REISE

Algerische Teil 1

DÉ J À -VU AN DER GRÄBERPISTE

Erstmals seit 17 Jahren fuhr eine Gruppe von Enduro-Reisenden wieder über die legendäre „Gräberpiste“: Ein außergewöhnliches Erlebnis in jeder Hinsicht.

eit den Touristen-Entfüh- Abenteuer wach – glücklicherwei- Berge und Hoch-Plateaus des west- rungen im Jahr 2003 war se nicht nur. lichen Tassili N’Ajjer mit Fahrzeu- die einstige Traumstrecke Allmählich öffnet sich das Oued gen zu durchqueren. 220 Kilometer Saller Algerien-Reisenden Tahaft in Richtung Norden und die weit sind wir an den letzten beiden verboten. Je näher Reise-Orga- gewaltige Ausdehnung des bislang Tagen auf winzigen Pisten durch nisator und ENDURO-Mitarbeiter nur hinter den Felswänden des Tals dramatisch-schöne Landschaften Thomas Troßmann dieser fantasti- herausspitzenden Dünenmeers wird gekurvt, über steile Bergpässe und schen Route jetzt kam, umso mehr erkennbar. Wir erreichen den Erg Dünenketten, durch Schluchten und wurden teils düstere Erinnerungen Tifernine von Süden kommend, – Wadis – ein enduristischer Fahr- an ein buchstäblich brenzliges über die einzige Möglichkeit, die spaß der Extraklasse.

74 ENDURO ENDURO 75 Zuvor hatten wir in dem Tua- Wahrscheinlich ist sie die einzige In der nahen Schule ist gerade tion und wird von nationalen wie INFO reg-Dorf einen Pausen- Frau, die je auf einer Enduro nach Unterrichtsschluss. Klar, dass das internationalen Truppen genauso tag eingelegt. So klein, abgelegen Tamadjert kam. runde Dutzend Mädels und Jungs bekämpft wie Al Kaida, IS und Boko lgerien-Reisen sind und schwer erreichbar es ist, so Da unsere Begleitautos noch gleich zu uns rüberkommt. Interes- Haram. Anur mit einheimi- zufrieden und glücklich wirken die eine ganze Weile brauchen werden, santer als wir sind nach der Begrü- Erst zwei Stunden nach uns tref- schen Führern gestattet. kaum hundert Bewohner dieses bekommen wir unseren Mittagsim- ßung natürlich unsere Motorräder. fen Salah, Mohamed und Brahim Das Unternehmen WÜS- Sahara-Shangrila. Kein Wunder, biss von Abdeljelils Frau – das Tua- Eine richtige Arzt-Praxis und ein. Zwei Reifenpannen waren ne- TENFAHRER REISEN denn in dem malerischen Talkes- reg-Standardgericht „Taguella“. Wie zwei neue Brunnen mit solar-be- ben ihrem zwangsläufig niedrigeren THOMAS TROSSMANN sel sorgen geschützte Lage, mildes immer schmeckt der Eintopf aus triebenen Pumpen gebe es nun, er- Tempo der Grund. Nach dem Auf- (http://www.wuesten- Klima und Wasserreichtum für an- im Sand unter offenem Feuer ge- zählt Abdeljelil. Das aus dem Hahn bau unserer Zelte wandern wir über fahrer.com) veranstal- genehme Lebensbedingungen, backenem Fladenbrot und würziger sprudelnde Wasser ist kristallklar. vom Wasser glatt geschliffene tet seit über 30 Jahren funktionierende Landwirtschaft, Soße köstlich. Erfreulich, was die algerische Re- Felsplatten in eine Schlucht voller Enduro-Gruppenreisen Viehzucht und damit den Wohl- gierung für die nur zwei Prozent der Oleander-Bäume und Palmen. Un- dorthin, seit 2019 auch stand, den Tuareg sich wünschen. Bevölkerung zählenden Tuareg tut – ser Ziel sind die Gueltas von Tamad- wieder auf der legendär- Ein großer Funkmast ist bei un- nicht nur hier in Tamadjert, sondern jert. Eine meiner ersten Fragen an en „Gräberpiste“. serer Ankunft das Erste, was wir auch in ihren anderen Siedlungen, Abdeljelil war vorhin auch nach dem von Tamadjert sehen. Er steht an seien sie auch noch so abgelegen. Wasserstand dieser Natur-Swim- der urplötzlich auftauchenden Stei- Deshalb hat die Tuareg-Miliz Aza- mingpools. Im Gegensatz zum letz- labfahrt am Ende der 30 Kilometer ywat in Algerien auch kaum noch ten Jahr sind sie randvoll. Ein Bach langen Holperpiste, die das Dorf für Anhänger – im Gegensatz zu den stürzt als kleiner Wasserfall in ein Motorfahrzeuge zugänglich macht – Nachbarstaaten Mali und Niger. schwimmbadgroßes Felsbecken. zumindest für geländegängige. Tou- Dort kooperiert die Führung der Auch Anfang Dezember hat die risten auf Enduros kommen noch einstigen Tuareg-Autonomie-Be- Sonne noch genug Kraft, um einem seltener nach Tamadjert als solche wegung inzwischen mit Al-Kai- Sprung in das kalte Wasser nicht mit Geländewagen. Seit meinem da – wenn auch nicht aus isla- widerstehen zu können. letzten Besuch vor einem Jahr gab mistischem Fanatismus, sondern Auf dem Rückweg führe ich es keine, wie uns Abdeljel, einer der für Geld und Waffen zum Kampf um unsere Gruppe zu einer überhän- Honoratioren Tamadjerts, mitteilt. den ersehnten grenzübergreifenden genden Felswand am Rand des Er hatte unsere Gruppe aufs Herz- Tuareg-Staat. Dass daraus etwas Tals. Dort befinden sich in einer lichste begrüßt, erkannte trotz des wird, ist unwahrscheinlicher Höhle jungsteinzeitliche Felsmale- Helms außer Tony und mir auch als je zuvor, denn auch reien: Jagd- und Kampfszenen, Rei- Petra sofort wieder, obwohl sie das die Azaywat gilt heute als ter, Tänzerinnen und von Pferden letzte Mal vor drei Jahren hier war. terroristische Organisa- gezogene einachsige Streitwagen –

Schlammschlacht: 2017 hatten wir sie im Tadrart ( ENDURO 5/17), jetzt sind selbst so versteckte Gueltas ausgetrocknet

Als es noch keine Sahara gab: Jahrtausende alte Felsmalereien erzählen von dieser Zeit

„Airport Afarar“: Der aus der Kolonialzeit „Coupe de monde“ nennen die stammende „Flughafen“ ist auf der riesigen Fußballbegeisterten unter den Schwemmtonebene leicht zu übersehen Tuareg diesen Felsen im Tadrart

76 ENDURO ENDURO 77 die meisten so gut erhalten, dass Freund in die 400 Straßen-Kilome- man ihr Jahrtausende zählendes ter nördlich gelegene Stadt Alter kaum glauben kann. zurückgefahren. Dort wird unsere Die Algerien-„Ersttäter“ in un- Reise in zwei Wochen enden. serer Gruppe sind besonders froh, Unsere fünftägige Runde durch doch noch schöne Felsmalereien die fantastische Landschaft des zu sehen, denn in der Oasenstadt südöstlich von gelegenen Djanet – Startpunkt unserer Reise – Nationalparks Tadrart – zu Pilzen, wurde uns die Wanderung zu den Nadeln, Torbögen und „Schlös- berühmten Felsmalereien von Jab- sern“ erodierte Berge und Schluch- barem nicht gestattet. Schwarzafri- ten inmitten tiefroter Dünen – ist kanische Flüchtlingsgruppen, die ein grandioser Reiseeinstieg und aus dem nahen Libyen über die „grü- Enduro-Fahrspaß pur (auch in der ne Grenze“ des Ajjer-Hoch-Plateaus Reise-Story in ENDURO 5 und 6/17). nach Algerien marschieren, sind der Die folgende dreitägige Durchque- Grund. rung des südlichen Tassili n’Ajjer In Djanet hatte unsere Endu- führt durch die Regionen Tikobaine, ro-Reise begonnen. Meine acht Dider, Tasset, Afarar und Ifedanoue- Mitreisenden waren dorthin geflo- ne. Das sind Landschaften wie aus gen. Ich legte die über 2000 Stra- Wildwest-Filmen oder nur mit dem ßen-Kilometer wie immer overland Satz „wie von einem anderen Pla- zurück – mit meinem kleinen Truck neten“ zu beschreiben. und einem Anhänger mit neun Mo- Mit dem Erreichen Tamadjerts torrädern. Am Tag vor der Flugan- haben wir die von Touristen be- kunft lade ich mit den drei unsere suchten Regionen der algerischen Reise begleitenden Tuareg 250 Ki- Sahara verlassen, „endet der Kin- logramm Verpflegung, 18 Benzin- dergeburtstag“, wie Mitreisender und 16 Wasserkanister, Bordküche, Jörg trocken meint. Unsere Tua- Biertisch-Garnitur und Pavillon, reg-Begleiter ermahnen uns vor Werkzeug, Reparatur-Material, Re- der Ausfahrt aus dem Talkessel in serve-Reifen und unser Gepäck auf Richtung Norden eindringlich, ab ihre beiden Pickups um – und unse- jetzt alle rund zehn Kilometer auf re neun Motorräder vom Anhänger. die Autos zu warten. Das ist an den Meine eigene KTM 350 EXC Six- folgenden beiden Tagen ohnehin days scheint im Hof unseres kleinen unerlässlich, da ich die Passage Hotels – seit meiner ersten Alge- zwischen dem „Tal der glücklichen „Böser Nachbar“? Die Riesen- rien-Reise logiere ich dort – schon Tuareg“ und den Dünen des Erg dünen von Tin Merzouga erlau- ungeduldig zu warten, denn Auto Tifernine – Einstieg zur „Gräberpi- ben den Blick nach Libyen und Hänger haben ab jetzt Pau- ste“– nur einmal gefahren bin. Ende se, werden von einem algerischen der 80er Jahre, weshalb es keinen GPS-Track dafür gibt. Fünf Tage haben wir noch, um die rund 650 Kilometer von Tamadjert Enduro-Wandern 1: In der nach Illizi zu bewältigen. Zwei davon märchenhaften Landschaft des liegen hinter, der Erg Tifernine un- Tadrart mittelbar vor uns. Das Sandgebirge entwächst dem nördlich gelegenen Erg Issaouane und hat die Form eines spitzwinkligen Dreiecks – 130 Kilometer lang, im Norden 40 Kilometer breit, im Süden wie ab- geschnitten in einer kleinen Gruppe riesiger Dünen endend. Seine Form verdankt der Tifernine den ihn im Osten, Westen und Süden einschlie- ßenden Bergzügen. Seine Dünen ge- hören mit bis zu 450 Metern Höhe über der Umgebung zu den höch- sten der Sahara. In seinem Inneren

Enduro-Wandern 2: Im Schluchten- Labyrinth des Tassili N’Ajjer

78 ENDURO ENDURO 79 REISE

gibt es wegen des von drei Seiten flammter Schal oder Handschuh, Drei Tage und drei Nächte waren ro Ende der 90er Jahre mit Motor- Obwohl ich am Morgen noch nenuntergang besonders kalt sei, wehenden Winds kaum längere vielleicht auch Marios Jacke. Als wir damals aus dem Inneren des schaden dort zurücklassen müssen. vorhatte, unser heutiges Camp un- eventueller Wind das Zelten, Kochen Täler. Überwiegend tiefe Trichter wir auf der Düne, die wir zum Er- Erg in Richtung des Brunnens Has- Zum Glück schafften er und sein da- mittelbar an den Tifernine-Dünen und Essen unangenehm machen trennen die pyramidenförmigen kunden einer fahrbaren Linie zu si Ntsel gelaufen, dem einzigen Ort maliger Reisepartner es auf dessen einzurichten, lagern wir doch einige würde und auch kein Feuerholz zu Sandberge voneinander. Das macht Fuß erklommen haben, die Kata- mit der Chance auf ein Überleben Maschine aus dem Erg heraus. Kilometer südlich in einem vegeta- finden sei. den Erg für Autos unpassierbar und strophe bemerken, ist es jeden- unseres Abenteuers. Mehr tot als Alle drei Motorräder befinden tionsreichen Wadi. Nicht weil Tony Wie mir unser 70 Jahre alter stellt selbst im Dünenfahren routi- falls zu spät. Marios umgekippte lebendig wurden wir in seiner Nähe sich aber noch immer dort – unauf- und ich nach dem langen Fahrtag „Chef-Guide“ Mohamed später am nierte Enduristen auf leichten und Maschine brennt! Flammen schla- von Tuareg gefunden. findbar begraben, denn schon nur und wegen unseres „déjà-vu“ kei- Lagerfeuer anvertraut, sei ein wei- starken Maschinen vor eine schwe- gen über dem Gepäck zusammen. In unserer jetzigen Reisegruppe zwei Wochen nach unserer Rettung ne Lust mehr auf ein wenig Dünen- terer Grund, dass es im Erg Tifer- re Aufgabe. Das musste ich mit Dann die Explosion: Ein dumpfer, bin ich übrigens nicht der Einzige, konnte ein per Helikopter vom nahen surfen haben, sondern weil unsere nine Geister gebe. Es sind wie ich einem Freund einst auf drastische ohrenbetäubend lauter Schlag, eine dem der Erg Tifernine schon ein Militärstützpunkt Bordj Omar Driss Tuareg es so wollen. Einen Lager- ungläubig höre, nicht die üblichen Art und Weise erfahren. dreifach mannshohe, schwarzgelbe Motorrad genommen hat. Auch der zum Ausgangspunkt unserer „Wan- platz am Rand des Erg lehnen sie „Djenoun“ aus der Mythologie der Die Erinnerung an unsere Hor- Feuersäule, durch die Luft sirrende Schweizer Tony, schon oft war ich derung“ geflogener Such-Trupp schlichtweg ab – erstmal mit der Wüstenbewohner. Vor einem halben ror-Tour im Oktober 2001 wird mit Metallteile.“ mit ihm unterwegs, hat seine Endu- nicht mehr das Geringste finden. Begründung, dass es dort nach Son- Jahrhundert, erzählt Mohamed, sei eine große Karawane spurlos im Erg Tifernine verschwunden. Erst Jah- re später fanden andere Nomaden So entspannt wie ihre ihre Überreste – Kamel-Kadaver, in Herrchen: Die Hirtenhunde ihrem Inneren mumifizierte Men- der Tuareg-Nomaden schen. Kaum vorstellbar, was für ein Drama sich damals abgespielt haben muss. Ihre Geister würden noch immer im Tifernine „leben“. Schlimme Geschichten und Erinne- rungen – tags darauf ziehen sie den Kürzeren gegen unsere Lust aufs Fotos: Forberg, Ludowici, Neunteufel, Troßmann Neunteufel, Forberg, Ludowici, Fotos: Dünenfahren. Thomas Troßmann Fortsetzung folgt

Naturschwimmbad: jedem Kilometer, den wir uns dem „Tierpark“ Tikobaine: Unter dem Die Gueltas von Erg nähern, deutlicher. In einem Rüssel des „Gigantofanten“ durchzu- Tamadjert sind trotz meiner Bücher („Der Wüste be- fahren ist für Enduristen Pflicht ihrer Temperatur gegnen“) habe ich die Geschichte unwiderstehlich beschrieben: „Seit heute Vormittag sind wir in einem der einsamsten und unzu- gänglichsten Gebiete der Erde, seit heute Mittag als „Schiffbrüchige“ in einem Meer ohne Wasser. Eines unserer beiden Motorräder ist nur noch qualmender Schrott, das an- dere fahruntüchtig. Mindestens drei Tagesmärsche trennen uns vom nächsten Brunnen, kaum mehr als zwei vom letzten Schluck Was- ser. Warum das alles passiert ist? Genau wissen wir es nicht, können es jetzt auch nicht mehr feststellen. Vorboten der Katastrophe waren wahrscheinlich ein im Sand versun- Erg Tifernine: Endlich haben wir kener Seitenständer, auslaufendes seine Riesendünen erreicht. Benzin und ein überhitzter Motor, Die „Gräberpiste“ ist nicht mehr weit Ursache ein am Auspuffkrümmer des umgestürzten Motorrads ent-

80 ENDURO ENDURO 81 REISE

Algerische Sahara Teil 2

EINST UND Fortsetzung der spannenden Wüstenreise: Ein Mix aus erlebnisreicher Gegenwart HEUTE und aufregender Rückblende.

ie kleine Piste, die am Nord- ende des riesigen Tassili N’Ajjer um die Südspitze Ddes Dünenmeers Erg Tifer- nine herumführt, kenne ich nur von einer 20 Jahre zurückliegenden Rei- se. Was heute Vormittag zur Folge hat, dass ich falsch fahre. Ich hoffe zuerst, dass sich das malerische Tal wieder in Richtung Erg öffnet, doch es windet sich weiter ins Bergland des Ajjer-Plateaus hinein. Aus dem kamen wir gestern – auf der einzigen Route, die es für Fahrzeuge passierbar macht. Land- schaftlich traumhaft schön, dazu ein enduristischer Fahrgenuss ist die Strecke vom Tuareg-Dorf Ta- madjert am Südrand des Plateaus bis zu seinem Ende im Norden. Ich will nicht weiter in die Sack- gasse hineinfahren und kehre um. Denn auch wenn wir mit unseren leichten und hoch geländegängigen Enduros höchstwahrscheinlich über irgendein Nebental zum Ostrand des Erg Tifernine abdrehen könnten, unsere Begleitautos können so et- was nicht befahren. Mohamed, Salah und Brahim stehen an der von mir übersehenen Pistengabelung auf einem Felshü- gel auf den Ladeflächen ihrer bei- den Pickups und wedeln mit ihren Chechs, den etliche Meter langen Turbanen der Tuareg. Sie haben sofort angehalten, als unsere neun Motorradspuren die korrekte Rich- tung verließen. Der 70-jährige Mo- hamed lächelt etwas suffisant, aber auch erleichtert. Meine kurze Irr- fahrt war zwar die erste auf bislang über 1000 Offroad-Kilometern, hat aber klargestellt, wer bei unserer Reise der „Chef-Guide“ ist. Wir folgen weiter der sich am Rand der Tifernine-Dünen über Geröllberge schlängelnden Piste. Wüsten-Idylle: Das Innere des Tassli N’Ajjer Immer wieder ist sie unauffindbar

74 ENDURO ENDURO 75 REISE

vom Sand verweht. Weiter nach Os- sible pour motos“ – mit Motorrä- extrem holprig und voller scharfkan- 100 km/h fliegen wir gemeinsam Reise in den 1980er Jahren hatten Mitreisender war damals mit sei- ten als bis zum Tal meiner Fehlfahrt dern geht das. Das lasse ich mir tiger Felsplatten. Da hätten auch über die Weite. Sie steigt in kilo- wir an unserem Lagerplatz einmal ner Enduro über einen Dünengrat fuhren wohl schon lange nicht mal nicht zweimal sagen. Die Passage wir trotz Moosgummi oder dicken meterweit auseinander liegenden ein regelrechtes „Freilichtmuseum“ hinausgeschossen und erst nach Einheimische. Touristen sowieso ist ein Traum für jeden ambitio- Schläuchen langsam fahren müs- Wellen an und ab. aus Dutzenden von Reibschalen, einem weiten Sprung aufgeschla- nicht, denn wir sind in einer Gegend nierten Enduro-Dünenfahrer – und sen. Die meisten dieser oft etliche Faustkeilen, Steinäxten und Hun- gen. Er brach sich zum Glück nur der algerischen Sahara, die viele das sind in unserer acht Fahrer und An seiner Ostflanke zeigt das Meter hohen Anstiege fühle ich derten von Pfeilspitzen angelegt. ein Schlüsselbein. Die Gabelholme Jahre Sperrgebiet war. Seit den Tou- eine Fahrerin zählenden Gruppe über 100 Kilometer lange Dreieck mehr, als ich sie sehe. Denn als vo- Nicht nur wegen der steinzeitlichen seines Motorrads wurden durch den risten-Entführungen von 2003 auf alle. Die spektakulär zwischen und des Erg Tifernine ein völlig anderes raus Fahrender habe ich keine Spu- Relikte lasse ich meinen Blick im- Aufprall jedoch abgeknickt! Deshalb der nicht mehr weit enfernten „Grä- über die Tifernine-Dünen führende Bild als an seiner West- und Süd- ren vor mir. Immer wieder ist diese mer wieder nach links abschwei- bleiben jetzt meine Mitreisenden in berpiste“ war es unmöglich, die für Abkürzung wird daher mit viel Fahr- seite: Vor uns erstreckt sich zwi- Fahrt in der das menschliche Auge fen. Wo die Sandfläche steiler der Nähe meiner Spur. touristische Reisen obligatorische spaß gemeistert. schen den linkerhand aufragenden überfordernden Weite ein Blind- wird, bilden die in Talnähe runden So steht der Spaß an dem surre- Genehmigung für diese Gegend zu An der Ostseite des Sandge- Riesendünen und dem rechts lie- flug. Ab und zu helfen große flache Riesensandwellen nämlich Dünen alen Fahrgefühl gegenüber seinen erhalten. birges warten wir wie mit unseren genden Tal des Wadi Mellene eine Steine beim Einschätzen von Ent- mit Graten und dahinter steil abfal- Risiken im Vordergrund. „Gebremst“ Bei einer Pause an fotogenen Begleitern vereinbart. Aber erst endlose am Horizont im Flimmern fernungen – Reibschalen aus der lenden Lee-Seiten. In unserer Fahrt- im Wortsinn wird er nur, weil sich Riesendünen zeigt Mohamed in nach einer Stunde werden die der Wüstenluft verschwimmende Jungsteinzeit, vom Wüstenwind mal richtung sind sie kaum sichtbar. unter dem Oued-Mellene-Talboden ein zwischen die Sandberge hinein- beiden Autos auf einem weit ent- Sandfäche. Im unteren Teil ist sie versteckt, mal freigeweht. So etwas zu übersehen, kann Asche ehemaliger Vulkanausbrüche führendes Tal und meint in seinem fernten Hügel sichtbar. Die Umfah- eben und unsere Autos können so Die Ostseite des Erg Tifernine ist zu einem Unfall führen, wie ich befindet. Im östlich liegenden Berg- gebrochenen Französisch: „Pos- rung der Tifernine-Südspitze war schnell fahren wie wir. Mit bis zu voll von Steinwerkzeugen. Auf einer ihn hier einst erleben musste. Ein zug Djebel Mellene sind die Krater noch gut zu sehen. Gerät man im Wadi in eine der vielen bis knietief mit Asche gefüllten Senken, heißt es Vollgas, um nicht steckenzublei- ben. Denn dann sind Atemnot und ein verstopfter Luftfilter unvermeid- lich. Selbst dort, wo unsere Sandau- tobahn verläuft, brechen die Räder unserer Enduros immer wieder in den Untergrund ein, erzeugen explo- sionsartig aufsteigende Staubwol-

INFO

lgerien-Reisen sind nur mit einhei- Amischen Führern gestattet. Das Unternehmen WÜSTENFAHRER REI- SEN THOMAS TROSSMANN (http:// www.wuestenfahrer.com) veranstal- tet seit über 30 Jahren Enduro-Grup- Wüsten-Camping: An perfekten penreisen dorthin, seit 2019 auch wie- Lagerplätzen herrscht kein Mangel der auf der legendären „Gräberpiste“.

Wüsten-Experten: Tuareg-Guides lassen sicher und entspannt reisen Wüsten-Teamwork: Suche nach Akazienstacheln

76 ENDURO ENDURO 77 REISE

ken. Doch volle Power hilft. Schlim- Pistentraße der „Gräberpiste“ unse- liegenden christlichen und musli- mer ist es für unsere Begleitautos. re Fahrtrichtung kreuzen – wenn sie mischen Friedhöfe. Sie legen an solchen Stellen gera- in den 18 Jahren seit meiner letzten Die Sonne steht schon tief, als wir Wüsten-Garten: Die Wurzel- dezu Vollbremsungen hin, werden Fahrt nicht vom Sand verschlungen über die mit Steinmännchen mar- hügel uralter Tamarisken auch noch von ihren Staubwolken wurde. kierte kaum mehr als autobreite und eingeholt – weshalb die hellbraunen Ist sie nicht, denn ein am Hori- an besonders sandigen Stellen mit Toyota bald wie algerische Kran- ziont vor mir auftauchender dunk- fußballgroßen Felsbrocken gepflas- kenwagen aussehen. Auch unsere ler Streifen entpuppt sich als der terte Pistentraße in Richtung Süden „Indianer“ haben ihre natürliche von französischen Soldaten in den fahren, erst über das Nord-ende des Bräune verloren, denn die Fenster 1940er Jahren erbaute Damm, auf Mellene-Bergzugs, dann hinunter in sind schon lange nicht mehr dicht dem die Kolonial-Route zwischen die Ebene zwischen seinem Ostrand und lassen den hellen Staub durch. Fort Flatters – dem heutigen Bordj und den Ausläufern des Erg Issa- Dort wo der Erg Tifernine dem Omar Driss – und unserer Positi- ouane. Mein Vorschlag, gleich dort Erg Issaouane „entspringt“ – 130 Ki- on den Erg Issaouane durchquert. auf einer riesigen, aber flach an- Wüsten-Pause: lometer seit seiner Südspitze – dre- Sie tut das an der mit knapp 30 Dü- steigenden Düne zu übernachten – Ganz entspannt im hen wir von der bisherigen Nordrich- nen-Kilometern schmalsten Stelle am 31. Dezember 1999 feierten wir Dünensand tung nach Osten ab. Bald muss die des 500 mal 400 Kilometer großen dort das Millennium-Silvester – wird Dünenmeers und verkürzt die Fahrt von Mohamed nicht für gut befun- nach Fort de Polignac, der heutigen den. Er fährt vor. Zehn Kilometer Großstadt Illizi, gegenüber der um weiter biegt er links ab. Über steini- den Erg herumführenden inzwi- ges und zerklüftetes Gelände geht schen geteerten Strecke von 650 es in den nun schon weit entfernten auf 400 Kilometer. Erg Issaouane. Ich verstehe: Moha- Diese und andere Dünen-Pas- med will keine Spuren hinterlassen. sagen der „Gräberpiste“ wurden Vorher hätte ein Blinder sie auf der damals mit Strohballen und Fels- sandigen Ebene zwischen „Gräber- brocken befestigt. Dass der Wüs- piste“ und unserem Lagerplatz auf tenwind an diesen Wällen rasch der „Millennium-Düne“ gesehen. neue Sandberge auftürmt, hatten Das von Mohamed gewählte die kolonialen Straßenbauer nicht Camp liegt über fünf Kilometer öst- bedacht. Ihren Spitzamen erhielt lich der Piste, ebenso schön wie die über ein Jahrzehnt von Tuareg versteckt in einem Dünenkessel. und französischen Besatzern um- Dort angekommen, erklärt mir unser kämpfte Strecke von den ersten Guide, dass man in dieser Gegend in Wüsten-Touristen wegen der an ihr punkto Lagerplatz auch heute noch

auf Nummer Sicher gehen sollte. diktatorische Regierung. Sie be- Dem Vernehmen nach war in 2003 wäre es nicht zur Entführung fürchteten natürlich, dass die vier einigen Fällen nicht Lösegeldzah- Wüste Wege: Auf Enduros von Touristen gekommen, meint Motorradfahrer am nächsten Mi- lung der Grund dafür, sondern das Fahrspaß pur er auch noch, wenn schon damals litär-Checkpoint von ihrer Begeg- „Stockholm-Syndrom“, die Ent- Führerpflicht bestanden hätte. Da nung auf der Gräberpiste berichten wicklung einer Art Freundschaft ist was dran, denn ein Guide hätte könnten. Ihre Gefangennahme war zwischen Entführten und Entfüh- die vier Motorradfahrer, die als Erste die Folge. rern. Die Entführungen von 2003 gekidnapped wurden, auch nur au- Ihr Kommandeur, der für zahl- brachten jedenfalls den Tourismus ßer Sichtweite der „Gräberpiste“ reiche Angriffe auf Militär-Stütz- komplett zum Erliegen. campieren lassen. punkte und Terror-Akte in nordal- Auch ich fuhr erst 2006 wieder Zwei Tage vorher hatten damals gerischen Städten verantwortliche in die algerische Sahara – als sich meine Reisegruppe und ich die Ex-General Moktar-bel-Moktar, die Machtverhältnisse langsam in Pechvögel auf dem Campingplatz beauftragte an den folgenden Richtung Demokratie zu entwickeln des Städtchens Djanet getroffen. Tagen weitere sich in der Region schienen und es selbst in der Haupt- Erst viel später erfuhren wir, was versteckende Guerrilla-Einheiten, stadt nur noch selten zu Bombenan- ihnen passiert war: Am Lagerfeuer alle ihnen begegnenden Touristen schlägen kam. Die für touristische neben ihrem Biwak sitzend, sahen zu kidnappen. Und von denen gab Reisen nun geltende Führerpflicht sie in der Dunkelheit Autoschein- es 2003 in der algerischen Sahara änderte für mich nichts, da ich das werfer auf sich zukommen. Als viele. Denn obwohl es schon seit Land schon seit langem mit Einhei- schließlich mehrere Geländewagen den 70er Jahren immer wieder zu mischen bereiste. Wegen der damit bei ihnen stoppten, war rasch klar, Überfällen auf Touristen gekommen verbundenen Kosten blieb die Zahl dass es sich bei den Bewaffneten war, boomte der Sahara-Tourismus der nach 2006 wieder in die alge- nicht um Militär oder Zoll handelte – geradezu. Die vier Motorradfahrer rische Sahara Reisenden jedoch bis beide Institutionen suchen manch- wurden erst am Ende einer Mo- heute gering. Die Zeiten, als man in mal nachts nach Schmugglern oder nate dauernden Odyssee von der Algerien Billigurlaub machen konn- Flüchtlingen. deutschen Regierung freigekauft. te, waren vorbei. Dabei ist es mit Es waren damals Guerillas, Andere Touristen waren schneller Geld gar nicht zu bezahlen, einen Rebellen gegen die korrupte und wieder zuhause. ehemaligen Tuareg-Kämpfer als

78 ENDURO ENDURO 79 REISE

Guide zu haben, statt von ihm über- mir organisierten Enduro-Gruppen- wie Al-Kaida, Boko Haram und IS, ersten Tag des neuen Jahrtausends war der Zustand des Verunglückten, Dass der damit Beglückte sich fallen zu werden. reisen durch Algerien betreut hatte. würde ich mich natürlich nicht mehr drei Motorradfahrer getroffen – ei- der zwar ansprechbar, aber ohne Er- 18 Jahre später bei mir als Assi- Sarkasmus beiseite: Natürlich Für den Mali-Teil der neuen Reise in diese Gebiete wagen. ner davon beschäftigt mit der Repa- innerung an seinen Sturz war. stent für eine Reise nach Westaf- macht ein guter, also renommierter hatte er vorsichtshalber zwei Mit- Am folgenden Vormittag er- ratur seines kaputten Hinterreifens. Mein Anruf beim Rettungsdienst rika bewerben würde, hätte ich da- und einflussreicher Guide eine Wüs- glieder der Azayat-Miliz engagiert. wischt mich nicht weit von dem auf Es stellte sich heraus, dass wir des ADAC – damals nur per Satel- mals genauso wenig erwartet wie tenreise denkbar sicher. Nicht, weil Damals war diese Tuareg-Orga- unserer jetzigen Reise von Moha- indirekt am Tag vor unserer Millen- litentelefon möglich – ergab zum auf dieser Reise dann im Februar er die für Touristen typischen Fehler nisation nur eine Art Sahara-Bür- med ausgewählten Dünen-Camp – nium-Party mit ihnen zu tun hatten. Glück, dass man von dem Verletzten 2019 die Erkenntnis, dass er dies verhindert – das könnte selbst ein gerwehr, heute gilt sie wegen ihrer an der winzigen Oase Hassi Tabel- Auf dem Weg zum nördlichen Ein- bereits wisse und gerade Vorberei- nur getan hat, um sich und sein Mo- Tuareg-Schulkind – sondern weil er Duldung islamistischer Kämpfer im balet – ein weiteres, nicht beson- stieg der „Gräberpiste“ hatte man tungen treffe, ihn auszufliegen. Die torrad günstig und bequem nach erstens weiß, welche Regionen nicht Gebiet nördlich von Timbuktu selbst ders angenehmes „Déjà-vu“. Der uns am rund 50 Kilometer von hier Dreiergruppe von Hassi Tabelbalet Senegal zu bekommen. Das erkann- sicher sind und zweitens für ohne als Terror-Organisation. Brunnen mit seiner Tiertränke und entfernten Militär-Checkpoint auf- war vorgestern also noch eine te ich erst, als er sich im Senegal einheimische Begleitung Reisende Für die Durchquerung der „hei- einigen Palmen sieht aus wie bei gefordert, im Krankenhaus der Ka- Vierergruppe. Wir konnten nicht ver- absetzte. „kritische“ Begegnungen zu harm- ßeren“ Regionen der nigerischen meiner letzten Fahrt hierher. Das serne Bordj Omar Driss einen deut- stehen, dass sie ihren verunglückten Auf unserer Algerien-Reise läuft losen, oft angenehmen, zumindest Sahara hatte ich einen mir von zwei große Eisenkreuz, das den kleinen schen Motorradfahrer zu besuchen. Mitreisenden alleine zurückgelas- hingegen bis zu ihrem Ende alles interessanten macht. früheren Ténéré-Durchquerungen christlichen Friedhof überragte, ist So trostlos wie das heruntergekom- sen hatten. Ein Reserve-Reifen aus weiterhin problemlos, harmonisch So wie auf der außergewöhn- bekannten Targui – einer der füh- nicht mehr da. Hier hatten wir am mene Armee-Hospital, so schlecht unserem Begleit-Truck half weiter. und lustig ab. Seit Beginn genieße lichsten Reise, die ich je in der Saha- ich es, mit einem coolen Team aus ra durchgeführt habe – ich nannte tollen Endurofahrern unterwegs zu sie damals „Tam-Timbuktu-Ténéré“. sein. Als wir auf dem letzten, dicht Im Dezember 2001 und Januar 2002 besiedelten Abschnitt der einstigen fuhren wir mit einem Dutzend En- „Gräberpiste“ auf eine Teerstraße duros und zwei Begleitautos durch stoßen – 100 Kilometer vor der Regionen der Staaten Algerien, Mali Stadt Illizi – ist es daher nicht leicht, und Niger, die als Rebellen-Gebiet die Melancholie zu unterdrücken, galten und es bis heute noch sind: die jeden vor dem nun anstehenden Von der algerischen Stadt Taman- Heimflug beschleicht. rasset nach Nordwest-Mali und von Einziger Trost: Nach einer Saha- dort auf der Karawanen-Route nach ra-Reise ist vor einer Sahara-Reise. Timbuktu war der erste nicht ganz Thomas Troßmann „hasenreine“ Abschnitt, durch das Air-Gebirge und die Ténéré-Wüste Fotos: Forberg, Ludowici, Neunteufel, Troßmann Neunteufel, Forberg, Ludowici, Fotos: Wüsten-Tod: In der Sahara Wüsten-Friedhof: An der „Gräberpiste“ allgegenwärtig

Wüsten-Autobahn: Zwischen Erg Tifernine und Oued Mellene

zurück nach Südost-Algerien der renden Köpfe der Tuareg-Rebellion zweite. Unser damaliger die Reise im Niger – gebeten, unsere Reise Wüsten-Highway: Einzig das betreuender Guide war ein in der zurück nach Südost-Algerien zu be- Oued Tahaft ermöglicht die Fahrt algerischen und malischen Sahara treuen und zu begleiten. Seit 2015, durch das Tassili N‘Ajjer angesehener und einflussreicher in Zeiten so unfassbar brutaler und Targui, der schon mehrere der von fanatischer Terror-Organisationen

80 ENDURO ENDURO 81