Ostavame. Bulgarien. Wir Bleiben
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Ostavame Bulgarien. Wir bleiben. Eine Liebeserklärung in 12 Geschichten Erinnerungen an das Essen rund um den kommunistischen Alltag Bulgariens. Ana Iankova Diplomarbeit, schriftlich Sommersemester 2017 Universität für angewandte Kunst Wien Institut für Design, Grafik Design Univ. Prof. Oliver Kartak Betreuung Univ. Prof. Oliver Kartak Mag. Katharina Uschan Mag. Sabine Dreher Inhalt persönliche Motivation und Hintergrund 3-6 Exkurs über Bulgarien 7-11 Auszug aus dem Buch 12-17 Konzept 18-19 Gestaltung 20-26 Titel 27 Resümee 28 3 Persönliche Motivation und Hintergrund Ich wurde in Bulgarien geboren. Ich trage einen typisch bulgarischen Nachnamen und werde beim Einreisen ins Land stets auf bulgarisch angesprochen. Leider spreche ich die Sprache nicht einmal ansatzweise. So sind die Grenzposten beim Einreisen ins Land stets verblüfft, wenn ich als in Sofia geborene Iankova, ihnen mit keinem Wort antworten kann. Das war nicht immer so. Mit vier Jahren lebte ich in Bulgarien und konnte die Sprache wunder- bar sprechen. Danach zog ich mit meiner Familie nach Österreich. Innerhalb weniger Monate habe ich perfekt Deutsch gelernt - Bulgarisch aber gänzlich vergessen. Es gibt Kassettenaufzeichungen von mir, in denen ich bulga- rische Gedichte rezitiere und Lieder singe. Ich höre meine Stimme und habe nicht die leiseste Ahnung, was ich da sage. Meine bulgarische Herkunft ist also nur am Papier. Ich fühle mich nicht als Bulgarin. Ich habe auch keine spezifischen Erinnerungen daran. Die einzigen Momen- te, die mich instinktiv an das Land, meine Kindheit und meine Wurzeln denken lassen, sind, wenn ich spezifische Gerüche, meist von einem Lebensmittel oder Gericht stammend, rieche. Diese frühkindlichen Erfahrungen sind so tief in meinem Gedächtnis geprägt, dass sie anders als die Sprache, nicht gelöscht werden konnten. Aus meiner eigenen Situation ausgehend, habe ich an- dere Menschen, die früher in Bulgarien gelebt haben, gefragt, ob es bestimmte Gerüche gibt, die sie an ihre ursprüngliche Heimat denken lassen. Und siehe da, nicht nur, dass alle von mir angesprochenen solche Gerüche kennen, es sind interessanterweise Gerüche, die gleich- sam als „Spezialitäten“ des Landes gelten bzw. nur in 4 Bulgarien vorkommen. Und das ist vermutlich nicht unge- wöhnlich: Dinge, die überall auf der Welt verfügbar sind, werden sich kaum als Besonderheiten eines Landes ein- prägen. Bulgarien ist ein kleines, aufgrund seiner Geschichte, für viele Jahre „verschlossenes“ Land gewesen - etwas, das für alle kommunistischen Länder gilt. Das Volk be- saß nichts. Oder das Volk besaß alles. Je nachdem wie man es nimmt. Aber es besaßen jedenfalls alle das Selbe. Was sich für viele nach kommunistischem Klischee anhö- ren mag, es war tatsächlich so: der Müllmann verdiente gleich viel wie die Ärztin. Importware gab es nicht. Man musste im Leben mit den Dingen auskommen, die am hei- mischen Markt angeboten wurden. Das galt für Gegen- stände gleichermaßen wie für Essen. Dieses Essen und diese Gegenstände haben sich als All- tagsmythen tief ins kollektive Gedächntnis aller Generati- onen gebrannt, die im kommunistischen Bulgarien aufge- wachsen sind. Es gab eine Sorte Brot - Weißbrot, eine Sorte weißen Käse - Schafskäse, eine Sorte gelben Käse - Kashkaval, eine Sorte Trockenwurst - Lukanka. Einflüsse aus dem Ausland gab es kaum. Es war nicht en vogue Pasta, Indisch oder Steak zu essen. Man hatte die heimische Produktion und kochte so zu sagen „im eigenen Saft“. Das änderte sich selbstverständlich mit der Öffnung des eisernen Vorhangs 1989 - nach und nach siedelten sich westliche Geschäfte an, die natürlich die bulgarische Küche nachhhaltig veränderten. 5 Das Land Bulgarien wird in der vorliegende Arbeit an- hand von persönlichen Einzelgeschichten, von Bulgar- innen und Bulgaren, die ihre Heimat verlassen haben, gezeichnet. So individuell diese Geschichten sind, zeich- nen sie dennoch in ihrer Gesamtheit eine kollektive Erin- nerungsform und repräsentieren eine Bevölkerung, die im bulgarischen Kommunismus aufwuchs. Bulgaren werden die Arbeit anders wahrnehmen, als Menschen, die nicht innerhalb der Landesgrenzen ge- wohnt haben. Bei Bulgaren wird die naturalisierende Wirkung mit Hilfe der Trigger Geruch und Geschmack Alltagsmythen ihrer Vergangenheit hervorkehren. Sie wer- den sich sofort in die erzählte Situation hinein versetzen und mit ihren persönlichen Erfahrungen in Verbindung bringen. Bei nicht-Bulgaren hingegen ist es ein Heranführen an eine neue Kultur. Durch intime und individuelle Geschich- ten wird man zum „Insider“, man lernt Bulgarien kennen, wie man es als Tourist nie würde. Das Buch ist viel mehr als nur ein Tour Guide, der auf Sehenswürdigkeiten verweist. Es vermittelt Kultur in ihrer puren Form - wie sie ein Ein- heimischer erlebt. Die Geschichten sind bewusst persönlich geschrieben, beinahe wie Tagebucheintragungen zeigen sie intime Ein- blicke einer Jederfrau oder Jedermanns. Dabei behan- deln sie meist alltägliche Situationen, die sich zwischen Nostalgie, Information und Essenzen von subjektiven Erinnerungen bewegen. Es finden sich darin Erzählungen zur bulgarischen Traditionen sowie Essensgewohn- und Eigenheiten. 6 Ich habe alle meine bulgarischen Kontakte, die Bulga- rien verlassen haben, kontaktiert und um ihre persönli- chen Geschichten und Erinnerungen zum Thema Essen gebeten. Gleichzeitig haben sie mich auch an weitere Kontakte verwiesen. So habe ich zahlreiche Geschichten zusammengetragen und die besten für dieses Buch aus- gewählt. Zum Teil führten zahlreiche Treffen und Telefo- nate zu Geschichtsfragmenten, die ich zu einer einheti- lichen Geschichte verbunden habe. Teilweise hatten die von mir angesprochenen Personen aber auch sehr viel Freude daran ihre Geschichte selbst zu schreiben. Man kann beim Lesen nachempfinden, wie sie in Erinnerungen schwelgen. Natürlich wird das Buch für „Exilbulgarinnen und -Bulga- ren“ wohl am interessantesten zu lesen sein. Es ist aber gut möglich, dass ihre Partnerinnen und Partner, Freunde und Bekannte Manches vielleicht durch die Einblicke in dieses Buch besser verstehen. Interessanterweise kamen bei den Erzählungen meiner Interviewparterinnen und Partner immer wieder die glei- chen Dinge vor. Immer öfter habe ich Geschichten über besagte bulgarische „Spezialitäten“ gehört. Dabei waren die Erlebnisse zwar stets auf persönliche Weise beschrie- ben, verwiesen aber letztendlich auf die gleichen Produk- te und Gerichte. Die zehn für dieses Buch ausgewählten Geschichten und ihre glossarartigen Verweise fungieren so als eine Art Lexikon des bulgarischen Geschmacks und Geruchs, der bulgarischen Essenskultur und Tradition. 7 Exkurs über Bulgarien Historisches Das Territorium des heutigen Bulgarien war bereits in der Steinzeit durch die Thraker besiedelt. Unter Khan Aspa- ruch wurde das erste großbulgarische Reich gegründet, das 681 von Byzanz anerkannt wurde, was de facto Buga- rien zum ältesten Staat Europas macht. Es folgten unzähli- ge Aufstände gegen die byzantinische Herrschaft, die erst 1186 erfolgreich beendet wurden. Das Zweite Bulgarische Reich wurde gegründet, das bis 1393 bestand. Zu dieser Zeit stieg Bulgarien zur stärksten Macht am Balkan auf und es wurden die bis heute bedeutendsten Kirchen und Klöster des Landes errichtet. Mit dem Niedergang von Byzanz während der türkischen Eroberungen wurde allerdings auch Bulgarien Teil des erstarkenden Reichs der osmanischen Türken. Bulgarien geriet unter das Joch der Muselmanen und verlor seine Unabhängigkeit für über 500 Jahre. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Zer- setzung des osmanischen Staatswesens nicht mehr aufzu- halten. Das Reich bedurfte unverzüglicher Reformen, was der christlichen Bevölkerung gewisse Chancen bot. Um 1800 wurde sukzessive ein geistig-nationaler Widerstand mit der Forderung nach Unabhängigkeit eingeleitet. Eine späte nationale Wiedergeburt (Renaissance) wurde eingeleitet. Diese führte 1870 zur Errichtung einer selbst- ständigen nationalen Kirche und zum Erstarken bulgari- scher Bildung und Kultur. Das Erwachen des bulgarischen Geistes wird heute im Zusammenhang mit dem Erschei- nen der ersten „Slawisch-bulgarischen Geschichte“ von 8 Paisij Hilendarski aus dem Jahr 1762 gesehen. Das neu erstarkte Nationalgefühl spiegelte sich im Aprilaufstand von 1876 wider. Der Berliner Kongress errichtete das Fürstentum Bulga- rien als konstitutionelle Monarchie, das aber dem Sultan tributpflichtig blieb. Ferdinand von Sachsen-Coburg-Go- tha (bekannt als Ferdinand I.) setzte 1908 die formelle Unabhängigkeit Bulgariens durch und ließ sich zum Zaren krönen. Damit wurde Bulgarien zu einem rechtlich unab- hängigen Staat – zum Königreich Bulgarien. Nach den beiden Balkankriegen zu Beginn des 20. Jahr- hunderts, geriet das Lad in instabile Lage. Die militä- rischen Misserfolge und die Wirtschaftskrise nach den Niederlagen schufen Voraussetzungen für die Entwicklung linker und kommunistischer Bewegungen. Dies führte zu Gegenreaktionen, sodass die 20er und 30er Jahre eine Zeit sozialer Zusammenstöße und gesellschaft- licher Spannungen waren. Eine besonders blutige Zeit war die von Staatsstreichen, kommunistischen Erhebun- gen und Attentaten erfüllte Periode zwischen 1923 und 1925, die eine erbitterte Jagd auf alle linksorientierten Kräfte zur Folge hatte. Dies führte 1934 zum Verbot al- ler politischen Parteien und zur Alleinherrschaft von Zar Boris (Sohn von Zar Ferdinand), die in den dreißiger Jah- ren das Land einigermaßen stabilisierte. Im Zweiten Weltkrieg stand Bulgarien erneut an der Seite von Deutschland, konnte aber eine Beteiligung