25/Fu Ball-Iran+Ronaldo
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scherzt später der Bürgermeister. Dies sei bereits der fünfte Besuch von Exzellenz. Übers Trainingsgelände traben die Hoff- nungsträger der Islamischen Republik, vor- bei an Bandenwerbung von Coca-Cola und McDonald’s. Die meisten spielen in Tehe- ran, haben allerdings von Gastspielen in Singapur oder am Golf schon Dollar und ein paar Brocken Englisch mitgebracht. In der internen Hierarchie ganz oben stehen Ali Daei, der Welttorjäger von 1996, Karim Bagheri, der beste Torschütze der gesamten WM-Qualifikation, und natürlich Azizi, Asiens Fußballer des Jahres 1996. Sie sind schon dort, wo andere nach der WM noch hin wollen – in der Bundesliga. Sie sind schlagende Beweise für möglichen Aufbruch, für Anerkennung in einer Welt, die nicht dem Wort der Korangelehrten ge- horcht. Die potentiellen Nachahmer ahnen wenig vom Alltag bei Daei und Bagheri, von langen Abenden im geklinkerten Rei- henhaus in Oerlinghausen-Lipperreihe, fer- tig eingerichtet samt Couchgarnitur. Von einem Exil, das bei Arminia Bielefeld auf den Nenner gebracht wurde „Ali hat’n Han- dy, und Karim hat Leila“ – seine Frau. Die Bundesliga-Kandidaten aus der ira- nischen WM-Truppe wissen noch nicht, wie es ist, beim Sponsorentermin – „Barre- Bräu, dein Herz erfreu“ – aus Glaubens- gründen aus dem Bild treten zu müssen und als Exot einer Öffentlichkeit zu be- gegnen, die mehr nach der Gebets- als nach der Schußtechnik fragt. Orthodoxe Ant- worten wahren den Frieden mit den Funk- tionären in der Heimat, wo die deutsche Presse akribisch ausgewertet wird. Ihre Sünden machen die Bundesliga-Legionäre nach Angaben ihrer Freunde lieber mit Al- lah selbst aus: „Iraner sind Geschäftsleute. Sie verhandeln auch mit Gott.“ Vom Vermächtnis Chomeinis noch nicht entbunden, haben sich Irans Fußballstars BONGARTS mit seinen Gegnern eingelassen. Die Kluft Weltfußballer Ronaldo (gegen Schottland): Schuhe in den Farben Weiß und Silber wird nicht kleiner dadurch, daß Ali Daei 30000 Mark für Erdbebenopfer in seiner Heimat spendet, Azizi einen Pokal für die BRASILIEN Imam-Resa-Moschee in Maschhad und an- dere noch vor dem Schrein des Revolu- tionsführers strammstehen, obwohl sie Fred Astaire mit Zahnlücke Boutiquen am Mosseni-Platz im Norden Teherans besitzen, in denen sie westliche Schon vor dem Eröffnungsspiel wurde der Brasilianer Ronaldo Waren verhökern. Fußball ist eine Splittermine fürs Boll- zum Superstar der WM hochgejubelt. In den ersten werk der Gottesfürchtigen in Iran, hoffen Tagen wirkt der Torjäger eher wie ein verschüchterter Knabe. jene, denen nicht entgangen ist, wie der Reformpräsident Chatami den Stürmerstar o also sieht er aus, „der Außerirdi- Den befördert er mit der Hacke auf den Daei empfangen hat. Nun hängt viel vom sche“, „das Phantom“, „das Phäno- Kopf, läßt ihn in den Nacken rollen, wo er Ausgang des Spiels gegen die USA ab. Smen“, „der Beethoven mit Ball“: Ein für Sekunden ruht, als sei er angeklebt; so- Wenn sich am Sonntag abend in Teheran junger Mann mit einem Schädel wie ein ge- dann durchzuckt eine Bewegung seinen das fröhliche Chaos vom November wie- kochtes Ei und Händen, die nicht wissen, Körper, die man von dressierten Seehun- derhole, sagt ein westlicher Diplomat, wo sie hin sollen. den kennt, der Ball fliegt in die Luft, lan- wenn die Frauen ihr einziges Privileg, tabu Ronaldo Luiz Nazário de Lima fühlt sich det in seinen Händen und knallt von da auf für Polizistenhände zu sein, nutzen und beobachtet. Er kratzt sich am Ohr, unter den Kopf des Kollegen Roberto Carlos. Die wieder das Kopftuch schwingen, dann hän- den Armen, am Oberschenkel, dann hält er Vorstellung ist beendet. ge alles von den Nerven der Revolutions- sich die linke Hand am goldenen Ring fest, Der Ball war seine Rettung, denn ohne hüter ab: „Halten sie sich nicht zurück, der an der rechten Hand steckt, und dann, Ball ist Ronaldo Luiz Nazário de Lima, kann es losgehen.“ Walter Mayr endlich, entdeckt er einen Ball. den die Welt nur Ronaldo nennt, ein Jün- 92 der spiegel 25/1998 Fußball-WM gelchen von 21 Jahren, das kahlrasierte gar, wie zuletzt die Kameraden Edmundo wieder raus aus ihrer Galerie? Und: Sieht Köpfe cool findet, bis zu seinem 19. Le- und Leonardo. „Kein Esprit, keine Ein- so ein Superstar aus? bensjahr eine Gebißspange trug und trotz- heit“, hat Kapitän Dunga diagnostiziert. Es ist 17.20 Uhr am vergangenen Mitt- dem immer noch aussieht wie der Hase Und mittendrin, sagt das „Jornal do Bra- woch, und Brasiliens Fußballprofis werden Cesar mit einer Zahnlücke. Mit großem sil“, dieses „glatzköpfige Riesenbaby“. Hat aus der Umkleidekabine in den unterirdi- Tschingdarassa hatte der Sportartikelher- erst ein paar zarte Barthärchen am Kinn, schen Gang geschickt, der rausführt zu den steller Nike seinen hauseigenen Fußball- aber soll es ganz alleine richten. Beim 80000 Leuten im Stade de France. Ronal- park im Pariser Stadtteil La Défense zur zähen 2 : 1 im Eröffnungsspiel gegen die do kommt als letzter aus der Tür. Er reißt Einweihung gebracht, eine Combo spielte schlichten Schotten hat der Emissär von die Augen auf und glotzt eine Wand an, Samba, ein paar Hundertschaften Foto- „O Globo“ ganz genau hingesehen: Ro- bläst die Backen auf und läßt Luft ab. Dann grafen waren da; die Fußballspieler aus naldo war 91mal am Ball, aber getroffen fährt sein rechter Arm nach vorn, und er Brasilien sollten Pate stehen, und Ronaldo hatte er schon wieder nicht. umklammert die Hand von César Sampaio, ist der King der Brasilianer. 400 südamerikanische Journalisten sind der 30 Jahre alt ist und Erfahrung hat. Es Als er mit seinem Kunststück fertig war, in Frankreich dabei, und wenn er Pech ist, als brauche Ronaldo Beistand. plumpste er auf eine Bank, bis eine Mutter hat, sind alle dabei, wenn er abends um Im Bauch dieses Prachtbaus erlebt der kam, die ihr Kind auf seinen Schoß setzte sechs mit dem Training fertig ist. Sie war- Supermann seine Metamorphose. Ganz und seine Knie streichelte. Ronaldo sah ten hinter weißen Gittern, die links und weit weg ist jetzt der Ronaldo, den sein dabei aus, als hätte man ihm gerade eine rechts von einem Weg aufgebaut sind, der Werbepartner Pirelli aus ihm machte, als er glitschige Kröte überreicht; er stellte das Kind auf den Kunstrasen und ging zum Ausgang. Ronaldo war als erster weg. Jede Zeit hatte ihr Genie. Auf Pelé folg- te Beckenbauer, auf Beckenbauer Cruyff, auf Cruyff Maradona. Und jetzt er? Der letzte Superstar dieses Jahrhunderts? Schon schraubt ihn die intellektuelle Ab- teilung mit kühner Metaphorik zur Un- vergänglichkeit empor. Ronaldo sei „Ur- sprung und Vollendung des Tores“, meint die spanische Zeitung „El País“. Er habe „die Figur eines Box-Champions und die Füße von Fred Astaire“, findet der Schrift- steller Manuel Vázquez Montalbán. Die Wahrheit ist, daß der junge Mann bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft zu- mindest schon so lebt, als würde das alles so stimmen. Wenn ihn der Mannschafts- bus von der Ortschaft Lésigny bei Paris über eine zwei Kilometer lange Straße, die für den gewöhnlichen Verkehr gesperrt ist, zum Übungsplatz nach Ozoir bringt, dann fährt immer eine Gesandtschaft von fünf schwarzen Mercedes-Benz voraus, in de- nen starke Männer mit schwarzen Anzügen REUTERS und schwarzen Krawatten und kleinen Brasilianische Fans im Stade de France: Kein Esprit, keine Einheit Knöpfen im Ohr sitzen. Das „Château de Grande Romaine“, wo vom Platz in die Umkleidekabine führt. ihn auf einem Plakat anstelle von Jesus Ronaldo ein Doppelzimmer mit dem Kol- Sie sehen dahinter aus wie Herdenvieh, Christus als Erlöserstatue über Rio de legen Carlos Alberto bewohnt, ist eine Her- das man eingepfercht hat. Wenn Ronaldo Janeiro wachen ließ. Ganz nah ist jetzt der berge, die auf einem Grundstück von 30 vorbeikommt, schreien sie, als würde man Ronaldo, der mit 14 Jahren bei São Cristo- Hektar ruht und mit Sichtblenden aus Bast ihnen ein Brandzeichen verpassen, und vão, einem Vorortverein von Rio, zum er- eingewickelt ist; und wer durch den Bast Ronaldo geht zu denen, die am lautesten stenmal auf Rasen Fußball spielt. guckt, ist verdächtig und muß seinen Paß gebrüllt haben. Dann steht er da, kratzt Als sein damaliger Trainer Ari Barroso abgeben, und die Flics schreiben den Vor- sich, dreht am Ring, wischt die Schweiß- ihn hier erstmals sieht, fallen ihm „seine gang in ein rotes Buch. tropfen weg und sagt, daß Brasilien Welt- großen Ohren, seine großen Zähne und Das Leben des Superstars ist in Frank- meister wird. sein großer Kopf“ auf. Der Kleine ist ein reich also sehr geordnet; es ist nur so, daß Das Eigentümliche an diesem Superstar Schnorrer, nach dem Training geht er zu es bei der Arbeit seit Wochen klemmt. Er dieser Weltmeisterschaft ist, daß er schon den Großen und sagt: „Gib mir einen Cru- hat schon länger nicht mehr ins Tor ge- Superstar ist, bevor diese Weltmeisterschaft zeiro, ich habe nichts gegessen.“ troffen für Brasilien, und das richtig losgegangen ist. Das war Er hat Glück, daß an diesem Fußball- könnte auf Dauer zum richtigen noch nie so, weder bei Pelé platz gelegentlich zwei Männer vorbei- Problem werden. Der Kleine noch bei Beckenbauer, noch bei schauen, die mit scharfem Auge für den Als ob der Weltmeister davon ist ein Schnor- Cruyff noch bei Maradona. Die Fußball und das Geschäft damit ausgestat- nicht schon genug hätte. Vom rer: „Gib mir ei- Franzosen haben ihn, bevor das tet sind. Alexandre Martins, ein drahtiger Trainer Zagallo heißt es, er habe nen Cruzeiro“, erste Spiel angepfiffen wurde, als Mensch mit sehr vielen Bartstoppeln im keine Autorität und keine Idee. sagt er, „ich triumphierende Wachsfigur ins Gesicht, und Reinaldo Pitta, ein Dicker mit Von der Mannschaft heißt es, sie „Musée Grévin“ gestellt. Was, wenig Haaren auf dem Kopf, haben öfter sei gar keine.Alles Egoisten, mö- habe nichts wenn Brasilien aus dem Turnier einen Kicker von hier nach da verscherbelt. gen sich nicht, prügeln sich so- gegessen“ fliegt? Schmeißen sie ihn dann Sie erkennen, was Ronaldo wert werden der spiegel 25/1998 93 Fußball-WM kann, und als der Club klamm Jahren weg von zu Hause und ist, geben sie ihm 10000 Dollar schmiß seinen Job bei der Post.