Probati Auctores Ursprünge Und Funktionen Einer Wenig Beachteten Quelle Kanonistischer Tradition Und Argumentation
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Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts R Journal of the Max Planck Institute for European Legal History geschichte g Rechtsgeschichte Legal History www.rg.mpg.de http://rg.rg.mpg.de/Rg20 Rg 20 2012 138 – 154 ChristophH.F.Meyer Probati auctores Ursprünge und Funktionen einer wenig beachteten Quelle kanonistischer Tradition und Argumentation Dieser Beitrag steht unter einer Creative Commons cc-by-nc-nd 3.0 Zusammenfassung Abstract Der Artikel ist den sog. probati auctores ge- This article deals with the so-called probati widmet, d. h. Kanonisten und Theologen, die auctores,i.e.thosecanonistsandtheologianswho gemeinhin als bewährte und getreue Interpreten are commonly regarded as reliable and faithful derLehrederkatholischenKircheinFragendes interpreters of the doctrine of the Catholic Kirchenrechts, des Glaubens oder der Moral Church in regard to canon law, belief and morals. anerkannt sind. Die Ursprünge dieser Wahrneh- Therespectivecategoryoriginatedbothfroma mungskategorie liegen teils in einer Personalisie- personalization of the doctrine of communis opinio rung der Lehre von der communis opinio,dieim which was developed in the late medieval Ius spätmittelalterlichen Ius Commune entwickelt Commune, and from older theological notions worden ist, teils in älteren theologischen Vor- such as the ideal of the holy Church Father and stellungen wie z. B. von dem heiligen Kirchenvater the Doctor of the Church. Starting with a decision und Kirchenlehrer. Ausgehend von einer Ent- made by Benedict XIV in 1744 (Redditae Nobis)the scheidung Benedikts XIV. (Redditae Nobis)von article looks into the question why the »approved 1744, wird der Frage nachgegangen, weshalb die authors« played such a significant role in canon »bewährten Autoren« in der Kanonistik bis ins law until the 20th century, whereas the communis 20. Jahrhundert eine so hervorragende Rolle opinio lost its importance in civil jurisprudence in spielten, während die communis opinio in der the course of the 18th century. Against the weltlichen Jurisprudenz im Laufe des 18. Jahr- background of the history of science this brings hunderts zunehmend an Bedeutung verlor. Dabei to light a particular demand for and supply of kommen vor dem Hintergrund der zeitgenössi- canon law information. On the one hand there schen Wissenschaftsgeschichte u. a. kanonistische was an interest in a universal and »Roman« view Informationsbedürfnisse und -angebote in den ofcanonlaw,ontheotherhandtheRomanCuria Blick. Das betrifft zum einen das Interesse an used the probati auctores as a means of influencing einem gesamtkirchlichen und »römischen« Bild the process of opinion-formation in canon law. des Kirchenrechts, zum anderen die Funktion der This working paper ends with a brief look at the probati auctores als Instrument der Kurie, durch knowledge potential and possible research per- das sie die kanonistische Meinungsbildung beein- spectives in this particular field. flussen konnte. Das working paper endet mit einem □× Ausblick auf das allgemeine Erkenntnispotential und mögliche Forschungsperspektiven. □× Rg 20 2012 ChristophH.F.Meyer Probati auctores Ursprünge und Funktionen einer wenig beachteten Quelle kanonistischer Tradition und Argumentation* Es gehört zu den Grunderfahrungen wissen- chen vorteilhaft erweisen. Für die bis heute noch schaftlicher Entwicklung, dass es im Gefolge gro- wenig erforschte Geschichte der Kanonistik in der ßer Umbrüche und Innovationen oft zu beträcht- Frühen Neuzeit lässt sich dagegen eine solche lichen Verlusten nunmehr veralteten Wissens positive Entwicklung nur begrenzt beobachten. 3 kommt. Haben sich die Kräfte der Erneuerung erst Im Gegenteil, vieles, was man im 19. und frühen einmal in solche der Beharrung verwandelt, lässt 20. Jahrhundert mit Blick auf das geltende Recht sich oft kaum noch sagen, welche der ehedem noch wissen musste, war (früh)neuzeitlichen Ur- obsoleten Einsichten vielleicht schon wieder von sprungs und geriet nach der Kodifikation in Ver- Interesse sind. Der Rechtshistoriker E. Seckel hat gessenheit. Das galt nicht zuletzt für manche dieses Phänomen mit der Wendung »Katastrophen Besonderheiten der Kanonistik, die wertvolle Ein- des Vergessens« umschrieben, 1 die der Ägyptologe sichtenindasFachundseineGeschichtevermit- J. Assmann später aufgegriffen und popularisiert teln. hat. 2 Seckel hatte einen konkreten Vorgang in der Eine solche Besonderheit, die sog. probati auc- römischen Rechtswissenschaft der Antike vor tores, stellt sich jedoch nur auf den ersten Blick als Augen, und zwar den Verlust großer Teile der ein Opfer dieser Wissensverluste dar. Betrachtet klassischen, von Kasuistik geprägten Juristenschrif- man sie genauer, dann verweisen die probati aucto- ten, die man in nachklassischer Zeit nicht mehr res nicht nur auf bemerkenswerte Wege, um der brauchte und die deshalb in Vergessenheit gerie- »Katastrophe des Vergessens« zu entrinnen, son- ten. Vergleichbare, wenn auch nicht immer kata- dern auch auf wenig beachtete Überlebensstrate- strophenhafte Entwicklungen lassen sich auch in gien der (kanonistischen) Tradition im Zeitalter anderen Bereichen der Rechtsgeschichte beobach- der Kodifikation. – Das Phänomen der »bewährten ten. Autoren« soll im Folgenden unter historischen Einer davon ist die Wissenschaft vom katholi- Gesichtspunkten etwas genauer untersucht wer- schen Kirchenrecht, in der es im Gefolge der den. Es steht in enger Verbindung mit verwandten Kodifikation des kanonischen Rechts zu Beginn Erscheinungen in der weltlichen Rechtswissen- des 20. Jahrhunderts zu umfangreichen Wissens- schaft, die im Common Law unter der Bezeich- verlusten kam. Wie das deutsche Bürgerliche nung books of authority geläufigsindunddiesich Gesetzbuch von 1900 das Ende der historischen als Schriften besonders anerkannter Juristen, die Rechtsschule besiegelte, so führte der Codex Iuris vor Gericht, in der Verwaltung und in der Rechts- Canonici von 1917 auf längere Sicht betrachtet zur wissenschaft hervorragendes Ansehen genießen, Marginalisierung einer im Dienst des geltenden umschreiben lassen. 4 Solche books of authority Rechts stehenden Beschäftigung mit den älteren fallen aus Sicht eines modernen Rechtsverständ- Quellen des Kirchenrechts, die fortan vor allem als nisses insofern aus dem Rahmen, als es sich bei historische Quellen von Interesse waren. Für man- ihnen um Rechtsliteratur handelt, d. h. um theore- che Epochen der Kirchenrechtsgeschichte (z. B. die tisch-diskursive Werke, denen jedoch genauso wie Antike und das 12.–14. Jh.) sollte sich der damit etwa den hoch- und spätmittelalterlichen Rechts- einhergehende Historisierungsschub als ausgespro- büchern (z. B. dem Sachsenspiegel) rechtliche, mit- * Der vorliegende Aufsatz ist aus einer 1Seckel (1921) 11. 163–230; Meyer (2012a). Zum For- größeren Untersuchung erwachsen, 2Assmann (1991). schungsstand für den deutschspra- dieinzwischenindigitalerForm 3 Zur frühneuzeitlichen kirchlichen chigen Raum vgl. Haering (1992) veröffentlicht worden ist. Vgl. Meyer Rechtsgeschichte vgl. Plöchl 270–273; Stolleis (2004) 103. (2012b). (1966–1970); Munier (1964); 4Koschaker (1966) 99–105; David Weitzel (2007); Link (2009) 99–119; (1984) 142 f. Ferner vgl. Duve (2003). Duve (2010); Fantappiè (2011) 138 Probati auctores Recherche research unter sogar Richter bindende Autorität zugebilligt siert ist und sich traditioneller Methoden bedient. wurde, ohne dass diese Ausfluss gesetzgeberischer Ihmgehtesumetwasanderes.UnterHinweisauf Gewalt war. 5 den Codex Iuris Canonici von 1917 hebt van Hove mit der Bezeichnung als zweites goldenes Zeitalter auf den nachhaltigen Einfluss jener älteren Ver- I. Von der communis opinio doctorum zu den fasser ab, deren Werke es auch nach dem Inkraft- »bewährten Autoren« treten des neuen Gesetzbuchs zu konsultieren galt, und zwar vor allem dann, wenn es sich um altes Worin die Bedeutung der hier interessierenden Recht handelte, dessen Normen aufgrund der probati auctores liegen könnte, zeigt die Periodisie- überkommenen Doktrin, soweit sie von den sog. rung und Bewertung der frühneuzeitlichen Kano- probati auctores rezipiert worden war, ausgelegt nistik in der jüngeren Forschung. Folgt man der werden mussten. 12 Solche »bewährten Autoren« Literatur, dann bildet der Tod Benedikts XIV. dienten demnach als wichtiges Hilfsmittel für das (1740–1758) eine Zäsur. Er steht für das Ende der Verständnis des kodikarischen Rechts und als ein nachtridentinischen katholischen Kirchenrechts- Bindeglied zwischen vormoderner und moderner wissenschaft, in der verschiedene Autoren ein zwei- Kanonistik. So gesehen waren es nicht zuletzt die tes goldenes Zeitalter der Kanonistik nach der sog. Werke der probati auctores, die den bleibenden klassischen Periode sehen. 6 Die Frage, ob bzw. Wert der nachtridentinischen Kanonistik aus- inwieweit die Bewertung gerechtfertigt ist, 7 kann machten. 13 hier offen bleiben. Von Interesse sind vielmehr die Van Hoves Einschätzung, der gesetzliche Vor- Überlegungen, die dieser Etikettierung zugrunde gaben und zeitgenössische Auslegungspraxis zu- liegen. Sie geht in der jüngeren Forschung vor grunde liegen, findet sich in seinen Prolegomena allem auf Ch. Lefebvre zurück. Dieser hat die Be- wortgleich in der ersten und zweiten Auflage von zeichnung von A. van Hove übernommen, der in 1928 bzw. 1945. 14 Aus Sicht des Jahres 1928 wird seinem Urteil wohl von F.X. Wernz abhängig ist. 8 man diese Auffassung für durchaus zutreffend Während sich Wernz mit dem Epitheton aurea halten können, während sie für die 1940er Jahre aetas vor allem gegen die