Gallien: 52 v. Chr. Zur politischen und strategischen Konstellation eines Kampfraumes

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Michael FRANK

am Institut für Geschichte Begutachter: ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Klaus Tausend

Graz, 2014

Parentibus (†) dedicatum Inhalt

Der Kampfraum Gallien im Jahre 52 v. Chr.: Zum Thema ...... 5 1. Gallien im 1. Jh. v. Chr.: Die politische und militärische Geographie bis zum Auftreten Caesars ...... 8 1.1 Südgallien ...... 8 1.2 Ost- und Zentralgallien ...... 9 1.3 Caesar und Rom ...... 10 2. Gallien: 58–53 v. Chr. Die politische und strategische Konstellation eines Eroberungsraumes ...... 12 2.1 Ostgallien ...... 12 2.1.1 Die Helvetier ...... 12 2.1.2 Die Alpenkelten und der zentralgallische Kampfraum ...... 13 2.1.3 Haeduer und Sequaner ...... 13 2.2 Belgium ...... 14 2.3 Die Rheingrenze...... 16 2.3.1 Nördlicher Sektor ...... 16 2.3.2 Südlicher Sektor ...... 19 2.3.3 Die Rheingrenze und der zentralgallische Kampfraum im Jahre 52 v. Chr...... 19 2.4 Aremorica ...... 20 2.5 Britannien ...... 21 2.6 Aquitanien ...... 22 2.7 Zentralgallien ...... 22 2.8 Provincia Gallia Transalpina ...... 23 3. Zentralgallien: 52 v. Chr...... 26 3.1 Über die Stellung der Arverner in Gallien: Hegemonie und principatus ...... 26 3.2 Der arvernische Faktor im Jahre 52 v. Chr...... 32 3.3 Die politische und strategische Geographie im Jahre 52 v. Chr...... 36 3.3.1 Das politisch-strategische Umfeld Zentralgalliens ...... 36 3.3.2 Der haeduische Faktor im Jahre 52 v. Chr...... 37 3.3.3 Die strategische Geographie als Planungsfaktor ...... 38 3.3.4 Die politische Geographie als Planungsfaktor ...... 39 4. Zentralgallien 52 v. Chr.: Aufstand und Krieg ...... 42

5. Gallier und Römer: Kriegsgegner ...... 50 5.1 Die gallische Koalition ...... 50 5.1.1 Die Phasen der Koalitionsbildung ...... 50 5.1.2 Formale Elemente der Koalitionsbildung ...... 54 5.1.3 Die Peripherie des Koalitionsraumes: Carnuten, Senonen, Parisier ...... 54 5.1.4 Das gallische Heer ...... 57 5.1.5 Führungs- und Entscheidungsstruktur ...... 61 5.2 Die römischen Legionen in Gallien im Jahre 52 v. Chr...... 63 5.3 Der Römer und der Gallier: Überlegungen zu Motivierung – Disziplin – Moral ...... 64 5.3.1 Motivierung und Autorität ...... 65 5.3.2 Disziplin ...... 67 5.3.3 Der Krieg in Gallien als moralische Frage ...... 68 6. Überlegungen zu strategischen und operativen Aspekten ...... 70 6.1 Elemente innenpolitischer Dynamik der gallischen Koalition ...... 70 6.2 Strategien zur Koalitionserweiterung ...... 70 6.3 Der Kampfraum als strategisches Konzept...... 72 6.4 Logistik ...... 74 7. Die unmittelbaren Folgen der gallischen Niederlage ...... 76 8. Die Nachwirkungen des römischen Sieges...... 78 8.1 Die Biturigen ...... 80 8.2 Die Carnuten ...... 81 8.3 Belgium im Jahre 51 v. Chr...... 81 8.3.1 Bellovacer, Suessionen, Remer ...... 82 8.3.2 Der Sicherheitskomplex Belgium ...... 83 8.4 Drappes und Lucterius ...... 85 8.5 Pictonen und Anden ...... 86 8.6 Die Treverer ...... 87 8.7 Aquitanien ...... 88 8.8 Diversissimam partem Galliae ...... 88 8.9 Arverner und Haeduer ...... 89 Gallien: 52 v. Chr...... 90 Quellen ...... 93 Literaturverzeichnis ...... 94

- 5 -

Der Kampfraum Gallien im Jahre 52 v. Chr.: Zum Thema

Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur, rem militarem et argute loqui. Cato, Frag. 2,3, Charis. 2p. 263B (F34 Peter)

Quintus: »People should know when they are conquered.« Maximus: »Would you, Quintus? Would I?« The Gladiator, USA 2000, R.: Ridley Scott

Cesare armato con li occhi grifagni. Dante Alighieri, Inferno, Canto 4.123

Gallien rückte Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. verstärkt in das Blickfeld Roms. Die schwer durchschaubaren politischen Verhältnisse und kriegerische Unternehmungen keltischer Stämme führten bald zu römischer Interessenspolitik mit diplomatischen und militärischen Aktionen. Die provincia Gallia Transalpina als geostrategischer und geoökonomischer Vorposten Roms war dann auch Sprungbrett und Rückzugsraum für Caesar, der ab dem Jahre 58 v. Chr. grundlegen- de und dauerhafte Umwälzungen in der keltischen Sphäre auslösen sollte. Sein wohl größter strategischer Vorteil neben der Kampfkraft römischer Legionen war die Uneinigkeit der Gallier, welche immer wieder zu einem Primat gallischer Innenpolitik führte. Caesar konnte sich die Spannungen zwischen anti- und prorömischen Kräften zu Nutze machen und so ganz Gallien ei- ne Neuordnung aufzwingen, die – wenn auch Jahrzehnte unsicherer Verhältnisse folgten – letzt- endlich in einer tiefgreifenden Romanisierung resultierte. Die vorliegende Arbeit handelt vor allem vom entscheidenden Kriegsjahr 52 v. Chr., in dem Caesar und Vercingetorix als die großen Kontrahenten zum alles entscheidenden Kampf antre- ten. Durch das Einbeziehen der lange wirkenden Vorgeschichte soll eine Klärung der politischen und strategischen Konstellation mit Blickrichtung hin auf das Jahr 52 erfolgen. Natürlich sind in diesem Sinne die unmittelbar vorhergehenden sechs Jahre von Caesars Feldzügen ebenso Teil der Untersuchung wie die Nachwirkungen der gallischen Niederlage in einem keinesfalls befrie- deten Eroberungsraum. Kapitel eins und zwei dieser Arbeit beinhalten die Einführung in die geopolitische Lage in Gallien ab dem Ende des 2. Jahrhunderts bis zum Jahre 53 v. Chr. Geographisch umfassend wird die Ausgangslage für das Jahr 52 in raumbezogenen, konzisen Teilanalysen dargestellt. Der Ver- fasser bedient sich hier und in den folgenden Kapiteln auch moderner, geopolitischer Termino- logie (in Übersetzung) und dahinterliegender Ansätze, wie sie immer wieder in den Berichten und Analysen politisch entsprechend ausgerichteter Think Tanks Anwendung finden.1 Daraus

1 Als Beispiele: National Intelligence Council of The United States of America: Global Trends 2025. A Transformed World, 2008; S. Tadjbakhsh: Central Asia and Afghanistan: Insulation on the Silk Road. Between Eurasia and the Heart of Asia, Peace Research Institute Oslo (PRIO), 2012. - 6 -

abgeleitet wird der gallische Großraum auch über regional security complexes (übers.: Sicher- heitskomplexe) und aus der Perspektive geostrategischer Peripherieräume und Subeinheiten er- fasst.2 Ein Sicherheitskomplex ist geographisch eingrenzbar und konstituiert sich als ein Cluster un- terschiedlicher, politisch-militärischer Sicherheitsdilemmata innerhalb einer kognitiven Region. Eine solche Region ist für interne und/ oder externe Beobachter – Caesar und die Rezipienten der Commentarii – durch das spezifische geographische Element, innerhalb dessen politische und militärische Beziehungsmuster wirken, definierbar.3 Diese Beziehungen weisen einen gewis- sen Grad an Regelmäßigkeit und Intensität auf, bis zu dem Ausmaß, wo die Änderung eines Faktors im Beziehungssystem Auswirkungen auf alle anderen Faktoren hat. Die Stämme als Ak- teure sind grundsätzlich geographisch nahe beieinander und formen so eine Gruppe mit einem erkennbaren Netzwerk von Sicherheitsbeziehungen, innerhalb dessen die Teilnehmer eine hohe Interdependenz in Sicherheitsfragen aufweisen.4 Struktur und Charakter eines Sicherheitskomplexes definieren sich über zwei Arten von Be- ziehungen: Machtbeziehungen und Muster von Freund- und Feindschaft.5 Aus dem geopoliti- schen und strategischen Blickwinkel ist das Hauptelement dieses Beziehungssystems der Faktor Sicherheit, der dem spezifischen gallisch-germanischen Umfeld nach zu definieren ist: Aus Sicht Caesars steht die Berechenbarkeit politischer Stabilität im Vordergrund, mit dem Hauptziel der Effizienz bzw. Vermeidung militärischer Aktionen und der Wirksamkeit von Eingriffen in die Stammesinnenpolitik. Jede Änderung der Einschätzung innerer Zustände eines Sicherheits- komplexes kann allerdings die Anwendung außergewöhnlicher Maßnahmen zur erneuten Lage- konsolidierung auslösen. Aus Sicht der gallischen Stämme wiederum hat die von externen Kräf- ten – hier: Rom – ungestörte Interaktion Priorität, wohl hauptsächlich in Form bewaffneter Auseinandersetzungen zum Machterhalt bzw. -ausbau, unter Inanspruchnahme außenpolitischer Netzwerke wie Bündnisse, Allianzen und Formen sozialer Bindungen (arrangierte Ehen, hos- pitium etc.6). Durch Absichten zur Hegemonie und Vorherrschaft sind die Stämme durch Be- drohungspotentiale so miteinander verbunden, dass sich innere Sicherheitszusammenhänge er- geben und die Sicherheit eines Akteurs realistischerweise nicht von der eines anderen getrennt werden kann.7 Innerhalb eines geographischen Gebietes interessieren sich die Akteure also mehr für ihre eigenen, gegenseitigen Sicherheitsprobleme und nicht die anderer.8 Zwischen den einzelnen Sicherheitskomplexen Galliens besteht meist kein geographischer oder sicherheitspo-

2 Morgan, Regional Security Complexes 24-25 generell zur Erfassbarkeit als Sicherheitskomplex.

3 Lake, RSC 47; Heise, Renaissance der Regionen 71-74.

4 B. Buzan: People, States and Fear, Hempstead 1991, zit. nach Morgan, Regional Security Complexes 25.

5 Buzan, Regions and Powers 49.

6 Vgl. Dumnorix Caes. BG 1.18.6, Ambiorix 6.5.4.

7 Grundlegende Parameter zur Definition zwischenstaatlicher Sicherheit aus einem modernen, politiktheoretischen Ansatz bei Morgan, Regional security complexes 22-24.

8 Die vom Verfasser u. a. anvisierten Beispiele Belgium, Aquitanien, Treverer und Rheingrenze (jeweils mit Sub- einheiten) werden in der Arbeit entsprechend ausgeführt. - 7 -

litischer Zusammenhang; allerdings kann Rom als externer Akteur, wie an den Ereignissen des Jahres 52 zu sehen ist, Anlass für übergreifende Analysen geben. Grundsätzlich führen also diese Wahrnehmungen zum Erkennen eines beschränkten Sets militärisch-politischer Szenarios innerhalb unterschiedlicher, geographisch eingrenzbarer Kom- plexe von Stämmen, mit dem geostrategischen Erweiterungselement Rom. Im dritten Kapitel wird die politische und strategische Geographie des zentralgallischen Raumes analysiert. Die Bezeichnung »Zentralgallien« für den Kampfraum des Jahres 52 wird aus Sicht des militärischen Operationsgebietes eingebracht. Natürlich ist die gesamte gallo- keltische Sphäre betroffen; es soll aber im Sinne dieser Einteilung der geographische Raum ent- scheidender Aktionen erfasst werden. Die Stellung der Arverner und die antirömische Positio- nierung der Haeduer sind besondere Planungsfaktoren für die Kontrahenten. Es wird, soweit im Rahmen der Arbeit geboten, notwendig sein, zumindest ansatzweise die arvernische Hegemo- niestellung für ein Verständnis der zentralgallischen politischen und strategischen Geographie, die in nachfolgenden Unterkapiteln abgehandelt wird, aufzuzeigen. Der kurz kommentierte Ablauf der Kriegshandlungen im vierten Kapitel ist gleichsam als Anlauf zu einer Betrachtung der Kriegsgegner im fünften Kapitel zu sehen. Hier soll vor allem versucht werden, die gallische Koalition gegen Caesar in ihren Entwicklungsphasen zu erfassen; gleichzeitig werden die nicht unmittelbar verbundenen, aber an der Peripherie des Koalitions- raumes die römischen Legionen bindenden Carnuten, Senonen und Parisier als eigener Sicher- heitskomplex analysiert. Eine Gegenüberstellung der Armeen in ihren Zusammensetzungen und den Führungs- und Entscheidungsstrukturen, sowie ein Blick auf die Unterschiede in Motivie- rung und militärischer Disziplin der gegnerischen Kräfte rundet das Bild der militärischen Ope- rationen im Kampfraum des Jahres 52 ab. Überlegungen zu strategischen und operativen Aspekten stehen im Mittelpunkt des sechsten Kapitels. Anhand ausgewählter Elemente wird der Frage nachgegangen, wie sich unterschiedli- che Dynamiken aus dem Inneren der gallischen Koalition heraus im Zusammenwirken mit äu- ßeren Faktoren, unterschiedlichen Raumkonzepten und dem kriegsentscheidende Faktor Logis- tik bis hin zur finalen Schlacht entfalten. Das siebente Kapitel behandelt kurz die unmittelbaren Folgen der Niederlage für die Gallier und Caesars Stationierungsnetzwerk römischer Legionen. Das abschließende achte Kapitel zeigt die Nachwirkungen des römischen Sieges, der sich keinesfalls als endgültig erweist. Es soll das Bild vom Verhältnis zwischen Niederlage und weite- ren Aufständen in Gallien – und damit auch die von Caesar ausgelösten geopolitischen Umbrü- che verdeutlichend – schärfer herausgearbeitet werden, um etwas den Eindruck der fast über- mächtigen Bedeutung des Jahres 52 zu relativieren. Als Ziel der Untersuchung wird angestrebt, das Jahr 52 in Gallien in seiner geopolitischen und geostrategischen Konstellation, sowie aus militärischer Sicht als Kampfraum zu erfassen; das Einbeziehen ausgewählter Aspekte und Teilbeobachtungen soll dabei zum Gesamtbild bei- tragen.

- 8 -

1. Gallien im 1. Jh. v. Chr.: Die politische Geographie bis zum Auftreten Caesars

In der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bietet Gallien das Bild eines Großraumes, der ständigen Machtverschiebungen und Ansätzen sich kaum konsolidierender Ordnung ausge- setzt ist. Die grundsätzliche außenpolitische Passivität Roms äußert sich durch vorsichtige Ein- flußnahme und Bündnispolitik. Für Rom ist nach dem Kimbern- und Teutonenzug und der letztendlich erfolgreichen Abwehr außenpolitisches Defensivdenken vorerst strategiebestim- mend. Durch die Siege von Marius bei Aquae Sextiae im Jahre 102 und Vercellae 101 war eine unmittelbare Gefahr für die Provinz beseitigt und die alte Ordnung wieder hergestellt.

1.1 Südgallien

Die Einheit des gallischen Territoriums war im Süden durch die römische provincia Gallia Transalpina seit 125/ 20 v. Chr. aufgebrochen. Als Korridor zwischen Italien und Spanien war das Gebiet jedoch keineswegs befriedet.9 Die Völkerschaften sahen sich immer stärker zu rö- mischen Untertanen herabgesunken. Die Allobroger hatten Besitzungen außerhalb der Pro- vinz, der Stamm der Rutener war in zwei Teile zerrissen [Caes. BG 7.7.1, 7.7.4]. Wiederholt kam es zu schweren militärischen Auseinandersetzungen und Erhebungen. Pompeius be- kämpfte auf dem Marsch nach Spanien gegen Sertorius im Jahre 77 mehrere Völkerschaften [Cic. Manil. 30].10 Im Osten der Provinz musste im Jahre 61 ein Aufstand der Allobroger nie- dergeschlagen werden [Liv. per. 103; Caes. BG 1.6.2; Dio 37.47– 48]. Im Jahre 79 wagten die Aquitaner einen Angriff auf das Heer des Statthalters der provin- cia, L. Manlius, der in die spanischen Kämpfe eingegriffen hatte und sich auf dem Rückweg in die Provinz befand – offenbar durch Gebiete des freien Aquitanien [Caes. BG 3.20.1; Liv. per. 90]. Die Grenze im Westen blieb instabil, bis eine Einigung durch Bündnisse mit den Aquita- nern [Caes. BG 4.12.4] und Nitiobrogen [Caes. BG 7.31.5] erreicht war.11 Die Beeinflussung der Verhältnisse im freien Gallien konnte also von der Provinz ausge- hen, dies allerdings nicht nur von römischer Seite, war doch von hier aus neben der Überwa- chung der Vorgänge im Norden auch die Ausstrahlung massiver antirömischer Stimmung mög- lich.12

9 Zum Eindruck eines ständigen Unruheherdes und der Gefährlichkeit der Allobroger bes. Cic. pro Font. 16; Cic. pro Font. 9 zur wirtschaftlichen Bedeutung (Weinzölle). Botermann, Römer-Gallier 101 u. Py, Celts du Midi stellen fest, dass es trotz verhältnismäßig großer Steuerlast nicht zur einer generellen Verarmung der Bevölkerung kam.

10 Urban, Gallia rebellis 15.

11 Botermann, Gallier-Römer 89–96 zur Vorgeschichte und Entstehung der Gallia Transalpina; Goudineau, César 40–57 zur erweiterten Vorgeschichte Südfrankreichs.

12 Zur Bewertung der Lage in der Transalpina Schulte-Holtey, Widerstand 118–119; Hoffmann, Vorge- schichte 14 –15. - 9 -

1.2 Ost- und Zentralgallien13

Der Krieg gegen die Arverner unter Bituitus, die die Allobroger unterstützten [Liv. per. 61, App. Kelt. 12], wurde 121/ 20 mit deren verheerender Niederlage erfolgreich abgeschlossen. Man beließ den Arvernern die Selbstständigkeit, vernichtete aber ihre äußere Stellung. Die Arverner gingen mit den Sequanern gegen die Haeduer zusammen und riefen den germani- schen Heerkönig Ariovist. Gespannte innenpolitische Zustände bei den Arvernern behinder- ten in Folge außenpolitische Aktivitäten. Die Führung der Anti-Haeduer-Faktion ging auf die Sequaner über, die den Krieg zusammen mit Ariovist weiter führten und sich gegen die Ha- eduer durchsetzten. Die Haeduer waren mit den Römern bereits Endes des 2. Jahrhunderts eine Verbindung eingegangen,14 eine Stellung, die sie noch unter Caesar behaupten konnten. Plünderungen durch die Allobroger ausgesetzt, riefen sie Rom im Jahre 121 um Hilfe. Das hospitium publi- cum war vermutlich kurz vorher entstanden [Caes. BG 1.31.7].15 Der Einfluss der Haeduer reichte weit nach Norden, bis zu den Bellovacern und Senonen.16 Die mit den Arvernern verbündeten Sequaner waren spätestens seit der Kimbernzeit durch ihre Teilnahme an Raubzügen Feinde der Haeduer. Nach der Schlacht von Magetobriga und der Niederlage der Haeduer verschob sich das Gleichgewicht in Ostgallien ein weiteres Mal. Die Sequaner waren mit Hilfe Ariovists in der Lage, neben der Übergabe von Klientel, Land und Geiseln den Haeduern auch ein Stillhalteabkommen aufzuzwingen. Der Haeduerfürst Di- viciacus trat im Jahre 61 in Rom mit einem Hilfeansuchen gegen die Sequaner auf. Rom übte sich in Zurückhaltung, indem es zwar die Haeduer dem Schutz des jeweiligen Statthalters der Gallia ulterior unterstellte, jedoch keine Vollmacht zur direkten militärischen Unterstützung erteilte [Caes. BG 1.31.9, 1.35.4, 6.12.5], ein aus Sicht romfreundlicher Haeduer enttäuschen- des Ergebnis.17 Die Sequaner konnten also vorerst beruhigt sein, zumindest was die römische Seite betraf. Ihr Vormachtstreben wurde durch römisches Eingreifen zugunsten der Gegner nicht behin- dert, gleichzeitig gelang es, den Druck mit Ariovists Unterstützung aufrecht zu halten. Das Regnum Noricum hatte die Kimbern- und Teutoneneinfälle von 113 und 102/ 101 über- standen und die Beziehungen zu Rom gefestigt.18

13 In diesem Kapitel soll die kurze Abhandlung der politischen Geographie lediglich einführenden Charakter haben. Vertiefend v. a. Kap. 3.

14 Fratres consanguineosque, Caes. BG 1.33.2. Zu dieser Formel Hirschfeld, Haeduer Arverner, bes. 196.; Ha- edui fratres nostri, Cic. ad Att. 1.19.2.

15 U.a. Dobesch, Zu zwei Daten 755–762. Natur und Datierung dieser Verbindung bilden einen eigenen Fragen- komplex.

16 Bellovacer Caes. BG 2.14.2, Senonen 6.4.2. S. Kap. 3.3.2.

17 Zu Diviciacus‘ Handeln auf eigene Faust Dobesch, Beobachtungen 22.

18 Die Quellenlage für die Zeit ab 100 bis Caesar ist ungewöhnlich schwach. Selbst von Caesar erfahren wir Bedeu- tendes nur aus Nebenbemerkungen, so z. B. zur Belagerung Noreias durch die Boier [Caes. BG 1.5.4], oder die Heiratsverbindung Ariovists mit der Schwester des norischen Königs Voccio [Caes. BG 1.53.4]. Zur Quellenlage und Einschätzung der Beziehungen Dobesch, Aus der Geschichte der Kelten 845–852; allgemein Gassner, Jilek, Ladstätter, Am Rande des Reiches 46– 47. - 10 -

Der illyrisch-thrakische Raum war nach wie vor ein Unruheherd, aber im Jahre 59 kaum unmittelbare Bedrohung. Der dakische König Burebista schien Ende der 60er Jahre zur illyri- schen Küste hin mit den Römern in Konflikt geraten zu sein [Strab. Geogr. 5.1.6, 7.3.11, 7.5.2; Just. 32.3.16; Dio 38.10.3]. Iapyden und andere illyrische Stämme in der Nachbarschaft Aqui- leias wurden von C. Afranius bekämpft [Cic. in Pis. 24.58]. Die Helvetier hatten um 100 ihre Stammsitze am Oberrhein vermutlich aufgrund germani- schen Drucks verlassen und siedelten im schweizer Alpenvorland. Die römische Außenpolitik war also vor allem im östlichen Gallien bis in die 60er Jahre des 1. Jhs. v. Chr. durch eine gewisse Passivität gekennzeichnet. Man hatte Konflikten tatenlos zugesehen, auch das Auftreten von Diviciacus im Herbst 61 in Rom änderte daran nichts. Al- lerdings gerieten die Verhältnisse zunehmend in Fluss und damit außer Kontrolle Roms. Das Jahr 61/ 60 lässt sich im Lichte späterer Ereignisse gleichsam als erstes Schicksalsjahr für Gallien sehen: die Schlacht von Magetobriga mit dem entscheidenden Sieg Ariovists; die Niederwerfung der Allobroger durch G. Pomptinus; Roms Ablehnung des Hilfeansuchens von Diviciacus und damit die Bereitschaft von Dumnorix und Casticus zum Bündnis mit den Hel- vetiern; Beginn der Wanderungsvorbereitungen der Helvetier; Aufstieg und Fall des Orgetorix. Die Lage blieb offen für Caesars Zielsetzungen.

1.3 Caesar und Rom

Als im Jahre 59 Proconsul Q. Caecilius Metellus Celer starb, erhielt Caesar auf Senatsbe- schluss die provincia Gallia Transalpina19, womit sich das potentielle Aktionsfeld Caesars von den Unsicherheiten in Gallien bis zu den Iapyden und Dakern erweiterte. Aus Caesars Sicht durfte sich der Eindruck von der Gefährlichkeit der gallischen Verhältnisse nicht vermin- dern.20 Diesbezüglich waren ausreichend Argumente für nützliche Sichtweisen vorhanden. 61/ 60 schlug der Propraetor G. Pomptinus im Zuge der catilinarischen Verschwörung die sich erhebenden Allobroger nieder [Dio 37, 47.1– 48.2; Cic. prov. cons. 32]. Das Bekanntwerden von Wanderungsabsichten der Helvetier ab 61 verursachte in Rom trotz einer späteren Lageberu- higung Aufregung. Die Machtverschiebungen zwischen Sequanern, Arvernern und Haeduern, die neue Macht Ariovists und die Pläne der Helvetier verlangten nach Reorientierung. Die römische Politik konnte nun versuchen, die alte Ordnung wieder herzustellen oder auf neue Mächtegruppie- rungen Einfluss zu nehmen. Die Wachsamkeit der römischen Politik war also erhöht und Cae- sar bemüht, diese Dynamik in Gang zu halten. Aus seiner Sicht ergab sich ein Aktionsfeld, das

19 Zusätzlich zur Gallia cisalpina einschließlich Illyricums, gemäß lex Vatinia; die ulterior (eigentlich durch einen zu- sätzlichen, von Pompeius gestützten Senatsbeschluss, lex Pompeia Licinia) allerdings nur für ein Jahr.

20 Ausdrücklich werden hier nur die sich aus der militärisch-politischen Lage in Südgallien ergebenden Entscheidun- gen Caesars behandelt, möglichst ganz ohne Berücksichtigung der auf Rom bezogenen politischen Absichten. Der Wille, mithilfe der Eroberung Galliens in Rom eine aktive Rolle zu spielen, wird vorausgesetzt. Entsprechende Analysen u. a. bei Gelzer, Caesar; Will, Caesar 96–99; auch Jehne, Sachzwang 72–74. - 11 -

strategisch nur zweigeteilt bewältigt werden konnte. Die Helvetier und Ariovist sollten als ge- trennte Subeinheiten des Sicherheitskomplexes behandelt werden, die aber beide unterschied- lich auf die sequanisch-haeduische Hegemoniebalance wirkten. Gleichzeitig bestand die große Gefahr, dass sich durch militärische Misserfolge Roms die germanische Schleuse nach Ostgal- lien weiter öffnete. Dies würde sowohl Caesars weitere Aktionen in Gallien, bezogen auf seine politischen Pläne in Rom, als auch die im geostrategischen Denken römischer Außenpolitik festverankerte Alpengrenze gefährden.21 Der Hauptanspruch beim Eingreifen in die Verhält- nisse Ostgalliens bestand also darin, der Dynamik einer nicht konsolidierten Lage das Eskala- tionsmoment zu entziehen und die militärische Kontrolle zu behalten.

21 Zu den Alpen im Zusammenhang mit der römischen Außenpolitik Dobesch, Kelten 316–324. - 12 -

2. Gallien: 58–53 v. Chr. Die politische und strategische Konstellation eines Eroberungsraumes

Im Laufe des Gallischen Krieges ändern sich die Sicherheitsdynamiken der Eroberungsräume rund um Zentralgallien teils grundlegend. Caesars militärische Erfolge und sein Eingreifen in die Innenpolitik gallischer Stämme beeinflussen die strategischen Planungen der Kontrahen- ten im Jahre 52 v. Chr. insofern, als dass sich die operative Intensität auf den zentralgallischen Kampfraum konzentriert. Aus Sicht Caesars sollte Vercingetorix nicht in der Lage sein, seine militärischen Aktionen auszudehnen, während von Seiten der Gallier die Erweiterung des Be- wegungskrieges anzustreben war. Es ist also angebracht, die jeweilige politische und strategi- sche Architektur der einzelnen Räume auf ihre Bedeutung für das entscheidende Kriegsjahr 52 hin zu erfassen.

B E L G I U M

AREMORICA

OSTGALLIEN

ZENTRALGALLIEN &

ALPEN

AQUITANIEN

Karte 1: Die Eroberungsräume Galliens

2. 1 Ostgallien

2.1.1 Die Helvetier Das Bekanntwerden von Wanderungsabsichten der Helvetier ab 61 verursachte in Rom Auf- regung.22 Im März 60 war man, sich an die Kimbern und Teutonen erinnernd, alarmiert genug, Truppen auszuheben und keltische Stämme vor einer Verbindung mit den Helvetiern zu war-

22 Ein Überblick über Herkunft und Abwanderung Reichert, Helvetier, RGA 14, 347. - 13 -

nen. Im Mai desselben Jahres scheint sich die Lage zwar beruhigt, aber nicht endgültig gelöst zu haben.23 Nach einem erfolgreichen Feldzug werden Helvetier, Tulinger und Latobriger in ihren al- ten Gebieten wieder angesiedelt [Caes. BG 1.28.3]. Caesar erwartet den Wiederaufbau der zerstörten Siedlungen, besteht doch die Gefahr, dass die Germanen nachrücken und somit Nachbarn der provincia Transalpina würden [Caes. BG 1.28.3–5]. Mindestens bis zum Ende des Gallischen Krieges bleiben die Helvetier dediticii. Die Boier werden durch die Haeduer als Fürsprecher unterstützt; später werden ihnen gleiche Rechte und Freiheiten gewährt [Caes. BG 1.28.5]. Waren sie zu den Helvetiern bereits socii gewesen, werden sie nun von den Ha- eduern inkorporiert. Im Jahre 52 wird ihre Stadt Gorgobina Ziel einer taktischen Operation von Vercingetorix [Caes. BG 7.9.6]. Bei der Aufstellung des Entsatzheeres werden sie geson- dert genannt und stellen ein kleines Kontingent [Caes. BG 7.75.4].

2.1.2 Die Alpenkelten und der zentralgallische Kampfraum In den Alpen kontrollierten keltische Stämme wichtige Übergänge und Abschnitte. Durch- gangsrechte mussten vertraglich geregelt werden, was oft langwierig, teuer und nicht zuletzt unsicher war.24 Wie die militärischen Auseinandersetzungen um die Alpenpässe zeigen, kann von einer absoluten Durchdringung römischer Herrschaft nicht gesprochen werden. Die Ei- genständigkeit kleinerer Alpenstämme, wohl aus Notwendigkeit der Absicherung der Lebens- grundlage, war kaum beeinträchtigt.25 Für die ortsansässigen Kelten bedeutet aber die zuneh- mende Durchmarschfrequenz römischer Legionen größten Existenzdruck. Trotz gewonnener Waffengänge [Caes. BG 1.10.4, 3.6] bleibt die Lage für die Römer schwierig, sie können keine endgültige Unterwerfung melden. Die Alpenübergänge sind sowohl aus militärlogistischer wie auch ökonomischer Sicht zent- rale Elemente strategischer Planung, deren Kontrolle daher wesentlich auch für die Erobe- rungspläne Caesars und alle weiterführenden geoökonomischen Absichten. Für die römischen Aktivitäten in (Zentral-)Gallien ist aufgrund des benötigen Legionsnachschubes die Bere- chenbarkeit der Zugangsrouten wichtiger strategischer Faktor.

2.1.3 Haeduer und Sequaner Der Kampf um den principatus in Gallien hatte sich nach dem Ausscheiden der Arverner auf die Konkurrenz zwischen Haeduern und Sequanern reduziert, mit Ariovist als wesentlichem Faktor. Die Lage der Haeduer und Sequaner wird dann durch dessen Ende in eine neue Ba-

23 Cic. ad Att. 1.19.2 (März 60): Man befürchtete einen Krieg in Gallien und wollte durch Senatsgesandte verhin- dern, dass sich Stämme mit den Helvetiern einigten. Nach Cic. ad Att.2.1.11 (Juni 60) folgte eine Beruhigung, die vielleicht auf den Tod des Orgetorix zu beziehen war. Zu dem, was Caesar aus der Vorgeschichte von ca. 61-59 als Elemente der Unsicherheiten und Gefährdungen argumentieren kann, Gelzer, Caesar 70–71.

24 Martin-Kichler, gentes Alpinae 57.

25 Freyberger, Südgallien 92–94. - 14 -

lance gebracht [Caes. BG 6.12.6–9].26 Die Haeduer erhalten ihre Geiseln zurück; die früheren Klientelverhältnisse werden wieder aufgenommen und können nach der Entlastung von den Germanen sogar ausgedehnt werden. Mit den Ambarrern [Caes. BG 1.11.4], Senonen [Caes. BG 6.4.2], Bellovacern [Caes. BG 2.14.2]27 und Biturigen [Caes. BG 7.5.2]28 bestanden ja schon früher Beziehungen. Die Boier verbinden sich am Ende des Helvetierkrieges mit den Haedu- ern [Caes. BG 1.28.5]. Von den Segusiavern, Ambivaretern, (Aulercer) Brannovicen hören wir erst bei Alesia [Caes. BG 7.75.2]; der Zeitpunkt des Eintritts in das Klientelverhältnis ist unbe- stimmt, wie auch, ob sie zu den früheren oder sich freiwillig neu anschließenden Klienten ge- hören. Die Sequaner sind die großen Verlierer und somit dafür bestraft, die Unruhe durch Ariovist überhaupt ermöglicht zu haben. Sie treten fast völlig zurück und beanspruchen auch im Jahre 52 keine Führungsrolle.

2.2 Belgium

Das für Caesars Pläne relevante Szenario dieses Raumes wird anhand der politischen und mi- litärischen Geographie herausgearbeitet. Auf die Motive zum Krieg [Caes. BG 2.1] folgt das beträchtliche militärische Potential [Caes. BG 2.4]; zum taktischen Keil machen sich die rom- freundlichen Remer. Über die Achse Haeduer-Bellovacer deutet Caesar die geostrategische Bedeutung seiner Eroberung an [Caes. BG 2.14]. Caesar präsentiert eine bereits bekannte Motivlage aus der Sicht seiner Gegner: Man be- fürchtet einerseits, die Römer könnten sich nach den erreichten Zielen nun den Belgern zu- wenden, also eine gleichsam außenpolitische Gefahr. Andererseits scheint es Akteure zu ge- ben, einzelne Mächtige, die ihre Ziele verfolgen und Caesar als Störfaktor begreifen. Man lehnt sowohl Germanen als auch Römer in Gallien ab; Ziel ist auch die Neuordnung der Herr- schaftsverhältnisse, wie ein Anstreben der Königswürde [Caes. BG 2.1.4]. Die inneren Ver- hältnisse des nordgallisch-belgischen Komplexes sind politisch und militärisch heterogen. Es ist auch ein Hereinspielen von Einflüssen besonders aus dem Nordsektor der Rheingrenze zu beobachten.29 Orientiert man sich an den Vorgängen während der Eroberung und nachfolgen- den Aufständen, sind fünf Verhaltensgruppen innerhalb des Sicherheitskomplexes zu erken- nen: Bellovacer und Verbündete, Moriner und Menapier, Remer, Nervier, Atuatuker.30

ƒ Belgium und der zentralgallische Kampfraum Die nordgallischen Stämme bilden zur Zeit der Eroberung keine ethnographisch homogene Einheit. Die Archäologie arbeitet für diesen Raum eine keltisch-germanische Übergangszone

26 Davon ist unmittelbar am Ende des Ariovist-Krieges in dieser Deutlichkeit nicht die Rede, weil dies wohl nicht so- fort in Gang zu bringen war. Die neue Lage (und Caesars Sicherheitsinteresse) bedurfte einiger Zeit bis zur Kon- solidierung. Zum weiteren Verhältnis Haeduer – Caesar s. u. zu den Vorgängen im Commentarius VII u. Folgen.

27 Zu den Bellovacern Dobesch, Kelten 253; Harmand, Portrait 542.

28 Zur Biturigenverbindung s. Kap. 3.1 mit A.104.

29 S. Kap. 2.3.1.

30 Zuallererst bei Hachmann, Treverer 97. - 15 -

mit schwer definierbarer Westgrenze heraus.31 Klar in dieser Übergangszone liegen die Mori- ner und Menapier, ebenso die Eburonen und andere, die Caesar als linksrheinische Germanen bezeichnet [Caes. BG 1.4.10]; südlicher die Remer, Caleter, Bellovacer und Suessionen. Atrebaten, Viromanduer und Nervier können nicht eindeutig zugeordnet werden.32 Die tatsächlichen Machtverhältnisse in diesem Raum lassen sich nur bedingt analysieren. Bellovacer, Suessionen und Nervier sind, wenn man ihre militärischen Leistungen bis zum En- de des Gallischen Krieges und eingestreute Nachrichten über Politik und Wirtschaft einbe- zieht, wohl die mächtigsten Völkerschaften. Keine der Verhaltensgruppen ist in der Lage, Belgium zu dominieren. Zu unterschiedlich sind Kulturstufen und -einflüsse, Kampfesweisen und politische Interessen. Vercingetorix und Caesar sind auf unterschiedliche Weise durch die Auswirkungen bzw. Möglichkeiten der belgi- schen Innendynamik beeinflusst. Vercingetorix kann mit Truppenverstärkungen rechnen [Caes. BG 7.75.3–5], gleichzeitig ist Caesar gezwungen, den nord- und nordöstlichen Groß- raum gegen Zentralgallien durch militärische Operationen abzusichern und damit Legionen zu binden. Caesar wiederum hat mit den Remern, Lingonen [Caes. BG 7.63.7] und dem Tre- verer-Komplex33 eine in die Raumtiefe bis zur Rheingrenze reichende Machtbalance geschaf- fen, die den Abzug mehrerer Legionen trägt34 und zumindest für das Jahr 52 keine operativen Belastungen verursacht. Trotz ihrer unerschütterlich romfreundlichen Haltung sind die Remer bis zu einem gewissen Grad auch ein belastendes Element. Sie scheinen nicht in der Lage, die von Caesar eingerichtete principatus-Stellung [Caes. BG 6.12.9] aus eigener Kraft zu halten oder gar umzusetzen; Caesar ist als Schutzmacht dringend notwendig [Caes. BG 7.90.5].35 Die Spannungen des Bellovacer-Suessionen-Remer-Komplexes wirken weiterhin und entladen sich militärisch [Caes. BG 8.6].36 Gleichzeitig können die potentiellen Verstärkungen des Entsatz- heeres nicht unterbunden werden; Commius kann mehr Differenzen überbrücken als die schwache Stellung der Remer [Caes. BG 7.75.5]. Wenn man über Caesars Belgium eine innenpolitische Sichtweise legt, kann man durchaus von einer gewissen Kleinräumigkeit sprechen, die kaum zu einer erfolgreichen Handlungsein- heit führt. Genau das macht diesen Sicherheitskomplex zu einem Faktor strategischer Planung

31 Wightman, Gallia Belgica 12.

32 Caesars Belgium als geographische Einheit bzw. die Zusammenfassung verschiedener Stämme in diesem Gebiet wird, nicht zuletzt aufgrund einer Uneinheitlichkeit in der Definition von Seiten Caesars und archäologisch diffe- renzierten Erkenntnissen, seit langem diskutiert. Für den Zweck dieser Arbeit soll die Tatsache einer ethnogra- phischen Vielfalt festgehalten werden; beibehalten wird die Orientierung an Caesars lagebezogener Begriffsein- grenzung, wobei immer die genannten Stämme im Vordergrund stehen. Wightman, Gallia Belgica 1–14; Roymans, Tribal Societies (beide bes. zur Archäologie); Hawkes, New Thoughts; Hachmann, Treverer 98– 116; Rice Holmes, CCG 395–397; zusammenfassend Fichtl, Les peuples gaulois 137–139.

33 Die Treverer als Sicherheitskomplex: Klienten, Rheingrenze u. –überquerung, Germanenverbindungen etc., her- geleitet aus Caesars Beschreibungsmodus. S. Kap. 2.3.1 zur strategischen Bedeutung.

34 Obwohl zwei Legionen zur Überwachung der Treverer stationiert werden [Caes. BG 6.44.3], scheint der Germa- nendruck den Abzug auszugleichen [Caes. BG 7.63.7]. Zu den Legionen zu Beginn des Jahres 52 in diesem Raum Rice Holmes, CCG 737–738; Kraner, Commentarii II, A.7.9.5.

35 S. Kap. 8.3.1.

36 S. Kap. 8.3.1. - 16 -

für das Jahr 52: Labienus kann bei den Operationen gegen Senonen und Parisier aufgrund der erneuten Mobilmachung der Bellovacer sein auf Eroberung und Entscheidungsschlacht ausge- richtetes Konzept nicht halten [Caes. BG 7.59]; das Risiko zweier ernstzunehmender Fronten ist zu hoch.

2.3 Die Rheingrenze

Der kurze geopolitische Blick auf den langen Nord-Süd-Verlauf der Grenze soll durch eine geo- graphisch-ethnographische Zweiteilung vereinfacht werden. Der nördliche Sektor umfasst den Unterrhein bis auf Höhe des Mosel-Zuflusses bzw. Treverer-Gebietes, der südliche Sektor reicht bis zu den Helvetiern.37

2.3.1 Nördlicher Sektor Nach den Aktivitäten in Belgium bleiben die äußeren Zonen des Territoriums zur Rheingren- ze hin grundsätzlich von den Römern unkontrolliert. Die Versuche, die Menapier zu unter- werfen, verlaufen ergebnislos; mit Strafexpeditionen und Verwüstungen wird nichts erreicht [Caes. BG 3.28–29, 6.5.7]. Die germanischen Eburonen, die bisher nicht in offene Kämpfe in- volviert waren, sind den Atuatukern nach deren Niederlage nicht mehr tributpflichtig [Caes. BG 5.27.2] und jetzt ebenso wie die Condruser Klienten der Treverer [Caes. BG 4.6.4]. Um die Einschätzung zukünftiger Aktionen zu schärfen, bringt Caesar zu Beginn von Commentarius IV dem Leser das Halten der Rheingrenze als strategisches Konzept der Ger- manenabwehr nahe. Wurde diese Gefahr bereits anhand der Helvetier und Ariovist evoziert, dienen jetzt die Sueben als die aus den Tiefen des germanischen Raumes direkt hervorbre- chende Bedrohung.

ƒ Usipeter, Tenkterer, Sugambrer Östlich des Rheins sind die Usipeter und Tenkterer stark unter suebischem Druck und stehen auf Höhe der rechts- und linksrheinisch siedelnden Menapier im Mündungsgebiet des Rheins [Caes. BG 4.4.2].38 Durch ein Täuschungsmanöver gelingt dem Stammesverband die Besetzung linksrheinischen Menapierlandes [Caes. BG 4.4]. Die Lage eskaliert, als sich germanische Ab- teilungen nach Süden bewegen, während der Hauptteil beider Stämme im Gebiet der Mena- pier verbleibt.39 In Folge geht Caesar gegen die Germanen vor, die, geschwächt durch die Ab- wesenheit des Hauptteils ihrer eigenen Reiterei, vernichtet werden. Die germanische Haupt- gruppe im Menapierland wird dann von den Römern über den Rhein getrieben, wobei sie schwere Verluste erleidet. Die schwer angeschlagenen Usipeter und Tenkterer versuchen sich im Verband mit den

37 Eine Positionierung zur Rheingrenzenfrage im Zshg. mit Caesar ist hier nicht beabsichtigt.

38 Wenskus, Stammesbildung 395 A.806, vermutet dahinter die Sueben unter Nasua und Cimberius [Caes. BG 1.37.4]. 39 Gefolgt wird hier der Auffassung von einer getrennten Aktion gegen die Hauptgruppe, wie bei Heinrichs, Römische Perfidie 57–60 u. ders., Usipeten 574. - 17 -

Sugambrern in ihren neuen rechtsrheinischen Siedlungsgebieten zu etablieren. 40 Das gnaden- lose Durchgreifen Caesars bereinigt die Verhältnisse im Nordsektor jedoch nur scheinbar. Die Sugambrer bleiben am Niederrhein ein gravierendes Problem; ihre Kapazität zu Raubzügen ist kaum eingeschränkt. Die Lage an der Rheingrenze erscheint im Wesentlichen unverändert, nicht zuletzt dadurch, das durch Caesars Rheinübergang der Suebendruck nicht entschärft wird. Die Allianz der drei Stämme ist von Dauer und wird in den kommenden Jahrzehnten ein wesentliches Element des Sicherheitskomplexes Rheingrenze bleiben.41

ƒ Treverer Die früheste Nachricht Caesars über einen Raum, der zum Zeitpunkt des Krieges gegen Ario- vist noch sehr weit vom Operationsgebiet römischer Legionen entfernt war, kommt in Form einer Warnung durch die Treverer: Die germanischen Sueben versuchen, den Rhein zu über- queren [Caes. BG 1.37.3– 4]. Der Kontakt zu Caesar wird offenbar gehalten, denn die Nach- richt von der Vernichtung der Suebenverbände nach Ariovists Niederlage wird wohl ebenso von der selben Quelle gekommen sein [Caes. BG 1.54.1]. Damit ist die Wahrnehmung einer Gefahrenzone etabliert, zu einem Zeitpunkt, als die ganze räumliche und militärisch- politische Dimension der Gallieneroberung noch gar nicht absehbar war, und der später noch bedeutend werdende Treverer-Germanen-Kontext hergestellt. Beziehungen der Treverer be- stehen auch mit den Haeduern. In den Commentarii wird diese Verbindung erst wieder am Ende des Gallischen Krieges deutlich, als der bis zuletzt Widerstand leistende Haeduer Surus bei den Treverern gefangen genommen wird [Caes. BG 8.45]. Die wechselhaften Beziehungen zu ihrem von politischer und ethnischer Heterogenität geprägten Umfeld machen die Treverer zusammen mit ihren militärischen Kapazitäten zu ei- nem eigenen Sicherheitskomplex. Strategisch sind sie einer der wichtigsten Faktoren im Nordsektor der Rheingrenze. Jede Unruhe kann durch die geographische Lage und Topogra- phie ihres Territoriums in einem ohnehin fragilen geostrategischen Umfeld zu einer unkon- trollierbaren, in den gallischen Großraum ausstrahlenden Eskalationsdynamik führen. Aus Sicht der Treverer wird also ihr politisches Aktionsumfeld durch eine Umgebung mit römisch unterworfenen oder zumindest nicht verfeindeten Stämmen enger. Die Orientierung östlich des Rheins bleibt aufgrund der schwer berechenbaren Verhältnisse Germaniens ebenso unsicher. Das Bedrohungsszenario in Richtung Caesar entsteht einerseits durch einen gewissen kampferprobten Unabhängigkeitsdrang [Caes. BG 8.25.2], der zu starken innenpolitischen Spannungen und unsicheren Loyalitäten führt. Andererseits tragen die wechselhaften Bezie- hungen der Treverer zu den Germanen immer wieder dazu bei, dass römische Legionen die rechtsrheinische Germanengefahr gleichsam über den treverischen Hebel bekämpfen müssen. Das fortgesetzte Interesse der Treverer, Germanen in diverse Operationen gegen die Römer

40 Zur weiteren Siedlungsgeschichte kurz Heinrichs, Usipeten 575–576.

41 Timpe, Rheingrenze 152–154. - 18 -

einzubeziehen, zwingt Caesar zu einer restriktiven Vorfeldkontrolle knapp an der logistischen Reichweite. Diese Subeinheit mit ihrer spezifischen Eskalationsdynamik umfasst somit das Treverer- territorium selbst und die unmittelbar anliegenden transrheinischen Gebiete; im Norden erge- ben sich durch die Klientelstämme der Eburonen und Condruser Schnittpunkte mit der ger- manisch-keltischen Übergangszone Belgiums. Nach den römischen Siegen in Belgium und der in Gang kommenden innenpolitischen Dynamik entstehen erste Spannungen. Ein früher Hinweis auf Caesars Einschätzung des rheinanliegenden, treverischen Aktionsraumes ist die Entsendung von Labienus mit einem Überwachungsauftrag [Caes. BG 3.11.1–2].42 Die Versuche der Treverer unter Indutiomarus und den nachfolgenden Verwandten, die Dynamik mehrerer regionaler Aufstände zu nutzen, enden im Desaster [Caes. BG 6.8]. Caesar bleibt wachsam und verlegt am Ende des Jahres 53 zwei Legionen an ihre Grenzen [Caes. BG 6.44.3].

ƒ Ubier Die Ubier waren wohl in einer früheren Wanderungswelle an den Rhein gekommen; sie ste- hen stark unter Druck der Sueben und sind ihnen tributpflichtig [Caes. BG 4.3.4]. Sie wenden sich an Caesar, von dem sie Unterstützung erhoffen [Caes. BG 4.8.3], können aber sein Miss- trauen nicht ganz beseitigen. Die an den Umtrieben der Treverer beteiligten Ubier sehen sich von Caesar unter Druck gesetzt und bieten freiwillig eine politische Schlechterstellung an [Caes. BG 6.9.6–8]. Ihre Rei- terei leistet vor Alesia einen wesentlichen Beitrag auf römischer Seite.43 Zum Ende des Galli- schen Krieges müssen die Ubier im Rückblick differenziert gesehen werden; der Eindruck friktionsfreier Beziehungen zu Rom kann sich nicht verfestigen.44

ƒ Eburonen Nachdem die Eburonen beim ersten Vorgehen der Römer in Belgium namentlich nicht in Kämpfe verwickelt waren, werden sie nach der Niederlage der Atuatuker aus deren Abhän- gigkeit gelöst [Caes. BG 5.27.2] und clientes der Treverer [Caes. BG 4.6.4]. Dort beschleunigen die innenpolitischen Spannungen die romfeindliche Dynamik zu offenen Aufständen, weiters werden dadurch einbezogene, rechtsrheinisch ansässige Germanen verstärkt zum Sicherheits- faktor. Die Herauslösung aus dem Tributverhältnis mit den Atuatukern bezahlt man mit der Winterversorgung der Kohorten schwer, was wohl zusätzlich Aufstandsmotivation bedeutet. Als Caesar in ihrem Gebiet auftaucht, flüchten sie in die Wälder und müssen die Zerstörung ihrer Infrastruktur hinnehmen [Caes. BG 6.31, 6.34].45

42 Urban, Treverer 248–249.

43 U.a. Caes. BG 7.80.6–9. Tausend, Germanische Reiter, kann die Ubier bei Caesar festmachen.

44 Heinrichs, Ubische Gruppen 289.

45 Heinrichs, Eburonen 204 –205 mit A.3, sieht allerdings eher eine Transformation. - 19 -

2.3.2 Südlicher Sektor Caesars schärft seine Verteidigungsdoktrin, der zufolge diesseits des Rheins keine germani- schen Aktivitäten geduldet werden dürfen, an der Präsenz von Ariovist und seinen Gefolg- schaftstruppen. Im Zuge der Söldnertätigkeit für die Sequaner tritt der rex Germanorum als destabilisierendes Element für Caesars geplante Neuordnung in Gallien in den Vordergrund. Verbunden mit dem germanischen Invasionsdruck [Caes. BG 1.31.11] vermittelt Caesar die absolute Notwendigkeit der Abwehr als primäres römisches Sicherheitsinteresse.46 Ariovist weitet nach dem Sieg gegen eine gallische Koalition in der Schlacht von Mage- tobriga im Jahre 61 seine Aktivitäten aus. Die Zahl der Germanen westlich des Rheins schwillt bald an [Caes. BG 1.31.6]; von weiteren Zuzügen germanischer Scharen wird berichtet [Caes. BG 1.31.10; 1.37.4]. Ariovist fordert sukzessive Land von den Sequanern. Die zerstrittenen Sequaner und Haeduer sind leichtes Spiel, militärisch besiegbar, und so werden sie zur Geisel- stellung gezwungen. Gleichzeitig kommt es zu verstärkten Einwanderungen germanischer Gruppen ins linksrheinische Gallien. Ariovist wird zur alles überschattenden Bedrohung, so- wohl durch seine Fähigkeit, Rom die militärische und politische Kontrolle über die Gallier aus der Hand zu nehmen, als auch durch seine Absicht, mehr und mehr Germanen über den Rhein zu holen. Bevor die eigentliche Konfrontation mit Ariovist beginnt, legt Caesar dies als Eskalationsmotiv fest.47 Caesar bereitet schließlich den Germanen eine vernichtende Niederlage. Nur wenigen ge- lingt die Flucht, darunter Ariovist [Caes. BG 1.53.3], von dessen Tod Jahre später berichtet wird [Caes. BG 5.29.3].

2.3.3 Die Rheingrenze und der zentralgallische Kampfraum im Jahre 52 v. Chr. Für den zentralgallischen Kampfraum des Jahres 52 ist also der germanische Faktor in mehre- rer Hinsicht bedeutend. Die Kriegshandlungen an der Rheingrenze und die folgenden Neu- ordnungsversuche dieses keltisch-germanischen Sicherheitskomplexes ermöglichen Caesar aus strategischer Sicht, die militärische Intensität auf Zentralgallien zu konzentrieren. Mit der Ausschaltung von Ariovist ist das gefährlichste Element der linksrheinischen Germanenbewe- gung beseitigt. Die Rheingrenze bleibt zumindest für einen kurzen Zeitraum berechenbar.48 Als strategischer Abschluss des gallischen Eroberungsraumes im Osten ist diese Grenze auf- grund des zunehmenden Drucks aus dem Inneren Germaniens und den dadurch ausgelösten Wanderbewegungen ein heterogener Raum unterschiedlicher Sicherheitsdynamiken. Der nördliche Sektor der Rheingrenze ist durch die massiven Umwälzungen nach harten militärischen Auseinandersetzungen, den folgenden ethnischen Verschiebungen und der poli- tisch-geographischen Nähe zu Belgium ein Sicherheitskomplex potentiell destabilisierender

46 Bleckmann, Germanen 65–69 zur Rheingrenze im Germanenzusammenhang.

47 Fischer, Strategische Planung, bes. 311–312.

48 Zur Rheingrenze als geostrategisches Element langdauernder Wirkung Timpe, Römische Geostrategie. Ebd., 202: Die Befriedung, die Caesars Sieg über Ariovist am Oberrhein gebracht hatte, blieb, wie die Sueben- und Sugam- brereinfälle der nachcaesarischen Zeit zeigen, am Mittel- und Niederrhein aus. - 20 -

Wirkung. Obwohl im Jahre 52 kaum spürbar, ja sogar entlastend für Caesar49, werden die mili- tärischen Operationen in diesem Raum im darauffolgenden Jahr wieder intensiviert.50 Der südliche Sektor ist einer gründlichen Neuordnung unterzogen. Die Siedlungsgebiete der jetzt linksrheinischen Germanen werden gegen Zentralgallien von den Lingonen und Ha- eduern gedeckt; nach Süden hin ist durch die rückgesiedelten Helvetier und die Alpengrenze ein weiterer Vorstoß nach Gallien blockiert.

2.4 Aremorica

Die wirtschaftliche Grundlage für die Prosperität der aremoricanischen Küstenstämme war der Seehandel mit dem südlichen Britannien, der entweder direkt oder als Zwischenhändler betrieben wurde. Die Veneter hatten durch überragende Kenntnisse in der Seefahrt eine Mo- nopolstellung im Britannienhandel errungen. Die in Folge der Einrichtung der provincia Transalpina 121/ 120 und den überstandenen Wirren der Kimbern- und Teutonenzüge neu formierten und nutzbar gemachten Handelsrouten51 führten auch zu einer Verselbstständi- gung der Völker Aremoricas und damit zu einer Neuordnung von Machtverhältnissen. Starke ökonomische Faktoren bestimmten die Beziehungen zwischen den Stämmen. In den Commentarii werden die Veneter vereinfachend als derjenige Stamm positioniert, der den intensivsten Handel mit Britannien betreibt und durch Zölle reich geworden ist [Caes. BG 3.8.1]; vor Ort sieht sich Caesar sicherlich mit komplexeren Machtverhältnissen konfron- tiert, wie die Kämpfe gegen die zweite Gruppe der Aremorica-Koalition [Caes. BG 3.17] zei- gen.52 Zweifellos sind die Aktionen Caesars gegen Aremorica nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich motiviert. Der vermeintliche Reichtum Britanniens als übergeordnetes Ziel für die nächsten Jahre bestimmt die Vorgehensweise.53 Die von Caesar selbst angeführten Motive zu seinem Einschreiten in Aremorica [Caes. BG 3.10.2–3] klammern den Britannienfaktor na- türlich aus und beschränken sich auf das Aufzeigen der unmittelbaren Problemlage. Militä- risch bedroht der Zusammenschluss mehrerer Völker in einer strategisch wichtigen Region Caesars Sicherheitsinteressen.

49 Die Treverer sind durch Germanen gebunden (Ubier?) [Caes. BG 7.63.7]; germanische Reiterei kämpft auf Seiten der Römer [Caes. BG 7.65.4]. Zu Caesar ambivalenter Haltung in Bezug auf germanische Hilfstruppen Bleck- mann, Germanen 86–87.

50 S. Kap. 8.3.

51 Besonders die Garonne- und Loire-Routen. Die Narbonensis-Garonne-Achse war bedeutend, wie auch das amici- tia-Verhältnis des Nitiobrogenkönigs Ollovico [Caes. BG 7.31.5] mit der Aufgabe der Routensicherung auf der Garonne zeigt. Cunliffe, Europe Between the Oceans 384 –391; Hawkes, Ictis 288–230.

52 Man hat versucht, die Stellung der Veneter damit zu erklären, dass man sie als die dominierende Macht sah, die von anderen Stämmen aufgrund ihrer geographischen Lage und der daraus resultierenden Zolleinnahmen [Caes. BG 3.8.1] und ihrer Seefahrtskenntnisse als Mittler für den Britannienhandel nicht übergangen werden konnte; jedoch gibt es bis dato keine wirklich gesicherten Erkenntnisse über die regionale Balance von Macht und Wirt- schaft. Galliou, Early Aremorica 29; aus britannischer Sicht Cunliffe, Veneti 45– 49.

53 Zum Britannienmotiv Caesars siehe Goldsworthy, Caesar 269–270; Levick, Veneti 67. - 21 -

Es formiert sich ein territorial weit gespannter Kampfbund: Eine westliche Gruppe um die Veneter [Caes. BG 3.9.10] und ein östlicher Verband um die Uneller, Coriosoliten und Lexo- vier [Caes BG 3.17.2]. Das Exempel, das nach der verlorenen Seeschlacht an den Venetern statuiert wird [Caes. BG 3.16.4] und die vernichtende Niederlage durch Sabinus [Caes. BG 3.19.4] bedeuten zwar das Ende des Krieges und somit der Koalition, nicht jedoch den endgültigen Zusammenbruch. Grundsätzlich ist das Bild vom Fortbestehen Aremoricas und seiner Völker nach der Nieder- lage gegen Caesar vielschichtig. Von völliger Zerstörung kann sicherlich nicht gesprochen werden, die massive Schwächung ist jedoch evident.54 Trotzdem bleibt Aremorica zusammen mit Belgium einer der instabilsten Sicherheitskomplexe des gallischen Eroberungsraumes. Im Jahre 52 werden Aremoricae civitates beim Entsatzheer genannt, wenn auch mit vergleichswei- se schwachen 1.000 Mann [Caes. BG 7.75.4]; im Jahre 51 sind sie noch immer Teil unruhiger Elemente im nordwestlichen Gallien.55

2.5 Britannien

Als Motiv für eine Invasion Britanniens behauptet Caesar, die militärische Unterstützung für einige Stämme Galliens unterbinden zu wollen [Caes. BG 4.20.1]. Seine tatsächlichen Motive sind wohl eher ökonomischer und politischer Natur. Er kennt die Geschichten über den bri- tannischen Reichtum an Silber und Gold, außerdem besteht Aussicht auf zahlreiche Sklaven, noch dazu scheinen die Transportrisiken minimal. Auch kann er sein Prestige steigern, indem er als erster römischer Eroberer Britannien erreicht.56 Unmittelbaren Anlass geben die Flucht belgischer Aufwiegler nach Britannien [Caes. BG 2.14.2– 4, 2.15.2] und die Entsendung britan- nische Hilfstruppen nach Aremorica [Caes. BG 3.9.10].57 Die beiden Expeditionen erweisen sich trotz Versuchen diplomatischer Vorbereitung und militärischer Aufklärung [Caes. BG 4.21] als aufwendig und gefährlich; sie bleiben im Ergeb- nis zwiespältig. Vielleicht besteht auch gar keine klare Eroberungsabsicht; jedenfalls kann kein Stamm, der nicht die deditio angeboten hatte, letztendlich dazu gezwungen werden. Es entste- hen im Machtgefüge Britanniens nach dem römischen Auftreten neue Dynamiken, die diesen Raum wohl aus dem Kräftespiel des kontinentalen Gallien heraushalten. Auf den zentralgallischen Kampfraum selbst hat eben diese Lage des britannischen Si- cherheitskomplexes keine erkennbaren Auswirkungen. Indirekt mag es durch das Auftreten der Römer in den belgisch-britannischen Beziehungen zu Änderungen gekommen sein, dies ist jedoch nicht ohne Weiteres erschließbar. Das Potential britannischer Söldner für militärische

54 Merlat, Veneti 752–753; Schulte-Holtey, Widerstand A.505, 197; Levick, Veneti 69, weist auf weiter- laufende Münzprägung der Veneter und Osismer hin.

55 S. Kap. 8.5.

56 Zu Caesars Motiven Goldsworthy, Caesar 269–270 und Hawkes, Britain 150–151.

57 Auch Dio 40.1 glaubt das militärische Argument. - 22 -

Operationen in Belgium und im weiteren gallischen Großraum wird nicht erkennbar bean- sprucht.

2.6 Aquitanien

Die Lage am Rande zwischen der provincia Transalpina und der Hispania citerior resultiert in einer nur schwachen römischen Vorfeldkontrolle, die erst in der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. beginnt, Spuren zu hinterlassen.58 Eine eigentliche Bedrohung römischer Interessen durch ei- nen regionalen Sicherheitskomplex wird nicht argumentiert, es bleibt bei der Feststellung, Crassus habe Krieg zu führen [Caes. BG 3.20.1]. Die Vorgeschichte mit Rom beschränkt sich auf die Nutzung als Durchmarschgebiet und Verbindungen aufgrund der Nähe zur provincia Transalpina. Caesar behauptet eine nicht zu unterschätzende militärische Schlagkraft der aqui- tanischen Stämme, indem er auf vergangene römische Niederlagen und die umfassenden Vor- bereitungen durch Crassus verweist [Caes. BG 3.20.1–2]. Nach den römischen Siegen ergibt sich der größte Teil Aquitaniens [Caes. BG 3.27.1], die deditio wird durch Geiselstellung besiegelt. Für die strategische Planung im zentralgallischen Kampfraum ist Aquitanien ebensowenig wie Britannien für die gegnerischen Seiten wirklich relevant. Die Aquitaner scheinen grund- sätzlich an den Vorgängen im Inneren Galliens desinteressiert. Für Caesar bedeutet dies, dass er die Sicherheitsmaßnahmen für die provincia ausschließlich nach Norden ausrichten kann; weiters bleibt die Truppenverstärkung für Vercingetorix aus diesem Raum auf ein Reiterkon- tingent unter der Führung des Nitiobrogen Teutomatus beschränkt [Caes. BG 7.31.5]. Vercin- getorix wiederum muss diese beiden Faktoren anders in seine Planung einbeziehen: Die zu ihm stoßende Reiterei unterstützt zwar den geplanten Bewegungskrieg, Caesar wird jedoch nicht vom Westen her in seiner Provinz bedrängt.59 Die Reiterei scheint außerdem eine Söld- ner- oder Abenteurertruppe zu sein, die für Vercingetorix sicherlich ein Motivationsrisiko dar- stellt.

2.7 Zentralgallien

Alle Gebiete Galliens werden in den Kriegsjahren bis 53 mindestens einmal von römischen Feldzügen oder Aufmärschen betroffen. In Zentralgallien finden aufgrund einer besonderen politischen Konstellation militärische Operationen unterschiedlichster Intensität hauptsäch- lich an der Peripherie dieses Großraumes statt. Die Römer sind bis zur Auseinandersetzung mit Vercingetorix vor allem im Norden und Westen politisch und militärisch aktiv:

58 In Caesars Heer dienen der Aquitaner Piso und sein Bruder, die bei einem Gefecht fallen. Deren Großvater war noch rex und amicus der Römer [Caes. BG 4.12.4 –6], vielleicht auf den Sertorianischen Krieg zurückge- hend. Das Königtum war danach offenbar beendet und in eine stirps regia übergegangen. Hirschfeld, Aqui- tanien 210 mit A.1.

59 Zu diesem strategischen Faktor s. Kap. 6.3. - 23 -

o Nach den erfolgreichen Feldzügen in Belgium werden die Legionen in Winterlager zu den Carnuten, Anden und Turonern verlegt [Caes. BG 2.35.3]; im Lichte der Aktionen in A- remorica im folgenden Jahr ist der militärische Blick nach Norden gerichtet. Die genann- ten Stämme haben untereinander Verbindungen60 und verhalten sich – zumindest vorerst – nach außen hin romfreundlich. o Während der Feldzug in Aremorica im Gange ist, wird Crassus nach Aquitanien beordert [Caes. BG 3.11.3]. Dabei wird er auf dem Weg zu den Nitiobrogen wohl durch die Gebiete der Pictonen und Santonen gezogen sein, gehören doch beide Stämme zu den Unterstüt- zern der Römer während der Kämpfe in Aremorica [Caes. BG 3.11.5]. Die prorömische Haltung ist aber nicht konstant; sie treten der Koalition von Vercingetorix bei [Caes. BG 7.4.6, 7.75.3], und zumindest die Pictonen verhalten sich im Jahre 51 wieder romfreundlich [Caes. BG 8.26.1]. Ähnliche Erfahrungen gibt es mit den Nitiobrogen, die vermutlich als Einmarschbasis nach Aquitanien dienen.61 Die Vorgeschichte spielt sicherlich auch eine Rolle; der frühere König Ollovico war einst amicus von Rom [Caes. BG 7.31.5]. o Carnuten und Senonen an der Grenze zu Belgium bilden einen eigenen Sicherheitskom- plex, in dem während des gesamten Gallischen Krieges Kampfhandlungen stattfinden. Die Senonen ändern nach dem innenpolitischen Eingreifen Caesars ihre Haltung. Die Einset- zung von Cavarinus als rex wird vom Stamm nicht angenommen [Caes. BG 6.54]; man macht bald darauf mit den Carnuten gemeinsame Sache gegen die Römer [Caes. BG 6.2.3].62 Der senonische Anführer Acco wird auf Befehl Caesars getötet [Caes. BG 6.44.2], was die Verschwörung des Jahres 52 zusätzlich anheizt [Caes. BG 7.1.5]. Das Verhältnis zu den Haeduern hat im außenpolitischen Handeln keine Wirkung, trotz der geleisteten Für- sprache nach der Vertreibung von Cavarinus [Caes. BG 6.4.3]. Fast parallel dazu die Situa- tion bei den Carnuten: Auch hier setzt Caesar einen König ein; dieser wird nach drei Jah- ren Regierungszeit ermordet [Caes. BG 5.25.3]. Das clientela-Verhältnis mit den Remern ist außer für einen Appell an Caesar ohne Konsequenz [Caes. BG 6.4.5]. Bis ins Jahr 51 bleibt der Stamm gegen die Römer aktiv.63

2 . 8 Provincia Gallia Transalpina

Die Provinz nimmt aus römischer Sicht schon lange eine geostrategische Schlüsselposition ein, die sich mit dem Beginn von Caesars Eroberungszug noch verstärkt.64 Damit wird auch römi-

60 Caes. BG 2.35.3 ist wohl dahingehend zu deuten. Vgl. Kap. 8.2. u. 8.5. mit A.324.

61 Geographisch kommen sie dazu beim Vorstoß zu den Sotiaten am ehesten in Frage.

62 Die Angelegenheit verkompliziert sich enorm: Caesar muss den zuvor von seinem Stamm vertriebenen Cavarinus beschützen – wer würde sich von einem Römer zum König machen lassen, wenn er dafür keine Sicherheitsgaran- tien erhielte? – und ihn mit seiner Reiterei (seinen Klienten?) in sein Heer aufnehmen [Caes. BG 6.5.2]. Die ge- naue innenpolitische Konstellation in Bezug auf die Königsherrschaft geht aus Caes. BG 5.54 nicht hervor. Mül- ler, Herrschaft 106 sieht eine Störung des Übergangs zur Aristokraten-Herrschaft.

63 S. Kap. 8.2.

64 Den Zeitraum bis zum Auftreten Caesars behandelt Kap. 1.1. - 24 -

sches Kerninteresse an diesem südgallischen Territorium sichtbar, selbst wenn manche Argu- mente Caesars eine »strategische Wahrheit« zum Ausdruck bringen. In den Jahren 58–53 ist die provincia tatsächlich militärisch kaum gefährdet; nichtsdestotrotz entwickelt Caesar über mehrere Stellen in den Commentarii hinweg eine Argumentationslinie, die sich zu einer Si- cherheitsdoktrin als Ausgangslage für das Jahr 52 verdichtet: ! Der Schutz seiner Provinz hat für den Proconsul Caesar oberste Priorität. Mit der Aufde- ckung der Wanderungsabsicht der Helvetier zu den Santonen wird offen die Provinzgefähr- dung ins Spiel gebracht [Caes. BG 1.7, 1.10.1–2]. Bei den Lesern des Bellum Gallicum wird wohl iniuria et maleficio oder homines bellicosos in Kombination mit locis patentibus maxi- meque frumentariis finitimos den gewünschten Eindruck hinterlassen haben. Im Jahre 52 sollte es dann tatsächlich notwendig werden, gegen Lucterius Truppen aufzustellen [Caes. BG 7.7].65 ! Durch eine wiedererstarkte arvernische Hegemonie wäre vielleicht auch die provincia nicht zu halten oder zumindest gefährdet gewesen, auch wenn der gallische Aufstand dort keine große Resonanz findet. Schließlich ist es Teil der Strategie von Vercingetorix, die provincia zu bedrängen [Caes. BG 7.64.6–7]. Nach den Ereignissen von Noviodunum meinen Epore- dorix und Viridomarus, man könne vielleicht die Römer vom Nachschub abschneiden und in die Provinz zurückdrängen [Caes. BG 7.55.9].66 Auch auf gallischer Seite ist also der Raum der Transalpina Teil strategischer Überlegungen. ! Immer wieder wird impliziert, dass sich die Gallia ulterior auch außerhalb der Kriegshand- lungen von 52 destabilisierenden Regionaldynamiken ausgesetzt sieht: Aquitanien ist ein für Römer äußerst unsicheres Gebiet [Caes. BG 3.20.1, Manlius-Episode]. Die wichtigen Alpenübergänge sind nur schwer unter Kontrolle zu bringen [Caes. BG 1.10.4 Graioceler; Caes. BG 3.1–6 Octodurus]. Das zweigeteilte Gebiet der Rutener wird akut zur Sicherheits- frage, nachdem der außerhalb der provincia lebende Stammesteil gegen die arecomischen Volcer in der Transalpina in Marsch gesetzt wird [Caes. BG 7.64.6]. Die Allobroger sollen im Hinblick auf ihre kurz zuvor beigelegten Auseinandersetzungen mit Rom zum Aufstand bewegt werden [Caes. BG 7.64.7–8]. ! Die militärische Kapazität wird betont: Crassus kann aus den Provinzstädten Tolosa, Car- caso und Narbo auf tapfere Soldaten zählen [Caes. BG 3.20.2]. Als Verbände angrenzender Stämme die provincia überfallen sollen, können 22 Kohorten ausgehoben werden [Caes. BG 7.65.1].67 ! Ungesagt bleibt in den Commentarii, dass Städte wie Narbo und Massilia für den römischen Fernhandel unverzichtbar sind. Ganz abgesehen von der bewältigbaren territorialen Ge- fährdung darf unter Caesars Statthalterschaft aufgrund seiner Aktivitäten in Gallien das

65 Eine »strategische Wahrheit«, dazu in Kap. 4.

66 Die Stelle kann trotz Verderbtheit in diesem Sinne gelesen werden. Kraner, Commentarii II, KA 7.55.9.

67 Vielleicht die spätere Legio V Alaudae. Kraner, Commentarii III, A.8.24.2. - 25 -

geoökonomische Element keinesfalls leiden. Römische Wirtschaftsinteressen und die Cae- sars sind schließlich eng miteinander verbunden.68 ! Caesar selbst ist sich der überragenden Bedeutung seiner provincia als römisch- kontrolliertem Territorium im Süden des Eroberungsraumes bewusst. Er gibt zu, dass der Gallische Krieg letztendlich auch durch Treue und Hilfe der Transalpina gewonnen werden konnte [Caes. BG 8.46.6].

68 Generell zur wirtschaftlichen Bedeutung Südgalliens und des Alpenraumes Freyberger, Südgallien 187–194. Botermann, Gallier-Römer 98–100, unter Heranziehung von Cic. pro Font. Zum römischen Wirtschaftsimperi- alismus Schulte-Holtey, Widerstand 172–175. Zur Bedeutung des Handels über die Narbonensis-Garonne- Achse vgl. A.51, Cic. pro Font. 5, Weinzölle Cic. pro Font. 9. - 26 -

3. Zentralgallien: 52 v. Chr.

Das Jahr 53 war militärisch von Operationen im Osten Belgiums und an der Rheingrenze ge- prägt. Vor dem Bezug der Winterlager kommt es noch zu Aktionen gegen die Eburonen, Ambi- orix kann jedoch nicht gefasst werden [Caes. BG 6.43]. Das abschließend von Caesar einberufe- ne allgemeine concilium in Durocortum sollte mit dem Todesurteil über den Senonen Acco wohl ein Zeichen der neuen Verhältnisse in der gesamtgallischen Innenpolitik setzen. Die Legionen werden dann in einem relativ kompakten Raum bei den Senonen, Lingonen und Treverern sta- tioniert, wobei Caesar die Gesamtgefahr offenbar gering einschätzt, wendet er doch die sechs Legionen in Agedincum allein gegen die Senonen auf [Caes. BG 6.44.3]; weniger ist hier die Si- cherheitslage im Blickfeld, als vielmehr die Strafe, sechs Legionen im Winter versorgen zu müs- sen. Caesar glaubt nun, sich vorerst ungestört der römischen Politik widmen zu können. Er hin- terlässt ein Gallien, in dem alle Gebiete bis zum Jahre 52 mindestens einmal von römischen Feldzügen oder Aufmärschen betroffen waren. Ausnahme bleibt der von den Arvernern kon- trollierte innere Teil Zentralgalliens.69 Fast bis zum Ende des Krieges kann sich dieser Raum der Dynamik von Annexion und Niederwerfung der umliegenden Eroberungsräume entziehen. Mit dem Anschlag der Carnuten auf römische Kaufleute und dem Auftreten von Vercingetorix endet diese Phase. Die Stämme Zentralgalliens sind von nun an in unterschiedlicher Intensität aktive Kräfte im Hauptkampfraum des Jahres 52.

3.1 Über die Stellung der Arverner in Gallien: Hegemonie und principatus

Die nähere arvernische Vorgeschichte mit Rom beginnt mit der Einrichtung der provincia Transalpina. Durch die Unterstützung der Arverner unter Bituitus für die Allobroger sieht sich Rom zum Gegenschlag provoziert, 121/ 20 wird die Aktion mit einer verheerenden Niederlage für die Arverner und Rutener erfolgreich abgeschlossen [Liv. per. 61, App. Kelt. 12]. Man be- lässt den Arvernern die Selbstständigkeit, vernichtet aber ihre äußere Stellung [Caes. BG 1.45.2].70 Die Frage des arvernischen principatus und der Hegemonie in Gallien steht zur Dis- kussion, vor allem aus einer über das 1. Jh. v. Chr. zurückreichenden Perspektive.

ƒ Exkurs I: Hegemonie71 Die staatliche Hegemonie ist das Verhältnis eines Willens zu einem anderen, das den anderen Staat zu einem bestimmten Verhalten hinleitet. Das Gesamtverhalten wird von Seiten der Füh- rung bestimmt. Die Hegemonie ist demnach die Führung bei einer einzelnen politischen Aktion, einem Kollektivschritt gegenüber einer dritten Macht, bei einer Intervention oder einem kriege-

69 Ausdrücklich der innere Teil. Zur Peripherie s. Kap. 2.7. 70 Stark gegen die leichtfertige Annahme (somit gegen Jullian u. Rice Holmes) einer allzu weitreichenden und umfassenden arvernischen Hegemonie argumentiert v. a. Nash, Chronology. 71 Herangezogen werden die grundlegende Abhandlung von Triepl, Hegemonie, mit besonderer Einbeziehung der griechisch-römischen Antike; Dobesch, Kelten 257–264, 461– 465; Dobesch, Außenpolitische Strukturen. - 27 -

rischen Unternehmen.72 Jede staatliche Hegemonie hat ein außenpolitisches Ziel. Sie strebt eine Isolierung der politischen Gefolgschaft gegenüber äußeren Einflüssen an.73 Die staatliche He- gemonie steht in der Mitte zwischen bloßem Einfluss und Herrschaft.74 Herrschaft motiviert an- dere durch Aussicht auf äußeren Zwang. Hegemonie aber stützt sich auf eine Anerkennung durch den geführten Staat.75 Eigentlich ist der oft alternativ verwendete Ausdruck »Vormacht« nicht geeignet, das Wesen der Hegemonie ausreichend zu benennen. Vormacht ist nichts ande- res als die erste Macht, die sich vor den anderen in einem bestimmten Kreis durch Stärke aus- zeichnet. Vormacht ist die Macht, die voransteht, nicht notwendig eine, die vorangeht.76 So war z. B. Persien Vormacht, hatte aber nie die Hegemonie über die Griechen des Westens. Im Orient ent- faltete Persien Herrschaft, aber keine Hegemonie.

ƒ Exkurs II: principatus Der principatus ist nicht nur die Spitzenstellung des gesellschaftlichen Ranges innerhalb eines gallischen Stammes77; auch in zwischenstaatlichen Beziehungen ist eine solche Rangordnung zu beobachten. Caesars Ansatz zur Neuordnung Galliens basiert darauf, Haeduern und Remern nach der Klärung ihres Verhältnisses mit Rom eine solche Stellung einzuräumen [Caes. BG 6.12.9].78 Die Einschätzung der Zustände vor dem Gallischen Krieg zeigt ebenfalls den princi- patus als politischen Faktor [Caes. BG 1.31.3– 4]. Bedeutung hat auch die überregionale Stellung von Einzelpersonen: Celtillus hatte den principatus totius Galliae [Caes. BG 7.4.1]; der Suessione Diviciacus war in Belgium und bis Britannien in dieser Stellung anerkannt [Caes. BG 2.4.7], ein ähnlich hohes Ansehen genießt der Suessionenkönig Galba [Caes. BG 2.4.7]. Im Verhältnis der Stämme untereinander haben principatus und auctoritas auch die Funkti- on, auf die außenpolitischen Beziehungen innerhalb der jeweiligen Einflusszonen zu wirken, wobei sich der Prinzipatsstamm durchaus ändern kann.79 Als faktischer Zustand gegenseitiger Be- zogenheit80 kann der principatus auch ohne juristische Festlegung zur Hegemonie führen; Ver- tragsverhältnisse sind aus dieser Disposition heraus nicht gegeben.81 Eine Stufe darunter steht die auctoritas, die lokal bezogen ohne Berücksichtigung hegemonialen Einflusses zum Tragen kommt. Die Veneter besitzen entsprechende Zugkraft, wenn sich sich gegen Rom positionieren

72 Triepl, Hegemonie 133.

73 Ebd. 135.

74 Ebd. 140.

75 Ebd. 141.

76 Ebd. 138.

77 Zum principatus innerhalb eines Stammes Dobesch, Kelten 413– 416.

78 Dobesch, Kelten A.92, 258. 79 Mehrere Stämme wenden sich den Haeduern zu; die Sequaner verlieren ihre Stellung an die Remer [Caes. BG 6.12.7]. Früher hielten die Biturigen in Gallien den principatus [Liv. ab u. cond. 5.34.5–9].

80 Dobesch, Außenpolitische Strukturen 172.

81 Das bezieht sich auf gesamtgallische Verhältnisse aus geostrategischer Sicht. Im engen Kreis des Stammesumfel- des wird es wohl vertragliche Bindungen über Vergeiselung etc. geben, vgl. Arverner und verbliebene Klienten [Caes. BG 7.75.2], die bedrängten Haeduer haben immer noch Verbündete [Caes. BG 1.14.6, 1.43.9]. - 28 -

[Caes. BG 3.8.1]; die auctoritas der Senonen bedarf keiner Hegemonie [Caes. BG 5.54.2].82 Schutzfunktion und Fürsprache sind begleitende Funktionen der Ausübung, die als Projektionen von Machtverhältnissen erscheinen. So reagiert Caesar auf Fürsprache der Haeduer für die Bel- lovacer [Caes. BG 2.14.2–3] und Senonen [Caes. BG 6.4.2– 4].

Unbestritten ist, dass die Arverner ein mächtiger Stamm sind, auch nach der Niederlage von 121. Die Hinweise auf eine bedeutende Position im Verband Galliens tauchen in den Commen- tarii bereits früh auf, wenn Caesar für den Leser die Lage vor dem Krieg gegen Ariovist ausbrei- tet: Der Kampf um den principatus totius Galliae zwischen Arvernern und Haeduern hat die Germanengefahr in Gallien durch die Söldnertätigkeit von Ariovist verschärft [Caes. BG 1.31.3– 5]. Die Ruhe, die die Arverner bis gegen Ende des Gallischen Krieges halten, soll nicht über die hegemonialen Ansprüche hinwegtäuschen. Die außenpolitische Zurückhaltung nach den inne- ren Unruhen um die Herrschaftsform83 hindert den Arverner Vercingetorix nicht, das imperium über den Aufstand anzustreben. Beim concilium in zeigt die Führungsinitiative der Ha- eduer nicht den gewünschten Erfolg [Caes. BG 7.63.4 –5]; dies wird wohl kaum nur der Erschei- nung von Vercingetorix zuzuschreiben sein. Der Ursprung der Vorrangstellung der Arverner in Gallien bleibt jedoch weitgehend im Dunkeln. Livius nennt die Arverner als einen der Stämme, die aufgrund ihres Bevölkerungs- überschusses im 3./ 2. Jh. v. Chr. eine große Zahl an Fußsoldaten und Reiterei über die Alpen nach Italien schickten [Liv. ab u. cond. 5.34.5–9]. Zu dieser Zeit hielten noch die Biturigen den principatus in Gallien.84 Aus Strabons Beschreibung Zentralgalliens geht die frühere Macht der Arverner deutlich hervor, wenn sie über die Faktoren Krieg, Wirtschaft und Herrschaftsraum charakterisiert werden [Strab. Geogr. 4.1.14, 4.2.3]. Geographisch umfasst die Hegemonie vor allem die südlicheren Gebiete Galliens; das weite Ausgreifen bis zum Ozean, den Pyrenäen und sogar bis zum Rhein ist wohl tatsächlich mehr auf außenpolitische Beziehungen und lo- ckere Klientelverhältnisse zurückzuführen, als auf echte Hegemonie oder Herrschaft. Die anekdotenhaften Nachrichten zu Krieg und Reichtum fügen sich in das von Caesar erstellte Bild. Die Hegemoniefrage ist dennoch nicht eindeutig zu beantworten. Die oft eingebrachte Be- zugnahme auf Livius, Strabon und Caesar muss durch entsprechende Quellenkritik relativiert werden.85 Livius erwähnt die Arverner für die Jahre 218 und 207, jedoch nur am Rande [Liv. ab

82 In beiden Fällen ist von Hegemonieverhältnissen nicht die Rede. Die innenpolitischen Zustände in Aremorica sind schwierig zu erschließen. Das archäologische Bild ist fragmentiert und sozialstrukturell unbestimmt; Le- Bihan, Habitat, anhand konkreter Beispiele. Die Senonen befinden sich überhaupt in ganz anderen Beziehun- gen und sind eher der haeduischen Hegemoniesphäre zuzurechnen [Senonen-Parisier-Verbindung Caes. BG 6.3.5]; s. a. Kap. 5.1.3.

83 S. u. zur Vorgeschichte mit Celtillus.

84 Tomaschitz, Wanderungen 43–53 zur Quellen- und Überlieferungsproblematik. Caesar geht jedenfalls auf eine solche frühe Vorgeschichte nicht ein.

85 Bes. Jullian, Histoire II, 380–386 spricht überzogen von l‘empire; gemäßigter, aber ebenso unkritisch Rice Holmes, CCG 3– 4. - 29 -

u. cond. 21.25, 27.39].86 Strabon bezieht sich häufig auf Poseidonios und hat durch dessen Inte- ressenshorizont entsprechende Darstellungsdefizite.87 Caesar schreibt zweckgerichtet und ist an einer groß ausgebreiteten Vorgeschichte gar nicht interessiert.88 Polybius erwähnt zur Alpen- überquerung der Karthager die Arverner, die hier schon allein geographisch erscheinen müss- ten, gar nicht [Pol. Hist. 3.41–50; 11.1]. Mit Hilfe der Archäologie kann die Problematik der tatsächlichen arvernischen Machtstel- lung vor allem aus ökonomischer Sicht durchleuchtet, wenn auch nicht eindeutig geklärt werden. Münzfunde geben Aufschluss über die Intensität von Handelsbeziehungen und über die Aus- dehnung wirtschaftlicher Netzwerke.89 Die Distributionsanalyse von arvernischer Münzen als Kernargument für das Prägungsmonopol einer Zentralmacht aufgrund des Fernhandels ist in dieser Schärfe nicht haltbar. Die aus der Analyse von Beaulieu hervorgehende Hegemonie reicht geographisch bis Belgium, wo sie auf einen anderen Hegemoniebereich stößt. Leitend wä- ren demnach auch eher ökonomische Prinzipien als militärische Machtausübung. Bis 121 sei das Münzmonopol gehalten worden, bis zur endgültigen römischen Eroberung wären danach nur mehr lokale Prägungen geringerer Qualität geschlagen worden, ein Indiz für chaotische und fragmentierte Zustände. Die Gegenargumente aus numismatischer Sicht wenden sich deutlich gegen ein großzügiges Hegemonieverhältnis. Im Zentrum des Arvernergebietes gibt es keinerlei Funde für die Zeit des angenommenen Höhepunktes der Vorherrschaft im 2. Jh., stattdessen treten Münzen deutlicher typologischer und geographischer Unterscheidbarkeit außerhalb der Kernterritoriums auf. Auch ist kein Prototyp arvernischer Prägungen bei den Biturigen und Lemovicen festzustellen; Goldprägungen kommen im Zeitraum der Hegemonie bei den Arver- nern ebenfalls nicht in eindeutiger Zuordenbarkeit vor.90 Die Argumentation von Beaulieu, nach der die Entwicklung keltischer Münzprägung auf den Stand des Jahres 58 hin also zwischen 121 und 60 erfolgt sei, mit einem von oppida ausgehenden Verbreitungsmuster, muss zurückge- wiesen werden. Damit ist der Ansatz, eine arvernische Hegemonie über ökonomisch- numismatische Strukturen festmachen zu können, nicht zielführend.91 Realistischerweise können die Arverner nur ihre unmittelbaren südlichen Nachbarn kontrolliert haben, die Gabaler, Vella- vier, Rutener und Cadurcer. Aufgrund der Münzfunde kann auch festgestellt werden, dass sich

86 A. 84 u. Tomaschitz, Wanderungen 44 – 47 zur Quellenproblematik von Livius‘ Darstellung zur Vorgeschichte.

87 Nash, Coinage 213.

88 Für den Commentarius völlig ausreichend und zur Situationseinstimmung gedacht sind Caes. BG 1.31.4 – die Ar- verner im Umfeld der Ariovist-Episode als Mitschuldige – und der Celtillus-Einschub Caes. BG 7.4.1 zur politi- schen Sozialisierung von Vercingetorix.

89 Die nachfolgende Argumentationslinie entspricht dem Review-Artikel Nash, Coinage, zu J.-B. Colbert de Beaulieu, Traité de numismatique celtique I: méthodologie des ensembles, Paris 1973. Nash wendet sich schlüssig und bis dato nachhaltig gegen die aus Münzfunden herbeianalysierte, umfassende gallische Hegemonie der Arverner; weiters dies., Coinage and state development. Aus Platzgründen werden nicht alle Argumente ange- führt.

90 Trotz chronologischer Unsicherheiten sind Goldmünzenfunde des 2. und 1. Jhs. v. Chr. auf Pictonen und Biturigen (Cubi) einzugrenzen. Nash, Coinage 10–12.

91 Die Beurteilung der Hegemoniefrage aus numismatischer Sicht hat sich nicht geändert. Nieto, Monnaies arverne (2003) kommt zum selben Schluss und begrenzt eine mögliche Hegemonie auf den unmittelbaren südgallischen Raum. - 30 -

die Belger und bestimmte Randstämme – im Bereich Westküste und Loire-Gebiet – nicht unter ihrer Kontrolle befinden.92 Trotz dieser evidenzbasierten Ablehnung kann die beträchtliche arvernische Macht nicht einfach in Frage gestellt werden. Die Konfrontationen mit Rom bis 121 und die nachfolgende Behandlung – die Arverner geraten nicht wie die Allobroger unter Roms Kontrolle [Caes. BG 1.45.2] – weisen auf eine bestimmte Einschätzung der süd- und zentralgallischen Verhältnisse durch die römische Außenpolitik hin. Um 125 scheinen die Arverner in einem Versuch, ihre ökonomischen Interessen gegenüber dem mit Rom verbündeten Massilia wahrzunehmen, die Salluvier zu einem agressiven Akt gegen das Handelszentrum bewegt zu haben.93 Sie provozie- ren damit jedoch das Eingreifen Roms, das sich plötzlich mit einer erweiterten geostrategischen Lage in Südgallien konfrontiert sieht: Nach einer Niederlage werden die zu den Allobrogern ge- flüchteten salluvischen Adeligen nicht ausgeliefert, es besteht die Gefahr einer arvernischen Hil- festellung und damit die Erweiterung des bis jetzt haeduisch-allobrogischen Konflikts94 auf einen schwer kontrollierbaren, südgallischen Konflikt mit einer noch auf Distanz gebliebenen hege- monialen Macht. Die Arverner unter König Bituitus werden nach anfänglichen Schwierigkeiten entscheidend geschlagen, der König und sein Sohn Congonnetiacus in Rom gefangengesetzt [Liv. epit. 61].95 Aus geopolitischen Erwägungen – Haeduer und Allobroger werden wohl als ent- scheidendere Faktoren für den südgallischen Sicherheitskomplex und eine künftige provincia ge- sehen – wird politische Distanz zu den Arvernern gehalten. Man versucht offenbar, das Verhält- nis über befreundete Häuptlinge und Adelige zu kontrollieren.96 Die folgende Einrichtung der provincia Transalpina ist dann die deutliche Manifestation nachhaltiger Sicherungsinteressen in Südgallien.97 Eine eindeutige Aussage zu Dauer, Umfang und Wirkung der arvernischen Hegemonie muss also, vor allem im kritischen Vergleich mit antiken Schriftquellen und der schwachen archäolo- gischen Evidenz, unterbleiben.98 Im enger gefassten Zeitraum zwischen 150 und 52 v. Chr. wird

92 Auch Livius 21.25 (für 218 v. Chr.) u. 27.39 (für 207) erwähnt die A. nur am Rande. Nash, Chronology 213: Alt- hough it is apparent from literature and archaeology that the were an important people at an early date, there is only the most suspect of evidence for the existence of an empire or hegemony of in any meaningful sense.

93 Benedict, Southern Gaul 40. Aus dem Blickwinkel der Machtprojektion vgl. u. Parisier.

94 Die Haeduer, fratres consanguineosque der Römer [Caes. BG 1.33.2], ziehen diese in südgallische Auseinanderset- zungen, als sie sich durch Allobroger und Arverner bedrängt sehen. Freyberger, Südgallien 78 mit A.289.

95 Zum Krieg gegen Bituitus: Dobesch, Kelten 266, 326; Benedict, Southern Gaul; Rice Holmes, RCG 3– 4; Freyberger, Südgallien 77–79; Goudineau, César et la Gaule 49–53. Quellen: Athen. 4.37 p. 152 D-F, Liv. epit. 61, Strabon Geogr. 4.2.3, App. Kelt. 12; weitere (fasti) bei Dobesch, Kelten A.30, 326; Benedict, Southern Gaul A.15, 43; Botermann, Gallier-Römer 89–95.

96 Congonnetiacus bzw. Contoniatus kehrt nach seiner Gefangenschaft offenbar wieder zu den Arvernern zurück [Dio epit. 34.36, für das Jahr 110/ 109]. Die Gleichsetzung der Namen ist aufgrund der Textstelle zwar plausibel, aber nicht gänzlich gesichert; Zeitrahmen und Inhalt lassen sich aber schlüssig einfügen, Holder, Alt-Celtisch I 1100. Der Arverner Crato kann sich durch seine behauptete Freundschaft zu Rom aus einer unvorteilhaften Lage befreien [Dio epit. 34.23].

97 Freyberger, Südgallien 79.

98 Keine Untersuchung seit Jullian (l‘empire) behauptet dezidiert ein solches Imperium. Ablehnend u. a. Ferdi- ère, Les Gaules; ebenso Endl, Vercingetorix 59, unter Hinweis auf den französischen Nationalismus des 19. Jhs. Der Hegemoniebegriff findet freiere Anwendung (alle zitierten Arbeiten zur Hegemoniefrage). - 31 -

ein zentral- und südgallischer Wirkungsradius aber durchaus erkennbar. ! Die Hinweise auf materiellen Reichtum [Strab. Geogr. 4.2.3] lassen an dauerhafte Handels- strukturen denken. ! Militärische Aktionen mit Interessen außerhalb des eigentlichen Stammesgebietes sind An- zeichen eines gewissen geostrategischen Verständnisses.99 ! Im Gallischen Krieg sind die arvernisch-römischen Beziehungen offenbar dergestalt, dass durch die Anerkennung eines zentralgallischen Machtkomplexes die meisten Stämme im ar- vernischen Umfeld bis 52 keine Kriegshandlungen erfahren oder auslösen.100 ! Der principatus von Celtillus [Caes. BG 7.4.1] in Gallien wird wohl nicht ohne entsprechen- den Machthintergrund anerkannt worden sein.

Das machtpolitische Gefüge der Jahrzehnte bis zum Gallischen Krieg im südlichen Zentralgalli- en ist erheblich gestört. Rom scheint keine weiterführenden strategischen Interessen entwickelt zu haben, die über Provinzkontrolle und akzeptable Passivität gegenüber gallischen Verhältnis- sen hinausgehen; jeder weitere Schritt in Richtung inneres Gallien hätte wohl die spanien- und alpenorientierte Disposition unnötig belastet.101 Was für Rom außenpolitische Vorfeldkontrolle ist – die diplomatischen Beziehungen zu den Haeduern, Nitiobrogen und Ariovist, die unsiche- ren Allobroger zumindest in Reichweite, die Stämme in der Transalpina werden immer stärker zu Untertanen – hat für die Arverner eine völlige Neuordnung außenpolitischer Beziehungen über einen Zeitraum mehrerer Jahrzehnte zur Folge. Die Beschädigung des potentiellen arver- nischen Hegemonieraumes ist massiv: o Außenpolitisch zerfällt der Süden in einen Raum regionalpolitischer Heterogenität. Die pro- vincia Transalpina ist aus Sicht der Arverner ein militärisch und diplomatisch unüberwindba- rer Sicherheitskomplex, an dem jeder Versuch hegemonialer Entfaltung scheitern muss. Die Rutener sind durch ihre Zweiteilung vorerst nicht handlungsfähig102; die Reichweite bis zu den Pyrenäen ist durch die provincia blockiert [Strab. Geogr. 4.2.3]; die Nitiobrogen unter- halten freundschaftliche Beziehungen zu Rom103; die Beteiligung der an der Provinzgrenze liegenden Gabaler am Aufstand muss durch Vergeiselung abgesichert werden [Caes. BG 7.7.2]. Im Osten sind die Haeduer, auch durch die Beziehungen mit Rom, dominierend [Caes. BG 1.33.2]. Die Sequaner, die offenbar als durch Ariovist wesentlich verstärktes, öst- lichstes Strategielement fungieren sollten, sehen sich von eben diesem bedrängt. Im Norden

99 Wenn auch Großmachtambitionen nicht ohne Weiteres nachzuweisen sind. Vgl. die Ereignisse der Jahre 125 – 120, wie oben u. A.95.

100 Zu diesem Umfeld und den damit zusammenhängenden Entwicklungen von Bündnisphasen s. Kap. 5.1.1.

101 Zur provincia als Spanienverbindung s. Kap. 2.8; zu den Alpen im Zshg. mit der außenpolitischen Doktrin Dobe- sch, Kelten 316–324.

102 Erst unter Vercingetorix sollte der nördliche Stammesteil wieder aktiv und zu Störaktionen in der provincia einge- setzt werden [Caes. BG 7.7.1, 7.64.6]; der südliche Teil war scheinbar für den Aufstand nicht zu begeistern [Caes. BG 7.7.4]. Die Ursache der Zweiteilung ist nicht zu erfassen, vielleicht wirtschaftlicher Natur (Silberminen, Strab. Geogr. 4.2.2]. Weitere Quellen bei Holder, Alt-Celtisch II 1252–1254.

103 König Ollovico ist amicus [Caes. BG 7.31.5]. P. Crassus dringt wohl auch von den Nitiobrogen her nach Aquitani- en vor und kann auf militärische Unterstützung aus der provincia zählen [Caes. BG 3.20]. - 32 -

stehen die unmittelbar angrenzenden Biturigen in fide der Haeduer [Caes. BG 7.5.2].104 Die westlichen und nordwestlichen Stämme – Lemovicen, Pictonen, Turoner, Anden – scheinen aus hegemoniepolitischer Sicht seit der Einrichtung der provincia den geringsten Verände- rungen unterworfen zu sein, kommen sie doch mit den Römern gar nicht in Berührung.105 o Innenpolitisch erfährt die Kraft hegemonialer Zielsetzungen durch das Ende des Königtums einen massiven Rückschlag. Der Abgang von Bituitus und Congonnetiacus in römische Ge- fangenschaft hat eine Änderung der Herrschaftsform zur Folge. Der Adel ist offenbar nicht in der Lage, eine Hegemonie als Ausdruck des Willens zum principatus weiterzuführen, im Gegensatz zum Königtum, das die auf eine Einzelperson konzentrierte Macht umzusetzen versteht.106 Die durch kleinste soziale und politische Einheiten gehende Durchdringung mit Parteiungen schafft eine Grunddisposition, nach der sich Faktionen auf principes stützen [principes, qui summam auctoritatem eorum iudicio habere existimantur, Caes. BG 6.11.2–3]. Als dann nach 121 durch die neu wirkenden Gegenpole römisch-antirömisch ein stark au- ßenpolitisch orientiertes Spannungselement einzieht, kann die innenpolitische Beweglichkeit durchaus in eine Lähmung übergegangen sein.107 Die notwendige außenpolitische Neuorien- tierung bei gleichzeitiger Erkenntnis des Risikos weiterer militärischer Aktivitäten führt zu einem Stillhalten aller Kräfte, das als evidente Schwächephase im gesamtgallischen Verband und gegenüber der römischen Politik wahrgenommen wird.108

Die Einschätzung der Hegemoniefrage109 in Abstimmung auf den Gallischen Krieg kann sich al- so am besten auf den Zeitraum zwischen der Einrichtung der provincia Gallia Transalpina und Caesars Auftreten beziehen. Die große Perspektive der letzten drei Jahrhunderte dagegen führt aufgrund der Quellenkritik und der teils widersprüchlichen archäologischen Auswertung gleich- sam zu einer spekulativen Verstärkung, die ganz auf Caesars Intentionen in den Commentarii abstellt.

3.2 Der arvernische Faktor im Jahre 52 v. Chr.

Bis zum Auftreten von Vercingetorix halten die Arverner Ruhe und sind so ein kaum vorhan- dener Risikofaktor in Caesars strategischem Konzept. Bis 52 spielen sie in den Commentarii

104 Der Beginn dieses Verhältnisses ist zeitlich überhaupt nicht festzumachen. Die Aufnahme während der innenpoli- tischen Verwerfungen nach Celtillus‘ Tod bleibt als Zeitraum und Anlass spekulativ, auch wenn der rasche Über- tritt zu Vercingetorix beim Aufstand [Caes. BG 7.5.6] an noch nicht eingetretene Konsolidierung denken lässt.

105 Auffallend ist die Orientierung von Vercingetorix: Die ersten Stämme, die sich beteiligen, kommen hauptsächlich aus dem nördl. u. nordwestl. Bereich [Caes. BG 7.4.6].

106 Täubler, Tyche 142.

107 Bei den Haeduern hingegen führt ein sehr ähnlicher Zustand – allerdings ohne eine belastende Änderung der Herrschaftsform – dazu, das Prinzipatsstreben durch die Annäherung an Rom weiterzuverfolgen, als die Arverner bereits aus dem Spiel genommen und durch die Sequaner/ Ariovist ersetzt sind. Täubler, Tyche 141–142, aus großer Perspektive.

108 Von chronischer Schwäche spricht Dobesch, Zu zwei Daten 773.

109 Bewusst soll hier nicht von einer Klärung gesprochen werden; dafür ist hier nicht der Ort und das Vorhaben wäre auch schlicht zu groß. - 33 -

keine Rolle; auf den Landtagen werden sie aufgetreten sein, hätte doch Caesar das Nichter- scheinen als Abfall gewertet.110 Die arvernische Anwesenheit bei einem concilium ist eben ge- nau Teil des Neuordnungskonzeptes für Gallien. Caesar kann vorerst mit Ruhe im geographi- schen Zentrum des Eroberungsraumes rechnen, gleichzeitig wird auch die Peripherie des He- gemonieraumes bis zu einem gewissen Grad einschätzbar: So bleiben auch Westgallien – u. a. mit den Lemovicen, Pictonen und Santonen – und die an die provincia grenzenden Stämme – u. a. Gabaler, Cadurcer – militärisch inaktiv. Auf arvernischer Seite bestimmen zwei deutliche innenpolitische Gegensätze die Außenpolitik: Die gallische Unabhängigkeit ist mit der Person von Vercingetorix und dem Königtum verbunden, die herrschende Oligarchie bietet Rom- treue. Caesar anerkennt natürlich nur die romfreundliche Regierung. Für die Lageeinschätzung der Kontrahenten Caesar und Vercingetorix ist davon auszugehen, dass beide ihre Entscheidungen im Gallischen Krieg im Hinblick auf die geopolitische Relevanz des zentralgallischen Sicherheitskomplexes treffen. Für Caesar wird dabei nicht zuletzt die Sicherung seiner provincia Transalpina und die Kon- solidierung der intendierten Neuordnung im restlichen Gallien im Vordergrund gestanden ha- ben. Sicherlich wird auch der geopolitische Überblick eine Rolle spielen: Das bisherige rom- freundliche Verhalten der Arverner ist ausreichend für die Wahrung römischer Interessen. Die Zerstörung eines etablierten gallischen Machtkomplexes hätte wohl mehr Schaden als Nutzen bedeutet. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Ariovist benutzt Caesar den früheren Sieg über die Arverner als Argument für den legitimen römischen Anspruch auf Gallien und weist gleichzeitig auf die Entscheidung des Senats hin, Gallien frei zu belassen [Caes. BG 1.45.2, für 121/ 120]. Er stellt damit Gallien als Raum für einen ausschließlich römischen machtpolitischen Zugriff dar.111 Damit wird schon lange vor 52 seine eigene Position mit einem kurzen Gegenargument festge- legt: Gallien darf grundsätzlich von den Römern erobert werden, die über Jahrzehnte ruhig ge- bliebenen Arverner verkörpern gleichsam diesen Anspruch. Der Senatsbeschluss ist das Zeichen römischer Zurückhaltung, das solange gilt, bis die damaligen Erwägungen – territoriale Absiche- rung der entstehenden Provinz und klare militärische Abwehrfähigkeit – neu beurteilt werden müssen.112 Bis dahin bleiben die Arverner für Caesar machtpolitisch fast unberührbar; beim an- geblichen Ziel der Helvetierwanderung, dem Santonengebiet, müssten sie in irgendeiner Weise betroffen sein, werden aber umschwiegen [Caes. BG 1.10.1–2]. Caesar lässt bei der Neuordnung Galliens die Arverner völlig aus dem Spiel [Caes. BG 6.12.6–7]. Auffallend ist auch, dass sich die Machtpläne von Orgetorix auf die Sequaner, Haeduer, Helvetier, und nicht die Arverner kon- zentrierten. Mit dem Einschub der Celtillus-Episode [Caes. BG 7.4.1] erreicht Caesar die Fokussierung

110 Vgl. Caes. BG 6.3.4, als Senonen, Carnuten und Treverer nicht zum Landtag erscheinen.

111 Hoffmann, Vorgeschichte 12; Dobesch, Kelten A.31, 327.

112 Diese Neubeurteilung nimmt dann Caesar selbst vor: Lucterius bedroht den wichtigen Handelsplatz Narbo [Caes. BG 7.7]. Vgl. Caes. BG 1.7, 1.10.2 Helvetierdurchzug. Mit der Rheingrenze wird diese Doktrin auf den gesamten gallischen Raum ausgedehnt. - 34 -

auf die Ausgangslage seiner weiteren strategischen Überlegungen. Die Person Vercingetorix tritt auf und wird in einem nur scheinbar reduzierten Zusammenhang der Urteilskraft der Re- zipienten der Commentarii überlassen. Eine Analyse der langen Vorgeschichte der Römer und Arverner unterbleibt, gleichzeitig aber ist sie über Andeutungen zur geopolitischen Lage in Gallien präsent: Die Erwähnung siegreicher römischer Waffengänge [Caes. BG 1.45] und die fast völlige Ausblendung des arvernischen Faktors im Bellum Gallicum führen erst recht zu dem von Caesar beabsichtigten Eindruck eines völlig ungerechtfertigten Verstoßes gegen legi- time römische Sicherheitsinteressen im gallischen Vorfeld der römischen Provinz. Textlich und chronologisch weit auseinanderliegende Stellen in den Commentarii ergeben eine Art Erklä- rungsfiktion zur Rechtfertigung von Caesars Eroberungskrieg. Das gegen Ariovist geführte Argument, die römischen Ansprüche beruhten auf potentieller militärischer Überlegenheit und politischer Selbstbeschränkung [Caes. BG 1.45] gilt noch immer und wird mit der unter- stellten Illegalität von Vercingetorix‘ angestrebtem Königtum verbunden.113 Damit wird eine Präsenz der Vorgeschichte erreicht, die dem Leser einen selbstverständlichen Standpunkt bei- bringt, ohne sich in diffizil-diffusen Argumentationsketten verheddern zu müssen. Der Blick wird so auf die Motive arvernischer Aggression gelenkt.114 Das Streben nach Hegemonie und principatus wirkt gegen die neuen römischen Ordnungsprinzipien nach der Befriedung Galli- ens. Die Arverner sind bereits für eine große Störung der geostrategischen Raumordnung mit- verantwortlich, indem sie Ariovist territoriales Ausgreifen ermöglicht [Caes. BG 1.31.4] und dann aus eigener Schwäche darüber die Kontrolle verloren haben. Durch die Konkurrenz um den principatus totius Galliae115 ergibt sich aus Sicht von Celtillus offenbar die Chance, zum to- tius Gallia potentissimum aufzusteigen.116 Die dazu notwendige Überwindung der königsfeind- lichen Oligarchie gelingt nicht, der gewaltsame Tod von Celtillus bringt aber keine Konsolidie- rung. Durch die Siege von Ariovist gegen die Haeduer verschiebt sich auch der militärische Schwerpunkt in der hegemonialen Architektur Zentral- und Ostgalliens zu den Sequanern, die ursprünglich nur der kleinere Kooperationspartner der von der haeduischen Ostflanke weit entfernten Arverner waren. Caesar lenkt jetzt den Blick auf Ostgallien, das in seiner Konzep- tion des gallischen Raumes der entscheidende Krisenherd ist: der Einzugsbereich germani- scher Horden, die das politische Gefüge des gesamten Sicherheitskomplexes Gallien kollabie- ren lassen. Die Sequaner, eigentlich immer Zweite, erreichen den principatus, können ihn aber entweder nicht kontrollieren oder als stabilisierender Faktor wirken.117 Die Arverner treten hier völlig in den Hintergrund; ungeachtet ihrer Lage werden sie für Caesars Entwurf nicht gebraucht. Durch ihren innenpolitischen Zustand, das Agieren von Ariovist und die textlich

113 Caes. BG 7.4.1 a civitate erat interfectus; 7.4.5 rex ab suis appellatur. Kraner, Commentarii II A.7.4.5.

114 Sorgfältig wird aber die zusätzlich zu befürchtende Unordnung durch den Helvetierzug zu den Santonen, bei dem die Arverner gar nicht genannt werden, davon getrennt. Dieser Zug bedroht ausschließlich die provincia.

115 Dobesch, Arverner 117 bezeichnet dies treffend als perpetuum movens der gallischen Politik.

116 Vgl. Diviciacus bei den Suessionen, Caes. BG 2.4.7.

117 Caes. BG 1.31.4 werden sie nach den Arvernern genannt, 1.31.10 finden sie sich plötzlich in der Rolle des Zau- berlehrlings, 6.12.4 nutzen sie ihre Position für existenzbedrohende Aktionen gegen die Haeduer, 6.12.7 werden sie wieder zurückgestuft. Zur Stellung der Sequaner s. Kap. 2.1.3. - 35 -

vermittelten Intentionen Caesars werden sie für die Rezipienten des Bellum Gallicum gleich- sam unsichtbar. Zu hinterfragen ist allerdings die arvernische Position in der strategischen Geographie Galliens von Celtillus‘ Ende vor 62 bis zum Auftreten von Vercingetorix. Die glatte Annahme einer deutlichen hegemonialen Schwächung durch den Verlust des principatus kann nicht ohne Weiteres akzeptiert werden. Zuallererst verliert ja nur Celtillus als Person seine Stellung als po- tentissimum. Der hegemoniale Vorzustand118 der Arverner dürfte ab einer gewissen Konsolidie- rung nach dem Abgang von Bituitus – und der möglichen Rückkehr von Congonnetiacus von Roms Gnaden [Liv. epit. 61, Dio epit. 34.36]119 – nicht sehr gelitten haben. Die Reichweite um- fasst wohl Zentral-, Süd- und Teile Westgalliens [Strab. Geogr. 4.3.2]120; die Kontaktaufnahme von Vercingetorix zu potentiellen Mitkämpfern gelingt jedenfalls schnell [Caes. BG 7.4.6, 7.7].121 Man hatte offenbar ausreichend Ressourcen für den Konkurrenzkampf mit den Haeduern; ein wahrscheinlicher Vertrag mit Rom hindert nicht daran, innergallische Angelegenheiten weiter zu verfolgen, solange diese nicht die provincia betreffen. Die Entschlüsselung der tatsächlichen Machtverhältnisse wird nicht zuletzt durch die Textge- staltung der Commentarii erschwert. Je zeitnäher der Leser an den Gallischen Krieg herange- führt wird, desto komplexer umschweigt Caesar den vorgefundenen geopolitischen Zustand sei- nes Eroberungsraumes. Arverner und Sequaner scheinen eng zusammengearbeitet zu haben, die Sequaner waren schon lange mit den Haeduern verfeindet. Strabon [Geogr. 4.3.2] spricht vom Streit über die Arar-Gebühren; auch Gebietsstreitigkeiten [Caes. BG 6.12.4] spielen of- fenbar herein. In der Vorgeschichte sind also Arverner, Haeduer und Sequaner die hegemoni- alen Blöcke. Die Arverner gehen im Konkurrenzkampf mit den Sequanern gegen die Haeduer zusammen und rufen Ariovist. Nachdem Celtillus mit seinen innenpolitischen Absichten schei- tert und getötet wird [Caes. BG 7.4.1], lösen die bereinigten Zustände bei den Arvernern eine Restabilisierungsphase aus. Die Arverner nehmen sich infolgedessen zumindest in den Kampfhandlungen mit den Haeduern zurück, ihrer hegemonialen Anerkennung scheint dies aber keinen Abbruch zu tun. Der königsfeindliche Adel hält Ruhe gegenüber Rom. 122 Die Führung der Anti-Haeduer-Faktion geht auf die Sequaner über, die den Krieg zusammen mit Ariovist weiterführen und sich gegen die Haeduer durchsetzen. In den Commentarii ist für die Gegenwart des Gallischen Krieges dann nur mehr von Sequanern und Haeduern die Rede [Caes. BG 6.12.4]. Der Verhältniswechsel zwischen Arvernern und Sequanern scheint also erst nach dem Auftreten von Ariovist stattgefunden zu haben. Diviciacus erklärt, zwei führende Par- teien hätte es in Gallien gegeben: Haeduer und Arverner [Caes. BG 1.31.3]. Caesar benutzt dies lediglich als Einführung, um dem Leser eine Einschätzung der Vorgeschichte als Anlauf für die

118 Nicht ganz eindeutig zu definieren, s. o.

119 S. A.96. Dobesch, Zu zwei Daten A.70, 771.

120 Dobesch, Arverner 116.

121 Kraner, Commentarii II, A.7.4.6 führt dies darauf zurück, dass die Gallier gewohnt waren, in den Arverner die Führungsmacht zu sehen.

122 Ob dies bedeutet, dass er romtreu war und sich gar auf Rom stützte, wie bei Dobesch, Arverner 123? Über deutliche Romverbindungen ist schließlich nichts bekannt, außer, man liest Dio, Epit. 34.36 in diesem Sinne. - 36 -

gegenwärtigen Ereignisse zu ermöglichen. Im Commentarius VI heißt es dann cum Caesar in Galliam venit [Caes. BG 6.12.1], nachdem man die aktuellen Verhältnisse schon kennengelernt hat. Der principatus von Celtillus ist also in die Zeit ab 71 und vor 61 (Magetobriga) anzuset- zen.123 Bei Caesar spielen die Arvener bis 52 keine Rolle, da sie sich im Zusammenhang mit sei- nen Eroberungsplänen passend verhalten.

3.3 Die politische und strategische Geographie Galliens im Jahre 52

3.3.1 Das politische und strategische Umfeld Zentralgalliens Der arvernisch dominierte Raum stößt im Süden an die provincia Gallia Transalpina, im Osten an den haeduischen Machtbereich. Im Norden schließt der Carnuten-Senonen-Komplex Zentralgallien gegen Aremorica und Belgium ab. Die nordöstlichen Großräume bis zur Rhein- grenze sind aufgrund ihrer inneren Spannungen völlig aus dem politisch-militärischen Gleichge- wicht.124 Fluktuierende Machtverhältnisse halten Belgium in Unruhe. Die ständige Kriegsbereitschaft der Bellovacer und Nervier findet in den wiedererstarkten Remern kein Gegengewicht. Die Biturigen (Cubi), zwischen Arvernern und Carnuten, sind haeduisch beeinflusst.125 Der Westen bis hin zur Atlantikküste ist mit Stämmen bewohnt, auf die die Arverner, viel- leicht noch aus den alten hegemonialen Verhältnissen heraus, zählen können. Strabon berich- tet diesbezüglich von entsprechender Ausdehnung des arvernischen Einflusses [Strab. Geogr. 4.3.2]; außerdem ist dieser Raum der bisher am wenigsten kriegsbetroffene. Die hier lebenden Stämme – Lemovicen, Turoner, Anden und andere – gehören zu denen, die sich Vercingetorix als Erste anschließen [Caes. BG 7.4.6]. Die Aquitaner im Südwesten zeigen kaum Interesse an den Vorgängen im Inneren Galli- ens. Die Treverer stehen als großer Unsicherheitsfaktor unter Beobachtung durch zwei Legio- nen [Caes. BG 6.44.3]. Dabei wird festgestellt, dass sie germanische Hilfstruppen über den Rhein geholt haben [Caes. BG 6.8.7], also die Germanengefahr weiter aufrecht halten und nicht ganz durchschaubar mit den rechtsrheinischen Ubiern zusammenspielen, die später wie- derum Reiterei für Caesar stellen126 und die Treverer unter Druck halten.127 Caesar überträgt dem prorömischen Cingetorix das imperium [Caes. BG 6.8.9].

123 Dobesch, Zu zwei Daten 772: Der Principat des Celtillus gehört also am ehesten in die Jahre, da die Haeduer durch Ariovist bereits besiegt waren, aber vor jene Zeit, als die Sequaner den principatus innehatten. ders., Kelten 461– 463.

124 S. Kap. 2.2 Belgium, 2.3 Rheingrenze.

125 Zur strategischen Bedeutung der Biturigen s. u.

126 U.a. Caes. BG 7.80.6–9. Tausend, Germanische Reiter, kann die Ubier bei Caesar festmachen.

127 Heinrichs, Ubische Gruppen 289 mit A.54. - 37 -

Die Aremoricae civitates verhalten sich weiterhin unbeirrt antirömisch, versuchen, gegen ein Legionslager vorzugehen [5.53.6–7] und sollen das Entsatzheer verstärken [Caes. BG 7.75.4]. Außerdem sind sie auch nach der Niederlage von Alesia nicht von Widerstand abzu- halten [Caes. BG 8.31.4].128 Bei den Carnuten und Senonen wird die Innenpolitik von Faktionskämpfen bestimmt, de- ren unmittelbare Auslöser die von Caesar eingesetzten Könige sind. Keiner der beiden reges kann sich halten [Carnuten Caes. BG 5.25.1– 4, Senonen 5.54.2]; antirömische Aktionen sind die Folge.129 Zu Beginn des Jahres 52 haben die Stämme sowohl für Caesar als auch für Ver- cingetorix höchste strategische Priorität.

3.3.2 Der haeduische Faktor im Jahre 52 v. Chr. Ein großer Unsicherheitsfaktor im Spiel der Kräfte aus gesamtgallischer Sicht sind die Haedu- er. Nach dem Ende von Ariovist hatte sich unter Caesars Aufsicht die hegemoniale Konstella- tion im Osten Galliens wieder zugunsten der Haeduer verschoben [Caes. BG 6.12.6–9]. Den Haeduern war wohl bewusst, dass dies kein Verhältnis aus eigener Kraft war und sie mehr o- der weniger römischen Plänen dienten. Bis zu einem gewissen Grad macht das Caesar auch verwundbar. Den Haeduern ist ihre strategische Bedeutung in der Neuorganisation Galliens klar [Caes. BG 7.37.3], und auch auf operativer Ebene ist ihre logistische Unterstützung un- verzichtbar.130 Der zuverlässig romfreundliche Diviciacus ist im Jahre 52 vermutlich nicht mehr am Leben; neue, anfälligere Kräfte übernehmen, unter denen sich auch die Balance außenpo- litischer Präferenzen ändert. Die starken Spannungen äußern sich in der Schwächung von (Wahl-)Institutionen [Caes. BG 7.32.3–33]; Korruption und militärische Wankelmütigkeit werden deutlicher sichtbar. Der Einbruch in der Struktur der Stammesverfassung ist grund- sätzlich: Eine akzeptierte Konkurrenzsituation vor den jährlichen Wahlen entwickelt sich vom Bruch des Wahlmodus und -gesetzes [Caes. BG 7.33.3] zur Vorstufe eines Bürgerkrieges. Im Falle eines Waffenganges mit nicht vorhersehbarem Ergebnis wäre der Schaden für Caesars strategische Überlegungen enorm, besonders, wenn Vercingetorix in die Situation hineingezo- gen würde [Caes. BG 7.33.1]. Mögliche unmittelbare Auslöser sind kaum zu erschließen. Der politische Innendruck kann über äußeren Einfluss oder bereits länger schwelende Familien- fehden ein Ventil gefunden haben.131 Die Tatsache, dass sich einige (wohl prorömische) prin-

128 S. Kap. 8.5, 8.8.

129 Zu den Konsequenzen bei den Senonen s. Kap. 2.7. Die Carnuten sind in diesem Fall nur dem Wort nach Klienten der Remer, die offenbar keinen prorömischen Einfluss ausüben können [Caes. BG 6.4.6]. Gleiches gilt für die Ha- eduer-Senonen-Beziehung. Dass beide Stämme relativ glimpflich davonkommen [Caes. BG 6.4], ist wohl dem Druck zu verdanken, der sich akut aus der Situation bei den Treverern und Eburonen ergibt. Caes. BG 6.5.1–3 zeigt, dass Caesar jetzt Wichtigeres zu tun hat; dennoch statuiert er bei den Senonen durch die Hinrichtung von Acco ein Exempel – nach Erledigung der Eburonen [Caes. BG 6.44]. 130 Gelzer, Caesar 132–133 zur Bedeutung der haeduischen Logistikunterstützung. Vgl. Caes. BG 7.55.1–2 Novio- dunum als Militärbasis; 7.10.3 commeatus; 7.34.1 Sicherung des Getreidenachschubs.

131 Müller, Herrschaft 98, geht davon aus, dass Streitigkeiten bei Wahlen an der Tagesordnung sind. Kraner, Commentarii II, A.7.32.3, vermutet ein von Vercingetorix angezetteltes Zerwürfnis. Zumindest kurze Zeit später haben die Arverner die Hand im Spiel, Caes. BG 7.37.1. - 38 -

cipes an Caesar wenden [Caes. BG 7.33.2], zeugt von größeren innenpolitischen Verschiebun- gen und auch von einer verfassungsrechtlich nicht mehr lösbaren Situation. Caesars Rolle als autoritärer Schiedsrichter in Stammesangelegenheiten trägt aber nicht zur Stabilisierung bei. Sein bevorzugter Kandidat Convictolitavis akzeptiert arvernische Bestechung und erreicht mit der gleichen Methode den Übertritt von Litaviccus auf antirömische Seite [Caes. BG 7.37].132 Vercingetorix muss die Haeduer ebenfalls als Unsicherheitsfaktor in seiner Planung sehen. Zwar eröffnet ihm die antirömische Partei potentiellen Handlungsspielraum und kann letzt- endlich zum Übertritt bewegt werden [Caes. BG 7.37–38], jedoch sind aus strategischer Sicht die Biturigen und Boier als haeduische Klienten nachdrücklich militärisch zu behandeln.133 Zumal bleibt ein Restrisiko: Wie sich zeigt, unterstellen sich die Haeduer nur widerwillig dem Kommando von Vercingetorix [Caes. BG 7.63.9]. Auch behindern Kommunikationsprobleme die Kriegsplanung. Nicht nur besteht die Schwierigkeit des tatsächlichen Nachrichtenaustau- sches mit den Belagerten in Alesia [Caes. BG 7.77.1]; quid in Haeduis gereretur wird wohl auch eine gewisse Unsicherheit den Haeduern gegenüber ausdrücken. Sie waren kurz zuvor gegen die Allobroger in Marsch gesetzt worden [Caes. BG 7.64.5]; man konnte nicht wissen, wie sie sich – besonders im Zusammenhang mit dem aufzustellenden Entsatzheer – weiter verhalten würden. Eine planungssichere Einschätzung der Situation außerhalb von Alesia ist daher nicht gegeben.

3.3.3 Die strategische Geographie als Planungsfaktor Die strategische Geographie Galliens im Jahre 52 bedingt also, dass die beiden großen Gegner ihre militärischen Operationen aus dem Blickwinkel hegemoniespezifischer Interessenslagen ihrer jeweiligen Unterstützer oder Opponenten und den damit einhergehenden logistischen Herausforderungen zu planen haben. Die Haltung zu den Römern bestimmt nicht in jedem Fall die bündnispolitische Disposition der gallischen Stämme; an den Beispielen Aquitanien, dem Carnuten-Senonen-Komplex und den fragmentierten Verhältnissen Belgiums wird deut- lich, dass die Teilnahme an einer antirömischen Koalition auch von den inneren Verhältnissen der jeweiligen Räume gesteuert wird. Die Klientelstämme der gallo-keltischen Sphäre, sofern sie sich einem Hegemon anschlos- sen, haben sich mit Arvernern, Haeduern oder Remern arrangiert [Caes. BG 6.12.6–9]. Der nur schwer zu erfassende Hegemoniebereich der Arverner scheint unverändert ge- blieben zu sein. Von Gegenreaktionen nach der Neuordnung ist nichts bekannt. Vor allem der westliche und südliche Bereich zur provincia hin erfährt keine offensichtlichen Umwälzungen. Die Rolle der Haeduer wird nach dem Ende Ariovists wieder stark aufgewertet. In ihrem Umfeld halten sich in unterschiedlichen Verhältnissen die Ambarrer [necessarii et consangui- nei, Caes. BG 1.11.4], Boier [stipendiarii, Caes. BG 1.28.5, 7.9.6], Bellovacer [in fide atque

132 Rosner, Ordnungsmacht 18–20 sieht Caesars Darstellung dieser Vorgänge als Fallstudie keltischer und römischer Bewältigung des politischen Lebens.

133 S. u. zur strategischen Planung der Koalition. - 39 -

amicitia, Caes. BG 2.14.2]134, Senonen [quorum antiquitus erat in fide civitas, Caes. BG 4.2], Pa- risier [Senonibus civitatemque, Caes. BG 6.3.5], Biturigen [in fide, Caes. BG 7.5.2], sowie Se- gusiaver, Ambivareter135 und (Aulercer) Brannovicen [clientes, Caes. BG 7.75.2]. Fraglich blei- ben die Mandubier.136 Neue und alte Verhältnisse sind tatsächlich aber nicht klar zu trennen. Zumindest die Beziehung Biturigen-Haeduer hat schon länger vorher existiert; es bestehen über Dumnorix‘ Mutter Heiratsverbindungen [Caes. BG 1.18.7].137 Ganz ungeklärt bleibt eine mögliches Verhältnis zu den Helvetiern, zu denen ebenfalls über Dumnorix Heiratsverbindun- gen bestehen. Fraglich ist, ob das ausgedehnte Verwandtschaftsgeflecht des Haeduers – seine Schwestern wurden in andere Stämme verheiratet – jetzt noch eine Rolle spielt [Caes. BG 1.18.7]. Die Remer werden Nutznießer alter Feindschaften. Ungenannte antihaeduische Stämme begeben sich in ihren Schutz. Auch hier sind politisch-chronologisch die neuen Beziehungen nicht erkennbar. Ein sehr loses Verhältnis besteht zu den Carnuten [Caes. BG 6.4.6], die sich von der neuen remischen Machtstellung aber nicht beeindruckt zeigen.

3.3.4 Die politische Geographie als Planungsfaktor Die politische Geographie scheint auf den ersten Blick nicht zum Vorteil für die römische Sei- te nutzbar zu sein. Die gallischen Stämme sind größtenteils antirömisch positioniert und haben trotz drastischer Einbußen militärischer Kapazitäten ihren Kampfeswillen behalten. Prorömi- sche civitates hingegen, wie die (später unzuverlässigen) Haeduer, Remer und Lingonen, sind offensichtlich nicht ausreichend in der Lage oder Willens, Macht zu projizieren, um einschätz- bare Hegemonieräume zu konsolidieren.138 Die Remer können mit ihrer von Caesar eingerichteten Stellung für kein Ende von Kampfhandlungen und Kriegsrüstungen im belgischen Innenraum sorgen [Caes. BG 7.59] und im Jahre 51 nicht einmal das Vorgehen gegen die eigenen Klienten unterbinden [Caes. BG 8.6.2]. Die Carnuten sind ebensowenig davon beeindruckt, in clientela zu sein [Caes. BG 6.3.4, 6.4.5], insbesonders wenn es sich nur um ein von Caesar arrangiertes Verhältnis handelt.139 Die Haeduer haben ihre unter Diviciacus und Dumnorix sichtbar gewordenen inneren Konflikte nicht beigelegt, wie das Versagen innenpolitischer Institutionen und das Auftreten offen antirömischer Kräfte zeigen; Caesars Ordnungsversuch durch Hegemoniegewährung ist

134 Zu den Bellovacern Dobesch, Kelten 253–254, der auf ein relativ lockeres Verhältnis ohne Tributzahlungen schließt. Harmand, Portrait 542, weist auf die unbestimmbare Hierarchie der Beziehung hin.

135 Zur Identifizierung dieses nur bei Caesar vorkommenden Stammes Kraner, Commentarii III, Geogr. Reg. 132; Rice Holmes, CCG 367–368. Zumindest können sie (mit Caes. BG 8.2.1?) im engeren haeduischen Bereich verortet werden.

136 Rice Holmes, CCG 446– 447.

137 Das Verhalten der haeduischen Reiterei [Caes. BG 7.5.4] ist in verschiedene Richtungen interpretierbar: Strategi- sche Überlegungen, antirömische Position, schwankendes Verhältnis der B. zu den Haeduern.

138 Rice Holmes, CCG 24: But supremacy had not hardened into sovereignty; and the leagues were loose, occasional, and uncertain.

139 Harmand, Portrait A.304, 581. - 40 -

kaum erfolgreich.140 Die strategisch wichtigen Biturigen sind für keine der gegnerischen Seiten anfangs wirklich einschätzbar – Vercingetorix versucht es erfolgreich mit militärischem Nach- druck, Caesar verschätzt sich im Entsenden haeduischer Reiter [Caes. BG. 7.5]. Die Boier in Gorgobina, stipendiarii der Haeduer, werden ohne deren Unterstützung möglicherweise von Vercingetorix erobert, was schon rein aus politischen Gründen schwere strategische Nachteile für Caesar haben könnte [Caes. BG 7.9.6–7.10]. Die Senonen an der Peripherie Zentralgalli- ens handeln trotz eines in-fide-Verhältnisses mit den Haeduern [Caes. BG 6.4.3] und überein- stimmender ökonomischer Interessen eigenständig.141 Die Lingonen haben trotz ihrer unerschütterlichen prorömischen Haltung [u. a. Caes. BG 7.9.4] kaum etwas außer selbiger zu bieten. Die logistisch-operative Unterstützung für die Römer im Jahre 52 [Caes. BG 7.9.4, 7.66.2, für das folgende Jahr 8.11.2] ist zwar wertvoll,142 ihre politische Außenwirkung aber wohl durch die Nachbarstämme – im Südwesten die Ha- eduer, im Norden u. a. die Senonen, unmittelbar im Osten eine Art strategischer Hohlraum mit Leucern und noch schwachen linksrheinischen Stämmen – limitiert. Zum geographischen Komplex mit den Treverern, Mediomatricern und den linksrheinischen Germanenstämmen der Vagionen, Nemeter und Tribocer scheint überhaupt keine Verbindung zu bestehen.143 Zentralgallien ist also von Gebieten unterschiedlicher regionaler Sicherheitsdynamiken umgeben. Deren fragile innere Zustände sollten die strategische Geographie dieses Raumes im Jahre 52 maßgeblich beeinflussen.

140 S. Kap. 3.3.2.

141 Zu diesem besonderen Verhältnis s. Kap. 5.1.3.

142 Auch Caesar erfährt angeblich persönliche »Unterstützung« [Tac. hist. 4.55.2].

143 Zu ihrer geographie-politischen Umgebung Rice Holmes, CCG 444 – 445. - 41 -

4. Zentralgallien im Jahre 52 v. Chr.: Aufstand und Krieg

Caesar reist nach Italien, um Gerichtstage abzuhalten.144 Die angespannte politische Situation in Rom verleitet die Gallier zu Kriegsplänen. Führende Gallier halten Geheimtreffen ab [Caes. BG 7.1]. Die Carnuten erklären sich auf einem concilium bereit, den ersten Schlag zu führen. Man will aus Angst vor Verrat keine Geiseln stellen, sichert sich aber durch Eid und Ehrenwort vor den Feldzeichen ab [Caes. BG 7.2].145 Angeführt von Cotuatus und Conconnetodumnus, er- morden sie in Cenabum römische Kaufleute. Die Nachrichten darüber erreichen rasch die um- liegenden Stämme [Caes. BG 7.3]. Bei den Arvernern ruft Vercingetorix seine Klienten zusam- men und hetzt sie auf. Er wird jedoch von seinem Onkel Gobannitio und den übrigen principes aus Gergovia vertrieben.146 Daraufhin findet er andere Gefolgsleute [egentium ac perditorum, Caes. BG 7.4.3]147 und kann seine Gegner aus der Stadt jagen. Mit dem Rückhalt einer großen Streitmacht wird er bei den Arvernern rex. Sofort beginnt Vercingetorix, verschiedene Stämme für seinen Plan zu gewinnen: Senonen, Parisier, Pictonen, Cadurcer, Turoner, Aulercer, Lemo- vicen, Anden und Stämme am Ozean werden dazu gebracht, festgelegte Kontingente an Kämp- fern abzustellen und ihm das imperium zu übertragen [Caes. BG 7.4.6–7]. Nun beginnt die Anwerbung weiterer Stämme. Der außerhalb der provincia Transalpina le- bende Teil der Rutener wird durch das Auftreten des benachbarten Cadurcerfürsten Lucterius zum Bündnisbeitritt überzeugt, ebenso die Gabaler und Nitiobrogen [Caes. BG 7.7.1–2]. Gleich- zeitig marschiert Vercingetorix zu den Biturigen (Cubi), die ihre Schutzherren [in fide, Caes. BG 7.5.2]148, die Haeduer, um Hilfe bitten. Die haeduischen Abteilungen kehren jedoch, angeblich aus Angst vor Verrat, am Grenzfluss Loire um; der erhofften Unterstützung beraubt, schließen sich die Biturigen Vercingetorix an [Caes. BG 7.5.4 –7]. Lucterius versucht mit seiner Streitmacht in die provincia einzufallen. Caesar verlegt darauf- hin Truppen an strategische Punkte an der Provinzgrenze. Der gallische Vorstoß muss abgebro- chen werden.149 Caesar geht zu den Helviern, von wo aus im Winter mühsam die Cevennen

144 Die Nacherzählung des Kriegsverlaufes soll durch in Grenzen gehaltene Fußnotenkommentare ein Verständnis der in der Arbeit vorgebrachten Punkte erleichtern. Ein ausführlicherer Kommentar bei Kraner, Commentarii II. Die selektiven Stellenhinweise sollen möglichst nur Wendepunkte der Handlung bzw. arbeitsrelevante Abläufe anzeigen. Goldsworthy, Caesar 315-342 bietet einen flüssig zu lesenden, im Text kritisch kommentierten und erklärenden Ablauf, auf viele Fragestellungen eingehend Rice Holmes, CCG 129-182.

145 Die Feldzeichen aller Stämme waren wohl in einem eigenen heiligen Bezirk aufgestellt. Kraner, Commentarii II, A.7.2.2.

146 Ungeklärt: Hatte V. zu diesem Zeitpunkt keine eigenen Klienten? War er in seinem Familienverband noch nicht so weit aufgestiegen? Was konnte er seinen neuen Unterstützern versprechen? Vgl. Caes. BG 7.40.7, wo Caesar selbst sagt, die Klienten dürften ihren Schirmherren nicht verlassen.

147 Vgl. Indutiomarus, Caes. BG 5.55.3; Viridovix Caes. BG 3.17.4.

148 Es bestehen Heiratsverbindungen über Dumnorix [Caes. BG 1.18.6].

149 Caes. BG 7.8.1 erscheint dem Autor als »strategische Wahrheit«. Lucterius wird – auf das besondere Sicherheits- interesse der Transalpina bezogen – eine taktische Überlegung unterstellt, die sehr nach Caesars auditor ab extra klingt. Auch das zweite gallische Vorgehen gegen die provincia [Caes. BG 7.64-65] ist eigentümlich durchsichtig. Es kommt zu keinen, vom Leser erwarteten Kampfhandlungen, lediglich zu einer von den Helviern allein geführ- ten Auseinandersetzung mit ihren gabalischen und arvernischen Nachbarn. Die Situation ist ganz verschwommen: - 42 -

überquert werden. Die Arverner sind vom plötzlichen Auftauchen der Römer in ihrem Land überrascht und erwarten von Vercingetorix Hilfe [Caes. BG 7.8].150 Brutus erhält den Auftrag, die Arverner weiter unter Druck zu halten.151 Caesar verlässt kurzentschlossen die Truppe im Arvernerland und marschiert, um sich vor möglichem Verrat zu schützen, in geheimer Mission nach Vienna, wo zuvor aufgestellte Reiterei auf ihn wartet152; rasch geht es durch das Haeduer- land zu den Lingonen, wo zwei Legionen stationiert sind.153 Auch die übrigen Legionen werden versammelt.154 Vercingetorix zieht sich zu den Biturigen zurück und marschiert zur Boierstadt Gorgobina, die er belagert [Caes. BG 7.9]. Bei einem Erfolg besteht die Gefahr, dass durch den Sieg über stipendiarii der Haeduer [Caes. BG 1.28.5] in einer Kettenreaktion weitere Stämme abfallen. Caesar ist in der Zwickmühle. Einerseits soll er den Boiern helfen, andererseits be- fürchtet er große logistische Probleme und die Illoyalität befreundeter Stämme. Caesar hat jetzt insgesamt zehn Legionen zur Verfügung; zwei davon und das schwere Gepäck werden in Age- dincum zurückgelassen, mit den acht anderen marschiert Caesar in Richtung Gorgobina [Caes. BG 7.10].155 Die Römer erreichen Vellaunodunum, eine Stadt der Senonen. Um keinen Feind im Rü- cken zu haben, wird die Stadt belagert. Caesar zieht nach der Übergabe rasch weiter nach Cenabum. Die Carnuten hatten eine Truppe aufgestellt, um die Römer in Vellaunodunum zu behindern. Die Flucht der Bevölkerung aus der Stadt wird nächtens unterbunden, Cenabum eingenommen, niedergebrannt und die Bevölkerung versklavt.156 Caesar rückt zu den Biturigen vor [Caes. BG 7.11].157 Vercingetorix bricht die Belagerung von Gorgobina ab und zieht Caesar entgegen. Caesar greift inzwischen die Biturigenstadt Noviodunum an. Als die Übergabe im Gange ist, trifft ein Vorauskommando an Reiterei von Vercingetorix ein. Unter den Bewohnern Noviodunums regt sich neue Hoffnung und Widerstand, die Römer müssen rasch die Stadt ver- lassen [Caes. BG 7.12]. Dennoch wird die gallische Reiterei durch Caesars germanische Reiter

Warum lehnen die Helvier die Unterstützung der 22 Kohorten ab? Ist dies wieder ein fast üblicher Nachbar- schaftsdisput, der zu Caesars Argument zum Sicherheitsinteresse herangezogen wird?

150 Verdächtig: Ist gar nicht der gesamte Arvernerstamm am Aufstand beteiligt? S. Kap. 5.1.4.

151 Zu Brutus‘ Aktionen erfolgt keine weitere Information; erst bei Alesia taucht er wieder auf [Caes. BG 7.87.1]. Kraner, Commentarii II, A.7.9.2.

152 Welche Reiter – Germanen, Gallier – dies sind, kann nicht gesagt werden, es könnten aber die 400 von Novio- dunum sein. Vgl. A.158.

153 In Caes. BG 7.9.4 kommt wieder zum Ausdruck, dass Caesar den Haeduern misstraut und sogar einen Anschlag fürchtet.

154 Wohl die sechs in Agedincum und die zwei bei den Treverern stationierten Legionen [Caes. BG 6.44.3].

155 Zum Problem Agedincum als Versammlungs- und Abmarschpunkt Rice Holmes, CCG 737-738; Kraner, Commentarii II, A.7.9.5. Beide: Nicht Agedincum.

156 Goudineau, Caesar und Vercingetorix 16-17 zum Problem der Nachverfolgung römischer Truppenbewegun- gen: Cenabum (Orléans) oder Genabum (Gien)? Für Gien, mit dem Argument, Caesar hätte sonst den früheren Überfall auf röm. Kaufleute als Motiv erwähnt. Der Rädelsführer Cotuatus wird schliesslich erst 51 ausgeliefert [Caes. BG 8.38.5]. Kraner, Commentarii II, A.7.17.7 ausführlich, bleibt bei Orléans. Aber: Erst Caes. BG 7.28.4 (Avaricum) erwähnt die Cenabum-Morde als Rachemotiv.

157 Zur Route Caesars aus politischen und militär-logistischen Gründen Kraner, Commentarii II, A.7.11.1. - 43 -

abgewehrt.158 Die Rädelsführer des Widerstandes in Noviodunum werden schließlich ausgelie- fert. Caesar marschiert nach Avaricum, dem mächtigsten der Biturigen [Caes. BG 7.13]. Vercingetorix beruft ein concilium ein, um eine Änderung der Kriegstaktik vorzuschlagen. Er will die Römer vom Proviantnachschub abschneiden und generell eine Taktik der verbrann- ten Erde betreiben [Caes. BG 7.14]. Bald gehen zahlreiche Städte in Flammen auf, um sie nicht in die Hände der Römer fallen zu lassen. Auf Bitten der Biturigen, aber gegen den Rat von Ver- cingetorix, wird Avaricum verschont und auf die Verteidigung vorbereitet [Caes. BG 7.15]. Ver- cingetorix hält Abstand zu den Römern, überfällt jedoch laufend deren Truppen bei der Nach- schubbeschaffung. Avaricum kann nicht durch Wall und Graben eingeschlossen werden, daher werden Damm und Türme errichtet. Durch die Nachlässigkeit der Haeduer und die Schwäche der Boier kommt es bei den Römern bald zu Nahrungsmittelengpässen. Caesar erfährt von einer Truppenbewegung des Vercingetorix und marschiert in dessen Abwesenheit zum Lager, wo er bereits von den Galliern erwartet wird. Die auf einer schwer zugänglichen Anhöhe nach Stam- meskontingenten159 aufgestellten Gallier sind bestens verschanzt. Caesar bleibt vorsichtig und rückt unverrichteter Dinge wieder nach Avaricum ab, um die Belagerung voranzutreiben [Caes. BG 7.19]. Vercingetorix wird aufgrund seiner Abwesenheit in einer gefährlichen Situation Ver- rat vorgeworfen, kann sich aber rehabilitieren; man beschließt, 10.000 Mann nach Avaricum zu schicken [Caes. BG 7.21.2].160 Die Biturigen stören durch allerlei Maßnahmen die römischen Belagerungsaktivitäten, kön- nen aber letztendlich die Stadt nicht halten. Nach einem misslungenen Ausbruchsversuch und schweren Verlusten erreichen nur 800 von 40.000 Mann das Lager von Vercingetorix und wer- den dort auf einzelne Stämme aufgeteilt, um in den eigenen Reihen Unruhen zu verhindern. Vercingetorix muss seine Truppe ob des Verlustes von Avaricum beschwichtigen und berichtet von seinem Plan, die restlichen gallischen Stämme zu vereinen [Caes. BG 7.29]. Durch Ge- schenke und Versprechungen und mit den richtigen Leuten kann Vercingetorix die übrigen Stämme zum Anschluss bewegen. Er lässt sich Truppen stellen, deren Stärke er vorgibt, um die Verluste von Avaricum auszugleichen.161 Teutomatus, Sohn eines romtreuen Nitiobrogenkönigs, stößt mit angeworbenen aquitanischen Reitern zu ihm [Caes. BG 7.31]. Die Legionen erholen sich in Avaricum, bevor die Feldzugssaison beginnt [Caes. BG 7.32.1].162 Bei den Haeduern entwickelt sich eine gefährliche Situation: Ein Streit um die Füh- rung zwischen Cotus und Convictolitavis entsteht, die beide große Anhängerschaft haben. Der

158 400 germanische Reiter, quos ab initio secum habere instituerat [Caes. BG 7.13.1]. Tausend, Caesars germani- sche Reiter 492.

159 Von dieser Ordnung ist jetzt zum ersten Mal die Rede; eigentlich hat Vercingetorix für den Bewegungskrieg equi- tatu expeditisque [Caes. BG 7.18.1].

160 … von denen man aber nichts mehr hört.

161 V. hat offenbar stark mit einem biturigischen Kontingent gerechnet. Bogenschützen verstärken die Gallier; es tritt hier die Waffengattung hervor und nicht wie sonst, ein Stammeskontingent [Caes. BG 7.31.4]. Vgl. Caes. BG 7.36.4 vor Gergovia, wo die sagittarii offenbar ein wichtiges taktisches Element sind.

162 Vorgefunden wird eine große Menge Getreide, wieder ein Hinweis auf den Reichtum der Biturigen. - 44 -

Stamm ist gespalten und steht unter Waffen. Caesar muss wohl oder übel dieses Problem lösen und geht nach Decetia, wo sich die streitenden Parteien versammeln. Man stellt fest, dass Cotus verfassungswidrig gewählt worden ist und zwingt ihn zum Rücktritt [Caes. BG 7.32–33]. Caesar verlangt von den Haeduern ihre gesamte Reiterei und 10.000 Mann Fußtruppen. Vier Legionen marschieren unter Labienus zu den Senonen und Parisiern, sechs führt Caesar selbst gegen Ger- govia. Vercingetorix folgt ihm am anderen Ufer des Flusses Elaver. Die Gegner behalten sich im Auge. Vercingetorix‘ Anwesenheit hindert die Römer am Flussübergang. Durch ein Täu- schungsmanöver gelingt schließlich die Überquerung. Vercingetorix eilt angesichts der Lage vo- raus nach Gergovia [Caes. BG 7.35]. Caesar erreicht kurz darauf ebenfalls das oppidum. Auf- grund der Lage kann die Stadt nicht sofort gestürmt werden. Vercingetorix hat seine Truppen bereits positioniert, ständig gibt es kleinere Gefechte. Ein strategisch wichtiger Hügel wird von den Römern genommen und befestigt. Die Belagerung beginnt.163 Inzwischen war der von Caesar im Amt bestätigte Haeduer Convictolitavis von den Arver- nern bestochen worden und plant den Absprung; er spricht sich mit Litaviccus ab, der das Kommando über die 10.000 Mann Unterstützung für Caesar übernimmt [Caes. BG 7.37]. Litavi- ccus gelingt es, durch die falsche Behauptung von der Hinrichtung von Eporedorix und Virido- marus, die Haeduer zum Abfall zu bewegen; mitziehende Römer werden ausgeplündert und ermordet [Caes. BG 7.38]. Eporedorix jedoch, Parteigänger von Convictolitavis, berichtet Cae- sar von den Vorkommnissen. Caesar marschiert daraufhin eilig den heranrückenden Haeduern mit vier Legionen entgegen, die die vermeintlich hingerichteten Eporedorix und Virodomarus erkennen. Somit ist der Betrug des Litaviccus aufgedeckt, er flieht mit seinen Klienten nach Gergovia [Caes. BG 7.40]. Caesar erfährt inzwischen, dass die Truppen vor Gergovia durch dauernde Angriffe der Gal- lier schwer in Bedrängnis geraten waren und kehrt in Eilmärschen zurück. Die Haeduer unter Convictolitavis sind weiterhin in Aufruhr; der Verrat des Litaviccus ist noch nicht durchschaut. Römische Truppen und Kaufleute werden angegriffen und ausgeplün- dert [Caes. BG 7.42]. Nachdem die Haeduer dann doch von der neuen Lage erfahren, machen sie vor Caesar ei- nen Rückzieher, gleichzeitig aber versuchen Gesandte, die übrigen Stämme gegen die Römer aufzustacheln [Caes. BG 7.43.3]. Caesar sieht sich in Bedrängnis und überlegt, wie er das Ge- samtheer vereinigen kann, ohne dass der Abzug von Gergovia nach Flucht aussieht. Caesar ent- deckt, dass ein bisher befestigter Hügel verlassen war. Die gallische Besatzung war abgezogen worden, um eine Schwachstelle im Zugang zu Gergovia zu verstärken. Ein groß angelegtes Täu- schungsmanöver der Römer soll daraufhin einen Handstreich vorbereiten: Die Gallier beobach- ten hektische Truppenbewegungen und Reiterei, deren Absichten sie jedoch nicht erkennen. Sie ziehen ihre Kräfte am vermeintlichen Angriffspunkt zusammen. Caesar lässt seine Legionen in

163 Was und wie eigentlich genau belagert wird, ist unklar. Es kommt zu keinen Kämpfen direkt gegen die Stadt(mauer), nur gegen die außerhalb lagernden gallischen Truppen. Goudineau, Caesar und Vercingetorix 32-35, mit Karte, zu problematischen Grabungsergebnissen. Deutlich wird eher eine durch einen Doppelgraben befestigte Stellung südlich von Gergovia. - 45 -

Gruppen ins kleinere Lager marschieren. Das haeduische Kontingent wird ebenfalls vorge- schickt. Der Hügel von Gergovia wird gestürmt, rasch ist man an der ersten Mauer, die die um die eigentliche Stadtmauer positionierten Lager der Stämme schützen soll [Caes. BG 7.45– 46]. Caesar sieht sein Ziel vorerst erreicht und bläst zum Abbruch.164 Jedoch wird das Trompe- tensignal bei den anderen Legionen nicht gehört, und so beginnt man bereits, die Stadtmauern zu stürmen. Die Römer werden jedoch zurückgedrängt; die verbündeten Haeduer tauchen auf, werden aber im Schlachtengewirr für Feinde gehalten. Ein römischer Entlastungsangriff zeigt Wirkung; Vercingetorix zieht sich hinter seine Verschanzungen zurück. Wieder stellt Caesar seine Legionen auf und bietet die Schlacht an. Vercingetorix geht nicht darauf ein, auch nicht am zweiten Tag. Caesar sieht sich in einer starken Position und bricht ins Haeduerland auf. Ver- cingetorix verfolgt ihn nicht [Caes. BG 7.47–53]. Litaviccus hat noch nicht aufgegeben und plant, die Haeduer weiter aufzuwiegeln. Virido- marus und Eporedorix wollen einen endgültigen Abfall der Haeduer verhindern [Caes. BG 7.54]. Ein Verdacht Caesars sollte sich bestätigen. Die beiden hören in Noviodunum, dass der Großteil der Haeduer mit Convictolitavis zu Litaviccus übergelaufen ist und Gesandte zu Ver- cingetorix schicken. Sie ergreifen die Gelegenheit und verwüsten Noviodunum, einen der wichti- gen Stützpunkte der Römer mit der Provinzkasse, Kriegsmaterial, Getreide und Pferden [Caes. BG 7.54 –55]. Caesar sieht sich ernsthaft bedrängt. Er überrascht jedoch wiederum die Gallier durch sei- nen raschen Vormarsch. Eine schwierige Flussüberquerung über den Liger wird gemeistert. Die Legionen setzen sich ins Senonengebiet in Marsch, da dort am ehesten Versorgung gewährleis- tet ist. Labienus zieht mit vier Legionen nach Lutecia, der Hauptstadt der Parisier. Die Gallier zie- hen rasch Truppen aus Nachbarstämmen zusammen, unter der Führung des Aulercers Camu- logenus.165 Man bringt sich bei einem Sumpfgebiet in Stellung [Caes. BG 7.57]. Labienus be- schlagnahmt fünfzig Schiffe in der Senonenstadt Metlosedum, überquert den Fluss und vertreibt die zurückgebliebenen Einwohner. Die zuvor abgerissenen Brücken werden instand gesetzt und man kann weiter nach Lutecia marschieren. Die Stadt wird von den Galliern selbst niederge- brannt; sie verlassen ihre Positionen im Sumpfgebiet und nehmen am Ufer der Sequana gegen- über Labienus‘ Lager Stellung [Caes. BG 7.58]. Die Gallier glauben sich in einer vorteilhaften Situation: die Haeduer abgefallen, Caesar in Versorgungsschwierigkeiten. Die ohnehin unzuver- lässigen Bellovacer rüsten nun offen zum Krieg. Labienus muss die Eroberungspläne aufgeben und sehen, wie er heil nach Agedincum zurückkehren kann [Caes. BG 7.59]. Dies gelingt durch ein groß angelegtes Täuschungsmanöver. Die Gallier glauben nun, die Legionen setzten an drei Stellen der Sequana gleichzeitig über und seien auf der Flucht. Sie teilen ihre Truppen in drei

164 Caesar registriert wohl, dass Gergovia nicht einfach zu erobern sein würde und bricht ab, wohl auch im Hinblick auf spätere Pläne zur Wiederaufnahme von Beziehungen mit den Arvernern.

165 Benachbart sind die (Aulercer) Eburovicen; zu welchen Aulercern Camulogenus tatsächlich gehört, kann nicht ge- sagt werden. - 46 -

Kontingente, werden aber niedergekämpft, ihr Anführer Camulogenus getötet. Labienus kehrt nach Agedincum zurück und führt seine Streitkräfte zu Caesar [Caes. BG 7.60–61]. Durch den Abfall der Haeduer gewinnt der Krieg an Ausdehnung. Haeduische Gesandt- schaften hetzen die Stämme auf; als Druckmittel dienen die Geiseln, die ursprünglich Caesar zu- rückgelassen hatte. Man beansprucht die Führungsrolle und setzt nach einem Streit eine große Versammlung in Bibracte an [totius Galliae concilium, Caes. BG 7.63.5]. Dort wird jedoch Ver- cingetorix als Oberbefehlshaber bestätigt, die Haeduer gehorchen unwillig. Geiseln werden gestellt, 15.000 Mann Reiterei zusammengezogen. Haeduer und Segusiaver sollen mit insgesamt 10.000 Mann und 800 Reitern die Allobroger in der provincia überfallen; Gabaler und Teile der Arverner sollen gegen die Helvier vorgehen und die Rutener und Cadurcer gegen die arecomischen Volcer. Außerdem wird gleichzeitig versucht, die Allobroger durch Bestechung zum Übertritt zu verleiten [Caes. BG 7.64]. Die Provinz bietet zur Abwehr 22 Kohorten auf. Die Helvier unternehmen einen Alleingang gegen ihre Nachbarn166, werden aber rasch geschlagen, die Allobroger hingegen können ihr Ge- biet sichern. Da aber keine Hilfe zu erwarten ist, schickt man nach germanischer Reiterei und leichtbewaffnetem Fußvolk [Caes. BG 7.65].167 Caesar marschiert von den Lingonen zu den Se- quanern, in Richtung provincia. Die große gallische Streitmacht schlägt zehn Meilen entfernt drei Lager auf.168 Vercingetorix hält eine Rede und erweckt den Eindruck, die Römer würden Gallien räumen; alle sprechen sich Mut für die finale Auseinandersetzung zu [Caes. BG 7.66]. Beide Parteien teilen ihre Reitereien in je drei Abteilungen. Gleichzeitig kommen sie an allen drei Fronten zum Gefecht. Die Germanen, mit denen Vercingetorix offensichtlich nicht gerech- net hatte, behalten die Oberhand und verfolgen die Gallier bis zu deren Lager. Einige promi- nente Haeduer werden gefangengenommen: Cotus, Cavarillus, Befehlshaber der Fußtruppen nach Litaviccus, und Eporedorix169 [Caes. BG 7.67]. Vercingetorix zieht sich mit den Fußtruppen in Richtung Alesia zurück170 und wird dabei von den Römern hart bedrängt.171 Am folgenden Tag schlägt Caesar vor Alesia das Lager auf und beginnt, das Oppidum mit Wall und Graben einzuschließen [Caes. BG 7.68]. Vercingetorix entsendet die gallischen Reiter zu ihren Stäm-

166 Vgl.A.149.

167 Wohl die Ubier. Tausend, Caesars germanische Reiter 497.

168 In drei Lagern, trinis castris [Caes. BG 7.66.2]. Die Bedeutung Stelle ist umstritten. Kraner, Commentarii II A.7.66.2 sieht den Grund in der Dreifachteilung der Reiterei Caes. BG 7.67.1; Reddé, Alesia 41 erkennt durch einen Stellenabgleich die Bedeutung »drei Tagesmärsche«. Die meisten Übersetzungen haben aber die og. drei Lager (Blümel, Schönberger, deißmann).

169 Nicht der mit Viridomarus zusammen genannte, sondern ein princeps gleichen Namens, der die Haeduer im Kampf gegen die Sequaner vor dem Auftreten Caesars angeführt hatte.

170 Zur Wahl von Alesia Rice Holmes, CCG 801, etwas unbestimmt. Vercingetorix wird wohl in erster Linie daran zu denken haben, wie er sein Heer zusammenhält.

171 Kraner, Commentarii II A.7.66.1 sieht ein planmäßiges Vorgehen von V., der Alesia zur Aufnahme seiner Streitmacht vorbereitet habe. Der Verf. kann das nicht erkennen: Die Verfügung über ein oppidum der haeduisch kontrollierten Mandubier, ein von V. befehligtes Heer mit gesamtgallischen Kontingenten im Haeduerterritorium (!) und die offenbar ganz andere Planung bis zum verlorenen Reitergefecht sprechen dagegen. - 47 -

men, um Verstärkung zu holen. Er ist sich des absehbaren Nahrungsmangels für 80.000 Mann bewusst und beschließt Rationierungen [Caes. BG 7.71].172 Bei einer Versammlung entscheiden die Gallier, von jedem Stamm ein bestimmtes Kontin- gent aufzustellen, und nicht wie von Vercingetorix verlangt, alle waffenfähigen Männer [Caes. BG 7.75]. Der Atrebate Commius befindet sich ebenfalls auf Seiten der Aufständischen. 8.000 Reiter und 248.000 Mann Fußtruppen werden im Haeduergebiet gemustert.173 Den Oberbefehl haben Commius, Viridomarus, Eporedorix und der Arverner Vercassivellaunus, ein Vetter von Vercingetorix. Ausgewählte Männer aus allen Stämmen bilden den Kriegsrat. Überzeugt von der eigenen Stärke zieht man nach Alesia [Caes. BG 7.76]. Dort geht das Getreide zur Neige, das Entsatzheer taucht nicht auf. Die Kriegsuntüchtigen müssen Alesia verlassen, ebenso die Mandubier; diese werden von Caesar jedoch nicht durch den Wall gelassen.174 Endlich erscheint das Entsatzheer. Die Belagerten schöpfen Mut und be- reiten sich zur Schlacht vor [Caes. BG 7.79]. Caesar stellt sein Heer auf und lässt die Reiterei den Kampf eröffnen. Nach längerem, Hin- und-Her entscheiden die Germanen die Schlacht, nachdem sie die Gallier an mehreren Stellen zurückwerfen können; die aus dem oppidum gekommenen Gallier müssen sich ebenfalls zurück- ziehen. Um Mitternacht greift das gallische Entsatzheer erneut den Wall an, ebenso führt Ver- cingetorix seine Truppe aus der Stadt. Die Römer halten den Abschnitt. Die Gallier können die Schanzen nicht überwinden und erleiden hohe Verluste. Der Angriff ist schlecht koordiniert: Vercingetorix braucht zum Füllen der Gräben zu lange und muss sich unverrichteter Dinge zu- rückziehen, als das Entsatzheer zurückgedrängt wird. Nach zweimaligem Rückschlag ändern die Gallier die Taktik. 60.000 Man unter Vercassivellaunus gehen gegen ein in ungünstigem Gelän- de gelegenes Legionslager vor, gleichzeitig greift der andere Teil des Entsatzheeres mit Reiterei und Fußtruppen den Wall an. Vercingetorix rückt ebenfalls aus der Stadt. Die weitläufige Anla- ge bereitet den Römern, die sich plötzlich an mehreren Orten zugleich verteidigen müssen, Schwierigkeiten. Beide Parteien stehen vor der Entscheidung. Die Römer sind bei den Befesti- gungen gegen Vercassivellaunus in Bedrängnis. Caesar schickt Labienus mit sechs Kohorten zur Verstärkung. In der Ebene können sich die Gallier nicht durchsetzen und greifen nun an den ab- schüssigen Stellen den Wall an. Brutus wird mit einigen Kohorten zum Entsatz geschickt, Caesar selbst folgt mit frischen Reserven. Bald hat man die Lage unter Kontrolle. Jetzt gilt es, Labienus zu unterstützen, der inzwischen elf Kohorten zusammengezogen hat. Caesar eilt mit vier Kohor- ten und Reiterei heran. Im Rücken der Gallier taucht germanische Reiterei auf. Der gallische

172 S. Kap. 6.4 zur Logistik.

173 Zur Lesung der Stelle Caes. BG 7.75 und der Schlussfolgerung aus den Zahlen Klotz, VII75.

174 Dio 40.40.3 schreibt, dass sie alle umgekommen wären. Suerbaum, Mandubier vor Alesia 17-23, kritisch zu den verschiedensten Forschungspositionen, vor allem aus Sicht von Caesar-Kommentaren. Caesar ist mit einer klaren Stellungnahme zu ihrem Schicksal vielleicht auch im Rückblick auf die Usipeter-Tenkterer-Episode (Pelling, Kommentar zu Plut. Caes., 252) am Rhein vorsichtig geworden. Die harte Zurückweisung der M. wird sich wohl aus Überlegungen zu Versorgung, Verrat und Steigerung des Drucks in Alesia selbst ergeben haben. Übertrieben apologetisch Kraner, Commentarii II, A.7.78.5. Aber auch die Gallier halten an solchen Überlegungen fest und befreien sich gegebenenfalls von den Schwachen [Caes. BG 8.14.1]. Reddé, Alesia 52 weist abenteuerliche morali- sche Betrachtungen über die Ausweisung zurück und führt die Sache auf übliche Verhaltensweisen zurück. - 48 -

Angriff bricht zusammen, alles flieht oder zieht sich ins oppidum zurück. Die Römer müssen sich aufgrund ihrer Erschöpfung zurückhalten, dennoch wird die gallische Nachhut von der Reiterei angegriffen und weiter dezimiert [Caes. BG 7.81–88]. Vercingetorix erkennt die Aussichtslosigkeit seiner Lage und lässt die Bedingungen zur Waf- fenniederlegung aushandeln. Die Gefangenen werden als Sklaven auf die Legionäre aufgeteilt. Nur die Arverner und Haeduer bleiben verschont, da sie für Caesars gallische Neuordnung noch eine Rolle spielen sollten [Caes. BG 7.89–90].175

175 S. Kap. 8.9. BELLOVACER  R E M E R Noviodunum MEDIOMATRICER

100 KM SUESSIONEN Matrona fl. Lutetia  MELDER

Agedincum 

 L I N G O N E N Vellaunodunum  Cenabum

 Liger fl. Alesia

ANDEN  Vesontio Avaricum  Decetia

   Gorgobina Bibracte  Cabillonum

P I C T O N E N

Matisco 

 Genava

Lugdunum  SANTONEN  Gergovia  SEGUSIAVER Vienna

Arar fl.

VELLAVIER

GABALER

A Q U I T A N I E N Caesar

Karte 2: Zentralgallien im Jahre 52 v. Chr. - 50 -

5. Gallier und Römer: Kriegsgegner

5.1 Die gallische Koalition des Jahres 52

5.1.1 Die Phasen der Koalitionsbildung

ƒ Phase I Mehrere geheime concilia in einem kleinen Kreis antirömischer principes bilden den Auftakt zum großen Aufstand des Jahres 52 [Caes. BG 7.1.4]. Welche Personen dies genau sind, lässt sich nicht sagen. Man kann vielleicht aus der Tatsache, dass man von einer Geiselstellung ab- sieht, darauf schließen, dass die Anwesenden nicht mit dem ganzen Rückhalt ihrer Stämme rechnen können. Die Motive werden nicht nur in Freiheitsliebe und Herrschsucht zu finden sein [Caes. BG 7.1]. Auch wirtschaftliche Existenzfragen spielen wohl eine Rolle. Legionen müssen versorgt werden; aus Vertrauens- und Effizienzgründen wird die gallische zunehmend durch germanische Reiterei ersetzt, was den Verlust einer lukrativen Tätigkeit bedeutet; wei- ters werden Geiselstellungen, insbesondere die Mitführung nach Britannien, das Ehrgefühl verletzt haben; und schließlich würde sich bei einem Sieg Caesars auch die Innenpolitik eines Stammes ändern.176 Offiziell werden Arverner nicht dabei gewesen sein177, auch Vercingetorix scheint unab- hängig von der Carnutenverschwörung zu agieren. Hinweise auf mögliche Teilnehmer bzw. in- nere Verhältnisse bei den Stämmen, die eben einzelne principes zur Verschwörung motivieren, sind spärlich. à So sind u. a. die Pictonen nicht grundsätzlich pro- bzw. antirömisch.178 à Immer wieder bekämpfen einzelne principes die Römer und sind – obwohl teilweise erst im Commentarius VIII genannt – schon früher aktiv: Drappes [Caes. BG 8.30.1]179, Surus [Caes. BG 8.45.2], Lucterius [Caes. BG 7.5.1]. à Anden und Turoner sind wohl mit den Carnuten verbunden, wobei die Art des Verhältnis- ses nicht genannt wird [Caes. BG 2.35.3]. Dumnacus, dux der Anden, geht gegen die jetzt wieder römerfreundlichen Pictonen vor. Sein Heer scheint aus Resttruppen, darunter auch Carnuten, zu bestehen [Caes. BG 8.31.1–2].180 Die Anwesenden vereinbaren ein allgemeines concilium. Auf dieser Versammlung entschei- den die Carnuten, den Aufstand zu beginnen und schlagen gegen römische Kaufleute los

176 Zu diesen Motiven bes. Urban, Gallia rebellis 25-26.

177 Dobesch, Zu zwei Daten 765 geht davon aus, dass sie sich bis Vercingetorix streng romtreu verhalten haben. Caesar hätte wohl jede Gegenbewegung als Abfall gewertet, vgl. Caes. BG 6.3.4 zum Fernbleiben der Senonen.

178 Caes. BG 3.11.5, 8.26.1; vgl. 7.75.3, nur 8.000 Mann. Ausführlicher s. Kap. 8.5.

179 Der Senone Drappes hat vielleicht auch schon früh im Aufstand Labienus bei seinen Operationen behindert. Ri- ce Holmes, CCG 134; Gelzer, Caesar 130. Aufgrund seiner Truppe aus perditis hominibus, servis [Caes. BG 8.30.1] hätte er wohl keine Geiseln stellen können.

180 S. Kap. 8.5. - 51 -

[Caes. BG 7.3].181 Caesar benennt die Rädelsführer, Cotuatus182 und Conconnetodumnus [des- peratis hominibus, 7.3.1]. Gleichzeitig entsteht durch die Stelle der Verdacht, dass es sich nicht um einen wirklich substantiellen Angriff handelt, sondern hier eine isolierte Aktion von Ver- schworenen abläuft, und dies eigentlich ohne große Konsequenzen, denn es erfolgen keine er- kennbaren Kriegsvorbereitungen durch den ganzen Stamm. Es dauert einige Zeit, bis Caesar zu einer Strafaktion erscheint [Caes. BG 7.11]. Erst als Vellaunodunum belagert wird, rüsten die Carnuten eine Hilfstruppe für die Senonen aus, die aber anscheinend nicht mehr zum Ein- satz kommt [Caes. BG 7.11.4].

ƒ Phase II Vercingetorix tritt auf. Innerhalb der Arverner wird versucht, antirömisches Agieren nieder- zuhalten. Nachdem sich Vercingetorix aber durchsetzen kann, gewinnt die Aufstandsbewe- gung an Umfang und kommt in Gang. Senonen, Parisier, Pictonen, Cadurcer, Turoner, Auler- cer183, Lemovicen, Anden und weitere, ungenannte Stämme der Ozeanküste sind die ersten, die sich anschließen [Caes. BG 7.4.6]. Vercingetorix erhält einstimmig das imperium [Caes. BG 7.4.7], es folgen Geiselstellung und Befehle zur Rüstung. Durch militärischen Druck werden weitere Stämme zum Anschluss gebracht: im Süden die der provincia Transalpina angrenzen- den Stämme [Caes. BG 7.7], nördlich der Arverner die geographisch in das Aufstandsgebiet hineinreichenden und bisher in fide der Haeduer stehenden Biturigen [Caes. BG 7.5]. Die Bindung der Haeduer an Caesar zeigt hier erste Risse; haeduische Hilfstruppen machen aus nicht ganz geklärten Umständen einen Rückzieher, vielleicht aus Loyalität der gallischen Sa- che gegenüber, vielleicht scheuen sie auch davor zurück, in Anbetracht der Dimension des Aufstandes innere Spannungen auszulösen. Die Formulierung simili ratione [Caes. BG 7.4.1] gibt, in Kombination mit den Ereignissen um Vercingetorix und seine Vertreibung aus Gergovia [Caes. BG 7.4.1–2], einen Hinweis zur Dimension der Verschwörung in Phase I: Wenn beide Aktionen auf ähnliche Weise entstan- den sind, handelt es sich tatsächlich um den Aufstand einzelplanender, antirömischer prin- cipes, noch ohne breiten Rückhalt im Stamm. Außerdem wird bereits mit dem Fortschritt in Phase II deutlich, dass die Carnutenverschwörung ein unabhängiges Ereignis bleibt. In den folgenden Kapiteln wird Caesar diese erste coniuratio nie im Zusammenhang mit Vercinge-

181 Urban, Gallia rebellis 23 bemerkt völlig richtig die militärische Nutzlosigkeit. Das Vorgehen scheint eher gegen die neue wirtschaftliche Konkurrenz gerichtet. Das korreliert durchaus mit der Einschätzung der Carnutenver- schwörung als eine von sich benachteiligt fühlenden Einzelpersonen getragene Abmachung. Ebd., 25-26. Cotuatus wird später an Caesar ausgeliefert und hingerichtet; der Hergang der Auslieferung [Caes. BG 8.38] bestätigt wie o.g.

182 Zu Cotuatus oder Gutruatus an dieser Stelle Kraner, Commentarii II, A.7.3.1.

183 Welche(r) der vier Aulercer-Stämme (Brannovicen, Diablinten, Cenomaner, Eburovicen) gemeint ist/ sind, bleibt ungeklärt. Die nur bei Caesar erwähnten Brannovicen (bzw. Blannovii?) sind Klienten der Haeduer und sitzen zwischen Arvernern und Haeduern östlich der Loire; die anderen Stämme siedeln nördlich der Anden und Carnu- ten in Aremorica. Rice Holmes, CCG 393, zur Lokalisierung. Ebd. und auch bei Kraner, Commentarii II, A.7.4.6 u. III, Geogr. Reg. 135 wird das Zuordnungsproblem übergangen. Liest man die caes. Aufzählung als geo- graphischen Hinweis, sind wohl die aremoricanischen Aulercer gemeint. S. a. A.187. - 52 -

torix erwähnen. Bei den Carnuten wird der Aufstand zwar begonnen, hat aber keine weitere direkte Auswirkung. Die evozierte Verbindung des geheimen Treffens mit der späteren ge- samtgallischen Erhebung ist der Darstellung Caesars geschuldet, dessen Erzählökonomie die Dramatik vorantreiben will.184

ƒ Phase III Die Koalition muss sich jetzt mit der Sicherung ihrer Teilnehmer auseinandersetzen, die von Caesar der Reihe nach angegriffen werden: Senonen, Carnuten [Caes. BG 7.11], Biturigen [Caes. BG 7.12], Senonen und Parisier [Caes. BG 7.34, 7.57–59], Arverner (Gergovia) [Caes. BG 7.36]. Vercingetorix versucht, durch eine Taktikänderung die Stämme auf Linie zu halten [Caes. BG 7.14]. Er muss sich nach einer umstrittenen Entscheidung bei Avaricum als Führer erst rehabilitieren, bevor an weitere Aktionen gedacht werden kann [Caes. BG 7.20]; ebenso steht er nach dem Fall der Biturigenstadt unter Rechtfertigungsdruck [Caes. BG 7.30].185 Das Bündnis muss sich neu ausrichten, Versuche der Erweiterung werden unternommen [Caes. BG 7.31]. Laufend erfährt die Koalition jetzt auch Verstärkung aufgrund früherer Maßnah- men. Der Nitiobrogenkönig Teutomatus hat sein Kontingent aus eigener Reiterei und ange- worbenen Aquitanern aufgestellt und stößt zu Vercingetorix [Caes. BG 7.7.2, 7.31.5].186

ƒ Phase IV Die Haeduer fallen auf Betreiben der Arverner endgültig von Caesar ab [Caes. BG 7.42, 7.55]. Ihre Klienten waren bereits zu Vercingetorix übergetreten; der Seitenwechsel ist der nächste große Schub für das Aufstandsbündnis. Vercingetorix wird am totus Galliae concilium als Oberbefehlshaber bestätigt. Während sich Vercingetorix mit seinen Truppen nach Alesia zurückgezogen hat und dort belagert wird, vergrößern die übrigen Anführer auf seine Anweisung hin das Koalitionsheer [Caes. BG 7.71.2]. Die Zahl der zu stellenden Truppen wird festgelegt, jedoch werden aus lo- gistischen Überlegungen nur bestimmte Kontingente pro Stamm vorgeschrieben [Caes. BG 7.75.1], eigentlich gegen den ursprünglichen Auftrag. Aufgrund der Größe von 248.000 Mann wird das Entsatzheer nach der Musterung im Haeduerland mehreren Kommandanten und de- ren Kriegsräten unterstellt [Caes. BG 7.76.3– 4]: à Haeduer und die abhängigen Segusiaver, Ambivareter, (Aulercer) Brannovicen stellen 35.000 Mann;187

184 Vgl. ähnliches für Belgium und die Aquitanien-Episode. Beide Male erscheinen Verschwörungen bzw. Bündnisse erzähltechnisch größer, als sie dann in direkten Konfrontationen sind.

185 10.000 Mann Unterstützung für die Biturigen waren aus Begeisterung für die Sache beschlossen worden [Caes. BG 7.21.3]; zu ihrem Einsatz s. A.210.

186 An und für sich keine relevante Information zu den Vorgängen; aufgrund des amicus-Verhältnisses von Teuto- matus‘ Vater Ollovico mit Rom kann Caesar damit natürlich nicht zurückhalten. Das anekdotenhafte Einfügen von T.‘s halbnackter Flucht beim Mittagsschlaf [Caes. BG 7.46.5] kann sich C. verständlicherweise auch nicht ver- kneifen.

187 Die Lesung dieser Stelle wird diskutiert, da sowohl die Brannovicen als auch die (substituierten) Blannoviis aus- schließlich bei Caesar vorkommen. Eine totale Mischform erscheint als Brannovier in der Caesar-Übersetzung von - 53 -

à Arverner, in Verbindung mit den Eleutetern, Cadurcern, Gabalern, Vellaviern 35.000; à Sequaner, Senonen, Biturigen, Santoner, Rutener, Carnuten je 12.000; à Bellovacer, Lemovicen188 je 10.000 (die Bellovacer stellen letztendlich nur 2.000 Kämpfer); à Pictonen, Turoner, Parisier, Helvetier je 8.000; à Suessionen, Ambianer, Mediomatricer, Petrocorier, Nervier, Moriner, Nitiobrogen, (Aulercer) Cenomaner je 5.000; à Atrebaten 4.000; à Veliocasser, Viromanduer, Anden, (Aulercer) Eburovicen je 3.000;189 à Rauracer und Boier je 2.000; à 10.000 Mann gesamt von den Stämmen Aremoricas (Coriosoliten, Redonen, Ambibarier, Caleten, Osismer, Veneter, Lexovier, Uneller).190 Die Koalition hat jetzt ihre größte Ausdehnung erreicht, gleichzeitig wird die Abgrenzung deutlich. Remer, Lingonen und Treverer sind nicht mit dabei, ebenso fehlen die aquitanischen Stämme, linksrheinische Germanen und Leucer. Remer und Lingonen – vielleicht mit den Leucern als Klienten – verhalten sich romtreu, die Treverer stehen unter Germanendruck [Caes. BG 7.63.7]. Die Aquitaner sind in ihrem eigenen Aktionsraum gleichsam abgeschlos-

K. Blümel. Kraner, Commentarii II, KA 7.75.2 erwartet keine Gewissheit. Als Haeduerklient wird die von den nördlichen Aulercern weit abgelegene Untergruppe vorsichtig an der Loire und nördlich der Segusiaver loka- lisiert. Ebd., Geogr. Reg. 135.

188 Klotz, VII75 396 zur doppelten Nennung in einigen Mss. und den Ausschließungsgründen.

189 Die Nennung hier und überhaupt ist unsicher. Klotz, VII75 394 kann das Fehlen in den Mss. eigentlich nicht erklären. Der Verf.: Die Viromanduer haben bei der Nervierschlacht gegen zwei Legionen gekämpft [Caes. BG 2.23.3], die Verluste könnten zu hoch gewesen und das Kontingent für Alesia bei den Nerviern untergekommen sein. Ihre potentielle Mannstärke war 5.000 [Caes. BG 2.4.9]. Die Anden sind – wie allerdings auch die Pictonen und andere – von Anfang an bei Vercingetorix [Caes. BG 7.4.6]. Wir wissen nichts über die inneren Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt; sie treiben ihr eigenes (Widerstands-)Spiel gegen die Pictonen [Caes. BG 8.26.2]. Die Anden produzieren mit ihrer (Nicht-)Erwähnung in Caes. BG 7.75.5 ein ganz eigenes Problem: Einige Ausgaben kennen sie an dieser Stelle (Kraner, Commentarii II, KA 7.75.3 zum Überlieferungsproblem, ebenso Klotz, VII75 396), andere überhaupt nicht (Schönberger, Tusculum-Ausgabe 711 vergleicht verschiedene Editionen, wider- spricht sich aber auch selbst, wenn er die Suessionen als romtreu bezeichnet, da diese bei der (zuvor gar nicht er- folgten!) Anden-Lesung an der Koalition Caes. BG 7.75 nicht teilnehmen würden (ebd., Anmerkungen 709), aber in seinem Text sind; Rice Holmes, CCG 840 gibt Schreibweisen und legt sich nicht fest. Holder, Alt-Celtisch 140 u. 146 hält überhaupt Andecavi für die richtige Form. Das Chaos kann hier nicht aufgelöst werden, Schlussfol- gerungen aus jedweder Lesung müssen daher unterbleiben.

190 Truppenstärke und Stammesnamen sind nach Klotz, VII75 397-398 u. Kraner, Commentarii II, 7.75 einge- richtet. Beider Argumente können hier aus Platzgründen nicht erläutert werden; nur bündnisrelevante Umstände kommen zur Sprache. Es fehlen aus offensichtlichen Gründen auch Atuatuker [Vernichtung Caes. BG 2.33], Mandubier, Menapier (zu weit entfernt). Klotz, VII75 394. Zu den Zahlen: Klotz, VII75; skeptisch bis ableh- nend zu Caesars Angaben Sommer, RG I 492 A.88. Ansatz des Verfassers: Eine glatte Unwahrheit sollte Caesar nicht unterstellt werden, aber eine Art »konsensueller Übertreibung«. Die Einschätzung der Zahlen kann sich nach der ebenfalls vom Verf. vorgeschlagenen Lesung der belgischen Truppenzahlen richten, nämlich die in Caes. BG 2.4 angegebene potentielle Kampfstärke, wie sie von Caesars Informanten mitgeteilt wird. In gleicher Weise ist davon dann in der Schlacht nichts zu sehen; vor Alesia kommen 60.000 Mann zum Einsatz [Caes. BG 7.63.4], wobei das gesamte 248.000er-Aufgebot zuvor einen (?) Hügel besetzt hatte. Der Verf. kennt die Topographie von Alesia aus eigener Anschauung. Für 248.000 Mann und Reiterei ist dort einfach kein Manövrierplatz. Vielleicht ist das Ganze auch noch strenger zu sehen: Die 60.000 sind das gesamte Entsatzheer, das die gut verschanzten Römer nur an einzelnen Punkten bedrängen kann, da die gallische Führung die Neuartigkeit der eigenen Aufstel- lung [Caes. BG 7.80.3, vgl. dazu Kap. 5.1.4] nicht effizient zu nutzen versteht. - 54 -

sen, wofür sicherlich das außenpolitische Umfeld jenseits der Grenzen (Pyrenäen, Garonne, provincia) sorgt und scheinen generell an innergallischen Angelegenheiten nicht interessiert.191 Die linksrheinischen Germanen sind wohl aus vielerlei Gründen für ein innenpolitisch moti- viertes, gesamtgallisches Abwehrkonzept nicht zu begeistern.

5.1.2 Formale Elemente der Koalitionsbildung Alle vier Bündnisphasen haben concilia als konstituierende Elemente. Die Ab- bzw. Zustim- menden in Phase I sind antirömisch gesinnte principes, noch auf wenige Verschwörer be- schränkt [Caes. BG 7.1.4].192 Die Entscheidungsträger in Phase II – dies sind wohl die im Zu- sammenhang mit der Carnutenverschwörung Genannten [Caes. BG 7.1.4, 7.2.3], deren anti- römische Einstellung sich Vercingetorix jetzt zu Nutze machen will – haben bereits die Macht, Konsens über das imperium zu erreichen und Geiseln stellen zu lassen [Caes. BG 7.4.6–7]. In der schwierigen Phase III bedarf es zur Weiterführung des Bündnisses unter Vercingetorix und zur Neuausrichtung der Strategie ebenfalls einer Versammlung [Caes. BG 7.14.1]. In Pha- se IV muss ein neuer Konsens gefunden werden. Der haeduische Anspruch auf den Oberbe- fehl sorgt für Uneinigkeit und initiiert dadurch ein weiteres concilium [Caes. BG 7.63.4]. Die principes entscheiden wiederum auf einer Versammlung, nicht ganz im Sinne von Vercinge- torix, bestimmte Truppenkontingente für jeden Stamm vorzugeben [Caes. BG 7.75.1]. Eidleistung und Geiselstellung als Elemente der rechtlichen Formalisierung werden situa- tionsflexibel gehandhabt. In Phase I kommt es zur Eidleistung vor den Feldzeichen; vorgeblich aus Angst vor Verrat und um die Absichten im kleinen Kreis zu halten, werden keine Geiseln gestellt [Caes. BG 7.2].193 Mit der Erweiterung der Koalition in Phase II tritt die Verschwö- rung gleichsam an die Öffentlichkeit und macht auch die Geiselstellung möglich und formal notwendig [Caes. BG 7.4.7]. Der Einsatz von Geiseln als Druckmittel zeigt Phase IV. Die ei- gentlich an Caesar übergebenen obsides [Caes. BG 7.55.2] werden kurzerhand von den Ha- eduern selbst beansprucht [Caes. BG 7.55.5]. Um die Unentschlossenen zur Entscheidung zu bewegen, wird offen mit Hinrichtung der Geiseln gedroht [Caes. BG 7.63.3].194

5.1.3 Die Peripherie des Koalitionsraumes: Carnuten, Senonen, Parisier Carnuten, Senonen und Parisier bilden im Umfeld des Aufstandes eine vom Hauptkomplex fast getrennte Handlungseinheit, nicht zuletzt dadurch, dass sie von Labienus direkt angegangen werden; das Oberkommando ist bei diesem Verlauf durch Vercingetorix nicht ausführbar, die Stämme agieren gleichsam assoziiert und sind erst später beim gallischen Entsatzheer im Ge- samtverband aktiv.

191 Sicherlich nicht als aquit. Beteiligung zu werten ist die angeworbene Reiterei von Teutomatus [Caes. BG 7.31.5].

192 Zur Darstellung Caesars s. o. zu Phase I.

193 Vgl. oben Phase I zum Geiselmotiv.

194 In den Commentarii ist die Vercingetorix-Koalition das einzige Umfeld, wo der eigentliche Zweck der Vergeise- lung so drastisch zum Ausdruck kommt. Vgl. Caes. BG 7.4.7-10; es werden hier wohl die Geiseln gemeint sein. - 55 -

Caesar hat die Bedeutung dieses Sicherheitskomplexes schon früh erkannt und in einem Versuch, die Carnuten und Senonen zu kontrollieren, das erst seit kurzem unterbrochene Kö- nigtum wieder eingeführt, was jedoch gründlich misslingt. Nachdem die beiden eingesetzten re- ges ermordet bzw. vertrieben wurden [Carnuten Caes. BG 5.25.3, Senonen Caes. BG 5.54.2], sind beide Stämme für die Römer verloren und machen jetzt gemeinsame Sache [Caes. BG 6.2.3].195 Die Carnuten waren also bereits früher Element antirömischer Aktionen und sind in ihrem Widerstandswillen ungebrochen. Ihr strategischer Wert für beide Seiten des Gallischen Krie- ges ist nicht zu unterschätzen. Sie geben zusammen mit den Senonen Caesar die Möglichkeit, Nordgallien und Aremorica zu den Arvernern und Haeduern hin abzuschliessen.196 Gleichzei- tig sorgt die militärgeographische Lage für hohe Sicherheitspriorität: Als Bindeglied zu Are- morica im Westen, den Haeduern im Osten und dem belgischen Sicherheitskomplex ist das Carnutengebiet nur durch die Biturigen von den Arvernern getrennt. Die zentrale Lage be- günstigt den Handel, was die römischen Kaufleute in Cenabum erklärt. Die römische Logistik ist außerdem an dieser Stadt als Versorgungsstützpunkt interessiert [Caes. BG 7.3.1]. Und nicht zuletzt ist der politische Einfluss als zentraler Treffpunkt der Druiden bedeutend.197 All diese Faktoren erklären wohl auch einen gewissen Grad unabhängigen Agierens. Die Carnu- ten wirken gleichsam als Vorhut des Aufstandes, in Planung und Aktion [Caes. BG 7.2–3].198 Die Zerstörung Cenabums [Caes. BG 7.11.9] schwächt sie zwar, hindert sie aber nicht an wei- terer Unruhe.199 Senonen und Parisier bilden einen Staatenbund [Caes. BG 6.3.5], die Senonen sind seit langem in fide der Haeduer [Caes. BG 6.4.3]. Sie gehören zu den ersten Stämmen, mit denen Vercingetorix sein Bündnis eingeht [Caes. BG 7.4.6]. Durch ihren Übertritt wird eine Reevalu- ierung des Sicherheitskomplexes notwendig: Sie entfernen sich von den Haeduern und durch- löchern gleichzeitig den von Caesar wohl intendierten Nordabschluß Zentralgalliens zu Are- morica und Belgium. Die Parisier waren im Bellum Gallicum bis jetzt militärisch nicht aufgefallen, spielen aber in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle. Die Lage ihres Gebietes an der Sequana hat of- fenbar eine besondere ökonomische Entwicklung begünstigt. Archäologisch ist eine eigene, trotz ihres geringen territorialen Umfangs deutlich erkennbare Regionalgruppe zwischen den

195 S. Kap. 6.1.3.

196 Vgl. die Legionsstationierungen bei den C. und ihren Klienten [Caes. BG 2.35.3].

197 Jullian, Vercingetorix 105-109.

198 S. A.181.

199 Obwohl: Der carnutische Überfall auf die immer noch reichen Biturigen [Caes. BG 8.4.2] kann schon als Ver- zweiflungstat gesehen werden. Caesar hat im Zusammenhang mit der Zerstörung Cenabums wohl weitere Ver- wüstungen veranlasst [Caes. BG 8.5] und die Carnuten sind einstweilen mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Trotzdem lassen sie keine Gelegenheit zum Krieg aus [Caes. BG 8.31.1, als Teil der Dumnacus-Koalition] und müssen überwacht werden [Caes. BG 8.46.4]. Einer der Anführer des letzten großen Aufstandes, Cotuatus, wird erst als letzte Möglichkeit geopfert [Caes. BG 8.38.5]. - 56 -

wesentlich größeren Gruppen Aremorica und Belgium fassbar.200 Die Siedlungsgeographie zeigt eine deutliche Ausrichtung auf die Sequana. Die Herausbildung der Parisier-Gruppe wird mit der strategisch-ökonomischen Bedeutung des Wasserweges erklärt. Ineinandergrei- fend mit dem wirtschaftlichen Faktor ist auch eine gewisse ethnische Abgrenzung zu beobach- ten.201 Trotz des Staatenbundes mit den Senonen [civitatemque patrum memoria coniunxerant, Caes. BG 6.3.5] erscheinen sie völlig eigenständig handelnd, wodurch die Einordnung in die regionalpolitische Geographie in einem anderen Licht erscheint. Die sicherlich stärkeren Senonen projizieren das mit der Bedeutung des Wasserweges einhergehende ökonomische In- teresse der Haeduer in diesem Gebiet. Der Staatenbund ist keine Allianz oder Konföderation mit koordinierter Außen- und Verteidigungspolitik oder gar gemeinsamen Institutionen. Der Nachricht zur politischen Verbindung wird weder vorher noch nachher irgendeine Bedeutung beigemessen oder eine Konsequenz dieses Verhältnisses erklärt. Auch fehlt völlig jede Bezug- nahme auf eine mögliche hegemoniepolitische Wirksamkeit des senonischen in-fide- Verhältnisses mit den Haeduern. Caesars Umgang mit den Senonen entspricht ebenfalls der Wahrnehmung von Eigenständigkeit, soweit eben die Fürsprache der Haeduer ausschließlich für sie anzuwenden ist. Völlig ohne Bezug auf die Verbindung verläuft Caesars innenpoliti- sches Eingreifen [Caes. BG 5.54], auch nach dessen Misslingen sind keinerlei Folgen für die Parisier erkennbar. Lediglich eine Information zu inneren Verhältnissen des anzugehenden Sicherheitskomplexes wird gegeben [Caes. BG 6.3.4], die die Nichtteilnahme der Parisier und die Verlegung des concilium nach Lutecia erklären soll.202 Mit gebotener Vorsicht kann also die Parisier-Senonen-Verbindung als eine aus haeduischen Hegemonialinteressen entstande- ner Zusammenschluss gesehen werden, mit relativ losen politischen Vereinbarungen und ohne gemeinsame Institutionen, für die Parisier vielleicht Schutz vor den Nachbarn, aber sicherlich nicht außenpolitische Kontrolle bewirkend. Aus archäologischer Sicht handelt es sich bei den Parisiern um eine weitgehend eigenständige civitas, die die geographische Lage zur Erlangung beträchtlichen Reichtums nutzen kann. Der römische Angriff zielt ausdrücklich auf Lutecia203; die Senonen mischen zwar mit [Caes. BG 7.58.4], sind aber schon geschwächt durch die Niederschlagung eines früheren Auf-

200 Duval, Regional Groups 82-87, mit Karte. Ralston, Central Gaul, erkennt als Gegensatz v. a. die stark von oppida geprägte Siedlungsgeographie im außerparisischen Umfeld.

201 Bes. zu den Schlussfolgerungen aus der Archäologie Ginoux, Parisii. Hervorgehoben wird der Reichtum auf- grund der Lage zwischen Ostgallien und dem nordwestlichen Belgium, sichtbar in den Münzprägungen. Die Sied- lungsgeographie unterscheidet sich deutlich von der biturigischen und bellovacisch-veliocassischen. Die Formie- rung und Entwicklung der Parisier als von ihrem Umfeld auch ethnisch abgegrenzter Gruppe ab dem 3. Jh. v. Chr. geht einher mit dem Entstehen von Handelsströmen und damit innergallischen geoökonomischen Interessen. Wie Ginoux weist auch Kruta, Les Celtes 772, auf den Reichtum, erkennbar an der Qualität der Münzprägungen, hin.

202 Verschiedene Ansätze zur Erklärung der Natur dieses Bundes verfolgen Dobesch, Kelten 382-383; Sordi, Simpolitia 123; Rice Holmes, CCG 24. Die Fragestellung umfasst auch die Identität als civitas oder pagus, je- doch ohne definitives Ergebnis. Aus Caesar ist die pagus-Stellung nicht herauszulesen. Auch haben die Senonen nicht die militärischen Angelegenheiten für die schwächeren Parisier übernommen: Caes. BG 7.75.3 stellen die P. 8.000 Mann.

203 Noch Caes. BG 7.34.2 allerdings soll Labienus gegen beide Stämme vorgehen. - 57 -

standes und das römische Winterlager in Agedincum [Caes. BG 6.44]. Metlosedum kann sich nicht verteidigen [Caes. BG 7.58.4]. Die Haeduer sind zu diesem Zeitpunkt bereits im Abfall begriffen [Noviodunum Caes. BG 7.55]. Caesars Sorge um Labienus [Caes. BG 7.56.2] bezieht sich nun auf die Einschätzung des geostrategischen Großraumes des Carnuten-Parisier- Senonen-Komplexes mit einer möglichen Fronteröffnung von Belgium aus [Caes. BG 7.59]. Dass sich das Vorgehen von Labienus auf die Parisier konzentriert, ist sicher nicht nur dem offensichtlichen Interesse Caesars an diesem Sicherheitskomplex zuzuschreiben. Carnu- ten und Senonen stehen ja bereits schwer unter römischem Druck; die Parisier waren bisher weitgehend verschont geblieben. Bei früheren Aufstandsplänen beteiligen sie sich angeblich nicht [Caes. BG 6.3.4], jetzt aber beziehen sie für Vercingetorix Position [Caes. BG 7.4.6]. So- mit kommen wieder Caesars ökonomische Interessen ins Spiel: Eine gallische Schlüsselpositi- on im Fernhandel muss unter Kontrolle gebracht werden, ein Interesse, das offenbar auch die Nachbarn der Parisier erkennen, finden sie sich doch rasch zum Kampf ein [Caes. BG 7.57.2]. Labienus muss unter dem Eindruck bellovacischer Rüstung von weitergehenden Eroberungen absehen [Caes. BG 7.59.3]; seine Taktik ist daher eher auf einen Befreiungsschlag ausgerichtet [Caes. BG 7.59.5]. Die Parisier lassen Lutecia abbrennen [Caes. BG 7.58.6]; über Verluste bei den nachfolgenden Kämpfen ist nichts bekannt, auch werden keine römischen Truppen auf ih- rem Gebiet stationiert.204

5.1.4 Das gallische Heer Die Zusammensetzung des gallischen Heeres und seine operative Ausrichtung ist aus dem Bel- lum Gallicum durch Caesars Hinweise im Falle militärischer Aktionen und durch Nachrichten über Vorgänge beim Gegner zu erschließen. Caesar bietet, im Gegensatz zu den Kriegsjahren zuvor, keine konzentrierte Stelle, aus der heraus der Truppenkörper der Gallier relativ genau erkennbar wird.205 Angaben, wie die Zusammensetzung des Entsatzheeres [Caes. BG 7.75] o- der die Zahlenangabe zur Mannstärke in Alesia [Caes. BG 7.71.3], täuschen mit ihrer schein- baren Klarheit und sind der manipulativen Absicht Caesars geschuldet. Es entsteht im Laufe des Commentarius VII der starke Eindruck, dass auf Vercingetorix‘ Seite Kontingente auf- standswilliger Gruppen von Kämpfern, oft in Waffengattungen zusammengefasst, und nicht unbedingt ganze Stämme im Freiheitskampf gegen Rom antreten. Vercingetorix hat aus dieser Zusammensetzung – sowohl notgedrungen als auch von den Römern gelernt – eine relativ fle- xible, bewegliche Armee aufgestellt.

204 Es gibt anscheinend auch keine Truppenstationierungen nach 51, offenbar sind die Legionslager bei den umlie- genden Stämmen ausreichend. Vgl. Luc. b.c. 1.396-1.463.

205 Abgesehen von den immer zu hinterfragenden Zahlen zur Truppenstärke: In den Jahren 58-53 sind die Römer mit Stämmen in ihren Aufstellungen nach Stammeskontingenten konfrontiert [u. a. Nervier, Caes. BG 2.23; Ger- manen unter Ariovist, Caes. BG 1.51.2]. Waffengattungen und Kampfweisen kommen im BG nur bei Auffälligkei- ten vor [Streitwagen in Britannien, Caes. BG 4.32-3; Reiter-Fußkämpfer bei Ariovist, Caes. BG 1.48]. - 58 -

Caes. BG 7.4.3206 Das erste Aufgebot, von Caesar abwertend als egentium ac perditorum bezeichnet, wohl aber Krieger ohne Führer.207 Caes. BG 7.4.8 Kontakt zu Senonen, Parisiern, Pictonen etc. Eine bestimmte Zahl an Kämpfern wird gestellt. Besonders Reiterei, die dann für den geplanten Bewegungskrieg bevorzugt eingesetzt wird. Trotz der genannten Stäm- me steht offensichtlich die Waffengattung im Vordergrund. Caes. BG 7.7.2 Lucterius sammelt weitere Kontingente unbekannter Stärke von süd- lich der Arverner gelegenen Stämmen. Die Geiselstellung u. a. durch Nitobrogen ist widersprüchlich, da sie als Stamm nicht mehr auftreten, nur der antirömische Teutomatus sollte später mit einer Söldnertruppe auf gallischer Seite am Krieg teilnehmen. Caes. BG 7.12.4 Die Reiterei von Vercingetorix als schnelle Vorhut bei Noviodunum, die gegen Caesars 400 germanische Reiter nicht bestehen kann. Caes. BG 7.15.6 Die Biturigen sollen Avaricum selbst verteidigen, gegen den Willen von Vercingetorix, der aber gleichzeitig seine Truppe schonen kann. Caes. BG 7.18.1 Leichtes Fußvolk kämpft zwischen den Reitern.208 Caes. BG 7.19.2 Bei einem Entlastungsversuch für Avaricum beziehen die Gallier, nach Stämmen geordnet209, Stellung auf einem Hügel. Es findet wiederum kein Kampf statt; Vercingetorix bezieht dort Stellung mit einer Vorhut aus Reiterei und leichtem Fußvolk. Caes. BG 7.21.2 10.000 Mann sollen als Entsatzheer für Avaricum bereitgestellt wer- den.210 Caes. BG 7.28.6 Das Lager ist nach Einzelstämmen geordnet. Zu beachten: nicht die Kampfformation. Caes. BG 7.31 Biturigische Flüchtlinge aus Avaricum werden mit Waffen ausgestattet. Verluste werden mit weiteren angeforderten Truppen ausgeglichen. Besonderes Interesse besteht an Bogenschützen; wieder steht die Waf- fengattung im Vordergrund. Teutomatus bringt angeworbene Reiter aus Aquitanien.

206 Jeweils die Schlüsselstelle der Ersterwähnung. Vollständigkeit ist nicht beabsichtigt, lediglich die Nachrichten, die über die Zusammensetzung Auskunft geben könnten, werden erfasst.

207 Goldsworthy, Caesar 319. Vgl. u. a. Aremorica [Caes. BG 3.17.4]. Wenskus, Stammesbildung 369-370; Rice Holmes, CCG 24: The country swarmed with outlawed criminals, who had fled from justice, and exiled ad- venturers, who had failed to execute coups d‘état.

208 Vgl. Caes. BG 1.48 Ariovist.

209 Distributi in civitates gilt als interpoliert. Kraner, Commentarii II, A.7.19.2; ebd., KA 7.19.2. Eine Vorhut nach Stämmen aufzustellen, um eine Geländeformation abzusichern, erscheint taktisch unsinnig.

210 Wohin sind sie verschwunden? Caesar erwähnt sie bei der Belagerung von Avaricum nicht mehr, auch bei der Flucht der Überlebenden zu Vercingetorix tauchen sie nicht auf. Kraner, Commentarii II, KA 7.21.3 verweist nur auf das Problem der Lesung (sub)mittantur, die u.U. die Durchsichtigkeit dieser Nachricht ausdrückt. Viel- leicht war das Kontingent für V. nur der Kompromiss, seine wiedergewonnene Autorität aufrecht zu erhalten, oh- ne die Absicht, sie gegen Caesar zu senden. - 59 -

Caes. BG 7.36 Bei Gergovia werden die Lager nach Einzelstämmen organisiert, wohl um über die Mitglieder des Kriegsrates die Kontingente besser kontrol- lieren zu können und Rivalitäten zu verhindern. Gekämpft wird dann wieder mit allgemeiner Reiterei und Bogenschützen. Caes. BG 7.40.7 Nach dem aufgedeckten Verrat flieht Litaviccus mit seinen Klienten nach Gergovia. Nicht zu entscheiden ist, ob diese Klienten das gesamte, von ihm übernommene Kontingent umfassen.211 Caes. BG 7.44.1 Vercingetorix hat auch mit Verlusten außerhalb von Kämpfen zu rech- nen. Offenbar gibt es Überläufer, die von der gallischen Sache nicht mehr überzeugt sind.212 Caes. BG 7.54.1 Der zu Vercingetorix übergelaufene Litaviccus ist mit der gesamten haeduischen Reiterei auf dem Weg zu seinem Stamm, um ihn aufzu- wiegeln. Caes. BG 7.64 Der Schwerpunkt liegt auf 15.000 Mann Reiterei als Waffengattung. Weitere Fußkämpfer werden von Vercingetorix selbst aufgrund der operativen Planung vorerst nicht gebraucht. 10.000 Mann Fußtruppen und 800 Reiter hingegen stellen Haeduer und Segusiaver, die gegen die Allobroger geschickt werden. Kontingente der Gabaler, Arverner, Ru- tener und Cadurcer werden gegen die provincia in Marsch gesetzt. Die Nachricht bleibt vergleichsweise oberflächlich, die Zusammensetzung ist nicht zu entscheiden; Caesars Schwerpunkt liegt hier auf der Bedro- hung der Provinz, daher muss diese auch größer wirken, als sie militä- risch vielleicht ist. Caes. BG 7.67 Die gallische Reiterei erleidet gegen Caesars Germanen eine deutliche Niederlage. Die Fußtruppen übernehmen die Hauptlast der Operatio- nen. Die Zahl ist nicht zu bestimmen; zuvor war eine Verstärkung nicht benötigt; in Caesars Bericht waren sie bis jetzt immer eine Art Hilfs- truppen, die die Reiterei. Caes. BG 7.71 Vercingetorix entlässt die zum zweiten Mal geschlagene Reiterei, die ihm in Alesia nichts nützt. Plötzlich ist von 80.000 Kämpfern die Rede, eine sicherlich übertriebene Zahl.213 Caes. BG 7.75–76 Das Entsatzheer mit 248.000 Mann, zusätzlich 8.000 Mann Resttrup- pen aus Reiterei.214

211 Caes. BG 7.34.1 werden die gesamte haeduische Reiterei und 10.000 Mann Fußtruppen angefordert, 7.37.7 wer- den die Fußtruppen von Litaviccus übernommen.

212 Offenbar geschieht dies laufend, Caes. BG 7.72.1.

213 Reddé, Alesia 115; Goldsworthy, Caesar 336; Sommer, RG I 492 A.8.

214 Zum Entsatzheer s. o. Bündnisphase IV. Die 8.000 Mann sind vermutlich die Resttruppe der zuvor 15.000. Kra- ner, Commentarii II, A.7.76.3. - 60 -

Caes. BG 7.80.3 Leichtbewaffnete und Bogenschützen sollen den Rückzug der Entsatz- Reiterei decken. Caes. BG 7.83.4 60.000 Mann aus dem Entsatzaufgebot gehen gegen ein Legionslager vor.

Auffallend öfter ist im Commentarius VII von Waffengattungen die Rede, als von Stam- meskontingenten, die überhaupt nur bei großzügigeren Beschreibungen auszumachen sind, niemals aber im Kampfgeschehen. Die einzigen, die als Stamm selbst identifizierbar beteiligt sind, sind die Biturigen bei der Verteidigung Avaricums. Sie werden grundsätzlich als strategi- sche Einheit behandelt und treten gesamt zu Vercingetorix über. Die Arverner scheinen in diesem Sinne nicht beteiligt; allerdings besteht hier literarisch das Problem der Absicht Cae- sars, sie postbellum weiter in Gallien in einer bestimmten Position zu halten.215 Deutliche Nachrichten über eine innenpolitische Situation, die wohl nicht klarer bzw. geeinter sein wird als bis kurz vor Auftreten von Vercingetorix, sind nicht zu erkennen.216 Den Einsatz von Reitern mit Fußkämpfern und Bogenschützen beachtet Caesar wohl auch deshalb, weil die Aufstellung in Stämmen, die sicherlich Kämpfer unterschiedlichster Qualität und Bewaffnung zu bieten haben217, aufgrund des Bewegungskrieges nicht in der bisher ge- wohnten Form erscheint. Vercingetorix hat offenbar von den Römern gelernt, die ihren Trup- penkörper ganz anders einsetzen. Besonders Reiterei wird angefordert.218 Nicht zuletzt wird deren zunehmende Bedeutung im Zusammenhang mit den komplexen Entwicklungen keltischer Sozialstruktur und damit einhergehenden Veränderungen im Heerwesen eine Rolle spielen; die Adelsreiterei in der gegenwärtigen Form lässt überhaupt erst Vercingetorix seine Strategie ent- falten.219 Weiters ist auch aufgrund der oszillierenden pro- bzw. antirömischen Positionierungen der Adeligen an eine gewisse Kontrollmöglichkeit zu denken; Caesar hat es mit der Mitführung zahlreicher principes nach Britannien vorgemacht [Caes. BG 5.5.4].220 Auf die Kampfkraft bezo- gen, ist Vercingetorix von vorne herein im Nachteil. Er ist sicherlich Caesars schwierigster Geg- ner; jedoch kann er im essentiellen Element zur Ausführung der Strategie, dem eigentlichen Waffengang auf dem Schlachtfeld, gegen den Römer nicht bestehen.

215 Stellen zum Auftreten der Arverner sind dann auch nur schwach ausgeführt, vgl. Caes. BG 7.64.6. 216 Eine vorsichtige Analogie zu den Treverern u. Indutiomarus: Für die kämpfende Truppe bedient sich Indutio- marus der exsules damnatosque [Caes. BG 5.55.3], für die er allerdings einiges an Geld aufwenden muss. Diese Irregulären, ob nun Landlose, Verstoßene oder durch die vorherigen Kriegshandlungen Versprengte, sind in Gallien Teil der sozialen Sphäre. Deren Einbeziehung ist auch bezeichnend für die innenpolitische Situation bei den Treverern: Sie sind eigentlich ein mächtiger Stamm, aber offenbar ist ein beträchtlicher Teil der Kampffähigen nicht zu Aktionen bereit [Caes. BG 5.3.1]. Vor einem römischen Lager tritt dann tatsächlich auch nur eine relativ schwache Reiterei auf, deren Hauptwaffe aus Provokationen zu bestehen scheint [Caes. BG 5.58].

217 Vgl. Luc. b.c. 1.422-1.426.

218 Vgl. Kap. 6.3.

219 Dobesch, Heerwesen 635-669; ders., Kelten 411. Caesar selbst erkennt die Bedeutung [Caes. BG 6.15.1].

220 Viele der Kontingente scheinen außerdem von Stämmen zu kommen, bei denen der Adel ein Königtum ablehnt. Vor dem abgeschlossenem Krieg wird das Königsstreben von V. wohl noch zurückgetreten sein; bei einem Sieg würde die Lage sicher anders aussehen. Dobesch, Heerwesen 668. - 61 -

Zu beachten sind auch die innenpolitische Zustände bei den Stämmen. Es ist im Jahre 52 davon auszugehen, dass die pro- und antirömischen Haltungen extremer geworden sind. Mehr- mals ist von Anführern die Rede, die sich offensichtlich mit ihren Klienten und Söldnern Ver- cingetorix anschließen. In solchen Fällen ist es im Bellum Gallicum kaum möglich, die Teilnah- me des gesamten Stammes auszumachen; immer bleibt Caesar andeutungshaft und implizie- rend. Lucterius [Caes. BG 7.7], Commius [Caes. BG 7.76.1, 8.7.5], Drappes [Caes. BG 8.30.1 für das Jahr 52] führen Kontingente zu Vercingetorix, nie eindeutig Stämme. Auch die innenpoliti- sche Situation bei den Haeduern und Arvernern wirkt nicht nach geeintem Auftreten, v. a. wenn man die Nachkriegsmaßnahmen Caesars zur Konsolidierung einer politischen Ordnung in Galli- en in Betracht zieht.221

5.1.5 Führungs- und Entscheidungsstruktur Vercingetorix ist als Anführer des Aufstandes nicht in jeder Lage unumstritten, wird aber im- mer wieder in seiner Position bestätigt. Er war bis kurz zuvor amicus Caesars [Dio 40.41.1,3], wohl wegen der Zugehörigkeit zur führenden Familie. Jedoch hält ihn dies nicht von Romfeind- schaft und dem Streben nach dem Königtum ab. Schließlich wird er als König ausgerufen, mit rex ab suis appellatur [Caes. BG 7.4.5] die Stellung als illegal implizierend.222 Die Motive von Vercingetorix selbst für einen Aufstand werden wohl in einer Kombination aus innenpoliti- schem Antrieb und damit einhergehend hegemonial-territorialen außenpolitischen Ambitio- nen liegen, die Absichten von Celtillus aufgreifend.223 Obwohl treibende Kraft hinter Strategie und Taktik, ist Vercingetorix immer auf einen ko- alitionsinnenpolitischen Ausgleich mit Unterführern, principes und Vertrauten angewiesen, die mit heiklen Aufgaben betraut werden.224 Die Aufgabenverteilung erfolgt über Entschei- dungsstrukturen, die auch motivationstechnisch bearbeitet und einbezogen werden müssen. Vercingetorix kann dabei auch auf wiederauflebende Loyalitäten, ganz gegen Caesars zuvor geführte Politik, zählen, wie im Fall der Haeduer Eporedorix und Viridomarus, die beide ei- gentlich Rivalen waren. Eporedorix hatte zuvor bei Caesar gedient [Caes. BG 7.39.1–2]; Viridomarus war Caesar von Diviciacus empfohlen und entsprechend behandelt worden [Caes. BG 7.39.1].225

221 Es verstärkt sich der Eindruck, dass dieser Krieg keine gesamtgallische, von allen Stämmen getragene Bewegung ist. Rosner, Ordnungsmacht 18, damit deutlich zur Gespaltenheit gallischer Stämme. 222 Der rex-Titel ist in Rom noch dazu übel beleumundet. Übrigens wendet Caesar hier die gleiche Methode wie bei Ariovist an, mit dem er ebenfalls eine Vorgeschichte hatte. Die früheren Verhältnisse werden solange umschwie- gen, bis A. und V. als Gegner Roms offen auftreten. Beide sind auch nicht durch vergangene Taten in Misskredit zu bringen, ohne dass es für Caesar unangenehm wird.

223 Jullian, Vercingetorix 96 meint auch, dass die Erziehung Adeliger durch Druiden Ideen der Unabhängigkeit Galliens in V. hat reifen lassen. Rosner, Ordnungsmacht 18-19 zu individuellen Vorstellungen in Gallien, der consensus totius Galliae als nicht zu erreichendes Ziel.

224 Das gallische Sozialwesen kann V. trotz aller römischer Anleihen natürlich nicht ausschalten. Dobesch, Heer- wesen; Goudineau, César 277-280 zur damit verbundenen Kampfweise.

225 Zum Überläufertum Dyson, Native Revolts 244. - 62 -

Caes. BG 7.7.1–2 Der Cadurcer Lucterius soll in die provincia einfallen. Caes. BG 7.36.3 Vercingetorix gibt jeden Morgen an bestimmte principes, die er sich zum Kriegsrat gewählt hat, Tagesbefehle aus.226 Caes. BG 7.28.6 Familiaribus suis principibusque müssen, um Unruhe in den eigenen Reihen zu verhindern, Flüchtlinge aufnehmen. Caes. BG 7.31.2 Ausgesuchte Leute werden zur Gewinnung weiterer Stämme heran- gezogen. Caes. BG 7.63 Zur Beilegung des Streits über das imperium muss ein concilium ein- berufen werden. Die Haeduer, die die Entscheidung verlieren, müs- sen sich unterordnen. Caes. BG 7.64.5 Der Bruder von Eporedorix wird gegen die Allobroger geschickt. Caes. BG 7.66.3 Die Reiterführer erhalten Befehle; Vercingetorix motiviert durch ein Niederlagenszenario für die Römer. Caes. BG 7.67.7 Die Haeduer haben zwar nicht das imperium über den Aufstand er- reicht, ihre Anführer Cotus, Cavarillus und Eporedorix (der Ältere) können aber nicht umgangen werden. Caes. BG 7.76 Die Masse des Entsatzheeres wird von Commius227, Viridomarus, E- poredorix und Vercassivellaunus, Vetter von Vercingetorix, geführt [Caes. BG 7.76.4].228 Caes. BG 7.77 In Alesia wird ein consilium einberufen. Vercingetorix wird überhaupt nicht genannt. Die Entscheidungen betreffen jedoch nur unmittelbare überlebenstechnische Fragen und keine kriegstaktischen. Caes. BG 7.83.6 Vercassivellaunus führt einen Großangriff des Entsatzheeres. Caes. BG 7.88.4 Sedullus, Führer des lemovicischen Kontingentes, fällt im Kampf. Caes. BG 8.30.1 Der Senone Drappes hat vielleicht auch schon früh im Aufstand Labie- nus bei seinen Operationen behindert.229

226 Kraner, Commentarii II A.7.36.3 spricht von einer kleineren Anzahl, nicht von Führern aller beteiligten Stäm- me.

227 Commius‘ Netzwerk erinnert an Ariovist, wenn auch nicht in dieser Dimension. Er vermittelt in Britannien [Caes. BG 5.22.3], steht lange in gutem Einvernehmen mit Caesar, übernimmt vor Alesia ein hohes Kommando und kann die germanische Reiterei offenbar bei sich halten [Caes. BG 8.47].

228 Caesar bringt sie in seiner Darstellung recht geschickt ein. Die vier erscheinen, zusammen mit Lucterius und Dra- ppes, aufgrund der Vorgeschichte und der Erzählweise als geschlossener Zirkel Hauptverantwortlicher.

229 Rice Holmes, CCG 134; Gelzer, Caesar 130. Aufgrund seiner Truppe aus perditis hominibus, servis [Caes. BG 8.30.1] hätte er wohl keine Geiseln an Vercingetorix überstellen können. - 63 -

5.2 Die römischen Legionen in Gallien im Jahre 52 v. Chr.230

Zu Beginn des Kriegsjahres stehen Caesar zehn Legionen zur Verfügung, die sich alle nördlich in Zentralgallien bzw. östlich bei den Treverern in Winterlagern befinden [Caes. BG 6.44.3]. Er scheint zu ahnen, dass sich hier ein bedeutender Kampfraum entwickeln würde, beginnt er doch die Gegenstrategie mit acht Legionen [Caes. BG 7.9.5, 7.10.4]. Im späteren Verlauf, als auch eine Gefahr für die provincia gesehen wird, kommen weitere 22 Kohorten hinzu.231 Über die Mannstärke, besonders im Abgleich mit Caesars sonstigen Zahlenangaben, herrscht Unsicherheit. Generell kann mit ca. 4.000–5.000 Mann gerechnet werden.232 Über Verlustzahlen wird in den Commentarii nur selten berichtet, es sei denn, es kann kein direktes Versagen Caesars nachgewiesen werden, wie im Falle Gergovia. Hier verlieren die Römer durch das ungestüme Vorgehen einiger fast 700 Soldaten an einem Tag, wohl eine ungewöhn- lich hohe Zahl [Caes. BG 7.51.4]. Dass der Gallische Krieg die Legionen doch geschwächt hat, berichtet Caesar erst in den Commentarii Belli Civilis (Caes. BC 3.7.3]. Bei Ausbruch des Bür- gerkrieges hat Caesar 5.000 Mann und 300 Reiter bei sich [Plut. Caes. 32.1]; das entspricht in diesem Fall der Legio XIII [Caes. BC 1.7.7].233 Aber auch ganz ohne Aufhebens finden sich Nachrichten zu wesentlich geringerer Stärke: Als Caesar dem von Nerviern belagerten Cicero zu Hilfe eilt, geht er vorsichtig vor, hat er doch nur zwei Legionen mit insgesamt 7.000 Mann zur Verfügung [Caes. BG 5.49.7].234 Nachschub an Legionären wird benötigt, den Caesar selbst aus Italien mitbringt [Caes. BG 7.1.1, 7.7.5]; ohne Kriegserfahrung werden sie vorerst zur Bewachung eingesetzt [Caes. BG 7.57.1]. Immer dabei sind nichtrömische Hilfstruppen mit speziellen Waffengattungen, die in einer regulären Legion keinen Platz finden. Von diesen auxilia – leichtbewaffnete Numider, baleari- sche Schleuderer, kretische Bogenschützen – hört man zwar im Jahre 52 nicht viel; sie waren aber als fester Bestandteil der Truppe immer aktiv.235 Auf römischer Seite in Gallien haben in den vergangenen Jahren vor allem gallische Rei- tereinheiten gekämpft, in einer Stärke von 4.000–5.000 Mann [Caes. BG 1.15.1, 4.12.1], aller- dings nicht immer zuverlässig [Caes. BG 1.18.10 Dumnorix, 2.24.4 Treverer].236 Gelegentlich

230 Die Person Caesar wird hier aus Platzgründen nicht weiter behandelt. Zu seiner Position in Rom im Jahre 52 Goldsworthy, Caesar 346-350; Meier, Caesar 380-385; Jehne, Caesar 66. Zu den römischen Legionen in Gallien allgemein Reddé, Alesia 19-25; Gilliver, Caesar‘s . Der Verf. zielt in diesem kurzen Kapi- tel ausdrücklich auf die Legionen als gegnerische Streitmacht aus Sicht der Gallier ab.

231 Vielleicht die spätere Legio V Alaudae, die im Jahre 51 unter C. Rebilus zum Einsatz in Zentralgallien kommt. Kraner, Commentarii III, A.8.24.2.

232 Viele Aspekte berücksichtigend, diskutiert Rice Holmes, CCG 559-563, das Problem und konzediert only fairly approximate results.

233 Pelling, Kommentar zu Plut. Caes. 32.1, zur Glaubwürdigkeit dieser Stelle.

234 Kraner, Commentarii II A.5.49.7, begründet dies mit hohen Verlusten.

235 Besonders in Belgium Caes. BG 2.7, 2.10, 2.19, 2.24; Britannien 4.25; vor Uxellodunum 8.41.

236 Die Reiterei steht in den Commentarii bei zwei Aufgaben immer wieder im Vordergrund: Verfolgung Abziehen- der [u. a. Caes. BG 1.53.3, 3.26.6] und die Eröffnung von Auseinandersetzungen und Geplänkeln, in Vorbereitung zur Schlacht [u. a. Caes. BG 2.19.4]. - 64 -

werden auch (Adels-)Reiter aus Gründen politischer Kontrolle bei den Römern mitgeführt [Caes. BG 6.5.2, der Senone Cavarinus mit seiner Reiterei]. Im Jahre 52 greift Caesar auf- grund vermehrter Unzuverlässigkeit der gallischen Reiterei auf Germanen zurück. Erstmals werden 400 germanische equites erwähnt, die offenbar große Durchschlagskraft besitzen [Caes. BG 7.13.2]. Caesar lässt sich auch von der bei Ariovist erfahrenen Kampfesweise leichter Fuß- truppen zwischen Reitern beeindrucken: Aus rechtsrheinischen Gebieten werden entspre- chende Truppen angeworben [Caes. BG 7.65.4], die tatsächlich eine wesentliche Entscheidung herbeiführen können, indem sie Vercingetorix die Niederlage zufügen, die ihn veranlasst, sich in Alesia zu verschanzen [Caes. BG 7.67.5]. Die Reiterei erweist sich also bei beiden Parteien als die entscheidende Waffengattung dieses Kriegsjahres.

5.3 Der Römer und der Gallier: Überlegungen zu Motivierung – Disziplin – Moral

Die Unterströmung ethnographischer Charakterisierung in Caesars Bellum Gallicum ist natür- lich auch in der Beschreibung gegnerischer Anführer erkennbar. Der besondere Stellenwert, den Vercingetorix dabei einnimmt, ist oft herausgearbeitet worden.237 Caesar zielt unter ande- rem auf eine Gegenüberstellung seiner und Vercingetorix‘ Führungsqualitäten ab. Die Moti- vierungen der Mannschaften beider Seiten und die daraus gewonnene Umsetzungsfähigkeit strategischer und operativer Überlegungen treten im Commentarius VII stellenweise deutlich in den Vordergrund. Bereits aus den früheren Commentarii kann man die Ansätze zu Caesars Beurteilung herleiten, wenn den Galliern zugeschriebene Eigenschaften immer wieder abwer- tend zu Tage treten.238 Der ganz »unbarbarische« Vercingetorix muss sich jetzt damit ausei- nandersetzen und sie überwinden, wodurch ein Beschreibungskontrast erreicht wird, der in der Caesar-Literatur die anerkennende Beurteilung der Achtung des Römers für seinen Gegener ausgelöst hat.239 Immer unter der Voraussetzung, dass das Bild von Vercingetorix ein von Caesar beabsich- tigtes ist, sind die entsprechenden Stellen im Bellum Gallicum auch als ein politisch- ethnographischer Blick auf zwei unterschiedliche Kriegskulturen hin zu lesen: die Barbaren und die Zivilisierten.240 Es treten hier auch die Unterschiede in Führung und Motivierung zu

237 Aufgrund der Ausrichtung der Arbeit soll dies hier nicht rezipiert werden. Einen Abriss gibt Kremer, Bild der Kelten 181-184, mit A.; Dobesch, Arverner 129, etwas übertreibend zu Caesars Darstellung von Vercingetorix‘ menschlicher Größe. Caesars Achtung für V. ist auch anderenorts in der Literatur oft genug erwähnt worden. Die nachfolgenden Ausführungen sind ausschließlich auf motivierungs- und strategiebezogene Elemente der beiden Gegner abgestellt.

238 Z. B. Caes. BG 6.16 Aberglaube, gepaart mit Grausamkeit; 6.24.5-6 eine gewisse Verweichlichung; 4.5, 7.1.2 rea- gieren sie leicht auf Gerüchte und Falschinformationen.

239 Zur Methode der antiken ethnographischen Literatur, pejorative Epitheta oft auch gegenteilig zu sehen, d. h. wie im Falle von V. dem Barbarentum auch Positives abzugewinnen s. Bitterli, Die Wilden 370-371.

240 Caes. BG 7.21 Begeisterungsfähigkeit, 7.30.4 Durchhaltevermögen. Zu diesen Beispielen vgl. A.246. In Anlehnung an den Titel von Bitterli, Die »Wilden« und die »Zivilisierten«. Die einflussreiche Studie von Keeley, War before Civilization, unterscheidet ebenfalls zwischen primitive und civilized warfare, wobei anhand zahlreicher Bei- - 65 -

Tage, die bei den Kontrahenten zu einem großen Teil vom sozio-politischen Umfeld bestimmt werden. Zwei starke Persönlichkeiten müssen die Potentiale ihrer jeweiligen Armeen als Kon- frontationswerkzeuge ausschöpfen und Unzulänglichkeiten überwinden. Die Faktoren Moti- vierung, Disziplin und Legitimation nehmen dabei einen besonderen Stellenwert ein.

5.3.1 Motivierung und Autorität241 Motivierung bedarf eines Kernbezugs, der für das emotionale Streben der zu Motivierenden die Verwirklichung des Ziels darstellt. Für die Gallier ist dieser Bezug ein Wertekanon von Ruhm, Freiheit, Vermeidung von Schande etc., der durch erfolgreichen Krieg erreicht werden kann. Vercingetorix und Caesar haben ihre jeweiligen Truppen als Motivierungsobjekte – bzw. die Soldaten als -subjekte – und haben den für die Erfüllung der Mission entsprechenden Mo- tivierungsbezug zu erfassen.

ƒ Vercingetorix Vercingetorix richtet seine Motivierungsbestrebungen nur indirekt auf sein eigentliches politi- sches Ziel, eine arvernische Hegemonie in Gallien mit ihm als König, aber direkt darauf, was die faktische Umsetzung für die Subjekte – also die gallischen Krieger – bedeutet.242 Ange- steuert werden kriegerische Primärtugenden wie Ruhm, Ehre und Freiheit als movens.243 ! Vercingetorix hat nach einer Niederlagenserie das Problem, die Unruhe in den eigenen Reihen unter Kontrolle bringen zu müssen und gleichzeitig eine aus seinen strategischen Überlegungen erwachsene Maßnahme – die logistische Behinderung der Römer durch Vernichtung eigener Ressourcen – einzufordern [Caes. BG 7.14]. Die konkreten Motivie- rungsbezüge sind die Angst vor Sklaverei, Tod als (ehrlose) Besiegte und die Schande von Feiglingen in den eigenen Reihen [Caes. BG 7.14.9–10]. ! Während der Belagerung von Avaricum muss Vercingetorix seine Handlungsweise recht- fertigen. Dem Hauptvorwurf des Verrats der gallischen Sache [Caes. BG 7.20.1] wird mit

spiele u. a. nordamerikanischer Indianer herausgearbeitet wird: The facts recovered by ethnographers and archaeolo- gists indicate unequivocally that primitive and prehistoric warfare was just as terrible and effective as the historic and ci- vilized version (ebd. 174). Ebd., 72 zu Römern und Barbaren: In the many struggles between the Roman legions and undisciplined barbarian hosts of Celts and Germans, the latter inflicted some notable annihilations on the former, usu- ally when they caught or enticed the Romans far from their fortified encampments, as in the case of Sabinus‘s reinforced legion in 54 b.c. and Varus‘s three legions in a.d. 9. Whatever ‘s excuses, it is clear that the blue-painted barbarians of Britain defended their island vigorously and effectively against the cream of the Roman army. The raid and ambush tactics the Britons quickly adopted after being defeated in formal battles were so troublesome for the Ro- mans that a century passed after Caesar‘s retreat before Rome made another attempt at conquest.

241 Nochmals sei darauf hingewiesen, dass die Grundlage für die nachfolgenden Überlegungen ausschließlich Caesars Darstellung bildet. Der Verf. ist der Ansicht, dass trotzdem die Konturen unterschiedlicher Führungskulturen herauszuarbeiten sind. Auf das Beiziehen von »Vercingetorixverehrungsliteratur« wird verzichtet; die Nachwir- kung von Jullian, Vercingétorix, Paris 1902 ist tw. andauernd. S. A.237.

242 Durch die zweckgerichtete Darstellung Caesars können wir natürlich nicht wissen, inwieweit die Gallier über die Ziele von Vercingetorix informiert sind oder ob man mit den Absichten zu Hegemonie und principatus unausge- sprochen einverstanden ist.

243 Zu Caesars literarischem Instrument der fiktiven Rede Tsitsiou-Chelidoni, Zur Funktion der Reden Cae- sars. - 66 -

rationalen strategischen Überlegungen [Caes. BG 7.20.3–5] und dem Herausstellen der ei- genen Integrität [Caes. BG 7.20.7, 20.12] begegnet. Gleichzeitig wird römische Schwäche durch manipulativen Einsatz gefangener Legionäre hervorgekehrt: Militärische Vorteile lediglich durch Verrat; Verlust der Kampfkraft durch Hunger und Mangel [Caes BG 7.20.6–11]. ! Nach dem Verlust von Avaricum verstärkt sich das Motivierungsproblem für Vercingetorix ein weiteres Mal. Er muss jetzt gegen die kriegstechnische Überlegenheit der Römer und seine eigene Nachgiebigkeit in strategischen Fragen gleichsam anmotivieren und dabei – ein von Caesar nahezu perfid eingestreutes abwertendes Urteil – die grundsätzliche Pla- nungsschwäche und fehlende Vorausschau seines Volkes – überwinden [Caes. BG 7.29– 30].244 Der Erfolg, den er damit hat, dreht Caesar eigentlich wieder gegen die Barbaren: Andere Feldherren – also römische – verlieren nach Niederlagen Ansehen, er, Vercinge- torix dagegen, gewinnt an Einfluss [Caes. BG 7.30.3]. Caesar entlarvt in diesen beiden kur- zen Kapiteln die grundlegende Schwäche seiner Gegner: ohne Fähigkeit zur rationalen Planung, kritiklos begeisterungsfähig [Caes. BG 7.21.1], irrationale Behandlung von Fak- ten [Caes. BG 7.1.2–3].245 Sie sind fast leichtes Spiel für Vercingetorix, der sie mit rational- manipulativer Rhetorik auf seine Seite ziehen kann.246 ! Das Szenario der römischen Niederlage bzw. des Abzugs in die Provinz dient als Motivie- rung gallischer Reiterführer [Caes. BG 7.66.3]. ! Mit zunehmender Bedrängnis konzentrieren sich die Motivierungsbestrebungen von Ver- cingetorix auf ihn selbst. Es geht jetzt nur mehr darum, ihn und seine Kämpfer zu retten, die in Alesia eingeschlossen sind [Caes. BG 7.71.3]. Man hört von ihm bis zu seiner deditio kaum mehr [Caes. BG 7.89.4].

244 Riggsby, Caesar in Gaul 97-100, zu Vercingetorix‘ Autoritätsproblemen.

245 Caesar scheint jene, die sich nicht in dieses Bild fügen, mit umso größerer Härte zu verfolgen. Vgl. seine Bemer- kungen zu Ambiorix [At barbaris consilium non defuit, Caes. BG 5.34.1].

246 Scheibelreiter, Barbarische Gesellschaft 234, zu Mensch und Menschenbild: Als kennzeichnender Unterschied erweist sich der Mangel an Maß, der dem Leben des Barbaren etwas Unstetes, Unruhiges, Unberechenbares und daher Gefährliches verleiht. Modern gesehen ist es ein Mangel an Rationalismus, wie er dem zivilisierten Menschen eigen ist, und auf dessen Grundlage allein eine sinnvolle Kommunikation möglich scheint. Doch wirkt dieses Element des Maß- losen nicht nur nach außen; es bedingt auch ein Auf und Ab im Verhalten des Barbaren, dessen Plötzlichkeit im Leben des zivilisierten kein Gegenstück kennt. Bald fällt der schrankenlose Pragmatismus des Barbaren auf, bald dessen Bin- dung an unverrückbare Grundsätze. Er wird in seinem Tun von außen und innen bestimmt, aber nicht in abgewogener, einander ergänzender Weise und gleichzeitig wie der zivilisierte Mensch, sondern jeweils ausschließlich! Ist er in einzel- nen Reaktionen unberechenbar, weil er nicht den urbanen Voraussetzungen einer Logik entsprechend handelt, so wer- den im Großen und Ganzen Grundzüge seines Verhaltens erkennbar, die immer wiederkehren. Ebd. 288 zu Krieg als Mittel der Daseinsbewältigung: Weil der Krieg aber grundsätzlich die Summe vieler im Einzelnen wuchernder Kämpfe ist, kann er nach seinem Ausbruch nur schwer in eine alles übergreifende Ordnung gebracht werden. Der Kampf des Barbaren ist Element eines einheitlichen Lebensgefühls und eng mit religiösen und rechtlichen Vorstellungen verbun- den. Von dieser mentalen Gesamtheit her wird er bestimmt, nicht aber von Taktik und Strategie über längere Strecken. Die Barbaren-Diskussion im Zshg. mit dem BG soll hier aus Themen- und Platzgründen nicht weiter geführt wer- den. - 67 -

ƒ Caesar Caesars Motivierungsrichtung zielt ebenfalls nicht direkt auf die Eroberung Galliens im Zu- sammenhang mit seinen politischen Absichten in Rom. Wie auch Vercingetorix für seine Kämpfer muss er die Interessen der Legionäre berücksichtigen und auf den unmittelbaren Ef- fekt abstellen. Als movens dienen die materiellen Belohnungselemente Sold-Sachbeute- Sklaven und Werthaltungen wie Ruhm und Ehre. ! Zusätzlich zum Sold können die Legionäre mit Beute aus Plünderungen rechnen. Abgese- hen vom versorgungstechnisch notwendigen Fouragieren ist damit ein Profit als Belohnung für ertragene Mühen zu erreichen. Besonders nach Belagerungen werden gallische oppida zur Plünderung freigegeben.247 Teil der Beute sind Sklaven, die vermutlich noch vor Ort zu Geld gemacht werden konnten.248 ! Caesar geht davon aus, trotz seiner Befehlsgewalt die Legionen für sich einnehmen zu müssen. Diese Einstellung äußert sich im Bellum Gallicum immer wieder durch Belobi- gungen für besondere Taten Einzelner im Gefecht, auch wenn dem militärisches Versagen vorausgeht.249 ! Caesar kann natürlich auch damit rechnen, dass Werthaltungen ein Motivierungsfaktor sind. Wie auf Seiten der Gegner sind auch für die römischen Soldaten Ruhm, Ehre und die Angst vor Schande einzukalkulierende Triebkräfte. Physische Härten und Disziplin im tak- tischen Verhalten müssen darauf abgestimmt werden, um nicht die Kontrolle zu verlieren [Caes. BG 7.17.6–8, 7.19.4 –6].250 ! Auch Caesar muss sich grundsätzlich darauf einstellen, seine Soldaten stärker überzeugen zu müssen. In Vesontio ist angesichts der furchteinflößenden Germanen einiges an Über- zeugungskraft notwendig, zumal im Heer Unruhe durch kriegsunerfahrene Militärtribunen – von denen Caesar offensichtlich nicht viel hält, nimmt er doch Soldaten und Centurionen in Schutz – ausgelöst wird [Caes. BG 1.39– 41]. Durch die Belobigung der 10. Legion appel- liert er an Ruhm und Ehre. Im Jahre 52 scheint diese Problematik überwunden; die Kriegserfahrung hat dazu wohl beigetragen.

5.3.2 Disziplin Die Herstellung und Aufrechterhaltung von Disziplin stellt sowohl für die gallische als auch für die römische Seite immer wieder eine Herausforderung dar. Vercingetorix und Caesar unter- scheiden sich aus Kenntnis ihres jeweiligen militärischen Umfeldes und der bisherigen Kriegser- fahrung heraus in der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. ! Auffallend ist Caesars Bericht von den drastischen Strafen, die Vercingetorix zur Aufrecht- erhaltung der Disziplin verhängt. Neben der durchaus üblichen Vergeiselung [Caes. BG

247 Deutlich Caes. BG 7.11.9 Cenabum. Dass Plündern Usus ist, Caes. BG 7.28.3, 7.46.5.

248 Nach Alesia Caes. BG 7.89.5. Sklavenaufkäufer sind vor Ort, Caes. BG 2.33.7 Atuatuca.

249 Caes. BG 5.44 T. Pullo, L. Vorenus; 2.25.1, 6.38 S. Baculus; 7.50.4 M. Petronius (Gergovia).

250 In Gergovia gelingt das eben nicht [Caes. BG 7.47.3]. - 68 -

7.40.7] und einer nachdrücklichen Hinrichtungsdrohung [Caes. BG 7.71.6]251 sind es ausge- führte Gewaltmaßnahmen wie schwere Verstümmelungen und Hinrichtungen [Caes. BG 7.4.10], die für Ordnung sorgen sollen. Dies ist natürlich als starke Anspielung Caesars auf die barbarische Natur seiner Gegner zu verstehen; Vercingetorix kann sich eben anders nicht durchsetzen.252 Er scheint auch ein Autoritätsproblem mit seinen Unterführern zu ha- ben. Die aufgetragene Aushebung von Waffenfähigen wird nicht in seinem Sinne ausgeführt [Caes. BG 7.75.1]. Die Versorgungs- und Führungsproblematik spielt hier wohl eine ent- scheidende Rolle.253 ! Dagegen Caesar: Er sieht sich offenbar nie zur Anwendung disziplinierender Gewalt gegen seine Legionäre veranlasst. Selbst auf schweres Versagen wie in Gergovia wird lediglich mit einer Abmahnung und einem Hinweis auf die konkrete militärische Problematik reagiert [Caes. BG 7.52.–53.1]. Caesar kennt ja bestens den Disziplinhintergrund; Flucht und Anse- hensverlust wirken oft stärker als körperliche Strafen. Abgesehen davon, dass sich Caesar eine Dezimierung seiner Legionen durch unsinnige Todesstrafen gar nicht leisten will und dies auch weitere Konsequenzen bezüglich der Loyalität seiner Truppe hätte, ist das nicht seine Grundhaltung. Sueton bescheinigt Caesar ein tiefes Verständnis für den Zusammen- hang Führung-Disziplin-Strafe. Der Feldherr schätzt einen Soldaten ausschließlich für sei- nen Mut und behandelt die Truppe mit einer ausgewogenen Mischung aus Strenge und Nachsicht [Suet. Caes. 65].254

5.3.3 Der Krieg in Gallien als moralische Frage Caesar argumentiert für die Leser des Bellum Gallicum auch grundsätzlich zur Sache eines Er- oberungskrieges in Gallien. In zwei großen Gesprächen bzw. Reden wird die Sache des Erobe- rungskrieges aus Caesars Sicht dargelegt. Zu Beginn des Krieges geht es in der Auseinanderset- zung mit Ariovist noch um die Grundsatzfrage der römischen Anwesenheit in Gallien und um eine Rechtfertigung von Caesars Einschreiten [Caes. BG 1.44 – 45].255 Durch die Jahre erfolgrei- cher Kriegsführung und unter dem Einfluss politischer Vorgänge in Rom bleibt zwar das Be- dürfnis nach Rechtfertigung nicht aus, insbesondere jetzt gegen Ende der Eroberung, wenn die Römer gegen die bis dahin immer friedlichen Arverner kämpfen; die Argumentationslinie aber ändert sich. Caesar schwenkt vom Außenpolitischen weg hin zu einem zivilisatorisch-kulturellen

251 S. A.194.

252 Vgl. Scheibelreiter, Barbarische Gesellschaft 285-289 (zum 5.-8. Jh. n. Chr., die Antike miteinbeziehend), Kap. »Krieg als Mittel der Daseinsbewältigung« u. ebd., 371-376 »Der Krieger als verwandelter Mensch«. Die Hintergrunderfahrung von Vercingetorix wird eine sehr ähnliche gewesen sein. Kremer, Bild der Kelten 183, zu Caesars Absichten.

253 Eigentlich merkwürdig: Warum schreibt Caesar das überhaupt? Ist dies die Brücke zwischen der sicherlich über- triebenen Mannstärke des Entsatzheeres [Caes. BG 7.75] und den danach kämpfenden 60.000 Mann vor Alesia?

254 Vgl. Munsing, What Caesar Told His Centurions.

255 Heubner, Feindbild 149-170, ausführlich zu Caesars literarischer Methode. Walser, Caesar und die Germa- nen 23-34, zur Glaubwürdigkeit der Argumentation und zur Tendenz Caesars, die eigene Agression zu verdecken. Hoffmann, Vorgeschichte, zu Caesars persönlichen Motiven im Zshg. mit der röm. Politik. Schieffer, Rede des Critognatus 491-492, zur sich ändernden Argumentationslinie. - 69 -

Bild.256 Das offensichtlichste Beispiel ist die Critognatus-Rede [Caes. BG 7.77].257 Anhand dieser Rede scheint sich im Jahre 52 das Schicksal Galliens auch in zivilisatorischer Hinsicht zu erfül- len, die Gallier verlieren den finalen Waffengang in Alesia nicht nur wegen ihrer militärischen Unterlegenheit. Der arvernische Adelige Critognatus, seiner Stellung nach also eine gewichtige Person, bringt in seiner Rede vor dem Entscheidungskampf die den Commentarius VII durchziehende Wertediskussion auf den Punkt: Die gallische libertas ist eigentlich die Freiheit zur crudelitas.258 Die harte Kritik von Critognatus, der Androphagie als letzten Ausweg für sein Volk vorschlägt [Caes. BG 7.77.12], an der Außenpolitik Roms, die nur aus Besetzung, Ausbeutung und Knecht- schaft bestehe, wird eben durch die crudelitas entkräftet. Die Gallier können aus ihrer Barbarei heraus die zivilisatorische Kraft Roms gar nicht verstehen.259 Im Jahre 52 wird dieses Argument, das dem römischen Leser wohl noch deutlicher verständlich gewesen sein wird, auch von Caesar dazu benutzt, die Bedeutung der gallischen Eroberungen in seinem Sinne zu verstärken. Beim consilium über das weitere Vorgehen [Caes. BG 7.77.1–2] bleibt die Person Vercinge- torix merkwürdig im Hintergrund, auch beim Umsetzen der Vorschläge und der Ausweisung der Mandubier ist von ihm nichts zu bemerken [Caes. BG 7.78]. Erst nachdem die Kampfhandlun- gen schon begonnen haben, tritt er eher verhalten wieder ins Geschehen [Caes. BG 1.81.3]. Der Eindruck bleibt, dass Vercingetorix in gewisser Weise literarisch geschont wird, als wolle Caesar einen geachteten Gegner nicht in eine Reihe mit denen stellen, die zumindest im Prinzip der Critognatus-Rede zustimmen [Caes. BG 1.78.1].

256 Ein solches Bild taucht natürlich auch schon früher im Kelten- u. Germanenexkurs auf [Caes. BG 6.12-28]; jetzt geht es aber noch deutlicher um Grundsatzfragen.

257 Die Rede ist vielfach aus verschiedensten Blickwinkeln untersucht worden. Ziel dieses kurzen Unterkapitels ist es, die von Caesar ins Feld geführte moralische Frage im Hinblick auf die Qualitäten der Kriegsgegner verständlich zu machen; schließlich macht C. im Commentarius VII für die Leser deutlich, dass es hier nicht mehr nur um Mili- tärisches geht.

258 Zur Gegenüberstellung und Anwendung von römischen Werthaltungen auf die Barbaren Sherwin-White, Racial Prejudice 23-25; Tsitsiou-Chelidoni, Funktion der Reden Caesars 142.

259 Eine kulturmissionarische Absicht sieht Schieffer, Rede des Critognatus 494. - 70 -

6. Überlegungen zu strategischen und operativen Aspekten

6.1 Elemente innenpolitischer Dynamik der gallischen Koalition

Caesar steht im Jahre 52 einer Koalition gegenüber, die den großen Anspruch hat, die Römer aus Gallien zu vertreiben, sich aber aufgrund der spezifischen inneren Dynamik in ihrem Zu- sammenhalt als nur bedingt belastbar erweist. Dies sollte auch im Verlauf der Kämpfe für die gallische Strategie – Taktik der verbrannten Erde und Angriff auf die provincia Gallia Transal- pina – Auswirkungen haben. Nach der Entfachung des Aufstandes durch die Carnuten verla- gert sich der strategische und operative Schwerpunkt zu Vercingetorix, der das Bündnis nach den Niederlagen in Serie immer wieder neu motivieren muss. Die innere Dynamik der Koali- tion ist gekennzeichnet durch ständige Spannungen, ausgelöst durch ein Wechselspiel aus mili- tärischen Niederlagen, Bündniserweiterungen, Konflikten um die Führung und das Auftreten der Haeduer als alten Hegemoniekonkurrenten. Zur Wahrung der Disziplin werden drastische Strafen angedroht und wohl auch ausgeführt [Caes. BG 7.4.10, 7.71.6].260 Bereits am Anfang der Bündniskonsolidierung besteht für Vercingetorix somit die Notwendigkeit, innenpolitische Macht in mehreren Ausprägungen auszuüben: autoritativ, indem er das Bündnis auf den ge- meinsamen Zweck einschwört [Caes. BG 7.4.4]; instrumentell, hauptsächlich mit Strafandro- hungen; Aktionsmacht, durch Anwendung der Strafen.261 Vercingetorix sieht sich dann plötzlich in der Position, nach verlorenen Kämpfen seine Stellung als Anführer verteidigen zu müssen [Caes. BG 7.20]262; generell wird einiges an Moti- vationsrhetorik aufgeboten, um die Koalition auf Linie zu halten [Vercingetorix Caes. BG 7.14, 7.29, 7.66; Critognatus 7.77].263

6.2 Strategien zur Koalitionserweiterung

Vercingetorix betreibt zur Umsetzung des unmittelbaren Koalitionszweckes, dem Kampf ge- gen Caesar, eine eigene Außen- und Erweiterungspolitik mit militärischen und diplomatischen Mitteln. Er bedient sich Gesandtschaften, die rhetorisch versiert und finanziell gut ausgestat- tet sind, um weitere Stämme für das Bündnis zu gewinnen [Caes. BG 7.31.1–2]. Militärisch sind die frühen Aktionen aus Vercingetorix‘ Absicht der Wiederherstellung des arvernischen principatus heraus gar nicht direkt gegen Caesar gerichtet.264 Als Erstes wird versucht, das Um-

260 S. Kap. 5.3.2. Disziplin.

261 Die Machttypologie nach Sommer, RG I A.27, 199. Zugrunde liegen die anthropologischen Grundformen wie bei H. Popitz, Phänomene der Macht, Tübingen 19992. Auch Caesar kommt nicht um Motivationsreden u. Maßnahmen herum, vgl. die Vesontio-Episode und die immer wieder zu Plünderungen freigegebenen gallischen Städte.

262 S. Kap. 5.3.1. Motivierung.

263 Wie hoch Caesar die Gefährlichkeit seiner Gegner einschätzt, kann man vielleicht auch daran messen, wieviel Platz ihren Reden innerhalb der Commentarii eingeräumt wird, vgl. Ariovist, aber auch, inwieweit ideologische Fragen berührt werden. S. Kap. 5.3.3.

264 Rosner, Ordnungsmacht 18, zu Caesars Argumentationsgang und dem vermittelten Eindruck. - 71 -

feld des arvernischen Kerngebietes abzusichern und Lücken zu schließen. Vercingetorix er- kennt für den Südabschnitt die Schwachstelle Transalpina, von der aus Caesar auch tatsächlich ins Arvernerland marschiert.265 Der anfangs durchaus erfolgreiche Lucterius wird abgehalten [Caes. BG 7.7–8].266 Später wird versucht, die Allobroger und die arecomischen Volcer anzu- greifen [Caes. BG 7.64.5–8]. Im Norden sind die bisher ruhig gebliebenen Biturigen (Cubi) mit ihrer politischen Stellung als Klienten der Haeduer von äußerster strategischer Bedeutung. Gleichzeitig können sie sich aufgrund ihrer geographischen Mittellage einer entscheidenden geopolitischen Orientierung nicht entziehen; militärische Enthaltung oder gar Neutralität ist schlicht nicht möglich.267 Ein weiteres Element ist die neue Gallienordnung. Die mit Caesars Unterstützung wiedererstarkten Haeduer würden durch den Klientenverlust sofort ge- schwächt, Überläufer zu Vercingetorix wären die Folge.268 Dementsprechend nimmt Vercingetorix die Sache selbst in die Hand [Caes. BG 7.5.1–2]. Die Biturigen müssen bereits Sympathien für den Aufstand gehegt haben. Trotz des Hilfege- suchs an die Haeduer spielen sie eine undurchsichtige Rolle, denn der Anschluss erfolgt sehr schnell. Caesar ist sich ob der Hintergründe unsicher [Caes. BG 7.5].269 Auch er erkennt rasch, dass er, wenn er das Biturigenterritorium kontrolliert, die aktuelle militärische und koalitions- politische Position des Vercingetorix-Bündnisses empfindlich stören kann. Das Gebiet grenzt an alle wichtigen Verbündeten und hat starke Haeduerverbindungen. Ohne biturigische Betei- ligung kann Vercingetorix keinen geschlossenen Sicherheitskomplex als Kampfraum formie- ren. Hegemonialpolitische Absichten können ebenso nicht auf einen territorial offenen und damit schwer einschätzbaren Raum zielen.270 Caesar hat jedoch über die abgefallenen Haedu-

265 Die Analyse als Schwachstelle gilt für beide Gegner; auch Caesar erkennt die Bedrohung der Transalpina auf brei- ter Front und reagiert mit dem Cevennenmarsch.

266 Vgl. Kap. 4 mit A.149.

267 Die Jahrhunderte zurückreichende Vorgeschichte mit Rom lässt Caesar nicht einfließen, sofern die erst von Livius konzentrierter dargebrachten Ereignisse in dieser Form überhaupt bekannt waren. Nach Liv. ab u. cond. 5.34-35 waren die Biturigen einst der stärkste Stamm Galliens und führten unter Bellovesus und Segovesus die Auswande- rung gallischer Stämme nach Oberitalien an, mit pagi der Biturigen, Arverner, Senonen, Haeduer, Ambarrer, Carnuten und Aulercer (also fast einer vorweggenommenen Aufstandskoalition des Jahres 52). Zur weiteren Problematik dieser Stelle (v. a. die Biturigen in führender Rolle in Gallien, weiters der chronol.-archäol. Zusam- menhang) Tomaschitz, Wanderungen 43-52. Jedenfalls werden die Biturigen immer wieder im Zshg. mit mate- riellem Reichtum beschrieben [Liv. ab u. cond. 5.34.2; Caes. BG 7.13.3, 8.2.2].

268 Vgl. Caes. BG 6.12.6-7 zu fließenden Klientelverhältnissen.

269 Die angebliche Angst vor Verrat an dieser Stelle [Caes. BG 7.5.5] mutet seltsam an. Welchen Zweck hätte ein Verrat nach der Bitte um Unterstützung? Faktionskämpfe innerhalb der Biturigen könnten natürlich eine Rolle gespielt haben, aber darüber wird nichts berichtet. Caesar wird seinem Misstrauen gegenüber den Haeduern viel- leicht jetzt noch nicht Ausdruck geben wollen und täuscht Unwissenheit vor. In Caes. BG 1.18.6 ist von haed.-bit. Heiratsverbindungen über Dumnorix‘ Mutter die Rede. Mit ohnehin antirömischem Hintergrund sind sie nach dem Tod von D. erst recht nicht mehr politisch nutzbar.

270 Es lässt sich, betrachtet man das Territorium aus geostrategischer Sicht, der Ansatz der Rimland-Heartland-Theory ins Spiel bringen. Hier vereinfacht: Welcher der beiden Hegemoniekonkurrenten Arverner und Haeduer (rim) die Biturigen (heart) beherrscht, kann den anderen in jeglicher Bewegungsfreiheit massiv einschränken und seinerseits das rimland erweitern. Die Theorie, entwickelt am Großraum Eurasien, wurde erstmals in dem wohl grundle- gendsten und wirkmächtigsten Aufsatz zur Geopolitik veröffentlicht, H. J. Mackinder: The Geographical Pivot of History, The Geographical Journal, vol. 23, no. 4, London 1904, 421-444 (ND in: The Geographical Jour- - 72 -

er als Mittler keinen Zugriff mehr und muss reagieren. Vercingetorix unternimmt den Ver- such, ihn indirekt zu schwächen, indem die Boier, jetzt haeduische Klienten, gleich wie die Biturigen zum Übertritt bewegt werden sollen [Caes. BG 7.9.6]. Vercingetorix muss jedoch abbrechen und wieder in scheinbar gesichertes Koalitionsgebiet zurückmarschieren.

ƒ Der haeduische Faktor Der Übertritt der Haeduer zu Vercingetorix sorgt für neue Kräfteverhältnisse innerhalb des Bündnisses. Haben sie anfangs die Unübersichtlichkeit der neuen Situation in Zentralgallien für die schrittweise Entfernung von Caesar genutzt, sind sie in Phase IV nur widerwillig dabei [Caes. BG 7.63.8–9]. Im Anfangsstadium des Aufstandes ist die Haltung der Haeduer den Ar- vernern gegenüber noch nicht eindeutig. Überhaupt ist davon auszugehen, dass eine Konsoli- dierung der neuen hegemonialen Verhältnisse nach der Neuordnung bzw. Wiederherstellung durch Caesar [Caes. BG 6.12.6–9] noch nicht eingetreten ist. Die neuen Klientelverhältnisse sind durch den seit Jahren andauernden Kriegszustand relativ flexibel. Bei den Haeduern, in- nenpolitisch immer noch gespalten, haben momentan antirömische Kräfte die Oberhand, die natürlich nicht sofort in die zweite Reihe zurücktreten wollen. Man könnte eigentlich einen gewaltigen Schub an militärischer Schlagkraft für die Gallier annehmen; jedoch scheint es nicht möglich zu sein, das Potential umzusetzen. Die Rolle der Haeduer bleibt in der entscheidenden Endphase merkwürdig verhalten. Sie sind zwar immer im Kampfgeschehen – Drei-Fronten-Gefecht [Caes. BG 7.67], großes Aufgebot [Caes. BG 7.75] – können aber keine ihnen zuschreibbare Erfolge erzielen oder dazu beitragen.271

6.3 Der Kampfraum als strategisches Konzept

Obwohl er Caesar taktisch scheinbar immer einen Schritt voraus ist, kann Vercingetorix für die Gallier keine überlegene Position herausschlagen. Die ersten strategischen Ansätze wer- den bereits mit Caesars Überquerung der Cevennen unterlaufen. Die Topographie ist plötz- lich kein Sicherheitsfaktor mehr [Caes. BG 7.8.3].272 Vercingetorix kann den Kampfraum im Norden nicht abschließen und die provincia nicht weiter bedrängen. Schließlich ist er ab dem Moment, wo die Römer vor Avaricum stehen, derjenige, der seine Maßnahmen jetzt erkenn- bar auf Caesar abstimmt und nicht umgekehrt.273 Ist für Vercingetorix also der geschlossene Koalitionsraum – im Sinne der geographisch-operativen Möglichkeiten seines Heeres –

nal, vol. 170, no. 4, London 2004, 298-321). Zur strategischen Verbindung mit den Stämmen im Norden auch Kraner, Commentarii II, A.7.8.2.

271 Caesar macht es natürlich aus größerem politischen Winkel bewusst schwierig, die Aktionen der Haeduer mitzu- verfolgen. Nach Beendigung des Krieges wird er die Abtrünnigen wieder zu Rom zurückführen müssen, ohne sie allzu sehr zu bestrafen.

272 Kraner, Commentarii II, A.7.8.2.

273 Gelzer, Caesar 133, spricht davon, dass der militärische Erfolg keinen politischen (=strategischen) Gewinn ge- bracht hätte. Dies erscheint aber nur auf den ersten Blick so. Vercingetorix ist jetzt gezwungen, sein Bündnis in- nenpolitisch im Griff zu behalten, was seine taktischen Entscheidungen beeinflusst, seine Autorität belastet und er dadurch nicht unwesentlich an Moment gegenüber Caesar verliert. - 73 -

Schlüssel des strategischen Gesamtkonzepts, muss Caesar die Trennung in regionale Kampf- räume anstreben, kalkulierend, dass die Gallier keinen Mehrfrontenkrieg erfolgreich koordi- nieren können. Erweiterungen des Bündnisses führen zu keiner Verstärkung, sondern begünstigen Zentri- fugalkräfte: Die Haeduer sind sowohl zu unsichere Verbündete als auch zu mächtige, um kurz- fristig uneigennützig einer Strategie zu folgen und erweisen sich letztendlich als unzuverlässig. Die versammelten Entsatztruppen, die nicht direkt unter dem Kommando von Vercingetorix stehen, können im Gelände vor Alesia ihre Masse nicht in Kampfkraft umsetzen und sind dem Überblick und der Taktik Caesars nicht gewachsen. Die generelle Überlegenheit der Römer in Feldschlachten, wohl der Hauptgrund für die strategische und operative Ausrichtung der Koali- tion, tut ein Übriges. Dazu kommt, dass die Kämpfer aus fast allen Teilen Galliens im Koalitionsverband außer- halb ihrer Stammesgebiete operieren. Frühere Kämpfe waren auf die jeweils eigenen Territo- rien beschränkt und haben den sicher nicht unwesentlichen emotionalen Faktor beeinflusst. Die übliche Taktik der Aufstellung im Kampf nach Stammeskontingenten wird nicht mehr ver- folgt.274 Rasche Truppenbewegungen, der Schwerpunkt auf der Reiterei aufgrund der abseh- bar erforderlichen operativen Flexibilität und die notwendige Kontrolle über eine große Zahl von Kämpfern aus unterschiedlichen Kriegskulturen und Waffengattungen275 machen dies ineffizient; immer wieder werden ausgesuchte Unterführer zu Aufgaben abgestellt [Caes. BG 7.21.2, 7.83.4].276 Es scheint sowohl für Caesar als auch für Vercingetorix das jeweilige Auftreten des ande- ren unerwartet zu kommen. Caesar wird klar auf dem falschen Fuß erwischt [Caes. BG 7.6]. Die Legionen sind von ihrem Stationierungsmuster her nicht auf eine operative Ausstrahlung nach Zentralgallien hinein vorbereitet. Vercingetorix rechnet nicht damit, dass aufgrund der früheren Nähe zu dem Römer [Dio 40.41.1,3] seine Pläne zur Wiederherstellung des princi- patus auf eine Gegenreaktion stoßen würden. Caesars Cevennenüberquerung klärt mit einem Schlag die Lage. Militärisch schaffen die Kontrahenten einen Kampfraum höchster Verdichtung, beide aus ähnlichen Strategiekonzepten heraus:  Vercingetorix vs. Caesar: Militärisch soll die Bewegungsfreiheit des Gegners in einem Be- wegungskrieg durch logistische Behinderung bis zur Aufgabe eingeschränkt werden. Die- ses Konzept wird nach mehreren Niederlagen von Vercingetorix entwickelt [Caes. BG 7.14]. Politisch müssen dazu die Peripherieräume entsprechend aufbereitet werden. So- wohl Einflussenklaven der Haeduer, wie Biturigen und Boier, als auch potentielle Ver-

274 Die einzige Ausnahme ist Caesars deutliche Formulierung distributi in civitates [Caes. BG 7.19.3]. Vgl. die Nervier- schlacht Caes. BG 2.23, Ariovist 1.51.2.

275 Z.B. Caes. BG 7.31.4, wo nach Waffengattung requiriert wird. Vgl. auch Luc. b.c. 1.422-1.426. Überhaupt ist die traditionelle Kampfweise der barbari stark mit ihren Stammesterritorien verbunden, vgl. Caes. BG 2.10.4 Belger, 6.5.7 Menapier, 4.3.1 Sueben.

276 S. Kap. 5.1.5. - 74 -

bündete in der provincia, wie Rutener und Allobroger, sollen auf die Seite der Gallier ge- führt werden und so die römische Position stark einengen.  Caesar vs. Vercingetorix: Caesars ebenfalls geschlossener Kampfraum hat eine andere konzeptuelle Voraussetzung. Die Bewegungsfähigkeit des Gegners soll überfordert wer- den, indem etwaige Rückzugsräume besetzt und damit Ressourcen entzogen werden. Die potentiellen Verbündeten können nicht übertreten und erhalten damit vorerst die militäri- sche und politische Balance im römischen bzw. haeduischen Verband. Die Kontrolle über die nördliche Peripherie, die Stabilität der Transalpina und die vorerst prorömische Ein- schätzung des haeduischen Ostens lassen die gallische Koalition an politische und militäri- sche Grenzen stoßen. Das strategische Raumbild kann demnach aus politischer und operativ-taktischer Sicht mili- tärgeographisch in drei Dynamikzonen gesehen werden: × Caesar übt Druck in der nördlichen Peripherie aus. Ø Vercingetorix versucht den Ausgleich über Pressen gegen die provincia im Süden. Ö Beide Parteien haben durch die für alle Seiten unsicheren Haeduer einen diffusen Osten einzubeziehen, der jeweils gehalten bzw. vom Übertritt abgehalten werden soll.

6.4 Logistik

Ein wesentlicher Faktor der Militäroperationen ist unbestritten die Logistik.277 Die strategi- schen Entwürfe beider Kriegsgegner sind stark darauf abgerichtet, hier die Oberhand in Form des ungehinderten Ressourcenzugangs zu behalten. Um frumentum commeatusque dreht sich das Hauptargument, mit dem Vercingetorix die Koalition neu einschwört [Caes. BG 7.14]. Der Plan zur Vernichtung des Futters für Pferde und Lasttiere der Römer bei gleichzeitiger Ver- sorgung durch die eigenen Leute zeigt den eigentlichen logistischen Stress auf, dem die Geg- ner ausgesetzt sind. Gerade im Bewegungskrieg sind Alternativen kaum vorhanden; der Ge- samtplan hängt vom absoluten Gelingen der Versorgungsunterbrechung bzw. - aufrechterhaltung ab. In strategieanalytischer Hinsicht ist diese Nachricht eine Schlüsselstelle, obwohl nicht ganz unproblematisch. Eine scheinbar gesamtgallische Dimension des Vorha- bens wird durch quasi-geographische Angaben wieder eingeschränkt: Das Gebiet soll eigent- lich nur die römische Fouragier-Reichweite umfassen [Caes. BG 7.14.5] und noch dazu unmit- telbar nur das Biturigengebiet, wo ja die Römer jetzt stehen.278 Caesar weist in diesem Kriegsabschnitt deutlicher als zuvor auf die Priorität versorgungs- technischer Fragen für die römische Seite hin. Beim Anlaufen der Operationen gegen die Gal- lier ist der Aufbruch aus den Winterlagern durch das mögliche Ausbleiben des Getreidenach- schubes gefährdet; nur aufgrund des weiterführenden politischen Kalküls entscheidet sich

277 Sidebottom, Krieg 151, mit dem Beispiel Atuatuca; Jehne, Caesar 68-69 zum Jahr 52.

278 Die Boier-Bemerkung gilt als interpoliert (Kraner, Commentarii II, KA 7.14.5). Die Bemerkung in Caes. BG 7.15, hoc idem fit in reliquis civitatibus, wirkt überzogen, denn wer kann gemeint sein? - 75 -

Caesar dafür [Caes. BG 7.10.2]. Tatsächlich kommt es bei den Römern vor Avaricum zu sub- stantiellen Nahrungsmittelengpässen [Caes. BG 7.17.2–3]. Vercingetorix scheint allerdings das Durchhaltevermögen der Legionen unterschätzt zu haben; auch er muss sich bewegen, nach- dem auf seiner Seite das pabulum zu Ende scheint [Caes. BG 7.18.1].279 Caesar ist zeitweise gezwungen, die Sicherung der Versorgung den unzuverlässigen Haeduern anzuvertrauen, in der jetzigen militärischen Lage und der innenpolitischen Situation bei den Haeduern ein of- fenbar notwendiges Planungsrisiko [Caes. BG 7.34.1]. Vercingetorix ist dann in Alesia stark vom Versorgungsproblem betroffen, wenn er höchs- tens mit 30 Tagen im oppidum rechnen kann. Um die Kontrolle über die Vorräte zu behalten, lässt er alles bei sich abliefern; bei Zuwiderhandeln wird die Todesstrafe angedroht [Caes. BG 7.71.]280 Als schließlich das Getreide aufgebraucht ist, wird auch der Planungshorizont enger und konsequenter; der Zusammenhang mit der Critognatus-Rede verdeutlicht die Notlage [Caes. BG 7.77.1]. Umfassende Entscheidungen zu operativen und taktischen Bewegungen beider Seiten werden also durch die schwierige Einschätzung der zu erwartenden logistischen Reichweite und Möglichkeiten wesentlich beeinflusst.281

279 Jetzt gilt wohl: Gegen Ende der Ressourcen ist jeder militärische Erfolg kriegsentscheidend.

280 Für 80.000 Mann 30 Tage Getreide ergibt nach römischen Maßen (5 cotylae / Tag / Legionär = 1022g) ca. 2.453t, ganz unwahrscheinlich. Die Mandubier können generell nicht so viel produzieren, die Ernte des Jahres war ver- mutlich noch nicht eingebracht. 30 Tage mag stimmen, aber nicht für diese Truppenzahl.

281 Selbstverständlich nicht nur jetzt und hier. Kaum eine operative Bewegung der Römer in den Commentarii kommt ohne Hinweis auf die Versorgung der Truppen aus [u. a. Caes. BG 1.40.11, 3.24.3, 6.36.2]. Der aufgrund des ge- samtgallischen Aufstandes riesige Aktionsraum lässt die Logistik noch bedeutender werden. Vgl. Vegetius, Epit. 3.3; Sun Zi, The Art of War, ch. 2: He who is skilled at waging war […] procures provisions from his own country, re- lies for grain on the enemy. Therefore, foodstuffs for the army will be sufficient.; s. a. zahlreiche Zitate zur Militärlogis- tik unter http:/ / www.au.af.mil/ au/ awc/ awcgate/ navy/ log_quotes_navsup. pdf [abgerufen 02.03.2014]. - 76 -

7. Die unmittelbaren Folgen der gallischen Niederlage

Nach der Auslieferung von Vercingetorix werden die verbliebenen gallischen Kämpfer als Beute verteilt. Jeder Soldat Caesars erhält einen Gefangenen.282 Haeduer und Arverner werden nicht versklavt, denn sie will Caesar wieder zurückgewinnen, indem die früheren Verhältnisse mit Rom wieder hergestellt werden [Caes. BG 7.89]. Beide Stämme erhalten 20.000 Gefangene zu- rück, jedoch werden zahlreiche Geiseln verlangt [Caes. BG 7.90.2–3]. Caesar spricht nicht von deditio, hätte dies doch das Verständnis der Geiselrückgabe und die weitere Behandlung beider Stämme erschwert. Die von Vercingetorix bei seiner Machtübernahme vertriebenen Adeligen werden wohl rasch zurückgekehrt sein. Haeduer und Arverner bleiben aus politischem Kalkül verschont; ihre Rollen als hegemonia- le Kräfte sind trotz der Niederlage noch nicht ganz beendet.283 Die neue Lage wird eingeschätzt und die Legionen entsprechend auf Winterquartiere ver- teilt [Caes. BG 7.90.4 –7]. Labienus zieht mit zwei Legionen und der Reiterei zu den Sequanern, verstärkt durch eine zusätzliche Legion unter S. Rutilus; die Remer müssen immer noch mit zwei Legionen vor den Bellovacern geschützt werden; je eine Legion geht zu den Ambivaretern, Bit- urigen und Rutenern. Auch der Getreidenachschub wird mit zwei Legionen bei den Haeduern gesichert. Caesar selbst überwintert in Bibracte. Die Stationierung römischer Truppen geschieht in einer Kombination aus militärischer Notwendigkeit und diplomatischer Überlegung. Ein multifunktionales Stationierungsnetzwerk hält alle zum Ende dieses Kriegsjahres relevanten Sicherheitskomplexe unter Überwachung [Caes. BG 7.90.4 –7]:284 o Keine Legion überwintert auf arvernischem Gebiet; die Arverner sollen wohl überwacht, aber nicht weiter belastet werden [Caes. BG 7.89.5, 7.90.3]. Für sie sind die Standorte bei den Rutenern, Ambivaretern und Biturigen zuständig.285 o Die zwischen provincia und Gallien zweigeteilten Rutener müssen schon aufgrund dessen und möglicher daraus erwachsender Illoyalität [vgl. Caes. BG 7.7.1] kontrolliert werden; die Provinz wird so auch nach Norden abgesichert.286 o Die Legion bei den Biturigen beobachtet diese und kann gegebenenfalls nach Norden – Carnuten, Senonen – in Marsch gesetzt werden. o Die loyalen Remer werden als die wichtigsten Verbündeten im nordgallisch-belgischen Raum durch eine eigene Legion geschützt und gleichzeitig wird eine schnelle Eingreiftruppe

282 Nicht nur von denen aus Alesia, auch vom geflohenen Entsatzheer [Caes. BG 7.87.7].

283 Zur weiteren Rolle beider Stämme s. Kap. 8.9.

284 Rice Holmes, CCG 183: Thus the troops were distributed in such a way as to safeguard the loyal, to overawe the disaffected, to cover the Province, and to be ready for mutual support.

285 Auch im folgenden Kriegsjahr müssen die A. keine Legionen erdulden, werden aber durch zwei Legionen bei den Lemovicen überwacht [Caes. BG 8.46.4].

286 Nach Luc. b.c. 1.402 bleiben römische Truppen bei den Rutenern bis zum Beginn des röm. Bürgerkrieges statio- niert. - 77 -

bereit gehalten. o Aufgrund der strategischen Geographie bedürfen die Haeduer besonderer Beachtung: Zwei Legionen sichern die Getreideversorgung; in Verbindung mit Caesars Winterquartier in Bibracte und zwei Legionen bei den Sequanern ist die massive römische Präsenz eine Si- cherheitsgarantie. o Dazu kommt, dass die Legion bei den Ambivaretern nicht nur in Richtung Arverner agieren kann, sondern auch die geographisch eng zusammenliegende Gruppe kleinerer Haeduer- bzw. Arvernerklienten – Segusiaver, (Aulercer) Brannovicen, Boier, Ambarrer und Vellavier abdeckt. o Die drei Legionen bei den Sequanern sichern die Anmarschroute nach Gallien und beobach- ten, wohl von Vesontio aus, den östlichen Sicherheitskomplex mit den Helvetiern, Raura- cern und den nach Ariovists Ende kleinräumig siedelnden restlichen Germanengruppen.

Wie Caesar dieses Stationierungsnetzwerk auf operativer Ebene einsetzt, sollte sich dann im fol- genden Kriegsjahr 51 gegen die Biturigen, Carnuten und Bellovacer zeigen.287 Grundsätzlich bedeutet die schwere Niederlage vor Alesia einen massiven Rückschlag für al- le politischen Formationen in Gallien. Wie aber bereits das folgende Jahr zeigen sollte, zieht man sich auf regionale Widerstandsaktionen zurück und geht nicht nur direkt gegen die Römer, sondern auch gegen romfreundliche Stämme vor. Die stark geschwächte Kampfkraft führt also nicht zur Abkehr von antirömischer Haltung. Vor allem Nordgallien sollte unruhig bleiben; An- den, Carnuten und Bellovacer werden wiederholt Ziel römischer Operationen. Ehemalige Un- terkommandanten der Vercingetorix-Koalition führen mit Resteinheiten den Kampf gegen die Römer weiter.288

287 S. u. Kap. 8.3.

288 S. u. Kap. 8.4. - 78 -

8. Die Nachwirkungen des römischen Sieges

Nach den Ereignissen von Alesia zeigt sich rasch, dass die Neuordnung in Gallien auf schwachen Beinen steht. Caesar belässt die Hintergründe der nach kurzer Zeit wieder aufbrechenden Kon- flikte unkommentiert, wohl um nicht Erklärungsbedarf für seine Siegesmeldungen in Rom zu haben. Der Hinweis auf die Gefährlichkeit der Lage erschöpft sich in der Meldung, die Gallier planten, an weit auseinanderliegenden Orten gleichzeitig loszuschlagen, um so die Legionen in Bedrängnis zu bringen [Caes. BG 8.1]. Dieser angebliche gallische Plan ist wohl eher eine La- geanalyse aus Sicht Caesars, um die kommenden römischen Militäroperationen zu rechtferti- gen.289 Der erneut aufflammende Widerstand richtet sich nicht nur gegen Rom; auch regionale Nachbarschaftskonflikte brechen auf, ein Zeichen, dass sich die inneren Zustände in Gallien im Prozess der Neukonsolidierung befinden. Die entstehenden Unruheherde kann Rom natürlich nicht dulden. Hirtius berichtet von Aktionen290 gegen a. die Biturigen, die den Fall Avaricums noch nicht verwunden haben [Caes. BG 8.2–3];291 b. die Carnuten, die nach der Niederlage unter den schweren Bedingungen eines harten Win- ters nicht zur Ruhe kommen [Caes. BG 8.5]; c. die Bellovacer und den Atrebaten Commius, die gegen die Suessionen vorgehen [Caes. BG 8.6]. Commius kämpft später alleine weiter [Caes. BG 8.47]; d. die Anden, die die wieder romtreuen Pictonen in Lemonum angreifen [Caes. BG 8.26]; e. Drappes und Lucterius, frühere Unterführer von Vercingetorix, die in Uxellodunum bela- gert werden [Caes. BG 8.30]; f. die Treverer, die weiter unter Druck gehalten werden und bei denen auch der Haeduer Surus Unterschlupf findet [Caes. BG 8.45]; g. Diversissimam partem Galliae292, wo sich Stämme wieder bewaffnen [Caes. BG 8.24.2].

Als vorgegebene Ursache für die kommenden Unruhen wird eine taktische Überlegung der Gal- lier angeführt, die römischen Legionen in ihrer Bewegungsfreiheit und beim Nachschub so stark einzuschränken, dass sich weitere Aktionen als unmöglich erweisen würden [Caes. BG 8.1.2]. Dieses Argument ist bereits bekannt: Vercingetorix selbst hat das entsprechende Vorgehen als Strategie für ein freies Gallien propagiert [Caes. BG 7.14]. Im Commentarius wird die Textten- denz der Interpretation aller Aktionen als gesamtgallischer Aufstand weitergetragen293: Für die

289 Rice Holmes, CCG 184 bezweifelt ebenfalls einen gallischen Gesamtplan.

290 Vielleicht auch nur der Erzählweise Hirtius‘ geschuldet: Die Aufstände werden erzähltechnisch öfter der Verant- wortung von Einzelpersonen zugeschrieben (Dumnacus, Correus, Drappes, …), im Gegensatz zu den früheren Commentarii, wo das Gewicht auf Stämmen mit Anführern liegt.

291 Folgend nur die Stellen der Ersterwähnung des jeweiligen Konfliktes. Geographisch vgl. Karte 3.

292 Zur möglichen Lokalisierung s. Kap. 8.8.

293 Vgl. die entsprechende Tendenz in der Vercingetorix-Rede Caes. BG 7.20 oder auch die Critognatus-Rede Caes. BG 7.77. - 79 -

Freiheit wird Opferbereitschaft eingefordert [Caes. BG 8.1.3]. Dadurch, dass der Commentarius VIII von Hirtius verfasst wurde, entsteht durch den stilistischen Bruch der deutliche Eindruck wiederaufflammender, antirömisch übereinstimmender, aber schwach organisierter Wider- standsnester; gleichzeitig ist Gallien nach dem großen römischen Sieg von Alesia geschwächt und nur mehr zu sporadischen Aktionen fähig. Das Bild, das hier geboten wird, ist das Austreten von Glutnestern nach dem Löschen eines Großbrandes.294

200 KM

c f

g? b d a

g? e

Karte 3: Die Konfliktzonen des Jahres 51

Aus militärstrategischer Sicht wird jetzt deutlich, wie Caesar das Stationierungsnetzwerk seiner Legionen auf operativer Ebene einsetzt: Gegen die Biturigen kommen die dortige und die un- mittelbar benachbarte Legion zum Einsatz [Caes. BG 8.2–3]. Die Carnuten werden durch die beiden Legionen, die ursprünglich im Haeduergebiet den Nachschub sichern sollten, in Schach gehalten [Caes. BG 8.4.3–8.5.1]. Gegen die Bellovacer werden Legionen geführt, die in den bis- herigen Winteraktionen noch wenig oder gar nicht im Einsatz waren und durch ihren Abzug keine Schwächung der militärischen Präsenz an den Stationierungsorten bedeuten [Caes. BG 8.6.3– 4].

294 Will, Caesar 123, sieht C. als eine Art Brandwache in Gallien; ein bestimmter Eindruck der Aufstände war nö- tig, um eine zu frühe Abberufung aus Gallien zu verhindern. - 80 -

8.1 Die Biturigen

Dem im Vorkapitel [Caes. BG 8.1] aufgebauten Druck zur gewünschten Lesart folgend, können sich die Biturigen aufgrund des immer noch bestehenden Reichtums den Widerstand leisten [Caes. BG 8.3.2], der wohl wegen der Größe ihres Territoriums mit nur einer Legion nicht be- wältigbar ist. Ende des Jahres 52 werden sie rasch zur Räson gebracht [Caes. BG 8.1.1], indem die in ihrem Gebiet stationierte 13. und die unmittelbar benachbarte 11. Legion in Aktion treten [Caes. BG 8.2–3].295 Die völlig unvorbereiteten Biturigen296 fliehen zu Nachbarstämmen – wel- che, wird nicht gesagt –, finden aber nirgends Aufnahme, da Caesar bereits vor Ort die Stämme unter Druck setzt [Caes. BG 8.3.3–5]. Die Details der Vorgänge sind kaum zu erschließen: Ei- nerseits können Lemovicen, Carnuten, Turoner, Pictonen etc. gemeint sein, andererseits spricht das rasche Ende dieser Episode gegen eine größere Ausdehnung [Caes. BG 8.3.3– 4]. Konkrete Planung und Zielsetzung eines Aufstandes bleiben hinter der Formulierung quin bellum pararent coniurationesque facerent [Caes. BG 8.2.2] verborgen. Geographisch dürfte es sich damit wohl um ein kleinräumiges Unternehmen handeln: Caesars Taktik, die benachbarten Stämme der Biturigen durch rasche Truppenaufmärsche von der Aufnahme der Flüchtenden abzuhalten, deutet darauf hin. Die gesamte Episode ist trotzdem kaum aufzuklären. Die Biturigen waren in den Monaten zuvor durch die Abtrünnigkeit von ihren haeduischen Schutzherren aufgefallen, wodurch ihnen eine gewisse Rolle in den strategischen Konzepten der Kontrahenten des Jahres 52 zugefallen war. Jetzt aber297 sind sie damit beschäftigt, durch den Winter zu kommen, immer der Gefahr plündernder Nachbarn ausgesetzt [Caes. BG 8.4.2]. Aufstandspläne scheinen über- haupt nicht zielführend, vielmehr ist wohl eine Lagebereinigung die Absicht Caesars. Über den Einsatz des biturigischen Kontingentes vor Alesia [Caes. BG 8.75.3] ist nichts Genaues in Erfah- rung zu bringen, ebenso wenig wie über die Abteilungen der benachbarten Stämme; sollten die- se nicht dezimiert worden sein [Caes. BG 7.88.6–7]298, ist die Gegenaktion Caesars eine Absiche- rung des Sieges von Alesia.299 Die Ausdehnung dieser Unruhe bleibt also aufgrund des schwachen literarischen Ausdrucks von Hirtius kaum richtig erschließbar.300

295 Vgl. Caes. BG 7.90.6. Die 13., geführt von T. Sextius, und die 11. unter G.A. Reginus bei den Ambivaretern.

296 Hier tritt wiederum das »Problem Hirtius« hervor. Die Textausführung verwirrt: Organisieren die B. jetzt einen Aufstand oder werden sie einfach unvorbereitet überfallen, um die römische Versorgung zu verbessern [Caes. BG 8.3.2]?

297 Zusätzlich verwirrend: …ut sine timore ullo rura colentes… [Caes. BG 8.3.1]. Kraner, Commentarii III, A.8.2.1 mit verschiedenen Ansätzen zum Zeitpunkt. Jedenfalls ist es tiefster Winter. Vgl. Caes. BG 8.4.1 u. Kraner, Commentarii III, A.8.4.1, wo der Feldzug vom 2. Dez. bis 10. Jan. stattfindet.

298 Vgl. zum Ansatz, dass nur 60.000 gekämpft haben und viele flüchteten Kap. 5.1.1, Phase IV, mit A.15.

299 Vgl. Caes. BG 8.46.1-2 Aquitanien.

300 Kraner, Commentarii III, A.8.3 moniert das Ungeschick, das Hirtius nicht selten als Schriftsteller zeigt. - 81 -

8.2 Die Carnuten

Die Carnuten sind von den Ereignissen des Jahres 52 schwer betroffen. Caesars Vergeltungsak- tion [Caes. BG 7.11.4 –9] für die Übergriffe in Cenabum zu Beginn des Aufstandes und vielleicht auch das Abbrennen von Städten und Gehöften als Folge der Vercingetorix-Taktik [Caes. BG 7.14 –7.15.2] muss substantiell an die Existenzgrundlage gegangen sein.301 Eine Folge sind Über- fälle auf die biturigischen Nachbarn [Caes. BG 8.4.2], die immer noch einen gewissen Lebens- standard halten können.302 Beim Anmarsch der Legionen verlassen die Carnuten ihre Siedlun- gen [Caes. BG 8.5.1], werden aber dennoch von den Römern verfolgt und ausgeplündert [Caes. BG 8.5.3– 4]. Von den Carnuten ist vorläufig nichts mehr zu befürchten, zumal die 14. und die 6. Legion in Cenabum im Winterlager bleiben [Caes. BG 8.6.2]. Der Kampfeswille ist aber nicht gebrochen, Gelegenheiten werden wahrgenommen. So sind die Carnuten an einem Regionalkonflikt im Verband mit dem Anden Dumnacus gegen die Pic- tonen beteiligt [Caes. BG 8.31.1].303 Die Interessenssphäre der Carnuten ist also immer noch von Bedeutung; die schon länger bestehende Verbindung mit den Anden und Turonern [Caes. BG 2.35.3] bleibt in einem gewissen Maß aufrecht.304 Offenbar hat auch das frühere Klientelverhält- nis zu den Remern [Caes. BG 6.4.6] überhaupt keine Bedeutung mehr.305 Als Caesar in seinem Bestreben der Lagekonsolidierung bei den Carnuten Truppenpräsenz zeigt, nutzt er die herrschende Unsicherheit, einen früheren Feind endgültig auszuschalten [Caes. BG 8.38]. Der Rädelsführer der Übergriffe auf römische Kaufleute in Cenabum, Cotu- atus, wird von seinen eigenen Leuten ausgeliefert und Caesar lässt ihn, vorgeblich auf Druck seiner Soldaten, hinrichten [Caes. BG 8.38.5].306 Von einem weiteren innenpolitischen Eingrei- fen wird nicht berichtet; vielleicht übt sich Caesar auch aufgrund des Fehlschlages mit Tasgetius [Caes. BG 5.25] in Zurückhaltung. Die Carnuten bleiben weiterhin sicherheitspolitisches Ele- ment und Risiko; die Legionsstationierung bei den Turonern soll wohl nicht nur die Stämme bis zum Ozean überwachen [Caes. BG 8.46.4].307

8.3 Belgium im Jahre 51 v. Chr.

Im Vorjahr war Belgium beinahe zur militärisch aktiven Nordfront des zentralgallischen Kampf- raumes geworden [Caes. BG 7.59]. Die prorömisch praktisch unwirksamen Remer konnten in

301 Zur Identifizierung von Cenabum und dem Rachemotiv s. Kap. 4 mit A.156.

302 Ist die 13. Legion bereits wieder abgezogen, da sie Übergriffe nicht verhindert?

303 Zu diesem Konflikt s. Kap. 8.5.

304 Ganz aus dem Spiel sind übrigens die Senonen, die 53 noch mit den Carnuten paktieren [Caes. BG 6.2.3].

305 Strategisch ist eine Involvierung der Remer vielleicht auch nicht wünschenswert; mit ihrer verliehenen principatus- Stellung sollen sie nicht überfordert werden. Schließlich werden sie im Sicherheitskomplex Belgium dringender gebraucht, s. Kap. 8.3.2.

306 Wohl eher der Unnachgiebigkeit Caesars geschuldet, trotz des beschwichtigenden contra suam naturam. Vgl. Cae- sars Haltung zu Ambiorix u. Acco.

307 Ad fines Carnutum ist sicherlich nicht ohne Absicht eingefügt. Vgl. außerdem Caes. BG 8.24.2 u. 8.27.1, wo Fabius mehrere Stämme in fide aufnimmt. - 82 -

einem heterogenen politischen Umfeld weder für Frontberuhigung noch für die Unterdrückung von Hilfskontingenten an Vercingetorix sorgen.

8.3.1 Bellovacer, Suessionen, Remer Im Winter 51 häufen sich die Nachrichten, eine von den Bellovacern unter Correus geführte Koalition plane einen Angriff auf die Suessionen, die seit dem Jahre 57 den Remern unterge- ordnet waren [Caes. BG 7.6.2].308 Caesar kann die Unruhe und die zu erwartende Schwächung seiner remischen Verbündeten nicht hinnehmen und zieht mit vier Legionen von Cenabum aus in das Land der Bellovacer. Deren gesamte Bevölkerung hat sich offenbar aus ihren Siedlungen in ein befestigtes Lager zurückgezogen [Caes. BG 8.7.2– 4].309 Zu ihnen stoßen Truppen der Ambianer, (Aulercer) Eburovicen, Veliocassen, Caleter und Atrebaten [Caes. BG 8.7.3]. Mit dabei ist auch Commius, der germanische Hilfstruppen heranführen soll [Caes. BG 8.7.5]. Man will den Kampf, ist aber auch bereit, im Falle zu starker Legionen durch Störaktionen deren Nachschub im Winter zu behindern [Caes. BG 8.7.7].310 Durch Caesars plötzliches Auftauchen überrascht, zögern die Gallier, die Schlacht anzunehmen und verlegen sich auf Geplänkel und Überfälle auf Legionäre beim Fouragieren. Ermutigt werden sie durch die Rückkehr von Com- mius mit 500 germanischen Reitern [Caes. BG 8.10.2– 4]. Caesar fordert Verstärkung an und hält die Gallier weiter unter Druck; germanischen Hilfstruppen auf römischer Seite gelingt ein Erfolg [Caes. BG 8.13.1–3].311 Dennoch bleibt die Lage unentschieden. Die Gallier erwarten den Anmarsch zusätzlicher Legionen und befreien sich von Kampfunfähigen und Tross. Caesar bringt die Legionen in Stellung, die Gallier sehen sich bedrängt. Eine letzte gallische Position muss schließlich durch Rückzug hinter einer Feuerwand aufgegeben werden [Caes. BG 8.14 – 16].312 Ein geplanter Hinterhalt wird verraten, die Römer behalten die Oberhand und Correus wird getötet [Caes. BG 8.19]. Die Bellovacer entscheiden, Gesandte und Geiseln an Caesar zu senden; die anderen Stäm- me sind dabei Beobachter [Caes. BG 8.23.1].313 Die schweren Verluste und die Geiselstellung bedeuten vorerst das Ende des Aufstandes. Caesar bleibt aber vorsichtig und stationiert 15 Ko- horten unter M. Antonius bei den Bellovacern [Caes. BG 8.38.1]. Im Jahre 46 wird ein weiterer Aufstand von Decimus Brutus niedergeschlagen [Liv. epit. 114].

308 Es gibt keine Nachricht, dass Caesar dies veranlasst hätte. Die Suessionen, schon früher im engen, aber umgekehr- ten Verhältnis mit den Remern, werden wohl trotz Erhaltung des Königtums aus einer Schwächephase heraus in Abhängigkeit geraten sein.

309 Hirtius‘ Bericht wirkt hier ein wenig widersprüchlich: Caes. BG 8.7.2 sind alle Bellovacer abgewandert; 8.7.3 sam- meln sich alle Waffenfähigen und Verbündete an einem Ort; 8.14.1 sind auch die nicht Waffentragenden und Al- ten am selben Ort. Sind damit jetzt die bellovacischen Zivilisten gemeint, die bei den Kriegern und Truppen der Verbündeten sind?

310 Vgl. Crassus in Aquitanien [Caes. BG 3.23.5-7].

311 Vgl. Caes. BG 7.65.4. Tausend, Germanische Reiter 492.

312 Zur Lokalisierung der verschiedenen Kampforte Rice Holmes, CCG 826-831.

313 Bereits Kraner, Commentarii III, A.8.23.1 weist auf die Unklarheit hin: Wer sind die Beobachtenden bzw. die Gesandten? Verf.: Eine Auflösung ist hypothetisch möglich, wenn man annimmt, dass die anderen beteiligten Stämme nach dem Rückzug hinter dem Feuer den Kampf aufgegeben haben und Correus mit 7.000 Mann das letzte Aufgebot war. - 83 -

Die Atrebaten bleiben fortan friedlich, müssen aber ein römisches Winterlager akzeptieren [Caes. BG 8.46.6, 8.47.2]. Commius, der im Jahr zuvor nur knapp einem ungeschickt ausgeführten Mordanschlag ent- gangen war [Caes. BG 8.23.2–6], flieht zu denjenigen Germanen, von denen er die Hilfstruppen geholt hatte [Caes. BG 8.20.2–8.21.1]. Er kehrt nicht mehr zu den Atrebaten zurück und lebt mit seinen Reitern von Raubzügen, bis er sich ehrenvoll M. Antonius ergeben kann [Caes. BG 8.47– 48].314

8.3.2 Der Sicherheitskomplex Belgium Nach der Niederwerfung der zentral- und westbelgischen Stämme haben sich die Bellovacer und ihre Verbündeten relativ ruhig verhalten. Im Laufe der Jahre seit 57 tragen die ständigen Ope- rationen römischer Legionen in diesem strategischen Komplex sicherlich dazu bei. Gerade als nach Caesars Einschätzung eine gewisse Ruhe herrscht, werden die Remer, und in weiterer Fol- ge römische Interessen, durch den Versuch der Bellovacer, das frühere Machtgleichgewicht wie- der herzustellen, bedroht [Caes. BG 8.6]. Hier ist nun eine weitere innenpolitische Entwicklung zu beobachten: Die Remer haben durch ihre prorömische Außenpolitik die Machtbalance gründlich verschoben.315 Im Westen Belgiums strebt man infolgedessen nach der Rückkehr zu den alten Verhältnissen durch die Niederwerfung Abtrünniger. Treibende Kräfte sind mehrere principes [Caes. BG 8.7.4]. Man be- greift sich durchaus als geschlossener Kreis von Akteuren, für die Caesar außenpolitischer Fak- tor ist, der zum wiederholten Mal den innenpolitischen Plänen entgegentritt. Die Spannungen innerhalb der Bellovacer-Suessionen-Remer-Gruppe sind offenbar auch durch äußere Bedro- hungen nicht zu beruhigen. Lösungsversuche durch Entlastungsschläge gegen den jeweils Schwächeren misslingen durch das Hereinspielen des Außenfaktors Caesar. Die Dynamik spielt sich zwischen zwei Polen ab: den ihre Unabhängigkeit wiederholt betonenden Bellovacern [Caes. BG 7.75.5] und den Remern, die sich durch Romtreue in Stellung bringen. Waren früher die Remer Ziel der Bellovacer [Caes. BG 2.5–6], sind es nun die Suessionen. Man kann dies auch als Nachwirkung des Jahres 57 sehen, wo das imperium an den Suessionenkönig abgegeben werden musste und man danach eher schmählich durch Fürsprache der Haeduer und Geiselstel-

314 Er stellt auch Geiseln, von denen nicht klar ist, wer diese sind; Familienangehörige? Front. Strat. 2.13.11 berichtet von einer Flucht nach Britannien, bei der Caesar aufgrund ungünstigen Windes die Verfolgung aufgegeben hätte. Im Abgleich mit dem Bellum Gallicum passt diese Episode nirgends; vielleicht ist die Stelle nur ein Kondensat aus den früheren Aktivitäten des Commius in Britannien und den Sturmschäden an der Invasionsflotte [vgl. Caes. BG 4.28, 5.10]. Er kann jedenfalls in Britannien verortet werden, wo er eine Herrschaft begründet; sein Sohn Veri- ca/ Bericus ist noch unter Tiberius aktiv [Dio 40.42, 60.19]. Cunliffe, Iron Age Communities 142; Kruta, Les Celtes 554 (Commios) u. 857 (Verica). Ferdière, Les Gaules 83 kommentiert die Frontinus-Stelle nicht weiter.

315 Für ganz Gallien ungewöhnlich: Es gibt keinerlei Hinweise auf die geringsten innenpolitischen Spannungen bei diesem Stamm, während doch fast alle anderen davon stark betroffen sind. Eine merkwürdige Parallele: Arverner und Remer scheinen in der Zeit ihrer Romtreue von der gleichen außenpolitischen Schwäche in Bezug auf Hege- monie/ principatus befallen zu sein. - 84 -

lung einen Waffenstillstand erreichte [Caes. BG 2.14.2]; trotzdem bleiben genaue Motivlagen nicht erschließbar.316 Absichten und Strategie der jetzigen Koalition sind nicht ganz klar. Einerseits wird ein Schlag gegen die Suessionen vorbereitet, der wohl auch die Remer treffen soll, somit aus Cae- sars Sicht die Hauptgefahr [Caes. BG 7.90.5, 8.6.2]. Andererseits wird diese Taktik in einen Be- zug gegen die Römer gerückt, indem die großangelegte Räumung bellovacischer Siedlungen gleichsam als gefährliche Voraussicht aufgrund zukünftiger Aktionen der barbari erkannt wird [Caes. BG 8.7, 8.8.1]. Die Gallier erwarten drei Legionen und halten dies für ein planbares Risi- ko [Caes. BG 7.7.6]. Wie schon vorher [Vgl. das irritierte Umschwenken, Caes. BG 2.7.3] schei- nen die Römer aus der Aktion heraus nicht der unmittelbare Hauptfeind zu sein; dies wird nur impliziert durch die Bemerkungen zu Correus [quod ei summo esse odio nomen populi Romani intellexissent, Caes. BG 8.7.4] und Commius [Caes. BG 8.7.5]. Die Bellovacer, nach haeduischer Fürsprache von Caesar milde behandelt, sind trotz Gei- selstellung und Abgang der Kriegsanstifter weiterhin antirömisch aktiv. Sie beteiligen sich aber nur zögerlich an größeren Aktionen außerhalb ihres Gebietes. Motiviert durch den Abfall der Haeduer rüsten sie zum Krieg [Caes. BG 7.59.2], greifen aber noch nicht ein. Die Ambianer mit ihrer strategisch wichtigen Hauptstadt Samarobriva erleiden anscheinend vor Alesia keine großen Verluste.317 Commius war für Caesar bisher von großem Nutzen, wendet sich aber auf- grund des – vielleicht auch nur durch eine Falschinformation provozierten – Mordanschlages durch Labienus von den Römern ab [Caes. BG 8.23.2–6].318 Er übersteht Alesia, wo er das Entsatzheer führt, unbeschadet. Caleter und Veliocassen bleiben seit der deditio von 57 den Bellovacern untergeordnet.319 Die (Aulercer) Eburovicen320 haben nichts von ihrer Kriegsbereitschaft eingebüßt. Ur- sprünglich eher Aremorica verbunden, hängen sie sich jetzt an den starken Verband der Bello- vacer mit ihren caletischen und veliocassischen Klientelstämmen. Das Bündnis bleibt von unbestimmbarer Konsistenz.321 Die Kampfhandlungen lassen keinen befriedigenden Rückschluss auf Befehlsstrukturen und innerer Kontrolle durch den Bündnis-

316 Kraner, Commentarii III, A.8.6.2 spricht von Wiederherstellung der Ehre. Das scheint jedoch im Hinblick auf die Unabhängigkeitsdisposition der Bellovacer und die Beteiligung von Commius und den Eburovicen zu kurz ge- griffen. Das Bedrohungsszenario wird wohl bestimmend sein: Die zunehmende Einengung des Spielraumes soll durch einen militärischen Schlag gelöst werden. Auch kann sich die Situation bei Alesia verschärft haben, 6.000 Suessionen und 2.000 Bellovacer sind nachher vielleicht nicht freundschaftlich auseinandergegangen.

317 Bei Alesia sind sie mit 6.000 Mann unauffällig [Caes. BG 7.75.3].Vgl. Holder, Alt-Celtisch II, 1336-1337.

318 Commius war wohl, wenn überhaupt, Anfang 52 an der Verschwörung beteiligt [Caes. BG 7.1.3-4]. Aus Rücksicht auf Labienus hätte Caesar nichts von dem misslungenen Anschlag berichtet, so Kraner, Commentarii III, A.8.23.3. Caesar umschweigt die ganze Sache auch elegant [Caes. BG 7.76.3], muss aber in Folge die Abtrünnig- keit stärker erklären [Caes. BG 8.23]. Caes. BG 8.47-48 wird mit dem auch bei den Atrebaten in Ungnade gefalle- nen und ins Banditentum abgerutschten Commius relativ milde umgegangen.

319 Kraner, Commentarii I, A.2.15.2.

320 In Caes. BG 8.7.3 ohne Zusatz Eburovici, aber aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zu den Veliocassen wohl gemeint.

321 Die ganze Schwierigkeit, das Bündnis klar zu definieren, ist nicht zuletzt der Schreibweise von Hirtius geschuldet. Man meint fast, er versuche Caesar in seiner manipulativen Durchschlagskraft zu kopieren, erreicht aber lediglich - 85 -

zweck zu. Die Koalition beginnt bereits während der ersten Belagerungsphase an Zusammenhalt zu verlieren [Caes. BG 8.9–10]. Das Kampfgeschehen verlagert sich dann zunehmend auf kleine- re Gefechte und lokale Aktionen, die auf eine gewisse Ratlosigkeit auf Seiten der Belger schlie- ßen lassen. Man hört auch nur mehr von den Bellovacern, die anderen Stämme kommen nicht vor. Außerdem scheint Correus‘ Tod einen gewissen Druck vom Stamm zu nehmen [Caes. BG 8.21.4]. Commius, wohl aufgrund vergangener Prominenz in einer Führungsrolle genannt, fun- giert eher als Unterstützer mit Hilfstruppen. Seine Verbundenheit mit den Atrebaten ist nicht sehr intensiv; in der Phase der Kämpfe spielt er eigentlich keine Rolle. Gegen ein Auftreten der Stämme mit gesamter Kampfstärke spricht, ! dass Caesar am Ende sehr großzügig in seiner clementia ist, obwohl er nicht ganz zu glauben scheint, dass Correus der allein Schuldige ist [vgl. Caes. BG 8.21.4 u. 8.22]; ! dass die Darstellung des Kampfgeschehens auch den Eindruck hinterlässt, Correus hätte le- diglich einen Teil der Bellovacer hinter sich [v. a. Caes. BG 8.21.4, wonach der Stamm in se- natus und plebs gespalten ist]; ! dass von den anderen Stämmen nichts zu hören ist, außer, dass sie am Schluss dem Beispiel der Bellovacer folgen und mehr oder weniger freiwillig Geiseln stellen.322

8.4 Drappes und Lucterius

Nach der Niederlage von Alesia bleiben zwei ehemalige gallische Unterführer aktiv. Der Senone Drappes zog mit seiner zusammengewürfelten Truppe aus Verbannten, Sklaven und Räubern schon früher gegen die Römer und kann jetzt wohl nicht mehr zu seinem Stamm zurück.323 Der Cadurcer Lucterius befindet sich offenbar in der gleichen Lage; da er von Vercingetorix für Überfälle und Operationen zur Ausübung von Druck gegen Nachbarstämme eingesetzt worden war, ist auch er mehr oder weniger heimatlos. Ein Bündnis dieser beiden Versprengten bietet sich an. An innerer Organisation ist wohl nicht mehr als Bandenbildung zu erwarten. Mit einer vergleichsweise kleinen Truppe könnten sie doch in ihrem angepeilten Operati- onsgebiet, der provincia, für Unruhe sorgen [Caes. BG 8.30]. Beide müssen aber früh erkennen, dass sie, von einer Legion verfolgt, nicht standhalten würden. Man besetzt Uxellodunum, eine Stadt der Cadurcer, die früher von Lucterius kontrolliert worden war [Caes. BG 8.32]. Aus Furcht vor ähnlichen Versorgungsproblemen wie in Alesia wird noch vor der Fertigstellung des römischen Belagerungswerkes begonnen, im Umland Getreide zu requirieren, teils wird freiwil- lig abgegeben, teils unter Zwang. Beim Heranschaffen des Getreides halten die Gallier außer- halb von Uxellodunum einen Punkt, von dem aus der Transport in die Stadt organisiert wird.

Aufmerksamkeit für die Störungen des Leseflusses. Oft produziert Hirtius auch durch neue Details zum Gesche- hen weitere Unklarheiten. Kraner, Commentarii III, A.8.23.1: So stößt man in der Erzählung des Hirtius immer wieder auf Unklarheiten und Widersprüche.

322 Caes. BG 8.18-19: Wer jetzt eigentlich kämpft, die 7.000 Mann von Correus und/ oder die Masse der Bellovacer, kann nicht gesagt werden. Caes. BG 8.19.7 ist von einer Hauptmacht die Rede – Correus? Nach Caes. BG 8.21.3 ist eine Reiterschlacht entscheidend.

323 Rice Holmes, CCG 134; Gelzer, Caesar 130. - 86 -

Die Römer können dies jedoch unterbinden, wobei Drappes gefangengenommen wird [Caes. BG 8.34 –8.37]. Caninius wendet sich wieder der Belagerung zu und wird von zwei weiteren Le- gionen unterstützt. Als Caesar, wohl durch die zunehmende Größe der Belagerungsaktion beun- ruhigt, mit Reiterei eintrifft, intensiviert man die Operation gegen Uxellodunum. Durch die effi- ziente Störung der Wasserversorgung wird die Stadt zur Aufgabe gezwungen. Lucterius entgeht zwar Caesars drastischer Strafmaßnahme, wird aber bei den Arvernern, wo er sich Unterschlupf erhofft, von Epasnactus aufgegriffen und an die Römer ausgeliefert. Drappes hungert sich selbst zu Tode [Caes. BG 8.39–8.44].

8.5 Pictonen und Anden

Bei den Pictonen war nach der Niederlage von Alesia wieder die romtreue Partei an der Macht. Während des gesamten Krieges waren sie bis zum Jahre 52 ruhig geblieben und hatten bei Ope- rationen gegen die Veneter Schiffe zu stellen [Caes. BG 3.11.5]. Ihr großes Territorium an der Atlantikküste war nach dem römischen Vormarsch bald von unruhigen Gebieten umgeben, was wohl auch innenpolitische Richtungskämpfe ausgelöst haben wird. Ihre nördlichen Nachbarn, die Anden, waren mit römischem Militär bereits bei der Eroberung Aremoricas in Kontakt ge- kommen und hatten die Last eines Winterlagers zu tragen [Caes. BG 2.35.3, 3.7.2]. Die Zuord- nung zu einem Hegemoniebereich ist nicht ganz klar; aufgrund des Winterlagers ohne vorherige Kämpfe und des späteren raschen Anschlusses an Vercingetorix kommen die Arverner in Fra- ge.324 Über die Konkurrenzsituation zu den Pictonen kann nur spekuliert werden: Sofern an exis- tenzielle Ursachen zu denken ist, muss die geoökonomische Lage in Betracht gezogen werden. Im großen Raum zwischen Aremorica und Zentralgallien haben die Umwälzungen von sechs Kriegsjahren sicherlich die Nutzung von Handelswegen und Wasserstraßen nicht konfliktfrei gehalten. Der Liger als Grenzfluss, auch zu den reichen Biturigen, muss diesbezüglich von gro- ßer Bedeutung gewesen sein.325 Die Anden versuchen erfolglos, die Römer vor Lemonium zu vertreiben [Caes. BG 8.26]; Dumnacus lässt sich dadurch nicht irritieren und fährt mit der Belagerung der Stadt fort.326 Erst als Caninius mit seiner schwach eingeschätzten Truppe durch weitere Legionen Verstärkung er- hält, wollen sich die Anden über den Liger zurückziehen. Die Römer setzen nach und vernich- ten das Heer [Caes. BG 8.29]. Die Anden kämpfen nicht allein; offenbar war Dumnacus in der Lage, Truppen mehrerer Stämme zusammenzuziehen: Carnuten und Aremoricer haben an-

324 Eine Beziehung nicht eindeutig definierbarer Art zwischen Anden und Carnuten wurde bereits erkannt, s. Kap. 5.1.1. Dass Caesar Turoner und Anden als Durchmarschgebiet nutzen kann, könnte durchaus auf den Ein- fluss der Arverner zurückzuführen sein, die ja bis 52 ruhig bleiben. Wer aber konkret die römische Truppenprä- senz ermöglicht, ist nicht feststellbar.

325 Zum wiederholten Mal sei auf die immer wieder auftauchenden geoökonomischen Faktoren in den Commentarii hingewiesen. Eine Aufarbeitung dieser Nachrichten und der dadurch erweiterte Blick auf die innergallischen Ver- hältnisse ist ein Desideratum. Vgl. zu (Fluss-)Zöllen als Vermögensgrundlage Caes. BG 1.18.3 (Dumnorix), 3.8.1 Veneter. Zu den Handelsströmen des 1. Jh. v. Chr. in Gallien Cunliffe, Europe Between the Oceans 375-379.

326 Die Anwesenheit der Römer wirkt wie eine lästige Ablenkung. Nach wie vor scheinen innergallische Angelegen- heiten Priorität zu haben. - 87 -

scheinend entsprechende Interessen, um gegen die Pictonen vorzugehen [Caes. BG 8.31]. Von einer Bündnisorganisation ist nichts zu erfahren, die innenpolitische Dimension dieses Regio- nalkonfliktes bleibt im Dunkeln. Dumnacus wird vermutlich von den eigenen Leuten vertrieben, die in dem Aufwiegler die größere Gefahr für ihre Existenz sehen [Caes. BG 8.31.5].327 Deditio und Geiselstellung der Carnuten und aremoricanischen Stämme beenden vorerst die Unruhen dieses Sicherheitskomplexes [Caes. BG 8.31.4].

8.6 Die Treverer

Die Treverer, die an der Vercingetorix-Koaliton nicht teilgenommen haben, weil sie von Ger- manen bedrängt wurden [Caes. BG 7.63.7]328, halten aus Sicht Caesars an der Rheingrenze eine Schlüsselposition. Als strategisches Element am Mittelrhein sind sie, wie schon früher, auch ge- gen Ende des Gallischen Krieges von zentraler Bedeutung: ! Das Ausmaß der germanischen Bedrohung wird durch die Treverer kanalisiert. Aufgrund ih- rer teils gespannt-neutralen Haltung zu Rom werden Germanen entweder ins Innere Galli- ens durchgeleitet oder davon abgehalten.329 ! Aus Caesars Sicht bedeuten die Treverer grundsätzlich eine strategische und operative Be- lastung. Auch wenn es zu keinen intensiven Kämpfen kommt, müssen zwei Legionen zur Demonstration militärischer Stärke aufmarschieren [Caes. BG 6.44.3, 8.25.2]. ! Verstärkt wird diese Belastung durch die innenpolitischen Zustände bei den Treverern. Der von Caesar wieder an die Spitze gebrachte Cingetorix kann sich gegen eine antirömische Mehrheit im Stamm wohl nicht lange halten; Labienus muss gegen Reiter der Treverer und Germanen vorgehen [Caes. BG 8.45]. Wie auch in anderen Fällen, zeigt Caesars Eingreifen in die Innenpolitik nicht die gewünschte Wirkung. ! Labienus schlägt ein erfolgreiches Reitertreffen gegen die Treverer, Germanen und den ha- eduischen Aufständischen Surus [Caes. BG 8.45]. Der von Hirtius eher oberflächlich be- schriebene Vorfall macht deutlich, dass römische Sicherheitsinteressen an der Rheingrenze durch die momentane antirömische Haltung betroffen sind; im Treverergebiet sammeln sich Germanen und Reste der Vercingetorix-Koalition.

Mehrere Aufstände in der Zeit kurz nach Caesar können einen umfassenden Romanisierungs- prozess aber nicht aufhalten.330

327 Vgl. Caes. BG 2.14.4, 8.21.4, 8.24.4.

328 Nach Heinrichs, Ubische Gruppen 289 mit A.54, sind diese Germanen die Ubier.

329 Die diesbezügliche Haltung der T. ist sehr flexibel: U.a. Caes. BG 5.2.4, 5.55.1, 6.2.1, wo sie mit Germanen ge- meinsame Sache machen wollen; 7.63.7 sind sie in Bedrängnis.

330 Zur nachcaesarischen Geschichte s. Dobesch et.al., Treverer 178-183. - 88 -

8.7 Aquitanien

Caesar selbst erscheint nochmals mit zwei Legionen auf dem Rückmarsch ins Winterlager nach Narbo, erreicht aber ohne Kampfhandlungen die Geiselstellung der restlichen Stämme [Caes. BG 8.46.1]. Die aquitanischen Stämme, mit Ausnahme der Hilfsreiterei des Nitiobrogenkönigs Teutomatus, beteiligten sich schon zuvor nicht am Aufstand von Vercingetorix. Eine vollständi- ge militärische Durchdringung wird erst in den Jahren 38 v. Chr. durch Agrippa [App. b.c. 5.92; Dio 48.49.3] und 28 durch Messalla [Tib. I, 7, 9 ff.]331 erreicht.

8 . 8 Diversissimam partem Galliae

Ungenannte civitates in armis im Jahre 51 halten mindestens zwei Legionen beschäftigt. Hirtius sind nur großzügige Andeutungen zu entnehmen, die zu einem geographischen und chronologi- schen Problem führen.332 Nach den Kämpfen gegen die Bellovacer werden die Legionen wieder in die Winterlager zurückgeführt. Der Legat G. Fabius wird mit 25 Kohorten in den entlegens- ten Teil von Gallien – Caesar befindet sich in diesem Moment noch in Belgium – geschickt, um dort C. Rebilus mit seinen beiden Legionen zu unterstützen [Caes. BG 8.24.2]. Aufgrund der nachfolgenden Ereignisse um die Pictonen und Anden wird bei den civitates in armis an die A- remoricae civitates zu denken sein.333 Die Situation ist aber schwierig aufzulösen. Der bei den Ru- tenern stationierte Rebilus [Caes. BG 7.90.6] wird in das weit nördliche pictonische Lemonum zu Hilfe gerufen, von wo er dann wiederum Fabius zur Unterstützung heranholt [Caes. BG 8.26.1]. Wäre Fabius in Aremorica, wäre der Hilferuf an Caninius schon aus militärischer Sicht aufwändig. Gleichzeitig wird berichtet, dass Fabius von den Stämmen Aremoricas nach deren Teilnahme an der Dumnacus-Aktion die Unterwerfung erwirkt [Caes. BG 8.31.4], so, als hätte früher keinerlei Kontakt stattgefunden. Das von Fabius erreichte in-fide-Verhältnis wird keinen Stämmen zugeschrieben [Caes. BG 8.27.1]; es ist auch unwahrscheinlich, dass sowohl das Auf- treten von Fabius in Aremorica als auch das Vorgehen dortiger civitates gegen die Pictonen fast zeitgleich stattfinden. Chronologisch erfolgt die deditio der Aremorica-Stämme nach der der Carnuten.334 Eine mögliche Variante wäre also eine Aktion von Fabius im äußersten Südwesten am Oze- an, etwa bei den Santonern, Biturigen (Vivisci) oder Nitiobrogen. Der enge Kontakt beider Le- gaten wird demnach aufgrund der Operationen im selben geographischen Großraum aufrecht

331 Tibull-Stelle nach Hirschfeld, Aquitanien 214.

332 Kraner, Commentarii III, A.8.23.4: Auch hier zeigt sich das Ungeschick des Hirtius: die Gabe klarer und verständi- ger Darstellung besitzt er nicht.

333 Der Lösungsansatz der Ar. civ. wird von Kraner, Commentarii III, A.8.24.2 eingebracht. Wie nachfolgend aus- geführt, bleiben weitere Ansätze des Verfassers eigentlich ebenso unbefriedigend. Der Versuch wird unternom- men, um die wahre Ausdehnung von Unruheherden deutlicher zu machen.

334 Es sei denn, man unterstellt Hirtius einen entsprechenden Chronologiefehler oder gar die Absicht, nach dem Vorbild Caesars die Ereignisabläufe »passend« einzufügen – wenn hier auch scheinbar ohne Anlass. - 89 -

erhalten. Dass gerade sie involviert sind, ergibt sich auch aus den Operationen der anderen Le- gionen, die größtenteils weit im Osten ablaufen.335 Die geographische Verortung eines für Gallien im Jahre 51 symptomatischen Randereignis- ses bleibt somit unsicher. Die Bedeutung liegt eher darin, dass auch die Stämme in den entle- gensten Teilen Galliens von der Niederlage in Alesia nicht unbedingt beeindruckt sind und die römische Militärmacht in nicht geringem Ausmaß herausfordern.

8.9 Arverner und Haeduer

Die Arverner treten wieder zurück in die Unauffälligkeit treuer römischer Untertanen. Als sol- che erfüllen sie ihre Aufgabe: Wie schon zuvor ist ein Machtkomplex in Zentralgallien unter römischer Kontrolle ein wesentlicher Vorposten in einem Raum immer wieder auftretender Un- ruhen. Den Arvernern wird der Aufstand von Vercingetorix nicht angelastet; er hat schließlich die prorömischen Adeligen vertrieben, die nach seiner Gefangennahme wieder zurückgekehrt sein werden. Das früher etablierte Verhältnis mit Rom wird wieder aufgenommen. Die Arverner sind in den Jahrzehnten nach dem Gallischen Krieg offenbar in der Lage, wie schon zuvor den zentralgallischen Sicherheitskomplex ruhig zu halten oder zumindest durch das Unterlassen kriegerischer Aktionen auch die anderen Stämme aus Mangel an Rückhalt oder Unterstützung davon abzuhalten. Augustus nimmt dann im Zuge einer Reorganisation Galliens Änderungen vor. Wohl aus Gründen der hohen Bevölkerungszahl werden die Vellavier aus dem arvernischen Klientelverband herausgelöst [Strab. Geogr. 4.2.2, vgl. Caes. BG 7.75.2].336 Während der Kaiser- zeit spielen die Arverner bei Aufständen keine Rolle mehr.337 Die Abtrünnigkeit der Haeduer scheint Caesar ähnlich einzuschätzen wie das Verhalten der Arverner. In Anbetracht der bis ins 2. Jh. zurückreichenden Beziehung mit Rom, des unter Cae- sar erreichten principatus und der Tatsache, dass die antirömische Haltung durch korrumpierte Adelige provoziert wurde, lässt er die fratres consanguineosque [Caes. BG 1.33.2] ungeschoren [Caes. BG 7.89.5]. Die Haeduer erreichen unter Augustus eine privilegierte Stellung als civitas foederata, ihre Stadt Augustodunum wird zu einem der wichtigsten Zentren Galliens.338

335 Nach Caes. BG 8.24-25 sind die Eburonen u. Treverer betroffen, eine Legion wird in die Gallia Togata geschickt.

336 Hirschfeld, Haeduer Arverner 188.

337 Lediglich im Zuge des gegen Nero gerichteten Vindex-Aufstandes werden sie bei den Unterlegenen erwähnt [Tac. hist. 4.17]. Hirschfeld, Haeduer Arverner 200.

338 Dennoch kommt aus ihren Reihen der Aufständische Julius Sacrovir [Tac. ann. 3.43], und auch beim Vindex- Aufstand sind sie beteiligt. Hirschfeld, Haeduer Arverner 202-204. - 90 -

Gallien: 52 v. Chr.

Als Caesar am Ende des Jahres 53 zurück in die provincia Gallia Cisalpina reist, um Gerichtstage abzuhalten, hinterlässt er ein vermeintlich ruhiges Gallien. Jedoch wird das militärisch bisher kaum betroffene Zentralgallien zum Schauplatz neu aufbrechender Unruhen, die durch eine co- niuratio bei den Carnuten in Gang kommen. Im Commentarius VII wird der Versuch des Arverners Vercingetorix, vormals amicus von Caesar, in Zentralgallien die Hegemonie seines Stammes zu stärken und wieder den principatus zu erreichen, als Aufstand gegen die legitime Herrschaft Roms in Gallien dargestellt. Der offen- sichtlich überraschte Caesar muss seine gesamten strategischen Fähigkeiten aufbieten, um dem Widersacher erfolgreich entgegenzuwirken. Die Intensität der militärischen Operationen erfährt nicht zuletzt durch die von Vercingetorix initiierte Taktik der verbrannten Erde im Kampf um Ressourcen eine enorme Steigerung. Hinzu kommt das Einwirken peripherer Konfliktzonen und die Planungsunsicherheit für beide Parteien aufgrund wankelmütiger Verbündeter. Gallien hat seit dem Auftreten der Römer, deren Eingreifen in Angelegenheiten der Stäm- me und der Gründung der provincia Gallia Transalpina in Südgallien seit dem Ende des 2. Jahr- hunderts v. Chr. massive Umwälzungen erfahren. Arverner und Haeduer treten in Beziehungen zu Rom. Die durch starke innenpolitische Spannungen geschwächten Arverner – die Königs- herrschaft ist dort für gallische Adelige immer noch erstrebenswert – können im Konkurrenz- kampf um den principatus mit den Haeduern nicht bestehen und treten aus jeder aktiven Rolle zurück. Die Haeduer geraten durch einen neu aufgestiegenen Konkurrenten, die Sequaner mit dem germanischen Heerkönig Ariovist, schwer in Bedrängnis. Caesars politischen Absichten entgegenkommend, ergibt dies die Gelegenheit, den gallischen Großraum zum römischen Inte- ressensgebiet zu erklären. Der darauffolgende Eroberungszug sollte die politische und strategi- sche Konstellation Galliens grundlegendst ändern. Die militärische Ausgangslage für das Jahr 52 ist gekennzeichnet durch scheinbar beruhigte Peripherieräume. Die Sicherheitskomplexe Aremorica, Aquitanien, Belgium, die Zone der Rheingrenze und das haeduisch dominierte Ostgallien bringen zusätzlich zu den Ereignissen in Zentralgallien eigene Elemente der Eskalationsdynamik ein. Carnuten, Senonen und Parisier agieren nach Caesars erfolglosen Eingriffen in die Innenpolitik der Stämme relativ unabhängig von Vercingetorix. Nicht zuletzt spielen hier neben regionalen militärischen Interessen auch ge- opolitische Elemente, wie der mögliche haeduische Hegemoniebezug, eine Rolle. Weiters sind geoökonomische Absichten Caesars erkennbar und natürlich die strategische Absicherung gegen den Sicherheitskomplex Belgium; die militärischen Operationen von Labienus werden trotz Er- folgen nur durch die bedrohlich werdende Sicherheitslage in Belgium vorzeitig beendet. Die sich im Zuge des Aufstandes bildende gallische Koalition durchläuft vier Entwicklungs- phasen: Eine erste coniuratio bildet sich bei den Carnuten. Noch sind frühe antirömische Aktio- nen lokalen Interessen zuzuschreiben, die Beteiligten kaum festzumachen. Kurz darauf setzt sich Vercingetorix bei den Arvernern gegen prorömischen Widerstand durch und beginnt mit dem - 91 -

Aufbau eines Kampfbündnisses, das rasch erweitert wird. Erste Anzeichen lassen erkennen, dass sich die Haeduer für beide Gegner aufgrund ihres politisch unsicheren Verhaltens zu einem strategischen Faktor entwickeln werden. In einer dritten Phase muss sich Vercingetorix nach mehreren Niederlagen gegen die Römer verstärkt um den Zusammenhalt der Koalition bemü- hen. Die vierte Phase ist durch eine starke Erweiterung charakterisiert: Die pro- bzw. antirö- misch schwankenden Haeduer treten offen zu Vercingetorix über; dessen Unterführer können ein riesiges – wenn auch in angegebener Mannstärke zu bezweifelndes – Entsatzheer aufstellen. Durch die Ausstrahlung des Bündnisses auf ganz Gallien sind eigene Strategien zur Innen- und Außenpolitik erforderlich. Die umliegenden Gebiete Zentralgalliens sollen der römischen Ordnung entzogen und gleichzeitig der starke Einfluss des haeduischen Faktors bewältigt wer- den. Die Motive von Vercingetorix selbst für einen Aufstand liegen wohl in einer Kombination aus innenpolitischem Antrieb und damit einhergehend außenpolitischen Ambitionen in Rich- tung Hegemonie, die Absichten seines Vaters Celtillus aufgreifend. Die machtpolitische Posi- tion der Arverner in Zentralgallien ist sicherlich leitendes Motiv. Obwohl sich eine arvernische Hegemonie der klaren Herausarbeitung entzieht – dies nicht zuletzt aufgrund der nur bedingt aussagekräftigen Schriftquellen und einer widersprüchlich interpretierbaren archäologischen Fundsituation – ist eine relativ stabile Machtposition nicht abzustreiten. Die Stämme bzw. an- tirömischen Faktionen innerhalb der potentiellen Hegemoniesphäre scheinen leicht zur Auf- nahme eines Bündnisverhältnisses zu bewegen zu sein. Dass dieses über Geiselnahme und Strafandrohung gefestigt werden muss, ist wohl Vercingetorix‘ realistischer Annahme galli- scher Verhältnisse und den Erkenntnissen über römische Militärdisziplin geschuldet. Das Koalitionsheer ist in seiner Zusammensetzung und inneren Organisation schwierig zu erfassen. Caesar vermittelt den Eindruck, dass sich auf gallischer Seite aufstandswillige Anfüh- rer aus verschiedenen Stämmen mit ihren Kontingenten einstellen, nicht jedoch die ganzen Stämme. Dies mag vielleicht auch auf dieTatsache zurückzuführen zu sein, dass Vercingetorix aufgrund des geplanten Bewegungskrieges fast ausschließlich auf Reiterei setzt, mit nur leich- ten Fußtruppen. Auch der Entsatz in Form eines Massenheeres gibt keinen weiteren Auf- schluss – wieder kommt fast ausschließlich Reiterei zum Einsatz. Die Führung des Bündnisses muss – schon aufgrund der vielen Einzelaktionen – auf meh- rere principes aufgeteilt werden, wobei Vercingetorix auf deren politische Stellung, Prestige und auch auf die koalitionsinnenpolitische Positionierung zu achten hat. Eine Führungsaufga- be für die Haeduer Eporedorix und Viridomarus ist fast zwingend; auch wird Vercingetorix‘ Vetter Vercassivellaunus einbezogen, erfahrene Leute wie Commius werden dringend ge- braucht. In Folge einer Niederlagenserie hat Vercingetorix auch das Problem, seine Führungsposi- tion zu halten. Dies gelingt ihm mit Hilfe seiner Überzeugungskraft und Motivationsfähigkeit, nicht jedoch, ohne drastische Strafen anzudrohen. Caesar ist hier im Vorteil. Zwar ist auch er bis zu einem gewissen Grad davon abhängig, die römischen Legionäre bei Laune und Kampf- kraft zu halten, kann sich aber auf Werthaltungen wie Soldatenehre und den trainierten Zu- - 92 -

gang zu physischen Härten verlassen. Erlaubte Plünderungen sind für die Römer Teil der Kampfmotivation. Im Bellum Gallicum entscheidet Caesar die Frage nach der moralischen Rechtfertigung des Krieges natürlich für sich; besonders der Arverner Critognatus muss hier als abschrecken- des Gegenbeispiel zu einer möglichen römischen Herrschaft in Gallien herhalten. Die Verdichtung des Kampfraumes und der Umfang militärischer Operationen machen strategische Gesamtkonzepte sichtbar, die nicht zuletzt aufgrund des Faktors Logistik auf bei- den Seiten entwickelt werden. Ein geschlossener Kampfraum soll einerseits die Römer in ihrer Bewegungsmöglichkeit durch das Abschneiden logistischer Möglichkeiten behindern; anderer- seits sollen den Galliern Rückzugsräume durch römischen Druck entzogen werden. Nach dem Sieg in Alesia unternimmt Caesar weitere Schritte zu einer Neuordnung Galli- ens. So bleiben die Haeduer und Arverner vor großer Schwächung durch zahlreiche Gefange- ne verschont, sollen sie doch ihre früheren hegemonialen Aufgaben wieder übernehmen. Gleichzeitig wird ein Stationierungsnetzwerk römischer Legionen eingerichtet, das schnelles Eingreifen in potentiellen Krisenherden erlaubt. Tatsächlich zeigt sich bald, dass von einem eroberten und befriedeten Gallien, wie es Cae- sar dem Leser vermitteln möchte, nicht die Rede sein kann. Bis in die entlegensten Gebiete ist man vom römischen Auftreten nicht unbedingt beeindruckt. Dass Stämme bereits Ende 52 an der Peripherie Zentralgalliens und in Belgium wieder zum Krieg rüsten, spricht wohl dafür, dass die Römer nicht die gewünschte Wirkung erzielen können. Teilweise führen nicht abgeschlosse- ne Entwicklungen innerhalb einzelner Sicherheitskomplexe zu wiederholtem römischen Eingrei- fen. So ist u. a. der Bellovacer-Suessionen-Remer-Komplex nicht beruhigt, die Anden und Picto- nen scheinen frühere Feindschaften weiterzuführen, und die Carnuten sind mit Truppen an Re- gionalkonflikten beteiligt. Auch sind immer noch einzelne Aufständische mit ihren Gefolgen mi- litärisch aktiv. Die Belagerung von Uxellodunum, um Drappes und Lucterius habhaft zu werden, zwingt Caesar zu einer Aktion größeren Ausmaßes. Die politische und strategische Konstellation in Gallien hat also in acht Kriegsjahren grundlegendste Umwälzungen erfahren. 52 v. Chr. erweist sich als entscheidendes, aber nicht abschließendes Jahr zu den geopolitischen und militärischen Bewegungen innerhalb des Er- oberungsraumes.

- 93 -

Quellen

Gaius Iulius Caesar

De bello Gallico, Hrsg. u. Ü. von M. Deissmann, Stuttgart 2004 Commentarii de bello Gallico I – III, Hrsg. von F. Kraner, W. dittenberger, H. Meusel, Zürich 211968 (zit. als Kraner, Commentarii) Der Gallische Krieg, Hrsg. u. Ü. von O. Schönberger, Düsseldorf 21999 Der Gallische Krieg, Hrsg. u. Ü. von K. Blümel, Stuttgart 1983

App. b.c. 5.92 x 88 App. Kelt. 12 x 9,26,30 Luc. b.c. 1.396–1.463 x 17 Luc. b.c. 1.402 x 76 Athen. 4.37 p. 152 D-F x 30 Luc. b.c. 1.422–1.426 x 60,73

Cato, Frag. 2,3 Charis. 2p263B x 5 Plut. Caes. 32. x 63

Cic. ad Att. 1.19.2 x 9,13 Pol. Hist. 3.41–50 x 29 Cic. ad Att . 2.1.11 x 13 Pol. Hist. 11. x 29 Cic. in Pis. 24.58 x 10 Cic. Manil. 30 x 8 Strab. Geogr. 4.1.1 x 29 Cic. pro Font. 16 x 8 Strab. Geogr. 4.2.2 x 31,89 Cic. pro Font. 5 x 25 Strab. Geogr. 4.2.3 x 29,30,31 Cic. pro Font. 9 x 8,25 Strab. Geogr. 4.3.2 x 35,36 Cic. prov. cons. 32 x 10 Strab. Geogr. 5.1.6 x 10 Strab. Geogr. 7.3.11 x 10 Dio 37.47– 48 x 8,10 Strab. Geogr. 7.5.2 x 10 Dio 38.10.3 x 10 Dio 40.1 x 21 Suet. Caes. 65 x 68 Dio 40.40.3 x 47 Dio 40.41.1,3 x 61,73 Tac. ann. 3.43 x 89 Dio 40.42 x 83 Tac. hist. 4.17 x 89 Dio 48.49.3 x 88 Tac. hist. 4.55.2 x 40 Dio 60.19 x 83 Dio epit. 34.23 x 30 Tib. I, 7, 9 ff. x 88 Dio epit. 34.36 x 30,35 Vegetius, Epit. 3.3 x 75 Front. Strat. 2.13.11 x 83

Just. 32.3.16 x 10

Liv. ab u. cond. 5.34.2 x 71 Liv. ab u. cond. 5.34.5–9 x 28 Liv. ab u. cond. 5.34 –35 x 71 Liv. ab u. cond. 21.25 x 29 Liv. ab u. cond. 27.39 x 29 Liv. epit. 114 x 82 Liv. epit. 61 x 9,26,30 Liv. per. 90 x 8 Liv. per. 103 x 8 - 94 -

Literaturverzeichnis

Benedict, Southern Gaul C. H. Benedict: The Romans in Southern Gaul, The American Journal of Philology, Vol. 63, No. 1 (1942), 38–50

Bitterli, Die Wilden U. Bitterli: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begeg- nung, München 32004

Bleckmann, Germanen B. Bleckmann: Die Germanen. Von Ariovist bis zu den Wikingern, München 2009

Botermann, Römer-Gallier H. Botermann: Wie aus Galliern Römer wurden. Leben im Römi- schen Reich, Stuttgart 2005

Buzan, Regions and Powers B. Buzan, O. Weaver: Regions and Powers. The Structure of In- ternational Security, Cambridge Univ. Press 2003

Cunliffe, Veneti B. Cunliffe: Britain, the Veneti and Beyond, in: Oxford Journal of Archaeology, 1(1982), 39–68

Cunliffe, Iron Age Communities B. Cunliffe: Iron Age Communities in Britain: An Account of Eng- land, Scotland and Wales from the Seventh Century BC Until the Ro- man Conquest, London 2004

Cunliffe, Europe Between the B. Cunliffe: Europe Between the Oceans. Themes and Variations: Oceans 9000 BC to AD 1000, New Haven: Yale University Press, 2008

Dobesch et.al., Treverer G. Dobesch, S. Zimmer, H. H. Anton: RGA 232, Treverer

Dobesch, Zu zwei Daten G. Dobesch: Zu zwei Daten der Geschichte Galliens: 1) Der Gast- freundschaftsvertrag zwischen Haeduern und Römern – 2) Der Prinzi- pat des Celtillus, in: H. Heftner, K. Tomaschitz (Hg.): Gerhard Dobesch: Ausgewählte Schriften, Band II, Kelten und Germanen, Köln 2001, 755 – 774

Dobesch, Aus der Geschichte G. Dobesch: Aus der Geschichte der Kelten in Österreich bis zu ihrem der Kelten Aufgehen im römischen Imperium (mit Zusatz 1999), in: H. Heftner, K. Tomaschitz (Hg.): Gerhard Dobesch: Ausgewählte Schriften, Band II, Kelten und Germanen, Köln 2001, 823–858

Dobesch, Heerwesen G. Dobesch: Überlegungen zum Heerwesen und zur Sozialstruktur der Kelten, in: H. Heftner, K. Tomaschitz (Hg.): G. Dobesch: Aus- gewählte Schriften, Band II, Kelten und Germanen, Köln 2001, 577 – 684.

Dobesch, Kelten G. Dobesch: Die Kelten in Österreich nach den ältesten Berichten der Antike. Das norische Königreich und seine Beziehungen zu Rom im 2. Jh. v. Chr., Wien 1980

Dobesch, Beobachtungen G. Dobesch: Einige Beobachtungen zu Politik und Tod des Haedu- ers Diviciacus und seines Bruders Dumnorix, Tyche 19, 2004, 19–74 - 95 -

Dobesch, Außenpolitische Strukturen G. Dobesch: Außenpolitische Strukturen der antiken Keltenstäm- me: Ein Überblick, in: H. Birkhan (Hrsg.): Kelten-Einfälle an der Donau, Akten des Vierten Symposiums Deutschsprachiger Keltologin- nen und Keltologen, Konrad Spindler (1939–2005) zum Gedenken, Linz-Donau 17.–21. Juli 2005, Verlag der ÖAW, Wien 2007, 163–181

Dobesch, Arverner G. Dobesch: Die Arverner in den Commentarii Caesars, in: Anodos – Studies of the Ancient World 8/ 2008, 115–130

Duval, Regional Groups A. Duval: Regional Groups in Western , in: S. Macready, F.H. Thompson (Hrsg.): Cross-Channel Trade between Gaul and Britain in the Pre-Roman Iron Age, Society of Antiquaries of London Occasional Paper 4, London 1984, 78–91

Endl, Vercingetorix N. Endl: Vercingetorix. Ein antiker Held im Frankreich des 19. Jahrhunderts, in: K. Brodersen (Hrsg.): Die Antike außerhalb des Hörsaals, Münster 2003, 47–68

Ferdière, Les Gaules A. Ferdière: Les Gaules (Provinces des Gaules et Germanies, Prov- inces Alpines) IIe s. av. J.-C. – Ve s. ap. J.-C., Paris 2005

Fichtl, Les peuples gaulois S. Fichtl: Les peuples gaulois: IIIe-Ier siècles av. J.-C., Paris 2004

Fischer, Strategische Planung F. Fischer: Caesars strategische Planung für Gallien. Zum Verhält- nis von Darstellung und Wirklichkeit, in: H. Heftner – K. Toma- schitz (Hrsg.): Ad Fontes! Festschrift für Gerhard Dobesch zum fünfundsechzigsten Geburtstag am 15. September 2004 dargebracht von Kollegen, Schülern und Freunden, Wien 2004, 305 – 315

Freyberger, Südgallien B. Freyberger: Südgallien im 1. Jahrhundert v. Chr. Phasen, Kon- sequenzen und Grenzen römischer Eroberung (125 –27/ 22 v. Chr.), Stuttgart 1999

Galliou, Early Aremorica P. Galliou: Days of Wine and Roses? Early Armorica and the At- lantic Wine Trade, in: S. Macready, F.H. Thompson (Hrsg.): Cross-Channel Trade between Gaul and Britain in the Pre-Roman Iron Age, Society of Antiquaries of London Occasional Paper 4, London 1984, 24 –36

Gassner et al., Römer in Ö. V. Gassner, S. Jilek, S. Ladstätter: Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich, Österreichische Geschichte 15 v. Chr. – 378 n. Chr, H. Wolfram (Hrsg.), Wien 2002

Gelzer, Caesar M. Gelzer: Caesar. Der Politiker und Staatsmann, Wiesbaden 61960 (ND 2008)

Gilliver, Caesar‘s Gallic Wars K. Gilliver: Caesar‘s Gallic Wars 58 – 50 BC, Osprey Essential His- tories, Oxford 2002

Ginoux, Parisii N. Ginoux, M. Poux: Les Parisii, entre Gaule Belgique et Gaule Celtique: Peuplement et territoire, in: D. Garcia, F. Verdin (Hrsg.): Territoires celtiques. Espaces ethniques et territoires des agglomérations protohistoriques d‘Europe occidentale, Paris 2002, 226–243 - 96 -

Goldsworthy, Caesar A. Goldsworthy: Caesar. Life of A Colossus, Yale Univ. Press 2006

Goudineau et. al, Caesar und Ver- C. Goudineau, V. Guichard, M. Reddé, S. Sievers, cingetorix H. Soulhol: Caesar und Vercingetorix, Mainz 2000

Goudineau, César C. Goudineau: César et la Gaule, Paris 1990

Hachmann, Treverer R. Hachmann: Die Treverer und die Belger zur Zeit Caesars, Teil 1: Die literarischen Quellen, Bericht der staatlichen Denkmalpflege im Saarland 23, 1976, 85 – 116

Harmand, Portrait J. Harmand: Une composante scientifique du Corpus Caesarianum: Le portrait de la Gaule dans les »De Bello Gallico« I – IV, ANRW I 3, 1973, 523 – 595

Hawkes, New Thoughts C.F.C. Hawkes: New Thoughts on the Belgae, Antiquity 42, 1968, Nr. 165, 6 – 16

Hawkes, Britain C. Hawkes: Britain and Julius Caesar, Proceedings of the British Academy (PBA) 63, 1977, 125 – 192

Hawkes, Ictis C. Hawkes: Ictis Disentangled And The British Tin Trade, Oxford Journal of Archaeology, vol. III, No. 2, 1984, 211 – 233

Heinrichs, Usipeten J. Heinrichs: RGA 231, s.v. Usipeten/ Usipier und Tenkterer, 572 – 576

Heinrichs, Römische Perfidie J. Heinrichs: Römische Perfidie und germanischer Edelmut? Zur Umsiedlung protocugernischer Gruppen in den Raum Xanten 8 v. Chr., in: T. Grünewald (Hrsg.): Germania inferior. Besiedlung, Ge- sellschaft und Wirtschaft an der Grenze der römisch-germanischen Welt, Berlin/ New York 2001

Heinrichs, Ubische Gruppen J. Heinrichs: Zur Verwicklung ubischer Gruppen in den Ambiorix- Aufstand d. J. 54 v. Chr. Eburonische und ubische Münzen im Hortfund Fraire–2, ZPE 127, 1999, 275–293

Heinrichs, Eburonen J. Heinrichs: Die Eburonen, oder: Die Kunst des Überlebens, ZPE 164, 2008, 203–230

Heise, Renaissance der Regionen M. Heise: Die Renaissance der Regionen. Neue Ansätze in den Theorien der Internationalen Beziehungen: Regionaler Sicherheits- komplex und Regionale Ordnungen, Frankfurt/ Main 2008

Hirschfeld, Aquitanien O. Hirschfeld: Aquitanien in der Römerzeit, in: Ders.: Kleine Schriften, Berlin 1913, 209 – 238

Hirschfeld, Haeduer Arverner O. Hirschfeld: Die Haeduer und Averner unter römischer Herr- schaft, in: Ders.: Kleine Schriften, Berlin 1913, 186–208

- 97 -

Hoffmann, Vorgeschichte W. Hoffmann: Zur Vorgeschichte von Caesars Eingreifen in Galli- en, AU 4, 1952, 5–22

Holder, Alt-Celtisch A. Holder: Alt-Celtischer Sprachschatz, Bde. I – III, Leipzig 1896 ff., unveränd. ND Graz 1961 ff.

Jehne, Caesar M. Jehne: Caesar, München 32004

Jehne, Sachzwang M. Jehne: Der große Trend, der kleine Sachzwang und das handeln- de Individuum. Caesars Entscheidungen, München 2009

Jullian, Histoire C. Jullian: Histoire de la Gaule, 2 Bde., Genf 2004 (gekürzte Fas- sung von Histoire de la Gaule, 8 Bde., Paris 1908 – 1926)

Jullian, Vercingetorix C. Jullian: Vercingetorix, Paris 1902

Keeley, War Before Civilization L.H. Keeley: War Before Civilization. The Myth of the Peaceful Sav- age, Oxford Univ. Press 1996

Klotz, Caesar VII 75 A. Klotz: Zu Caes. bell. Gall. VII 75, Philologus 83, 1928, 390–399

Kremer, Bild der Kelten B. Kremer: Das Bild der Kelten bis in augusteische Zeit. Studien zur Instrumentalisierung eines antiken Feindbildes bei griechischen und römischen Autoren, Historia 88, Stuttgart 1994

Kruta, Les Celtes V. Kruta: Les Celtes. Historie et dictionnaire. Des origines à la ro- manisation et au christianisme, Paris 2.000

Lake, RSC D.A. Lake: Regional Security Complexes: A Systems Approach, in: D.A. Lake, P.M. Morgan (Hrsg.): Regional Orders. Building Security In a New World, Pennsylvania State Univ. Press 1997, 45–67

Le Bihan, Habitat J-P. Le Bihan: Habitat et territoire, deux exemples Armoricains: L‘Île d‘Ouessant au premier âge du Fer, Quimper à la Tène finale, in: D. Garcia, F. Verdin (Hrsg.): Territoires celtiques. Espaces ethniques et territoires des agglomérations protohistoriques d‘Europe occidentale, Actes du XXIVe colloque international de l‘AFEAF, Mar- tigues, 1– 4 Juin 2000, Paris 2002, 213–225

Mackinder, Geographical Pivot H. J. Mackinder: The Geographical Pivot of History, The Geo- graphical Journal, vol. 23, no. 4, London 1904, 421– 444 (ND in: The Geographical Journal, vol. 170, no. 4, London 2004, 298–321

Martin-Kilcher, gentes Alpinae S. Martin-Kilcher: Römer und gentes Alpinae im Konflikt – ar- chäologische und historische Zeugnissedes 1. Jahrhunderts v. Chr., in: G. Moosbauer, R. Wiegels (Hrsg.): Fines imperii – imperium sine fine? Römische Okkupations- und Grenzpolitik im frühen Princi- pat. Beiträge zum Kongress »Fines imperii – imperium sine fine?« in Osnabrück vom 14. bis 18. September 2009, Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption, Bd. 14, Rahden 2011, 27–62 - 98 -

Meier, Caesar C. Meier: Caesar, München 1982 (ND 2004)

Morgan, Regional Security Complex- P.M. Morgan: Regional Security Complexes and Regional Orders, in: es D.A. Lake, P.M. Morgan (Hrsg.): Regional Orders. Building Security In a New World, Pennsylvania State Univ. Press 1997, 20– 42

Munsing, What Caesar Told His Cen- E. Munsing: What Caesar Told His Centurions: Lessons of Classical turions Leadership and Discipline for a Post-modern Military, Small Wars Journal, Jan. 2, 2013, http:/ / smallwarsjournal .com/ jrnl/ art/ what- caesar-told-his-centurions-lessons-of-classical-leadership-and-discipl- ine-for-a-post-m [zuletzt 16.06.2014]

Müller, Herrschaft H. A. Müller: Herrschaft in Gallien. Studien zur Entwicklung der keltischen Herrschaftsformen im vorrömischen Gallien, Diss., Bangor 2012, Gutenberg 2013 (Druck)

Nash, Chronology D. Nash: The chronology of Celtic coinage in Gaul: the Arvernian »Hegemony« reconsidered, The Numismatic Chronicle, series 7, vol. 15, 1975, 204 –218

Nash, Coinage D. Nash: Coinage and state development in central Gaul, in: B. Cunliffe (Hrsg.): Coinage and society in Britain and Gaul: some current problems, the Council for British Archaeology Research Re- port 38, London 1981, 10 – 17

Nieto, Monnaies arverne S. Nieto: Monnaies arvernes (Vercingétorix, Cas) en orichalque, in: Revue numismatique, 6e série – Tome 160, 2004, 5–25

Py, Les Celtes M. Py: Les Celtes du Midi, in: M. Bats et. al. (Hrsg): Peuples et territories en Gaule méditerranéenne. Hommage à Guy Barruol. Suppl. 35 à la Revue archéologique de Narbonnaise, 2003, 303–321

Pelling, Kommentar zu Plut. Caes. C. Pelling (Übers., Komm.): Plutarch. Caesar, Oxford Univ. Press 2011

Ralston, Central Gaul I. Ralston: Central Gaul at the Roman Conquest: conceptions and misconceptions, Antiquity 62, 1988, Nr. 237, 786 – 794

Reddé, Alesia M. Reddé: Alesia. Vom nationalen Mythos zur Archäologie, Mainz 2006

Reichert, Helvetier H. Reichert: RGA 214, 1999, 345–351, s.v. Helvetier

Rice Holmes, CCG T. Rice Holmes: Caesar‘s Conquest of Gaul, London 21911, (ND 1931)

Riggsby, Caesar in Gaul A. M. Riggsby: Caesar in Gaul and Rome. War in Words, Univ. of Texas Press 2006

Rosner, Ordnungsmacht U. Rosner: Die Römer als Ordnungsmacht in Gallien. Zu Caesar, Bellum Gallicum VI 11–24, AU 31.5, 1988, 5–22 - 99 -

Roymans, Tribal Societies N. Roymans: Tribal Societies in Northern Gaul. An anthro-pological perspective, Cingula 12, Amsterdam 1990

Scheibelreiter, Barbarische Gesell- G. Scheibelreiter: Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsge- schaft schichte der europäischen Achsenzeit 5.–8. Jahrhundert, Darmstadt 1999

Schieffer, Rede des Critognatus R. Schieffer: Die Rede des Critognatus (B.G. VII 77) und Caesars Urteil über den gallischen Krieg, Gymnasium 79, 1972, 477– 494

Schulte-Holtey, Widerstand G. Schulte-Holtey: Untersuchungen zum gallischen Widerstand gegen Caesar, Diss. Münster 1968

Sherwin-White, Racial Prejudice A.N. Sherwin-White: Racial Prejudice in Imperial Rome, Cam- bridge University Press 1967

Sidebottom, Krieg H. Sidebottom: Der Krieg in der antiken Welt, Stuttgart 2008

Sommer, Römische Geschichte I M. Sommer: Römische Geschichte I. Rom und die antike Welt bis zum Ende der Republik, Stuttgart 2013

Sordi, La simpolitia M. Sordi: La simpolitia presso i Galli, in: Scritti di storia romana, Milano 2002, 23–37

Suerbaum, Mandubier vor Alesia W. Suerbaum: Zivilisten zwischen den Fronten: die Mandubier vor Alesia (Caes. Gall. 7,78) und Muslime in Srebrenica, Anregung 43, 1/ 1997, 17–24

Sun Zi, The Art of War Sun Zi: The Art of War. Sun Zi‘s Military Methods (transl. by V.H. Mair), Columbia Univ. Press 2007

Täubler, Bellum Helveticum E. Täubler: Bellum Helveticum. Eine Caesar-Studie, Zürich 1924

Täubler, Tyche E. Täubler: Tyche. Historische Studien, Leipzig 1926

Tausend, Caesars germanische Reiter K. Tausend: Caesars germanische Reiter, Historia 37, 1988, 491– 497

Timpe, Imperialismus D. Timpe: Caesars gallischer Krieg und das Problem des römischen Imperialismus, Historia 14, 1965, 189 – 214

Timpe, Rheingrenze D. Timpe: Zur Geschichte der Rheingrenze zwischen Caesar und Drusus, in: D. Timpe: Römisch-germanische Begegnung in der späten Republik und frühen Kaiserzeit. Voraussetzungen – Konfrontationen – Wirkungen. Gesammelte Studien, München 2006, 145–170

Tomaschitz, Wanderungen K. Tomaschitz: Die Wanderungen der Kelten in der antiken litera- rischen Überlieferung, Wien 2002

Triepel, Hegemonie H. Triepel: Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten, ND der 2. Aufl., G. Leibholz (Hrsg.), Stuttgart 1961 - 100 -

Tsitsiou-Chelidoni, Zur Funktion C. Tsitsiou-Chelidoni: Zur Funktion der Reden Caesars und der Reden Caesars seiner Gegner in De Bello Gallico, in: D. Pausch (Hrsg.): Stim- men der Geschichte. Funktionen von Reden in der antiken Historio- graphie, Beiträge zur Altertumskunde Bd. 284, Berlin/ New York 2010

Urban, Gallia rebellis R. Urban: Gallia rebellis. Erhebungen in Gallien im Spiegel antiker Zeugnisse, Historia Einzelschriften 129, Stuttgart 1999

Urban, Treverer R. Urban: Die Treverer in Caesars Bellum Gallicum, in: H. Herzig, R. Frei-Stolba (Hg.): Labor omnibus unus. Gerold Walser zum 70. Geburtstag, Historia 60, 1989, 244 – 256

Walser, Caesar und die Germanen G. Walser: Caesar und die Germanen. Studien zur Politischen Ten- denz römischer Feldzugsberichte, Wiesbaden 1956

Wenskus, Stammesbildung R. Wenskus: Stammesbildung und Verfassung, Köln 1961

Wightman, Gallia Belgica E. M. Wightman: Gallia Belgica, London 1985

Will, Caesar W. Will: Caesar, Darmstadt 2009