten werden stetig fortge- –– Dokumentation von Opfer- und Widerstandsschick- schrieben, um den Nutzern geeignete Mittel zur Recher- salen, che bereitzustellen. In den vergangenen Jahren wurden schwerpunktmäßig Aktenverzeichnisse zu Diensteinhei- –– Auskunftstätigkeit und Beratung für Betroffene und ten der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen ver- Hinterbliebene, öffentlicht. Im Gegensatz zu gedruckten Findmittelüber- –– Durchführung von Forschungsprojekten zu zentra- sichten bieten diese Verzeichnisse eine kurze Einführung len Repressionsthemen oder Verbrechenskomplexen, 138 Archive

–– Publikation der Projektergebnisse. ca. 3 000 bis 3 500 Anfragen bearbeitet, darunter auch Seit dem Jahr 2000 ist die Dokumentationsstelle die lei- vermehrt Anfragen für Gedenktafeln von Opfern der tende Stelle des im Auftrag der Bundesregierung durch- SED-Diktatur, bezüglich einzelner örtlicher Gruppen geführten internationalen Projekts „Sowjetische und oder etwa Berufsgruppen. Das Interesse hat sich auf die- deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen sem hohen Niveau stabilisiert. Ein Sinken der „Nachfra- zum Zweiten Weltkrieg und zur Nachkriegszeit“. Im Be- ge“ ist auch für die nächsten Jahre nicht zu erwarten. reich „Sowjetische Kriegsgefangene“, „Deutsche Spezial- Die thematischen Forschungsschwerpunkte der letzten lagerhäftlinge und SMT-Verurteilte“ sowie „Schick- Jahre bildeten Geheimdienstdokumente zum 17. Juni salsklärung und Rehabilitierung deutscher Staatsbürger“ 1953, sowjetische Speziallager in der SBZ, sowjetische ist sie die einzige, seit Jahren auf vertraglicher Grundlage Todesurteile gegen deutsche Zivilisten in den Jahren international tätige Organisationseinheit der Stiftung. 1945 bis 1947, das Lagersystem für deutsche Kriegsgefan- Daher hat die StSG innerhalb der Gedenkstättenstiftun- gene in der UdSSR sowie sozialstatistische Befragungen gen Deutschlands hierin ein Alleinstellungsmerkmal. zu Haftfolgeschäden politischer Haft in der SBZ und der Hinzu kommen intensive Arbeitsbeziehungen zur DDR. Die Sammlungs- und Dokumentationstätigkeit Haupt-Militärstaatsanwaltschaft in Moskau, über die in wird in den nächsten Jahren fortgesetzt. dieser Dauer keine andere deutsche Institution in dieser Form verfügt. Seit Juni 2008 nimmt die Dokumentati- Die Dokumentationsstelle verfügt über eine Reihe von onsstelle Dresden im Rahmen einer Aufgabenübertra- EDV-gestützten Informationen und Dokumenten, wie gung Aufgaben des AA im Bereich „Russisches Rehabili- sie in keiner anderen Einrichtung im Bereich der deut- tierungsgesetz und deutsche Antragsteller“ wahr. schen Gedenkstätten vorliegen: Dokumente und Perso- nenverzeichnisse zum Schicksal deutscher Kriegsgefan- Die Dokumentationsstelle ist im Laufe ihrer Geschichte gener und Zivilisten (für letztere Verfolgungen in der zu einer der zentralen Anlaufstellen der Bundesrepublik SBZ und in der DDR), die vor allem für die Forschung Deutschland für Personen geworden, die erstens als und Dokumentation aufbereitet sind bzw. für historische deutsche Kriegsgefangene in sowjetische Hände gefallen Kurzgutachten genutzt werden. Dieser Bestand ist zu ei- sind, zweitens Opfer der sowjetischen Strafpraxis nach nem überwiegenden Teil mit Zustimmung des BMI vom 1945 wurden bzw. drittens Opfer der SED-Diktatur ge- Suchdienst des Deutschen Roten Kreuz (DRK) für Aus- worden sind. Sie hat zur Erfüllung dieser Aufgaben große wertungs- und wissenschaftliche Zwecke der Dokumen- EDV-gestützte personenbezogene Datenbestände aufge- tationsstelle zur Verfügung gestellt worden. Zum Teil baut und nutzt diese für ihre wissenschaftliche und Aus- wurde er in eigens initiierten Kooperationsprojekten mit kunftstätigkeit gegenüber Privatpersonen und öffentli- dem DRK-Suchdienst für dessen sowie stiftungseigene chen Ämtern. Zwecke erarbeitet (dt. Kriegsgefangene). Ein Teil der Be- In diesen Anfragen geht es entweder um vertiefende stände beruht zudem auf einer Kooperation zwischen Schicksalsklärung mit Hilfe von Akten, die in der Doku- dem AA und der Dokumentationsstelle Dresden. Die Da- mentationsstelle Dresden vorhanden sind oder die be- tenbanken sind sowohl für Einzelabfragen nutzbar wie schafft werden müssen, oder um eine bestimmte Einord- auch für bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen nung von Haftgründen für die Antragstellung und aufbereitet. Entscheidung von Ämtern im Rahmen der verschiede- Die Bestände zu deutschen Kriegsgefangenen und Zivil- nen SED-Unrechtsbereinigungsgesetze bzw. des Häft- häftlingen umfassen zurzeit ca. 2,7 Millionen Datensätze lingshilfegesetzes. Es geht auch um Beratung. Hierzu sowie mehr als 10 Millionen digitalisierte Dokumenten- sind z. B. Gutachten oder Auskünfte für Ämter anzuferti- seiten. gen. Die Dokumentationsstelle der StSG erfüllt damit wichtige historisch-wissenschaftliche sowie humanitäre Die Robert-Havemann-Gesellschaft e. V., Aufgaben für die Betroffenen und ihre Hinterbliebenen. Archiv der DDR-Opposition Die Stiftung ist zudem gegenwärtig die einzige deutsche Die Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. (RHG), am Institution, die im Auftrag von Betroffenen Aktenein- 19. November 1990 in Berlin von der Bürgerbewegung sicht in Strafakten beim FSB (früher KGB) in Moskau im Neues Forum gegründet, dokumentiert und vermittelt Umfang mehrerer hundert Fälle im Jahr vornimmt. die Geschichte und die Erfahrungen von Opposition und Auch für die Archive in Weißrussland bzw. der Ukraine Widerstand gegen die kommunistische Diktatur. Der verfügt sie – teilweise als einzige deutsche Institution – Verein ist Träger des Archivs der DDR-Opposition und seit 2002 über gesicherten Aktenzugang. Herausgeber von Publikationen zur Oppositionsge- Seit der offiziellen Aufgabenwahrnehmung im Rahmen schichte. Politische Bildungsarbeit betreibt der Verein des „Russischen Rehabilitierungsgesetzes“ werden durch mit Ausstellungen, Veranstaltungsreihen und Semina- Mitarbeiter der Dokumentationsstelle Dresden jährlich ren. Archive 139

Archive Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und BKM, das Rahmenprogramm vom BMI gefördert. Das Archiv der DDR-Opposition beinhaltet Materialien ab 1945 über antikommunistischen Widerstand, über Die RHG hat 2009 zudem Erinnerungs- und Informati- kirchliche oder atheistische Systemkritiker sowie über onsstelen zur Friedlichen Revolution von 1989/90 in Ber- Menschenrechts-, Friedens-, Frauen- und Umweltgrup- lin errichtet. Auf dieses Projekt wird im Kapitel 13 pen. Unter den Dokumenten sind Kassiber, Flugblätter, „Denkmäler und Mahnmale“ eingegangen. Samisdat-Publikationen der DDR-Opposition oder Do- kumente der Bürgerbewegungen von 1989/90. Zu über Das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte 500 lfm Schriftgut kommen 80 000 Fotos und 800 Plaka- „Matthias Domaschk“, Jena te. Darüber hinaus existieren umfangreiche Sammlun- Das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Do- gen von Filmen, Audios, Transparenten und anderen Ob- maschk“ (ThürAZ) ist das Spezialarchiv der Opposition jekten. Zeitzeugenberichte ergänzen die Bestände. Die und des Widerstandes in der SED-Diktatur für den Frei- archivierten Dokumente von Opposition und Wider- staat Thüringen. Es wurde 1991 gegründet. Träger ist stand bilden eine Art Gegenüberlieferung zu den Staats- seitdem der Verein Künstler für Andere e. V., der aus der und Parteiakten des SED-Staats. gleichnamigen Jenaer Gruppe der DDR-Opposition her- Die drei Wurzeln des Archivs sind das im Mai 1992 im vorgegangen ist. Hinterhaus der Schliemannstr. 23 im Berliner Prenzlauer Das Archiv verfügt über knapp 100 Vor- und Nachlässe Berg eingerichtete Robert-Havemann-Archiv mit dem sowie Sammlungen von Bürgerrechtlerinnen und Bür- Nachlass Robert Havemanns und den Unterlagen des gerrechtlern. Diese Bestandsgruppe gibt Einblick in die Neuen Forums als Gründungsbeständen, das Matthias- Oppositionstätigkeit besonders in den 1970er und -80er Domaschk-Archiv, am 7. Januar 1992 in der Umwelt-Bib- Jahren, wobei die Erwerbstätigkeit des Archivs den Zeit- liothek Berlin gegründet, das sich 1993 der RHG an- raum von 1945 bis 1990 umfasst. Der geografische schloss mit der Dokumentensammlung der Umwelt-­ Schwerpunkt liegt bei den ehemaligen Bezirken Gera, Bibliothek aus der DDR-Oppositionsbewegung der Erfurt und Suhl, dem heutigen Freistaat Thüringen. 1980er Jahre und schließlich das Archiv GrauZone mit seinen Materialien zur ostdeutschen nichtstaatlichen Die Bestände sind in gedruckten Übersichten und auch Frauenbewegung, das die RHG 2003 übernahm. Die Be- im Internet verfügbar. Das Archiv ist öffentlich zugäng- stände dieser drei Archive wurden in der RHG zum Ar- lich und bietet Nutzern sowohl die Möglichkeit einer chiv der DDR-Opposition zusammengeführt. selbstständigen Nutzung als auch eine Nutzerbetreuung, die Vorrecherchen und Recherchen auf Anfragen, Archiv- Zum 20. Jubiläum von Friedlicher Revolution und Wie- führung und Einführungen in die Findhilfsmittel, die dervereinigung 2009/10 präsentierte die Robert-Have- Vermittlung von Zeitzeugen sowie die Erstellung von Re- mann-Gesellschaft in Kooperation mit der Kulturprojek- produktionen umfasst. te Berlin GmbH die Open-Air-Ausstellung „Friedliche Revolution 1989/90“ auf dem Berliner . Das ThürAZ legte von Anfang an einen Schwerpunkt auf Sie war vom 7. Mai 2009 bis zum 3. Oktober 2010 zu se- archivische und historisch-politische Bildungsarbeit. hen und wurde vom Regierenden Bürgermeister von Dabei werden zielgruppenspezifische Formate für Schü- Berlin, Klaus Wowereit, dem damaligen Bundesaußen- lerinnen und Schüler, Studierende, Multiplikatoren und minister und Vizekanzler, Frank-Walter Steinmeier, und die Fach- und allgemeine Öffentlichkeit angeboten. dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Das ThürAZ wird im Rahmen der Projektförderung von Medien, Staatsminister Bernd Neumann, eröffnet. Mehr der Bundesstiftung Aufarbeitung, vom Freistaat Thürin- als 2 Millionen Menschen – so auch Bundeskanzlerin gen und von der Stadt Jena gefördert. Angela Merkel am 4. Mai 2012 – besuchten die Ausstel- lung, die mit über 700 Fotos und Textdokumenten, mit Filmen, Tonbeiträgen und gegenständlichen Exponaten Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. die Vorgeschichte und den Verlauf der Friedlichen Revo- Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. wurde im Mai lution und den Weg zur Deutschen Einheit bis zu den 1991 von ehemaligen Leipziger Oppositionellen gegrün- ersten gesamtdeutschen Wahlen am 2. Dezember 1990 det. Das Archiv konnte auf einen Bestand zurückgreifen, dokumentierte. Über 90 Veranstaltungen begleiteten die der schon seit 1988 von Mitgliedern der Leipziger Oppo- Ausstellung, die im September 2009 mit dem von der sition unter den Bedingungen der Diktatur, damals „ge- Bundeszentrale für politische Bildung verliehenen „ein- tarnt“ als Gemeindebibliothek im Markuspfarramt in heitspreis“ in der Kategorie „Kultur – Profil der Einheit“ Leipzig, gebildet wurde und der Öffentlichkeit zur Verfü- ausgezeichnet wurde. Die Ausstellung wurde durch die gung stand. 140 Archive

Im Archiv werden seit dessen Gründung die hinterlasse- – Die Gefängnisse des Gefängnis-Staates“ präsentiert, die nen Selbstzeugnisse der DDR-Opposition, der Bürgerbe- zum ersten Mal in Deutschland zu sehen war. wegungen und der in den Jahren 1989/90 entstandenen Darüber hinaus betreut das Archiv seit Jahren Schüler- Initiativen und Parteien gesammelt und nach archivwis- projekte vor Ort, momentan in Leipzig, Markkleeberg senschaftlichen Prinzipien erschlossen. und Borna, die sich mit den historischen Ereignissen der Für anlässlich der Jubiläen zur Friedlichen Revolution Region und des Umfeldes beschäftigen. Dabei kommen und zur Deutschen Einheit erarbeitete wissenschaftliche verschiedene didaktische Methoden zum Einsatz, um Studien, Ausstellungen und Beiträge in den Medien hat das hohe Kulturgut Menschenrechte und Demokratie er- das Archiv Bürgerbewegung unerlässliches Material lie- lebbar zu machen. Außerdem werden für Träger der poli- fern können. Wissenschaftler, Studenten und Journalis- tischen Bildung, Ausbildungseinrichtungen und Touris- ten aus dem In- und Ausland nutzen das Archiv. tengruppen u. a. Bildungsreisen, Vorträge und Zeitzeugengespräche angeboten. Seit vielen Jahren realisiert das Archiv Bürgerbewegung Der Verein hat in den letzten Jahren eine Reihe von Pu- außerdem Projekte der politischen Bildung. So wurden blikationen zu verschiedenen Themen herausgegeben, so u. a. Wanderausstellungen erarbeitet, die sehr erfolgreich u. a. zum Jugendlichen Widerstand in Altenburg/Thü- in ganz Deutschland gezeigt werden. Anhand unter- ringen, zur Jugendsubkultur in Leipzig, über die Waffen- schiedlicher Themen werden die diktatorischen Verhält- dienstverweigerung in der DDR und zu Flucht und Aus- nisse in der DDR dargestellt. Ziel ist es, Momente der Zi- reise. vilcourage und der Menschenrechte ins Bewusstsein zu rücken. Der Ausstellungskatalog steht unter www.ar- Zur Zeit verfügt das Archiv über ca. 140 lfm Aktenbe- chiv-buergerbewegung.de/ausstellungen online zur Ver- stand, eine umfangreiche Sammlung Samisdat-Literatur, fügung. Im Laufe der Jahre hat sich dadurch ein enges über 3 500 Fotos, eine Sammlung von Zeitzeugeninter- Netzwerk von Kooperationspartnern in ganz Deutsch- views, eine Handbibliothek mit ca. 1 600 Bänden, einen land entwickelt. Neben Aufarbeitungsinitiativen und öf- Videobestand mit über 600 CDs und DVDs sowie 170 Au- fentlichen Institutionen gehören immer mehr Schulen diokassetten. Außerdem verleiht und betreut es acht dazu, die das Angebot nutzen. Wanderausstellungen an 26 Ausstellungsorten.

Im Jahr 2011 wurde eine von der Bundesstiftung Aufar- Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. hat seine Auf- beitung finanzierte virtuelle Ausstellung zur Deutschen gabengebiete von der Archiv-und Sammlungstätigkeit in Einheit erarbeitet. Unter dem Titel „Power to the people den Anfangsjahren des Bestehens in den letzten Jahren – Leipzig zwischen Anarchie und Nationalstaat“ beleuch- zunehmend ausgeweitet hin zu einer Einrichtung der tet und würdigt sie in einer Lokalstudie bürgerschaftli- politischen Bildung mit der Erarbeitung von Ausstellun- ches Engagement bis zur Deutschen Einheit und erinnert gen, Durchführung von Veranstaltungen, Betreuung von so an die demokratischen Prinzipien von Einmischung, Schülerprojekten, Organisation und Durchführung von Gestaltung und Aktion (online unter: www.deutsche- Zeitzeugengesprächen. Mit zunehmender Erweiterung einheit-leipzig.de). der Angebote des Vereins hat sich kontinuierlich die Ar- chivnutzung erhöht. So ist die Nutzung der Bestände In der Aufarbeitungsdebatte wird das Archiv in Zukunft und der Fotosammlung durch Vertreter von Medien, den europäischen Gedanken stärker in das Bewusstsein Buchautoren und Wissenschaftler stark angestiegen. rücken. So groß das Interesse bis 1989 an Osteuropa in der DDR war, so endete es abrupt mit den neuen Proble- Der Verein wird im Rahmen von Projektförderungen men der Deutschen Einheit. Deshalb arbeitet das Archiv durch die Bundesstiftung Aufarbeitung, die Stiftung Bürgerbewegung verstärkt mit ost- und südosteuropäi- Sächsische Gedenkstätten und die Stadt Leipzig finan- schen Aufarbeitungsinitiativen zusammen und präsen- ziell unterstützt. tiert deren Arbeiten in Leipzig. Im Herbst 2010 wurde eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem „Memorial Das Martin-Luther-King-Zentrum für der Revolution Timişoara“ gezeigt. In erschütternden Fo- Gewalt-freiheit und Zivilcourage e. V. – tos wurde die blutige Revolution in Rumänien im De- Archiv der Bürgerbewegung zember 1989 nachgezeichnet. Weiter besteht eine Zu- Südwestsachsens sammenarbeit mit dem Nationalen Historischen Das Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit Museum Tirana, um die in Deutschland weitgehend un- und Zivilcourage mit dem Archiv der Bürgerbewegung bekannte Unterdrückung unter der Hoxha-Diktatur zu Südwestsachsen e. V. ist eine aus der Mitte der Gesell- thematisieren. Im Mai 2011 wurde im Europahaus Leip- schaft gewachsene Initiative und besteht seit 1998. Das zig die Fotoausstellung „The prisons of the prison‘s polity Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage e. V. knüpft Archive 141 an die Friedens- und Bürgerbewegung in der DDR und –– Ausstellungsarbeit zu gesellschaftsbezogenen The- die Friedliche Revolution an und versteht sich als Aufar- men Krieg und Frieden, Gewaltfreiheit, Friedens- beitungsinitiative für die DDR-Oppositions- und Repres- und Bürgerbewegung sionsgeschichte. Insbesondere werden folgende Ver- –– Zeitzeugenarbeit mit Akteuren der Friedlichen Revo- einsziele und Projekte verfolgt: lution

–– Sammlung, Sicherung, Erschließung von Archivma- –– „Weg der Friedlichen Revolution“-Errichtung von Er- terial aus der Bürgerbewegung Südwestsachsens zur innerungstafeln in Werdau, Crimmitschau, Zwickau Pflege und Erhaltung dieser Kulturwerte für Doku- und Plauen zur Erinnerung an die Ereignisse von mentation, Bildung und Forschung 1989/90 –– Aufarbeitungsinitiative für DDR-Oppositionsge- –– Präsentation und Besucherbetreuung der Daueraus- schichte und SED-Unrecht stellung „Opposition, Repression und Friedliche Re- volution in der DDR“ sowie der Wanderausstellungen –– Förderung der Heimatpflege und Heimatkunde in „Die Schwerter-zu-Pflugscharen-Bewegung“ (2007) Form von Forschungsprojekten über den Kirchen- und „Die Zeitungen der Friedlichen Revoluti- kampf während des Nationalsozialismus sowie oppo- on“(2009). sitionelles und widerständiges Verhalten während der DDR-Zeit in der Region Südwestsachsen Bildungsarbeit –– Bildungs- und Begegnungsarbeit, insbesondere unter Jugendlichen, für Gewaltfreiheit und Zivilcourage, Mit den Mittelschulen und Gymnasien der Region Süd- um Radikalisierung und Gewalt in der Gesellschaft westsachen bestehen erfolgreiche Kooperationen. Pro- zu begegnen jektstunden und -tage werden mit Schulklassen direkt in Schulen sowie im King-Zentrum durchgeführt. Weiter –– Jugendpflege und Jugendfürsorge im Rahmen einer werden Schüler und Studenten bei der Vorbereitung von Bildungs- und Begegnungsstätte mit Veranstaltungs- Vorträgen und Facharbeiten unterstützt. angeboten vor allem für Jugendliche –– Einsatz für sozial Benachteiligte, politisch, rassisch und religiös Verfolgte sowie Betroffene von SED-Un- recht Wettbewerbsentwurf für das„Freiheits- und Einheitsdenkmal“ in Berlin von Milla & Partner und Sasha Waltz (Januar 2011).

13 Denkmäler und Mahnmale Denkmäler und Mahnmale 143

Das Denkmal in der Gedenkstätte Eindruck des durch die Grenzanlagen zerstörten Stadt- Berliner Mauer raums. Auf der einstigen „Ostseite“ ermöglichen Schlitze zwischen den Betonplatten der Hinterlandmauer Einbli- Im April 1994 lobte der Bund, vertreten durch das Deut- cke in den Todesstreifen. Zum 9. November 2009 wurde sche Historische Museum, einen Wettbewerb für die Ge- zudem ein Wachturm des Typs BT-9 am originalen staltung des nationalen Denkmals für die Opfer des Standort und auf dem originalen Fundament des bereits Mauerbaus und der deutschen Teilung aus, das seinen Platz am historischen Ort in der Bernauer Straße finden im Frühjahr 1990 abgetragenen Originals errichtet. sollte. Drei der insgesamt 259 eingereichten Wettbe- Das Denkmal dient zu jedem Jahrestag des 13. August werbsteilnehmer erhielten einen zweiten Preis: Bühren 1961 und des 9. November 1989 als Ort einer zentralen und Schulz aus Allensbach, Winkler und Thiel aus Berlin Gedenkveranstaltung. Am 13. August 2011 fand hier an- sowie Kohlhoff & Kohlhoff aus Stuttgart. Ein erster Preis lässlich des 50. Jahrestages des Mauerbaus die zentrale wurde von der Jury nicht vergeben. Gedenkveranstaltung des Landes Berlin und des Bundes Im Juli 1995 entschied der Bund als Auslober des Wettbe- unter Teilnahme von Vertretern aller Verfassungsorgane werbs, dass der Gestaltungsvorschlag von Kohlhoff & statt. Kohlhoff realisiert werden solle. Dieser Entwurf sah die Integration überlieferter Sachspuren der originalen Das Freiheitsdenkmal in Plauen Grenzanlage an der Bernauer Straße vor und beabsich- Das Denkmal in Plauen erinnert an die erste Großde- tigte, diese durch gestalterische Mittel zu verstärken und monstration in der DDR am 7. Oktober 1989 mit ca. zu überhöhen. Dem Wettbewerb war ein mehrjähriger 20 000 Teilnehmern, die von den Sicherheitskräften kontroverser Diskussionsprozess über die angemessene nicht mehr aufgelöst werden konnte. Damit wurde die Form und Gestaltung des Gedenkens vorangegangen. Friedliche Revolution zu einer Massenbewegung, der die Am 13. August 1998 wurde das Denkmal, dessen zwei Staatsmacht nichts mehr entgegenzusetzen hatte. (Corten-)Stahlwände ein 70 m langes original erhaltenes Aus Anlass des 20. Jahrestags dieser Demonstration 2009 Stück der Grenzanlagen einschließen, offiziell einge- ergriffen die regionalen Kiwanis-, Lions-, Rotary- und weiht. Die rahmenden Stahlwände des Denkmals gaben Soroptimist-Clubs mit Hilfe aller Interessierten die Ini- auch das Leitmaterial für sämtliche Hinzufügungen der tiative zur Errichtung des Denkmals „für das mutige Gedenkstättenerweiterung seit 2009 vor. Die Inschrift Volk“. Der Sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich am Denkmal lautet: übernahm die Schirmherrschaft über das Vorhaben. Der „In Erinnerung an die Teilung der Stadt vom 13. August Freistaat Sachsen hat das Projekt zur Errichtung des 1961 bis 9. November 1989 und zum Gedenken an die Denkmals mit Mitteln in Höhe von rund 28 000 Euro ge- Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft.“ fördert.

Heute ist der Bereich des Denkmals der einzige Ort in Aus den eingereichten Entwürfen eines Ideenwettbe- Berlin, an dem das tief gestaffelte Sperrsystem der einst werbs wählten die Bürger Plauens den des Künstlers 155 km langen Grenzanlagen in seiner gesamten Aus- Peter Luban aus: eine Kerze – das Symbol der friedlichen dehnung noch erlebbar ist. Das Denkmal korrespondiert Demonstrationen im Herbst 1989 – im Bronzemantel. mit dem auf der gegenüberliegenden Seite der Bernauer Das Denkmal wurde am „Tunnel“ errichtet, dem zentra- Straße stehenden Dokumentationszentrum Berliner len Platz der Stadt Plauen, und am 7. Oktober 2010 einge- Mauer, das seit 1999 von der Gedenkstätte genutzt wird. weiht. Die Evangelische Versöhnungsgemeinde Berlin-Wedding stellt dieses Gebäude zu großen Teilen zur Gedenkstät- Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin tennutzung zur Verfügung. Das Gebäude wurde 2002/03 Die Idee eines nationalen Freiheits- und Einheitsdenk- nach einem Entwurf der Berliner Architekten Hapke/ 13 Denkmäler und Mahnmale mals ist durch bürgerschaftliches Engagement aus der Zerr/Nieländer umgebaut und erhielt einen auf das Mitte der Gesellschaft heraus entstanden und wurde Denkmal ausgerichteten neuen Aussichtsturm, von dem dann in den parlamentarischen Raum getragen. Am 9. aus das Denkmal hervorragend überblickt werden kann. November 2007 beschloss der Deutsche Bundestag mit Die Besucher erhalten hier einen einzigartigen Eindruck den Stimmen der CDU/CSU-, der SPD- und der FDP- von der durch die Grenzanlagen bewirkten brutalen Fraktion, zur Erinnerung an die Friedliche Revolution Trennung der Stadt in zwei Hälften. im Herbst 1989 und an die Wiedergewinnung der staatli- Im Zuge der seit 2009 realisierten Gedenkstättenerweite- chen Einheit Deutschlands ein Denkmal zu errichten, rung wurde das Denkmal in die Gestaltung integriert. das zugleich auch an die freiheitlichen Bewegungen der Der durch die Stahlwände geschaffene hermetische vergangenen Jahrhunderte erinnern sollte. Mit einem Raum des nicht betretbaren Denkmals vermittelt einen weiteren Beschluss des Deutschen Bundestags vom 144 Denkmäler und Mahnmale

4. Dezember 2008 wurde als Standort der Sockel des ehe- tungsphase traf der Bauherr – beraten durch ein Fach- maligen Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf der Berliner gremium – die Entscheidung, die Arbeit von Milla und Schlossfreiheit festgelegt. Partner zusammen mit Sasha Waltz zur Realisierung auszuwählen. Der Ausschuss für Kultur und Medien des Auf der Grundlage der Bundestagsbeschlüsse lobte BKM Deutschen Bundestags hat am 13. April 2011 mit großer in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Mehrheit diese Entscheidung begrüßt. Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und unter der Koor- dination des Bundesamts für Bauwesen und Raumord- Der ausgewählte Entwurf mit dem Titel „Bürger in Be- nung am 19. Dezember 2008 einen offenen, zweistufigen wegung“ zeigt eine große gewölbte Schale, die sich aus Gestaltungswettbewerb aus. Das Parlament legte be- dem historischen Sockel herauszulösen scheint. Sie for- wusst Wert auf eine offene Form des Realisierungswett- dert die Besucher zum Betreten auf und lässt sich durch bewerbs ohne Mindestanforderungen und Beschrän- sie in Bewegung bringen. Dadurch verweist sie auf die kung der Teilnahmeberechtigung. Trotz der überwälti- friedliche Bürgerbewegung, die die Wiedervereinigung genden Resonanz – 533 Teilnehmer reichten ihre Ent- ermöglicht hat. Das Denkmal ist interaktiv konzipiert, es würfe ein – fand jedoch keine der eingereichten Arbeiten soll zu Begegnung und Austausch anregen und zeigt, eine Mehrheit im Preisgericht. Daher folgte der Auslober dass gemeinsame Freiheit nur durch Einheit möglich ist. der Empfehlung der damaligen Jury und beendete diesen Freiheit und Einheit sind jedoch keine dauerhaften Zu- Wettbewerb nach der ersten Stufe im April 2010. Alle stände, sondern müssen stets neu gestärkt und definiert Entwürfe wurden in einem Katalog gewürdigt, der die werden, sie erfordern ständiges Engagement. Dieses große Vielfalt der Lösungsvorschläge zeigt. Prinzip bildet die gedankliche Basis des Denkmals und begründet seinen performativen und veränderlichen Als Konsequenz aus dem ersten Verfahren wurde das Charakter. Die beiden Schlüsselsätze der Friedlichen Re- Konzept vereinfacht und konzentriert. Den künstleri- volution „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk“ sind zent- schen Schwerpunkt des Denkmals sollte nun die Erinne- ral als wesentliches Gestaltungselement auf der Denk- rung an die Friedliche Revolution im Herbst 1989 und maloberseite dargestellt. die Wiedererlangung der Deutschen Einheit bilden. Auf dieser inhaltlichen Grundlage wurde ein neues Verfah- Mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal soll in der Mitte ren in Form eines nichtoffenen Wettbewerbs für Künst- Berlins ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung mit ler, Architekten und Landschaftsarchitekten mit vorge- der Geschichte und ein Symbol zur Erinnerung an die schaltetem offenen Bewerberverfahren durchgeführt. glücklichsten Momente der jüngsten deutschen Ge- Auch dieser Wettbewerb stieß auf große Resonanz. 386 schichte entstehen. Für das Denkmal stehen bis zu Bewerbungen gingen ein, aus denen ein vom Preisgericht 10 Mio. Euro zur Verfügung. unabhängiges Auswahlgremium 33 Teilnehmer auf der Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestags vom 9. No- Basis von Referenzprojekten auswählte. 28 Teilnehmer vember 2007 gab es eine umfangreiche parlamentarische reichten dann ihre Entwürfe für das Freiheits- und Ein- wie öffentliche Debatte. In 28 vom Bund finanzierten In- heitsdenkmal ein. formations- und Diskussionsveranstaltungen hatten die Am 20. Jahrestag der Deutschen Einheit, dem 3. Oktober Bürger seit 2008 deutschlandweit die Möglichkeit, sich 2010, wurde das Ergebnis des internationalen Gestal- aktiv in das Projekt einzubringen. tungswettbewerbs bekannt gegeben. Das hochrangig be- setzte Preisgericht hatte einstimmig entschieden, drei Das Freiheits- und Einheitsdenkmal gleichrangige Preise und zwei Anerkennungen zu verge- in Leipzig ben. Die drei gleichrangigen Preise gingen an die Arbei- Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages am ten von Professor Balkenhol, von Professor Meck und an 9. November 2007 zur Errichtung eines Freiheits- und den Entwurf der Arbeitsgemeinschaft Milla und Partner Einheitsdenkmals in Berlin entwickelten sich verschie- zusammen mit Sasha Waltz. Die beiden Anerkennungen dene Initiativen mit dem Ziel, neben dem Berliner Denk- gingen an Xavier Veilhan und das Büro „realities:united“ mal ein weiteres Denkmal in Leipzig zu errichten. Diese von Jan und Tim Edler. führten 2008 dazu, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung durch Beschluss vom 4. Dezember auf- Die drei preisgekrönten Arbeiten bieten vollkommen un- forderte, „(…) gemeinsam mit dem Land Sachsen und der terschiedliche Herangehensweisen an das Thema „Frei- Stadt Leipzig den Beitrag der Bürgerinnen und Bürger heit und Einheit“ und spiegeln die Vielfalt der For- dieser Stadt zur friedlichen Revolution auf angemessene mensprache und die Bandbreite heutiger künstlerischer und sichtbare Weise zu würdigen“. Ausdrucksformen wider. Das Preisgericht empfahl bei seiner Entscheidung zugleich, die drei Preisträgerent- Das Denkmal soll am 9. Oktober 2014 zum 25. Jahrestag würfe überarbeiten zu lassen. Nach dieser Überarbei- der Friedlichen Revolution in Leipzig eingeweiht werden. Denkmäler und Mahnmale 145

Der Bund stellt bis zu 5 Mio. Euro für das Projekt zur Ver- nicht bekannt, sodass es keinen Hinweis auf diese Opfer fügung, der Freistaat Sachsen beteiligt sich mit bis zu 1,5 im Stadtraum gibt. In einem mehrjährigen Programm Mio. Euro. Das Denkmal soll nach einem Beschluss des stellt die Stiftung Berliner Mauer an der ehemaligen Rates der Stadt Leipzig auf dem Wilhelm-Leuschner- Grenze, dem jetzigen Berliner Mauerweg, Informati- Platz errichtet werden. Der Gestaltungswettbewerb wur- onsstelen auf. Sie erinnern an die Mauertoten, die von de am 9. Oktober 2011 bekannt gemacht. Ein Auswahl- 1961 bis 1989 an der Berliner Mauer erschossen wurden gremium hat am 19. und 20. Januar 2012 aus 325 Bewer- oder tödlich verunglückten. Zum 20. Jahrestag des Mauer- bungen 41 Teilnehmer für den Wettbewerb ausgewählt. falls wurden erste Erinnerungsstelen am südlichen Stadt- 39 Entwürfe wurden abgegeben. Am 6. Juli 2012 hat ein rand entlang des Mauerwegs in der Nähe der jeweiligen international besetztes Preisgericht die Preisträger ge- Todesorte errichtet. Geplant ist, mit solchen Stelen alle kürt: Orte zu markieren, an denen Menschen bei einem Flucht- versuch oder im Zusammenhang mit dem Grenzregime 1. Preis: „70 000“ von M + M, Marc Weis, Martin de Mattia getötet wurden oder ihr Leben verloren. Zum 50. Jahrestag zusammen mit ANNABAU Architektur und Land- des Mauerbaus wurde dieses Vorhaben an der ehemaligen schaft, Sofia Petersson und Moritz Schloten Grenze zwischen West-Berlin und dem Berliner Umland, 2. Preis: „Eine Stiftung für die Zukunft“, von dem heutigen Land Brandenburg, umgesetzt. An 29 realities:united, Jan und Tim Edler mit Schlaich Ber- Standorten wurden Erinnerungszeichen für 50 Todesop- germann und Partner Beratende Ingenieure, Prozess- fer errichtet. Das Projekt wurde durch PMO-Mittel der agenten Susanne Jaschko, Leonard Streich Länder Brandenburg und Berlin finanziert.

3. Preis: „Herbstgarten“ von Anna Dilengite, Tina Bara, Alba d’Urbano. Die „Weißen Kreuze“, Berlin Hinter dem Ostportal des Reichstagsgebäudes (heute Sitz Auf der Grundlage der Preisgerichtsentscheidung und des Deutschen Bundestages) verliefen die Grenzanlagen des nun folgenden Verhandlungsverfahrens wird über der DDR. Das südliche Ufer der Spree gehörte zu West- die Realisierung eines Preisträgerentwurfs entschieden. Berlin, die Wasserfläche war bereits Ost-Berliner Gebiet. An der Stelle, an der die vordere Grenzmauer bis 1990 auf Stelen das Flussufer traf, richtete der private Berliner Bürger- Die Erinnerungs- und Informationsstelen zur Verein zum 10. Jahrestag des Mauerbaus 1971 den Ge- Friedlichen Revolution von 1989/90, Berlin denkort „Weiße Kreuze“ ein. Die Mahnzeichen waren zu- nächst dort aufgestellt worden, wo Flüchtlinge versucht Die Robert-Havemann-Gesellschaft errichtete 2009 „Re- hatten, West-Berlin zu erreichen und dabei verunglückt volutionsstelen“ an 18 wichtigen Orten der Friedlichen oder von DDR-Grenzsoldaten erschossen worden waren. Revolution von 1989/90, die über das Stadtgebiet von Im Laufe der Jahre überstieg der Aufwand für Betreuung Berlin (Ost- und West-Berlin) verteilt sind. Die Stelen be- und Pflege der weit voneinander entfernten Kreuze die leuchten die konkreten politischen und gesellschaftli- Möglichkeiten des Berliner Bürger-Vereins. Die Erinne- chen Aktivitäten des Jahres 1989/90 in Berlin und stellen rungszeichen wurden an zwei zentralen Orten, dem Platz jene engagierten Menschen in den Mittelpunkt, die die an der Spree am Reichstagsgebäude und der Bernauer SED-Diktatur letztlich zu Fall brachten. Sie machen his- Straße in der Gedenkstätte Berliner Mauer konzentriert. torische Orte im Berliner Stadtraum kenntlich, die für Sie sollten an alle Menschen erinnern, die nach der Ab- das Geschehen1989/90 von Bedeutung sind, beginnend riegelung der Grenze bei dem Versuch, aus der DDR nach mit den Protesten gegen die Fälschung der Kommunal- West-Berlin zu fliehen, ums Leben gekommen sind. wahlen am 7. Mai 1989 bis zur Herstellung der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Wegen der Bauarbeiten am Reichstagufer wurde der eine Gedenkort zeitweilig an den , Ebertstraße/ Die Finanzierung des Projektes erfolgte je zur Hälfte Ecke Scheidemannstraße gegenüber der Südseite des durch BKM und durch die Stiftung Deutsche Klassenlot- Reichstages, verlegt. Seit dem 17. Juni 2003 befindet er terie Berlin. sich als Installation aus sieben weißen Kreuzen wieder am Ufer der Spree. Die Kreuze am Tiergarten blieben Die Erinnerungsstelen für Mauertote ebenfalls erhalten. Die Kreuze an der Bernauer Straße am Berliner Außenring sollen zukünftig in die dortige Gedenkstätte integriert Schon ab 1961 wurde an Orten, an denen Flüchtlinge er- werden. schossen wurden oder tödlich verunglückten, Kreuze und Gedenkzeichen errichtet. Einige dieser Erinnerungsorte sind erhalten geblieben, andere entstanden erst nach dem Fall der Berliner Mauer. Manche Todesfälle waren gar 146 Denkmäler und Mahnmale

Die Orte der Friedlichen Revolution, Leipzig Am 8. November 2002 wurde die erste Stele enthüllt. Auf Das Bürgerkomitee Leipzig e. V. eröffnete am 9. Oktober diesem Denkmal wird über den historischen Hinter- 2010 die Ausstellung „Orte der Friedlichen Revolution“. grund informiert und die Glienicker Brücke mit zeitge- Im Leipziger Stadtraum werden damit die 20 wichtigsten nössischen Fotos dargestellt: In der Mitte der 1949 nach Punkte markiert, an denen 1989/90 Aktionen des politi- Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wiederaufgebauten schen Widerstandes stattfanden, von der Demonstration „Brücke der Einheit“ verlief die Grenze zwischen West- für Bürger- und Menschenrechte im Januar 1989 über die Berlin und der DDR. Zugleich diente sie den Alliierten als Aufdeckung der Wahlfälschung im Mai 1989 bis zur ent- Verbindung zwischen Potsdam und den Westsektoren scheidenden Montagsdemonstration am 9. Oktober, der Berlins. Nach der Unterzeichnung des Generalvertrages Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale und der ersten über die Beziehungen der drei Westmächte zur Bundes- freien Volkskammerwahl am 18. März 1990. Mit der Er- republik im Mai 1952 wurde dieses Symbol der deut- richtung thematischer Stelen werden die Topografie und schen Teilung für die Öffentlichkeit endgültig gesperrt die zeitliche Entwicklung der Friedlichen Revolution er- und international durch die dort stattfindenden spekta- lebbar. Die Besonderheit, Vielschichtigkeit und Einma- kulären Austauschaktionen von Agenten aus Ost und ligkeit des Gesamtereignisses Friedliche Revolution in West bekannt. Leipzig wird anhand von Fotos sowie deutschen und englischen Texten vermittelt. Auf den Stelen aus Streck- Nach der Friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer metall, das in der DDR für Grenzsicherungsanlagen ein- wurde die Brücke am 10. November 1989 erneut geöff- gesetzt wurde, informieren Tafeln über bedeutende Akti- net. Heute erinnern hier eine auf die Initiative der För- onen des politischen Widerstandes in Leipzig. dergemeinschaft Lindenstraße 54 von dem Bildhauer Wieland Förster errichtete Bronzeskulptur mit dem Na- Das Projekt wurde mit Mitteln der Stadt Leipzig, des För- men „Nike 89“, eine Gedenktafel sowie eine Mauerstele derprogramms „Friedliche Revolution und Deutsche an die Zeit der deutschen Teilung. Unterschiede in der Einheit“ des Freistaates Sachsen, der Stiftung Sächsische Farbgebung der Brücke machen den ehemaligen Grenz- Gedenkstätten sowie der Bundesstiftung Aufarbeitung verlauf sichtbar. An der Potsdamer Stubenrauchstraße realisiert. am ehemaligen Postenweg des Griebnitzsees in Potsdam- Babelsberg sind sechs Mauersegmente erhalten. Sie wur- Die Stelen zur Erinnerung an das Grenzregime, den durch das „Forum zur kritischen Auseinanderset- Potsdam zung mit der DDR-Geschichte im Land Brandenburg Das durch das Potsdam-Museum koordinierte und über e. V.“ zu einem würdigen Gedenkzeichen gestaltet. Das Spenden finanzierte Projekt „Mauer-Stelen“ erinnert in Forum erreichte darüber hinaus, dass die Mauerreste der Landeshauptstadt an historisch besonders bedeutsa- 2008 unter Denkmalschutz gestellt wurden. Unter dem men Orten wie einem Mauerrest am S-Bahnhof Grieb- Zeichen des christlichen Kreuzes wurde eine Tafel mit nitzsee oder vor der Glienicker Brücke an den Verlauf der den Namen der im Potsdamer Grenzbereich zu Tode ge- Berliner Mauer, die deutsche Teilung und den Mauerfall. kommenen Männer und Frauen angebracht.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, präsentiert einer Delegation der verfassunggebenden Versammlung Tunesiens Musterakten in den Magazinräumen seines Archivs (Berlin, Juli 2012).

14 Bilanz Bilanz 149

Die Aufarbeitung der SED-Diktatur hat in den beiden Auf der Basis bürgerschaftlichen Engagements während vergangenen Dekaden sehr wichtige Erfolge erzielt und der Friedlichen Revolution ist eine breite gesellschaftli- damit einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der in- che Aufarbeitungslandschaft entstanden. In lokalen oder neren Einheit unseres Landes geleistet. Der Weg regionalen Zusammenschlüssen engagieren sich bis heu- Deutschlands in der Auseinandersetzung mit dem kom- te interessierte Bürger ehrenamtlich zum Beispiel in För- munistischen Erbe genießt Achtung in der Welt und ist dervereinen von Gedenkstätten oder privaten Archiven, vielfach Vorbild nicht nur in Ostmitteleuropa, sondern die das materielle Erbe der Opposition in der DDR be- auch im Nordafrika des „Arabischen Frühlings“. Ägypten wahren. Diesem bürgerschaftlichen Einsatz gilt die und Tunesien suchen bei der Auseinandersetzung mit ih- Wertschätzung der Bundesregierung. rer jüngsten Geschichte die Expertise deutscher Aufar- Hinzu kommen die staatlichen Einrichtungen der Län- beitungseinrichtungen. der und des Bundes zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Die Opfer der SED-Diktatur erhielten seit 1990 Möglich- namentlich die Landeszentralen und die Bundeszentrale keiten zur Rehabilitierung und Entschädigung. Die bei- für politische Bildung sowie die Landesbeauftragten und den SED-Unrechtsbereinigungsgesetze aus den Jahren der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Die 1992 und 1994 sowie die Folgegesetze zur Verbesserung Bundesstiftung Aufarbeitung hat sich seit 1998 zur zent- von Leistungen schufen eine tragfähige Grundlage zur ralen Institution zur Überwindung der SED-Diktatur Rehabilitierung und Entschädigung für die am schwers- entwickelt. Sie gewährleistet vor allem mit ihrer Projekt- ten betroffenen Verfolgungsopfer der kommunistischen förderung bundesweit die kontinuierliche Auseinander- Diktatur in Deutschland. Sie eröffnen einen Weg, sich setzung mit Geschichte und Folgen der kommunisti- vom Makel persönlicher Diskriminierung zu befreien schen Diktatur. Die erfolgreichen Dauer- und Wechsel- und Ausgleichsleistungen in Anspruch zu nehmen. Um ausstellungen der Bundesstiftungen Deutsches Histo­ das Handeln derjenigen Menschen zu würdigen, die in risches Museum und Haus der Geschichte der Bundes­ der DDR aus politischen Gründen inhaftiert waren, und republik greifen immer wieder Themen der deutschen um die materiellen Folgen ihrer Unterdrückung zu mil- Teilung und der DDR-Geschichte auf. dern, wurde die sogenannte SED-Opferrente eingeführt Die Bildungsarbeit ist angewiesen auf eine wissenschaft- und damit einer jahrelangen Forderung der Opfer und liche Forschung an Universitäten und Instituten, die sich ihrer Verbände Rechnung getragen. intensiv mit der DDR befasst und Mechanismen der tota- Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, litären Herrschaft genauso erforscht wie in jüngster Zeit das System der Rehabilitierung und Entschädigung von deren Alltagsgeschichte. Nur durch wissenschaftlich SED-Unrecht laufend zu überprüfen. So haben der Bund fundierte Kenntnisse über die SED-Diktatur kann Ver- und die ostdeutschen Länder 40 Mio. Euro zur Verfügung harmlosung und „Ostalgie“ wirkungsvoll begegnet wer- gestellt, die speziell den Menschen zugutekommen sol- den. Die öffentliche Auseinandersetzung mit der DDR- len, die als Kinder und Jugendliche in den Heimen der Geschichte seit 1990 ist inzwischen selbst Gegenstand DDR bis 1990 schwere physische und psychische Schäden der wissenschaftlichen Forschung. erlitten. Gedenkstätten und Erinnerungsorte mit ihrem hohen Bei der rechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für Anspruch an Authentizität leisten einen eminent wichti- das SED-Unrecht standen die Strafverfolgungsbehörden gen Beitrag, um die Erinnerung an das Leiden der Men- und die Gerichte vor der schwierigen Aufgabe, ein in schen wachzuhalten, die von der kommunistischen Dik- 40 Jahren entstandenes staatliches Unrecht mit den Mit- tatur gedemütigt, drangsaliert, verfolgt, gefoltert oder teln des Rechts aufzuarbeiten. Schwierigkeiten ergaben gar getötet wurden. Insofern liegt auf der Sicherung und sich insbesondere daraus, dass das Strafrecht der Bun- Entwicklung dieser Einrichtungen das besondere Augen- desrepublik auf die Bewältigung staatlichen Handelns in merk der Bundesregierung. Diese Institutionen spielen 14 Bilanz der DDR nicht zugeschnitten war. Das Strafrecht konnte auch dort eine wichtige Rolle, wo es gilt, Menschen, de- nicht das System als Ganzes aburteilen, sondern musste nen die persönliche Diktaturerfahrung fehlt, zu vermit- die Zusammenhänge aufklären, in denen einzelne Men- teln, was ein Leben in Unfreiheit bedeutet. Dadurch wird schen für gravierendes Unrecht individuell verantwort- zugleich der Wert von Freiheit, Demokratie und Rechts- lich waren. In weit mehr als 1 000 Fällen wurde Anklage staatlichkeit unterstrichen. erhoben, sei es wegen der Tötungsdelikte an der inner- Die Vermittlungsarbeit ist umso wirkungsvoller, wenn deutschen Grenze, Körperverletzungen und Freiheitsbe- sie mit der Möglichkeit zu Zeitzeugengesprächen ver- raubung im DDR-Strafvollzug, Rechtsbeugung oder bunden wird. Der Austausch mit einem persönlich Be- Wirtschaftsdelikten. Jeder Prozess bedeutete einen wich- troffenen, im Idealfall am authentischen Ort, ist weit tigen Schritt gegen das Vergessen. einprägsamer als jeder Film, jedes Buch oder eine Unter- richtseinheit, denn er verleiht abstrakter Geschichte ein 150 Bilanz konkretes Gesicht. Auch als historische Quelle sind Erin- gleichzeitig das Bewusstsein für den Wert von Freiheit nerungen von Zeitzeugen dokumentarisch von hohem und Demokratie zu stärken. Die Anstrengungen in die- Wert. Die Arbeit mit ihnen bildet daher inzwischen ei- sem Bereich müssen aber noch weiter systematisch ver- nen Schwerpunkt in der Arbeit der Gedenkstätten und stärkt werden. Zielführend sind hier eine angemessene Erinnerungsorte. Die Einrichtung des Koordinierenden Behandlung des Themas in den Schulen, ihre verstärkte Zeitzeugenbüros, bei dem die Gedenkstätte Berlin-Ho- Zusammenarbeit mit Trägern der politischer Bildung, henschönhausen, die Bundesstiftung Aufarbeitung und mit Gedenkstätten und mit Aufarbeitungseinrichtungen die Stiftung Berliner Mauer seit Juni 2011 zusammenwir- sowie deren verstärkte Kooperation untereinander – wie ken, trägt der gewachsenen Bedeutung der Zeitzeugenar- im Gedenkstättenkonzept des Bundes postuliert und ini- beit für die Aufarbeitung Rechnung. tialisiert. Der Zusammenhang zwischen den zeitge- schichtlichen Kenntnissen und Einstellungen von Ju- Die verschiedenen, in der Fortschreibung der Gedenk- gendlichen ist nach den Studien von Klaus Schroeder stättenkonzeption des Bundes dargelegten Vorhaben zur vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin evi- Aufarbeitung des SED-Unrechts konnten – wie der vor- dent: Je größer das Wissen ausgeprägt ist, desto häufiger liegende Bericht zeigt – seit 2008 bereits mehrheitlich wird der Diktaturcharakter der DDR erkannt. Wer die umgesetzt werden oder stehen in den kommenden Jah- historische Urteilsfähigkeit der nachwachsenden Gene- ren vor ihrem Abschluss. Damit hat der Bund die letzt- ration stärken will, muss Kenntnisse vermitteln. lich auf die Enquête-Kommissionen des Deutschen Bun- destags zurückgehenden Einzelempfehlungen zur Die zurückliegenden Jubiläen der Friedlichen Revolution Verstärkung der Aufarbeitung des SED-Unrechts wirk- und der Gedenktag an den Bau der Berliner Mauer haben sam umgesetzt: Verantwortung wurde wahrgenommen, – nicht zuletzt durch ihre mediale Begleitung – mit einer die Aufarbeitung verstärkt, das Gedenken vertieft. Vielzahl von Veranstaltungen und Angeboten große Aufmerksamkeit auf die DDR und ihre Geschichte ge- Es bleibt eine wichtige Aufgabe der Erinnerungskultur, lenkt. Ziel der weiteren Aufarbeitung muss sein, dieses angemessen der Menschen zu gedenken, die sich gegen Interesse wachzuhalten und das Wissen über das SED- die Diktatur der SED zur Wehr gesetzt haben. Dass in Unrecht in der Bevölkerung insgesamt zu festigen und Leipzig und Berlin nunmehr Stelen die historischen Orte zu vertiefen. Die noch immer anzutreffende Fokussie- von Widerstand und Opposition markieren und über die rung auf das MfS-Thema darf dabei nicht dazu führen, Ereignisse informieren, ist hier ein wichtiger Schritt. Mit die führende Rolle der SED aus dem Blick zu verlieren. der Erweiterung der Dauerausstellung in der Rastatter Die Staatssicherheit handelte im Auftrag der Partei, war Erinnerungsstätte um die Freiheitsbewegungen in der ihr „Schild und Schwert“. DDR besteht in dieser Hinsicht nun auch in West- deutschland ein wichtiges Informationsangebot. Der 60. Die Erfolge bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur wä- Jahrestag des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 sollte ren ohne die intensiven Anstrengungen der Länder 2013 Anlass sein, die schließlich von sowjetischen Pan- kaum möglich gewesen. Unmittelbar mit den politi- zern niedergeschlagenen Proteste gegen die Herrschaft schen, ökonomischen und sozialen Folgen der SED-Dik- tatur konfrontiert, haben insbesondere die neuen Länder der SED besonders zu würdigen. deren Bewältigung nachdrücklich vorangetrieben. Die Auch zum Thema „Alltag in der DDR“ hat der Bund he- Aufarbeitung der SED-Diktatur bleibt gleichwohl eine rausragende Akzente gesetzt: Zu nennen sind hier die fi- gesamtdeutsche Herausforderung. Die DDR-Geschichte nanzielle Unterstützung der neuen Dauerausstellung im wird in einigen Teilen Westdeutschlands noch oft als et- Dokumentationszentrum Alltagskultur in Eisenhütten- was Fremdes wahrgenommen, ohne dass die Interdepen- stadt, die Einrichtung der Dauerausstellung im „Tränen- denzen der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte Be- palast“ am Bahnhof Friedrichstraße zum Alltag der achtung finden. Sie ist aber ein Teil der gesamtdeutschen deutschen Teilung oder die zukünftige Präsentation zur Geschichte und ihre Aufarbeitung damit eine gesamt- Geschichte des Alltags in der SED-Diktatur in der Kul- deutsche Aufgabe und kein Regionalthema der neuen turbrauerei am Prenzlauer Berg. Länder. Umso mehr ist das große Engagement einzelner westdeutscher Länder bei der Entwicklung wichtiger Ge- Die Vermittlung von Wissen über die kommunistische denkorte an der ehemaligen innerdeutschen Grenze her- Diktatur in der DDR, besonders für junge Menschen vorzuheben. Dies betrifft etwa das Grenzlandmuseum ohne eigene Erinnerungen, stellt die zentrale Aufgabe Eichsfeld, das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth innerhalb der Aufarbeitung und der damit verbundenen oder die Stiftung Point Alpha. politischen Bildungsarbeit dar. Wie dieser Bericht zeigt, wurden und werden insbesondere für das junge Publi- Mehr als 20 Jahre nach dem Untergang der DDR steht die kum viele Angebote geschaffen, die helfen sollen, die Freude über das Ende der SED-Diktatur und die Wieder- vielfach attestierten Wissenslücken zu schließen und gewinnung der Deutschen Einheit im Zentrum der Aus- Bilanz 151 einandersetzung mit dem kommunistischen Erbe. Aus- innerung an die Friedliche Revolution und die Wieder- druck dieser Freude sind die beiden Denkmale, die in vereinigung als glücklichste Ereignisse der jüngeren Berlin und Leipzig als symbolische Orte der positiven Er- deutschen Geschichte entstehen. 15 Anhang Anhang 153

Bestände des Bundesarchives vollständigen Bestände aus den Büros aller drei General- und der SAPMO zur DDR sekretäre Walter Ulbricht, Erich Honecker und Egon Krenz sind digitalisiert und im Internet verfügbar. Einschlägige Bestände der SAPMO Weitere Parteiarchive in der SAPMO stammen von der Von besonderer Bedeutung für die Aufarbeitung der Demokratischen Bauernpartei Deutschland (DBP) und SED-Diktatur sind die Bestände der zentralen Gremien der National-Demokratischen Partei (NDPD). Sie können und der Leitungsebenen der SED in der Stiftung Archiv zu Fragen des Umgangs mit bäuerlichem Eigentum sowie der Parteien und Massenorganisationen der DDR im der Eingliederung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger Bundesarchiv. Die Parteitage im Abstand von mehreren ausgewertet werden. Die Archive der Liberal-Demokrati- Jahren waren das höchste, durch Wahl bestellte Organ schen Partei Deutschlands (LDPD) und der Christlich- der SED. Sie waren für das Parteiprogramm und die Sta- Demokratischen Union (CDU) liegen bei den Parteistif- tuten, allgemeine Grundsätze und die mittelfristigen tungen der FDP und der CDU. Die Unterlagen des Planziele zuständig. Zwischen den Parteitagen war der Verbindungsbüros des Demokratischen Blocks, 1945 als seit 1950 als Zentralkomitee bezeichnete Parteivorstand Zusammenschluss von CDU, LDPD, SPD und KPD ge- das höchste Gremium. Das ZK wählte die Mitglieder von gründet, sowie des Nationalrates der Nationalen Front, Politbüro und Sekretariat der SED. die 1949 aus der Volkskongressbewegung entstand und zahlreiche Organisationen zusammenfasste, zeigen, wie Das höchste Entscheidungsorgan und Machtzentrum der die SED ihre Herrschaft in der Gesellschaft der DDR zu- DDR war das Politbüro der SED. Es trat in der Regel wö- nehmend durchsetzte und ideologisch absicherte. chentlich zusammen und besprach alles, was wichtig er- schien. Hier legte etwa Erich Mielke Rechenschaft über Die Bestände der FDJ, des Kulturbunds oder auch des die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit ab. Auch FDGB sowie zahlreicher weiterer Massenorganisationen, alltägliche Fragen wie Ausreiseanträge oder einzelne Ur- die sich mit dieser Bezeichnung von der Kaderpartei SED teile von Gerichten konnten Gegenstand der Beschlüsse abgrenzten, zeigen deren Umgang mit den Grenzen zwi- des Politbüros werden. Seine Beschlüsse waren bindend schen der Verpflichtung auf die politische Linie und zu- für alle Bereiche der Politik, Verwaltung und Rechtspre- gelassenen Freiräumen für bestimmte Bevölkerungs- chung in der DDR. Der Bestand enthält die Arbeitsproto- gruppen oder Berufe. Dazu gehört auch der Bestand der kolle, die der Vorbereitung der Sitzungen dienten, die Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die die vormi- Reinschriftenprotokolle mit den Beschlüssen zur Umset- litärische Ausbildung der Jugendlichen organisierte, der zung der Entscheidungen, Informationen, die zur Vorbe- Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) reitung der Sitzungen an die Mitglieder des Politbüros und des Deutschen Turn- und Sportbunds (DTSB). Diese verteilt wurden, sowie Beschlussauszüge. Diese Materia- Bestände werden für viele Fragen zur gesellschaftlichen lien unterlagen zu Zeiten der DDR der höchsten Geheim- und politischen Entwicklung und Geschichte der DDR haltung. Seit fünf Jahren sind sie mit allen Tagesord- herangezogen. nungspunkten in Online-Findbüchern im Internet Die regionalen Bestände der SED wie des FDGB auf recherchierbar. Der Bestand der Protokolle des Politbü- Kreis- und Bezirksebene sowie die Kreisleitungen von ros der SED ist der am intensivsten genutzte Bestand des größeren Betrieben sind in den Staats- und Landesarchi- Bundesarchivs. Die Reinschriftenprotokolle sind mit ven der Länder archiviert und dort einsehbar. Die Be- rund 300 000 Seiten digitalisiert und werden aktuell für stände der Kreisleitungen in den Ministerien, der NVA die Auswertung im Internet vorbereitet. und dem MfS sind zum Teil bei den Beständen der jewei- Das Sekretariat des ZK regelte die Tagesarbeit und kon- ligen Organisationen verblieben. Über das vom Bundes- trollierte den Parteiapparat mit Hilfe der Büros seiner archiv aufgebaute Internetportal „Netzwerk SED-/ Mitglieder und knapp 40 Abteilungen für verschiedene FDGB-Archivgut“ sind die bereits erschlossen Bestände Fachgebiete, die ebenfalls jeweils einem oder mehreren in einem übergreifenden Verbundfindmittel gemeinsam Sekretariatsmitgliedern zugeordnet waren. Die Abtei- recherchierbar. lungen kontrollierten den Parteiapparat und sorgten für eine Ausrichtung der Ministerien an den Beschlüssen der Einschlägige Bestände der Abteilung DDR Partei, etwa bei der Formulierung von Gesetzen. Die Ge- Das Bundesarchiv hat analog zu den vor 1990 vorhande- neralsekretäre, zeitweise als Erste Sekretäre bezeichnet, nen Abteilungen R für die Bestände der Reichsregierung Walter Ulbricht (1946 bis 1973), Erich Honecker (1973 bis und B für die Bestände der zentralen Stellen der Bundes- 1989) und Egon Krenz (1989) waren daneben gleichzeitig republik Deutschland die Abteilung DDR für die Bestän- Vorsitzende des Staatsrates und kontrollierten darüber de aus der zentralen staatlichen Regierung und Verwal- die Exekutive. Außerdem waren sie Vorsitzende des Nati- tung der DDR eingerichtet. Darin wurden die zuvor onalen Verteidigungsrates, dem die NVA unterstand. Die bereits im Zentralen Staatsarchiv der DDR archivierten 154 Anhang

Unterlagen ebenso wie die Akten aus den Altregistratu- banken mit Angaben aus den Unterlagen der Transport- ren in den Dienststellen und Materialien aus den Büros und Kriminalpolizei sowie der medizinischen Dienste übernommen. Spätere Zugänge kamen nach der Herstel- vorhanden. Sie enthalten Informationen über die Zahl lung der Deutschen Einheit aus Bundesministerien, die der Häftlinge und ihre Personendaten, über den Arbeits- einige Unterlagen zunächst übernommen, dann aber zur einsatz und statistische Erhebungen zum Gesundheits- Archivierung abgegeben hatten. zustand.

Die staatlichen Bestände der DDR umfassen die Unterla- Zensur- und Zwangsmaßnahmen im Bildungs- und Kul- gen der Staatsspitze, der Ministerien sowie des nachge- turbereich, Berufsverbote und Einschränkungen der ordneten Bereiches. Sie sind bei der Auswertung immer Pressefreiheit lassen sich an Hand der Bestände aus dem im Zusammenhang der korrespondierenden Unterlagen Ministerium für Volksbildung zeigen. Der Bestand des aus dem Parteiapparat zu sehen, da die staatlichen Orga- Jugendwerkhofs Torgau wurde bereits vielfach herange- ne einer teilweise sehr direkten Weisungsbefugnis der zogen, um persönliche Schicksale eingewiesener Jugend- Parteiorgane unterlagen. So hatten die Minister die Wei- licher zu klären. sungen der Sekretäre und Abteilungsleiter des ZK der Das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen war SED zu befolgen. Außerdem standen die Generalsekretä- verantwortlich für die zentrale Planung und Leitung des re der SED an der Spitze der Gesetzgebungsorgane. In al- Hoch- und Fachschulwesens. Es war den ihm unterstell- len Behörden waren zudem Parteiorganisationen tätig. ten Universitäten, Hochschulen, Ingenieurhochschulen, Eine Besonderheit der DDR-Bestände bilden die in vielen Fachschulen, wissenschaftlichen Bibliotheken und ande- Beständen vorhandenen zahlreichen Eingaben aus der ren Einrichtungen direkt vorgesetzt. Der Bestand enthält Bevölkerung zu vielfältigen Vorkommnissen, Unzuläng- Analysen zu Stand und Entwicklung des Hoch- und lichkeiten und Problemen im Alltag, die an verschiedene Fachschulwesens und Unterlagen zur Umsetzung der Stellen adressiert werden konnten und die als Beschwer- Hochschulreformen. Er informiert über die Berufung demöglichkeit das fehlende Klagerecht gegen Verwal- und den Einsatz von Hochschullehrern sowie die Verlei- tungsentscheidungen kompensieren sollten. Deshalb fin- hung von akademischen Graden und Titeln. Hier wurde den sich in vielen Beständen Eingaben oder zusammen- über Zulassungen und Absolventenlenkung, über das fassende Eingabenanalysen. An der Gesetzgebung und Auslandsstudium und den Einsatz von Dozenten im Aus- dem Aufbau des Rechtssystems der DDR waren Staatsrat, land entschieden. Volkskammer und Ministerrat beteiligt. Der Staatsrat Das Ministerium für Kultur war zuständig für Verlage war seit 1968 das formelle Staatsoberhaupt der DDR. und Buchhandel. Es lenkte das Filmwesen, die Theater Faktisch wurde die Funktion des Staatsoberhauptes vom und die Musikaufführung. Unmittelbar waren ihm eine Generalsekretär der SED als dem Vorsitzenden des Vielzahl von Einrichtungen und Betrieben, Theater, Mu- Staatsrates ausgeübt. Der Ministerrat bereitete die Geset- seen, Gedenkstätten, künstlerische Hoch- und Fachschu- zesvorlagen für die Volkskammer wie für den Staatsrat len, Verlage, die DEFA-Studios und der Staatliche Kunst- vor. Seine Mitglieder wurden für 5 Jahre gewählt. Die Be- handel unterstellt. Daneben zeigt der Bestand, wie die stände enthalten die Protokolle sowie zahlreiche Einga- Zensur bei der Verlagsproduktion durchgeführt wurde. ben, speziell aus den Jahren 1985 bis 1990. Ein großer Teil der Akten mit Druckgenehmigungsvor- Im Bestand des Ministeriums der Justiz, das neben der gängen für Belletristik sind inzwischen digitalisiert im Mitwirkung an der Gesetzgebung die Bezirks- und Kreis- Internet benutzbar. gerichte, die Notariate und die Rechtsanwaltskollegien In den Unterlagen des Ministeriums für Wissenschaft sowie in den Anfangsjahren auch den Strafvollzug anlei- und Technik sind die Planungen für Forschungen zum tete, sind zahlreiche Personalakten von Richtern und Doping nachzuvollziehen. Beim Ministerium für Ge- Notaren sowie Informationen über Rechtsanwälte vor- sundheitswesen können Ergebnisse von Arzneimittel- handen. Hier findet sich außerdem eine Urteilssamm- tests ausgewertet werden. Die Bestände des Staatssekre- lung mit 38 000 Urteilen der unteren Gerichte zu politi- tariats für Körperkultur und Sport wie des Nationalen schen Strafverfahren und von Verurteilungen zu mehr Olympischen Komitees enthalten Unterlagen zum Leis- als zehn Jahren Haft. tungssport. Zu Informationen über den staatlichen Um- In den Beständen des Generalstaatsanwaltes sowie des gang mit Religionsfragen, auch in Einzelfällen, können Obersten Gerichts finden sich umfangreiche Unterlagen die Unterlagen des Staatssekretärs für Kirchenfragen he- zu Verurteilungen und zum Strafvollzug. Aus dem Mi- rangezogen werden. Schließlich finden sich Informatio- nisterium des Inneren stammt eine inzwischen digitali- nen zu Umweltbelastungen in den Industrieregionen, sierte Gefangenenkartei mit über 800 000 Karten zu ver- zur Gewässerverschmutzung, Strahlenbelastung in der hafteten und verurteilten Personen, die für zahlreiche Nähe von Kernkraftwerken in den Unterlagen des Minis- Anfragen genutzt wird. Dort sind auch mehrere Daten- teriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft mit Anhang 155

Akten zum Braunkohletagebau oder zu Schadstoffen in bei denen das MfS ermittelt hatte, wurden dorthin zur Industrieabwässern. Detaillierte Informationen über Archivierung abgegeben. Trotz vieler Kassationen nach viele dieser Bestände aus den staatlichen Dienststellen den üblichen Aufbewahrungsfristen ist ein umfangrei- der DDR stehen inzwischen für eine übergreifende Re- cher Bestand für die Zeit von 1956 bis 1990 vorhanden. cherche in der Plattform ARGUS im Internet bereit. Wei- Er wird oft genutzt für Rehabilitierungsverfahren oder tere Erschließungsangaben kommen im Zuge der laufen- zur Klärung von Entschädigungsansprüchen. den Retrodigitalisierung vorliegender Findbücher und Aus dem Bereich der Zivilverteidigung sind Unterlagen Karteien hinzu. Ansonsten werden vorhandene Findmit- über wirtschaftliche und logistische Planungen sowie tel und Karteien vor Ort bereitgestellt. Schutzfristen für die militärische Ausbildung der Studenten vorhanden. die Benutzung brauchen nur bei personenbezogenen Un- Im Bestand zum Objekt „Rügenhafen“ zum Ausbau eines terlagen beachtet zu werden. U-Boothafens in den 50er Jahren sind Unterlagen über das Arbeitslager für 3 000 Häftlinge vorhanden. Der Be- Einschlägige Bestände in der stand NVA umfasst weiterhin die Unterlagen der Grenz- Abteilung Militärarchiv polizei bis 1961 und des anschließend eingerichteten Die Abteilung Militärarchiv in Freiburg hat die Bestände Kommandos der Grenztruppen einschließlich der Offi- des Ministeriums für Nationale Verteidigung mit der Na- ziersschule zur Ausbildung der Kommandeure. Im Be- tionalen Volksarmee im Umfang von 5 500 lfm mit rund stand der 5. Grenzbrigade/Ring um Berlin finden sich In- 250 000 einschlägigen Akteneinheiten zum Teil aus dem formationen zur Überwachung der Grenzkontrollpunkte früheren Militärarchiv der DDR, das nicht Teil des zent- und zum Mauerbau 1961. ralen Staatsarchivs war, sowie zum Teil direkt aus den Ausführliche Beschreibungen der Organisationseinhei- abgewickelten Dienststellen übernommen. Hier sind ten und der Bestände finden sich im Abschnitt Militärar- auch Teile von Beständen staatlicher Stellen vorhanden, chiv in der Online-Beständeübersicht des Bundesarchivs die offenbar wegen eines besonders hohen Bedarfs an in der Rechercheplattform ARGUS. Geheimhaltung unter der Kontrolle der NVA verbleiben sollten. Einschlägige Unterlagen in den Das Ministerium und die Führung der NVA waren dem Beständen der Abteilung B Nationalen Verteidigungsrat unterstellt, dessen Vorsitz In rund 60 Beständen, die in der Bundesrepublik ange- der Generalsekretär der SED innehatte. Seine Protokolle wachsen sind, finden sich zahlreiche Unterlagen in rund sind bereits digitalisiert im Internet einsehbar. Auf allen 100 000 Akteneinheiten mit Informationen über die Ebenen der Hierarchie wurde die Umsetzung der Partei- DDR. Sie sind bei der Beobachtung von Entwicklungen beschlüsse durch die Politische Hauptverwaltung abgesi- und Ereignissen in der DDR, bei der Organisation der chert, deren Leiter Stellvertreter des Ministers war und Hilfe für Flüchtlinge oder anderer Personen, die von Ge- dem Politbüro gegenüber Rechenschaft ablegen musste. waltakten in der DDR betroffen waren, oder bei der Zu- Die Leiter der nachgeordneten politischen Verwaltungen sammenarbeit im Rahmen verschiedener Abkommen besaßen Generalsrang. Die Bestände der Politischen entstanden und enthalten vielfältige Angaben zu politi- Hauptverwaltung umfassen den Zeitraum von 1950 bis schen Entscheidungen wie über persönliche Schicksale. 1989. Dazu gehören die Akten der umfangreichen Partei- In den Beständen der Bundesregierung sind umfangrei- strukturen der SED innerhalb des Ministeriums, die im- che Unterlagen zum Bundesnotaufnahmeverfahren, zur mer wieder neu organisiert und schließlich zugunsten Häftlingshilfe, zu Enteignungen in der DDR sowie aus der politischen Verwaltungen ganz abgeschafft wurden. der Grenzsicherung und -beobachtung vorhanden. Beim Ihr nachgeordnet waren Bereiche wie das Militärge- Bundeskanzleramt sind neben der Spiegelung der Res- schichtliche Institut der DDR, das Armeemuseum und sorts in innerdeutschen Fragen Materialien zum Status das Filmstudio der NVA, die militärpolitische Hochschu- Berlins sowie zu Grenzzwischenfällen entstanden. Ein le sowie der Militärverlag und mehrere Sportorganisatio- zentraler Bestand für die Fragen der SED-Herrschaft nen. stammt vom Bundesministerium für innerdeutsche Be- Zu den zentralen Dienststellen des Ministeriums gehör- ziehungen mit zahlreichen Einzelfallakten zu Familien- ten verschiedene Ausbildungs- und Schulungseinrich- zusammenführungen, Häftlingsangelegenheiten und tungen, darunter die Militärakademie „Friedrich Engels“, Rechtsschutzsachen für in der DDR verfolgte Personen. die Nachrichtenzentrale und verschiedene technische Beim BMJ ist umfangreiches Material zur Entstehung des Zentralstellen. Zur Militärjustiz gehörte die Militärober- Strafrechts der DDR und zu seiner Anwendung vorhan- staatsanwaltschaft, deren Leiter Vertreter des General- den. Ebenso hat das Bundesministerium für Vertriebene staatsanwaltes für den Militärbereich war. Sie arbeitete umfangreiches Material zur Aufnahme und Betreuung eng mit dem MfS zusammen. Die Akten der Verfahren, von Flüchtlingen übergeben. Der Bestand der Ständigen 156 Anhang

Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR ziell der Aufarbeitung des in der DDR verübten Unrechts enthält neben Beobachtungen aus allen Bereichen des gewidmet haben. Dazu gehören etwa die Arbeitsgemein- Lebens in der DDR Materialien zur humanitären Hilfe schaft für Mädchen- und Frauenbildung e. V., die sich und zu Häftlingsfragen sowie zahlreichen Einzelfällen. von 1948 bis 1970 um die Unterstützung bedürftiger Der Bestand des Gesamtdeutschen Instituts enthält zahl- Lehrerinnen in der DDR bemüht hat, ebenso wie das Ku- reiche Informationen aus der DDR, die dort zusammen- ratorium Unteilbares Deutschland, das sich seit 1954 für gestellt und publiziert wurden, sowie Unterlagen aus der die Wiedervereinigung einsetzte, der Bund der Mittel- Förderung von Hilfsmaßnahmen. Von der Zentralen Er- deutschen als Gesamtverband der Flüchtlinge, der fassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgit- Grenzzwischenfälle dokumentiert hat, der Kampfgruppe ter, die nach dem Mauerbau 1961 eingerichtet wurde, um gegen Unmenschlichkeit mit einer Dokumentation von in der DDR begangene Gewaltakte festzuhalten, wurden Urteilen in der DDR in den 1950er Jahren, dem König- mehr als 40 000 Akten übergeben. Im Bestand des Bun- steiner Kreis, einer Vereinigung von Juristen und Beam- desnachrichtendienstes ist die inzwischen offen gelegte ten aus der DDR, und dem Staatsbürgerinnen-Verband, systematische Beobachtung der DDR bis 1990, sind Pres- der in der DDR inhaftierte Bundesbürger betreut hat, so- seauswertungen sowie Berichte aus Betrieben, Militär- wie einige Nachlässe von politisch aktiven Personen. einheiten und dem Ministerium für Staatssicherheit vor- Auch diese Bestände sind zum größten Teil in der On- handen. Ebenso enthält der Bestand des Bundesamtes für line-Beständeübersicht beschrieben. Zu einigen von ih- Verfassungsschutz Berichte über die Tätigkeit des MfS. nen liegen ebenfalls Online-Findbücher vor. Sie werden Auch diese beiden Bestände sind mit Online-Findbüchern für zahlreiche Anfragen von Privatpersonen wie zu wis- im Internet recherchierbar. senschaftlichen Forschungen herangezogen. Außerdem sind in der Abteilung B Bestände von Stiftun- gen und anderen Vereinigungen verfügbar, die sich spe- Abkürzungsverzeichnis 157

Abkürzungsverzeichnis

AA Auswärtiges Amt AdB Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. AfNS Amt für nationale Sicherheit AFüSt Ausweichführungsstelle AKSB Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke e. V. AL Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN e. V. bap Bundesausschuss Politische Bildung BArchG Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz) BerRehaG Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz) BKM Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMI Bundesministerium des Innern BMVg Bundesministerium der Verteidigung BpB Bundeszentrale für politische Bildung BStU Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik BSV Bund der Stalinistisch Verfolgten in Deutschland e. V. BV Bezirksverwaltung BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVG Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) CD Compact Disc CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CIA Central Intelligence Agency CSU Christlich-Soziale Union DA Demokratischer Aufbruch DDR Deutsche Demokratische Republik DHM Deutsches Historisches Museum DIZ Dokumentations- und Informationszentrum DRGK Die Gemeinsame Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen DRK Deutsches Rotes Kreuz DSU Deutsche Soziale Union DVD Digital Video Disc, auch Digital Versatile Disc DVP Deutsche Volkspolizei DVV Deutscher Volkshochschulverband e. V. DzD Edition „Dokumente zur Deutschlandpolitik“ e. V. eingetragener Verein EDV Elektronische Datenverarbeitung EKH Evangelisch-Kirchlicher Hilfsverein ET Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung EU Europäische Union FB Fachbereich 158 Abkürzungsverzeichnis

FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FDP Freie Demokratische Partei GEMINI Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung GJWH Geschlossener Jugendwerkhof GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GULag Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager ha Hektar HAIT Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. an der Technischen Universität Dresden HVA Hauptverwaltung Aufklärung IfZ Institut für Zeitgeschichte IM Inoffizieller Mitarbeiter IPA Internes Parteiarchiv der SED JVA Justizvollzugsanstalt KGB Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR, In- und Auslandsgeheimdienst der Sowjetunion km Kilometer KZ Konzentrationslager KZB Koordinierendes Zeitzeugenbüro LAkD Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur lfm laufende Meter LStU Landesbeauftragte/-er für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR m Meter MfS Ministerium für Staatssicherheit MGFA Militärgeschichtliches Forschungsamt MHM Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Mio. Million Mrd. Milliarde MWD Ministerium für innere Angelegenheiten der Sowjetunion NATO North Atlantic Treaty Organization NKWD Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der Sowjetunion NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NVA Nationale Volksarmee PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PMO Parteien und Massenorganisationen der DDR. qm Quadratmeter RHG Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. ROM Read-Only Memory SAPMO Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv SBZ Sowjetische Besatzungszone SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SMT Sowjetische Militärtribunale SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StrRehaG Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz) StSG Stiftung Sächsische Gedenkstätten StUG Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik (Stasi‑Unterlagen-Gesetz) ThürAZ Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“ UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Abkürzungsverzeichnis 159

UHA Untersuchungshaftanstalt UOKG Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e. V. VEB Volkseigener Betrieb vgl. vergleiche VOS Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. VwRehaG Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz) z. B. Zum Beispiel ZK Zentralkomitee ZPA Zentrales Parteiarchiv der SED ZZF Zentrum für Zeithistorische Forschung