Magazin Treffen Junger Autoren 2017
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Berliner Festspiele 32. Treffen junger Autoren 16. bis 20. November 2017 Inhaltsverzeichnis 3 Vorwort 74 Campus Ein Fenster in eine neue 76 Praxis Welt entdecken – 83 Dialog von Christina Schulz 85 Fokus 86 Spezial 4 Bühne 6 Lynn Sophie Guldin 90 Blog 8 Veronika Artibilova 10 Fanny Haimerl 92 Forum 12 Marlena Wessollek 95 Praxis 14 Amelie Schmid 95 Dialog 16 Rosa Engelhardt 18 Paloma Solazzo 96 Jury 20 Stefan Gruber 99 Anthologie 22 Pauline van Gemmern 100 Kuratorium 24 Kerstin Uebele 101 Statistik 26 Sandro Huber 102 Bundeswettbewerbe 28 Josefin Fischer 103 Impressum 1 30 Ansgar Riedißer 104 Kalendarium 32 Lea Wahode 34 Farukh Sauerwein 36 Miedya Mahmod 38 Rebecca Heims 40 Laura Herman 42 Moritz Schlenstedt 44 Jelin Katz 48 Essay 51 Letters from Literature – von Priya Basil 56 Wer bin ich, wenn ich schreibe? – von Thomas Freyer, Olivia Wenzel, Max Wallenhorst, Kristo Šagor, Kirsten Fuchs und Reihaneh Youzbashi Dizaji 62 Verhandlungen über das Unverhandelbare? – Die Gerichtszeichnungen von Marina Naprushkina 2 Treffen junger Autoren junger Treffen Ein Fenster in eine neue Welt entdecken In ihrer Eröffnungsrede für das 13. internationale literaturfestival berlin sagte Taiye Selasi über Literatur: „Jedes Mal, wenn wir ein Buch in die Hand nehmen, löschen wir unsere persönlichen Grenzen aus. Wir überschreiten die Markierun- gen unseres Selbst und betreten das unbekannte Territorium des Anderen. Nach den ersten Augenblicken der Desorientiertheit merken wir, dass wir zu Hause sind.“ Es ist eine sehr eindrückliche Beschreibung für das, was in beson- deren Momenten des Lesens geschehen kann, und wonach man sich beim Lesen vielleicht sehnt – einen unbekannten Weg einzuschlagen, ein Fenster in eine neue Welt zu entdecken oder sich auf eine unverhoffte Begebenheit einzu- lassen. Mit dieser Haltung blickt auch die Jury des Treffen junger Autoren auf die eingereichten Texte. Aus 632 Bewerbungen hat die Jury in diesem Jahr zwanzig junge Autor*innen ausgewählt, deren Beiträge von Lyrik und Dramatik über Kurzgeschichten bis hin zu Formen, die sich einer klaren Zuordnung entziehen, reichen. Die ausgewählten Texte werden am 17. November vor großem Publikum gelesen, einige davon zum ersten Mal. Und sofort spricht man über sie, mit den Teil- nehmer*innen, den Ehemaligen und den Autor*innen aus der Jury. Die eigenen 3 Texte und die der anderen im Gespräch zu reflektieren und sie einem Lektorat zu unterziehen, um sie schließlich in der Jahrgangsanthologie zu veröffentli- chen, darum geht es beim Treffen junger Autoren. Es geht aber auch darum, sich in unterschiedlichen Gattungen auszuprobieren, die Handschriften anderer zu studieren, zuzuhören und dabei herauszufinden, was die Texte sagen, was sie wollen, wohin sie führen. Ich gratuliere allen Preisträger*innen ganz herzlich und wünsche euch inspirierende Tage in Berlin, in denen sich vieles, aber nicht alles um das geschriebene Wort dreht. Christina Schulz Leiterin Treffen junger Autoren Bundeswettbewerbe der Berliner Festspiele Bü4 hne Bühne 5 Mein Oberstübchen ist ein ausgeprägtes 6 Sammelsurium für herrliche Einfälle und Gespräche mit mir selbst und sämtlichen fiktiven Persönlichkeiten. Des Weiteren beherberge ich in meinem Kopf meine wunderbare Liebe zu Harry Potter und meine stolz verfochtene Linkshändigkeit, mein Dasein als dauermüde Nachteule und meine Verachtung für dröge Schulaufsätze. Meine Liste möglicher erfundener Personen ist dort verwahrt neben der Freude beim Klavier- und Theaterspielen, Zeichnen und Filmemachen. Meine Gedanken springen zwischen Deutsch und Englisch hin und her; meine Augen bemerken und finden Komik in und an allem: Büchern, Zeitungen, Zügen, Ladengeschäften, Socken und Bröt- chenkäufern. (Wenn es bereits jemanden gäbe, der schon im Supermarkt innerlich bei der Kundenbeobachtung lacht, wäre ich das.) Und wenn man vor lauter Spaß am Beobachten und Im-Kopf-Kommentieren nicht mehr weiter weiß, dann beginnt man Treffen junger Autoren junger Treffen zu schreiben. Lynn Sophie Guldin 16 Jahre aus Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) ausgewählt mit dem Text: Dunkle Haare, keine Augen „Er geht auf die Stehplätze zu. Hier und da quetscht er sich vorbei und hält immer die Augen offen nach einer dunkelblauen Jacke oder einer grauen mit Fell an der Kapuze. 7 Über seinem Kopf hängen Weihnachtslichter, manche bunt, helle Lichterketten, dazwischen Sterne. Und es wabert Maronengeruch durch die Luft. Da steht jemand mit einer grauen Jacke mit Fell an der Kapuze! Und die Haare sind auch blond und auch lang. Ist sie das? Spion spielen – das kann er unheimlich gut.“ 8 Jung, brutal, großartig aussehend, radikal, 15 Jahre alt, stolz auf meine Familie, der Regen ist mein Begleiter, aufgewachsen im Treffen junger Autoren junger Treffen Schatten, schreibe Gedichte und Romane. Veronika Artibilova 15 Jahre aus Leipzig (Sachsen) ausgewählt mit den Texten: Die Treppe rauf Die Treppe runter Verben „Er wurde erwachsen, fand Dinge und verlor sein Fahrrad, eigentlich wurde es geklaut, 9 aber er wurde kein Schuhputzer, obwohl er längst einer war. Irgendwann Weihnachten, Kinder, ihr erster Hund, sie nannten ihn Sopho- kles, er gewöhnte sich an, seine Hemden immer mit der linken Hand zu bügeln und die Socken mit der rechten. Seine Krawatten bügelte er nie. Seinen Kaffee mochte er noch immer nicht, seine Frau war den Umständen entsprechend schön, bevor sie zur Arbeit gingen, gaben sie sich immer einen Kuss.“ 10 Meistens bin ich zornig. Viele Menschen machen mich zornig: Menschen, die jam- mern, die warten, die sich aufgeben, um dazuzugehören und die sich anpassen, ohne es zu merken. Ich spüre Zorn tagtäg- lich, stets, immer, beim Aufstehen, beim Einschlafen, in der Schule, im Netz, in mei- nen Texten und auf der Straße. Am liebsten jedoch gehe ich auf Konzerte. Jeder kommt, wie er ist. Alle Eigenheiten sind spürbar, aber sie trennen nicht. So könnte das Paradies sein, Utopia, der Himmel, das Nirwana. Literatur muss wie ein guter Songtext sein, sie muss klingen und sie muss eine Parallel- welt öffnen, sie muss böse sein und frei machen. Meistens bin ich zornig. Menschen machen mich zornig. Menschen, die jammern, die warten, dass es ihnen besser geht, die sich aufgeben, um dazuzugehören. Ich spüre Treffen junger Autoren junger Treffen meinen Zorn. Fanny Haimerl 15 Jahre aus München (Bayern) ausgewählt mit den Texten: Hier ist sogar der Staub schön Niemand kann Vergebung mit Sicherheit erreichen John im Glück _ wie ihm doch alles nach Wunsche ginge „Sara ist ein Wunder. Sie hat für alles genug Zeit. Sie ist Klassenbeste. Beim Wort Genie 11 fühlt sie sich angesprochen. Sie ist stolz auf sich und erfüllt jede Anforderung mit stren- gem Ernst. Sie schreibt tolle Noten, sie schwimmt jeden Tag, an den Wochenenden gewinnt sie Wettkämpfe. Sie backt bunte Marmorkuchen, die sie im Klassenzimmer an die verteilt, die sie mag. Ich bekomme keinen Kuchen. Sie verschenkt Geburtstagskindern Senfgläser mit Erdnüssen, die sie mit Window- Colours nach Schablonen bemalt hat. Sie zockt nicht Minecraft, sondern lässt sich vom Computer Lateinvokabeln fragen, auch wenn ihre Freunde zu Besuch sind.“ Sportunterricht. Ich stehe auf der roten Tartanbahn im Schatten des Schulgebäu- des. In der Mitte von uns der saftig grüne 12 Kunstrasen aus Plastik. Der Lehrer verlangt, dass wir sprinten. Wir stehen in Reihen, jeder hinter der Bahn, auf der er laufen wird. Weiße Linien, durch die die Bahnen getrennt werden, bezeichnen unser Gebiet. Solange die ersten laufen, stehe ich ruhig zwischen den anderen. Meine Mitschüler*innen zappeln, in der Mitte die Clique der braven Mädchen. Aus der Box des Lehrers schallt Musik aus den Charts und zu einer säuseln- den Frauenstimme singen die Mädchen: „Bitch I Don't Need Introduction“. Das ist, wo ich bin. Am Ende der Bahn leuchten die Farben, alles strahlt, die Sonne knallt auf das Rot und das Grün. Die Musik ist bis dorthin verebbt, das Ende der Tartanbahn bietet Platz für die eigenen Ohrwürmer. Für eigene Musik und eigene Worte, für Zeit, die gestoppt wird, und für Freiheit. Dann leuchtet alles. Das ist, wo ich hin will. Mit Literatur. Treffen junger Autoren junger Treffen Vielleicht. Marlena Wessollek 16 Jahre aus Eberswalde (Brandenburg) ausgewählt mit dem Text: Flut „Vor mir liegen vier von fünf Snickerspapierchen. Ich beginne die Snickerspapierchen zu filmen, danach schwenke ich die Kamera auf Fliege 4. 13 Sie sieht tot aus, irgendwie verwest und auch sie liegt auf dem Rücken. Ich glaube nicht, dass Fliege 4 es jemals zu etwas gebracht hat. Fliege 4 ist ein bisschen wie ich. Draußen stapft eine alte Frau durch den Schnee in Richtung Kirche. Die Kirche ist schmutzig weiß, aber sie liegt in der Sonne. Fliege 5 wird nie wieder das Tageslicht sehen.“ 14 Ich bin Amelie Schmid, 18 Jahre alt, komme aus Regensburg und schreibe schon viel zu lange an diesem kurzen Text. Aber ich muss ihn jetzt langsam mal abschicken, deswegen fange ich noch mal von vorne an. Ich mag: die Farbe Gelb, Musicals, Japan, Vögel, den Sommer, Cartoons, Kakao und Menschen. Ich mag nicht: Telefone, Zimt, Vorstellungs- runden, Feuerwerke, YouTube-Kommentare und Menschen. Ich freue mich: dass ich hier sein darf. Treffen junger Autoren junger Treffen Das war doch gar nicht so schwer. Amelie Schmid 18 Jahre aus Regensburg (Bayern) ausgewählt mit dem Text: Das Festmahl „Sie wird fettarm gebraten und braucht nicht viel gewürzt zu werden, da sie im Gegensatz zu ihm einen salzigen Eigengeschmack hat, 15 der eine Weile an der Zunge kleben bleibt. Sie ist tiefgefroren von kalten Blicken und eisiger Gleichgültigkeit und muss zuerst aufgetaut