Geschichte Der Regensburger Juden Von 1939 Bis 1945
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Geschichte der Regensburger Juden von 1939 bis 1945 Von Siegfried Wittmer Bei der Sederfeier an Pessach wird unter Bezug auf die Verfolgung der Stämme Israels von seiten des Pharao beim Erheben des zweiten Weinbechers gesprochen: bM....NbN tmi^b ir>by in» in^n IT\H H1? urn^ wby nnnv Tin nn Nicht nur einer hat sich gegen uns erhoben, sondern zu allen Zeiten erheben sie sich gegen uns, um uns zu vernichtenl. Welche Aktualität diese Worte besitzen, zeigt auch Die Geschichte der Regensburger Juden von 1939-1945. Diese sechseinhalb Jahre kann man in zwei Abschnitten darstellen: 1) Vom Januar 1939 bis zum Sommer 1941 2) Vom Herbst 1941 bis Mai 1945 1. Vom Januar 1939 bis zum Sommer 1941 Adolf Hitler hatte den Boykott der jüdischen Geschäfte und die gleichzeitigen Ver• haftungen der israelitischen Geschäftsleute vom März 1933 im November 1938 in wesentlich rüderer Form wiederholen lassen. Anschließend gaben die National• sozialisten den deutschen Israeliten noch einmal zweieinhalb Jahre zur Auswande• rung Zeit. Ob diese Emigration für alte Leute gesundheitlich und finanziell über• haupt noch möglich sein würde, bekümmerte die seinerzeitige Reichsregierung wenig. Der Reichsregierung war es auch gleichgültig, daß manche der für ein Asyl in Frage kommenden Staaten ein Einwanderungsverbot erließen. Auf jeden Fall drangsalierte man die noch im Deutschen Reich verbliebenen Israeliten in Formen, die positivrechtlich in Ordnung zu sein schienen. * Erweiterte Fassung des letzten Vortrages einer fünfteiligen Reihe zur Geschichte der Regensburger Juden am 26. Januar 1989. Der Verfasser fühlt sich sowohl den bereits in den Fußnoten ausdrücklich genannten Damen und Herren als auch den Vorständen des Histori• schen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, den Herren Msgr. Dr. Paul Mai und Dr. Werner Chrobak, für vielfältige Hilfe verpflichtet. Sein Dank gilt ferner in Regensburg dem Stadtarchiv, dem Fürst Thum und Taxis Zentralarchiv, dem Bischöflichen Zentralarchiv und dem Landes• kirchlichen Archiv, außerdem den Staatsarchiven in Amberg und Nürnberg und dem Zentral• archiv für die Geschichte des jüdischen Volkes in Jerusalem. Daneben durfte der Verfasser besondere Unterstützung erfahren von den Herren Josef Bauer, Dr. Martin Dalimeier, Helmut Halter, Dr. Josef Klose, Dieter Lang, Dr. Max Pauer, Dr. Helmut-Eberhard Paulus, Erwin Probst, Hans Rosengold, Hans Schmuck, Anton Schreiner, Raimund Sterl, Dr. Heinrich Wanderwitz und Franz Zollner. 1 Die Pessach - Haggadah, Tel Aviv 1976,12 f. (zit. P.-Haggadah); Sch. Ben-Chorin, Narra- tive Theologie des Judentums (1985) 71 und 137 (zit. Ben-Chorin, NarrativeTh.). Universitätsbibliothek Historischer Verein für Regensburg urn:nbn:de:bvb:355-ubr03307-0079-2 Oberpfalz und Regensburg Arisierung Da war zunächst die sogenannte Arisierung. Infolge des Verbotes vom 12. Novem• ber 19382, nach dem 1. Januar 1939 noch ein Geschäft zu betreiben, mußten in Regensburg 44 jüdische Eigentümer an Arier verkaufen3. Die NS-Presse kommen• tierte die Arisierung der Walk- und Strickwarenfabrik Nathan Forchheimer in der Dechbettener Straße 13 durch die Eigentümer, die Herren Karl Forchheimer und Fritz Rossmann, an die Firma Rathgeber aus Mühlhausen in Thüringen mit folgen• den Sätzen: „Die Gefolgschaft atmete auf, wußte sie doch, daß an ihrer Arbeit nicht mehr jüdisches Kapital profitierte, daß der Lohn ... nicht erst von schmutzigen Ju- denfmgern gezählt wurde." Bei der offiziellen Übergabe des Betriebes habe man „im festlich geschmückten Arbeitssaale" getanzt. Die jungen Mädchen hätten gezeigt, daß sie nicht nur zu arbeiten verstünden4. In ähnlicher Weise wurden alle Arisierun• gen kommentiert. Bei jedem dieser Zwangsverkäufe gab es - allein schon wegen des Zeitdruckes — große Verluste. Außerdem mußten die Juden den Erlös auf Konten einzahlen, über welche sie „nicht mehr frei verfügen" durften5. Bemerkenswert sind einzelne Vorgänge bei der Arisierung des Modehauses Betty Schwarzhaupt. Die Eigentümerin mußte ihr Geschäft (Am Watmarkt 1 und 3) am 16. Januar 1939 um 250000 RM verkaufen. Aber die Stadt Regensburg erhob am 3.April 1939 Einwendungen. Frau Schwarzhaupt solle „bis spätestens l.Mai 1939 (auf ihre Kosten) den schlechten baulichen Zustand" ihres Anwesens beheben. Außerdem habe sie „den seinerzeit errichteten, das alte Stadtbild auf das gröblichste verunstaltenden Turm6 entfernen zu lassen". Im Weigerungsfall sehe sich die Stadt veranlaßt, „die Beseitigung des unhaltbaren ... Zustandes auf gerichtlichem Wege zu erzwingen". In einem internen Gutachten wurde ein Grad der Verwahrlosung gerügt, wie er „nur von Juden bekannt" sei. Auf die Komplikationen, welche sich für ein jüdisches Geschäft im Gefolge der nationalsozialistischen Boykottmaßnahmen seit 1933 zwangsläufig ergaben, ging seinerzeit niemand ein. Allerdings überlebte der Schwarzhauptturm trotz der Drohung der Stadt die nationalsozialistische Dikta• tur. Erst 1954 wurde er abgebrochen. 1939 bemühte man sich auch, den auszahl• baren Kaufpreis auf 236000 RM herabzudrücken. Das Finanzamt Regensburg- Stadt berechnete am 5. April „91000 RM zur Deckung der Judenvermögensabgabe". Im Januar 1942, als Frau Schwarzhaupt schon längst das Deutsche Reichsgebiet ver• lassen hatte, fiel der Arisierungsfirma plötzlich ein, daß sie „von den jüdischen Ver• käufern regelrecht betrogen" worden sei. Diese Argumentation ließ man allerdings nach einigem Hin und Her fallen7. Erhebliche Sorgen bereitete auch den Eigentümern des Grundstückes Brudcr- wöhrdstraße 14, Herrn und Frau Dr. Fritz und Elsa Oettinger, der von den National- 2 A. und K. Schlösser, Keiner blieb verschont (1987) 47 (zit. Schlösser); Bayerische Ostmark, 14.11.1938 (zit. BOM); H. Pinnow, Der Staat der Gewalt (1960) 40 (zit. Pinnow). 3 Staatsarchiv Amberg, Reg. K. d. Innern, Abgabe 1949 ff., Arisierungsakten Nr. 16257 mit 16299 (zit. StAA Arisierungsakt). 4 StAA Arisierungsakt Nr. 16262; BOM 24.10.1938. 5 M. Richarz, Jüdisches Leben in Deutschland III (1982) 57 f. (zit. Richarz); zur Arisierung der Firma Schocken im Jahre 1938 und zur Befriedigung von Restitutionsansprüchen nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. S. Moses, Salmann Schocken, in: R. Weltsch, Deutsches Judentum (1963) 160 f.; zur Arisierung des Kalkwerkes David Funk durch die Reichswerke AG für Erz• bergbau und Eisenhütten „Hermann Göring" vgl. StAA Arisierungsakt Nr. 16296 und R. Ehm, Nie gebaut: Der „Henkel-Hafen" in Regensburg-Kreuzhof, in: Donau-Schiffahrt IV, 97. 6 Vgl. S. Färber, Regensburg ehemals .... (1984) 42 f.; BAPIV (1981) 236 f. 7 StAA Arisierungsakt Nr. 16297. Universitätsbibliothek Historischer Verein für Regensburg urn:nbn:de:bvb:355-ubr03307-0080-3 Oberpfalz und Regensburg Sozialisten erzwungene Verkauf. Sie standen unter Zeitdruck, da einerseits die Frist, innerhalb deren sie auswandern durften, begrenzt war, andererseits aber die soge• nannte Arisierung vor der Emigration abgeschlossen sein mußte. Sie benötigten ja das Geld zur Gründung einer neuen Existenz. Es galt, folgende Bedingungen zu erfüllen: 1) Die arische Abstammung des Käufers war nachzuweisen. 2. Der Gauwirtschaftsberater der bayerischen Ostmark in Bayreuth hatte nach Rücksprache mit der Kreisleitung der NSDAP in Regensburg die politische Zuverlässigkeit des zukünftigen Eigentümers festzustellen. 3) Der Kauflustige mußte sich verpflichten, den Differenzbetrag zwischen dem Kaufpreis des Anwesens und dem Schätzwert als Ausgleichsabgabe zu bezahlen. Im konkreten Fall belief sich die Unterschiedshöhe auf 19000 RM. 4) Die Überweisung des Kauferlöses „auf das Sperrkonto einer Devisenbank" war unabdingbar. 5) Die Regierung von Niederbayern und Oberpfalz hatte nach §§8 und 17 der Ver• ordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938, in: RGBl I, 1705 den Kauf zu genehmigen. 6) Der Oberbürgermeister war zu befragen 8. 7) Die Industrie- und Handelskammer mußte zustimmen. 8) Das Finanzamt war zu informieren. Nachdem die ersten Kaufinteressenten die 19000 RM für die Ausgleichsabgabe nicht bezahlen wollten, mußte Dr. Oettinger, dessen Emigrationserlaubnis befristet war, voller Sorge abwarten, ob ein weiterer Käufer vielleicht doch noch alle Bedin• gungen erfüllte. In dieser Lage verwies Dr. Oettinger auf seine Meriten um das deut• sche Vaterland. Er sei dreimal im Weltkrieg verwundet worden. Er habe nicht nur das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse, sondern auch den Militärverdienstor• den mit Schwertern erhalten. Er fügte seinem Appell die Abschrift des Armeebefehls des Generalobersten Freiherr von Falkenhausen vom 7. Februarl915 bei, in dem er wegen seiner Tapferkeit namentlich genannt war. Nach dem Empfang dieses Briefes reduzierten die Behörden die Höhe der Ausgleichsgabe so deutlich, daß sich sofort ein Käufer fand. Im Rückblick möchte man den Nationalsozialisten einen gewissen Respekt vor diesen „Juden" unterstellen9. Vergleichsweise einfach verlief der Verkauf des Hauses der Familie Ottmar und Ella Holzinger in der Weißenburgstraße 25 am 27. Januar 1939. Käufer war nämlich das Deutsche Reich, das weder des Nachweises der arischen Abstammung noch einer Bescheinigung der politischen Zuverlässigkeit noch sonstiger Genehmigungen bedurfte. Es genügte eine Meldung an die Regierung von Niederbayern und der Oberpfalz. Das Deutsche Reich zahlte an sich selbst auch keine Gebühren. Man eröffnete den Holzingers vielmehr die Möglichkeit, „eine Zwei- bis Dreizimmer• wohnung mit eigener Küche und Bad auf eine Mietdauer von mindestens zwei Jahren ab 1. Februar 1939 " zu beziehen10. 1942 deportierten Nationalsozialisten Herrn Ottmar und Frau Ella Holzinger in das Konzentrationslager