Kalkriese Und Arminiusschlacht

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Kalkriese Und Arminiusschlacht urn:nbn:de:0233-2009053005 Rolf Badenhausen Kalkriese und Arminiusschlacht. Eine geohistorische Betrachtung der Züge von Q. Germanicus Zu viele Adler hatte Rom im rechtsrheinischen Varus-De- wenigen Wochen oder Monaten disponierten lippischen saster verloren. Die Frage, wie dieser das Imperium zu- Ostroute. tiefst kränkende Fauxpas passieren konnte, sollte fünf Jah- Nichtsdestoweniger schien Germanicus mit diesen Vorbe- re später mit den Vorbereitungen zu einer groß angelegten reitungszügen zugleich auf Rückendeckung angewiesen Strafexpedition übertüncht werden. Unser überlieferungs- zu sein, denn im Frühjahr 15 n. Chr. mobilisierte der Va- seitig ausführlichster Berichterstatter Tacitus vermerkt in rus-Nachfolger für sich und seinen Legaten Caecina insge- seinen Annalen:1 Unter dem Konsulat des Caesar Drusus und samt acht Legionen und 15000 Auxilien-Kämpfer. Der des C. Norbanus wird dem Germanicus ein Triumph Caesar selbst unternahm mit vier Legionen und 10000 bewilligt ... (I,55). Bundesgenossen einen an Völkermord grenzenden Zug Noch im Jahr 14 n. Chr. begann Quin(c)tilius Germanicus gegen die Chatten. Sein blutiger Weg führte ihn dabei vom Stützpunkt Xanten, dem gerade von ihm und seinem vom Stützpunkt Mogontiacum (Mainz) über den Taunus, Bruder Drusus II. mit Waffengewalt beruhigten castra Ve- wo er auf den Relikten eines dortigen väterlichen Stütz- tera, einen schonungslosen Blitzkrieg gegen die Marser. punktes ein Kastell errichtete. Schließlich überschritt er 12000 Legionäre, unterstützt von 26 Auxilien-Kohorten die Eder (Adrana) und ließ den Chatten-Sitz Mattium nie- 4 und acht Reitergeschwadern, hatte Gemanicus für dieses derbrennen. Offenbar unplanmäßig gekrönt wurde dieses Unternehmen mobilisieren und über eine zuvor errichtete Unternehmen durch die Übergabe von Arminius’ Braut Rheinbrücke zunächst in den Caesischen Wald 2 führen las- Thusnelda: Auf seinem Rückmarsch zu seinem Stützpunkt sen. Der niedergermanische Caesar hatte außerdem seinen erhielt Germanicus Nachricht, der Cheruskerfürst Seges- Legaten Aulus Caecina mit einem leichten Truppenver- tes werde von aufständischen Landsleuten belagert. Ger- band vorgeschickt, der jede Art Hindernis im Marser-Ge- manicus befreite, wie uns Tacitus weiter berichtet, den mit biet zwischen Lippe und Ruhr aus dem Weg räumen soll- römischen Interessen nunmehr kooperativen Schwieger- te. Dann, über unwegsameres, umwegreicheres Waldge- vater von Arminius. Segestes soll dabei die Zusage eines 5 biet heimlich vorstoßend, suchte Germanicus die Siedlun- neuen Wohnsitzes in „alter Provinz“ und Germanicus die gen der Marser und ihre Tamfana-Tempelstätte heim, wo triumphale Option zur Vorführung der Braut des derzeit er unter Halbschlafenden, Unbewaffneten, Umherirren- mächtigsten römischen Gegners erhalten haben. den ein Massaker anrichten und diesen Ort dem Erdboden Insoweit mögen diese „strategischen Vorbereitungen“ von gleichmachen ließ (Annalen I,49–51). Tacitus ergänzt, dass Germanicus für den bald folgenden imperialen Rachever- nicht nur dieses Heiligtum, sondern auch ein 50 römische such an Arminius so gut wie abgeschlossen erscheinen – Meilen durchmessendes Gebiet durch Schwert und Feuer falls hier überhaupt von vorplanerischen und erwartungs- 3 völlig verwüstet wurde. konform endenden Kriegszügen die Rede sein kann!6 Höchstwahrscheinlich bedurfte es tatsächlich noch weite- Diese Gemetzel, wohl auch unter wehrlosen Frauen und rer und mit den im Wesermündungsgebiet ansässigen Kindern der Marser, dienten offenbar zur Wiederherstel- Chauken geführter Verhandlungen, um die Arminius fol- lung und Konsolidierung einer später unabdingbaren genden Cherusker weiter zu isolieren. Truppenmoral, die zuvor in römischen Lagern nach dem Tod von Kaiser Augustus erheblich gesunken war. Tacitus Schließlich ließ Germanicus im Sommer 15 n. Chr. vier rezipiert eine Art Bußgang, der zur Bekräftigung von neu- von ihm angeführte Legionen verschiffen, fuhr durch den em römischen Kampfgeist das Vergangene vergessen ma- von seinem Vater erbauten Kanal (fossa Drusiana, Waalge- chen sollte. Die erbarmungslosen Aktionen gegen das biet), über Zuider- und Nordsee bis an und wohl auch in Volk der Marser, die sich vor einem halben Jahrzehnt ge- die Ems. Frühestens bei Rheine, spätestens in ihrer Quel- gen invasive Inbesitznahme und Romanisierung im Ver- lenregion bei Wiedenbrück–Paderborn vereinigte der Cae- bund mit anderen Stämmen erhoben hatten, sind darüber sar die von Caecina nördlich der Lippe bis ins Brukterer- hinaus aber nicht nur als rücksichtslose Bestrafung für gebiet geführten 40 Kohorten sowie die berittene Truppe dessen Beteiligung an der Niederschlagung der Variani- unter Praefectus Pedo. Gleichzeitig über Friesland vorsto- schen Legionen zu deuten. Das geostrategische Kalkül von ßend hatte der Reiterkommandeur das vom Münsterland Germanicus lag vor allem in der Entvölkerung der in nur bis zur oberen Lippe siedelnde Volk heimgesucht. 1 Rolf Badenhausen Kalkriese und Arminiusschlacht • Eine geohistorische Betrachtung der Züge von Q. Germanicus Auf seinem Gebiet fand die unter Lucius Stertinius met- zügen waren die damaligen Schlachtvorgänge wohl kaum zelnde und plündernde Heeresabteilung den 19. Variani- auf Sichtweite einzugrenzen. Immerhin entschloss sich schen Legionsadler. Germanicus, sterbliche Überreste der Varianischen Legio- nen einzusammeln und in einem mit Grassoden abge- Tacitus schreibt, dass Germanicus das ganze Gebiet zwi- deckten Tumulus (Grabhügel) beizusetzen. Doch dieses schen Ems und Lippe verwüstete – quantumque Amisiam et Bestattungsprocedere des Augur-Priesters Germanicus Lupiam amnes inter vastatum, und zwar im Bereich haud passt seinerzeit weder den ethisch-moralischen Vorstel- procul Teutoburgiensi saltu (Annalen I,60). lungen von Tiberius noch heute zu den Kalkrieser Kno- Mit dieser Angabe lässt sich Kalkriese jedoch nicht in den chengruben. geografischen Kontext der Varusschlacht bzw. deren Germanicus hatte Caecina angewiesen, durch „verborgene Kernregion stellen. Diese soll sich vielmehr in einem Ge- Waldgebirge“ (hier das handschriftliche occulta saltuum) biet befinden, wo forschungskritische Deutung die nicht den Weg bis zu diesem Ort zu explorieren, das zuletzt weit gelegene Teutoburg als „Berg des Tuisto“7 identifi- morastige, feuchte Bruchland mit Brücken und Dämmen ziert und wo, so der Annalen-Verfasser weiter, die Über- begehbar zu machen. Der Caesar selbst dürfte wohl nur reste des Varus und seiner Legionen unbegraben lagen, wie ge- offenes Terrain (so die Senne) zum siegreichen Schlagab- sagt wurde. Wären die drei Varianischen Legionen XVII, tausch mit seinem Widersacher Arminius herbeigesehnt XVIII und XIX in der Niewedder Senke geschlagen wor- haben. Der aber antizipierte mit Hinterhaltangriffen (vor den, also je nach kartografischer Orientierungsrichtung allem mit berittenen Kämpfern) und bescherte, wie Taci- entweder nördlich, östlich, oder nordöstlich der Ems, hät- tus einräumt, mit dieser Art Kampftaktik den römischen te Tacitus – in seiner weitestgehend anerkannten Refe- Einheiten herbe Verluste. Endlich schien Germanicus be- renzfunktion als nur wenig widerlegbarer Geograf der rö- griffen zu haben, dass Arminius mit solcher (tatsächlich misch explorierten Germania magna – zur Schlachtlokalisa- unerwarteten?) Strategie nicht zu schlagen war und be- tion auf die Lippe verzichten müssen. Da die Ems bei Wie- sann sich auf einen Rückzug. Es bleibt allerdings sehr denbrück ihren Lauf in nordwestliche Richtung dreht, fraglich, ob er über die untere und mittlere Werre hinaus- kann nach Tacitus’ Worten daher nur vom Quellgebiet ziehen oder gar bis in den Weserraum vordringen konnte. beider Flüsse die Rede sein, d. h. von der Senne und dem Insoweit darf, wie auch die Autorengemeinschaft Schoppe Lippischen Wald nebst nördlichem Eggegebirge. Der Kon- vermutet, der Rückmarsch auf einer Route Herford–Biele- trast zwischen ihm und den Schilderungen von Cassius felder Pforte–Wiedenbrück („Hellweg H3“, vgl. Schoppe: Dio ist hier derart auffällig, dass im Interesse inhaltlicher Varusschlacht 2007; S. 54, 93) angenommen werden. Sofern Angleichung der mit räumlichen Beschreibungen präzisie- diesem Emsort der vorrangige Anspruch als Zwischenziel rende Autor anscheinend zu viele fragwürdige oder nicht von Germanicus zukommen sollte, wird er dort sein Heer weiter zu berücksichtigende Einzelheiten geliefert haben für den weiteren Rückzug an oder auf dem von Tacitus soll.8 genannten Fluss und dem Landweg aufgeteilt haben. Bei Tacitus, der bei weitem ausführlichste römische Literat eben diesem Martergang unter Caecinas Kommando über und Kenner niedergermanischer Ethnologie und Geogra- die einst von L. Domitius angelegten pontes longi – den fie, bezieht sich auf ein dem Teutoburger Wald nahes Lip- weiten bzw. „wieden“ Brücken („Knüppeldämmen“) – pe-Ems-Gebiet, in dem sich ein erstes großes Lager des wurde schließlich zur Gewissheit, dass Arminius, der sich Varus befunden haben soll (prima Vari castra lato ambitu et stets geschickt einer offenen Feldschlacht entzogen hatte, dimensis) und das auf das Werk dreier Legionen hindeutet nicht mehr beizukommen war. Anhand indirekter Nach- (principiis trium legionum manus ostentabant, vgl. Annalen weise zur römischen Wasserwegnutzung darf auch hier I,61). Noch zu sehen waren dort, wie Tacitus weiter über- davon ausgegangen werden, dass Caecina zumindest in liefert, bereits zusammengewachsene Reste am/im niedri- Rheinnähe seine Truppen entlang einer noch befahrbaren gen Graben des halb eingestürzten Lagerwalls sowie in- Lippestrecke,
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