Fußball-WM

der Schlachten von gestern – in kurzen Hosen. „Ein besonderes Match“, sagt di- plomatisch , und läßt offen, wie er das genau meint. Den Nerv von Volk wie Führung trifft er so auf jeden Fall. Das 65-Millionen-Volk ist beinahe zur Schlacht in kurzen Hosen Hälfte so jung, daß es keine Erinnerung mehr hat an die Schah-Zeit vor 1979, als Iran träumt vom Sieg über den politischen Erzfeind noch nicht jeden Freitag nach dem Gebet USA. Für die Spieler wäre es ein unumstößlicher Triumph, Zehntausende in Teheran mit erhobener Faust „Marg bar Amrika“ brüllten, „Tod für die geistlichen Führer ein zweifelhafter: Der den USA“.Die meisten fänden einen Sieg Ruhm der Fußballer unterhöhlt die Macht der Mullahs. aber vor allem deshalb erfreulich, weil es der erste wäre für Iran bei einer WM. elbst vor den Augen des Ajatollah Aber noch ist er Iraner genug, um zu wis- Die „westlichem“ Sport gegenüber tra- Chomeini samt seinem heiligen Zorn sen, daß bei der Wahl dieser WM-Unter- ditionell skeptischen Religionsführer ret- Sgegen Müßiggang in „Lust- und La- kunft nicht ausschlaggebend war, ob sie ten sich über den reißenden Fluß, zu dem sterzentren“ des Westens würden Irans denen gefällt, die darin schlafen. die Fußball-Leidenschaft in Iran geworden Fußballer Gnade finden – könnte er sie Am Schrein des Gründers der Islami- ist, mit einer goldenen Brücke: Auch sie noch sehen dieser Tage in ihrem Quartier. schen Republik sind die Nationalspieler, setzen auf Sieg, weil, wer die Weltmacht Den Stürmer Khodadad Azizi vom 1. FC Hände an der Hosennaht, am Tag vor ihrer USA schlägt, egal auf welchem Feld, Köln etwa, wie er sich sein karges Zimmer Abreise eingeschworen worden: „Ihr seid grundsätzlich nicht aufs falsche Fundament in der Hochschule für Konditorei zu Yssin- Botschafter Irans.“ Es sprach Hassan Cho- gebaut haben kann. geaux brüderlich teilt mit dem Mittelfeld- meini, der bärtige Enkel des Revolutions- Khodadad Azizi, zu deutsch „der gott- spieler Naim Saadavi aus Teheran. Wie sie führers. Gerade weil „der Sport in den gegebene Liebling“, verhält sich genau so, über die daheim verbotenen Satelliten- Händen der Wahnsinnigen“ liege, des in- wie es sein Name nahelegt. Ein frommer schüsseln ein Programm aus Iran empfan- ternationalen Großkapitals also, sei die Torjäger, Gebetskette in der Rechten, Han- gen. Und wie sie jede leergetrunkene Oran- Aufgabe groß: „Unser Spiel gegen die USA dy in der Linken. Er steht am Kreuzweg genlimonade aus dem Kühlfach im Mini- ist das Symbol dieser WM.“ zwischen den auseinanderdriftenden Wel- bar-Protokoll beglaubigen müssen. Am Sonntag ist es soweit. Es gilt, zum er- ten, ein Popstar im Mullahstaat. Sagt, was Zwischen spitzen Vulkankegeln im fran- sten Mal in der Geschichte, gegen den von die Frommen hören wollen: „Durch die zösischen Zentralmassiv steht die Ertüch- der Propaganda zum „Großen Satan“ auf- Revolution sind neue Werte in unser Land tigungsanstalt, die der deutsche Gruppen- geblasenen Popanz USA, den Erzfeind von gekommen.“ Und tut doch, was er will. gegner Iran für die Zeit der WM-Vorrunde Teherans Regime, im Fußball zu bestehen. Liebling ist er nicht nur im ostiranischen angemietet hat. Vor der Tür tummeln sich Mitten im schwelenden Konflikt zwi- Maschhad, wo Hauswände und Fabrik- französische Polizisten und iranische Ge- schen dem pragmatischen Präsidenten Mo- mauern mit Verehrerpost an ihn bedeckt heimdienstler vom Herasat. Drinnen sitzt hammed Chatami und der orthodoxen sind, sondern in ganz Iran. Für gottgegeben der angehende Millionär Azizi und lacht. Geistlichkeit unter Ajatollah Chamenei um halten sie ihn spätestens seit dem 29. No- Mit dem 1. FC Köln war er eine Bun- mehr Öffnung in Iran, wirkt die Begeg- vember, als das Unglaubliche geschah, das, desliga-Saison lang in feineren Häusern. nung mit den USA wie eine Neuauflage was mit den Worten des Schriftstellers Fa-

Straßenfußballer in Teheran, Nationalspieler Mehrdad Minavand beim Gebet in der Umkleidekabine vor dem Spiel: „Eine Chance zu beweisen, S. BRUTY radsch Sarkuhi „die große Explosion“ aus- ben eine Videokassette in den Recorder trainer, gehärtet im Umgang mit Diven wie löste: Azizi schoß ein Tor gegen Australien. geschoben und lauschen der Stimme von Paulo Futre und Bernd Schuster. Er krem- Es war das entscheidende, das letzte von Abbas Torabian, dem Vizepräsidenten des pelt das System komplett um und über- 58 Toren in 17 Qualifikationsspielen. Es war Fußballverbands: Mit dem Kroaten Tomi- dauert seine Ernennung zum weltbesten gleichbedeutend mit der ersten WM-Teil- slav Ivic sei es glücklicherweise gelungen, Trainer durch den iranischen Verband um nahme seit 20 Jahren, der ersten seit dem den besten Trainer der Welt nach Iran zu vier Monate. Mitte Mai ist Schluß. Sturz des Schahs; Chance zu beweisen, so holen, sagt Torabian. Das Band ist nur we- Ivic ist seither Freiwild für Fanatiker: nennt es eine junge Frau, „daß es in unse- nige Wochen alt. Aufgenommen kurz vor „Wann wollt ihr endlich begreifen, daß es rem Land nicht nur Terroristen und Öl gibt, Ivics Entlassung. besser ist, einen Trainer zu haben, der Mus- sondern auch Menschen“. Durch die WM-Qualifikation, sagt der Regimekritiker Sarkuhi, „sind wir in die Welt zurückgekehrt“. Die Freudenfeiern im Gottesstaat, die tanzende Menge, die patriotischen „Iran“-Gesänge und die Frauen, die sich das Kopftuch herunterris- sen – die ganze aufgestaute Sehnsucht nach Leben wuchs sich aus zur gewaltigsten Volkskommunion seit Chomeinis Rück- kehr aus Frankreich. Kalt erwischt vom Siegestaumel, in dem selbst Pasdaran – die paramilitärischen Tu- gendwächter – im Techno-Takt mit den Stiefelspitzen wippten, wurden die Mul- lahs. Seither versuchen sie, sich von ganz hinten an die Spitze der Bewegung zu mo- geln. Die Losung hat das Wächterrats-Mit-

glied Ajatollah Dschannati ausgegeben: BAIRAMI J. Ohne Gebet und Gottes Hilfe wäre der Kölner Fußballprofi Azizi (Mitte), Fans in Teheran: Popstar im Mullahstaat Sieg nicht möglich gewesen. Wird Beten helfen am kommenden Lustig ist es nicht, das Trainerleben in lim ist, statt irgendwelche Alkoholiker aus Sonntag? „Das Spiel gegen die USA ist ein Iran, und viel zu kurz. Das als Weltrekord Jugoslawien zu holen“, donnert Tage vor Match wie jedes andere“, beteuert Trainer für Qualifikationsspiele aktenkundige 17:0 WM-Beginn Ajatollah Chasali von der Jalal Talebi betont emotionslos. Dabei gegen die Malediven hat Mayeli Kohan, ei- Kanzel der Teheraner Ark-Moschee. schaut er allerdings so furchtsam drein, als nen Mann mit Hang zu nächtlichen Ge- „Diese Leute haben keine Ahnung, wie sei er, vor drei Wochen erst engagiert, bei- betsappellen, nicht gerettet. Ein paar Pleiten man ein Fußballteam führt“, sagt Ivic, nahe schon wieder entlassen. Er ist der danach, ein strenges Verhör im Madschlis, der noch immer Einsatzwillen und Tech- vierte Coach Irans in sechs Monaten. dem Parlament. Dann die Entlassung im nik der Spieler lobt. Ihm sei nicht klar ge- Aus dem Aufenthaltsraum ist brüllende November. Der Nachfolger Valdeir Vieira, wesen, wie stark in Iran die Politik den Heiterkeit zu vernehmen. Die Spieler ha- ein Brasilianer, durfte den Freudentaumel Fußball beeinflusse: „Der Druck war un- nach der Qualifikation nur geheuer. Die Funktionäre wollen nur ihre daß es in unserem Land nicht nur Terroristen und Öl gibt“ wenige Wochen genießen. Stellung halten. Sie denken an sich, nicht Seiner Hoffnung zum an ihr Land.“ Trotz, „dem Weltfrieden“ Nun also doch mit einem Iraner, mit gedient zu haben, wird der Jalal Talebi, ins Duell gegen die USA. Hat vom Volk verehrte Coach der nicht umgehend ein 4:1 gegen Inter im Januar gefeuert, angeb- Mailand geschafft? Gegen eine Auswahl lich mangelnder internatio- von „Inter-Hausmeistern und Putzkolon- naler Klasse wegen. nenführern“ zwar, wie spöttische Iraner Die Fifa muß erst in ei- anmerkten; aber Sieg ist Sieg, befand die nem Schiedsspruch am 4. Hauptstadt-Presse. „Alles ist möglich“, März 1998 verkünden, sagt Vizepräsident Torabian, hauptamtlich „daß der Iranische Fuß- leitend im Erdölministerium tätig: „Wir ballverband den Vertrag hoffen, daß wir im Finale dabei sind.“ verletzt hat“, ehe Vieira Obwohl die Spieler aus dem Gottesstaat, mit mehreren Monaten allen voran die Stimmungskanone Azizi, in Verspätung sein Gehalt Abwesenheit revolutionärer Würdenträger überwiesen bekommt: auch albern und flachsen, liegt doch heili- 5000 Dollar pro Monat. ger Ernst über der iranischen Expedition Eine Summe, die der Nach- „France 98“. „Im Namen von Allah“, sagt folge-Aspirant Udo Lattek der Co-Trainer im Trainingscamp von dem Vernehmen nach als Yssingeaux zur Presse, „wir arbeiten hart.“ Tageslohn fordert und be- „Im Namen von Allah“, auch er hoffe willigt bekommt. auf gutes Gelingen, ergänzt der aus Paris Lattek aber springt in angereiste Botschafter Hamid Assefi, re- letzter Sekunde ab, und es volutionskonform kragen- und krawatten- findet sich der Kroate To- los gewandet, also unverwestlicht, und mislav Ivic, ein europaweit müht sich erfolglos um ein lockeres

AP hochdekorierter Meister- Lächeln. Assefi werde hier Ehrenbürger,

der spiegel 25/1998 91 scherzt später der Bürgermeister. Dies sei bereits der fünfte Besuch von Exzellenz. Übers Trainingsgelände traben die Hoff- nungsträger der Islamischen Republik, vor- bei an Bandenwerbung von Coca-Cola und McDonald’s. Die meisten spielen in Tehe- ran, haben allerdings von Gastspielen in Singapur oder am Golf schon Dollar und ein paar Brocken Englisch mitgebracht. In der internen Hierarchie ganz oben stehen , der Welttorjäger von 1996, , der beste Torschütze der gesamten WM-Qualifikation, und natürlich Azizi, Asiens Fußballer des Jahres 1996. Sie sind schon dort, wo andere nach der WM noch hin wollen – in der . Sie sind schlagende Beweise für möglichen Aufbruch, für Anerkennung in einer Welt, die nicht dem Wort der Korangelehrten ge- horcht. Die potentiellen Nachahmer ahnen wenig vom Alltag bei Daei und Bagheri, von langen Abenden im geklinkerten Rei- henhaus in Oerlinghausen-Lipperreihe, fer- tig eingerichtet samt Couchgarnitur. Von einem Exil, das bei auf den Nenner gebracht wurde „Ali hat’n Han- dy, und Karim hat Leila“ – seine Frau. Die Bundesliga-Kandidaten aus der ira- nischen WM-Truppe wissen noch nicht, wie es ist, beim Sponsorentermin – „Barre- Bräu, dein Herz erfreu“ – aus Glaubens- gründen aus dem Bild treten zu müssen und als Exot einer Öffentlichkeit zu be- gegnen, die mehr nach der Gebets- als nach der Schußtechnik fragt. Orthodoxe Ant- worten wahren den Frieden mit den Funk- tionären in der Heimat, wo die deutsche Presse akribisch ausgewertet wird. Ihre Sünden machen die Bundesliga-Legionäre nach Angaben ihrer Freunde lieber mit Al- lah selbst aus: „Iraner sind Geschäftsleute. Sie verhandeln auch mit Gott.“ Vom Vermächtnis Chomeinis noch nicht

entbunden, haben sich Irans Fußballstars BONGARTS mit seinen Gegnern eingelassen. Die Kluft Weltfußballer Ronaldo (gegen Schottland): Schuhe in den Farben Weiß und Silber wird nicht kleiner dadurch, daß Ali Daei 30000 Mark für Erdbebenopfer in seiner Heimat spendet, Azizi einen Pokal für die BRASILIEN Imam-Resa-Moschee in Maschhad und an- dere noch vor dem Schrein des Revolu- tionsführers strammstehen, obwohl sie Fred Astaire mit Zahnlücke Boutiquen am Mosseni-Platz im Norden Teherans besitzen, in denen sie westliche Schon vor dem Eröffnungsspiel wurde der Brasilianer Ronaldo Waren verhökern. Fußball ist eine Splittermine fürs Boll- zum Superstar der WM hochgejubelt. In den ersten werk der Gottesfürchtigen in Iran, hoffen Tagen wirkt der Torjäger eher wie ein verschüchterter Knabe. jene, denen nicht entgangen ist, wie der Reformpräsident Chatami den Stürmerstar o also sieht er aus, „der Außerirdi- Den befördert er mit der Hacke auf den Daei empfangen hat. Nun hängt viel vom sche“, „das Phantom“, „das Phäno- Kopf, läßt ihn in den Nacken rollen, wo er Ausgang des Spiels gegen die USA ab. Smen“, „der Beethoven mit Ball“: Ein für Sekunden ruht, als sei er angeklebt; so- Wenn sich am Sonntag abend in Teheran junger Mann mit einem Schädel wie ein ge- dann durchzuckt eine Bewegung seinen das fröhliche Chaos vom November wie- kochtes Ei und Händen, die nicht wissen, Körper, die man von dressierten Seehun- derhole, sagt ein westlicher Diplomat, wo sie hin sollen. den kennt, der Ball fliegt in die Luft, lan- wenn die Frauen ihr einziges Privileg, tabu Ronaldo Luiz Nazário de Lima fühlt sich det in seinen Händen und knallt von da auf für Polizistenhände zu sein, nutzen und beobachtet. Er kratzt sich am Ohr, unter den Kopf des Kollegen Roberto Carlos. Die wieder das Kopftuch schwingen, dann hän- den Armen, am Oberschenkel, dann hält er Vorstellung ist beendet. ge alles von den Nerven der Revolutions- sich die linke Hand am goldenen Ring fest, Der Ball war seine Rettung, denn ohne hüter ab: „Halten sie sich nicht zurück, der an der rechten Hand steckt, und dann, Ball ist Ronaldo Luiz Nazário de Lima, kann es losgehen.“ Walter Mayr endlich, entdeckt er einen Ball. den die Welt nur Ronaldo nennt, ein Jün-

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