Paul Preisig, BA

Ultras, über den Fußball hinaus!

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Studienrichtung Global Studies an der Karl-Franzens- Universitä t

Betreuer: Univ. Prof. Leopold Neuhold

Institut: Institut für Ethik und Gesellschaftslehre

Graz, Februar 2018

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Eltern für jegliche Form der Unterstützung bedanken.

Ein weiterer Dank gilt meinem Betreuer Univ. Prof. Leopold Neuhold, für die Möglichkeit, diese Arbeit verfassen zu können, sowie für die hilfreichen Anregungen und die konstruktive Kritik.

Außerdem bedanke ich mich bei meinen Interviewpartnern aus der schwoaz-weißen Grazer Fanszene, ohne die diese Arbeit in dieser Form nicht entstehen hätte können.

Dankeschön.

2 Ehrenwö rtliche Erklä rung

Ich erklä re ehrenwö rtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbststä ndig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wö rtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ä hnlicher Form keiner anderen inlä ndischen oder auslä ndischen Prü fungsbehö rde vorgelegt und auch noch nicht verö ffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum: Unterschrift:

3 Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG 6

2. FORSCHUNGSFRAGEN 7

3. DAS SPORTPUBLIKUM 8

3.1. DER FANBEGRIFF 9

3.1.1. MORRIS’ FANBEGRIFF 10

3.1.2. KATEGORISIERUNG VON FANSZENARIEN NACH HEITMEYER/PETER UND BEITZEL 11

3.2. DIE ZUSCHAUER BEIM FUßBALL 13

4. CHI SONO GLI ULTRÀ? 15

4.1. GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG DER FANKULTUR 18

4.1.1. ENGLAND UND DIE ANFÄNGE 19

4.1.2. ITALIEN IM VORMARSCH 20

4.1.3. DEUTSCHLAND IM TREND 21

4.2 WAS MACHEN IM STADION? 23

4.2.1. CHOREOGRAPHIEN UND PYROTECHNIK 23

4.2.2. SYMBOLIK BEI CHOREOGRAPHIEN UND FANBEKLEIDUNG 26

4.2.3. FANGESÄNGE UND SPRECHCHÖRE 27

4.3. NORMEN UND WERTE VON ULTRAS 29

4.3.1. DAS ULTRA-MANIFEST 30

4.3.2. DER EINFLUSS VON FANS 33

4.3.3. SOZIALES ENGAGEMENT VON ULTRAS 35

5. UNTERSCHEIDUNG HOOLIGANS – ULTRAS 38

5.1. DER HOOLTRAS-BEGRIFF NACH PILZ 40

5.2. ULTRAS UND GEWALT 40

6. ULTRAS STURM GRAZ 42

6.1. INTERVIEWS MIT MITGLIEDERN DER STURM ULTRAS 45

6.1.2. HERANGEHENSWEISE UND VORBEREITUNG DER INTERVIEWS 45

6.1.3. THEMEN UND STRUKTUR DER INTERVIEWS 46

4 6.2. ERGEBNISSE DER INTERVIEWS 48

6.2.1. DIE BASICS – DIE DEFINITION 48

6.2.2. STRUKTUR DER FANGRUPPEN UND WIE WERDE ICH ULTRA? 50

6.2.3. DAS BESONDERE AN DER SZENE, DIE SOZIALE GRUPPE UND WAS WIRKLICH WICHTIG IST 52

6.2.4. DIVERSE THEMEN (POLITIK, IMAGE, FANFREUNDSCHAFTEN) 54

7. STADIONBEOBACHTUNG 57

7.1. TEILNEHMENDE BEOBACHTUNG 58

7.2. EINTAUCHEN IN DEN AUSWÄRTSSEKTOR 60

7.2.1. DIE ANREISE IM FANBUS 60

7.2.2. IM AUSWÄRTSSEKTOR 61

7.3. HEIMSPIEL 64

7.3.1. MAKRO-EBENE 65

7.3.2. MIKRO-EBENE 69

8. AUSBLICK 74

9. CONCLUSIO 74

10. LITERATUR 77

5 1. Einleitung

„Fans werden oft die Seele des Vereins genannt – in Zeiten, in denen Spieler und Trainer kommen und gehen, sind sie allein diejenigen, die bleiben. Fans lassen sich bei all der Veränderung des Fußballs, hin zu einem aufgeblasenen Event, nicht komplett zum Kunden reduzieren.“1

Da ich selbst ein passionierter Fan des Fußballs bin und auch den Besuch live im Stadion noch immer einem im Fernsehen übertragenen Spiel vorziehe, interessiert mich dieses Thema schon seit meiner Kindheit enorm. Auch durch eine kurze Mitgliedschaft in einem Fanclub konnte ich erstmals Einblicke in einen solchen Verein gewinnen. Hier wurde mir klar, dass der Fußball zwar ein wichtiger Bestandteil des Fanseins ist, doch dass sich gleichzeitig viel mehr Prozesse und Themen im Inneren solcher Fanclubs abspielen. Das Netzwerk innerhalb eines Fanclubs und die Partnerschaften zu anderen verbündeten Fanclubs, die über Codes untereinander in den Stadien kommunizieren, sind hochgradig spannend und faszinierend. Durch meine Tätigkeit als Sportjournalist konnte ich dann vermehrt einen Einblick in das Fanwesen, in erster Linie der österreichischen Fanszene, gewinnen. Regelmäßige Stadionbesuche in Wien, Graz, und Salzburg konnte ich mit meinem Beruf verbinden und lernte auch nach den Spielen vermehrt Fans und Ultras kennen. Dennoch war mein Wissen begrenzt. Ich konnte zwar in einigen Fachmagazinen (ballesterer, 11 Freunde, kicker, usw.) vieles nachlesen und mich langsam der Thematik der Ultras annähern, doch fehlte mir der persönliche Kontakt. Erst im Zuge meines Masterstudiums lernte ich vermehrt Kurvengeher der Merkur-Arena in Liebenau kennen, und es entwickelten sich Freundschaften. Gemeinsame Stadionbesuche an Wochenenden wurden allmählich zur Routine, und ich konnte stetig meinen Wissensstand erweitern. Angeregt durch die Lehrveranstaltung „Aspekte der Sportethik“ bei Univ. Prof. Leopold Neuhold wurde mir das Thema meiner Masterarbeit schnell klar.

In dieser Masterarbeit möchte ich die Ultras genauer beleuchten. Eine Subkultur, die es geschafft hat, sich in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus der Wissenschaft sowohl in den Feldern der Soziologie, Sportethik, Wirtschaft, Ökologie als auch der Politikwissenschaften zu präsentieren. Für mich als Global Studies Student ist es damit

1 Dembowski, Gerd. Spieler kommen, Trainer gehen – Fans bleiben. In: BAFF (Hrsg.), Ballbesitz ist Diebstahl, S. 20 6 eine Verbindung dreier Kernthemen meines Studiums – Politik und Recht, Kultur und Soziologie sowie Ökologie. Aus allen drei Perspektiven könnte man Ultras beleuchten, doch möchte ich in meiner Arbeit besonders auch auf die sozialen Faktoren von Ultras und deren Motivation außerhalb ihrer eigentlichen Wirkungsstätte – des Stadions – näher eingehen. Als Werkzeuge dienen mir hier die Methodik von Interviews bzw. der Beobachtung, da ich es für eminent wichtig halte, sich einen groben Überblick vor Ort in der Kurve zu verschaffen, wenn man diese Gruppe näher verstehen möchte.

Als bekennender Sturm-Graz-Fan und Student an der Uni Graz stellte sich für mich das Liebenauer Stadion als Ausgangspunkt und die Sturm-Ultras als geeigneter Vergleichspunkt zu europäischen Ultras dar. Da auch Stärke und Bekanntheit der Sturm- Graz-Fankulisse und der Geschichte international wie national sehr groß sind, lege ich den Fokus auf diese Gruppe.

2. Forschungsfragen

Warum ist es für einen Grazer Fußballfan wichtig, Ultra zu sein?

Die vorliegende Arbeit versucht die Forschungsfrage zu beantworten, was die Besonderheit am Wesen des Ultra-Seins ist, und damit einhergehend aufzuzeigen, welche Bedeutung die Ultras bereits in der Gesellschaft haben. Wer sind Ultras? Welche Normen und Werte definieren und fordern Ultras für und von sich selbst? Wie wird man zu einem Ultra? Wie schätzen Ultras ihre Außendarstellung ein, und wie stehen sie dazu? Können sie Einfluss nehmen aufgrund ihrer Reichweite und Bekanntheit? Weiters versucht diese Arbeit die Theorie einer der in den letzten 20 Jahren am stärksten wachsenden Subkulturen zu erklären und anhand von Beobachtungen und Interviews ihren Stellenwert in Graz aufzuzeigen. Im Zuge der Analysen widme ich mich dem Fanwesen in der Geschichte des Fußballs an sich und ziehe Vergleiche zu den Ursprüngen der Bewegung.

Ziel der Arbeit soll es sein, eine Milieustudie der Ultras-Fanszene von Sturm Graz vorzulegen und kritisch zu betrachten. Um einen möglichst umfassenden Einblick zu erlangen, verknüpfe ich die Interviews mit teilnehmender Beobachtung bei Heim- und bei Auswärtsspielen, um auch die Mechanismen einer Ultra-Gruppe hautnah zu erleben.

7 Eine zweite Forschungsfrage bezog sich auf die Wechselwirkung zwischen Ultras und Verein bzw. der Stadtgesellschaft. Da ich im Zuge der Recherchen vermehrt auf die diversen Aktivitäten außerhalb des Stadions stieß, stellte ich mir die Frage, welchen Einfluss Ultras durch ihr soziales Engagement auf die Gesellschaft haben bzw. aus welchen Gründen sie ihn anstreben. In diesem Sinne stellte ich mir auch die Frage, ob man Ultras nicht auch als Ressource und Partner für Projekte sehen kann.

3. Das Sportpublikum

Da es sich bei Ultras in erster Linie um eine Gruppe von Sportzuschauern handelt, möchte ich in diesem ersten Kapitel die Definition, oder besser gesagt, das Wesen des Sportpublikums erläutern. Weiters sollen der Fanbegriff nach verschiedenen Perspektiven erörtert und die Zuschauer des Fußballsportes kurz beschrieben werden, da es hier zu klaren Trennungen kommt, die für den weiteren Verlauf der Arbeit von Relevanz sind.

Der Soziologe Markus R. Friederici versteht unter dem Begriff des „Zuschauers“ sowohl Personen, die passiv bzw. visuell eine Sportveranstaltung verfolgen als auch aktiv im Sinne von verbaler Unterstützung der Sportler sind2, was auf die Gruppe von Fans zutrifft. Die genauere Unterscheidung der diversen Fantypen folgt in einem späteren Kapitel, jedoch kann hier schon der Charakter eines Sportzusehers nach Weiß nähergebracht werden:

„Sportzuschauer können sich über den Sieg einer Mannschaft freuen, über eine Niederlage ärgern und an spannenden Momenten teilhaben. Ohne Maßregelungen befürchten zu müssen, können sie Emotionen verbal und sogar körperlich ausdrücken. Sie dürfen sich umarmen, in die Luft springen, schreien, brüllen, aber auch schimpfen, fluchen usw., wobei sie in die besondere Situation zwischen Kameraderie und Anonymität einer Masse eingeschaltet sind.“3 Diese Beschreibung von Otmar Weiß veranschaulicht gut die Grundzüge der Sportzuschauer, die an den Wochenenden in die Stadien strömen. „Das Sportereignis per se erlaubt den Zuschauern, sich einander verbunden zu fühlen; (...) In

2 Vgl. Friederici Markus, Sportbegeisterung und Zuschauergewalt, S. 54 3 Weiß, Otmar, Sport und Gesellschaft, S. 112 8 solcher Weise wirkt der Sport sozial vermittelnd, er erlaubt Anteilnahme mit geringstem Aufwand.“4 Weiß spricht hier gleich einen wichtigen Punkt im Zusammenhang mit Sportzusehern an, das verbindende, soziale Element, die geteilten Emotionen untereinander sind ein elementares Motiv beim Besuch des Stadions. Ob dies auch bei Ultras zu einer der Kernmotivationen ihrer Leidenschaft zählt, stellt sich im weiteren Verlauf der Arbeit heraus.

Im Lexikon der Ethik im Sport wird von dem Sportwissenschaftler Ommo Grupe und dem Ethiker Dietmar Mieth festgehalten, dass das Verhalten des einzelnen Zuschauers im Stadion sich immer auch unter moralischen Aspekten diskutieren lässt. Weniger eindeutig ist jedoch die Frage zu beantworten, ob das Publikum insgesamt „Moral“ besitzen kann oder nicht.5 Ultras, in den Medien meistens als sogenannte Hardcore-Fans bezeichnet, wird überwiegend vorgeworfen, nicht moralisch zu handeln.

Weiters wird die Art von Fußballfans, auf die ich in meiner Masterarbeit den Fokus richten möchte, als Fans mit starkem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, vor allem in der Gruppe der Gleichaltrigen, und mit dem Bedürfnis nach Macht und Wirksamkeit im Sinne von Selbst-etwas-verursachen-Wollen beschrieben.6

Das Thema Gewalt wird medial häufig in Verbindung mit Ultras gebracht, obwohl es für die meisten Ultras-Gruppierungen tendenziell keine Rolle spielt. In dieser Gruppe wird aggressives Verhalten auch nicht explizit angestrebt, mit Ausnahmen von historisch gewachsenen Fan-Feindschaften und Rivalitäten.

3.1. Der Fanbegriff

Fans, Supporter, Tifosi, Schlachtenbummler usw. Die Liste der Namen für die Unterstützer und Anhänger einer Fußballmannschaft ist lang und meistens werden mehrere Begriffe als Synonyme verwendet. Doch was bedeutet der Begriff „Fan“ ursprünglich?

„Etymologisch stammt der Begriff Fan vom lateinischen Wort fanaticus ab, das mit in Raserei versetzt, rasend, begeistert, aber auch von einer Gottheit in Entzückung geraten

4 S. 112 ff. 5 Vgl. Kayser, Dietrich. Publikum, Publikumsmoral. In: Grupe/Mieth S. 418 6 Vgl. Gabler, Hartmut. Aggression, Gewalt. In: Gruppe/Mieth S. 29 9 übersetzt werden kann.“7 Weiters sehen Duttler und Haigis, um das Fansein ausleben zu können, den Bedarf eines Engagements, das aber nicht im Sinne eines als anstrengend empfundenen Aufwandes oder gar „Arbeit“ angesehen wird. Ähnlich beschreibt es Gerd Dembowski, der das Wort Fan aus dem lateinischen „fanum“ übersetzt. Das bedeutet „Tempel“ oder Heiligtum und bringt somit die Ebene ein, auf der (irdische) Heilige oder Heiligtümer verehrt werden.8

Roose, Schäfer und Schmid-Lux können gar vier Aspekte des Fanbegriffes definieren: „Der Kern des Fan-Seins ist, erstens, eine intensive emotionale, eine leidenschaftliche Beziehung. Intensität und Ausdruck dieser emotionalen Bindung mögen sich über die Zeit verändern, aber gänzlich ohne Emotionen ist Fansein nicht denkbar.“9 Diese emotionale Bindung ist, zweitens, längerfristig. Die Unschärfe, die hier entsteht, ist für die Definition an sich schwierig, beschreibt aber treffend den Charakter des Fanseins. Trotzdem scheint eine klare Trennung zwischen Fan und gelegentlichen Zuschauern dem Autor sinnvoll.

Drittens sehen Roose, Schäfer und Schmidt-Lux das Fantum in starker Korrelation zu einem Fanobjekt. Der Zugang zu diesem Objekt ist entscheidend, da sowohl der externe Zugang als auch der öffentliche Zugang möglich ist (genauere Erklärung). Viertens sind der persönliche Aufwand bzw. Einsatz von Zeit oder finanziellen Mittel Kriterien für das Fansein.10

3.1.1. Morris’ Fanbegriff

Der britische Verhaltensforscher Desmond Morris unterscheidet Anhänger in zwei großen Kategorien: die jungen und die alten Anhänger.11 Wo er bei den „alten Anhängern“ unter anderem die Loyalisten, die Experten, die Witzbolde, die Schreihälse, die Märtyrer, die Exzentriker sowie die Außenseiter verortet, findet Morris bei den jungen Anhängern eine Form von Ultras wieder.

7 Duttler, Gabriel/Haigis, Boris, Unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz. In: Duttler, Gabriel/Haigis, Boris. Ultras. Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen. 2016. S. 37 8 Vgl. Dembowski, Spieler kommen, Trainer gehen – Fans bleiben. In: BAFF (Hrsg.). Ballbesitz ist Diebstahl, S. 22 9 Roose, Jochen; Schäfer, Mike; Schmid-Lux, Thomas (Hrsg.). Fans: Soziologische Perspektiven. GWV, Wiesbaden 2010, S. 13 10 Vgl. ebd. 11 Morris, 1981 10 Als Fanatiker beschreibt Morris junge Anhänger, die sich durch mehrere Komponenten ausmachen lassen; Zunächst sind Fanatiker durch ihre Kleidung in den Teamfarben leicht zu erkennen. Sie versammeln sich bereits lange vor Spielbeginn und nehmen, als kompakte Masse gesehen, einen besonderen Abschnitt der Ränge im Stadion ein. Die Eskorte durch Polizei ist zudem unabdingbar, da das Eindringen in den Fanatiker-Block von Fans des gegnerischen Vereins zu Gewalt führen kann. Morris’ Fanbegriff ist gut mit dem Auftreten der Kuttenfans zu vergleichen: eine Gruppe von fußballorientierten Fans, deren Merkmal das Tragen von Kutten (mit Stickern bestückte Jeanswesten, sogenannte Kutten) darstellt, deren Absicht der bedingungslose Support der Mannschaft ist. Diese Gruppe prägte vor allem den Beginn der Fangeschichte, zu dem ich im Kapitel 4.1. noch expliziter Stellung nehmen möchte.

Weiters versucht Morris auch klassische Rituale, die zum Repertoire der Ultras gehören, aufzuzählen. Rhythmisches Händeklatschen, Fangesänge auf die eigene Mannschaft und Beschimpfungen des Gegners werden ebenso erwähnt wie die obligatorische Auswärtsfahrt, die mit Bussen und Polizeischutz selbst organisiert wird. Auf das Verhalten und die Traditionen der Ultras im Stadion nehme ich in den folgenden Kapiteln noch explizit Bezug.

3.1.2. Kategorisierung von Fanszenarien nach Heitmeyer/Peter und Beitzel

Die beiden Soziologen Wilhelm Heitmeyer und Jörg-Ingo Peter unterscheiden zwischen drei Fanszenerien.12 Zunächst sprechen Heitmeyer und Peter von den konsumorientierten Fans. Die sportliche Bedeutung des Fußballspiels ist bei ihnen äußerst hoch, die Leistung scheint das entscheidende Kriterium zu sein. Jedoch ist der Sport Fußball an sich „beliebig austauschbar“13, da es sich dabei für sie nur um einen Freizeitartikel handelt. Ebenfalls schwach sehen Heitmeyer und Peter die Gruppenorientierung von konsumorientierten Fans. Sie bevorzugen im Stadion weniger den Fanblock, sondern vielmehr die Gegengerade und ziehen einen Besuch in Kleingruppen dem in Großgruppen vor.

12 Vgl. Heitmeyer, Wilhelm und Jörg-ingo Peter. In: Heitmeyer, Peter (Hrsg.). Jugendliche Fußballfans. Soziale und politische Orientierungen, Gesellungsformen, Gewalt. 1988 13 Ebd. 11 Die zweite Gruppe wird als fußballzentrierte Fans bezeichnet. Sie erweisen sich als sehr treue Fans und messen dem Ergebnis ebenfalls eine hohe Bedeutung bei. Der Fußball ist bei dieser Gruppe nicht mit einer anderen beliebigen Sportart austauschbar – im Gegenteil: Fußball ist unser Leben, wird hier zelebriert.14 Mitglieder aus dieser Szene haben auch den Drang nach Selbstinszenierung und finden sich tendenziell in Fanclubs wieder. Ihr Platz im Stadion ist die Kurve bei den Hardcore-Fans, den sie auch als ihr Territorium für sich in Anspruch nehmen.

Zum dritten Lager gehören die erlebnisorientierten Fans, für die das Fußballspiel eine andere Bedeutung hat. Es wird mehr als Spektakel wahrgenommen und könnte auch durch eine andere Sportart ausgetauscht werden. Wichtig hingegen sind die sozialen Kontakte und das Messen mit gegnerischen Fans, das schnell zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen kann. Für erlebnisorientierte Fans spielt es eine große Rolle, von den gegnerischen Fanlagern wahrgenommen zu werden. Die Suche nach Anerkennung ist ebenfalls sehr groß.

Eine aktuelle Studie von der Universität Bielefeld erläutert Philipp Beitzel im Buch „Fäuste, Fahnen und Fankultur“.15 Die „Bielefelder Fußballfan-Studie“ unterscheidet gleich fünf Typen von Fans: den „passiven“ Fan mit nur wenig Motivation zum Anfeuern, der „friedliche Durchschnittsfan“ repräsentiert dagegen den durchschnittlichen Heimspielbesucher, der durchaus bereit ist, seine Mannschaft zu unterstützen. Als dritten zeichnet den „wenig aggressiven Supporter“ ein ausgeprägter Drang zum Supporten seines Vereins aus. Der „aktive emotionale Supporter“ scheut vor Beschimpfungen und Provokationen des Gegners und einer Konfrontation nicht zurück, und zuletzt der „aktive Konfrontationssucher“, welchen eine hohe Rivalität zu den gegnerischen Fans auszeichnet und der die Auseinandersetzung mit diesen auch aktiv sucht. Aktiv bedeutet dabei auch die Einbringung in Fangruppen und die Teilnahme an Choreographien bzw. das Zünden von Pyrotechnik. Diese fünf Fantypen sieht Beitzel feingliedriger und meines Erachtens treffender im Vergleich zu Heitmeyers Definition.

In meiner Masterarbeit wird sowohl der Fanbegriff als auch der Ultra-Begriff häufiger fallen. Um hier vorzugreifen, wie für mich persönlich der Fanbegriff definiert ist, möchte

14 Ebd. 15 Vgl. Beitzel, Philipp. Ausweitung der Kampfzone vom Stadion auf die Straße und zurück. In: Gebhardt, Richard. Fäuste, Fahnen, Fankultur. S..24/25 12 ich auf eine Grafik, die vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bundesamt für Polizei aus der Schweiz entwickelt wurde, verweisen.

Quelle: Eidgenössisches Justiz- und Polizeideparetment EJPD16

Meiner Ansicht nach wird in dieser Grafik ersichtlich, dass es sich sowohl bei Ultras als auch bei Hooligans oder Kuttenfans um Fans handelt. Es bezeichnen sich tendenziell auch alle drei Gruppen als solche. Die Gruppe der Hooltras, ein von Fanforscher Gunter Pilz kreierter Begriff, wird im späteren Kapitel 4.1. detaillierter beschrieben.

3.2. Die Zuschauer beim Fußball

„Fußballfan ist nicht gleich Fußballfan.“17 Der Soziologe Heinrich Väth unterteilt das Stadionpublikum bei Fußballspielen in drei Zuschauergruppen.18 Zum einen gibt es für ihn den „kritischen Kunden“, der zahlenmäßig auch die größte Besuchergruppe

16 https://www.google.at/search?q=fans+grafik+Eidgen%C3%B6ssisches+Justiz- +und+Polizeidepartement&hl=de&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwj5x_Ps5vXXAhXF5xoKH ebsA6EQ_AUICigB&biw=1143&bih=856#imgrc=MOpqENBCxkBN-M: (Zugriff: 12.7.2017) 17 Wanz, Michael. Fußballfans eine Spezies wird besichtigt. In: Neuhold, David u. Leopold (Hrsg.) Fußball und mehr. Ethische Aspekte eines Massenphänomens. Tyrolia. 2003. 18 Väth, Heinrich: Profifußball. 1994. Campus Verlag. S. 163-175 13 repräsentiert. Seine Charakteristiken sind unregelmäßiger Besuch im Stadion, Besuch des Spieles nach Abschätzen des möglichen Unterhaltungswertes, keine intensive emotionale Bindung zum eigenen Verein. Ihm gegenüber steht der „Tradionalist“, der vor allem für einen regelmäßigen Stadionbesuch und seine Vereinstreue unabhängig von Leistungs- und Erfolgsschwankungen der Mannschaft steht. Er akzeptiert, anders als der kritische Kunde, auch eine Niederlage, kann aber auch kritisch bei nichterbrachtem Einsatz der Mannschaft werden. Die letzte Gruppe bezeichnet Väth als die des „jugendlichen Fans“. Sie unterscheidet sich doch in vielen Punkten vom klassischen Bild des Ultra-Fans, da sie auch stark an das Alter und die homogene Gruppe gebunden ist. Trotzdem kommt sie mit ihrer „Fanarbeit“ und gleichzeitigen Verbundenheit mit dem Verein den Ultras sehr nahe.

Väth beschreibt in seinem Werk die drei Grundtypen in einer Fangemeinde folgendermaßen: „Der Vereinsfan stellt die Interessen seines Clubs in den Vordergrund, er orientiert sich daran, was ihm nützt und ist auch zur Zusammenarbeit bereit. (...) Für den Geselligkeitsfan ist Fußball im Grunde austauschbar. Er will vor allem mit seiner Gruppe zusammen sein und mit ihr spannende Unterhaltung erleben, (...) Der Action-Fan sucht im Rahmen der Spiele den Nervenkitzel in gewalttätigen Auseinandersetzungen. (...) Diese Fans sind zumeist in informellen Gruppen organisiert. An Verein und Fußball sind sie nur am Rande interessiert.“19 Bei der Beobachtung im Stadion (Kapitel 7) kann ich zwei von den drei Grundtypen, die Väth definiert, ausmachen. Allein der Action-Fan ist auf diesem Weg in den von mir besuchten Stadien nur schwer wiederzufinden.

Ich möchte an dieser Stelle noch die Beschreibung der Kurvenbesucher durch den Sportsoziologen Gunter Gebauer zitieren, da mir seine Wahrnehmung der Verhältnisse im Stadion sehr nah an die Wirklichkeit herankommt, die sich mir bei der Beobachtung gezeigt hat. Gebauer meint in seinem Kapitel „Macht des Fußballs“: „Von allen Beteiligten, die ein Fußballspiel ausmachen, ist das Publikum in der Kurve am weitesten vom bürgerlichen Geschmack entfernt. Es bildet den Gegensatz zu den disziplinierten, unparteilich urteilenden Besuchern von Konzerten und Theatern. Nicht Kennerschaft und feierliche Stimmung unterscheidet es vom Publikum der Hochkultur – über beides verfügt es in beträchtlichem Maße –, sondern seine sich in körperlichen Akten äußernde Begeisterung und hemmungslose Bereitschaft, das Spiel zu einem Ereignis zu machen. Seine Kraft und Lebendigkeit fallen unter das bürgerliche Verdikt des schlechten

19 Ebd. S. 174 14 Benehmens. Man wirft ihm vor, eine Masse zu bilden: launisch, ‚weibisch‘, unberechenbar zu sein. Wenn dies tatsächlich die Kennzeichen einer Masse sind, muss für das Fußballpublikum eine andere Kategorie gefunden werden. In seiner Parteilichkeit ist dieses wohl hemmungslos ungerecht, aber von ihm geht eine stabile, verlässliche Kraft aus, ohne die es keine Helden und großen Momente des Fußballspiels geben würde. Sein Geschrei und seine Ungerechtigkeit sind nicht Merkmale eines wankelmütigen Pöbels, sondern bilden, so sehr sie auch die feinen Vorstellungen von Kultur verletzen, einen wichtigen Beitrag zur eigentümlichen Poesie des Fußballspiels.“20

4. Chi sono gli Ultrà?

Doch wer sind nun die Ultras und woher kommen sie? Der Ursprung der Ultra-Fankultur im Fußball ist gleichzusetzen mit der Gründung der ersten Fangruppierungen in Italien, Frankreich und Spanien. In den 1960er Jahren wurden in Italien die ersten „Ultra“- Fanclubs gegründet, die ihre Mannschaften organisiert unterstützten. Die politischen Hintergründe in dieser Epoche spielen nach Ansicht des Fanexperten Kai Tippmann eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Ultras. Die Auseinandersetzungen der verschiedenen politischen Lager, die auf den Straßen, Plätzen, besetzten Häusern und bei politischen Manifestationen ausgetragen wurden, übersiedelten nun in die Fußballstadien.21 Die verwendeten Stilmittel der Demonstrationen und Kundgebungen wie Transparente, Trommeln, Megafone, Doppelhalter (ein mit zwei Stangen an den Rändern montiertes Banner), Fahnen, Pyrotechnik und auch viele der ersten Gesänge und Sprechchöre wurden von den Ultras in den Arenen direkt übernommen. Tippmann sieht jedoch nicht die Politik als ausschlaggebenden Grund des Stadionbesuchs der Ultras: „Damals wie heute war Triebfeder und Anziehungskraft, sich am Wochenende in die Stadien zu begeben, Freundschaft, relative Freiheit, Liebe zum eigenen Verein und zur eigenen Stadt und der Wunsch, den Lieblingssport nicht nur passiv zu konsumieren. Die wechselnden politischen Stimmungslagen im Land haben sich natürlich immer auch in den Kurven abgebildet, aber die Zahl der eindeutig politisch positionierten Kurven, die ihr Credo auch deutlich ausdrückten, war von Anfang an gering.“22

20 Gebauer, Gunter, Poetik des Fußballs. S. 50 21 Vgl. Duttler, Gabriel und Haigis, Boris. Italien als Wiege der Ultra-Kultur ein Gespräch mit Kai Tippmann. In: Duttler/Haigis (Hrsg.) Ultras. Eine Fankultur im Spannungsfeld unterschiedlicher Subkulturen. S. 117 22 Ebd. S. 118 15 Die Ultras bestimmen das Erscheinungsbild des Fußballs. Sie haben in der medialen Darstellung den Platz der Hooligans eingenommen und werden von der Gesellschaft marginalisiert. Auf großen Rückhalt aus der Gesellschaft können die Ultras im Durchschnitt nicht bauen. Weiters haben sie auch wenig Einfluss auf das Bild, das von ihnen gezeichnet wird. Die Quellen, aus denen das Bild von Ultras konstruiert wird, sind tendenziell Berichte der Vereine, der Polizei und der Medien. Gerade bei den Medien kommt es zu einem Dilemma, das die Ultras in den meisten Fällen in einem schlechten Licht erscheinen lässt. Da sich Medien durch „bad news“ erheblich besser verkaufen als im Vergleich mit positiven Schlagzeilen wie einer Sammelaktion für Flüchtlinge (Beispiel Sturm Graz Brigata), werden durch die Berichterstattung die vielen Tätigkeiten der Ultras auf Gewalt, Konflikte und Chaos beschränkt. Durch diese Eingrenzung werden Ultras mit Hooligans oftmals vermischt, und es kommt zu Begriffen wie dem von Gunter A. Pilz kreierten „Hooltras“.

Dieses Erscheinungsbild zurechtzurücken erscheint schwierig, denn wer sollte sich für diesen Imagewandel einsetzen. Die Vereine sehen in den Ultras zwar einerseits eine Unterstützung der Mannschaft, doch sie werden zugleich bei Fehlverhalten von den Verbänden zur Rechenschaft gezogen und würden durch die negativen Bilder einen Imageverlust erleiden. Dieses Handeln trägt zur Marginalisierung und Stigmatisierung und zum negativen Image der Ultras bei. Die öffentliche Wahrnehmung von Ultras ist im Speziellen durch das klassische Bild vom Fußballfan geprägt (alkoholisiert, tendenziell aggressiv bis gewaltbereit bis gewaltsuchend, mit aller Leidenschaft Fan, sorgt für Stimmung im Stadion).

In der öffentlichen Diskussion erhebt kaum jemand die Stimme für die Ultras. Bei jedem kleinsten Vorfall werden sie als Sündenbock abgestempelt. Jonas Gabler spricht hier von der Entstehung einer „moral panic“; also die erschreckte Aussage „Oh, Gott. Da muss man ja doch etwas unternehmen!“, die einhergeht mit der Forderung von Verboten und Sanktionen gegen Ultras. Und wie eine Kettenreaktion kommt es dann zu Kollektivstrafen. Vereine und Verbände schließen Fanszenen von Auswärtsspielen aus und verhängen Stadionverbote auf Lebensdauer.

Divergent sieht Carlo Balestri, Initiator der Faninitiative Progetto Ultra aus Bologna, die politische Haltung von Ultras und bezieht sich darauf, dass die meisten Ultras sich selbst zwar als unpolitisch bezeichnen, aber dass sie ganz im Gegenteil hoch politisch

16 agieren.23 Politische Meinungen und Haltungen wie Rassismus, Antisemitismus und Homophobie finden genauso in der Kurve statt wie Doppelhalter und bengalische Feuer.

Das Wort „Ultra“ kommt aus dem Italienischen und bedeutet ins Deutsche übersetzt extrem oder darüberhinausgehend. Unter einer Ultrabewegung versteht man eine leidenschaftliche Fanbewegung. Diese Leidenschaft zeigt sich im Ziel dieser Gruppierung, die es ist, die eigene Mannschaft in jeglicher Form zu unterstützen und für den Verein zu leben. Der Ort, an dem diese Unterstützung am sichtbarsten stattfindet, ist das Fußballstadion. Mittlerweile gibt es aber auch in anderen Sportarten Ultra-Gruppen.

In den Stehblocks der Stadien fungieren Ultra-Gruppen, deren Größe bis zu einigen Tausenden gehen kann, regelmäßig als Taktgeber für Massen. Mithilfe von Transparenten, Doppelhaltern, Fahnen, Spruchbändern, Fangesängen und Pyrotechnik wie Fackeln, bengalischen Feuern oder Rauchbomben soll die eigene Mannschaft motiviert und unterstützt werden. Die Choreographien geben dem Spiel einen feierlichen Rahmen, zeigen die Treue der Fans zu Heimatverein bzw. -stadt und stimmen das Stadionpublikum auf einen koordinierten Support ein.24 Ultras können bei Spitzenspielen ein ganzes Stadion in einen kollektiven Rausch mitreißen.

In Bezug auf die Zusammensetzung der Ultras ist zu betonen, dass man hier nicht von einer reinen Arbeiterklientel sprechen kann. Ganz im Gegenteil. Wie „normale“ Fußballfans sind auch bei den Ultras alle gesellschaftlichen Schichten vertreten, und auch Altersgrenzen sind wenig verbreitet, obwohl es sich bei Ultras tendenziell um eine Jugendbewegung handelt.

Weiters muss festgehalten werden, dass es die Ultra-Bewegung nicht gibt. Vielmehr existieren nach Fußballfanforscher Gunter Pilz unterschiedliche Gruppierungen, die jeweils gruppenintern über verschiedene Strukturen, Regeln, Schwerpunkte und Vorstellungen, was für sie „Ultra“ bedeutet, verfügen. Selbst innerhalb einzelner Gruppen kann es unterschiedliche Einstellungen und Ansichten z. B. gegenüber Politik geben. 25

Nach dem englischen Soziologen und Kulturanthropologen Steve Adam sind Ultras in vielerlei Hinsicht durch eine hohe Heterogenität geprägt, welche sich in verschiedenen

23 Vgl. Blaschke, Ronny. Im Schatten des Spiels. Rassismus und Randale im Fußball, 2007, S.174 24 Vgl. Strauss, Bernd. Sportzuschauer, 2012, S. 49 25 Vgl. Pilz, 2006, S. 12 17 Punkten darstellt. Er unterscheidet hier zunächst die Gruppengröße (ist tendenziell abhängig von der Leistungsstufe). Bei diesem Punkt weist Adam auch darauf hin, dass diese Gruppen, obwohl sie die Stadionatmosphäre sowohl akustisch als auch optisch dominieren, in den jeweiligen Stadien nur einen kleinen Teil des Gesamtpublikums ausmachen. Weitere Belege, die die Heterogenität der Bewegung deutlich erkennbar machen, sind teilweise Untergruppierungen von Ultra-Gruppen, die in den Stadien auch konkurrieren, oder die politische Ausrichtung bzw. das Bekenntnis zur „politischen Neutralität“. Neben diesen beiden Typen gibt es jedoch auch Ultras, die sich offen gegen Rassismus, Homophobie, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung einsetzen.26

4.1. Geschichtliche Entwicklung der Fankultur

Die Entwicklung der Fankultur ist parallel mit der des Fußballsports zu sehen. Ähnlich rasant wie sich die Sportart als solche über Jahrzehnte veränderte, kam es auch bei den Fans und in den Kurven zu massiven Veränderungen. Als „das Mutterland des Fußballs“, des Spiels mit dem runden Leder, wird England bezeichnet. Die ersten Fußballclubs gründeten sich um die vorletzte Jahrhundertwende auf der britischen Insel und durch das stetig wachsende Zuschauerinteresse auch die ersten Fanlager.

Ein wichtiger Punkt in der Entstehung des Fußballfanwesens ist die Professionalisierung des Fußballsports. Die Einführung einer Profiliga und damit die verstärkte Trennung zwischen Zuschauern und Fußballprofis waren maßgeblich fördernd für das frühe Fanwesen. Die Stadien wurden ausgebaut und der Abstand zwischen den Zusehern und den Akteuren am Feld vergrößert. Durch diese strikte Trennung wurden Fußballer wie unnahbare Helden verehrt und bejubelt. Der persönliche Kontakt zu den Spielern findet im Profifußball kaum mehr statt und verlagert sich beinahe komplett in den Amateurbereich, wo man sich auch noch außerhalb der Spiele mit den Fußballern austauschen kann.

26 Vgl. Dutler/Haigis, 2016. S. 65-71 18 4.1.1. England und die Anfänge

Die Entstehung einer lautstarken und großen englischen Fanszene brauchte Jahrzehnte und etablierte sich erst allmählich in den 1960er Jahren, als bei den englischen Großclubs die ersten Fansektoren in den Arenen eingeführt wurden. Mit selbstgebastelten Fanutensilien wie Schals, Mützen oder Fahnen ausgestattet, unterstützten die Fans ihre Mannschaft. Durch die verbale Denunzierung des Gegners drückte sich ebenfalls die Vereinsverbundenheit aus, was zur Folge hatte, dass es vermehrt zu Ausschreitungen zwischen verfeindeten Fankurven kam. Der Hooliganismus, auf den ich später in Kapitel 5 noch eingehen möchte, wurde ab sofort Teil des Profifußballs, auch wenn nicht alle Fans Teil dieser Bewegung waren. Im Besonderen waren die Ausschreitungen und Krawalle eine Form des Erregens von Aufmerksamkeit, die vor allem bei den Medien in deren Berichterstattung viel Platz fand. Dies führte auch dazu, dass Fans nun gesellschaftlich mehrfach auch mit Gewalt und Chaos assoziiert wurden. Der Hooliganismus in England wurde in den darauffolgenden Jahren immer mehr zu einem Problem, das das Fanwesen auf der Insel zum Stagnieren brachte.

Eine radikale Veränderung der englischen Fanszene brachten die beiden Stadionkatastrophen von Heysel 1985 und Hillsborough 1989. Infolgedessen „konnte sogar von einem Rückschritt der englischen Fanszene gesprochen werden. Durch die vielen Toten und Verletzten, die Opfer dieser Ausschreitungen waren, kam es zu einem Umdenken beim englischen Fußballverband.“27 So kam es zu einer Umstellung in den englischen Fußballstadien, die ab sofort über keine Stehplätze mehr verfügten, und auch die Anzahl an zugelassenen Fanblocks wurde geringer. Das hatte zur Folge, dass die Atmosphäre in den Stadien darunter massiv litt und England von anderen Ländern wie Italien oder Deutschland stimmungstechnisch überholt wurde. Bis auf die frenetisch gesungenen Fangesänge, die noch heute als Markenzeichen für den englischen Stadionbesuch stehen, musste man sich von Choreographien, Doppelhaltern, Fahnen und diversen Utensilien verabschieden.

Bis heute hat sich das Bild der englischen Stadien immer weiter weg von seiner damaligen Ehrfurcht entwickelt. Wo es vor dreißig, vierzig Jahren noch ein Erlebnis und

27 Wanz, Michael: Fußballfans: Eine Spezies wird besichtigt. 2005, S. 53 19 Spektakel war, sich ein Spiel der englischen Premier League live vor Ort anzusehen, flüchten dieser Tage immer mehr englische Fans als „Groundhopper“ an den Wochenenden in andere Länder, um noch ein „richtiges“ Stadionerlebnis zu genießen.28 Gerade Länder wie Deutschland, wo Stehplatzsektoren noch nicht von der Liga verboten sind, erfreuen sich steigender Besucherzahlen von sogenannten Abenteuer-Fans, die für ein Spiel mehrere hunderte Reisekilometer auf sich nehmen, um das traditionelle Stadionerlebnis wieder genießen zu können.

4.1.2. Italien im Vormarsch

Wie bereits erwähnt hatte das Ultratum seinen Ursprung im Italien der 1960er Jahre. Da die Geschichte und die Entstehung meiner Meinung nach sehr wichtig für den Kontext der Masterarbeit sind, werden die Meilensteine und Entwicklungen im Mutterland der Ultras ausführlicher beschrieben.

Den Titel der ältesten Ultragruppe der Welt schreibt man der Mailänder-Fangruppe Fossa di Leoni aus dem Jahr 1968 zu.29 Nach und nach traten immer mehr Fanclubs aus den Großstädten in Erscheinung. Die ersten Ultras, die auch den Namen Ultras trugen, waren die „Ultras Tito Cuchiaroni“ aus Genua. Um 1968 fand man in der ligurischen Hauptstadt auch Graffitis an den Wänden mit dem Slogan „Uniti Legneremo Tutti Rossoblu a Sangue“, was übersetzt bedeutet: „Gemeinsam“ (die Kurve von Sampdoria Genua) „schlagen wir alle Rot-Blauen“ (Lokalrivale FC Genua-Fans) „zu Blut.“ Die Anfangsbuchstaben dieser Kampfansage ergeben das Wort Ultras.30

Im Vergleich zu der Fanbewegung in England war die Organisationsstruktur innerhalb der einzelnen Ultras-Szenen in Italien besonders stark ausgeprägt. Die Tatsache, dass sich die Ultras nicht ausschließlich auf das Fußballspiel, sondern in erster Linie auf die Stimmung vor, während und nach dem Spiel konzentrierten, zeigt ebenfalls eine Abweichung von den englischen Kollegen.

Im Laufe der Jahre veränderte sich die Ultra-Szene in Italien. Die anfangs politisch tendenziell linksorientierten Ultras wurden in den Stadien unterwandert von rechtsgerichteten faschistischen Ultrabewegungen. Fanforscher Gunter A. Pilz dazu:

28 https://fanzeit.de/keine-nennenswerte-fankultur-in-england/20501 (Zugriff: 1.7.2017) 29 Vgl. Pilz, 2006 S. 163 30 Ebd. 20 „Zwar solidarisierte sich die Mehrzahl der Ultras zu Beginn der Szene-Entwicklung in Italien eher mit den Idealen der sozialistischen Bewegung und des linksradikalen Widerstandes, dennoch bildeten sich gleichzeitig auch Gruppen, die sich offen zu faschistischen Parolen bekannten und den rechten Parteien in Italien nahestanden.“31 Durch die vielen Veränderungen und neuen Gruppierungen in den italienischen Stadien kam es zu einem Wertewandel, der eine große Ultras-Krise in Italien zur Folge haben sollte. Es kam vermehrt zum Einsatz von Waffen, und die Gewalt unter den rivalisierten Fanlagern nahm zu. Pilz sieht als Höhepunkt dieser Rivalitäts-Entwicklung den Tod eines Lazio Rom-Ultras (Vincenzo Papparelli), der durch eine Leuchtrakete eines Roma- Ultras während eines Stadtderbys 1979 tödlich verletzt wurde.32 Die Polizeipräsenz erhöhte sich in den Stadien und wurde zunehmend Teil des Geschehens.

Ein zweites tragisches Ereignis sollte einen weiteren Wendepunkt der Ultra-Szene in Italien einläuten. Der gewaltsame Tod des Genua-Ultras Claudio Spagnolo im Jahre 1995 (Spagnolo wurde von einem 18-jährigen Milan-Ultra erstochen) war Anlass, dass sich mehrere Ultras-Gruppen aus allen Regionen Italiens gemeinsam zusammensetzten und das Dokument „Basta lame basta infami“ („Schluss mit den Klingen, Schluss mit den Schandkerlen“) verfassten, das die alten Werte wieder beleben und die Ächtung des Einsatzes von Messern, Waffen und Gewalt voranbringen sollte.33 Dieses Zusammentreffen wird von vielen Experten als Meilenstein der Ultras-Bewegung gesehen und ließ weitere Treffen in den darauffolgenden Jahren folgen.

„Einen weiteren Wendepunkt der Bewegung markiert das Jahr 2007, als die Toten Filippo Raciti (Polizist) und Gabriele Sandri (Lazio-Fan) zum Anlass genommen wurden, die Repression weiter zu verschärfen, Pyrotechnik und Megaphone zu verbieten, nur noch autorisierte Spruchbanner im Stadion zuzulassen und die Fankarte ,Tessera del Tifoso‘ für Auswärts- und Dauerkarten zur Pflicht zu machen.“34

4.1.3. Deutschland im Trend

Wie für England kann man für die deutsche Ultra-Kultur festhalten, dass die Professionalisierung des Fußballs entscheidend war. Die Gründung der Bundesliga im

31 Pilz 2006, S. 166 32 Vgl. Pilz S.166 33 Vgl. Pilz S. 168 34 https://de.wikipedia.org/wiki/Ultra-Bewegung (Zugriff: 3.8.2017) 21 Jahre 196335 führte wie in England zu einer strikten Trennung zwischen Zusehern und Fußballern. Der Einfluss Englands erzeugte in Deutschland in den 1970er und 80er Jahren auch einen Hang zum „Kuttenfan“, der sich durch seine mit Stickern, Aufnähern und Logos seines Vereins selbstbestickte Kutte (Jeansjacke) auszeichnet. Zusätzlich verstärkten Fahnen, Schals und aus dem Englischen ins Deutsche übersetzte Fangesänge die Ausdrucksformen der ersten Fanclubs. In dieser Zeit bildete sich in Deutschland der noch immer gültige Grundstock an fankulturellen Verhaltensweisen, der für Fußballfans so markant ist.36

Die erste Ultras-Gruppierung wurde 1986 in Düsseldorf gegründet – die Fortuna Eagles.37 Vor allem in den 1990er Jahren wuchs die Szene und verdrängte langsam die vereinzelten Fanclubs in den Kurven. Der Hooliganismus, der auch in Deutschland aus England „übernommen“ wurde, verschwand zunehmend aus den Stadien und wurde durch die frenetischen Ultras-Stile aus dem italienischen Raum ersetzt. Eine Rolle spielt dabei die Stagnation des englischen Fanwesens, was die Orientierung an der italienischen Fankultur verstärkte. Ähnlich wie die italienischen Ultras engagierten sich auch deutsche Ultras für politische Themen, wenngleich die Kommerzialisierung des Fußballs in Deutschland in den Kurven häufiger thematisiert wurde.

Heute muss man die Ultra-Szene in Deutschland wohl noch differenzierter betrachten als je zuvor. Neben „normalen“ Stadionbesuchern, Kuttenfans, Fanclubs, Hooligans, Ultras gesellen sich nun auch immer mehr Hipster in die Kurven Deutschlands. „Die Ultrà-Kultur hat sich in den letzten Jahren zu einer politischen und soziokulturellen Jugendbewegung in Deutschland entwickelt. Dabei geht sie über die bedingungslose Unterstützung des eigenen Vereins noch hinaus. Es ist eine Lebenseinstellung, ein Ventil, sei es politisch oder im Hinblick auf verbotene Substanzen.“38 Es ist ein Trend und angesagt, sich hinter dem Tor im Stadion bei den „Hardcore-Fans“ aufzuhalten. Gerade „Groundhopping“ (das Besuchen von Fußballspielen im Ausland) ist in Deutschland ein so weitverbreitetes Phänomen, dass man es sogar als Tourismusfaktor bezeichnen könnte.

35 Vgl. https://www.dfl.de/de/ueber-uns/die-geschichte-der-dfl.html (Zugriff: 3.8.2017) 36 Vgl. Gabriel, Michael. Ultra-Bewegungen in Deutschland. In: Ballbesitz. S. 179-194 37 https://www.11freunde.de/artikel/deutschlands-aelteste-ultragruppe (Zugriff: 3.8.2017) 38 https://sports.vice.com/de/article/kbmw7x/die-vaeter-aller-hooligan-hipster-die-geschichte-der- casuals-271 (Zugriff: 12.10.2017) 22 In Österreich – zu der Fangeschichte und Ultras-Szene von Sturm komme ich in Kapitel 5 – war die Entwicklung des Fanwesens vergleichbar mit der deutschen Szene, nur in wesentlich geringerem Ausmaß. Hervorzuheben sind die Kurven von Rapid Wien – die Ultras Rapid wurden als erste Ultras in Österreich 1988 gegründet39 – Salzburg, Wacker Innsbruck und Sturm Graz. Wie in Deutschland sind auch die österreichischen Kurven stark von den italienischen Ultras-Wurzeln inspiriert. Nur wenige orientieren sich an der englischen Fankultur, wie zum Beispiel der derzeitige Wiener Regionalligist und Traditionsverein First FC 1984.

4.2 Was machen Ultras im Stadion?

Der Höhepunkt der Woche für einen Fußballfan ist das Wochenende und der damit verbundene Besuch im Stadion. Die Vorbereitung auf das Spiel findet meistens bereits Tage, in speziellen Fällen wie zum Beispiel vor besonderen Matches, auch schon Wochen vorher statt. In der Regel erwartet hier die Fangruppen viel Arbeit, um Choreographien, Transparente, Spruchbänder oder Aktionen in den Kurven vorzubereiten oder gar einzustudieren. In diesem Kapitel möchte ich auf das Repertoire von Ultras eingehen und darstellen, was für Möglichkeiten Ultras überhaupt haben, um Stimmung im Stadion zu entfachen.

4.2.1. Choreographien und Pyrotechnik

Die visuellen Aktionen (Choreographien, Fahnenschwingen, das Abbrennen von bengalischen Feuern), die von den Ultras in den Stadien vorbereitet werden, sind zum Teil hoch kreativ. Die Inhalte der Choreographien orientieren sich meistens eng an der Stadt- und Vereinsgeschichte. Choreographien können sowohl akustisch oder visuell als auch eine Kombination aus beiden Formen sein. Kritische Themen oder Gedanken auf das Plakat zu projizieren, die sich manche Stadiongänger nur denken, gehören zum elementaren Selbstverständnis jeder Ultra-Szene. Die Dauer von Choreographien und Aktionen im Stadion sind unterschiedlich. Sie differenzieren sich auch vom Prozedere und der Abfolge her, wann und zu welchem Zeitpunkt vor oder während eines Spieles

39 http://www.ballesterer.at/heft/weitere-artikel/25-jahre-ultras-rapid.html (Zugriff: 14.10.2017) 23 sie präsentiert werden. In der Regel bereitet eine Ultra-Szene eine Intro-Sequenz vor, d. h. die Choreographie startet kurz bevor oder gar während die Mannschaften das Feld zum Anpfiff betreten. Weiters kommt es meistens zu einer weiteren Choreographie während des Spiels und zu einer weiteren nach der Pause oder zu einem speziellen Zeitpunkt. Mit Hilfe von Megaphonen werden diese dann auf Zuruf gemeinsam durchgeführt. Wichtig dabei zu erwähnen ist auch die Gleichzeitigkeit, in der alle Fans in der Kurve Teil der Choreographie sind. Wie viele kleine „Mosaiksteine“ werden sie erst in der Masse zu einem großen Geflecht und verleihen der Kurve Ausdruck. Es existieren auch Ultra-Gruppen, die Zeitpunkte auf der Stadionuhr nutzen, um auf Ereignisse oder historische Zeitpunkte in der Vereinsgeschichte hinzuweisen. Zum Beispiel wird beim FC Barcelona seit mehreren Jahren exakt nach 17 Minuten und 14 Sekunden in jeder Halbzeit ein Tribut an das Jahr 1714 zelebriert, als Katalonien fest in das spanische Königreich eingegliedert wurde,. In diesem Moment erheben sich die Fans, schwenken die Estelada (katalonische Flagge) und rufen mit Tausenden anderen: „In-inde-independència“ (Unabhängigkeit). Ein weiterer Moment von Choreographien, der in der Ultraszene weit verbreitet ist, sind sogenannte Grußbotschaften an befreundete Ultras im In- und Ausland. Fanfreundschaften werden wie Rivalitäten von Ultras sorgsam gepflegt und finden damit auch Platz im Programm der Choreographien. Zu gemeinsamen Themen wird Stellung bezogen und Solidarisierungsbekundungen werden ausgesprochen. Auch Mitgefühl und Anteilnahme an persönlichen Schicksalsschlägen, sowohl von Vereinen als auch von Einzelpersonen, werden durch kurz gezeigte Banner oder Transparente bekundet.

Mithilfe von Pyrotechnik wird die Präsenz im Stadion stärker unterstrichen. Feierlich wie bei einem Feuerwerk an Silvester heizen bengalische Feuer die Stimmung im Stadion an. Apmann und Fehlandt sehen die Pyrotechnik gar tief verwurzelt in der Ultra- Historie: „Seit den Anfängen der Ultrakulturen in Italien ist Pyrotechnik ein fester Bestandteil ihrer Identität. Nimmt man den Fangruppierungen das Abbrennen von Pyrotechnik, so nimmt man ihnen einen Teil der Geschichte.“40

Meistens kommt Pyrotechnik entweder nach einem erzielten Treffer oder zur Unterstreichung einer Choreographie zum Einsatz. Die Palette von Pyrotechnik ist breit,

40 Apmann, Jan-Philipp, Fehlandt, Gabriel, Pyrotechnik: Der Kampf um eine Legalisierung. In: Ultras im Abseits? S. 180 24 da nicht nur bengalische Fackeln den Weg ins Stadion gefunden haben, sondern bereits auch Leuchtraketen, Rauchbomben, Knaller, Böller, Wunderkerzen oder Leuchtfontänen. Doch gerade in den 2010er Jahren ist der Streit um die Legalität von Pyrotechnik in Fußballstadien neu entbrannt. In der österreichischen Fußballliga ist im Vorhinein angemeldete Pyrotechnik, die sich im Rahmen einer behördlichen Bewilligung gemäß des Pyrotechnikgesetzes bewegt, erlaubt.41 Österreich ist neben Finnland das einzige Land, in dem Pyrotechnik zum Teil oder ganz erlaubt ist. Für Ultras stellt ein Verbot jedoch meistens keine Hürde dar, obwohl bei Missachten des Verbots in der Regel die Vereine für ihre Fans aufkommen müssen.

Auf die Frage, was man von Pyrotechnik halte, bekam ich von Sturm Graz Ultra B im Zuge der durchgeführten Interviews die Antwort: „Das gehört dazu und ist ein Ausdrucksmittel, was auch nicht schlimm ist. Aber es ist anders wie es zum Beispiel in den Medien dargestellt wird. Weil es kontrolliert abgebrannt wird. Wirkliche Verletzungen passieren nie oder kaum. Mir wäre davon nichts bekannt.“42

Ultra C führt hier auch die Beziehung zum Verein Sturm Graz und der Bundesliga aus: „Ja, es gibt ja diesen Graubereich, wo man solche Aktionen (Anm. Pyrotechnik) anmelden kann. Wenn wir das anmelden, musst du die ersten vier bis sechs Reihen absperren und dann darfst du erst zünden. Und dann ist es eigentlich auch nicht legal, aber es wird mehr oder weniger akzeptiert. Wir versuchen es schon so zu halten, nicht so wie Rapid jedes Spiel, nicht bei jedem Spiel zu zünden, sondern für besondere Partien was aufzusparen. Weil da muss ich wieder auf die Treffen mit dem Verein zurückkommen. Da werden dann nämlich die Strafen und Eurobeträge angeführt und uns gezeigt, die Sturm im Budget wirklich merken. Da geht’s um ein paar 10000 Euros. Und Sturm ist finanziell nicht so stark aufgestellt, dass sie am Anfang der Saison sagen können, da budgetieren wir jetzt einen Fond mit 150000 für Pyrotechnik-Strafen. Aber wenn du halt oft zündelst, kann das relativ rasch gehen. Und das muss der Verein auch zahlen können. Deswegen haben wir uns geeinigt, dass wir bei den großen Spielen was machen, im besten Fall das anmelden, aber du kannst auch nicht alles anmelden – Rauch zum Beispiel kannst du nicht anmelden, das ist immer illegal. Aber wir versuchen uns immer mit dem Verein halbwegs abzusprechen. Was mir aber zum Beispiel aufgefallen ist, den jetzigen Geschäftsführern gefällt das auch.

41 http://www.bundesliga.at/?proxy=redaktion/OEFBL/Bestimmungen/20170622_BL- Sicherheitsrichtlinien-ab-01072017_final.pdf (Zugriff: 14.12.2017) 42 Interview Ultra B, S. 7 25 Natürlich machen solche Feuer auch ein ganz anderes und cooles Bild.“43 Auf interessante Weise wird hier das Verhältnis zwischen Ultras und Verantwortlichen des Vereins beleuchtet. Auch Ultra D weiß, wie wichtig die Nordkurve sein kann: „Die Kurve bringt Geld ins Stadion und kann sich somit auch ein wenig was leisten.“44

4.2.2. Symbolik bei Choreographien und Fanbekleidung

Bei der Symbolik der Choreographien und der Bilder, die dabei entstehen, möchte ich auf den Schweizer Theoretiker Christian Doelker verweisen. Doelker ist der Ansicht, dass Bilder stets über eine gewisse Funktion verfügen und dass man zwischen mehreren Arten dieser Funktion der Bilder unterscheiden kann. Doelker zählt hier drei verschiedene Begriffe auf, die Bilder auszeichnen können.45 Die appellative, die mimetische und die energetische Bildfunktion werden herangezogen, da sie meiner Meinung nach stimmig sind und auch die Wichtigkeit und gleichzeitig die Funktion und den Hintergrund des Bildes hervorheben.

In Fußballfanchoreographien unterliegen die verwendeten Bilder einer, wie Doelker meint, appellativen Bildfunktion. Ähnliche Bedeutungen existieren auch in der Werbung. In unserem Fall mit den Fanbannern und Plakaten sollen die Zuschauer als auch die Fußballspieler am Platz aufgerufen werden, alles für den Verein zu geben. In der Werbung wird vergleichsweise mit Bildern suggeriert, dieses oder jenes Produkt zu kaufen. Bei den Ultras werden als häufigste Motive die Umrisse bekannter Gebäude der Heimatstadt wie Wahrzeichen verwendet, aber auch Porträts von ehemaligen beliebten und erfolgreichen Spielern wie Trainern. Interne Codes, die nur innerhalb der Ultras- Szene verstanden werden wie zum Beispiel Anspielungen auf Rivalitäten bzw. Provokationen oder Grußbotschaften an befreundete Ultras-Gruppierungen sind ebenfalls gängige Bilder in den Choreographien der Ultras. Dass solche teils sehr provokanten Motive auf Unverständnis stoßen und für viel Kopfschütteln bei neutralen Beobachtern sorgen, steht außer Frage.

43 Interview Ultra C, S. 6 44 Interview Ultra D, S.7 45 Vgl. Doelker, Christian. Ein Bild ist mehr als ein Bild. 1997 26 Ein weiteres wichtiges Merkmal in der visuellen Ausdrucksform von Ultras ist die Fanbekleidung. Der Kleidungsstil ist in vielen Szenen von enormer Bedeutung und macht Ultras-Gruppierungen auch für „normale“ Stadiongänger erkennbar. Zu den wesentlichsten Fanbekleidungen zählen Fußballtrikot und Fanschal. Betrachtet man Stadionkurven genauer, erkennt man, dass Fußballtrikots der eigenen Mannschaft, die im Handel erhältlich sind, in den Kurven weniger vertreten sind.

Desmond Morris sieht es ebenfalls nicht so streng bei der Benutzung von Fanartikel: „Für die Fankleidung gibt es außer der Teamfarbe und dem Club-Emblem keine Richtlinien. Jedes Muster, jedes Design, jedes Abzeichen, jedes Kleidungsstück, jedes Zubehör, das einem in den Sinn kommt und gefällt, ist akzeptabel.“46

4.2.3. Fangesänge und Sprechchöre

Neben den Choreographien sind es wohl die Fangesänge, die einem Stadionbesucher besonders schnell auffallen.

„Als unvermeidliche Schlußfolgerung müßte man annehmen, dass hier zwei Wettbewerbe zur gleichen Zeit stattfinden – ein sportlicher zwischen zwei Mannschaften von Spielern und ein künstlerischer zwischen zwei Chören.“47

Zu beobachten sind hier verschiedene Arten von Fangesängen, doch die Themen sind immer dieselben: der Verweis auf die Rivalität, das Eigenlob, die Liebe zum eigenen Verein und zur Heimatstadt oder die Bekundung eines Lobes für die Mannschaft oder einen Spieler, was auch auf die Verspottung des Gegners 1:1 umgemünzt werden kann. Hans Ulrich Gumbrecht sieht diese geballte Energie, die aus den Kehlen der Fans auf das Spielfeld dringt, als Faktor, der die Masse der Zuschauer zu einem einzigen Körper verschmilzt.48 Der berühmte 12. Mann ist hier gemeint. Für Morris ist das Spektrum an Themenfeldern noch breiter, und er unterscheidet zwischen zwölf Themenfeldern: Vertrauen und Optimismus, Ermutigung, Lobpreisung, Loyalität und Stolz, Kritik am Heimclub, Kommentare zum Schiedsrichter, Kommentare zur Polizei, Beleidigungen des Gegners, Drohungen gegen den Rivalen, Unterbrechungsfeiern, Insider-Rivalitäten und

46 Morris, Desmond, Das Spiel. Faszination und Ritual des Fußballs, 1981, S. 246 47 Morris, S. 304 48 Vgl. Gumbrecht. Lob des Sports. S. 141 27 Stimmungsgesänge.49 Diese Gesänge finden teilweise komplett unabhängig vom Spielverlauf statt, andere wiederholen sich zu den immer selben Zeiten. So werden in vielen Fällen Sprechchöre zu dem Zeitpunkt angestimmt, zu dem auf der Stadionuhr das Gründungsjahr des Vereines erscheint (z. B. 19:09 Minuten sind gespielt).

Ein neues Phänomen der Fangesänge etablierte sich besonders in England, wo immer mehr Kurven Melodien bekannter Pop-Songs hernahmen und auf ihren Verein bezogen umtexteten. So werden kurzerhand aus Klassikern der Popmusik von Depeche Mode (“I just can’t get enough”), den Beatles (“Yellow Submarine”), Doris Day (“Que Sera Sera”), Dean Martin (“Amore”), Edith Piaf („Milord“) oder den Village People (“Go West”) eigens neu interpretierte Fangesänge, die sich teils – vor allem in England – selbstironisch über die Schwächen der eigenen Mannschaft und der Erfolglosigkeit des Vereins lustig machen.50

Dieser Trend, sich aus dem Pop-Bereich zu bedienen und Songs in die eigenen Fangesänge einzubauen, ist auch in Österreich und somit auch in der Grazer Fanszene weit verbreitet. Die Grazer Fans nutzen ua. Melodien der Beatles (“Ob-La-Di, Ob-La-Da”) und texten sie auf Sturm bezogen um.

„Wenn unsre Schwoazen wieder auswärts spieln, dann treten wir die Reise an. Ob mit Autos, Bussen, Mopeds oder Eisenbahn und keiner hindert uns daran. Ob Madrid oda Rom oda anfoch nur Wien, scheiß egal wir fahren anfoch hin SK Sturm, SK Sturm wir san der zwölfte Mann, herst wir sand die Jungs aus Graz!“ Neben dem Umtexten und Neuinterpretieren von Pop-Songs singt die Grazer Kurve auch die heimliche steiermärkische Landeshymne „Steiermark“ der dreiköpfigen Pop-Rock- Band STS aus der Steiermark. Beim Heimspiel am 4. 11. 2017 wurde im gesamten Stadion der Text des Liedes verteilt und somit alle Besucher zur gemeinsamen Stadionchoreographie eingeladen.51

49 Vgl. Morris, S. 307 50 https://www.11freunde.de/artikel/top-10-wenn-fankuven-popsongs-singen (Zugriff: 23.09.2017) 51 https://www.skysportaustria.at/bundesliga-at/sturms-steiermark-choreo-im-video/ (5.12.2017) 28

http://www.sturmtifo.com/gallery/displayimage.php?pid=24908; http://www.sturmtifo.com/gallery/displayimage.php?pid=24910

4.3. Normen und Werte von Ultras

Fan-Experte und Sportjournalist Ronny Blaschke sieht die Identifikation mit dem Verein als das zentrale Element bei Ultras.52 Hans Lenk vertritt dieselbe Meinung und die Identifikation als Effekt, der zum nötigen Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe beiträgt und Leidenschaften auslösen kann.53 Aus Blaschkes Sicht definiert nicht der Verein den Verein, sondern die Ultras. Eigenschaften wie Stärke, Macht, Durchsetzungsvermögen und Männlichkeit zählen für die Ultras. Aus Idealismus und Liebe zum eigenen Verein stehen, unabhängig von Erfolg und Personen, die im Verein tätig sind, das ist die Devise. Ultras fungieren als Mahner und kritisches Überwachungsorgan, das Missstände im Verein aufzeigt und an den Pranger stellt.

Die Ultras haben das Bedürfnis, etwas selbst gestalten und schaffen zu können, Einfluss zu nehmen, Dinge zu hinterfragen und ändern zu können. Sie zeigen ihre Zuneigung, äußern ihren Protest und provozieren ihre Gegner.

Die Kultur der Ultras zeichnet sich aus durch Solidarität (im Sinne des Zusammenhalts auf den Rängen im Stadion und speziell in der Gruppe, der wechselseitigen Unterstützung, die auch zu befreundeten Ultra-Gruppierung bestehen kann, und der Treue zum Verein), Maskulinität (im Sinne von Mut, Stärke, Ausdauer, Unerschrockenheit, Ritterlichkeit bzw. „eine Macht sein“) und den triumphalen Erfolg

52 Blaschke, Ronny. (2016); Fußball und Gewalt – Wie ticken Ultras und Hooligans? (dbate). Youtube, 27.06.2016, Web, 25.07.2017 um 10:53, In: https://www.youtube.com/watch?v=8OProCfvSv0 53 Vgl. Lenk, Hans. Sport von Kopf bis Fuß(ball). S.23 29 sowohl am Spielfeld als auch gegen die rivalisierenden Ultras (bei den Kurven- Choreografien, Fangesängen, Anfeuerungsrufen, Spruchbändern, der Kleidung).54

Besonders die Solidarität ist ein enorm wichtiger Wert bei den Ultras. Sie zeigt sich zunächst als gruppeninterne. Fehlt einem Ultra-Mitglied das nötige Geld für eine Eintrittskarte oder Auswärtsfahrt, ist es nicht unüblich, dass innerhalb der Gruppe für ihn oder sie gesammelt wird. Neben dieser gruppeninternen Solidarität gibt es auch Beispiele für Solidarität zwischen Ultra-Gruppen verschiedener Vereine. Dies kann auf Fanfreundschaften zwischen verschiedenen Ultra-Szenen basieren, aber auch zwischen Ultra-Szenen stark konkurrierender Vereine, wie es in Derbys immer wieder zu Tage tritt. Dort kann es zu Solidarisierungseffekten kommen. Beispiele dafür wären gemeinsame Interessen in Bezug auf Verbote von Pyrotechnik, steigende Eintrittskartenpreise, Terminierung von Fußballspielen zu arbeiterfreundlichen Beginnzeiten, gegen die Kommerzialisierung des Fußballs (teils durch private Investoren) und Eventisierung des Sports.55

Ein weiterer wichtiger Punkt im Kontext mit den Ultras ist die Ehre. Wenn Ehre verteidigt werden soll, spielen Gewaltauseinandersetzungen (Verweis auf Kapitel 5.2.) eine wichtige Rolle. Es wird von vielen Fans als Niederlage und Ehrverlust angesehen, wenn sich Rivalen im „eigenen“ Territorium frei bewegen und dieses durch provokative Sprechchöre, Aufkleber oder Graffiti markieren.

4.3.1. Das Ultra-Manifest

Die kritische Einstellung im Blick auf die genannten Punkte wird deutlich am Beispiel des Ultra-Manifestes. Dieses Manifest, das einige deutsche Ultras von der Homepage des italienischen Erstligisten AS Roma übernommen und „nur unwesentlich verändert bzw. an die Verhältnisse in Deutschland angepasst“ haben, verweist zusätzlich auf die sehr bewusste und sensible Wahrnehmung der Entwicklung des Fußballsports seitens der Ultras.56

54Vgl. Schwier/Fritsch, 2003. S. 35 55 Vgl. Dutler/Haigis, 2016. S. 67-71 56 Vgl. Pilz, 2006, S. 110-111 30 Eine Abwandlung des Originals des AS Roma lässt sich bei den Ultras des deutschen Bundesligisten Borussia Dortmund finden:

„Ultramanifest:

Echte Fans wollen daher diese Fußballregeln:

1. Spielertransfers sollten in den Saisonpausen abgewickelt werden, nicht während der Saison 2. Die Freiheit für die Spieler, ihre Freude nach einem Goal auszudrücken. Es ist möglich, diese Zeit nachspielen zu lassen 3. Förderung heimischer Nachwuchsspieler durch eine Regel der Verbände. 4. Eine Sperre von einem Jahr von Spielern, die ihren Vertrag nicht erfüllt haben, weil ein anderer Verein mehr Geld geboten hat 5. Die Beschränkung, dass Funktionäre eines Vereines nicht in einem zweiten Verein tätig sein dürfen, um „Farm Teams“ zu verhindern 6. Die Wiederherstellung des alten Landesmeisterpokales mit einem automatisch qualifizierten Meister aus jedem Verband, anstelle einer Liga, in der der Ligavierte eines Landes Champions-League-Sieger werden kann 7. Das Verbot, dass Clubs oder Verbände Billets für Auswärtsspiele exklusiv an Reiseveranstalter weitergeben dürfen.

Ultras sollten: 1. Jeden unnötigen Kontakt oder Hilfe durch die Vereine oder die Polizei verweigern. 2. Untereinander besser zusammenarbeiten. 3. In Eigenorganisation zu Auswärtsspielen reisen. 4. Mit den Ultras anderer Vereine zusammenarbeiten, und die Ware TV-Fußball unattraktiver zu machen. 5. Sich nicht von den Autoritäten unterdrücken lassen und an Spielen unbedingt Präsenz zeigen.“57

57 http://www.schwatzgelb.de/2001-01-29-im-fokus-ultramanifest.html (Zugriff: 23.8.2017) 31 In diesem Manifest werden klar Werte, Normen, Selbstdarstellung und Feindbilder der Ultras betont. Weiters wird der Wunsch nach einer Ablehnung der sich verbreitenden Kommerzialisierung des Fußballes formuliert.

Trotz der Heterogenität von Ultras-Gruppen gibt es auch bei den Feindbildern Parallelen. Neben den gegnerischen Ultras sind Medien, die Polizei, aber auch die nationalen und internationalen Verbände die großen Feindbilder der Ultras-Szene. Diese Institutionen scheinen für die Ultras die Gegner, die ihnen ihrer Meinung nach die Freiräume beim Fußball nehmen und einengen.

Solche Feindbilder helfen dabei Ultras, die Gruppe zu definieren und eine eigene Gruppenidentität zu schaffen, indem man sich von den Gegnern abgrenzt nach dem Motto: „Wir“ vs. „Ihr“. Kollektive Feindzuschreibungen helfen dabei, den anderen zu erniedrigen, um so die eigene Gruppe zu erhöhen und damit das Gruppenzugehörigkeitsgefühl zu stärken.58 Pilz erkennt aber auch gleichzeitig, dass durch die Schaffung dieser Feindbilder auf der anderen Seite auch ein Nährboden für Gewalt entstehen kann. Die Hemmschwelle sinkt, geht „man“ gegen die definierten Feindbilder vor, Gewalt scheint von der Gruppe toleriert zu werden. Für Pilz besitzen Ultras drei ausgeprägte Feindbilder: die Polizei, die Fußballverbände und die Medien.

„Den Medien werfen Ultras die Zerstückelung von Spielplänen, mangelnde Differenzierung der Fanszene und Eventisierung des Fußballs vor. Den Vereinen und Verbänden“ (auch UEFA, FIFA sind gemeint) „wird die Kommerzialisierung vorgehalten, und dass sie Ultras oft nur als Störenfriede sehen und sie entsprechend oft aus ihrer Sicht unbegründet mit Stadionverboten belegen; der Polizei wird vornehmlich Willkür und überzogener Einsatz vorgeworfen.“59 Trotz der vielzitierten Heterogenität der Ultras decken sich diese drei Feindbilder bei fast allen Gruppen sowohl in Deutschland als auch in Österreich.

Ein Problem ist auch die pauschale Berichterstattung vieler Medien über Ultras, die diese zwar nicht immer als Gewalttäter, aber zumindest als Störenfriede darstellen. Die positiven Dinge, die Ultras nicht nur in die Kurve, sondern auch in die Gesellschaft transportieren, sind dabei ziemlich untergegangen.60 Was die breite Öffentlichkeit nicht sieht, ist die starke Gruppenzusammengehörigkeit einer der größten europäischen

58 Pilz, 2006, S. 155 59 Pilz 2006, S. 14 60 Ruf, Christoph, Kurvenrebellen. ballesterer FM, Ausgabe 88, S.78 32 Jugendkulturen. Entschiedenes Engagement für sozial Schwache, Flüchtlinge oder von der Gesellschaft benachteiligte Gruppen bringen gewisse Ultras auf und unterstützen diese durch Sammelaktionen oder Kooperationen mit karitativen Einrichtungen. Für den Erhalt von ehemaligen Spielstätten, die einen wichtigen Teil der Identität von Vereinen ausmachen, setzen sich Ultras etwa in Form von Crowdfunding ein.61

4.3.2. Der Einfluss von Fans

Durch die Definition von Fans als Kunden werden die treuesten Anhänger plötzlich verstärkt wahrgenommen. David Jünger spricht auch von der Rolle der Fans, die, wie er meint, immer mehr zum Objekt verkommen. Fans sollten sich aber selbst als Subjekt und Teil des Fußballs sehen. „Die Interessen von Fußballfans spielen aber nur genau dann tatsächlich eine Rolle, wenn sie vermarktbar sind. Dort also, wo Image und Umsatzeinbußen drohen, können Fans intervenieren.“62 Beispiel: Schalke-Fans konnten ein neues Stadion mit VIP-Logen und Schnickschnack nicht verhindern, pochten aber auf Stehplätze, die sie durchsetzen konnten. Die Rollenverteilung spielt hier eine zentrale Rolle. Ultras sehen sich weniger als Konsument, der alles nehmen muss, wie es kommt, sondern mehr als Akteur, und dadurch gehört der Fußball mit dem Drumherum auch den Fans.

Die Verbindung zwischen Ultras und den Vereinen ist sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite haben beide Parteien so unterschiedliche Interessen, dass sie gar nicht zu vereinbaren sind. In manchen Fällen gibt es aber auch interne, nicht offizielle Kontakte: Entweder erhöhen einige Ultras z. B. den Druck auf die Klubs, um finanzielle Vorteile wie Vergünstigungen zu erlangen, oder die Besitzer bieten den Gruppen Räumlichkeiten an, um einen gewissen Einfluss auf sie zu gewinnen.63

Die Macht der Ultras kann demzufolge manchmal auch weit reichen: 2011 bekam Torhüter Manuel Neuer von den Bayern-Ultras der Schickeria einen Verhaltenskodex vorgelegt. Demnach durfte sich der Ex-Schalker weder dem Zaun der Südkurve nähern noch das Wappen küssen oder mit dem Megafon Fangesänge vorgeben.

61 https://1000x1000.at/gruabnfunding (Zugriff: 8.9.2017) 62 Jünger, David, Der neue Ort des Fußballs. In: BAFF (Hrsg.) Ballbesitz ist Diebstahl, S. 48 63 Vgl. Pilz, 2006, S. 179 33 Überraschenderweise akzeptierte der Torwart die Vorschriften. Selbst nach den jüngsten Erfolgen der „Roten“ bleibt das Verhältnis einiger weniger zum Schlussmann getrübt, noch auf der Meisterfeier 2013 wurde Neuer von einigen Schickeria-Fans angepöbelt.64

Drastischer ist da die Situation in Italien. Wie zum Beispiel der Ultra-Block von Hellas Verona, der mittlerweile sogar schon so viel Macht hat, um die Einkaufspolitik des Vereines mitzubestimmen. Die Verpflichtungen des Brasilianers Ze Maria, des Niederländers Michel Ferrier und des Kameruners Patrick Mboma – allesamt schwarzer Hautfarbe – konnten 2001 jedenfalls erfolgreich verhindert werden. 65

Bereits 2004 hatten italienische Ultras für einen Abbruch eines Spiels im Olympiastadion in Rom gesorgt. Während des sogenannten Derbys della Capitale zwischen der AS Roma und Lazio Rom hatten drei Ultra-Vertreter den Platz gestürmt und von den Kapitänen Francesco Totti (Roma) und Sinisa Mihajlovic (Lazio) den Abbruch der Partie gefordert. Zuvor hatten Gerüchte über die Tötung eines jungen Fans durch Polizisten die Runde gemacht. Die Bilder von Roma-Kapitän Francesco Totti, umgeben von Ultra-Führern, die ihn bestürmten, nicht zu spielen, wurde ein Symbol für die Macht der Ultras über den italienischen Fußball. Als Totti zurück zu seinen Mitspielern und dem Manager ging, rief er: „Wenn wir spielen, werden sie uns töten.“66

Ein aktuelles Beispiel aus Österreich stellen die Ultras des SK Rapid Wien dar. Nach einer 0:3-Niederlage beim Auswärtsspiel in Ried wurde der Mannschaftsbus der Wiener von den Ultras zum Anhalten an einer Raststation gezwungen und das Team von den Ultras zur Rede gestellt.67 Die Rapid-Ultras veröffentlichten darauf auf ihrer Homepage, dass „dringender Handlungsbedarf“ bestanden habe, und „um allen Beteiligten die Situation klarzumachen“, es notwendig gewesen wäre, „der Mannschaft auf einem Lkw- Rastplatz die Leviten zu lesen“. Zum Inhalt dieser Gespräche wurden keine Angaben gemacht.68

64 http://www.spiegel.de/sport/fussball/deal-mit-hardcore-fans-neuer-akzeptiert-benimmregeln-der- bayern-ultras-a-775546.html (Zugriff: 12.7.2017) 65 Vgl. http://www.ballesterer.at/heft/weitere-artikel/hellas-verona-wir-hassen-alle.html (Zugriff: 13.7.2017) 66 Vgl. https://www.theguardian.com/world/2016/dec/01/nside-talys-ultras-the-dangerous-fans-who- control-the-game (Zugriff: 12.7.2017) 67 http://wien.orf.at/news/stories/2837240/ (Zugriff: 9.7.2017) 68 http://www.ultrasrapid.at/2017/04/13/aussendung-zur-aktuellen-situation-beim-sk-rapid/ (Zugriff: 11.7.2017) 34

Aber auch die Möglichkeit, Fußballer zu Helden zu machen, sollte hier erwähnt werden. Ultras fühlen sich als Mitglieder oder sogar als Macher ruhmreicher Vereine und als Teil ihrer Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Wie Gerhard Hödl meiner Ansicht nach passend beschreibt, schaffen es Ultras, an das kollektive Gedächtnis zu appellieren und mit Hilfe von Liedern, Choreographien und Fahnen den Mythos der Mannschaft oder einiger Spieler weiter zu konstruieren.69 Thorsten Leißer erkennt bei diesem Personenkult Parallelen zum Religiösen, da Spieler religiös-existenzielle Gefühle wie Hoffnung, Furcht, Verdammnis und Erregung erzeugen.70

4.3.3. Soziales Engagement von Ultras

Um die sozialen Aktivitäten von Ultras zu erwähnen, müsste zunächst mit dem Vorurteil der Homogenität der verschiedenen Gruppen aufgeräumt werden. Zudem bestätigen Ausnahmen die Regel und der aufgedrückte Stempel der aggressiven Vollchaoten, die sich Woche für Woche prügelnd in Stadionnähe treffen, wird in der Gesellschaft nur schwer zu ändern sein. Doch zu selten wird ihr soziales Engagement beleuchtet: Einige Ultras sammeln Spenden für Bedürftige, organisieren Lesungen und Diskussionen und positionieren sich gegen Diskriminierung. Hier bedeutet ihr Handeln zugleich auch einen Mehrwert für die Stadtgesellschaft. Der Sport Fußball rückt tendenziell in den Hintergrund. Die Strahlkraft und Aufmerksamkeit, die diese beliebte Sportart definitiv hat, dient auf eine andere Weise den Ultras. Als Medium und über die damit verbundene Marke Sturm Graz erfahren Jugendliche von diversen Aktionen der Ultras. Sie finden hier Anlaufstellen, wo mehrmals die Woche Treffen stattfinden und individuelle Talente wie z. B. das Gestalten von Choreographien gefördert werden können. Gleichzeitig wächst die soziale Kompetenz durch das Einbringen in eine Gruppe.

Bei den Interviews mit den Grazer Ultras wird auch auf diese Thematik Bezug genommen: „Wir sind eine Kurve mit 3000 Leuten, wir können in jeglicher Richtung extrem viel bewegen.“71 Mit dem Fußballverein Sturm Graz hat die Hilfe für Bedürftige in Graz zumindest weniger zu tun, das soziale Engagement steht im Vordergrund. Ohne

69 Vgl. Pfister, Getrud. Wem gehört der Fußball? S. 53 ff. In: Global Players – Kultur, Ökonomie und Politik des Fußballs. 70 Vgl. Leißer, Thorsten. Fußballfans und Heiligenkult Begegnung mit einer anderen Wirklichkeit. S. 90. In: fußball ver-rückt: Gefühl, Vernunft und Religion im Fußball. 71 Interview Ultra C, S. 7 35 den Verein würde es solche Aktionen der Fangruppen ebenfalls geben. Auch die mediale Wahrnehmung scheint hier eher weniger wichtig zu sein, immerhin versuche man ja nicht etwas wiedergutzumachen. „Wir wollen uns mit solchen Aktionen auch nicht profilieren – jetzt waren wir das ganze Jahr negativ in den Medien, jetzt zu Weihnachten versuchen wir positiv in den Medien zu sein. Das ist uns herzlich egal. Wir wollen soziales Engagement zeigen und Leute, die es brauchen, unterstützen.“72

Aktion „Schwoaze helfen“

http://www.sturmtifo.com/gallery/displayimage.php?pid=25109

Seit 2013 findet in der Weihnachtszeit jedes Jahr die Aktion „Schwoaze helfen“ statt. Von Ultras-Mitgliedern initiiert werden Spenden gesammelt und für karitative Zwecke gespendet. Laut Ultras wurden allein 2016 rund 30.000 Euro für wohltätige Aktionen wie zum Beispiel für das Grazer Vinzidorf73 oder die Aktion „Herzenskinder“ zusammengetragen. Das Geld wird teilweise durch das Pfand der Becherspenden direkt im Stadion gesammelt aber auch über den Verkauf von eigens von den Ultras produzierten Fanutensilien, Kalendern oder Versteigerungen von Fotoleinwänden mit Bildern der Choreographien aus der Kurve. Es finden ebenfalls Kooperationen mit Sturm Graz statt, wo Spieler getragene Trikots oder Fußballschuhe für die Versteigerung „Schwoaze helfen“ zur Verfügung stellen.

Neben den Grazern gibt es auch außerhalb Österreichs eine große Bereitschaft, sich sozial zu engagieren. Gerade in einer Ultras-Hochburg wie Deutschland stehen soziale

72 Ebd. S. 8 73 http://www.vinzi.at/de/vinzidorf/archiv/ (Zugriff: 4.12.2017) 36 Aktionen besonders in den kalten Wintermonaten an der Tagesordnung, wie auch die Grafik hier darstellen soll.

https://www.faszination-fankurve.de/index.php?head=Ultras-fuer-GE-amp-viele-weitere-soziale- Aktionen&folder=sites&site=news_detail&news_id=17275

Die einzige Antwort in Richtung Stolz und Verbundenheit zur Stadt Graz erhalte ich von Ultra A. Er sei stolz auf die Heimatstadt und das Wappen. „Wir repräsentieren Graz und Sturm.“74 Ultra A verspürt zudem den Drang, diese Liebe, die man hier zeigen kann, an Jüngere weiterzugeben, und er merkt, dass mehrheitlich schon positiv empfunden würde, was die Ultras mit diesen Aktionen machen.

Die Nordkurve, die sich unter anderem unter dem „Kollektiv 1909“ verstanden fühlt, erklärt sich selbst auf ihrer offiziellen Homepage. „Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt die Prävention von Rassismus und Gewalt speziell bei Jugendlichen im Fanwesen des Sportklub Sturm Graz. Dadurch soll eine positive Veränderung der Fankultur erreicht werden. Das Kollektiv 1909 hat keinen politischen

74 Interview Ultra A, S. 8 37 Hintergrund und will weder zu Gewalt, übermäßigem Drogenkonsum oder zu verantwortungslosem Gebrauch von Pyrotechnik aufrufen.“75

In der Literatur wurde ich beim deutschen Sportjournalisten Ronny Blaschke fündig, der in seinem Buch „Gesellschaftsspielchen“ auf die Verknüpfung von Ultras und ihrem sozialen Engagement näher eingeht. Blaschke zitiert in seinem Werk selbst das Fanszene-Magazin „Erlebnis Fußball“, in dem ein unbekannter Autor im Vorwort meint: „Ob jemals noch ein Außenstehender verstehen wird, dass die gleichen Ultras, die Spenden sammeln und diese auch noch vor Ort an die Kinder, Obdachlosen oder Flüchtlinge übergeben, ohne die Bedürftigen dabei aufzuessen, auch die sind, die Pyro zünden und manchmal andere Ultras verhauen? Wohl eher nicht.“ Und weiter: „Die einzige Öffentlichkeit, die man sucht, ist die im Mikrokosmos des eigenen Vereins, der eigenen Fanszene und der eigenen Stadt. Letzteres aber oft auch, ohne sich den lokalen Medien anzubiedern.“76 Hier bietet Blaschke auch meiner Meinung nach gute Ansätze, nämlich den Versuch, Ultras als Ressourcen zu sehen. Diesen Punkt möchte ich am Ende meiner Arbeit noch genauer aufgreifen.

5. Unterscheidung Hooligans – Ultras

Hooligans werden oftmals mit Ultras auf eine Stufe gestellt, hier muss aber eine deutliche Unterscheidung getroffen werden. Dem überwiegenden Teil der Ultras geht es nicht um das Ausleben gewaltförmiger Bedürfnisse und der Lust an der Gewalt. Sie tragen ihren ritualisierten Kampf mit gegnerischen Fans in den Kurven, im Internet oder bei der Anreise verbal und optisch aus. Ihnen geht es mehr um die Provokation, die Rivalität, die Selbstdarstellung und Abgrenzung zu anderen Fan- bzw. Ultragruppen.77

Trotzdem ist es möglich als Ultra auch ein Hooligan sein zu können. Da es sich hier immer um eine Selbstdefinition handelt, ist es natürlich auch möglich, dass ein Ultra sich selbst als Hooligan bezeichnet oder umgekehrt.

„Unterschiedlich sind auch die Motive der Gewaltanwendung. Gewalt von Hooligans kann als affektive, expressive und lustvoll betonte Form oder als Mittel zur Schaffung von

75 http://www.kollektiv1909.at/wordpress/impressum/ (Zugriff: 28.11.2017) 76 Blaschke, Gesellschaftsspielchen, 2016. 77 Vgl. Pilz, 2006, S. 6 38 positiver Identität, Stärkung des Selbstbewusstseins interpretiert werden. Gewalt von Ultras hingegen ist tendenziell eher reaktiv und instrumentell.“78 Hooligans hingegen besuchen lediglich wegen Schlägereien und Auseinandersetzungen mit den gegnerischen Fans oder anderen „Hools“ (gängige Bezeichnung für Hooligans in der Szene) die Stadien. Für sie steht nicht der Fußball im Mittelpunkt, sondern die körperliche Konfrontation mit Anhängern der gegnerischen Mannschaft und der Polizei. Immer wieder treffen sich Hooligans mit ihren „Feinden“ zu Schlägereien, obwohl überhaupt gar kein Fußballspiel stattfindet.79 Das Ereignis Fußballspiel bietet also nicht die Motivationsgrundlage, sondern ist als eine Art Bühne ihres „Wettbewerbes“ zu betrachten.80

Der deutsche Fanforscher und Buchautor über Ultras, Jonas Gabler, sieht viele Überschneidungen zwischen Ultras und Hooligans. „Die Ultras stehen, was die Gewalt anbelangt, in gewisser Weise in der Tradition der Hooligan-Bewegung.“81 Die präzisere Unterscheidung kommt erst zum Vorschein, wenn Gabler mehrere Faktoren der Ultras beleuchtet: „Die Schnittmenge ist: Beide wenden Gewalt an. Aber der qualitative Unterschied liegt darin, dass es bei den Hooligans einzig und allein um Gewalt ging. Bei den Ultras gibt es reichhaltigen sozialen Austausch, da wird politisiert, da ist man kreativ, da wird diskutiert.“82

Konrad Langer sieht die Problematik der Gewalt ähnlich: „Für den Großteil der Ultras steht Gewalt nicht als expressiver und alleiniger Akt. Vielmehr werden diese Handlungen stilisiert, ritualisiert, oftmals aber auch direkt für ihre Ziele instrumentalisiert. Von besonderer Bedeutung ist die Form der reaktiven Gewalt, welche aus einem tatsächlichen oder wahrgenommenen Bedrohungszustand heraus resultiert.“83

78 Pilz, 2006, S. 3 79 Vgl. http://inside11.de/was-fussball-ultras-hooligans-bedeutet (Zugriff: 24.11.2017) 80 Vgl. Kübert, Rainer/Neummann, Holger. Das Fußballpublikum und die Medien. S. 153 81 http://www.taz.de/!5133897/ (Zugriff: 26.11.2017) 82 ebd. 83 Langer, Konrad. Ultras zwischen Gewalt und Kriminalisierung. In: Ultras im Abseits? S. 120 39 5.1. Der Hooltras-Begriff nach Pilz

Wie fließend die Grenzen zwischen Hooligans und Ultras sein können, darauf verweist Fanforscher Gunter A. Pilz mit der Kreation des Begriffs „Hooltras“. Dieser Terminus soll laut Pilz der Bezeichnung Hooligans in Zukunft den Rang ablaufen, da es immer komplexer mit den klaren Definitionen wird. Hooltras verbindet die Gewaltbereitschaft und das offene Bekenntnis zu dieser durch die Hooligans mit dem Support und der Fankultur der Ultras. Sie treten wie die Ultras als Kollektiv in Gruppen auf und beanspruchen ihren Platz im Stadion. Für Pilz ist auch der klassische Hooligan nicht mehr tagesaktuell: „Der Hooliganismus ist ein Auslaufmodell. Es gibt nur noch selten Gruppen mit einem Ehrenkodex“, sagt Pilz. „An ihre Stelle treten immer öfter bestimmte Ultra-Bewegungen. Wir sprechen deshalb von ,Hooltras‘. Das sind tief mit ihrem Verein verwurzelte Typen, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.“84 Man könnte hier Pilz‘ Ansatz hinterfragen oder weiterdenken und womöglich noch auf andere Formen des Fanwesens, die sich vielleicht erst in Zukunft entwickeln werden, stoßen.

Im Zuge meiner Arbeit führte ich Interviews mit vier Ultras, auf die ich im späteren Teil noch expliziter eingehen werde. Zum Thema Gewalt und Ultras möchte ich aber hier ein Unterkapitel formulieren.

5.2. Ultras und Gewalt

„Gewalt gehört dazu wie die Butter aufs Brot. Es gehört aus meiner Sicht dazu. Früher war es für mich persönlich ein größerer Part, jetzt sind mir andere Sachen wichtiger.“85

Dieses Zitat stammt aus einem der Interviews mit Ultras von Sturm Graz. In meiner Arbeit spielt das Thema Gewalt und Ultras keine entscheidende Rolle. Doch es komplett wegzulassen oder nicht zu erwähnen, würde einen Punkt verschweigen, der meistens als erstes mit „sogenannten Fans“ assoziiert wird. Verlagert sich die noch immer existierende Gewalt zwar nun nach außerhalb der Stadien, wird sie grundsätzlich stets ein Teil der Ultras bleiben. Ähnlich sieht es Jonas Gabler, der bezüglich Ultras und Gewalt meint: „Es gibt praktisch keine Ultragruppe, die der Gewalt grundsätzlich

84 http://www.rp-online.de/sport/fussball/hooltras-loesen-hooligans-ab-aid-1.1639638 (Zugriff: 16.11.2017) 85 Interview Ultra C, S.5 40 abschwört. Wenn sich die Gelegenheit bietet, einen Erzrivalen von der Polizei unbeobachtet in eine körperliche Auseinandersetzung zu verwickeln und ihm bei dieser Gelegenheit ‚tifo- Material‘ oder gar das Gruppenbanner zu entwenden, wird wohl keine Ultragruppe darauf verzichten, diese ‚Chance‘ zu ergreifen.“86

Ein wichtiger Fakt, der in diesem Zitat von Gabler erwähnt wird, ist die Aussage, dass all dies nur in dem Moment der Unaufmerksamkeit der Polizei passieren kann. Tatsächlich bestätigt ein Ultra aus Graz im Interview diese These: „Vor allem hast du das Problem, dass du dir im Stadion nix erlauben kannst. Da gibt’s Fanpolizisten, die jeden von uns auf zwei Kilometer kennen, und wenn du nur eine Kleinigkeit falsch machst, hast du zwei Wochen später einen Brief mit 200 Euro Strafe im Briefkasten. Aber ja, es gehört auf jeden Fall dazu, aber mittlerweile ist es fast nicht mehr möglich aufgrund der riesigen Polizeipräsenz.“87 Zu dem von Gabler angesprochenen Verteidigen der ‚tifo-Materialien‘ führt ein Grazer Ultra aus: „Primär geht es darum, seine eigenen Materialen zu verteidigen. Das muss jeder einmal machen und jeder bereit dafür sein. Wenn er bei uns dabei ist, und sollte es so sein, dass irgendwelche anderen versuchen, wie es bei den Ultras so ist, Fahnen zu klauen, muss jeder bereit sein, alles dahingehend zu machen, um die Sachen zu verteidigen.“88 Es handelt sich bei den wenigen gewaltbereiten Ultras also eher um eine Art Verteidigungshaltung. Man will sich nichts wegnehmen und einfach so gefallen lassen, nichts Neues für eine Subkultur.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Thema Gewalt womöglich wirklich nicht zur Gänze von den Ultras zu trennen ist. Nur läuft die Gewalt, welche über Medien verbreitet und tendenziell größer gemacht wird, als sie womöglich tatsächlich ist, in einem Rahmen ab, der fernab von nicht-involvierten Personen stattfindet. Vereinbarte Treffen von rivalisierenden Ultras haben vor allem in Österreich eher Seltenheitswert. Gewaltakte, wie sie zuletzt in Graz stattfanden und über die von den Medien berichtet wurden89, sind eher die Ausnahme.

86 Gabriel, Michael/Goll, Volker. Die Ultras. Zukunftsperspektiven einer jugendlichen Subkultur. In: Ultras im Abseits. S. 264 87 Interview Ultra C, S. 5 88 Interview Ultra A, S. 7 89 http://derstandard.at/2000067524199/Offener-Brief-GAK-reagiert-auf-Pruegeleien-mit-Sturm-Fans (Zugriff: 4.12.2017) 41 6. Ultras Sturm Graz

Neben den fußballerisch erfolgreichen Wiener Großvereinen SK Rapid und FK Austria, wo vor allem die Hütteldorfer über die wohl größte Fangruppe in Österreich verfügen, folgt in der Hierarchie die Grazer Fanszene.

Der Beginn der Grazer Fanszene lässt sich in der Zwischenkriegszeit festmachen, wo bereits bis zu 5000 Besucher die Spiele des SK Sturms besuchten. Von organisierter Fankultur zu sprechen ist in dieser Zeit zwar noch nicht möglich, aber die damalige Heimstätte, zunächst der Sturmplatz und später die legendäre „Gruabn“ im Stadtteil Jakomini, sorgte durch ihre Nähe der Zuschauerränge zum Spielfeld für elektrisierende Stimmung und verwandelte den Platz in einen Hexenkessel.

Für die Atmosphäre im Stadion sorgten bis ca. Anfang der 1990er Jahre eher vereinzelte Grüppchen, die zumeist spontan Schlachtrufe skandierten. Zu den Auswärtsspielen wurden nur sporadisch Busse organisiert. Der erste Meilenstein der Fankultur in Graz ist mit der Gründung der ersten Fangruppe der Black Fanatics 1993/94 zu erwähnen. Wie die Sturm Graz-Fanseite „Sturm 12“ in einem ihrer Artikel erwähnt: „Mit den Black Fanatics gründete sich die erste Fangruppe und die ersten privat organisierten Busse voller Sturm-Fans fuhren durch Österreich. Die Fanatics haben in der Gruabn auf der Längsseite hinter der Trainerbank Position bezogen, ermutigt durch die Ultra-Bewegung in Italien, die seit den 1960er Jahren mit bunten, lauten, kreativen und facettenreichen Kurven Fußball-Europa begeistert hat. Es haben sich in Graz zu dieser Zeit also die ersten Ansätze eines strukturierten Supports entwickelt.“ 90

1994 gründete sich die älteste, noch existierende Fanbewegung, die sich an der Ultra- Kultur orientiert – die Brigata Graz. Ebenfalls 1994 folgten die Jewels Sturm und zwei Jahre danach die Grazer Sturmflut. In meiner Arbeit bilden Mitglieder aus diesen drei Fangruppen auch den Grundstock meiner Interviews. Brigata, Jewels und die Grazer Sturmflut bilden seit 2010 das „Kollektiv 1909“, welches sich selbst als Hauptverantwortliche für die Choreographien und die gesamte Fankultur in der Grazer Fankurve sieht.

90 http://www.sturm12.at/2011/03/09/fanspecial-teil-3-ein-klub-und-seine-kurve/ (Zugriff: 4.11.2017) 42 Ein weiterer wichtiger Punkt in der Entwicklung der Fanszene von Sturm Graz bildet die Übersiedlung des Vereins von der Gruabn in das zunächst nach dem steirischen Hollywoodstar und Bodybuilder benannte Stadion Arnold-Schwarzenegger-Stadion in Liebenau. Auch für diesen Zeitpunkt findet die Internet-Plattform Sturm12 eine kurze Beschreibung von Benjamin Sikora: „Hinter dem Südtor (Sektor 25) fanden sich nun viele junge, supportwillige Fans ein, um den SK Sturm mit Hilfe von Fahnen, Doppelhaltern, Bengalen und Trommeln tatkräftig zu unterstützen. Die Fangruppen zeigten sich damals untereinander allerdings alles andere als homogen. Die noch sehr jungen Protagonisten der Brigata und der Sturmflut im Süden hegten oft gravierende Auffassungsunterschiede, die Jewels zog es nach langer Stammplatzsuche (zusammen mit den Black Panthers) überhaupt in den Norden des Stadions (Sektor 12). Auch der Verein handelte alles andere als wohlgesonnen: Die Klubführung unter Präsident Hannes Kartnig ließ gar einen Zaun um den Sektor 25 errichten, und das Schicksal der Stimmungsmacher war erst einmal besiegelt.“91

In den Folgejahren kam es zu den ersten Fanfreundschaften der Fankurve. Besonders zu erwähnen sind die Freundschaften zur Nord in Pisa, zu den Barbudos Carrara und zur Viole Maribor. Bei den Gesprächen mit den Ultras (Verweis auf Kapitel 5.1.4.) kommen auch die Wichtigkeit und die Bedeutung von Fanfreundschaft zum Vorschein. Mitte der 2000er Jahre kam es dann im Verein zu personellen Rochaden, und der langjährige Präsident Hannes Kartnig, der gelinde gesagt, nicht den besten Draht zu der Kurve hatte, trat zurück. Die Lage in der Kurve, die in diesen Jahren Zuwachs durch neue Fangruppen (Bastion Nord, Black Pearl und Gruabn Veteranen) erhielt, veränderte sich dadurch schlagartig.

Für Sturm12 existiert noch ein weiterer großer Höhepunkt, der maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Fankultur hatte: „Der letzte, große Meilenstein der Grazer Fankultur war der Umzug vom Süden des Stadions auf die Nordtribüne und der damit verbundenen Ausweitung des Fanblocks von drei auf fünf Sektoren. Dort finden bis heute knapp 3.000 Fans Platz. Damit wurde ein lang gehegter Wunsch der Fanclubs, eine ganze Breite hinter dem Tor als Stehplätze auszugestalten, realisiert. In den letzten fünf bis sechs Jahren verfünffachte sich der aktiv supportende Anhang und vor allem bei Auswärtsspielen weiß man zu überzeugen. Die Entwicklung der letzten Jahre hat zudem gezeigt, dass auch in schwierigeren Zeiten eine breite Masse weiter hinter dem Verein stehen wird und dazu

91 http://www.sturm12.at/2011/03/09/fanspecial-teil-3-ein-klub-und-seine-kurve/ (Zugriff: 4.11.2017) 43 bereit ist, den Weg der älteren Kurvenmitglieder weiter zu gehen. Die Fankultur hat sich auf eine eigene Art und Weise, steirisch-ultraorientiert gefestigt und setzt sich für ihre Freiheiten innerhalb der Kurve sowie die Vision eines sponsorfreien Klubnamens und Vereinslogos ein.“ 92

In Jürgen Puchers Liebeserklärung „111 Gründe, den SK Sturm Graz zu lieben“ widmet der Autor den 4. Grund den Fangruppen mit dem Titel, „weil die Sturm-Fangruppen ein Seismograph für Entwicklungen im Vereins sind …“. Der Szenekenner Pucher betont das gute Gespür der schwarz-weißen Fanszene in Liebenau, die es 2013 auch tatsächlich durch eine Faninitiative schaffte, den Sponsorenschriftzug aus dem Vereinslogo zu bekommen. Durch die Tilgung des Grazer Brauunternehmens aus dem Vereinslogo sehen die Fans sich im Kampf gegen die Kommerzialisierung ihres Vereins und des Sports verstanden, ein wichtiger Punkt für die Ultras, wie bereits in Punkt 4.3. ausgeführt wurde. Weiters sieht Pucher in der Unterstützung der Fans von Projekten, wie die Bemühung, die alte Holztribüne der Gruabn zu sanieren und unter Denkmalschutz zu stellen93 , einen enorm wichtigen Beitrag der Zusammenführung von Grazern und ihrem Verein.94 Die Grazer Stadtbevölkerung profitiere nach Pucher von solchen Aktionen und könne dadurch auch eine stärkere und vor allem positivere Verbindung zur Fankultur herstellen.

Fanclubs und Fans des SK Sturm in Österreich

Auf der vereinsinternen Homepage vom SK Sturm Graz werden sämtliche Fanclubs geführt, die offiziell beim Verein registriert sind. Insgesamt enthält diese Liste 34 Fanclubs, davon 14 aus Graz und Umgebung, 15 aus der restlichen Steiermark, 2 aus Wien, 1 aus Niederösterreich, 1 aus Oberösterreich, 1 aus Vorarlberg und 1 aus der Schweiz.95

Also ist für das österreichweite Potential ist gesorgt. Betrachtet man die neueste Umfrage der Nielsen Sports Agentur, die 1200 fußballinteressierte Personen nach ihrem Lieblingsverein fragte, rangiert Sturm mit 14% auf Rang zwei. Die Steirer sind in ihrem Heimatbundesland die klare Nummer 1, dort geben 67% der Anhänger an, Sturm die

92 http://www.sturm12.at/2011/03/09/fanspecial-teil-3-ein-klub-und-seine-kurve/(Zugriff: 4.11.2017) 93 http://www.kollektiv1909.at/wordpress/initiative-fuer-den-erhalt-der-gruabn-holztribuene/ (Zugriff: 4.11.2017) 94 Vgl. Pucher, Jürgen. 111 Gründe, den SK Sturm Graz zu lieben. 2017. S. 20 95 https://www.sksturm.at/en/fans/fanbase/official-fanclubs/ (Zugriff: 20.10.2017) 44 Daumen zu drücken. Nicht nur bundesweit hat Rapid Wien mit 23% die Nase vorne, sondern auch in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland die meisten Fans. Der direkte Ligakonkurrent und Dauermeister der 2010er Jahre, Salzburg, und die Austria Wien liegen auf den Plätzen 3 und 4.96

6.1. Interviews mit Mitgliedern der Sturm Ultras

In diesem Teil der Arbeit möchte ich, um tiefer in die Materie eintauchen zu können, Interviews auswerten, die ich im Zuge meiner Recherchen mit vier Ultras von Sturm Graz geführt habe. Diese Interviews sollen einen Einblick „hinter die Kulissen“ der Ultras-Arbeit und zur späteren Analyse der Frage geben, welchen Einfluss und welche Macht, auch aus der eigenen Sicht, die Ultras haben.

6.1.2. Herangehensweise und Vorbereitung der Interviews

Als geeignetste Interview-Variante erschien mir, eine Befragung mithilfe eines Interviewleitfadens durchzuführen. Bei der Anwendung dieser Methode hatte ich bereits durch meine Bachelorarbeit Erfahrungen gesammelt und fühlte mich sicher, dieses Werkzeug erneut anzuwenden zu können.

Da meine Interviewpartner auf ihre Anonymität bestanden, werden Name, Alter, Beruf und Fanclub von mir verändert bzw. nicht erwähnt. Die Auswahl meiner Interviewpartner gestaltete sich zunächst schwieriger als gedacht. Voraussetzung für die Teilnahme an den Interviews waren langjähriger Besuch der Fankurve und aktive Mitgliedschaft bei einer der drei großen Ultra-Fangruppierungen (Brigata, Jewels oder Grazer Sturmflut). Da jedoch die Bereitschaft, gegenüber Außenstehenden wie etwa Medien oder aber auch Studenten detailliert Auskunft über Abläufe, Motive und Hintergründe der Ultra-Szene zu geben, tendenziell niedrig ist, gelang es mir erst über private Kontakte zu ehemaligen Sturm12-Redakteuren an Gesprächspartner zu kommen. Wie in einer Art Schneeballprinzip konnten nach den ersten Interviews weitere Teilnehmer gewonnen werden. Da ich mit vier aktiven Ultras Interviews führte,

96 http://www.spox.com/at/sport/fussball/diashow/1708/meiste-fans-oesterreich/tipico-bundesliga- verein-beliebt-sk-rapid-wien-fk-austria-red-bull-salzburg-sk-sturm-graz-gak--wacker- innsbruck,seite=11.html (Zugriff: 8.10.2017) 45 werde ich diese durchgehend Ultra A, Ultra B, Ultra C, und Ultra D benennen. Die Entscheidung, ob A oder D, erfolgt weder chronologisch noch nach einer anderen Reihung und ist willkürlich. Die Interviews wurden alle im Zeitraum von 1. August 2017 bis 6. September 2017 durchgeführt. Die Orte, an denen die Interviews stattfanden, waren verschieden. In zwei von vier Fällen fanden diese im öffentlichen Raum statt. Aus Zeitgründen war es schwierig, weit im Voraus zu planen, und so kamen die Treffen kurzfristig zustande. Die Umgebung war aber nie störend oder beeinflussend, zumindest bestätigten mir dies die Teilnehmer oder gaben es mir zu verstehen. Um die Themengebiete einzugrenzen und den Rahmen des Interviews, der sich meistens bei einer Stunde einpendelte, nicht zu sprengen, wurden im Vorfeld klare Schwerpunkte im Interviewleitfaden definiert. Durch die üblicherweise im Vorhinein nicht zu planenden Gesprächsverläufe variieren die Transkripte der Interviews sehr stark, was aber hier nur als Randnotiz bemerkt werden soll. Im folgenden Punkte möchte ich nun auf die Themen und Antworten der Interviews näher eingehen.

6.1.3. Themen und Struktur der Interviews

Zu Beginn eines jeden Interviews wurde die Frage nach dem Bezug des Interviewten zum Verein Sturm Graz gestellt. Diese Frage sollte als Eisbrecherfrage dienen und dem Interviewpartner die Möglichkeit geben, leicht in den Redefluss zu kommen. Häufig wurden hier die berühmten „ersten Male“ im Stadion angeführt. Positive Erinnerungen wurden geweckt und motivierten meine Gesprächspartner in ihren Ausführungen fortzufahren. Ein weiterer Gedanke hinter dieser Frage war es herauszufinden, wie stark die emotionale Bindung an den Verein bereits bestand oder ob sich diese erst über die Jahre entwickelte. Erwähnenswert war hier das mehrfache Vorgreifen der Befragten auf die Frage der Besonderheiten der Grazer Fanszene.

Nach dieser Einleitung galt es, den aktuellen Stand jedes einzelnen genauestens zu definieren. Die Frage: „Wie würdest du dein Fansein beschreiben?“ ließ es zu, einen differenzierteren Blick auf die Thematik zu erhalten, und auch die Antworten begannen sich ab diesem Zeitpunkt tendenziell häufiger und stärker zu unterscheiden. Die Frage wurde auch als Vorbereitung für den Themenblock „Ultras“ absichtlich an den Anfang platziert. Zum Ultras-Themengebiet zählten einerseits rein persönlich motivierte Fragen, um zu verstehen, warum jemand sich als Ultra sieht oder bezeichnet. Auf der

46 anderen Seite waren es Fragen, die sich um die Kurve im Allgemeinen drehten. Hier wurde nach Erfahrungen oder Erzählungen aus der Nordkurve im Stadion, Erlebnissen von Auswärtsfahrten gefragt bzw. sich um Ansichten der Gruppe oder des Kollektivs bemüht.

Vermehrt auf die Fan-Szene als Ganzes wurde im dritten Themenblock eingegangen. Wie bereits erwähnt, wurde erneut das Besondere der Grazer Fanszene thematisiert, aber auch der Vergleich zu anderen Szenen sowohl im In- als auch Ausland hergestellt. Die Vernetzung zu anderen Ultras wird hier unter dem Aspekt der Fanfreundschaften, aber auch der Rivalitäten beleuchtet. Platz für Kritik wurde in diesem Bereich gegeben, und diese kam auch bei allen Interviews zum Vorschein. Spannend war auch abschließend zu diesem Themengebiet die Frage nach der Wertung, was wichtiger wäre, der Verein Sturm Graz oder die soziale Gruppe in Form der Ultras.

Die Außenansicht und das größtenteils problematische Image der Fanszene interessierte mich im vierten Abschnitt. Die Wahrnehmung der Ultras selbst, aber auch die mediale Darstellung spielten hier eine entscheidende Rolle. Weiters galt es herauszufinden, wie sehr meine Gesprächspartner im privaten Bereich, aber auch im Beruf ihre Identität im Stadion preisgaben oder gar offen kommunizierten. Gerade dies fand ich als wichtigen Punkt, da sich im Zuge meiner Recherchen häufig das Bild festsetzte, dass man die Person aus dem Stadion eher verheimliche und eine Art zweite Identität angenommen hat.

Der letzte Fragenblock bestand aus Fragen zum Thema, was Ultras außerhalb des Stadions dazu motiviert, für ihre Gruppe oder aber auch für den Verein Sturm Graz einzustehen – falls dies überhaupt eine Rolle spielen sollte. Außerdem wollte ich das soziale Engagement der Fanszene in Graz in den Fokus rücken, da ich vor meiner Arbeit die Hypothese aufgestellt habe, dass das soziale Engagement in der Heimatstadt für Ultras eine gewisse Wichtigkeit besitzt. Die Wechselwirkung zwischen den Einwohnern von Graz und den Ultras rundete das jeweilige Interview ab. Als Schlussfrage entschied ich mich für einen Blick in die Zukunft, der frei wählbar sich entweder auf den Verein Sturm Graz oder die Ultra-Szene beziehend beantwortet werden konnte.

47 6.2. Ergebnisse der Interviews

Die Resultate und Erkenntnisse möchte ich unter diesem Punkt präsentieren. Da die Antworten sich doch voneinander teilweise stark unterscheiden und damit auch die hohe Heterogenität – einer der wohl wichtigsten Begriffe im Zusammenhang mit Ultras – als Musterbeispiel gut beschreiben, fasse ich zunächst Themen zusammen, die nicht nur für meine Arbeit von Bedeutung, sondern auch wiederkehrend und immanent für das Verständnis dieser Subkultur sind.

6.2.1. Die Basics – die Definition

Die Einstiegsfrage sollte einen kurzen Überblick liefern, warum die Person überhaupt Spiele des SK Sturm besucht und wie sie zum Fansein kam. Hier überschneiden sich die Geschichten der vier Kandidaten und ähneln sich enorm. Durch familiäre Hintergründe, durch Schulkollegen oder die Clique kam man bereits im jugendlichem Alter in die schwarz-weiße Heimstätte. Man sucht sich den Verein quasi indirekt aus. Als kleiner Junge finden Freunde, Verwandte oder Kollegen Sturm toll, und man schließt sich ohne großes Abwägen an. Markwart Herzog beschreibt in seinem Werk treffend, wie Väter ihre Söhne im Stadion durch Erzählungen aus vergangenen Zeiten an Erinnerungen teilhaben lassen, die dadurch von Generation zu Generation weitergetragen werden.97

Darauf aufbauend stellt sich die Frage nach dem Ultrasein als solchem. Ultra A bezeichnet Ultrasein einerseits bloß als Hobby. Auf der anderen Seite steckt für ihn hinter dem Begriff Fansein mehr als nur am Wochenende ins Stadion zu gehen: „Das ist eine Verpflichtung, oder besser gesagt, eine Leidenschaft, die du sieben Tage die Woche, 24 Stunden auslebst.“98 Deshalb beschreibt er sein Fansein als „fanatisch“.

Für Ultra B stieg die Faszination für die Kurve in der Pubertät. „Schon als Kind habe ich während den Spielen immer rübergeschaut. Das hatte einfach eine gewisse Faszination, diese organisierte Fankultur, die da herrscht – mit Fahnen, Trommeln, Lärm – ein bisschen anders sein als normale Leute.“99 Sein Ultrasein sieht Ultra B differenziert. Eine zentrale Rolle spielt hier die Möglichkeit der Schaffung eines Freiraumes. „Ich für meinen Teil

97 Vgl. Herzog, Markwart. S. 15 In Memorialkultur im Fußballsport. Medien, Rituale und Praktiken des Erinnerns, Gedenkens und Vergessens. Kohlhammer. 2013. 98 Interview Ultra A, S. 1 99 Interview UItra B, S. 1 48 sehe das so, dass das eine Subkultur ist, in der ich mich sehr wohlfühle. Und für mich das auf der einen Seite eine Konstante in meinem Leben ist, auf der anderen Seite ein Freiraum ist, in dem ich mich am Wochenende gerne wiederfinde.“100

Sich selbst sieht Ultra B tendenziell zwar schon als Ultra, aber einerseits muss die Definition stimmig sein und andererseits sieht man in dieser unscharfen Trennlinie, die weit weg von jeglicher Pauschalisierung ist, das Faszinierende und Schöne dieser Subkultur. „Das sind dann so selbstgeschriebene oder nichtgeschriebene Regeln, die man da befolgt, bewusst oder unbewusst, je nachdem …“ 101

Ultra C suchte den Kontakt zur Kurve im Teenageralter und kam über einen Freund, der schon damals in einem Fanclub aktiv war, in die Szene. Die Bedeutung des Fanseins stieg mit der Zeit: „Für mich bedeutet Fansein quasi jedes Wochenende unter der Saison, egal ob auswärts oder daheim, so viel wie möglich dabei zu sein. Die Mannschaft so gut wie möglich zu unterstützen. Ja, das ist eigentlich für mich das Wichtigste.“102 Angesprochen auf sein Ultrasein antwortet Ultra C ähnlich wie Ultra B und stellt den Begriff „Ultras“ in den Fokus. Ultra C würde sich zwar „schon, ja“ als Ultra bezeichnen, persönlich kann er aber nur wenig damit anfangen. „Erstens mag ich den Begriff nicht, weil das einzige Duell gegen andere Ultras im Jahr findet gegen Rapid statt, die nennen sich auch Ultras. Deswegen mag ich den Begriff auch schon nicht. Aber wenn wir uns auf eine Definition runterbrechen müssten, dann würde ich schon sagen, dass wir Ultras sind.“103 Ultrasein zeichnet in seinen Augen aus: „Dass du Woche für Woche den Verein bestmöglich unterstützt. Auch zum Teil dieses Fantum außerhalb des Stadions in der Stadt bekannt machst, mit welchen Aktionen auch immer.“104

Ultra D sieht sich selbst nicht unbedingt als Ultra bzw. würde sich nicht als einer bezeichnen. „Ich habe kein Problem damit, wenn mich jemand als Ultra bezeichnet, aber ich bin eher ein aktiver Fußballfan. Was ist Ultra? Sind wir eine Ultrakurve? Wir orientieren uns sicher mehr an Italien als an Deutschland, aber wirklich Ultra würde ich mich nicht nennen.“105 Auch auf die Frage, ob es denn intern ein Thema sei, meint Ultra D: „Nicht wirklich. Auch nicht debattiert worden. Was ist schon großartig Ultra? Ja,

100 Ebd. S. 2 101 Ebd. S. 2 102 Interview Ultra C, S. 1 103 Ebd. S. 2 104 Ebd. S. 2 105 Interview Ultra D, S. 2 49 jemand, der für Fußball und die Kurve lebt. Mach ich das? Wahrscheinlich nicht. Es ist ein nettes Hobby und ein wichtiger Teil von meinem Leben, weil meine Freunde dort sind, ich viele Aktivitäten dort mache. Ich verbringe schon sehr viel Zeit damit.“106 Der Begriff des Hobbys wird auch bei diesem Interview sichtbar.

Fazit zu Basics: Man kann zum Schluss kommen, dass Ultrasein, wie auch in der Theorie festgehalten, sich als etwas, das über das Fansein hinausgeht, manifestiert. Wichtig ist die Uneinigkeit der Definitionsfrage. Ab wann ist man ein Ultra? Wer bestimmt das? Entscheidet der Name der Gruppe über die Definition? Meiner Ansicht nach ist dies eine individuelle Entscheidung, ob sich wer als Ultra definiert oder nicht, da auch selbst Ultras oder Fans untereinander keine klaren Richtlinien oder Definitionen vorschreiben. Die Subjektivität spielt eine größere Rolle, als ich vermutete. Normierungen sind in diesem Gebiet Mangelware, da viele Ultras ihre eigenen Gesetze definieren.

6.2.2. Struktur der Fangruppen und wie werde ich Ultra?

Bevor ich zu den weiteren Themenblöcken komme, möchte ich in diesem Kapitel die Struktur der Fangruppen und den Werdegang eines werdenden Ultras skizzieren. In den Interviews führte das Gespräch mehrfach auf die Struktur und die Mitgliederrekrutierung. Laut den Informationen der Interviewpartner bewegen sich die Mitgliederzahlen pro jeweiligem Fanclub bei rund 60–70 Mitgliedern, wobei hier vom festen Kern an regelmäßigen Besuchern von Heim- und Auswärtsspielen und diversen Fantreffen die Rede ist. Neben dieser breiteren Basis gibt es das „Direttivo“. Der Begriff Direttivo stammt aus dem Italienischen, was auch die Nähe der Ultras zu ihren geographischen Wurzeln gut darstellt, und bedeutet übersetzt ins Deutsche Leitung, Führung. Das Direttivo wird aus jeweils 2–3 Mitgliedern von den drei großen Fanclubs gebildet und verkörpert die Leitung der Kurve. Mindestens einmal die Woche trifft sich das Direttivo, um anstehende Aktionen zu planen und zu besprechen. Zudem gibt es noch diverse Arbeitsgruppen (Choreographien, Schwoazes Brett, Organisation von Fanreisen zu Auswärtsspielen usw.), die ebenfalls aus den Mitgliedern der drei großen Fanclubs gebildet werden. Die Kommunikation untereinander findet über soziale Netzwerke wie Whatsapp oder Internetforen statt.

106 Ebd. S. 2 50 Eine große Rolle im Prozess des Ultra-Werdens spielt die Gruppe. Immerhin führte der Weg zur „Ultra-Mitgliedschaft“ bei allen vier Interviewpartnern stets über Dritte. So berichtet Ultra A, dass aus unregelmäßigen Besuchen auf einmal Kontakte entstehen, bis am Schluss aus Bekannten gar Freunde werden. „Als Jüngerer kam es mir vor, als würdest du halt ein wenig auf die Probe gestellt. Die schauen dich doch genauer an“107, hält Ultra A fest und beschreibt den Werdegang eines Neulings im Fanblock. Hier fällt auf, dass klare Hierarchien in der Kurve herrschen und die Mitgliedschaft nicht durch einen monetären Beitrag erkauft werden kann. Auf diesen Fakt weist Ultra A mit einem kleinen Seitenhieb zu den rivalisierenden Fans von Rapid Wien hin. „Bei den Ultras Rapid füllst du einen Mitgliedszettel aus und dann bist du dabei.“108 Im Interview kommt in diesem Moment der Stolz, dass die Sturmszene sich aus seiner Sicht doch stark von der von Rapid unterscheidet, zum Ausdruck. „Bei uns ist der Grundgedanke – die Kameradschaft, die Freundschaft und das Zusammenwachsen – wir sind Hawara alle miteinander.“109

Die unterste Stufe in der Hierarchie der Kurve ist die Rolle des Interessenten. Man zeigt sich öfters im Fanblock, fährt im Fanbus zu diversen Auswärtsspielen mit und signalisiert dadurch zuerst einmal Interesse am Verein und den Fans. Durch diese Präsenz in den Stadien und Bussen kommt es zum ständigen Kontakt auch mit bereits arrivierten Gruppenmitgliedern und Vorsängern, die einen nach absehbarer Zeit ansprechen. Die nächste Stufe ist die des Anwärters. Ultra A beschreibt das System folgendermaßen: „Es sind mehrerer Schritte. Am Anfang bist eher so rundherum dabei – ein Interessent. Dann steigst du zu einem Anwärter auf und wenn du einmal da bist, stehen die Chancen gut, dass du einmal dazukommst. Natürlich darfst du dann auch schon mehr machen.“110

Die Entscheidung, ob man letztendlich aufgenommen wird oder nicht, erfolgt zumindest in dieser Fangruppe sehr rituell. Vor einem Rat von arrivierten Mitgliedern begründet man sein Interesse und muss in einer Abstimmung die relative Mehrheit erhalten. Wenn der Einstieg in die Kurve erfolgreich abgeschlossen wurde, erlangt man auch das Recht zum Tragen der eigenen Fanartikel wie T-Shirts, die von der Kurve selbst kreiert wurden. Hier bekommt die Kurve ihre Uniformität und Einheitlichkeit. Sie erhebt den Anspruch einer klaren Abgrenzung von sogenannten normalen Fans. Die Möglichkeit,

107 Ultra A, S. 2 108 Ebd. S. 2 109 Ebd, S. 2 110 Ebd, S. 3 51 aus dem Fanclub ausgeschlossen zu werden, besteht zwar in der Theorie, wird aber nur in den seltensten Fällen angewendet. Für Frauen ist die Mitgliedschaft in zumindest einem der drei größeren Fanclubs untersagt.

Fazit: Es kommt klar zum Vorschein, dass Ultras stark hierarchisch geprägte Gruppen sind. Allein die Stationen, die man als Anwärter durchlaufen muss, veranschaulichen die Strukturen innerhalb der Szene. Ein Seitenhieb auf die rivalisierenden Wiener Ultras bestätigt nochmals die These, dass die Eigendefinition über den direkten Vergleich mit anderen stattfindet.

6.2.3. Das Besondere an der Szene, die soziale Gruppe und was wirklich wichtig ist

In den Interviews finden, wie anfangs schon erwähnt, viele Überschneidungen statt. Thematisch passen dadurch diese drei Punkte gut zueinander, obwohl sie aus unterschiedlichen Fragepools des Leitfadens stammen. Ein Ziel meiner Arbeit bestand darin, die Besonderheit der Grazer Ultra-Szene herauszuarbeiten. Was verbirgt sich hinter diesem Zauber, der im Schnitt alle zwei Wochen einen Sektor, eine Kurve oder gar ein ganzes Stadion zu einem Hexenkessel aufheizt?

Ultra B sieht im Vergleich zu den anderen Kurven das Besondere folgendermaßen: „Für mich ist das geordnete Chaos das Schönste. Das ist so, weil wir relativ chaotisch strukturiert sind und manchmal auch noch am gleichen Tag nicht wissen, was wir machen. Und das hat halt einen gewissen Reiz. Das Gegenbeispiel sind die Ultras von Rapid, die alles perfekt nach Lehrbuch machen. Und wir quasi den Gegenpart einnehmen und ein bisschen chaotischer an die Sachen herangehen.“111 Auch Ultra A und Ultra D kommen mit dem Vergleich. „In meinen Augen ist das Besondere an der Sturm-Fanszene das Familiäre. Man spricht ja auch immer von der Sturm-Familie. Im Vergleich zur zweiten großen Fanszene. Rapid profitiert von der Masse. Rapid ist für mich eine Marke. Sturm ist eine Einstellung“, so Ultra A.112 Ultra D: „Es gibt nicht so viele Kurven in Österreich. Austria, Rapid und der GAK – wenn man diese mit unserer vergleicht, würde ich behaupten, dass unsere sozial sehr kompetent ist. Also es haben viele Kurven, vor allem medial gesehen, sehr viele Probleme. Wir haben eine relativ gute Außenwirkung im Vergleich zu den anderen Kurven.

111 Ultra B, S. 5 112 Ultra A, S. 5 52 Also medial kommen wir sehr gut rüber, was für eine Fanszene oft nicht der Fall ist. Das ist sehr positiv.“113 Dieser Vergleich mit dem großen Rivalen Rapid wird wieder als Faktor gesehen. Auch die Außenwirkung und die Unabhängigkeit („Machen unser Ding!“) werden hier betont. Ein neuer Aspekt, der in meiner Erwartung vielleicht sogar stärker ausgeprägt hätte ausfallen können, war die soziale Komponente. Das amikale Umfeld rückt erst in den Vordergrund, wenn ich es direkt anspreche, dafür äußert es sich sehr vehement. Die nennenswertesten Beispiele der vier Ultras zum Thema soziales Umfeld: „Bei uns bist du quasi Mitglied in der Kurve, wenn du mit allen am gleichen Strang ziehst. Du bist dann auch nicht nur ein Mitglied, sondern gleichzeitig ein Freund.“ (U. A)114

„Das ist eigentlich der wesentliche Punkt, die soziale Komponente – die Freundschaft. Das ist der Punkt, um den sich alles dreht. Man hat ein verbindendes Element, das ist der Verein, mit dem man sich identifiziert. Und dann findet man einen einzigartigen Freundeskreis. Und wie bereits erwähnt mit Leuten, die jung, alt, groß, klein, dick, dünn, was auch immer sind.“ (U. B)115

„Schon wichtig. Es ergeben sich automatisch Freundschaften oder sogar Beziehungen. Das spielt eine große Rolle.“ (U. C)116

„Die soziale Komponente ist sicherlich sehr wichtig. Ich habe bei mir persönlich gemerkt, dass wenn man lange Zeit in die Kurve geht und auch zu den Auswärtsspielen mitfährt, man lernt die Leute im Bus kennen und viele werden zu Freunden, macht mit denen dann auch abseits des Fußballs etwas. Das ergibt sich auch durch die vielen Treffpunkte bzw. die Überschneidungen, wenn man, wie ich, sehr aktiv in der Fankurve ist. Wir haben auch unsere eigene Fanclub-Bude. Man geht vielleicht auch dorthin einmal was trinken. Das ist schon sehr wichtig und für viele vermutlich sogar ein sehr wichtiger Teil ihres Lebens.“ (U. D)117

So gesehen haben wir also nun zwei Faktoren, die maßgeblichen Anteil an der Bereitschaft haben, sich auch in den Wintermonaten bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt in die Nordkurve zu stellen. Doch ist am Ende der Verein oder die Kurve wichtiger? Erneut kommt es zu ähnlichen Antworten. Ultra B, C und D sind sich bei

113 Ultra D, S. 5 114 Ultra A, S. 5 115 Ultra B, S. 5 116 Ultra C, S. 8 117 Ultra D, S. 5 53 dieser Frage komplett einig. Es habe hier ein Wechsel stattgefunden, wo mittlerweile immer mehr Leute insgesamt mehr Bezugspunkte zu ihrer Fangruppe als zum Verein haben. Über Jahre entwickelten sich Freundschaften, die auch einen „Konkurs des Vereins“ (Ultra B) überdauern würden. „Bei vielen ist der Verein auch schon sehr stark nur mehr im Hintergrund, da ist die Kurve viel wichtiger“118, meint Ultra D. Es hat den Anschein, als wäre zusätzlich eine gewisse Verantwortung gegenüber der Gruppe auszumachen. „Als Kind bist du einfach Fan vom Verein. Jetzt bin ich da eingebunden in einen Freundeskreis,“ beschreibt Ultra B die Situation und führt weiter aus: „Wenn man das wirklich macht, ist das ein zeitintensives Hobby. Ich würde fast sagen, unabhängig vom Spiel geht fast ein Tag noch zusätzlich drauf, summa summarum, weil du machst jeden Tag irgendwas. Ein bisschen im Forum schreiben, die Sitzungen besuchen, dann hast ein Treffen mit dem Verein usw., also ein ganzer Tag unter der Woche geht sicher drauf.“ Auffällig ein weiterer Punkt, der erstmals in den Interviews auftaucht. Die viele organisatorische Arbeit im Hintergrund macht das Ultra-Sein zu einem zeitintensiven Hobby.

6.2.4. Diverse Themen (Politik, Image, Fanfreundschaften)

Unter diesem Punkt möchte ich mehrere Themen zusammenfassen. Ein wichtiger Aspekt der Ultras ist die politische Einstellung der Gruppe. Wie bereits in Kapitel 4 erwähnt wurde, entstand die Ultra-Bewegung in den politischen 1960er Jahren in Italien. Bereits damals wurde der Fußball, das Stadion genützt, um Botschaften an die Leute zu transportieren. Doch es handelt sich hierbei weniger um Parteipolitik, als vielmehr größtenteils um Bestrebungen, im öffentlichen Raum Einfluss zu nehmen und Themen zu gestalten. Meinungsmache oder Stellungnahmen, die nicht den Sport betreffen, sind für viele Ultras-Gruppen verpönt. Sie sehen die Tradition des Supports der Mannschaft und des Vereins dadurch zusehends in Gefahr.

Für die vier Interviewpartner der Grazer Ultra-Gruppen ist die Frage ebenfalls schwierig zu beantworten, wie politisch man sein darf und wo Politik eigentlich überhaupt schon anfängt. „Die Frage der Politik ist immer schwierig zu beantworten. Wir als gesamte Kurve treten nicht politisch auf, da gibt es einen klaren Konsens, dass wir das nicht machen. Keine

118 Ebd. S. 5 54 Symbolik oder sonst irgendwas präsentieren. Der Verein soll im Vordergrund stehen und da wollen wir auch nicht auf andere Leute einwirken. Es soll bitte jeder seine politische Meinung haben, die er hat. Nur es ist bei uns kein Platz für Diskriminierung. Das geht bei uns nicht“119, vertritt Ultra B die Meinung der Kurve.

So ist man sich zumindest einig, dass man als unpolitische Kurve gelten möchte. Ultra D: „Ist aber ein schwieriges Thema, weil jedes Statement, das du gibst, ist ein politisches. Was wir versuchen, ist, uns weder politisch links noch rechts zu positionieren.“120

Emotional wird es beim Thematisieren von rechten Äußerungen in der Kurve und es folgt strikte Abgrenzung: „Früher hat es alles gegeben. Che Guevara war auf Transparenten, die ursprüngliche Ausrichtung der Brigata war sicher links und ist es auch nach wie vor, obwohl wir auch Leute haben, die den Gegenpart darstellen. Also natürlich keine Nazis, aber sonstige Sachen. Das ist klar festgelegt, sowohl bei der Brigata als auch in der gesamten Kurve herrscht eine Null-Toleranz-Grenze bei Nazis. Braunen Mist haben wir immer unterbunden.“121 Eine kleine Einordnung wagt Ultra A, doch spielt für ihn eine andere Komponente die entscheidende Rolle: „Wir sagen immer, dass wir unpolitisch sind, aber im Endeffekt ist der Hauptteil links. Es werden auch keine Rechten geduldet. Aber mir persönlich ist das scheißegal, ob der jetzt rechts oder links ist – im Stadion bin ich für Sturm.“122

Zu einem Streitthema wurde die aktuelle Flüchtlingskrise in der Kurve, wie Ultra C berichtet: „Da ging es um die Flüchtlingsthematik, die damals und nach wie vor die Gesellschaft gespalten hat, und genau so hat sich auch unsere Gruppe gespalten. Weil wir eben auch in der Gruppe viele Linke und Linkslinke haben, aber auch teilweise Rechte, die das vielleicht nicht offen nach außen tragen, aber die Gesinnung sicher haben. Das war wirklich ein großes Problem.“123 Gelöst wurde dieses Problem, indem ein Capo ein Machtwort sprach, und es seither keine politischen Diskussionen in der Kurve geben soll. Ebenfalls wird das Tragen von Fanshirts bei politischen Veranstaltungen nicht gern gesehen.

119 Ultra B, S. 2 120 Ultra D, S. 4 121 Ultra C, S. 4 f. 122 Ultra A, S. 4 123 Ultra C, S. 4 55 Transparente mit politischen Aussagen fallen ins Auge und schärfen die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Diese Wahrnehmung ist aber tendenziell schlecht und beschränkt die Ultras auf ein Bild als Krawallbrüder und Pyrotechnik-Chaoten. Trotz der aufwendig gestalteten Choreographien und Anfeuerungen im Stadion assoziieren tendenziell viele die Ultras mit Ausschreitungen, Gewalt und Chaos. Negative Medienberichte befeuern die festgefahrene Haltung, die in den meisten Fällen pauschal zu allen Ultras eingenommen wird. Das schlechte Image der Ultras generell lässt keinen meiner vier Gesprächspartner kalt. Vermehrt wird hier der Dialog gesucht, um Dinge, die vielleicht vorschnell übernommen werden könnten, zu erklären. Ultra A: „Beim Image ist das so eine Sache – da tue ich schon gerne objektiv diskutieren. Warum denkt der das? Ich schau schon, dass ich jemanden überzeugen kann, dass es nicht so ist, wie er es sich vielleicht fälschlicherweise vorstellt.“124 Ähnlich sieht es Ultra C: „Man muss es eh akzeptieren, wie es ist. Das werden wir nicht ändern können. Ich glaube, jeder, der sich die Zeit nimmt und sich mit uns 10 Minuten unterhält, der weiß, dass wir als Sturm-Fans keine Vollidioten sind. Die nur ACAB (Anm. All Cops Are Bastards) rufen und idiotische Sachen machen. Wenn man mit uns spricht, kann man schon ein ganz anderes Urteil fällen, aber die Meinung der Medien wirst du nicht verändern können. Weil du schlägst die Zeitung auf, und was siehst du? Jemanden mit Sturmhaube und Bengale in der Hand und du liest wieder ,die Chaoten‘, obwohl meistens eh nichts Großartiges passiert ist. Aber das muss man halt akzeptieren.“125 In meiner Interpretation fühlt man sich hier oft missverstanden und vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad unterschätzt. Wer so viel Liebe, Zeit und Leidenschaft in sein Hobby steckt, möchte Anerkennung, und der Wunsch danach ist bei Ultra D spürbar vorhanden: „Ja, mir ist die Wahrnehmung der Kurve schon wichtig. Schon. Oder einfach dieses Bild, das in den Medien von den Kurven erzeugt wird, dass das asoziale Vollidioten sind, die arbeitslos sind, ist nicht richtig. Im Direttivo haben wir teilweise Firmenchefs, Anwälte, Ärzte.“126

Ein Thema, das ich in meinen Überlegungen als größer erachtete, war der Vergleich mit anderen Ultras-Gruppen auf internationaler Ebene. Da sich Ultras sehr stark über den Vergleich selbst definieren, war meine These, dass dieser Vergleich eine Rolle in den Überlegungen von Choreographien oder Aktionen außerhalb des Stadions spielen könnte. Ein umfassendes Netzwerk, in dem die Ultras untereinander kommunizieren

124 Ultra A, S. 7 125 Ultra C, S. 6 126 Ultra D, S. 6 56 und stärker gemeinsame Aktionen planen und durchführen, scheint es aber nicht zu geben. Es werden zwar andere Ultras wahrgenommen, aber man versucht so gut es geht selbstständig auszukommen und auf eigene Ideen zu setzen. Hier muss man klar Fanfreundschaften von Inspirationsquellen trennen. Fanfreundschaften bieten die Möglichkeiten des Austauschs und des Supports einer befreundeten Kurve. Angesprochen zu den Kooperationen mit Pisa betont Ultra D klare Unterschiede: „Die sind halt wirklich echte Ultras. Die leben das wirklich. Das ist ein ganz anderes Ambiente als bei uns da. Die Kurve, also nicht einmal Fußball, ist das absolut Wichtigste und steht im Vordergrund. Sie verbringen noch mehr Zeit damit – die leben das auch wirklich. Du merkst das einfach, dass es für sie nichts Wichtigeres gibt als die Kurve.“ 127

Ultra C sieht da schon eher die Frage nach dem, wie etwas technisch durchgeführt wurde. „Wir haben uns noch nie irgendwas abgeschaut. Aber versuchen das natürlich auch möglichst zu vermeiden. Weil das ist immer das Schlechteste, was passieren kann – wenn du 1:1 abkupferst. Aber da geht’s eher um das Technische. Wie haben die das gemacht?“128

7. Stadionbeobachtung

Neben den Interviews mit Ultras zählt die Beobachtung der Aktivitäten von Ultras im Fansektor des Stadions zur zweiten Methode, die ich in meiner Masterarbeit angewendet habe. Um einen besseren Einblick in die Szene zu bekommen und gleichzeitig meine Annahmen und die bereits durch die geführten Interviews gewonnenen Erkenntnisse zu überprüfen, besuchte ich zu Beobachtungszwecken sowohl ein Heim- als auch ein Auswärtsspiel des SK Sturm Graz.

Für beide Spiele begab ich mich in den Fansektor der Sturm-Fans, der beim Auswärtsspiel mit einer gemeinsamen Anreise mit unterschiedlichen Sturm-Fans in einem Fanbus verbunden war. Die Kontrahenten der Grazer waren beim Heimspiel am 27. 8. 2017 der FC Red Bull Salzburg und beim Auswärtsspiel am 21. 5. 2017 der SK Rapid Wien im Allianz-Stadion in Hütteldorf. Bei beiden Spielen handelte es sich um Topspiele der österreichischen Fußball-Bundesliga, die beide im ORF live übertragen

127 Ebd. S. 7 128 Ultra C, S. 3 57 wurden. Die Zuschauerzahlen in den Stadien an diesen Spieltagen betrug beim Spiel in Liebenau 15.124129 (ausverkauft) und in Hütteldorf 22.347.130 Der Auswärtsfanblock war beim Spiel gegen Rapid nicht restlos ausverkauft, aber – ohne es mit offiziellen Zahlen belegen zu können – mit ca. 2000 mitgereisten Sturm-Anhänger gut gefüllt.

Bei beiden Spielen entschied ich mich im Vorhinein für eine teilnehmende Beobachtung im jeweiligen Sektor der Schwarz-Weißen. Die teilnehmende Beobachtung bringt in meiner Arbeit einige Vorteile mit sich, die ich im nächsten Abschnitt kurz erläutern möchte, bevor ich die beiden Beobachtungen detailliert wiedergebe und im letzten Abschnitt den Interviews und den bereits aufgestellten Annahmen gegenüberstelle.

7.1. Teilnehmende Beobachtung

Eine teilnehmende Beobachtung ist eine Methode aus der Feldforschung. Sie bietet die Möglichkeit, einen Gegenstand, in diesem Fall eine Gruppe, in seinem Handeln oder seinen Interaktionen in einem bestimmten Moment zu beobachten. Durch den Einsatz einer teilnehmenden Beobachtung können nach Uwe Flick nicht nur visuelle Eindrücke, sondern auch Empfindungen wie Hören, Fühlen oder Riechen wahrgenommen werden.131 Die Möglichkeit, direkt am Geschehen teilzunehmen und das Beobachtungsobjekt in seiner vertrauten Umgebung zu begleiten, gewährt eine Fülle an Informationen, die in Form von Literaturrecherchen nur schwer erhältlich sind. Im Besonderen zeichnet sich diese Methode in meinem Beispiel dadurch aus, dass es sich bei Ultras im Stadion tendenziell verstärkt um verfestigte Rituale und emotionales Handeln in der Gruppe handelt und diese mit Beobachtungen gut zu dokumentieren sind.

Flick versteht die teilnehmende Beobachtung in erster Linie als Prozess.132 Angelehnt an James Spradleys drei Phasen der teilnehmenden Beobachtung (die deskriptive Beobachtung, die fokussierte Beobachtung und die selektive Beobachtung), die ich für meine Forschung als eine Art Orientierungshilfe heranzog, soll die teilnehmende Beobachtung das offene Themenfeld zusehends präzisieren und konkretisieren. Schwierig hingegen sieht Flick die Erfassung des Ganzen aufgrund der begrenzten

129 http://www.bundesliga.at/de/spielbericht/bl1/20172018/6/1-50639/matchcenter/ 130 http://www.bundesliga.at/de/spielbericht/bl1/20162017/34/2-50179/matchcenter/ 131 Vgl. Flick. Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 2016. S. 282 132 Vgl. ebd. S. 288 58 Perspektive, angesichts derer nicht alle Geschehnisse einer Situation gleichzeitig erfasst werden können.133 Um diese Problematik wissend und um eine weitere Perspektive bzw. einen weiteren Blick im Sektor zu erhalten, begleiteten mich zwei Freunde zum Auswärtsspiel nach Wien. Da es für die beiden, anders als für mich, nicht das erste Spiel im Auswärtssektor war, konnte dies für die Beobachtung von Vorteil sein, um möglichst breitgefächerte Eindrücke wahrzunehmen. Insofern ergänzten sich unsere Beobachterrollen sehr gut.

Für die teilnehmende Beobachtung werden nach Spradley grundsätzlich drei Phasen unterschieden:134

1.) Deskriptive Beobachtung: Zunächst soll der Beobachter sich einen groben Überblick seines Untersuchungsfeldes verschaffen und bereits mögliche Blickrichtungen ausfindig machen. In meinem Fall sehe ich mir zunächst die beiden Fansektoren in den Stadien näher an; das Fußballspiel am Platz verfolge ich eher beiläufig. Da beim Auswärtsspiel eine Busreise mit allen Fanclubs anfiel und in meiner Auffassung diese aufschlussreich und der Arbeit dienlich sein könnte, da sie das Miteinander bzw. den Umgang unter den Fans gut veranschaulicht, möchte ich im Kapitel 6.2. auch die Anreise mit in die Arbeit einfließen lassen. 2.) Fokussierte Beobachtung: Die gesammelten Eindrücke und groben Fragestellungen sollen in dieser Phase nach Spradley weiter gefiltert und die relevanten Prozesse hervorgehoben werden. In diesem Teil bündele ich die Eindrücke und versuche Muster zu erkennen. Das Verhalten spielt in dieser Phase eine wichtige Rolle. 3.) Selektive Beobachtung: In der letzten Phase gilt es Erkenntnisse zu gewinnen und anhand von Beispielen das Erfahrene wiederzugeben und mit Annahmen oder Thesen, die im Vorhinein aufgestellt wurden, zu überprüfen. Durch die selbst geführten Interviews mit den Ultras gilt es in diesem Teil, die Aussagen der Teilnehmer mit der Praxis zu vergleichen und im gegebenen Fall zu widerlegen oder zu bestätigen.

133 Vgl. ebd, S. 289 134 Vgl. ebd, S. 288 59 7.2. Eintauchen in den Auswärtssektor

In diesem Unterkapitel möchte ich meine Beobachtungen beim Bundesliga- Auswärtsspiel des SK Sturm Graz am 21. 5. 2017 beim SK Rapid Wien schildern. Wie bereits erwähnt, führte ich den Großteil dieser Beobachtung in Begleitung zweier Kommilitonen durch. Beide hatten schon Erfahrungenen mit Besuchen von Auswärtssektoren, was für mich vor diesem Ereignis noch Neuland bedeutete. Bevor ich mit der detaillierten deskriptiven Beobachtung beginne, möchte ich darauf hinweisen, dass sich der Ort bei der Beschreibung des Auswärtsspiels zunächst auch auf die Busfahrt beziehen wird, da sich in meinen Augen die Beobachtungen in dieser Phase schon als wichtig für den weiteren Verlauf erweisen.

7.2.1. Die Anreise im Fanbus

Über den offiziellen Fanshop von Sturm Graz war es gut eine Woche vor dem Auswärtsspiel möglich, Karten für den Auswärtssektor und gleichzeitig ein Busticket für eine Fanfahrt zu erwerben. Die Fahrt wird vom Verein und den Fanclubs gemeinsam organisiert und aufgrund der hohen Nachfrage für das Rapid-Spiel werden gleich mehrere Busse zur Verfügung gestellt. Der Großteil der Ultras fährt in eigenen Bussen zum vereinbarten Treffpunkt kurz vor Wien. Die Busreise erweist sich als erstes Abtasten mit den noch fremden Fans, die anders als ich, beinahe alle mit schwarz- weißen Sturm-Fanutensilien ausgestattet sind. Die Bereitschaft, einander anzusprechen, ist zwar durchwegs vorhanden, doch gestaltet sich aufgrund meiner Begleitung die neben mir im Bus Platz nimmt, der direkte Austausch schwierig. Der Großteil der Reisenden vermittelt zudem den Eindruck, sich bereits zu kennen, und wenn nicht, zumindest in kleineren Gruppen zum Spiel anzureisen. Wichtigster und fast durch die Bank am meisten konsumierter „Jausenproviant“ ist Bier. Bereits bei Abfahrtsbeginn um 11 Uhr vormittags ist die Stimmung sehr ausgelassen, und erste Lieder werden angestimmt. Insgesamt begeben sich sieben größere Reisebusse auf den Weg nach Wien, die ab der Autobahnraststätte vor Wien inmitten eines Polizeikonvois die letzten Kilometer zum Stadion zurücklegen. Auffallend: die zahlenmäßig hohe Präsenz der Exekutive. Dieser Polizeikonvoi scheint die Ultras im Bus zusätzlich zu motivieren, und

60 es werden nun im Minutentakt Sturm-Fangesänge angestimmt. Es macht sich ein Gefühl von eigener Besonderheit im Bus breit, immerhin wird der Verkehr gerade extra für die Sturm-Fans aufgehalten. Mit Hasstiraden und provozierenden Gesten begrüßen die Fans die sich in Rapid-Kleidung in der Nähe des Stadions befindenden Anhänger des grün- weißen Hauptstadtklubs.

Angekommen am Stadionvorplatz parken sämtliche Busse des Grazer Anhangs am für die Auswärtsfans vorgesehenen Parkplatz. Diese werden weitläufig durch Straßensperren und Zäune vom Heimpublikum abgeschirmt. Erneut ist das Polizeiaufgebot sehr groß. Durch sehr enge und mehrfach verwinkelte Sicherheitsschleusen werden die Fans ins Stadion allmählich hineingelassen. Einem Ultra wird bei der Leibesvisitation der Eintritt ins Stadion verwehrt, da er Rauchbomben in den Sektor schmuggeln will. Zusätzlich kommt es zu zwei Anzeigen gegen Ultras, die sich der Polizei widersetzen. Auffallend: Die Leibesvisitation, die ich schon mehrmals in meinem Leben erlebt habe, ist in diesem intensiven und harschen Ausmaß unvergleichlich streng.

7.2.2. Im Auswärtssektor

Im Auswärtssektor des SK Rapid finden bei nationalen Bewerbsspielen bis zu 2500 Anhänger der Gästemannschaft Platz.135 An diesem Spieltag ist der Fanblock gut gefüllt. Nur die vordersten Reihen sind mit einer schwarzen Plane abgedeckt, und so fällt die Auswahl des Platzes im Stehplatzsektor nicht schwer. Auffällig dabei: Gut eine Stunde vor Anpfiff ist der Sektor bereits voll und die Transparente für die geplante Choreographie zu Spielbeginn sind vorbereitet. Die verschiedenen Fangruppen sind wie im Heimstadion der Reihe nach sortiert. Die Ultras-Gruppierungen bilden dabei die vordersten Reihen des Sektors. Im Zentrum des Blocks befindet sich die Abordnung der Brigata, die links von den Jewels und rechts von der Grazer Sturmflut flankiert wird. Weiters befinden sich über der höchsten nichtbesetzten Reihe knapp unter dem Stadiondach Dutzende Polizisten. Trotzdem ist die Stimmung weder angespannt noch unruhig oder gar als gefährlich einzuschätzen. Es herrscht Wartestimmung. Man scherzt miteinander, es kommt wieder zu provozierenden Gesten in Richtung Rapid-Fanblock, jedoch ansonsten verläuft alles ruhig. Randnotiz: Die obligatorische Begrüßung der

135 https://www.allianz-stadion.at/de/das-stadion/die-tribuenen/ (Zugriff: 22. 10. 2017) 61 mitgereisten Gästefans im Stadion durch den Platzsprecher fällt aus, wird aber auch nicht sonderlich vermisst oder vom Grazer Anhang als beleidigend aufgefasst.

http://www.sturmtifo.com/gallery/displayimage.php?pid=23693 Unter den mitgereisten Sturm-Anhängern wird es, als die Sturm-Spieler den Rasen zum Aufwärmen betreten, knapp 45 Minuten vor Anpfiff erstmals laut. Die Ultras skandieren „Sturm“ – „Graz“ und beklatschen frenetisch die Akteure. Spürbar steigt der Pegel der Begeisterung. Die Lockerheit, die sich seit der Abfahrt aus Graz verbreitet hat, ist sofort verflogen. Erste Fangesänge werden gesungen. Die Brigata stimmt an:

„Wenn unsre Schworzen wieder auswärts spün, dann treten wir die Reise an, ob mit Auto, Bussen, Mopeds oder Eisenbahn keiner hindert uns daran, ob Madrid oder Rom oder einfach nur Wien, scheißegal wir fohrn anfoch hin, oh SK Sturm, SK Sturm wir san dein 12. Maun.“ (Zur Melodie von den Beatles „Obla di, Obla da.)

Darauf wird die schon vor Wochen geplante Choreographie via Megafon an alle Anwesenden in der Kurve verkündet. Weiße und schwarze länglich aufblasbare Luftballone werden an alle Fans im Block verteilt. Anweisungen, wann die genau in die Höhe gehalten werden sollen, werden zwar über drei Megafone von drei Vorsängern erklärt, durch die laute Atmosphäre im Stadion kommt aber die Face-to-Face- Kommunikation verständlicher an, und so orientiert man sich am Vordermann. Der Ablauf der Choreographie scheint wie geplant zu verlaufen. Einzig die Transparente werden für den Geschmack vieler zu lange hochgehalten und versperren somit einige Minuten den Blick auf das Geschehen am Platz, das schon im vollen Gange ist. Bis zum Pausenpfiff wird die Mannschaft leidenschaftlich und inbrünstig unterstützt. Auch der Führungstreffer für Rapid in der 17. Minute scheint den schwarzen Sektor nur noch mehr zu beflügeln und versetzt die Fans in eine „Jetzt-erst-recht-Stimmung“. Unterbrochen wird die sich langsam aufschaukelnde Stimmungslage durch die 15- 62 minütige Pause, in der bei beiden Fanlagern der Support pausiert und der Stadionsprecher mit Werbedurchsagen und Ehrungen von ehemaligen Rapid- Spielerlegenden das Rahmenprogramm gestaltet.

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Während der zweiten Spielhälfte werden Leuchtraketen im Sektor gezündet. Trotz Sonderbewachung können diese ohne Probleme oder direkte Konsequenzen abgebrannt werden. Der Stimmung tut dies keinen Abbruch. Erneut fällt auf, dass, obwohl Sturm mit 0:1 zurückliegt, die Fans bedingungslos hinter ihrem Verein stehen, und so wird weitergeklatscht, gejubelt, geschrien und gesungen bis zum Schlusspfiff. Nach dem Schlusspfiff werden die Spieler unter erneutem tosendem Beifall der knapp 2000 Schwoazen verabschiedet, auch wenn das Spiel gegen den Erzrivalen soeben verloren wurde.

Auf der Rückreise nach Graz bespreche ich mit meinen Kollegen die gesammelten Eindrücke, und gemeinsam lassen wir die intensive Zeit Revue passieren. Wir kamen auf keine großartigen Erkenntnisse, die wir uns nicht bereits im Vorhinein in gewisser Weise erwartet haben. Es verstärkte sich eher meine Einschätzung des immens starken Zusammenhalts sowohl hinter dem Verein als auch in der Fangruppe. Durch den Vergleich mit dem Heimspiel, welches ich in einer Makro/Mikro-Form in den Kapiteln 7.3.1 und 7.3.2. analysieren möchte, lässt sich nochmals der Unterschied zum Gegner feststellen.

63 7.3. Heimspiel

Nach den Eindrücken vom Gastspiel der Grazer in Wien und dem Begleiten bzw. Beobachten des Fansektors im Allianz-Stadion in Hütteldorf möchte ich in diesem Kapitel das Heimspiel vom 27. 8. 2017 aus der Sicht inmitten der Nordkurve genauer betrachten. Die teilnehmende Beobachtung führte ich bei diesem Spiel alleine durch. Anders als in Wien notierte ich mir während des Spiels Auffälligkeiten, die es mir auch möglich machten, das Verhalten und die Stimmung in zwei Ebenen zu unterteilen. Einerseits soll sich der Forscher einen systematischen Überblick des Ganzen in der Makro-Ebene verschaffen, andererseits gibt die Mikro-Ebene das Verhalten, aber auch den Einfluss der Akteure und Individuen im Block wieder, z. B. ihre Gesten und Aktionen. Unter Berücksichtigung dieser beiden Ebenen konnte ich Unterkategorien bilden, in denen ich leichter die verschiedenen Muster analysieren konnte. Die Unterteilung, welcher Aspekt in der Makro-Ebene und welcher in der Mikro-Ebene beleuchtet wird, ist in Anlehnung an den Sportjournalisten Jakob Faber gewählt, der in diesen Kategorien den rivalisierenden Klub SK Rapid Wien und seine Fans bereits 2016 näher erforschte.136

Makro-Ebene: Dramaturgischer Ablauf Gemeinschaft im Mittelpunkt Einfluss von Kurve auf restliche Tribünen Disziplinierung der Fans Räumliche Aufteilung nach sozialen Normen Auswärts-Fans als Ausgeschlossene Hierarchische Ordnung der Fankurve Fanblock als eigene Subkultur

Mikro-Ebene: Fanblock als Attraktion Männliches Spektakel Fankleidung als Identifikationsfaktor Konsum als Teil des Spektakels Stadionbesuch als Gruppenerlebnis Freude über positive Aktionen Torjubel und Schlusspfiff als Highlights

136 Faber, Jakob. „Die neoliberale Gouvernementalität der Gefühle im Männer-Fußball“ S. 56–59 64 7.3.1. Makro-Ebene

Dramaturgischer Ablauf

Wie schon beim Auswärtsspiel in Wien folgt der Ablauf im Grazer Stadion einem klassischen Schema. Eine knappe halbe Stunde vor Spielbeginn meldet sich erstmals der Stadionsprecher Ludwig Krentl und begrüßt neben den zahlreich angereisten Gästefans auch sämtliche Sturm-Fans im Stadion. Es folgen Werbeeinspielungen über die Videowall, und anders als bei weniger prestigeträchtigen Spielen finden sich sowohl im Fansektor als auch auf der Längsseite erstaunlich früh die Fans auf ihren Plätzen ein. Wie auch in Wien werden sowohl die „Eigenen“ beim Aufwärmen frenetisch gefeiert als auch die Salzburger an diesem Tag ausgepfiffen. Erste Sprechchöre in Richtung der gegnerischen Mannschaft werden mit „Bullen-Schweine“ angestimmt. Nach dem Aufwärmen ziehen sich beide Teams kurz zurück in die Katakomben des Stadions. Gleichzeitig weist im Fansektor noch wenig auf die bevorstehende Choreographie hin, die sich mit dem Betreten der Mannschaften kurz vor Anpfiff über die gesamte Nordkurve erstreckt. Davor werden aber noch die Mannschaftsaufstellungen vom Stadionsprecher verlesen, bei dem die Nachnamen der Sturm-Spieler von der Kurve lautstark mitgerufen werden. Die inoffizielle Vereinshymne „Steht auf für den SK Sturm“, interpretiert von der steirischen Volksmusikgruppe Stoakogler, wird über die Lautsprecher eingespielt und die von Sturm-Fans besuchten Sektoren erheben sich.

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Die Choreographie besteht aus einer Schwarz-Weißen Rauchwand, die den kompletten Sektor in Nebel hüllt. Auf der Gegenseite, im spärlich besuchten Fanblock der Gäste aus Salzburg, werden Fahnen geschwungen, aber eine vergleichbare Choreographie wird nicht präsentiert. Das Warten hat dann ein Ende, und der Ball rollt. Die ersten 45

65 Minuten bleiben jedoch torlos und bis auf ein, zwei Halbchancen werden die Zuseher mit noch nicht hochklassigem Fußball verwöhnt. Nach dem Pausenpfiff werden erneut Werbeinhalte verkündet, und es kommt zu einem Gewinnspiel, das von einem Sponsor von Sturm präsentiert wird. In der zweiten Hälfte erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt beim 1:0-Treffer von Sturm. Beim Abpfiff breitet sich Jubel aus und die Mannschaft wird mit stehenden Ovationen verabschiedet.

Gemeinschaft im Mittelpunkt

Man kennt sich im Block. Der Sturm-Fanblock ist zwar kein kompletter Stehplatzsektor, trotzdem wird bis auf die Halbzeitpause die Mannschaft großteils durchgehend im Stehen angefeuert. Reservierte Stehplätze sucht man hier vergebens, es herrscht freie Stehplatzwahl – bis auf die geographische Mitte der Kurve, wo sich die drei großen Fanclubs befinden. Ich entscheide mich für den Sektor 14, der am rechten Rand der Nordkurve liegt. Bereits 20 Minuten vor Spielbeginn ergattere ich noch einen Einzelplatz, doch schnell komme ich mit den Fans ins Gespräch. Obwohl ich niemanden persönlich kenne, werde ich von neben mir stehenden Fans schnell per du angesprochen. Gemeinsame Erlebnisse, die tolle aktuelle Saison und die Frage, wie wohl das heutige Spitzenspiel gegen den Meister ausgehen wird, sind im groben die Themen der Gespräche. Der Zusammenhalt wird noch mehr spürbar, wenn man sich die Liedtexte (Anm. Chants in der Ultras-Sprache) genauer ansieht:

Vor dem Spiel wird von der Brigata angestimmt:

„Ich geh mit dir wohin du willst, auch bis ans Ende dieser Welt, in Liebenau bist du daheim, dort wirst du nie alleine sein.“ (Zur Melodie des Pop-Songs von Nena „Leuchtturm“)

Die Botschaft der Gemeinschaft und des unbändigen Zusammenhalts wird hier klar in den Vordergrund gestellt.

Einfluss der Kurve auf restliche Tribünen und Spielfeld

Die Nordkurve schafft es während des Spiels gleich drei Mal, die restlichen Tribünen zum Mitmachen bei den Anfeuerungsrufen zu animieren. Eingeleitet wird diese Aktion mit der lautstarken Aufforderung: „Das ganze Stadion – das ganze Stadion.“ Bei allen drei Schlachtrufen handelt es sich um unterschiedliche Gesänge. So werden die Evergreens

66 unter Anfeuerungsrufen und Applaus mit Mitsingen von den Längstribünen-Besuchern goutiert. „Steht auf für den SK Sturm“ und „Hier regiert der SK Sturm“ verwandelt das Stadion in einen Hexenkessel, der sich spürbar auch auf die Intensität des Spiels von Sturm auswirkt. Zweikämpfe werden von den Sturm-Kickern am Feld nun gefühlt härter bestritten, und auch Trainer gestikuliert emotionaler in seiner Coachingzone am Spielfeldrand. Ebenfalls interessant zu beobachten ist, dass sich in den Momenten, wo das Spiel ein wenig langsamer wird und ins Stocken gerät, sich dies auch teilweise auf die Nordkurve überträgt. Gute Aktionen oder Balleroberungen per Grätsche und kampfbetontes Spiel hingegen motivieren die Kurve wieder und entfachen das lodernde Feuer in den Grazern. Eine beidseitige Abhängigkeit ist hier klar festzustellen.

Disziplinierung der Fans

Da das Thema des Widerstands im Sinne von Gewalt gegen die Exekutive oftmals fälschlicherweise in Verbindung mit Ultras gebracht wird, möchte ich auch diese Kategorie in meine Beobachtung einbauen. Hier kann ich berichten, dass bis auf das sehr überschaubare, kleine Aufgebot an Exekutivbeamten am Rand des Stadionvorplatzes sich im Stadion weder Zivilpolizisten mit Polizei-Warnwesten befinden, noch wird das Spiel von der Polizei per Aussendungen als Hochsicherheitsrisikospiel eingestuft. Ordner, die an den Eingängen zur Fankurve die Leibesvisitationen durchführen, wirken weder unfreundlich noch streng – im Gegenteil: Hier entsteht ebenfalls der Eindruck, dass Ordner und Fans sich bereits von vergangenen Spielen kennen und alles sehr friedlich und beinahe amikal abläuft. Kameras im Fansektor, die laut der Stadionordnung der Merkur-Arena137 im Stadion existieren, sind für mich keine zu erkennen.

Räumliche Aufteilung nach sozialen Normen

Die Eintrittskarte für einen Platz im Fansektor kostet in der Regel 16 Euro, und es gibt keine Ermäßigung für Studenten, Kinder oder Pensionisten. Für Spiele gegen die „drei Großen“ Rapid, Austria und Salzburg ist die Karte um 2 Euro teurer, und daher muss ich

137 https://www.sksturm.at/de/klub/liegenschaften/merkur-arena/stadionordnung/ 67 18 Euro für meinen Platz im Stadion investieren. Da es im restlichen Stadion keine offiziellen Fanclubs oder Ultras-Sektionen gibt, sind auch die Tribünen preislich verschieden ausgelegt. Der Gästesektor befindet sich wie der Fanblock hinter dem Tor, nur eben auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions. Günstigere Tickets gibt es noch in den vier Kurven des Stadions, obwohl die Kurve neben dem Gäste-Sektor bei großen Spielen zu Teilen gesperrt sein kann. Beim Spiel gegen Salzburg ist dies jedoch nicht der Fall, weil der mitgereiste Anhang aus Salzburg sich sehr in Grenzen hält.

Fans der auswärtigen Mannschaft als Ausgeschlossene

Die Distanz zwischen Heim- und Gästefansektor – einmal quer über das gesamte Spielfeld bis ans andere Ende des Platzes – spiegelt klar wider, wer Gast und wer „Herr im Haus“ ist. Es existiert eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Anhängergruppen. Aber anders als in Wien begrüßt der Stadionsprecher in Graz auch die mitgereisten Gäste. Auf den Längsseiten sind nur einzelne sich mit Fan-Trikots zeigende Salzburg- Fans auszumachen.

Hierarchische Ordnung der Fankurve

Wie bereits in Kapitel 5 erwähnt wurde, befinden sich mehrere Fanclubs und Ultras- Gruppierungen in der Nordkurve des Stadions. Trotz des Kollektivs und des gemeinsamen Anfeuerns der Mannschaft herrschen hier fixe Stehplatzpositionen, die immer von derselben Vereinigung eingenommen werden. So unterteilt sich die Fankurve wie das gesamte Stadion in verschiedene Bereiche. Im Zentrum befindet sich die Brigata, die links von der Grazer Sturmflut und rechts von den Jewels flankiert werden. Kleinere Fangruppen, die sich teilweise zwischen diesen drei Ultras Gruppen befinden, ergänzen und vervollständigen die Kurve. An den Rändern der Kurve befinden sich dann viele Fans, die wie ich nicht Teil eines Fanclubs sind. Interessant zu beobachten ist auch die Teilnahme an Fangesängen oder gemeinsamen Aktionen wie Hüpfen oder Klatschen zu Schlachtrufen, da diese vom Zentrum der Kurve aus gesehen nach außen hin immer weniger werden.

Fanblock als eigene Subkultur

Der Fanblock unterscheidet sich auch elementar vom Rest des Stadions. Es scheint in der Nordkurve eine viel höhere Bereitschaft zum bedingungslosen Anfeuern zu existieren. Selbst bei vielen langatmigen und schlecht ausgeführten Ballaktionen der

68 Sturm-Mannschaft wird das Team weiter unterstützt. Die Capos, die quasi als Dirigenten im Zentrum der Ultras fungieren, lenken und bestimmen das Tempo von knapp 3000 schwarz-weißen Anhängern im Fanblock. Auffallend hier wieder die Auswahl der Lieder, die sich vom Wien-Spiel unterscheidet:

„Der SK Sturm ist wieder da, wie auch schon vor einem Jahr, und heute werden wir euchs zeigen, wie wir die Schwoazen nach vorne treiben, drum hört euch dieses Lied gut an, und seht was man von uns lernen kann.“ (Wird Zeile für Zeile zunächst vorgesungen und danach von der Kurve wiederholt) In diesem Liedtext kommt meiner Ansicht nach gut zu Geltung, wofür die Kurve steht und dass sie auch in ihren Themen bei den Liedern variabel ist. Einerseits bezieht man sich oft auf die Anfeuerung des Vereins, andererseits wird der Gegner verspottet; sich selbst lobt man oder versucht das gesamte Stadion zu motivieren, die eigene Mannschaft zu unterstützen. So wird im Spiel gegen Salzburg in der zweiten Halbzeit Bezug auf deren Hauptsponsor und Geldgeber Red Bull genommen:

„Wir würden für die Schwoazn durch die Hölle gehen, und wollen unsere Mannschaft immer siegen sehen, wir lieben unseren Klub und scheißen auf Kommerz, denn wir sind Fußballfans mit Herz. Schalalalalalalalala, Schalalalalalalalala...“ Ein wichtiges Thema für die Ultras, wie bereits im Kapitel 4.3. über Normen und Werte beschrieben, wird hier im Stadion von den Sturm-Ultras zelebriert.

7.3.2. Mikro-Ebene

Fanblock als Attraktion

An diesem Spieltag ist die Merkur-Arena in Liebenau ausverkauft, und somit ist es auch im Fansektor schwer, freie Plätze zu finden. Während der Rauchbomben-Choreo wird mir in meiner Position als Beobachter nicht nur die Sicht aufs Spielfeld, sondern teilweise auch auf den Fansektor als solchen genommen. Stärker als ich es sonst je erlebt habe, macht sich Unmut unter den in Rauchschwaden verschwindenden Fans in der Kurve breit. Der Unterstützung tut dies jedoch keinen Abbruch. In der Pause löst sich

69 spürbar die Spannung, immerhin spielt Sturm als ungeschlagener Tabellenführer gegen den amtierenden österreichischen Meister der Vorsaison.

Männliches Spektakel

Die Mehrheit der Fankurve ist männlich und geschätzt zwischen Anfang 20 und 40 Jahren alt. Die niedrige Frauenquote, die im Zentrum des Blocks als noch niedriger als am Rand einzuschätzen ist, ist zumindest bei den Ultras-Fanclubs teilweise erklärbar, da die Fangruppe der Jewels keine Frauen in ihren Fanclub aufnehmen. Man kann den Fansektor in meinen Augen als androzentrischen Raum bezeichnen. Auf den Familientribünen ist das Publikum sowohl vom Alter als auch vom Geschlecht her durchmischter.

Fankleidung als Identifikationsfaktor

Wie bereits in Kapitel 3.2.2. erwähnt, spielt Fankleidung in der Ultras-Szene eine wichtige Rolle. In der Grazer Fankurve trägt die Mehrheit der Besucher zumindest einen Fanartikel oder Kleidung in den Vereinsfarben. Meine „Stehnachbarn“ im Sektor sowohl links als auch rechts von mir sind mit Schal, Kappe, Trikot, Fahne oder einer Kombination aller drei voll ausgerüstet. Man kann festhalten, dass für viele Besucher der Fankurve das Tragen von Fankleidung ein essenzieller Teil des Stadionbesuchs ist. Ich selbst bin weder in schwarz noch mit Schal oder gar Kappe oder Trikot ausgestattet. Hingewiesen oder angesprochen auf die fehlenden Utensilien bzw. mangelhafte Kleidung werde ich aber nicht.

Konsum als Teil des Spektakels

Ein Fußballspiel ohne Bier ist nur halb so spannend. Während das Konsumverhalten auf den Nebentribünen tendenziell breiter und abwechslungsreicher ausfällt, konzentriert sich der Fanblock vor allem auf Bier. In der Halbzeitpause wird auch manchmal eine feste Stärkung in Form von einer im Grazer Stadion sehr verbreiteten und beliebten Schnitzelsemmel zu sich genommen, aber an diesem Nachmittag scheint das Bild der sich zuprostenden Fans weitverbreitet zu sein. Auffallend: Der Verein scheint diese Leidenschaft erkannt zu haben und bringt in Form vieler eifriger Getränketräger die Erfrischungen direkt zu den Plätzen der Besucher.

70 Stadionbesuch als Gruppenerlebnis

Zwar bin ich wie mein rechter Sitznachbar heute allein ins Stadion gekommen, doch muss ich feststellen, dass wir beide die klare Ausnahme bilden. Schon vor dem Einlass ins Stadion lassen sich am Vorplatz viele kleine Grüppchen beobachten. Die meisten sind zu dritt oder zu viert, aber auch viele Paare sind zu sehen. Im Stadion verschieben sich diese noch zuvor klar getrennten Gruppen zu einer Großen: Wir sind alle Sturmfans.

Freude über positive Aktionen

Die Atmosphäre im Fanblock ändert sich während des Stadionbesuchs mehrmals. Anfangs sind die Anspannung und die Vorfreude bei den Fans zu spüren, die sich mit dem Anpfiff prompt in positive Zuversicht verwandeln. Es wird nun mitgefiebert und mitgelitten. Jede Aktion wird kommentiert und bei vermutlichen oder tatsächlichen Fehlentscheidungen des Schiedsrichterteams heftig geschimpft und wild gestikuliert. Die Intensität der Emotionsausbrüche ist im Fansektor auch beträchtlich höher als im Rest des Stadions. Zum emotionalen Highlight werden der Zeitpunkt des Torschusses, der darauffolgende Torjubel und die Zelebrierung des Torschützen.

Torjubel und Schlusspfiff als Highlights

Bei keinem anderen Moment in dieser Partie schnellt die Stimmungslage derart rapide in die Höhe wie beim 1:0-Führungstreffer von Sturm. Ein ganzes Stadion erlebt in nur wenigen Bruchteilen von Sekunden eine Euphorie und ein Glücksgefühl, das nur schwer zu beschreiben ist. Die Situation kurz bevor Sturms Stürmer den Ball aus guter Position Richtung Tor befördert und es sich quasi abzeichnet, dass aus dieser Aktion etwas werden könnte, lässt die Stadionbesucher auf der Längsseite von ihren Sitzen springen und die Kurvengänger kurz in angespannter Hoffnung verharren. Nach diesem Ereignis kommt es zu einer Folgeemotion: der entfesselte Torschrei. Wie bei einem Vulkanausbruch brechen alle Dämme und auch die Nähe zum Nebenmann im Fanblock wird gesucht. Die Freude hält danach noch eine Weile an, wird jedoch erst wieder beim Abpfiff in diesem Ausmaß erreicht.

Denkprozesse und die Selbstwahrnehmung des Beobachters nach dem Spiel

Als Beobachter nahm ich selbst am Geschehen im Stadion teil. Die Frage, ob ich mich dem Anfeuern der Mannschaft und dem kollektiven Mitmachen entziehen könnte, stellte

71 sich nicht wirklich. Durch das kollektive Handeln, das sich in einer aufgeladenen Stimmung und dem Enthusiasmus der Kurve widerspiegelte, wurde ich sofort zur Beteiligung am Geschehen animiert. Bei den gemeinsamen Ritualen wie dem Beklatschen der Mannschaften beim Einlauf ins Stadion, der Zelebrierung des Siegestreffers oder der Verabschiedung der Heimmannschaft wurde ich durch das Verhalten der anderen motiviert. Diese entfachte Motivation war auch an den Längsseiten in dieser Art wiederzuerkennen. Anfangs tat ich mir noch schwer, meine Rolle als Beobachter einzunehmen und mir während des Ereignisses auf einem mitgebrachten Notizblock ab und zu kurze Sätze zu notieren. Nach dem Verlassen des Stadions reflektierte ich während der Fahrt mit der lokalen Straßenbahn über die erlebten Geschehnisse und konnte auch durch Zuhören der Gespräche von Fans viele Ereignisse erneut gedanklich durchleben.

Fazit/Erkenntnisse von der Heimspiel-Beobachtung

Die Idee hinter der Beobachtung war es, eine weitere Perspektive auf das Verhalten der Ultras in ihrem Territorium zu erhalten. Was passiert in einem Ultras-Fanblock? Wie verhalten sich die Anhänger untereinander? Gibt es Hierarchien? Welchen Einfluss nehmen sie auf das Spielgeschehen und das restliche Stadion? Uvm.

In diesem Unterpunkt möchte ich kurz ein paar Aspekte aufzählen, die mir stark aufgefallen sind.

Ultras sind keine Fans, sie sehen sich selbst als mehr als „bloß“ Fans. Das „Darüber hinaus“ zeigt sich auf allen Ebenen und damit auch auf der Tribüne im Stadion. Bei der teilnehmenden Beobachtung in Graz kommt gut zum Vorschein, wie die gesamte Kurve quasi als eine große Einheit oder Masse ihre Stärke zum Vorschein bringt. Die Leidenschaft überträgt sich in kürzester Zeit von Anhänger zu Anhänger, und man fühlt sich praktisch gezwungen, im Kollektiv die eigene Mannschaft nach vorne zu peitschen. Im Hinblick auf die Masse teile ich Elias Canettis Ansichten, der von einer „Entladung der Masse“ spricht. Nur durch diese Entladung kann die Gemeinschaft, wie wir sie kennen, bestehen. Das beste Beispiel einer solchen Entladung ist der Torjubel, der Berührungsgrenzen abrupt verschwinden lässt und bei dem sich jeder mit seinem

72 Nebenmann in den Armen liegt. Cannetti spricht hier davon, dass sich alle gleich fühlen, und die Erleichterung, die einsetzt, macht die Individuen zur Masse.138

Trotz oder wegen der Größe der Gruppe und die Nachahmung des Nebenmanns fällt auf, dass die einzelnen Ultras im Fanblock über ein gutes Gespür für den richtigen Moment verfügen. Die Körpersprache der Spieler auf dem Platz, das Momentum des Spiels oder die Möglichkeit, durch euphorisierendes Jubeln eine Stimmung zu entfachen, spricht für die Feinfühligkeit der Gruppe. Hinzu kommt fußballerisches Fachwissen, das zwar durch die schwarz-weiße Sturm-Fan-Brille ein wenig abgeschwächt wird, aber durchaus vorhanden ist.

Einer der wichtigsten Punkte ist die Wechselwirkung zwischen Fanblock, Spielern auf dem Platz und dem restlichen Stadion. Hier muss man vor allem die Beziehung Fanblock zu Spieler und Spieler zu Fanblock betonen. Das Publikum wird, wie in Fachkreisen oft zitiert, zum 12. Mann und verstärkt im übertragenen Sinn die heimische Mannschaft damit auch auf dem Platz. Das restliche Stadion fungiert eher als Verstärker der aktuellen Stimmungslage. Von diesen Zusehern geht nur zu gewissen Zeiten begrenzte Stimmung aus.

Während der Pausen des Anfeuerns lässt deutlich erkennbar die Motivation und Moral bei den heimischen Spielern nach. Es wird spürbar, wie teilweise fast abhängig die Mannschaft am Feld von der Stimmung und den Anfeuerungschören im Stadion ist. die Mannschaft kann sich jedoch selbst wieder gute Stimmung erarbeiten. Insbesondere durch kämpferische Aktionen wie Balleroberungen durch Grätschen, intensivere Zweikämpfe, elegante Einzelaktionen wie Dribblings oder Weitschüsse oder schön herausgespielte Ballstafetten werden die Fans wieder zum 12. Mann im Stadion. Interessantes Detail: Einsatzwille und Kampfgeist werden tendenziell höher goutiert als verschnörkelte Sololäufe oder Maßflanken.

Auffallend ist auch die Geschlossenheit der Fankurve: Keine Diskussionen unter den Fans über Abläufe der Choreographien oder die Liederauswahl. Die Vorsänger geben ihr Bestes und appellieren ans Mitmachen.

138 Vgl. Canetti, Elias. Masse und Macht. S. 17 73 8. Ausblick

Nach fast mehr als einem Jahr, in dem ich mich mit den Ultras auf einer wissenschaftlichen Ebene beschäftigt habe, erkenne ich, wie spannend diese aufgeblühte Subkultur eigentlich ist. Es wirkt beinahe so, als wären Ultras gerade im deutschsprachigen Raum eine der beliebtesten zu erforschenden Gruppierungen, da in den letzten Jahren Unmengen an Literatur zu diesem Thema veröffentlich wurden.

Allein das Potenzial, welches in den Möglichkeiten dieser Szene schlummert, ist nicht zu unterschätzen, auch wenn dies von staatlicher Seite geschieht. Dabei bestünde gerade im informellen Sektor durch das Einbringen von Ultras-Gruppierungen Chancen auf neue Formen, wo alle Seiten profitieren könnten. Den Zugang zu sperrigen Themen könnte man hier ansprechender verpacken und gleichzeitig von Leuten betreuen lassen, die es gewohnt sind, mit Jugendlichen zu arbeiten und tendenziell über hohe soziale Kompetenz verfügen. Hier wären als Beispiele soziale Kooperationen zwischen Städten und Ultras anzuführen. In vielen Jugendzentren in Deutschland sind Ultras bereits aktiv und bringen sich in den Alltag positiv ein.

Die Rollenverteilung hat sich in den letzten Jahren zunehmend verändert. Ultras werden nicht nur mehr als Rowdys und Gewaltchaoten gesehen, sondern finden allmählich Platz in der Gesellschaft. Das Potenzial wird dabei leider auch von Gruppen erkannt, die versuchen, ihre Politik über Ultras zu propagieren. Diese Unterwanderungen lähmen meiner Ansicht nach die positiven Entwicklungen der Ultras und sorgen für den Erhalt des negativen Images.

Insofern steht zu hoffen, dass sich in Zukunft auch die Ultras-Szene weiterentwickelt und vermehrt in die Gesellschaft eingebunden wird. Immerhin repräsentiert sie mit ihren verschiedenen Mitgliedern so gut wie alle Teile von ihr.

9. Conclusio

Am Beginn meiner Arbeit stellte ich mir folgende Forschungsfragen: Warum ist es wichtig für einen Grazer Fußballfan, Ultra zu sein? Wie sieht die Wechselwirkung zwischen Ultras und Verein bzw. der Stadtgesellschaft in Graz konkret aus? In diesem Sinne stellte ich mir auch die Frage, ob man Ultras nicht auch als Ressource und Partner

74 für Projekte sehen kann. Um diese Frage eindeutig beantworten zu können, bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen, da sich während des Schreibens das Thema als größer entpuppte als angenommen.

Die erste Frage spielte auf das nicht wirklich greifbare Ultra-Sein an, das sich schon im Laufe meiner Recherchen zu diesem Thema als schwieriger als befürchtet darstellte. Eine komplett subjektive Frage, die jeder Ultra, sofern er oder sie so genannt werden möchte, für sich selbst beantworten muss. Aus den Interviews ging für mich überraschenderweise des Öfteren hervor, dass es sich bei dem ganzen Fansein/Ultrasein tendenziell eher um ein Hobby handelt. Der Verein sei zwar schon wichtig und wäre auch die Initialzündung, doch darf man die Rolle des sozialen Aspekts nicht unterschätzen. Im Gegenteil: Der soziale Aspekt scheint nämlich sogar fast ausschlaggebend für die jahrelange Treue zu Kurve, Verein und Mannschaft zu sein. Die soziale Komponente, sprich: die Freundschaften untereinander, sind in meinen Augen das verbindende Element und der Grund, Ultra zu sein.

Kritisch hinterfragen muss ich auch meine Herangehensweise an diese Arbeit, da ich finde, dass ich zu sehr den Fokus auf die Definition von Ultras gelegt habe. Diese Deklarierung als Ultras spielte nämlich bei den Fans aus der Nordkurve keine allzu große Rolle. Weiters ist meinen Beobachtungen zufolge die Grazer Ultraszene als unpolitisch zu betrachten.

Das nächste Klischee oder auch der wohl am meisten mit den Ultras assoziierte Begriff – die Gewalt – ist aus meiner Sicht nur teilweise mit den Grazer Ultras zu verbinden, auch wenn teilweise Aussagen meiner Interviewpartner („Gewalt ist wie die Butter am Brot“, „Gehört dazu“) doch in diese Richtung gehen. Die Beobachtungen vor Ort erlaubten mir aber einen guten Einblick, und da präsentierten sich die Fangruppen als ausgesprochen friedlich. Die Ultras gehen ins Stadion, um ihre Mannschaft zu unterstützen, und legen, nicht nur ihren eigenen Angaben, sondern auch den teilnehmenden Beobachtungen zufolge, eine faires Verhalten dem sportlichen Gegner und seinem Anhang an den Tag. Die in den Interviews oft genannte „Sturm-Familie“ kann ich nur bestätigen, da im Stadion die persönlichen Begrüßungen untereinander und der Umgang sehr freundlich und vertraut wirkten.

Eine Frage, die noch weiterer empirischer Untersuchung bedarf, ist die Rolle der Feindbilder. Die Polizei ist einer der Gegenspieler der Ultras, und ihre Präsenz in und um

75 die Stadien herum verstärkt sich immer mehr. Vor allem stehen die schlechten Chancen, bei Ausschreitungen oder fehlgeschlagenen Deeskalationsversuchen für die Ultras gegen die Polizei zu argumentieren, tendenziell schlecht, haben die doch „immer“ recht. Hier wäre es auch interessant, der ethischen Frage nach Beleidigungen der Ultras in Richtung Spieler und gegnerische Fans und deren Auswirkungen nachzugehen.

Vom Persönlichen möchte ich noch zu zwei weiteren wichtigen Punkten kommen, die mich am Anfang als Frage interessierten, nämlich das soziale Engagement und die Wechselwirkung zur Stadtbevölkerung. Erneut spiegelt sich die Heterogenität stark wider, die auch die unterschiedlichen Gruppen schwer vergleichbar macht. Es gibt nicht die eine Motivation, warum sich Ultras sozial engagieren. Vor allem in den Interviews kommt stark hervor, dass die Motive sehr persönlich und bei jedem individuell sind. Es geht hier weder um Fußball noch um Ultras per se. Ähnlich sieht es bei der Beziehung zur Stadtbevölkerung aus. Es gibt unterschiedliche Zugänge aus der Ultras-Perspektive, aber sie wird nicht fordernd gesucht. Die Leute kommen schon zu den Ultras auch ganz ohne das sich diese um deren Aufmerksamkeit bemühen müssen. Auch im Stadtbild schlägt sich die Präsenz der Ultras wenig bis kaum nieder.

Resümierend ist zu meiner Arbeit über die Ultras festzuhalten, dass diese Milieustudie einen Einblick in die Szene vermitteln sollte. Es sollte klarmachen, wie unterschiedlich Ultras sein können und welche Gedanken und Motivationen ihre Aktionen leiten. Nach dem Lesen dieser Arbeit soll klar sein, dass sich hinter den Ultras eine Leidenschaft verbirgt, deren Stärke und Liebe auch außerhalb des Stadions spürbar ist und nicht nur den Sport Fußball bereichert. Es soll die Anziehungskraft, die auf Menschen aller Altersgruppen und sozialer Schichten ausgeübt wird, klar werden. Eine Faszination, die in der Sportkultur noch spannend zu beobachten sein wird.

76 10. Literatur

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