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IV Vorwort Die vorliegende Ausgabe folgt dem Text der Über die Ursprünge der Serenade Nr. 2 Johannes Brahms Gesamtausgabe (Serie I/5, ist noch weniger bekannt als über die ihrer München, 2006 [= JBG I/5]). Näheres zur Vorgängerin. Obwohl Brahms sie zuerst Textgestaltung und Quellenlage sowie zur Julius Otto Grimm zeigte, ist sie besonders Entstehung, frühen Aufführungsgeschichte, eng verknüpft mit Clara Schumann, der er Rezeption und Publikation findet sich in der im Dezember 1858 den 1. Satz zusandte. Einleitung und im Kritischen Bericht des ge- Als Antwort erhielt er am 20. des Monats nannten Gesamtausgaben-Bandes. eine ausführliche Würdigung seiner Musik. Auf ihre Bitte um weitere Sätze ging er die * nächsten sechs Monate, während er die D- dur-Serenade und das d-moll-Klavierkon- Ähnlich wie ihre Vorgängerin, die Serena- zert vollendete, allerdings nicht ein; noch im de Nr. 1 in D-dur op. 11, wurde Johannes Juli 1859 arbeitete er an der Revision des Fi- Brahms’ Serenade Nr. 2 in A-dur op. 16 of- nalsatzes der A-dur-Serenade. Doch schließ- fenbar angeregt durch seine Zusammenar- lich sandte er ihr den langsamen Satz und beit mit dem Bläserensemble der Detmolder das Menuett mit Trio zu ihrem Geburtstag Hofkapelle und durch das Studium klas- am 13. September. Besonders angetan war sischer Orchestrierung während der drei Clara vom Adagio: „Das ganze Stück hat et- Jahre, in denen Brahms am Detmolder Hof was Kirchliches, es könnte ein Eleison sein“ als Lehrer und Dirigent tätig war (Herbst (Clara Schumann – Johannes Brahms. 1857 – 59/60). Obwohl die Serenade in A-dur Briefe aus den Jahren 1853 – 1896, Bd. 1, wie ihr Schwesterwerk eine problematische Leipzig 1927, S. 278, 18. September 1859). Entwicklung nehmen sollte, waren das ers- Vielleicht war es die langsame Entwicklung te Konzept und seine Ausarbeitung sehr viel des gesamten Werks – für das keine autogra- geradliniger. Anscheinend hatte Brahms aus phen Quellen erhalten sind – , die Brahms den Erfahrungen mit den formalen und sti- veranlasste, zur Entstehungszeit in seinem listischen Problemen der D-dur-Serenade, Notizbuch „1859 – erschienen Winter 1860“ besonders im 1. Satz, unmittelbaren Nut- festzuhalten (Alfred Orel, Ein eigenhändiges zen gezogen. Dieses Mal konzipierte er die Werkverzeichnis von Johannes Brahms. Ein Partitur von Anfang an für ein klassisches wichtiger Beitrag zur Brahmsforschung, in: Bläserensemble mit je zwei Flöten, Oboen, Die Musik, Jg. XXIX/2, 1937, S. 529 – 541, Klarinetten, Fagotten und Hörnern sowie hier S. 531); noch bis zur Uraufführung im Streichern ohne Violinen. Damit rückte er Februar 1860 setzte er seine Arbeit an der die Komposition näher an Mozarts Bläserse- A-dur-Serenade fort. renaden (von denen Joseph Joachim ihm im Im Rückblick erschien Brahms der Ab- April 1858 einige geschickt hatte; Brahms- schluss seiner Serenade Nr. 2 als zu schnell. Briefwechsel V, S. 210) als an die Sinfonien Ab 1873 erwog er eine vollständig revidierte Haydns, mit denen die 1. Serenade verbun- Ausgabe, die dann zwischen Ende Oktober den ist. So entstand ein sehr viel kompak- und dem 8. November 1875 unter dem Ti- teres und stilistisch einheitlicheres Werk in tel „Neue, vom Autor revidirte Ausgabe“ fünf Sätzen, das nur ein Scherzo und einen auch erscheinen sollte. Die Überarbeitung mit „Quasi Menuetto“ bezeichneten Satz umfasst umfangreiche Änderungen der dy- aufweist. Beide flankieren den ausdrucks- namischen Bezeichnung in allen Sätzen so- vollen Mittelsatz Adagio non troppo, der das wie im 1. Satz eine neue Spielanweisung zur emotionale Herzstück des Werks bildet. Pizzicato-Passage, die nun explizit von allen HN_9858_Vorwort.indd 4 18.12.2012 13:25:41 V Spielern non divisi und pizzicato arpeggian- (Hamburger Nachrichten, Nr. 37, 13. Feb- do auszuführen ist. Diese revidierte Fassung ruar 1860, S. 1). wird in der vorliegenden Edition wiederge- Dennoch sollte es Jahre dauern, bis die geben. Serenade im Repertoire fest verankert war, und dieser Prozess belegt den Widerstand, In den ersten Jahren erfuhr die A-dur-Sere- gegen den Brahms sich das Publikum für nade weniger Aufführungen als die D-dur- sein Werk gleichsam erst schaffen muss- Serenade. Ihre ungewöhnliche Besetzung te. Nur eine weitere Aufführung folgte der und die Verbindung klassischer Floskeln mit Uraufführung im Jahr 1860: im jährlichen komplexer motivisch-thematischer Arbeit er- Gewandhauskonzert zugunsten des Orches- schwerte Musikern wie Publikum den Zu- ter-Pensionsfonds am 26. November. Es gang. Die sehr reservierten Reaktionen auf wurde von Carl Reinecke geleitet, aber vor das d-moll-Konzert im Jahr zuvor (1859), allem unterstützt vom Konzertmeister des gefolgt von den gemischten Rezensionen der Orchesters, Ferdinand David; dieser wollte 1. Serenade, waren ebenfalls nicht hilfreich. die Brahms-Serenade zusammen mit Joa- Immerhin setzte sich Brahms aktiver für chims kurz zuvor entstandenem Violinkon- die 2. Serenade ein, indem er die Urauffüh- zert in ungarischer Weise zum ersten Mal rung am 10. Februar 1860 in einem privaten in Leipzig aufführen (Brahms-Briefwechsel Konzert der Hamburger Philharmoniker V, S. 290, 8. Oktober 1860). Der Kritiker in im Großen Wörmschen Concertsaal selbst Signale für die musikalische Welt (Jg. 18, dirigierte. Die Größe des Orchesters bei Nr. 49, 29. November 1860, S. 604) beton- dieser Aufführung geht aus einem Brief von te in seiner sehr abfälligen Rezension die Brahms an Joachim hervor: Brahms schlägt Länge und Komplexität der Serenade und darin sechs Bratschen, vier Celli und zwei bezeichnete sie als „ein zähes, ewig zwischen Kontrabässe vor und bittet Joachim um Rat, Wollen and Nichtkönnen umherschwanken- wie die Musiker am besten anzuordnen sei- des, und vor allen Dingen urlangweiliges en (Brahms-Briefwechsel V, S. 258, [31. Ja- Product. Die Erfindung darin ist mager und nuar 1860]). Joachim empfahl daraufhin, dürftig, und die Arbeit macht verzweifelte die Bratschen links, Celli und Bässe rechts Anstrengungen, um polyphon und gelehrt vom Dirigenten zu setzen, links hinter den zu erscheinen – es bleibt aber leider nur bei Bratschen Flöten, Oboen und Klarinetten, den Anstrengungen und Anläufen“. Andere die Fagotte und Hörner rechts hinter den Rezensionen mit eher analytischem Charak- tiefen Streichern (Brahms-Briefwechsel V, ter stellten eingehendere Untersuchungen S. 261 f., [Anfang Februar 1860]). Im selben der kompositorischen Leistungen an. Carl Programm spielte Joachim Beethovens Vio- von Noorden beobachtete in der Deutschen linkonzert, anschließend trat Brahms selbst Musik-Zeitung (Jg. 2, Nr. 15, 13. April 1861, als Solist in Schumanns Klavierkonzert unter S. 117) neue Qualitäten in Brahms’ Schaf- der Leitung von Julius Stockhausen auf. Am fen, und zwar „die reizende Einfachheit der 30. April 1861 dirigierte Brahms das Werk ganzen Behandlung, welche die zweite Se- in Hamburg ein zweites Mal selbst. Dieses renade so besonders auszeichnet, nicht nur persönliche Engagement war vorteilhaft für im Verhältnisse zu den früheren Arbeiten“, die frühen Aufführungen der Serenade. Wie und „die Präzision und Klarheit des Aus- bei der D-dur-Serenade konzentrierte sich drucks“. In derselben Zeitschrift erkannte auch hier die Kritik auf Gattungsfragen. Selmar Bagge in der Serenade seine Vision Ein Rezensent aus Hamburg kommentierte: eines modernen Werks, das den Ansprüchen „Unter seinen Serenaden hat man sich aber der Neudeutschen Schule entgegengesetzt keine Nachtständchen vorzustellen, sondern werden könne. Mit deutlichem Bezug auf ganze Szenen mit wechselnden Stimmungen“ andere Rezensionen des Werks verzeichnete HN_9858_Vorwort.indd 5 18.12.2012 13:25:41 VI er stilistische „Anklänge“, hielt jedoch fest, Tatsächlich hatten diese Eigenschaften – zu- dass dies „nicht im Sinn etwaiger Nachah- sammen mit hohen spieltechnischen Anfor- mung, sondern nur geistiger Verwandtschaft derungen – die Proben in Wien schon an den und Zusammengehörigkeit“ zu verstehen sei Rand einer Krise gebracht. Eine kleinere (Jg. 2, Nr. 6, 9. Februar 1861, S. 42 – 44, hier Rebellion der Bläser wegen ihrer schwieri- S. 43). gen Partien konnte durch den Dirigenten In Europa gab es im Jahr 1862 keine wei- Dessoff gerade noch abgewendet werden, teren Aufführungen. Vielmehr war es die der Konzertmeister Joseph Hellmesberger Philharmonic Society in New York, die die und der erste Flötist Franz Doppler drohten einzige Aufführung in diesem Jahr spielte, mit Rücktritt. am 1. Februar 1862 unter Carl Bergmann. Besondere Beachtung fand die Serena- Dieser verfolgte Brahms’ Entwicklung inter- de in der Schweiz, angeregt durch Brahms’ essiert, seit er am 27. Februar 1855 das Kla- Freund Theodor Kirchner, einen Schu- viertrio H-dur op. 8 (mit Theodor Thomas, mann-Schüler. Unter dessen Dirigat erklang Violine, und William Mason, Klavier) in New sie in Basel am 22. April 1863, in der nächs- York musiziert hatte. ten Saison am 20. November 1863 und im Die Wiener Premiere am 8. März 1863 November 1867 sowie im Sommer 1869 in durch das Philharmonische Orchester unter Zürich. Brahms selbst feierte einen ersten Otto Dessoff setzte das Werk einer breiteren großen Erfolg bei einem enthusiastisch auf- Kritik aus. Wie die Aufführung der D-dur- genommenen Konzert mit dem hoch enga- Serenade im November des Vorjahres war giert spielenden Kurorchester in Baden-Ba- auch dieses Konzert eine Folge der Auf- den am 29. August 1872. In London erklang merksamkeit, die Brahms durch sein Wie- die Serenade zum ersten Mal am 29. Juni ner Debüt im September 1862 geweckt hatte. 1874 im Abschlusskonzert der Saison der Hanslick verglich