Autorinnen und Autoren

Mark Aretz, Architekt, Leipzig ([email protected]) Hauptmann Dipl.-Pol. Christian Becker, Ba�eriechef 5./Panzerartillerie- bataillon 215, Augustdorf ([email protected]) Das deutsche Interesse an Usbekistan und damit das Bild dieses Wegweiser zur Geschichte Dr. Falk Bomsdorf, Friedrich-Naumann-Sti�ung, Moskau Landes sind stark beeinflusst durch die Ereignisse in Afghanistan. ([email protected]) Spezielles Augenmerk gilt der Haltung der usbekischen Regie- Dr. Klaus Brinkmann, Bundesanstalt für Geowissenscha�en und Rohstoffe rung gegenüber dem laufenden Einsatz der International Security (BGR), Hannover ([email protected]) Assistance Force (ISAF) und insbesondere zum Betrieb des Stra- Dr. Bernhard Chiari (bc), Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam tegischen Lufttransportstützpunktes im usbekischen Termes. ([email protected]) Imke Dierßen M.A., amnesty international, Berlin Der »Wegweiser zur Geschichte: Usbekistan« ermöglicht einen ([email protected]) Blick aus anderer Perspektive. 19 Autoren beschreiben Geschichte Dr. Ma�eo Fumagalli, Institut für Internationale Beziehungen und und Kultur des Landes als Teil Zentralasiens und damit die rei- Europäische Studien, Central European University, Budapest chen und vielfältigen Traditionen eines Kulturkreises, der bis zum (ma�[email protected]) Ende der Sowjetunion für Europäer nur schwer zugänglich war Richard Göbelt M.A., Deutscher Bundestag, Berlin ([email protected]) und nach dem Ende der UdSSR erst langsam in den Blick der Prof. Dr. Ulrike Grote, Institut für Umweltökonomik und Welthandel, europäischen Politik rückte. Usbekistan beansprucht heute eine Universität Hannover ([email protected]) Schlüsselrolle innerhalb Zentralasiens und versteht es geschickt, Dr. Uwe Halbach, Sti�ung Wissenscha� und Politik, Berlin ([email protected]) die teils entgegengesetzten Interessen des in der Region do- Dr. Anne�e Krämer, Islam- und Politikwissenscha�lerin, Berlin minierenden Russlands, aber auch Chinas, der USA oder der (anne�[email protected]) Europäischen Union für eigene Ziele zu nutzen. Die usbekische Dipl.-Pol. Bernd Kuzmits, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn Führung unter Präsident Islam Karimow versucht, an eine vorso- ([email protected]) wjetische nationale Identität anzuknüpfen, doch zeigt dieser Band Dr. John P.A. Lamers, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn ebenso, wie stark in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und regio- ([email protected]) nalen Netzwerken die Prägungen und Strukturen der Sowjetzeit PhD Marlène Laruelle, Centre d`études des mondes russe, caucasien et centre-européen, Paris ([email protected]) weiter fort wirken. Zahlreiche Karten, lexikalische Begriffserklä- Prof. Dr. Loretana de Libero, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam rungen im Text sowie der umfangreiche Anhang mit Zeitstrahl, ([email protected]) einer Auflistung wichtiger Feiertage, Literatur- und Filmtipps und PD Dr. Christopher Martius, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn einem Register helfen bei der raschen Orientierung.

([email protected]) Usbekistan Usbekistan Dr. Anna Matwejewa, Crisis States Research Centre, London School of Economics, London ([email protected]) Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam ([email protected]) Hauptmann Magnus Pahl M.A. (mp), Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam ([email protected]) Dipl.-Geologe Hilmar Rempel, Bundesanstalt für Geowissenscha�en und Rohstoffe (BGR), Hannover ([email protected]) Dr. Martin Rink, Historiker, Potsdam ([email protected]) Dr. Simone Röhling, Bundesanstalt für Geowissenscha�en und Rohstoffe (BGR), Hannover ([email protected]) Dr. Inna Rudenko, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn ([email protected]) Dipl.-Ing. Sandor Schmidt, Bundesanstalt für Geowissenscha�en und Rohstoffe (BGR), Hannover ([email protected]) Dr. Andrea Schmitz, Sti�ung Wissenscha� und Politik (SWP), Berlin ([email protected]) Dr. Ulrich Schwarz-Schampera, Bundesanstalt für Geowissenscha�en und Eine Publikation des Rohstoffe (BGR), Hannover ([email protected]) Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zur Geschichte Wegweiser Dr. Jenniver Sehring, Institut für Politikwissenscha� und Sozialforschung, Universität Würzburg ([email protected]) im Verlag Ferdinand Schöningh MGFA Erinnerungsorte

Aralsee Balchasch- Syrdarja see

Kysylorda

KASACHSTAN

S Karakalpakistan y rd a r ja

Taras Ti e n - 751 Talas 1 Sarykamysch- Nukus N a w o i 4 494 m s h a n see Schymkent KI R GISISTAN Uchquduq

Daschchowus

Urgentsch Choresm Tujamujun- Tschardara- V Chiwa Stausee Dschalal- Stausee Abad 2 8 TASCHKENT Namangan USBEKISTAN 714, 1865 Nam. arja yrd Andischan S l And. Taschkent Ta 9 Aidarkul F.- Ferg. 11 Fergana Osch B u c h a r a 1875 Kokand 2 165 m Gulistan 10 Sirdaryo Nam. =Namangan And. =Andischan Gadschdiwan 712, Dschisak Chodschent Ferg. =Fergana Gasli 1512 1141, 7 F.-Tal=Fergana- Nawoi 1220, D s c h i s a k Tal 3 1868 Buchara S a m a r k a n d TURK MENISTAN 6 P 709, 955, 999, 1220, Alai-Gebirge a 7 495 m 1538, 1740, Khazret Sultan Turkmenabad 1866 12 TADSCHIKISTAN m 4 Schachr-i 4 643 m Karchi Sabs DUSCHANBE i A m u r d a Qashqadaryo rja ASCHCHABAD Kuljab Surxondaryo

Merw Anregungen, Nachfragen und Kritik richten Sie bitte an: Mary Karakum- Dandanaqan ndsch Kanal 5 ja 1040 P Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) IRA N Termes Modul Einsatzunterstützung 0 100 200 km AN Dr. Bernhard Chiari IST AFG H ANISTAN AK Zeppelinstraße 127/128 P 14471 Potsdam Zeichenerklärung Höhenschichten Schlachten (mit Jahresangaben) Deutscher Stützpunkt Staatsgrenze Fernstraße unter 0 m Telefon (0331) 9714 550 0 – 100 m 100 – 200 m Konfliktregionen 3 Historische Städte mit hohem ethnografischen Bezug Provinzgrenze Fluss, periodisch BwKz (90) 8529 550 200 – 500 m Fax (0331) 9714 507 500 – 1 000 m Terroristische Anschläge/Massaker seit 1989 »Brücke der Freundschaft« Nawoi Provinz Salzsee 1 000 – 1 500 m E-Mail [email protected] 1 500 – 2 000 m V Vertrag von Taschkent Verlauf der Seidenstraße im Mittelalter Hauptstadt Staudamm 2 000 – 3 000 m www.mgfa.de (auch im Intranet Bw) zur Beendigung des Kaschmir-Krieges, 3 000 – 4 000 m 3./4.7.1965 Ruinen von Merw (Oasenstadt und wichtiger Sitz der Provinzverwaltung Internationaler Flugplatz über 4 000 m © MGFA Knotenpunkt an der Seidenstraße) 05939-04 Wegweiser zur Geschichte Usbekistan

Im Au�rag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Bernhard Chiari und Magnus Pahl

FERDINAND SCHÖNINGH 2009 Paderborn • München • Wien • Zürich Umschlagabbildung: Usbekischer Mann vor der Miri-arab-Medrese in Buchara (picture-alliance/Picture Press)

Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über h� p://dnb.d-nb.de abru� ar.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier ISO ∞ 9706

© 2009 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.schoeningh.de

Redaktion und Projektkoordination: Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam, Schri� leitung, in Kooperation mit der Zeitschri� Satz: Antje Lorenz Kartenbearbeitung: Daniela Heinicke, Bernd Nogli Layout: Maurice Woynoski Lektorat und Bildredation: Knud Neuhoff (Berlin)

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile sind urheber- rechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schri� liche Zustimmung des Verlages nicht zulässig.

Printed in Germany Herstellung: SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden

ISBN: 978-3-506-76880-3 Inhalt

Vorwort 7 Einleitung 9 I. Historische Entwicklungen Usbekistan in der Antike 17 Loretana de Libero

Die Reiche Zentralasiens bis zur Eroberung durch Russland 21 Martin Rink

Zentralasien im Zarenreich 35 Bernhard Chiari

Operationen auf der Seidenstraße? Usbekistan im deutschen militärischen Kalkül während der Weltkriege 51 Rolf-Dieter Müller

Das Erbe der Sowjetunion – Kontinuitäten und Brüche 63 Uwe Halbach

Wiedergeburt per Dekret – Nationsbildung in Zentralasien 83 Marlène Laruelle

Usbekistan und die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit 97 Christian Becker

Die Europäische Union und Zentralasien – Interessen, Instrumente, Einflussgrenzen 105 Andrea Schmitz

Eiserner Vorhang am Amudarja? Afghanistan und seine Nachbarn im Norden 117 Bernd Kuzmits

II. Strukturen und Lebenswelten Blüte, Kontrolle, Instrumentalisierung – Der Islam in Zentralasien 137 Anne�e Krämer Regionale Netzwerke in Usbekistan 159 Magnus Pahl

Traditionen, Kalküle, Funktionen – Russlands Rückkehr nach Zentralasien 167 Anna Matwejewa

Ohne Konsequenz? Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan 191 Imke Dierßen

»Nathan der Weise« in Zentralasien 207 Falk Bomsdorf

Usbekische Zwickmühle – Staatsnationalismus und Auslandsusbeken 215 Ma�eo Fumagalli

Die Rohstoffe Zentralasiens – Vorkommen und Versorgungspotenzial für Europa 225 Hilmar Rempel, Sandro Schmidt, Ulrich Schwarz-Schampera, Simone Röhling und Klaus Brinkmann

Die Aralsee-Katastrophe – Ein Nachruf auf das multilaterale Krisenmanagement 243 Jenniver Sehring

Regionale Wirtscha�sprojekte zwischen Wertschöpfung und Nachhaltigkeit 259 Inna Rudenko, Ulrike Grote, John P.A. Lamers und Christopher Martius

Taschkent – Metropole an der Seidenstraße 269 Mark Aretz

Anhang Geschichte im Überblick 278 Erinnerungstage – Fes�age – Feiertage 293 Erinnerungsorte 295 Literatur, Film und neue Medien 300 Register 308 Vorwort

Im Mai 2009 schaltete der afghanische Präsident Hamid Karsai in Anwesenheit einer hochrangigen Delegation aus Usbekistan eine Hochspannungsleitung frei, die Kabul an das zentralasiati- sche Stromversorgungsnetz anschließt. Dem feierlichen Akt kam für Afghanistan große Bedeutung zu, handelt es sich bei dem durch die KfW Entwicklungsbank geförderten Projekt doch um das größte Vorhaben auf dem afghanischen Energiesektor seit Ende der Taliban-Herrscha�. Für ein Buch über Zentralasien wie dem nun vorliegenden »Wegweiser zur Geschichte: Usbekistan« kommt der neuen Ver- bindung zwischen Kabul und Usbekistan darüber hinaus auch symbolische Bedeutung zu. Das Interesse deutscher Leser an Usbe- kistan sowie dessen Bild aus mi�eleuropäischem Blickwinkel sind stark beeinflusst durch die Ereignisse in Afghanistan. Speziell die Bundeswehr betrachtet intensiv die usbekische Rolle für den lau- fenden Einsatz der International Security Assistance Force (ISAF). Der vorliegende Band soll einen Wechsel dieser Perspektive ermöglichen. Er zeigt Geschichte und Kultur Usbekistans als Teil Zentralasiens und damit die reichen und vielfältigen Tradi- tionen eines Kulturkreises, der bis zum Ende der Sowjetunion für Europäer nur schwer zugänglich war. Heute beansprucht Usbekistan eine Schlüsselrolle in Zentralasien und versteht es geschickt, die teils entgegengesetzten Interessen Russlands, Chi- nas, der USA oder der Europäischen Union für eigene Ziele zu nutzen. Große wirtscha�liche Dynamik und ihre strategische Bedeutung als Förder- und Transitland für Rohstoffe prägen die Region. Die Staatschefs der fünf zentralasiatischen Länder Usbe- kistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan versuchen, an eine vorsowjetische nationale Identität anzuknüp- fen, doch wirken daneben auch Prägungen und Strukturen der Sowjetzeit weiter fort. Will man heute Staat und Gesellscha� in Usbekistan verstehen, hil� die Kenntnis der russischen und sowjetischen Geschichte ebenso wie die Suche nach den vielfäl- tigen Nationalgeschichten, welche die fünf »Stan-Staaten« zum Teil grenzübergreifend gemeinsam haben. Orientierungspunkte hierfür stellt der »Wegweiser zur Geschichte« bereit.

7 Für sein Zustandekommen danke ich zunächst den beiden Herausgebern. Dr. Bernhard Chiari zeichnet verantwortlich für die Reihe der »Wegweiser«, die mit Usbekistan nunmehr das neunte Einsatzgebiet der Bundeswehr thematisiert. Hauptmann Magnus Pahl M.A. hat sich als zweiter Herausgeber gleichfalls ebenso kreativ wie tatkrä�ig in ein Projekt mit eingebracht, mit dem das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) nicht nur aufgrund der geografischen Verortung des Buches Neuland betri�. Es erprobte auch erstmals die Kooperation mit der Zeit- schri� »Osteuropa«, die im August 2007 mit dem umfangreichen Themenhe� »Machtmosaik Zentralasien. Traditionen, Restriktio- nen, Aspirationen« ein Standardwerk zur Region vorlegte. »Ost- europa«, herausgegeben von der Deutschen Gesellscha� für Ost- europakunde (DGO), analysiert Politik und Kultur, Wirtscha� und Gesellscha� im Osten Europas als Teil der globalisierten Welt und tut dies frei von Fachjargon, thematisch breit und offen für Deba�en. Damit ergeben sich bezüglich Konzept und Ziel- gruppe erhebliche Überschneidungen mit der Reihe »Wegweiser zur Geschichte«. Es lag nahe, einige Beiträge des Themenhe�es »Machtmosaik Zentralasien« in aktualisierter, überarbeiteter und den Erfordernissen der »Wegweiser« angepasster Form in die Usbekistan-Publikation des MGFA aufzunehmen. Stellvertre- tend für die Redaktion von »Osteuropa« danke ich deren Leiter Dr. Manfred Sapper, der das Kooperationsprojekt von Anfang an unterstützt und mit Rat und Tat begleitet hat. In der Schri�leitung des MGFA betreute Knud Neuhoff das Manuskript bis zur Druckreife, besorgte die Recherche der Bil- der und kümmerte sich um deren Rechte. Dipl. Ing. Bernd Nogli und Daniela Heinicke bearbeiteten die Karten, deren Erstfassung ebenfalls »Osteuropa« zur Verfügung stellte. Maurice Woyno- ski trug für die grafische Gestaltung des »Wegweisers« Sorge. Den Satz übernahm Antje Lorenz. Vor allem aber danke ich den Autorinnen und Autoren, die dem Buch sein Gesicht verleihen. Dem »Wegweiser« wünsche ich Akzeptanz und Denkanstöße bei seinen Lesern.

Dr. Hans Ehlert Oberst und Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes

8 Einleitung

Bei einem Selbstmordanschlag in Andischan im östlichsten Teil Usbekistans nahe der kirgisischen Grenze riss ein A�entäter am 26. Mai 2009 einen Polizisten mit sich in den Tod und verwundete mehrere Zivilisten. Nur wenige Stunden zuvor ha�en Bewaffnete im Grenzort Chanabad einen Polizeiposten angegriffen. Die einhei- mischen Medien machten die Terror-Organisation »Islamische Be- wegung Usbekistans« (IBU) für die Übergriffe verantwortlich. Das Karimow-Regime schloss die mehr als 1000 Kilometer lange Grenze zu Kirgisistan. Beide Anschlagsorte liegen im Fergana-Tal, das sich auf die Staatsgebiete von Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikis- tan erstreckt und vom Syrdarja durchflossen wird. Diese Fläche von nur 33 000 Quadratkilometern bewohnen mehr als zehn Mil- lionen Usbeken, Kirgisen, Tadschiken, Tataren und weitere ethni- sche Gruppen. In der Vergangenheit war das Fergana-Tal nicht nur ein Brennpunkt sozialer und wirtscha�licher Probleme, sondern immer wieder auch Schauplatz von Anschlägen. Der Versuch, die A�entate einzuordnen, verweist auf beson- dere Kennzeichen und Strukturen von Staat und Gesellscha� in Usbekistan sowie in Zentralasien generell. Am Schauplatz des An- schlages – in Andischan – ha�en am 13. Mai 2005 usbekische Si- cherheitskrä�e einen Aufstand niedergeschlagen und dabei Hun- derte von Menschen getötet. Die Staatsführung in Taschkent geriet durch ihr brutales Vorgehen für einige Zeit in die Schlagzeilen der Weltpresse. Die Europäische Union (EU) verhängte Sanktionen, und in Deutschland erklärte die Opposition im Bundestag Usbe- kistan zum Prüfstein der deutschen Außen- und Menschenrechts- politik. Geostrategische Bedeutung ha�e das Land erst nach dem 11. September 2001 erhalten, als die USA und Deutschland dort Militärstützpunkte für den Einsatz im benachbarten Afghanistan einrichteten. Auf einer Fläche von 447 000 Quadratkilometern (Deutschland: 357 000) leben in Usbekistan etwa 27 Millionen Ein- wohner (82 Mio.) überwiegend in bescheidenen materiellen Ver- hältnissen, meist unterhalb der Armutsgrenze. Usbekistan verfügt über riesige Baumwoll-Anbaugebiete, erhebliche Erdgasvorkom- men, ein autokratisches Regime ohne nennenswerte Opposition

9 I. Historische Entwicklungen sowie über eine islamistische Bewegung, über deren Stärke und Bedeutung es freilich sehr unterschiedliche Auffassungen gibt. Der usbekische Präsident Islam Karimow stellte sich im De- zember 2007 zum dri�en Mal zur Wahl, obwohl die Verfassung des Landes lediglich zwei Amtszeiten vorsieht. Rivalisierende Klans teilen sich innerhalb der usbekischen Eliten Macht und Ressourcen. Der Präsident sichert seine zentrale Stellung, indem er die Balance zwischen den Interessengruppen aufrecht erhält. Karimow, geboren 1938 in Samarkand und nach einer sow- jetischen Parteikarriere zuletzt Vollmitglied im Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), führte Usbe- kistan 1991 in die Unabhängigkeit und herrscht seitdem mit auto- kratischen Mi�eln. Fünf der im Unterhaus des Parlaments (Olij Majlis) vertretenen Parteien stehen ihm loyal gegenüber. Auch für die im Dezember 2009 anstehenden Wahlen sind lediglich re- gierungstreue Parteien zugelassen. Die außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen blieben hingegen bislang von der poli- tischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Die Zivilgesellscha� vor Ort entwickelt sich unter schwie- rigen Rahmenbedingungen. Das öffentliche Leben unterliegt ebenso wie die Medien strenger staatlicher Aufsicht. Obwohl in Usbekistan formal die Zensur abgescha� wurde, kann von Meinungs- und Pressefreiheit keine Rede sein. Der Registrierung von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) und anderen – insbesondere ausländischen – Körperscha�en setzen die Be- hörden erheblichen Widerstand entgegen. In den Jahren 2008/09 ließ die Regierung einige politische Gefangene und Menschen- rechtsaktivisten frei, die Todesstrafe wurde abgescha� und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erhielt Zugang zu usbekischen Ha�anstalten. Dennoch bleibt die Situation für aus politischen und religiösen Gründen verurteilte Hä�linge be- drückend. Den wichtigsten Feind sieht die usbekische Führung im isla- mistischen Extremismus. Diesen bekämp� sie kompromisslos, wobei die Grenze zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus und dem Vorgehen gegen Angehörige der Opposition o� flie- ßend ist. Selbst die Religionsausübung unterliegt strenger staat- licher Kontrolle. Ebenso stehen die zahlreichen Auslandsusbeken im Fadenkreuz staatlicher Überwachung. Gruppen wie die Hisb

10 Einleitung ut-tahrir al Islami (Islamische Befreiungspartei, HuT), sowie die IBU führten um den Jahrtausendwechsel von Afghanistan und Pakistan aus einzelne Angriffe auf usbekisches Territorium durch. 2004 verübte die Spli�ergruppe Islamische Jihad Union (IJU) An- schläge in Taschkent. Insgesamt verfügt die islamistische Szene in Usbekistan bislang aber nicht über die Möglichkeiten, das System ernstha� zu bedrohen. Ebenso wie die erklärtermaßen säkulare usbekische Regierung wünscht auch die übergroße Mehrheit der Bevölkerung keinen religiös dominierten Staat. Russland als der zentrale strategische Partner Usbekistans versucht die bilateralen Beziehungen weiter zu verbessern und chinesische sowie westliche Einflüsse einzudämmen. Dabei kann Moskau gegenüber seinen Konkurrenten in der Region erhebliche wirtscha�liche und militärische Standortvorteile ins Feld führen und nutzt hierfür Netzwerke und Praktiken aus sow- jetischer Zeit. Den Russland vertrauten und in die gemeinsame sowjetische Geschichte zurückreichenden Herrscha�sstil Präsi- dent Karimows kritisiert Moskau beispielsweise nicht. Das Verhältnis Usbekistans zu den USA entspannte sich nach einem zwischenzeitlichen Tief nach dem Massaker von Andi- schan 2005. Verbindende Elemente bilden das gemeinsame Inte- resse an einer Stabilisierung Afghanistans, der Eingrenzung des Drogenhandels und an einer Bekämpfung islamistischer Fun- damentalisten. Der Abschluss eines Transitabkommens zur Be- förderung nicht-militärischer Güter durch Usbekistan im März 2009 ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Aktivitäten der EU hat Usbekistan wiederholt als Einmischung in die inneren Angelegenheiten verstanden und die Union zugunsten Russ- lands und Chinas auf eine Nebenrolle verwiesen. Im vergangenen Jahr wuchs die usbekische Wirtscha� um neun Prozent, die Inflationsrate lag bei 7,8 Prozent. Für 2009 er- warten Analysten ein reales Wirtscha�swachstum von mehr als zwei Prozent. Nach Russland und Turkmenistan steht Usbekis- tan auf Platz drei der Gasproduzenten innerhalb der Gemein- scha� Unabhängiger Staaten (GUS), der Nachfolgeorganisation der Sowjetunion. Von der relativ stabilen Wirtscha�slage pro- fitiert die Bevölkerung nur in geringem Umfang. Mehr als ein Dri�el der Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die problematische soziale Lage breiter Schichten, Defizite in den

11 I. Historische Entwicklungen

Bereichen Gesundheit und Bildung, rapide steigende Preise und die Repression durch das Regime tragen zur Unzufriedenheit bei. Diese wird gesteigert durch die tatsächliche und gefühlte Benachteiligung einzelner Gruppen innerhalb der multi-ethni- schen Bevölkerung. Die ökologische Katastrophe des Aralsees und die damit einhergehende Versalzung, Versteppung und Vergi�ung des Bodens schließlich bedroht die Lebensgrundlage von Hunder�ausenden. Um die aktuellen Strukturen und deren Entstehung zu ver- deutlichen, erläutern in diesem Buch 19 Autoren Geschichte, Gesellscha� und Kultur Usbekistans. Ein erster Abschni�, über- schrieben mit »Historische Entwicklung«, beschreibt die Verän- derungen Zentralasiens in der Geschichte. Nach einem Überblick von den antiken Reichen bis zur Eroberung Zentralasiens durch die Araber im 7. Jahrhundert (Loretana de Libero) wendet sich Martin Rink bis heute fast mythisch verklärten Heerführern wie Dschingis und Timur Lenk (Tamerlan) zu. Beide gründeten im 12. und 14. Jahrhundert Reiche von gigantischen Ausmaßen und sti�eten unter ihren Nachfolgern eine den deutschen Kaisern oder später den russischen Zaren vergleichbare Herrscha�stradi- tion und -legitimation, die bis heute fortwirkt. Bestanden Verbindungen zwischen Zentralasien, Russland und Europa die längste Zeit überwiegend in der Form von Wa- renaustausch entlang den uralten Routen der Seidenstraße, präg- te das 19. Jahrhundert die Eroberung und Erschließung Zentrala- siens durch das Zarenreich. Beginnend mit der Kasachensteppe im Norden verleibte sich das Moskauer Imperium das gesamte Territorium östlich des Kaspischen Meeres bis an die Grenzen Persiens, Afghanistans und Chinas schri�weise ein. Bernhard Chiari beschreibt die 1867 entstandenen Generalgouvernements und Steppe und zeigt den tief greifenden Wandel, den die russische Herrscha� bis zum Ersten Weltkrieg in Zentralasien bewirkte. Eisenbahnstrecken erschlossen die neuen Gouverne- ments einer au�lühenden Wirtscha� und insbesondere für den Baumwollanbau. Die Landnahme russischer Neusiedler und Ver- suche der Russifizierung einheimischer Muslime lösten allerdings von Anfang an Konflikte aus, die während der Revolution von 1905 und dann vor allem im Ersten Weltkrieg eskalierten. Den russischen Blick auf Zentralasien als Objekt imperialer Machtpo-

12 Einleitung litik ergänzt Rolf-Dieter Müller um eine deutsche Perspektive. Er analysiert die Wahrnehmung Zentralasiens durch die deutsche Politik im Zeitalter der Weltkriege. Uwe Halbach behandelt die Geschichte Usbekistans in sowje- tischer Zeit. Er skizziert die wirtscha�liche und gesellscha�liche Umgestaltung des Landes zu einer Sowjetrepublik. Gleichwohl waren hier aber zahlreiche Nischen vorhanden, in der die indi- genen Kulturen überdauern konnten und ihrerseits die sowjeti- schen Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen beeinflussten und durchdrangen. Usbekische Kader der KPdSU sowie der ört- lichen Verwaltung und Wirtscha� bildeten eine Elite, die nach Auflösung der Sowjetunion 1991 bereitstand, das multi-ethnische Land unter nationalem usbekischem Vorzeichen zu gestalten. Den Versuch der politischen Führung unter Präsident Karimow, eine nationale Identität zu schaffen, analysiert Marlѐne Laruel- le. Sie zeigt, dass in Usbekistan keine Volksbewegung die lange unterdrückte nationale Eigenständigkeit erstri�en hat, sondern das neue autoritäre Regime entsprechende Traditionen, nationale Helden und Symbole erst konstruieren musste. Die drei folgenden Aufsätze widmen sich regionalen und überregionalen Zusammenhängen, in die Usbekistan eingebe�et ist. Christian Becker beschreibt die 2001 gegründete Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), der neben Usbekistan auch Russland, China, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan angehören. Von den durch die SOZ angestoßenen Wirtscha�spro- jekten profitiert Usbekistan aufgrund seiner günstigen zentralen Lage ganz besonders und hat es verstanden, sich trotz immer wieder au�retender Spannungen innerhalb der Gemeinscha� als unabhängiger und erfolgreicher Akteur in Zentralasien zu profilieren. Andrea Schmitz vollzieht die Versuche der EU nach, in Zentralasien Fuß zu fassen. Sie erläutert, dass die europäische Politik stets mit der Achtung der Menschenrechte und demokrati- scher Mindeststandards verknüp� gewesen sei und weist in eben- so kritischer wie nüchterner Weise auf die We�bewerbsnachteile hin, welche dies in direkter Konkurrenz mit Russland und China nach sich zieht. Schließlich erweitert Bernd Kuzmits diese Analyse um das Beispiel Afghanistan, dessen Grenze zu den nördlichen Nachbarn Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan bis zur Auflösung der Sowjetunion eine Scheidelinie zwischen unter-

13 I. Historische Entwicklungen schiedlichen Gesellscha�sordnungen bildete. Am Amudarja bei- spielsweise teilte die Grenze Siedlungsgebiete von Usbeken, Tad- schiken und Turkmenen und trennte ethnisch und kulturell relativ homogene Territorien im heute usbekischen Teil Badachschans von ihren Zentren in Afghanistan ab. Ansätze grenzüberschrei- tender Kooperation entwickeln sich vor diesem Hintergrund erst langsam und gegen erhebliche Widerstände der usbekischen Füh- rung, die in der Grenze auch einen »anti-islamistischen Schutz- wall« gegenüber Afghanistan und Pakistan sieht. Der zweite Abschni� des Bandes fasst unter der Rubrik »Struk- turen und Lebenswelten« zehn Aufsätze zusammen, die sich im weitesten Sinne mit Wirtscha�, Politik und Kultur befassen. An- ne�e Krämer zeigt die besondere Ausprägung des Islams im heu- tigen Usbekistan und verfolgt dessen Entwicklung in Zentralasien bis in die Zeit der arabischen Expansion im siebten Jahrhundert zu- rück. Während zur Zeit des Russischen Reiches die muslimischen Kulturen vergleichsweise intakt blieben, bedeutete die Sowjetisie- rung Zentralasiens einen tiefen Einschni� in die Entwicklung des Islams. Aber auch unter der strengen Kontrolle der KPdSU lebte neben dem offiziell geduldeten auch ein »paralleler« Islam weiter, an den nach 1991 wieder angeknüp� werden konnte. Klanstrukturen und persönliche Abhängigkeiten als Rahmen für politische Entscheidungsprozesse und Machtverteilung un- tersucht Magnus Pahl. Er richtet den Blick bis in die sowjetische Geschichte zurück und geht der Frage nach, auf welche Elemente sich die schon in der UdSSR sprichwörtlichen »asiatischen« Netz- werke stützen. Anna Matwejewa ergänzt das Mosaik usbekischer Mentalitäten um die Ausprägungen des russischen Einflusses im Land. Die Führung in Moskau kann auf Verbindungen und Praktiken aus der sowjetischen Ära zurückgreifen, die sowohl der »gelenkten Demokratie« Russlands als auch den Vorstellun- gen der autoritären Herrscher Zentralasiens entsprechen. Imke Dierßen fragt nach den Kriterien, an denen sich die euro- päische Menschenrechtspolitik in Usbekistan orientiert. Sie zeich- net ein Spannungsfeld zwischen realpolitischen Erfordernissen, nationalen Interessen, taktischen Erwägungen und wirtscha�li- chen Überlegungen, in dem sich deutsches und europäisches En- gagement in Usbekistan vollzieht. Den Versuch, Brücken zwischen den Kulturen Zentralasiens und Europas zu bauen beschreibt Falk

14 Einleitung

Bomsdorf am Beispiel eines Projektes, Go�hold Ephrahim Les- sings Theaterstück »Nathan der Weise« auf usbekische Bühnen zu bringen. Ma�eo Fumagalli erläutert anhand der Auslandsus- beken die Angst des Staates vor einer möglichen Destabilisierung. Insbesondere jene Gruppen, die in Zentralasien selbst siedeln, un- terliegen der Beobachtung als potenzielle Extremisten. Drei weitere Beiträge thematisieren Wirtscha� und Res- sourcen Usbekistans. Hilmar Rempel, Sandro Schmidt, Ulrich Schwarz-Schampera, Simone Röhling und Klaus Brinkmann zeichnen ein Bild vom Potenzial Usbekistans als Rohstoffliefe- rant. Jenniver Sehring thematisiert mit der Austrocknung des Aral-Sees eine der größten von Menschen verursachten Um- weltkatastrophen der Geschichte. In ihrer Studie macht sie das Scheitern des multilateralen Krisenmanagements seit dem Ende der Sowjetunion deutlich. Inna Rudenko, Ulrike Grote, John P.A. Lamers und Christopher Martius verdeutlichen die Problematik der nachhaltigen und schonenden Nutzung natürlicher Ressour- cen am Beispiel der usbekischen Baumwollwirtscha�. Im abschließenden Essay führt Mark Aretz den Leser durch das heutige Taschkent. Er vermi�elt auf ebenso anschauliche wie persönliche Weise das Bild und Lebensgefühl einer Hauptstadt, die in ihrem architektonischen Erscheinungsbild zwischen der Suche nach nationalen usbekischen Wurzeln, den städtebauli- chen Hinterlassenscha�en der Sowjetunion und der Selbstdar- stellung der usbekischen Staatsführung schwankt. Um den Zugang zu komplexen Sachverhalten zu erleichtern, enthält der Band neben zahlreichen Karten einen dri�en Ab- schni� mit Zei�afel und Literaturhinweisen. Der Orientierung dienen außerdem eine Sammlung wichtiger Gedenk- und Feier- tage sowie Erinnerungsorte, schließlich ein Personen- und Sach- register. Bi�e nutzen Sie auch die ständig aktualisierten Internet- tipps auf h�p://www.mgfa.de/html/einsatzunterstuetzung/. Schlüsselbegriffe sind innerhalb der Aufsatztexte in farbig hinterlegten Info-Kästen erläutert. Für Namen und Begriffe aus den Sprachen Zentralasiens und aus dem Russischen wird eine vereinfachte Umschri� verwendet, die sich an der Aussprache im Deutschen orientiert.

Dr. Bernhard Chiari

15 bpk/Lutz Braun

Im 7. Jahrhundert v.Chr. gründeten die Perser auf dem Gebiet des heu- tigen Usbekistan und angrenzenden Landstrichen Kirgisistans, Tadschi- kistans und Turkmenistans ihre nördliche Provinz Sogdiana. Das an der Seidenstraße gelegene Marakanda (Samarkand) war die Hauptstadt der Sogdiana und sicherte der Provinz über Jahrhunderte eine Schar- nier- und Brückenfunktion zwischen West und Ost. Die Bewohner der Sogdiana waren einerseits sesshaft und betrieben Ackerbau, anderer- seits galten sie in den Augen der Zeitgenossen als sehr geschäftstüchig. Chinesische Chronisten beschrieben sie als »geborene Händler«. Die Seidenstraße ermöglichte durch den Austausch von Edelwaren wie der namensgebenden chinesischen Seide, Kunsthandwerk – im Bild eine Goldplastik des aus der Region stammenden Oxos-Schatzes aus dem 4./5. Jh. v.Chr. – und immateriellen Gütern eine umfassende wechsel- seitige Befruchtung unterschiedlicher Kulturen. In den Jahren 329 und 327 v.Chr. unterwarf Alexander der Große Sogdiana und fasste die Pro- vinz für kurze Zeit mit Baktria – dem heutigen Afghanistan – zusammen, ehe sie nach seinem Tod unter die aufeinander folgenden Herrschaften von Syrern, Griechen, Skythen, Hunnen, Türken und Arabern geriet. Letztere eroberten Zentralasien im 7. Jahrhundert. All diese Völkerschaf- ten hinterließen ihre Spuren in der Region, ohne das sogdische Erbe ganz zu verwischen: So finden sich bis auf den heutigen Tag sogdische Wörter in der persischen Sprache. Usbekistan in der Antike

Sogdiana nannten die Perser ihre nördlichste Provinz in Zen- tralasien, die das heutige Gebiet von Usbekistan und Teile von Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan umfasst. Zwei Flüsse begrenzten diese strategisch wie handelspolitisch bedeutsame Verwaltungseinheit, nämlich der Araxes/Oxos (Amudarja) im Süden und der Iaxartes (Syrdarja) im Norden. Der Oxos gab der sogdischen Oasenlandscha� schließlich auch den Namen. »Transoxiana« nannten es die Römer, »das Land, das jenseits des Oxos liegt«. Hauptstadt der Sogdiana war Marakanda, das heutige Sa- markand, das von den Persern im 7. Jahrhundert v.Chr. unter dem Namen Afrasiab im fruchtbaren Tal des Polytimetos (heute Serafschan) gegründet worden war. Die legendäre Seidenstraße führte von China über Marakanda (Samarkand) nach Antiochia, dem in der heutigen Türkei gelegenen Atakya, ans Mi�elmeer. Die Bewohner der Landscha�, die sich selbst Sughdh nannten, waren sessha�, trieben Ackerbau und kontrollierten den Han- del in ihrer Region. Sie mussten sich der Steppenvölker jenseits des Iaxartes erwehren, den »spitzhütigen« Saken und dem Rei- tervolk der Massageten, belieferten den persischen Großkönig mit Luxusgütern wie Karneol und Lapislazuli und gründeten Niederlassungen entlang der Seidenstraße bis nach China. Das Sogdische war die führende Verkehrssprache unter den irani- schen und chinesischen Kaufleuten. Über die Handelsrouten kam es aber nicht nur zu einem Austausch von Edelwaren und Kunsthandwerk, sondern auch zu einem immateriellen Kultur- transfer, der von der Vermi�lung technischer Neuerungen wie Bewässerungssystemen bis zur Verbreitung unterschiedlichster Glaubensvorstellungen wie dem Buddhismus, dem Manichäis- mus oder dem Christentum reichte. Die sogdische Kunst und Kultur ist griechisch, persisch und chinesisch beeinflusst, hat aber auch selbst nach außen, vor allem nach China, ausgestrahlt. Berühmt sind die aus dem 6. Jahrhun- dert n.Chr. stammenden Wandmalereien aus Samarkand. Neben Handschri�en in sogdischer Sprache, persischen, griechischen, lateinischen und arabischen Texten finden sich auch chinesische

17 I. Historische Entwicklungen

Zeugnisse: Über den kaiserlichen Gesandten Zhang Qian, der um 130 v.Chr. eine Reise in das heutige Tadschikistan unternom- men ha�e, sind uns wertvolle Informationen über die politischen und sozialen Verhältnisse in Teilen Sogdiens und Baktriens er- halten. So berichtet Zhang Qian etwa über das Nomadenvolk der Kangju und die indogermanischen Dayuan im Fergana-Tal. bpk/Lutz Braun

Alexander der Große in der Schlacht von Issos, Mosaikausschnitt.

Auf seinem Zug an das vermeintliche Ende der Welt eroberte Alexander der Große das riesige Reich der Achämeniden. In den Jahren 329 und 327 v.Chr. unterwarf er auch die Sogdiana und fasste sie mit Baktria (dem heutigen Afghanistan) zu einer neuen Provinz zusammen. Zwei Jahre blieb der Makedonenkönig in Marakanda, das als Stützpunkt für seine weiteren Feldzüge in den Osten diente. Er gründete darüber hinaus in der Region zahl- reiche Kolonien, die er mit seinen Veteranen und Einheimischen besiedelte. In Sogdien ließ er als nördlichste Ansiedlung seines Feldzuges am Iaxartes Alexandreia Eschate, das »äußerste Alex- andria«, das heutige Chodschent in Tadschikistan erbauen. Nach dem Tod des Herrschers wurde das Alexander-Reich in den Dia-

18 Usbekistan in der Antike dochenkämpfen unter seinen Nachfolgern geteilt. Sogdiana fiel im 3. Jahrhundert v.Chr. zunächst an das syrische Seleukiden- Reich, wurde wenig später Teil des Griechisch-Baktrischen Kö- nigreiches und gegen Ende des 2. Jahrhunderts v.Chr. schließlich von dem skythischen Steppenvolk der beherrscht. Unter persischer Oberhoheit fand sich die Landscha� erst wieder im dri�en nachchristlichen Jahrhundert, im Sassaniden-Reich wurde es – wie einst unter Kyros – wieder Provinz. Im 5. Jahrhundert gehörte Transoxianien zum Reich der He- phthaliten, einem Volk iranischer Hunnen, hundert Jahre später geriet es schließlich unter türkische Herrscha�. In den Jahren 709 und 711 wurden die wohlhabenden Städte der Region wie Buchara und Marakanda von dem arabischen Heerführer Ku- taiba ben Muslim erobert und entwickelten sich zu Zentren isla- mischer Kultur. Viele Sogdier wanderten im 8. Jahrhundert nach China aus, wo sich ihr hellenistisches Erbe bis heute aufspüren lässt. Loretana de Libero

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Aus dem Osten scheint selten zu kommen. Kaiser Wilhelm II. be- schwor im Jahr 1900 mit seiner in Bremerhaven improvisierten »Hunnen- rede« den eineinhalb Jahrtausende nachwirkenden Schrecken Attilas. 41 Jahre später bezog sich Winston S. Churchills Durchhalteappell gegen die Deutschen unter anderem auf die »dummen, fügsamen Massen von Hunnenkriegern«. Auch der vom nationalsozialistischen Deutschland in Osteuropa ins Werk gesetzte rassenideologische Vernichtungskrieg nährte sich teilweise aus einer westlichen Überheblichkeit gegenüber den »asiatisch« erscheinenden osteuropäischen Völkern – und erst recht den aus Zentralasien stammenden Sowjetsoldaten. Das Negativbild der zentralasiatischen Reitervölker – der Mongolen, Tataren, Kirgisen oder Kasachen – ist ein gängiges Motiv in der europä- ischen Geschichte. Mit diesen Bezeichnungen waren allerdings selten nur die heute so benannten Ethnien gemeint, und hinter ihnen verbirgt sich die komplexe Geschichte mächtiger Großreiche. Das Foto zeigt Alim Khan, den letzten Emir von Buchara. Die Reiche Zentralasiens bis zur Eroberung durch Russland

Einen usbekischen Staat hat es während des europäischen Mit- telalters nicht gegeben. Die (Militär)Geschichte des zentralasiati- schen Raums ist vielmehr eine Chronologie von sich ablösenden Bündnissen, Symbiosen, Abspaltungen und Krieg – militärisch wie ethnisch. Hier zeigt sich ein Charakteristikum, das auch die Herrscha� im vormodernen »Abendland« kennzeichnet: Perso- nenverbände, die sich um einen charismatischen Führer scharen. Das beste Beispiel hierfür liefert Dschingis Khan. Auf ihn führten sich die in Zentralasien herrschenden Dynastien zurück, selbst wenn sich das mongolische Element recht bald mit anderen mischte. Ohne die von ihm begründeten Teilreiche und die da- durch hervorgegangenen Ethnien ist die Geschichte Usbekistans bis zum 19. Jahrhundert nicht darzustellen. Auch die »Neuzeit« ist eine europäische Vorstellung. Diese ist eng mit der Ausbildung der (früh)modernen Staaten verknüp�, und dieser Prozess wiederum war das Ergebnis der Armeen, ihrer überlegenen Bewaffnung, Militärorganisation und -administrati- on. In Zentralasien zogen »europäische« Armeen und »moderne« Staatlichkeit erst im dri�en Viertel des 19. Jahrhunderts unter rus- sischer Flagge ein, als die Khanate Chiwa, Buchara und Kokand – im heutigen Usbekistan – ihre Unabhängigkeit einbüßten. Von einer Nationalgeschichte »Usbekistans« zu sprechen, er- gibt erst seit dem 20. Jahrhundert einen Sinn. Für frühere Phasen kann sie nur von zwei Seiten her dargestellt werden: Einerseits als Geschichte des Territoriums, auf dem sich das heutige Us- bekistan befindet; andererseits als Geschichte der Ethnien, die sich im 15. Jahrhundert zu den heutigen Usbeken entwickelt haben. Unterschiede zwischen namensgebendem »Volk« und »Land« kennzeichnen auch die Vergangenheit anderer Turkvöl- ker. Sowohl die heutigen Türken wie Bulgaren sind aus einem Verschmelzungsprozess zentralasiatischer Reitervölker mit der ortsansässigen Bevölkerung hervorgegangen. Mehr noch als andere Regionen in Zentralasien war (West-) Turkestan und besonders das Gebiet Usbekistans eine Dreh- scheibe zwischen Osteuropa, dem Nahen Osten, Persien, Indien

21 I. Historische Entwicklungen und China. Entlang der abflusslosen Wasserläufe des Amuda- rja und Syrdarja bestanden bereits seit früher Zeit Siedlungs- kammern, die sich im heutigen Usbekistan konzentrierten. Im Delta des Amudarja am Aralsee bestand Choresm mit Chiwa (und phasenweise Urgentsch) als Hauptstadt. Entlang der Sa- rafschan-Flussoase existierten Buchara und Samarkand, östlich anschließend die durch den Syrdarja und seine Nebenflüsse gespeiste Oase, die sich im Fergana-Becken verlängert. Das von den Römern als Land nördlich des Oxos (lat. Transoxanien) ge- nannte Territorium war seit der Domestizierung des Pferdes – spätestens zwischen 800 und 600 v.Chr. – durch das Neben- einander von Hochkulturen und nomadisierenden Hirten- und Reitervölkern geprägt (vgl. den Beitrag von Loretana de Libero). Die von den nördlichen Sommer- und südlichen Winterweiden pendelnden Gruppen standen in wirtscha�lichem Austausch mit ortsansässigen Einwohnern, auf die sie zur Deckung des Getreidebedarfs und anderer Güter angewiesen waren. Neben den friedlichen Wirtscha�sverbindungen handelte es sich stets auch um wiederkehrende Konflikte und Kriege um Weideplät- ze. Infolge der persischen Einflüsse in den fruchtbaren Gebieten bildete sich eine Wechselbeziehung zwischen ost-iranisch (»ta- dschikisch«) sprechenden Oasenbewohnern sowie Turkvölkern aus den umliegenden Steppen- oder Gebirgszonen heraus.

Frühe Reiche bis zum »Mongolensturm«

Die früheste belegbare Reichsbildung von Reitervölkern verbindet sich mit dem Namen der Xiongnu, die o� auch als Vorläufer der Hunnen gehandelt werden. Sie fielen im Zeitraum von 209 v.Chr. bis 143 n.Chr. in Ostasien ein, was im unter der Qin-Dynastie ge- einten China zur Systematisierung der Grenzwälle führte. In gro- ßem Maßstab wurden von nun an jene Befestigungen ausgebaut, die wir als »Große Mauer« kennen. Mao-tun (auch Modu-Sha- nyu, Maodun-Danyu, 234-174 v.Chr.) erreichte eine Einigung des Stammesverbandes der Xiongnu, die nun in militärisch organi- sierten Formationen in Erscheinung traten. Der hier praktizierten Taktik passte sich auch das Militär der chinesischen Han-Dynastie an. Gleichwohl ha�e das »Reich der Mi�e« bisweilen Tributzah-

22 Die Reiche Zentralasiens lungen an die »Barbaren« zu entrichten oder vergütete diese als Verbündete. In schwächeren Phasen Chinas fiel sogar wiederholt der Kaiserthron an die Eindringlinge aus der Steppe. So regierten die Herrscher des Turkvolkes der Kitan von 960 bis 1125 als chine- sische Liao-Dynastie, bis sie von einem weiteren Reitervolk, den Dschurtschen, verdrängt wurden. Ein hierdurch vertriebener Teil der Kitai gründete das Reich der Kara-Kitai im heutigen Kasachs- tan. Das »Reich der Mi�e« erhielt durch diese Völker seine im Westen geläufigen Namen: Im Mi�elalter und der Frühen Neuzeit hieß es »Catay«, und bis heute ist es für uns »China«. China und seine turko-mongolischen Vasallen griffen wie- derholt nach Ost-Turkestan und von dort nach Transoxanien aus. Im achten nachchristlichen Jahrhundert trat dort indessen mit dem Kalifat eine andere Großmacht in Erscheinung, deren Re- ligion die Region seitdem prägt. Mit der arabischen Eroberung Samarkands im Jahr 711 war die Grundlage für die nachfolgende Islamisierung – zunächst der Oasen – gelegt (vgl. den Beitrag von Anne�e Krämer). Mit einem Sieg gegen die Chinesen am Fluss Talas im Fergana-Tal im Jahr 751 manifestierte das Kali- fat seine Vormachtstellung in der Region: Von nun an verlagerte sich der Herrscha�sschwerpunkt der Abbasiden nach Osten, hin zu den jüngst islamisierten (vor allem iranischsprachigen) Völ- kern Persiens und Transoxaniens. Das sich hieraus entwickelnde Reich der Tahiriden im 9. Jahrhundert ha�e sein Zentrum in der Stadt Merw, bis das Gebiet vom Reich der persischen Saffariden- Dynastie übernommen wurde. Deren Herrscha�sbereich er- streckte sich auf die Masse Persiens und Afghanistans bis süd- lich zum Amudarja. Nördlich davon bestand mit dem Reich der Samaniden seit Anfang des 9. Jahrhunderts ebenfalls eine Dynastie, die sich aus einer abbasidischen Sta�halterscha� heraus verselbstständigt ha�e. Ihr Herrscha�ssitz Buchara war gleichzeitig Zentrum einer kulturellen Blüte der persisch-islamischen Kultur. Das be- kannteste Beispiel hierfür liefert der bei Buchara geborene Arzt und Naturwissenscha�ler Ibn Sina (980-1037), dessen Schri�en ihn unter dem Namen Avicenna auch in Europa bekannt mach- ten. Ein kultureller Transfer anderer Art betraf das Papier als Medienträger anstelle des bisherigen Papyrus. Seine Herstellung wurde von chinesischen Gefangenen übernommen und gelangte

23 I. Historische Entwicklungen

über die islamische Welt nach Westen. Als weiteres Beispiel kann die Einführung des Steigbügels von Ost- über Zentralasien nach Byzanz im 6. Jahrhundert gelten. Eine militärische Besonderheit der Samaniden war die In- dienstnahme von Kriegersklaven. Männer der benachbarten nicht-muslimischen Völker wurden islamisiert, zu zuverlässi- gen Soldaten ausgebildet und mitunter auch an die Höfe von Bagdad, Damaskus und Kairo entsandt. Daraus entwickelte sich die Institution der Mamluken in muslimischen Reichen. So sehr es ein Vorteil war, solche Militärsklaven als straff organisierte und nicht in dynastische Streitigkeiten verwickelte Truppenkör- per zu unterhalten, so sehr bestand die Gefahr, dass sich diese Elitekrieger zu einer Kaste mit politischem Eigengewicht ent- wickelten. Folgerichtig wurde das Samaniden-Reich durch eine aus Militärsklaven hervorgegangene Dynastie abgelöst; es fand 1005 durch die Machtübernahme der so genannten Karachani- den sein Ende. Eine andere Dynastie, die der Ghasnawiden (977-1186), etab- lierte eine Herrscha� über weite Teile Persiens und Afghanistans sowie über Buchara, Samarkand und das Fergana-Becken. Zu ihrer Hauptstadt machten sie das im heutigen Afghanistan ge- legene Ghasni; auch dies etablierte sich zum Zentrum persisch- islamischer Kultur. Ihre Herrscha� büßten sie letztlich gegen die Oghusen ein, eine weitere Konföderation von Turkvölkern aus dem Raum zwischen Aralsee und Kaspischem Meer. Die Dynastie der Seldschuken erlangte 1040 in der Schlacht bei Dandanaqan im heutigen Turkmenistan die Herrscha� über Transoxanien, welche sie im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts auf Kosten des Abba- siden-Reiches weiter ausbauen konnte. Schon zuvor ha�en die Kalifen die faktische Machtausübung in die Hände turkstämmi- ger Soldatendynastien gelegt. Die Volksbezeichnung der Oghus- en wandelte sich im 12. Jahrhundert zu Türkmen, von denen die Türken und Turkmenen ihren heutigen Namen herleiten. Auf dem Höhepunkt seiner Macht reichte das Seldschuken-Reich von Ana- tolien über das Zweistromland und Persien bis tief nach Turkestan hinein und stand den europäischen Kreuzfahrerstaaten in Palästi- na gegenüber. In Zentralasien wechselte die Herrscha� bald erneut. Die in der kasachischen Steppe lebenden Kara-Kitai fügten dem Seld-

24 Die Reiche Zentralasiens schuken-Reich im Jahr 1141 eine Niederlage zu, in deren Folge sie die Oberhoheit über das Oasenland südlich des Aralsees erlangten. In Anlehnung an sie begründete ein früherer Seld- schuken-Sta�halter das Reich Choresmien (auch Chwaresm, Xo- rasm) mit der Hauptstadt (Alt-)Urgentsch, das den Kara-Kitai zunächst tributpflichtig war. Im Jahr 1194 nahm dieses Reich auch das Gebiet Persiens vom zerfallenden Seldschuken-Reich in Besitz, legte den Vasallenstatus gegenüber den Steppenvölkern ab und begründeten die Dynastie der Chorasmschahs. Turkestan war somit zweigeteilt, denn nördlich des Syrdarja verblieben die Kara-Kitai. Beide Herrscha�sgebilde fanden ihr Ende, als im Fe- bruar 1220 eine mongolische Armee den Syrdarja überquerte.

Die Herrscha� des Dschingis Khan und seine Nachfolgereiche

Dschingis Khan oder ursprünglich Temudschin (der »Schmied«, 1155-1227) war Enkel eines Khans und Sohn eines kleineren Klanchefs. Als dieser ermordet wurde, begann für Temudschin eine Zeit des Exils und erbi�erter Auseinandersetzungen, die er nur durch wechselnde Bündnisse seiner Sippe mit verschiede- nen Stammesverbänden und wohl auch durch die zeitweise An- lehnung an den chinesischen Hof überlebte. Von seinen Anhän- gern wurde er im Jahr 1206 zum Khan ausgerufen, was schwere Kämpfe mit den etablierten mongolischen Fürsten nach sich zog. Wohl im Exil am chinesischen Kaiserhof ließ Temudschin Mili- tärtaktik und -organisation zu einem System fortentwickeln, das im Laufe des folgenden Jahrhunderts weltgeschichtliche Folgen zeitigte. Zu den leichten Reitern, die im Wechselspiel zwischen wiederholten Angriffen und scheinbarer Flucht den Feind um- schwärmten, kamen Verbände mit schweren Lanzenreitern als Formationen der taktischen Reserve. Die Gefechte wurden in großangelegten Übungen eingespielt und in einer differenzier- ten gegliederten Schlachtordnung geschlagen. Das Heer war nicht nach Truppen stellenden Stämmen, son- dern hierarchisch-rational nach dem Dezimalsystem organisiert: Das kleinste Organisationselement bestand aus zehn Mann, es

25 I. Historische Entwicklungen

folgte eine Hundertscha�, Tausend- scha� und schließlich der zehntau- akg-images send Mann umfassende Großverband des »Tümen«. Die letztgenannte For- mation wies verschiedene Mobilisie- rungsgrade auf und war o� Kristal- lisationskern für neue Teil-Ethnien. Für Männer ab 15 Jahren existierte eine Art allgemeiner Wehrpflicht. Pro Reiter wurden mehrere Wech- selpferde mitgeführt, militärische Operationen durch Erkundung und ein verzweigtes Nachrichtenwesen gründlich vorbereitet, genauso wie Dschingis Khan, chinesischer die Marschlager. Die neu geschaffe- Holzschnitt um 1220. nen militärischen Elemente bildeten wiederum einen integrierenden Rahmen für die »Mongolen« als Volk, oder besser: Völkerverbund. Das Imperium des Dschingis Khan reichte zuletzt vom Japani- schen zum Kaspischen Meer. Die Herrscha�sstabilisierung der (Unter-)Khane musste durch fortwährende Expansion gesichert werden, um Bestand zu haben. Erfolg und Beute waren erforder- lich, um die Loyalität von Gefolgsleuten und jüngst Unterworfe- nen zu sichern. Zudem unterbanden die Gesetze des Dschingis Khan bisherige Gebräuche wie den Frauenraub oder die Blut- rache. Auch das mag die Aggressionen von Innen nach Außen gelenkt haben. Von 1205 bis 1210 stand Dschingis Khan im Kampf gegen das China vorgelagerte Tanguten-Reich. Schon ein Jahr später führte er Krieg gegen (Nord-)China. Dessen Haupt- stadt Peking belagerte er 1214/15 und nahm sie schließlich unter entsetzlichen Verwüstungen ein. Im heutigen Turkestan wurde 1218 das Reich der Kara-Kitai niedergeworfen, zwei Jahre später folgte Transoxanien. Hier vollzog sich fast modellha� der »Mas- terplan« des Großkahns: Er und seine Söhne führten operativ unabhängige, doch zusammenwirkende Armeekörper. Städte wurden mi�els gefangener Zwangsverpflichteter gestürmt, ihre Garnisonen und o� die Bevölkerung als Teil einer kalkulierten Terrorstrategie massakriert. Die mongolische Invasion zog sich bis nach Persien, Afghanistan und ins Indus-Tal. Choresm war

26 Die Reiche Zentralasiens zerstört, Zentralasien gehörte von nun ab zum Reich des Dschin- gis Khan und seiner Erben.

Mongolische Folgereiche

Durch die beispiellosen Eroberungen bildete sich das größte Landimperium, das je bestanden hat. Nach dem Tod des Dschin- gis Khan im Jahr 1227 wurde das Mongolen-Reich unter seinen Söhnen aufgeteilt, blieb jedoch in der Wahrnehmung gleich- wohl eine politische Einheit. Das galt auch für die Wirtscha�s- beziehungen: Während mit der Gewürzstraße die Seewege vom Mi�elmeer über Arabien und Indien nach Südostasien gemeint waren, bezeichnet die Seidenstraße das Netz an kontinentalen Wegen durch den eurasischen Kontinent. Hier gelangten neben den namensgebenden Textilien andere Luxuswaren wie Pfeffer, Moschus, Felle, Drogen und Edelhölzer nach Europa. Schon lange vor der Mongolenzeit war Transoxanien eine Gelenkstelle in diesem Wegenetz gewesen. Die Seidenstraße führte vom Mit- telmeer über das Zweistromland und Persien über Merw, Bucha- ra und Samarkand weiter ins Fergana-Tal. Diese Wege umgingen nördlich oder südlich das Tarim-Becken, bis sie China erreich- ten. Meist war der Warenaustausch durch Zwischenhandel ge- prägt. Doch die Schaffung eines einzigen Herrscha�sbereichs im 13. Jahrhundert ermöglichte direkte Kontakte durch den eurasi- schen Kontinent, von denen die Reise des Marco Polo von 1271 bis 1295 die berühmteste, aber keineswegs die einzige ist. Nach dem Tod des Dschingis Khan übten seine Söhne die Macht in ihren Herrscha�sgebieten (Ulus) aus. Gleichwohl muss- ten die Nachfahren des Gründers das Reich immer wieder neu erschaffen. Das führte im folgenden Jahrhundert zum einen zu fortwährender Expansion, zum anderen zu Bruderkämpfen. Der dri�e und wohl Lieblingssohn Dschingis Khans, Ögödei, wurde 1218 zum Großkhan bestimmt und zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters gewählt. Er vollendete das wichtigste Vorhaben Dschingis Khans: den Sturz der (nord-)chinesischen Jin-Dynas- tie. Zugleich betrieb er den Ausbau Karakorums als Hauptstadt des Mongolen-Reiches und setzte dessen Expansion gen Westen fort. Dieser in Europa als »Mongolensturm« bekannte Kriegs-

27 I. Historische Entwicklungen zug führte die Truppen des Großkhans 1239 nach Moskau, zwei Jahre später nach Ostmi�eleuropa, wo der Enkel des Dynastie- Gründers Batu in den Schlachten von Muhi ein ungarisches Heer vernichtete. Bei Liegnitz unterlag ein polnisch-deutsches Kontin- gent ebenfalls mongolischen Truppen. Diese erreichten sogar die Adria. Der Tod Ögödeis 1241 und die darau�in erforderliche Nachfolgeregelung machten jedoch die Präsenz der mongoli- schen Eliten und ihrer Heere im Zentrum des Reichs erforder- lich. Daher wurde der Europafeldzug abgebrochen. Die innere Instabilität nach dem Tod Ögödeis wurde erst überwunden, als sich die Söhne des vierten Sohns Dschingis Khans, Tolui, ein Jahrzehnt später als Großkhane etablierten. Möngke Khan errang die Macht über China und begründete dort mit seinem Bruder und Nachfolger Khubililai Khan die Yuan-Dynastie. Ihr dri�er Bruder Hulagu dehnte seine Macht bis nach Persien aus und stand dort am Anfang der Dynastie der Ilchane (»Unter-Khane«). Diese beherrschten in folgenden hun- dert Jahren ein Gebiet, das in seiner größten Ausdehnung von Anatolien zum Indus und vom Arabischen Meer zum heutigen Turkmenistan reichte. Mit der Zerstörung Bagdads 1258 ver- nichtete Hulagu das Seldschuken-Reich. Dieses zerfiel in kleine Emirate, von denen eines, das der Osmanen in Anatolien, später wiederum zur Keimzelle des gleichnamigen Großreichs wurde. Das Vordringen der Mongolen Hulagus in den Nahen Osten hin- gegen endete 1260 mit deren Niederlage gegen ein ägyptisches Mamlukenheer in der Schlacht von Ain Jalut im heutigen Israel. Der älteste Sohns des Dschingis Khans, Jöchi, erhielt zu Leb- zeiten des Vaters die Herrscha� über den Westen des Mongo- len-Reiches, das Gebiet der so genannten Goldenen Horde. Sein Bruder Tschagatai herrschte in Turkestan: Sein Einflussbereich lag südlich der Goldenen Horde, südwestlich der mongolischen Stammländer und nördlich des Reichs der Ilchane. Zwischen den Teilreichen bestanden erhebliche Spannungen. Insbesonde- re stand der Ulus Tschagatai im Kampf mit den nördlichen und südlichen Nachbarn. Während die Abkömmlinge Tschagatais bis ins 16. Jahrhundert verschiedene Gebiete Turkestans – mit den Machtzentrum im heutigen Usbekistan – beherrschten, wirkten sich Teile der Goldenen Horde namensgebend für das spätere Volk der Usbeken aus. Die dreißigjährige Regierung des Usbek

28 Die Reiche Zentralasiens

(Özbek, 1282-1342) führte zu einem Höhepunkt der Macht der Goldenen Horde. Infolge seines Übertri�s zum Islam erfolgte ein wesentlicher Schri� hin zur Islamisierung der »Tataren«.

Timur und die Timuriden

Timur (oder Temür) bin Taraghay Barlas (1336-1405), der »Lahme« (Lenk), stammte aus dem turko-mongolischen Stamm der Barlas. Durch wechselnde Bündnisse und Konflikte, zu- nächst im Dienst der Tschagatai-Dynastie, vermochte er sich im Jahr 1370 zum Emir in Samarkand und Herrscher über den Ulus Tschagatai aufzuschwingen. Eine dauernde Konstante sei- ner Herrscha� waren die Auseinandersetzungen mit der Gol- denen Horde im heutigen Kasachstan. Wiederholt griff deren Khan Toktamisch Transoxanien an und wurde 1389 im heuti- gen Tadschikistan von den Truppen Timurs geschlagen. Einen weiteren Sieg errangen diese weit im Norden, am Uralgebirge. Im April 1395 schließlich brachte Timur der Goldenen Horde – mit deren russischen und anderen Vasallen – in der Schlacht am Terek nördlich des Kaukasus eine entscheidende Niederla- ge bei. In der Folge ließ er die Metropolen seiner Gegner Neu- Sarai und Astrachan an der Wolga zerstören. Seine Truppen gelangten bis vor die Tore Kiews und Moskaus. Weitere Eroberungen Timur Lenks (Tamerlan) schlossen sich im Westen, Süden und Südosten an. In den 1380er-Jahren eroberte er den heutigen Iran, das Gebiet südlich des Kaukasus und den Westen des heutigen Afghanistans. Diese Feldzüge, wie auch die folgenden, waren weniger durch die Etablierung fester Herrscha� gekennzeichnet, sondern durch schnelle Mi- litäroperationen, die mit der Unterwerfung örtlicher Fürsten endeten. Anschließend folgten Straf-, teils auch Terroraktionen gegen verbliebene rebellische Stämme und Städte. Im Extrem ereilte dieses Schicksal im Jahr 1387 die persische Metropole Isfahan, dessen Einwohner sich nach zunächst erfolgter Un- terwerfung gegen Timurs Soldaten erhoben ha�en. Bis auf die muslimische Geistlichkeit und die wenigen Unterstützer seiner Truppen ließ Timur die gesamte Stadtbevölkerung massakrie- ren. Vom Ausmaß des Blutbades kündeten 28 Schädeltürme

29 I. Historische Entwicklungen akg-images

Timur Lenk mit dem gefangenen Sultan Bayezid I. nach der Schlacht von Ankara am 20. Juli 1402. Kolorierter Kupferstich von Matthäus Merian d.Ä. aus den Knochen von angeblich 70 000 Toten. Zwei Jahre später zerstörten Tamerlans Truppen Dehli, 1400 fielen sie in Arme- nien und Georgien ein, das stellenweise entvölkert wurde. Im Jahr danach fielen die Metropolen Aleppo, Damaskus, Bagdad und Tikrit. In der Schlacht bei Ankara am 20. Juli 1402 wur- den die Osmanen geschlagen, deren Sultan Bayezid I. verstarb in der Gefangenscha�, und Timurs Truppen drangen bis nach Izmir vor. Im Osmanen-Reich entstand hierdurch ein Interreg- num. Das verscha�e dem belagerten, christlichen Konstantino- pel eine letzte Atempause vor der osmanischen Eroberung ein halbes Jahrhundert später. Im Bestreben, das Mongolen-Reich wiederzubegründen, bereitete Tamerlan einen Feldzug nach China vor, den sein Tod Anfang 1405 verhinderte. Das Ableben Timurs zog Erbfolgestreitigkeiten nach sich, die Schah Ruch für sich entschied, der sein Herrscha�szentrum nach Herat verlegte. Dessen Sohn Ulugbek trat neben seiner Verwick- lung in innere Kämpfe als bedeutender Wissenscha�ler, insbe- sondere als Astronom, hervor. Ein anderer Abkömmling Timurs (väterlicherseits) und Dschingis Khans (mü�erlicherseits) war

30 Die Reiche Zentralasiens

Babur Khan (1483-1530). Diesem turk-sprachigen und in der persischen Kultur verha�eten Fürsten gelang im Jahr 1500 die Eroberung Samarkands, von wo er allerdings bald wieder ver- trieben wurde. Nach einer Niederlage gegen die Özbeken setzte er sich ab 1512 in Afghanistan fest, von wo er in das Indus-Tal ausgriff. Infolge der Schlacht bei Panipat von 1526 begründete er das Moghul-Reich in Indien, das im 17. und 18. Jahrhundert die Masse Indiens beherrschte und bis 1858 bestand.

Die usbekischen Khanate in Transoxanien

Die Herrscha� der Timuriden über das heutige Usbekistan wurde Ende des 15. Jahrhunderts durch die Özbeken (»Usbeken«) über- nommen. Bei diesen handelte es sich um eine Konföderation von Turk-Stämmen aus dem Bereich der Goldenen Horde, die um 1430 in das Gebiet des Syrdarja und Amudarja eindrang. Das im Niedergang begriffene Timuriden-Reich verleibte sich um 1500 der Özbekenfürst Mohammed Schaibani ein, der sein Machtzen- trum in der Sarafschan-Oase etablierte und neben Buchara und Samarkand auch Taschkent und das Fergana-Tal in seinen Besitz brachte. Gleichzeitig musste sich das neue Usbeken-Reich in der Auseinandersetzung mit der Goldenen Horde und gegen Persien behaupten. Obwohl Schaibani im Kampf gegen die Perser 1510 bei Merw fiel, blieb Transoxanien im Besitz der Schaibaniden. Das hat bis heute konfessionelle Konsequenzen: Während sich im Iran der schiitische Islam durchsetzte, blieb Turkestan sunni- tisch. Die Auseinandersetzungen mit dem schiitisch geprägten persischen Safawiden-Reich dauerten an. Die Hauptlinie der Schaibaniden behielt ihr Machtzentrum in der Sarafschan-Oase und Fergana; an Stelle Samarkands stieg Buchara zur Haupt- stadt auf. Eine Seitenlinie der Schaibaniden setzte sich in Cho- resm fest, woraus sich das Emirat Chiwa entwickelte. Nördlich dieses »usbekischen« Schaibaniden-Reiches voll- zog sich die Entstehung einer kasachischen Ethnie. Zunächst ha�e es sich um einen Teil der Stammesföderation der Özbeken gehandelt, die sich dann jedoch als selbstständige politische Ein- heit nördlich des Syrdarja etablierte – verbunden mit der Aus- bildung einer he�igen Feindscha� gegenüber den Stammesbrü-

31 I. Historische Entwicklungen dern im Süden. Auch die Kasachen gliederten sich in vier Ulus: die Große, Mi�lere, Kleine und die Bökejsche Horde. Beginnend im 17. und verstärkt im 18. Jahrhundert fand dort die Herrscha� der Dschingisiden schri�weise ihr Ende. Ost-Turkestan schlug spätestens ab dem 16. Jahrhundert eine eigene Richtung ein, stark beeinflusst vom tibetanischen Buddhismus. Im 18. Jahr- hundert versuchten die hier ansässigen Dsungaren einen Angriff auf China, worauf sie aber ihrerseits vom »Reich der Mi�e« und dessen ostmongolischen Verbündeten unterworfen wurden. Im Jahr 1758 wurde (»Neue Grenze«) durch China erobert; dieses übte phasenweise Einfluss auf das Fergana-Tal aus. In West-Turkestan entwickelten sich in Kokand, Buchara und Choresm (Chiwa) drei Herrscha�sbereiche, deren Khane in der Praxis jedoch den weniger anspruchsvollen Titel des Emirs (Amir) führten. Daher bürgerte sich für alle drei Gebiete die Sammel- bezeichnung Emirate ein. Sie standen einander in schroffer Riva- lität gegenüber, insbesondere Kokand und Buchara. In Choresm festigte sich das Reich der Kunggrat, gekennzeichnet von einem Netzwerk weitgehend autonomer Herrscha�sgebiete unter der Oberhoheit des Khans oder Schahs. Die unter dem Schaibaniden verlegte Hauptstadt Urgentsch wurde Anfang des 17. Jahrhun- derts infolge einer Verödung des linken Amudarja-Laufs nach Choresm rückverlegt. Von hier aus stießen ab 1770 militärische Expeditionen nach Kasachstan und Chorasan vor. In Kokand etablierte sich ein unabhängiges Khanat, das Ende des 18. Jahrhundert unter chinesischem Einfluss stand. Hier brachen he�ige innere Kämpfe aus, insbesondere zwischen Usbeken und der sessha�en iranischsprachigen Bevölkerung. Buchara als dri�e Herrscha�seinheit schließlich erlebte in der zweiten Häl�e des 17. Jahrhunderts eine kulturelle Blüte. Später erschü�erten auch hier Auseinandersetzungen um die Macht die inneren Strukturen, bis 1740 eine neue Dynastie die Herrscha� übernahm. Unter dem Emir Nasrallah (1827-1860) expandierte Buchara sein Territorium. Im Jahr 1842 nahm es sogar für kurze Zeit Kokand ein; dies wiederholte sich 1873. Mi�lerweile war das Russische Reich in Zentralasien »ange- kommen«. Im Jahr 1848 unterwarf es die Kasachen, anschließend durchdrang es die Gebiete südlich des Syrdarja. Ab 1860 verlor Buchara seine Unabhängigkeit. Kokand schlug einen ersten rus-

32 Die Reiche Zentralasiens sischen Angriff 1864 zurück, musste aber im folgenden Jahrzehnt seine Selbstständigkeit ebenso wie Choresm aufgeben.

Nachwirken

In Zentralasien berührten sich im späteren 19. Jahrhundert drei Imperien sessha�er Zivilisationen: Russland, China und Groß- britannien. Schon in den beiden Jahrtausenden zuvor war Turke- stan eine Zone intensiver kultureller Austauschbeziehungen mit bemerkenswerten Hochphasen gewesen. Nicht selten war dem Gebiet des heutigen Usbekistan eine zentrale Rolle zugefallen. Die Symbiose von nomadischen und sessha�en Kulturen hinterließ insbesondere im Militärwesen tief greifende Fernwir- kungen. Neben Erfindungen wie dem Steigbügel zählen hierzu auch taktische Verfahrensweisen. Im 18. und 19. Jahrhundert brachten die so genannten leichten Truppen aus den Berüh- rungszonen Europas mit dem Osmanischen Reich und dessen tatarischen Vasallen die Taktik des so genannten Kleinen Krie- ges nach Mi�eleuropa. Neben den Kosaken entstammte selbst die aus dem Polnisch-Litauischen Großreich entlehnte Truppen- ga�ung der Ulanen (türk. oĝlan, »junger Mann«/»Krieger«) der Begegnung zwischen Europa und dem Inneren Eurasiens. Und auf einer ganz anderen Ebene lebt bis heute die Erinnerung an die einstige Größe zentralasiatischer Völker und ihrer Herrscher weiter fort: beispielsweise im Vornamen »Dschingis« des kirgisi- schen Schri�stellers Aitmatow (1928-2008). Martin Rink

33 picture-alliance/dpa

Im 19. Jahrhundert drangen russische Truppen von Westsibirien aus schritt- weise bis an die Grenzen Afghanistans, Persiens und Chinas vor. 1867 ent- standen die Generalgouvernements »Turkestan« und »Steppe«, und die dort lebenden Muslime wurden Untertanen des Zaren. Nominell unabhän- gig blieben bis zum Ersten Weltkrieg lediglich das Emirat von Buchara und das Khanat von Chiwa – im Bild ein Blick über die gleichnamige Stadt –, die aber beide auf den Status russischer Protektorate herabsanken. Turkestan und Steppe profitierten einerseits von der Verbesserung der Infrastruktur, mit der die zaristische Regierung im großen Stil vor allem den Baumwollanbau förderte. Einheimische Eliten fanden ihren Platz im russischen Staat. So erhielten kasachische Adelige hohe militärische Ränge und entsprechende Bezüge, ihre Söhne durchliefen dann schon oft die Ausbildung in den Kaderschmieden der Kadettenkorps. Abkömm- linge alter usbekischer Adelsfamilien dienten in der russischen Armee, und selbst im konservativen Buchara fanden sich prominente Anhänger einer Modernisierung unter Anleitung Russlands. Andererseits rief der Zustrom von Kosaken und russischen Bauern, die nach Abschaffung der Leibeigenschaft durch Alexander II. im Jahre 1861 als Kolonisten nach Zentralasien kamen, erhebliche Konflikte hervor. Viele Bewohner Zentralasiens empfanden die neuen Verhältnisse als Entrechtung und Fremdherrschaft, zumindest aber leitete die russische Herrschaft einen tief greifenden sozialen und wirtschaftlichen Wandel ein. Zentralasien im Zarenreich

Bis ins 18. Jahrhundert gab es zwischen der ostslawischen Ge- schichte und jener Zentralasiens lediglich indirekte Anknüp- fungspunkte. Expeditionen, die Peter I. (der Große) in die Ka- sachensteppe und in das Khanat von Chiwa entsandte, brachten von dort – sofern ihre Teilnehmer nicht von den kriegerischen Stämmen massakriert wurden – Berichte über die märchenhaf- ten Reichtümer der alten Handelzentren an der Seidenstraße mit. Bis ins frühe 19. Jahrhundert beschränkten sich russische Kontakte in die Region auf den Austausch von Waren. Tatari- sche Fernhandelskaufleute exportierten diese in die russischen Zentren und weiter nach Europa. Russische militärische Vorstö- ße nach Chiwa blieben hingegen 1717 und 1839 in den undurch- dringlichen Wüsten stecken. Die Grenze Russlands folgte um 1800 von Orenburg aus zunächst dem Fluss Ural stromaufwärts, um dann östlich über Petropawlowsk und Omsk sowie am Irtysch entlang über Semi- palatinsk die chinesische Grenze zu erreichen. Um andauernde Überfälle kasachischer Stämme auf russisches Territorium einzu- dämmen, entstand die so genannte Orenburger Linie bestehend aus Grenzforts. Bis zur Jahrhundertmi�e wurde diese durch zahlreiche weitere Stützpunkte und befestigte Linien bis auf Höhe des Syrdarja und von Werny aus nach Norden bis Semipa- latinsk ausgebaut. Die Forts umgaben o� nur eine Karawanserei sowie eine Anzahl kleiner Hü�en, bewohnt von Kosaken oder Bauern sowie tatarischen oder usbekischen Händlern. Die Ausweitung des russischen Einflusses ermöglichten militä- rische Eroberungen, verbunden mit vorteilha�en Bündnisverträ- gen und Allianzen. Schon in der Mi�e des 18. Jahrhunderts ha�en kasachische Khane und Stammesführer einen Treueeid gegenü- ber dem Zaren abgelegt, um ihre Gebiete gegen westmongolische Völker zu schützen. Bestandteil des Russischen Reiches wurden zunächst die Gebiete der Mi�leren und der Kleinen Horde in der Kasachensteppe. Dort setzte der Zar ein einheitliches Verwal- tungssystem durch, das vorhandene Ämter und Gefolgscha�en nach russischem Modell umformte und versuchte, ein Macht- gleichgewicht zwischen dem russischen Staat, den Khanen sowie

35 I. Historische Entwicklungen

300 km MGFA 05934-06

CHINA Staatsgrenzen russische Grenze um 1800 Linie russischer Befestigungen in den 1860er-Jahren gebaut Eisenbahn 0 Generalgouvernements Generalgouvernement Steppe Generalgouvernement Turkestan Buchara seit 1868 Vasallenstaat Chiwa seit 1873 Vasallenstaat Zentren der Bezirk ( Oblast ) Bezirks-( Oblast -)Grenzen Saisan- see Ust- Kamenogorsk Fergana Issyk- Kul Wjerny Semipalatinsk

Irtysch Semiretschie Pischpek Balchasch- see ( später Frunse, heute Bischkek) Pawlodar Semipalatinsk Osch Fergana BRITISCH-INDIEN Andischan Kokand Omsk t (bis 1875) Koktschetaw b Taschkent Akmola Syrdarja Khanat von Kokand Kulja Akmolinsk d n a Chodschen

k Samarkand

Petropawlowsk r a m

a Karschi S a (bis 1868) rj AFGHANISTAN

a Buchara d r Emirat von a y rj S a

Buchara d u Am Aralsk Merw (bis 1873) Kuschka Emirat von Chiwa Aral- see Chiwa

Ural Aktjubinsk Urgentsch Aschchabad Orenburg Transkaspien Kuchan Nischapur nach Moskau Gurjew Krasnowodsk Uralsk Fort Alexandrowski RUSSISCHES REICH e e r c h e s M s p i s

K a PERSIEN Wolga Astrachan Zentralasien bis 1917 Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA.

36 Zentralasien im Zarenreich

örtlichen Stammesführern zu schaffen. Die so genannte Omsker Prikas-Verwaltung (prikas, russ. Befehl) auf dem Gebiet der 1822 aufgelösten Mi�leren Horde schuf eine administrative Gliede- rung mit den Ebenen Kreis (okrug), Gebiet (wolost) und Dorf (aul). Weiter im Westen teilte die Verwaltung seit 1824 das Territorium der Kleinen Horde in drei Teile und machte die dort herrschenden Khane faktisch zu russischen Beamten. Russische Truppen griffen weiter nach Süden und Osten aus. 1865 eroberten sie Taschkent, drei Jahre später fiel Samarkand, und 1875 hörte das Khanat von Kokand auf zu bestehen. Ein Jahr danach unterlagen die Turkme- nen der Armee des Zaren. Ein russisches Expeditionskorps be- setzte 1884 die Oase Merw und schob damit den russischen Herr- scha�sbereich bis zum Amudarja an die afghanische Grenze vor.

Die russischen Generalgouvernements

1867 richtete Alexander II. die beiden Generalgouvernements Steppe und Turkestan ein. Die oberste zivile und militärische Be- fehlsgewalt vereinte dort jeweils ein Generalgouverneur in sich, der ranghoher Militär und direkt dem Zaren verantwortlich war. Turkestan umfasste zunächst die Gebiete (oblasti) Syrdarja und Semiretschie (russ. Siebenstromland, später zeitweise dem Ge- neralgouvernement Steppe zugeschlagen). Anschließend kamen Sarafschan (in der Folge umbenannt in oblast Samarkand), Ferga- na und schließlich im Jahre 1898 Transkaspien hinzu. Eine oblast führte jeweils ein Gouverneur, die Verwaltungseinheit zerfiel wiederum in Kreise (ujesdy), Bezirke und Dörfer. In den islami- schen sessha�en Gebieten blieb die Nachbarscha�sgemeinde (mahallah) die kleinste administrative Einheit, geleitet von einem aksakal (usb. »Weißbart«) genannten Vorsteher. Der russische Einfluss veränderte rasch das Gesicht Zentral- asiens. Ha�en die dortigen Städte sich bis zur Mi�e des 19. Jahr- hunderts von den Dörfern mit ihren kleinen Wohnhäusern aus Lehmziegeln vor allem durch die Größe und das Vorhandensein einer Zitadelle und eines orientalischen Basars unterschieden, nahmen sie durch den Anschluss an russische Warenströme und europäische Kultur eine rasante Entwicklung. Aus Gründen der Sicherheit und zur Vorsorge gegen Krankheiten entstanden rus-

37 I. Historische Entwicklungen sische Wohngebiete o� außerhalb der althergebrachten Bebau- ung. Taschkent, bewohnt von etwa 80 000 Menschen, wurde Ver- waltungszentrum Turkestans und Sitz des Generalgouverneurs.

Die Khanate Buchara und Chiwa Buchara und Chiwa waren im 19. Jahrhundert vormoderne, autokra- tisch regierte, muslimische Staaten, bewohnt von unterschiedlichen Ethnien. Sunnitische Usbeken stellten jeweils die Bevölkerungsmehr- heit. Im geografisch stark zergliederten Buchara lebten um die Jahr- hundertwende bis zu drei Millionen Menschen – davon etwa 100 000 in der Hauptstadt Buchara. Chiwa bestand aus einer einzigen Oase und den umliegenden Wüsten- gebieten, bewohnt von ins- gesamt maximal 800 000 Menschen. Bis zum Ende akg-images des Zarenreiches behielten Chiwa und Buchara als no- minell unabhängige Staa- ten eine Sonderstellung in Zentralasien. Dennoch gerieten auch sie in eine nahezu vollständige Ab- Die Eroberung Samarkands von hängigkeit von Russland. Wassilij W. Wereschtschagin, 1871. Musaffar ad-Din, der Emir von Buchara, musste 1868 mit dem russischen Zaren einen Handels- vertrag schließen und leitete damit den Verlust der Selbstständigkeit ein. Der Generalgouverneur von Turkestan, General Konstantin Petro- witsch von Kaufman, diktierte dem Emir seine Bedingungen. Buchara sank zum russischen Protektorat herab. Der Emir wurde zu einer Mari- one�e seiner russischen Berater. 1873 schrieb ein Freundscha�svertrag die Abhängigkeit Bucharas von Russland endgültig fest. Im gleichen Jahr traf sein Schicksal auch das Khanat Chiwa, das russische Trup- pen zuvor eingenommen ha�en. Khan Mohammed Rahim II. erklärte sich zum »untertänigen Diener« des Zaren und musste Gebietsabtre- tungen an Russland sowie an Buchara zustimmen. Ein Friedensvertrag bürdete Chiwa alle Kosten für die russische Militäroperation auf. Der Preis für die Bestätigung einheimischer Herrscher und für die Erklä- rung Russlands, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Chiwas und Bucharas einmischen zu wollen, bestand vor allem in deren Öffnung für die russische Wirtscha� und für die »Modernisierung« durch das Zarenreich.

38 Zentralasien im Zarenreich

Damit zog die Stadt nicht nur russische Soldaten, Beamte, Händ- ler und Glücksri�er an, sondern wurde auch zu einem Magnet für zahlreiche Einheimische aus der Region. Im November 1867 traf der erste Generalgouverneur Kon- stantin von Kaufman in Taschkent ein. Bald schwärmten Reisen- de vom europäischen Gesicht der Stadt und von der Ordnung und Sauberkeit der russischen Siedlung, die sechs Jahre nach dem Dienstantri� Kaufmans 600 Häuser mit 3000 russischen Ein- wohnern und zusätzlich eine Garnison von 6000 Soldaten um- fasste. Am Ende der 14-jährigen Amtszeit von Kaufmans war die Einwohnerzahl des russischen Taschkent auf 12 000 gestiegen, acht Jahre später belief sie sich schon auf 20 000, während 100 000 Menschen den nicht-russischen Teil bewohnten. 1910 lebten 235 000 Menschen in Taschkent, 47 500 von ihnen Russen. Den Alltag der Stadt bestimmten das Militär, die staatliche Verwaltung und die hier ansässigen Kaufleute, während produ- zierendes Gewerbe fast vollständig fehlte. In Taschkent entstan- den russische Theater. Die Zeitung »Turkestanskie Wedomosti« (Turkestanische Nachrichten) erschien in russischer Sprache, die »Turkestanskaja Tusemnaja Gaseta« (Turkestanische Einheimi- sche Zeitung) auf Usbekisch mit russischer Übersetzung – für viele Jahre eine der wenigen Zeitungen in einer Sprache der Muslime des Russischen Reiches. Soziale Aktivitäten und Ver- anstaltungen bildeten den Mi�elpunkt des sozialen Lebens, pri- vate Theater- und Konzertaufführungen boten vor allem in den Wintermonaten a�raktive Unterhaltung. Kaufman selbst initiier- te die Gründung einer Bibliothek, die sämtliches Schri�gut über die Region sammeln sollte. Ein Museum sowie ein astronomi- sches Observatorium und eine meteorologische Station erfreuten sich ebenfalls seiner persönlichen Förderung. Trotz kultureller Vielfalt empfanden viele Einwohner das Leben in Taschkent als eine Art Exil. Gesellscha�liche Verpflich- tungen und das aufwändige Leben in der Stadt fraßen rasch die Saläre von Beamten und Soldaten auf. Unter Russen weit ver- breitet war exzessiver Alkoholkonsum, ganz besonders in der Armee. Verluste im Glücksspiel förderten die ohnehin grassie- rende Bestechlichkeit unter den Staatsdienern. Viele Besucher beschrieben eine Lebenswelt, in der sich bis zum Ersten Weltkrieg die Sphären der russischen Kolonisten und

39 I. Historische Entwicklungen der einheimischen Bevölkerung kaum berührten. Die Zahl der Russen, die sich für die einheimische Bevölkerung und ihre Kul- tur und Sprache interessierten, war insgesamt verhältnismäßig gering. Allerdings dienten gerade in den Reihen des russischen Militärs einige fähige Historiker, Ethnografen und Naturwissen- scha�ler, denen wir bedeutende zeitgenössische Studien über Zentralasien verdanken. Erst allmählich bildete sich eine russi- sche Oberschicht aus, die in Zentralasien aufgewachsen war, und sich mit Turkestan als einem in vielen Bereichen erfolgreichen Teil des Imperiums identifizierte. Auch einheimische Kaufleute brachten es zunehmend zu Wohlstand und Ansehen. Eine vergleichbare Entwicklung wie Taschkent durchliefen die übrigen Städte Turkestans. Russische Siedlungen entstanden entlang der neuen Eisenbahn. Etwa 11 500 Menschen bildeten 1908 die zweitgrößte russische Kolonie in Samarkand, das zu diesem Zeitpunkt insgesamt knapp 81 000 Einwohner zählte. In Nowyj Margelan, dem heutigen Fergana, waren 1911 von 11 000 Einwohnern 7000 Russen, während die größeren Städte Kokand, Namangan und Andischan in der gleichnamigen oblast bis zum Ersten Weltkrieg nur einen kleinen russischen Bevölkerungs- anteil aufwiesen. Die große Masse der Menschen Zentralasiens lebte nach wie vor auf dem Land: 1903 zählte man in Turkestan lediglich acht Prozent zu den Städtern. Die Textilindustrie Russlands wurde zum Hauptabnehmer des au�lühenden Baumwollanbaus in Zentralasien. Von Versuchsfar- men bei Taschkent aus gelang die Einführung amerikanischer Sor- ten, die sich für das zentralasiatische Klima als geeignet erwiesen. 1883 begann der Anbau auf einer Fläche von wenigen Desjatinen (russ. Maßeinheit, entspricht ca. 1,1 Hektar) und erreichte bereits 1888 einen Umfang von 68 000 und bis zum Ersten Weltkrieg von mehr als 400 000 Desjatinen. Die ersten Zentren des Baumwollan- baus bildeten Fergana, Samarkand, Buchara, Chiwa und Transka- spien. Hier produzierten überwiegend private Landwirtscha�en, da sich Großbetriebe angesichts der aufwändigen Anbauverfahren als Fehlschläge erwiesen. 1911 exportierte Turkestan 13 181 000 Pud (russ. Maßeinheit, entspricht 16,38 kg) Baumwolle, und in der Region entstand auch eine verarbeitende Industrie. Der Baumwollboom ging einher mit Bewässerungsprojekten sowie der Schaffung eines Bankenwesens und ließ ein weit ver-

40 Zentralasien im Zarenreich zweigtes Vertriebs- und Transportsystem entstehen. Der russische Ingenieur General Michail Nikolajewitsch Annenkow trieb das russische Eisenbahnnetz bis zum Amudarja und bis Samarkand voran und verband dadurch Krasnowodsk und die Ostküste des Kaspischen Meeres mit dem Herz der russischen Erwerbungen in Turkestan. Zeitweise kamen auf den Baustellen der 1888 vollen- deten und 1864 Kilometer langen Transkaspischen Eisenbahn bis zu 20 000 Arbeiter aus der Region zum Einsatz. Eine Verbindung von Orenburg nach Taschkent ging 1906 in Betrieb und machte Moskau auf einer Trasse über Samara direkt erreichbar.

Neusiedler und Kolonisierung

Bis 1914 strömten Hunder�ausende russische Siedler nach Turkes- tan. Sie trafen dort auf unterschiedlich dicht besiedelte Landschaf- ten mit sessha�en Bauern und Nomaden sowie auf verschiedene Rechtskulturen und Stammestraditionen. Unvermeidliche Kon- flikte zwischen der eingesessenen Bevölkerung und den Neuan- kömmlingen versuchten die Gouverneure auszugleichen und dabei die Ordnung im Sinne des Zaren aufrecht zu erhalten. Um Zentralasien zu beherrschen, griffen die russischen Be- hörden mit den Kosaken erstens auf das häufig erprobte Mi�el der militärischen Kolonisierung zurück. Regional in unterschied- lichem Umfang und mit einem Schwerpunkt in den heute zu Kasachstan gehörenden Steppengebieten in Richtung der chine- sischen Grenze, erhielten Kosaken Land und Saatgut zugewie- sen. Der Generalgouverneur konnte dadurch reguläre Truppen sparen, die für einen flächendeckenden Einsatz ohnehin viel zu schwach gewesen wären. Obwohl sich bis zum Ersten Weltkrieg nur einige Zehntausend Kosaken in stanizy genannten Siedlungen niederließen, nahmen die Einheimischen sie doch als eine schwer- wiegende Bedrohung wahr: General von Kaufman stellte nüch- tern fest, die Kosaken nähmen den sessha�en Bauern wertvolles Land weg und setzten sich über Gewohnheiten, Wirtscha�sweise und Wanderverhalten der Nomaden Zentralasiens hinweg, indem sie deren althergebrachte Routen unterbrachen. Der zweite, von den russischen Behörden gewählte Weg der Kolonisierung bestand in der Ansiedlung von Bauern aus den

41 I. Historische Entwicklungen

Der Eisenbahnbau als strategisches Machtmi�el Der Eisenbahnbau illustriert die strategische Dimension des russischen Ausgreifens in Zentralasien. 1898 erreichte die Trasse entlang des Flusses Murghab in Kuschka die afghanische Grenze und rückte über diesen Brückenkopf das afghanische Herat in grei�are Nähe. Zur glei- chen Zeit versuchte Großbritannien von Britisch-Indien aus, das eigene Eisenbahnnetz über Que�a und Peschawar bis Afghanistan – seit dem Zweiten Anglo-Afghanischen Krieg und dem Vertrag von Gandomak 1879 halbautonomes britisches Protektorat – voranzutreiben. Am Amudarja tat sich ein neuer Konflikt der beiden Großmächte um die Vormachtstellung in der Region auf. Krä�emessen und Säbel- rasseln verloren erst 1907 durch die Konvention von St. Petersburg an Schärfe, welche die Rolle Afghanis- tans als Pufferstaat zwi- schen Großbritannien und Russland festschrieb. Der picture-alliance/imagestate/HI afghanische Emir Abdur- rachman (1880 1901) lehnte - Eisenbahnbau zwischen Kaspischem Meer und den von beiden Konflikt- Samarkand, englische Grafik, 1888. parteien mehrfach vorge- schlagenen Bau einer Eisenbahn in seinem Land als Hilfsmi�el für eine mögliche Invasion einer der beiden Seiten ab (»a knife pushed into my vitals«). Auch unter seinem Nachfolger Habibullah I. (1901-1919) blie- ben dem russischen Einfluss südlich seiner zentralasiatischen Gouver- nements deutliche Grenzen gesetzt. europäischen Gebieten des Reiches. Diese konzentrierte sich vor allem auf die Steppe in Richtung der chinesischen Grenze. Neue Siedlungen wuchsen zunächst an der Straße von Orenburg nach Taschkent und von dort – quer durch die oblast Semiretschie nach Nordosten – entlang einer Linie über Werny nach Semipalatinsk aus dem Boden. In vielen Teilen Turkestans lebten jedoch weit mehr sessha�e Einheimische und Nomaden als etwa in den Wei- ten der nördlichen Kasachensteppe. Das Generalgouvernement war eben kein leeres Land, das Kolonisten »erschließen« und in das sie »vordringen« konnten, wie es mitunter spätere Chronis- ten der russischen Grenzländer (Okrainy Rossii) romantisierend beschrieben.

42 Zentralasien im Zarenreich

Die Frage, in welcher Weise die Besiedelung organisiert wer- den könne, und wie stark der Staat russische und kosakische Neu- siedler zugunsten der Einheimischen bevorzugen dürfe, beschäf- tigte hochrangige Kommissionen in St. Petersburg und Moskau. In einem entsprechenden Gesetz kamen 1886 viele der radikalsten Vorschläge zur Russifizierung Zentralasiens nicht zur Anwen- dung, das Gesetz sah für die Nomaden sogar ausdrücklich die dauerha�e Nutzung ihres angestammten Landes vor. Aber viele russische Siedler schufen Tatsachen, indem sie fruchtbaren Boden widerrechtlich in Besitz nahmen. Mit einem weiteren Gesetz ver- suchte die Regierung 1889 den Zuzug in geordnete Bahnen zu len- ken, doch stieg der Zustrom landhungriger Bauern weiter an und brachte die Behörden an den Rand ihrer finanziellen und organi- satorischen Möglichkeiten. Siedler lebten zunächst o� in Armut, da staatliche Unterstützung für den Neuanfang fehlte. Erst nach der Jahrhundertwende gelang dem Staat die Festi- gung und Straffung der Verwaltungsstrukturen und eine bes- sere Koordinierung der Siedlerströme. Die 1896 eingerichtete Umsiedlungsverwaltung (Pereselentscheskoe uprawlenije) stieg zu einer mächtigen Instanz auf. Allein im Jahre 1907 zogen 577 000 Menschen über den Ural ins asiatische Russland. 1911 waren von 3 834 000 Einwohnern des überwiegend ländlich strukturierten Gouvernements Steppe – allerdings bei erheblichen regionalen Unterschieden in der Bevölkerungsverteilung – bereits 40 Prozent Siedler aus dem europäischen Russland. In Turkestan stammten zu diesem Zeitpunkt lediglich sechs Prozent von insgesamt 6 493 000 Einwohnern aus dem »alten« Russland, davon waren knapp die Häl�e in den Städten ansässig. Außer in der oblast Semiretschie (17 Prozent) blieben die Russen hier bis zum Ersten Weltkrieg eine kleine, aber tonangebende Minderheit. Zentralasiatisches Land wurde zusehends knapper. Die Novellierung des Gesetzes von 1886 scha�e 1910 faktisch die Schutzbestimmungen für Grund und Boden eingesessener Bau- ern ab. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg arbeitete die russische Regierung sta�dessen Pläne für einen gigantischen Ausbau des Bewässerungssystems und der Baumwollproduktion, verbun- den mit einem erheblichen Zugewinn an kultivierbarem Boden. Hier schien sich eine Möglichkeit abzuzeichnen, die bestehen- den Probleme zu entschärfen. Der Krieg und der Zusammen-

43 I. Historische Entwicklungen bruch des Zarenreiches 1917 beendeten dann aber vorläufig alle entsprechenden Planungen, die einige Jahre später die Sowjets erneut in Angriff nehmen sollten.

Kampf der Religionen und Kulturen?

Das Russische Imperium stand im Rahmen seines Ausgreifens auf die Kasachensteppe und nach Turkestan – ebenso wie früher in Kasan, Astrachan, auf der Krim oder im Kaukasus – vor der Herausforderung, die dortige muslimische Bevölkerung in den russischen Staat einzubinden. Die hoch entwickelten Kulturen an der Peripherie des Reiches, ihre Verbindungen mit der übrigen islamischen Welt und schließlich die Wehrha�igkeit traditionel- ler Kriegerkulturen wirkten einer einfachen Vereinnahmung ent- gegen. Bis zum Ersten Weltkrieg blieben die Muslime »Fremde« (inorodzy), die zwar Steuern zahlten, aber beispielsweise keinen Wehrdienst leisten mussten, und denen man lokale Verwaltung und Rechtsprechung selbst überließ, solange sie die Auflagen des russischen Staates erfüllten. Diskussionen über die »richtige« Politik gegenüber den Mus- limen waren einerseits von der Idee geprägt, diese vom Wert der russischen Kultur und Sprache zu überzeugen, ihre Loyalität zu gewinnen und auf diese Weise eine »Annäherung« (sblischenije) zu vollziehen. Andererseits gehörte die Steppe, so die unhinterfragte Generallinie staatlicher Siedlungspolitik, den russischen Bauern. Die Erschließung Zentralasiens war außerdem Teil einer kultu- rellen Mission Russlands von historischer Dimension, so wie sie das Zarenreich bei der Besiedelung Sibiriens bereits erfüllt ha�e. Diese schloss auch eine Russifizierung und die Bekehrung von Nicht-Christen zum orthodoxen Christentum mit ein. Bis zum Ersten Weltkrieg bewegte sich in Turkestan die staatliche Politik gegenüber den Muslimen zwischen den genannten Polen. Als ein Mi�el der Annäherung und Herrscha�ssicherung be- gann der Staat schon in den 1860er-Jahren – parallel zum Au�au der Verwaltung – mit der Errichtung von Schulen, in denen ein- heimische Kinder außer in ihrer Landessprache vor allem in Rus- sisch unterrichtet wurden. Unter einfachsten Rahmenbedingun- gen nahmen erstmals Grundschulen in entlegenen auls (Dörfern)

44 Zentralasien im Zarenreich der Kasachensteppe den Lehrbetrieb auf. Manche Lehrer mussten den Nomadenklans auf deren Wanderungen folgen, um den Kin- dern wenigstens Grundkenntnisse der Schri� beizubringen. Demgegenüber fanden die russischen Behörden in Turkestan bereits ein hoch entwickeltes Schulsystem vor. Am Ausgang des 19. Jahrhunderts bestanden hier 5900 der in der muslimischen Welt üblichen Koranschulen (mektebs), in denen jeweils zwei bis fünf Jahre lang religiöse arabische Texte in Wort und Schri� eingeübt wurden. Die religiöse Ausbildung fand an den 400 Medresen ihre Fortsetzung, unabhängigen und meist durch Sti�ungen (Waqf) fi- nanzierten Bildungseinrichtungen. Die religiösen Schulen wirkten als Hort traditioneller Lebensweise und standen der Idee einer »Russifizierung« und Modernisierung Turkestans entgegen. General von Kaufman versuchte, die muslimische Bevölkerung des Generalgouvernements nicht gegen sich aufzubringen. Ortho- doxer Mission in Turkestan legte er zunächst strenge Zügel an. Er behinderte die Tätigkeit der traditionellen Ausbildungseinrichtun- gen nicht, allerdings erhielten mektebs und Medresen keinerlei staat- liche Unterstützung. Dem Ziel, orthodoxe Christen und Muslime gleichermaßen zu nützlichen Untertanen des Zaren zu erziehen, dienten neue Schulen und Lehrerseminare – seit den 1870er-Jahren zunächst in den russischen Siedlungen –, die auch nicht-russischen Kindern und Jugendlichen offen standen. Von einem flächende- ckenden staatlichen Schulsystem blieb man freilich weit entfernt. Viele muslimische Eltern weigerten sich, ihre Kinder russischen Lehrern anzuvertrauen. Die Vorbehalte gegen eine weltliche, rus- sisch dominierte Ausbildung konnten auch die Einführung spezi- eller Grundschulen für nicht-russische Kinder und die Abhaltung muslimischen Religionsunterrichts nicht ausräumen. Bestanden in ganz Turkestan 1896 insgesamt 28 Schulen für einheimische Kinder, so wuchs ihre Anzahl bis 1911 lediglich auf 89. Vielen Kindern, die dort im Unterricht Sätze zunächst in ihrer Mu�ersprache und dann auf Russisch mechanisch sprechen und schreiben mussten, blieb die russische Sprache selbst nach mehreren Jahren des Schulbesuchs fremd. Und wenige weiterführende Ausbildungseinrichtungen in den Städten vermochten es nicht, nicht-russischen Jugendlichen in größerem Umfang berufliche Chancen in der staatlichen Verwal- tung oder in der Wirtscha� Turkestans zu eröffnen. Die Idee einer Bildungsrevolution, welche die neuen Untertanen aus ihren traditi-

45 I. Historische Entwicklungen onellen kulturellen Verhältnissen katapultieren und im russischen Sinne umerziehen sollte, scheiterte an unzulänglichen Konzepten, fehlenden Mi�eln und am Beharrungsvermögen der traditionellen muslimischen Kulturen.

Das Ende der Zarenherrscha�

Widerstand gegen die Herrscha� des Zaren formierte sich auf mehreren Ebenen. Erstens griffen einzelne muslimische, traditio- nell-religiös motivierte Gruppen den russischen Staat an, um die Herrscha� der »Ungläubigen« zu beenden. Zweitens traten seit den 1890er-Jahren und dann vor allem mit der Revolution von 1905, die das autokratische Regime des Zaren zum Einsatz massi- ver militärischer Mi�el gegen eine politisch breit gestreute Oppo- sition sowie zu konstitutionellen Zugeständnissen zwang, inner- halb der kleinen Industrie-Arbeiterscha� Turkestans die gleichen sozialistischen Strömungen wie in Russland auf. 1908 arbeiteten hier immerhin 32 000 Menschen in Industriebetrieben, davon al- leine 15 000 bei der Transkaspischen bzw. Orenburg–Taschkent- Eisenbahn. Das Industrie- und Eisenbahnproletariat war russisch dominiert, da die einheimischen, meist ungelernten Arbeiter – mit insgesamt 77 Prozent sogar die deutliche Mehrheit – in der Regel nur Zeitverträge erhielten und schon deswegen einen deutlich niedrigeren Organisationsgrad aufwiesen als die russischen Fach- krä�e. Dri�ens schließlich entstand innerhalb der eingesessenen Bevölkerung eine kleine Schicht, die vom tiefgreifenden gesell- scha�lichen und wirtscha�lichen Wandel Zentralasiens profitie- ren wollte und die Forderung nach einer verstärkten Beteiligung der dortigen Nationalitäten an Regierung und Verwaltung formu- lierte. 1905 organisierten sich die Muslime des Zarenreiches in der Russischen Allmuslimischen Partei (Russkaja obschtsche-musul- manskaja Partija) und waren nun auch mit Abgeordneten im rus- sischen Parlament, der Duma, vertreten. Zwischen 1905 und 1907 bestanden in Turkestan einige liberale, einheimische Zeitungen, deren intellektuelle Wortführer sowohl die Autorität des Zaren als auch jene der muslimischen religiösen Führer anzweifelten. Die nicht-russischen Gegner der neuen Verhältnisse verband das Bekenntnis zum Islam, die Angst vor der Zerstörung der eige-

46 Zentralasien im Zarenreich nen Kultur, die Erfahrung früherer Eroberungen sowie gewaltsam herbeigeführter Machtwechsel. Immer wieder flackerten kleinere Aufstände auf, henkten aufgebrachte Bauern missliebige regionale Vertreter der Staatsmacht. Kasachische Khane revoltierten schon 1868 gegen die neue Verwaltungsordnung. In Fergana mussten russische Truppen 1885 die Rebellion eines früheren Amtsträgers im Khanat von Kokand niederschlagen. 1892 brach in Taschkent nach einer Cholera-Epidemie ein Aufstand aus, ausgelöst unter anderem durch die Verletzung religiöser Begräbnisvorschri�en seitens der russischen Behörden. Fast 100 Menschen ertranken auf der Flucht vor russischen Sicherheitskrä�en oder starben durch die Kugeln des Militärs. Ein religiöser Führer aus Fergana, Dukt- schi Ischan (Ischan bezeichnet einen Sufi-Scheich und seine Nach- kommen, Duktschi den vom Vater ausgeübten Beruf des Spin- delmachers; eigentlich Mohammed-Ali Madali Sabir) führte 1898 einen Aufstand an, mit dem Ziel, das Khanat von Kokand wie- dererstehen zu lassen. In Andischan töteten die Aufständischen zahlreiche Soldaten der russischen Garnison, bevor ihre Revolte zusammenbrach. Die russischen Behörden henkten Duktschi Ischan und einige seiner Anführer und verurteilten zahlreiche an- dere Beteiligte zu Zwangsarbeit oder Verbannung. Mit der Revolution von 1905 traten dann auch in Turkestan verstärkt sozialistische Gruppierungen in Erscheinung. Sie or- ganisierten von Taschkent aus Streiks in den Industriebetrieben und legten die Eisenbahnverbindungen lahm. Nahe der städti- schen Duma schossen Kosaken auf überwiegend russische De- monstranten, um die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen. Truppen der Taschkenter Garnison meuterten, während andern- orts die Staatsmacht brutal gegen die Streiks der Eisenbahner und Arbeiter vorging. Ein Jahr später brachte das Militär die Situation wieder unter Kontrolle. Ebenso wie in St. Petersburg und Moskau wurde die Revolution niedergeschlagen, zahlreiche Beteiligte zu Ha�strafen verurteilt oder verbannt. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte für Zentralasien den Zusammenbruch großer Teile des Wirtscha�slebens. Nicht- russische Männer blieben – sieht man von wenigen, meist hoch- rangigen Ausnahmen ab – vom Wehrdienst ausgeschlossen, da die Armeeführung ihre Zuverlässigkeit anzweifelte. Der Zustrom von Neusiedlern verebbte. Sta�dessen kamen Kriegsflüchtlinge in gro-

47 I. Historische Entwicklungen

ßer Zahl sowie Kriegsgefangene in die Region. Zusätzliche Steuern und die Knappheit von Lebensmi�eln und Konsumgütern trieben die Preise in die Höhe. Die immer offensichtlichere Schwäche der russischen Armee ermutigte anti-russische Aufstände in Chiwa. Die an mehreren Fronten des Reiches gebundenen regulären Streit- krä�e konnten in Turkestan bestenfalls noch punktuell eingreifen. Erst 1916 beschloss die russische Regierung der blanken Not des Krieges gehorchend, auch Nicht-Russen für den Bau und die Unterhaltung militärischer Infrastruktur im Hinterland heran- zuziehen. Sie löste mit dieser Maßnahme die größten Unruhen in der Geschichte der russischen Herrscha� in Zentralasien aus. Diese erfassten im Juli große Teile Turkestans. Die Behörden des Generalgouvernements, die durch ungeschickte oder fehlende Erläuterung der Einberufung zum Arbeitsdienst düsteren Ge- rüchten über das weitere Schicksal der Einberufenen Vorschub geleistet ha�en, reagierten panisch auf die Gewaltausbrüche und ließen auf Demonstranten schießen. In der Folge richteten sich Übergriffe in erster Linie gegen Polizei und Behörden. Rus- sische Dor�ewohner vertrieben nicht-russische Nachbarn von ihren Grundstücken, usbekische und kasachische Bauern übten Rache an Neusiedlern. In der Kasachensteppe schlugen Kosaken brutal den bäuerlichen Widerstand nieder. Die Aufstände ufer- ten in Brandschatzungen und Plünderungen aus. Der frühere Kriegsminister General Alexei Nikolajewitsch Kuropatkin, mit der Niederschlagung der Unruhen beau�ragt, brauchte bis zum Jahresende, um die Gewalt unter Kontrolle zu bringen – neben dem Einsatz von Soldaten auch durch Reisen in die Unruhege- biete und Gespräche. Etwa 3700 Menschen kamen im Verlauf des Aufstandes in Turkestan ums Leben. 24 russische und 55 nicht- russische Repräsentanten der Staatsmacht wurden ermordet, 173 Soldaten fielen. 9000 russische Bauernhöfe gingen in Flam- men auf. Hunder�ausende – sowjetische Schätzungen sprachen gar von 1 230 000 Menschen – flohen aus den zentralasiatischen Generalgouvernements nach Afghanistan, Persien und China. Es war der Anfang vom Ende der Zarenherrscha� in Zen- tralasien: Am 27. Februar 1917 dankte Zar Nikolaus II. ab. Als die Kunde vom Ende seines Reiches aus der revolutionären Haupt- stadt Petrograd in Taschkent eintraf, begann in Zentralasien der Kampf um die Macht. Am 31. März stellten die Revolutionäre

48 Zentralasien im Zarenreich

Die Basmatschi Der turksprachige Begriff bosmoq bedeutet eigentlich »unterdrücken«. Der Begriff erhielt einen neuen Gehalt, als sich 1916 im Ersten Weltkrieg die nicht-russischen Einwohner der Generalgouvernements Turkestan und Steppe gegen die allgemeine Mobilmachung erhoben. Nach der Oktoberrevolution unterstützten die Basmatschi zunächst die Bolsche- wiki, die Zentralasien Unabhängigkeit und seinen Völkern nationale Selbstbestimmung versprachen, wurden aber bald selbst als »Nationa- listen« zu Feinden des kommunistischen Staates erklärt. Während des Bürgerkrieges kämp�en die Basmatschi gegen die roten Truppen. Sie erhielten Zulauf von Nomaden, sessha�en Bauern, früheren Angehöri- gen der staatlichen Bürokratie aber auch lokalen Machthabern, für die ein Sieg der Bolschewiki das Ende der eigenen Pfründe bedeutete. Bis 1920 blieben Teile Zentralasiens unter Kontrolle der Basmatschi. Wider- standszentren bildeten – wie schon in zaristischer Zeit – das Fergana- Tal, Buchara und Chiwa. 1922 scheiterte Enver Pascha mit dem Versuch, Zentralasien mit Hilfe der Basmatschi der pantürkischen Idee zu er- schließen. Am 4. August zerschlug die Rote Armee deren Verbände bei Duschanbe. Die Basmatschi leisteten mit Guerillamethoden weiterhin Widerstand gegen die Sowjetmacht. Viele ihrer Anhänger gingen über die Grenze nach Afghanistan, Persien und China, aber noch in der Mi�e der 1930er-Jahre bekämp�en die sowjetischen Streitkrä�e und Trup- pen des Innenministeriums in den zentralasiatischen Sowjetrepubliken »konterrevolutionäre Banditen«. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1979 ließen die Medien der UdSSR den Begriff Basmatschi – neben dem arabischen Wort »Mudschaheddin« – als Bezeichnung für die verteufelten, islamistisch und nationalistisch motivierten afghani- schen Widerstandskämpfer wieder aufleben.

General Kuropatkin unter Hausarrest und wiesen ihn wenige Tage später aus der Region aus. Am 31. Oktober triumphierten die Bolschewiki in Taschkent und errangen im Bürgerkrieg von 1918 bis 1920 die Herrscha� auch über Transkaspien und die Ka- sachensteppe. Von Anfang an überscha�ete jedoch Gewalt die Einführung einer Gesellscha�sordnung, die allen Menschen in einem neuen, sozialistischen Vielvölkerreich Fortschri�, Wohl- stand und das Ende der nationalen und kulturellen Unterdrü- ckung versprochen ha�e. Bernhard Chiari

49 BArch, 101I-295-1561-04/Müller

Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts geriet Zentralasien ins Blickfeld deutscher Politik und militärischer Interessen. Das Vordringen des Za- renreiches wurde in Berlin mit einiger Sympathie verfolgt. Die Russen übernahmen anscheinend eine zivilisatorische und ordnungspolitische Mission in einem unübersichtlichen Raum der muslemischen Welt, der durch Rückständigkeit, Unruhe und Machtzerfall gekennzeichnet schien. Die Usbeken wurden als asiatisch-mongolischer Stamm wahrgenom- men, dessen kulturelle, wirtschaftliche und militärische Bedeutung nicht eingeschätzt werden konnte. Eine politische Gliederung oder eigenstän- dige Staatsbildung im europäischen Sinne war nicht erkennbar. Usbe- ken bildeten, so informierte das deutsche »Militär-Wochenblatt« 1873, die Hauptbevölkerung in den drei Oasen-Reichen von Chiwa, Buchara und Kokand, umgeben von riesigen Steppengebieten, in denen Noma- denvölker wie die Kirgisen und Turkmenen lebten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam Usbekistan im deutschen militärischen Kal- kül insbesondere aufgrund seiner Nachbarschaft zu Afghanistan – dem Sprungbrett zum britisch beherrschten Indien – Bedeutung zu. Im Bild turkestanische Freiwillige der Wehrmacht bei der »Sandkastenausbil- dung« im Jahre 1944. Operationen auf der Seidenstraße? Usbekistan im deutschen militärischen Kalkül während der Weltkriege

Der Mythos alter Kulturstä�en wie Buchara und Samarkand verband sich im 19. Jahrhundert mit der Wiederentdeckung der Seidenstraße als einer Verbindungslinie zwischen Europa und Asien, deren Ursprünge sich in Urzeiten verlieren. Doch dieser Mythos interessierte allenfalls einige Gelehrte und Reisende. Für Kaufleute und Industrielle war die Region bedeutungslos, allen- falls als Land alter Pferdezucht gerühmt. Die Kolonialpolitik Russlands, mit dem Preußen und ab 1871 das Deutsche Reich lange Zeit freundscha�lich verbunden war, verstand man in Berlin als positiven Faktor. Mit der Errichtung des Generalgouvernements Turkestan 1867 und der Übernahme der Kontrolle über das Emirat Buchara verscha�e sich Moskau ein Sprungbre� in Richtung Afghanistan. Dass damit englische Interessen durchkreuzt wurden, machte die gesamte Region zu einem Konfliktfeld internationaler Politik. Auch in Berlin inter- pretierte man diese Entwicklung als Bestätigung der damals modernen Theorien von Geopolitik, die Zentralasien als »Herz- land« jeglicher Weltherrscha� ansahen. Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges musste der deutsche Ge- neralstab damit rechnen, dass sowohl Russland als auch England zu Feindmächten werden könnten. Deren gegenseitige Verwick- lung und Bindung in Zentralasien konnte aus diesem Blickwin- kel nur willkommen sein. So sandte man nach Kriegsausbruch eine geheime Militärdelegation nach Afghanistan. Im Gegensatz zum Land der Usbeken, das sich als Generalgouvernement fest in russischer Hand befand, verfügte der Emir in Kabul über ein gewisses militärisches Potenzial. Deshalb erkannte Deutschland 1916 die Unabhängigkeit Afghanistans an und versuchte, von hier aus den Aufstand gegen die britische Herrscha� über den reichen indischen Subkontinent zu schüren. Das Bla� wendete sich ein Jahr später, als mit der Nieder- lage der Zarenarmee raumgreifende deutsche Operationen und stärkere Einflussnahme auch in Zentralasien möglich schienen. Die antibritische Strategie zielte auf einen Vorstoß über den Kau-

51 I. Historische Entwicklungen kasus und Nordpersien sowie über Turkestan und den Hindu- kusch nach Kabul. Verfechter einer solchen Option war der Chef der Militärmission in Afghanistan, der bayerische Offizier Oskar Ri�er von Niedermayer. Mit dem Zusammenbruch des Deut- schen Reiches und dem Kriegsende in Europa 1918/19 änderte sich die Situation aber grundlegend. Die Weimarer Republik war auf ein gutes Verhältnis mit Großbritannien angewiesen, um der französischen Vorherr- scha� auf dem Kontinent widerstehen zu können. Die deut- sche »Speerspitze« Afghanistan verlor damit ihre Schärfe. Nach Kabul schickte man nun Lehrer und Ingenieure. Sta�dessen verlagerte sich das militärische, politische und wirtscha�liche Interesse auf die Region der alten Seidenstraße, wo zunächst die Auswirkungen des Russischen Bürgerkrieges eine Klärung der Machtverhältnisse verzögerten. Die Sowjetisierung Turkes- tans, das 1924 als Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik erstmals Namen und territoriale Ausdehnung erhielt, wie sie in etwa der heutigen Gestalt entsprechen, schürte noch lange einen religiös motivierten Widerstand. Wenn die Rote Armee »mit großer Strenge« und zahlreichen Erschießungen jeden Aufstand unterdrückte, wurde dieses Vorgehen in deutschen militärischen Kreisen emotionslos registriert. Niedermayer war zwischenzeitlich aus Kabul nach Berlin zurückgekehrt. Dort propagierte er trotz der deutschen Nieder- lage die Vertreibung der Briten aus Indien. Eine entsprechende Vorbereitung in Turkestan und Afghanistan sollte langfristig ge- plant und in Zusammenarbeit mit Sowjetrussland erfolgen. Die Heeresleitung in Berlin unter General Hans von Seeckt zeigte sich gegenüber solchen Ideen durchaus aufgeschlossen. Nie- dermayer wurde der Verbindungsmann Seeckts in Moskau und organisierte die geheime Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Armee. Das betraf nicht nur Ausbildung und Rüstung, sondern auch die gemeinsame Unterstützung des chinesischen Nationalismus. Aus deutscher Sicht war das Land der Usbeken nun eine wichtige Drehscheibe für die Verbindung nach China. Deshalb wurde die »Festigung« der russischen Stellung in Turkestan sowie der Ausbau der Straßen- und Bahnverbindungen nach Westchina begrüßt. Das »Reich der Mi�e« befand sich im Stru-

52 Usbekistan während der Weltkriege del von Revolution und Auflösung, wo Kriegsherren eine vom Militär getragene Modernisierung zu organisieren versuchten. An ihre Spitze setzte sich General Tschiang-Kai-Schek durch, dessen nationalistische Kuomintang-Bewegung zeitweilig mit der damals noch kleinen Kommunistischen Partei (KP) koope- rierte. Die chinesischen Nationalisten wehrten sich gegen den Einfluss der westlichen Großmächte und Japans. Dafür brauch- ten sie militärische Technologie und Ratgeber, die ihnen von deutscher und sowjetischer Seite gern gestellt wurden. Seeckt persönlich ließ sich nach seiner Verabschiedung ebenso wie an- dere deutsche Generale »im Ruhestand« von den Nationalchi- nesen Anfang der dreißiger Jahre engagieren, obwohl die inter- nationale Lage nunmehr komplizierter geworden war. Die Kommunisten unter Mao Tse-tung bekämp�en die Zen- tralregierung, und in der Mandschurei drangen die Japaner auf chinesischem Territorium vor. Japan war im Ersten Weltkrieg Kriegsgegner Deutschlands gewesen und ha�e dessen Besit- zungen in China okkupiert. In den dreißiger Jahren setzte die deutsche Militärpolitik deshalb auf die guten Kontakte zu Pe- king, zumal das Riesenreich im Fernen Osten auch wirtscha�- lich interessanter schien und über kriegswichtige Rohstoffe verfügte. Diese waren auf dem transkontinentalen Weg zu- gänglich, unabhängig von einer möglichen britischen Blockade im Kriegsfall, aber natürlich abhängig vom russischen Eisen- bahnweg.

Militärische und politische Planungen während des Nationalsozialismus

Obwohl Adolf Hitler nach seiner Machtübernahme die Bezie- hungen mit Japan ausbauen ließ, blieb in Kreisen von Wirtscha�, Diplomatie und Militär die chinesische Option erste Wahl. Hitler hingegen setzte aus strategischen Überlegungen auf ein mögli- ches Bündnis mit Japan, und zwar in der Absicht, die angelsäch- sischen Mächte in Asien und im Pazifik zu binden. Da die Japa- ner ihre Expansion schri�weise entlang der chinesischen Küsten entwickelten, konnten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges

53 I. Historische Entwicklungen die deutsch-chinesischen Beziehungen aber aufrecht erhalten werden. Mit dem überraschenden Abschluss seines Nicht-Angriffs- Paktes mit Josef Stalin schien Hitler im August 1939 die alte eu- rasische Vision deutscher Weltmachtpolitik aufnehmen zu wol- len. Doch es war nur ein Schachzug, um sein eigentliches Ziel, die Eroberung von »Lebensraum im Osten«, einen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die UdSSR, unter günstigeren Bedin- gungen aufnehmen zu können. Am 22. Juni 1941 war es soweit. Die Wehrmacht begann ihren Vormarsch in Richtung Moskau. Als Operationsgrenze war die Linie Astrachan–Archangelsk anvisiert, was auch Vorstöße über den Kaukasus und nach Zen- tralasien möglich machen würde. Doch der deutsche Blitzkrieg scheiterte und entwickelte sich zu einem zähen Ringen an der Ostfront. Um wie im Ersten Weltkrieg die russische Armee zu zersetzen, wandte sich die deutsche Propaganda speziell an die nicht-russischen Nationalitäten der Sowjetunion. Deren ehemalige Führungseliten waren in den zwanziger Jah- ren vor der Terrorherrscha� Stalins nach Westeuropa geflohen und konnten annehmen, jetzt mithilfe Hitlers in ihrer Heimat an die Macht zurückkehren zu können. Zu ihnen gehörten Vertreter Turkestans, die das Ziel einer Zusammenfassung aller zentral- asiatischen Völker verfolgten. Sie erhielten seit Herbst 1941 Gelegenheit, ihre Landsleute unter den Sowjetsoldaten zu be- suchen, die sich in deutschen Kriegsgefangenen-Lagern befan- den. Aus dieser Aktion entwickelte sich eine militärische Koo- peration, bei der sich bis zu 250 000 Turkestaner, unter ihnen mehrheitlich Usbeken, bereit zeigten, in den Reihen der Wehr- macht gegen den Stalinismus zu kämpfen: als Asiaten fühlten sie sich von den Russen o� als minderwertige Kolonialvölker behandelt. Asiaten spielten unter den Minderheiten der UdSSR im deutschen Machtbereich die bedeutsamste Rolle. Das neugeschaffene Nationalturkestanische Einheitskomitee unter Weli Kajum-Khan bildete eine von deutscher Seite nicht offiziell anerkannte Exil-Regierung. An der Universität Gö�in- gen wurden muslimische Militärgeistliche (Mullahs) ausgebil- det sowie Zeitungs- und Rundfunkpropaganda betrieben, eine Schauspieltruppe sowie Musikkapellen für die Truppenbetreu- ung aufgestellt. In der Wehrmacht war der »General der Freiwil-

54 Usbekistan während der Weltkriege ligenverbände« für die Rekrutierung ehemaliger Sowjetsoldaten und ihre Ausbildung zuständig. Dieser wandte sich an Nieder- mayer, der in den dreißiger Jahren als Professor an der Berliner Universität seine Ideen der »Wehrgeografie« verbreitet ha�e. Im Jahre 1942 wurde er als General reaktiviert und stellte in der Ukraine die 162. (Turk.) Infanteriedivision auf. Diese Spe- zialtruppe bestand aus Aserbaidschanern und Turkestanern unter deutschem Führungspersonal, die nach einer erfolgrei- chen Eroberung des Kaukasus einen Vorstoß nach Zentralasien unternehmen sollten. Daneben bildete man in den zwei Aufstel- lungszentren der Ostlegionen im besetzten Polen Usbeken auch in eigenständigen Infanteriebataillonen aus, die zunächst im Kaukasus zum Einsatz kommen sollten, und dann – nach dem Scheitern der deutschen Offensive – im Hinterland der Ostfront meist zur Partisanenbekämpfung verwendet wurden. In Konkurrenz zur Wehrmacht bemühte sich die SS ebenfalls um die Aufstellung von Einheiten aus ehemals kriegsgefange- nen oder übergelaufenen Usbeken und Turkestanern. Ende 1943 betrieb man die Aufstellung des »1. Ostmuselmanischen SS- Regiments« in einer geplanten SS-Division »Neu-Turkestan«. Damit verbanden sich abenteuerliche Vorstellungen, eine Streit- macht von rund 40 000 Mann teilweise auf dem Lu�wege nach Zentralasien überführen und den Aufstand gegen das Sowjet- regime schüren zu können. Die Werber der SS versuchten mit allen Mi�eln, unter den zumeist im besetzten Polen stationier- ten turkestanischen Heereseinheiten, hauptsächlich Arbeits- und Baubataillone, Freiwillige für den Übertri� zu gewinnen. Dagegen wandte sich nicht zuletzt auch Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg vom Allgemeinen Heeresamt. Die SS-Führung beharrte auf ihrer Formation eines »Os�ürki- schen Waffenverbandes« mit rund 3000 Mann. Er sollte dem SS- Standartenführer Harun al-Raschid Bey unterstehen, einem zum Islam konvertierten früheren deutschen Oberstleutnant im türki- schen Generalstab. Im Herbst 1944 wurde der Verband zur Nie- derwerfung des Nationalaufstandes in der Slowakei eingesetzt. Dabei desertierte eine große Zahl von Turkestanern unter der Führung des hochdekorierten usbekischen SS-Obersturmführers Gulam Alimow. Die Partisanen erschossen jedoch Alimow, und viele Usbeken kehrten zu den deutschen Linien zurück.

55 I. Historische Entwicklungen

Usbekische Rotarmisten im Blick der deutschen Feindau�lärung Das Krä�everhältnis zwischen Wehrmacht und Roter Armee entwi- ckelte sich nach dem Scheitern der deutschen »Blitzkriegsstrategie« zugunsten der sowjetischen Streitkrä�e, welche zunehmend die Initi- ative gewannen. Insbesondere das frühzeitige Erkennen der Feindab- sichten erwies sich vor diesem Hintergrund für die Wehrmacht als elementare Voraussetzung für zukün�ige Operationen. Ihre Feind- au�lärung versuchte Standorte, Stärke und Art, aber auch den Anteil nationaler Minderheiten in den Reihen des Gegners zu ermi�eln. Auf taktisch-operativer Ebene versprachen sich die Führungsstäbe hier- durch Rückschlüsse auf die Kamp�ra� des Feindes. Die rund 1,5 Mil- lionen Usbeken, die im Zweiten Weltkrieg Dienst in der Roten Armee leisteten, wurden unter dem Oberbegriff »Mi�elasiaten (Turk)« sub- summiert. Der Generalstab beobachtete neben der taktisch-operativen auch die strategisch-militärpolitische Ebene: Die Auswertung von Kriegsge- fangenenbefragungen sowie sowjetischen Presseerzeugnissen bei der Abteilung Fremde Heere Ost diente neben der Au�lärung der feind- lichen Binnenstruktur auch dem Erkenntnisgewinn über politische Entwicklungen in den verschiedenen Teilen der Sowjetunion. Den sowjetischen Zeitungen »Prawda« (Wahrheit) und »Iswestija« (Mi�ei- lungen) vom 24. Dezember 1944 konnte die Abteilung beispielsweise entnehmen, dass rund 24 000 verdienten usbekischen Soldaten Orden und Ehrenzeichen verliehen und über 50 zu »Helden der Sowjetuni- on« ernannt worden waren. Über die Auswertung offener Quellen hinaus verfolgten deutsche Nachrichtendienste den Einsatz usbekischer Rotarmisten und die Lage in der Sowjetrepublik auch mit geheimdienstlichen Mi�eln wie dem Einsatz von Agenten und technischer Au�lärung. Diesen Bemü- hungen lag die Hoffnung zugrunde, in Zentralasien könnten – wie 1916, als sich die nichtrussische Bevölkerung während des Basmatschi- Aufstandes der Einberufung zum Wehrdienst verweigert ha�e – groß- flächige Aufstände gegen die Sowjetherrscha� ausbrechen. Eine Wie- derholung der Geschichte blieb im Zweiten Weltkrieg jedoch aus. Josef Stalin ha�e es verstanden, auch die muslimische Bevölkerung in Zen- tralasien für den »Großen Vaterländischen Krieg« zu mobilisieren. Noch in den letzten Kriegsmonaten, als die Rote Armee schon vor den Toren Berlins stand, beschä�igte sich die Wehrmacht gleichwohl

56 Usbekistan während der Weltkriege

mit der Lage in Zentralasien und trug Berichte zusammen, welche auf den inneren Zerfall der Sowjetunion hinzudeuten schienen: Verneh- mungen von Kriegsgefangenen ha�en einem Bericht des Lu�waffen- führungsstabes zufolge ergeben, dass sich Usbeken der Einberufung in die Rote Armee durch Bestechungen und Freikauf entzögen, und die Fahnenflucht »ungeheure Ausmaße« angenommen habe. Gefangene Rotarmisten wollten erfahren haben, dass alleine in Samarkand bis- weilen mehrere tausend Deserteure täglich gefasst würden, während organisierte Banden entlaufener usbekischer Soldaten das Land unsi- cher machten. Freilich dür�e den gutinformierten Lu�waffen-Analys- ten zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass solche Ereignisse im fernen Zentralasien – sofern sie denn überhaupt zutrafen – die drohen- de deutsche Niederlage nicht mehr abwenden konnten. (mp)

In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs formierte sich ein Turkestanischer Nationalkongress mit 537 Delegierten. Am 18. März 1945 erkannte die Reichsregierung offiziell die Unab- hängigkeit Turkestans an. Die Legionen in deutscher Uniform erhielten den Status einer »Nationalen Armee Turkestans«. Überlebende gingen in Ostdeutschland und in Norditalien in Gefangenscha�, von wo aus sie in sowjetische »Filtrierlager« transportiert wurden, die viele nicht überlebt haben. Ihre Heimat gehörte während des Krieges zum sicheren Hin- terland, das vollständig in den Dienst der sowjetischen Krieg- führung gestellt wurde. Als »Großen Vaterländischen Krieg«, wie ihn die Propaganda darstellte, haben ihn viele Einheimi- sche sicherlich nicht empfunden. Die meisten Männer dienten in Frontverbänden der Roten Armee. Betriebe der Leichtindust- rie ha�e man nach Usbekistan verlagert. Die Baumwolle wurde für Uniformen benötigt. Nach Aussagen usbekischer Kriegs- gefangener listete man im Oberkommando der Wehrmacht al- lein in Taschkent mehr als 80 Fabriken auf – Ergebnis auch der langjährig betriebenen, sowjetischen»Modernisierung«. Dem Land blieben aber zumindest Besatzung, Ausbeutung und Zer- störung erspart. Während des Zweiten Weltkriegs befand sich bei Taschkent erneut ein Internierungs- und Kriegsgefangenen- lager, in dem verschleppte Zivilisten und gefangene Soldaten der Achsenmächte festgehalten wurden.

57 I. Historische Entwicklungen

Deutsche und usbekische Soldaten

Usbeken gehörten zu den ersten Soldaten des zaristischen Hee- res, die zu Beginn des Ersten Weltkrieges auf deutsche Trup- pen stießen. Anfang 1915 geriet ihr Korps im polnischen Raum in schwere Kämpfe. Bei den Turkestanern erbeutete man einen Befehl, der zur strikten Hasserziehung der Soldaten aufforderte, weil die Deutschen angeblich alles Slawische und Asiatische ver- achten würden. Tatsächlich wurde die Propaganda beider Seiten nicht müde, Hass zu predigen. Gerade in Ostpreußen wirkte der Schrecken des feindlichen Einmarsches lange nach. Auch wenn damit hauptsächlich das Feindbild des »Kosaken« gemeint war, so repräsentierten die Usbeken doch das Schreckgespenst des »Mongolen« aus älteren Zeiten. Daraus entstand später das Zerr- bild des »asiatischen« Bolschewismus, mit dem die Nationalsozi- alisten Propaganda betrieben. Die Realität sah anders aus. Zwar erlebten deutsche Kriegsge- fangene, die 1915 in das ferne Taschkent gebracht worden waren, durch die russischen Bewacher eine harte Behandlung. Hunger und Seuchen machten die Baracken von Troitzki zu einem Todes- lager. Bis zum nächsten Frühjahr waren von 13 000 Österreichern und 1000 Deutschen mehr als die Häl�e ums Leben gekommen. Kriegsgefangene russische Soldaten muslemischen Glaubens, also auch Usbeken, wurden während des Ersten Weltkrieges hingegen in einem speziellen Lager bei Zossen südlich von Ber- lin eher zuvorkommend behandelt. Sogar Moscheen wurden für sie gebaut. Das Bild von Deutschland, das Usbeken nach Kriegs- ende in die Heimat brachten, schien jedenfalls so positiv, dass die nächste Soldatengeneration die deutsche Gefangenscha� of- fenbar nicht gefürchtet hat, und sich viele in den Lagern sogar zum Dienst in der Wehrmacht zur Verfügung stellten. Dabei ha�e zumindest die SS noch 1941 ein tief sitzendes Feindbild, das sie veranlasste, »asiatische« Kriegsgefangene rücksichtslos zu töten. Die militärischen Rückschläge und die Bemühungen der Wehrmacht, das Potenzial turkestanischer Freiwilliger zu nutzen, führten dann zu einem Umdenken. Die Zusammenarbeit bei der Aufstellung und Ausbildung von Turkbataillonen mit vermutlich einigen zehntausend Mann war von Anfang an schwierig. Das deutsche Rahmenpersonal

58 Usbekistan während der Weltkriege akg-images

Usbekische Dorfbewohner werden über die Geschehnisse an der Front unterrichtet, 1944. kannte in den allermeisten Fällen weder Sprache noch Kultur der usbekischen Legionäre. Die Erzwingung formaler Disziplin und Pflichterfüllung nach deutschem Vorbild erwies sich als kaum durchführbar. Älteren usbekischen Offizieren aus der Emigra- tion fehlte eine moderne militärische Ausbildung, jüngere aus der Roten Armee desertierten häufig, erst recht im Zeichen der deutschen Niederlage. Auch deshalb mussten die Bataillone weit im deutschen Hinterland eingesetzt werden. Eine Ausnahme auf deutscher Seite war Major Andreas Mayer-Mader, ein Orientkenner, der mehrere turkestanische Dia- lekte beherrschte. Er ha�e lange in Ostasien gelebt und war Mi- litärberater der südchinesischen Kwangsi-Regierung gewesen. Bei seinen deutschen Kameraden galt er 1942 als »chinesischer« Offizier. Damit drückte man seine Distanz zu deutschen militä- rischen Gewohnheiten aus, die im Umgang mit den Turkesta- nern wohl auch nicht sonderlich hilfreich waren. Mayer-Mader jedenfalls verfolgte das weitreichende Ziel, die Völker Turkes- tans zum Aufstand gegen die Sowjetherrscha� in der Tradition der Basmatschi (vgl. Info-Kasten auf S. 49) zu führen.

59 I. Historische Entwicklungen

Unter seiner Führung wurde das verstärkte »Turkestanische Infanteriebataillon Nr. 450« Anfang 1942 einsatzbereit gemacht und neu organisiert. Seine Soldaten sollten nicht das Gefühl haben, eine Wehrmach�ruppe zu sein, sondern der Grundstock für eine kün�ige turkestanische Armee. Die Einheiten wurden daher nach einzelnen Nationalitäten gegliedert: 1. Kompanie Kirgisen, 2. Kompanie Usbeken mit einem Zug Tadschiken, 3. Kompanie Kasachen, 4. Kompanie Turkmenen mit einem Zug Os�ürken, MG-Kompanie je mit einem Zug Kirgisen, Usbeken und Kasachen. Fast alle Unterführer- und Führerstellen besetzte Mayer- Mader eigenmächtig mit Turkestanern, was das deutsche Rah- menpersonal als Zurücksetzung empfand. Im Frühsommer 1942 wurde das Bataillon mit 934 Turkestanern und 27 Deutschen zur Partisanenbekämpfung im Bereich der Heeresgruppe Süd einge- setzt. Gegen teilweise stark überlegenen Feind hat es sich nach deutschem Urteil »tadellos« bewährt. Die Männer hingen offen- sichtlich an ihrem deutschen Major, der für sie eine Vaterfigur geworden war. Für vorgesetzte höhere Dienststellen bildete das Bataillon aber einen Fremdkörper. Mayer-Mader wurde abge- löst, worauf sich dieser an die SS wandte, um seine Pläne zu ver- wirklichen. Seine Bemühungen zur Aufstellung einer SS-Divisi- on verliefen 1944 im Sande. Als SS-Sturmbannführer überwarf er sich auch mit seinen neuen Vorgesetzten. Er soll angeblich mit einigen turkestanischen Offizieren von der SS standrechtlich er- schossen worden sein. Die Einschätzung der Turkbataillone aus deutscher Sicht war insgesamt schwankend. Ausbildungsmängel, fehlende Kampf- erfahrung sowie mangelha�e Ausrüstung und Bewaffnung mit sowjetischem Beutegerät führten zu skeptischen Urteilen. Den Turkestanern fehle es am Verständnis für »deutsche Kampfart«. Für ernste Angriffe und schwere Abwehrkämpfe seien sie nicht geeignet, hieß es, brauchbar aber für die Bekämpfung von Parti- sanen und Au�lärungszwecke. Sie erli�en teilweise große Ver- luste, solange sie in Südrussland kämp�en. Hier stand ihnen ein grausames Schicksal vor Augen, sollten sie wieder in kommunis- tische Hände fallen. An der Kaukasusfront tönte am 28. Dezem- ber 1942 ein sowjetischer Lautsprecher in turkestanischer Sprache herüber: »Eure Frauen und Kinder entgehen uns nicht, wir haben

60 Usbekistan während der Weltkriege sie in unserer Gewalt, wenn ihr nicht überlau�.« Überläufern drohte aber nach zunächst guter Behandlung und Vernehmung die Erschießung, wie deutsche Agenten berichteten. Bei der Bekämpfung von Partisanen in den Wäldern beobach- ten die Deutschen eine natürliche Scheu der »Steppenbewohner« vor Baumbewuchs, bei den Usbeken wurde die Verstädterung als Hemmnis betrachtet. Eine verständnisvolle Behandlung der »Bundesgenossen und Kameraden« forderten zumindest einzel- ne Divisionskommandeure. Sie seien »gutmütige Naturkinder«, wenngleich von »läppischer Disziplinlosigkeit«, die ihren »ei- genen Vorteil nicht ertrotzen, sondern durch weinerliches Bit- ten erflehen«. Der zunehmenden Zahl von Desertionen 1943/44 begegnete man mit der Verlegung nach Polen, Italien und Süd- frankreich. Wiederholte Fälle von Vergewaltigungen sloweni- scher Frauen durch Usbeken machten den deutschen Vorgesetz- ten zu schaffen. Die Turkestaner wurden nun endgültig zu einer Art von Fremdenlegion, die für Zwecke Anderer kämpfen sollte. Aus ehemaligen Freiwilligen formierten die Deutschen sogar ein Arbeitsbataillon, das dem »Beau�ragten für Schro�- und Altme- tallerfassung« zur Verfügung gestellt wurde. Am Rande der Pyrenäen gerieten Einheiten am 23. August 1944 bei ihrem Rückzug in einen Hinterhalt, der sie zur Kapitu- lation gegenüber Franzosen und US-amerikanischen Offizieren zwang. Diese behandelten die Turkestaner besser als das deut- sche Rahmenpersonal. In Mi�elitalien stießen Panzer der 88. US- Division auf das Turkbataillon 303 und zermalmten die herum- liegenden Verwundeten, weil man sie für Japaner hielt. Und die NS-Propaganda schließlich bediente sich im letzten Kriegsjahr wieder verstärkt des Schreckenbildes »asiatischer Horden«, um die Wehrmacht zum Endkampf gegen die Rote Armee anzu- feuern. Diese alten Zerrbilder blieben nicht ohne Folgen für die berechtigte Angst der ostdeutschen Bevölkerung vor der Rache sowjetischer Truppen, unter denen die zentralasiatischen Rotar- misten aber nur eine kleine Minderheit bildeten.

Rolf-Dieter Müller

61 picture-alliance/Rolf Philips

Die UdSSR wirft in Zentralasien lange Schatten: im Bild ein Plakat des russischen Kosmonauten Juri Gagarin in einer Wohnsiedlung in Tasch- kent. Trotz der Auflösung des Vielvölkerreiches und der Unabhängigkeit der fünf zentralasiatischen Sowjetrepubliken war das Jahr 1991 alles an- dere als eine »Stunde Null«. Zwar postulierten die herrschenden Eliten eine kulturelle »Wiedergeburt« und politische Neuorientierung unter na- tionalstaatlichen Vorzeichen. Doch sowjetische Traditionen wirken wei- terhin fort. Insbesondere die Breschnjew-Ära (1964-1982) erscheint in dieser Hinsicht bedeutsam. Diese »bleierne Zeit« war in der Region von Entwicklungen charakterisiert, die für die Gestalt und den Charakter der fünf neuen Staaten bis heute relevant sind. In jahrzehntelangen Amtszei- ten der kommunistischen Führer vor Ort bildeten sich gesellschaftliche, kulturelle und politische Gepflogenheiten heraus, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bis in die Gegenwart prägen. Das Erbe der Sowjetunion – Kontinuitäten und Brüche

Als sich die Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre auflöste, war die Frage, in welche Richtung sich Zentralasien entwickeln würde, noch offener als in anderen Teilen des auseinanderbre- chenden Vielvölkerreiches. Würde es den neuen unabhängigen Ländern nach dem Vorbild der Türkei oder Südkoreas gelingen, Wirtscha�, Staat und Gesellscha� entsprechend westlicher Vor- stellungen zu modernisieren? Oder würden sowjetische Struk- turen weitgehend erhalten bleiben und die Staaten in regiona- le Strukturen eingebunden werden, deren Zentrum weiterhin Russland ist? Würden Traditionen der vorsowjetischen und vorkolonialen Vergangenheit wiederaufleben, sich die größte »Muslimregion« der zerfallenen UdSSR mit der benachbarten islamischen Welt vernetzen? Beim Übergang in die Unabhängigkeit wurden in den meis- ten Sowjetrepubliken zukun�sorientierte Reformen im Einklang mit der Rückbesinnung auf die eigene Geschichte beschworen. Auffällig ist bis heute die Fortdauer autoritärer Machtstrukturen im Inneren. Deren Wurzeln reichen zum Teil weit in die vorsow- jetische Vergangenheit zurück, liegen aber vor allem in der sowje- tischen Zeit und hier insbesondere in der Breschnjew-Ära. Diese Periode war durch sehr lange Amtszeiten lokaler Parteiführer geprägt. Besonders sticht diese Kontinuität für Usbekistan ins Auge. Die Kommunistische Partei (KP) ging dort auf ihrem letz- ten Parteitag am 14. September 1991 als Machtmonopolist naht- los in die Volksdemokratische Partei (Xalq Demokratik Partiyasi) über, der lokale KGB in einen nationalen Sicherheitsdienst (SNB). Parlaments- und Präsidentenwahlen sowie Referenden erbrach- ten weiter die zuvor gewohnten »Abstimmungsergebnisse«. So votierten im Dezember 1991 in einem Referendum 98 Prozent der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit Usbekistans, gleichzei- tig wurde Islam Karimow mit 88 Prozent der Stimmen zum Prä- sidenten gewählt; im Februar 1995 gelang Karimow die erneute Bestätigung einer fün�ährigen Amtszeit (99 Prozent); im Januar 2000 setzte er sich mit 92 Prozent der Stimmen gegen den einzigen Gegenkandidaten Abduchafis Dschalolow durch; nur zwei Jahre

63 I. Historische Entwicklungen später billigten 91 Prozent bei einem abermaligen Referendum die Erweiterung der Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sie- ben Jahre und 93 Prozent die Umbildung des Parlaments in zwei Kammern. Zwar forderte Karimow nach der Unabhängigkeit die »Entideologisierung von Wirtscha� und Politik«, um die neuen Machtverhältnisse von der kommunistischen Vergangenheit abzugrenzen, und ließ später weitere (regierungsfreundliche) Parteien zu, um den Anschein von politischem Pluralismus zu wahren; von einer Liberalisierung des politischen Systems kann hier aber nicht die Rede sein. Der Umbau der Ökonomie verlief in den fünf Staaten Zen- tralasiens unterschiedlich. Turkmenistan war der Staat, der am weitesten staatswirtscha�liche Strukturen aus sowjetischer Zeit bewahrte, Kirgisistan derjenige, der am frühesten und zügigsten privatisierte. Dagegen blieben der politischen Transformation enge Grenzen gesetzt. Alle fünf Republiken bewahrten autori- täre Machtstrukturen, die sich in den einzelnen Ländern aller- dings unterschiedlich manifestieren und nicht nur Zentralasien, sondern auch andere Teile des GUS-Raums prägen. Trotz dieser Kontinuität sagten sich die neuen Staaten in ihrer Nationsbil- dungs- und Geschichtspolitik vom sowjetischen Erbe los.

Entwicklungen nach Josef Stalin

In der Zeit nach Stalins Tod im Jahr 1953 lagen die frontalen sow- jetischen Offensiven zum Umbau der zentralasiatischen Ge- sellscha�en wie der Angriff (Hudschum) auf die islamische Le- bensweise und die Alphabetisierungskampagnen bereits in der Vergangenheit (vgl. den Beitrag von Anne�e Krämer). Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten knapp zwei Millionen Russen in Ka- sachstan und 1,2 Millionen in den zentralasiatischen Unionsre- publiken. 1941 wurden Hunderte Großbetriebe aus dem sowjeti- schen Zentrum in die Region verlagert. Mehr als zwei Millionen Menschen aus den Frontgebieten fanden vor Ort Zuflucht. In der auch nach Kriegsende fortgesetzten Industrialisierung ent- wickelten sich die Republikhauptstädte zu multinationalen Lan- deszentren. Bis 1959 stieg der europäische Bevölkerungsanteil in Kasachstan auf 65 Prozent, in Zentralasien auf 25 Prozent.

64 Das Erbe der Sowjetunion

Seit den 1970-Jahren kehrte sich die Richtung der Migrations- ströme allmählich um. Die Zuwanderung aus dem europäischen Teil der Sowjetunion nahm ab. Der relative Anteil der Slawen an der Bevölkerung sank aufgrund höherer Geburtenraten der »Einheimischen«, aber auch durch Rückwanderung der »Zuge- zogenen«. Dies ha�e mehrere Ursachen: Zum einen entstanden in anderen Regionen des Vielvölkerreiches, so in Sibirien, neue Einwanderungsmagneten. Zum anderen nahmen die nationalen Eliten der Unionsrepubliken für ihre jeweilige Ethnie zunehmend die Macht gegenüber dem russisch dominierten »Kolonialherrn« in Anspruch. Vorläufig war dies aber noch ein schleichender Pro- zess ohne starke Einschni�e in die Bevölkerungsentwicklung. Die sowjetische Führung verfolgte in Zentralasien auch wei- terhin von ihr definierte Wirtscha�s- und Entwicklungsziele, zum Beispiel bei der Durchsetzung der Baumwollmonokultur im südlichen Teil der Region. Die Modernisierung erreichte aber überwiegend nur jenen – kleineren – Teil der regionalen Bevölke- rung, der in den Großstädten lebte. So entwickelten sich »duale Gesellscha�en« mit einem urbanen Sektor aus europäischen Zu- gewanderten und einheimischen Eliten einerseits und der tradi- tionellen Lebenswelt der indigenen Bevölkerung auf dem Land andererseits. Auch wenn diese Welten nicht strikt voneinander getrennt waren – die Migration vom Land in die Städte wuchs zu- sehends –, förderte dieses System eher die Koexistenz zwischen »Einheimischen« und »Zugewanderten« als ihre Integration. In der Wirtscha�sentwicklung dri�eten Bevölkerungs- und Investitionswachstum auseinander. Moskau ließ weiterhin er- hebliche Mi�el in den asiatischen Teil der Sowjetunion fließen, entlastete die Republikhaushalte durch Steuervergünstigungen und Subventionen. Aber die Investitionspolitik nahm Züge von »Kolonialwirtscha�« an: Der landwirtscha�liche Anteil über- stieg den industriellen, vor allem durch die Konzentration auf die Baumwollwirtscha�. Kapitalanlagen in Transport und Infra- struktur nahmen ab, ebenso die Umverteilung in soziale Dienst- leistungen. Der Lebensstandard hinkte dem anderer Regionen stark hinterher. Im Jahr 1985 lag das Pro-Kopf-Einkommen in Us- bekistan 43 Prozent unter dem Unionsdurchschni�. Zwar waren die sowjetischen Daten verzerrt, da die Scha�enwirtscha� weit verbreitet war, und sich Zonen privater Wertschöpfung der sta-

65 I. Historische Entwicklungen tistischen Erfassung entzogen. Auf sinkende Entwicklungstrends deuteten aber auch medizinische und bildungspolitische Daten hin: Nirgendwo war z.B. die Kindersterblichkeit in der Sowjet- union höher als in Zentralasien. Sie lag hier mit Quoten zwischen 43 und 53 pro 1000 Neugeburten deutlich über dem Durchschni� (35) und entsprach in einzelnen Regionen, so in Daschchowus in Turkmenistan (1987: 121), afrikanischen Verhältnissen. Die Republikführer erhielten Konzessionen in Hinsicht auf ihren Herrscha�sstil, wenn sie die Steigerung von Produk- tionsziffern vorlegen oder vortäuschen konnten. In Zentralasien gab dabei besonders ein Produktionsbereich den Ausschlag: die Baumwollgewinnung. Er beanspruchte in der Spätphase der Sowjetunion mehr als 60 Prozent der bewässerten Nutzfläche in Usbekistan und verdrängte ernährungsrelevante Agrarkultu- ren. Im südlichen und westlichen Teil Zentralasiens standen die Masse der Arbeitskrä�e – in der Erntezeit vor allem Frauen und Jugendliche –, der Infrastruktur und der Industrie im Dienst die- ses Sektors. Der Umbau des regionalen Bewässerungssystems zeitigte verheerende ökologische Folgen wie die Stagnation der Hauptströme Syrdarja und Amudarja und die dadurch bewirkte Verlandung des Aralsees (vgl. den Beitrag von Jenniver Sehring). Dabei wurde der eigentliche Wertschöpfungsakt, die Verarbei- tung der Baumwolle, fast völlig aus Zentralasien ausgelagert. Obwohl geologische Entdeckungen bereits damals gezeigt hat- ten, dass die Region als Teil des Kaspischen Beckens über be- trächtliche Energieressourcen verfügt, trug die sowjetische Wirt- scha�spolitik diesem Potenzial kaum Rechnung. Bedeutsam für den Übergang in die Unabhängigkeit wur- den die politischen Rahmenbedingungen, in denen sich diese Entwicklungen abspielten. Die Breschnjew-Ära mit ihrer kon- servativen Kaderpolitik bezeichnete die westliche Forschung der 1980er- und 1990er-Jahre in Hinsicht auf lokale Herrscha�s- verhältnisse als »patrimoniale Ära«. An der Spitze der Parteiap- parate der Republiken konnten Führer wie der Usbeke Scharaf Raschidow, der Kasache Dinmohammed Kunajew, der Kirgise Turdakun Usubalijew, der Tadschike Dschabar Rasulow und der Turkmene Mohammednasar Gapurow in jahrzehntelangen Amtszeiten ihre Hausmacht festigen. Solange sie befriedigende Wirtscha�sbilanzen präsentierten und die Eindämmung eines

66 Das Erbe der Sowjetunion systemgefährdenden Nationalismus garantierten, blieben Frei- räume für ihre persönliche Herrscha� erhalten. Die jeweilige Bevölkerung solidarisierte sich mit ihrem »star- ken Führer« aus der eigenen Nationalität, der lokale Interessen ge- genüber Moskau zu vertreten schien. In einzelnen Fällen wie dem des Kasachen Kunajew vertrat ein solcher Führer die Unionsrepu- blik und die Region sogar im innersten Machtzentrum der UdSSR, im Politbüro der KPdSU. Die Entwicklungen dieser »patrimonia- len Ära« förderten drei Phänomene: einen kulturellen Traditiona- lismus, Nationsbildung im Rahmen der Unionsrepublik, gleich- zeitig aber auch die Konkurrenz informeller Netzwerke.

Traditionalismus, Islam und Modernisierung

Der örtliche Traditionalismus bildete in den Sowjetrepubliken ein System von Institutionen, Normen und Verhaltensweisen, das den Alltag der Einheimischen prägte. Schon in den sozio-ökono- mischen und kulturellen Reformoffensiven der zurückliegenden Jahrzehnte waren traditionelle Institutionen eher angepasst als grundlegend verändert oder eliminiert worden. So bauten Kol- chosen und Sowchosen zumindest teilweise auf bestehenden kommunalen Strukturen oder Stammesgemeinscha�en auf. Die mahalla beispielsweise, die Nachbarscha�s- und Stadtviertel- gemeinde in Usbekistan und Tadschikistan, wurde sowjetbüro- kratisch umgeformt, behielt aber ihren traditionellen Inhalt. Die Politik der KPdSU gegenüber dem Islam ha�e von der Oktoberrevolution im Jahre 1917 bis zu Stalins Tod nicht nur in Zentralasien zwischen massiver Verfolgung und Duldung ge- schwankt. Seit 1927 verlor die Religion ihren Platz im öffentlichen Leben ebenso wie ihre Rechts- und Bildungsinstitutionen, und islamische Gemeindeführer unterlagen massiver Verfolgung. Im Zusammenhang mit der versöhnlicheren Religions- und Natio- nalitätenpolitik im »Großen Vaterländischen Krieg« wurden ihr dann wieder offizielle Verwaltungsstrukturen eingeräumt, von denen die »Geistliche Verwaltung der Muslime Mi�elasiens und Kasachstans« mit Sitz in Taschkent die größte war. Dieser Sektor staatlich kontrollierter Mu�iyate (Geistliche Verwaltungen) um- fasste zwei islamische Hochschulen in Buchara und Taschkent,

67 I. Historische Entwicklungen die in vier Sprachen herausgegebene Zeitschri� »Muslims of the Soviet East« sowie eine stark begrenzte Zahl »arbeitender« Moscheen, der eine größere Zahl nicht registrierter Go�eshäu- ser und ein breiteres Feld von inoffiziellen Strukturen gegenü- berstanden. Der Druck des kommunistischen Staates auf die Religion nahm in der Nachkriegszeit ab, die Vitalität eines »pa- rallelen Islam« zu. Die wachsende Bedeutung der islamischen Welt für die sowjetische Außenpolitik kam indirekt auch dem Islam im Innern der UdSSR zugute. Die Mu�iyate wurden zu außenpolitischen Instrumenten der Sowjetmacht – zum Beispiel mit der Organisation internationaler islamischer Konferenzen zu Themen wie Anti-Imperialismus, Anti-Zionismus und Ab- rüstungspolitik. Sie stellten die Sowjetunion auf internationaler Bühne als ein multikonfessionelles Land dar, in der die Glau- bensfreiheit geachtet wurde. Der Afghanistankrieg seit 1979 und der muslimische Widerstand gegen die Rote Armee störten diese Inszenierung empfindlich und öffneten Schleusen für Einflüsse eines kämpferischen Islam auf die Gläubigen jenseits des Hin- dukuschs. Ein »Fergana-Tal-Fundamentalismus«, der heute als besondere regionale Ausprägung »islamischer Wiedergeburt« in nachsowjetischer Zeit behandelt wird, wurzelt in dieser Zeit. Die überwiegende Mehrheit zentralasiatischer Muslime ver- hielt sich gegenüber der Sowjetmacht aber kaum systemfeind- lich. Es war keineswegs ungewöhnlich für sie, Mitglied der KPdSU zu sein. Dies ermöglichte den Zutri� zu einem »Klub«, der die Türen zu Macht und Protektion öffnete, dessen Ideologie aber irrelevant blieb. Muslimische Parteimitglieder rezitierten marxistisch-leninistische Terminologie ebenso wie unverständ- liche Suren in arabischer Sprache. Während Letztere aber das erwärmende Gefühl von Gruppenzugehörigkeit hervorriefen, Tradition und Identität symbolisierten, vermochten Parteiver- sammlungen kaum noch Emotionen zu erwecken. Im Alltag verschwamm die Unterscheidung zwischen religi- ösem und nationalem Brauchtum, stand Muslim-Sein für viel- fältige Identitäten und Zuschreibungen – für Religionszugehö- rigkeit, soziale Si�en und Normen, einheimische Tradition und Abgrenzung von den »Zugezogenen«. Was Althergebrachtes betraf, kam noch vor den religiösen Grundverpflichtungen wie der (weitgehend eingeschränkten) Mekka-Pilgerscha� oder dem

68 Das Erbe der Sowjetunion

Alexander Rodtschenko: Zehn Jahre Usbekistan Im Jahre 1934 gestaltete Alexander Michailowitsch Rodtschenko, einer der bedeutendsten Künstler der Fotografiegeschichte und im sowjeti- schen Russland mit seiner »Revolutionierung des Sehens« zunächst ein Aushängeschild der kommunistischen Führung, zum zehnten Ge- burtstag der sowjetischen Herrscha� im staatlichen Au�rag den Bild- band »Zehn Jahre Usbekistan«. Ein Jahr später folgte der russischen eine leicht veränderte usbekische Ausgabe. Rodtschenko bediente sich bei der Illustration des Prachtbandes aufwändiger und kostenintensi- ver Mi�el und Methoden wie Relief-, Zwei- und Vierfarbdruck. Gra- fisch anspruchsvolle Faltblä�er und Folien präsentierten geschönte Statistiken, um den Wirtscha�saufschwung der Usbekischen Sozia- listischen Sowjetrepublik (SSR) zu verherrlichen. Rodtschenkos Weg weisende Gestaltung setzte zahlreiche vom Künstler selbst aufge- nommene Fotos usbekischer Parteifunktionäre gekonnt in Szene. Die »Großen Säuberungen« der Jahre 1935 bis 1939 beinhalteten nicht nur eine von Josef Stalin angeordnete Überprüfung der Partei, der Armee und des Staatsapparates, der Tausende zum Opfer fielen, sondern bedeutete auch deren gleichzeitige Auslöschung aus dem kollekti- ven Gedächtnis. Im Zuge der »Säuberung« sank deshalb 1937 auch Rodtschenkos Jubelband zur illegalen Literatur herab: Viele der ab- gebildeten Spitzenfunktionäre waren in Ungnade, manche sogar der sowjetischen Geheimpolizei in die Hände gefallen. Rodtschenko, der 1930 unter dem Vorwurf des westlich geprägten Formalismus selbst ins Visier des berüchtigten Volkskommissariats für Innere Angelegen- heiten (Narodny Komissariat Wnutrennich Del, NKWD) geraten war und seine öffentlichen Positionen verlor, reagierte in makaberer Weise auf die usbekischen »Säuberungen«. Mit eigener Hand zensierte er seine persönliche Ausgabe des Bandes, indem er die Gesichter der getöteten Parteifunktionäre mit schwarzer Tusche übermalte. (mp)

Fastengebot die Einhaltung von Lebenszyklus-Ritualen bei Ge- burt, Beschneidung, Heirat und Besta�ung. Die Behörden ver- suchten, mit sozialistisch-internationalistischen Symbolen dage- genzuhalten, konnten damit aber Brauchtum und Normen nicht verdrängen, die im weitesten Sinne als »islamisch« galten und soziale Si�en und Verhaltensweisen prägten. Die »einheimische« Gesellscha� war stärker familien- und verwandtscha�sorientiert

69 I. Historische Entwicklungen als die »Zugezogenen«. Drei Viertel der muslimischen Bevölke- rung lebte auf dem Land und zeigte wenig Neigung, aus dem gewohnten Kulturraum auszuwandern. Das heißt jedoch nicht, dass die Gesellscha�en Zentralasiens nicht von der Modernisierung berührt worden wären. Beispiels- weise waren neue Berufsgruppen entstanden, die auch Frauen am öffentlichen Leben beteiligten. Die Region unterschied sich mit ihrem Bildungsniveau und anderen sozio-ökonomischen und -kulturellen Indikatoren deutlich von Nachbarländern in Südasien und im Mi�leren Osten sowie vom eigenen Ausgangsniveau in vor- und frühsowjetischer Zeit. Die Zahl einheimischer Univer- sitätsabsolventen stieg nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich an. Europäische Rückwanderer aus Zentralasien sprachen in diesem Zusammenhang von einem informellen Zensus, der die Einhei- mischen beim Zugang zu höherer Bildung bevorzuge. So stellte die sozio-kulturelle Situation in Zentralasien vor der Wende eine spannungsvolle Mischung aus traditionellen und modernen Dy- namiken dar.

Das nationale Erbe

In den letzten Jahren der Stalin-Ära machte Moskau strikte ide- ologische Vorgaben zur Bewertung des historischen Erbes der muslimischen Völker der Sowjetunion. Sie betrafen die Interpre- tation des Anschlusses an Russland im 18. und 19. Jahrhundert. Islamisch inspirierte Widerstandsbewegungen gegen die Kolo- nialpolitik des Zarenreiches galten nun – in Abwendung von der zuvor gültigen Interpretation – als »reaktionär« und »volksfeind- lich«. Solche Kampagnen endeten zumeist nach Stalins Tod. Kul- turpolitische Initiativen Moskaus zielten danach vor allem auf die Ausweitung der Russischkenntnisse. Im Geschichtsunter- richt an den Sekundarschulen Usbekistans entfielen mehr als 600 Stunden eines Schuljahres auf russische, sowjetische und globale Geschichte, nur 50 auf die regionale Historie, dabei überwiegend auf die Entwicklung nach 1917. Straßen zentralasiatischer Städte trugen entweder die Namen sowjetischer Helden oder die rus- sischer Schri�steller und Komponisten. Unter der Kruste solch angeblich internationalistischer, aber unübersehbar russisch

70 Das Erbe der Sowjetunion geprägter Sowjetkultur bildete sich in Teilen der einheimischen Eliten ein kultureller Nationalismus heraus. Er profitierte davon, dass sich die ideologische Kontrolle Moskaus über die Periphe- rie lockerte. Seit den 1960er-Jahren erschien das Stichwort Miros (Erbe) in der Belletristik und gab einem Streben nach kulturel- ler Autonomie Ausdruck. Die Entfremdung von diesem »Erbe der Ahnen« beschrieb der kirgisische Schri�steller Dschingis Aitmatow. In seinem 1981 erschienenen Roman »Ein Tag länger als ein Leben« erzählte er die Parabel des fiktiven Steppenvolks der Mankurt, dem seine Eroberer das Gedächtnis aus dem Kopf pressen. Dem Mankurt-Schicksal zu entgehen und Miros zu wah- ren, stieg zum Anliegen einheimischer kultureller Eliten auf. In Usbekistan widmete man sich in erster Linie der Vergan- genheit unter den Timuriden. Für die Tadschiken verwies Miros auf die iranische Kultur in Zentralasien, die gegen die Domi- nanz von Turkvölkern in der Region hochgehalten wurde. In Kasachstan erhoben sich Stimmen gegen das Bild, mit dem rus- sische Quellen die Invasion »barbarischer Horden« aus dem In- neren Asiens beschrieben. Eine Umdeutung des »altrussischen« Igorlieds (Heldenepos über den Feldzug Igor Swjatoslawitschs gegen die Steppennomaden im Jahre 1185) in »al�ürkisches« Kulturgut durch den Schri�steller Olschas Sulejmenow in sei- nem Buch »Az i Ja« von 1975 provozierte einen Skandal im sowjetischen Kulturestablishment. 1981 erschien der Roman »Olmaz qayalar« (Unsterbliche Klippen) des jungen Schri�stel- lers Mamadali Mahmudow in einer usbekischen Literaturzeit- schri� (vgl. Literaturtipps im Anhang). Im Widerspruch zur sow- jetischen Doktrin, nach der die Eroberungen des Zarenreiches trotz ihres kolonialistischen Charakters den betroffenen Völkern »objektiv zum Fortschri�« gereichten, malte er ein düsteres Bild von der russischen Kolonisierung Mi�elasiens, beklagte den mangelnden Widerstand dagegen und musste sich wegen »ide- ologischer Fehler« verantworten. Nationalbewusstsein umfasste in Zentralasien verschiedene Identitäten. Sie lagen auf nationaler (die einzelne Unionsrepublik betreffender), transnationaler und regionaler (Islam, Turkestan) sowie subnationaler (lokale, Stammes-) Ebene. Die sowjetische Schaffung von Unionsrepubliken mi�els der Titularnation und entsprechender kultureller Institutionen begünstigte die nationa-

71 I. Historische Entwicklungen le Ebene, ohne die trans- und subnationalen Identitäten aufzuhe- ben. Solidaritätsgruppen wie Großfamilien, Stämme, Dorf- und Stadtviertelgemeinscha�en bewahrten hier auch in sowjetischer Zeit ihre Bedeutung. Auf bestimmte Landesteile einer Unions- republik und auf regionale oder Stammes- und Klansegmente bezogene Loyalitäten spielten eine bedeutsame Rolle bei der Bil- dung einheimischer Machteliten – so die Konkurrenz zwischen regionalen Seilscha�en aus Samarkand und Fergana in Usbe- kistan oder zwischen solchen aus den Nord- und Südprovinzen der kirgisischen Unionsrepublik. Dennoch waren die Führungs- schichten in Hinsicht auf ihre Abstammung und Klanzugehörig- keit nirgendwo völlig exklusiv und homogen (vgl. den Beitrag von Magnus Pahl). Zentrale Personalentscheidungen fielen nach wie vor in Moskau, was dem politischen Regionalismus in Zen- tralasien auch in der »patrimonialen Ära« Grenzen setzte. Seit 1982 richtete sich die Politik des Kreml gegen nationale Kaderpolitik, ideologische Laschheit im Umgang mit dem Islam und die Verklärung vorsowjetischer Vergangenheit. In den sow- jetischen Muslimregionen kam es zu den größten Säuberungs- wellen seit einem entsprechenden Vorgehen gegen die Ukraine zehn Jahre zuvor. In Usbekistan führte sie zur Absetzung von drei Vierteln der Mitglieder des Republik-Politbüros und zum Aus- tausch von zehn der 14 Gebiets-Führer. Eine Kampagne gegen Planfälschung und Korruption im Baumwollsektor verdichtete sich in der sowjetischen Presse zu einer »usbekischen Affäre«, was vor Ort als nationaler Affront wahrgenommen wurde. Die gefährdeten einheimischen Kader suchten den Schulterschluss mit ihren Landsleuten und fanden ihn in der Anklage gegen öko- nomische Unterentwicklung und ökologische Schädigung ihrer Region durch die von Moskau verordnete Entwicklungspolitik. In der zweiten Häl�e der 1980er-Jahre trat eine jüngere Ge- neration an die Spitze der Parteiapparate der Sowjetrepubliken: 1985 Saparmurat Nijasow in Turkmenistan, Absamat Masalijew in Kirgisistan und Kachar Machkamow in Tadschikistan, 1989 Islam Karimow in Usbekistan und Nursultan Nasarbajew in Kasachs- tan. Nijasow, Karimow und Nasarbajew, die 1990/91 das Amt des KP-Vorsitzenden gegen das des Präsidenten tauschten, verkör- pern die Stetigkeit örtlicher Machteliten von der ausgehenden sowjetischen Periode bis in die Gegenwart (im Falle Nijasows bis

72 Das Erbe der Sowjetunion zu seinem Tod im Dezember 2006). Mit dieser personellen Macht- kontinuität an der Spitze postsowjetischer Präsidialautokratien – unterhalb des Präsidentenamts gab es häufige Kaderwechsel – hob sich Zentralasien im GUS-Raum besonders hervor. Welche Entwicklungen haben sich in den unabhängig ge- wordenen Republiken seit 1991 vollzogen? Ihnen wurden grundlegende, auf mehreren Ebenen parallel zu leistende Um- wandlungen abverlangt, die sie vielfach überforderten: Da wurde etwa in Europa, der Übergang von kommunistischer, wenn auch »patrimonial« gefärbter Parteiherrscha� in eine of- fene Gesellscha� mit rechtsstaatlichen Strukturen gewünscht – in einer Region, die über keine historischen Erfahrungen mit Demokratie und Zivilgesellscha� im westlichen Sinne verfüg- te. Da sollte zum anderen von Planwirtscha� auf marktwirt- scha�liche Strukturen umgestellt werden – und zwar unter den Bedingungen einer gravierenden Wirtscha�sschrumpfung. Da wurde nicht zuletzt moderne Nationsbildung gefordert – in einem polyethnischen Raum, den erst einige Jahrzehnte zuvor sowjetische Kommissionen in nationale Territorien aufgeteilt ha�en. Zum Verständnis nachsowjetischer Entwicklung ist der Rückblick auf die Situation beim Eintri� in die staatliche Unab- hängigkeit geboten.

Nations- und Staatsbildung nach der Unabhängigkeit

Die Republikführungen in Zentralasien betrachteten Glasnost und Perestroika mit Argwohn, wenn nicht gar mit offener Ableh- nung. Sie nahmen Michail Gorbatschows Politik als Fortsetzung und Steigerung der bereits 1982 eingeleiteten Kampagne gegen »muslimische« Unionsrepubliken wahr, als einen Angriff der sowjetischen Zentrale auf die asiatische Peripherie. Die Präsiden- ten Kasachstans und Kirgisistans bildeten hier die Ausnahme. Die Unterschiede zeigten sich in den Reaktionen auf den Putsch- versuch, mit dem restaurative Krä�e in Moskau im August 1991 die Perestroika beenden wollten. Während die Führungsspitzen in Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan die Putschisten

73 I. Historische Entwicklungen unterstützten, widersetzten sich die politischen Leitungen in Ka- sachstan und Kirgisistan deren Anweisungen. In Usbekistan, das heute gewiss nicht den Eindruck einer »offenen Gesellscha�« erweckt, entstanden damals »Parteien« und informelle Bewegungen. Im November 1988 gründete der Wissenscha�ler Abdurahim Pulatow die Volksbewegung Einheit (Birlik) und trat in den folgenden Jahren mit zahlreichen Aktio- nen gegen die kommunistischen Machthaber auf. Sein Programm rückte kulturelle Fragen wie den Status der usbekischen Natio- nalsprache in den Mi�elpunkt. 1990 trat mit der demokratischen Partei Freiheit (Erk) unter Führung des Schri�stellers Mohammed Solih eine weitere »Oppositionspartei« in Erscheinung. Spätestens 1992 geriet dann das gesamte Spektrum regimekritischer Krä�e unter staatlichen Druck und wurde ins Exil getrieben. Nach he�i- ger Konfrontation zwischen Präsident Karimow und islamischen Oppositionskrä�en im Fergana-Tal 1991/92 schälte sich aus dem turbulenten Übergang ein System »autoritärer Stabilitätswah- rung« heraus, das Usbekistan politischen Entwicklungen in Nach- barstaaten wie Tadschikistan und Kirgisistan entgegensetzte, mit dem es sich international aber den Ruf eines der repressivsten po- litischen Systeme im postsowjetischen Raum erwarb. In der »patrimonialen Ära« ha�en sich zwar Tendenzen re- gionaler und nationaler Selbstbehauptung artikuliert, von einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung konnte indes nicht die Rede sein. In Usbekistan nahm man 1991 in Ermangelung von Führern eines echten nationalen Unabhängigkeitskampfes das Sinnbild der »patrimonialen Ära«, den 1983 verstorbenen Par- teifürsten Scharaf Raschidow, als Symbolfigur mit in die staat- liche Unabhängigkeit. Sein Denkmal steht für eine begrenzte Autonomiebehauptung Zentralasiens im Rahmen des Sowjet- systems. Das wichtigere Nationalsymbol, Amir Timur (Timur Lenk, Tamerlan), symbolisiert dagegen eine eigene imperiale Vergangenheit und bekam nun in Taschkent jenen Platz zu- gewiesen, auf dem zuvor Karl Marx gethront ha�e. Unter den historischen Persönlichkeiten der Region wir� er den längsten Scha�en (vgl. den Beitrag von Martin Rink). Aus der frühen sow- jetischen Geschichte ragen die nationalen Opfer stalinistischer Repression wie der einstige Vorsitzende des Usbekischen Rates der Volkskommissare, Faisullah Chodschajew, und der einstige

74 Das Erbe der Sowjetunion

Erste Sekretär des Zentralkomi- tees der usbekischen KP, Akmal Ikramow, unter den kulturellen Heroen der Dichter Alischer Nawoi hervor. Auch das islami- sche Erbe Zentralasiens kommt nicht zu kurz: Dem Traditions- gelehrten Mohammed al-Bucha- ri widmete man bei Samarkand ein Staatsheiligtum, in sowjeti- scher Zeit verfemte islamische Reformbewegungen wurden neu bewertet. Von den historiogra-

fischen Vorgaben der Sowjetära Zeitung Photo/Hans Dieter Kley stand nun vor allem der »An- schluss« Zentralasiens an das

Russische Reich zur Disposi- Süddeutsche tion: Er dur�e nun unter dem Reiterstandbild des Mongolenherrschers Schlagwort »Kolonialismus« be- Timur Lenk in Taschkent. handelt werden. Bei allem Bemühen, postkommunistisches Nationalbewusst- sein von sowjetischer Vergangenheit abzusetzen, hielt sich die nun verfolgte Rekonstruktion nationaler Geschichte im Wesentlichen aber an ein Ordnungsmuster, das die Sowjetmacht Zentralasien mit der Au�eilung der Region in »nationale Republiken« vorgege- ben ha�e. Historische und kulturelle Leitfiguren und bedeutende Repräsentanten des Islam wurden je nach Geburts-, Todes- und Wirkungsort zu Kasachen, Kirgisen oder Usbeken. Dies verstärk- te kontroverse Strategien der Geschichtsdeutung, wie sie sich etwa zwischen den usbekischen und tadschikischen Historiogra- fien entwickelt ha�en. Während man sich in Usbekistan auf das heutige Staatsterritorium bezieht und jeden in eine »usbekische Nationalgeschichte« integriert, der seit dem Altertum auf diesem Territorium gewirkt hat, kann sich die Geschichtsschreibung in Tadschikistan nicht auf eine »Geschichte des Territoriums« ver- ständigen, da wesentliche Identifikationssymbole tadschikischer Geschichte jenseits der Staatsgrenzen liegen. Hinzu traten postsowjetische politische Legitimationsstra- tegien. In Usbekistan versuchte Präsident Karimow mit der auf

75 I. Historische Entwicklungen

Amir Timur bezogenen Parole »Stärke in Gerechtigkeit«, sein Herrscha�smodell autoritärer Stabilitätswahrung zu untermau- ern. Dass diese Herrscha� in der Bevölkerung als »gerecht« empfunden wird, kann infrage gestellt werden. An die Gerech- tigkeit politischer Gewalt appellieren gerade in Usbekistan auch islamistische Oppositionskrä�e, die den jungen Nationalstaat und seine Machteliten bekämpfen und ihm eine abstruse Kali- fats-Ideologie entgegensetzen. Religiöse Netzwerke wie Hisb ut-tahrir al Islami (Islamische Befreiungspartei) verstehen es, die Frustration der Bevölkerung über politische und wirtscha�liche Stagnation und Repression zu nutzen und an »muslimische Ge- rechtigkeit« zu appellieren. Dass hier weniger Brüche mit der sowjetischen Vergangen- heit vollzogen als Gepflogenheiten aus der »patrimonialen Ära« verstärkt wurden, zeigt sich auch auf anderen Gebieten. So etwa bei der Bevorzugung von Angehörigen der Titularnation bei der Besetzung politischer und wirtscha�licher Schlüsselpositionen. In Kombination mit der nun einsetzenden Wirtscha�skrise ging dieser Trend mit deutlich verstärkter Rückwanderung von Rus- sen und Russischsprachigen einher. Im Mai 1996 machte eine internationale Migrationskonferenz in Genf auf Bevölkerungsbe- wegungen im GUS-Raum aufmerksam. Während die Zuwande- rung aus dem postsowjetischen Raum nach Ostmi�el- und West- europa hinter anfänglichen Befürchtungen zurückblieb, stellte man innerhalb der ehemaligen UdSSR demografische Verschie- bungen von historischem Ausmaß fest. Insgesamt neun Millionen Menschen verlegten in der ersten Häl�e der 1990er-Jahre ihren Lebensmi�elpunkt – größtenteils über die neuen Staatsgrenzen hinweg. Der stärkste Migrationsstrom verlief von Süden nach Norden: Zentralasien sowie der Nord- und der Südkaukasus waren die Auswanderungsregionen, die Russische Föderation das Ziel. Ab Mi�e der 1990er-Jahre veranlasste die Wirtscha�skri- se in Zentralasien auch zunehmend »Einheimische« zur Arbeits- flucht nach Russland und Kasachstan. Eine Sprachpolitik, welche die Nationalsprachen gegenüber der ehemaligen Amtssprache festigen sollte, verstärkte zudem den Willen zur Auswanderung: Der Anteil der »Zugewanderten«, die Kenntnisse in den jeweili- gen Nationalsprachen erworben ha�en, lag hier weit niedriger als in anderen nicht-russischen Teilen der Sowjetunion.

76 Das Erbe der Sowjetunion

Wirtscha�seinbruch und Erholung

Die zentralasiatischen Machteliten sahen sich Anfang der 1990er- Jahre vor große Herausforderungen gestellt. Zwar standen alle Unionsrepubliken angesichts ihrer Verflechtung mit der gesamt- sowjetischen zentralistischen Ökonomie vor Problemen, aber hier waren bestimmte Aspekte der Abhängigkeit vom bisheri- gen System besonders stark ausgeprägt. Den Republiken drohte ohne die früheren Subventionen der Kollaps. Die sozio-ökonomische Situation beim Eintri� in die Unab- hängigkeit war schlechter als in den europäischen Teilen des Vielvölkerreiches. In der ausgehenden sowjetischen Zeit ver- öffentlichten die offiziellen Medien erstmals Daten über den Lebensstandard in der Region, die das in Russland gepflegte Vorurteil von den »privilegierten Ländern des Südens« revidier- ten. In fast allen Kennziffern des Lebensstandards rangierten die zentralasiatischen Republiken im Binnenvergleich am unte- ren Ende. In der Entwicklung nach 1991 geriet der sowjetische Standard sozialer Grundsicherung dann durch die Verschärfung der Einkommensarmut und den massiven Abbau staatlicher Sozialleistungen unter gewaltigen Druck. In Sektoren wie dem Gesundheits- und Bildungswesen brach er deutlich ein. Hier lag für die betroffene Bevölkerung die einschneidendste Bruchstelle beim Übergang in die Eigenstaatlichkeit. Der Wegfall innersowjetischer Märkte bewirkte in den gerade unabhängig gewordenen Staaten Deindustrialisierung und eine tiefe Wirtscha�skrise. Das traf besonders die schon zu kommu- nistischer Zeit strukturschwachen Republiken. In einem Land wie Kirgisistan schrump�e im ersten Jahr der Souveränität das Brut- toinlandsprodukt (BIP) um 25 Prozent. In Tadschikistan kollabier- ten Wirtscha� und Verwaltung aufgrund der nun ausbrechenden Kämpfe. Aber auch Kasachstan, das rohstoffreichste, am wei- testen industrialisierte Land der Region, stand zu Beginn seiner staatlichen Unabhängigkeit vor dem wirtscha�lichen Abgrund. Lediglich in Usbekistan und Turkmenistan ging der ökonomi- schen Übergang – wenigstens nach offiziellen Angaben – relativ glimpflich vonsta�en. Wenn dieses statistische Bild stimmt, zeich- neten der anhaltende Anstieg der Erdöl- sowie Erdgasförderung und eine nur geringe Produktionsabnahme beim Hauptexport-

77 I. Historische Entwicklungen produkt, der Baumwolle, dafür verantwortlich. Beim Übergang in die Eigenstaatlichkeit erhielt Usbekistan insgesamt günstigere Entwicklungsprognosen als etwa sein traditioneller Rivale Ka- sachstan. Es war infrastrukturell besser erschlossen, schien über mehr wirtscha�lich relevante Ressourcen zu verfügen und zeigte eine einheitlichere ethnische Struktur als seine Nachbarn. Usbekistan trat dann auch als das regionale Kernland auf und wurde in den USA ab 1996 und stärker noch nach dem 11. Septem- ber 2001 zum strategischen Hauptpartner vor Ort erkoren. Seine geografische Lage und seine Bevölkerungsgröße waren hierfür die ausschlaggebenden Faktoren. Mit mehr als 26 Millionen Ein- wohnern ist es das dichtbesiedelste Land der Region, auf das 44 Prozent der Gesamtbevölkerung Zentralasiens entfallen. Es grenzt an alle übrigen »Stan-Staaten«, einschließlich Afghanistans, und ist mit ihnen ethnisch-demografisch eng verflochten. Der usbeki- sche Präsident verfolgte eine Politik der behutsamen Reform, der graduellen, vom Staat strikt kontrollierten und sozial schonend gestalteten »Transformation«. Taschkent setzte dem Wirtscha�sli- beralismus des kirgisischen Nachbarn ein Streben nach wirtscha�- licher Autarkie und staatlicher Kontrolle der Ökonomie und dem zum Bürgerkrieg entarteten »chaotischen Pluralismus« in Tad- schikistan sein Modell »autoritärer Stabilitätswahrung« entgegen. In diesem Rahmen bildete sich aber eine Mischung aus Stagnation und Unterdrückung heraus, die Usbekistan trotz der genannten begünstigenden Faktoren nicht an die Spitze nachsowjetischer Wirtscha�s- und Staatsbildung in Zentralasien beförderte. Diesen Platz nimmt Kasachstan ein, das sich am frühesten von der Wirt- scha�sschrumpfung nach 1991 erholen konnte, neben Russland zur dynamischsten Wirtscha�smacht im postsowjetischen Raum aufstieg und sich heute anschickt, zu einem weltwirtscha�lichen Akteur zu werden. Sein Wirtscha�swachstum ist zum größten Teil rohstoffgetrieben: Ölexporte aus Kasachstan haben sich zwischen 1996 und 2004 verfünffacht. Neben dem »Energy Honeymoon« wirkten sich aber auch Reformen aus, so der Au�au des Banken- wesens, der als vorbildlich für den GUS-Raum galt. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts verzeichnen die makro-ökonomischen Daten aller GUS-Staaten Wirtscha�s- wachstum. In Zentralasien haben gegenwärtig die reichste Volkswirtscha�, Kasachstan, und die ärmste, Tadschikistan, die

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Gemeinscha� Unabhängiger Staaten (GUS) Die Staatsoberhäupter Russlands, Weißrusslands und der Ukraine gründeten die Gemeinscha� Unabhängiger Staaten (russ. Sodru- schestwo Nesawissimych Gossudarstw, SNG) am 8. Dezember 1991 als Nachfolgeorganisation der UdSSR. Außer den drei genannten Län- dern gehören dem Zusammenschluss heute auch die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien, Tadschikistan, Usbekistan und – als assoziiertes Mitglied – Turkmenistan an. Die GUS weist eine Bevölkerung von 269 Milli- onen Menschen (ohne Turkmenistan; Europäische Union 2008: 491 Millionen) auf. Höchstes Organ der Gemeinscha�, dem Grundsatzentscheidungen obliegen, ist der Rat der Staatsoberhäupter. Der Rat der Regierungschefs koordiniert die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten, in die Zuständigkeit des Rates der Außenminister sowie eines Wirtscha�s- rats fallen die Abstimmung von Außenpolitik bzw. die Gestaltung des Wirtscha�sraumes. Ein Wirtscha�sgericht sowie die Zwischenparla- mentarische Versammlung wirken harmonisierend bezüglich gesetz- licher Rahmenbedingungen von Vertragsgestaltung und Kooperation und verknüpfen die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten. Stand bei Gründung der GUS die Idee im Vordergrund, einen ge- meinsamen Wirtscha�sraum mit einheitlicher Außen- und Sicherheits- politik und damit ein Gegengewicht zu EU und NATO zu schaffen, ist die Entstehung eines echten Staatenbundes heute in weite Ferne gerückt. Zu unterschiedlich sind die wirtscha�lichen und außenpoliti- schen Vorstellungen und Orientierungen der Mitglieder. Dennoch be- hält die GUS ihre Bedeutung als Gesprächs- und Abstimmungsforum innerhalb der früheren UdSSR. (bc) höchsten BIP-Wachstumsraten. Auch in Usbekistan, das inter- nationale Finanzorganisationen seit 1996 wegen seiner reform- feindlichen Wirtscha�spolitik kritisieren, deutete sich seit 2003 eine gewisse Öffnung der Wirtscha� an. Zwar ist dem Bild vom unermesslichen Entwicklungspotenzial Zentralasiens, das durch die aufgeregte energiepolitische Debat- te im Westen geistert, entgegenzuhalten, dass um 2005 alle fünf Staaten zusammengenommen weniger als die Häl�e des Bru�o- inlandsprodukts Polens erwirtscha�eten, und dass davon mehr

79 I. Historische Entwicklungen

als die Häl�e allein auf Ka- sachstan entfiel. Was den »Kaspischen Raum« als die »neue Tankstelle der Welt« betri�, muss vor übertrie-

picture-alliance/dpa/Astakhov benen Hoffnungen gewarnt werden: Das Fehlen verläss- licher Rechtsstrukturen, der ungeklärte Status des Kas- pischen Meeres und die un- vollkommene Infrastruktur Der russische Präsident Dmitri Medwedjew für die Ausfuhr begrenzen schreitet bei seinem Besuch in Usbekistan die We�bewerbsfähigkeit der am 23. Januar 2009 mit seinem Gastgeber kaspischen Exporteure im Islam Karimow (re.) die Ehrenformation ab. globalisierten Energiemarkt. Auch ihre Fähigkeit, ihre Ressourcen für eine über den Energie- sektor hinausreichende Entwicklung und den Wohlstand breite- rer Bevölkerungsteile zu nutzen, ist begrenzt.

Ist Zentralasien eine Region?

Die sowjetische Ordnungspolitik ha�e die Absicht verfolgt, Ge- meinscha�sbildung auf der regionalen Basis eines »Turkesta- nismus« oder der transregionalen Grundlage von Pan-Ideo- logien (Pan-Turkismus, Pan-Islamismus) zu unterbinden. Das System der Planwirtscha� sah horizontale Beziehungen zwi- schen den Unionsrepubliken auf regionaler Basis nicht vor. Die von der KPdSU vorgegebene Terminologie bezeichnete die in der »nationalen Abgrenzung« aufgeteilte Region mit »Mi�el- asien und Kasachstan«. Als nun nach dem Zerfall der Sowjet- union die Zusammenarbeit zwischen den fünf Nachfolgestaaten beschworen wurde, kam in russischsprachigen Quellen die Be- zeichnung Zentralnaja Asija auf. Sie wurde 1993 zum offiziellen Regionsbegriff. Das wir� aber die Frage auf, ob die fünf Staaten wirklich eine Region bilden. In kaum einem anderen Teil des postsowjetischen Raums erscheint eine intraregionale Kooperation notwendiger als hier. Schon allein die Probleme der Nutzung transnationaler Gewässer

80 Das Erbe der Sowjetunion in einer hochgradig von Bewässerung abhängigen Zone machen intraregionale Verfahren nach dem Zerfall der zentralen Rege- lungsmechanismen notwendig. Dazu kommen sicherheitspoliti- sche Herausforderungen, die Zusammenarbeit beim Schutz der neuen Staatsgrenzen verlangen, um beispielsweise den wachsen- den Drogentransfer von Afghanistan über Zentralasien zu unter- binden. Was zwischenstaatliche Kooperations- oder Integrations- formen betri�, beteiligen sich, mit Ausnahme Turkmenistans, das eine Politik der Neutralität verfolgt, zentralasiatische Staaten an einer Vielzahl von Regionalorganisationen, in denen sie mit Russland und anderen GUS-Staaten interagieren oder über diesen Raum noch hinausgreifen, wie in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (vgl. den Beitrag von Christian Becker). Der Schulterschluss zwischen den fünf Staaten blieb hingegen auf der Strecke. Auf ihn bezog sich anfangs eine Zentralasiatische Union (1994), die 1998 in Zentralasiatische Wirtscha�sgemein- scha� umbenannt und 2002 in eine formelle Regionalorganisa- tion umgewandelt wurde. 2004 trat dann Russland bei, was den intraregionalen Rahmen bereits sprengte. 2006 ging sie in der größeren Eurasischen Wirtscha�sgemeinscha� auf. Dieser Wer- degang ist charakteristisch für Regionalisierung im postsowjeti- schen Raum, für ein Experimentieren mit wechselnden Bezeich- nungen und Formaten für Regionalorganisationen, hinter dem reale zwischenstaatliche Zusammenarbeit zurückbleibt. Staatliche Unabhängigkeit in Zentralasien in Kombination mit einer Regionalisierung, die den fünf Staaten Gewicht gegenüber Russland und anderen externen Akteuren verschaffen würde, wäre ein markanter Bruch mit der sowjetischen Vergangenheit. Dass dies bisher nicht zustande kam, liegt in folgenden Faktoren begründet: Die neuen unabhängigen Länder sind verständlicher- weise auf ihre nationale Souveränität fixiert. Der Begriff »Inte- gration« wir� bei ihnen die Assoziation mit sowjetischer »Supra- nationalität« auf. Die nationale Einbindung auf Landes- und Republikebene ist noch gar nicht abgeschlossen. Und nicht zuletzt stehen die stark personalisierten Machtstrukturen und die Abnei- gung der Machthaber vor Ort gegen jegliche Vergemeinscha�ung politischer Entscheidungsgewalt dem entgegen. Uwe Halbach

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Nach der Erlangung der Souveränität – im Bild die Feierlichkeiten zum 15. Unabhängigkeitstag Usbekistans in Taschkent im Jahre 2006 – stan- den die zentralasiatischen Länder vor der Aufgabe, eine nationale Identi- tät zu erzeugen. Im Unterschied zu den europäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wo breite Volksbewegungen die nationale Eigenstän- digkeit erstritten hatten, ging die Nationsbildung in Zentralasien jedoch von oben aus. Die neuen Führungen schufen für die Titularnationen iden- titätsstiftende Symbole, lokale Helden und Traditionen, um eine jahrhun- dertealte Kontinuität zu konstruieren, das eigene Volk zu glorifizieren und die Herrschaft ihrer Regime zu rechtfertigen. Alternative Geschichtsinter- pretationen und multiperspektivische Diskussionen über die Vergangen- heit treffen vor diesem Hintergrund nur auf wenig Toleranz. Wiedergeburt per Dekret – Nationsbildung in Zentralasien

Der•Zerfall der Sowjetunion bescherte den zentralasiatischen Staaten urplötzlich eine Souveränität, die sie keineswegs ein- gefordert ha�en. Doch dass im Gegensatz zu den baltischen Ländern oder der Ukraine keine Unabhängigkeitsbewegung existierte, die durch breite Volksmassen oder Dissidentengrup- pen getragen worden wäre, bedeutet nicht, dass es in der Regi- on überhaupt keine Ansprüche auf Selbstbestimmung gegeben hä�e. Während der Perestroika bestimmten Forderungen nach einer stärkeren Berücksichtigung kultureller Eigenheiten sehr wohl die öffentliche Deba�e. So setzten sich beispielsweise In- tellektuelle dafür ein, dass die regionalen Sprachen den Status von Staats- und Amtssprachen erhalten sollten, eine Forderung, denen die zentralasiatischen Sprachgesetze von 1989 Rechnung trugen. Auch manches tabuisierte Ereignis der Geschichte durf- te in dieser Zeit der Liberalisierung wieder gewürdigt werden. Helden, die totgeschwiegen worden waren, weil sie in der Ver- gangenheit gegen die Russen gekämp� ha�en, wurden ebenso dem Vergessen entrissen wie die einheimischen Kommunisten der Jahre 1920 bis 1930, die später den Säuberungen Josef Stalins zum Opfer gefallen waren. Die neuen Machthaber, die in Usbekistan, Kasachstan und Turkmenistan auch die alten Parteichefs waren, betrachteten aber jene Intellektuellen, die während der Perestroika für eine andere, für eine eigene Geschichte gestri�en ha�en, rasch als Konkurrenten: Die einen forderten eine demokratische Ordnung und sprachen sich deshalb irgendwann gegen den amtierenden Präsidenten aus; andere wiederum verfügten selbst über eine große symbolische Legitimität und unterstrichen dadurch, dass die Männer an der Spitze der nun unabhängigen Staaten sich in der Umbruchszeit als Parteichefs der jeweiligen Sowjetrepublik gegen den Wandel gestemmt ha�en. Diese Männer der ersten Stunde wurden entweder ausgeschaltet und ins Exil getrieben (im Falle von Usbekistan und Turkmenistan) oder auf unauf- fälligere Weise kaltgestellt (wie z.B. der Schri�steller Dschingis Aitmatow in Kirgisistan oder der Lyriker Olschas Sulejmenow in

83 I. Historische Entwicklungen

Kasachstan). Heute hat sich ein Mantel des Schweigens über die intellektuellen und politischen Auseinandersetzungen der zwei- ten Häl�e der 1980er-Jahre gelegt.

Die Schaffung neuer Gedächtnisorte und nationaler Symbole

Die Gesellscha�en der zentralasiatischen Staaten ha�en beim Auseinanderbrechen der UdSSR durchaus das Bewusstsein einer nationalen Identität. Dabei handelt es sich aber keineswegs um vorsowjetische Wurzeln, die in der Perestroika eine »Wiederge- burt« erlebten – auch wenn eine solche von den jeweiligen Macht- habern gerne herbeigeredet wird. Viel mehr fallen hier sow- jetische Prägungen auf, was die Schaffung identitätssti�ender Symbole anbelangt, die nicht ohne eine gewisse Willkür vonstat- ten ging. Turkmenistan und Usbekistan etwa scha�en in den 1990er-Jahren das kyrillische Alphabet als Symbol der Russifizie- rung ab. Allerdings führten sie nicht die traditionelle arabische Schri� ein, sondern ein lateinisches Alphabet, ähnlich dem, das in den späten 1920er- und 1930er-Jahren auf Moskauer Geheiß bereits schon einmal gegolten ha�e. Ferner wurden die russischen und sowjetischen Benennun- gen zahlreicher Straßen und Plätze ersetzt. In Turkmenistan und Usbekistan geschah dies sehr rasch, während die drei anderen Staaten sich Zeit ließen. Die Lenin-Statue auf dem zentralen Platz von Bischkek musste erst 2003 einer geflügelten Freiheitsstatue weichen, die das nationale Symbol einer strahlenden Sonne in die Höhe reckt. Das Denkmal des Revolutionsführers steht heute etwa hundert Meter weiter hinter dem Nationalmuseum. Generell verblieben die »Gedächtnisorte« an alter Stelle und wurden nur umgewidmet. So steht sta� eines Lenin auf dem Karl-Marx-Platz von Taschkent nun Amir Timur (Tamerlan) auf dem nach ihm umbenannten Platz; und in Duschanbe wurde sein Pendant zunächst durch den persischen Dichter Abu Firdausi er- setzt, der jedoch rasch als gar zu politisch und »islamisch« galt, weshalb er 1999 zugunsten von Ismail Samani das Feld räumen musste.

84 Nationsbildung in Zentralasien

Die Nationalmuseen wurden entweder neu erbaut oder von Grund auf umgestaltet. In der usbekischen Hauptstadt eröffnete 1996 die Regierung mit viel Brimborium das neue Timuriden- Museum, Weiheort einer ewigen usbekischen Nation, in dessen Zentrum die Wiederaufwertung der zu Staatsgründern verklär- ten Dynastieangehörigen steht. Es gibt kaum Originalexponate, sondern fast ausschließlich Kopien und Nachbildungen, deren Hauptzweck die patriotische Erziehung der Jugend ist. Das seit Ende der 1990er-Jahre geschlossene Historische Museum konnte erst 2004 seine Pforten wieder öffnen, nachdem das Geschichts- bild der Kuratoren nach mehreren Änderungen endlich den Vor- stellungen Präsident Islam Karimows entsprach. Turkmenistan – um ein weiteres Beispiel zu nennen – hat sich einen pompösen Neubau mit drei Abteilungen geleistet: Al- tertum, mit einer überaus wertvollen Sammlung, turkmenische Volkskunde (Trachten, Schmuck und Wohnformen) sowie turk- menische Unabhängigkeit. Diese Abteilung ist ausschließlich dem Turkmenbaschi gewidmet, dem »Haupt aller Turkmenen«, wie sich der 2006 verstorbene Präsident Saparmurat Atajewitsch Nijasow nennen ließ; andere Geschichtsepochen gibt es nicht. Alle fünf zentralasiatischen Länder wollen an eine angeblich »vorsowjetische« Identität anknüpfen, die untergegangen sei. Wenn es davon keine Spuren gibt, wird kurzerhand eine eige- ne Tradition erfunden, indem Orte, Symbole und Ereignisse aus dem historischen Kontext gerissen und in eine Staatsgeschichte eingerückt werden. Neuentdeckte nationale Symbole bekommen in Form von Flaggen und Wappen einen offiziellen Status: Die kasachische Flagge zeigt eine Sonne und darunter einen aufflie- genden Steppenadler, die kirgisische eine Sonne, in die das Dach einer Jurte – Träger der nationalen Kosmogonie – eingelassen ist, die turkmenische u.a. fünf traditionelle Teppichmuster, die für die fünf größten Stämme des Landes stehen. Zum offiziellen Bilder- kanon Kasachstans gehört darüber hinaus ein Reiter in vollem Galopp, Kirgisistan liebt die Jurte als dekoratives Element, und in Usbekistan feiern »traditionelle« Gewänder fröhliche Urstände bei Hochzeiten und sonstigen Festen. Darüber hinaus kreiert jeder Staat sein »altüberkommenes« Kunsthandwerk, das nicht nur Tou- risten verführen soll, sondern auch die einheimische Bevölkerung, die an dieser »Erfindung von Traditionen« gleichfalls Anteil hat.

85 I. Historische Entwicklungen

So erscha� sich Zentralasien eine eigene Welt und verherrlicht eine Vergangenheit, die vor dem Verschwinden zu bewahren sei.

Schwieriger Umgang mit der jüngsten Vergangenheit

Ausgeklammert aus dieser Identitätsbildung bleiben die Koloni- alzeit und die sowjetische Periode. Die Machthaber vor Ort haben sich allesamt aus der sowjetischen Nomenklatur in die Gegenwart herübergere�et und ziehen es vor, nicht an dieser Kontinuität zu rühren, aus Angst, der Widerspruch zu ihrer aktuellen Legitima- tionsrhetorik könne allzu augenfällig werden. So bleiben para- doxerweise Bezüge zum 20. Jahrhundert, die durchaus für eine Glorifizierung geeignet wären, im Scha�en. Zu nennen wäre hier etwa der Dschadidismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dessen Vordenker eine pan-türkische Identität vertraten. Eine solche ent- spricht nicht dem Geschmack der herrschenden Regime, da diese ihre Legitimation aus dem Nationalstaat beziehen und deshalb jede regionale Unverwechselbarkeit ablehnen. Ebenso wenig mögen sie sich auf die in den 1930er Jahren liquidierten Kommu- nisten mit ihrem Traum von einem islamischen Sozialismus und ihrem allzu großen Enthusiasmus beim Au�au des Bolschewis- mus berufen. Die Basmatschi (vgl. Info-Kasten auf S. 49) wieder- um, eine fundamentalistische Oppositionsbewegung der 1920er- und 1930er-Jahre, die unter anderem die Wiedereinführung der Scharia (islamisches Gesetz) gefordert haben, lassen sich schlecht für die Ideologie von Staaten instrumentalisieren, die den Laizis- mus auf ihre Fahnen geschrieben haben. Schließlich finden diese historischen Ereignisse und Personen auch deshalb kaum Eingang in den offiziellen Kanon, weil sich ihrer die nationalistischen und islamistischen Oppositionskreise bedienen. Zwiespältig ist auch die Haltung der Machteliten gegen- über der zaristischen Kolonisation. Das Zurückdrängen zentral- asiatischer Traditionen, die Dominanz der russischen Sprache und Kultur sowie die wirtscha�liche Ausbeutung der lokalen Boden- schätze sind Grund genug, diese Zeit zu verdammen. Die großen Volksaufstände gegen das Russische Reich werden zwar in den

86 Nationsbildung in Zentralasien

Schulbüchern als Momente picture-alliance/dpa/Landov des »Kampfes für die natio- nale Befreiung« dargestellt, nehmen jedoch im öffentli- chen Gedenken noch keinen breiten Raum ein. Allein Turkmenistan führte bereits 1990 zum Gedenken an den gloriosen Widerstand im Kampf gegen die Russen in Gök-Tepe 1881 einen Na- tionalfeiertag (12. Januar) ein. Was die russisch-sow- Tänzerinnen in folkloristischen Kostümen am jetische Periode als histori- usbekischen Unabhängigkeitstag 2006. schen Gegenstand betri�, so bleibt sie ein heißes Eisen, zwingt die Beschä�igung damit doch dazu, sich einer schwierigen kollektiven Erinnerungsarbeit zu stellen sowie der Aufarbeitung der politischen und sozialen Umbrüche, die Zentralasien im 20. Jahrhundert erschü�erten. Andererseits hält man in den fünf Ländern der Region das Gedenken an zwei große symbolische Momente der Sowjetzeit wach: an die Eroberung des Weltraums und an den »Großen Va- terländischen Krieg« (der 9. Mai ist unverändert Feiertag in ganz Zentralasien). Außerstande, eine eindeutige Position zur UdSSR zu beziehen, sehen sich die »neuen« Machthaber genötigt, auf weiter zurückliegende Geschichtsepochen zurückzugreifen. Hierbei beru� man sich lieber auf nationale Heroen und »un- politische« Schri�steller als auf Intellektuelle, die auch politisch aktiv waren, etwa auf Vertreter der nationalkommunistischen und dschadidistischen Eliten der 1920er-Jahre.

Herrscherdynastien und Staatsgründer

Der usbekische Staat stellte unmi�elbar nach der Erlangung der Unabhängigkeit Amir Timur und dessen Nachfolger (15. Jh.) ins Zentrum seiner Erinnerungspolitik. 1994 verfasste Präsident Islam Karimow selbst ein Buch über die mächtige Dynastie, und eine ganze Reihe usbekischer Historiker schreibt gegen das

87 I. Historische Entwicklungen im Westen überlieferte Bild von Timur Lenk als blutrünstigem Despoten an, indem sie ihn als besonnenen Staatsmann und Feldherrn, als großzügigen Förderer der Künste, bedeutenden Bauherrn und in religiösen Fragen toleranten Herrscher zeich- nen. Einige bedeutende Literaten und Wissenscha�ler werden gleichfalls als usbekische Geistesgrößen vereinnahmt, wenn- gleich Tadschikistan und Kasachstan dieselben Heroen für ihren nationalen Pantheon reklamieren. Umkämp� sind insbesondere Ibn Sina (Avicenna), Halim al-Termezi, Mohammed al-Chwa- rizmi und Abu al-Farabi: Ihre glänzenden Namen bilden ein Aushängeschild, mit dem sich der Rest der muslimischen Welt wunderbar an die Rolle Zentralasiens für die kulturelle Blüte des mi�elalterlichen Islam erinnern lässt (vgl. den Beitrag von Anne�e Krämer). Auch hat die usbekische Regierung das Grab des Imams Mohammed al-Buchari in der Nähe von Samarkand restauriert und 1998 zur offiziellen Pilgerstä�e erklärt. Um eine andere große Persönlichkeit, den berühmten Sufi-Gelehrten Achmad Jassawi (1103-1166), streiten sich Usbekistan und Ka- sachstan: Die Grabmoschee befindet sich in der kasachischen Stadt Turkestan, die im Jahr 2000 mit viel Prunk den 1500. Ge- burtstag des Hodschas (islamischer Religionsgelehrter) feierte; das Timuriden-Museum in Taschkent jedoch zeigt ein Modell des Mausoleums, ohne dessen geografische Lage zu erwähnen, sodass der Eindruck entsteht, es handle sich um ein usbekisches Nationalmonument. Tadschikistan, das nach der Erklärung der Unabhängigkeit so- gleich im Bürgerkrieg versank (1992-1997), ha�e Mühe, sich für eine nationale Symbolfigur zu entscheiden. Den Zuschlag bekam schließlich auch hier ein Staatsmann, in diesem Falle der Begründer der ersten persischen muslimischen Dynastie, der bereits erwähn- te Ismail Samani. Diese Entscheidung ist allerdings nicht unprob- lematisch, befindet sich sein Grab doch in Buchara; ein Umstand, der unterstreicht, dass die persische Kultur der Samaniden nicht auf das heutige Staatsgebiet Tadschikistans beschränkt war, dass im Ge- genteil die großen Städte dieser Kultur, Buchara und Samarkand, im heutigen Usbekistan liegen. Aus dieser Zwickmühle hil� der Zoroastrismus (im 1. Jt. v.Chr. entstandene, nach ihrem Gründer be- nannte dualistische Religion) als »Alternative« zur samanidischen Dynastie: Seine Wiederaufwertung ermöglicht es, die für die ta-

88 Nationsbildung in Zentralasien dschikische Identität heiklen Fragen zur Rolle des Islam und des Verhältnisses zu Usbekistan zu umgehen. Der Islam ist für die Staatsmacht aus mindestens drei Grün- den ein Problem: Zum Ersten wegen der religiösen Gegensätze zwischen sunnitischen Tadschiken und schiitisch-ismailitischen Pamiri, den Bewohnern des Autonomen Gebiets Berg-Badach- schan; zum Zweiten weil er ganz Zentralasien gemeinsam ist und somit nicht zur Propagierung einer spezifisch nationalen Ausprägung taugt, sondern im Gegenteil die Erinnerung an das gemeinsame kulturelle Erbe wachhält; zum Dri�en und vor allem aber deshalb, weil ihm in Gestalt des Islamismus eine mögliche politische Konkurrenz erwächst. In Turkmenistan ließ der krankha�e Größenwahn des 2006 verstorbenen Präsidenten Nijasow immer weniger Platz für den Kult einer Gründerdynastie oder irgendwelche Nationalhel- den. Unmi�elbar nach der Erlangung der Unabhängigkeit ha�e sich die turkmenische Staatsmacht auf das Altertum fokussiert und angesichts der vielen archäologischen Funde im Lande die Parther (3. Jh. v.Chr. bis 3. Jh. n.Chr.) deutlich aufgewertet, die freilich auch der Iran für sich reklamiert. Auch berief man sich gern auf die Oghusen, ein im 9. und 10. Jahrhundert in der Re- gion lebendes Turkvolk, und die Seldschuken (11./12. Jh.). Unter den Literaten wurde der Dichter Machtumkuli zur wichtigsten Größe. In den letzten Jahren jedoch wurden all diese histori- schen Epochen und Figuren durch den Kult des Turkmenbaschi verdrängt, der sich als Nachfahre Alexanders des Großen aus- gab und die Abstammung seines Volkes bis auf Adam und Eva zurückführte! Am schwierigsten stellt sich die Institutionalisierung einer Gründerdynastie oder eines Nationalhelden als Kristallisations- punkt der nationalen Identität in Kasachstan dar, wo mehrere historische Epochen bzw. Figuren von ihrer Bedeutung her infra- ge kämen. So bevorzugen manche Intellektuelle Dschingis Khan. Doch nicht nur wegen seiner legendären Grausamkeit, sondern auch, weil ihn die Mongolei ebenfalls als Gründungsvater be- ansprucht, ist er als Identifikationsfigur problematisch (vgl. den Beitrag von Martin Rink). Erschwerend kommt hinzu, dass mit Dschingis Khan der nomadische Ursprung der kasachischen Identität in den Vordergrund rücken würde, während die Re-

89 I. Historische Entwicklungen gierung es bevorzugt, die Kasachen als seit Urzeiten sessha�es Volk zu stilisieren. Kirgisistan schließlich lehnt es im Gegensatz zu den anderen zentralasiatischen Staaten ab, eine bestimmte Gründungsepoche festzulegen. Nach offizieller Lesart hat sich das kirgisische Volk in mehreren Etappen und unterschiedlichen Gebieten allmählich herausgebildet. Gleichwohl feierte das Land 2003, gestützt auf alte chinesische Quellen, denen zufolge bereits im 2. Jahrhundert v.Chr. ein kirgisisches Gemeinwesen bestand, »2200 Jahre kirgi- sischer Staatlichkeit«. Als Ersatz für fehlende Gründungsdynas- tien oder -heroen hat sich das Land Manas, den Helden des gro- ßen gleichnamigen Nationalepos, zur Symbolgestalt auserkoren. An den Universitäten beispielsweise gibt es den Fachbereich »Manasologie«, und auch die Akademie der Wissenscha�en hat eine einzig dieser Versdichtung gewidmete Sektion eingerichtet. Dabei wird Manas nicht mehr als mythische, sondern als reale Gestalt betrachtet, und das Epos wird weniger unter ästheti- schen Gesichtspunkten denn als historische Quelle behandelt, die es erlaubt, die Geschichte des kirgisischen Volkes von seinen Ursprüngen an nachzuzeichnen.

Konstruierte nationalstaatliche Kontinuität

Die von den Bolschewiki betriebene Schaffung von Nationen der Usbeken, Kirgisen, Tadschiken, Turkmenen und Kasachen auf ethnischer Grundlage trieben die nunmehr unabhängigen Republiken weiter voran. Alle fünf Länder verstehen sich als Staat der Titularnation. Dass es diese in den jeweiligen Grenzen und mit der vorhandenen Bevölkerung niemals zuvor in der Geschichte gegeben ha�e, sondern es sich um Produkte sowje- tischer Nationalitätenpolitik handelte, wird nicht thematisiert. Alle fünf bemühen sich vielmehr darum, eine historische Kon- tinuität von »Staatlichkeit« zu konstruieren. Allesamt bedienen sie sich den rhetorischen Kniffs, die jahrhundertealte Ansässig- keit ihres Volkes auf dem jeweiligen Territorium sei Unterpfand ihrer heutigen nationalstaatlichen Legitimität. Die Machthaber sind deshalb darauf bedacht, mit großer Prachtentfaltung Jah- restage zu zelebrieren, die möglichst weit zurückliegen, worin

90 Nationsbildung in Zentralasien sie übrigens die Organisation der Vereinten Nationen für Er- ziehung, Wissenscha� und Kultur (UNESCO) systematisch un- terstützt. So feierte Usbekistan 1997 das 2500-jährige Bestehen Bucharas und Chiwas und blickte 2002 erneut auf die 2700-jäh- rige Geschichte von Schachrisabs zurück. Dieser kurze Abriss der Identitätsbildung und Schaffung nationaler Symbole in Zentralasien dokumentiert einige Ge- meinsamkeiten in der Region: Alle Staaten sind bestrebt, ein laizistisches nationales Gedächtnis zu entwickeln, jeden öffent- lichen Bezug auf den Islam zu vermeiden und eine pan-tür- kische Identität zu leugnen, welche die zu Zeiten der Sowjet- union getroffene und nach deren Ende beibehaltene politische Option, sich als Nationalstaat zu entwerfen, infrage stellen würde. Ebenso pochen die Führungen Zentralasiens darauf, dass ihre Nation ohne Unterbrechung existiert habe und seit Menschengedenken auf dem jeweiligen Territorium ansässig gewesen sei – daher die Passion für Archäologie, daher das dis- krete Ausblenden der sowjetischen Vergangenheit, in der die heutigen Grenzen erst gezogen wurden, sowie all jener histo- rischen Epochen, die sich nicht nahtlos in das gewünschte Bild einfügen lassen. Der autoritäre Charakter der postsowjetischen Regime in Zentralasien wirkt sich auf das geistige Leben und damit auch auf die Schaffung neuer nationaler Symbole aus. So haben die Präsidenten nicht nur das Feld der Politik, sondern auch das der Identität besetzt. Die Überhöhung der Nation dient den Macht- habern als kulturalistisches Deckmäntelchen, mit dem sie ihr autoritäres Regime rechtfertigen. Das neue nationale Selbstbild wird von oben bestimmt, ohne dass das Volk damit eingeladen wäre, sich am Staatsau�au zu beteiligen, ebenso wenig wie der einzelne Bürger dazu animiert wird, sich für das Gemeinwe- sen zu engagieren. Die ins Maßlose gesteigerte Glorifizierung der Nation entbehrt jedes staatsbürgerlichen Ziels, ja sie leistet vielmehr einer »Verabschiedung aus der Politik« Vorschub. Der Fokus auf das Nationale soll jeden Versuch unterbinden, die Le- gitimität der gegenwärtigen Regime infrage zu stellen. Ganz in sowjetischer Tradition haben die Präsidenten ihre »Gedanken« zu Unabhängigkeit, Wirtscha�, Demokratie und Nation veröffentlicht – in Büchern mit Auflagen, die in die Hun-

91 I. Historische Entwicklungen der�ausende gehen und in einigen Staaten einen Großteil, in an- deren sämtliche Regalmeter der Buchhandlungen füllen. Usbe- kistans Präsident Islam Karimow verfasste offiziell ein knappes Dutzend Werke, der 2005 gestürzte kirgisische Präsident Askar Akajew ebenso wie sein amtierender kasachischer Amtskollege Nursultan Nasarbajew je knapp die Häl�e. Auch die Rhetorik der Politikwissenscha� hat sich ungeachtet des scheinbaren Systemwandels wenig verändert; weiterhin dient diese Wissen- scha� den ideologischen Interessen der Staatsmacht, auch wenn sie nun sta� des Klassenkampfes die nationale Unabhängigkeit propagiert. Die grenzenlose Glorifizierung der Souveränität scheint dabei in einem proportionalen Verhältnis zur Schwierigkeit zu stehen, die Existenz des neuen Staates tatsächlich zu rechtfer- tigen. In pathetischen Ansprachen werden deshalb Güte, Gast- freundscha� und Großherzigkeit des jeweiligen Volkes über den grünen Klee gelobt, und die Zukun� des Landes erscheint in den leuchtendsten Farben. Ein Glanzstück dieses postsowje- tischen Kauderwelsch bot Präsident Nasarbajew 1997 mit sei- ner Schri� »Kasachstan – 2030«, in der er den Bürgern seines Landes jene strahlende Zukun� ausmalte, die sie in 30 Jahren erwarten würde, sofern sie, versteht sich, seine Politik unter- stützten. In offiziellen Kreisen ist das Buch inzwischen zum unumgänglichen Standardwerk avanciert, aus dem bei allen erdenklichen öffentlichen Anlässen zitiert wird, ja es hat eine Monografien-Reihe »angestoßen«, die ihrerseits den gleichen Titel trägt. Plakate mit eben diesem Slogan schmücken die städ- tischen Straßen, insbesondere in der neuen Hauptstadt Astana, und verschiedene Ministerien haben sich die Umsetzung des einen oder anderen Punktes aus dem Programm Nasarbajews zu eigen gemacht. In ihren Werken werden die unvermindert schreibwütigen Präsidenten nicht müde, die Notwendigkeit einer Ideologie für jede Gesellscha� zu betonen. Die marxistische war selbstver- ständlich eine irrige, die neue dagegen kann, da national, nur die rechte und wahre sein. Die Nation, die im Begriff steht, »wie- dergeboren« zu werden, fiebert nach einer Erklärung ihres Plat- zes in der Weltgeschichte und erwartet von ihrem »Vater«, dass dieser ihnen den Weg in die Zukun� weist. Deshalb zeigen sich

92 Nationsbildung in Zentralasien die Machthaber auch so überaus interessiert an der Geschich- te. Sie ist symbolischer Rohstoff und knetbare Masse, die jede beliebige Neuerschaffung der nationalen Identität erlaubt. Alle haben sie mindestens ein Standardwerk zur einheimischen His- torie geschrieben: der usbekische Präsident 1997 (»Usbekistan an der Schwelle zum 21. Jahrhundert«), der kasachische und der tadschikische 1999 (»Im Strom der Geschichte« respektive »Die Tadschiken im Spiegel der Geschichte«) und der vormalige kirgi- sische 2003 (»Die kirgisische Staatlichkeit und das Nationalepos ›Manas‹«).

Ideologische Gleichschaltung und geschönte Geschichte

Um ihre neue Lesart der Geschichte zu verbreiten, bedienen sich die autoritären Regime der Schulen und Hochschulen. Hier las- sen sich die Botscha�en des im Au�au befindlichen National- staats am besten unters Volk bringen. In Turkmenistan und Us- bekistan dominiert das Gedankengut des Präsidenten bereits die Lehrpläne der Grundschulen. So werden die Werke Karimows in verschiedenen Fächern behandelt, und Schüler, die sich dage- gen sperren, gefährden ihre Schullau�ahn. Es gibt zwar keine als solche deklarierten »Karimow-Fächer«. Dennoch durchzieht die Lehre des Präsidenten alle Disziplinen. Die gesamten 1990er- Jahre hindurch mussten die Lehrer im Übrigen ohne neue Schul- bücher bestreiten: Die sowjetischen blieben in Gebrauch, wobei ihr Einsatz durch ministerielle Weisungen und eine Liste der The- men, die nicht mehr behandelt werden dur�en, streng geregelt war. So ha�en die Schüler aus den Geschichtsbüchern jene Sei- ten herauszureißen, auf denen die Zeit der UdSSR abgehandelt wurde, und Wladimir Lenin wie Josef Stalin dur�en nicht mehr erwähnt werden. Im Jahre 2001 mussten Schüler und Lehrer auf Befehl von oben alle Bücher abgeben, die in der Sowjetunion vom Verlag Prosweschtschenije (Au�lärung) herausgegeben wor- den waren, unabhängig davon, ob es sich um Geschichts- oder um andere, z.B. auch naturwissenscha�liche Bücher handelte. In welchem Umfang russischsprachige Werke aus zaristischer und

93 I. Historische Entwicklungen sowjetischer Zeit aus den usbekischen Bibliotheken verschwun- den sind, lässt sich nur schwer überblicken. In manchen Dorf- büchereien existieren sie bereits überhaupt nicht mehr, in den städtischen haben sie nur noch einen kläglichen Platz, und selbst in den Bibliotheken der Hauptstadt gibt es Regale, die systema- tisch von ihnen »gesäubert« wurden. In Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan hat der Staat neue Geschichtsbücher herausgegeben, meist nach einer Aus- schreibung. Diese dem Anschein nach demokratische Handha- bung bewirkt allerdings eine scharfe Selbstzensur der Autoren und entpuppt sich dank der Selektion als exzellentes Kontroll- verfahren. Patriotismus ist oberste Pflicht im Geschichtsunter- richt sowie der Staatsbürgerkunde. So wird in Kirgisistan gerade ein Fach mit dem Namen »Geschichte der kirgisischen Staatlich- keit« auf den Weg gebracht. Geschichte wird in allen drei Staaten generell nur aus der Perspektive der Titularnation gelehrt, die ethnische Vielfalt als Gegenstand unterschlagen. Die Beschä�i- gung mit der russischen und sowjetischen Vergangenheit muss zugunsten weiter zurückliegender Epochen weichen, die sich leichter zurechtbiegen und verherrlichen lassen. Die Figur des Präsidenten erscheint stark überhöht, die staatliche Unabhän- gigkeit als der natürliche Endzustand eines linearen Geschichts- prozesses. Der damalige turkmenische Präsident Saparmurad Nijasow sagte ab Mi�e der 1990er-Jahre der gesamten Wissenscha� den Kampf an. 1997 schloss er die Akademie der Wissenscha�en und gliederte das Historische Institut dem Präsidialapparat an. Auch ließ er das Manuskript einer mehrbändigen, zuvor von ihm selbst in Au�rag gegebenen monumentalen Geschichte Turkmenistans beschlagnahmen und verschwinden. Fünf Jahre später sperr- te Nijasow den russischen Fundus der Nationalbibliothek und 2005 den Zugang zu allen Bibliotheken des Landes. Der neue, im Februar 2007 gewählte Präsident Gurbanguly Berdymuch- ammedow will nun offenbar das alte Schul- und Studiensystem wiederherstellen. In Usbekistan bleibt die Lehre Karimows, die »Karimologie«, wie sie ironisch genannt wird, in allen Universitäten Pflicht- gegenstand. Sie wird in eigens dafür eingerichteten Kursen ge- lehrt und gehört zum jährlichen Prüfungsprogramm. Hinzu

94 Nationsbildung in Zentralasien kommt ein Kurs in »nationaler Geistigkeit«, der die patriotischen Gefühle stärken und den Stolz auf die usbekische Kultur festi- gen soll. Kurz, die politische Durchdringung von Schule und Universität, die während der Perestroika nachgelassen ha�e, hat in Usbekistan und Turkmenistan wieder jenes Ausmaß erreicht, das sie in der UdSSR gehabt ha�e, wenn sie dieses nicht noch überschreitet. Jeder Student oder Forscher, der gegen die natio- nalpolitische Korrektheit verstößt oder die Legitimität der Ein- flussnahme der politischen Macht auf den Wissenscha�sbetrieb infrage stellt, setzt dafür seine Karriere aufs Spiel. Vergleichbar trostlose Zustände ließen sich für die – insgesamt etwas libera- leren – Verhältnisse in Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan beschreiben. Marlène Laruelle

95 picture-alliance/dpa/Astakhov

Am »Sandkasten« verfolgen die führenden Staatsoberhäupter der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) das Großmanöver »Friedensmission 2007« im russischen Tscheljabinsk, an dem nahe- zu 5000 Soldaten der Mitgliedsstaaten teilnahmen. Der SOZ gehören neben den Großmächten China und Russland auch Kasachstan, Kirgi- sistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Die SOZ-Partner vertieften die wechselseitige Zusammenarbeit seit Gründung der Organisation 2001 kontinuierlich auf verschiedenen Feldern, beispielsweise im Bereich der Sicherheit und Terrorbekämpfung. Von geplanten grenzüberschreitenden Wirtschaftsprojekten könnte Usbekistan aufgrund seiner zentralen Lage besonders profitieren. Trotz vorhandener Interessengegensätze ihrer Mitglieder stieg die SOZ in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen regionalen Akteur auf, der der Stimme Zentralasiens Ausdruck und Ge- wicht verleiht. Usbekistan und die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit

In der im Jahr 2001 formell gegründeten Schanghaier Organi- sation für Zusammenarbeit (SOZ) haben sich Russland, China, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und – nach anfänglichem Zögern – auch Usbekistan zusammengeschlossen. Die regionale zwischenstaatliche Kooperation umfasst die unterschiedlichsten Bereiche. Anders als die Gemeinscha� Unabhängiger Staaten (GUS, siehe Info-Kasten auf S. 79), die stark auf Moskau hin ori- entiert ist, stellt sich die SOZ durch die Mitgliedscha� Chinas deutlich repräsentativer dar: »Das Reich der Mi�e« vertri� neben Russland den zweiten großen Anrainerstaat Zentralasiens. Gerade aufgrund der chinesischen Mitgliedscha� bleibt die Organisation für westliche Beobachter eine schwer bestimmbare Größe. In ihrer Selbstdarstellung erscheint die SOZ als ein be- deutsamer Akteur für Sicherheit, Stabilität und auch ökonomi- sche Zusammenarbeit in der Region. Westliche Beobachter spre- chen dagegen mit kaum verhohlener Skepsis von einer »Allianz der Autokratien« oder sehen die Gemeinscha� als gemeinsames Manöver Russlands und Chinas zur Begrenzung des westlichen Einflusses in Zentralasien. Letztlich vereint die SOZ beide Perspektiven in sich. Für Usbekistan ist sie vor allem deswegen von Bedeutung, weil sie das dortige Regime auf vielfältige Weise unterstützt. Gleichzei- tig ermöglicht ein Blick auf die Rolle Usbekistans innerhalb der SOZ einen Einblick in außen- wie innenpolitische Prioritäten, Befindlichkeiten und Strategien des Karimow-Regimes und er- hellt generell die Mechanismen regionaler Machtverteilung in Zentralasien. Die SOZ hat im Lauf ihrer jungen Geschichte ein umfangrei- ches Feld von Kooperationsvorhaben abgesteckt. Die seit Auflö- sung der UdSSR abgehaltenen Treffen zur Festlegung des ehe- mals sowjetisch-chinesischen Grenzverlaufs entwickelten sich über ein lockeres Konsultationsforum zu einer mi�lerweile mit festen Institutionen und umfangreichen Grundlagendokumen- ten versehenen Regionalorganisation. In ihrem Rahmen bemüht man sich u.a. um sicherheits- und militärpolitische Zusammen-

97 I. Historische Entwicklungen arbeit, die Planung bi- und multinationaler Investitionen und die Harmonisierung der Grenzregime. Auch im humanitären Bereich kamen eine Reihe von Projekten zustande. Schließlich profiliert sich die SOZ zunehmend als internationaler Akteur. Bereits 2004/05 konnten die Mongolei, Indien, Pakistan und Iran als Beobachterstaaten gewonnen werden. Mi�lerweile besitzt die SOZ als Regionalorganisation offiziell Beobachterstatus bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) und äußert sich im Rahmen von gemeinsamen Abschlusserklärungen der jährlichen Gipfeltreffen selbstbewusst zu wichtigen internatio- nalen Fragen.

Kooperation: Rhetorik und Substanz

Eine Betrachtung der konkreten Zusammenarbeit bietet dem- gegenüber ein differenziertes Bild. In vielen Bereichen bleibt es bei Absichtsbekundungen der Mitgliedsstaaten. So haben sich z.B. die ehrgeizigen – aber intern he�ig umstri�enen – Initiati- ven zum Abbau von Handelshemmnissen auch nach mehreren Jahren nicht konkretisiert. Dieses ernüchternde Fazit gilt aber keineswegs für alle Vorhaben der Organisation. Eine Reihe von Investitionsprojekten im Bereich der Verkehrsinfrastruktur und der Telekommunikation kommen zwar langsamer als geplant voran, befinden sich aber in einer fortgeschri�enen Planungs- phase. Vor allem bei vertrauensbildenden Maßnahmen zwi- schen den Mitgliedsstaaten oder einem abgestimmten Vorgehen bei der Bekämpfung von terroristischen und auch aus innenpo- litischen Gründen missliebigen Gruppen hat die SOZ durchaus Ergebnisse vorzuweisen. Als zentrales Betätigungsfeld der SOZ tri� immer mehr die Verbesserung von Sicherheit und Stabilität in der Region zuta- ge. Besonderer Wert wird dabei auf die Bekämpfung regionaler Stabilitätsrisiken gelegt. Zur Bezeichnung dieser Risiken finden – seit dem 11. September 2001 nochmals verstärkt – auch west- lichen Beobachtern vermi�elbare Begrifflichkeiten wie »Terro- rismus« und grenzüberschreitende Kriminalität Anwendung. Gleichwertig neben diesen Phänomenen steht das Vorgehen gegen innerstaatliche Krisenherde, die gern mit den Schlagwor-

98 Usbekistan und die SOZ ten »Separatismus« und »Extremismus« umschrieben werden. Die beteiligten Regierungen verstehen solche Begriffe als Syn- onyme für die Bekämpfung jedweder Opposition. Gerade in diesem Bereich funktioniert die konkrete Zusammenarbeit ohne größere Probleme. Sichtbares Zeichen hierfür ist die 2004 ins Leben gerufene Regionale Anti-Terror-Struktur (RATS), die als ständiges Organ der SOZ in erster Linie einen Informationsaus- tausch zwischen den Sicherheits- und Nachrichtendiensten der Mitgliedsstaaten fördern soll. Deutlich öffentlichkeitswirksamer und zunehmend auch in den westlichen Medien thematisiert, vollzieht sich die Zusam- menarbeit zwischen den Streitkrä�en der Mitgliedsstaaten. Die Manövertätigkeit im Rahmen der SOZ gewinnt seit 2004 stetig an Dynamik. Trotz einer Reihe von Differenzen im Detail scheint sich ein zweijähriger Übungsrhythmus herauskristallisiert zu haben. Streitkrä�e aller SOZ-Staaten trainieren dabei in Szena- rien, die auf den Erfahrungen mit spektakulären Aktionen wie der Geiselnahme von Beslan 2004 oder den Überfällen islamis- tischer Gruppen in Kirgisistan und Usbekistan um den Jahrtau- sendwechsel beruhen. Die Komplexität und auch der Umfang der Manöver wachsen. Zuletzt waren bei der in Russland sta�- findenden Übung »Friedensmission 2007« knapp 5000 Soldaten der SOZ-Mitglieder beteiligt – davon ungefähr 1700 Angehörige der chinesischen Streitkrä�e, die mit ihrem Einsatz auf russi- schem Territorium eine neue Qualität der chinesisch-russischen Beziehungen eingeläutet haben. Obwohl der tatsächliche militä- rische Wert entsprechender Vorhaben in keinem Verhältnis zu ihrer medialen Inszenierung steht, bleibt doch ein erheblicher Symbolwert: Gemeinsam und ungetrübt von den vielfältigen offenen und latenten Rivalitäten der beteiligten Länder – so die Botscha� der Übungen – ist die SOZ um Sicherheit und Stabi- lität in der Region bemüht. Dieses Ziel wollen die betroffenen Staaten ohne externe Mächte – in erster Linie die USA – errei- chen. In der Relativierung des amerikanischen Einflusses in Zentralasien liegt somit ein wichtiges Motiv für Gründung und Ausbau der Organisation. Sie schlicht als anti-amerikanischen Block zu bezeichnen, wird ihrer Komplexität freilich nicht ge- recht. Die Intensität der »USA-Skepsis« variiert unter den Part- nern, und bei aller grundsätzlichen Zurückhaltung gegenüber

99 I. Historische Entwicklungen

Washington wechseln sich Phasen offener Kritik mit versöhnli- cheren Gesten ab.

Usbekistan als Nutznießer der SOZ

In den vergangenen Jahren versuchte Usbekistan zunehmend, in der SOZ eine auch von außen deutlich erkennbare Sonderrol- le einzunehmen. Der zur Gründung der Organisation 2001 füh- rende Prozess der Konsultationen im Rahmen der »Shanghai Five« ab Mi�e der 1990er-Jahre wurde in Taschkent zunächst mit Desinteresse aufgenommen. Diese Einstellung änderte sich mit dem Wandel des Dialograhmens: Nachdem die – für Usbekistan naturgemäß nicht relevante – Frage der Klärung von Grenzverläufen zwischen den ehemaligen Sowjetrepubli- ken und China in den Hintergrund rückte und man sich ver- stärkt anderen Bereichen zuwandte, wuchs auch das Interesse in Taschkent. Rechtzeitig vor dem Gründungsgipfel der SOZ stellte Usbekistan einen Antrag auf Mitgliedscha� und erhielt einen positiven Bescheid – in Moskau und Peking betrachtete man die Zugehörigkeit eines machtpolitischen Schwergewichts in Zentralasien durchaus als hilfreich. Auch die Aussicht, mit Usbekistan einen bis dahin betont USA-freundlichen Staat in die russisch-chinesisch dominierte SOZ aufnehmen zu können, kam dem geopolitischen Kalkül entgegen. Und trotz immer wiederkehrender Probleme mit Taschkent konnten sich auch die anderen zentralasiatischen Akteure einer Mitgliedscha� Us- bekistans nicht ernstha� verweigern. Die usbekische Führung verbuchte einen äußerst prestige- trächtigen Erfolg: Mit der Aufnahme in die SOZ erhielt Präsident Islam Karimow ein Forum, um im internationalen Rahmen agie- ren zu können. Anders als im Verlauf von Moskau-Besuchen, denen trotz der usbekischen Emanzipationsbemühungen immer der Ruch einer Reise zum »Großen Bruder« anha�ete, wertete alleine schon die chinesische Mitgliedscha� in der SOZ die us- bekische Staatsführung auf, die sich nun auf Augenhöhe mit den Entscheidungsträgern global agierender Großmächte wähnt. Das Karimow-Regime, tatkrä�ig unterstützt von den usbekischen Me- dien, kostete diesen Aspekt weidlich aus. Au�ri�e auf der Bühne

100 Usbekistan und die SOZ picture-alliance/dpa

Die Präsidenten der Mitgliedsländer der SOZ eröffnen am 17. Juni 2004 in Taschkent ein Koordinierungsbüro für den Anti-Terror-Kampf. der SOZ konnte es umso mehr genießen, als der Präsident sich hier keinen unangenehmen Fragen bezüglich Demokratie oder Menschenrechten ausgesetzt sah. Die autoritär geprägten poli- tischen Systeme der Partnerstaaten förderten die ausdrückliche Verpflichtung der SOZ zur Nichteinmischung in innere Angele- genheiten ihrer Mitglieder. Mit der Einrichtung RATS in Taschkent erzielte Präsident Karimow einen weiteren, mit harten Bandagen erkämp�en Prestigeerfolg. Eigentlich war die kirgisische Hauptsstadt Bi- schkek als Sitz der neuen Behörde vorgesehen. Aber nach einer schnellen Kehrtwende der übrigen SOZ-Mitglieder, denen of- fenbar viel am Wohlgefallen Usbekistans gelegen ha�e, erhielt 2003 der usbekische Regierungssitz den Zuschlag. Die offiziel- le Sprachregelung deutete die bis dahin für die Wahl Bischkeks erho�en Synergieeffekte – in der Stadt befindet sich auch das Anti-Terror-Zentrum der GUS – über Nacht in eine unnötige Doppelung um. Die Stärkung des Kampfes gegen den Terror um einen zusätzlichen Stützpunkt und die flächendeckende Präsenz der staatlichen Organe untermauerten nun die Entscheidung für den neuen Standort. Auch bei der Wahl des ersten Direktors des

101 I. Historische Entwicklungen

Exekutivkomitees, des Arbeitsgremiums der RATS, setzte sich die usbekische Seite mit ihrem Wunsch durch. Dem einer schon sicher geglaubten, multilateralen Institution beraubten Kirgisis- tan blieb nur ein als einsichtiger Verzicht kaschiertes Nachgeben. Die Selbstwahrnehmung Usbekistans als von den großen Mäch- ten hofierter Machtfaktor in Zentralasien schien eindrucksvoll bestätigt. Seitdem nimmt Usbekistan konsequent die Chance wahr, sich als Gastgeber der RATS und damit als regionaler Vor- reiter der Terrorbekämpfung zu präsentieren. Auch nach den Unruhen in Andischan im Mai 2005 konnte sich die usbekische Führung auf die Organisation voll und ganz verlassen: Während sich die USA und die EU-Staaten über das Vorgehen der Sicherheitsorgane empört zeigten, demonstrier- te die SOZ den Schulterschluss mit Taschkent (vgl. den Beitrag von Imke Dierßen). Sie akzeptierte die offizielle usbekische Dar- stellung von Ursachen und Verlauf der Unruhen und hieß die staatliche Reaktion ausdrücklich gut. Während die westliche Öf- fentlichkeit die vermeintliche Isolierung des Landes als »Strafe« interpretierte, stellte sich die Lage aus Sicht des Karimow-Re- gimes, aber auch für die usbekische Öffentlichkeit anders dar: Neben den ohnehin erwarteten Solidaritätsadressen aus Moskau und Peking konnte die SOZ ihr internationales Renommee zu- gunsten Usbekistans einbringen. Die Haltung der Gemeinscha� trug maßgeblich dazu bei, die Argumentation der usbekischen Führung, der zufolge man nicht international isoliert, sondern lediglich von einigen arroganten westlichen Staaten zu Unrecht an den Pranger gestellt werde, zu unterstützen. Die zeitlich mit den Vorfällen von Andischan korrespondierende Abwendung Usbekistans – das seit Mi�e der 1990er-Jahre als wichtiger Part- ner der USA in Zentralasien gegolten ha�e – von den Vereinig- ten Staaten wurde dann auch durch eine betont USA-kritische Phase seitens der Organisation flankiert: Der Schließung der amerikanischen Militärbasis »K2« auf usbekischem Territorium ging eine Verlautbarung der SOZ voraus, die – eingebe�et in die Erklärung des jährlichen Treffens ihrer Staatsoberhäupter – recht unverblümt den Abzug amerikanischer Streitkrä�e aus ihren seit 2001 in Zentralasien etablierten Stützpunkten forder- te. Auch in diesem Fall konnte man in Taschkent also auf die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen durch eine wichtige

102 Usbekistan und die SOZ

Regionalorganisation verweisen. Damit leistete die SOZ einen zwar hauptsächlich symbolischen, aber dennoch nicht zu ver- nachlässigenden Beitrag zur Sicherung der Herrscha� Präsident Karimows. In Anbetracht solch handfester Vorteile wich zuse- hends die Skepsis der usbekischen Führung gegenüber einer Mitgliedscha�.

Erwartungen und Perspektiven

Jenseits der symbolischen und legitimierenden Funktion der SOZ ho� Taschkent auf handfeste Vorteile durch grenzüber- schreitende Wirtscha�sprojekte. Insbesondere der Ausbau des zentralasiatischen Straßennetzes in Ost-West-Richtung könnte für die einheimische Ökonomie überaus förderlich sein. Hierbei erweist sich Usbekistan – diesmal jedoch weniger aufgrund poli- tischen Drucks, sondern wegen seiner vergleichsweise günstigen Lage für regionale und überregionale Verkehrsströme – erneut als besonderer Schwerpunkt entsprechender Planungen. Angesichts dieser Erfolge und Vorteile gehört Usbekistan mi�lerweile – wenn auch nicht immer in der Substanz, auf jeden Fall aber rhetorisch – zu den Befürwortern eines Ausbaus und einer Vertiefung der Zusammenarbeit. Der unter Präsident Kari- mow zum Markenzeichen usbekischer Außenpolitik gewordene abrupte Paradigmenwechsel hinsichtlich des Verhältnisses zu den USA macht das Land zwar zu einem unsicheren Kantonis- ten für die ohnehin an inneren Gegensätzen reiche SOZ. Was auf den ersten Blick als mangelnde Verlässlichkeit anmutet, hat sich jedoch auf Usbekistans Gewicht innerhalb der SOZ positiv aus- gewirkt: Vor allem Moskau und Peking verspüren das Bedürfnis, sich Taschkent als Partner gewogen zu halten. Die durch vergan- genes Verhalten durchaus glaubwürdige Drohung eines usbeki- schen Ausscherens aus den mühsam geschlossenen Reihen der SOZ stellt daher ein Faustpfand dar, mit dem Karimow sich noch manches Zugeständnis seiner Nachbarn erkaufen kann.

Christian Becker

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Seit 2001 entwickelt die Europäische Union (EU) ein wachsendes Inter- esse an Zentralasien. Grund sind die Energiereserven der Region sowie sicherheitspolitische Kalküle. Die präventive Sicherheitspolitik der EU zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Zusammenarbeit an die Achtung der Menschenrechte und demokratischer Mindeststandards knüpft. Die Erfolgsaussichten des europäischen Ansatzes erscheinen jedoch gering. Mit Russland und China agieren in der Region zwei Staaten, deren Ein- fluss erheblich größer ist als jener der EU. Allenfalls in der Rolle eines Ge- gengewichts zu den beiden genannten Mächten kann sich Europa einen gewissen Handlungsspielraum sichern. Das Bild zeigt die Außenminister der fünf zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikis- tan sowie Kirgisistan und Kasachstan anlässlich eines Arbeitstreffens mit ihrem bundesdeutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier (Mitte) in Berlin am 30. Juni 2007. Die Europäische Union und Zentralasien – Interessen, Instrumente, Einflussgrenzen

Seit dem Herbst 2001 ist ein verstärktes Interesse der Europä- ischen Union an Zentralasien zu verzeichnen. Die Absicht der EU, dort eine aktivere Rolle zu spielen, kommt am deutlichsten in der »Strategie für eine neue Partnerscha� mit Zentralasien« zum Ausdruck, die der Europäische Rat im Juni 2007 verab- schiedete. Das Engagement der EU zielt letztlich darauf ab, die Präsenz und Sichtbarkeit Europas in einer Region zu verbessern, deren zunehmende politische Bedeutung sich in erster Linie ihrem Rohstoffreichtum verdankt. Für die Eliten vor Ort verspricht die Aufmerksamkeit, die Zentralasien von verschiedenen Seiten entgegengebracht wird, hohe wirtscha�liche und politische Gewinne. Zwar erscheinen die Interessen der Europäer durchaus vielfältig, doch kommt die Formulierung starker energiepolitischer Erwartungen seitens der Union den Machthabern insofern entgegen, als dies in Zen- tralasien sowohl außen- als auch innenpolitisch instrumentali- siert werden kann. Vor diesem Hintergrund nehmen die örtli- chen Partner auch die Programme der EU nur sehr selektiv wahr. Deren o� kritisierte mangelnde Wirksamkeit gründet vor allem auf diesem Umstand – und nicht etwa auf dem o� behaupteten zu geringen europäischen Engagement.

Europäisches Engagement in der Region

Am 22. Juni 2007 verabschiedete der Europäische Rat in Brüssel erstmals eine politische Strategie für Zentralasien. Während der Vorbereitung des Papiers rückte eine Region in den Blickpunkt der Europäer, die in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits- politik (GASP) bislang von untergeordneter Bedeutung war. Dem Dokument, das den dri�en Baustein in einem Gesamtkonzept zur Weiterentwicklung der EU-Außenbeziehungen mit den Nachbarn im postsowjetischen Raum bildet, kommt hohe politische Symbol- kra� zu. Es unterstreicht den Willen der EU, ihr Engagement vor Ort merklich zu erhöhen, Zentralasien dadurch stärker an Europa

105 I. Historische Entwicklungen zu binden, und bildet den Gesamtrahmen für die Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten. Grundlagen der Zusammenarbeit sind einerseits die seit Anfang der 1990er-Jahre bestehenden bi- lateralen Kooperationsabkommen, andererseits die im Oktober 2002 von der EU-Kommission aufgelegte regionale Unterstüt- zungsstrategie, die knapp fünf Jahre später überarbeitet wurde. Sie definiert detailliert die Unterstützung für den Zeitraum 2007 bis 2013. Das dazugehörige Hilfsprogramm erläutert den Au�au des Portfolios und schlüsselt die für die entsprechenden Program- me und Projekte bis 2010 vorgesehenen Mi�el auf. Das vom Europäischen Rat vorgelegte Papier versteht sich als Ergänzung und politischer Überbau der entwicklungspolitischen Strategie der EU-Kommission. Kernziel des konzertierten Unter- fangens ist die Verbesserung der Präsenz der EU in Zentralasien, indem die Mi�el aufgestockt und vorhandene Programme besser aufeinander abgestimmt werden. Dabei trägt das Interesse der Eu- ropäer an der Region in erster Linie wirtscha�s- und sicherheits- politische Züge. Einige der Staaten Zentralasiens verfügen über große Öl- und Gasvorkommen. Sie könnten kün�ig, so ho� man, zu einer stärkeren Diversifizierung der europäischen Energieim- porte beitragen. Allerdings ist die an Afghanistan grenzende Regi- on in hohem Maße instabil und daher krisenanfällig. Drei Faktoren kommt in diesem Zusammenhang herausragende Bedeutung zu. Erstens die ungleiche Verteilung der Ressourcen und die regionale Fragmentierung bei einer gleichzeitigen starken öko- nomischen Interdependenz, die eine Folge der wirtscha�lichen Integration während der Sowjetzeit ist. Kasachstan, Turkmenis- tan und Usbekistan weisen zwar reiche Öl- und Gasvorkommen auf und verzeichneten in der Vergangenheit ein anhaltend hohes Wirtscha�swachstum, sind aber abhängig vom Rohstoffexport. Kirgisistan und Tadschikistan dagegen haben das ökonomische Potenzial, das der Wasserreichtum birgt, bisher nicht ausreichend entwickelt, und sind ihrerseits auf Öl und Gas aus den Nachbar- staaten angewiesen. Beide Länder belasten hohe Schulden und die Abhängigkeit von ausländischen Unterstützungsleistungen. Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen zählen beide Staaten zu den ärmsten der Welt. Die engen Verflechtungen besonders auf dem Energiesektor brachten eine Reihe ungelöster Konflikte mit sich – von Grenzstreitigkeiten bis hin zu Konflikten um die Nut-

106 Die EU und Zentralasien zung von Wasser. Die Lösung dieser Konflikte würde eine stär- kere zwischenstaatliche Kooperation erfordern, die jedoch die vorhandenen politischen Strukturen und damit einhergehende Sicherheitsprobleme behindern. Eine zweite Ursache für die strukturelle Instabilität Zentral- asiens stellt die Monopolisierung der profitablen Wirtscha�s- sektoren durch die Eliten dar, die eine ungleiche Verteilung von Reichtum sowie Korruption nach sich zieht. Als Folge wachsen soziale Spannungen, nehmen die illegale Migration, Kriminalität und Drogenhandel zu. Damit korrespondiert dri�ens die Monopolisierung politi- scher Macht. Die fünf Länder weisen bei allen Unterschieden dies- bezüglich große Ähnlichkeiten auf. Es handelt sich durchwegs um autoritär regierte politische Systeme, in denen sich formale und informelle Herrscha�smechanismen gegenseitig durchdringen. Alle fünf zentralasiatischen Staaten sind Präsidialrepubliken, die ihrem jeweiligen Oberhaupt fast unbegrenzte Vollmachten ein- räumen. Trotz formaldemokratischer Verfassungen ist die Gewal- tenteilung eingeschränkt zugunsten der Exekutive, vor allem der staatlichen Sicherheitsorgane. Politische Freiräume gelten nur in dem Maße, in dem sie das Machtmonopol des Regimes nicht be- drohen, und sich keine ernstha�e Opposition herausbilden kann. Hierin liegt auch eine der Ursachen dafür, dass radikale islamisti- sche Bewegungen an Zulauf gewinnen. Die Nähe zu Afghanistan und Pakistan spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle. In Anbetracht dieser Gemengelage sieht die EU die Wahrung von Sicherheit und Stabilität in Zentralasien durch wirtscha�- liche und politische Modernisierung sowie durch den Ausbau der regionalen Kooperation als übergeordnetes Ziel ihrer Politik. Mehreren Bereichen misst die Union diesbezüglich besonde- res Gewicht bei. Dazu zählen, erstens, Menschenrechte, Rechts- sicherheit, Regierungsführung und Demokratisierung. Wie mit anderen Staaten, die von der EU entwicklungspolitische Un- terstützungsleistungen erhalten, wird auch mit den zentralasi- atischen Ländern kün�ig ein »strukturierter, regelmäßiger und ergebnisorientierter Menschenrechtsdialog« geführt. Dieser soll Projekte der technischen und finanziellen Zusammenarbeit im Bereich der Demokratieförderung flankieren. Im Rahmen einer Rechtsstaatsinitiative will die EU die Regierungen in Fragen der

107 I. Historische Entwicklungen

Rechts- und Justizreform beraten und sie auf diese Weise bei der Verbesserung der Staatsführung und der Korruptionsbekämp- fung unterstützen. Die Aktivitäten der einzelnen Mitgliedsstaa- ten und der EU-Kommission sollen dabei abgestimmt werden. Die Rechtsstaatsinitiative bereitet die Länder der Region – so die Hoffnung der Europäer – auf einen Beitri� zum Römischen Sta- tut des Internationalen Strafgerichtshofes vor. Wirtscha�sreform, Handel und Investitionen sowie Ausbau der Energie- und Verkehrsverbindungen bilden einen zweiten Schwerpunkt. Die EU-Förderprogramme in diesem Sektor zie- len darauf ab, den Beitri� der Staaten Zentralasiens zur Welt- handelsorganisation (WTO) vorzubereiten, ihren Zugang zum europäischen Markt zu verbessern und die dazu notwendige regionale Transport-, Energie- und Handelsinfrastruktur auszu- bauen. Dies geschieht über eine Reihe miteinander vernetzter Programme, allen voran das 1998 eingerichtete Vorhaben Trans- port Corridor Europe–Causasus–Asia (TRACECA), das dem Ausbau der regionalen Handels- und Verkehrsverbindungen dient. Hinzu kommen das seit 1995 bestehende internationale Kooperationsprogramm Interstate Oil and Gas Transport to Eu- rope (INOGATE) sowie die 2004 ins Leben gerufene Baku-Initi- ative, die auf eine Intensivierung der Energiezusammenarbeit der EU mit den Ländern des Schwarzmeer- und Kaspi-Raumes sowie Zentralasiens abzielt. Im Rahmen der beiden letztgenann- ten Programme soll die Kooperation im Energiebereich insge- samt forciert werden. So will die EU die Staaten der Region bei der Erschließung ihrer Öl-, Gas- und Wasserkra�ressourcen un- terstützen und den Bau neuer Öl- und Gasleitungen vorantrei- ben, die zur Diversifizierung der europäischen Energie-Importe beitragen könnten. Den dri�en Schwerpunkt der Kooperation bildet die »Be- kämpfung gemeinsamer Bedrohungen und Herausforderungen« durch eine verbesserte Grenz- und Zollverwaltung. Dadurch soll die Organisierte Kriminalität – Menschen-, Drogen- und Waffen- schmuggel – eingedämmt werden. Die entsprechenden Aktivitä- ten im Rahmen des Programms Border Management in Central Asia (BOMCA) sollen ausgeweitet und mit analogen Program- men anderer Akteure, wie etwa der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), koordiniert werden. Auf

108 Die EU und Zentralasien der Wunschliste der Europäer steht darüber hinaus die Verbesse- rung der Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung. Um ihre Sichtbarkeit in der Region zu verbessern, will die EU kün�ig mehr Präsenz zeigen. So sollen in den kommenden Jah- ren Repräsentanzen der Union in allen fünf Ländern ihre Arbeit aufnehmen. Darüber hinaus erwägen auch einzelne EU-Staaten eine Ausweitung ihrer Vertretungen. Vor allem aber soll sich das verstärkte Interesse Europas durch einen erhöhten finanziellen Einsatz manifestieren. So wird die Entwicklungshilfe in den kommenden Jahren aufgestockt werden: Im Rahmen des Instru- ments für die Entwicklungszusammenarbeit (DCI) werden für den Zeitraum von 2007 bis 2013 rund 750 Millionen Euro bereit gestellt. Dabei steigen die pro Jahr zugewiesenen Gelder schri�- weise an – von 58 Millionen Euro zu Beginn auf 139 Millionen am Ende des Zeitraums. Um den Unterschieden zwischen den einzelnen Partnern gerecht zu werden, verfolgt die EU sowohl einen auf einzelne Länder fokussierten als auch einen regionalen Ansatz. Im Vor- dergrund steht nach wie vor die bilaterale Zusammenarbeit. 70 Prozent der bis zum Jahr 2013 projektierten Gelder fließen in Hilfsprogramme für die Einzelstaaten. Der Fokus liegt dabei nach wie vor auf der Bekämpfung der Armut und den Reformen des Sozialwesens. 40-45 Prozent des Gesamtbudgets dienen diesem Zweck. Weitere 20-25 Prozent werden für Demokratie- förderung, zur Stärkung der öffentlichen Institutionen und zur Unterstützung wirtscha�s- und handelspolitischer Reformen verwendet. Die restlichen 30-40 Prozent der für die Zusammenarbeit veranschlagten Gelder kommen regionalen Initiativen zugu- te. Dabei soll hauptsächlich die Kooperation der zentralasia- tischen Staaten untereinander, aber auch zwischen diesen und dem Kaukasus, der Europäischen Nachbarscha�sregion und der EU gefördert werden. Der regionale Ansatz dient vor allem der Bekämpfung länderübergreifender Bedrohungen, fördert aber auch die energiepolitische Zusammenarbeit, insbesondere den Ausbau der Transportinfrastruktur. Da die Aktivitäten der EU vielfach als bruchstückha� und wirkungslos gelten, sollen kün�ig die interne Koordination be- sonderes Augenmerk erfahren und die Zusammenarbeit mit

109 I. Historische Entwicklungen anderen Staaten sowie den wichtigsten internationalen Organi- sationen verbessert werden. An vorderster Stelle stehen dabei die OSZE, die einschlägigen Unterorganisationen der Verein- ten Nationen (UN), allen voran die Economic Commission for Europe (UNECE), die internationalen Finanzinstitute sowie die NATO, aber auch regionale Organisationen wie die Eurasische Wirtscha�sgemeinscha� (EURASEC) und die Schanghaier Or- ganisation für Zusammenarbeit (SOZ).

Kalküle der Partner

Das Engagement der EU ist von dem Wunsch geleitet, die poli- tische und wirtscha�liche Transformation Zentralasiens voran- zutreiben und die Region stärker an Europa zu binden. In den damit verbundenen Erwartungen an eine intensivierte Koope- ration werden die Europäer durch die politische Rhetorik der regionalen Eliten durchaus bestärkt. Allerdings steht die EU mit ihren Erwartungen nicht allein da. Auch für Russland und China, in zunehmendem Maße auch für Indien und Iran, ist Zentralasi- en in energiepolitischer Hinsicht und als Absatzmarkt für Kon- sumgüter von herausragender Bedeutung. Vor allem Russland, das sich in den Jahren nach der Auflösung der Sowjetunion aus der Region zurückgezogen ha�e, entdeckte deren strategische Bedeutung in den vergangenen Jahren wieder. Diese ist in erster Linie den engen wirtscha�lichen Verflechtungen im Bereich des Handels und der Transportinfrastruktur als Erbe der Sowjetzeit geschuldet (vgl. den Beitrag von Uwe Halbach). Russland pro- fitiert in hohem Maße von diesen wechselseitigen Abhängigkei- ten, die hauptsächlich den Energiesektor betreffen. Erdöl, vor allem aber Erdgas aus Zentralasien sieht Russland als strategi- sche Ressource an, auf die es angewiesen ist, um seinen heimi- schen Bedarf zu subventionieren, aber auch um eigenen Liefer- verpflichtungen gegenüber Kunden in Europa nachkommen zu können. Umgekehrt brauchen die Rohstoffexporteure Kasachs- tan, Turkmenistan und Usbekistan Russlands Pipelinenetz, da alternative Routen bislang weitgehend fehlen. Darüber hinaus profitieren die zentralasiatischen Staaten zumindest partiell von der strukturellen und technologischen Abhängigkeit auf diesem

110 Die EU und Zentralasien

Sektor, da der Energiehandel vielfach in Form von Kompensati- onsgeschä�en (Barter Deals) abläu�. Der Ausbau der Wirtscha�sbeziehungen bildet daher auch das Kernstück der seit Wladimir Putins zweiter Amtszeit erneu- erten strategischen Partnerscha�en Moskaus mit den ehemaligen Unionsrepubliken. Die Investitionen russischer Unternehmen zielen vor allem auf die strategischen Sektoren der zentralasia- tischen Ökonomien ab, d.h. auf die Förderung von Öl und Gas sowie die Pipeline-Infrastruktur, die Turkmenistan und Usbekis- tan mit Kasachstan und Russland verbindet. Auch der seit eini- gen Jahren zu beobachtende Ausbau der bi- und multilateralen sicherheitspolitischen Kooperation steht neuerdings verstärkt im Zeichen der energiepolitischen Zusammenarbeit. Zur Festigung seines Einflusses im postsowjetischen Raum setzt Russland zunehmend auch auf kulturelle So� Power, etwa in Gestalt entwicklungspolitischer Maßnahmen wie humanitäre Hilfe und Schuldenerlasse (gegenüber Tadschikistan, Usbekis- tan und Kirgisistan) sowie auf die finanzielle Förderung der rus- sischen Diaspora und den Ausbau der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Dabei kann Moskau an die engen historischen Beziehungen und an gemeinsame Werte als Basis für eine Part- nerscha� anknüpfen und sich die Tatsache zunutze machen, dass Russisch in Zentralasien nach wie vor die wichtigste regionale Verkehrssprache ist. Dies wiederum begünstigt die A�raktivität Russlands für Arbeitsmigranten aus der Region. Einen strategischen Vorteil für die Interaktion zwischen rus- sischen und zentralasiatischen Akteuren bilden die Ähnlichkeit der Regierungssysteme und das damit einhergehende gemeinsa- me Politikverständnis. So pflegt Russland, anders als westliche Staaten, an die Zusammenarbeit keine Bedingungen zu knüpfen. Aufgrund des Fehlens demokratischer Kontrollmechanismen im eigenen Land werden politische Entscheidungen außerdem ra- scher gefällt als in Europa, sind in kurzer Zeit große Summen weit schneller zu mobilisieren. Die Ähnlichkeit der politischen Systeme und Kulturen för- dert auch die wachsende Gestaltungsmacht Chinas. Die Volks- republik begann ihre Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten mit Beginn der 1990er-Jahre auszubauen, als sich Russ- land zwischenzeitlich aus der Region zurückzog. Seither wächst

111 I. Historische Entwicklungen das chinesische Wirtscha�sengagement stetig, und seit dem Jahr 2000 sogar dynamischer als das Russlands. Dies betri� insbe- sondere die an China grenzenden Länder Kasachstan, Kirgisis- tan und Tadschikistan. Hinsichtlich des Handelsvolumens mit Zentralasien ist China mit Russland gleichgezogen. Rechnet man zu den offiziellen Wirtscha�szahlen den privaten und kaum er- fassten »Kofferhandel« hinzu, übertri� das »Reich der Mi�e« die Russische Föderation sogar an Bedeutung. Deren Handelsbeziehungen weisen aber ebenso einseitige Strukturen auf wie die der russischen Konkurrenten. So exportiert die Volksrepublik hauptsächlich Fertigprodukte in die Region, während es sich bei den chinesischen Importen fast ausschließ- lich um Rohstoffe – Gas, Öl, Metalle, Chemikalien, Textilfasern und Mineralien – handelt. Vor allem in der Energiewirtscha� Zentralasiens fasst China zunehmend Fuß. Das Land investierte in den vergangenen Jahren große Summen in die kasachische Öl- förderung und Transportinfrastruktur. Eine Pipeline, die erstmals Erdöl aus Kasachstan direkt in den Westen Chinas leitet, nahm im Jahr 2006 ihren Betrieb auf. Umfassende Kooperationsabkommen zur Erdgasförderung und zum Bau einer Pipeline nach China stehen auch mit Turkmenistan in Aussicht (vgl. den Beitrag von Hillmar Rempel u.a.). Ein bedeutsames Vehikel für die Wahrung der Interessen Russlands und Chinas vor Ort bildet die Schanghaier Organisati- on für Zusammenarbeit (SOZ), der alle zentralasiatischen Staaten mit Ausnahme Turkmenistans angehören (vgl. den Beitrag von Christian Becker). Ursprünglich eine rein sicherheitspolitische Organisation, dehnte die SOZ ihre Aktivitäten zunehmend auch auf die energiepolitische Zusammenarbeit aus. Darüber hinaus nutzen auch Dri�staaten wie Indien und Iran, die als Beobachter assoziiert sind, die SOZ, um sich in Zentralasien zu positionieren. Vor dem Hintergrund des von Russland und China domi- nierten We�bewerbs um die Rohstoffe führen zentralasiati- sche Politiker das europäische Engagement weitgehend auf ein energiepolitisches Kalkül zurück. Diese vereinfachende Deu- tung wird den vielfältigen Interessen der Europäer zwar nicht gerecht, passt aber umso besser in die regionalen innenpoliti- schen Konzepte. Zum einen erlaubt sie den örtlichen Eliten, ihre politischen Ziele im Rahmen einer flexiblen Außenpolitik mit

112 Die EU und Zentralasien vielen Partnern möglichst frei von direkter Einfluss- nahme zu verfolgen. Den wieder gewachsenen russi- schen Einfluss in Zentrala- sien und die ökonomische Expansion Chinas betrach- ten nämlich vor allem Ka- sachstan, Usbekistan und Turkmenistan durchaus mit gemischten Gefühlen. Den dortigen politischen Macht- habern ist sehr wohl be- picture-alliance/dpa wusst, dass die Investitionen Begrüßung des usbekischen Präsidenten der benachbarten Groß- Islam Karimow in Peking durch den chinesi- mächte in die Produktion schen Premierminister Wen Jiabao am 26. Mai 2005. und den Transport energie- wirtscha�licher Rohstoffe die asymmetrische Struktur der Wirt- scha�sbeziehungen und die damit verbundenen Abhängigkei- ten festschreiben. Aus diesem Grund bemühen sich die Länder Zentralasiens darum, ihre politischen und wirtscha�lichen Be- ziehungen zu diversifizieren. Der We�bewerb um diesen Markt kommt dem Bedürfnis entgegen und scha� Handlungsspielräu- me für die umworbenen Staaten. Zum anderen nutzt die europä- ische Zentralasienpolitik den dortigen Eliten auch insofern, als sie für die Legitimation ihres Herrscha�sanspruchs instrumen- talisiert werden kann. Die internationale Aufmerksamkeit trägt innenpolitisch zur Imagepflege und damit zur Aufwertung und Stabilisierung der eigenen Position bei.

Grenzen der Kooperation

Erwartungen, die EU könne ihre energiepolitischen Interessen in Zentralasien stärker geltend machen, verkennen, dass die Spielräume der Europäer dort rasch an Grenzen stoßen. Ein ak- tiveres Eintreten der EU in den We�bewerb um die Rohstoffe der Region käme angesichts des strategischen Vorsprungs Russ- lands und Chinas einer Vergeudung von Ressourcen gleich. Im

113 I. Historische Entwicklungen

Vergleich zu diesen beiden politisch verwandten Ländern ist die EU mit ihren unterschiedlichen Machtzentren, ihrer kompli- zierten institutionellen Struktur und dem daraus resultierenden erhöhten Zeitbedarf bei der Entscheidungsfindung für Akteure in Usbekistan oder Kasachstan ein schwieriger Partner. Darüber hinaus können die Politikinstrumente, die der EU zur Verfügung stehen, mit den russischen und chinesischen Machtressourcen kaum konkurrieren. Zwar setzt die EU auf die »Nachhaltigkeit« ihrer Entwicklungshilfe, doch bleibt fraglich, ob dies für die Eli- ten des Raumes angesichts der unkomplizierten und nicht an Bedingungen geknüp�en Unterstützung, wie sie Russland und China gewähren, einen wirksamen Anreiz bietet. Europäischen Akteuren sind diese Schwierigkeiten durchaus bewusst. Die Zusammenarbeit zielt deshalb vordringlich dar- auf, politisch-institutionelle Differenzen abzubauen, indem man die zentralasiatischen Partner an Europa heranführt. Dieser An- spruch gründet sich auf das Vertrauen in die Wirksamkeit von Verhandlungen und kooperativer Diplomatie. Stillschweigend wird vorausgesetzt, dass sich Wahrnehmungsmuster und Wer- teverständnis durch kontinuierlichen Dialog verändern lassen. Ausgeblendet bleibt dabei allerdings, dass die Partner die eu- ropäischen Prämissen nicht unbedingt teilen. Sta�dessen muss damit gerechnet werden, dass sie – vor dem Hintergrund ihrer historischen Erfahrungen und kulturellen Voraussetzungen – den politischen Dialog als Machtspiel wahrnehmen, durch das Veränderungen ihrer Politik erzwungen werden sollen, und dass sie sich daher taktisch und kalkulierend verhalten. In der Tat zielt der politische Dialog, den die EU mit Dri�staaten führt, auf Politikänderungen ab – etwa im Bereich der Demokratisierung. Er besitzt insofern, ob man dies wahrhaben will oder nicht, die Funktion eines rhetorischen Zwangsmi�els. Dessen Wirksamkeit hängt jedoch von Voraussetzungen ab, die in der Zusammen- arbeit zwischen der EU und den zentralasiatischen Staaten nur eingeschränkt gegeben sind. Dazu zählt vor allem die Qualität der vorhandenen Bindung zwischen den Partnern. Sie ist in der Regel am höchsten innerhalb politischer Gemeinscha�en oder regionaler Gruppierungen. Wo hingegen eine gemeinsame nor- mative Basis fehlt und unterschiedliche Auffassungen darüber

114 Die EU und Zentralasien vorherrschen, welche Sprechweisen akzeptabel und angemessen sind, lässt sich mit politischer Rhetorik wenig erreichen. Es sind also unterschiedliche institutionelle Verfasstheiten, wel- che die Gestaltungsmacht der EU in Zentralasien gegenüber Russ- land und China beschränken. Die Bedeutung, welche die Union als Kooperationspartner für die Region dennoch besitzt, ergibt sich weniger aus dem programmatischen Angebot, mit dem sie auf die Probleme vor Ort reagiert und dabei ordnungspolitisch Einfluss zu nehmen sucht, sondern vor allem aus einer spezifischen poli- tischen Konstellation. Die EU wird von den Staaten Zentralasiens primär als ein Akteur wahrgenommen, auf den man zurückgreifen kann, um die Interessen Russlands und Chinas auszubalancieren und sich möglichst viele Politikoptionen offen zu halten. Angesichts eines derartigen Befundes erscheint es unrealis- tisch, dass sich die politischen Ziele der Union langfristig reali- sieren lassen, und dass deren verstärkte Präsenz die A�raktivität des europäischen Politikmodells erhöhen und die Spielregeln in der Region dauerha� verändern kann. Darauf deutet seit eini- gen Jahren eine Angleichung der dortigen politischen Systeme an das russische und chinesische Modell hin. Im Vergleich mit diesen beiden Akteuren wird die EU in Zentralasien auch lang- fristig lediglich eine Nebenrolle spielen. Andrea Schmitz

115 picture-alliance/dpa/Niedringhaus

Der Amudarja markiert einen Großteil der Grenze zwischen Afghanis- tan und seinen nördlichen Nachbarn Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Bis zum Ende der Sowjetunion war diese Grenze kaum passierbar und bildete eine Scheidelinie zwischen unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Auch das selbstständige Usbekistan betrachtet misstrauisch die Entwicklung bei den südlichen Nachbarn Afghanistan und Pakistan. Die Grenze wird vielfach als »anti-islamistischer Schutz- wall« verstanden, der Usbekistan gegen Fundamentalismus und Desta- bilisierung absichern soll. Erst allmählich entstehen Ansätze grenzüber- schreitender Kooperation. Ein wichtiger Schritt war die Wiederöffnung der seit Jahren geschlossenen »Brücke der Freundschaft« zwischen Usbekistan und Afghanistan – im Bild im Hintergrund zu erkennen – am 9. Dezember 2001. Eiserner Vorhang am Amudarja? Afghanistan und seine Nachbarn im Norden

Mit der Wiederentdeckung Zentralasiens nach der Auflösung der Sowjetunion erlebte die Idee der »Seidenstraße« eine Renais- sance. Mit dem Begriff werden sehr unterschiedliche Dinge ver- bunden: Romantikern geht es darum, die Tradition der Seiden- straße wieder erblühen zu lassen, andere wollen sie durch den Bau von Ost-West-Trassen schneller und leistungsfähiger ma- chen. Mitunter ist gar von einer »Neuen Seidenstraße« die Rede. Eine Nebentrasse der Seidenstraße schien bis vor Kurzem bestenfalls sicherheitspolitisch von Bedeutung zu sein. Diese führt über den Amudarja/Pjandsch durch Afghanistan. Lange Zeit stellte die Grenze zwischen dem Land am Hindukusch sowie Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan jedoch eine unüberwindlich scheinende Barriere dar, die verhinderte, dass die Menschen an seinen Ufern vorhandene Gemeinsamkeiten wahrnahmen. Die Grenze am Amudarja bildete für die Autoren eines Berichts der Vereinten Nationen (UN) den Au�änger, die Entwicklung regionaler Zusammenarbeit in Zentralasien zu for- dern. Der Bau neuer Handels- und Transportkorridore würde Kooperation ermöglichen und die ehemals getrennten Regionen Zentral-, Ost- und Südasiens zusammenrücken lassen. Nach wie vor ist die Teilstrecke durch Afghanistan noch mit Schlaglöchern übersät, aber es wird immerhin gebaut. Doch welche Erfolgs- aussichten hat grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Afghanistan und den Nachbarn im Norden? Welche Potenziale gibt es im Raum um den Grenzfluss?

Die Grenze am Amudarja

Der Amudarja fließt durch ein krisenanfälliges Gebiet zwischen Zentral- und Südasien sowie dem Mi�leren Osten. Er ist die Grenze zwischen dem instabilen Afghanistan im Süden und den schwächelnden jungen Staaten im Norden. Die Grenzgebung in ihrer heutigen Form ist erst knapp über 100 Jahre alt. Nachdem

117 I. Historische Entwicklungen

Ende des 19. Jahrhunderts Russlands Drang nach Süden das Zarenreich und Britisch-Indien an den Rand eines Krieges ge- bracht ha�e, führte zwischen 1885 und 1895 die Festschreibung der Nordgrenze des Pufferstaates Afghanistan durch russisch- britische Kommissionen zum friedlichen Ausklingen des »Great Game«. Im Nordwesten einigten sich die Unterhändler auf die so genannte Ridgeway-Linie. 1895 regelte das Pamir-Abkommen die Nordostgrenze. Die Demarkationslinie im Norden verlief mi�en durch die Siedlungsgebiete der Usbeken, Tadschiken und Turkmenen und teilte im Osten das ethnisch und kulturell rela- tiv homogene Badachschan, wo zuvor einige Khanate (Schug- nan, Wakhan, Darwas) über den Fluss hinweg reichten und zum Teil ihr Zentrum im heutigen Afghanistan ha�en. Bis in die 1930er-Jahre bedeutete der Fluss für die lokale Be- völkerung eher eine gemeinsame Lebensader als eine Trennlinie. Die Menschen wirtscha�eten in einem staatsfernen, peripheren Raum zwischen dem Emirat von Buchara, dem Zarenreich und dem afghanischen Königreich. Südlich des Amudarjas bestand staatliche Integration im Wesentlichen in der Kunst, die Bezie- hungen zwischen den ländlichen Eliten sowie der städtischen Bürokratie in ein Gleichgewicht zu bringen. Die Kabuler Re- gierung verteilte Zuwendungen am Rande ihres Herrscha�s- bereichs und band die Lokalpotentaten in ein System von Pfrün- den und Posten ein. Die Spannung zwischen Zentrum und Peri- pherie führte nach der Machtergreifung der moskauorientierten Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) 1978 zum Bruch, als diese versuchte, tribale und lokale Autonomie durch Staatsstrukturen zu ersetzen. Die ein Jahr später erfolgte Inva- sion sowjetischer Truppen, die Kriege und der Zerfall des Staates vertie�en diesen Riss zwischen Stadt und Land. Der Einmarsch machte die Nachbarn im Norden außerdem zu Feinden. Viele Zentralasiaten waren als Soldaten, insbesondere jedoch als Dol- metscher und kulturelle Vermi�ler für die Rote Armee im Einsatz. Aus dieser Zeit stammt die Bezeichnung Duschman (pers.: Feind), die am Hindukusch mitunter noch heute für Menschen aus dem postsowjetischen Raum zu hören ist. Der Krieg raubte Millionen Afghanen das Zuhause, die ent- weder als Binnenflüchtlinge im Land verblieben oder nach Pa- kistan, in den Iran, nach Europa und in die USA emigrierten.

118 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden

Nach dem Abzug der Sowjetarmee 1989 und dem Sturz des Nadschibullah-Regimes 1992 flohen zwischen 25 000 und 30 000 Menschen, nun erstmals in die Nachbarstaaten im Norden. Zum großen Teil wählten Funktionsträger der DVPA und »russophi- le«, kommunistisch orientierte Bildungseliten diesen Weg. Nach der Eroberung Zentralasiens ha�e die Sowjetmacht eine auf die staatliche Durchdringung der Bevölkerung ausgerichtete Nationalitätenpolitik verfochten, und das in einem Milieu, das bis dato kaum ein nationales Bewusstsein gekannt ha�e. Durch die Alphabetisierung und die Schaffung von Literatursprachen förderte die UdSSR Nationalitäten als kulturelle Bewusstseins- gemeinscha�en, um die sozialistischen Gesellscha�svorstellun- gen zu verbreiten und muslimisch-traditionelle Lebensformen zu verdrängen. Andererseits sollte die administrative Neuglie- derung Moskaus Führungsanspruch in der Region garantieren. Noch bis in die 1930er-Jahre blieben die grenzüberschreiten- den Familienbande eng. Die Menschen überquerten den Amu- darja, ohne ihn als Grenze wahrzunehmen. Für die zahlreichen Nomaden galt dies ohnehin. Nach der Niederschlagung des Bas- matschi-Aufstandes und dem endgültigen Zuschni� der Unions- republiken in Zentralasien änderte sich die Lage (vgl. den Info- Kasten auf S. 49). Mit immensem Aufwand entstand nach dem Zweiten Weltkrieg eine befestigte Außengrenze zu Afghanistan. Selbst in den entlegensten Winkeln wuchs eine neue Infrastruk- tur aus dem Boden. Heute zeugen Mosaikfragmente zu Ehren der Grenzsoldaten sowie große Teile des historischen Museums in Chorog, der Hauptstadt des Tadschikischen Autonomen Ge- biets Badachschan, von der Vorstellung, hier sei ein entlegener Außenposten der Sowjetunion: Badachschan stand unter direk- ter Kontrolle Moskaus, wurde infrastrukturell erschlossen und mit Lebensmi�eln, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen versorgt. Die Menschen beiderseits der Grenze entfremdeten sich zunehmend voneinander. Selbst die Basmatschi, die nach Afghanistan geflüchtet waren, verloren den Kontakt zur alten Heimat. Der Fluss manifestierte die Trennung selbst dort, wo er noch Pjandsch heißt und das Leben an seinen Ufern in Sicht- weite der Nachbarn verlief. Repräsentativ dafür, wie befremdet die Bewohner der Nordseite auf den Süden blickten, ist das Ur- teil einer früheren Parteisekretärin aus dem tadschikischen Ort

119 I. Historische Entwicklungen

Darwas: »Wir haben uns gehasst. Die Afghanen haben uns doch als Heiden oder zumindest abtrünnige Muslime und als Feinde betrachtet. Mir persönlich waren die Afghanen egal. Wir haben vor der Sowjetunion so gelebt, wie sie heute. Bei ihnen ist seither alles gleich geblieben.«

Grenzen im Wandel

Mit Auflösung der Sowjetunion entstanden zwar neue Staaten, doch deren Außengrenze zu Afghanistan blieben der Amuda- rja und sein Zufluss Pjandsch. Ein wesentliches Element der Staatsbildung in Zentralasien besteht in der Kontrolle eben dieser Demarkationslinie zu Afghanistan. Afghanistan teilt mit Turkmenistan 744, mit Usbekistan 137 und mit Tadschikistan 1206 Kilometer gemeinsamer Grenzen. Wegen dieser Ausdeh- nung sowie aufgrund naturräumlicher Gegebenheiten stehen die Staaten vor zahlreichen Herausforderungen. Mit sowjetischen Doppelzaunanlagen, Sandstreifen und wei- ten Auslaufgebieten zum Fluss hin sind das leicht überschaubare Flachland zwischen Usbekistan und Afghanistan, der Osten der turkmenisch-afghanischen Grenze sowie das westliche Teilstück der Demarkationslinie zwischen Tadschikistan und dem Land am Hindukusch am stärksten befestigt. Zwischen Usbekistan und Afghanistan gibt es nur einen Übergang – die »Brücke der Freundscha�« bei Hairatan. Offiziell war diese Grenze während der Taliban-Herrscha� geschlossen. Zum Jahreswechsel 2001/02 nahm der Kontrollposten, einer der am besten ausgesta�eten entlang der afghanischen Grenze, Schri� für Schri� wieder sei- nen Dienst auf. Im Westen, wo der Fluss Murghab die turkmenisch-afgha- nische Grenze bildet, fehlen teilweise die Grenzmarkierun- gen. Deren genauer Verlauf ist umstri�en, weil sich der Fluss ein neues Be� gesucht hat. Nachdem turkmenische Soldaten mehrfach afghanische Viehhirten wegen vermeintlich illegaler Grenzübertri�e verha�eten, und die afghanische Bevölkerung ihrerseits Vorwürfe erhob, weil Turkmenen auf afghanischem Territorium patrouillierten, finden seit 2005 bilaterale Gespräche zur Klärung offener Fragen sta�.

120 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden

Am schwierigsten stellt sich das Grenzmanagement auf ta- dschikischer Seite dar. Hier schlängelt sich der Pjandsch über- wiegend in engen Schluchten durch schwer zugängliches, kaum kontrollierbares Hochgebirge. Zwar gibt es Wachposten, aber die Grenze ist nicht durchgängig befestigt. Wegen des Bürgerkriegs (1992-1997), der für unzählige Flüchtlingsströme verantwort- lich war, übernahmen 1993 russische Einheiten im Au�rag der Gemeinscha� Unabhängiger Staaten (GUS) die Grenzsicherung (vgl. Info-Kasten auf S. 79). Im September 2005 ging dann die al- leinige Verantwortung offiziell an Tadschikistan über. Nach wie vor unterstützen jedoch russische Militärberater die zwischen 4000 und 10 000 Mann starken Grenztruppen des Landes, von denen etwa die Häl�e am afghanischen Abschni� Dienst tut. Zumeist sehr jung, unerfahren, schlecht ausgerüstet und unter- bezahlt, sind sie vielfach anfällig für Schmiergeldzahlungen. Um dem entgegenzuwirken, fördern US-amerikanische und europä- ische Geldgeber Infrastruktur und Ausbildung. So konzentriert sich das amerikanische Border Control Project auf den Grenzab- schni� der Provinz Chatlon von der usbekischen Grenze bis zur Autonomen Region Badachschan. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) setzt in Badachschan Projekte der Border Management in Central Asia (BOMCA) und der Drug Action in Central Asia (CADAP) um. Diese zielen primär darauf, die Kontrollfunktion der Grenze zu stärken: Mi�elfristig ist kaum zu erwarten, dass der afghanische Staat dies effektiv tun kann. Kritiker bemängeln, dass durch derartige Initiativen sowohl grenzüberschreitende Kooperationen als auch der Austausch ge- nerell vernachlässigt werden. In der Tat ist es für Afghanen sehr aufwändig und teuer, legal in eines der nördlichen Nachbarlän- der zu gelangen. So müssen etwa afghanische Staatsbürger, die offiziell nach Usbekistan einreisen möchten, eine hohe Visums- gebühr zahlen und benötigen zusätzlich ein Unterstützungs- schreiben ihres Außenministeriums. Zudem liegen die tatsächli- chen Zahlungen in Wahrheit noch um ein Mehrfaches höher als der offizielle Preis für eine Besuchserlaubnis, da viele an der Ge- nehmigungsprozedur beteiligte Personen gleichfalls ihre Hand au�alten. Eine ähnliche Politik verfolgen auch Turkmenistan und Tadschikistan. Letzteres unterhält lediglich in Masar-e Scharif und Kabul konsularische Vertretungen. Das erschwert

121 I. Historische Entwicklungen es, auf offiziellem Wege aus der afghanischen Grenzregion in das nördliche Nachbarland zu reisen. Der zeitliche und finan- zielle Aufwand, sich ein Visum zu besorgen, ist für Bewohner Badachschans eigentlich gar nicht zu leisten. Zumindest im Grenzmanagement könnte sich die Kooperati- on kün�ig verbessern. Im Frühjahr 2007 startete BOMAF (Border Management in Afghanistan), ein Zwilling von BOMCA. Lang- fristig sollen die zwei Programme helfen, ein integriertes Konzept aufzubauen. Das stellt beide Seiten vor ungezählte Herausforde- rungen. Wenn Ausbildung, Ausrüstung und Korruptionsanfäl- ligkeit im postsowjetischen Raum schon als bedenklich gelten müssen, ist die Lage in Afghanistan nur als desolat zu bezeich- nen. Auf tadschikischer Seite müssen außerdem zunächst Vor- behalte gegenüber partnerscha�lichen Aktivitäten überwunden werden, wie das geplante gemeinsame Ausbildungszentrum für Grenztruppen in Chorog zeigt. Dort sollten tadschikische Exper- ten afghanische Grenzsoldaten schulen. Kurz vor dem geplanten Start im Frühjahr 2007 stoppte der neue Chef der tadschikischen Grenztruppen die Initiative ohne Angabe von Gründen. Zumin- dest was den Drogenschmuggel angeht, arbeiten tadschikische und afghanische Stellen allerdings mi�lerweile zusammen. Die tadschikische Drogenkontrollagentur unterhält Verbindungsbü- ros in Kabul und Faisabad, was den Informationsfluss deutlich verbessert hat. Erste Erfolge sind zu verzeichnen.

Drogenschmuggel auf der Seidenstraße

Was den Drogenschmuggel angeht, existiert längst eine »Neue Seidenstraße«. Laut Weltdrogenbericht stammt der jährliche Lö- wenanteil der weltweiten Opiumproduktion aus Afghanistan. Große Mengen Rohopium und verarbeitetes Heroin verlassen das Land über die Nordrouten. In Grenznähe entstanden zahlrei- che kleinere Laboratorien, so beispielsweise in den afghanischen Nordost-Provinzen Tachar und Kundus. Da diese zur Opium- verarbeitung Chemikalien wie Essigsäure benötigen, kann der Schmuggel keine Einbahnstraße sein. Die Hauptrouten des Drogenschmuggels laufen über die schwer zu kontrollierende tadschikisch-afghanische Grenze,

122 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden k Kul MGFA 05936-02 INDIEN Issy Issyk Kul VR CHINA Almaty Almaty Srinagar NEU-DELHI Taldykorgan Balchaschsee Lahore Osch Osch ISLAMABAD ISLAMABAD Peschawar Peschawar Jodhpur Tschu KIRGISISTAN KIRGISISTAN Faisabad Faisabad Multan Dschalalabad Dschalalabad BISCHKEK BISCHKEK Badachschan Badachschan Kundus PAKISTAN PAKISTAN TADSCHIKISTAN TADSCHIKISTAN Quetta n

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S Adana NIKOSIA VIV BEIRUT LIBANON A ISRAEL Sewastopol Jerusalem Jerusalem Haupthandelsrouten der in Afghanistan Haupthandelsrouten der in produzierten Drogen Produktion von Opium Standorte der wichtigsten Drogenlabore (Morphinbasis, Heroin) verstärkte Grenzkontrollen Irans gegen von Opium und Opiaten Transit den Staatsgrenze umstrittene Grenze Straße TEL TEL Istanbul RUM. BUKAREST ZYPERN Drogenrouten in Zentralasien Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA. Mittelmeer BULG.

123 I. Historische Entwicklungen hauptsächlich über die Hochgebirgsregion Badachschan und den östlichen Teil der tadschikischen Provinz Chatlon. Von dort gelangt die Ware über das kirgisische Osch, eine regionale Dreh- scheibe für den weiteren Handel in Zentralasien, nach Russland und Europa. Eine andere Route dür�e durch Turkmenistan Richtung Norden und zum Kaspischen Meer führen. Doch wer sind die Schmuggler und wer organisiert den Han- del? Mit Gewissheit lässt sich lediglich feststellen, dass das Ge- schä� nach ausgeklügelten Regeln verläu� und davon profitiert, dass Korruption auf allen Ebenen vorherrscht, von den Grenzern bis zu höchsten politischen Stellen. Anders als im lateinameri- kanischen Kokainhandel teilen sich den Gewinn nicht wenige Kartellführer, sondern zahlreiche Akteure, deren Handelske�en dezentral arbeiten. Schmuggel betreiben einige straff geführte, bewaffnete Gruppen, vor allem jedoch ein Heer von Kleinkrimi- nellen, zu denen auf der Nordseite immer mehr Frauen zählen und die unter abenteuerlichsten Umständen ihre Ware über den Fluss bringen.

Nur Übel aus dem Süden?

»Bis 2001 wurde Afghanistan in Zentralasien wie eine Krankheit betrachtet.« So drastisch brachte der afghanische Ex-Finanzmi- nister Ashraf Ghani die Ängste der nördlichen Nachbarn auf den Punkt. Der Drogenschmuggel, die Instabilität des Landes und das Stigma, Hort für Terroristen zu sein, bilden die Quelle für Vorbe- halte. Sie prägen das bei den nördlichen Nachbarn existierende Bild vom Afghanen als einem zivilisatorisch zurückgebliebenen, kriegerischen Menschen mit außerordentlichen und darum zwei- felha�en Handelsfähigkeiten. O�mals wird Afghane mit Pasch- tune gleichgesetzt. Aufgeschlossenere Geister gestehen ein, dass Sprache und Glaube gleich seien, aber den südlichen Nachbarn letztlich ein Jahrhundert »zivilisatorischer Entwicklung« fehle. Stereotypen wirken aber auch auf afghanischer Seite. Hier do- miniert das Bild von den Zentralasiaten als sowjetisch geprägten Untertanen, deren Sprache und Kultur verkümmert seien. Die Neigung, sich durch eine Reise über die Grenze ein eige- nes Bild zu verschaffen, fehlt selbst in unmi�elbarer Nähe nörd-

124 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden lich des Amudarja weitgehend. Als Magneten für die Migration wirken Russland und Kasachstan. Immerhin haben mi�lerweile einige Tadschiken und Usbeken ihre Vorbehalte überwunden und verdingen sich in Afghanistan auf Baustellen, im medizini- schen Bereich oder für internationale Organisationen. Tadschi- kistan richtet sich zunehmend auf Afghanistan und den Iran aus. Die kulturelle und sprachliche Nähe bieten Anknüpfungs- punkte. Gemeinsame Feiern des Neujahrsfestes (pers. Naurus), afghanische Kulturwochen, Festivals des persischsprachigen Films oder das Reiterspiel Buskaschi mit afghanischer Beteili- gung holen den Nachbarn vom Hindukusch wieder zunehmend in das Bewusstsein breiterer Bevölkerungskreise zurück. An den Feiern zum 15. Jahrestag der Unabhängigkeit Tadschikistans nahmen der afghanische und der iranische Parlamentspräsident als Ehrengäste teil. Duschanbe und die usbekische Grenzstadt Termes locken auch junge Afghanen in den Norden, so etwa mit in der Heimat verbotenen Freizeitaktivitäten.

Wandel durch Handel

Schon bald nach der Unabhängigkeit tauchten in den tadschiki- schen Städten Duschanbe und -Tjube afghanische Händ- ler auf, die ihre Waren von Großmärkten in Masar-e Scharif und Kabul beziehen. Auf den Basaren grenznaher Städte in der tad- schikischen Provinz Chatlon sind sie bislang kaum zu finden, da es der lokalen Bevölkerung an Kau�ra� fehlt. Afghanische Kaufleute kommen jedoch ins usbekische Termes, obwohl dort die zollfreie Ein- und Ausfuhr hier auf einen Warenwert von 50 US-Dollar begrenzt wurde. Eine andere Qualität zeigt der kleine Grenzverkehr mi�lerweile in Badachschan. Von 2004 bis 2006 entstanden auf Initiative der Aga-Khan-Sti�ung und zum Teil finanziert durch die Deutsche Gesellscha� für Technische Zusammenarbeit (GTZ) bei Darwas, Chorog und Ischkaschim Brücken zwischen beiden Ländern mit angrenzenden Märkten. Diese ummauerten »Sonderwirtscha�szonen« sind ohne Visa zu- gänglich und einmal wöchentlich geöffnet. Darwas und Chorog bieten den Afghanen wesentliche Bezugsquellen, da der nächste afghanische Basar mehrere Tagesri�e entfernt liegt, sofern sich

125 I. Historische Entwicklungen die Gebirgske�en überhaupt überwinden lassen. Experten schla- gen derartige »Sonderwirtscha�szonen« als vertrauensbildende Maßnahme auch für andere Grenzübergänge vor. In Badachschan erleichtern kulturelle Gemeinsamkeiten die Kooperation, da beiderseits des Flusses überwiegend tadschiki- sche Ismailiten leben (vgl. den Beitrag von Anne�e Krämer). Der Basar in Darwas bildet mi�lerweile einen sozialen Treffpunkt. Nicht von ungefähr startet die GTZ hier mit dem Mountain So- ciety Development Solidarity Program (MSDSP) der Aga-Khan- Sti�ung ein Pilotprojekt für grenzüberschreitendes »Communi- ty Building«, das unter anderem gemeinsame Krankenhäuser vorsieht. Auf private Initiative entstand in Chorog ein regionales Wirtscha�sforum mit tadschikischer, afghanischer, chinesischer und kirgisischer Beteiligung. Die wichtigsten afghanischen Exportprodukte, o� Transitwa- re aus Pakistan, dem Iran oder Dubai, sind Zitrus- und Hülsen- früchte, Rosinen, Granatäpfel, Teppiche, Kosmetika und Kleidung sowie – nicht zu vergessen – Opium bzw. Heroin. Der Erlös fließt in den Lebensunterhalt und finanziert zu einem Gu�eil auch den Bauboom, der im Norden Afghanistans eingesetzt hat. Von dieser Bautätigkeit profitiert der Handel mit Öl, Zement, Holz, Altme- tallen und Baumaschinen aus Zentralasien und Russland. Eini- ge wenige Großhändler kontrollieren das Geschä� mit Öl und Benzin über Turkmenistan und Usbekistan. Der rasante Aufstieg afghanischer Unternehmen wie Samarai Kamgar, Barakat oder Asisi Hotak gründet auf dem Vertrieb fossiler Brenn- und Treib- stoffe. Ihre Geschä�e begannen die findigsten Köpfe meist aus dem usbekischen Exil heraus. Während der Taliban-Zeit beliefer- ten sie die Kriegsfürsten der Nordallianz. Heute zahlen sich alte Verbindungen wieder aus. Samarai Kamgar beispielsweise stat- tete General Raschid Dostums Truppen mit Lebensmi�eln und Diesel aus. Als dieser eine größere Rechnung nicht bar bezahlen konnte, beglich er sie mit einer Boeing 727 – dem Grundstock der ersten privaten Fluggesellscha� Afghanistans Kam Air. Noch heute spielt die afghanische Diaspora im Handel eine große Rolle. Afghanische Kontaktleute in Russland und Zentral- asien organisieren die nötigen Verbindungen. Die Güter gelangen dann überwiegend über die Grenzübergänge Hairatan (Usbekis- tan), Turgundi (Turkmenistan) und – bislang noch in geringem

126 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden picture-alliance/dpa

Nach der Unterzeichnung eines Handelsabkommens zwischen ihren Ländern am 18. Juni 2003 reichen sich Islam Karimow (Usbekistan), Mohammed Chatami (Iran) und Hamid Karsai (Afghanistan) die Hände (von links).

Maße – über Kumsangir/Schir Chan Bandar (Tadschikistan) ins Land. Beim Au�au von Handelsbeziehungen helfen persönli- che, mitunter familiäre Bande, welche die Zeit der Emigration überdauerten, oder es existieren noch Verbindungen durch Auf- enthalte in der ehemaligen UdSSR. Offizielle Zahlen über den Warentausch sagen kaum etwas aus, da die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt. Zumindest dokumentieren sie aber das enorme Potenzial, das im ökonomischen Verkehr liegt.

Energie und Wasser

Das größte Potenzial, den regionalen Handel zu beleben, birgt die Energiewirtscha�. Afghanistans Energiebedarf und die Be- reitscha� internationaler Geber, in den Ausbau oder die Reno- vierung von Leitungen zu investieren, schaffen zudem Export- aussichten für die Nachbarländer. 2008 wurde die bestehen- de 220-Kilowa�-Leitung von Termes über Masar-e Scharif und

127 I. Historische Entwicklungen

Pol-e Chumri bis nach Kabul ausgebaut. Ferner sind Kapazi- tätserweiterungen für die Leitungen von Tadschikistan bis Pol-e Chumri und von Scherberchan bis Masar-e Scharif geplant. Eher unwahrscheinlich erscheint bislang die baldige Verwirklichung einer bereits im Dezember 2002 vereinbarten Gaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan und weiter nach Indien (TAP-Pipeline). Mit Unterbrechungen beziehen die Städte Nordafghanistans bereits seit den 1980er-Jahren Elektrizität aus Turkmenistan, Us- bekistan und Tadschikistan. Allerdings sind die Leitungen ver- altet oder beschädigt und die Übertragungsverluste damit sehr hoch. Auch müssten die Kapazitäten der bestehenden Genera- toren und Verteilungswerke ausgebaut werden. Afghanistan schloss mit Usbekistan und Tadschikistan langfristige Verträge zur Energieversorgung seiner nördlichen Provinzen. Tadschi- kistan kann allerdings keine Liefersicherheit garantieren. Wäh- rend der Energiekrise im Winter 2006/07 konnte nicht einmal die Hauptstadt Duschanbe versorgt werden, so dass auch die Strom- zufuhr nach Afghanistan unterbrochen werden musste. Einige großangelegte Neubauten von Wasserkra�werken, in der Regel die Fortführung sowjetischer Planungen, sollen Abhilfe schaf- fen. Von den Bauprojekten Sangtuda I und II verspricht sich Duschanbe, Strom bis nach Pakistan exportieren zu können. Die kommunistische Idee, endlich die Realisierung eines gemeinsa- men grenzüberschreitenden 4000-Megawa�-Wasserkra�werks am Pjandsch bei Daschtijum zu verwirklichen, scheint demge- genüber noch in ferner Zukun� zu liegen. Immerhin einigten sich der tadschikische Präsident Emomali Rachmon und der af- ghanische Energieminister Ismail Khan im August 2007 grund- sätzlich über den Bau eines kleinen Kra�werks. Infrastrukturelle Engpässe, Machbarkeitserwägungen und Sicherheitsvorbehalte schränken das Potenzial des regionalen Energiehandels stark ein. Impulse für regionale Initiativen gin- gen 2005 von einer Konferenz der Organisation für wirtscha�li- che Zusammenarbeit (ECO) aus. Die strukturelle Verflechtung der Energie- mit der Wasserfrage erschwert jedoch alle regiona- len Lösungen. So lastet auf tadschikischer Wasserkra� der politi- sche Druck des Nachbarn Usbekistan, der die Versorgung seiner Baumwollfelder am Unterlauf des Amudarja durch den Bau wei-

128 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden terer Kra�werke gefährdet sieht (vgl. die Beiträge von Jenniver Sehring sowie Inna Rudenko u.a.). Gemeinsames Management der Wasserressourcen bleibt ein weit entferntes Ziel. Zwar entstand 1992 mit der Interstate Commission for Water Coordination in Central Asia (ICWC) eine Institution, die eine effiziente Nutzung und den Schutz der Gewässer überwachen und die Wasserverteilung zwischen den Staaten regeln soll. Die ICWC wurde später dem International Fund for Saving the Aral Sea (IFAS) untergeordnet, doch erfül- len beide Organisationen ihre Aufgaben nur unzureichend. Mit Afghanistan existieren bislang keine Abkommen über die Nut- zung des Amudarja. Die einzige Vereinbarung zur Wasservertei- lung geht auf eine sowjetische Regelung von 1987 zurück. Diese billigte Afghanistan eine Nutzungsmenge von jährlich 2,1 Mil- liarden m³ zu. Die afghanische Regierung präsentierte 2005 ein afghanisch-sowjetisches Papier von 1946, das Afghanistan neun Milliarden m³ zugestand. Tatsächlich nutzte das Land 1990 fünf Milliarden m³. Selbst bei massiven Investitionen in die Bewässe- rungssysteme dür�e es eine Dekade dauern, bis dieses Niveau wieder erreicht wird. Gleichwohl muss Afghanistan schnell in das regionale Wassermanagement einbezogen werden, um die Effizienz der Nutzung zu steigern und die Qualität zu verbes- sern.

Handelshemmnisse

Zu den Blütezeiten der Seidenstraße bildete Zentralasien eine Durchgangsstation zwischen bedeutenden Handelsräumen. Doch in den vergangenen Jahrhunderten haben sich die wirt- scha�sgeografischen Gegebenheiten geändert. Die Bedeutung der Seewege nahm stetig zu. Den Staaten der Region fehlt jedoch nicht nur ein Zugang zum Meer, sondern sie liegen so weit von großen Häfen und damit auch von größeren Märkten entfernt wie kein anderes Land der Welt. Daher erreichen Transaktions- kosten und Transportzeiten erschreckende Höhen. Diesen We�- bewerbsnachteil kann die regionale Infrastruktur bislang nicht ausgleichen. Vielmehr wird er noch durch formelle und infor- melle Handelsbarrieren verschär�.

129 I. Historische Entwicklungen

Internationale Unterstützung könnte die Transitkapazitäten in der Region verbessern. Große Bedeutung kommt dem Pro- gramm Central Asia Regional Economic Cooperation (CAREC) zu. Unter Koordination der Asian Development Bank beteiligen sich die Europäische Bank für Wiederau�au und Entwicklung, der Internationale Währungsfonds, die Islamische Entwicklungs- bank, das UNDP und die Weltbank. CAREC soll der Infrastruktur zugute kommen und die Handels-, Transport- und Energiepoli- tik Afghanistans, Aserbaidschans, Kasachstans, Kirgisistans, der Mongolei, Tadschikistans, Usbekistans und Chinas mit Schwer- punkt auf der autonomen Region Xinjiang harmonisieren. Momentan beschränkt sich das Programm noch auf Stra- ßenbau und -ausbesserung. Große Erwartungen sind mit einer von der United States Agency for International Development (USAID) finanzierten Brücke und Einrichtungen zur Zollabferti- gung am afghanisch-tadschikischen Grenzübergang Kumsangir/ Schir Chan Bandar verbunden, wo bislang nur eine Fähre ver- kehrte. Für Tadschikistan kann diese Brücke die Abhängigkeit vom Transitverkehr durch Usbekistan mildern, zumal die Bezie- hungen zwischen beiden Ländern an einem Tiefpunkt angelangt sind. Dies ist allerdings nur möglich, wenn der tadschikische Nord-Süd-Korridor über oder durch die Gebirgske�en des Lan- des ganzjährig sicher befahrbar ist. Der Ansob-Tunnel, an dessen Finanzierung sich Iran maßgeblich beteiligte, wurde im Septem- ber 2006 zwar offiziell eingeweiht, wegen erheblicher Mängel allerdings noch nicht für den Verkehr freigegeben. Einstweilen beleben die neuen Einrichtungen am Grenzübergang Schir Chan Bandar zumindest den lokalen Handel. Auf infrastrukturelle Unabhängigkeit setzt auch Usbekistan. Eine neue Bahnstrecke durch die südliche Provinz Surchandarja soll die Transitstrecke durch Turkmenistan umgehen. Funktionierende Infrastruktur bildet eine wesentliche Vor- aussetzung für einen florierenden Handels- und Transitverkehr. Einfach gestaffelte und moderate Zollgebühren tragen hierzu ebenfalls bei. Zumindest auf dem Papier erfüllt Afghanistan darin seit Kurzem Vorbildcharakter, während in Usbekistan und Tadschikistan hohe Gebühren, undurchsichtige und sich häufig ändernde Gebührenordnungen sowie Einschränkungen und Lizenzierungen bestimmter Produkte den regionalen Handel

130 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden Süddeutsche Zeitung Photo/AP

Die »Brücke der Freundschaft« über den Amudarja verbindet seit 2001 wieder Usbekistan mit Afghanistan. belasten. Die Zollprozeduren erreichen in der Regel ein atem- beraubendes Ausmaß. Verglichen mit anderen Ländern leisten sich Afghanistan und die zentralasiatischen Staaten die langwie- rigsten und aberwitzigsten Abläufe, was nicht auf intensivere Kontrolle oder fehlende personelle Ressourcen zurückzuführen ist, sondern auf höhere bürokratische Hürden wie offiziell erfor- derliche Unterschri�en und Dokumente. Lastwagenfahrern macht man die Erlangung von Visa beson- ders schwer. In Pakistan, Usbekistan und Turkmenistan dürfen afghanische Trucker grundsätzlich nicht fahren. Weil regelkon- former Warentransport langwierig und kostspielig ist, verdienen Zöllner an »kreativen« Lösungen vor Ort. Diese Einnahmequelle dür�e auch beim Abbau von Regulierungen nicht versiegen. Im Landesinneren halten zusätzlich Straßenpolizisten die Hand auf. In manchen Gebieten Afghanistans gehören Schutzgelder zur Tagesordnung. Zu viele Beteiligte haben sowohl ein Interesse daran als auch die Möglichkeit, Handelsaktivitäten durch Kosten oder Auflagen zu behindern. Die Tragik besteht darin, dass jeder Akteur, der versucht, seine Gewinne aus einer allgemein zugänglichen Res- source zu maximieren, die Nebenwirkungen seines Handelns ig-

131 I. Historische Entwicklungen noriert. Im zentralasiatischen Fall blockiert dieses Verhalten jede wirtscha�liche Tätigkeit. Entscheidungsträger schöpfen aus der Behinderung von Wirtscha�saktivitäten Gewinne ab. Dadurch hemmen sie jedoch das Interesse an ökonomischer Betätigung. Langfristig verlieren damit alle Beteiligten.

Blickt Zentralasien nach Süden?

Eine formale Basis zum Abbau von Hemmnissen bieten ge- meinsame Handels- und Transitabkommen, die Afghanistan mit seinen Nachbarn verbinden. In der Kabuler Erklärung vom 22. Dezember 2002 verpflichteten sich die damalige afghanische Übergangsregierung gemeinsam mit den Führungen der sechs Nachbarstaaten zu konstruktiven bilateralen Beziehungen, die auf den Prinzipien der territorialen Integrität, des gegenseitigen Respekts und der Nichteinmischung in innere Angelegenhei- ten beruhen. Zudem schrieb das Dokument den Wunsch nach Frieden und Stabilität in der Region und die gemeinsame Ent- schlossenheit im Kampf gegen Terrorismus, Extremismus und Drogenschmuggel fest. Ihm folgten die besagten Abkommen. Einen Meilenstein setzte die Kabuler Konferenz zur regionalen Wirtscha�skooperation vom Dezember 2005. An der von G8 und Weltbank unterstützten Veranstaltung nahmen die Staaten des Großraumes einschließlich Indiens, Russlands und der Türkei teil. In der Abschlusserklärung bekannten sich die Teilnehmer nicht nur zur Zusammenarbeit bei der Drogen- und Terroris- musbekämpfung, sondern auch zur Kooperation in den Berei- chen Handel, Transport und Energieversorgung. Insbesondere der Energiesektor wurde explizit als ein gemeinsamer, Erfolg versprechender Ansatzpunkt benannt. Nachfolgekonferenzen, deren erste im November 2006 in Neu Delhi sta�fand, sollen den Prozess fortführen. Zahlreiche Abkommen konnten zwar bislang nichts daran ändern, dass die gegenwärtige Zusammenarbeit vor Ort eher über die Köpfe der Afghanen hinweg als mit ihnen gemein- sam sta�findet. Nach wie vor steht Afghanistan außerhalb der regionalen Wasserinstitutionen. Auch bleibt das Land bisher beim geplanten Informations- und Koordinationszentrum zur

132 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden

Der Strategische Lu�transportstützpunkt Termes Am 12. Februar 2002 unterzeichneten Bevollmächtigte des Bundes- ministeriums der Verteidigung und usbekische Regierungsvertreter in Taschkent ein Abkommen, das die Stationierung und den Einsatz deutscher Soldaten in Termes regelt. In der südlichsten, kaum zehn Kilometer von der afghanischen Grenze entfernten usbekischen Stadt richtete die Bundeswehr die zentrale Drehscheibe für den Transport von Personal und Material zwischen Deutschland und Afghanistan ein. Bereits sechs Tage später war der Lu�transportstützpunkt 3 Ter- mes einsatzbereit. Dieser wird seitdem regelmäßig von Flugzeugen der Lu�waffe wie dem Airbus A-310 angeflogen. Hier werden Mensch und Material umgeladen und mi�els der Transall C-160, die mit einer speziellen Schutzausrüstung gegen Flugabwehrraketen ausgesta�et ist, nach Afghanistan geflogen. Bis Juni 2004 verlegten die zuvor in Kabul stationierten Transporthub- schrauber Sikorsky CH-53 GS der Heeresflieger ebenfalls nach Termes und bildeten zusammen mit den bereits dort verfügbaren Transall das Einsatzgeschwader Termes. Dieser Verband mit mehr als 300 Ange- hörigen ha�e den Au�rag, Lu�transporte durchzuführen, die medi- zinische Evakuierung von Verletzten sicherzustellen, auf eine Notfall- Evakuierung von Personen aus Afghanistan vorbereitet zu sein sowie allgemein die Arbeit der Provincial Reconstruction Teams (PRTs) zu unterstützen. Nach den Unruhen in Andischan im Mai 2005 und der internationa- len Kritik am Vorgehen des Karimow-Regimes sowie dem Abzug der US-Verbündeten aus dem usbekischen Karchi bei Chanabad zum Jah- reswechsel 2005/06 hat sich die Bundesrepublik nach Alternativen zu Termes umgesehen. Mit der Fertigstellung der benötigten Infrastruktur im nordafghanischen Masar-e Scharif wurden die CH-53 GS abgezogen und am 1. November 2007 in das dortige Einsatzgeschwader integriert. Im August 2008 wurden auch die Transall dorthin verlegt, womit die einheitliche Führung der Lu�transportmi�el gewährleistet wurde. Zu diesem Zeitpunkt hörte das Einsatzgeschwader Termes auf zu bestehen, nimmt seitdem aber als Strategischer Lu�transportstützpunkt Termes und abgesetzte Teileinheit des Einsatzgeschwaders Masar-e Scharif mit rund 100 Soldatinnen und Soldaten nahezu unveränderte Aufgaben wahr.

133 I. Historische Entwicklungen

Termes bleibt als sicherer Zielflughafen – übrigens ausschließlich gesichert durch usbekische Objektschutzkrä�e – auch nach der Um- gliederung das Tor der Bundeswehr nach Afghanistan. Für den ISAF- Nachschub könnte er sogar an Bedeutung gewinnen, wenn sich die Sicherheitslage im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet weiter ver- schärfen und die dortigen Versorgungslinien vermehrt Ziel von An- schlägen werden sollten. Auch die komplizierten Verhandlungen zwi- schen der kirgisischen Regierung und den Vereinigten Staaten über den US-Lu�waffenstützpunkt in Manas, dessen für August 2009 vor- gesehene Schließung erst in letzter Minute und nach einer Verdreifa- chung amerikanischer Zahlungen abgewendet wurde, unterstreichen die Abhängigkeit des Westens von der Infrastruktur Zentralasiens und dem Wohlwollen seiner Regierungen. (mp)

Drogenbekämpfung (CARICC) außen vor. In die Verbände und Kooperationsforen in Zentralasien ist Afghanistan kaum ein- gebunden. Lediglich die ECO, das CAREC-Programm und das Central and South Asian Transport and Trade Forum (CSATTF) akzeptieren das Land als Vollmitglied. Bei der Schanghaier Or- ganisation für Zusammenarbeit (SOZ) hat die Vertretung aus Kabul lediglich Beobachterstatus. Ein gesteigertes Interesse an enger bilateraler Kooperation lässt momentan allenfalls Du- schanbe erkennen, da Tadschikistan durch Zusammenarbeit mit Afghanistan seine Transit-Abhängigkeit von Usbekistan verrin- gern könnte. Die Entfaltung regionaler Partnerscha�en behindern ver- meintliche »Eigeninteressen«, Konkurrenzdenken und persönli- che Animositäten. Auch hemmt die unter den nationalen Eliten verbreitete Wahrnehmung, die verschiedenen Volkswirtscha�en seien nicht kompatibel, die Umsetzung von Beschlüssen und Absichtserklärungen. Es fehlt die Bereitscha�, individuelle zu- gunsten regionaler Souveränität zurückzustellen. Afghanistan gilt weniger als potenzieller Mitspieler, denn als Gefahrenherd. Deshalb überlagert meist das Sicherheitsdenken alle kooperati- ven Erwägungen.

134 Afghanistan und seine Nachbarn im Norden

Aussichten für mehr Zusammenarbeit

Zwischen den zentralasiatischen Staaten und Afghanistan konn- te sich bislang nur eine Form der grenzübergreifenden Aktivität gut entwickeln – der Drogenschmuggel. Soll sich dies ändern, müssen sich Sicherheit und Stabilität in Afghanistan nachhal- tig verbessern. Einen nächsten Schri� stellt die Entwicklung der Infrastruktur beiderseits der Zollschranken dar. Koopera- tionspotenziale existieren in der Energiewirtscha� und beim Wassermanagement. Allerdings prägt gerade die Hydro-Öko- nomie ein an kurzfristigen nationalen Vorteilen ausgerichtetes Denken. Das gilt auch für die Handels- und Transitregeln. Diese sind schwierig, undurchsichtig und verursachen hohe Kosten. Daher blüht die Korruption. Ein spezielles Hindernis im tad- schikisch-afghanischen Grenzgebiet bildet die Topografie. In der Hochgebirgsregion gibt es nur wenige ganzjährig passier- bare Straßen. Da Tadschikistan aber ein schwieriges Verhält- nis zu seinem westlichen Nachbarn Usbekistan hat, blickt Du- schanbe ungeachtet aller Hindernisse nach Afghanistan. Wenn die verschü�eten kulturellen Gemeinsamkeiten wiederentdeckt werden, könnte dies die Einsicht befördern, dass in den infra- strukturschwachen Gebieten grenzübergreifende Projekte wie gemeinsame Krankenhäuser oder Basare für beide Seiten von großem Nutzen sind. Bernd Kuzmits

135 akg-images/Suzanne Held

Zentralasien war seit der arabischen Expansion im siebten Jahrhundert ein wichtiges Zentrum der islamischen Welt. Besonders im Mittelalter gaben mystische Strömungen aus der Region bedeutende Impulse. Für mehrere Jahrhunderte prägte die Tradition der Sufi-Orden ganz Zentral- asien. Der Bruch kam mit der Eingliederung in die Sowjetunion. Moskau setzte auf Kontrolle des Islams, der phasenweise unterdrückt, aber immer stark propagandistisch bekämpft wurde. Dennoch lebte in den Gesell- schaften Zentralasiens neben dem offiziellen auch ein »paralleler« Islam weiter. Als in der Perestroika der staatliche Druck nachließ, blühte das religiöse Leben erneut auf – im Bild zwei Gläubige vor der Medrese Scher Dor in Samarkand. Nach ihrer Unabhängigkeit gaben sich die fünf neuen Länder einen islamischen Anstrich. Seit Mitte der 1990er-Jahre erfährt die Religion jedoch erneut eine Gängelung durch deren Regierungen. Vor allem in Usbekistan befürchten die Behörden islamistischen Terror, dem sie mit einer strengen Religionspolitik zu begegnen suchen. Blüte, Kontrolle, Instrumentalisierung – Der Islam in Zentralasien

Der Islam blickt in Zentralasien auf eine fast anderthalbtausendjäh- rige Geschichte zurück. Seine face�enreiche Vergangenheit gerät in letzter Zeit zunehmend aus dem Blick, da er gerne auf die Gefah- ren eines regional oder gar international agierenden Islamismus verengt wird. Dabei handelte es sich bei Zentralasien um eine be- deutende Region der islamischen Welt, in der die Wissenscha�en gepflegt wurden, kulturelle Meisterleistungen gelangen und von der immer wieder auch wichtige religiöse Impulse ausgingen. Die muslimische Religion breitete sich im Zuge der militäri- schen Eroberungen arabischer Truppen nach dem Tode des Pro- pheten Mohammed aus: In wenigen Jahrzehnten gelangten diese im Westen bis nach Andalusien und im Osten bis nach Zentral- asien, wo sie an die Grenzen der von den Sassaniden beherrsch- ten Welt stießen – an unwegsame Gebirge, unbekannte Steppen- regionen und das mächtige China. Unter Qutaiba ibn Muslim, dem Sta�halter der Umayyaden-Dynastie (661-750) in der Re- gion Chorasan, dem ehemaligen nordöstlichen Grenzgebiet des Sassaniden-Reiches, nahmen die arabisch-islamischen Heere ab dem Jahr 711 die wichtigen Zentren jenseits des Oxos (Amu- darja) endgültig ein. Samarkand, Buchara und andere Gebiete fielen an die Eroberer. Mit diesen gelangte auch der Islam in die Städte an der Seidenstraße, die zuvor stark nach Osten orientiert gewesen waren. Die Schlacht am Fluss Talas 751 (Kasachstan) und der Sieg der Truppen des abbasidischen Kalifats gegen ein chinesisches Heer beendeten schließlich auch die direkten Am- bitionen des »Reiches der Mi�e« in der Region. Mit der islamischen Eroberung veränderte sich schlagartig der Bezugsrahmen Zentralasiens – ein aus Sicht des damaligen »Wes- tens« randständiges Gebiet stieg zum vitalen Zentrum der neuen islamischen Welt auf. Eine neue »kulturgeschichtliche Kontakt- und Kommunikationszone« verband China mit den Hochburgen des Kalifats und dessen Hauptstadt Bagdad. Das Samaniden- Reich (874-999) mit seiner Kapitale Buchara, das formell zwar dem Abbasiden-Kalifat unterstand, entwickelte sich zu einem mächtigen Akteur und zur stärksten Wirtscha�smacht der dama-

137 II. Strukturen und Lebenswelten ligen islamischen Welt. Für den kulturellen und wissenscha�li- chen Aufstieg unter den Samaniden und in den nachfolgenden Reichen stehen die Namen bedeutender Persönlichkeiten – etwa der Philosoph al-Farabi (870-950) oder die Universalgelehrten Ibn Sina (lat.: Avicenna, 980-1037) und al-Biruni (973-1048) aus Choresm. Es war die Islamisierung, welche die Vorstellung einer kulturellen Gemeinscha� mit sich brachte, aus der heraus man nunmehr international kommunizierte und handelte. Auch die Entwicklung der neupersischen Literatur im Samaniden-Reich steht für die große Bedeutung Zentralasiens. Dieser Zustand blieb bis zu den Timuriden (2. Häl�e 14./15. Jhd.) auch in Zeiten kleinerer, weniger stabiler Reiche erhalten. Zwar brachten politische Umwälzungen, wie etwa die Mongolenherrscha� oder auch der Aufstieg und die Herrscha� Timurs (Tamerlan, 1336-1405), immer wieder tief greifende Ver- änderungen mit sich. Diese änderten jedoch nichts an der Bedeu- tung der städtischen Zentren – die unter Timur zu besonderem Glanz aufstiegen. Allerdings war mit dem Mongolensturm und dem Untergang des abbasidischen Kalifats 1258 eine Teilung der islamischen Welt eingetreten, und die Umma, die Gemein- scha� der Gläubigen, stärker als zuvor lediglich eine vorgestellte Gemeinscha�. Im neuen Kommunikationssystem des 14. und 15. Jahrhunderts bildete die Seidenstraße zum ersten Mal in der Weltgeschichte nicht mehr ein Verbindungsglied zwischen den Kulturen, sondern stellte geopolitisch gesehen die zentrale Achse eines neuen Reiches dar (vgl. den Beitrag von Martin Rink). Die Islamisierung der Bevölkerung vollzog sich über die Jahrhunderte hinweg, zum Teil wiederholt und in vielen lokalen Kontexten. Während die Islamisierung der städtischen Zentren schnell vonsta�en ging, kamen viele ländliche Gebiete und No- madenstämme seltener mit Händlern und Geistlichen in Berüh- rung. Manche Gegenden im Norden Zentralasiens gelangten erst in späteren Jahrhunderten sowohl wirtscha�lich als auch religiös dauerha� in enge Verbindungen zu den Städten. Vorsichtig zu un- terscheiden ist deswegen zwischen dem zunächst entstehenden, schri�basierten Hochislam einerseits und einem gelebten Islam der ländlichen Regionen sowie der türkischen Nomaden ande- rerseits. Dabei wurde und blieb Zentralasien im Gegensatz zum benachbarten Iran eine Region des sunnitischen Islam, obwohl

138 Der Islam in Zentralasien

MGFA 05933-03 Multan Multan

r 664 Kabul

M e e Ghasni seit 711

Mansura

Kusdar Tocharistan

a A r a b i s c h e s

Kandahar

n

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r 712 712 Kasch e F Samarkand Samarkand

Bast

Transoxanien Transoxanien Balch

Oxos Maskat Harat Bemm 709 Merw Merw Buchara Hormuz (813-822) (813-822) 630/31

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i e n K e r m a n 640/44 650/51 f l Nischapur o

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a Chusistan Akraba 500000 km 1

T 644 Hamadan ( 656 ) Basra 638 638 A r a b i e n Bosacha

Kaspisches Meer 633 Ullais Hira Ktesiphon Ktesiphon BAGDAD is

l N e d s c h d if

( 750 ) 653/55 (762-1258)

T Tiflis 0 Itil SAMARRA Zab (836-891) Talf ( 680 )

Kerbela e r nA i m e n Mekka MEDINA 637 (632-656) 641 Mossul Kadisija Chalbar alma

Mesopotamien T K a u k a s u s Tebuk Siffin 638 ( 657 ) 636

Hams H e d s c h a s Jarmuk R o t e s M e e r Jerusalem 634 Trapezunt 638 Haleb Melitene Adschnadein Antiocheira Assuan Ankyra Ankyra 649 Ramla

640 Ä g y p t e n (661-750) Farma Heliopolis DAMASKUS 655 Nikaia 740

Schwarzes Meer

Zypern Akroinos 641 Babylon Babylon ANTINOPEL 674-81 642 Kyzikos Alexandria Pliska Pliska r KONST 642

Smyrna e Athen (574-78, 717/18 belagert)

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L i b y e n

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t Barka 643/44 t

i Thessaloniki

M Regensburg Venedig 647 ipolis Eroberungen bis zum Tode MohammedsTode Eroberungen bis zum (622-632) Eroberungen unter den ersten vier Kalifen (632-656) I. Eroberungen unter den Umayyaden bis Welid (661-715) Sitz des Kalifen mit Zeitangabe Schlachtorte mit Zeitangabe (Angaben in Klammern Araber untereinander an) zeigen Kämpfe der Gebiet des Oströmischen Reiches um 700 Grenze des Perserreiches (Sassaniden) um 600 Neapel Mailand Tr Rom 698 unis Raverna ( 656 ) Basra

T Tripolitanien A f r i k a (661-750) Kabis Die Ausbreitung des Islam im 7. Jahrhundert Die Quelle: Putzger, Historischer Weltatlas. Quelle: Putzger, Pavia DAMASKUS Karthago

139 II. Strukturen und Lebenswelten lokal zwölfer-schiitische Gruppen existierten, und sich in einigen Gebieten auch die Ismailiten (Siebener-Schiiten) etablierten. Der Islam verbreitete sich in Zentralasien, indem zunächst die lokalen Eliten die Religion annahmen und – infolgedessen – auch ihre Untertanen. Der massenha�e Übertri� ist dabei weder hauptsächlich als Zwangskonversion noch umgekehrt als spiri- tuelle Erneuerung zu verstehen, die breite Kreise der Bevölke- rung erfasste. Vielmehr bedeutete die Konversion vor allem den Anschluss an die Umma und damit eine rechtliche Gleichstellung mit den Eroberern, verbunden mit entsprechenden Privilegien. Zwangskonversion sieht der Islam nicht vor, die Angehörigen der Buchreligionen (Christen, Juden, zum Teil Zoroastrier) wer- den als Minderheiten akzeptiert; die Annahme des Islams durch die Bevölkerung im großen Stil mag den Eroberern in manchen Fällen sogar wenig behagt haben. Die Islamisierung der zentralasiatischen Welt trug maß- geblich dazu bei, dass Kultur, Philosophie und Wissenscha� erblühten, die sich mit den erwähnten Namen der großen Ge- lehrten verbinden. Die Städte taten sich bald jedoch auch im re- ligiösen Bereich im engeren Sinne hervor – in der Entwicklung der Theologie und der islamischen Rechtslehre. So verdankt die hanafitische Rechtsschule – die heute bedeutendste Richtung des sunnitischen Islams – den zentralasiatischen Gelehrten des 10. bis 13. Jahrhunderts fundamentale Werke. Während der mongoli- schen Herrscha� mit ihren neuen Rechtstraditionen endete diese kreative Periode, der Grundstein war jedoch gelegt.

Sufi-Orden

Die Herrscha� Timurs und seiner Nachfolger, die Teilgebiete des riesigen Reichs lenkten, sah neue Entwicklungen im religiösen Bereich und an der Schni�stelle von Religion und Politik. Insbe- sondere gewann der Sufismus zunehmend an Bedeutung. Cha- rakteristisch für diesen ist das Streben nach einer persönlichen Go�eserfahrung und nach spiritueller Erleuchtung, die idealiter in der Vereinigung mit dem Gö�lichen und dem eigenen Entwer- den gipfelt. O� begrifflich mit »islamischer Mystik« gleichgesetzt, ist unter Sufismus konkreter die in Orden gelebte, organisierte

140 Der Islam in Zentralasien

Form dieser religiösen Orientierung zu verstehen. In Zentral- asien konnten mystische Strömungen und nachfolgend sufische Orden außerordentlich erfolgreich Fuß fassen. Einige Orden wurden sogar in der Region gegründet und verbreiteten sich von hier aus in andere Gebiete der islamischen Welt. Bei diesen Bruderscha�en handelt es vielleicht um den wich- tigsten religiösen Impuls, der von Zentralasien aus seinen Anfang nahm. So verfügt die Naqshbandiya bis heute in vielen islamisch geprägten Ländern über eine große Anhängerscha�. Sie betont die Einhaltung der Scharia (islamisches Gesetz), pflegt beim Got- tesgedenken (Dhikr) die lautlose Meditation und nicht das laute oder musikalische, in anderen Ordenstraditionen o� ekstatische Ritual. Unter den Timuriden formierte sich die Naqshbandiya endgültig als Orden. Ihre Scheichs agierten auch im politischen Bereich – sei es direkt oder in Allianz mit den Herrschenden. Die Angehörigen der Sufi-Orden prägten auch als Theologen und Lehrer sowie als von der Bevölkerung verehrte »Heilige Männer« das religiöse Leben der Menschen. Das Phänomen der Klientelbeziehungen zwischen solchen Persönlichkeiten, die im 19. und 20. Jahrhundert etwa durch ihre Abstammung religiöse Autorität genossen (Ischane), und der Bevölkerung bezeichnete die russischsprachige Literatur – negativ konnotiert – als »Ischa- nismus«. Als ein Sufi-Orden mit weniger festen Organisationsstruk- turen, die bis zum 18. Jahrhundert zerfielen, gilt die Yasawiya. Viele im 19. und 20. Jahrhundert lokal einflussreiche Ischane und die von ihnen gehüteten Heiligengräber sind dieser Tradition zuzurechnen. Diese Spielart des Sufismus geht in ihrem Namen auf Achmad Yasawi zurück (gest. 1166), dem unter Timur ein prächtiges Mausoleum in der Stadt Turkistan errichtet wurde. Die Yasawiya und ihre o� an lokal populäre Persönlichkeiten ge- bundenen Netzwerke waren vor allem unter den Turkvölkern der Region populär, insbesondere in den Gebieten nördlich der großen städtischen Zentren. Wandernde Derwische (Be�elmön- che), die sich vielfach der Yasawiya zurechneten, spielten eine bedeutende Rolle bei der Islamisierung der Turkstämme: Um- gekehrt flossen so auch vorislamische Bräuche der islamisierten Stämme sowie Elemente der Tschagataischen Sprache (Turki) in die Rituale der Yasawiya ein. Die Yasawiya pflegte das laute

141 II. Strukturen und Lebenswelten

Go�esgedenken (Dschahr) und prägte den gelebten Islam, wie er noch heute in vielen Gebieten Zentralasiens zu finden ist. Ein schri�basierter Hochislam war vor allem in den Städ- ten, also unter der sessha�en Bevölkerung der Region verbrei- tet. Dies stärkte die unzutreffende Einschätzung, insbesondere die nomadisierenden Turkvölker – v.a. Kasachen und Kirgisen – seien nur »oberflächlich« islamisiert worden. Solche Urteile übersehen jedoch, dass diese sich selbstverständlich als gläubi- ge Muslime bezeichneten, und religiös angesehene Werte tief in ihrer Gemeinscha� verankert waren. Sie verfügen über Epen und Heiligenlegenden, die der Islamisierung besondere Bedeutung beimessen und identitätssti�ende islamische Genealogien kons- truieren. Für die von mündlicher Überlieferung geprägten Ge- sellscha�en waren diese Aspekte sogar von tiefer Bedeutung und sind als entschiedene Bekrä�igung der Konversion anzusehen. Unsere Kenntnis der Religionsausübung einzelner Bevölke- rungsgruppen verdankt sich vor allem neueren Quellen seit der russischen Expansion, die im 19. Jahrhundert tief greifende Ver- änderungen in der Region bewirkte (vgl. den Beitrag von Bern- hard Chiari). Auch Zentralasien konnte sich neuen Ideen und Bewegungen, wie sie in anderen Teilen der islamisch geprägten Welt entstanden waren, nicht verschließen. Teile der Gelehrten- schicht wurden von Reformideen angezogen, die sich sowohl aufgrund persönlicher Kontakte mit reisenden Gelehrten als auch durch die Kenntnisnahme des anwachsenden Schri�tums muslimischer Reformer verbreiteten. Vor allem die Bildung, die von vielen als überholt betrachtet wurde, sollte durch moderne Didaktik und weltliche Inhalte um- gestaltet werden. Die Dschadiden genannten Reformer mit ihren Schulen der »Neuen Methode« (usul-i dschadid) sorgten hier für moderne Impulse. Daneben entwickelten sie, ähnlich wie in ande- ren islamisch geprägten Regionen, politische Vorstellungen und Ziele, die den Muslimen Zentralasiens und im Russischen Reich Fortschri� und zivilisatorischen Anschluss an das Niveau der eu- ropäischen Nationen bringen sollten. Einige identifizierten sich schließlich mit der sowjetischen Sache – doch zahlreiche große Den- ker und Aktivisten fielen den Repressionen der jungen UdSSR zum Opfer. Damit fand die vorerst letzte bedeutende ideengeschichtli- che Einbindung Zentralasiens in die islamische Welt ihr Ende.

142 Der Islam in Zentralasien

Islam im sowjetischen Zentralasien

Dem Marxismus-Leninismus verpflichtet, war die UdSSR in ihrer Ideologie bis in die Jahre der Perestroika hinein offiziell ein atheistisches Gesellscha�ssystem, das auch dem Islam prinzi- piell feindlich gegenüberstand. Dennoch überdauerten religi- öse Praktiken sowie offizielle und informelle islamische Insti- tutionen die jahrzehntelange Sowjetherrscha�. Dies hat etwas mit der im Rückblick widersprüchlich anmutenden und über die Jahre hinweg immer wieder veränderten Religions- bzw. Is- lampolitik der kommunistischen Führung zu tun. Dieser ging es weniger um normative, konsequent durchzusetzende Vorga- ben als vielmehr um das Erreichen innen- wie außenpolitischer Ziele. Innenpolitisch war die Stabilität im potenziell gefährli- chen Randgebiet Zentralasien oberste politische Leitlinie. Die Islampolitik des Politbüros lässt sich grob in mehrere Phasen unterteilen: Auf den Kampf gegen Islam und Geistlich- keit seit Mi�e der 1920er-Jahre und die Stalinistischen »Säube- rungen« ein Jahrzehnt später folgte im Zweiten Weltkrieg und in den Nachkriegsjahren eine etwas moderatere Politik, die auch Nikita Chruschtschow zunächst fortsetzte. Die Jahre 1958 bis 1964 sahen dagegen eine erneute anti-religiöse Kampagne, die erst Leonid Breschnjew einstellte. Anfang der 1980er-Jahre startete der Kreml eine letzte große Anti-Islam-Kampagne. In den 1920er-Jahren war die sowjetische Herrscha� in Zen- tralasien noch längst nicht gefestigt. Vor allem der bewaffnete Widerstand der so genannten Basmatschi hielt die neue Füh- rung militärisch in Atem (vgl. Info-Kasten auf S. 49). Dennoch begann die Moskauer Führung zur selben Zeit zunächst noch verhältnismäßig bedächtig mit strukturellen Reformen und einer vorsichtigen Anti-Islampolitik. Als mögliche Verbündete des nationalen Au�aus in der Region galten auch die Vertreter der Geistlichkeit, denen die Bolschewiki aber zunehmend die traditionellen institutionellen und wirtscha�lichen Grundla- gen ihres gesellscha�lichen Einflusses entzogen. Die Zustän- digkeiten der islamischen Gerichte wurden eingeschränkt und diese schließlich gänzlich abgescha�. Auf Ländereien der re- ligiösen Sti�ungen (arab.: Waqf, Mehrzahl: Awqaf) erhoben die Behörden zunächst Abgaben und verstaatlichten sie ab 1928.

143 II. Strukturen und Lebenswelten

Sukzessive schloss die Sowjetmacht Moscheen und religiöse Bildungseinrichtungen. Nachdem Josef Stalin die alleinige Macht an sich gerissen ha�e, verschär�e er die Anti-Islampolitik. In den Jahren 1927/28 erreichte der Angriff (Hudschum) gegen die Verschleierung der Frauen seinen Höhepunkt. Eine Schri�reform, bei der die jahr- hundertelang gültige arabische Schri� zunächst durch eine mo- difizierte Lateinschri� und Ende der 1930er-Jahre durch das ky- rillische Alphabet ersetzt wurde, sollte ebenfalls dazu beitragen, kommende Generationen von ihrem religiösen Erbe zu trennen. Vielen Geistlichen wurde nun die Ausübung ihrer Tätigkeit ver- boten und die atheistische Propaganda wurde ausgeweitet – zu- nächst jedoch ohne den gewünschten Erfolg. Da der Widerstand gegen das neue System noch nicht endgültig gebrochen war, und Stalin Teile der zentralasiatischen Führungselite als mitverant- wortlich für diese Misserfolge ansah, wurde kurzerhand die re- gionale Nomenklatur während der berüchtigten »Säuberungen« ausgetauscht. Zudem reduzierte Moskau die Kontakte zwischen den einheimischen Muslimen und ihren Glaubensbrüdern in an- deren Staaten drastisch. Im Zweiten Weltkrieg änderte Stalin seine Islampolitik, um die muslimische Bevölkerung für den »vaterländischen« Kampf zu mobilisieren. Dabei setzte der Kreml nicht zuletzt auf den Ein- fluss von Geistlichen und schuf 1943 die so genannten Geistli- chen Verwaltungen (Mu�iyate). Nach der deutschen Kapitulation wurde diese moderatere Haltung zunächst beibehalten und die Wiedereröffnung ausgewählter Moscheen gesta�et. Dahinter standen wiederum außenpolitische Überlegungen: Die sowjeti- sche Führung ho�e, in islamisch geprägten Gesellscha�en Ein- fluss nehmen und deren Eliten für eine sozialistische Entwicklung gewinnen zu können, indem es die offiziellen Vertreter des ein- heimischen Islams als »Botscha�er« zu nutzen versuchte. Gleich- wohl wurde die Religion weiter propagandistisch bekämp�. Diese ambivalente Politik führte auch die Chruschtschow-Ad- ministration zunächst fort. Sie intensivierte die Atheismus-Propa- ganda und stellte Überlegungen an, neue sowjetische Traditionen und alternative Lebenszyklus-Riten zu fördern, um lokales, reli- giöses Brauchtum abzulösen. In den Jahren 1958 bis 1964 gipfel- te diese Politik dann in einer echten anti-religiösen Kampagne.

144 Der Islam in Zentralasien

Usbekische Frau im Tschador, kolorierte Fotografie um 1910.

Dies ha�e unter anderem mit der Furcht vor einem Erstarken nati- onalen Selbstbewusstseins in ver- schiedenen Sowjetrepubliken zu tun. In Zentralasien wurden Mo- scheen geschlossen und die Be- hörden gingen hartnäckig gegen Wallfahrten zu lokalen Heiligtü- mern und Geistliche vor. Erfolglo- se lokale Funktionäre zog man für

akg-images zu laxes Vorgehen gegen religiöse Aktivitäten zur Rechenscha�. Diese harte Linie wurde unter Leonid Breschnjew bereits zu Be- ginn seiner Amtszeit zurückgenommen und gar manche Exzesse der Vergangenheit kritisiert. Die Parteiführung unterschied nun wieder stärker zwischen national-religiösen Traditionen, die sie zumindest nicht behindern, und aktiver Religionsausübung, die sie unterbinden wollte. Ein politischer Faktor dür�e dabei auch die zunehmend »indirektere« Herrscha� der Moskauer Führung in Zentralasien gewesen sein: Dort duldete Moskau »Parteifürs- ten«, die »ihre« Republiken jahrelang autokratisch regierten, und vermied direkte Einflussnahme. Auch verlangten die inter- nationalen Beziehungen mit islamisch geprägten, sozialistisch orientierten Staaten nach einer weiteren Aufwertung des Islams zumindest nach außen. Ein offenerer Umgang mit der nach wie vor lebendigen isla- mischen Religiosität charakterisierte vor allem die 1970er-Jahre. Schri�en aus dem Bereich des »wissenscha�lichen Atheismus« sollten zwar der Au�lärung der Bevölkerung über rückständige Glaubensvorstellungen und -praktiken dienen. Zahlreiche, vor allen Dingen ethnografische Arbeiten brachten jedoch implizit, manchmal auch explizit zum Ausdruck, dass die Atheismus- Kampagnen bis dato vergleichsweise wenig erfolgreich gewesen waren, und die Muslime ihre Religion weiter praktizierten. Seit Ende der 1970er-Jahre nahm die Sowjetführung den Islam wieder stärker als Bedrohung wahr. Islamistische Bewe-

145 II. Strukturen und Lebenswelten gungen erstarkten in den Gesellscha�en Nordafrikas, des Nahen und Mi�leren Ostens. Die »Islamische Revolution« im Iran fand gar in direkter Nachbarscha� zur UdSSR sta�. Dass sich unter der Bevölkerung Zentralasiens eine gewisse Identifikation und Solidarität mit benachbarten Glaubensbrüdern breit zu machen drohte, zeigte sich auch im Afghanistankrieg, als Einheiten der Roten Armee mit einem hohen Anteil muslimischer Soldaten ihren militärischen Pflichten nur halbherzig nachgekommen zu sein scheinen. Gleichzeitig registrierten die Behörden verstärkt organisierte religiöse Aktivitäten in Zentralasien. Die letzte große Anti-Islam-Kampagne zu Beginn der 1980er- Jahre, bei der lokale religiöse Persönlichkeiten am Pranger stan- den, ist vielen Gläubigen vor Ort noch deutlich in Erinnerung. Selbst in der ersten Zeit der Perestroika behielt Moskau sein har- tes Vorgehen gegenüber dem Islam und als religiös angesehenen Traditionen bei. Diese Politik war Teil einer allgemeinen Kam- pagne gegen die Parteieliten der Region: Die neue Führung um Michail Gorbatschow beschuldigte sie der Korruption und des Amtsmissbrauchs, »Parteifürsten« und weitere führende Amts- träger wurden abgesetzt. Doch auch lokale Sowjetpolitiker taten sich mit anti-traditionalistischen Maßnahmen hervor: Noch 1986 machte sich etwa die Parteiideologin Rano Abdullajewa in Us- bekistan aufgrund des von ihr betriebenen Verbots der nationa- len Kop�edeckung Do’ppi unbeliebt. Es sollte bis zum Ende des Jahrzehnts dauern, bis die sowjetischen Muslime in den Genuss religiöser Freiheiten gelangten.

Der offizielle Islam in Zentralasien – Kontrolle und Legitimation

Die Geistliche Verwaltung der Muslime Zentralasiens und Ka- sachstans wurde 1943 mit Sitz in Taschkent gegründet. Daneben existierten drei weitere Direktorate – auch als Mu�iyate bezeichnet – für den Nordkaukasus und Dagestan, für Transkaukasien sowie für das europäische Russland und Sibirien. Neben seiner territori- alen Zuständigkeit ha�e das Mu�iyat von Baku auch die geistliche Jurisdiktion für alle Schiiten der Sowjetunion inne, also etwa auch

146 Der Islam in Zentralasien für jene Samarkands oder Bucharas. Die Geistliche Verwaltung in Tasch- kent war jedoch die bedeutendste islamische Behörde der UdSSR, der auch die beiden einzigen islami- schen Lehreinrichtungen (Medresen) unterstanden: Die Miri-Arab-Med- rese in Buchara für die Ausbildung der niederen Geistlichkeit sowie das 1971 gegründete Al-Buxoriy-Insti- tut in Taschkent, das für die höhe- re Ausbildung zuständig war und die Führungspersönlichkeiten des sowjetischen Islams hervorbrachte. Kleinere Einheiten der Geistlichen picture-alliance/dpa/Grimm Verwaltung bildeten die als Kaziate Koranschüler mit der traditionellen bezeichneten Verwaltungen auf Re- Do’ppi in der Miri-Arab-Medrese in publikebene. Buchara. Die Mu�iyate unterstanden indirekt dem Ministerrat, waren direkt von den Moskauer Institutionen abhängig und straff hie- rarchisch aufgebaut. Ihre Aufgabe bestand darin, zugleich die sowjetische Herrscha� bei den Muslimen zu legitimieren und diese zu kontrollieren. In der Praxis wurde diese Funktion sowohl innen- als auch außenpolitisch auf verschiedenen Ebenen erfüllt. So zeichneten die Mu�iyate für eine rudimentäre islamische Infra- struktur von Moscheen und Medresen mit dem jeweiligen geist- lichen Personal verantwortlich. Hierdurch, aber auch durch offi- zielle Stellungnahmen oder sogar »Rechtsgutachten« und aktive Propaganda in den Medien, sollte ein »sowjetischer« Islam auf- gebaut und kontrolliert werden. Dessen grundsätzliche Botscha� lautete, dass Sozialismus und islamisches Bekenntnis miteinander vereinbar seien. Die geistliche Führung betonte, bereits der Islam habe Werte propagiert, wie sie auch im Sowjetsystem von tragen- der Bedeutung seien – ein guter Muslim solle sich also aktiv für die sozialistische Gesellscha� einsetzen. Daneben agierten die Mu�iyate auch auf internationalem Parke�: Auf zahlreichen Kon- ferenzen betonten sowjetische Geistliche ein anti-koloniales und progressives Potenzial des Islams. Die in mehreren Sprachen auf- gelegte Zeitschri� »Muslims of the Soviet East« diente dazu, die

147 II. Strukturen und Lebenswelten sowjetischen Muslime der übrigen Welt als Beispiel einer gelunge- nen nationalen Entwicklung vor Augen zu führen. Gleichwohl stand die Anzahl der Moscheen in einem krassen Missverhältnis zur Größe der Bevölkerung: In den 1970er-Jahren wirkten in der gesamten UdSSR offiziell nur ca. 2000 Geistliche. In Zentralasien waren ungefähr 325 Moscheen aktiv, darunter 200 Freitagsmoscheen und 125 Stadtviertelmoscheen. Dies führte dazu, dass an den hohen islamischen Feiertagen zuweilen Tausende Be- sucher in die zentralen Moscheen strömten und deren Kapazitäten sprengten. Besonders schwierig war die Position der Imame, die den »offiziellen Islam« auf der lokalen Ebene vermi�elten. Sie hat- ten in ihrer alltäglichen Arbeit staatlich vorgegebene Inhalte – bis hin zu vorgegebenen Freitagspredigten – zu lehren. Es hieße den Geistlichen unrecht zu tun, würde man sie vor allem als »Marione�en« Moskaus verstehen. Selbst ranghöhere Imame haben sich vermutlich o� als Diplomaten verstanden, die zwischen politisch korrekten, öffentlichen Bekundungen und Äu- ßerungen in informellen Gesprächen zu unterscheiden wussten. Auch sie werden versucht haben, tatsächlich einen spirituellen Dienst zu versehen und die Menschen zu einer religiösen Lebens- weise anzuhalten. In diesem Zusammenhang dür�en auch Stu- dienaufenthalte prominenter Geistlicher im Ausland nicht ohne Einfluss geblieben sein.

»Paralleler« Islam

Die sowjetische Anti-Islampolitik mit ihren Repressalien gegen Geistliche schränkte den Kreis der Träger und Trägerinnen reli- giösen Wissens und deren Tätigkeit in hohem Maße ein. In den Stalinistischen »Säuberungen« kamen die geistlichen Autoritäten einer ganzen Generation um. Dennoch lebten religiöse Praktiken und religiöses Wissen weiter fort. Im Gegensatz zu den offiziel- len Strukturen wird o� von »Scha�enislam«, »inoffiziellem« oder »parallelem« Islam gesprochen. Unter diese Begriffe fallen recht unterschiedliche Phänomene – zum einen Lebenszyklus-Riten und religiös-traditionelles Brauchtum, zum anderen aber auch organisierte Formen islamischer Religiosität bis hin zu potenziell politischen, oppositionellen Tendenzen im Untergrund.

148 Der Islam in Zentralasien

Vor allem religiös geprägte Rituale im Lebenszyklus waren in Zentralasien offensichtlich während der gesamten Sowjet- zeit gang und gäbe. Parteifunktionäre oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bemühten sich zwar, Familienfesten wie Geburt oder Hochzeit einen deutlich weltlichen Anstrich zu geben. Doch im Trauerfall war es fast durchweg üblich, re- ligiöse Formeln zu rezitieren, die islamischen Vorschri�en zur Besta�ung einzuhalten und meist auch einen Mullah (geistlichen Führer) hinzuzuziehen und traditionelle Trauer- und Gedenk- feierlichkeiten zu veranstalten. Weiterhin bestimmten auch alt- hergebrachte Verhaltensnormen die Gesellscha�en: Von den Betroffenen nicht unbedingt religiös, sondern o�mals vielmehr als »national« eingeordnet, sah sich die Bevölkerung in Fragen der Kindererziehung, der Partnerwahl oder auch in einer mehr oder weniger ausgeprägten Geschlechtertrennung den lokalen Gepflogenheiten verpflichtet – selbst wenn diese dem offiziell propagierten Bild der sowjetischen Frau widersprachen. Im Gegensatz von Stadt und Land und in den Unterschieden zwi- schen einzelnen Regionen entfaltete sich diesbezüglich aller- dings ein höchst vielfältiges Panorama. Überall standen religiöse Rituale sowie Wallfahrten hoch im Kurs, die auch der Heilung von Krankheiten oder der Erfüllung von Wünschen dienten. Sie prägten insbesondere das Leben der weiblichen Bevölkerung und wirkten gemeinscha�ssti�end. Ver- ehrt und erinnert wurden dabei der Prophet Mohammed und seine Nachkommen sowie Heilige – Männer und Frauen –, bei denen es sich in der Regel um Persönlichkeiten des zentralasia- tischen Sufismus handelt. Eine zentrale Rolle sowohl für die Le- benszyklus-Riten als auch für andere Rituale spielten Texte in den alten regionalen Sprachen Turki und Persisch. Viel mehr als den »offiziellen« Go�esdienst in den wenigen Moscheen praktizierten die Menschen diese Formen von Religiosität. Der vorsowjetische gelebte Islam bestand solcherart weiter. Rituale bedur�en religiö- ser »Experten« – inoffizieller Mullahs oder entsprechender Autori- täten bei den Frauen – und geeigneter Versammlungsorte. Neben dem häuslichen Bereich nutzte man hier zum Teil auch Teehäuser für Zusammenkün�e, ebenso die lokalen Heiligtümer. Zum »inoffiziellen« oder »parallelen« Islam in sowjetischer Zeit zählen auch die Aktivitäten der Sufi-Orden. Die typischen

149 II. Strukturen und Lebenswelten

Meister-Schüler-Beziehungen erlaub- picture-alliance/Bildagentur Huber/Grüner ten ihnen, sich trotz der »Säuberun- gen« weiterhin im Geheimen zu or- ganisieren. Vor allem im Fergana-Tal, aber auch in anderen Gebieten der Region verfügten Sufi-Orden und ihre Scheichs über großen Einfluss. Zwischen den Angehörigen der Bru- derscha�en und ihren Klienten inner- halb der Bevölkerung herrschte eine dynamische Beziehung, ein Über- bleibsel aus vorsowjetischer Zeit. Als potenzielle Bedrohung des Sowjetsystems lassen sich – anders als der vielfach als »fanatisch« ge- brandmarkte Sufismus – allenfalls solche Bewegungen ansehen, die in den 1970er-Jahren ihren Anfang nahmen und sich um das Studium islamistischer Literatur und zum Teil Frauen vor dem Gur-e-Amir- bereits um religiöse Au�lärung der Mausoleum in Samarkand. Bevölkerung bemühten. In einigen dieser Zirkel studierte man die Schri�en bekannter islamistischer Autoren, vor allem der arabischen Welt. Doch obwohl einer ihrer jüngsten und eiferndsten Protagonisten, Rahmatullah Alloma (1950-1981) aus Andischan, sogar eine Denkschri� mit dem Titel »Musulmonobod« (Land der Muslime) als angestrebtes Ideal der Zukun� verfasste, ging es selbst diesen als fundamentalistisch einzustufenden Kreisen doch eher um Bildung und Umkehr der Menschen als um den Umsturz der gesellscha�lichen und poli- tischen Verhältnisse. Ein weitverzweigtes Netz von Gelehrten – darunter einige herausragende Vertreter – arbeitete im Verborgenen auf das Ziel verstärkter islamischer Bildung unter der Bevölkerung hin. Dabei gerieten allerdings nicht nur der offizielle Islam und das Sowjet- system, sondern auch die hanafitische Rechtsschule und ihre Dul- dung lokaler Traditionen unter Beschuss. Umgekehrt wurden die meist jüngeren Aktivisten von den fest in ihren hanafitischen An- sichten verwurzelten Geistlichen als »Verräter« gebrandmarkt.

150 Der Islam in Zentralasien

Diese Dynamik scheint ein Ausgangspunkt für zahlreiche reli- giöse Entwicklungen und die Entstehung dezidiert islamistischer Bewegungen seit dem Zerfall der Sowjetunion gewesen zu sein.

Kontinuitäten und Brüche – Der zentralasiatische Islam

Mit der zunehmenden politischen und dann auch religiösen Liberalisierung in der Zeit der Perestroika stieg der Islam gegen Ende der 1980er-Jahre zu einem weithin sichtbaren Phänomen auf: Moscheen entstanden mit staatlicher oder internationaler Hilfe, o� aber auch in Eigeninitiative der Bevölkerung. Die Zahl ihrer Besucher, vor allem aber der des Freitagsgebetes, nahm er- heblich zu. Deutlich mehr Frauen zeigten sich verschleiert auf den Straßen – vor allem im bevölkerungsreichsten Staat der Re- gion Usbekistan sowie im von Usbekistan, Kirgisistan und Tad- schikistan geteilten Fergana-Tal. Auch die Medien entdeckten das Thema. Allerorts befrie- digten »informelle« Islamkurse die enorme Nachfrage nach religiöser Unterweisung. Sie standen in der Tradition entspre- chender Unterrichtsinitiativen der Vorjahre, in denen religiöses Grundwissen vermi�elt worden war. Die Kurse konzentrierten sich auf das Studium und die Rezitation des Korans, die Lektüre von Hadithen (Geschichten und Aussprüche des Propheten und seiner Gefährten) und Texten zu islamischen Vorschri�en sowie den Erwerb von Arabischkenntnissen. Zum Teil gingen ihre An- gebote personell auf die Netzwerke der bereits geschilderten islamischen Bildungsoffensive zurück. Die Kurse betonten die Notwendigkeit religiösen Wissenserwerbs jenseits einer unref- lektierten Pflege von Traditionen, die zum Teil als »unerlaubte Neuerungen« angegriffen wurden. Damit trugen sie die zuvor auf einer höheren, theologischen Ebene geführten Auseinander- setzungen in die Gesellscha�. Demgegenüber konzentrierten sich die Autoritäten des tra- ditionellen, gelebten Islams weiterhin stärker auf die Werke in den Lokalsprachen als auf das Studium der religiösen Quellen oder gar der arabischen Sprache. Für sie bildete nach wie vor

151 II. Strukturen und Lebenswelten der Dienst an der Gemeinscha� in den zahlreichen Ritualen eine Hauptaufgabe. Häufig besaßen sie selbst nur wenig direk- te Kenntnis der religiösen Quellen, sondern bezogen Glaubens- inhalte aus traditionellen Traktaten. Sie sahen sich scharfer Kri- tik ausgesetzt und mussten erleben, dass viele Menschen die »Religionskurse« und das von jedermann erwerbbare Wissen als a�raktiver ansahen als das eigene, traditionelle Angebot. Nicht immer initiierten »Lehrer« die Religionskurse. O� baten interessierte Menschen ihre Nachbarn, die bereits den Islam- unterricht besucht ha�en oder als religiöse »Autoritäten« gal- ten, ihr Wissen weiterzugeben. Sinnsuche in einer Zeit des Um- bruchs, spirituelle Modeerscheinung oder einfach der Wunsch, mehr über den eigenen Glauben zu erfahren und ein ihm ge- mäßes Leben zu führen – der Islam erlebte eine Wiedergeburt. Auch der Ruf nach Umkehr zu einer religiöseren Lebensweise verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Gleichwohl zeigten sich schnell auch die politischen Dimen- sionen dieser Popularität des Islam. Die Staatsführungen der Re- gion gingen erkennbar dazu über, den Islam offiziell als Baustein nationaler Identität zu betonen oder, wie im Falle Usbekistans, sich eine religiöse Legitimation zu verschaffen: So legte der usbe- kische Präsident Islam Karimow seinen Amtseid auf den Koran ab und unternahm 1992 eine Pilgerfahrt nach Mekka. Gleichzeitig formierten sich nichtstaatliche Bewegungen, die eine politische Rolle für den Islam anstrebten. Die zunächst be- kannteste war die Islamische Partei der Wiedergeburt, die 1990 in Astrachan als sowjetunionweit tätige Organisation gegründet wurde. Allerdings handelte es sich bei dieser überregional kon- zipierten »Partei« eher um ein Sammelbecken verschiedenster religiöser Orientierungen ohne klare Programmatik. Sie zerfiel schnell in nationale Einheiten, von denen sich jedoch nur der ta- dschikische Zweig dauerha� halten konnte. Islamistische Bewe- gungen sahen in der Regel die neu entstandenen Nationalstaaten als selbstverständlichen Bezugsrahmen für die eigenen Aktivitä- ten an. Das Gefühl einer Zugehörigkeit zur Umma verstärkte sich zwar mit dem Zerfall der UdSSR, es entwickelte jedoch weder ideologisch noch praktisch eine größere Bedeutung. Die Entstehung und die Aktivitäten islamistischer Bewegun- gen gestalteten sich in den Ländern Zentralasiens recht unter-

152 Der Islam in Zentralasien schiedlich. Gemeinsamkeiten gab und gibt es gleichwohl bezogen auf den Umgang mit der »Gefahr«, welche die unterschiedlichen Staatsführungen in ihnen zu erkennen glauben. Die politischen Eliten bringen den Islam o�mals mit potenziell destabilisierenden Botscha�en und Organisationen in Verbindung. Darin kommt die generelle Angst der autoritären Systeme der Region vor politischer Opposition zum Ausdruck, die sich auf den Islam berufen könn- te. Die Strategien bewegen sich deshalb nach wie vor zwischen Kontrolle und Legitimation. Staatliche Überwachung, vor allem durch die Fortführung des in sowjetischen Zeiten »bewährten« In- struments eines »offiziellen« Islams, ist in allen zentralasiatischen Staaten bis heute an der Tagesordnung. Auch gingen die inzwi- schen nationalstaatlich organisierten Geistlichen Verwaltungen aus den dem Taschkenter Direktorat unterstellten Kaziaten hervor. Der »offizielle« Islam in Usbekistan nutzt bis heute Gebäude und Infrastruktur des alten Mu�iyats.

Zwischen Legitimationsislam und Terrorangst

In Usbekistan ist die Bindung an den Islam als nationale Tradi- tion auch unter den Eliten stärker verbreitet als etwa in Kasachs- tan oder Kirgisistan. Es liegt nahe, dass die politische Führung dort seit der Unabhängigkeit stets einer vorsichtigen religiösen Legitimation von nationaler Ideologie und Politik vertraut hat. Als identitätssti�end für die usbekische Nation, aber auch in ihrer Bedeutung für die Weltgeschichte insgesamt, verehrt man dort heute die großen historischen Persönlichkeiten aus Wissen- scha�, Philosophie sowie der islamischen Theologie und Rechts- wissenscha�en (vgl. den Beitrag von Marlène Laruelle). Nicht nur in ihrer geschichtlichen Bedeutung, sondern als direkt für die Gegenwart relevant betont werden auch die Sufi-Orden und -Meister der Region: Vor allem die Geschichte der Naqshbandiya bietet sich als ideologisches Musterbeispiel an, da ihr Wahl- spruch Dil ba yor, dast ba kor (Das Herz bei Go�, die Hand an der Arbeit) durchaus als moderne Losung für den Dienst am Vater- land dienen kann. Das Taschkenter Mu�iyat existiert als staatstreue Institu- tion weiter, dem nun allerdings eine bedeutend größere An-

153 II. Strukturen und Lebenswelten zahl an Moscheen und Geistlichen untersteht. Die Ausbildung der Geistlichen wird streng kontrolliert. Freitagspredigten und Rechtsgutachten unterliegen politischer Aufsicht und werden vom Mu�iyat aus in die einzelnen Moscheen verbreitet. Zum System der Überwachung tragen nicht-religiöse Institutionen aller Instanzen bei: Die politischen Organe der Stadtviertel (Ma- halla), lokale Verwaltungen und, an der Spitze der Pyramide, das Komitee für Religiöse Angelegenheiten unter dem Ministerrat. Nachdem der offizielle usbekische Islam sich zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit und kurz danach noch durchaus relativer Eigenständigkeit erfreute, begann seit Mi�e der 1990er-Jahre seine zunehmende Gängelung. Die Führung des Landes erhob die innere Stabilität zur politischen Leitlinie, die nicht zuletzt auch die wirtscha�liche Entwicklung und Einbindung Usbe- kistans in internationale Strukturen garantieren sollte, was auch zunächst erfolgreich umgesetzt wurde. Damit einher gin- gen allerdings Einschränkungen oppositioneller Aktivitäten, die sich nicht nur auf den religiösen Bereich bezogen, sowie eine Konzentration der Macht um den Präsidialapparat. Ganz gleich, ob tatsächlich die Furcht vor einer radikalen Islamisierung oder gar Ängste vor politischen Extremisten aus- schlaggebend waren, oder ob die staatstragende Elite lediglich den Verlust ihrer Macht fürchtete und islamische Krä�e dabei als potenziell einflussreich einstu�e: Die zunehmende religiöse Kontrolle traf nicht nur die Geistlichen, sondern auch die Bevöl- kerung des Landes. Das Religionsgesetz von 1998 etwa erlegte allen religiösen Gruppierungen eine Registrierungspflicht auf, verbot religiöse politische Parteien und jegliche missionarische Aktivitäten, aber auch die private religiöse Unterweisung. Vor allem letztere Bestimmung betraf Tausende inoffizieller Kurse und Studienzirkel, die sich im Land so großer Popularität er- freuten. Offiziell untersagt, werden sie jedoch – ähnlich wie in der Sowjetzeit – informell weitergeführt. Eine weitere Bestim- mung des Gesetzes (Art. 14) beinhaltet Restriktionen in Bezug auf »Kultkleidung«, die nun offiziellen Geistlichen vorbehalten bleibt. Dies bezieht sich auch auf konservative Verschleierung bei Frauen oder die Bar�racht religiöser Männer und unterliegt der Bewertung im Einzelfall. Als potenziell staatsfeindlicher Extremismus gilt in Usbekistan jegliche religiöse Aktivität au-

154 Der Islam in Zentralasien

ßerhalb dieser gesetzlichen Bestimmungen und außerhalb des »offiziellen« Islams. Zu aufsehenerregenden terroristischen oder militärischen Aktionen, für die Taschkent islamistische Krä�e verantwortlich macht, kam es seit 1999 mehrfach. Der 11. September rückte dann Usbekistan stärker in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Die poli- tische Führung des Landes identifiziert islamistische Organisati- onen als ernste Bedrohung, über deren Dimension international allerdings Uneinigkeit besteht. Namentlich tauchen vor allem immer wieder die Hisb ut-tahrir al Islami (Islamische Befreiungs- partei) sowie die Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) auf. Während die IBU, die um die Jahrtausendwende mit militärischen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht ha�e, durch den Einsatz der westlichen Welt in Afghanistan dauerha� geschwächt scheint und offensichtlich nur über eine sehr geringe Anhängerscha� verfügt, handelt es sich bei der Hisb ut-tahrir um eine in der Re- gion durchaus mitgliederstarke Organisation. Die international tätige »Partei«, die ihren Ursprung im Nahen Osten hat, strebt die Errichtung eines Kalifats an, lehnt offiziell jedoch Gewalt zur Erreichung dieses Ziels ab. In Zentralasien stellt eindeutig Usbe- kistan das Zentrum ihrer Aktivitäten dar. Auch in den anderen Republiken scheinen überproportional viele ethnische Usbeken mit ihr zu sympathisieren. Dies deckt sich mit der Propaganda der Gruppierung, die erstaunlich wenig zu rein religiösen Fra- gen Stellung bezieht, umso entschiedener jedoch das Karimow- Regime und seine soziale Ungerechtigkeit angrei�. Hierin liegt vermutlich auch ihre A�raktivität begründet. Obgleich Hisb ut-tahrir weit entfernt vom Status einer Mas- senbewegung ist, gehen die usbekischen Behörden mit kompro- missloser Härte gegen Personen vor, die der Mitgliedscha� oder Sympathie mit dieser Organisation verdächtigt werden. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen befinden sich in Usbekistan mehrere Tausend Menschen als religiöse Extremisten in Ha�. Für sein unverhältnismäßiges Vorgehen sieht sich Usbe- kistan auch im Falle des blutig niedergeschlagenen Aufstandes von Andischan 2005 internationaler Kritik ausgesetzt (vgl. den Beitrag von Imke Dierßen). Die staatstragenden Eliten der fünf zentralasiatischen Repub- liken – von denen hier das Beispiel Usbekistans im Vordergrund

155 II. Strukturen und Lebenswelten stand – sind bis heute in hohem Maße von der Sowjetzeit ge- prägt und säkular orientiert. Auch wenn das offizielle Credo des Atheismus weggefallen ist, leben alte Identitätskonstruktionen unter neuen Rahmenbedingungen weiter. So werden in Usbekis- tan nationale Traditionen nun eher in Verbindung mit dem Islam gebracht, während Kasachen und Kirgisen eher versuchen, sich selbstbewusst mit einem »liberalen Glauben« zu identifizieren. Auch die Kontinuität der in der UdSSR verfolgten religions- politischen Strategien ist unübersehbar: Heutige Regierungen kontrollieren den Islam und versuchen, ihn zu instrumentalisie- ren, indem sie ihn – nun dezidierter als in der Sowjetunion – in die eigenen nationalen Ideologien einbinden. Als problematische Folgewirkung der kommunistischen Politik ist – trotz der »paral- lelen« Strukturen – die Anzahl von Personen mit religiösem Wis- sen gering sowie dessen Qualität auf niedrigem Niveau. Parado- xerweise stieg dadurch die Abhängigkeit der Bevölkerung von Autoritäten, die etwa über die für Rituale notwendigen Kennt- nisse verfügen. Die Vorstellung, dass religiöser Wissenserwerb unbedingt an die Vermi�lung durch Lehrer gebunden zu sein hat, erscheint in Zentralasien viel stärker ausgeprägt als in an- deren Regionen der islamischen Welt. Demgegenüber steht die Dominanz politischer Eliten, denen es o� an Verständnis und Anteilnahme für die ausgeprägte Religiösität der Bevölkerung und zum Teil auch an Kenntnis des Islams zu mangeln scheint. Mit dem Ende der Sowjetunion entstand eine Dynamik ganz besonderer Art: In einer Zeit des Umbruchs öffneten sich die zentralasiatischen Gesellscha�en der Religion. Diese Entwick- lung ging darüber hinaus Hand in Hand mit der Wiederentde- ckung, Teil der islamisch geprägten Welt zu sein. Informationen, Ideen, Ideologien und auch persönliche Kontakte mit Muslimen aus aller Welt beeinflussten und beeinflussen diese Entwicklung in Zentralasien. Besonders a�raktiv waren schri�basierte Ten- denzen, die hergebrachte Traditionen auf argumentativ moder- ne Weise hinterfragen und einen rationalen Zugang zum Islam – die Quelleninterpretation – anbieten. Jedoch deuten die Men- schen die Schri� o� nicht im Selbststudium, sondern offizielle und inoffizielle »Lehrmeister« lenken die Exegese. Wenn weder das offizelle Angebot an religiöser Bildung und die Botscha�en des »offiziellen« Islams noch die Autoritäten des traditionellen,

156 Der Islam in Zentralasien gelebten Islams als glaubwürdig empfunden werden, scha� dies einen Nährboden für die Verbreitung fundamentalistischer Tendenzen. Islamistische Organisationen wie Hisb ut-tahrir verdanken ihren Einfluss der Agitation in Netzwerken und persönlicher Unterweisung sowie einfachen Botscha�en, die staatliches Han- deln auf zahlreichen Feldern an den Pranger stellen. Zu ihrem Erfolg trugen die negativen wirtscha�lichen und sozialen Ent- wicklungen der letzten Jahre maßgeblich mit bei. Wenn die pre- käre sozio-ökonomische Lage weiter Kreise der Bevölkerung Zentralasiens anhält, politische Alternativen für oppositionelle Betätigung ebenso wie glaubwürdige offizielle religiöse Ange- bote fehlen, könnten extremere Botscha�en und Organisationen durchaus weiter an Popularität gewinnen. Bislang wird jedoch der Einfluss islamistisch-terroristischer Organisationen vor Ort deutlich überschätzt. Anne�e Krämer

157 picture-alliance/dpa/Chebotayev

Im Mai 2005 geriet Usbekistan nach der brutalen Auflösung einer Kund- gebung durch Sicherheitskräfte in Andischan schlagartig in den Blick und die Kritik der Weltöffentlichkeit. Ein populärer Erklärungsansatz zu Ursa- chen und Verlauf des Massakers deutete die Vorgänge als Ausdruck eines Machtkampfes. Präsident Islam Karimow sei die Kontrolle über die mäch- tigsten regionalen Netzwerke des Landes aus der Hand geglitten. Erstma- lig sei dem alternden Staatsoberhaupt der Interessenausgleich zwischen rivalisierenden »Klans« nicht gelungen, die er bis dato geschickt für sich instrumentalisiert habe. Islam Karimows Tage galten manchen Analysten als gezählt. Schon diskutierten westliche Medien im Stile der mit dem Kalten Krieg unter- gegangenen »Kremlastrologie« – die den US-Amerikanern und Westeu- ropäern Jahrzehnte lang weismachen wollte, wer wohl jeweils als neuer starker Mann in Moskau regieren würde –, seine Nachfolge. Doch schon wenige Tage nach den Ereignissen von Andischan zeichnete sich ab, dass Karimow die Zügel nach wie vor fest in der Hand hatte. Die Hinter- gründe der Ereignisse von Andischan blieben ebenso wie die Frage nach der Involvierung der geheimnisumwitterten »Klans« bis heute ungeklärt. Regionale Netzwerke in Usbekistan

Unter dem Begriff »Klan« werden in der Öffentlichkeit gemein- hin die großen, informellen, regionalen Netzwerke verstanden, die in Usbekistan Einfluss auf die Politik nehmen. Eine solch vereinfachende Sicht vertreten auch Politikwissenscha�ler mit der Bezeichnung »Klan-Theorie«. Gleichwohl ist dieser Begriff im anthropologischen Sinne unzutreffend: Klans als klassische Herkun�sgemeinscha�en, die auf (Bluts-)Verwandtscha� unter der Organisationsform eines Stammes oder einer Ethnie beru- hen, gibt es im usbekischen Fall nur in Karakalpakistan und in der Provinz Dschisak. Die regionalen usbekischen Netzwerke sind nach strengeren Maßstäben keine Klans. Sie sind historisch gewachsen und haben über Jahrhunderte die Geschicke des Lan- des entscheidend mitbestimmt. Auch unter dem Sowjetsystem spielten regionale Netzwerke eine unterschiedlich bewertete Rolle in der Herrscha�sstruktur. Ihr heutiges Gesicht erhielten sie erst in der Periode der staatlichen Unabhängigkeit Usbekis- tans nach 1990. Die Bezeichnung der großen Netzwerke folgt der Region, der sie entstammen. Ein »Klan« aus Samarkand-Buchara und ein »Klan« aus Taschkent konkurrieren um Einfluss, beispiels- weise bei der Besetzung von Positionen in Wirtscha� und Poli- tik. Diesen beiden tonangebenden und konkurrierenden Grup- pen werden je nach Sichtweise der »Fergana-Klan« sowie die »Klans« aus Kaschkandar, Choresmien und Surxandaryo-Qas- hqadaryo zugerechnet. Das über eine lange Zeit dri�stärkste regionale Netzwerk aus Fergana verfügt nach den Unruhen in Andischan allerdings über keinen nennenswerten Zugang zur Macht mehr. Die Basis regionaler Netzwerke in Usbekistan bilden die ge- meinsame Herkun� und die Sprache. Gleichzeitig überlagert die Loyalität zu anderen inoffiziellen oder offiziellen Gruppen o�- mals die regionale Abstammung. So kann sich ein Angehöriger des »Samarkand-Klans« z.B. gleichzeitig als Teil der alten Sow- jetnomenklatur verstehen, oder ein Mitglied des »Taschkent- Klans« als Vertreter des Innenministeriums. Die angeführten Netzwerke weisen insgesamt sehr durchlässige Konturen auf.

159 II. Strukturen und Lebenswelten

Verbindende Elemente innerhalb regionaler Netzwerke sind gemeinsame wirtscha�liche und politische Interessen. Wohl or- ganisiert tragen die Netzwerke aus Taschkent und Samarkand- Buchara den Kampf um begehrte Posten im öffentlichen Sektor aus, über die zumeist der Weg zu den ökonomischen Ressourcen des Landes führt. In Anspielung auf die bis 1989/90 auch in Us- bekistan geltende planwirtscha�liche Ordnung ist in Usbekistan daher vielfach von einer »Klanwirtscha�« die Rede. Die einzelnen Wirtscha�s- und Politikbereiche teilen sich die beiden größten regionalen Netzwerke: Das regionale Netzwerk aus Samarkand-Buchara dominiert den Baumwollanbau des Landes. Zudem soll es erheblich in den Drogenhandel aus Afgha- nistan verwickelt sein. Im staatlichen Bereich sind die Mitglieder dieses Netzwerkes überproportional im usbekischen Innenmi- nisterium (MWD) vertreten, das zusammen mit dem Nationalen Sicherheitsdienst (Sluschba Natsionalnoy Besopasnosti, SNB) den staatlichen Sicherheitsapparat bildet. Beide Organisationen ge- währleisten die innere Stabilität des Staates – und sichern damit in den Augen ihrer Kritiker den Bestand des Systems Karimow. Langjähriger Innenminister war von 1991 bis 2005 der aus Samarkand stammende Sakir Almatow, der zeitweilig als Nachfolger Karimows gehandelt wurde, aber – offiziell aus ge- sundheitlichen Gründen – im Alter von 56 Jahren zurücktreten musste. Er galt im Westen als Hauptverantwortlicher für die Niederschlagung des Aufstandes von 2005, die Medien gaben ihm den unvorteilha�en Beinamen »Schlächter von Andischan«. Sein Ausscheiden aus dem Amt vollzog sich im Rahmen einer Reform des Sicherheitssektors, die Karimow aus Gründen der inneren Machtkonsolidierung anging. Almatows Nachfolger ist der ebenfalls aus Samarkand stammende Bachodir Matljubow, der aus dem Umfeld des konkurrierenden SNB stammte. Der SNB setzt sich vor allem aus Angehörigen des regionalen Netzwerkes aus Taschkent zusammen. Sein Leiter ist seit 1995 der heute 65-jährige Rustam Inoyatow, der im Gegensatz zu Almatow nach der Reform des Sicherheitssektors im Amt verblieb. Auch ihn bezichtigte die Europäische Union (EU) der Mitverantwortung für die blutigen Ereignisse in Andischan. Er zählte bis Oktober 2008 zu der Handvoll usbekischer Funktionäre, denen die Einreise in die EU verboten war (vgl. den Beitrag von Imke Dierßen). Geschadet

160 Regionale Netzwerke in Usbekistan

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Tiefland von Tiefland Aralsee Nukus Urgentsch Staatsgrenze Usbekistan andere Staatsgrenzen Grenze einer autonomen Republik Provinzgrenze Fernstraßen Eisenbahn Staudamm wechselnder Uferverlauf MENISTAN K Karakalpakistan Autonome Republik Ustjurt- TUR Plateau 0 – 100 0 – Sarykamysch- see Depression 100 – 200 100 – 500 – 1 000 500 – 1 200 – 500 200 – 4 000 – 5 000 000 – 5 4 000 000 – 4 3 000 000 – 3 2 000 000 – 2 1 Höhenschichten über NN in m Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA.

161 II. Strukturen und Lebenswelten hat ihm die Kritik aus Europa in innenpolitischer Hinsicht jedoch nicht. Im Gegenteil: Ein Vertrauter Inoyatows, Ruslan Mirsajew, ersetzte Kodir Gulomow als Verteidigungsminister. Rustam Inoyatow gilt als zweiter Mann im Staat, der die Nachfolge Karimows antreten könnte. Neben der Kontrolle des SNB wird den Mitgliedern des Taschkenter Netzwerkes erheb- licher Einfluss in den Wirtscha�sbereichen Lebensmi�elimport, Leichtindustrie, Maschinen- und Autobau, Chemie, Öl- und Gassektor sowie im Handel nachgesagt.

Die Balance-Politik Islam Karimows

Im Dezember 1991 wurde Karimow zum ersten Staatspräsi- denten des unabhängigen Usbekistan gewählt und zuletzt am 23. Dezember 2007 im Amt bestätigt. Auch nach bald 20 Jahren an der Spitze des Staates kommt Karimow eine herausragende Bedeutung in der Innenpolitik zu: In seinen Händen konzentrie- ren sich nach wie vor die wichtigsten Machtbefugnisse. Als Prä- sident ernennt Karimow unter anderem direkt die Gouverneure (Hokime) der 132 Gebiete (Vilojate) des Landes. An seiner her- ausragenden Stellung haben auch zwei Verfassungsänderungen aus den Jahren 2004 und 2006 nichts geändert, nach denen Ka- rimow den Vorsitz des 20-köpfigen Ministerkabine�s aufgeben musste und seitdem nicht mehr Chef der stark zentralisierten Exekutive ist. Seit Dezember 2004 hat Usbekistan ein parlamentarisches Zwei-Kammer-System mit einem Unterhaus (Olij Majlis) sowie einem Senat. Die im Unterhaus vertretenen, zumeist auf Initiative Karimows gegründeten fünf Parteien gelten ausnahmslos als re- gierungstreu. Ihre Führungspersönlichkeiten vertreten nicht vor- rangig die Interessen ihrer Wähler, sondern tauschen Gefälligkei- ten, Güter und Dienstleistungen gegen politische Unterstützung oder Loyalität. Eine parlamentarische Opposition nach westlichem Verständnis besteht in Usbekistan nicht, obwohl ein neues Partei- engesetz seit 2006 den Begriff der Opposition immerhin aufnahm. Die wichtigsten entsprechenden Bewegungen »Erk« (Freiheit), »Birlik« (Einheit) und »Ozod Dekhkanlar« (Freie Bauern) bewegen sich jedoch weiterhin im außerparlamentarischen Bereich. Bei

162 Regionale Netzwerke in Usbekistan

Islam Karimow Islam Abduganiewitsch Karimow wurde am 30. Januar 1938 in Sa- markand geboren. Nach dem Schulbesuch studierte er zunächst Ma- schinenbau am Zentralasiatischen Polytechnischen Institut und dann Volkswirtscha� am Institut für Nationale Wirtscha�. 1960 arbeitete er als Ingenieur in einem Landmaschinen-Kombinat, von 1961 bis 1966 in einer Lu�fahrt-Produktionsgesellscha� und stieg dort zum leiten- den Konstrukteur auf. 1966 wechselte Karimow, der inzwischen der Kommunistischen Partei (KP) beigetreten war, in die Staatliche Plan- kommission der Usbekischen SSR, wo er zum Ersten Stellvertreter des Chefs dieser Behörde arrivierte. Von 1983 bis 1986 übte Karimow das Amt des Finanzministers der Usbekischen SSR aus. Seine politische Karriere nahm durch den Korruptionsskandal um den früheren Partei- chef Scharaf R. Raschidow, in den viele usbekische Politiker verwickelt waren, keinen Schaden. 1986 wurde er stellvertretender Ministerprä- sident und Vorsitzender der Plankommission. Bis 1989 amtierte Kari- mow als Erster Parteisekretär in Kaschkandar und rückte im Juni zum Ersten Sekretär der usbekischen KP auf. Am 24. März 1990 wählte ihn der Oberste Sowjet in das neu geschaffene Amt eines Präsidenten der Usbekischen SSR. Nach dem Moskauer Putsch erklärte Karimow am 31. August 1991 die Souveränität Usbekistans. Knapp vier Monate spä- ter wurde er zum ersten Staatspräsidenten der unabhängigen Repub- lik gewählt. Nach seiner Wiederwahl wurde seine Amtszeit in einem Referendum um fünf Jahre verlängert. Im Januar 2000 votierte die Be- völkerung abermals für ihn, und seine Amtszeit wurde mi�els Volks- entscheid auf sieben Jahre verlängert. Obwohl die Verfassung nur zwei Amtszeiten vorsieht, kandidierte Karimow nach Einwilligung durch die staatliche Wahlkommission im Dezember 2007 ein dri�es Mal und wurde mit überwältigender Mehrheit im Präsidentenamt bestätigt. den Parlamentswahlen im Dezember 2004 dur�en sie nicht an- treten, viele ihre Anführer fanden mi�lerweile Zuflucht im Exil. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass im autokra- tisch regierten Usbekistan bisher kein regulärer Machtwechsel durch freie Wahlen sta�gefunden hat. Regierungskritische Me- dien werden unterdrückt. Auf der Gegenseite bilden die regie- rungsnahen Massenmedien einen Stabilitätsanker für das Sys-

163 II. Strukturen und Lebenswelten tem und befördern Karimows Image als charismatischer und wohlwollender Landesvater. Kandidaten, die eine ernstha�e Konkurrenz für den Präsidenten darstellen könnten, wurden regelmäßig im Vorfeld von Wahlen behindert oder von diesen ausgeschlossen. Der usbekische Staatsapparat gewährt kaum Einblick in in- terne Abläufe. Dennoch lässt sich feststellen, dass Islam Kari- mow selbst und nicht seine Minister die wesentlichen Entschei- dungen tri�, vorbereitet von einem engen Zirkel, zu dem auch SNB-Funktionäre zählen. Und auch in Bezug auf die regionalen Netzwerke kommt dem Staatspräsidenten eine Schlüsselfunkti- on zu. Karimow stammt aus Samarkand und wurde demzufolge immer wieder zum »Samarkand-Klan« gezählt. Seinen Aufstieg an die Staatsspitze seit 1989 soll er dessen Unterstützung und insbesondere Ismail Jurabekow verdanken. Karimow spielt die Rolle eines Schiedsrichters, der die In- teressen der wichtigsten regionalen Netzwerke ausbalanciert und gegebenenfalls gegeneinander ausspielt, um so die eige- ne Machtposition zu sichern. Offiziell hat er sich von etwaigen »Klanzugehörigkeiten« gelöst und bezeichnet die Ve�ernwirt- scha� gar als Gefahr für den Staat. Wichtigstes Mi�el einer ent- sprechenden Balance-Politik sind Personalentscheidungen, die er allein tri�. Bei der Postenvergabe scheint Karimow besonders darauf bedacht zu sein, den regionalen und ethnischen Proporz zu wahren. Gerüchteweise soll er dabei anhand einer Liste vor- gehen, die wesentliche Akteure umfasst. Wenn ein regionales Netzwerk quantitativ zu stark vertreten ist oder Karimow ge- fährlich werden könnte, schreitet der Präsident ein: So entließ er im Jahr 2000 seine graue Eminenz Jurabekow aus dem Amt des Ersten Stellvertretenden Premierministers. Ein 2005 eingeleitetes Strafverfahren gegen Jurabekow wegen Amtsmissbrauchs sollte diesen ins Exil zwingen. Karimow sorgte auch dafür, dass sich der Einfluss des Innen- ministeriums und des SNB und damit der beiden wichtigsten Organisationen die Waage hielt. Bis 2005 schürte er dazu das beiderseitige Konkurrenzverhältnis. Im Zuge seiner Reform des Sicherheitssektors gab Karimow diesen Kurs auf und versuchte, die Ministerien erneut aufeinander zuzuführen.

164 Regionale Netzwerke in Usbekistan

Ausblick

Die regionalen Netzwerke aus Samarkand-Buchara und Tasch- kent bilden einen festen Bestandteil des politischen Systems in Usbekistan. Islam Karimows Rolle beim Umgang mit den unter- schiedlichen Interessengruppen bleibt im Einzelnen umstri�en. Kein Zweifel besteht allerdings daran, dass er aufgrund seiner starken Stellung im Staat diese Netzwerke bislang unter Kontrol- le halten kann. Rund 20 Jahre un- picture-alliance/dpa/Akimov angefochtene Herrscha� verwei- sen darauf, dass seine Politik des Interessenausgleichs effizient ist. Entscheidende Bedeutung kommt deshalb der zuletzt im Mai 2005 heiß diskutierten Nachfolgefrage zu: Auch der Erbe des 71-jähri- gen Karimow muss eine von den verschiedenen Interessengruppen Gulnara Karimowa, Aufnahme akzeptierte Integrationsfigur sein. von 2006. Die Tochter des aktuellen Amts- inhabers, Gulnara Karimowa, erfüllt dieses Kriterium und fin- det Anerkennung in den regionalen Netzwerken. Sie wird daher neben Inoyatow als potenzielle Kandidatin gehandelt. Gelingt es nach dem Abtreten Karimows nicht, den Macht- wechsel in ruhigen Bahnen zu vollziehen, drohen mannigfaltige Gefahren bis hin zu einer Spaltung Usbekistans und der Desta- bilisierung der gesamten Region. An einem berechenbaren und verlässlichen Usbekistan haben darum neben dessen zentralasi- atischen Nachbarstaaten auch Russland, China, die USA und die EU ein großes Interesse. Islam Karimow garantiert die Stetigkeit in seinem Land. Die Möglichkeit eines gewaltsamen Regime- wechsels oder etwaiger Nachfolgekrisen erfüllt daher regionale und überregionale Partner nicht ohne Grund mit Sorge.

Magnus Pahl

165 picture-alliance/dpa/Astakhov

Nach Auflösung der UdSSR spielte Zentralasien zunächst keine Rolle mehr in Russlands Außenpolitik. In Wladimir Putins zweiter Amtszeit als Präsident (2004-2008) veränderte sich dies, da Moskau wieder über die für machtvolles Auftreten notwendigen finanziellen Mittel und Instru- mente verfügte. Zentralasien wurde zu einer wichtigen Bühne, auf der Russland heute wieder sicherheitspolitische und ökonomische Interes- sen verfolgt und dabei in Konkurrenz zu China und den USA agiert. Die russische Führung kann dabei auf Netzwerke und Praktiken aus der so- wjetischen Ära zurückgreifen. Putins Rollenmodell und die »gelenkte De- mokratie« seines Nachfolgers Dmitri Medwedjew – hier im Bild anläss- lich eines Staatsbesuches in Usbekistan Anfang 2009 – kommen den Vorstellungen der autoritären Herrscher Zentralasiens entgegen. Deren Bereitschaft, sich einem Moskauer Diktat zu unterwerfen, erscheint al- lerdings gering. Traditionen, Kalküle, Funktionen – Russlands Rückkehr nach Zentralasien

Im ersten Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der UdSSR spiel- ten die zentralasiatischen Staaten eine geringe Rolle in Russlands Politik gegenüber dem »Nahen Ausland«. Das amerikanische und europäische Vorrücken in die Region nach dem 11. Septem- ber 2001 veranlasste die Moskauer Führung jedoch, sich vor Ort wieder stärker zu engagieren. Der Aufstieg des Islamismus, die »Tulpenrevolution« in Kirgisistan im März 2005 und die blutige Niederschlagung der Demonstration im usbekischen Andischan (vgl. den Beitrag von Imke Dierßen) zwei Monate später verstärk- ten die Sorge vor weiteren politischen Unruhen, die der Kontrolle der alternden Führer entgleiten könnten. Deshalb wurde Zen- tralasien vom postsowjetischen Hinterhof russischer Interessen zurück ins »Rampenlicht« katapultiert. In den transatlantischen Beziehungen war eine geopolitische Rhetorik zu vernehmen, die es aus der Sicht des Kremls erforderlich zu machen schien, Ein- fluss wiederzugewinnen. Russlands Rückzug aus Zentralasien in den 1990er-Jah- ren entsprach eher einem Versäumnis als einem Plan. Dafür gibt es zwei Erklärungen: Einmal ha�en sich die Interventions- möglichkeiten der Russischen Föderation dramatisch verrin- gert. Außerdem boten sich den regionalen Führern mit Blick auf die USA und Europa verschiedene außenpolitische Optio- nen an. Hinzu kam, dass das Erbe des sowjetischen Denkens es verhinderte, aus einer realistischen Perspektive auf Zentral- asien zu blicken. Im ersten Jahrzehnt der Unabhängigkeit spielten Themen wie Friedensmissionen im »Nahen Ausland«, vor allem im Bürgerkrieg in Tadschikistan (1992-1997), oder das Schicksal der ethnischen Russen Zentralasiens in der Fachdiskussion eine prominente Rolle. In vier Politikfeldern verloren die russisch- zentralasiatischen Beziehungen in dieser Zeit an Substanz: Ers- tens gingen der Handel und die russischen Direktinvestitionen zurück. Zweitens misslang die verteidigungs- und sicherheits- politische Integration, da Russland seine militärische Präsenz vor Ort verringerte. Dri�ens nahm der kulturelle Einfluss ab, weil die russische Bevölkerung emigrierte, und schließlich verringer-

167 II. Strukturen und Lebenswelten te sich viertens die Nutzung von Bodenschätzen und Transport- systemen, da sich die Nachfrage diversifizierte und sich neue Exportwege eröffneten. In der zweiten Amtsperiode von Präsident Wladimir Putin kehrten sich diese Entwicklungen um. Die verbesserten Rah- menbedingungen der Russischen Föderation, höhere Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschä� und die Suche nach weiteren Ver- bündeten, um die Rückschläge aus den euro-atlantischen Bezie- hungen auszugleichen, boten für Moskau die Grundlagen, um sich stärker in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu engagieren. Effizientere Entscheidungsprozesse in der Präsidialverwaltung trugen dazu bei, die Reibungsverluste durch konkurrierende Lobbygruppen zu reduzieren und die sprungha�e Politik des vergangenen Jahrzehnts zu überwinden. Russland entfaltet neue Aktivitäten und auf seiner politischen Agenda stehen vielfälti- ge Themen, die Experten früher übersahen. Die Handschri� des Kremls ist im Bereich der Sicherheit, der politischen Ökonomie, der Kultur und der Ideologie sowie in der regionalen Zusam- menarbeit immer stärker zu spüren. Offiziell verfolgt Russland in seiner Zentralasien-Politik fol- gende Prioritäten: Energie, insbesondere die fossilen Rohstoffe, Wirtscha�, bi- und multilaterale Initiativen im Kampf gegen den Terrorismus, Organisierte Kriminalität und Drogenhandel, aber auch »Menschenrechte«. Letzteres bedeutet nach dem Verständ- nis Moskaus in erster Linie den Schutz der ethnischen Russen. Schließlich spielt das Kaspische Meer eine wichtige Rolle, so etwa die Klärung seines rechtlichen Status und die »Entmilitari- sierung« des Raumes.

Säulen der russischen Politik

Für Moskau stehen vor allem die innenpolitischen Auswirkungen der russischen Politik im Blickpunkt – der Zustrom von Drogen und Arbeitsmigranten, das Kalkül regionaler Sicherheit, ener- giepolitische Erwägungen, internationale Beziehungen sowie die wachsende Rolle Chinas und das Gefühl, mit dem Westen in einer geopolitischen Konkurrenz zu stehen. Der Kreml besitzt nach einem Jahrzehnt relativer Inaktivität genug Ehrgeiz sowie

168 Russlands Rückkehr nach Zentralasien die entsprechenden Fähigkeiten, jede Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Unter den Politikern herrscht die Mentalität vor, dass die derzeitige innenpolitische und internationale Lage, die Russ- lands Interessen begünstigt, nicht ewig anhalten wird. Daher scheint die russische Außenpolitik auf drei Säulen zu ruhen. »Russland kommt zuerst.« Das Vielvölkerreich ist Geschich- te. Eine binnenzentrierte Politik orientiert sich an den gegenwär- tigen Grenzen und der eigenen Bevölkerung. Dies spiegelt einen pragmatischen Opportunismus des Kremls im Umgang mit sei- nen neuen Nachbarn wider. Die gemeinsame sowjetische Ver- gangenheit wird dabei nicht beschworen. Moskau möchte zwar immer noch eine bedeutsame Rolle in Zentralasien spielen, aber nicht mehr zuviel Verantwortung übernehmen. Engagement soll nicht zur Belastung werden. Das »Nahe Ausland« mit seinen of- fenen Grenzen und den Nachwehen historischer Einheit hat sich in ein »normales Ausland« verwandelt. Ehemalige Sowjetrepub- liken werden daher wie fremde Staaten behandelt. »Die Instrumente sind aufeinander abgestimmt«. Sie bilden verschiedene Face�en einer Strategie. Im Gegensatz zur Jelzin- Ära gesta�en es nunmehr die stärkere politische Kohärenz und das Vertrauen auf die eigene politische Stärke Russland, seine Rolle in der Region auszubauen. Ob Energie- oder Sicherheits- fragen der wichtigste Antrieb sind, ist dabei nachrangig. Das zentrale Motiv ist, Russlands Position zu stärken, indem staatli- che Instrumente der jeweiligen Lage angepasst werden. »Initiativen dienen als Pilotprojekte«. Unabhängig von der spezifischen Region erfüllen alle Initiativen die Funktion, neue Po- litikansätze zu testen. Zentralasien dient als Versuchsfeld, weil es in Moskau im Vergleich mit den übrigen Anrainerstaaten als leich- teres politisches Terrain gilt, da die politische Führung und die Bevölkerung Russland mehrheitlich positiv gegenüber stehen. Zentralasiens Bedeutung für die Russische Föderation speist sich aus dem, was die Region anzubieten hat, wie natürlichen Ressourcen, billigen Arbeitskrä�en und Transportnetzen. Um- gekehrt beeinflussen die Gefahren, die aus Zentralasien drohen – wie die bereits erwähnten Drogen sowie Organisierte Krimi- nalität oder der Dschihad-Terror –, die russische Wahrnehmung vehement. Aber auch die Nachbarscha� zu Staaten wie Iran, Af- ghanistan und China spielt eine nicht unwesentliche Rolle.

169 II. Strukturen und Lebenswelten

Anders als im Südkaukasus steht die russische Führung in Zentralasien nicht vor unangenehmen Entscheidungen. Es fällt leicht, den Westen vor einem Engagement in Zentralasien abzu- schrecken, weil Moskau vom Rückzug der USA und der EU nur profitieren kann. Die äußerst konservative lokale Mentalität hat sich von der gemeinsamen Vergangenheit kaum gelöst. Aus die- sen alten Gewohnheiten kann Moskau entsprechenden Nutzen ziehen. Russlands Aktivposten in Zentralasien bildet eine Mischung aus traditionellen Verhaltensmustern und Einstellungen, aber auch von modernen Waren und We�bewerbsvorteilen, die es heute anbieten kann. Moskau nutzt vor allem, dass die sowjeti- schen Institutionen, die damit verbundene bürokratische Kultur des Gemeinwesens und die professionellen Netzwerke immer noch sehr stark nachwirken. Dazu kommt die »Russophilie« der Herrschenden, verstärkt durch gemeinsame Sprache, Kul- tur und dieselben Informationskanäle. Neben dieser altherge- brachten Verbundenheit bietet der Kreml aber auch Kooperation im Kampf gegen Terrorismus und Drogen sowie Investitionen in Projekte, die andere externe Akteure wenig interessieren. Schließlich bildet die Föderation ein Gegengewicht zur westli- chen Einmischung in die zentralasiatische Innenpolitik (vgl. den Beitrag von Andrea Schmitz). De facto hat das benachbarte, energiereiche und wirtscha�lich erfolgreiche Kasachstan für Russland höchste Priorität, während die anderen Staaten eher auf Distanz gehalten werden. Moskau und Astana verbindet vor allem das Gefühl, dass die sow- jetische Faustformel von »Kasachstan und Zentralasien« immer noch gilt. Kirgisistan ist dabei vermutlich am unwichtigsten und zieht seine Bedeutung vor allem daraus, dass die USA und China Interessen an diesem Land signalisieren.

Unsicheres Terrain sichern

Die größte Bedrohung in der Region geht vom instabilen Afgha- nistan aus. Dies scha� eine Schni�menge politischer Interessen Moskaus mit den zentralasiatischen Regierungen im Kampf gegen Terrorismus und Drogen. Die russische Trump�arte ist

170 Russlands Rückkehr nach Zentralasien das Militär, mi�els dessen der Kreml glaubt, Sicherheitsgarantien versprechen zu können – ein Vorteil gegenüber anderen exter- nen Akteuren. Denn Russland ist traditionell mit Truppen vor Ort präsent. In Kirgisistan und Tadschikistan unterhält Moskau Stützpunkte. Im kirgisischen Kant entstand im Oktober 2003 eine Lu�waffenbasis, auf der Truppenkontingente im Rahmen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS), dem ehemaligen Taschkenter Abkommen, stationiert sind. In Tadschikistan stand die 201. Mot.-Schützen-Division als Peacekeeping-Truppe im Einsatz. 2004 wurde ihr Stationie- rungsort in eine Militärbasis umgewandelt. Nach Einschätzung des russischen Botscha�ers in Tadschikistan, Ramasan Abdul- latipow, wären russische Truppen die ersten, die im Fall einer Gefahr zu Hilfe kommen könnten, sodass der Stützpunkt als wichtige Sicherheitsgarantie gilt. Die militärische Präsenz in Tadschikistan, die Bodentruppen und eine Lu�überwachungs- station in Nurek umfasst, fällt um einiges robuster aus als die in Kirgisistan, was angesichts der Nähe zu Afghanistan kaum erstaunt (vgl. den Beitrag von Bernd Kuzmits). In den Jahren 2004/05 zog sich Russland von der tadschikisch- afghanischen Grenze zurück und beendete damit die Grenzkon- trolle eines Partnerlandes der Gemeinscha� Unabhängiger Staa- ten (GUS). Nach der Logik des »Russland kommt zuerst« hat die Sicherung des eigenen Territoriums höhere Priorität. Doch im Falle der Drogen verlaufen die Schmuggelrouten aus Afghanistan vor allem über Tadschikistan bis nach Russland (vgl. Karte auf S. 123). Dort nimmt der Heroinkonsum ebenso zu wie die damit verbundene Beschaffungskriminalität. Nach dem Rückzug aus Tadschikistan ergriff Russland eine Vielzahl von Maßnahmen: Das Land erhielt Hilfe, um eigene Grenztruppen aufzubauen. Außerdem überwacht Russland verstärkt die Demarkationslinie zu Kasachstan, die den russischen Staat vom Rest Zentralasiens trennt. Obwohl Präsident Putin 2006 die Grenzkooperation mit dem Nachbarland zu einer der Kernprioritäten erklärte, könnte es auch jederzeit zur Schließung der russisch-kasachischen Über- gänge kommen. Die Zusammenarbeit mit Usbekistan schreitet schneller voran, seit die europäischen und US-Verbündeten »Berührungs- ängste« hinsichtlich des Präsidenten Islam Karimow entwickelt

171 II. Strukturen und Lebenswelten picture-alliance/dpa/Shipenkov

Die Präsidenten Nursultan Nasarbajew (Kasachstan), Dmitri Medwedjew (Russ- land), Kurmanbek Bakijew (Kirgisistan), Islam Karimow (Usbekistan) und Alexander Lukaschenko (Weißrussland) anlässlich eines Treffens des Komitees der Sekretäre der Sicherheitsräte der OVKS in Moskau am 9. Februar 2009 (von links). haben. Im September 2006 fand eine bilaterale Militärübung zur Anti-Terror-Operation in der russischen Region Krasnodar sta�. Das Übungsszenario ging von einer Krise in Zentralasien aus, die Russland zum Eingreifen zwang. Nahe der afghanischen Grenze könnte sogar eine kleine russische Militärmission entstehen, um in diesem unberechenbarem Umfeld den Kern einer vorgelager- ten Verteidigung zu schaffen. Zusätzlich zu den bilateralen Beziehungen versucht Moskau auch die regionale Sicherheitskooperation zu fördern. Wichtigs- tes Instrument ist dabei die OVKS, der Russland, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Armenien angehören, während Usbekistan nach seinem Austri� 1999 sieben Jahre spä- ter wieder dazustieß. Zwar sieht die OVKS Strukturen und Ar- beitsgruppen im Kampf gegen Terrorismus, Drogenhandel und konventionelle Bedrohungen vor, aber bislang bestehen diese eher auf dem Papier. Bei den Moskauer Ambitionen, kooperative Sicherheitsstrukturen zu schaffen, steht der Kaspische Raum im Vordergrund. Im August 2006 kamen bei einem gemeinsamen

172 Russlands Rückkehr nach Zentralasien

Manöver der OVKS an der kasachischen Küste des Kaspischen Meeres 2500 Soldaten aus Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan zum Einsatz. Diese sollen die personelle Grundla- ge für eine gemeinsame Kaspische Marinegruppe bilden. Der Ausbau der OVKS vollzieht sich eher schleppend. Es er- scheint zweifelha�, ob sie sich in operationeller Hinsicht weiter entwickeln wird. Ein wichtiges Hindernis für eine multilaterale Sicherheitskooperation bildet die Verpflichtung, Informationen mit anderen Mitgliedern zu teilen. Weil eine gehörige Portion Misstrauen die Beziehungen zwischen den Ländern Zentral- asiens trübt, sind die Staaten zwar bereit, sich mit Moskau bila- teral in Sicherheitsfragen auszutauschen, nicht aber untereinan- der. Als Mitglied der OVKS dür�e Usbekistan in den Genuss von Binnenmarktpreisen für russische Rüstungsgüter kommen. Obgleich von vitalem Interesse für die russische Sicherheits- politik, hält sich Moskau offiziell von allen Initiativen fern, Af- ghanistan zu stabilisieren und argumentiert, Afghanistan sei nicht (mehr) »unser Krieg«. Sta�dessen unternehmen vor allem die USA und ihre europäischen Verbündeten gewaltige Anstren- gungen, von Kabul aus einen selbstständigen und lebensfähigen Staat zu schaffen. Dem Erfolg der International Security Assis- tance Force (ISAF) steht Russland keinesfalls gleichgültig ge- genüber, die Zusammenarbeit ist jedoch bislang unzureichend. Gleichwohl existieren nach wie vor Verbindungen nach Afgha- nistan. Vermutlich gehen Teile russischer Waffenlieferungen nach Zentralasien auch an alte usbekische und tadschikische Warlords der Nordallianz, weil diese als mögliche stabilisieren- de Krä�e angesehen werden. Auf jeden Fall geschieht dies im Verborgenen, offiziell ist Moskau daran nicht beteiligt. Der Aufstieg des Islamismus, sein Vordringen von Afghanis- tan aus und mögliche Verbindungen radikaler fundamentalisti- scher Gruppen aus Zentralasien wie der Hisb ut-tahrir al Islami mit Muslimen in Russland, erregen Aufmerksamkeit (vgl. den Beitrag von Anne�e Krämer). Politiker verweisen vor allem auf den Süden Kirgisistans, wo diese Gruppen vor einigen Jahren unkontrolliert agierten und das ganze Fergana-Tal gefährdeten. Freilich gelten sie bislang nicht als direkte Bedrohung für die Russische Föderation, denn zwischen dem Islamismus in Zen- tralasien und der Instabilität im Nordkaukasus scheint bislang

173 II. Strukturen und Lebenswelten bestenfalls im selben Glaubensbekenntnis eine Gemeinsamkeit zu bestehen. Zentralasien beherbergt zahlreiche Sicherheitsrisiken, die Moskau zu größerer Aufmerksamkeit für die innenpolitischen Entwicklungen der Region animieren sollten. Die Ereignisse im usbekischen Andischan im Mai 2005 warfen die Frage auf, wie Russland auf Erhebungen gegen das Regime und mögliche so- ziale und politische Unruhen reagieren solle. Die offizielle Posi- tion lautete: Nichteinmischung. Gleichzeitig hat der Kreml für ungünstige Szenarien Notfallplanungen erstellen lassen, und an- geblich verstärkten auch die russischen Geheimdienste ihre dies- bezüglichen Aktivitäten. Die informellen Netzwerke der früheren sowjetischen Sicherheitsdienste blieben erhalten und könnten im Krisenfall jederzeit wieder aktiviert werden. Doch bei den Unru- hen in Kirgisistan im März 2005 und im November des Folgejah- res beteiligte sich Russland kaum am Krisenmanagement. Es gab keinen sichtbaren Versuch, zwischen den Konfliktparteien zu ver- mi�eln. Sta�dessen versucht der Kreml, für alle Fälle gewappnet zu sein und demzufolge die eigene Au�lärung zu verbessern. Ein darüber hinausgehendes Engagement erscheint unwahr- scheinlich. Die Friedensmission im Tadschikischen Bürgerkrieg (1992-1997), die westliche Kommentatoren dazu veranlasste, Russland der Parteilichkeit und des neo-imperialen Verhal- tens zu bezichtigen, untergrub den Wunsch, sich militärisch in Konflikte der Region einzumischen. Auch wäre es schwierig, in der Heimat zu rechtfertigen, weshalb russische Wehrpflichtige ihr Leben aufs Spiel setzen müssten, solange die »Heimaterde« nicht direkt bedroht ist. Moskau würde sich vermutlich immer mit dem Gewinner interner Auseinandersetzungen arrangieren. Weil die zentralasiatischen Präsidenten wissen, dass ihre politi- sche Stellung alles andere als sicher ist, sehen sie Russland als potenzielles Exil an, und dies hil� sie fügsam zu halten.

Kapitalistisches Vorrücken

Die bargeldhungrigen zentralasiatischen Länder bieten at- traktive Möglichkeiten für russische Investitionen, da Anteile sehr preiswert erworben werden können. Russland hat sich in

174 Russlands Rückkehr nach Zentralasien

Nischen etabliert, die bei kommerziellen Investoren oder in- ternationalen Finanzinstitutionen unpopulär sind. Die Staats- chefs von Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan stehen im permanenten We�bewerb um russisches Kapital, da sie damit Wirtscha�swachstum schaffen, die Arbeitslosigkeit senken und die Armut bekämpfen können. Tadschikistan, das ärmste Land der GUS (vgl. Info-Kasten auf S. 79), das alleine 2004 insgesamt 18 Abkommen mit Russland unterzeichnete, profitiert hiervon am meisten. Vor allem im Energiesektor sind russische Unternehmen ak- tiver geworden, besonders bei Gas und Wasserkra�. Gazproms Versagen, in die Erschließung der arktischen Gasfelder zu in- vestieren, lässt die Bedeutung des zentralasiatischen Rohstoffes steigen. Turkmenistan ist ein wichtiger Lieferant, erweist sich aber als harter Geschä�spartner. 2006 hob es den Gaspreis von 65 auf 100 Dollar für tausend Kubikmeter an. Dies legte eine Di- versifizierung der zentralasiatischen Lieferanten nahe. Gazprom unterschrieb einen Vertrag mit Usbekistan und beabsichtigt, eine Milliarde Dollar zu investieren, um eine Verdreifachung der Gasimporte zu erzielen. Investitionen sind auch geplant, um die bestehenden Kapazitäten in Usbekistan und Kasachs- tan zu entwickeln und neue Pipelines zu verlegen (vgl. den Bei- trag von Hilmar Rempel u.a.). Tadschikistan bietet die lukrative Möglichkeit, in Wasserkra� zu investieren, was zu Sowjetzeiten einer seiner wichtigsten Aktivposten war. Staatsnahe russische Unternehmen initiierten gigantische Bauprojekte. Aber es gibt immer noch Vorbehalte, ob sich solche Projekte rechnen, zumal der Markt für tadschikische Elektrizität unsi- cher bleibt. Es müsste sehr viel in das Versorgungsnetz inves- tiert werden, um an Großverbraucher wie Russland oder China Strom zu liefern – angesichts hoher Gebirge keine leichte Aufga- be. Usbekistans staatliche Wärmegewinnung wäre durch preis- werteren Strom aus Tadschikistan gefährdet, während sich die Kau�ra� Afghanistans auf trostlosem Niveau bewegt. Zweitens ist der Wasserstand der kirgisischen und tadschikischen Flüsse infolge der durch den Klimawandel ausgelösten Eisschmelze in den Bergen gefallen. Die tatsächlichen Möglichkeiten könnten kleiner sein als die Erwartungen (vgl. den Beitrag von Jenniver Sehring).

175 II. Strukturen und Lebenswelten

Auch die Investitionen in den Bergbau wachsen. 2006 ver- handelte Russland mit Usbekistan über den Zugang zu Uran- lagerstä�en und die Beteiligung an einem Joint Venture an der Nawoi-Fabrik. Moskau beabsichtigt, mit Kasachstan gemeinsame Unternehmen für die Gewinnung und Anreicherung von Uran zu gründen, um es anschließend zu importieren. In Kirgisistan soll die Uranverarbeitung in der Einrichtung von Kara-Balta wie- der aufgenommen werden. Im Norden Tadschikistans wandelt Russland hochangereichertes waffenfähiges Nuklearmaterial in Brennstoffe um. Moskau plant offenbar, eine moderne Version des geschlossenen Brennkreislaufes aus der Sowjet-Ära wieder- zuerrichten, um zu einem globalen Lieferanten aufzusteigen. Doch die Zukun� der neu erworbenen Anteile erscheint bislang unsicher. Auf der einen Seite finden in Kasachstan und Kirgisistan derzeit neuerliche Umverteilungen privater Beteili- gungen sta�. Es ist nicht auszuschließen, dass ausländische, in erster Linie westliche, Unternehmen ihre Verträge neu verhan- deln müssen und Anteile zugunsten russischer, chinesischer und kasachischer Investoren verlieren werden. Die kanadische Firma PetroKasachstan wechselte 2005 bereits in chinesische Hände. Ebenso überprü� Kirgisistan erneut die Lizenzvergabe für seine Goldminen. Ein britisches Unternehmen fiel bereits durch das Raster. Jedoch haben russische Geschä�sleute die gleichen Probleme mit der örtlichen Korruption und der handelsüblichen Patronage wie alle anderen ausländischen Investoren auch. Dies führt zu Frustration und verringert den Enthusiasmus. Es könn- te angesichts des Geschä�sklimas in Zentralasien bei russischen Privatinvestoren ebenso eine Desillusionierung nach sich ziehen wie bei ihren westlichen Konkurrenten.

Sozialdemografie: Ärger im Blick?

Vor allem die Bevölkerungswanderungen von Zentralasien nach Russland kennzeichneten die Periode nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion (vgl. die Beiträge von Uwe Halbach und Mat- teo Fumagalli). Sowohl Angehörige der Bevölkerungsgruppen Russlands als auch zentralasiatische Arbeitsmigranten zog es in den Norden. Anfang der 1990er-Jahre herrschte die allgemeine

176 Russlands Rückkehr nach Zentralasien

Erwartung, die Anwesenheit ethnischer Russen in ehemaligen, nunmehr unabhängigen, Sowjetrepubliken könnte – ähnlich wie im Falle der Serben in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens – zu einer Quelle von Konflikten und Streitigkeiten werden. Diese Befürchtungen haben sich mi�lerweile verflüchtigt. Für Mos- kau hat die Sorge um die eigenen Landsleute in den Staaten der Region an Bedeutung eingebüßt, besonders weil außerhalb von Kasachstan nur noch sehr wenige Russen leben. Dort erscheint das Thema allerdings nach wie vor schwie- rig. Ethnische Russen machen 25,9 Prozent der 15,3 Millionen Bürger Kasachstans aus. Sie stellen damit die größte Minderheit des Landes. Konfliktpotenzial sah man während des Übergangs zur Unabhängigkeit vor allem zwischen Russen und Kasachen. Insbesondere der russischen Bevölkerung im industrialisier- ten Norden des Landes galt die Sorge, weil dieser Anfang der 1990er-Jahre besonders hart von der Wirtscha�skrise getroffen wurde. Seinerzeit führten die nationalistische Rhetorik der kasa- chischen Führung, die besseren ökonomischen Perspektiven in Russland und die Unsicherheit über die Zukun� ihrer Kinder zu einem Exodus von rund 1,7 Millionen Russen. Der Rest, vor allem die Stadtbevölkerung, suchte nach Möglichkeiten, sich den neuen Verhältnissen anzupassen. Doch die Ängste vor einer He- rabstufung der eigenen Sprache und Kultur haben sich verflüch- tigt. Russisch erhielt 1995 den Status einer mit dem Kasachischen gleichberechtigten Sprache und wird in allen Lebensbereichen verwendet, Kasachisch hält als Verkehrssprache nur zögerlich Einzug. Dies führte eher zu einem Gefühl des Unbehagens und der Unsicherheit als zu echten Schwierigkeiten. Viele städtische Kasachen sind mehr oder weniger russifiziert. Kulturelle Unter- schiede kommen deshalb kaum zum Tragen. Russen werden von Schlüsselpositionen der Politik ausge- schlossen, aber das geschieht auch vielen Kasachen, die nicht zu den richtigen Netzwerken gehören. Die Nasarbajew-Führung ist mi�lerweile zu dem Schluss gelangt, dass die Russen keine Bedrohung darstellen, sondern wesentlicher Bestandteil der Bevölkerung sind. Angesichts der unzähligen russischen Mana- ger und dringend benötigter Facharbeiter ist dies ein durchaus pragmatischer Ansatz. Einen Russen in eine Stellung zu beru-

177 II. Strukturen und Lebenswelten fen, kann manchmal auch ein geschickter Schachzug sein, wenn es Rivalitäten zwischen verschiedenen kasachischen Gruppie- rungen gibt. Das Regime ist daran interessiert, zu Moskau weiterhin gute Beziehungen zu unterhalten und behandelt deswegen die eth- nischen Angehörigen des Nachbarlandes angemessen. Infolge dessen verringerte sich der Strom der Russen aus Kasachstan zu einem Rinnsal. Manche Auswanderer mussten auch feststellen, dass sie sich im modernen Russland nicht mehr heimisch fühl- ten und kehrten deshalb zurück. Obwohl ihre politische Rolle schwächer geworden ist, bleiben sie eine politisch loyale und ökonomisch aktive Kra�. Auch die hochstilisierte Frage um die Russen in Turkmenis- tan spielt kaum noch eine Rolle, seit das turkmenische Regime die Visa-Erteilung für russische Staatsbürger erleichtert hat. Zudem vereinfachte Moskau das Verfahren zur Erlangung der russischen Staatsangehörigkeit für Rücksiedler, was potenziellen »Heimkehrern« einige Ängste nahm. Die Verbliebenen haben es mit der Auswanderung nicht eilig, solange sie nicht dazu ge- drängt werden. Die Unruhen in Kirgisistan nach den Wahlen im Frühjahr 2005 verstärkten zwar die Emigration, aber als die Lage sich wieder stabilisierte, ließ auch der Wunsch auszureisen nach. Weil Moskau sich von den nationalistischen Maßnahmen der Bakijew-Regierung, wie beispielsweise den offiziellen Status der russischen Sprache herunterzustufen, wenig beeindrucken lässt, bleibt ein Eingreifen unwahrscheinlich. Weil die russische Bevölkerung schrump� – von 143,9 Milli- onen im Jahr 2004 auf 142,5 Millionen zwei Jahre später, für 2015 werden 136,7 Millionen und für 2050 111,8 Millionen prognosti- ziert –, ermuntert die Moskauer Regierung all jene zurückzukeh- ren, die Beziehungen zu Russland haben. Eine Arbeitsgruppe, eingerichtet unter Präsident Putin, entwickelte ein staatliches Rückkehrerprogramm, für das 240 Millionen US-Dollar bereit- gestellt wurden. Der Föderale Migrationsdienst unterhält Büros in Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan, die für die Ein- wanderung werben. Unterdessen gib es einen relevanten, nicht erwarteten Zufluss verarmter Migranten: Russland dient als Markt für Zentralasiens wichtigsten Exportartikel – seine Arbeitskrä�e. Das überall in

178 Russlands Rückkehr nach Zentralasien russischen Städten augenfällige Wirtscha�swachstum entfaltet eine gewaltige Sogwirkung: Das Ausmaß der Arbeitsmigration aus Zentralasien steht Schätzungen zufolge in proportionalem Verhältnis zur Größe der Länder: Beispielsweise arbeiten eine Million Tadschiken, vor allem Männer, jährlich in Russland – ein Siebtel der Bevölkerung. Ihre Überweisungen nach Hause, die auf 600 Millionen US-Dollar geschätzt werden, überschreiten das tadschikische Staatsbudget. Etwa 700 000 der knapp vier Millio- nen Bürger Kirgisistans arbeiten in Russland. Hier belaufen sich die Überweisungen auf rund 500 Millionen US-Dollar, doppelt soviel wie das Land an Entwicklungshilfe erhält. Migration ist das wichtigste Sicherheitsventil in der Region. Vom Einkommen ganz abgesehen verringert die Migration das soziale Protestpotenzial, indem sie den Gesellscha�en »wüten- de junge Männer« entzieht, die zu möglichen Unruhesti�ern werden könnten. Die zentralasiatischen Staaten macht dies ge- genüber Veränderungen der russischen Migrationspolitik ver- wundbar. Deshalb sind ihre Regierungen daran interessiert, den aktuellen Trend zu verstetigen, weil er ihre Zukun� sichert. Aus diesem Grund haben Kirgisistan und Tadschikistan 2006 mit Russland entsprechende Abkommen geschlossen. Die Bürger Tadschikistans können nun in verschiedenen russischen Städten Pässe erhalten und sich in der neuen Heimat an den tadschiki- schen Parlaments- oder Präsidentscha�swahlen beteiligen. Und Anfang 2007 trat in Russland ein neues Gesetz zur Registrierung von Migranten in Kra�, das deren Aufenthaltsbedingungen ver- bessern soll.

Zivilisatorische Mission?

Nach den Worten von Benjamin Disraeli zeigt Russland zwei Ge- sichter: ein asiatisches, das immer nach Europa blickt, und ein europäisches, das immer nach Asien blickt. Diese Dualität drückt Russlands kulturelles und zivilisatorisches Selbstverständnis aus, das sich jedoch unter den neuen Verhältnissen verändert hat. All- gemein verstehen sich die Zentralasiaten als Teil der Geschich- te des Russischen Reiches oder der Sowjetunion, aber nicht im Sinne einer Kolonialerfahrung. In gewisser Hinsicht hat der sow-

179 II. Strukturen und Lebenswelten jetische Internationalismus in der Region ja auch funktioniert. Da die russische und sowjetische Kultur sozial konservativer ist, fand sie einen Weg, um mit den zentralasiatischen Gesellscha�en zu koexistieren. Seit der Konsolidierung ihrer nationalstaatlichen Unabhängigkeit wissen die Zentralasiaten dieses Erbe stärker zu schätzen, zumal die Angst vor kulturellen Übergriffen, wenn nicht sogar einer kulturellen Absorption durch Iran, Pakistan und China zunimmt. Einige Zentralasiaten verweisen sogar darauf, dass ihr Entwicklungsniveau auf dem Afghanistans läge, wären sie nicht Teil des russischen und sowjetischen Staates gewesen. Die Bedeutung der russischen Sprache und Kultur ist unge- brochen. Russisches Fernsehen bildet die wichtigste Quelle für Information und Unterhaltung. Seit die Universitäten und akade- mischen Netzwerke wieder materielle Zuwendungen erfahren, verstärken sich die sozialen Bande mit Russland. Der jüngeren Generation, die kulturell weniger stark mit Moskau verbunden ist, wird Aufmerksamkeit geschenkt, indem junge Menschen Stu- dienplätze an russischen Universitäten erhalten oder Einrichtun- gen in Kirgisistan und Tadschikistan gefördert werden. Russische Schulen in Tadschikistan akzeptieren auch begabte nicht-russi- sche Kinder. Die einzige Schule, die eine vernün�ige Bildung in Turkmenistan anbietet, ist die der Russischen Botscha�, die eben- falls örtliche Kinder aufnimmt. Solche kleinen Schri�e helfen, die Verbindungen nach Russland auch für die nächste Führungsge- neration zu erhalten, zumal alternative Angebote meistens aus muslimischen Staaten kommen, denen die säkularen zentralasia- tischen Eliten eher mit Argwohn begegnen. Obwohl Moskau seine zivilisatorische Rolle gerne erhalten möchte, sind die Bedingungen, unter denen die zentralasiati- schen Arbeitskrä�e in Russland leben, dafür die schlechteste Werbung. Die Migranten werden vielerorts schlecht behandelt und ausgegrenzt. Was sie kennenlernen, ist nicht das aufgeklärte Zentrum der Zivilisation, das sich um seine »Gastarbeiter« küm- mert, sondern ein brutaler Ort, an dem sie als Fremde stigmati- siert werden. Viele junge Russen haben ein Problem, Zentralasi- en überhaupt auf der Landkarte zu finden. In seinen Einwohnern sehen sie nur Straßenkehrer und ungelernte Arbeitskrä�e. Die entwürdigende Alltagssituation der Arbeitsmigranten trägt dazu bei, die Anziehungskra� des Islamismus zu verstär-

180 Russlands Rückkehr nach Zentralasien ken. Weil die Migranten selten unter anderen Muslimen leben oder dort, wo es Moscheen gibt, müssen Gläubige ihre Gebete und religiösen Gebräuche selbst organisieren. So entstehen Nischen is- lamischen Lebens, die für andere verschlossen bleiben und in der Regel »Gastarbeiter« einer Gegend zusammenführen. Wie radikal sie werden, hängt von ihrem Mullah (geistlicher Führer) ab. Eine solche islamistische Alternative stünde, wenn sie wächst und sich weiterentwickelt, in direkter Opposition zu Russlands zivilisato- rischer Botscha�. Die kulturellen Verbindungen erklären auch das Verhältnis der zentralasiatischen Staatschefs zu Moskau. Da sie über eine kulturelle Affinität zu Russland verfügen und mit den Mechanis- men des dortigen Systems vertraut sind, fällt es ihnen leicht, Mos- kaus Interessen und die Art seines Engagements zu verstehen. Aus dem gleichen Grund fühlen sie sich ihren westlichen Gegen- übern unterlegen: Das speist sich aus der Wahrnehmung, für den Westen nur eine geringe Rolle zu spielen, und von dessen »Demo- kratisierungsdiskurs« auf die Stra�ank verbannt worden zu sein. Anfang der 1990er-Jahre waren die westlichen Systeme eine Terra Incognita und ihnen wurde eine hohe Achtung entgegengebracht. Unterdessen ist das Terrain sondiert und der anfängliche Enthu- siasmus gewichen. Nun haben die Regime wieder ein stärkeres Interesse am Kreml, um dessen Aufmerksamkeit sie buhlen. Überdies hat Putins Modell der »souveränen Demokratie« nach dem Aufstieg des Islams zusätzlich an Anziehungskra� gewonnen. Die westlichen Anstrengungen zur Förderung von Demokratie wirken ohnmächtig gegenüber einem militanten Dschihadismus. Da in Zentralasien lediglich die Wahl zwischen »Islamisten« oder säkularen »starken Männern« zu bestehen scheint, wirkt Russlands politische Verfasstheit vergleichsweise a�raktiv. Und Putin sowie sein Nachfolger im Präsidentenamt taugen als gutes Rollenmodell für zentralasiatische Führer.

Regionalismus: Vereint im Misstrauen

Traditionell setzte Moskau auf maßgeschneiderte bilaterale Be- ziehungen, um Einfluss zu nehmen. Obwohl das Misstrauen gegenüber regionalen Strukturen unverändert groß ist – das

181 II. Strukturen und Lebenswelten liegt vermutlich vor allem am traurigen Schicksal der GUS –, unternahm der Kreml dennoch erhebliche Anstrengungen, um in Zentralasien ein regionales Format zu entwickeln. Wie so o�, wenn Regionalismus konstruiert wird, sind die stärkeren Staa- ten federführend und versuchen dabei, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Negativ betrachtet, kann Regionalismus durchaus als ein Instrument gelten, um Hegemonie auszuüben. Positiv gese- hen können regionale Organisationen mehr Transparenz und Verlässlichkeit ermöglichen als bilaterale Vereinbarungen mit einem starken Staat. Wie ein zentralasiatischer Diplomat sagte: »Mit den Chinesen in einem Raum können die Russen nicht auf ihre üblichen Tricks zurückgreifen.« Anders als die Europäische Union (EU) oder das Entwick- lungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), die regiona- le Zusammenarbeit per se für gut halten, bildet Regionalismus für den Kreml lediglich ein Mi�el zum Zweck. Moskaus Hori- zont umfasst mächtige ökonomische, sicherheitspolitische und ideologische Interessen. Zunächst schienen die Verbindungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gekappt, was die wirtscha�liche Entwicklung nachhaltig bremste. Investoren sind besorgt über die veraltete und schlechte Infrastruktur in den Be- reichen Transport und Kommunikation. Wenn russische Unter- nehmen wieder in den Energiebereich der Region investieren, müssen die Staaten erstens Pipelines, Stromversorgungsnetze und Straßen ausbauen, um den Transit zu ermöglichen. Deshalb muss Russland bessere Beziehungen zwischen den zentralasi- atischen Staaten fördern, will es große regionale Projekte vor- anbringen. Da zweitens Bedrohungen wie Drogenhandel oder Islamismus grenzüberschreitend sind, gelingt sicherheitspoliti- sche Kooperation nur im Falle gemeinsamer Operationen und des Austauschs von Informationen. Dri�ens würde es auch nicht schaden, wenn die Zentralasiaten Moskaus außenpolitische Agenda unterstützen würden, etwa die GU(U)AM-Gruppe (Ge- orgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldawien) oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aus der Region zu drängen. Die Regionalisierungspolitik wurde Ende 2004 initiiert. Die wichtigsten Strukturen bilden neben der bereits erwähnten OVKS die Eurasische Wirtscha�sgemeinscha� (EURASEC) und

182 Russlands Rückkehr nach Zentralasien die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Zur EURASEC gehören Kasachstan, Kirgisistan, die Russische Föde- ration, Weißrussland, Armenien, Tadschikistan und seit Januar 2006 wieder Usbekistan, nachdem die strategische Partnerscha� zu den USA zerbrach. Die Organisation entstand aus einer Zoll- union, die im Mai 2002 in die EURASEC umgewandelt wurde und im Oktober 2005 mit der Zentralasiatischen Organisation für Zusammenarbeit verschmolz. Sie soll einen gemeinsamen Kapital- und Arbeitsmarkt sowie freien Binnenhandel schaffen und die Handelspolitik harmonisieren. Doch zwischen den einzelnen Staaten zu vermi�eln, ist an- gesichts ihrer schlechten Beziehungen untereinander eine un- dankbare Aufgabe. Usbekistan bleibt trotz seiner Annäherung an Russland ein problematisches Land. Seine guten Beziehun- gen zu Moskau bereiten den schwächeren Nachbarn Sorgen, die unter der Politik Taschkents leiden. So sind etwa die usbekisch- tadschikischen Beziehungen seit der Unabhängigkeit beson- ders feindselig, Ausweisungen und Spionageskandale im Som- mer 2006 trugen zu einer weiteren Verschlechterung bei. Diese Konflikte, in denen sich beide Staaten wegen einer Lösung an Russland wandten, könnten Moskau in eine kontraproduktive Auseinandersetzung hineinziehen. Zur SOZ zählen die Russi- sche Föderation, China, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan. Dies drückt Russlands und Chinas Verpflichtung gegenüber Zentralasien aus, die sich aus gemeinsamen Sicher- heitsinteressen und Risikowahrnehmungen speist. Die SOZ ist zu einem Mi�el geworden, die russisch-chinesische Allianz zu fördern. China spielt dabei eine Schlüsselrolle. Der Sitz des Hauptquartiers ist in Peking, und die Volksrepublik trägt das Gros der Verwaltungskosten und steuert maßgebliche Mi�el zum Entwicklungsfonds bei, um Investitionsprojekte in Zen- tralasien zu finanzieren. Auch die sicherheitspolitische Zusam- menarbeit entwickelt sich, beispielsweise mi�els gemeinsamer Übungen für Friedensmissionen. Auch einigte sich die SOZ auf eine gemeinsame Haltung zur US-Militärpräsenz in der Region. Im März 2006 fand zudem in Usbekistan ein großes gemeinsa- mes Manöver sta� (vgl. den Beitrag von Christian Becker). Dennoch gibt es zu wenige konkrete Aktivitäten, um zu er- kennen, in welche Richtung sich die Organisation entwickeln

183 II. Strukturen und Lebenswelten wird. Zumindest Washington zeigte sich bereits durch deren plötzlichen Bedeutungszuwachs alarmiert. Spekulationen darü- ber, wie Schwächen der SOZ ausgenutzt werden könnten, dro- hen die Entfremdung zwischen dem Westen und Russland zu verstärken. »Regionalismus« in Zentralasien könnte zu einem Vehikel russischer Rivalität mit den USA und deren Verbünde- ten werden, wenn es nicht gelingt, diese konstruktiv an den von Peking und Moskau geführten Strukturen zu beteiligen. Der Regionalismus erfüllt für den Kreml zwei Funktionen: Zum einen soll er wirtscha�liche und sicherheitspolitische Pro- bleme lösen; zum anderen demonstrieren, dass Russland bei Be- darf Krä�e für seine Interessen mobilisieren kann. Ob Letzteres zum Tragen kommt, hängt von der Reaktion des Westens ab. Wenn amerikanische oder europäische Staatschefs die Rhetorik des »Great Games« verstärken, könnte dies zu einer klassischen Self-Fulfilling Prophecy werden. Wenn die SOZ sich dagegen selbst überlassen bleibt, gibt es für Russland keinen Anlass, den Weg zu einer machtpolitischen Konkurrenz im Sinne des »Great Game« einzuschlagen.

Spiel beschränkter Leidenscha�en

Russlands Vorteil liegt darin, dass sich in Zentralasien der anti- westliche Trend verstärkt hat, seit die Demokratisierungsrhe- torik auch die Ost-West-Beziehungen prägt. Für Liebhaber des »Großen Spiels« sind aufregende Zeiten zurückgekehrt. Als die tadschikische Regierung 2003 die russischen Grenztruppen nö- tigte abzuziehen, vermutete Moskau, dies sei mit dem verdeck- ten Segen der USA geschehen. Als 2005 die USA aufgefordert wurden, ihre Militärbasis in Usbekistan zu verlassen, zeigte sich Russland sehr zufrieden und begann ein Jahr später die »Demili- tarisierung des Kaspischen Raums« zu verlangen. Lediglich die Anrainerstaaten sollten Militär im Kaspi-Raum stationieren dür- fen. Dies zielte darauf ab, die von den USA geförderte Sicherheits- initiative »Caspian Guard« zu torpedieren. Nach der »Rosenre- volution« in Georgien im November 2003 keimte in Zentralasien der Verdacht auf, der Westen habe die »farbigen Revolutionen« orchestriert. Dies gab Moskau einen Trumpf in die Hand, sich

184 Russlands Rückkehr nach Zentralasien picture-alliance/dpa/Belousov

Gruppenfoto des SOZ-Gipfels am 2. November 2007 in Taschkent. den zentralasiatischen Führern als »Freund in der Not« zu emp- fehlen. Die OSZE, die als Dialogforum zwischen Ost und West in Zentralasien gestartet war, hat sich in ein Schlachtfeld ver- wandelt. Sowohl die NATO als auch die GU(U)AM, die als anti- russisch wahrgenommen werden, befinden sich in der Region auf dem Rückzug. Außer Kasachstan haben sich alle zentralasi- atischen Staaten in unterschiedlichem Maße vom Westen abge- wandt und ihre Außenpolitik neu ausgerichtet. Gleichzeitig lässt sich sagen, dass die USA und die EU durch ihre Kritik nach Andischan und ihre geäußerte Besorgnis hin- sichtlich der Menschenrechte de facto das Feld für Russland und China freigemacht haben. Die Demokratisierungsrhetorik be- reitete dafür den Boden und sorgte unter den lokalen Eliten für große Frustration. Doch vor allem wäre es falsch anzunehmen, dass die zentralasiatischen Führer bloße Bauern im Schach der Großmächte wären. Sie haben selbst die Figuren in der Hand, können andere manipulieren oder gegeneinander ausspielen, wenn es um Energieabkommen, Stationierungsrechte oder po- litische Privilegien geht. So konnten sie zwischen 2004 und 2006 die wachsende Entfremdung Russlands von der OSZE dazu nut- zen, unerwünschte politische Einmischungen der Organisation abzuweisen.

185 II. Strukturen und Lebenswelten

Die Vernun�ehe mit Russland wird vermutlich anhalten, so- lange die Partner zufrieden sind. In einigen Jahren besteht durch- aus die Möglichkeit, dass die Beziehungen zum Kreml abkühlen. Dann könnte eine neue Generation zentralasiatischer Politiker sich wieder um Washington oder Brüssel bemühen. Moskau ist sich darüber im Klaren, dass der derzeitigen Annäherung reiner Opportunismus zugrunde liegt. Aber dies macht es Russland ebenfalls möglich, seinen Vorteil zu suchen. Was ein gemeinsames Engagement mit dem Westen in Bezug auf Zentralasien angeht, verhielt sich der Kreml bislang ambiva- lent und versuchte, auf der eigenen außenpolitischen Unabhän- gigkeit zu beharren. Einerseits ist die russische Führung nicht per se gegen eine Zusammenarbeit, andererseits spürt Moskau, dass Russland bereits eine starke Ausgangsposition in der Re- gion hat und es nicht erforderlich ist, dafür eine komplizierte Partnerscha� einzugehen. Die punktuelle Zusammenarbeit im Kampf gegen Drogen oder Terrorismus dauert jedoch an. Aber weder die EU noch die USA versuchen, die Partnerscha� mit Russland zu vertiefen. Beide sind dabei, ihre Zentralasien-Politik nach mehreren Rückschlägen neu zu definieren. Die EU ist unsicher, wie sie aus der Sackgasse nach Andi- schan wieder herauskommen soll und ein aktiverer Spieler wer- den könnte. Es ist nicht leicht, unter 27 Mitgliedern einen außen- politischen Konsens zu erreichen: Während Deutschland eine europäisch-russische Politik gegenüber Zentralasien propagiert, sind andere stärker transatlantisch orientierte EU-Mitglieder vorsichtiger. Schließlich erscheint China als aufsteigender Stern der Geo- politik. Es hat seine Investitionen im Energiesektor erhöht und könnte kün�ig zu Russlands wichtigstem Konkurrenten um die zentralasiatischen Ressourcen werden. China bleibt für Russ- land schwer einzuschätzen, aber das Engagement mit dem star- ken Nachbarn erlaubt es Moskau auch, diesen unter Kontrolle zu halten. Für manche amerikanische Beobachter ist Chinas Auf- stieg das schwierigste Thema auf Russlands außenpolitischer Tagesordnung. Dass der Westen, Russland und China in einigen Sphären zu- sammenarbeiten, in anderen konkurrieren, erscheint selbstver- ständlich. Wenn man die »Freiheits-Agenda« der USA beiseite

186 Russlands Rückkehr nach Zentralasien lässt, erwächst die Bedeutung Zentralasiens vor allem aus der amerikanischen Sicherheitspolitik gegenüber Afghanistan, Iran und China. Peking irritiert die wachsende Militärpräsenz der USA in der Region, vor allem die US-Lu�waffenbasis im kirgisi- schen Manas, direkt an der chinesischen Westgrenze. China be- fürchtet, dass die Anwesenheit von US-Militär anti-kommunisti- schen Regime-Kritikern im eigenen Land Au�rieb geben könnte. Für Moskau waren vor allem die Demokratieförderung durch die USA, die »farbigen Revolutionen« vor der eigenen Haustür und der ideologische Kreuzzug der Bush-Administration höchst besorgniserregend, weil sie für die eigene innenpolitische Lage unangenehme Implikationen ha�en. Sollte es noch einmal zu einer derart massiven Bedrohung vom Ausmaß des 11. Septem- ber kommen, könnten sich diese Gegensätze wohl auflösen, da alle Parteien bemerken würden, dass sie ähnliche Sicherheitsin- teressen verfolgen.

Ein langer Weg

Entgegen den Erwartungen, dass Russlands Einflussverlust in Zentralasien von Dauer sei und sich sogar vertiefen werde, ist Moskau in die Region zurückgekehrt. Seit Putins zweiter Amtszeit verfügt Moskau über neue Instrumente und hat seine Außenpo- litik neu ausgerichtet. Der sicherheitspolitische Aspekt gewinnt zunehmend an Bedeutung und wird Russlands Engagement auf Dauer prägen, weil Bedrohungen wie eine gravierende Destabi- lisierung Afghanistans oder der Dschihad-Islamismus bestehen bleiben. Die zentralasiatischen Eliten begrüßen Moskaus Sicher- heitspräsenz und nehmen Russland als eine Macht wahr, die den Status quo garantiert. Die energie- und wirtscha�spolitischen Entscheidungen sind wichtig, aber nicht entscheidend, sodass Russland Rückschläge auf diesem Feld verkra�en kann. Sollten sich Moskaus »Pilotprojekte« in Zentralasien als erfolgreich er- weisen, könnten sie in kün�ige Strategien für andere Länder des postsowjetischen Raums einfließen: Etwa wie sich die Angst vor »farbigen Revolutionen« schüren lässt oder wie Migration zu re- gulieren ist, Russen in die Heimat zurückgeführt werden können oder Regionalismus als Integrationsinstrument zu nutzen ist.

187 II. Strukturen und Lebenswelten

Der Dschihad (arab. jihad, wörtlich aus dem Arabischen: sich bemühen) bildet neben den fünf klassischen Säulen (Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Al- mosen, Pilgerfahrt) ein weiteres wichtiges Prinzip des Islams. Die klassische juristisch-moralische Lehre des Islam unterscheidet zwei Formen des Dschihad. Der »große Dschihad« meint das Streben, die ei- genen Schwächen und Laster zu überwinden, ein go�gefälliges Leben zu führen und den islamischen Glauben durch Wort und vorbildhaf- tes Verhalten zu verbreiten. Der »kleine Dschihad« verlangt von den Gläubigen das Gebiet des Islam zu verteidigen und auszudehnen, wenn nicht anders, dann auch durch Gewaltanwendung innerhalb der von den muslimischen Juristen gesetzten Grenzen. Ein Koranvers, der o� als Grundlage der kriegerischen Form des Dschihad herange- zogen wird, lautet: »Kämp� gegen diejenigen, die nicht an Allah und an den Jüngsten Tag glauben, und die das nicht für verboten erklä- ren, was Allah und Sein Gesandter für verboten erklärt haben, und die nicht dem wahren Glauben folgen – von denen, die die Schri� erhalten haben, bis sie eigenhändig den Tribut in voller Unterwerfung entrich- ten.« (Sure 9, 29) (bc)

Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Obwohl Russland über viel Geld verfügt, sind erstens die Bedürfnisse Zentral- asiens so groß, dass sie keine externe Macht befriedigen kann. Russische Investoren könnten außerstande sein, die hohen Er- wartungen zu erfüllen. Bereits jetzt machen sie ihre Erfahrungen mit den örtlichen Realitäten. Zweitens ist Moskaus Möglichkeit sehr begrenzt, innere Entwicklungen Zentralasiens zu beeinflus- sen. Der Kreml kann zwar Einblick in politische Prozesse gewin- nen und sich auf mögliche Unannehmlichkeiten vorbereiten, aber nicht die Rolle des »Königsmachers« übernehmen. Dri�ens könnte Russland seine kulturelle und zivilisatorische Missi- onsrolle ausgespielt haben, weil die eigene Gesellscha� immer chauvinistischer und fremdenfeindlicher wird. Viertens könnte die geopolitische Rivalität mit dem Westen einen Bumerang-Ef- fekt haben und sinnvolle Sicherheitskooperationen im Fall einer schweren Bedrohung behindern. Innenpolitische Entwicklungen

188 Russlands Rückkehr nach Zentralasien in Russland könnten die Aufmerksamkeit absorbieren und Russ- lands Möglichkeiten verringern, sich zu engagieren. Schwer vorstellbar erscheint jedoch, dass in einem der Län- der ein anti-russisches Regime an die Macht gelangen könnte. Anders als in Georgien gibt es nicht die Wahl zwischen dem Westen und Russland, sondern lediglich zwischen Russland und der islamischen Welt. Und wenn es um eine säkulare Ver- fassung geht, erscheint Russland als akzeptablere und vertrau- tere Version Europas. Solange Moskau mächtig bleibt, ist eine engere Anlehnung der zentralasiatischen Staaten an die islami- schen Nachbarn Iran, Afghanistan und Pakistan kaum zu erwar- ten. Die betroffenen Gesellscha�en fürchten sogar, die sozialen und politischen Errungenscha�en der Sowjet-Ära zu verlieren. Gleichzeitig sind auch die Ressentiments gegen eine mögliche kulturelle und ökonomische Dominanz Chinas groß. Doch auch Moskaus Ansprüche werden mit Vorsicht be- trachtet. Die Sehnsucht nach einem russischen Diktat ist schwach ausgeprägt. Je nach Angebot zwischen den Machtzentren zu schwanken, dür�e zukün�ig viel eher die Außenpolitik der zen- tralasiatischen Länder bestimmen. Als Erfolg versprechendstes Szenario für deren Führungen erscheint es, zwischen Russland und dem Westen eine Balance zu finden und sich jeweils an den rivalisierenden Partner zu wenden, wenn der Preis für die ande- re Beziehung zu hoch ausfällt. Moskau ist sich bewusst, dass die Zentralasiaten nicht antiwestlich oder per se prorussisch sind, sondern die Gezeiten momentan zu Moskaus Gunsten stehen. Während zentralasiatische Führer es gegenwärtig leichter fin- den, mit Moskau zu kooperieren, könnte eine geänderte westli- che Haltung sie auch wieder dem Kreml entfremden. Die beste Option für Russland, die USA und Europa wäre, untereinander eine bessere Zusammenarbeit zu erreichen, da sich im Grunde ihre Interessen wechselseitig nicht ausschließen.

Anna Matwejewa

189 picture-alliance/dpa/Kochetkov

Am 13. Mai 2005 starben Hunderte Menschen im usbekischen Andischan, als Sicherheitskräfte eine Kundgebung auflösten – im Bild ein trauender Angehöriger eines der Opfer. Offizielle Angaben sprechen von 187 Toten, Menschenrechtler sogar von 500 und mehr getöteten Demonstranten. Die usbekische Regierung verlautbarte, die Polizei habe in Andischan den Versuch islamistischer Terroristen niedergeschlagen, die Regierung zu stürzen. Westliche Journalisten hingegen berichteten über wachsende wirtschaftliche Not, Repressalien gegen Oppositionelle und die Medien sowie Miliz-Willkür, die offenbar zu Auslösern für die Unruhen wurden. Nach den Massentötungen wurden Augenzeugen und Angehörige der Toten eingeschüchtert, bedroht und inhaftiert. Weil sich die usbekische Regierung weigerte, eine unabhängige internationale Untersuchung der Ereignisse zuzulassen, verhängte die Europäische Union (EU) Sank- tionen gegen Usbekistan, entschied sich jedoch gleichzeitig dafür, mit Taschkent im Dialog zu bleiben. Dabei orientiert sie sich bis heute nicht an eindeutigen Kriterien. Das schwächt den Zusammenhalt und die Nachhaltigkeit der europäischen Menschenrechtspolitik. Ohne Konsequenz? Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan

Im November 2006 überprü�e die Europäische Union jene Sank- tionen, die sie nach dem Massaker in Andischan ein Jahr zuvor gegen Usbekistan verhängt ha�e. In der ostusbekischen Stadt waren im Mai 2005 mehrere hundert Menschen bei einer großteils friedlichen Demonstration durch den Einsatz von Sicherheits- krä�en ums Leben gekommen. Während die Staatsführung unter Islam Karimow bis heute daran festhält, dass es sich bei dem Ein- satz um die Niederschlagung eines die verfassungsmäßige Ord- nung gefährdenden Aufstandes gehandelt habe, sah der Rat der EU in den Vorgängen einen »exzessiven, unangemessenen und wahllosen Einsatz von Gewalt durch usbekische Sicherheitskräf- te«. Nach dem Massaker von Andischan schloss sich die EU den Stellungnahmen internationaler Menschenrechtsorganisationen an und forderte die usbekische Regierung in mehreren Ratsbe- schlüssen auf, eine unabhängige internationale Untersuchung der Ereignisse zuzulassen. Als Usbekistan die gesetzten Fristen mehr- fach verstreichen ließ, verhängte der Rat am 14. November 2005 Sanktionen. Diese umfassten drei Elemente: Erstens wurde Personen, die für die unterschiedslose und unverhältnismäßige Gewaltanwen- dung vor Ort und für die Behinderung einer unabhängigen Unter- suchung direkt verantwortlich sind, die Einreise in die EU verbo- ten. Zweitens dur�en Waffen, militärisches Material und sonstige Ausrüstung, die zur Repression im Inneren verwendet werden könnten, nicht nach Usbekistan ausgeführt werden. Dri�ens wur- den technische Gespräche im Rahmen des Partnerscha�s- und Kooperationsabkommens der EU mit Usbekistan ausgesetzt. Die Sanktionen galten zunächst für ein Jahr und sollten in diesem Zeitraum vom Rat überprü� werden, um festzustellen, ob eine deutliche Verbesserung der Lage erkennbar wäre. Der Ratsbeschluss aus dem Jahr 2005 legte Kriterien fest, anhand derer Fortschri�e gemessen werden sollten. Besonderes Augen- merk galt der Durchführung und den Ergebnissen laufender Gerichtsverfahren gegen Personen, die der Ansti�ung zu Un- ruhen in Andischan oder der Beteiligung beschuldigt wurden

191 II. Strukturen und Lebenswelten sowie generell Personen, die inha�iert und drangsaliert wurden, weil sie die Version der usbekischen Behörden über die Ereig- nisse angezweifelt ha�en. Laut Beschluss des Rates betrachtete die EU zudem die Zusammenarbeit Usbekistans mit unabhän- gigen internationalen Berichtersta�ern sowie die Ergebnisse einer nachfolgenden Untersuchung als Voraussetzung für eine Abänderung ihrer Sanktionspolitik. Auf dem Prüfstand befand sich insgesamt die Bereitscha� der usbekischen Behörden, die Grundsätze der Achtung der Menschenrechte, der Rechtsstaat- lichkeit und der Grundfreiheiten einzuhalten. Bei der Überprüfung des Maßnahmenkataloges der Sank- tionen traten Großbritannien und die Niederlande für eine uneingeschränkte Verlängerung ein, während Deutschland sich für eine Au�ebung oder zumindest Lockerung ein- setzte. Trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen und der beharrlichen Weigerung Usbekistans, Fehler im Vorge- hen in Andischan einzuräumen, erkannte der deutsche Au- ßenminister Frank-Walter Steinmeier »positive Signale«. Deutschland konnte sich jedoch mit dieser Position nicht durchsetzen. Beim Treffen des Rats für Allgemeine Angele- genheiten und Außenbeziehungen am 13. November 2006 wurde der in den EU-Gremien ausgehandelte Kompromiss nicht einmal mehr diskutiert, sondern lediglich zur Abstim- mung gebracht. Das Waffenembargo wurde um zwölf, die Einreiserestriktionen um sechs Monate verlängert. Die tech- nischen Gespräche im Rahmen des Partnerscha�s- und Ko- operationsabkommens nahm man jedoch wieder auf. Die EU entschied sich damit gegen eine Isolation Usbekistans und für die Wiederaufnahme eines Dialogs, hielt aber gleichzeitig an Beschränkungen gegenüber der Regierung in Taschkent fest. Die Frage nach dem »richtigen« Ansatz diskutierten nicht nur die Regierungen der EU-Mitglieder überaus kontrovers. Auch lokale Bürgerrechtler und internationale Organisationen sind sich nicht immer einig gewesen. Skepsis gegenüber einem Dialog mit einem Regime, das bereits vor dem Massaker Menschenrechte auf das Gröbste verletzt ha�e und kaum bereit ist, auf Kritik zu reagieren, ist unverkennbar. Mit der Isolierung eines diktatorisch geführten Landes wie Usbekistan verlören interessierte Akteure aber jede Möglichkeit,

192 Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan

Einfluss auszuüben. Ohne Dialog erscheinen Veränderungen unmöglich – zumal bei einem Akteur, der sich anderen Partnern wie Russland und China zuwenden kann. Es kommt jedoch we- sentlich darauf an, dass für ein Gespräch konkrete Ziele festge- legt und Kriterien bestimmt werden, anhand derer die Deba�e konsequent und ohne falsche Kompromisse geführt wird. Die EU muss ihre Politik gegenüber der usbekischen Regierung daran messen lassen.

Termes versus Menschenrechte?

Der Rat der EU ha�e nach dem Massaker von Andischan mehr- fach eine unabhängige internationale Untersuchung angemahnt. In dem erwähnten Ratsbeschluss vom 14. November 2005 wur- den Bedingungen formuliert, die Usbekistan erfüllen müsse, ehe die Sanktionen gelockert oder gar aufgehoben würden. Der Ministerrat rückte damit das Thema in den Mi�elpunkt der ge- meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU gegenüber Usbekistan. Die Bundesregierung ha�e schon frühzeitig angekündigt, Zentralasien zu einem Schwerpunkt ihrer Ratspräsidentscha� machen zu wollen. Staatsminister Gernot Erler etwa sagte in einem Interview mit der »Frankfurter Rundschau« Ende 2006: »Die Region Zentralasien wird weltpolitisch und energiepoli- tisch wichtiger. Weltpolitisch vor allem wegen der Sicherheits- fragen, die sich aus der Nachbarscha� zu Afghanistan ergeben. Wegen der Bedeutung islamistischer Bedrohungen und Terror- netzwerken, Drogen- und Waffenhandel.« Diese Politikfelder nannte auch Außenminister Steinmeier, als er im Oktober 2006 die fünf Staaten Zentralasiens besuchte. Der Minister sprach dort mehrfach, darunter auch in Usbekistan, Menschenrechtsdefizite an. In einem Interview mit der »Deut- schen Welle TV« machte er jedoch überraschend offen deutlich, dass die Menschenrechte anderen Interessen gegebenenfalls nachstehen müssten: Die Ministerreise wäre in dieser Form nicht möglich gewesen, hä�en nicht zuvor die Verhandlungen über eine weitere Nutzung des Militärstützpunktes Termes durch die Bundeswehr erfolgreich abgeschlossen werden können.

193 II. Strukturen und Lebenswelten

Dies ließ im Umkehrschluss Zweifel an den bisherigen Äuße- rungen deutscher Regierungsvertreter au�ommen, Menschen- rechte würden gegenüber der usbekischen Seite kompromisslos auf die Tagesordnung gesetzt. Zumindest während der Verhand- lungen mit Usbekistan über die Weiternutzung des Militärstütz- punktes Termes Ende 2005 und Anfang 2006 scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein. Termes liegt im Süden Usbekistans an der Grenze zu Afghanistan. Den Flugplatz nutzt die Bundeswehr seit der Unterzeichnung eines Regierungsabkommens im Febru- ar 2002 für die Durchführung ihres Afghanistan-Einsatzes (ISAF). Anfang 2006 schien dies vorübergehend infrage zu stehen, nach- dem im November des Vorjahres die USA ihre Militärpräsenz in Usbekistan aufgegeben und eine große Basis in Chanabad ver- lassen ha�en. Nach den Ereignissen von Andischan war es zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und Usbekistan gekommen. Die amerikanische Regierung ha�e das usbekische Vorgehen deutlich kritisiert und bei der Evakuierung von mehreren Hundert Flüchtlingen geholfen. Usbekistan ha�e die US-Truppen darau�in zum Abzug aufgefordert. Termes ist seitdem der einzige von westlichen Krä�en genutzte Militär- stützpunkt in Usbekistan. Deutschland und die NATO halten ihn für unverzichtbar (vgl. Info-Kasten auf S. 133). Der Betrieb des Stützpunktes ist jedoch nicht nur für Deutsch- land von Belang. Auch Usbekistan hat an der Nutzung durch die Bundeswehr Interesse, in erster Linie finanziell. So forderte Tasch- kent bei den Neuverhandlungen zusätzliche Finanzmi�el von etwa 20 Millionen Euro für die Entwicklung der Stadt Termes. Die Bundesrepublik ha�e zuvor bereits zwölf Millionen Euro in den Ausbau der Basis fließen lassen. Auch kann dem Regime an einer Stabilisierung Afghanistans nur gelegen sein. Der Stützpunkt hä�e daher in einem Dialog über eine Verbesserung der Menschen- rechtslage und die Aufarbeitung von Andischan ein Faustpfand sein können. Die Bundesregierung hä�e gegenüber ihren Verhand- lungspartnern in Taschkent deutlich machen müssen, dass sie die Einhaltung international verbrie�er Standards erwartet und über Alternativen für die Militärbasis verfügt. So ha�e Berlin im Juni 2006 den Ausbau einer so genannten Forward Support Base im nordafghanischen Masar-e Scharif und einen Ausweichflugplatz in Duschanbe (Tadschikistan) als Alternativen genannt.

194 Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan

Bei den Verhandlungen über Termes, die der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsminis- terium (BMVg), Friedbert Pflüger, führte, hä�e Deutschland durchaus die Einhaltung der Menschenrechte in aller Deutlich- keit einklagen können. Ihre geopolitischen Interessen wären da- durch nicht vernachlässigt worden, und das usbekische Regime hä�e ein deutliches Signal im Sinne des EU-Ratsbeschlusses er- halten. Dann wäre an einer militärischen Präsenz in Usbekistan aus Menschenrechtsperspektive nicht viel einzuwenden gewe- sen. Sta�dessen wurde in der von Pflüger erzielten Übereinkun� festgehalten, die Vorgänge in Andischan noch einmal in einem öffentlichen Dialog erörtern zu wollen. Berlin erklärte sich im Laufe der Verhandlungen bereit, bei diesem brisanten Thema »die Sichtweise der usbekischen Seite angemessen zu berück- sichtigen«. Zum Zeitpunkt der Gespräche im Dezember 2005 ha�e sich die EU jedoch bereits deutlich von deren Perspektive abgegrenzt. Die Vereinbarung, eine öffentliche Deba�e über Andischan zu führen, blieb ohne erkennbare Konsequenz. Mit der usbeki- schen Regierung wurden weder zeitliche noch inhaltliche Ziele für diese Aussprache vereinbart. Die Aufforderung zum Dialog blieb ein reines Lippenbekenntnis, und Teile des Deutschen Bun- destages sahen in der weiteren Nutzung des Militärstützpunktes sogar eine Missachtung der EU-Sanktionen. Die Zwangsmaßnahmen veranlassten die usbekische Re- gierung bis heute nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtssituation. Doch ob die Bestimmungen notwen- digerweise wirkungslos bleiben mussten, ist umstri�en. Die EU griff im November 2005 mit der Verhängung der Sanktionen zu einem ihrer schärfsten Instrumente. Auch wenn das Vorgehen einen symbolischen Charakter hat, bekrä�igte Brüssel damit seine Forderung nach einer internationalen unabhängigen Un- tersuchung der Vorgänge in Andischan. Mit diesem Beschluss sandte Europa ein starkes Signal an die usbekische Regierung. Die Politik der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaa- ten schwächten die Glaubwürdigkeit und den Wert der Sankti- onen erheblich. Die usbekische Regierung erhielt doppeldeuti- ge Botscha�en. Der Umgang mit dem mi�lerweile abgelösten Innenminister Sakir Almatow, die zögerliche Aufnahme von

195 II. Strukturen und Lebenswelten

Flüchtlingen aus Andischan und die Hinweise auf angebliche positive Signale der usbekischen Führung offenbarten die Defi- zite der europäischen Außenpolitik gegenüber Usbekistan.

Die »Affäre« Almatow

Die Öffentlichkeit kritisierte harsch, dass der damalige usbe- kische Innenminister Sakir Almatow im November 2005 nach Deutschland einreisen dur�e, um sich in Hannover einer me- dizinischen Behandlung zu unterziehen. Er ha�e in Abspra- che mit der Europäischen Kommission ein deutsches Visum erhalten, obwohl er an erster Stelle auf der Liste der Verant- wortlichen für das Massaker in Andischan stehen sollte. Viele betrachteten dies als Abweichen vom beschlossenen Vorge- hen. Die Kritiker übersahen, dass der EU-Ratsbeschluss aus humanitären Gründen Ausnahmen vom Besuchsverbot zuließ. Zudem wurde über den Visumsantrag für Almatow bereits am 14. Oktober 2005 entschieden, also vor Inkra�treten der Be- stimmungen. Viel schwerer wiegt, dass der damalige Generalbundes- anwalt Kay Nehm und Bundesjustizministerin Brigi�e Zypries keine Veranlassung sahen, Ermi�lungen gegen Almatow gemäß Völkerstrafgesetzbuch einzuleiten. Amnesty International ha�e die Generalbundesanwaltscha� am 5. Dezember 2005 aufgefor- dert, gegebenenfalls Ha�befehl zu erlassen, und der Rechtsan- walt Wolfgang Kaleck ha�e im Namen von Human Rights Watch und acht usbekischen Staatsangehörigen am 12. Dezember 2005 Anzeige gegen Almatow ersta�et. Beide Organisationen sehen in ihm einen mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für das Massaker in Andischan sowie für die systematische Folter in den usbekischen Ha�anstalten. Almatow soll sich zum Zeitpunkt der Anzeigen bereits nicht mehr in Deutschland aufgehalten haben, so dass Kay Nehm Ende März des Folgejahres mi�eilte, dass er aus diesem Grund keinen Zugriff auf die angezeigte Person habe und daher gemäß § 153 f Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) in diesem Fall nicht tätig werde. Im 2002 in Kra� getretenen Völkerstrafgesetzbuch

196 Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan ullstein bild/AP

Während der Proteste in Andischan bringt eine Frau ihr Kind in Sicherheit. ist jedoch gerade festgelegt, dass die angezeigte Person sich nicht zwingend in Deutschland au�alten muss, damit Ermi�lungen aufgenommen werden können. Vielmehr wurde hier die Idee des »Weltrechtsprinzips« umgesetzt. Danach können die Verantwort- lichen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig vom Tatort oder der Staatsangehörigkeit von Tätern und Opfern in Deutschland vor Gericht gestellt und bestra� werden. Während der damalige Generalbundesanwalt die Auffassung vertrat, dass durch Ermi�lungen kein »nennenswerter Au�lä- rungserfolg erzielt werden« könne, da zum Beispiel von den us- bekischen Behörden keine Rechtshilfe zu erwarten sei, war das Völkerstrafgesetzbuch nach dem Verständnis von Menschen- rechtsorganisationen jedoch genau für jene Fälle geschaffen wor- den, in denen entsprechende Rechtsbrüche im eigenen Land nicht verfolgt werden. Selbst wenn es unwahrscheinlich gewesen wäre, Almatows habha� zu werden, hä�en Ermi�lungen deutscher Be- hörden gegen ihn sowohl den Tätern als auch den Opfern und ihren Angehörigen gegenüber ein deutliches Signal gesendet. Die Ermi�lungen hä�en wesentlich zur Beweissicherung beitragen können und wären die richtige Konsequenz aus der von der EU formulierten Politik gegenüber Usbekistan gewesen.

197 II. Strukturen und Lebenswelten

Aufnahme der Flüchtlinge aus Andischan

Nach dem Massaker geriet Kirgisistan unter großen Druck durch das Karimow-Regime, das verlangte, mehr als 500 Andischan- Flüchtlinge an Usbekistan auszuliefern. In diesem Fall drohten ihnen Folter und langjährige Ha�strafen. Das UN-Flüchtlings- hochkommissariat (UNHCR) ha�e sie als Asylsuchende regis- triert oder ihnen bereits den Flüchtlingsstatus gemäß Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt. Kirgisistan war jedoch nicht willens oder in der Lage, diese Menschen zu schützen, zumal usbekische Sicherheitskrä�e bereits auf kirgisischem Staatsge- biet operierten und versuchten, ihrer habha� zu werden. Ende Juli 2005 flog das UNHCR daher 439 Personen nach Rumänien aus, von wo aus sie auf Dri�länder verteilt werden sollten. Nach intensiven Gesprächen des UNHCR mit den Mitglieds- staaten der EU erklärte sich lediglich Rumänien dazu bereit, die Heimatlosen vorübergehend aufzunehmen. Die Mehrheit er- hielt in den USA, in Kanada und Australien dauerha�en Schutz, während die Länder der EU nur 75 Exilanten beherbergten. Die zehn größten EU-Staaten öffneten ihre Tore für insgesamt 20 Menschen, davon kamen 14 nach Deutschland. Das UNHCR versucht, durch sein Rese�lement-Programm dauerha�e Lösun- gen zu finden. Flüchtlinge, denen in ihren Aufnahmestaaten die Abschiebung in ihr Herkun�sland droht oder deren Gastgeber nicht bereit sind, dauerha�en Schutz zu bieten, werden vom UNHCR in Dri�länder gebracht, in denen sie langfristig sicher leben können. Nur sehr wenige Staaten beteiligen sich an die- sem Programm. Da Deutschland nicht zu ihnen zählt, kann die Aufnahme von 14 Usbeken als Entgegenkommen der Bundes- regierung betrachtet werden. Andererseits erscheint die Zahl an- gesichts der Tatsache, dass Berlin das Massaker von Andischan scharf verurteilt ha�e, relativ niedrig.

Positive Ergebnisse

Im Oktober 2006 war die für November anstehende Überprüfung der Zwangsmaßnahmen bereits Gegenstand kontroverser Diskus- sionen in der EU. Der deutsche Außenminister äußerte sich auf

198 Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan picture-alliance/dpa/Filatov

Angeklagte während des Andischan-Prozesses vor dem Obersten Gericht in Taschkent, 14. November 2005. seiner Zentralasienreise im gleichen Zeitraum zu diesem Thema und nahm von Sanktionen Abstand. Seine Gesprächspartner hät- ten ihm zugesichert, dass die Menschenrechtslage in Usbekistan verbessert werden würde. Als Fortschri� bezeichnete Steinmeier die Ankündigung, die Todesstrafe endgültig abzuschaffen und eine Strafrechtsreform zu verabschieden. Ihm sei auch zugesagt worden, dass das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) kün�ig wieder Gefängnisse besuchen dürfe. Steinmeier interpretierte dies als »positive Signale«. Die usbekischen Zusa- gen standen jedoch nicht einmal alle im Zusammenhang mit den Ereignissen von Andischan und ha�en keinerlei Bezug zum Rats- beschluss der Europäischen Union. Dies gilt insbesondere für das Thema Todesstrafe. Steinmeier wollte Fortschri�e im Hinblick auf deren Abschaffung erkannt haben. Tatsächlich ha�e Präsident Karimow im August 2005 einen Erlass unterzeichnet, demzufolge die Todesstrafe dann auch zum Jahresbeginn 2008 vollständig abgescha� wurde. Zum Zeitpunkt der Steinmeier-Reise 2006 allerdings waren die erforderlichen rechtlichen Schri�e noch nicht eingeleitet wor- den. Die usbekische Regierung betrachtet das Thema bis heute

199 II. Strukturen und Lebenswelten als Staatsgeheimnis. Statistisches Material z.B. zur Anzahl der in der Vergangenheit verhängten Todesurteile, Hinrichtungen und Strafumwandlungen wird nicht veröffentlicht. Auch wurde bis- her keine Liste derjenigen bekannt gemacht, die zum Tode ver- urteilt und deren Strafen automatisch in lebenslange Freiheits- strafen umgewandelt wurden. Nach Auskun� des IKRK erhielten dessen Mitarbeiter seit Dezember 2004 keinen uneingeschränkten Zugang mehr zu usbekischen Ha�anstalten. Dort sitzen Tausende politische Gefangene ein, die aufgrund von Extremismusvorwürfen und rechtsstaatlichen Normen nicht genügenden Gerichtsverfahren zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Vielen von ihnen war oder ist es nicht erlaubt, von ihren Angehörigen oder Anwälten Besuch zu empfangen. Foltervorwürfe wurden nie Gegenstand unabhängiger Untersuchungen. Die usbekischen Behörden verweigern vielen Gefängnisinsassen die notwendi- ge medizinische Behandlung. Die Ha�bedingungen gelten als grausam, unmenschlich und entwürdigend. Auch die im Zu- sammenhang mit Andischan Verurteilten haben schwere Folter- vorwürfe erhoben. Die usbekische Regierung gab Außenminister Steinmeier während seines Besuchs in Taschkent im November 2006 die Versicherung, dem IKRK wieder uneingeschränkt Zugang zu den usbekischen Ha�anstalten zu gewähren. Der Minister ak- zeptierte trotz fehlender praktischer Umsetzung diese Zusage als ausreichend und plädierte vor diesem Hintergrund für eine Lockerung der Sanktionen. Im Mai 2007 informierte das IKRK, dass es mit den usbekischen Behörden eine Einigung erzielt habe. Die Verhandlungen über die praktische Umsetzung der Vereinbarung waren allerdings langwierig, so dass das Rote Kreuz erst 2008 tatsächlich für eine Testphase von sechs Mona- ten die Gefängnisse inspizieren konnte. Die Testphase endete im September 2008. Seither wird wieder über einen Zugang ver- handelt. Ebenfalls auf die Steinmeier-Reise scheint die Freilassung des unabhängigen Journalisten Ulugbek Chaidarow am 7. No- vember 2006 zurückzuführen zu sein, der einen Monat zuvor zu einer sechsjährigen Ha�strafe verurteilt worden war. Der deutsch-usbekische Dialog hat sich in wenigen Einzelfällen be-

200 Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan währt. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die usbekische Regierung ihr Vorgehen gegen Regimekritiker grundsätzlich nicht geändert hat. Erst sehr kurz vor der entscheidenden Sitzung des Rats für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen am 13. November 2006, der über die Fortführung von Sanktionen zu entscheiden ha�e, erklärte sich die usbekische Regierung be- reit, eine Delegation der EU zu empfangen, um die Geschehnis- se in Andischan aufzuarbeiten. Erste Expertengespräche fanden im Dezember des gleichen Jahres sta�. Eine Delegation konn- te nach Andischan reisen, erhielt Zugang zu einem Gefängnis, sprach dort mit inha�ierten Verurteilten und nahm Einsicht in usbekische Ermi�lungsakten. Die Gespräche mit den Hä�lin- gen konnten allerdings nicht unter vier Augen geführt werden, und die Ermi�lungsakten waren zuvor von usbekischer Seite ausgewählt worden. Gleichwohl wertete die deutsche Seite die erste Runde der Expertengespräche als Erfolg, während Beamte in Brüssel diese Auffassung nicht teilten. Eine Folgeveranstal- tung fand unter deutscher Ratspräsidentscha� im April 2007 sta�. Dabei wurde deutlich, dass die usbekische Regierung an ihrer Sichtweise auf die Ereignisse von Andischan festhält. Ein Vertreter der EU brachte dies auf den Punkt: »Das einzige gute Ergebnis des zweiten Treffens zu Andischan ist, dass es kein dri�es geben wird. Die Qualität der Informationen, die unseren Experten zur Verfügung gestellt wurden, war so gering, dass unsere Experten entschieden haben, dass es keinen Anlass für ein dri�es Treffen gibt.« Der im November von der usbekischen Regierung zugesagte Menschenrechtsdialog mit der EU fand erst ein halbes Jahr später im Mai 2007 sta�.

Die Probleme bleiben

Usbekistan ist gegenwärtig nicht bereit, grundlegende Verbesse- rungen in den Bereichen Menschenrechte und Rechtsstaatlich- keit herbeizuführen. Die Karimow-Regierung gab dem Druck der EU nur insoweit nach, als sie bereit war, eine Delegation ins Land zu lassen und ihr begrenzten Zugang zu Gefängnis- sen und Ermi�lungsmaterial zu gewähren. Im Dezember 2008

201 II. Strukturen und Lebenswelten

überprü�e der UN-Menschenrechtsrat Usbekistan im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung. Dabei machte die usbekische Delegation mit deutlichen Worten klar, dass sie eine internationale unabhängige Untersuchung der Geschehnisse in Andischan weiterhin ablehnt. Auch weigerte sie sich, der For- derung nachzukommen, alle inha�ierten Menschenrechtsver- teidiger freizulassen. Nur wenn der Druck der Internationalen Gemeinscha� – in diesem Fall der EU – groß genug ist, scheint die usbekische Regierung bereit, in ausgewählten Einzelfällen Zugeständnisse bis hin zu einer Freilassung zu machen. Zuletzt wurden 2008 die Andischan-Kritiker Saidschachon Sainabitdi- now, Mutabar Tadschibajewa und Dilmurod Muhiddinow aus der Ha� entlassen. Für andere Menschenrechtsaktivisten und unabhängige Journalisten verschlechterte sich die Situation jedoch auch im vergangenen Jahr zunehmend. Mindestens zehn Menschen- rechtsverteidiger blieben unter grausamen und erniedrigenden Bedingungen in Ha�, nachdem sie in unfairen Verfahren zu langen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. Sie erhoben schwere Foltervorwürfe. Der Menschenrechtsverteidiger Aksam Turgunow, ein Mitglied der verbotenen säkularen Oppositions- partei Erk, der auch angab, man habe ihn in Untersuchungsha� gefoltert, erhielt im Oktober 2008 eine lange Ha�strafe. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint nur wenig getan werden zu können, um die usbekische Regierung zu grundle- genden Änderungen zu bewegen. Die minimalen Zugeständ- nisse der Usbeken reichen weder aus, um die im Ratsbeschluss vom 14. November 2005 festgelegten Kriterien noch um inter- nationale Menschenrechtsstandards zu erfüllen. Einzelne Zu- geständnisse zeigen allerdings, dass Usbekistan sein Image in Menschenrechtsfragen nicht völlig gleichgültig ist. So ist auch die Reaktion der usbekischen Regierung auf die erneute Ver- längerung der Einreisebeschränkungen am 14. Mai 2007 zu er- klären. Die usbekische Regierung distanzierte sich scharf von der Entscheidung des Rates: »Usbekistan hält den Beschluss [. . .] für unbegründet und voreingenommen. Unter dem Deck- mantel der Menschenrechtsrhetorik ist die Verlängerung der so genannten EU-Sanktionen ein Instrument, um systematisch Druck auf Usbekistan auszuüben. Es ist offensichtlich, dass

202 Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan eine derartige Entscheidung kontraproduktiv ist und die Um- setzung der Kooperationsprogramme nicht fördern wird, die den Interessen der EU und Usbekistans gleichermaßen entspre- chen.« Usbekistan ha�e offenbar nicht mit einer Verlängerung der Einreisebeschränkung gerechnet. Dabei ha�e die Europäische Union Taschkent sogar Zugeständnisse gemacht, indem sie den Visumsbann für vier Personen au�ob. Die EU-Außenminister ha�en damit anerkennen wollen, dass die usbekische Führung kurz zuvor einen ersten Menschenrechtsdialog geführt ha�e und sich auch dem IKRK zu öffnen schien. Im Oktober 2008 schließ- lich wurde das bestehende Besuchsverbot für die übrigen acht ranghohen usbekischen Beamten, darunter Rustam Inoyatow, widerrufen. Nur wenige Tage später reiste der Chef des usbe- kischen Inlandsgeheimdienstes SNB auf Einladung der Bundes- regierung oder des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu einem offiziellen Besuch nach Deutschland. Selbst Politiker, die zuvor die Au�ebung des Einreiseverbots befürwortet ha�en, zeigten sich empört. Der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbezie- hungen führte positive Entwicklungen an, die seine Entschei- dung beeinflusst ha�en, darunter Usbekistans Bereitscha�, im Juni 2008 in der Hauptstadt Taschkent ein gemeinsames Semi- nar von EU und Usbekistan über Medienfreiheit abzuhalten. Allerdings dur�en an der Veranstaltung weder unabhängige usbekische Medien noch ausländische Journalisten teilnehmen. Internationale Nicht-Regierungs-Vertreter, die auf Einladung der EU nach Taschkent kamen, verfassten eine gemeinsame Er- klärung, in der sie das Seminar als einen »Köder« bezeichneten, durch den »Zugeständnisse herausgeschunden werden sollten, die die Behörden nichts kosteten«. Ihrer Meinung nach, so hieß es weiter, dürfe das Seminar nicht »als Beweis für irgendeine Verbesserung der seit 17 Jahren in Usbekistan herrschenden Un- terdrückung des Rechts auf freie Meinungsäußerung« betrachtet werden. Nur wenige Tage vor Beginn der Tagung brandmarkte ein Fernsehsender usbekische Mitarbeiter der internationalen Medienorganisation Radio Liberty/Radio Free Europe als Lan- desverräter. In der Sendung wurden auch genaue Angaben zu Korrespondenten in Usbekistan gemacht, mitsamt ihren Namen

203 II. Strukturen und Lebenswelten und Adressen. Ebenfalls kurz vor dem Seminar wurde der Jour- nalist Salidschon Abdurachmanow, der für die unabhängige, in Deutschland angesiedelte Website uznews.net tätig ist, festge- nommen. Es liegt nahe, dass auch Salidschon Abdurachmanow für sein Eintreten für die Menschenrechte und seine journalis- tische Arbeit bestra� werden soll. Er wurde im September zu zehn Jahren Ha� verurteilt. Im November bestätigte ein Beru- fungsgericht das Strafmaß.

Die Zentralasien-Strategie und die Menschenrechte

Im Juni 2007 beschloss die EU eine Zentralasien-Strategie. Wäh- rend die Durchsetzung von Menschenrechtsstandards in den ers- ten Entwürfen nur am Rande erwähnt wurde, ist das verabschie- dete Papier aus dieser Perspektive durchaus zufriedenstellend, da sie die Menschenrechte an zentraler Stelle verankert. Die EU möchte durch verschiedene Initiativen in bilateraler und regio- naler Kooperation zu Sicherheit und Stabilität beitragen. Neben Bildung, wirtscha�lichem Fortschri�, Energieversorgung, nach- haltiger Entwicklung, Grenzmanagement und interkulturellem Dialog stehen Initiativen im Bereich Menschenrechte, Rechtsstaat- lichkeit, gute Regierungsführung und Demokratisierung an erster Stelle dieser Strategie. Entscheidend ist jedoch die Umsetzung, die aus Menschenrechtsperspektive nicht zufriedenstellend ist. Ein Ausbau der Beziehungen zu den Ländern Zentralasiens beruhte vor allem auf der Initiative der deutschen EU-Ratspräsi- dentscha�. Frühere Zweifel waren berechtigt, dass deren Nach- folger dieses Engagement nicht in gleichem Maße fortführen werden. Deutschland ist immer noch das einzige Mitglied der EU, das in allen fünf Ländern mit einer Botscha� vertreten ist, und verfügt daher im Gegensatz zu anderen Mitgliedsstaaten über besondere Beziehungen zur Region. Verstärkte Anstren- gungen sind jedoch zur Durchsetzung international verbrie�er Menschenrechtsstandards unerlässlich. Die usbekische Regierung demonstrierte, dass sie mit we- sentlichen Bereichen der Zentralasien-Strategie nicht überein-

204 Menschenrechtspolitik gegenüber Usbekistan stimmt. Beim Treffen der EU-Troika am 30. Juni 2007 in Berlin mit den Außenministern der fünf Länder, bei dem Frank-Walter Steinmeier die Leitlinien der europäischen Politik vorstellte und für eine tatkrä�ige Umsetzung warb, ließ sich Usbekistans Au- ßenminister Wladimir Norow von seinem Stellvertreter Ilham Nematow vertreten. Nach diplomatischen Gepflogenheiten ist dies ein deutliches Indiz dafür, welche Bedeutung Taschkent der Strategie beimisst, und wie es insgesamt um die Kooperations- bereitscha� steht. Die gegensätzlichen Interessen Europas und Usbekistans tre- ten in erster Linie während der Menschenrechtsdialoge zutage. Diese Dialoge bleiben unverbindlich, weil die EU es versäumt, für sie konkrete Ziele und Kriterien festzulegen, anhand derer sich die Menschenrechtsituation bewerten ließe. Für die weite- ren Gesprächsrunden muss dies dringend nachgeholt werden. Deren Grundlage können die EU-Leitlinien zu Menschenrechts- verteidigern und zu Folter sowie anderer grausamer, unmensch- licher und erniedrigender Behandlung sein. Die Vereinbarungen müssen die sofortige und bedingungslose Freilassung von po- litischen Gefangenen, die ausschließlich mit friedlichen Mi�eln agiert haben, beinhalten. Usbekistan muss sich zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten, Bürgerrechtlern und unabhängigen Journalisten bereit erklären. Das Recht auf freie Meinungsäuße- rung darf ebenso wenig zur Disposition stehen wie die Verpflich- tung der Regierung, effektiv gegen Folter und Misshandlung vorzugehen; deren Straflosigkeit ist zu beenden sowie Standards für rechtsstaatliche Gerichtsverfahren durchzusetzen. Darüber hinaus ist es dringend geboten, dass die EU die Ein- haltung internationaler Standards nicht nur im Rahmen des Men- schenrechtsdialogs, sondern auch auf anderen internationalen Foren und bei bilateralen Treffen anmahnt, wie dies die EU-Leit- linien zu Menschenrechtsdialogen vorsehen. Europa kann in die- sem Zusammenhang vieles besser machen. Es muss konsequenter handeln, indem es an den eigens formulierten Kriterien festhält, auch an seiner Forderung nach einer unabhängigen internationa- len Untersuchung der Vorfälle von Andischan. Es sind die Usbe- ken, die sich als nächstes bewegen müssen. Imke Dierßen

205 Friedrich-Naumann-Stiftung

»Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es!« Erich Kästners Devise stand Pate bei einem ungewöhnlichen Projekt: In Zentralasien das Wesen der Toleranz aus dem Geist der Aufklärung zu vermitteln. Mit von der Partie war der Klassiker »Nathan der Weise« von Gotthold Ephraim Lessing – im Bild das Plakat zur Uraufführung –, der seine Wirkung auch in Usbe- kistan und Kirgisistan entfaltete: »Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß / Dass alle Länder gute Menschen tragen« (2. Akt, 5. Szene). »Nathan der Weise« in Zentralasien

Bücher•sind gut für die Bildung, heißt es. Doch manches lässt sich weder aus Büchern lernen noch auf Seminaren erfahren. Das gilt gerade im postsowjetischen Raum. Die Vertreter der deutschen politischen Sti�ungen vor Ort sehen sich mitunter in einem Dilemma: Wie kann man für Demokratie werben, wenn der Begriff in diesem Raum einen negativen Klang hat oder gar tabu ist? Wie betreibt man staatsbürgerliche Bildung, wie vermit- telt man Werte? Wie kann man die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten als Voraussetzung für die Entwicklung einer Zivilgesellscha� unterstreichen, wenn es schon im eigenen Kul- turkreis, und sei es auch nur in Einzelfällen, damit nicht immer zum Besten steht? Theoretische, abstrakte Erörterungen helfen wenig, am überzeugendsten ist immer noch die Kra� des Bei- spiels. Aber welches? Manchmal hil� die Geschichte, die Kultur, die Intuition.

Projekte zur Toleranz

Sie halfen auch der Friedrich-Naumann-Sti�ung, die seit 1997 mit einem – vorerst noch kleinen – Programm in Usbekistan, dem Herzen Zentralasiens, tätig ist. Den Vertreter der Sti�ung erreichte Anfang 2003 die Bi�e usbekischer Nicht-Regierungs- Organisationen (NGOs), Seminare zum Thema Toleranz im Land durchzuführen. Nach der Auflösung der Sowjetunion war dieser Begriff zusammen mit vielen anderen Ausdrücken und Konzepten ins Land gekommen. Doch was ist Toleranz? Der Begriff, so die Vermutung der usbekischen Partner, habe etwas mit Demokratie und Au�lärung, mit Fortschri� und Moderne zu tun; doch die Vorstellung, was es mit Toleranz wirklich auf sich hat, blieb diffus. Sollte die Sti�ung den üblichen Weg gehen? Referenten su- chen, Räume mieten und in Usbekistan Seminare veranstalten, auf denen erläutert würde, was denn Toleranz nun eigentlich sei? Der Gedanke wurde schnell verworfen. Denn auch Tole- ranz gehört zu jenen Dingen, die nicht abstrakt zu lernen sind.

207 II. Strukturen und Lebenswelten ullstein bild/Still Pictures

Das Usbekische Nationaltheater in Taschkent.

Sta�dessen kam die Erinnerung. Toleranz – das war ein klei- nes Reclam-He�, Toleranz – das war eine Pflichtlektüre in der Oberstufe, Toleranz – das war und ist Lessings »Nathan der Weise«. Wäre das nicht die Antwort? Den »Nathan« in Usbekis- tan auf die Bühne zu bringen, natürlich in der Landessprache, und in begleitenden Kolloquien das Drama diskutieren, und zu fragen, was Lessings Botscha� für die Zeitgenossen bedeuten könnte. Es war die Antwort. Recherchen ergaben, dass der »Nathan« noch nicht ins Usbekische übersetzt worden war. Mit dem in Turkmenistan geborenen und in Taschkent lebenden Regisseur Owljakuli Chodschakuli stand ein Künstler zur Verfügung, der das Stück kannte und schon einmal mit dem Gedanken gespielt ha�e, es zu inszenieren. Und das Entscheidende: Die Direkto- rin des Goethe-Instituts, Elisabeth La�aro, fand die Idee, Tole- ranz mit den Mi�eln des Theaters zu erklären, vorzüglich; und so taten sich Goethe und Naumann in einer unkonventionellen Partnerscha� zusammen. Dann ging alles sehr schnell, so schnell, wie es vielleicht nur in Ländern geschehen kann, die, nicht zu- letzt unter russischem Einfluss, die Kunst des Improvisierens gelernt haben. Der Direktor des Usbekischen Nationaltheaters

208 »Nathan der Weise« in Zentralasien und seine Schauspieler erklärten sich bereit, das Stück zu spie- len. Zwar fand sich in der Eile kein geeigneter Übersetzer, doch mit Mirpulat Mirzo stand ein Schri�steller bereit, der das Stück aus dem Russischen ins Usbekische übersetzen oder, besser gesagt, nachdichten konnte. Der Regisseur erarbeitete eine ge- kürzte und gestra�e Fassung; die Proben begannen Anfang des Sommers.

Der usbekische »Nathan«

So fand dann bereits am 19. September 2003, kaum sieben Mo- nate, nachdem die Idee geboren worden war, in Taschkent die Premiere des »Nathan« in usbekischer Sprache sta�, und zwar im Gebäude des – so der Ehrfurcht gebietende offizielle Name – Usbekischen Nationalen Akademischen Dramentheaters. Die Inszenierung war beeindruckend genug; sie wurde indes noch übertroffen durch die Aufführung in Samarkand, die sich eine Woche später anschloss. Das lag vor allem am Genius Loci: Der »Nathan« wurde unter freiem Himmel in der Medrese Scher Dor gezeigt, die am schönsten und berühmtesten Platz Usbekistans, wenn nicht ganz Zentralasiens, dem Registan, gelegen und Teil seines Ensembles von Koranschulen und Moscheen ist, die in ihrer Gesamtheit einen unvergesslichen Anblick bieten. Die Nacht war bereits hereingebrochen, als die Schauspieler vor die in ihrer Schlichtheit eindrucksvolle Kulisse traten. Und dann begann das Schauspiel, von Lessing »dramatisches Ge- dicht« genannt, vom Regisseur als »philosophische Paraphrase« angekündigt. Die usbekische Adaption verzichtet auf allzu de- taillierte historische und biografische Einzelheiten des Stückes sowie auf einige der Nebenfiguren und stellt die zentrale Frage Lessings in den Mi�elpunkt: Die Frage nach der Wahrheit und insbesondere die Frage nach der wahren Religion, wie sie in der unverändert vom Regisseur übernommenen Ringparabel zum Ausdruck kommt: »Vor grauen Jahren lebt ein Mann im Osten / Der einen Ring von unschätzbarem Wert / Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein / Opal, der hundert schöne Farben spielte, / Und ha�e die geheime Kra�, vor Go� / Und Menschen angenehm zu machen,

209 II. Strukturen und Lebenswelten ullstein bild/AISA

Der Registan-Platz in Samarkand bei Nacht. wer / In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, / Dass ihn der Mann im Osten darum nie, / Vom Finger ließ; und die Verfügung traf« (3. Akt, 7. Szene) Für die Deutschen im Publikum war dieser »Nathan« eine einzigartige Erfahrung. Sie alle verstanden kein Wort der Auf- führung – und waren doch von Anfang bis Ende fasziniert. Das Stück wirkte aus sich heraus, aus der Kra� der Inszenierung, aus der Eindringlichkeit der schauspielerischen Leistung. Und nicht zuletzt aus der von einem Meister, in diesem Falle einer Meisterin, der Bühnen- und Kostümbildnerin Maria Soschina, entworfenen Kulisse: Die Klagemauer, die als Verkörperung der Religionen und ihrer Gegensätze fungierte, auf sie aufgebracht das Symbol der Aufführung – ein Davidstern als Untergrund, in seine obere Mi�e ein Kreuz integriert und beides zu einer guten Häl�e von links von einem Halbmond umschlossen. Im Lauf der Aufführung brachen aus diesem Bauwerk immer mehr Stücke heraus, je niedriger die Mauern zwischen den Religionen in Les- sings dramatischem Gedicht wurden, und je mehr sich die han-

210 »Nathan der Weise« in Zentralasien delnden Personen einander annäherten. Und über allem stand am Nachthimmel von Samarkand der Mars, der sich dem »Na- than« anzupassen schien und keinesfalls kriegerisch, sondern eher milde leuchtete. Das usbekische Publikum zeigte sich angetan, ja berührt; der Widerhall, den das Stück in den Zeitungen, in Radio und Fernsehen fand, war ohne Ausnahme positiv. Aus dem ganzen Land kamen Nachfragen nach weiteren Aufführungen. Im Ok- tober 2005 spielte »Nathans« Ringparabel in den alten Städten Buchara und Chiwa mit noch größerem Erfolg. Der Zuspruch, den das Stück fand, wuchs von Mal zu Mal. Im April 2006 folg- ten Aufführungen in Fergana und Margelan, Orten im Osten des Landes. Im Juni 2007 schließlich wurde das Stück an der Gren- ze zu Afghanistan in Termes sowie in Karchi gegeben. Mit der Unterstützung der Deutschen Botscha� in Taschkent und der zuständigen usbekischen Ministerien war es möglich, den »Na- than« auch in dieser schwierigen Zeit aufzuführen.

Gespräche über die Toleranz

Bei allen Vorstellungen stand der Text des »Nathan« auf Russisch und Usbekisch in einer Broschüre zur Verfügung. Sie war für die Begleitveranstaltungen unverzichtbar: Für die Podiumsdiskus- sionen (»Liberale Clubs«), auf denen Jugendliche die Frage der Toleranz anhand des Stückes diskutierten; für die Kurzsemina- re, auf denen usbekische Literaturwissenscha�ler, Historiker und Soziologen Vorträge hielten, die unmi�elbar oder mi�elbar mit dem Thema zu tun ha�en. Einige von ihnen stellten religiöse Toleranz als ein historisches Erbe Zentralasiens dar: In diesem Raum hä�en viele Religionen einschließlich des Christentums und des Judentums nebeneinander existiert. Andere Diskutan- ten schlugen einen Bogen von Lessings Botscha� zum Problem des exklusiven Wahrheitsanspruchs: Niemand könne heute sagen, er besitze die Wahrheit. Sie sei prinzipiell unzugänglich. Was wir besäßen, sei lediglich die Wirklichkeit. Sie sei Folge der spezifischen Kommunikation eines jeden, woraus folge, dass es so viele Wirklichkeiten wie Menschen gebe. Toleranz gegenüber anderen, sofern diese nicht ihrerseits intolerant und gewaltbe-

211 II. Strukturen und Lebenswelten reit au�räten, sei also ein Gebot der Vernun�. Welche Wirklich- keit der Wahrheit am nächsten komme, welche Wirklichkeit für die Gesellscha� maßgeblich sein solle, werde im Wege geistiger Auseinandersetzung und des demokratischen Prozesses ent- schieden. Da nun auch Nachfrage aus den anderen zentralasiatischen Ländern kam, wurde das Stück im August 2006 in Bischkek, der Hauptstadt Kirgisistans, aufgeführt. Dazu entstand eine kirgisi- sche Textgrundlage. Die Neuinszenierung des Regisseurs Chod- schakuli stellte einen Bezug zur Gegenwart her. Die Aufführung ehrten Kulturminister Sultan Rajew und der große kirgisische, 2008 verstorbene Schri�steller Dschingis Aitmatow durch ihre Anwesenheit. Wieder war die Resonanz überwältigend. Für die Zukun� sind weitere Vorstellungen geplant. So soll es in der multiethnischen kirgisischen Stadt Osch je eine Aufführung der kirgisischen und der usbekischen Version geben. Nach beiden Veranstaltungen finden – eine Neuerung in Zentralasien – Dis- kussionen mit den Schauspielern und dem Regisseur auf der Bühne sta�. Schließlich könnten weitere Inszenierungen in Ka- sachstan sowie, sobald dies möglich wird, in Tadschikistan und – man muss sich Ziele setzen – in Turkmenistan folgen.

»Zuweilen ist des Sinns in einer Sache/ Auch mehr, als wir vermuten«

Wer die Reaktionen des usbekischen Publikums erleben dur�e, die Anteilnahme der Menschen an dem Stück, ihre bis zu Tränen gehende Rührung angesichts der dramatischen Entwicklung, wer ihre Kommentare und Stellungnahmen gehört hat, ihre Bit- ten, wiederzukommen und weiter intensiven Kontakt mit dem Land und seinen Menschen zu pflegen, wer schließlich gesehen hat, welch tiefen Eindruck die Ringparabel, das Kernstück des »Nathan«, bei den Zuschauern hinterlassen hat, dem wird deut- lich, was aus der Ferne nicht leicht zu bemerken ist. Es war, ers- tens, richtig, mit dem »Nathan« nach Zentralasien und insbeson- dere nach Usbekistan zu gehen. Gewiss, Goethe hat sinngemäß geschrieben, dulden heiße beleidigen. Notwendig sei mehr: An-

212 »Nathan der Weise« in Zentralasien erkennung. Doch zunächst einmal ist die Einnahme einer Hal- tung der Toleranz ein wesentlicher Schri� in der Entwicklung jeder Gesellscha�. Das Publikum der Aufführungen und die Teilnehmer der Begleitveranstaltungen verstanden das Schauspiel als Inbegriff dieses Schri�es. Dies gilt auch für die bei den Vorstellungen an- wesenden Vertreter der regionalen Staatsgewalt, die Hokime von Stadt und Region oder deren Stellvertreter: Übereinstimmend äußerten sie, Lessings Stück sei gerade heute von Bedeutung. In jedem Fall war es für einen Mi�eleuropäer geradezu anrührend zu erleben, wie die Teilnehmer – alle aus einem überwiegend islamisch geprägten oder zumindest beeinflussten Kulturkreis – übereinstimmend die Parabel deuteten: Als Ausdruck der Erkenntnis, dass die drei großen monotheistischen Religionen miteinander verwandt sind und keine die allein seligmachende Wahrheit für sich beanspruchen kann. Eine zweite Erkenntnis: Es ist leicht, aus der kritischen Dis- tanz, vom Schreibtisch aus, Isolierung und Sanktionen zu for- dern. Krisen werden damit jedoch nicht verhindert, Konflikte nicht gelöst. Und eine aggressive Sprache hil� niemandem, schadet aber vielen. Man muss vor Ort sein, mit den Verantwort- lichen sprechen, sie zu überzeugen versuchen im Rahmen des Möglichen. Diejenigen, die in den Gesellscha�en der Gastländer tätig sind, wie etwa die deutschen Sti�ungen, sollten sich im In- teresse der Menschen, mit denen und für die sie arbeiten, nicht durch radikale Forderungen von selbsternannten Strategen beir- ren lassen, die das Geschehen vom Weitem betrachten und we- niger von Verantwortung als von Gesinnung getragen werden. Folgen wir auch hier dem Gedanken Lessings: Es geht um die Umwandlung von Leidenscha�en in tugendha�e Fertigkeiten.

Falk Bomsdorf

213 picture-alliance/dpa/Kochetkov

Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging in Zentralasien die Angst vor ethnischen Konflikten um. In den Nachfolgestaaten der UdSSR leben jeweils große Bevölkerungsgruppen, welche zur Titularnation eines Nachbarlandes gehören. Zahlenmäßig am stärksten vertreten sind die Auslandsusbeken. Doch Usbekistan begreift sich keineswegs als deren Schutzmacht. Vielmehr betrachtet sie das Regime in Taschkent als po- tenzielle islamistische Terroristen – im Bild zwei usbekische Frauen im Flüchtlingslager in der kirgisischen Stadt Barasch unmittelbar nach dem Massaker von Andischan im Mai 2005. Usbekische Zwickmühle – Staatsnationalismus und Auslandsusbeken

Die regionale Stabilität in Zentralasien steht und fällt mit dem Gelingen der postsowjetischen Staats- und Nationsbildung. Eine erhebliche Rolle spielen dabei jene Gruppen, die Teil einer grö- ßeren Titularnation sind, aber jenseits der Grenzen ihres »Be- zugslands« siedeln. Nach den Russen in Kasachstan bilden die Auslandsusbeken in Kirgisistan, Tadschikistan, Kasachstan und Turkmenistan die größte Diaspora in Zentralasien. Die Usbeken stellten einst die größte nicht-slawische Bevölke- rungsgruppe in der UdSSR. Bei der Volkszählung von 1989 gaben in der Usbekischen Sowjetrepublik 14,1 Millionen Menschen an, dieser Nationalität anzugehören. Heute leben von 26,5 Millionen Usbeken gut fünf Millionen außerhalb der Grenzen ihres »Hei- matlandes«, zweieinhalb Millionen davon in Afghanistan und noch einmal so viele in den zentralasiatischen Nachbarstaaten. In Kirgisistan siedeln nach einer Volkszählung von 1999 knapp 700 000 Usbeken, vor allem in den Gebieten des süd- lichen Fergana-Tals: In den Provinzen Osch, Dschalal-Abad und in geringerem Maße Batken. Ihr Anteil an der Gesamtbe- völkerung Kirgisistans macht 14 Prozent aus. Tadschikistan ist die Heimat der größten usbekischen Gemeinde außerhalb Us- bekistans. Neueste Daten der tadschikischen Statistikbehörde sprechen von knapp einer Million Usbeken, was bei einer Ge- samtbevölkerung Tadschikistans von 6,5 Millionen Menschen einem Anteil von 15 Prozent entspräche. Usbekische Vertreter bestreiten diese Angaben. Sie bestehen darauf, dass die bei der letzten sowjetischen Volkszählung ermi�elte Zahl von 1,2 Mil- lionen Usbeken in Tadschikistan weiter Gültigkeit habe und gehen davon aus, dass die Usbeken ca. 25 Prozent der Bevöl- kerung Tadschikistans stellen. Sie siedeln in Tadschikistan vor allem in der Provinz Sugd im Nord- und der Provinz Chatlon im Südwesten des Landes. Auch in Turkmenistan und Kasachs- tan leben nach Volkszählungen aus den Jahren 1995 und 2000 jeweils 400 000 und 370 000 Usbeken. Größere Gruppen sind in den turkmenischen Provinzen Daschchowus und Lebap sowie rund um Schymkent in Kasachstan ansässig.

215 II. Strukturen und Lebenswelten 300 km MGFA 05932-02 MONGOLEI wenig besiedeltes Gebiet Staatsgrenze Grenze einer Autonomen Republik Kasachen Karakalpaken Kirgisen Usbeken Tadschiken Uiguren Russen/Ukrainer Turkmenen 0 Abkürzungen:

Bevölkerungsgruppen 1 Chodschent see (Ust- Kamenogorsk) Saisan- Öskemen

FÖDERATION Semei Tienschan

h Kul VR CHINA

c Issyk- s y Ili rt (Semipalatinsk) I - Almaty

r Balchasch- see i

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a PAKISTAN BISCHKEK

Andischan P Pawlodar KIRGISISTAN Osch Ekibastus

Tschu Tal ASTANA Fergana- 1 Taras Karaganda Kokschetau DUSCHANBE T TADSCHIKISTAN

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RUSSISCHE e e r c h e s M s p i s K a ASERB. Bevölkerungsgruppen in Zentralasien Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA.

216 Staatsnationalismus und Auslandsusbeken

Ihr politisches Handeln und ihre Beziehungen zu Usbekis- tan beeinflussen die Staats- und Nationsbildung in Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan sowie die Beziehungen zwi- schen diesen drei Staaten. Sie haben eine große Bedeutung für die regionale Stabilität, denn Usbekistan ist der bevölkerungs- reichste Staat Zentralasiens und besitzt die größte Armee der Region. Wenn das Karimow-Regime strategische Interessen auf dem Spiel stehen sieht, schreckt es auch vor dem Einsatz seiner Truppen nicht zurück: Im Tadschikischen Bürgerkrieg der Jahre 1992 bis 1997 unterstützte Taschkent die Gruppierungen aus den Gebieten Sugd und Kuljab politisch und militärisch. Seine Poli- zeieinheiten operierten mehrfach unautorisiert auf dem Territo- rium des Nachbarlandes. Usbekische Grenztruppen demarkier- ten und verminten stellenweise einseitig die Staatsgrenzen, und schließlich versuchte sogar der Geheimdienst, Personen aus dem Exil zu entführen, denen er eine Beteiligung an den Ereignissen in Andischan vorwarf: Dort drang im Mai 2005 eine Gruppe be- waffneter Männer in das örtliche Gefängnis ein, befreite zwei Dutzend wegen der Gründung einer religiösen Organisation in Untersuchungsha� sitzende lokale Unternehmer sowie weitere Gefangene und besetzte anschließend die Bezirksverwaltung. Ei- nige Stunden später richteten Sicherheitskrä�e auf dem Platz vor dem Gebäude ein Blutbad unter den Demonstranten an. Nach der Niederschlagung des lokalen Aufstands strömten Hunderte Flüchtlinge – oder, nach der Version der usbekischen Behörden, die ihre Auslieferung forderten, Terroristen – von Andischan über die Grenze in die ebenfalls im Fergana-Tal gelegene kirgisi- sche Provinz Osch (vgl. den Beitrag von Imke Dierßen).

Ethnische Konflikte in Zentralasien?

Ungeachtet der grenzüberschreitenden Aktivitäten usbekischer Einheiten fand die vielbeschworene gewaltsame Eruption ethni- scher Konflikte nicht sta� – obwohl die Kombination autoritärer Herrscha� mit gravierenden sozialen Problemen in den Sied- lungsgebieten usbekischer Minderheiten außerhalb des »Mut- terlandes« tatsächlich diese Gefahr in sich birgt. Weder haben sie sich mi�els Gewalt Gehör zu verschaffen versucht, noch

217 II. Strukturen und Lebenswelten

Diaspora (griech.: Verstreutheit) wird seit dem späten 20. Jahrhundert als Bezeichnung für ethnische oder religiöse Gruppen gebraucht, welche fern von ihrem (tatsächli- chen oder imaginierten) Herkun�sort leben und die politische sowie kulturelle Gemeinscha�sbindung mit diesem Ort anstreben. hat Usbekistan sich in irgendeiner Weise für sie eingesetzt. Die Taschkenter Außenpolitik vermeidet es vielmehr konsequent, die »ethnische Karte« zu spielen. Eine usbekische Diaspora- politik, vergleichbar jener Kasachstans oder Russlands, existiert nicht, das Thema diskutieren weder – wie in Ungarn oder Ser- bien – das Parlament noch die Medien. Schließlich verfügt das hochzentralisierte und personalisierte »System Karimow« auch gar nicht über staatliche Institutionen, die sich speziell damit be- schä�igen könnten. Das bedeutet nicht, dass die Führung in Taschkent kein Inte- resse daran zeigt, was mit den Usbeken in Kirgisistan geschieht. Die Behörden sehen in den Auslandsusbeken ein potenzielles Rekrutierungsreservoir für die regimefeindlichen Bewegungen Hisb ut-tahrir al Islami (Islamische Befreiungspartei) und die Is- lamische Bewegung Usbekistans (IBU). Daher unterhalten sie in grenznahen Städten wie Osch ein Netzwerk von Informanten. Da die usbekische Führung die territoriale Integrität und staat- liche Ordnung des Landes durch islamistischen Terrorismus ge- fährdet sieht, räumt sie der Sicherheitspolitik und der inneren Konsolidierung Priorität vor der Stärkung der Beziehungen zu ihrer Diaspora ein. Zur Terrorismusphobie kommt eine generelle Beschrän- kung der internationalen Beziehungen auf zwischenstaatliche Kontakte. Das Regime in Taschkent hat alle Organisationen der Auslandsusbeken, die Beziehungen zu ihm aufnehmen wollten, bislang zurückgewiesen. Islam Karimow wird nicht müde zu be- tonen, dass diese Bürger anderer Staaten sind. Es sei daher die Aufgabe ihrer Heimatländer, sich um die Belange dieser Men- schen zu kümmern. Umgekehrt erwarten aber auch die Auslandsusbeken nicht allzu viel von ihrem »Bezugsland«. Ungeachtet aller sozio-öko- nomischen Probleme und kulturellen Restriktionen, mit denen

218 Staatsnationalismus und Auslandsusbeken sie in Kirgisistan, Tadschikistan und Kasachstan konfrontiert sind, erscheint ihre Situation immer noch besser als jenseits der Grenzen. Solange dort derart autoritär agiert wird wie in den letzten Jahren, ist eine Rückführung kein Thema, geschweige denn, dass der »Anschluss« von Siedlungsgebieten an Usbekis- tan zur Deba�e stünde.

Usbeken in Kirgisistan

Als 1991 die Sowjetunion zusammenbrach, stellte die Titularna- tion nur knapp mehr als die Häl�e der Bevölkerung des nun un- abhängigen Kirgisistans. Russen und Usbeken bildeten mit ca. 21 bzw. 12,9 Prozent die größten Minderheiten. Beide Gruppen siedelten räumlich konzentriert. Die Russen lebten im Norden, die Usbeken im Süden. Die Angst vor einer lokalen Eskalation ethnischer Konflikte geht auf Unruhen im Süden des Landes im Juni 1990 zurück. Bei Zusammenstößen zwischen Kirgisen und Usbeken, die auf Verteilungskämpfe um Land und Wohnungen zurückgingen, starben in Osch und Usgen annähernd 200 Menschen. Wie überall im zerfallenden Vielvölkerreich schien sich auch in Zentralasien eine Ära ethnischer Auseinandersetzungen anzukündigen. Zwar gab es unter den Usbeken in Südkirgisistan in der Spätphase der Sowjetunion tatsächlich Autonomiebestrebungen, und sogar For- derungen nach dem »Anschluss« an das Mu�erland wurden laut. Nach den Zusammenstößen in Osch im Jahr 1990 blieben die Be- ziehungen zwischen Kirgisen und Usbeken jedoch im Großen und Ganzen stabil. Um dies zu verstehen, muss man einen Blick auf die ökonomische Situation, die politischen Rechte und die kultu- rellen Entfaltungsmöglichkeiten der Usbeken vor Ort werfen. Sie spielen auf den Märkten in Osch eine wichtige Rolle. Diese wirtscha�liche Nische gilt zwar vielen Beobachtern als Pri- vileg, geht in Wahrheit aber auch auf den Umstand zurück, dass Usbeken nur unter Schwierigkeiten Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Politisch ist die Bevölkerungsgruppe – ebenso wie Tad- schiken und Kirgisen – in den Kommunalverwaltungen einiger Kleinstädte vertreten. In Kara-Tjube im Gebiet Batken stellen die Usbeken den Bürgermeister (Chokim), in Kysylkyja, in der glei-

219 II. Strukturen und Lebenswelten picture-alliance/dpa/Voß

Eine usbekische Händlerfamilie belädt auf dem Markt von Kara Suu in Kirgisistan an der Grenze zu Usbekistan ihren Moskwitsch mit Decken aus China. chen Region, gehört dieser der tadschikischen Ethnie an – eben- so wie seine drei Stellvertreter. In Nookat steht ein Kirgise der örtlichen Verwaltung vor, und sein Stellvertreter ist Usbeke. Ins- gesamt kommt es jedoch auch in Gebieten mit hohem tadschiki- schem oder usbekischem Bevölkerungsanteil eher selten vor, dass der Chokim einer nationalen Minderheit entstammt; etwas häufi- ger sind immerhin Stellvertreter aus den Reihen der Minorität. Diese Situation spiegelt sich in der Stimmung unter den Us- beken in Kirgisistan wider. Zwar sprechen diese nicht davon, dass sie diskriminiert würden. Gleichwohl glauben sie, eine »Tendenz« zur Bevorzugung von Kirgisen zu bemerken. Mit ihrer gesellscha�lichen Repräsentation und den Möglichkeiten der politischen Teilhabe war bei einer Umfrage 2003 weniger als ein Dri�el (31 Prozent) der Befragten zufrieden. Mehr als die Häl�e der Interviewten vertrat die Ansicht, dass Usbeken weniger Rechte besäßen als Angehörige der Titularnation. Ihre soziale Situation – den Zugang zum Arbeitsmarkt, die Aufstiegs- chancen und die Möglichkeit, sich ökonomische Nischen zu er- richten – schätzte dagegen knapp die Häl�e der Befragten als zufriedenstellend ein. Die Möglichkeiten kultureller Betätigung – der Zugang zu Unterricht und Medien in usbekischer Sprache – befanden fast zwei Dri�el der Befragten für gut.

220 Staatsnationalismus und Auslandsusbeken

Wie bewerten Sie die politische, soziale und kulturelle Situation der Usbeken in Kirgisistan?

Politik Soziales Kultur Sehr gut 3,5 9,5 14,5 Gut 27,4 38,1 49,5 Nicht gut 54,8 39,3 26,5 Weiß nicht 14,3 13,1 9,5

Zahl der Befragten: 131, Angaben in Prozent.

Wenn die Usbeken in Kirgisistan sich vor allem über man- gelnde politische Teilhabe und den schlechten Zugang zu öffent- lichen Ämtern beschweren, so sollte die bessere Bewertung der kulturellen Situation nicht als Zufriedenheit mit dem Status Quo verstanden werden. Vielmehr bilden sprachpolitische Belange einen zentralen Bestandteil der Forderungen usbekischer Ver- bände. Bei Gesprächen in den Gebieten Bischkek, Osch, Dschalal- Abad und Batken erklärten die Befragten, dass neben der schlech- ten gesellscha�lichen Repräsentation und der Arbeitslosigkeit vor allem im bildungspolitischen Bereich einiges im Argen läge: Sie wollen mehr Schulbücher und Unterricht in Usbekisch sowie generell einen höheren Status für ihre Mu�ersprache.

»Heim« nach Usbekistan?

Ethnische Gruppen, die jenseits der Grenzen ihrer eigenen Titu- larnation siedeln, haben drei Möglichkeiten des politischen Han- delns – Loyalität, Widerspruch oder Abwanderung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion emigrierten viele aus ihren angestammten Siedlungsgebieten nach Usbekistan. Seit 1996 hat sich jedoch der Trend umgekehrt. Mehr Usbeken verlassen ihr Land aus wirtscha�lichen Gründen als Angehörige dieser Ethnie einwandern. In Kirgisistan ist der Wunsch, das Land in Richtung Usbekis- tan zu verlassen, nicht mehr sehr verbreitet. Drei Viertel der im Jahr 2003 im Süden des Landes Befragten äußerten, sie wollten

221 II. Strukturen und Lebenswelten

Ein Einwohner des deutsch-kirgisischen Ortes »Rot-Front« auf dem Dorffriedhof.

dort bleiben, da sie sich daran gewöhnt hä�en, »im Ausland zu Hause zu sein«. Viele Interviewte erklärten, sie hä�en »ihre Heimat schon immer dort« und Südkirgisistan sei »auch ihr Land«. Entsprechend verstehen sie Usbekistan nicht als ihr »historisches Vaterland«, begreifen sich nicht als Diaspora und wehren sich dagegen, in einen Topf mit den Russen, Polen, Deutschen oder Ko- reanern geworfen zu werden. Daher sind auch Befürchtungen überzogen, die Usbeken in Südkirgi- picture-alliance/dpa/Allen sistan könnten zu einer Art »Fün�en Kolonne« Taschkents werden. Zwar führte die allgemeine pre- käre Lage unmi�elbar nach dem Zusammenbruch der Sowje- tunion dazu, dass sie mitunter Usbekistan zum »idealen Staat und idealen Gemeinwesen« stilisierten und in Islam Karimow einen Khan und »wohltätigen Despoten« erkennen wollten, der für sein Volk sorge. Mi�lerweile macht sich jedoch eine gewisse Desillusionierung breit, gepaart mit der Erkenntnis, dass Kirgi- sistan trotz aller Einschränkungen mehr politische Freiheit und eine bessere sozio-ökonomische Lage bietet als die Regierung in Taschkent verheißt. Nicht selten sind daher Äußerungen zu hören wie: »Wir in Kirgisistan haben Demokratie, sie in Usbekis- tan haben eine Scheindemokratie.« Besonders kritisch verhalten sich jüngere Menschen gegenüber dem Karimow-Regime. Vor allem männliche Studenten der Universität Osch machen kein Hehl daraus, dass sie die autoritäre Führung im Nachbarland ablehnen. Besonders verurteilen sie die straffe Reglementierung der Religion, das harte Grenzregime und die generelle Beschnei- dung der politischen Freiheiten. Die Usbeken in Kirgisistan vereint die En�äuschung über die Nationalitätenpolitik »ihres« Bezugsstaats, der ihnen kaum Unterstützung zukommen lässt. Ein Viertel der Befragten äußer- te Unzufriedenheit, weniger als ein Fün�el Lob. Viel wichtiger

222 Staatsnationalismus und Auslandsusbeken noch ist aber, dass fast 40 Prozent sich gleichgültig zeigten und weitere 20 Prozent keine Meinung ha�en. Auf die zugespitzte Frage, ob Usbekistan die Interessen der Auslandsusbeken ver- teidige, antworteten sogar mehr als zwei Dri�el mit »nein«, le- diglich ein gutes Zehntel hingegen mit »ja«. Somit markiert ein beiderseitiges Desinteresse den gegenwärtigen Stand. Solange die Usbeken in Kirgisistan die Möglichkeit zum Widerspruch haben, ist die Abwanderung keine Perspektive. Die Loyalität zum kirgisischen Staat aber wächst durch die Möglichkeit der politischen Artikulation.

Nach Andischan: Die Auslandsusbeken in der Zwickmühle

Spätestens die Ereignisse von Andischan zeigten mit scho- nungsloser Deutlichkeit, welchen Weg das Regime in Tasch- kent eingeschlagen hat. Es will nicht das Land aller eth- nischen Usbeken sein, sondern setzt auf einen rigiden Staatsnationalismus. Den Feind sieht Präsident Karimow im »islamischen Extremismus«, der vom Ausland aus ope- riere und den Staat bedrohe. Dieser Gegner, der als Anti- pode des eigenen Selbstverständnisses konstruiert wird, ist nicht ethnisch definiert. Doch die Auslandsusbeken bewegen sich im Fadenkreuz dieses Feindbildes – unabhängig davon, ob sie nun tatsächlich mit dem Islamismus liebäugeln oder nicht. Aber auch die Kirgisen betrachten »ihre« Usbeken durch eine ethni- sche Brille und nehmen sie als potenzielle »Fün�e Kolonne« des Nachbarn im eigenen Land wahr. Ma�eo Fumagalli

223 ullstein bild/Konzept und Bild

Zentralasien rückt weltweit ins Blickfeld der Brennstoffverbraucher – im Bild ein Ölbohrturm in der Nähe von Beschkent. Eine Analyse des Versor- gungspotenzials und der Förderprognosen zeigt, dass die Region noch einige Jahrzehnte lang Erdöl und -gas, Kohle und Uran mit steigender Tendenz liefern wird. Die fossilen Ressourcen der Region könnten einen Beitrag zur Diversifizierung der europäischen Energie-Importe leisten. Kohle wird allerdings eher vor Ort verbraucht werden, Uran primär nach Russland ausgeführt. Ihren wachsenden Bedarf an Energieträgern wird die Europäische Union (EU) kaum in Zentralasien decken können. Will sie überhaupt von der Absteckung neuer Claims auf dem umkämpften Roh- stoffmarkt profitieren, stellt dies erhöhte Anforderungen an eine einheitli- che und effektive europäische Energie-Außenpolitik. Die Rohstoffe Zentralasiens – Vorkommen und Versorgungspotenzial für Europa

Die Energie- und Rohstoffversorgung der Europäischen Union (EU) hängt in hohem Maße von Importen ab. Während um die Jahrtausendwende ca. 47 Prozent der benötigten Ressourcen eingeführt wurden, soll laut Europäischer Kommission dieser Anteil bis 2030 auf nahezu 65 Prozent steigen. Dabei wird die Importabhängigkeit bei Erdöl fast vier Fün�el und bei Erdgas ungefähr 70 Prozent erreichen. Hierbei ist Russland der wich- tigste Lieferant. Angesichts der Auseinandersetzungen um Russlands Erdgasexporte in die Ukraine zu Beginn 2006, nach Weißrussland am Ende des Jahres und kurzfristiger Unterbre- chungen der Erdöllieferungen durch Weißrussland wenige Zeit später verstärkte sich in Europa die Diskussion darüber, ob die Abhängigkeit von Russland nicht zu hoch sei, und welche Konsequenzen sich für eine gemeinsame europäische Energie- Außenpolitik ergäben. In diesem Zusammenhang wurde auch vermehrt die Frage gestellt, inwieweit Lieferungen aus Zen- tralasien einen Beitrag zur Diversifizierung der europäischen Versorgung leisten können. Aus rohstoffwissenscha�licher Perspektive ist es sinnvoll, unter Zentralasien mehr als die fünf südöstlichen Nachfolge- staaten der Sowjetunion zu verstehen. Gerade Erdöl und -gas lagern vor allem im Kaspi-Raum, so dass neben Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisistan und Tadschikistan auch Aserbaidschan sowie die unmi�elbar an das Kaspische Meer angrenzenden russischen Republiken Dagestan und Kalmüki- en sowie das Gebiet um Astrachan zu berücksichtigen sind. Der Iran, der auch an das Kaspische Meer grenzt und ebenfalls im Überfluss mit diesen Ressourcen gesegnet ist, wurde nicht ein- bezogen, da seine Vorkommen überwiegend in der Region des Persischen Golfes lagern. Das Gebiet nimmt etwa drei Prozent der weltweiten Landflä- che ein, wovon allein zwei Dri�el auf Kasachstan als flächenmä- ßig größtes Land entfallen. Gleichzeitig lebt hier nur ein Prozent der Weltbevölkerung: Auch weil der Eigenbedarf gering ist, kön- nen die betroffenen Länder Rohstoffe exportieren.

225 II. Strukturen und Lebenswelten

Rohstoffversorgung Europas

Die Entwicklung der europäischen Wirtscha� basiert in hohem Maße auf einer reibungslosen Energie- und Rohstoffversorgung. 2006 verbrauchten die Staaten der EU 765 Megatonnen (Mt) Mi- neralölprodukte. Auf die fünf größten Verbraucher (Deutsch- land, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien) entfielen nahezu drei Fün�el. Nur knapp ein Dri�el des benötigten Erdöls (ca. 242 Mt) stammten aus eigener Förderung. Wichtigste euro- päische Förderländer waren Norwegen mit ca. 130 Mt und Groß- britannien mit fast 71 Mt. Von dem nach Europa importierten Öl stammten annähernd 44 Prozent aus den Ländern der Gemein- scha� Unabhängiger Staaten (GUS), 24 Prozent aus dem Nahen Osten und etwa 21 Prozent aus Afrika. Im Jahr 2006 erreichte der europäische Erdgasverbrauch ca. 564 Mrd. m³. Die fünf größten Verbraucherländer (Deutsch- land, Großbritannien, Italien, Niederlande und Frankreich) ver- brannten mit ca. 373 Mrd. m³ annähernd zwei Dri�el des Ge- samtverbrauchs. Die eigene Förderung von knapp 316 Mrd. m³ konnte den Bedarf nur zu etwa 56 Prozent decken. Wichtigste Förderländer waren Norwegen (87 Mrd. m³), Großbritannien (84 Mrd. m³) und die Niederlande (78 Mrd. m³). Die Erdgas-Im- porte stammten zu fast 60 Prozent aus Russland, zu 30 Prozent aus Nordafrika und zu sechs Prozent aus Nigeria. Der Großteil des Erdgases gelangte per Pipeline nach Europa; 23 Prozent des Importgases wurden als verflüssigtes Erdgas (Liquified Natural Gas, LNG) transportiert. Im Jahr 2006 wurden in der EU-25 bei einer Eigenförderung von nahezu 258 Mt Steinkohle-Einheiten (SKE, gebräuchliche Energiemaßeinheit: 1 t SKE = 29,3 x 109 Joule) ca. 458 Mt SKE Kohle verbraucht. Wichtige Lieferländer sind Südafrika, Kolum- bien, Australien und Russland. Im Bereich der Kernenergie liegt der jährliche Bedarf Europas bei ungefähr 340 Mt SKE (= 22 500 t Uran), der fast vollständig über Importe gedeckt wird. Die Kaspische Region lieferte im Jahr 2006 lediglich Erdöl. Hier waren insbesondere Kasachstan und Aserbaidschan und in geringerem Maße Turkmenistan beteiligt. Deutschland bezog z.B. im Jahr 2006 7,6 Mt Rohöl (sieben Prozent der Importe) aus Kasachstan und 1,9 Mt (1,7 Prozent) aus Aserbaidschan. Bei Erd-

226 Die Rohstoffe Zentralasiens gas strömten Ende 2006 erste Lieferungen aus Aserbaidschan in die Türkei. Die EU erwartet bis zum Jahr 2030 in ihrem Basis-Szenario für die EU-25 nur bei Erdgas eine bedeutende Steigerung des Verbrauchs um bis zu 140 Mt. Bei Erdöl, Kohle und Kernener- gie wird lediglich mit geringfügigen Veränderungen gerechnet. Trotzdem lässt sich angesichts der rückläufigen Eigenförderung ein deutlicher Anstieg der Importabhängigkeit bei Energieroh- stoffen absehen. Angesichts dessen stellt sich die Frage, aus welchen Quellen dieser Bedarf zukün�ig gedeckt werden kann. Welche Rolle kön- nen die Länder Zentralasiens dabei spielen?

Das Potenzial der Energierohstoffe

Energierohstoffe spielen für die Region eine herausragende Rolle. Sie bilden nicht nur die Basis der eigenen Versorgung, son- dern stellen für Länder wie Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekis- tan und Turkmenistan eine wichtige Devisenquelle dar. Zu den führenden Produzenten gehören Kasachstan bei Uran, Kohle und Erdöl, Usbekistan bei Uran und Erdgas sowie Turkmenistan bei Erdgas.

Platzierung auf der weltweiten Energie-Rangliste Reserven Förderung Erdöl Erdgas Kohle Uran Erdöl Erdgas Kohle Uran AZ 18 24 87 – 27 45 – – KZ 10 10 12 3 19 26 10 3 KS 77 88 30 – 85 78 51 – TJ 87 89 78 – – 81 64 – TM 36 11 – – 43 11 – – UZ 47 19 19 8 46 12 37 7 Quelle: BGR-Datenbank B 1.23, Stand 2006. Länderkürzel = Internationale KfZ-Kennzeichen

227 II. Strukturen und Lebenswelten

Infolge der vergleichsweise hohen Reserven und durch den Ausbau der Infrastruktur mit Anbindung an die internationa- len Märkte wird der Anteil dieser Länder an der Förderung und dem Export in den kommenden Jahren noch zunehmen. Mit ca. 8,2 Gigatonnen (Gt) Erdöl und Kondensat sowie un- gefähr 12,6 Bill. m³ Erdgas stammen etwa vier bzw. sechs Pro- zent der Weltbestände aus Zentralasien. Dies entspricht etwa dem Dreifachen der europäischen Öl- und dem Doppelten der europäischen Gasreserven. Bezüglich ihrer Vorkommen sind Kasachstan und Aserbaidschan bei Erdöl sowie Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan und Aserbaidschan bei Erdgas auf der Energielandkarte nicht mehr wegzudenken.

Reserven, Förderung und Verbrauch von Erdöl und -gas Erdöl (in Mt) Erdgas (in G.m³) Res. Förd. Verbr. Res. Förd. Verbr. RUS* 1600 4,7 – 3150 12,0 – AZ 1350 32,3 4,8 1330 5,7 8,8 KZ 4800 65,0 10,0 3400 32,4 17,8 KS 5 0,1 0,6 6 – 0,7 TJ 2 – 0,3 6 – 0,6 TM 250 8,4 4,7 2832 63,0 16,6 UZ 175 5,4 7,4 1841 59,7 50,1 Gesamt 8182 115,9 27,8 12 565 172,8 94,6

Quelle: BGR-Datenbank B 1.23, Stand 2006 *(Kaspi-Anrainer)

Mit Werten von 7,8 Gt für Erdöl sowie 14,3 Bill. m³ für Erdgas entfallen 5,5 Prozent der weltweiten Erdöl- bzw. 17,5 Prozent der -gasressourcen auf die Region. Zentralasien kennzeichnet eine Reihe großer Sedimentbe- cken, die teilweise mit über 15 Kilometer mächtigen Ablage- rungsschichten aufgefüllt sind wie das Nord- und Südkaspi- sche Becken. Dadurch bestehen günstige Bedingungen für die Bildung und Erhaltung von Erdöl- und Erdgaslagerstä�en. Von den Sedimentbecken sind für das »Schwarze Gold« das Nord-,

228 Die Rohstoffe Zentralasiens

Süd- und Mi�elkaspische, für Erdgas das Amudarja-, Nord- und Südkaspische Becken von herausragender Bedeutung. Hier be- finden sich die großen Vorkommen, die den Großteil der Förde- rung ausmachen. Die zentralasiatische Region zählt neben den USA (Penn- sylvania), Rumänien, Polen und Deutschland zu den ältesten Erdölregionen der Welt. Eine Pionierrolle spielte Aserbaid- schan, wo bereits Mi�e des 19. Jahrhunderts Erdöl gefördert wurde und das an der Wende zum 20. Jahrhundert diesbezüg- lich weltweit führend war. Auch Kasachstan blickt auf eine über hundertjährige Ausbeutung des Rohstoffes zurück. Al- lerdings stieg die Gesamtförderung in der Region lediglich in den 1970er-Jahren über 50 Mt an. Nachdem infolge des Zer- falls der Sowjetunion die Menge zurückgegangen war, setzte Mi�e der 1990er-Jahre ein kontinuierlicher Anstieg ein, der sich in den letzten Jahren deutlich steigerte. Internationale Kon- sortien entwickelten das Tengis-Feld in Kasachstan und die Feldergruppe Aseri-Tschirag-Guneschli in Aserbaidschan. Im Jahre 2006 kamen mit ca. 116 Mt Erdöl ungefähr drei Prozent der Weltförderung aus dem zentralasiatischen Raum. Die Pro- gnosen gehen von einem weiteren Anstieg der Fördermenge aus. Hier erwarten Kasachstan (65 Mt) sowie Aserbaidschan (32 Mt) mit der Entwicklung besagter Feldergruppen bedeutende Zu- wächse. Für das Jahr 2020 wird mit einem Au�ommen von etwa 230 Mt gerechnet. Bei der Erdgasförderung begann Mi�e der 1960er-Jahre mit der Erschließung des Gasli-Feldes in Usbekistan ein rasanter Anstieg, ein Jahrzehnt später folgte Turkmenistan, das 1989 sein Maximum mit ca. 90 Mrd. m³ (Platz 3 im Weltvergleich) erreichte. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging die Menge vor allem in Turkmenistan drastisch zurück. Das Land stellte vor dem Jahrtausendwechsel seine Lieferungen an die Ukraine ein, nachdem diese mit ihren Zahlungen in Rückstand geriet, und fand mit Ausnahme geringer Exporte in den Iran keine zahlungsfähigen Abnehmer mehr. Erst seit 2000, als die Liefe- rungen an die Ukraine wieder aufgenommen wurden, steigt die Förderung in Turkmenistan erneut an. In Kasachstan trug die Entwicklung des Karatschaganak-Feldes zu einer deutlichen Aufwärtsentwicklung bei.

229 II. Strukturen und Lebenswelten

Zentralasien lieferte 2006 mit ca. 176 Mrd. m³ Erdgas sechs Prozent der Weltförderung. Wichtige Förderländer sind Turkme- nistan und Usbekistan, die sich Plätze unter den zwölf weltweit führenden Produzenten teilen. Die Prognosen gehen wie beim Erdöl von einem weiteren Ansteigen der Förderung in allen Län- dern aus. Im Jahr 2020 soll ein Niveau von annähernd 325 Mrd m³ erreicht werden. Hierfür sind die Erschließung und der weitere Ausbau neuer Felder, insbesondere der »Supergiants«, von Be- deutung. Das betri� in Russland das Astrachan-Feld sowie in Kasachstan das Karatschaganak-Feld und in Aserbaidschan das Feld Schah Denis. Aber auch das vor Kurzem entdeckte Erdgas- feld Südjolotan im Osten Turkmenistans könnte zu dieser Kate- gorie gehören. ullstein bild/Konzept und Bild

Erdöllagerstätte Shakarbulak bei Guzar. Hier wird Erdgas aufbereitet, das als Begleitprodukt der Ölförderung entsteht.

Die zehn Raffinerien der Region verfügen über eine jährli- che Verarbeitungskapazität von etwa 70 Mt. Sie befinden sich auf unterschiedlichem technologischem Niveau. Einige Anla- gen sind bereits auf neuestem technischem Stand, bei anderen ist die Modernisierung im Gange. Mit knapp 28 Mt verbrauch- ten die Länder des zentralasiatischen Raumes im Jahr 2006 nur

230 Die Rohstoffe Zentralasiens knapp ein Viertel des geförderten Erdöls, bei Erdgas entsprach die selbst verbrannte Menge einem Anteil von 53 Prozent. In den meisten Staaten der Region liegt der Erdgasanteil am primären Energieverbrauch mit teilweise über 50 Prozent überdurch- schni�lich hoch. Die Erdölexporte aus Zentralasien erreichten im Jahr 2006 knapp 68 Mt, die vorwiegend in Staaten außerhalb der GUS (vgl. Info-Kasten auf S. 79) flossen. Kasachstan (52 Mt) und Aserbaid- schan (13 Mt) nahmen hierbei die beiden Spitzenplätze ein. Bei Erdgas betrugen die zentralasiatischen Exporte annähernd 70 Mrd. m³, davon gingen fast 92 Prozent (64 Mrd. m³) in andere Län- der der GUS. Größter Exporteur war Turkmenistan mit etwa 48 Mrd. m³. Die restlichen acht Prozent gingen in Länder außerhalb der GUS beispielsweise in den Iran. In den kommenden Jahren ist mit dem weiteren Ausbau der Förderung und auch mit deutlichen Zuwächsen bei den Exporten zu rechnen. Nach wie vor werden Russland bzw. die Ukraine als Hauptabnehmer für Erdgas au�re- ten. So schloss Gazprom mit Turkmenistan Lieferverträge, die bis 2010 auf 80 Mrd. m³ ausgeweitet werden sollen. Geringere Men- gen bezieht die Föderation aus Usbekistan. Mit der Aufnahme der Erdgaslieferungen aus dem aserbaidschanischen Schah-Denis- Feld gelangt erstmals Erdgas aus dem zentralasiatischen Raum nach Europa. Allerdings ist das Potenzial dieser Lieferungen be- grenzt und nicht vergleichbar mit den turkmenischen Exporten. Großes Interesse an Erdgas aus Zentralasien zeigt China, das mit Turkmenistan einen Liefervertrag schloss. Ähnliche Absichten be- stehen gegenüber Kasachstan. Zu den potenziellen Rohsto�un- den zählen auch Pakistan und Indien, womit ein We�lauf um das zentralasiatische Erdgas vorprogrammiert ist.

Transportinfrastruktur

Der Export der zentralasiatischen Ressourcen war bis Mi�e der 1990er-Jahre nur über das russische Pipelinenetz möglich, was den Zugang zu den Weltmärkten weitgehend verwehrte. Erstmals umgingen die Erdgaspipeline von Korpeje (Wes�urk- menistan) nach Kurt Kui (Nordiran), die Ende 1997 in Betrieb ging, und die Erdölpipeline von Baku nach Supsa (Georgien) am

231 II. Strukturen und Lebenswelten

Schwarzen Meer, die im April 1999 ihren Dienst aufnahm, russi- sches Territorium. Von besonderer Bedeutung für den Export von Erdöl sind die 2003 in Betrieb genommene Pipeline des Kaspischen Pipe- line Konsortiums vom Tengis-Feld in Kasachstan an den russi- schen Schwarzmeerhafen Noworossisk und die BTC-Pipeline (Baku–Tiflis–Ceyhan) vom aserbaidschanischen Baku bis an den türkischen Schwarzmeerhafen Ceyhan, die 2005 in Betrieb ging und das Erdöl der Feldergruppe Aseri-Tschirag-Guneschli transportiert. Damit steht eine Kapazität von über 100 Mt pro Jahr in westlicher Richtung zur Verfügung – mit Optionen zur Erweiterung. Das Transportvolumen über das Schwarze Meer steht und fällt gegenwärtig noch mit der Durchlassfähigkeit des Bosporus. Aber mit dem beschlossenen Bau einer Pipeline von Burgas (Bulgarien) nach Alexandroupolis (Griechenland), der geplanten Schaffung einer Verbindung von Konstanza (Rumä- nien) zum italienischen Adriahafen Triest und der möglichen Nutzung der Leitung Odessa–Brody in der Ukraine für den Transport zur Druschba-Pipeline und dann weiter nach Euro- pa, gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Erweiterung. Auch die Nutzung des zentralrussischen Netzes steht im Raum. Aber auch aus östlicher Richtung (China) steigt die Nachfrage nach Erdöl aus der zentralasiatischen Region und nach entspre- chenden Transportmöglichkeiten. So ging Mi�e 2006 das erste, östliche Teilstück der Kasachstan–China-Pipeline von Atasu nach Alaschankou mit einer Kapazität von 10 Mt pro Jahr ans Netz. Damit kann kasachisches, aber auch westsibirisches Erdöl direkt in die Volksrepublik transportiert werden. Mit der Fertig- stellung des westlichen Teilabschni�es in den nächsten Jahren besteht dann auch ein Zugang zu den reichen Förderfeldern im Westen Kasachstans. Geringere Mengen fließen über Iran – im Tauschgeschä� (Swap) wird kasachisches und turkmenisches Erdöl in den Nor- den des Landes gepumpt und dafür iranisches Erdöl am Per- sischen Golf zum Export bereitgestellt. Der Bau einer Pipeline durch Iran – als wirtscha�lich günstigste Variante – scheiterte bisher am Widerstand der USA. Ebenso unsicher erscheint das Projekt einer Leitung, die Turkmenistan über Afghanistan mit Pakistan und dem Arabischen Meer verbindet.

232 Die Rohstoffe Zentralasiens picture-alliance/dpa/Ustinenko

Bau der über tausend Kilometer langen kasachischen Pipeline von Atasu nach Alaschankou, die Öl in Richtung China transportieren soll.

Die wichtigsten Erdgaspipelines laufen gegenwärtig noch in Richtung Russland. Die Pipeline Zentralasien–Zentrum führt aus dem Amudarja-Becken bis nach Moskau. Die Hauptschlag- ader für den Export wird gegenwärtig renoviert. Vereinbarungen zwischen den Präsidenten Russlands, Kasachstans und Turkme- nistans über den Bau einer Kaspischen Gaspipeline zielen darauf ab, zentralasiatisches Gas über russisches Gebiet nach Europa zu leiten. Präsident Dmitri Medwedjew gab Ende 2008 endgültig grünes Licht für den Bau, die geplante Durchsatzkapazität der Leitung beträgt bis zu 30 Mrd. m3 aus Turkmenistan und etwa 10 Mrd. m3 aus Kasachstan. Mit der erwähnten Pipeline Korpeje–Kurt Kui von Turkme- nistan in den Iran entstand 1997 die erste Möglichkeit, Gas in ein anderes Land als Russland zu exportieren. Von Bedeutung für Eu- ropa ist die Ende 2006 fertiggestellte BTE-Pipeline (Baku–Tiflis– Erzurum) von der aserbaidschanischen Hauptstadt nach Anato- lien, die parallel zur BTC-Pipeline verläu�. Zum Weitertransport bis Mi�eleuropa ist die Nabucco-Pipeline vorgesehen, die von der Türkei über den Balkan bis nach Wien verlaufen soll. Auf diesem Weg könnte auch iranisches Erdgas transportiert werden.

233 II. Strukturen und Lebenswelten (nach China

VR Tarim CHINA MGFA Duschanzi) 05938-02

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Ölraffinerie Terminal Ölpipeline Ölpipeline-Projekt Ölfeld Gasfeld Gaskondensatfeld c Armenien

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e Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA.

Noworossisk c (Baku-Tiflis-Ceyhan) Ceyhan (Mittelmeer) Persischer Golf Asow. Asow. Meer S M

234 Die Rohstoffe Zentralasiens

Eine Reihe anderer Pipelineprojekte, die in den 1990er-Jah- ren im Gespräch waren, sind ad acta gelegt worden. Die Idee einer Transkaspischen Gaspipeline von Turkmenistan durch das Kaspische Meer, über Aserbaidschan und Georgien bis in die Türkei gewann nicht an Konturen. Gründe waren u.a. Streitigkeiten zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan über die jeweiligen Anteile an der Gesamtmenge und letztlich die Ausbeutung des Schah-Denis-Feldes. Eine angedachte Verbin- dung von Turkmenistan nach Pakistan und möglicherweise bis Indien über Afghanistan kam aufgrund der unsicheren Lage in Afghanistan ebenfalls nicht voran, obwohl die Regierungen der beteiligten Länder nach wie vor an den Plänen festhalten. Mehr Erfolg verspricht dagegen die im Bau befindliche Pipeline von Turkmenistan nach China über Usbekistan und Kasachstan mit Anbindung an die chinesische West-Ost-Pipeline, deren zwei- ter Strang gegenwärtig auch gebaut wird.

Kohle

Kasachstan gehört zu den zwölf weltweit führenden Ländern bei den Reserven und der Förderung von Kohle. Der Anteil Zen- tralasiens an den Weltreserven beträgt bei Hartkohle 1,2 Prozent und liegt bei Weichbraunkohle mit 1,3 Prozent etwas höher. In der Region gibt es zwei große und eine Reihe kleinerer Kohlebe- cken. Fast 90 Prozent der Reserven entfallen auf Kasachstan, der Rest lagert vorwiegend in Usbekistan. Nach dem Zerfall der UdSSR ging die Kohleförderung deut- lich zurück, konnte sich aber in den letzten Jahren stabilisieren. Im Jahr 2006 wurden in der Region 93,5 Mt Hartkohle und 3,1 Mt Weichbraunkohle produziert, was 1,7 bzw. 0,3 Prozent der Weltförderung entsprach. Während die Weichbraunkohle un- mi�elbar vor Ort verstromt wird, muss die Hartkohle teilwei- se über beträchtliche Entfernungen – meist per Eisenbahn – zu den Verbrauchern gelangen. Wichtigster Kohleproduzent ist Ka- sachstan, das einen Teil seiner Kohle (ca. 26 Mt) nach Russland exportiert. 2006 wurden in der Region 72,4 Mt Kohle verbraucht, davon gut 96 Prozent Hartkohle. Der Anteil am primären Energiever-

235 II. Strukturen und Lebenswelten

Kohlereserven, -produktion und -verbrauch in Mt Hartkohle Weichbraunkohle Res. Förd. Verbr. Res. Förd. Verbr. AS 1 – – – – – KZ 8000 93,0 68,3 – 4,9 2,9 KJ 192 0,3 0,8 812 0,1 0,3 TJ 2 < 0,1 0,1 1 – – TM – – – – – – UZ 1000 0,1 0,1 3000 3,0 2,8 Region 9195 93,5 69,3 5841 8,1 5,9 Global 736 112 5356,4 5340,4 223 262 955 945 Quelle: BGR-Datenbank B 1.23, Stand 2006 brauch ist bis auf 49 Prozent in Kasachstan – im Vergleich dazu in Deutschland 24 Prozent – gering.

Kernbrennstoffe

Kasachstan und Usbekistan gehören zu den zehn führenden Ländern bei den Reserven und der Förderung von Uran. Die si- cher nachgewiesenen Vorräte, die bei einem Aufwand von weni- ger als 40 US-Dollar pro Kilogramm gewonnen werden können, betragen in der Region ca. 339 Kilotonnen (kt) Uran. Dies sind 17 Prozent der Weltreserven. Hiervon entfallen über 80 Prozent auf Kasachstan, der restliche Anteil auf Usbekistan. Der Großteil der Bestände lagert in Zentralkasachstan in den Uranprovinzen Schu-Sarysu und Syrdarja. Geringe Mengen befinden sich im Norden des Landes bei Kokschetau. Usbekisches Uran findet sich in der Kysylkum-Wüste. Lediglich Kasachstan und Usbekistan fördern gegenwärtig noch den Rohstoff; bis Anfang der 1990er-Jahre tat dies auch Kir- gisistan. Der Abbau wurde hier jedoch aus Kostengründen einge- stellt. Ähnlich wie bei den anderen Energieressourcen ging auch bei Uran die Förderung nach dem Zerfall der Sowjetunion zu- rück, steigt aber seit 1997 – insbesondere in Kasachstan – wieder an. Im Jahr 2006 betrug die Produktion in der Region ca. 7,5 kt, das entspricht knapp 18 Prozent der Weltproduktion. Das radio-

236 Die Rohstoffe Zentralasiens aktive Metall wird mi�els einer Säure (z.B. Schwefelsäure) aus dem Boden gespült (In-Situ-Laugung, ISL). Die Urangewinnung befindet sich überwiegend in staatlicher Hand. Kasatomprom in Kasachstan sowie das Bergbau- und Metallurgie-Kombinat Nawoi in Usbekistan beherrschen die Produktion. Russland en- gagiert sich im Uranerzbergbau und bei Au�ereitungswerken in Kasachstan (Lagerstä�e Saretschnoje, metallurgisches Kombinat Ulba in Ust-Kamenogorsk), Usbekistan (Nawoi) und Kirgisistan (Kombinat in Kara-Balta), da sein Lagerstä�enpotenzial für die Deckung des eigenen Bedarfs und der Exporte nicht ausreicht. Alle Länder planen eine Erweiterung der Produktionskapa- zitäten. So peilt Usbekistan bis 2020 eine Erhöhung der Förde- rung auf 3000 t an. Kasachstan will die Leistung bei etwa 5300 t halten und nach neuesten Meldungen sogar weiter heraufsetzen, um bis 2010 zum weltgrößten Uranproduzenten aufzusteigen. In diesem Fall würde die Fördermenge dann deutlich über 10 kt liegen, und Zentralasien wäre die führende Förderregion der Welt. Das vor Ort au�ereitete Uran wird überwiegend in den Norden exportiert, dort angereichert und zu Brennelementen verarbeitet. Kasachstan schloss mit Russland ein Abkommen zum gemeinsamen Bau einer Anreicherungsanlage in Angarsk (Ostsibirien). Zentralasien selbst verfügt nicht über eigene Kern- kra�werke.

Uranreserven, -produktion und -verbrauch in t Reserven Ressourcen Förderung Kasachstan 278 840 1 347 259 4175 Usbekistan 59 740 2 955 000 2300 Regional 338 583 4 302 259 6475 Global 1 730 495 12 849 420 41 267

Quelle: Uranium 2005. Resources, Production and Demand. Nuclear Energy Agency, Paris 2006, Stand 2005.

237 II. Strukturen und Lebenswelten

Das Potenzial an mineralischen Rohstoffen

Neben den Energieträgern lagert in Zentralasien eine breite Pa- le�e mineralischer Rohstoffe. Zum einen nichtmetallische Deck- gebirgsrohstoffe wie Salze, aber auch Baurohstoffe und hochmi- neralisierte Wässer (Jod, Brom) in den an das Kaspische Meer angrenzenden Flachlandregionen. Die gering entwickelte Infra- struktur und die weit entfernten Verbraucher machen deren Er- schließung wirtscha�lich bislang allerdings nur wenig a�raktiv. Die großen Grundgebirgseinheiten im Osten Usbekistans und Kasachstans (Tienschan-Faltenzone, Ostkasachische Regi- on) und des südlichen Ural bindet eine außerordentlich große Vielfalt mineralischer Rohstoffe: Eisenerz, Stahlveredler, Bauxit, Buntmetalle, Edelmetalle, seltene Metalle, Phosphorit und an- dere nichtmetallische Rohstoffe. Dieses Potenzial lässt Kasachs- tan und auch Usbekistan in die Rolle von Bergbauländern mit Weltgeltung aufsteigen. Kasachstan liegt unter den Top Ten der Produzenten von Uran, Chromit, Vanadium, Zink, Bauxit, Silber, Schwerspat, Asbest und Bor. Usbekistan gehört bei der Förde- rung von Gold und Wolfram zu den wichtigen Ländern. Diese Rohstoffe spielen in der Wirtscha� dieser Länder somit eine ähnlich bedeutende und zum Teil bedeutendere Rolle als die Kohlenwasserstoffe. Entsprechend groß ist auch das Interesse ausländischer Investoren für die Bergbauindustrie, vor allem bei der Jagd nach Gold, Chrom, Kupfer und Aluminium. Bezogen auf die deutschen Importe im Jahr 2005 sind Kasachstan bei Silber (31 Prozent der Importe; Rang 1), Ferrochrom (7,8 Prozent; 3) und Zinnabfall und -schro� (5,2 Prozent; 6) sowie Usbekistan bei Selen (18,9 Prozent; 2) von Bedeutung.

Kün�ige Rohstoffproduktion und Export

Seit Mi�e der 1990er-Jahre steigt die Produktion von Energie- rohstoffen kontinuierlich an. Dieser Trend dür�e sich fortset- zen, wenn auch mit unterschiedlichem Tempo. Bis zum Jahr 2020 wird bei der Förderung von Erdöl und -gas in etwa eine Verdopplung geschätzt. Bei Kohle und Uran erwarten Analys- ten eine – wenn auch geringere – Steigerung. Damit einher geht

238 Die Rohstoffe Zentralasiens China

VR Tarim CHINA MGFA

Saisansee

05937-02

n a

Issyk- Kul h

Ölfeld Gasfeld Gaskondensatfeld Gasaufbereitung Gaspipeline Gaspipeline-Projekt c Georgien

Armenien s

h GE AR c n ys Irt e Ili Almaty i Erdgasreserven und -pipelines in Zentralasien

T

BISCHKEK P a m i r PAKISTAN KIRGISISTAN Balchasch- see Mingbulak

Tschu ASTANA DUSCHANBE CHSTAN

TADSCHIKISTAN iH k u d s n u c h

A Ischim 10 TASCHKENT 9 Kumkol AS ja

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K d r Aidarkul y

S 7 AFGHANISTAN Turgai 5

4 Gasli

1 Tobol 6 1 Kokdumalak 1 Jaschlar Gasfeld 1 Naip 2 Gurgutli 3 Kirpitschli 4 Kadym 5 Dengis 6 Semantepe 7 Urtabulak 8 Sewardi 9 Schurtan 10 Gadschak 1 12 Südjolotan/Osman 13 Schatlyk 14 Dauletabad-Donmes 2 Pakistan 12 USBEKISTAN 1 14 3

Aral- see ja

Orsk r Südlicher Ural Ural Südlicher a 13 d A m u ASCHCHABAD Artschak Orenburg roizk Kanal Karakum- Schanaschol

300 km SOJUS K o p e t d a g Tengis TURKMENISTAN Anastasijewo-T ganak 1 Krestischtschenskoje 2 Schebelinka 3 Jefremowskoje 4 Gaskondensatfeld 5 Schah-Denis-Gasfeld

Karatscha-

Kairan Korpeje IRAN Ural Transkaspische

Aktöbe Pipeline Kara- Bogas- Gol Kraschanbas Usen 0 Aktau

s Kaschagan Gai

Neft Daschlan r

u Kotur-Tepe Aseri- Tschirag- Guneschli Alexandrow b TEHERAN Tscheleken Kalamkas Balachany Sabuntschi Ramana Schetibai

5 l

E Kaspisches Meer Wolga Bachar BAKU Chwalynsk Astrachan

RUSSISCHE s Juri Kortschagin u

s ASERB. Moskau

Don a TIFLIS k

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a Urmia- FÖDERATION K AR GE 2 Rostow JEREWAN 3

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1 es Blue Stream Blue rz

4 a BTE hw TÜRKEI

c er (Baku-Tiflis-Erzurum) UKRAINE S e M Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA. Westeuropa Bratstwo Süd-Ost- Europa Türkei Türkei Asow. Asow. Meer Türkei

239 II. Strukturen und Lebenswelten

Produktion von Rohstoffen und Exportpotenzial im Jahr 2020 Förderung Export Öl1 Gas2 Kohle1 Uran3 Öl1 Gas2 Kohle1 AS 55 25 – – 45 15 – KZ 130 50 100 5,3 110 30 30 TJ 50 130 – – 40 110 – UZ 8 80 – 3,0 -5 20 – Region 243 285 100 8,3 190 175 30 Quellen: Interfax Petroleum Report (verschiedene Ausgaben); Caspian Oil and Gas. The supply potential of Central Asia and Transcaucasia. IEA 1998 sowie eigene Schätzungen. 1(in Mt) 2(in Mrd. m³) 3(in kt) eine starke Zunahme der Exportkapazitäten. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es enormer Investitionen. Nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) werden für den Zeit- raum bis 2030 knapp 200 Milliarden US-Dollar benötigt – allein für den Ölsektor etwas mehr als die Häl�e. Diese Mi�el können die Länder der Region nicht allein au�ringen, und ausländische Investoren haben bereits Milliardensummen in Erdöl- und -gas- projekte investiert. Die erwartete europäische Nachfrage an Erdöl im Jahr 2020 dür�e deutlich höher sein als das Exportpotenzial aus den Län- dern Zentralasiens. Darüber hinaus werden Rohstoffe der Regi- on nicht nur nach Europa fließen. Eine zunehmende Nachfrage entsteht im asiatischen Raum – insbesondere China –, aber auch auf dem internationalen Markt. Das für Europa zur Verfügung stehende Exportvolumen bei Erdöl dür�e sich auf etwa 100-150 Mt belaufen. Bei Erdgas begann erst im Jahr 2007 der Export aus Aser- baidschan in die Türkei. Ausfuhren in weitere Länder Europas hängen vom Ausbau des Pipelinesystems, aber vor allem von der Nachfrage aus Russland und China ab. Letztendlich dür�e nur ein geringer Teil der zentralasiatischen Exporte für Europa zur Verfügung stehen: Im Jahr 2020 voraussichtlich nicht mehr als 50 Mrd. m³, d.h. nur ein Neuntel des europäischen Import- bedarfs. Allerdings können Lieferungen nach Russland indi-

240 Die Rohstoffe Zentralasiens rekt zur Sicherung der Erdgasversorgung der Europäischen Union beitragen. Damit dür�e auf längere Sicht die Abhängigkeit Europas von Erdöl- und Erdgasimporten aus Russland bestehen blei- ben. Der zentralasiatische Raum kann einen gewissen Beitrag für die Sicherung der Versorgung leisten. Letztendlich wird der Nahe Osten mit seinen gewaltigen Kohlenwasserstoffvorkom- men jedoch eine immer wichtigere Rolle spielen. Der Rohstoff Kohle wird vorwiegend für Zentralasien selbst sowie für die Russische Föderation als Importeur kasachischer Hartkohle relevant sein, jedoch kaum für Europa. Bei Uran steht eine Zu- nahme der Bedeutung zu erwarten, und Russland als Verarbei- ter zentralasiatischer Uranerze könnte als zukün�iger potenzi- eller Lieferant auch für Europa weiter an Gewicht gewinnen. Die EU wird zukün�ig verstärkt Metallrohstoffe und einzelne Industriemineralien insbesondere aus Kasachstan einführen, während der überwiegende Teil der Nichtmetallrohstoffe wohl weiterhin überwiegend Verwendung in Zentralasien selbst fin- det. Außer Zweifel steht eine zunehmende Konkurrenz um die zentralasiatischen Rohstoffe. Dies macht neben einer aktiven und einheitlichen europäischen Rohstoffaußenpolitik auch das verstärkte Engagement deutscher und europäischer Firmen er- forderlich. Hilmar Rempel, Sandro Schmidt, Ulrich Schwarz-Schampera, Simone Röhling und Klaus Brinkmann

241 akg-images/ESA

Der Aralsee – im Bild ein Satellitenfoto von 2003 – ist Schauplatz einer der größten, je von Menschen verursachten Umweltkatastrophen. In nur 50 Jahren verlor das Binnengewässer neun Zehntel seines Wasserbe- standes. In einem Gebiet größer als das der Bundesrepublik Deutsch- land leiden knapp vier Millionen Menschen unter Salzstürmen mit Pes- tizidrückständen. Die Kindersterblichkeitsrate ist eine der höchsten der Welt. Auch Typhus, Hepatitis und Krebserkrankungen treten überpropor- tional häufig auf. Hinzu kommen gravierende sozio-ökonomische Pro- bleme. Alle Rettungsversuche der letzten 15 Jahre scheiterten, das mul- tilaterale Krisenmanagement hat versagt. Die Staaten an den Flüssen Amudarja und Syrdarja, die den Aralsee speisen, entnehmen entgegen allen Selbstverpflichtungen weiter riesige Wassermengen für die Land- wirtschaft. Die Aralsee-Katastrophe – Ein Nachruf auf das multilaterale Krisenmanagement

Der Aralsee war bis Mi�e des 20. Jahrhunderts das viertgrößte Binnengewässer der Erde. In den vergangenen fünf Jahrzehnten reduzierte sich sein Zufluss aber aufgrund des Wasserverbrauchs in der Landwirtscha� so stark, dass der See langsam ausgetrock- net ist. Inzwischen gibt es den Aralsee streng genommen nicht mehr. Übrig geblieben sind vier Restseen. In weniger als einem halben Jahrhundert geriet ein über Jahrzehntausende gehaltenes ökologisches Gleichgewicht aus den Fugen. Es handelt sich um eine der größten von Menschen verursachten Umweltkatastro- phen des 20. Jahrhunderts. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 leiden mit Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisistan und Tad- schikistan fünf souveräne Staaten unter der Aralsee-Katastro- phe. Zwar sind lediglich Usbekistan und Kasachstan direkte Anrainer, das Aralseebecken mit den beiden Zuflüssen – Amu- darja und Syrdarja – umfasst jedoch auch Turkmenistan, Tad- schikistan, Kirgisistan sowie den Iran und Afghanistan: Der Syrdarja entspringt in Kirgisistan und fließt durch Usbekistan und Tadschikistan wieder nach Usbekistan und schließlich nach Kasachstan, wo er in den nördlichen Teil des Binnengewässers mündet. Der Amudarja hat seinen Ursprung in Tadschikistan und Afghanistan und strömt durch Turkmenistan nach Usbe- kistan, wo er den südlichen Teil des Sees erreicht. Da alle Staa- ten die Wasserressourcen nutzen, müssten sie kooperieren, um das weitere Austrocknen zu verhindern. Die Internationale Ge- meinscha� investierte Milliarden Dollar in verschiedene Projek- te und Programme, um die stetig fortschreitende Verlandung zu verhindern. Trotzdem scheint der Prozess der Austrocknung unumkehrbar. Dies liegt vor allem daran, dass die Zusammen- arbeit zwischen den zentralasiatischen Staaten, welche für die Abwendung der Katastrophe unabdingbar wäre, gescheitert ist.

243 II. Strukturen und Lebenswelten

Ursachen und Auswirkungen der Aralsee-Katastrophe

Der Aralsee ist ein abflussloser See. Sein Wasserspiegel hielt sich bis Mi�e des 20. Jahrhunderts in einem Gleichgewicht, das durch den ober- und unterirdischen Wasserzufluss sowie durch die Verdunstung entstand. Die beiden Hauptzuflüsse Amudarja und Syrdarja speisen sich überwiegend aus den Schneemassen der Hochgebirge in Kirgisistan und Tadschikistan. Diese ermög- lichen eine landwirtscha�liche Nutzung des trockenen Steppen- landes Zentralasiens. Bereits im Zuge der kolonialen Erschlie- ßung durch Russland Ende des 19. Jahrhunderts begann die Ausweitung der Bewässerungslandwirtscha� – vor allem für den Au�au einer Baumwollmonokultur. Massiv forcierte diese jedoch erst die sowjetische Führung ab den 1950er-Jahren. Die Sowjetunion sollte auf dem Weltmarkt als Baumwollproduzent etabliert und Zentralasien das Produktionszentrum werden. Im Becken des Aralsees wurde die bewässerte Fläche von 4,2 Mil- lionen ha (1950) auf 7,4 Millionen ha (1989) nahezu verdoppelt. Das nötige Wasser stammte zu einem großen Teil aus Amudarja und Syrdarja. Die Ausweitung des Bewässerungsanbaus zerstörte das Gleichgewicht von Zufluss und Verdunstung. Mit der verstärk- ten Nutzung der Wasserressourcen verringerte sich die Zufluss- menge in den Aralsee von 56 km³ Anfang der 1960er-Jahre auf sechs km³ in den 1980er-Jahren. Das wenige Wasser, das den See noch erreicht, ist o� hoch kontaminiert mit Pestiziden, Her- biziden und Düngemi�elrückständen aus der Landwirtscha�. In manchen Jahren fanden die Flüsse den See überhaupt nicht mehr. Dadurch verlor dieser 74 Prozent seiner ursprünglichen Fläche von 69 900 km² und 90 Prozent seines Wasservolumens. Die Folge ist eine komplexe ökologische Krise mit zunehmen- der Wasser- und Bodenverknappung: Durch den Rückgang wurde das Wasser im See zunehmend salzhaltiger, so dass einheimische Tiere und Pflanzen ausgestorben sind. Der freige- legte Seeboden verwandelte sich in eine Salzwüste, deren Sand verweht und die Fruchtbarkeit der noch verbliebenen Anbau- flächen extrem einschränkt. Etwa 30 Prozent des entnommenen

244 Die Aralsee-Katastrophe

Wassers erreicht dabei nicht einmal die Felder, sondern geht in den schlechten und veralteten Bewässerungsanlagen durch Versickerung, Verdunstung oder Lecks verloren. Etwa ein Viertel der Wassermenge des Amudarja wird in den Karakum-Kanal abgezweigt. Der ab 1956 gebaute Kanal verläu� quer durch Turkmenistan und ist der größte Bewäs- serungskanal der Welt. Er ist überlebensnotwendig für das trockene Land: Mehr als 90 Prozent der turkmenischen Was- serversorgung werden aus ihm gespeist. Doch auch hier geht ein Großteil des Wassers verloren, da der Kanal über weite Strecken nicht befestigt ist, sondern schlicht durch den Sand verläu�. Die sowjetische Führung nahm den Wasserrückgang im Aralsee lange nicht als Problem wahr. Wenn sie dennoch nach Lösungen suchte, spiegelten auch diese den Glauben an die technische Beherrschbarkeit der Natur wider. So entstanden Pläne für eine externe Wasserspeisung – von der Umleitung si- birischer Flüsse über die Zuführung von Wasser aus dem Indus oder dem Kaspischen Meer bis zur Schmelzung der Gletscher im Pamir-Gebirge. Erst als Michail Gorbatschows Politik der Glasnost die Katastrophe des Aralsees öffentlich machte, wuchs das Umweltbewusstsein der Bevölkerung, und die Sowjetregie- rung begann umzudenken. Nach einer ersten offiziellen Expertenreise ins Aralgebiet im Jahre 1988 forderte das Zentralkomitee (ZK) der Kommunisti- schen Partei in einer Resolution Maßnahmen zur Verbesserung der ökologischen und sanitären Situation und zum Erhalt der Land- und Wasserressourcen. Die Regierung ordnete an, dass die Bewässerungssysteme verbessert, nach 1991 keine neuen Felder mehr kultiviert werden und spätestens 2005 eine Min- destzuflussmenge von 21 km³ pro Jahr erreicht werden sollte. 1990 begann die Zusammenarbeit mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UN). Noch im Februar 1991 veröffent- lichte die 1987 gegründete Aralsee-Kommission ein Konzept, das unter anderem die Reduzierung des Baumwollanbaus und eine wirtscha�liche Umstrukturierung der Region vorsah. Der Zusammenbruch der Sowjetunion im gleichen Jahr bereitete diesen Bemühungen jedoch ein vorläufiges Ende.

245 II. Strukturen und Lebenswelten ullstein bild/ Konzept und Bild

Die Karakum-Wüste im Südwesten Usbekistans nahe der Grenze zu Turkmenistan.

Nur ein Jahr später wurde ein ca. 473 000 km² großes Gebiet mit einer Bevölkerung von 3,7 Millionen Menschen um den See zum Katastrophengebiet erklärt. Es umfasst die gesamte Autono- me Republik Karakalpakistan, die Gebiete Choresm in Usbekis- tan und Daschchowus in Turkmenistan sowie einen großen Teil des Gebiets Kysylorda in Kasachstan. Die dortige Bevölkerung leidet massiv unter direkten und indirekten gesundheitlichen Folgen: Die Kindersterblichkeitsrate ist mit 80 bis 100 Fällen pro 1000 Geburten eine der höchsten der Welt (in Deutschland sind es vier, in Zentralasien insgesamt ca. 53). Annähernd 70 Prozent der Mü�er leiden unter Anämie (Blutarmut). Typhus, Hepatitis und Krebserkrankungen treten überproportional häufig auf. Die Situ- ation wird noch verschlimmert durch den mangelnden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Medikamenten. Auch die sozio-ökonomischen Konsequenzen sind verhee- rend: Wegen des steigenden Salzgehaltes und des Verlustes der Laichplätze starben die einheimischen Fischarten im See aus, in der Folge brachen Fischerei und Fischindustrie zusammen. Zehntausende Menschen verloren ihre Arbeit. Weitreichende

246 Die Aralsee-Katastrophe

Versteppung und Versalzung der Böden sind die ökologischen Folgen der Katastrophe. Insgesamt 140 von ursprünglich 178 einheimischen Tierarten und fast 100 Pflanzenarten verschwan- den. Die vormals reiche Flora und Fauna der Deltagebiete, vor allem des Amudarja mit seinen Tugai-Wäldern und Feuchtgebie- ten, verödete. Weite Flächen des früheren Seebe�es verwandel- ten sich in eine Salzwüste. Die Aralsee-Katastrophe betri� nicht nur die Einwohner des unmi�elbaren Anrainergebietes, sie entfaltet auch mikroklimati- sche Folgen für weit entfernte Regionen. Staubstürme, die teilwei- se toxische Reste von Pestiziden, Herbiziden und anderen Chemi- kalien enthalten, treten in verstärktem Maße auf. Satellitenbilder zeigen, dass salzhaltiger Staub vom ausgetrockneten Seeboden bis zu 500 Kilometer weit geweht wird. Das Kontinentalklima verschär� sich zunehmend, wodurch auch die Anbausaison kür- zer wird; dies wiederum beeinträchtigt die landwirtscha�liche Produktion und Nahrungsversorgung der Bevölkerung.

Die Teilung des Aralsees – (K)ein Grund zur Hoffnung

In den Jahren von 1987 bis 1989 tauchte – damals noch unter dem Wasserspiegel – eine Schwelle auf, die den Aralsee in eine kleine nördliche und eine große südliche Häl�e teilte. Bis 1998 waren beide Teile noch durch ein zwölf Kilometer breites Rinnsal ver- bunden. Dann begann die Lokalregierung des kasachischen Gebiets Kysylorda, in eigener Initiative einen Damm zu bauen – wegen Geldmangels zunächst aus Sand. Dieser brach zweimal, bevor mit finanzieller Unterstützung der Weltbank der 13 Kilo- meter lange und zehn Meter hohe Kokaral-Damm 2005 fertig gestellt wurde. So bildeten sich zwei voneinander unabhängige hydrologische Systeme aus: Der nördliche Aralsee wird vom Syrdarja gespeist, der südliche Teil vom Amudarja. Das umstrit- tene Projekt brachte die erwarteten Ergebnisse: Der Wasserpegel im nördlichen Aralsee stieg an, der Salzgehalt ging zurück, das Ökosystem erholte sich, einzelne Fisch- und Vogelarten kehrten zurück. Inzwischen ist sogar wieder Fischerei möglich. Der See-

247 II. Strukturen und Lebenswelten spiegel des nördlichen Aralsees liegt heute mit 41 Meter um fast zehn Meter über dem des südlichen Aralsees. Ein zweiter Damm, ebenfalls mit Weltbank-Krediten geplant, könnte das Wasser bis an den Hafen von Aralsk zurücklenken. Angeblich soll sich der nördliche Aralsee bereits um 900 km² vergrößert haben. Einige regionale Experten hoffen gar, dass der Seespiegel langfristig wieder bis auf 53 Meter steigt, also fast auf das frühere Niveau. Realistischer erscheint allerdings eine Stabi- lisierung bei 42,5 Meter. Die hoffnungsvollen Reaktionen, welche durch die Entwick- lung am nördlichen Aral ausgelöst wurden, verdecken allerdings den hohen Preis, der damit verbunden ist: Der Damm staut das Wasser in Richtung Süden, und es wird nur noch die sehr geringe Menge abgelassen, die nach der Stabilisierung im Norden »übrig« ist. Für den südlichen See bedeutet dies eine Verschlimmerung der ohnehin katastrophalen Situation. Dessen einzige Quelle ist nunmehr der Amudarja und somit trocknet er noch schneller aus. Inzwischen teilte er sich nochmals in einen tiefen westlichen Teil und einen flachen östlichen Teil, lediglich verbunden durch einen schmalen Kanal, sowie in den Golf von Tsche-Bas. Auch für den südlichen Aralsee kursiert der Vorschlag, mi�els einer Staumauer das Wasser auf einer kleinen Fläche zu stabilisieren und die Rest- seen aufzugeben. Dies wäre allerdings mit erheblichen Kosten verbunden, für die bisher noch keine konkreten Berechnungen oder gar Finanzierungspläne existieren. Das einseitige Vorgehen Kasachstans beim Bau der Staustufe führte zu einer Verschlechterung der Beziehungen zu Usbekis- tan – dem Anrainer des südlichen Aralsees –, da es zunächst ei- geninitiativ erfolgte, und einer Absage an alle Ideen gleichkam, den See als Ganzes zu re�en. Es bildete auch eine Reaktion auf das Scheitern aller Resolutionen, Untersuchungen und Projekte der vergangenen 15 Jahre, die letztendlich keine Verbesserung der Situation erreichen konnten.

248 Die Aralsee-Katastrophe - r n MONGOLEI VR CHINA Aralsees, Flüsse und Kanäle Seen Grundwasse und Verschmutzungs- Überschwemmungs- gefahr durch abge- lassenes Stauwasser ehemaliges Bett des heute Salzwüste Staubstürme und Pestizidbelastung Gesundheitsrisiken und Bodenver Wasserverschmutzung schlechterung durch intensive Landwirtschaft und ineffiziente Bewässerung Saisan Geplante Steigerung der Wasser- Afghanista entnahme durch Staudammprojekt Sangtuda I und II Staudammprojekt Schurob Staudammprojekt Rogun Staudammprojekte Karambata I und II Geplantes Bewässerungsprojekt »Goldenes Zeitalter«

see m ri Öskemen Saisan-

a 1 2 3 4 5 6 Wassernutzung mit Konfliktpotenzial Wassernutzung Projekte mit Konfliktpotenzial (Ust- Kamenogorsk) Alakol T FÖDERATION

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K Staatsgrenze Staudamm Wolga ASERB. MGFA Wassernutzung und -verschmutzung Wassernutzung in Zentralasien Quelle: Zeitschrift OSTEUROPA. Ortsnamen 1 Chodschent 2 Kokand Andischan 3 4 Namagan 5 Duschanbe 6 Kuljab 7 Kurgan-Tjube 05935-02

249 II. Strukturen und Lebenswelten

Das multilaterale Krisenmanagement: Offizielle Erfolge und faktisches Scheitern

Mit dem Zusammenbruch der UdSSR wurde die Aralsee-Krise zum Gegenstand internationaler Beziehungen. Das Verschwin- den der Moskauer Zentralplanung erforderte von den zentral- asiatischen Staaten regionale Kooperation auf zwei Gebieten, die untrennbar miteinander verbunden sind: erstens die Linderung der ökologischen Katastrophe, zweitens die Verteilung der Was- serressourcen in der Region. Bereits im Februar 1992 wurde in der kasachischen Haupt- stadt Almaty das Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des gemeinsamen Managements und Schutzes internati- onaler Wasserressourcen geschlossen. Es sah vor, dass die sow- jetischen Entnahmequoten für jede Republik zunächst Bestand haben sollten, bis eine neue regionale Strategie ausgearbeitet wäre. Der Aralsee mit seinen Deltas wurde neben den fünf Staa- ten als Wasserkonsument mit einer eigenen Quote anerkannt. Das Vertragswerk war vor allem ein Schri� zur regionalen Ver- trauensbildung, da die Staaten anerkannten, dass »nur die Verei- nigung und gemeinsame Koordination der Aktionen die Schaf- fung günstiger Bedingungen zur Lösung sozio-ökonomischer Probleme ermöglichen und erlauben, die ökologische Notlage zu mildern«. Zur Umsetzung und Kontrolle des Abkommens nahm 1993 die Interstate Commission for Water Coordination in Central Asia (ICWC) ihre Arbeit auf. Rund ein Jahr später knüp�e das so genannte Aralabkommen an die Vorgängervereinbarung an. Die Staaten bestätigten die gegenseitigen Interessen in Bezug auf Gebrauch und Schutz der Ressourcen sowie die Notwendigkeit, den See zu erhalten. Auf- grund der Gefahren, welche die Austrocknung für die gesamte Region birgt, betonte es die gemeinsamen ökologischen Aufgaben – effiziente Nutzung der begrenzten Wassermenge, Renaturie- rung der Deltas, Verbesserung der Wasserqualität. Nur so könne es auch zu einer positiven sozio-ökonomischen Entwicklung der Region kommen. Zudem wurde die Notwendigkeit eines Mini- malzuflusses in den Aralsee anerkannt, und dieser nochmals als nutzungsberechtigter Konsument – neben den fünf Staaten – le-

250 Die Aralsee-Katastrophe gitimiert. Es folgten die Erklärungen von Nukus (1995), Almaty (1997), Aschchabad (1999), Duschanbe (2002) und zuletzt Almaty (2009). Alle betonen die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und das gemeinsame Interesse an der Re�ung des Ökosystems. Insge- samt haben die zentralasiatischen Staaten über 150 Abkommen zu diesem Themenkomplex abgeschlossen. Ab 1993 setzte auch die ausländische Hilfe ein. Die Ent- wicklungsagenturen vieler Staaten und unzählige Nicht-Re- gierungs-Organisationen (NGOs) betätigten sich vor Ort. Als größtes Programm lief 1994 das Aral Sea Basin Program (ASBP-1) an. Zunächst eine Initiative der Weltbank sowie der Umwelt- und Entwicklungsprogramme der Vereinten Natio- nen (UNEP/UNDP), bietet das ASBP inzwischen den multina- tionalen Rahmen für mannigfaltige Aktivitäten. Die Priorität liegt dabei auf Soforthilfe für die am stärksten betroffene An- rainerbevölkerung. Nach Ablauf der ersten Phase im Jahre 2002 verabschiedeten die zentralasiatischen Staatschefs eine Verlän- gerung (ASBP-2) um acht Jahre. Um die Programme zu koordinieren und umzusetzen, grün- deten die fünf Länder 1993 den regionalen Interstate Council for the Aral Sea Basin Crisis (ICAS) und kamen damit einer For- derung der Weltbank nach. Dem ICAS wurden die kurz zuvor gegründete ICWC sowie die 1988 von der Sowjetregierung ge- schaffenen Flussbeckenbehörden (Bassejnoje Wodnoje Objedine- nije, BWO) für die Einzugsgebiete des Amudarja und des Syr- darja untergeordnet. Die BWO für den Syrdarja hat ihren Sitz in Taschkent, die für den Amudarja in Urgentsch. Sie sind die operativen Organe der ICWC. Zur Finanzierung entstand ein internationaler Fonds, der International Fund for Saving the Aral Sea (IFAS), in den alle Mitgliedstaaten zunächst jährlich ein Prozent ihrer Staatsausgaben zahlen sollten. 1997 wurden die Abgaben auf 0,3 Prozent des Haushalts für die reicheren Länder flussabwärts (Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan) und auf 0,1 Prozent für die ärmeren wasserreichen Staaten Kir- gisistan und Tadschikistan herabgesetzt. Die Weltbank kriti- sierte im gleichen Jahr Kompetenzüberschneidungen zwischen ICAS und IFAS, worauf beide Organisationen unter dem Namen IFAS miteinander verschmolzen. Diese regionale Organisa- tionsstruktur und die Abkommen bilden den Rahmen für einen

251 II. Strukturen und Lebenswelten

Großteil der Projekte zur Linderung der Aralsee-Katastrophe. Trotz der enormen finanziellen Zuwendungen in Höhe von 280 Millionen US-Dollar an Krediten und 48 Millionen US-Dol- lar als Zuschüsse, verbesserten sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung kaum. Zwar reduzierte sich die Wasserentnahme nach offiziellen Angaben von 1980 bis 1995 um ca. zwölf Prozent. Doch dies ist kaum den Programmen zu verdanken, sondern war Folge der wirtscha�lichen Krise der Transformationsphase, die dazu führte, dass viele Bewässerungssysteme verfielen und -flächen brachlagen. Auch nach 1993 sank der Wasserspiegel kontinu- ierlich – der des südlichen Sees von knapp 38 Meter (1993) auf 31 Meter (2006). Das Wasserniveau im Norden erscheint ins- gesamt stabiler, doch bewegte es sich Anfang der 1990er-Jahre knapp über 40 Meter und liegt damit trotz des Dammbaus heute nicht höher. Multilaterale Abkommen und Programme, die die zwischen- staatliche Wasserverteilung regeln und zu einer effizienteren Nutzung führen sollen, werden nur unzureichend umgesetzt, die Entnahmequoten nicht eingehalten und deren Legitimität offen infrage gestellt. Die mangelnde Einhaltung von Verein- barungen resultiert zum Teil auch aus unzureichenden techni- schen, finanziellen und personellen Kapazitäten. Ein Großteil der Messposten stellte nach dem Zusammenbruch der Sowje- tunion aus finanziellen Gründen seine Arbeit ein, so dass es schlicht nicht möglich ist, die Angaben über Wasserentnahmen zu kontrollieren. Ein unabhängiges regionales Monitoring-Sys- tem – Voraussetzung für Datentransparenz – kam nicht zustan- de. Deswegen waren von Anfang an sowohl für die regionalen Organisationen als auch für die nationalen Behörden Program- me zur Stärkung der technischen und personellen Kapazitäten eine entscheidende Komponente. Internationale Geber stellten Mi�el zur Renovierung der Messstationen und Anschaffung moderner Geräte sowie für neue Informationstechnologien, Datenbanken etc. bereit. Im Jahr 2000 entstand zudem in Tasch- kent ein regionales Trainingszentrum für Wasserexperten aus den zentralasiatischen Ländern. In der schlechten Aussta�ung des IFAS kommt jedoch auch die mangelnde politische Unterstützung durch die Mitglieds-

252 Die Aralsee-Katastrophe staaten zum Ausdruck. Die sowieso schon geringen jährlichen Beitragszahlungen leistete in den 1990er-Jahren kein einziges der Länder vollständig, in letzter Zeit taten dies nur Usbekis- tan und Turkmenistan. Der IFAS scheint vielfach nicht als un- abhängige regionale Organisation wahrgenommen zu werden, mit der Konsequenz, dass die Abgabe von Entscheidungs- und Kontrollbefugnissen verweigert wird. Der Eindruck, dass seine Institutionen weniger um der Kooperation willen gegründet wurden, als vielmehr um den Anforderungen der internationa- len Geber zu genügen, drängt sich förmlich auf. Dies spiegelt sich auch in der Mitarbeiterstruktur wider: Die Beschä�igten werden von den jeweiligen Regierungen entsandt und sind eher deren Interessenvertreter denn fachkundige Experten. So bestreitet der usbekische Vertreter im IFAS, dass die exzessi- ve Nutzung durch Usbekistan für die Aralsee-Krise eine Rolle spielt. Er sieht diese allein in der physischen Wasserknappheit der Region begründet. Turkmenistan ließ das umstri�ene »Gol- dene-Zeitalter-Projekt« in das ASBP-2 aufnehmen – den Bau eines riesigen Stausees in Turkmenistan, der zur Folge haben könnte, dass noch weniger Wasser seinen Bestimmungsort er- reicht. Die Unterorganisation ICWC ist mit ihrem mächtigen wis- senscha�lichen Informationszentrum (Scientific Information Center, SIC-KWC) und den Flussbeckenbehörden fest in Usbe- kistan installiert und beschä�igt fast ausschließlich einheimische Mitarbeiter. Die Publikationen des SIC-ICWC vertreten relativ offen usbekische Positionen, indem z.B. alle Forderungen der Oberanlieger als »Hydro-Egoismus« gebrandmarkt werden, während die eigene Politik kein kritisches Wort erfährt. Die Ob- jektivität der Messdaten des ICWC zu Abfluss und Nutzung ziehen internationale Organisationen und Experten in Zweifel. Auch die BWOs gelten als usbekische Interessenvertretungen. 2001 forderte der kasachische Delegierte im ICWC deswegen die Einführung eines Rotationsprinzips bei der Direktorenbe- setzung. Obwohl man diesem Vorschlag einheitlich zustimmte, wurde er nicht umgesetzt. Im Ergebnis setzten jene Programme, auf die man sich eini- gen konnte, meist an den Symptomen der Aralsee-Katastrophe an und nicht an deren Ursache – dem massiven Wasserverbrauch

253 II. Strukturen und Lebenswelten in der Landwirtscha�. Die Instandsetzung der Bewässerungs- anlagen und die Einführung moderner Technologien könnten Ressourcen sparen, sind aber sehr teuer. Die Renovierung und Modernisierung der entsprechenden Systeme allein in Usbekis- tan würde ca. 26 Milliarden Dollar kosten, für Zentralasien ge- schätzte 40 Milliarden – und wäre letztlich nicht ausreichend. Trotz der zahlreichen gemeinsamen Erklärungen geben im Zweifelsfall alle Regierungen ihren nationalen Interessen Vor- rang. Alle Staaten außer Kasachstan planen eine Ausweitung ihrer Anbauflächen. Kirgisistan und Tadschikistan verlangen für sich entsprechend höhere Entnahmequoten. Kirgisistan ver- stärkte zum Zweck der Hydro-Energieproduktion den winter- lichen Wasserablass aus dem Toktogul-Stausee. Das Flussbe� des Syrdarja kann diese Wassermassen im Winter jedoch nicht auf- nehmen, so dass ein enormer Anteil durch Überflutungen ver- loren geht oder in die Arnasai-Senke in Usbekistan abfließt und sich mit dem salzhaltigen Wasser des Aidar-Kul-Sees mischt. Da- durch geht es sowohl der Landwirtscha� als auch dem Aralsee verloren. Eine Umstrukturierung des Primären Sektors auf weniger wasserintensive Nutzpflanzen lässt sich aufgrund der wirtscha�- lichen Bedeutung des Baumwollanbaus politisch nur schwer durchsetzen: In Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan entfallen je rund 40 Prozent der landwirtscha�lichen Produktion auf Baumwolle. 25 bis 30 Prozent der Deviseneinnahmen werden hierdurch erwirtscha�et, in Tadschikistan sind es elf Prozent. Der Baumwollsektor ist nicht nur ökonomisch profitabel für eine klei- ne einflussreiche Elite, sondern auch Instrument sozialer Kontrol- le und politischer Repression. Gerade Usbekistan und Turkme- nistan, die neben Kasachstan am meisten von der Krise betroffen sind, blockieren deshalb die regionale Kooperation. Im Rahmen einer umfassenden Betrachtung des Krisenma- nagements erscheint auch die Rolle der internationalen Akteu- re in einem kritischen Licht. Die mangelnde Koordinierung der Geber führte zu Überschneidungen und Konkurrenz zwischen einzelnen Programmen. Sta� lokale Experten einzubeziehen, stellte man gerade in der ersten Häl�e der 1990er-Jahre west- liche Gutachter ohne ausreichende Regionalkenntnisse ein. Dies schwächte die Eigenverantwortung seitens der nationalen Behör-

254 Die Aralsee-Katastrophe picture-alliance/dpa/Lehtikuva

Begegnung zweier »Wüstenschiffe« auf der Fläche des ehemaligen Aralsees. den. Zudem erwiesen sich viele Projekte als nicht durchführbar. Manche Vorhaben widersprachen nicht nur früheren Initiativen, sondern auch den allgemeinen Prioritäten des ASBP. Zudem ließen sich die Geber in die Konkurrenz zwischen den Staaten verwickeln, ansta� eine Position als neutrale Mi�ler ein- zunehmen: Das Projektmanagement des IFAS unter dem ASBP-1 galt als sehr unzureichend; teilweise wurden Projekte abgebro- chen und Gelder verschwanden. Viele Geber haben dessen Nach- haltigkeit bezweifelt und suchten sich neue Partner u.a. bei den Unterorganisationen, mitunter sogar ohne das Exekutivkomitee einzubeziehen. Diese Praxis zog faktisch aber keine effektiveren Projekte nach sich, sondern schwächte lediglich die regionale Kooperationsstruktur.

Ende des Aralsees – Ende der Kooperation?

Der Blick auf das multilaterale Krisenmanagement der letzten 15 Jahre zeigt, dass die getroffenen Abkommen, den Wasser- verbrauch zu reduzieren, nicht eingehalten werden. Jene Orga- nisationen, welche die Hilfsprogramme umsetzen sollen, verfü- gen weder über die notwendigen Kompetenzen noch über die

255 II. Strukturen und Lebenswelten

Mi�el, um mehr zu sein als ein Spielball nationaler Interessen. Die Ursache für das Versanden aller Lösungsversuche liegt in der mangelnden Zusammenarbeit. Der politische Wille fehlt, solche Abkommen zu ermöglichen, welche die Ursachen der Krise angehen. Die Verbesserungen am nördlichen Aral erscheinen gerade nicht als Folge gelungenen Krisenmanagements, sondern als Konsequenz aus dessen Versagen. Der Dammbau zwischen dem kleinen und dem großen Aralsee zementiert im wahrsten Sinne des Wortes das Ende des Sees als Einheit und offenbart das Scheitern der multilateralen Bemühungen. Damit wird die Kooperationsstruktur insgesamt – die ohnehin stets unzurei- chend funktionierte – offen infrage gestellt. Sowohl der frühere turkmenische Präsident als auch der kasachische Außenmi- nister schlugen vor, den IFAS aufzulösen. Dies erscheint aus der jeweiligen nationalen Sicht sogar durchaus logisch, denn schließlich ist mit der Trennung des Gewässers Kasachstan nicht mehr mit dem Amudarja-Becken und Turkmenistan nicht mehr mit dem Syrdarja-Becken verbunden. Gleichzeitig mel- deten angesichts der Wirkungslosigkeit des IFAS auch einige Geber Zweifel an ihrer weiteren Unterstützung an. Als Reaktion auf das offensichtliche Scheitern des ICWC und des IFAS bei der Erfüllung ihrer Mandate verfolgen zen- tralasiatische Experten gegenwärtig das Ansinnen, den ge- samten IFAS in seiner jetzigen Struktur aufzulösen und in eine UN-Unterorganisation – United Commission on the Aral Sea – umzuwandeln. Auf ihrem Treffen 2002 in Duschanbe forder- ten die Staatsoberhäupter dies auch offiziell. Wie eine derar- tige Körperscha� genau auszusehen habe, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Die Befürworter eint wohl vor allem die Hoffnung, dass sich so zusätzliche internationale Finanzmi�el mobilisieren und die Geberaktivitäten besser ko- ordinieren lassen. Abgesehen von allen organisatorischen Überlegungen macht sich mit dem globalen Klimawandel ein weiterer Unsi- cherheitsfaktor bemerkbar. Kurz- und mi�elfristig führt dieser zu stärkerer Gletscherschmelze und damit zu steigendem Was- serabfluss und so eventuell zu einer temporären Entspannung der Situation. In 50 bis 100 Jahren werden jedoch die kleine-

256 Die Aralsee-Katastrophe ren und mi�leren Gletscher abgeschmolzen sein. Man rechnet damit, dass sich z.B. der Abfluss des Amudarja im nächsten hal- ben Jahrhundert um sieben bis zehn Prozent reduzieren wird. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass durch die Erderwär- mung die Verdunstungsrate und der Wasserbedarf der Land- wirtscha� steigen. Wie sich die Interaktion dieser Faktoren letztendlich auswirkt, bleibt bislang ungewiss. Sicher scheint lediglich, dass eine derartige Herausforderung nicht ohne in- ternationale Kooperation gemeistert werden kann – für die in der Region am Aralsee bislang tragfähige Grundlagen fehlen.

Jenniver Sehring

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Der Baumwollanbau in Zentralasien – im Bild eine Baumwollpflanze vor dem Hintergrund des Karakum-Kanals – gehört zu den wichtigsten Ur- sachen für die Austrocknung des Aralsees. Entschlossenes Handeln tut endlich Not. Die ökologische Situation kann realistischerweise jedoch nur dann verbessert werden, wenn dies nicht mit ökonomischen Einbußen einhergeht. Am Beispiel der usbekischen Baumwollregion Choresm lässt sich zeigen, dass entsprechende Modelle existieren und vor allem in der Praxis funktionieren können. Der Wasser- und Landverbrauch lässt sich ohne Einkommensverlust um mehr als zwei Drittel verringern, und insbe- sondere die Weiterverarbeitung der Fasern vor Ort und der Export höher- wertiger Produkte verbessern die Wertschöpfung deutlich. Regionale Wirtscha�sprojekte zwischen Wertschöpfung und Nachhaltigkeit

Baumwolle ist in Usbekistan von enormer sozio-ökonomischer Bedeutung. Die Produktion trägt erheblich zu den Exporterlö- sen und zum Bru�oinlandsprodukt (BIP) bei. Zudem bietet sie Einkommenssicherheit für etwa 60 Prozent der Bevölkerung. Der seit den 1950er-Jahren intensivierte Anbau hat jedoch weit- reichende ökologische Schäden verursacht. Als gravierendstes Ergebnis muss die Austrocknung des Aralsees gelten (vgl. den Beitrag von Jenniver Sehring). Falls dieser Bereich der Landwirt- scha� eine Zukun� haben soll, ist es deshalb wichtig, die Nut- zung nachhaltiger zu gestalten, als dies bislang der Fall ist. Dieses Ziel lässt sich verwirklichen, wenn in Usbekistan eine stärkere Wertschöpfung geschaffen wird. Bislang führt das Land vor allem Rohbaumwollfaser aus. Weiterverarbeitung und Ex- port höherwertiger Produkte finden kaum sta�. Ein Umdenken würde es erlauben, sowohl die für den Anbau genutzte Fläche als auch die benötigte Wassermenge und die Subventionen für die Baumwollwirtscha� deutlich zu verringern, ohne dadurch die Erlöse zu beeinträchtigen. Das freiwerdende Land stünde für an- dere Nutzpflanzen oder für ökologische Zwecke, z.B. bodenver- bessernde Zwischenkulturen, zur Verfügung. Die eingesparten Zuschüsse wiederum wären verwendbar, um den einträglichen Gemüseanbau und die Produktion pflanzlicher Öle wiederzu- beleben. Die Weiterentwicklung der Wertschöpfungske�e kann Usbekistans Position auf den internationalen Märkten stärken, das ökonomische Wachstum beschleunigen, Arbeitsplätze schaf- fen und gleichzeitig die ökologische Situation der Landwirt- scha� verbessern.

Politische Ökonomie und Ökologie

Vor Ort werden pro Jahr ca. 3,5 Millionen t Rohbaumwolle und 1,2 Millionen t Fasern produziert. Zwischen 700 bis 900 000 t der Fasern gehen in den Export. Damit ist Usbekistan der welt- weit sechstgrößte Baumwollproduzent. Insgesamt 13 Prozent

259 II. Strukturen und Lebenswelten des BIP und 25 Prozent der Deviseneinnahmen basieren auf dem »Weißen Gold«. Die Baumwollherstellung bedingt eine spezifische Infrastruktur sowie zuliefernde und verarbeitende Industriezweige: Ein ausgedehntes Bewässerungsnetz, Maschi- nenfabriken, Chemieanlagen, verarbeitende Betriebe und etwas Textilproduktion. 20 bis 30 Prozent der ländlichen Bevölkerung arbeiten in diesem Bereich. Diese zentrale Bedeutung einer ein- zigen Branche macht Usbekistan anfällig für Preisschwankun- gen auf dem Weltmarkt. Niedrige Preise in den Jahren zwischen 1998 und 2001 etwa schlugen mit einem sa�en Einnahmeausfall in Höhe von ca. 1,5 Milliarden US-Dollar zu Buche. Noch schlimmer als die ökonomische Abhängigkeit er- scheinen jedoch die ökologischen Konsequenzen. In der Sowjet- union galt die Produktionsmaximierung als das einzige Prinzip der Landwirtscha�. Unter Einsatz gewaltiger Anstrengungen – Wasser, Dünger, Pestizide, Arbeitskra� – wurde die Baum- wollherstellung ohne Rücksicht auf die Erneuerung natürlicher Ressourcen vervielfacht. Effizienzüberlegungen spielten keine Rolle. Heute werden in Usbekistan ca. 41 Prozent des Wassers und rund die Häl�e der bewässerten Landfläche für den Baum- wollanbau genutzt. Diese monokulturelle Entwicklung ha�e ihren Ursprung in den 1950er-Jahren. Damals begann die Sowjet- union, immer mehr Wasser aus den zwei Hauptzuflüssen, dem Amudarja und dem Syrdarja, zu entnehmen und legte damit den Grundstock für die Umweltkatastrophe. Die Nachfolgestaaten der UdSSR – allen voran Usbekistan, Turkmenistan und Tadschi- kistan – führten dieses System fort. Heute erreichen die Flüsse den Aralsee nur noch in wasserreichen Jahren, zuletzt 1998. Im Zusammenhang mit dem ökologischen Ausverkauf gehen auch die Erträge der Landwirtscha� immer weiter zurück. Mi�lerwei- le haben mehr als fünf Millionen Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser. Dünger und Pestizide in großen Mengen gelangen in den Boden, und selbst die Mu�ermilch ist belastet.

260 Regionale Wirtschaftsprojekte

Die Region Choresm

Eines der Gebiete Usbekistans, in denen sich die Probleme des Baumwollanbaus bündeln, ist die Region Choresm. Sie liegt am Amudarja und grenzt an die südlichen Ausläufer der Aralseere- gion. In Choresm fehlen mi�lerweile die Ressourcen für den Be- wässerungslandbau, die Versalzung der Böden schreitet voran, und der Mi�eleinsatz in der landwirtscha�lichen Produktion er- weist sich als ineffizient. Da offene Kanäle das Wasser transpor- tieren, liegen die Verluste aufgrund von Verdunstung und Ver- sickerung bei 40 Prozent oder mehr. Pro Hektar (ha) und Ernte fließen durchschni�lich 18 000 m³ in den Boden – ein Spitzen- wert im Vergleich mit anderen Anbaugebieten. Dennoch leben die Bauern mi�lerweile mit der Gefahr, ihre Pflanzen aufgrund von Wassermangel zu verlieren. Landwirtscha�lich können überhaupt nur 40 Prozent der Gesamtfläche Choresms, also ca. 270 000 von 680 000 ha, genutzt werden. Seit der Unabhängigkeit Usbekistans 1991 liegt der An- teil, auf dem Baumwolle angebaut wird, stabil bei ca. 100 000 ha, also etwa bei einem Dri�el der Nutzfläche. Jährlich werden ca. 300 000 t Baumwolle geerntet, bei einer durchschni�lichen Fa- serausbeute von 30 bis 33 Prozent (100 000 t). Fasern oder Garn stellen nahezu die einzigen Exportprodukte der Region Choresm dar. Der Staat treibt den Anbau ohne Rücksicht auf die Boden- beschaffenheit und -fruchtbarkeit voran. Große Flächen werden dauernd mit Baumwolle bestellt, obwohl die Qualität des Mut- terbodens schlecht und die Erträge gering sind. Die Wertschöpfungske�e in Usbekistan besteht aus Farmen, Entkernungsanlagen und verarbeitenden Betrieben, Textilunter- nehmen und Öl-Extraktionsanlagen. Fasern und Samen bilden die Hauptprodukte aus denen Garn, verschiedene Stoffe wie Strickware und Ka�un, Verbandwa�e oder medizinische Baum- wolle entstehen. Aus den Samen lassen sich zudem Baumwollöl, Margarine und Seife gewinnen. Anfallende Saatkuchen und -hülsen dienen als Fu�erstoffe. Abfallprodukte werden zu Iso- liermaterial, Farben und Lacken weiterverarbeitet. Baumwoll- blä�er bilden einen Grundstoff für organische Säuren, Stängel dienen als Feuerholz und der Papier- und Pappeherstellung. Im

261 II. Strukturen und Lebenswelten

Schni� lassen sich aus einer Tonne Rohbaumwolle 3000 m Stoff, 100 kg Öl und 200 bis 250 kg Saatkuchen herstellen. Die Bauern produzierten zu sowjetischen Zeiten in Kolcho- sen und Sowchosen. Nach dem Ende der UdSSR bestanden viele dieser Kooperativen zunächst in anderer Rechtsform als so ge- nannte Shirkats weiter, während die Privatisierung eher schlep- pend verlief. Private Farmen trugen im Jahr 2004 mit 111 000 t zu etwa 39 Prozent der gesamten Rohbaumwollproduktion in Cho- resm bei, ein Jahr später waren es bereits 223 000 t (77 Prozent). 2006 verschwanden die genossenscha�lichen Shirkats endgültig, so dass mi�lerweile die gesamte Rohbaumwolle aus privaten Be- trieben stammt. Entkernungsfabriken nehmen den Rohstoff von den Land- wirten entgegen, prüfen seine Qualität, trocknen und reinigen ihn und verarbeiten ihn zu Baumwollfasern weiter. Hiernach folgt eine erneute Reinigung der Fasern, die danach in rund 200 kg schwere Ballen gepresst werden. Die Samen dienen zum Teil als Saatgut für die nächste Saison, zum Teil werden sie an Ölpressen geliefert. Die Anlagen in Choresm können jährlich ca. 426 000 t Rohbaumwolle verarbeiten und daraus 142 000 t Fasern herstellen. Allerdings lag ihre Auslastung im Jahr 2005 lediglich bei etwa 70 Prozent (299 000 t). Auch lässt die Ausbeute aufgrund veralteter Maschinen erheblich zu wünschen übrig. Sie beträgt lediglich rund 30 Prozent und damit deutlich weniger als bei anderen Baumwollproduzenten (Kirgisistan 33-45 Pro- zent, manche Länder West- und Zentralafrikas 40-43 Prozent). Die Entkernungsfabriken in Choresm liefern lediglich einen ge- ringen Prozentsatz der Ballen an lokale Spinnereien und Beklei- dungsfabriken (2005: elf Prozent), der überwiegende Teil geht in den Export (2005: 89 Prozent).

Textilunternehmen und Ölfabriken

Im Jahre 2005 waren in Choresm 26 Textilunternehmen und eine Ölfabrik registriert. Die Textilunternehmen bestanden zum Teil in Form von Aktiengesellscha�en, aber auch als Gesellschaf- ten mit zwischen 25 und 60 Prozent ausländischer Beteiligung (Deutschland, Türkei) oder – vor allem die kleinen Betriebe – als

262 Regionale Wirtschaftsprojekte komple� private Unternehmen. Die einzige Ölfabrik wurde 2003 teilprivatisiert; ein Schweizer Investor hält dort etwas mehr als 50 Prozent der Anteile. Das Haupterzeugnis sowie anfallendes Saatmehl und Kuchen als Abfallprodukte der Ölherstellung fin- den lokale Abnehmer, werden aber in geringem Ausmaß auch in die Nachbarstaaten exportiert. Seinerzeit verarbeitete das Unter- nehmen in Choresm 128 700 t Samen, produzierte 21 300 t Rohöl – darunter 18 600 t raffiniertes Speiseöl –, 6300 t Seife, 70 t Ölfir- nis sowie 55 400 t Saatmehl und Kuchen. Die Textilfabriken stellen hauptsächlich Garn, rauh gewobe- ne Stoffe und Filze, Strickwaren sowie zu einem kleineren Teil Fertigkleidung, Matratzen und medizinische Baumwolle her. 2005 verzeichneten allerdings nur die Häl�e der gemeldeten Un- ternehmen wirtscha�liche Aktivitäten. Eine Warenbörse, die seit diesem Jahr die gesamten Baumwollfasern für die Inlandspro- duktion vertreibt, setzte – bei einer Verarbeitungskapazität von 20 000 t – lediglich 10 000 t um. Die örtlichen Betriebe haben mit etlichen Schwierigkeiten zu kämpfen: Bei der Warenbörse müs- sen sie ausnahmslos in Vorkasse treten und zudem nachweisen, dass sie mit neuesten Maschinen arbeiten. Beide Bedingungen sind meist nur schwer zu erfüllen. Diese Praxis hält die Produk- tion weit unterhalb der Auslastungsgrenze, drückt die Profite, führt zu hohen Zinsen, einem enormen Kreditrückzahlungs- druck sowie zu langen Deckungszeiten für Investitionen. Hinzu tri� eine unzureichende Kapitalbildung, der mangelnde Zugang zum Hauptrohstoff sowie die Sä�igung des lokalen Marktes durch Textilimporte.

Der Ausweg: Steigerung der Wertschöpfung

Zahlreiche Versuche, das ökologische Desaster des Aralsees zu lindern, sind gescheitert. Usbekistan kann trotz der ernormen Kosten der Katastrophe für Mensch und Umwelt nicht auf die Erlöse aus dem Baumwollexport verzichten. Vorschläge, die dar- auf abzielten, das Land durch den Au�au anderer Sektoren aus der ökonomischen Abhängigkeit von einer einzigen Branche zu führen, ha�en keinen Erfolg, weil der Aufwand für den Struk- turwandel als untragbar gelten muss.

263 II. Strukturen und Lebenswelten

Die Herausforderung besteht darin, die ökologische Situa- tion zu verbessern, ohne Usbekistan mit ökonomischen Verlus- ten zu konfrontieren oder erhebliche Finanzmi�el der usbeki- schen Regierung und internationaler Geldgeber aufzuwenden. Als einzig gangbarer Weg erscheint daher eine Steigerung der Wertschöpfung. Was sich ändern muss, ist das Verhältnis von lokal verarbeiteter zu ausgeführter Baumwolle. Gleich bleiben müssen hingegen die Exporterlöse. Diese betrugen für Choresm im Jahr 2005, als 89 Prozent der Fasern ausgeführt wurden, 87,6 Millionen US-Dollar. Um diese Summe zu erzielen, produzier- ten die Farmer 287 154 t Rohbaumwolle auf 109 791 ha Land und verbrauchten dazu 824 Millionen m³ Wasser. Die Regierung sub- ventionierte die Anlagen vor Ort mit 20 Millionen US-Dollar. Die Wertschöpfung lässt sich auf mehrfache Weise verbes- sern, wie nachfolgende Überlegungen beschreiben. Einerseits bestünde die Möglichkeit, die gesamte Erntemenge an Fasern – sta� der bisherigen 89 Prozent – auszuführen. Andererseits wäre die Möglichkeit gegeben, einen höheren Anteil des Gewinns in Choresm selbst zu erzielen und somit eine geringere Menge zu produzieren, um insgesamt dieselben Exporterlöse zu erzielen. Ein wichtiger Schri� wäre die Steigerung der Entkernungs- effizienz und die damit verbundene Erhöhung der Ausfuhr- menge. Wenn die bestehenden Webereien ihre Kapazität voll ausschöpfen würden, und das gesamte Garn – sowie eine Rest- menge Fasern im Umfang von 71 Prozent der produzierten Rohbaumwolle – für den Export zur Verfügung stünde, würden zusammengenommen wieder 87,6 Millionen Dollar erreicht. Ver- arbeitet man die Fasern zudem in der Region nicht nur zu Garn, sondern zu Baumwollstoffen, müssten nur noch 65 Prozent der Produktion ausgeführt werden, um den genannten Exporterlös zu erhalten, da die Gewebe höhere Einnahmen erzielen. Wenn die maximal mögliche Fasermenge von 20 000 t vor Ort verarbeitet würde und die gesamte Wertschöpfungske�e bis hin zu Fertigbekleidung – hier wurden T-Shirts als Rechengrund- lage genommen – durchliefe, müssten nur noch 32 Prozent der Baumwollfasern exportiert werden, um wiederum die benötigte Summe zu erzielen. Da wegen der immer höheren Gewinnspanne der Anteil von Rohbaumwollfaser sinken würde, der ausgeführt werden müss-

264 Regionale Wirtschaftsprojekte ullstein bild/Reuters

Eine usbekische Baumwollpflückerin bei der Ernte. te, könnte der Anbau insgesamt reduziert werden. Dies würde eine erhebliche Verringerung der genutzten Fläche ermöglichen und den Wasserverbrauch drastisch senken. Die ökologische Bi- lanz wäre verbessert, ohne negative ökonomische Folgen – im Gegenteil –, da bei gleichbleibenden Exporterlösen Subventio- nen wegfallen könnten. Bestenfalls ließen sich die Produktions- mi�el um mehr als zwei Dri�el reduzieren. Einer Effizienzsteigerung im usbekischen Baumwollsektor durch höhere Wertschöpfung widersprachen bislang vor allem die unsichere finanzielle Situation der Textilunternehmen und der unzureichende Zugang zu erstklassigen Baumwollfasern. Hohe Preise für dringend benötigte moderne Maschinen sowie eine enorme Steuerlast für Chemikalien, Farbstoffe und Zube- hör, die derzeit nicht in Usbekistan hergestellt werden, stehen der Realisierung entsprechender Vorhaben gleichfalls entgegen. Auch die mangelnde Kooperation zwischen den Banken und Un- ternehmen in Usbekistan bremst die Entwicklung nachhaltig. Um die Blockade zu überwinden, müssen sich Politik und Wirtscha� zunächst der derzeitigen Ineffizienz bewusst werden. Die stärkere Konzentration möglichst vieler Teilprozesse in Us-

265 II. Strukturen und Lebenswelten bekistan und bestenfalls in einer bestimmten Region wäre dann ein erster Schri� in die richtige Richtung. Auslandsinvestoren ließen sich sicherlich davon überzeugen, hochwertige Produk- tionsmi�el wie Chemikalien, Farbstoffe und anderes Zubehör in Usbekistan selbst zu produzieren. Alternativen bieten die Sen- kung von Zöllen sowie Steuersätzen. Schließlich fehlt bislang ein für die Entwicklung des Textilsektors wesentliches Marke- tingkonzept (»Made in «). Insgesamt erscheint eine bessere Integration sämtlicher Akteure unumgänglich, um das Angebot an allen Stationen der Wertschöpfungske�e auf die Nachfrage abzustimmen. Bei den notwendigen Maßnahmen ist insbesondere der Staat gefragt, um beispielsweise das Risiko beim Au�au einer textilverarbeitenden Industrie im Land abzu- sichern, da den hohen Investitionen zunächst keine unmi�elba- ren Gewinne gegenüberstehen. Bislang fehlen finanzielle Anrei- ze für die technische Modernisierung vorhandener, aber meist veralteter Fabriken.

Resümee

Es hat sich gezeigt, dass der usbekische Baumwollsektor erhebli- chen Raum für Verbesserungen bietet. Eine erhöhte Wertschöp- fung würde es erlauben, die Produktion an günstigen Stand- orten zu intensivieren und sie auf wenig ertragreichem Land einzustellen. Dort könnten sta� der Baumwolle andere, besser angepasste Nutzpflanzen angebaut werden. Der Boden stünde ökologischen Zwecken oder Baumplantagen zur Verfügung, die auf lange Sicht profitabler sind als die Baumwollproduktion. Freiwerdende Felder könnten den Bauern auch zur Fu�ermi�el- herstellung dienen und damit der großen Bedeutung der Vieh- zucht in Usbekistan Rechnung tragen. Die Stilllegung oder Umnutzung des verödeten Landes bringt eine deutliche Wasserersparnis mit sich und verringert für die Bauern das Risiko, ihre gesamten Pflanzen aufgrund von Wassermangel zu verlieren. Der weiteren Versteppung des Aral- seebecken wird sie in jedem Fall entgegenwirken, und dies ohne signifikante Beiträge der internationalen Geber. Es sollte daher

266 Regionale Wirtschaftsprojekte oberste Priorität haben, Wassereinsparungen durch eine Verrin- gerung der Anbaufläche für Baumwolle zu erzielen. Allerdings ist die Befürchtung nicht von der Hand zu wei- sen, dass ein erheblicher Ausbau der Textilindustrie – die Baum- wollverarbeitung in Usbekistan könnte um ca. 230 bis 250 000 t jährlich gesteigert werden – und eine bessere Integration dieses Sektors in die usbekische Volkswirtscha� in erster Linie zur Stei- gerung der Exporterlöse führen würden. Schätzungen zufolge kann die Intensivierung von Garn- und Stoffexporten anstelle von Baumwollfasern zu einer Verdoppelung, die Ausfuhr fer- tiger Kleidungsstücke sogar zu einer Vervierfachung der Devi- seneinnahmen führen. Sta� Einsparungen beim Erwirtscha�en gleichbleibender Profite in die Umwelt zu investieren, könnte Taschkent der Versuchung erliegen, zusätzliche Exporterlöse einzustreichen, ohne auf diese Weise die Menge der produzier- ten Rohbaumwolle und des verbrauchten Wassers zu senken. Dem steht paradoxerweise die ökologische Krise entgegen: Die Anrainer am Oberlauf von Syrdarja und Amudarja, Kirgi- sistan und Tadschikistan, entnehmen – ebenso wie die beiden um die Nutzung konkurrierenden Staaten am Unterlauf, Turk- menistan und Afghanistan – immer mehr Wasser. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung Usbekistans stetig wächst, so dass immer weniger Wasser für die Landwirtscha� zur Verfügung steht. Schließlich wird Usbekistan den Verbrauch schon deswegen einschränken müssen, weil die zu erwartenden globalen Klima- veränderungen das kontinentale Zentralasien besonders hart zu treffen drohen. Inna Rudenko, Ulrike Grote, John P.A. Lamers und Christopher Martius

267 picture-alliance/Rolf Philips

Die usbekische Hauptstadt Taschkent (usbek. Toschkent) liegt nördlich der großen Seidenstraße an den westlichen Ausläufern des Tianschan- Gebirges. Die Stadt, die der Fluss Anchor durchfließt, umfasst eine Flä- che von etwa 330 km², etwa ein Drittel der Ausdehnung Berlins, mit dem seit 1993 eine Städtepartnerschaft besteht. In der zentralasiatischen Me- tropole leben heute deutlich mehr als zwei Millionen Menschen. Ein schweres Erdbeben zerstörte am 26. April 1966 große Teile der Bebauung. Sein heutiges Gesicht erhielt Taschkent im Rahmen des Wie- deraufbaus. Elf Stadtbezirke verbinden große Magistralen, wie sie die Zentren aller ehemaligen Sowjetrepubliken kennzeichnen. Taschkent, das sich auf einer Höhe von etwa 450 Metern über dem Meeresspiegel ausbreitet, ist Regierungssitz und Industriestandort. Baumwollverarbei- tung und Lebensmittelfertigung, Flugzeug- und Maschinenbau verfügen ebenso über größere Produktionsstätten wie die Energiewirtschaft. Zu Zeiten der UdSSR entstand hier die einzige Metro Zentralasiens, Prunk- stück sowjetischer Infrastruktur in Metropolen wie Moskau und Lenin- grad. Taschkent – im Bild das nächtliche Panorama – verfügt über eine Universität, mehrere Hochschulen und zahlreiche Kultur- und Wissen- schaftseinrichtungen. Taschkent – Metropole an der Seidenstraße

Wer zum ersten Mal an die legendäre Seidenstraße reist und in der usbekischen Hauptstadt Taschkent ankommt, wird zunächst en�äuscht sein. Zwar ist man nach endlosem Flug über denkbar lebensfeindliche Regionen zunächst überrascht, mi�en in den un- wirtlichsten Landstrichen eine des Nachts glitzernde oder tags- über einigermaßen pulsierende Millionenmetropole vorzufinden – der Gesamteindruck ist aber eher ernüchternd. Von türkisfarbig glasierten Kuppeln, prächtigen Mosaiken, malerisch verwinkelten Gassen und kleinen Palmengärten zwischen den Häusern jahrhun- dertealter Händlerdynastien, alten Brunnen und geheimnisvollen Gerüchen in märchenha�en Basaren findet sich keine Spur. Bilder aus Tausendundeiner Nacht stammen eher aus den sagenumwobenen usbekischen Seidenstraßenstädten Chiwa, Buchara und Samarkand – und damit von den alten Rivalen. Zur usbekischen Hauptstadt wurde Taschkent erst 1930 in der Nach- folge von Samarkand. Im Zuge seiner bewusst willkürlichen, die ethnischen Frontlinien absichtlich missachtenden Grenzziehun- gen in Zentralasien ersann Josef Stalin diesen Schachzug, um die alten Machtzentren ihres Einflusses zu berauben und Moskaus Interessen in Zentralasien dauerha� zu sichern. Dabei kann auch Taschkent auf eine über anderthalbtausendjährige Geschichte zurückblicken. Eine Ansiedlung unter wechselnden Namen gab es hier schon im 3. Jahrhundert, seit dem 11. Jahrhundert hat sich die heutige Bezeichnung eingebürgert. Unterbrochen von Phasen der Selbstständigkeit herrschten Araber, Perser, Kasa- chen, Mongolen und ab 1865 die Russen in der Stadt. Wer die UdSSR nicht kannte, vermag noch heute nachhaltige Eindrücke von einer eher unspektakulären, vergleichsweise ge- sichtslosen sowjetischen Großstadt mit über zwei Millionen Ein- wohnern zu sammeln. Nicht orientalische Dichte bestimmt das Stadtbild, vielmehr dominieren breite, aber städtebaulich keines- wegs beeindruckende Magistralen, an denen des Ö�eren merkwür- dig unurbane Brachflächen liegen. Der Grund für diese architekto- nisch zusammenhanglos wirkende Bebauung ist ein verheerendes Erdbeben, das die Stadt 1966 nahezu vollständig vernichtete. Beim Neuau�au wurden überraschend viele Grünflächen geschaffen,

269 II. Strukturen und Lebenswelten sei es mi�els Parkanlagen, an Alleen und entlang von Wasser- läufen. Auf mehreren Quadratkilometern um das seinerzeitige Epizentrum des Bebens in der Stadtmi�e – dort befindet sich ein Denkmal – wurden überhaupt keine Häuser wiedererrichtet. Die einzige Ausnahme bildet ein Pla�enbau aus den 1970er-Jahren, der durch eine wenig vertrauenerweckende Umwickelung mit Metall- bändern angeblich erdbebensicher aufgerüstet wurde: es handelt sich dabei ausgerechnet um die heutige Deutsche Botscha�. Der sowjetische Wiederau�au hinterließ überall Einheits- Kästen aus Betonfertigteilen, wie sie im ganzen Ostblock üblich waren. Vielerorts finden sich aufgepfrop�e Kuppelimitate als skurriles Zugeständnis an die historische Baukultur. Nach der Unabhängigkeit 1991 wuchsen öffentliche Gebäude in einer protzigen, aber architektonisch banalen Mischung aus zentral- asiatischem Barock und Elementen der Moderne aus dem Boden, die außerdem grobe Zitate früherer Baukultur aufweisen. Ver- einzelt existieren zwar noch historische Gebäude wie Moscheen oder z.B. die Kukeldasch- und die Barak-Chan-Medrese (Koran- schulen) aus dem 16. Jahrhundert, doch erreichen diese Bauwer- ke nicht annähernd das Niveau der berühmten usbekischen Sei- denstraßenstädte. Ein kleiner Teil der ärmlichen Altstadt in der Nähe des gigantischen modernen Hauptbasars Chorsu ist erhal- ten und vermi�elt mit ihren niedrigen, nach außen fast fensterlo- sen Innenhofgebäuden einen Eindruck vom bescheidenen Leben der normalen Leute im ursprünglichen Taschkent – soweit man in den nahezu leeren Gassen, in denen permanent das Zischen von austretendem Gas aus überirdischen Leitungen zu hören ist, überhaupt einmal einen Menschen zu Gesicht bekommt.

Heroische Vergangenheit

Die eigentlichen Qualitäten der Stadt erschließen sich erst auf den zweiten Blick. Die städtische Oper, benannt nach dem tief verehr- ten Nationaldichter des 15. Jahrhunderts und Schöpfer der usbe- kischen Sprache, Mir Ali Schir Nawai, erfüllt die Taschkenter mit großem Stolz. Entworfen vom Architekten des Lenin-Mausoleums, Alexei Schtschussew, wurde das Musiktheater nach dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen von japanischen Kriegsgefangenen

270 Metropole an der Seidenstraße fertig gestellt. In den üppig ausgesta�eten, unversehrt erhaltenen Foyers im stalinistischen Zuckerbäckerstil flanieren die Besucher im Sonntagsstaat, um anschließend mit großer Andacht den hand- werklich solide gemachten Aufführungen zu folgen. Dass die be- eindruckten Japaner die Oper nach ihrer Rückkehr in die Heimat dort gleich noch einmal in Kopie errichtet haben sollen, dür�e hin- gegen eine patriotische Legende sein. Die einzige Metro Zentralasiens muss auf einheimische Passa- giere wegen der unerschwinglichen Ticketpreise meist verzichten. Wohlhabende Ausländer zeigen sich durch die typisch usbekische Mischung von kyrillischen und lateinischen Buchstaben selbst in- nerhalb eines einzelnen Stationsnamens verwirrt. Dennoch lohnt die Benutzug schon wegen des unwirklichen Schauspiels, manch- mal als einziger Passagier inmi�en zahlreich vorhandenen, aber unbeschä�igten Personals unterwegs zu sein, vor allem jedoch wegen der nach unterschiedlichen Motiven mit lokalem Bezug prächtig gestalteten Stationen. Die vielleicht eindrucksvollste unter ihnen, Kosmonautlar, verherrlicht die sowjetische Raumfahrt im Futurismus der 1970er-Jahre. In der Nähe der Metrostation steht übrigens einer der architektonisch interessantesten – in kei- nem Stadtführer erwähnten – Nacherdbebenbauten: ein herun- tergekommener Betonwohnturm, dessen organische Formen mit einem ufoartigen Wassertank auf dem Dach erahnen lassen, wel- che Qualitäten in der Fertigteilbauweise hä�en stecken können. In der Nähe verborgen liegt auch das sehenswerte Museum für dekorative und angewandte Kunst im märchenha�-orientalischen Haus des russischen Adeligen A.A. Polowzew aus dem 19. Jahr- hundert, in dem eine einheimische Kunsthistorikern auch schon einmal einem einzigen Besucher drei Stunden lang in ordentli- chem Englisch die Artefakte aus vergangenen Epochen erklärt. Wie im Gegensatz dazu die gesellscha�lichen Realitäten im heutigen Taschkent aussehen, lässt sich am viel prominenteren, aber architektonisch belanglosen Timuriden-Museum ablesen, das im groben Nationalpropagandastil des Karimow-Regimes zur Verherrlichung seines Namensgebers errichtet wurde. Zwar war Timur gar kein ethnischer Usbeke, kam aber als Nationalheld gerade recht. Sein historischer Name Timur Lenk (»Der Lahme«) erschien offenbar als nicht heroisch genug und wurde per Befehl kurzerhand in Amir Timur (»Fürst Timur«) umgedichtet. Dessen

271 II. Strukturen und Lebenswelten

Statue findet sich nicht weit entfernt vom Museum zu Ehren seiner Sippe im zentralen und gleichfalls nach ihm benannten Park der Stadt, den zuvor schon Karl Marx und Friedrich Engels und noch früher Stalin sowie der erste russische Generalgouverneur Turkes- tans, Konstantin Petrowitsch von Kaufman, geziert ha�en. Eine einheitliche usbekische Kulturnation oder Historie gibt es ebenso wenig wie ein ethnisch homogenes Staatsvolk. Taschkent übernahm 1991 die Rolle der Hauptstadt eines künstlichen Staates, weshalb eine nationale Integrationsfigur her musste. Die Wahl fiel auf den 1330 geborenen brutalen Gewaltherrscher Timur, hierzu- lande als Tamerlan bekannt, der sich den Chronisten seiner Zeit unter anderem damit empfahl, eine Pyramide aus 90 000 Köpfen seiner Opfer errichten zu lassen. Dass Timur, und nicht etwa sein der Wissenscha� und den Künsten zugeneigter Enkel Ulug‘bek das Rennen machte, sagt einiges über das politische Selbstver- ständnis der Regierenden in Taschkent aus. Auch die Cliquen- und Misswirtscha� des Regimes, die extreme Rechtsunsicherheit, der staatliche Geheimhaltungs- und Kontrollwahn sowie die überall verbreitete Korruption lähmen die wirtscha�liche Entwicklung und berauben die Mehrzahl der meist erstaunlich gebildeten und kultivierten Usbeken der Perspektive selbst auf bescheidenen pri- vaten Wohlstand.

Alltagsleben

Der private Alltag der Taschkenter stellt meist einen krassen Ge- gensatz zu den für Außenstehende sichtbaren, fast europäisch anmutenden Straßenszenen dar. Die sanitären Verhältnisse, das Wohnumfeld und die medizinische Versorgung sind o� genug katastrophal – und das, obwohl Usbekistan an Ressourcen wie Gas, Öl, Gold und Baumwolle reich gesegnet ist. Die daraus folgende Abwanderung der jungen mobilen Leistungsträger – vorzugsweise ins aufstrebende Kasachstan – und das Zurück- bleiben der konservativen Krä�e bringen die Taschkenter in Anspielung auf den traditionellen Dentalschmuck usbekischer Patriarchen auf den Punkt: die goldenen Köpfe gehen, die gol- denen Zähne bleiben. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen ist bei den Menschen ein echter Stolz auf ihre Geschichte zu spü-

272 Metropole an der Seidenstraße ren, obgleich sowohl die Blütezeiten von Handel, Kunst und Wissenscha� als auch die einstige im- periale Machtfülle schon lange zurückliegen. Er- staunlich viele Usbeken verfügen über eine pro- funde Bildung, was die Verhältnisse, unter den sie leben müssen, eher picture-alliance/Rolf Philips noch schwerer erträglich Taschkenter Hochhausfassade im typischen macht. Baustil der Sowjetunion. Dazu zählt zum Beispiel auch die tägliche Schikane durch die angeblich 40 000 Polizisten in Taschkent, die ihre Posten o� genug kaufen und bei jeder Art von Kriminalität am liebsten wegsehen, während sie bei willkürlichen Verkehrskontrollen erstaunliches Engagement an den Tag legen. Usbekische Polizisten sind wahre Meister darin, garantiert ein überschri�enes Verfallsdatum beim Verbandszeug zu entdecken – und die Strafzahlung auf die Hälf- te zu reduzieren, wenn auf eine Qui�ung verzichtet wird. Aus- länder mit Diplomatennummernschild bleiben unbehelligt, weil diese bei Polizeikontrollen wohlweislich erst gar nicht anhalten. Im Großen stellt sich dieses Prinzip so dar, dass das Regime Steuer- und Wirtscha�sgesetze erlässt, die unerfüllbar sind. Über jedem, der in irgendeiner Art und Weise geschä�lich tätig ist, schwebt dauernd die Drohung einer jederzeit möglichen Verur- teilung zu archaisch anmutenden Strafen, sollte er sich z.B. po- litisch unbotmäßig zeigen. Ein im Bewusstsein jahrtausendalter Seidenstraßentradition geprägtes Händlervolk tri� dies zwar hart, hindert die Taschkenter aber nicht daran, um buchstäblich jeden Gegenstand des tägliches Lebens zu feilschen. Gelegen- heit dazu findet sich fast überall, vom kleinsten Verkaufsstand an jeder größeren Straße bis hin zum Zentralbasar Chorsu. Das alltägliche Ritual zielt auf gewöhnliche Ziegelsteine ebenso wie auf Zutaten für das allgegenwärtige Nationalgericht Plow, wie bei- spielsweise Reis, dessen Ursprung nicht etwa in China, sondern im usbekischen Choresmien liegt und auch nur dort in wirklich erstklassiger Qualität produziert wird, wie stolz vermerkt wird.

273 II. Strukturen und Lebenswelten

Ausländern wird das Handeln dadurch erleichtert, dass sie De- visen anbieten können, obwohl offiziell nirgends mit harter Wäh- rung bezahlt werden darf. Euros und Dollars sind umzutauschen, wobei peinlichst darauf geachtet wird, dass die Scheine keine noch so kleinen Risse oder Verfärbungen aufweisen. Freilich scha� die usbekische Händlernatur auch Probleme, da sie mit produktiver Arbeit nur bedingt harmoniert. Nachdem der krä�ig beförderte Exodus der Russen Anfang der 1990er-Jahre abgeschlossen war, stellte man plötzlich fest, dass in ganz Taschkent praktisch kein Klempner mehr zu bekommen war – von Automechanikern oder hoch qualifizierten Medizinern ganz zu schweigen. Nach den Russen kamen zunächst die Türken. Sie gaben sich der irrigen Annahme hin, das Turkvolk der Usbeken hä�e jahrhundertelang förmlich drauf gewartet, sich nun wie selbst- verständlich dem großen Bruder Türkei unterordnen zu dürfen. Sta�dessen wandte sich Taschkent jedoch schnellstens von An- kara ab und Washington zu. Dessen Ära ist mi�lerweile auch zu Ende gegangen, weil weder der American Way of Life noch die mangelnde Bereitscha� der USA, über die systematische Missach- tung der Menschenrechte einfach hinwegzusehen, in Usbekistan auf Gegenliebe stießen, und inzwischen auch die Russen ihren wirtscha�lichen und politischen Einfluss erneut ausbauen konn- ten (vgl. den Beitrag von Anna Matwejewa). Inzwischen entdeckt man zahlreiche gemeinsame »Werte« neu, wie die Staatsführung mit fester Hand, das diskrete Übersehen von Menschenrechts- verletzungen sowie den von Moskau zumindest auf dem Papier garantierten Zuwachs an Wohlstand für die einfachen Leute. Eigentlich neigen die zuverlässigen und disziplinierten Us- beken nicht zum Au�egehren und schätzen durchaus eine pa- triarchalische Führung. Islam Karimow hä�e in Ermangelung echter Alternativkandidaten wohl selbst in freien Wahlen eine realistische Chance auf den Sieg. Den bizarren Personenkult um den Präsidenten hält man ohnehin für selbstverständlich; sei es das Sperren (inklusive Wässern zur Staubbindung) sämtlicher Straßen Taschkents, die jener gerade zu befahren geruht, oder auch des gesamten nationalen Lu�raumes, solange sein Flug- zeug irgendwo über Usbekistan in der Lu� ist. Dass unter diesen Prämissen ausgerechnet Deutschland größtes Ansehen bei den Usbeken genießt, mag man als zwei-

274 Metropole an der Seidenstraße felha�e Ehre empfinden. Die hohe Wertschätzung macht es aber sehr einfach, mit den Taschkentern im täglichen Leben in Kon- takt zu kommen – sofern man sich denn mit ihnen verständigen kann. Bis in eine Privatwohnung wird es allerdings selbst der deutsche Besucher auch nach Überwinden der Sprachbarriere kaum schaffen: Die ärmlichen heimischen Verhältnisse der aller- meisten Hauptstädter erlauben es diesen meist nicht, gegenüber privilegierten Ausländern das eigentlich vorgeschriebene Maß an Gastfreundscha� an den Tag zu legen. Trotz der prekären wirtscha�lichen Lage vieler seiner Bewoh- ner ist das Lebensgefühl in den Straßen Taschkents insgesamt angenehm entspannt. Die Taschkenter sind ordentliche Leute, zurückhaltend aber freundlich. Hektik und Gedränge, aggressi- ves oder aufdringliches Benehmen fehlen. Niemand vermüllt die zahlreichen, zwar landscha�sgärtnerisch nicht atemberaubenden aber gepflegten Grünanlagen oder zeigt sich nachlässig geklei- det auf der Straße. Der nicht übermäßig dichte Verkehr läu� er- staunlich gemächlich und geordnet über auffallend saubere Stra- ßen, die an den Wochenenden wie ausgestorben wirken, wobei sich vereinzelt bizarre Vorkommnisse ereignen können: Selbst wenn die Hauptstädter sich als Abkömmlinge eines Reitervolkes sehen, nötigt ein mi�en im abendlichen Feierabendverkehr über den sechsspurigen Nawoi-Prospekt galoppierender Landsmann inzwischen doch selbst einheimischen Passanten staunende An- erkennung ab. Zumindest in den für Ausländer interessanten Gegenden der Stadt können sich Besucher selbst nachts und alleine bewegen. Nur mit Einschränkungen gilt dies für Frauen, denen es in Tasch- kent ohne männliche Begleitung praktisch unmöglich ist, soziale Kontakte zu knüpfen. Frauen, die alleine den hochsommerlichen Temperaturen zu entfliehen suchen, bekommen selbst in den bes- seren Restaurants mit ihren pi�oresken Freisitzen – so etwa auf den wenigen erhalten gebliebenen historischen Innenhöfen des Stadtviertels Tschigatai – Probleme. Dort tri� man allerdings sel- tener Durchschni�shauptstädter – diese sitzen mit ihren Familien bei ausgedehnten Nachtmahlen eher in den all-abendlich bunt be- leuchteten Parks. Zu Tausenden treffen sich die Taschkenter am Ende des Tages auch in der Salyelgoh ko‘chasi, der Fußgänger- zone am Amir-Timur-Denkmal. Die tagsüber eher unscheinbare

275 II. Strukturen und Lebenswelten

Souvenirhändlermeile heißt im Volksmund »Broadway«, weil sie sich in der Dämmerung in eine Art Jahrmarkt aus Lichtern, Karaokezelten und Verkaufständen verwandelt, flankiert von Nachtclubs in den Querstraßen. Dass der Islam das Alltagsleben der Hauptstadt zumindest äußerlich kaum prägt – auch wenn seit 1991 mit saudischer Unterstützung unzählige Moscheen entstan- den –, zeigt sich nicht nur hier. Es kommt auch in der zum Teil äußerst knappen westlichen Mode oder in den landestypischen, farbenfrohen und körperbetonten langen Kleidern junger Frauen zum Ausdruck. Bei älteren Usbekinnen ist allenfalls ein bäuerlich- praktisches Kop�uch zu sehen. Trotz liberaler Kleiderordnung für Frauen stutzt der Neuan- kömmling, wenn er am hellichten Tag beobachtet, dass Männer ihre Autos an den Straßenrand steuern, um mit einer jungen Passantin eine Preisverhandlung zu führen. Nicht immer gelingt eine Einigung, o� genug aber steigt die junge Dame ein, gele- gentlich auch gemeinsam mit einer Freundin. Erst nach einer Weile erschließt sich dem staunenden Betrachter, dass es sich bei dieser Szene um nichts anderes als um das Taschkenter Taxisys- tem handelt. Es besteht darin, dass man jedes zufällig vorbei- fahrende Privatauto anhalten kann und für ein paar usbekische Sum ans gewünschte Ziel gefahren wird – für nicht sprachkun- dige Fremde allerdings nur bedingt empfehlenswert. Ohne Russischkenntnisse ist es ohnehin schwierig zurecht- zukommen. Englisch begegnet man eigentlich nur in verball- hornter Form: Ein riesiges »Good luck« prangt am Flughafen von Taschkent. Der Schri�zug lässt den Abreisenden schaudern und inständig hoffen, dass es sich bei diesem Wunsch nur um eine der üblichen linkischen Übersetzungen einer einheimi- schen, freundlich gemeinten Höflichkeitsfloskel handelt (auch die Russen wünschen sich zum Abschied bei jeder Gelegenheit Wsego Choroschego oder Alles Gute), und nicht um eine Beschwö- rung, die sich auf die zumindest bei Inlandsflügen gelegentlich abenteuerliche Flugsicherheit bezieht. Selbst Ausländer in mi�leren Positionen wohnen meist vom Alltag der Usbeken abgesondert in großzügigen, modernen Vil- len mit Pool und üppigen, umfriedeten Gärten. Das soziale Leben hinter diesen Mauern umfasst häufige Grillparties mit den immer gleichen Gästen aus der kleinen Kolonie der Westler. Dass zudem

276 Metropole an der Seidenstraße auch Personal und Lebens- mi�el für Devisen billig zu haben sind, lässt das Leben der »Gastarbeiter« durchaus angenehm erscheinen – zu- mindest bis in Taschkent Bunk Photo/Tele Zeitung der Winter anbricht. Dann wird es bei bis zu minus 30 Süddeutsche Grad für alle ungemütlich. Das Nahrungsmi�elangebot wird eintönig und das Gas knapp, weil es aus Hundert- Alte Männer bei einer traditionellen Hoch- tausenden geöffneter Backö- zeitsfeier in Taschkent. fen abgefackelt wird, um die unregelmäßige Fernwärmeversorgung auszugleichen. Dennoch zeigen sich die Fremden aus dem Westen insgesamt von der Le- bensqualität in Taschkent meist angenehm überrascht, weil sie das abgelegene Zentralasien in erster Linie mit Instabilität, Zurückge- bliebenheit und Verarmung assoziiert haben. Dass dies nicht für alle Zukun� gelten muss, sollte jedem Besucher bewusst sein. Um Einfluss in der unruhigen Region ringen mit wechselndem Erfolg, aber stets mit harten Banda- gen, nicht nur die benachbarten Großmächte Russland, China und Indien, sondern auch der Westen. Was neben Versuchen ausländischer Einflussnahme zum Beispiel nach dem Tod des Diktators Karimow in Taschkent passieren kann, lässt sich kaum vorhersagen. Das aus vergleichsweise nichtigem Anlass ausgelöste Massaker von Andischan im Jahr 2005 (vgl. den Bei- trag von Imke Dierßen) zeigt auf schockierende Weise, wie sich die äußerlich beschauliche Lage über Nacht schlagartig ändern kann. Und schließlich schwebt über der Stadt auch noch das Damoklesschwert eines neuen fürchterlichen Erdbebens, das Taschkent wie 1966 jederzeit auslöschen könnte. Ausländer, die über die regelmäßigen Katastrophenübungen in der Stadt informiert sind, meiden meist höhere Gebäude und kämen nie auf den Gedanken, etwa ein Zimmer in einem der neuen Hotel- türme anzumieten. Mark Aretz

277 Ein Zeitstrahl für die Territorien von Usbekistan, Kirgisistan, Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan sowie Afghanistan und Iran, der bis in die Anfänge der Geschichte zurück reicht, würde vom Umfang her diesen Band sprengen. Die folgende Übersicht fasst darum wichtige politische, kulturelle, religiöse und ethni- sche Ereignisse erst ab der Zeit der mongolo-tatarischen Herr- scha� zu Beginn des 13. Jahrhunderts zusammen. Eine Version des Dokumentes, die auch frühere Entwicklungen abbildet, fin- den Sie in elektronischer Form auf der Seite h�p://www.mgfa. de/html/einsatzunterstuetzung/.

Geschichte im Überblick

Überregionale Politische Kulturelle, religiöse politische Ereignisse in und ethnische Entwicklung Usbekistan Ereignisse

Mongolo–tatarische Herrscha� (1200–1368)

1206: Gründung des Mongolischen Weltreiches; der Mongolenkrieger Temudschin (ca. 1155–1227) be- steigt den Thron und nimmt den Namen Dschingis Khan an

1206–1290: Sultanat von Delhi in Nord- 1212: Aladdin indien (»Sklaven- Mohammed II. von Dynastie«) Choresmien bringt Karachaniden-Reich zu Fall

1220: Dschingis Khan 1223–1438: erobert die Kara-Kitai Dschingisidisches (Transoxanien) Reich der »Goldenen Horde« in Russland 1225: Unterwerfung (zw. 1236–1242 zum des Reiches der Großteil durch Khan »Chorasmschahs« Ögädäis erobert) unter die Herrscha� Dschingis Khans

278 Mongolo–tatarische Herrscha� (1200–1368)

1241: Schlacht von Liegnitz (Wahlsta�) 1250–1346: Herrscha� (9.4.) und Muhi des dschingisidischen (11.4.) (Siege der »Ulus Tschagatai« in Mongolen) Transoxanien

1256–1353: Reich der Ilchane in Iran

1258: Eroberung Bagdads durch die mongolischen Truppen Hülägus; Ende des Seldschuken-Reiches (10.2.)

1260: Mongolische Niederlage in der Schlacht von Ain Jalut (3.9.) 1271–1295: Reise 1272: Groß-Khan Marco Polos von Khublilai lässt sich Italien nach China als »Shizu« zum Kaiser von China krönen und gründet die dschingisidische Dynastie »Yuan« (bis 1368)

Timur Lenk und die Timuriden (1368–1500)

14. Jh.: In den Steppen zwischen Kaspischem Meer, südlichem Ural und Syrdarja bildet sich eine Konföderation von turksprachigen Nomadenstämmen. Diese nennen sich nach dem Herrscher der »Goldenen Horde«, Khan Özbek (1282–1342), »Özbeken«

1360–1405: Timur Lenk setzt sich gegen die Nachfahren Tscha- gatais durch; Samar- Flagge des Timuriden-Reiches kand wird Hauptstadt ab 1368 Transoxaniens (1370)

279 Timur Leng und die Timuriden (1368–1500)

seit 1379: Timur grei� in gräuelvollen Zer- störungskriegen weit in den islamischen Raum hinein aus; Mogholistan (heutige Mongolei) kann nicht erobert werden

1383–1387: Eroberung Irans

1389: Vorstöße Timurs nach Os�urkestan, April 1395: Schlacht in das Gebiet der am Terek nördlich »Goldenen Horde« des Kaukasus (1391–95), nach Indien bis Delhi (1395–98) 1400: Entvölkerung sowie Einnahme von Armeniens und Bagdad Georgiens durch Timurs Truppen

1402: Schlacht bei 1405: Tod Timurs; Ankara (20.7.) Herrscha� der Timuriden in Tansoxanien und Choresmien (bis 1507)

1409–1449: Invasion der Özbeken; Ulugbek 1417–1420: herrscht in Samarkand Errichtung der Ulug‘beg-Medrese auf dem Registan- Platz in Samarkand

1441–1502: 1468: Tod des Özbeken- Timuriden-Wesir Herrschers Abu l-chair Alischer Nawoi fördert inner- 15. Jh.: Neu formierter asiatisch-türkische Stammesverband der Schri�sprache, Özbeken schiebt sich das so genannte unter Leitung Moham- Tschagataische med Schaibanis an das nördliche Ufer des Syr- darja vor; Eroberung Samarkands (1500)

280 Die Herrscha� der Schaibaniden und der Usbeken (1500 bis 1860er)

1501: Ismail erklärt sich zum Schah 1507: Timuriden von Persien; Beginn fallen dem vereinten der schiitischen Druck der usbeki- Safawiden-Dynastie schen Schaibaniden- (bis ca. 1722) und der persischen Safawiden-Dynastie zum Opfer

1510: Schlacht 1510: Schaibaniden werden bei Merw; Tod durch den siegreichen Vorstoß Mohammed der Safawiden aus Nordost- Schaibanis persien verdrängt und auf Transoxanien mit dem Zentrum Buchara beschränkt (Herrscha� bis 1598). Die Schaibaniden- Dynastie bildet das erste usbekische Reich

1512: Timuride Babur 1512: Schlacht bei Khan stabilisiert Gadschdiwan; seine Herrscha� in Schaibanis Neffe Kabul; Angriff auf Ubaidallah erobert das Indus-Tal Buchara

1512–1804: Herrscha� 1526: Schlacht von der dschingisidischen Panipat; Beginn der Schaibaniden in Mogul-Herrscha� in Chorasm, Hauptstadt Indien; Timuriden- Chiwa (Emirat Chiwa) Dynastie (bis 1858)

1552–1556: Russische Eroberung 1578: Dalai Lama der Khanate Kasan 1583–1589: Herrscha� Bsod-nams-rgya– und Astrachan Khan Abudallahs II. mtsho bekehrt Mongolenfürst 1599–1785: Herrscha� Altan Khan zum der dschingisidischen Lamaismus Dschaniden (aus Astrachan stammend) in Transoxanien (Hauptstadt Buchara) 16./17. Jh.: Kasachen (»Flücht- 1619–1648: Vorstoß 1619: Erste diploma- linge«) spalten sich russischer Expeditio- tische Beziehungen von Özbeken ab nen über den Jenissej zwischen Moskau und erobern Raum bis an den Pazifik und Buchara südöstlich des Ural

281 Die Herrscha� der Schaibaniden und der Usbeken (1500 bis 1860er)

1623: Errichtung der Nadir-Diwan-Begi-Medrese in Buchara

1636: Errichtung der Scher-Dor-Medrese in Samarkand

1652: Errichtung der 1655: Treue-Eid Abdulasis-Khan-Medrese in Buchara des kalmückischen Khans gegenüber 1660: Errichtung der dem Zaren Tella-Kari-Medrese in Samarkand

1716/18: Begrün- 1717: Erste russische dung der russischen Militärexpedition Festungen Omsk und gegen Chiwa Semipalatinsk an der Steppengrenze

1731–1741: Treue-Eid kasachischer Khane gegenüber dem Zaren

1757–1765: Beginn 1758: Eroberung Xin- der britischen Herr- jiangs durch China; 1771: Rückwande- scha� über Indien chinesischer Einfluss rung der Mehrheit auf Fergana-Tal der Kalmücken aus 1773: Unabhängigkeit Russland nach Afghanistans 1785–1920: Herrscha� Zentralasien der »Emire von Buchara« aus dem 1789: Errichtung der usbekischen Stamm Dschuma-Moschee der Mangyt in Chiwa

1805–1920: Herr- 1822: Annexion der scha� der »Khane 1822: Russisches »Mi�leren Horde«, von Chiwa« aus dem Statut über die 1824 der »Kleinen usbekischen Stamm Verwaltung Horde« der Kasachen der Qunqirat der Inorodzy durch Russland (Fremdstämmigen) in der Steppe und 1830er-Jahre: in Sibirien »Forward Policy« Eng- 1839: Scheitern einer lands mit dem Ziel, russischen Expedition in Afghanistan einen gegen Chiwa Pufferstaat gegen das 1854: Errichtung der Vordringen Russlands russischen Festung zu etablieren Wernyi (Almaty)

282 Die Herrscha� der Schaibaniden und der Usbeken (1500 bis 1860er)

1842: Hinrichtung der 1845: Annexion der Engländer Stoddart »Inneren Horde« und Conolly in Buchara 1853–1856: Krimkrieg

1858: Sepoy-Aufstand Flagge des in Indien erschü�ert Emirats von Buchara britische Herrscha� (1785–1920)

Russische Herrscha� (1867/68–1918)

1864–1867: Erster russischer Eroberungsfeld- zug nach Zentralasien; Bildung der General- gouvernements Turkestan und Steppe, Taschkent wird russischer Verwaltungssitz

1868: Russische Eroberung von Samarkand; Protektorat über das Emirat von Buchara

1873: Russisches Protektorat über das Khanat von Chiwa

1876: Proklamation 1876: Russische Königin Viktorias Annexion des Khanats von England zur von Kokand Kaiserin von Indien

1879: Zweiter Anglo-Afghanischer Krieg; der Vertrag von Gandomak, Flagge (26.5.), macht Afghanistan zum des Khanats halbautonomen Protektorat von Chiwa Britisch-Indiens (1805–1920)

1881: Russische Eroberung der 1881–1899: Bau der Festung Gök-Tepe und Annexion Transkaspischen Turkmenistans Eisenbahn von Krasnowodsk nach 1881: Vertrag von St. Petersburg: Kuschka, Taschkent Verzicht Russlands auf weite Teile und Andischan des 1871 eroberten Ili–Tales in Xinjiang

1884: Russische Besetzung der Oase von Merw, 1885 von Kuschka an der Grenze zu Afghanistan

283 Russische Herrscha� (1867/68–1918)

1885: Russische 1887: Festlegung Truppen schlagen Re- ab 1890er-Jahre: der Grenze Russisch- bellion im Khanat von Herausbildung Zentralasiens zu Kokand nieder der muslimischen Afghanistan Reformströmung des Dschadidismus

1890–1914: Massenkolonisierung 1891: Statut über Nord-Kasachstans und die Verwaltung der 1892: Cholera-Aufstand Kirgisistans durch rus- Steppengebiete in in Taschkent sische und ukrainische Russland Bauern

1894/95: Entzifferung 1895: Pamir-Abkom- der Orchon-Inschri�en men Russlands mit 1898: Aufstand von durch Vilhelm Großbritannien legt Andischan gegen Thomsen Grenzen in Zentral- Russland asien endgültig fest 1904: Eröffnung der Eisenbahnlinie von Taschkent nach Orenburg

1905/16: Erste 1912: Ausrufung Kongresse der der chinesischen Muslime Russlands Republik durch Sun Yatsen (1.1.) 1916: Basmatschi- Aufstand; Nieder- 1914–1918: schlagung fordert Erster Weltkrieg ca. 150 000 Menschen- leben

Sowjetische Herrscha� (1918–1991)

1917: Februar- und Oktoberrevolution in Russland (22.3./7.11.)

1918–1924: 1918: Gründung 1918: Au�au säkularer Russischer Bürger- der Turkestanischen Bildungsstrukturen krieg; 1922 Bildung Autonomen Sozialisti- mit dem »Dekret über der UdSSR (Dez.) schen Sowjetrepublik die Liquidierung des (ASSR), Hauptstadt Analphabetentums« Taschkent (30.4.)

284 Sowjetische Herrscha� (1918–1991)

1920: Abdankung des Khans von Chiwa, Gründung VR Choresmien (26.4.); Begründung der »Kirgisi- schen« (= Kasachischen) ASSR im Rahmen der Russischen Sozialisti- schen Föderativen Sowjetrepublik 1923: Gründung (RSFSR) (Aug.); Absetzung des der »Gesellscha� der Emirs von Buchara, Ausrufung Schariatsgerichte« der VR Buchara (8.10.) zur marxistisch- leninistischen Inter- 1924: Begründung 1924: Auflösung der pretation der islami- der Turkmenischen Turkestanischen ASSR; schen Gesetzgebung ASSR und des Proklamation der Kara-Kirgisischen Usbekischen Sozialis- Autonomen Gebiets tischen Sowjetrepublik (AG) innerhalb der (SSR) mit der Haupt- RSFSR stadt Samarkand, ab 1930 Taschkent (27.10.); Begründung der Tadschikischen ASSR innerhalb der Usbekischen SSR

1925: SSR Choresmien 1925: Einführung und Buchara gehen des lateinischen überwiegend in Alphabets SSR Usbekistan auf 1927: »Befreiung der Flagge der Usbekischen SSR 1925 (bis 1952 wechselnde Schriftzüge) Frauen« richtet sich u.a. gegen den traditionellen Islam

1928–1932: Erster 1929: Tadschikistan wird SSR; Samarkand Fünf-Jahres-Plan, und Buchara verbleiben bei Usbekistan Zwangsansiedlung (5.12.). Angliederung eines Teils des der Nomaden, Fergana-Tals an Tadschikische SSR als Einführung des Leninabad (heute: Sogd) Kolchos-Systems sowie der allgemei- 1930: Taschkent wird Hauptstadt der nen Schulpflicht Usbekischen SSR

1936: Kasachstan und 1936: ASSR Karakalpakstan Kirgisistan werden kommt von der RSFSR an Sowjetrepubliken Usbekistan (5.12.)

1936: Verabschiedung der Verfassung Stalins mit fünf zentralasiatischen Unionsrepubliken

285 Sowjetische Herrscha� (1918–1991)

1938: Schauprozesse gegen führende zentralasiatische Parteikader

1939–1945: 1939: Einführung des kyrillischen Zweiter Weltkrieg; Alphabets (Russifizierung); Verbot Großer Vaterländischer der Tschagatai-Literatur Krieg (1941–1945) 1943: Schaffung der Geistlichen Verwaltung (Mu�iyat) der Muslime Zentralasiens und Kasachstans mit Sitz in Taschkent

1943/44: Deportationswelle 1947: Unabhängigkeit Pakistans und Indiens nordkaukasischer (14./15.8.); Erster Kaschmir-Krieg (bis 1949) Völker nach Zentralasien, 1949: Gründung der VR China (1.10.) u.a. Usbekistan

1953: Tod Josef W. Stalins (5.3.)

1954: Neulandgewinnung in Kasachstan

1956: XX. Parteitag der KPdSU (Feb.), Beginn der »Tauwe�erperiode« Flagge der Usbekischen SSR 1960–1982: 1959–1983: Ära von (1952–1991) »Patrimoniale Ära« der KP-Chef Scharaf Ersten Parteisekretäre Raschidow

1961: Weltraumflug Juri Gagarins

1962: Indisch-Chinesi- scher Krieg (Okt.–Nov.) 1964: Lediglich zwei Prozent der 30 000 vorsowjetischen Moscheen 1965: Zweiter Kaschmir- existieren noch Krieg (Aug.–Sept.)

1966–1976: Chinesische 1966: He�iges Erdbeben in Taschkent Kulturrevolution unter am 26.4. mit Nachbeben am 9.5.; die Mao Tse-tung Stadt wird fast völlig zerstört

1969: Tagung der Sprachkultur-Konferenz 1971: Bangladesch- Krieg in Taschkent zur Reinigung der zentral- und Unabhängigkeit asiatischen Sprachen vom Russischen Ostpakistans (17.12.)

286 Sowjetische Herrscha� (1918–1991)

1972: Besuch Richard Nixons in Peking 1972: Offizielle (»Ping-Pong-Diplomatie«) Sprachregelung der UdSSR gibt die 1979: Persischer Schah Resa Pahlevi Etablierung des verlässt Iran (16.1.), Rückkehr Ayatollah Sowjetvolkes und das Khomeinis aus dem Exil (1.2.), Ausrufung Ende der nationalen einer Islamischen Republik Gegensätze zwischen den Nationen vor 1979: Einmarsch der UdSSR in Afghanistan (27.12.); Besatzung bis 1989 1979–1989: Usbekistan ist »Frontstaat« im 1980–1988: 1. Gol�rieg (Irak/Iran) Afghanistankrieg

1984: Veröffentlichung manipulierter 1985: Wahl Michail Produktionszahlen führt zum Gorbatschows zum »Baumwollskandal« Generalsekretär der KPdSU 1986: 80 Prozent ab 1986: Zunahme (März) der usbekischen ethno-territorialer KP-Kader werden und interethnischer ausgetauscht (Ziel: Spannungen in der Zerstörung lokaler UdSSR Netzwerke)

1988: Oppositions- 1989: Massaker bewegung Birlik 1989: Blutige auf dem »Platz (Einheit) tri� erstmals Zusammenstöße des Himmlischen offiziell auf zwischen Usbeken Friedens« in Peking und den 1944 von (4.6.) Stalin deportierten Mescheten im Fergana-Tal (3./4.6.)

1989: Islam A. Karimow wird 1990: Oppositions- usbekischer KP-Chef partei Erk (Freiheit) (23.6.) tri� in Erscheinung 1990: Blutige 1990: Karimow wird Zusammenstöße Staatspräsident zwischen Usbeken 1991: Gescheiterter Usbekistans (24.3.); und Kirgisen im Putsch in Moskau Unabhängigkeits- Fergana-Tal (18.–21.8.) erklärung Usbekis- tans (20.6.)

287 Staatliche Unabhängigkeit (ab 1991)

1990/91: 2. Gol�rieg 1991: Usbekistan erklärt seine volle (Irak/Kuwait) Souveränität (31.8.); aus der KP Usbe- kistans wird die Volksdemokratische 1991: Auflösung der Partei (14.9.); Karimow gewinnt die Sowjetunion (8.12.) Präsidentscha�swahlen mit 85,9 % (29.12.)

1991: Usbekistan tri� Gemeinscha� Unabhängiger Staaten (GUS) bei (21.12.) 1992: Erste Phase (Mai–Sept.) des 1992: Usbekistan wird in die KSZE Bürgerkrieges in (heute: OSZE) (30.1.), die UN (2.3.) Tadschikistan und die ECO aufgenommen (28.11.); (bis 1996) Annahme einer neuen Verfassung durch das Parlament (8.12.); Beitri� 1993: Die fünf zum Vertrag über Kollektive Sicher- zentralasiatischen heit in Taschkent (15.5.) Staaten gründen das regionale Interstate 1994: Einführung des Sums (1.7.); Council for the Aral Usbekistan tri� Programm Partner- Sea Basin Crisis scha� für den Frieden (PfP) bei; erste (ICAS) Parlamentswahlen nach der Unabhän- gigkeit (25.12.)

1995: Verlängerung der Amtszeit Karimows bis 2000 per Volksabstim- mung (99,6 %); Otkir Sultanow als Nachfolger von Abdulhaschim Mutalow neuer Premierminister

1996: Usbekisch-Türkischer Freund- scha�svertrag unterzeichnet (8.5.); 1997–1999: Nach Mitgliedscha� in der Organisation der einem von Russland, Islamischen Konferenz (OIC) (2.10.) Iran und der OSZE vermi�elten Waf- 1997: Neues Parteien- fenstillstand beginnt 1998: Verabschiedung gesetz tri� in Kra�; in Tadschikistan ein eines neuen Land- Verbot von ethnischen Prozess »nationaler gesetzes; alles Land oder religiösen Versöhnung«, der wird Staatseigentum Parteien 1999 abgeschlossen (1.7.) ist 1999: Bombenanschläge in Taschkent (16.2.); Partnerscha�s- und Koopera- tionsabkommen mit EU (1.7.); Parlamentswahlen (Karimow-Partei erhält 48 von 249 Sitzen)

288 Staatliche Unabhängigkeit (ab 1991)

1999: Neuerliche 1999: Austri� aus 1999: Militärische und militärische dem Vertrag über Aktionen der Auseinander- Kollektive Sicherheit Islamischen setzungen zwischen Bewegung Indien und Pakistan 1999–2002: Menschen- Usbekistans (IBU) in Kaschmir rechtsverletzungen im in Kirgisistan (Region Gefängnis Jaslyk in Batken) und Teilen der Region Karakal- des Fergana-Tals pakstan

2000–2008: 2000: Karimow 2000: Kämpfe zwi- Russische gewinnt Präsident- schen islamistischen Präsidentscha� scha�swahlen (91,9%), Rebellen und der Wladimir Putins OSZE kritisiert das usbekischen bzw. Verfahren kirgisischen Armee im Grenzgebiet 2000: Kasachstan, zwischen Usbekistan, Kirgisistan, Tadschi- Kirgisistan und kistan und Usbekistan Tadschikistan (Aug.) kündigen die Bildung eines gemeinsamen 2000: Oberster Wirtscha�sraumes an Gerichtshof Usbe- (17.6.) kistans verurteilt Takhir Yuldasch und 2001: Islamistische 2001: Gründung Dschuma Namangani, Terrorangriffe auf der Schanghaier Führer der IBU, in New York und Organisation für Abwesenheit zum Washington (11.9.) Zusammenarbeit Tode. Mohammed (SOZ) durch Beitri� Salih, exilierter Usbekistans (15.6.) Vorsitzender der verbotenen Opposi- 2001: Afghanistan- 2001: Usbekistan tionsgruppe Erk Konferenz auf dem erklärt sich kurz nach (Freiheit), erhält Petersberg bei Bonn den Anschlägen vom 15 Jahre Ha�. Der (27.11.–5.12.); Ende 11.9. bereit, den USA Prozess behandelt u.a. der Taliban-Herr- Militärbasen und die Bombenanschläge scha� in Afghanistan Lu�raum für Einsätze vom 16.2.1999 und Installierung in Afghanistan zur einer Übergangs- Verfügung zu stellen regierung unter (24.9.); Vertrag über Hamid Karsai (22.12.) politische Zusammen- arbeit mit den USA (7.10.) 2002: EU verabschiedet ihr 2002: Deutschland und Usbekistan Strategiedokument unterzeichnen Abkommen zu zu Zentralasien Stationierung und Einsatz der (Okt.) Bundeswehr in Termes (12.2.)

289 Staatliche Unabhängigkeit (ab 1991)

2002: Usbekistan, Kasachs- tan, Kirgisistan und Tadschi- kistan bilden die Zentral- asiatische Organisation für 2003: Zusammenarbeit; Russland Beginn des wird 2004 Mitglied (28.2.) 3. Gol�rieges (20.3.) 2004: Parlamentswahlen, 2004: Serie von Bomben- erstmals auch Wahlen zur explosionen, Selbstmord- zweiten Kammer (Senat); a�entaten und Gefechten OSZE kritisiert die Wahlen in Taschkent und in Usbekistan als undemo- Buchara (mind. 47 Tote). kratisch (26.12.) Für die Zwischenfälle werden die IBU und Hizb-ut Tahir al-Islami verantwortlich gemacht (28.–31.3.)

2004: Selbstmord- anschläge vor den Botscha�en der USA und Israels sowie dem Gebäude des General- staatsanwalts in Tasch- kent (30.7.)

2005: 2005: Unterzeichnung 2005: Unruhen in Machtwechsel eines Freundscha�s-und Andischan (13.5.) in Kirgisistan; Zusammenarbeitsvertrages Sturz von mit VR China (25.5.) 2005: Kirgisistan lässt Präsident 439 usbekische Exilan- Akajew 2005: Verhängung von EU- ten trotz Auslieferungs- Sanktionen (Nov.) Antrag seitens Usbe- kistan nach Rumänien 2005: Russland sagt Unter- ausreisen stützung im Falle einer Aggression oder »system- gefährdender Ereignisse« zu (14.11.)

2005: USA beenden Militär- präsenz in Usbekistan (21.11.)

290 Staatliche Unabhängigkeit (ab 1991)

2006: Usbekistan 2006: Gemeinsame tri� der Eurasischen Aktion kirgisischer Wirtscha�sgemein- und usbekischer scha� (EURASEC) Spezialeinheiten in bei; Kooperationsab- Osch; neben dem kommen zwischen kirgisischen Imam Usbekistan und Mohammed Rafik Gazprom (25.1.) Kamalow auch zwei Mitglieder der IBU Flagge Usbekistans seit 1991 2006: SOZ-Manöver getötet in Usbekistan (März)

2006: Usbekistan tri� der Organisation des Vertrages über Kollek- tive Sicherheit (OVKS) wieder bei (23.6.)

2006: bilaterale Anti-Terror-Übung Usbekistans und Russlands (Sep.)

2006: Erste Experten- gespräche zwischen EU und Usbekistan zu den Unruhen von Andischan (Dez.)

2007: Zweite Runde 2007: Ermordung Expertengespräche des international zwischen EU und angesehenen Usbekistan zu den usbekischen Unruhen von Theaterregisseurs Andischan (Apr.) und Regimekritikers Mark Weil (7.9.) 2007: Aufnahme eines institutionellen Menschenrechts- dialogs zwischen EU und Usbekistan; EU beschließt Zentral- asien-Strategie

2007: Präsident Karimow im Amt bestätigt (23.12.); erneute OSZE–Kritik an den Wahlen

291 Staatliche Unabhängigkeit (ab 1991)

2008: 2008: Dekret zur Dmitri Medwedjew Abschaffung der wird russischer Todesstrafe tri� in Präsident (2.3.) Kra� (1.1.)

Seit Mi�e 2008: 2008: Der am längsten Internationale inha�ierte politische Finanz–und Gefangene des Landes, Wirtscha�skrise Ahmadjon Odilow, wird nach über 20 Jahren Ha� 2008: Teilnahme entlassen (4.6.) am NATO-Gipfel in Bukarest (Apr.) 2008: Vereinbarung mit Russland über 2008: Vorschlag den Bau einer Karimows, OVKS Gas-Pipeline und EURASEC zusammenzu- 2008: Wiederaufnahme schließen (Juni) von Besuchen des IRK in usbekischen Ha�- 2008: SOZ-Gipfel in anstalten (März) Duschanbe (28.8.) 2008: Besuch des 2008: OVKS- russ. Premierministers Treffen in Moskau Putin; Vereinbarungen (5.9.) zum Ausbau der Wirt- scha�sbeziehungen 2009: (1./2.9.) SOZ bekrä�igt Pläne für ein gemeinsames Manöver im Süden Kasachstans 2010 (29.4.)

292 Erinnerungstage – Festtage – Feiertage

Bei schwarzen Einträgen handelt es sich um offizielle Feiertage, die rot ausge- zeichneten Termine sind Gedenktage und islamische Feste sind grün gekenn- zeichnet. Die angegebenen Daten gelten für 2009 [bzw. 2010/2011] und folgen dem Gregorianischen Kalender. Sämtliche muslimische Feiertage sind in Ara- bisch – der »Verkehrssprache des Islam« – aufgenommen. Das islamische Mondjahr besteht aus zwölf Monaten á 29 Tagen, die jeweils zum Neumond beginnen. Somit ist das islamische Mondjahr mit 354 Tagen kürzer als unser Sonnenjahr, und die islamischen Feste »wandern« im Laufe von 33 Son- nenjahren einmal durch alle Jahreszeiten. Die genaue Festlegung der Kalenderdaten der islamischen Feiertage richtet sich nach der tatsächlichen örtlichen Mondbeobachtung. Erst wenn die islami- schen Geistlichen beispielsweise den Neumond gesichtet haben, beginnt der Feiertag Id al-Fitr. Es ergeben sich aufgrund der geografischen Lage bzw. unter- schiedlicher Zeitzonen zwischen den einzelnen islamischen Ländern Verschie- bungen um einen oder mehrere Tage. Da der islamische Tag mit dem Sonnenun- tergang beginnt, finden die eigentlichen Feiern o� am Vorabend des angegebenen Datums sta�.

Datum Bezeichnung Bezug

1.1. Neujahr Gedenk- bzw. Trauertag der 7.1. Aschura Schiiten anlässlich des Martyriums Husseins [16.12./5.12.] Geburtstag Begründer der usbekischen Poesie 9.2. Alischer Nawois (1441-1501) Taschkenter Stationierung deutscher Truppen 12.2. Abkommen in Termes (2002) Bombenanschläge Serie von A�entaten 16.2. in Taschkent (1999) 8.3. Weltfrauentag Vereinte Nationen Geburtstag des Propheten 9.3. Mawlid al-Nabi [26.2./16.2.] Usbekisches Frühlings- bzw. Neu- 20.-22.3. Navruz jahrfest nach persischem Kalender Geburtstag Begründer der Timuridendynastie 8.4. Timur Lenks (1336-1405) Erdbeben von Nahezu vollständige Zerstörung 26.4. Taschkent der Stadt (1966)

293 Anhang

Gründung der 30.4. Turkestanischen ASSR 1.5. Maifeiertag Internationaler Tag der Arbeit 1. Tag des Friedens 1. Ende Zweiter Weltkrieg 9.5. 2. Erdbeben von 2. Verheerendes Nachbeben Taschkent (1966) 1. Schlacht im 1. Russische Annexion Samarkands Serawschan-Tal und Bucharas (1868) 13.5. 2. Massaker von 2. Hunderte Tote bei Niederschla- Andischan gung von Kundgebung (2005) Blutige Zusammen- Kämpfe zwischen Usbeken und 3./4.6. stöße in Fergana Mescheten (1989) Erster Tag des Beginn des Fastenmonats 22.8. Ramadan [11.8./1.8.] 1.9. Unabhängigkeitstag Erlangung der Souveränität (1991) 21.9. Id al-Fitr Ende der Fastenzeit [10.9./30.8] Partnerscha�svertrag Stationierung von US-Truppen 7.10. mit den USA (2001-2005) Gründung der Unionsrepublik der UdSSR 27.10. Usbekischen SSR (1924-1991) 18.11. Flaggentag Staatlicher Feiertag (seit 1992) Id al-Adha Gedenken an Abrahams Prüfung 28.11. (Opferfest) [18.11./8.11] Verabschiedung der Verfassung 8.12. Verfassungstag (1992) 18.12. El am Hejir Neujahrsfest [7.12./26.11.] Gedenk- bzw. Trauertag der 27.12. Aschura Schiiten anlässlich des Martyriums Husseins [16.12./5.12.]

294 Erinnerungsorte

Erinnerungsorte (siehe hierzu die Klappkarte am Ende des Buches)

1. Nukus ...... Die Hauptstadt der Autonomen Republik Karakalpakistan – eine der ärmsten Re- gionen dieser Welt –, bietet heute einen trostlosen Anblick: leere Straßen, kaum Geschä�e, verschlossene kulturelle Einrichtungen und uniforme graue Neubau- siedlungen aus sowjetischer Zeit kennzeichnen das Stadtbild. Im Ergebnis der stali- nistischen Kulturpolitik wurden unliebsame und kritische Künstler der russischen Avantgarde in den 1930er-Jahren in die Verbannung nach Sibirien und Zentralasien geschickt, von denen sich viele in Nukus niederließen. Dieser Einfluss prägte die Stadt und trug ihr den sprichwörtlichen Namen »Museum in der Wüste« ein. Schon seit längerer Zeit ist Nukus das Zentrum der Befreiungsfront Karakalpakistans, die im Untergrund für eine Wiedervereinigung mit Kasachstan kämp�: In den 1930er- Jahren trennten die Sowjets die damals rund 400 000 zwischen den Wüsten Kara- kum und Kizilkum lebenden Karakalpaken durch eine Grenze von den Kasachen, mit denen sie Sprache und Geschichte teilen. Aufstieg und Niedergang von Nukus ist eng verbunden mit der Verlandung des Aralsees und des Amudarjas. Noch in den 1960er-Jahren war Nukus eine blühende Stadt und Oase in der Wüste.

2. Chiwa ...... Die Oasenstadt im Nordosten Usbekistans wurde im 6. Jh. gegründet. Die Lage an einem der bekannten Verbindungswege zwischen Indien und Europa sicherte ihre strategische Bedeutung über die Zeitläu�e. 1997 feierte der usbekische Staat ihr 2500-jähriges Bestehen. Bereits im 10. Jh. schrieb der arabische Reisende und Geograf Maqdisi: »Chiwa liegt am Rande der Wüste. Es ist eine große Stadt mit einer bedeutenden Freitagsmoschee.« 1220 eroberte Dschingis Khan und 1388 Timur Lenk die Stadt. Erst Anfang des 17. Jh. wurde Chiwa Hauptstadt des 1511 in Choresmien gegründeten Khanats Chiwa, dem Nachfolgestaat des alten gleichna- migen historischen Reiches. 1873 nahmen russische Truppen die Stadt ein. Chiwa ist heute ein Magnet für Touristen aus aller Welt. Schlanke Minare�e mit glasierten Kacheln in allen Scha�ierungen, wie die des Palastes Tasch-Hauli, künden von einer glanzvollen Vergangenheit. Seit 1990 steht die Altstadt Itchan-Kala unter Schutz der UNESCO und gehört damit zum Weltkulturerbe der Menschheit.

3. Buchara ...... Mit einer Siedlungsgeschichte von 2500 Jahren gehört Buchara zu den ältesten Städten Zentralasiens. Bereits im 5. Jh. v.Chr. überlieferte Herodot, dass Handels- reisende der antiken Welt über den Goldreichtum und die Kunstfertigkeit der Ju- weliere der an der Seidenstraße gelegenen Stadt schwärmten. Das mi�elalterliche Buchara war ein Zentrum des wissenscha�lichen und geistigen Lebens Zentral- asiens: Die Namen des herausragenden Arztes und Philosophen Abu Ali ibn-Sina (Avicenna), des enzyklopädisch gebildeten Beruni sowie des Astronomen und Mathematikers Ulug-Bek sind untrennbar mit Buchara verbunden. Aus dieser Zeit stammt zudem das Mausoleum der Samaniden (9./10. Jh. n.Chr.), das als eines der herausragenden Baudenkmäler im Vorderen und Mi�leren Orient gilt. Bis zur rus- sischen Eroberung des Khanats von Buchara vor gut 150 Jahren war die Stadt für Ausländer gesperrt. Illegales Eindringen ha�e in der Regel den Tod zur Folge. In Europa war Buchara vor allem aus den Märchen von »Tausendundeiner Nacht«

295 Anhang

sowie aus orientalischen Schri�en bekannt. Darüber hinaus ist die Stadt ohne die so genannten Buchara-Juden, womit sämtliche jüdische Gemeinscha�en im Raum Usbekistan und Tadschikistan gemeint sind, kaum vorstellbar. Die ersten Juden siedelten sich zwischen dem 10. und 13. Jh. an und gewannen großen Einfluss auf Handel und Wirtscha� der gesamten Region. Ihre Sprache ist ein Dialekt des Tadschikischen (das eng verwandt ist mit dem iranischen Farsi), durchsetzt mit hebräischen, arabischen und russischen Lehnwörtern. Gegenwärtig sinkt die Zahl der jüdischen Bevölkerung in Buchara, da immer mehr Familien in die USA oder Israel auswandern.

4. Karchi ...... 2008 feierte die Stadt ihre Gründung vor 2700 Jahren, doch erst seit dem 14. Jh. trägt sie den Namen Karchi, der soviel bedeutet wie Burg oder Festung. Eine solche ha�e Timur Lenk hier 1364 errichtet. Nach der Gründung der Sozialistischen Volksrepub- lik Buchara 1920 wurde der Ort zu Ehren des im Au�rag des Emirs von Buchara in Karchi getöteten Mahmudho’ja Behbdudiy (1874-1919) in Behbdudiy umbenannt. Der Namenspatron war der prominenteste und vor der Oktoberrevolution am meis- ten respektierte Vertreter der um die Wende zum 20. Jahrhundert in Zentralasien au�ommenden muslimisch-nationalistischen Reformbewegung des Dschadidis- mus. Behbdudiy verfasste im Oktober 1906 ein Grundsatzprogramm zur Errich- tung einer islamischen Staatenunion. Seinen Namen trug die Stadt bis 1937.

5. Termes ...... Die Stadt befindet sich am Ufer des Flusses Amudarja, der Usbekistan von Afghanis- tan trennt. Die »Brücke der Freundscha�« ist die einzige Landverbindung zwischen beiden Staaten und wurde 1982 während der sowjetischen Besetzung Afghanistans errichtet, um die Versorgung der Roten Armee sicherzustellen. Termes wurde so zu einem wichtigen logistischen Umschlagplatz im Afghanistankrieg (1979-1989) mit über 100 000 vor Ort stationierten Soldaten. Nachdem die Taliban 1997 die Stadt Masar-e Scharif erobert ha�en, wurde die Brücke geschlossen. Die Wiederöffnung erfolgte am 9. Dezember 2001. Vor mehr als 2500 Jahren gegründet, gehört Termes zu den ältesten Städten der Welt. Unter der Herrscha� der Kuschana (1./2. Jh. n.Chr.) wurde es zu einem Zentrum der buddhistischen Kultur. Davon zeugen noch heute der Zurmala-Turm oder das Kara-Tepe Kloster. Unter den arabischen Eroberern wurde die Bevölke- rung der Stadt schließlich im 7./8. Jh. islamisiert. Vom 12. bis zum 17. Jh. entstand um Termes das Kultus- und Gedenk-ensemble Sultan-Saodat. Der Komplex umfasst mehrere Mausoleen aus dem 12. Jh. Ein weiterer Kultus- und Gedenkkomplex, Chakim at-Termesi, aus dem 11. und 14. Jh. wurde zu Ehren von Abbu-Abdullah Mohammed Termesi, einem Gelehrten aus dem 9. Jh., errichtet. Das Mongolenheer Dschingis Khans eroberte Termes 1220 und legte die Stadt in Trümmer. Wiederauf- gebaut wurde sie erst Anfang des 14. Jh. an einer neuen Stelle am Unterlauf des Surchandarja nördlich ihres heutigen Standortes. Nach der erneuten Zerstörung Ende des 17. Jh. errichteten die Russen im Rahmen der Kolonialisierung Termes 1897 als Garnisonsstadt. Vor Ort befindet sich gegenwärtig der Strategische Lu�- transportstützpunkt der Bundeswehr, der dem Einsatzgeschwader in Masar-e Scha- rif untersteht. Zudem soll Termes als so genannter Save Haven für den Fall einer nötigen Evakuierung deutscher Soldaten aus Afghanistan fungieren.

296 Erinnerungsorte

6. Samarkand ...... »Wer nach Samarkand geht, reist in die Vergangenheit«, schrieb der sowjetische Schri�steller Sergej Borodin, der 1925/26 an einer ethnologischen Expedition in die Region teilnahm und in seinem Buch »Sterne über Samarkand« ein anschauliches Bild der Timuridenherrscha� in Zentralasien zeichnet. Samarkand ist vor allem mit dem Namen Timur Lenk verknüp�, der die ehemalige Hauptstadt des Sogdischen Reiches, die von Dschingis Khan in Schu� und Asche gelegt wurde, in neuem Glanz erstrahlen ließ. Die Repräsentationsarchitektur Samarkands, das, gelegen an der Sei- denstraße, von jeher eine wichtige Handelsdrehscheibe zwischen Ost und West war, zeugt bis heute von seinen Großmachtsansprüchen. Für nahezu alle zentralasiati- schen Städte befahl Timur die Errichtung riesiger Baumonumente, in deren Planung und Umsetzung er immer wieder persönlich eingriff. Sein Credo lautete: »Lass die, die unsere Macht infrage stellen, unsere Bauwerke betrachten.« In Usbekistan ist die Erinnerung an die Timuridenherrscha� vor allem in der politischen Führung hochangesehen. Staatspräsident Islam Karimow, in Samar- kand geboren, fördert dies in besonderem Maße. Der Timuride wird dabei weniger – wie zur Zeit der sowjetischen Herrscha� – als grausamer Eroberer und Kriegs- herr, sondern vielmehr als weitsichtiger Staatsmann, kluger Integrator und För- derer von Religion, Kultur und Kunst dargestellt. Die usbekische Regierung leitet vieles in die Wege, um dieser Epoche und ihren herausragenden Vertretern die gebührende »historische Gerechtigkeit« zuteil werden zu lassen.

7. Dschisak ...... Ehemals ein bedeutender Knotenpunkt der Seidenstraße auf dem Streckenabschni� zwischen Samarkand und dem Fergana-Tal, liegt die Stadt im Randbereich der Go- lodnaya-Steppe und nahe dem strategisch wichtigen Jilanuti-Pass, auch Tamerlans Tor genannt, der den Zugang zum Serafschan-Tal ermöglicht. Dschisak beherbergt heute zwei bekannte Universitäten. Den russischen Truppen unter General Michail Tschernjajef, dem »Löwen von Taschkent«, gelang es Mi�e des 19. Jh. erst nach meh- reren Niederlagen, die Stadt in Besitz zu nehmen. Im Jahr 1916 war Dschisak das Zentrum einer anti-russischen Bewegung, die aber schnell zerschlagen wurde. Ein Jahr später wurde hier der spätere und langjährige 1. Sekretär der Kommunistischen Partei Usbekistans Scharaf Raschidow geboren.

8. Taschkent ...... Mit 2,3 Millionen Einwohnern ist die Stadt die größte Metropole Zentralasiens. Vom historisch gewachsenen Taschkent ist heute allerdings kaum noch etwas zu sehen. Am 26. April 1966 fiel die Stadt einem verheerenden Erdbeben zum Opfer. Taschkent (seit 1930 Hauptstadt) erhielt in den folgenden Jahrzehnten ein neues, ty- pisch sowjetisches Gesicht, das seit der Unabhängigkeit nun mit einem modernen usbekischen Antlitz konkurriert. Seit der Souveränität lehnte sich die Architektur der neuen Staatsführung zumeist an die Timuridenzeit an, zumindest sollen die Gebäude an die einstige politische Stärke erinnern. Vor allem das neu errichtete Timuridenmuseum avancierte in Usbekistan zu einem sakralen Erinnerungsort, in dem sich die neue Staatsführung in Form der Glorifizierung einer längst unterge- gangenen Macht zu feiern scheint. Im Sommer 2000 trafen die IMU-Bataillone der afghanischen Taliban letzte Vorkehrungen für eine Invasion des Fergana-Tals. Am 11. August 2000 überquerten die ersten von insgesamt siebenhundert Glaubenskämpfern den Pjandsch. Neun Tage später fielen sie in eine Datschensiedlung am Stadtrand von Taschkent ein

297 Anhang

und lieferten sich Gefechte mit den Regierungstruppen. Bereits im Februar 1999 sind bei mehreren Sprengstoffanschlägen im Zentrum Taschkents sechzehn Men- schen ums Leben gekommen, über Hundert weitere wurden schwer verletzt. Das Ziel der Taliban war im Sommer 2000 wahrscheinlich die Sprengung des nahe ge- legenen Tscharwak-Stausees.

9. Andischan ...... Andischan ist untrennbar mit Babur, dem letzten Herrscher der Timuriden-Dynas- tie, verbunden. Er wurde 1483 in Andischan geboren und versuchte vergeblich, die Größe des Reiches seiner Vorväter zurückzugewinnen. Schließlich zog er nach Indien und begründete dort die Mogul-Dynastie. Bedeutsam aus literarischer Sicht ist seine »Baburnam«, die in lyrischen Versen verfasste Autobiografie. Mit dem Einzug russischer Truppen in der zweiten Häl�e des 19. Jh. begann ein blutiger und grausamer Kampf um die Stadt, der mit ihrer Einverleibung in das russische Generalgouvernement Turkestan endete. Nach einem schweren Erdbeben im Jahr 1902 blieben bis auf die wiedererrichtete Medrese und Moschee Jummi so gut wie keine historischen Denkmäler erhalten. Andischan erweckt heute eher den Ein- druck einer trostlosen, verfallenen sowjetischen Industriestadt. Am 13. Mai 2005 kam es zu Demonstrationen, bei deren anschließender brutalen Auflösung nach offiziellen Angaben 187, nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen bis zu 1000 Menschen starben.

10. Fergana-Tal ...... Die ersten Siedlungsspuren der Senke zwischen dem Tianshan- und dem Altai- gebirge datieren in die mi�lere Bronzezeit (2. Jt. v Chr.). Im ethnisch durchmisch- ten Fergana-Tal, in dem 20 Prozent der Bevölkerung Zentralasiens leben, verliehen die Volksgruppen der Usbeken, Tadschiken und Kirgisen nach der Implosion der UdSSR ihren Besitzansprüchen immer gewaltsamer Ausdruck.

11. Kokand ...... Die Stadt liegt am Eingang zum Fergana-Tal und besitzt daher eine Schlüssellage. Bis ins 10. Jh. befand sich an gleicher Stelle eine Ansiedlung namens Khavakend auf der Karawanenstraße von Indien nach China. Die Mongolen zerstörten den Ort bereits im 13. Jh. Erst 1732 entwickelte sich Kokand von einem Fort, das 1740 zur Hauptstadt des Khanats von Kokand wurde, zu einer Stadt. Anfang des 19. Jh. dehnte sich das Khanat bis in das heutige Kasachstan aus. Zu diesem Zeitpunkt war Kokand das religiöse und handelspolitische Zentrum des Fergana-Tals. Urda, der Palastkomplex und Sitz des letzten Herrschers, zeugt noch heute von der kul- turellen Blüte der damaligen Zeit. Im Zuge ständiger Rivalitäten mit dem Khanat von Buchara eroberten die Russen die Region. Ab 1876 geriet das Khanat voll- ständig unter die Herrscha� des Zarenreiches. 1917 konnte sich eine muslimische Regierung kurzfristig etablieren, musste sich allerdings schon ein Jahr später der Sowjetmacht beugen. Kokand ist die Geburtsstadt von Hakim Hakimzade Niyazi (1889-1929), dem Begründer der usbekisch-sowjetischen Literatur.

12.Schachr-i Sabs (Shaxrisabz) ...... Die 2700 Jahre alte Stadt trug früher den Namen Kesh. Bereits Alexander dem Großen war sie unter der Bezeichnung Nautaca bekannt. Am 9. April 1336 wurde hier der spätere Großkhan der Mongolen Timur Lenk geboren. Unter den Timuri- den erlangte Kesh weltweite Berühmtheit und erhielt den Namen Schachr-i Sabs.

298 Erinnerungsorte

Einer Legende zufolge ließ der Emir von Buchara, Abdullah Khan II. im 16. Jh. den Großteil der Stadt aus Jähzorn zerstören. Schachr-i Sabs ist heute der zentra- le Erinnerungsort in Usbekistan. Nahezu jeder Quadratmeter scheint mit Timur und seiner Dynastie verbunden, so etwa die Mausoleumsanlage Dorut Tilowat, die 1370 errichtet wurde, sowie die Grabstä�e von Timurs wichtigstem Berater und Mentor, Scheich Schamseddin Kulol. Ebenfalls zum Pilgerort entwickelte sich das Grab Schamseddins, dem die Usbeken Wunderwirkung zuschreiben und an dem sie Trost und Hilfe suchen. Zwischen 1380 und 1405 ließ Timur den kolossalen Pa- last Ak-Saraj (»Weißes Schloss«) in Schachr-i Sabs errichten. Die noch erhaltenen 65 Meter hohen Gebäuderuinen geben durch ihre Ausdehnung und ihre Höhe bis heute eine ungefähre Vorstellung von der Monumentalität des Palastes. Die Pylo- ne des Portals sind so hoch wie ein modernes 16- oder 18-stöckiges Wohnhaus, die Spannweite des Bogengewölbes beträgt mehr als zwanzig Meter. Der Ak-Saraj gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. Timur ha�e den Ort zu Lebzeiten als seine Grabstä�e auserkoren, wozu ein entsprechendes Mausoleum errichtet wurde. Die Grabstä�e blieb jedoch leer, Timur wurde im Gur-Emir-Mausoleum in Samarkand beigesetzt. Die Gru� mit einem einzigen Marmorgrab ist jedoch erhal- ten und trägt die Inschri�: »Ein weiser und mächtiger Mann muss die Vorteile in jeder Situation suchen und selbst handeln, ein Narr wartet, dass andere handeln.«

299 Anhang

Soweit vorhanden, sind bei Buchtiteln die deutschen Übersetzungen aufgeführt. Die genannten Werke sind zum Teil im Buchhandel vergriffen. Bi�e wenden Sie sich in diesem Fall an Bibliotheken oder suchen Sie nach antiquarischen Ausgaben (www.zvab.com).

Wissenschaftliche Literatur ...... Alexandrova, Olga, Russland und der postsowjetische Raum, Baden-Baden 2003 Allworth, Edward, Central Asia. 130 Years of Russian Dominance. A Historical Overview, 3. ed., Durham, London 2002 [erstmals kurz nach dem Ende der UdSSR 1994 erschienener Sammelband, vereint Aufsätze zu Geschichte, Wirtscha� und Kultur] Baabar [= Batbayar, Bat-Erdene], History of Mongolia, Cambridge 1999 Babadjanov, Bakhtiyar, Dukci Isan und der Aufstand von Andizan 1898. In: Mus- lim Culture in Russia and Central Asia from the 18. to the early 20. Centuries: Inter-Regional and Inter-Ethnic Relations. Hrsg. von Anke von Kügelgen, Michael Kemper und Allen J. Frank, Berlin 1998, S. 167–191 Babadjanov, Bakhtiyar, The Fergana Valley: Source or Victim of Islamic Funda- mentalism? In: Political Islam and Conflicts in Russia and Central Asia. Ed. by Lena Jonson and Murad Esenov, Stockholm 1999, S. 112–123 Bacon, Elizabeth E., Central Asians under Russian Rule. A Study in Culture Change, Ithaca, NY 1966 [verfolgt die Entwicklung v.a. der Nomaden- und Hirtenkulturen bis 1965] Bailes, Alyson J.K., Pál Dunay, Pan Guang and Mikhail Troitskiy, The Shanghai Cooperation Organization. Stockholm International Peace Research Institute, Policy Paper 17. May 2007 Becker, Seymour, Russia’s Protectorates in Central Asia: and Khiva, 1865-1924, Cambridge, MA 1968 [ausführliche Studie zu den beiden nominell selbstständigen Staaten bis zum Bürgerkriegsende. Enthält im Anhang die zentralen Verträge zwischen Buchara und Chiwa sowie dem russischen Zaren] Bennigsen, Alexandre, and Marie Broxup, The Islamic Threat to the Soviet State, New York 1983 Berg, Andrea, All Eyes on Central Asia. Desintegration in Uzbekistan and Kyrgyz- stan. In: OSCE Yearbook 2005, Baden-Baden 2006 Binder, Franz, Mi�elasien. Tor zwischen zwei Welten, München 2004 Böhm, Peter, Tamerlans Erben. Zentralasiatische Annäherungen, Wien 2005 [ein- dringliche Reportage zum Umbruch der Region nach dem Ende der UdSSR] Central Asian Security: The New International Context. Ed. by Roy Allison and Lena Jonson, Washington, D.C. 2001 Carley, Patricia M., The Price of the Plan. Perceptions of Co�on and Health in Uzbekistan and Turkmenistan. In: Central Asian Survey, 1989, 8, S. 1–38 Collins, Kathleen, Politics and Regime Transition in Central Asia. Cambridge 2006 [Standardwerk zu den regionalen Netzwerken in Usbekistan] Continuity and change. Land and water use reforms in rural Uzbekistan. Socio- economic and legal analyses for the region Khorezm. Ed. by Peter Wehrheim, Anja Schoeller-Schle�er und Christopher Martius, Halle 2008 Critchlow, James, Nationalism in Uzbekistan. A Soviet Republic’s Road to Sove- reignity, Boulder, CO 1991 D’Encausse, Hélène Carrère, Risse im Roten Imperium. Das Nationalitätenprob- lem in der Sowjetunion, Wien, München 1979

300 Literatur, Film und neue Medien

Ende, Werner, Udo Steinbach und Renate Laut, Der Islam in der Gegenwart, München 2005 Förster, Stig, Die Militarisierung der Steppe. Tschingis Khan (ca. 1162-1227). In: Kriegsherren der Weltgeschichte. 22 historische Portraits. Hrsg. von Stig Förs- ter, Markus Pöhlmann und Dierk Walter, München 2006, S. 110-127 Gangler, Ane�e, Heinz Gaube und A�ilio Petruccioli, Bukhara. The Eastern Dome of Islam, Stu�gart, Berlin 2003 Geiss, Paul Georg, Pre-Tsarist and Tsarist Central Asia. Communal commitment and political order in change, London, New York 2003 [untersucht v.a. die Auswirkungen der russischen Herrscha� bis 1917 auf die örtlichen Gesell- scha�en traditionellen Typs] Giese, Ernst und Jenniver Sehring, Destabilisierungs- und Konfliktpotenzial prog- nostizierter Umweltveränderungen in der Region Zentralasien bis 2020/2050, Gießen, Berlin 2006 Gleason, Gregory, The Uzbek Expulsion of US-Forces and Realignment in Central Asia. In: Problems of Post-Communism, 2006, 2, S. 49–60 Golunov, Sergej, Border Security in Central Asia. Before and A�er September 11. In: Facing the Terrorist Challenge. Central Asia’s Role in Regional and Inter- national Cooperation. Ed. by Anja H. Ebnöther, Ernst Felberbauer und Martin Malek, Wien 2005, S. 89–109 Götz, Roland, und Uwe Halbach, Politisches Lexikon GUS, 3. Aufl., München 1996, S. 430 f. Grünbuch: Politische Ökologie im Osten Europas. Hrsg. Manfred Sapper und Volker Weichsel, Berlin 2007 (= Osteuropa, 4/5) Grützmacher, Christoph, Islamistischer Terrorismus als Sicherheitsproblem in Asien. Kampf im Namen Allahs?, Hamburg 2008 Halbach, Uwe, Usbekistan als Herausforderung für westliche Zentralasienpolitik, Berlin 2006 (= SWP-Studie, 26) Haussig, Hans-Wilhelm, Die Geschichte Zentralasiens und der Seidenstraße in islamischer Zeit, Darmstadt 1994 Hildinger, Erik, Warriors of the Steppe. A Military History of Central Asia, 500 B.C. to A.D. 1700, New York 1997 Höllmann, Thomas O., Die Seidenstrasse, München 2004 [gut lesbare, kulturge- schichtlich orientierte Überblicksdarstellung auf 120 Seiten] Horsman, Stuart, Uzbekistans involvement in the Tajik Civil War 1992–1997. Domestic considerations. In: Central Asia Survey, 1999, 1, S. 37–48 Jonson, Lena, Russia and Central Asia. A New Web of Relations, London 1998 Kaiser, Markus, Eurasia in the Making – Revival of the Silk Road. A Study on Crossborder Trade and Markets in Contemporary Uzbekistan, o.O. 2003 Kappeler, Andreas, Russland als Vielvölkerreich. Entstehung – Geschichte – Zer- fall, München 2001 Keller, Shoshana, To Moscow, not Mecca. The Soviet Campaign against Islam in Central Asia, 1917–1941, Westport, CT 2001 Khalid, Adeeb, The Politics of Muslim Cultural Reform. Jadidism in Central Asia. Berkeley, Los Angeles, CA 1998 (= Comparative studies on Muslim societies, 27) Kleinmichel, Sigrid, und Jürgen Paul, Halpa in Choresm und atin ayi im Ferghanatal. Zur Geschichte des Lesens in Usbekistan im 20. Jahrhundert, Berlin 2001 Krämer, Anne�e, Geistliche Autorität und islamische Gesellscha� im Wandel. Stu- dien über Frauenälteste (otin und xalfa) im unabhängigen Usbekistan, Berlin 2002 (= Islamkundliche Untersuchungen, 246)

301 Anhang

Landau, Jacob, and Barbara Kellner Heinkele, Politics of language in the ex-Soviet Muslim states, London 2000 Lazzerini, Edward J., Ismail Bey Gasprinskii and Muslim Modernism in Russia: 1878–1914, Washington, DC, Ann Arbor, ML 1973 List, Dörthe, Regionale Kooperation in Zentralasien. Hindernisse und Möglichkei- ten, Gießen 2005 [Dissertation an der Justus-Liebig-Universität Gießen] Lubin, Nancy, and Barne� R. Rubin, Calming the Ferghana Valley. Development and Dialogue in the Heart of Central Asia, Washington, DC 1999 Machtmosaik Zentralasien. Traditionen, Restriktionen, Aspirationen, hrsg. von Man- fred Sapper, Volker Weichsel und Andrea Huterer, Berlin 2007 (= Osteuropa 8/9), unter gleichem Titel erschienen in der Schri�enreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd 656, Bonn 2007 [Standardtitel mit 650 Seiten, Aufsätze mit Schwerpunkt auf aktuellen Strukturen, aber auch zu Kultur und Geschichte] March, Andrew F., From Leninism to Karimovism. Hegemony, Ideology, and Authoritarian Legitimation. In: Post-Soviet Affairs, 2003, 4, S. 307–336 March, Andrew F., The Use and Abuse of History: »National Ideology« as Tran- scendental Object in Islam Karimov’s »Ideology of National Independence«. In: Central Asian Survey, 2002, 4, S. 371–384 Matveeva, Anna, Central Asia. A Strategic Framework for Peacebuilding, London 2006 Matveeva, Anna, EU stakes in Central Asia, Paris 2006 (= Chaillot Paper 91) Matveeva, Anna, Violent Valleys. Islamism in Central Asia, Paris 2006 (= Chaillot Paper 62) Morgan, David O., The Mongol Empire and its Legacy, 3. ed. Oxford 2007 Naumkin, Vitalij, Radical Islam in Central Asia. Between Pen and Rifle, New York 2005 Nowak, Jürgen, Die ethnopolitische Situation Usbekistans, Köln 1995 Paramanov, Vladimir, and Alexey Strokov, Russia and Central Asia. Current and Future Economic Relations, Watchfield, Windon 2006 Pierce, Richard A., Russian Central Asia, 1867–1917. A Study in Colonial Rule, Ber- keley, Los Angeles, CA 1960 [gut lesbarer Klassiker zur russischen Herrscha� in den Generalgouvernements Turkestan und Steppe] Poliakov, Sergej P., Everyday Islam. Religion and Tradition in Rural Central Asia, Armonk u.a. 1992 Polonskaya, Ludmila, Malashenko, Alexei, Islam in Central Asia, Reading 1994 Pomfret, Richard, The Central Asian Economies Since Independence, Princeton, Oxford 2006 Rashid, Ahmed, Descent Into Chaos. How the War Against Islamic Extremism Is Being Lost in Pakistan, Afghanistan and Central Asia, London 2008 [wegweisen- de regionale Analyse mit Usbekistan als einem der Schwerpunkte] Ro’I, Yaacov, Islam in the Soviet Union from the Second World War to Gorbachev, Columbia 2000 Rudolph, Ulrich, Al-Maturidi und die sunnitische Theologie in Samarkand, Leiden 1996 Rywkin, Michael, Moscow’s Muslim Challenge. Soviet Central Asia, New York 1982 Sacarcelik, Osman, Die Verfassung der Republik Usbekistan. Geschichtlicher Hintergrund, Grundrechte und Staatsorganisation. In: Zeitschri� für aus- ländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 67 (2007), S. 949-977 Sadyrbek, Mahabat, Die Zentralasienstrategie der EU. Neues »Great Game« oder Chance für die Region?, Hamburg 2009 Schimmel, Annemarie, Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus, München 1985

302 Literatur, Film und neue Medien

Sehring, Jenniver, Kooperation bei Wasserkonflikten. Die Bemühungen um nach- haltiges Wassermanagement in Zentralasien, Mainz 2002 Sengupta, Anita, The Formation of the Uzbek Nation-State. A Study in Transition, Lanham 2003 Simon, Gerhard, Nationalismus und Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion. Baden-Baden 1986 Tabyshalieva, Anara, The Challenge of Regional Co-operation in Central Asia. Preventing Ethnic Conflict in the Ferghana Valley, Washington, DC 1999 Thrower, James, The Religous History of Central Asia from the Earliest Times to the Present Day. Lewiston et al. 2004 Tillet, Lowell, The Great Friendship. Soviet Historians on the Non-Russian Natio- nalities, Chapel Hill 1969 The Transformation of Central Asia. States and Societies from Soviet Rule to Inde- pendence. Ed. by Pauline Jones-Luong, New York 2003 Weinbaum, Marvon G., Afghanistan and its Neighbors. An Ever Dangerous Neighborhood, 162. USIP Special Report, Washington, DC 2006 Wöhrmann, Frieder, Economic Discourse in Uzbekistan. The Perception of Economic Change between Market Principles und Social Traditions, Saar- brücken 2000 Yalcin, Resul, The Rebirth of Uzbekistan. Politics, Economy and Society in the Post-Soviet Era, Dryden 2002 Yurkowa, Irina, Der Alltag der Transformation. Kleinunternehmerinnen in Usbe- kistan, Bielefeld 2004 Zentralasien. Hrsg. von Gavin Hambly, Frankfurt a.M. 1966 [chronologisch geord- nete Überblicksdarstellung von den Anfängen bis in die 1960er-Jahre] Zentralasien. 13. bis 20. Jahrhundert. Hrsg. von Bert Fragner und Andreas Kappe- ler, Wien 2006 Zentralasien. Geschichte, Politik, Wirtscha�. Ein Lexikon. Hrsg. von Marie-Carin von Gumppenberg und Udo Steinbach, München 2007 [nützliches Nach- schlagewerk mit Schwerpunkt auf aktuellen Strukturen] Zentralasien und Islam. Hrsg. von Andrea Strasser, Hamburg 2002 Zur Vereinbarung von politischem Islam und Sicherheit im OSZE-Raum. Hrsg. von Anna und Arne C. Seifert, Baden-Baden 2003 (= Demokratie, Sicherheit, Frieden, 151)

Belletristik, Reisebeschreibungen, Erinnerungsliteratur, Bildbände, Lyrik ...... Ästhetik der Leere. Moderne Architektur in Kasachstan, Kirgistan und Usbekis- tan. Hrsg. von Philipp Meuser, Berlin 2002 Aitmatow, Tschingis, Ein Tag länger als ein Leben, Zürich 2003 [eines der Haupt- werke Aitmatows, erzählt auf metaphorische Weise von der sowjetischen Herrscha� in Zentralasien] Domaschke, Dörte, Usbekistan. Auf der Suche nach der Märchenwelt aus 1001 Nacht, Schweinfurt 2008 [Ein kurzweiliges Buch, das einlädt, Usbekis- tans kennenzulernen] Gink, Karoly, Usbekistan. Buchara-Samarkand-Chiwa, Hanau 1975 [prächtiger Foto-Bildband] Graur, Jana, Eichhorst Sabine, Der weite Weg nach Hause. Gefangen in Usbekis- tan, Bergisch-Gladbach 2003 [Romanze zwischen einer Deutschen und einem Usbeken]

303 Anhang

Humboldt, Alexander von, Zentral-Asien. Das Reisewerk zur Expedition von 1829, Frankfurt a.M. 2009 [auf Einladung des Zaren Nikolaus I. unternahm Alexander von Humboldt eine Expedition von St. Petersburg über Moskau in den Ural, ins Altai-Gebirge, zum Kaspischen Meer und bis nach Baty an die chinesische Grenze. Seine Reiseeindrücke fasste er im vorliegenden Forschungsbericht zusammen] Jacobi, Lo�e, Marion Beckers und Elisabeth Moortgat, Rußland 1932/33. Moskau, Tadschikistan, Usbekistan, Berlin 1988 Karagounis, Ion, Mit dem Zug durch Zentralasien und China. Auf der Seiden- straße von Scha�ausen nach Shanghai, Frankfurt a.M. 2004 [persönlich gehaltene Asienkunde] Karimow, Islam, Usbekistan an der Schwelle zum 21. Jahrhundert: Gefährdung der Stabilität, Bedingungen der Stabilität und Garantien für den Fortschri�, Düsseldorf 1999 [Buch des usbekischen Präsidenten zur aktuellen Lage der Nation, das an den Universitäten seines Landes Pflichtlektüre ist] Kausch, Anke, DuMont KunstReiseführer Seidenstraße, Ostfildern 2006 Kharitidi, Olga, Samarkand. Eine Reise in die Tiefen der Seele, Berlin 2005, [eindrucksvolle Schilderung Samarkands und eine spannende Reise zu den verborgenen Schätzen dieser legendären Stadt] Knobloch, Edgar, Turkestan. Taschkent, Buchara, Samarkand. Reisen zu den Kul- turstä�en Mi�elasiens, München 1973 [Klassiker der Reiseliteratur] Kramer, Andreas, Usbekistan Panorama, Berlin 2008 [aktueller Bildband] Kreckel, Marga, Mein Usbekistan. Eine persönliche Reisebegleitung, Halle a.d.S. 2008 Laude-Cirtautas, Ilse, Märchen der Usbeken. Samarkand/Buchara/Taschkent, München 1984 Maalouf, Amin, Samarkand, Hamburg 2009 [Roman über das Leben des sagen- umwobenen Weisen Omar Khajjam, seine Liebe zu der schönen Dschahane und die riskanten Verlockungen der Macht] Maillart, Ella K., Verbotene Reise, München 1992 [Reisebericht einer Journalistin über ihre Expedition von Peking nach Zentralasien im Jahre 1935] Maillart, Ella K., Turkestan solo. Eine abenteuerliche Reise ins Ungewisse, Mün- chen 2001 [Fortsetzung von »Verbotene Reise«] Morre, Karlheinz, und Peter Philipp, Seidenstrasse von Taschkent nach Samar- kand, Buchara und Chiwa. Die schönsten Städte in Usbekistan, Graz 2007 Nazarov, Uchqun, Das Jahr des Skorpions, Berlin 2002 [opulentes Si�engemälde der usbekischen Gesellscha� während des Zweiten Weltkrieges] O�, Claudia, Tausendundeine Nacht, München 2007 [gelungene und lebendige Übersetzung der 250 arabischen Verse] Pabel, Hilmar und Romy, Auf Marco Polos Spuren. Expedition Seidenstraße, München 1986 Pander, Klaus, Zentralasien. Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Kasachstan, DuMont Kunst Reiseführer Zentralasien, Köln 1996 Peltz, Judith, Usbekistan entdecken. Entlang der Seidenstraße von Samarkand, Buchara und Chiwa, Berlin 2005 Penson, Max, und Erika Billeter, Usbekistan. Dokumentarfotografie 1925-1945, Benteli 1996 Schütze, Hildegard, Stationen der Seidenstraße in den zentralasiatischen Republi- ken der Sowjetunion, Berlin 1996 Schwartz, Daniel, Schnee in Samarkand. Ein Reisebericht aus dreitausend Jahren, Frankfurt a.M., Berlin 2008

304 Literatur, Film und neue Medien

Tichy, Jaroslav, Der fliegende Teppich. Märchen aus Kasachstan und Usbekistan, Zürich, Stu�gart 1968 [Mythen und alte Märchen führen weit in die Zeit vor der russischen Eroberung Zentralasiens zurück] Usbekistan. Erben der Seidenstrasse. Katalogbuch zur Ausstellung. Hrsg. von Jo- hannes Kalter und Margareta Pavaloi, Stu�gart, London 1995 [vermi�elt eine Vorstellung von Architektur und Kunsthandwerk seit den Anfängen] Usbekistan. Land zwischen Orient und Okzident. Reiseführer für den Hinter- grund. Hrsg. von Bri�a Wollenweber und Peter Franke, Berlin 2007 Vitkovic, Viktor, und Maria Riwkin, Eine Reise durch Sowjet-Usbekistan, Moskau 1954 Windisch, Elke, Zentralasien. Politische Reisereportagen, Berlin 2007 [kritische Betrachtung der Region, spannend geschrieben] Wollenweber, Bri�a, Franke, Peter, Usbekistan. Politik – Gesellscha� – Kultur (Wostok spezial), Berlin 2007 Zimmer, Dieter E., Nabokov reist im Traum in das Innere Asiens, Reinbek bei Hamburg 2006 [Anthologie von zeitgenössischen Reisebeschreibungen in die Region]

Filme ...... Beyond the Call, USA 2006. Regie: Adrian Belic [drei Männer in ihren besten Jahren entscheiden sich für eine Tätigkeit in der Entwicklungshilfe in Zentral- und Südasien] Bo Ba Bu, Usbekistan/Italien 1998. Regie: Ali Chamrajew [Parabel um zwei Hirten, die in der Steppe eine weiße Frau finden und in Streit geraten] Dschingis Khan, Großbritannien, Jugoslawien 1965. Regie: Henry Levin [Monumen- talfilm aus den 1960er Jahren über den Aufstieg des mongolischen Weltreichs] Handmade in Usbekistan, Deutschland 2006. Regie: Ulrike Filgers [Das junge Modelabel »Human Wear« versucht trotz aller wirtscha�lichen und politi- schen Hindernisse für einen internationalen Markt zu produzieren] Luna Papa, Österreich, Deutschland, Russland, Schweiz 1999. Regie: Bachtiar Chudojnasarow [Die 17-jährige Mamlakat lebt mit Vater und behindertem Bruder (Moritz Bleibtreu) in einem Dorf in Usbekistan. Sie träumt davon, Schauspielerin zu werden. Als Mamlakat schwanger wird, begeben sich die drei in einem alten Auto auf die abenteuerliche Reise durch Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan, um den Vater des Kindes zu finden. Besticht durch Tempo, Fantasie, viel absurden Humor und phantastische Bilder] Marco Polo, USA 2006. Regie: Kevin Connor [dreistündiger Film über die Entdeckungsreise Marco Polos im 13. Jahrhundert] Siz Kim Siz?, UdSSR 1989. Regie: Jahangir Faisijew [exzentrische Komödie um den Ernteeinsatz beim Baumwollpflücken; war in Usbekistan verboten] Soweit die Füße die tragen, Deutschland 2001. Regie: Hardy Martins [Verfilmung des gleichnamigen, auf einer wahren Begebenheit beruhenden Romans von Josef Martin Bauer. Im Jahr 1945 wird ein deutscher Soldat in Russland zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach vier Jahren in einem Lager gelingt ihm die Flucht über Zentralasien nach Deutschland] The Dance of Men (Dilhiroj), Usbekistan 2002. Regie: Jusup Rasikow [Melo- drama um ein junges Liebespaar, das nur unter größten Schwierigkeiten zueinander findet. Zeigt das Leben in einem usbekischen Dorf] The Keeper: The Legend of Omar Khayyam, USA 2005. Regie: Kayvan Mashayekh [erzählt das Leben des großen persischen Wissenscha�lers und Dichters; mit Vanessa Redgrave und Moritz Bleibtreu, größtenteils in Buchara gedreht]

305 Anhang

The Orator (Voiz), Usbekistan 1999. Regie: Jusuf Rasykow [We�bewerbsbeitrag des 1957 geborenen Absolventen der Moskauer Filmhochschule auf der Berlinale 2000. Die Geschä�e des Fuhrunternehmers Iskander gehen so gut, dass er eine dri�e Frau heiraten kann. Doch in Usbekistan mehren sich die Zeichen einer bevorstehenden Revolution] Until Daybreak, Usbekistan/Kasachstan 1994. Regie: Jusuf Asimow [Sozialdrama um einen usbekischen Seidenraupenzüchter, spielt in einer sowjetischen Kolchose] Usbekistan - Perle der Seidenstraße, Deutschland 2004. Regie: Ghafoor Zamani [Dokumentarfilm für das NDR Fernsehen] Where the Eagles fly – Habibi – Sufi Saint, Italien 1998. Regie: Constanzo Allione [Dokumentation über das Leben von Habib, einem muslimischen Heiler; eindrucksvoller Einblick in das religiöse Leben Usbekistans] Women‘s Paradise [Ayolar Saltanati], Usbekistan 2000. Regie: Jusup Rasykow [phantastische Geschichte um den Schri�steller und Professor Olmi, die der traditionalistischen Moral Usbekistans zuwiderläu�] You are Not an Orphan, Usbekistan 1963. Regie: Schuchrat Abbasow [Abbasow gilt als einer der Väter des usbekischen Kinos. Eine usbekische Familie nimmt während des Zweiten Weltkriegs 14 Flüchtlingskinder auf, während ihr eigener Sohn an der Front ist]

Internettipps ...... Bi�e nutzen Sie für die Internetrecherche die ständig aktualisierten Webtipps des MGFA: h�p://www.mgfa.de/html/einsatzunterstuetzung/ Neben nützlichen Weblinks finden Sie auf diesen Seiten auch die Beiträge der Reihe »Wegweiser zur Geschichte«, die über Geschichte, Kultur und aktuelle Strukturen informieren, sowie Karten und Diagramme im PDF-Format. Bi�e beachten Sie: Wir haben keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der verlinkten Seiten. Trotz sorgfältiger Auswahl können wir nicht immer für die Ausgewogenheit der angebotenen Fremdbeiträge garantieren. Für entsprechende Hinweise sowie Anre- gungen, Korrekturen und Ergänzungsvorschläge an [email protected] sind wir dankbar.

306 Register

Nicht aufgenommen wurden die Begriffe »Afghanistan«, »China«, »Kasachstan«, »Kirgisistan«, »Moskau«, »Russland«, »Tadschikistan«, »Taschkent«, »Turkestan/ Turkmenistan«, »Usbekistan«. Fe� ausgezeichnete Zahlen verweisen auf Info-Käs- ten im Text. Eine ausführliche Version des Registers finden Sie in elektronischer Form auf der Seite h�p://www.mgfa.de/html/einsatzunterstuetzung/.

1. Ostmuselmanisches 75, 88 Anatolien 24, 28, 233 SS-Regiment 55 Al-Buxoriy-Institut 147 Andalusien 137 11. September 2001 9, al-Chwarizmi, Moham- Andischan 9, 11, 40, 78, 98, 155, 167, 187 med 88 47, 102, 133, 150, 155, 162. (Turk.) Infanteriedi- Aleppo 30 158-160, 167, 174, 185 f., vision 55 Alexander II. 34, 37 190-202, 205, 214, 217, 201. Mot.-Schützen-Divi- Alexander der Große 223, 277, 294, 298 sion 171 16, 18, 89 Angarsk 237 88. US-Division 61 Alexandreia Eschate Ankara 30, 274 Abbasiden 23 f., 137 f. siehe Chodschent Annenkow, Michail Abdullajewa, Rano 146 Alexandroupolis 232 Nikolajewitsch 41 Abdullatipow, Ramasan al-Farabi, Abu 88, 138 Anrainerstaaten 169, 171 Alimow, Gulam 55 184 Abdurachmanow, Salid- Alim Khan 20 Anschläge 9, 134 schon 204 Alkohol 39 Ansob-Tunnel 130 Abdurrachman 42 Allah 188 Anti-Imperialismus 68 Abrüstungspolitik 68 Allgemeines Heeresamt anti-islamistischer Abschiebung 198 55 Schutzwall 116 Abstammung 72, 89, Alloma, Rahmatullah Anti-Islampolitik 143 f., 141, 159 150 146, 148 Achämeniden 18 Alltag 39, 67, 68, 272, Antiochia 17 Achsenmächte 57 276 Anti-Terror-Zentrum Ackerbau 16 f., 66 Almatow, Sakir 160, (SOZ) 101 Adria 28, 232 195-197 Anti-Zionismus 68 Ägypten 28 Almaty 250 f., 282 Araber 14, 16 f., 19, 23, Afghanen 118, 120 f., Alphabetisierung 64, 49, 136, 150, 296 124 f., 132 119 Arabien 27 Afghanistankrieg 49, al-Raschid Bey, Harun Arabisch 68, 151 68, 118, 146, 296 55 Arabisches Meer 28, Afrasiab siehe Samarkand al-Termezi, Halim 88 232 Afrika 226 Aluminium 238 Aralsee 6, 12, 22, 24 f., Aga-Khan-Sti�ung Amnesty International 66, 242-245, 247 f., 250, 125 f. 196 252-260, 263, 295 Aggression 26 Amtsmissbrauch 146, Aralsee-Kommission 245 Aidar-Kul-See 254 164 Aralsk 248 Aimak 221 Amtssprache 76, 83 Aral Sea Basin Program Ain Jalut 28 Amudarja 14, 16 f., (ASBP) 251, 253, 255 Airbus A-310 133 22 f., 31 f., 37, 41 f., 66, Araxes siehe Amudarja Aitmatow, Dschingis 116 f., 119 f., 125, 128 f., Arbeitsflucht siehe Mig- 33, 71, 83, 212 131, 137, 229, 242-245, ration Akajew, Askar 92 247 f., 251, 256 f., 260 f., Arbeitslosigkeit 175, aksakal (Vorsteher) 37 267, 296 221 Alaschankou 232 f. Amudarja-Becken 233, Arbeitsmarkt 66, 70, al-Biruni 138 256 169, 178, 180, 183, 219, al-Buchari, Mohammed Anämie 246 220, 259

307 Anhang

Archäologie 89, 91 Bagdad 24, 28, 30, 137 Bevölkerungsentwick- Archangelsk 54 Bakijew, Kurmanbek lung 65 f., 76, 78 Aristokratie 34 172, 178 Bevölkerungsentwick- Armenien 30, 79, 172, Baktria 16, 18 lung 242, 246 183 Baku 108, 146, 231-233 Bewässerung 17, 40, Armut 43, 78, 109, 175 Baku-Initiative 108 43, 66, 81, 129, 244 f., Arnasai-Senke 254 Balch 295 252, 260 Asbest 238 Baltikum 83 Bibliotheken 94 Aschchabad 251 Barasch 214 Bildungswesen 12, 45, Aschura 293 f. Barbaren 71 70, 77, 111, 119, 142, Aserbaidschan 79, 130, Barlas 29 144, 150, 156, 180, 204, 182, 225-231, 235, 240 Barter Deals 111 207, 228, 273 Aserbaidschaner 55 Bar�racht 154 Birlik (Einheit) 74, 162 Aseri-Tschirag-Gunesch- Basare 37, 125 f., 135, Bischkek 84, 101, 212, li-Feld 229, 232 269 221 Asian Development Basmatschi 49, 56, 59, Blitzkrieg 54, 56 Bank 130 86, 119, 143 Blutrache 26 Astana 92, 170 Bassejnoje Wodnoje Bökejsche Horde 32 Astrachan 29, 44, 54, Objedinenije (BWO) Bolschewiki 49, 90, 143 152, 225 251, 253 Bolschewismus 58, 86 Astrachan-Feld 230 Batken 215, 219, 221, Bor 238 Asymmetrie 113 289 Border Control Project Atakya 17 Batu Khan 28 121 Atasu 232 f. Bauern 34 f., 41, 43 f., Border Management in Atheismus 143-145, 156 47-49, 261 f., 266 Afghanistan (BOMAF) A�ila 20 Baumwolle 12, 15, 34, 122 Au�auarbeit siehe Ent- 40, 43, 57, 65 f., 72, 78, Border Management in wicklungshilfe 128, 160, 244 f., 254, Central Asia (BOMCA) Aufstände 9, 47 f., 51 f., 258-261, 263-267, 272 108, 121 f. 55 f., 59, 86, 102, 119, Bauxit 238 Bosporus 232 133, 155, 159 f., 167, Bayezid I. 30 Brandschatzungen 48 174, 178, 190 f., 217, 219 Beamte siehe Verwaltung Brauchtum 141 aul (Dorf) 37, 44 Beau�ragter für Schro�- Bremerhaven 20 Ausbildungseinrichtun- und Altmetallerfas- Breschnjew, Leonid gen 45 sung 61 62 f., 66, 143, 145 Auslandsusbeken 10, Belletristik siehe Kunst Britisch-Indien 42, 15, 214 f., 218, 223 Berdymuchammedow, 50, 118 Außenpolitik 17, 68, 79, Gurbanguly 94 Brom 238 97, 100, 103, 105, 113, Berg-Badachschan 89 Brücke der Freundscha� 134, 145, 147, 166, 169, Bergbau 176, 237 f. 116, 120, 131, 296 185-187, 189, 196, 218, Berlin 4, 50-52, 55 f., 58, Brüssel 105, 186, 195, 224 f., 270 104, 194 f., 198, 205, 268 201 Australien 198, 226 Besatzung 57 Bru�oinlandsprodukt Auswanderung siehe Mi- Beschaffungskriminalität (BIP) 77, 79, 259 f. gration siehe Drogen BTC-Pipeline 232 f. Autokratien 14, 93, 97, Beschkent 224 BTE-Pipeline 233 101, 107, 153, 166, 219 Beschneidung 69, 222 Buchara 4, 19-24, 27, Avicenna siehe Ibn Sina Beslan 99 31 f., 34, 38, 40, 49-51, Babur Khan 31 Besta�ung 69, 149 67, 88, 91, 118, 137, 147, Badachschan 14, 89, Bestechlichkeit siehe Kor- 159 f., 165, 211, 269, 118 f., 121 f., 124-126 ruption 294-296, 298 f.

308 Register

Buddhismus 17, 32 Chromit 238 Dezimalsystem 25 Bulgaren 21 Chruschtschow, Nikita Dhikr (Go�gedenken) Bulgarien 232 143 f. 141 Bundesministerium der Churchill, Winston S. 20 Dialog 114, 190, Verteidigung 133 Chwaresm siehe Chores- 192-195, 200, 204 Bundesnachrichtendiens- mien Diaspora 111, 126, 215, tes (BND) 203 Claims 224 218, 222 Bundesregierung 193 f., Community Building Dichter siehe Intellek- 198, 203 126 tuelle Bundesverteidigungsmi- Dagestan 146, 225 Didaktik 142 nisterium (BMVg) 195 Damaskus 24, 30 Dienstleistungen 65, 162 Bundeswehr 7 f., 133 f., Dandanaqan 24 Diplomatie 53, 114 193 f., 296 Dari (Persisch) 221 Disraeli, Benjamin 179 Bush, Georg W. 187 Darwas 118, 120, 125 f. Dissidenten 83 Buskaschi 125 Daschchowu 66, 215, 246 Diversifizierung 106, Byzanz 24, 30 Daschtijum 128 108, 113, 168, 175, 224 f. Caspian Guard 184 Dayuan 18 Do’ppi 146, 147 Central and South Asian Dehli 30 Dostum, Raschid 126 Transport and Trade Demarkationslinie 118, Dri�länder 198 Forum (CSATTF) 134 120, 171 Drogen 27, 81, 107 f., Ceyhan 232 Demografie siehe Bevöl- 122, 124, 126, 132, 135, CH-53 133 kerungsentwicklung 160, 168-172, 182, 186, Chaidarow, Ulugbek 200 Demokratie 13 f., 73, 193 Chanabad 9, 133, 194 83, 91, 94, 101, 104, 111, Drogenkontrollagentur Chatami, Mohammed 166, 181, 207, 222 122 127 Demokratische Volks- Drug Action in Central Chatlon 121, 124 f., 215 partei Afghanistans Asia (CADAP) 121 Chemikalien 112, 122, (DVPA) 118 f. Druschba-Pipeline 232 247, 265 f. Demokratisierung 107, Dschadidismus 86, Chinesische Mauer 22 109, 114, 187, 204 142, 296 Chiwa 21 f., 31 f., 34 f., Demonstrationen 47 f., Dschahr (Go�gedenken) 38, 40, 48-50, 91, 211, 167, 190 f., 217 142 269, 295 Derwische (Be�elmön- Dschalal-Abad 215, 221 Chodschajew, Faisul- che) 141 Dschalolow, Abducha- lah 74 Desertion 55, 57, 59, 61 fis 63 Chodschakuli, Owljakuli Destabilisierung 15, Dschihad (Heiliger 208, 212 116 f., 153, 165, 170, 187 Krieg) 169, 181, 187 f. Chodschent 18 Deutsche 4, 8, 15, 20, 52, Dschingisiden 32 Chokim (Bürgermeister) 58, 60 f., 195, 210, 222 Dschingis Khan 12, 21, 219 f. Deutschen Welle TV 193 25-28, 30, 89, 295-297 Cholera siehe Seuchen Deutsches Reich 51 Dschisak 159, 297 Chorasan 32, 137 Deutsche Botscha� 211 Dschurtschen 23 Chorasmschahs 25 Deutsche Gesellscha� für Dsungaren 32 Choresm 22, 26, 31-33, Technische Zusammen- Dubai 126 138, 246, 258, 261-264 arbeit (GTZ) 125 f. Düngemi�el 244 Choresmien 25, 159, Deutschland 9, 20, 51, Duktschi Ischan 47 273, 295 53, 58, 133, 186, 192, Duma 46 f. Chorog 119, 122, 125 f. 194-198, 203 f., 226, 229, Düngemi�el 260 Christen 44 f., 140 236, 242, 246, 262, 274 Duschanbe 49, 84, 125, Christentum 17, 44 Devisen 227, 254, 260, 128, 134 f., 194, 251, 256 Chrom 238 267 Duschman (Feind) 118

309 Anhang

Economic Commission for Erzurum 233 Fergana 9, 18, 22-24, 27, Europe (UNECE) 110 Eurasische Wirtscha�s- 31 f., 37, 40, 47, 49, 68, Edelhölzer 27 gemeinscha� 81 72, 74, 150 f., 159, 173, Eigenstaatlichkeit Eurasische Wirtscha�s- 211, 215, 217, 294, 297 f. siehe Unabhängigkeit gemeinscha� (EURA- Fergana-Becken 22, 24 Einreise 160, 191 SEC) 110, 182 f. Fergana-Klan 159 Einreiseverbot 203 euro-atlantische Bezie- Fergana-Tal 9, 18, 23, Einsatzgeschwader hungen 168 27, 31 f., 49, 68, 74, Termes 133 Europa 6, 8, 12, 14, 23, 150 f., 173, 217, 297 f. Eisenbahn 40-42, 46, 27, 33, 35, 51 f., Fernsehen siehe Medien 53, 235 73, 104-106, 109-111, Ferrochrom 238 Eisenerz 238 114, 118, 124, 162, 167, Filtrierlager 57 Elektrizität 128, 175 179, 182, 189, 195, 205, Firdausi, Abu 84 Emigration siehe Exil 225 f., 231-233, 240 f., Fischerei 246 f. Energiepolitik 7, 79 f., 295 Flüchtlinge 48, 118 f., 105 f., 108-110, 112, Europäischer Rat 105 f. 121, 194, 196, 198, 214, 127 f., 130, 132, 135, Europäische Bank für 217, 281 168 f., 175, 182, 186, Wiederau�au und Flugabwehrraketen 133 193, 204, 224-227, 268 Entwicklung 130 Föderaler Migrations- Energieverbrauch 231, Europäische Kommission dienst 178 235 196, 225 Folter 196, 198, 200, Energy Honeymoon 78 Europäische Nachbar- 202, 205 England siehe Großbri- scha�sregion 109 Forts siehe Garnisonen tannien Europäische Union (EU) Fortschri� siehe Moderni- Entmilitarisierung 168, 7, 9, 11, 13, 79, 102, sierung 184 104-110, 113-115, Fotografie siehe Kunst Entrechtung 34 160, 165, 170, 182, Frankfurter Rundschau Entwicklungshilfe 109, 185 f., 190-193, 193 111, 114, 179 195-199, 201-205, Frankreich 61, 226 Entwicklungsprogramm 224-227, 241 Frauen 60 f., 66, 70, 124, der Vereinten Nationen Evakuierung 133, 194, 144, 149-151, 154, 275 f. (UNDP) 121, 130, 296 Frauenraub 26 182, 251 Exekutive 107, 162 Freiheitsstrafen Erderwärmung 257 Exekutivkomitee (RATS) siehe Ha�strafen Erdgas 77, 106, 108, 102 Freitagsgebet 148, 151, 110-112, 175, 224-231, Exil 25, 39, 54, 59, 74, 154 233, 238, 240, 270, 272, 83, 126 f., 163 f., 167, Freizeit 125 277 174, 178, 198, 217, 290 Fremde Heere Ost 56 Erdöl 77, 106, 108, Expansion 14, 26 f., 53, Fremdherrscha� 34 110-112, 126, 162, 168, 113, 136, 142 Friedensmissionen 96, 224-233, 238, 240 f., Extremismus 10, 15, 99, 99, 167, 171, 174, 183 261 f., 272 132, 154 f., 223 Friedensmission 2007 Erinnerungspolitik 87 Facharbeiter 177 96, 99 Erk (Freiheit) 74, 162, Fahnenflucht siehe De- Friedrich-Naumann-Stif- 202 sertion tung 207 f. Erler, Gernot 193 Fähren 130 Fundamentalismus 68, Ernährung 58, 66 Faisabad 122 86, 116 Erschießungen 52, 61 Feindau�lärung Fundamentalisten 150 Erster Weltkrieg 12, 34, siehe Nachrichtenwesen Fün�e Kolonne 222 f. 39-41, 43 f., 47, 49, 51, Feindbild 58 G8 132 53 f., 58 Felle 27 Gagarin, Juri 62

310 Register

Gandomak 42 Ghani, Ashraf 124 Han-Dynastie 22 Gapurow, Mohammed- Ghasnawiden 24 hanafitische Rechtsschule nasar 66 Ghasni 24 140, 150 Garnisonen 26, 35, 39, Glasnost 73, 245 Hannover 196 47, 171 Globalisierung 8, 80 Heeresgruppe Süd 60 Gasli-Feld 229 Glücksspiel 39 Hegemonie siehe Vor- Gazprom 175, 231, 291 Goethe, Johann Wolfgang machtstellung Gebräuche 26, 181 von 212 Heilige 141 f., 149 Geburtenraten siehe Be- Goethe-Institut 208 Heiligengräber siehe Pil- völkerungsentwicklung Gök-Tepe 87 gerstä�en Gefängnisse siehe Ha�- Gold 228, 238, 260, 272 Heiligtümer siehe Pilger- anstalten siehe Bergbau stä�en Geiselnahmen 99 Goldenes-Zeitalter-Pro- Held der Sowjetunion Geistlichkeit 29, 67, 138, jekt 253 56 143-148, 150, 153 f., 293 Goldene Horde 28 f., 31 Hepatitis 242, 246 Gemeinsame Außen- Gorbatschow, Michail Hephthaliten 19 und Sicherheitspolitik 73, 146, 245 Herat 30, 42 (GASP) 105 Gö�ingen 54 Herbizide 244, 247 Gemeinscha� Unabhän- Great Game 118, 184 Heroin siehe Drogen giger Staaten (GUS) Grenzkontrolle 81, 108, Hilfsorganisationen 11, 64, 73, 76, 78 f., 81, 121 f., 171, 204 siehe NGOs 97, 101, 121, 171, 175, Grenztruppen 121 f., Hindukusch 52, 68, 182, 226, 231 171, 184, 217 117 f., 120, 125 Generalbundesanwalt Grenzverletzungen 120 Hisb ut-tahrir al Islami 196 f. Griechen 16 (Islamische Befreiungs- Generalgouvernements Griechenland 232 partei, HuT) 10, 76, 12, 34, 37, 42, 45, 48 f., Griechisch-Baktrisches 155, 157, 173, 218 51, 298 Reich 19 Hitler, Adolf 53 f. Generalstab 51, 55 f. Großbritannien 33, 42, Hitler-Stalin-Pakt 54 General der Freiwilligen- 51 f., 192, 226 Hochgebirge 121, 124, verbände 54 Großer Vaterländischer 135, 244 Genf 76 Krieg siehe Zweiter Hochzeiten 69, 85, 149 Geopolitik 51, 100, 168, Weltkrieg Hodscha (islam. Gelehr- 186, 195 Große Horde 32 ter) 88 Georgien 30, 79, 182, GU(U)AM-Gruppe 182, Hokime (Gouverneure) 184, 189, 231, 235 185 162, 213 Geschichtsschreibung Gur-e-Amir-Mausole- Hudschum (Angriff) 7 f., 11-15, 20 f., 35, 48, um 150 64, 73, 144 56, 63, 70, 74, 75, 82 f., Guzar 230 Hulagu Khan 28 85, 90 f., 93 f., 137, 153, Habibullah I. 42 Hülsenfrüchte 126 179, 207, 269, 272, 295 Hadithen 151 Humanitäre Hilfe 98, Geschlechtertrennung Hä�linge 200-202 111, 196 149 Häfen 129 Human Rights Watch Gesetze siehe Rechtspre- Ha�anstalten 10, 196, 196 chung 199-202, 217, 289, 292 Hunger siehe Ernährung Gesundheitswesen 37, Ha�befehl 196 Hunnen 16, 19, 22 66, 77, 119, 126, 133, Ha�entlassung 200, Hunnenrede 20 135, 200, 261, 263, 272 202, 205 Hussein (Enkel Moham- Gewaltbereite Krä�e Ha�strafen 47, 190, 192, meds) 293 f. siehe OMF 198, 200, 202, 204 Iaxartes siehe Syrdarja Gewürzstraße 27 Hairatan 120, 126 Ibn Sina 23, 88, 138, 295

311 Anhang

Identität 7, 13, 68, 71 f., Internationales Komitee Islamisten 10 f., 14, 82, 84-86, 89, 91, 93, des Roten Kreuzes 76, 86, 99, 107, 136, 142, 152 f., 156 (IKRK) 10, 199 f., 203 150-152, 155, 181, 190, Ideologie 68, 70-72, 76, Internationale Energie- 193, 214, 218 80, 86, 92, 143, 153, 156, agentur (IEA) 240 Ismailiten (Sieben-Schii- 168, 182, 187 Internationale Gemein- ten) 126, 140 Id al-Fitr (Fastenbrechen- scha� 202 Isolierung 102, 192, 213 fest) 293 Internationaler Wäh- Israel 28, 296 Igorlied 71 rungsfonds 130 Iswestija (Mi�eilungen) Ikramow, Akmal 75 International Fund for 56 Ilchane 28 Saving the Aral Sea Italien 61, 226, 232 Imamiten (Zwölfer-Schii- (IFAS) 129, 251-253, Izmir 30 ten) 140 255 f. Jahrtausendwende 11, Imam (Moscheevorste- International Security 99, 155, 225, 229 her) 88, 148 Assistance Force (ISAF) Japan 53, 61, 271 Importe 108, 112, 176, 7, 134, 173, 194 Japanisches Meer 26 224-227, 238, 240 Internet 204 Jassawi, Achmad 88 In-Situ-Laugung (ISL) Interstate Commission Jelzin, Boris 169 237 for Water Coordination Jiabao, Wen 113 Indien 21, 27, 31, 52, 98, in Central Asia (ICWC) Jin-Dynastie 27 110, 112, 118, 128, 132, 129, 250 f., 253, 256 Jöchi Khan 28 231, 235, 277, 295, 298 Interstate Council for the Jod 238 Indus 26, 28, 31, 245 Aral Sea Basin Crisis Joint Venture 176 Indus-Tal 26, 31 (ICAS) 251, 288 Journalisten 190, 200, Industrialisierung 64 Interstate Oil and Gas 202-205 Industrie 40, 46 f., 65 f., Transport to Europe Juden 140, 296 77, 266 (INOGATE) 108 Jugendliche 66, 211 Informations- und Koor- Invasion 26, 42, 71, 297 Jugoslawien 177 dinationszentrum zur Iran 29, 31, 71, 89, Jüngster Tag 188 Drogenbekämpfung 98, 110, 112, 118, Jurabekow, Ismail 164 (CARICC) 134 125-127, 130, 138, Jurten 85 Informationsaustausch 146, 169, 180, 187, Kabul 7, 51, 52, 99 189, 225, 229, 118, 121 f., 125, 128, Innenpolitik 98, 112, 231-233, 243 132-134, 173 162, 168, 170, 174 Irtysch 35 Kader 13, 72 inorodzy (Fremde) 44 Ischan 47 Kade�enkorps 34 Inoyatow, Rustam 160, Ischanismus 141 Kairo 24 162, 165, 203 Ischan (Sufi-Scheich) Kajum-Khan, Weli 54 Instabilität 28, 107, 124, 47, 141 Kaleck, Wolfgang 196 173, 277 Ischkaschim 125 Kalifat 23 f., 76, 137 f., Institut für Nationale Isfahan 29 155 Wirtscha� 163 Islamische Bewegung Kalmükien 225 Instrument für die Ent- Usbekistans (IBU) 9, Kalter Krieg 158 wicklungszusammen- 11, 155, 218 Kamp�ra� 56 arbeit (DCI) 109 Islamische Partei der Kam Air 126 Intellektuelle 46, 69-71, Wiedergeburt 152 Kanada 198 75, 83 f., 87, 89, 208, Islamisierung 23 f., 29, Kangju 18 209, 212, 295, 297 138, 140-142, 154, 296 Kant 171 Interkulturalität 204 Islamismus 80, 89, Kara-Balta 176, 237 Internationaler Strafge- 137, 167, 173, 180, 182, Kara-Kitai 23-26 richtshof 108 187, 223 Kara-Tjube 219

312 Register

Karachaniden 24 Kindersterblichkeit Konsumgüter 110 Karakalpakistan 159, siehe Bevölkerungsent- Kontinuität 63 f., 82, 86, 246, 295 wicklung 90, 156 Karakorum 27 Kitai 23-26 Konversion 55, 140, 142 Karakum-Kanal 258 Kitan 23 Konzerte siehe Kunst Karakum-Wüste 246 Klagemauer 210 Koran 151 f. Karatschaganak-Feld Klans 25, 29, 31, 35, Koranschulen siehe mek- 229 72, 85, 141, 158, 159, tebs Karawanserei 35 164, 272 Koreaner 222 Kara Suu 220 Klanwirtscha� 160 Korpeje 231 Karchi 133, 211, 296 Klassenkampf 92 Korpeje–Kurt-Kui-Pipe- Karimologie 94 Kleiner Krieg 33 line 233 Karimow, Islam 9-11, Kleine Horde 32, 35, 37 Korruption 39, 57, 72, 13, 63 f., 72, 74 f., 80, 85, Klientelbeziehungen 141 107 f., 121 f., 124, 135, 87, 92-94, 97, 100-103, Klimawandel 175, 256 146, 163, 176, 272 113, 127, 133, 152, 155, Koexistenz 180 Kosaken 33-35, 41, 43, 158, 160, 162-165, 171 f., Kohle 224, 226 f., 235 f., 47 f., 58 191, 198 f., 201, 217 f., 238, 241 Kra�werke 129, 237 222 f., 271, 274, 277, 297 Kohlenwasserstoff 238, Krankenhäuser siehe Ge- Karimowa, Gulnara 165 241 sundheitswesen Karneol 17 Kokand 21, 32, 37, 40, Krasnodar 172 Karsai, Hamid 7, 127 47, 50, 298 Krasnowodsk 41 Kasachensteppe 12, 35, Kokaral-Damm 247 Krebs 242, 246 42, 44 f., 48 f. Kokschetau 236 Kreuzfahrerstaaten 24 Kasachisch 177, 285 Kolchosen 67, 262 Kriegersklaven 24 Kasachstan–China-Pipe- Kolonialismus 40 f., 51, Kriegsgefangene 30, 48, line 232 70 f., 75, 86, 244, 276 54-58, 270 Kasatomprom 237 Kolumbien 226 Krim 44 Kaschkadar 159 Kombinate 163, 237 Kriminalität 98, 107 f., Kaschkandar 163 Komitee für Religiöse 168 f., 273 Kaspischer Raum 80, Angelegenheiten 154 Krisenmanagement 6, 108, 172, 184, 225 f. Kommunikation 138, 174, 242 f., 250, 255 Kaspisches Meer 12, 24, 182, 211 Kuljab 217 26, 41 f., 80, 124, 168, Kommunismus 49, 53, Kultkleidung 154 173, 225, 235, 238, 245 60, 62, 64, 68 f., 73 f., 77, Kumsangir 127, 130 Kaspische Becken 228 f. 83, 86, 128, 143, 156 Kunajew, Dinmoham- Kaspische Marinegrup- Kommunistische Partei med 66 f. pe 173 Chinas 53 Kundus 122 Kästner, Erich 206 Kommunistische Partei Kunggrat 32 Kaufman, Konstantin der Sowjetunion (KPd- Kunst 17, 69, 71, 208, Petrowitsch von 38 f., SU) 10, 13 f., 53, 67 f., 271, 273, 297 41, 45, 272 80, 163, 245, 297 Kunsthandwerk 16 f., 85 Kaukasus 29, 44, 51, Komponisten siehe Intel- Künstler siehe Intellek- 54 f., 60, 76, 109, 146, lektuelle tuelle 170, 173 Kondensat 228 Kuomintang 53 Kaziate 147, 153 Konfessionen 31 Kupfer 238 Kernenergie 226 f. Konfliktparteien 42, 174 Kurgan-Tjube 125 KGB 63 Konsortien 229, 232 Kuropatkin, Alexei Niko- Khan, Ismail 128 Konstantinopel lajewitsch 48 f. Khubililai Khan 28 siehe Byzanz Kurt Kui 231 Kiew 29 Konstanza 232 Kuschka 42

313 Anhang

Kutaiba ben Muslim 19 Machkamow, Kachar 72 Medresen (islam. Lehr- Kwangsi-Regierung 59 Machtumkuli 89 einrichtungen) 4, 45, Kyros 19 Märtyrer 293 f. 136, 147, 209, 270, 298 Kysylkum-Wüste 236 mahallah (Nachbar- Medwedjew, Dmitri 80, Kysylkyja 219 scha�sgemeinde) 37, 166, 172, 233 Kysylorda 246 f. 67, 72, 154 Meinungsäußerung Laizismus 11, 86, 91, Mahmudow, Mamada- 203, 205 180 f., 189, 202 li 71 Mekka 68, 152 Landesverrat 203 Mamluken 24, 28 mektebs (Koranschulen) Landwirtscha� 40, 65, Manas 90, 93, 134, 187 45, 209, 270 242-244, 247, 254, 257, Manasologie 90 Menschenrechte 9, 13 f., 259 f., 267 Mandschurei 53 101, 104, 107, 168, 185, Lanzenreiter 25 Manichäismus 17 190-195, 199, 201-205, Lapislazuli 17 Manöver 96 f., 99, 274, 289 La�aro, Elisabeth 208 172 f., 183 Menschenrechtler 10, Lebap 215 Mao-tun 22 190, 202, 205 Lebensraum 54 Maodun-Danyu Menschenrechtsorgani- Lebensstandard 65, 77 siehe Mao-tun sationen 155, 163, 191, Lebenszyklus-Riten Marakanda siehe Samar- 197, 298 144, 148 f. kand Mentalität 169 f. Lebenszyklus-Rituale Margelan 40, 211 Merw 23, 27, 31, 37 69, 144, 148 f. Märkte 77, 108, 113, Metall 112, 238 Legitimation 86, 113, 125, 129, 175, 178, Metalle 241 146, 152 f. 219 f., 228, 240, 259 Metallurgie 237 Leibeigenscha� 34 Marktwirtscha� 73 Migration 65, 70, 76, Lenin, Wladimir I. 84, Marx, Karl 74, 84, 272 107, 111, 125, 168, 176, 93, 270 Marxismus 92, 143 178-181, 187, 221, 223, Leninismus 143 Masalijew, Absamat 72 272 Lessing, Go�hold Masar-e Scharif 121, Militär 21 f., 37, 39, 47, Ephraim 15, 206, 125, 127 f., 133, 194, 50, 53, 171, 184, 187 208-211, 213 296 Militär-Wochenbla� 50 Liao-Dynastie 23 Maschinenbau 163, 268 Militärbasen 52, 102, Liberalisierung 64, Massageten 17 171 f., 184, 187, 193-195 83, 151 Massaker 11, 26, 29, 35, Militärberater 59, 121 Liegnitz 28 158, 191-193, 196, 198, Militärpolitik 53, 56, 97 Liquified Natural Gas 214, 277, 287, 294 Minderheiten 43, 54, 56, (LNG) 226 Matljubow, Bachodir 160 61, 140, 177, 217, 219 f. Literatur 6, 69, 138, 141, Mausoleen siehe Pilger- Mineralien 112, 238, 241 150, 298 stä�en Ministerstwo Wnut- LNG 226 Mawlid al-Nabi (Ge- rennich Del (MWD) Lobbyismus 168 burtstag Mohammeds) 159 f., 164 Löwe von Pandschir 293 Miri-Arab-Medrese 147 siehe Massud, Achmad Mayer-Mader, Andreas Miros (Erbe) 71 Loyalität 26, 44, 159, 59 f. Mirsajew, Ruslan 162 162, 178, 221, 223 Medien 6, 8-10, 39, 46, Misshandlungen 205 Lu�transportstützpunkt 49, 54, 56, 68, 71, 75, 77, Mi�elalter 23, 136 3 133 99 f., 147, 151, 158, 160, Mi�elmeer 17, 27 Lu�waffenführungsstab 163, 180, 190, 203, 211, Mi�lerer Osten 70, (Wehrmacht) 56 f. 218, 220, 277 117, 146 Lukaschenko, Alexan- Medienfreiheit 203 Mi�lere Horde 32, der 172 Meditation 141 35, 37

314 Register

Mobilmachung 49 Nachhaltigkeit 114, 190, Nijasow, Saparmurat A. Modernisierung 34, 38, 204, 255, 259 72, 85, 89, 94 45, 49, 53, 57, 65, 67, Nachrichtenwesen 26, Nikolaus II. 48 70 f., 107, 142, 199, 204, 56, 99 Nomaden 18, 22, 33, 207, 230, 254, 266 Nachschub 134 41-43, 45, 49 f., 71, 89, Modu-Shanyu siehe Mao- Nadschibullah Achmad- 119 f., 138, 142 tun sai, Mohammed 119 Nomenklatur 86, 144, Moghul-Reich 31 Naher Osten 21, 28, 159 Mohammed-Ali Madali 146, 155, 226, 241 Nookat 220 Sabir siehe Duktschi Nahes Ausland 167, 169 Nordallianz 126, 173 Ischan Namangan 40 Norow, Wladimir 205 Mohammed (Prophet) Naqshbandiya 141, 153 Norwegen 226 137, 151, 137, 149, 293 Narodny Komissariat Noworossisk 232 Mohammed Rahim II. 38 Wnutrennich Del Nowyj Margelan Moldawien 79, 182 (NKWD) 69 siehe Fergana Möngke Khan 28 Nasarbajew, Nursultan Nukus 251, 295 Mongolei 89, 98, 130 72, 92, 172, 177 Nurek 171 Mongolen 20 f., 23, Nasrallah 32 Oasen 17, 22 f., 25, 31, 25-30, 50, 58, 138, 140, Nathan der Weise 15, 37 f., 50, 295 269, 298 206-212 Oberkommando der Mongolensturm 22, Nationalbewusstsein Wehrmacht 57 27, 138 71, 75, 119, 145 Oberster Sowjet 163 Monokulturen 260 Nationalfeiertag 87 Objektschutzkrä�e 134 Monopolisierung 107 Nationalgeschichte 21, oblast (Gebiet) 37, 40, Monotheismus 213 75 42 f. Moscheen 58, 68, 144, Nationalmuseum 84 Odessa–Brody-Pipeline 145, 147-149, 151, 154, Nationalsozialismus 20, 232 181, 209, 270, 276 53, 58, 61 Öffentliches Leben 67, Moschus 27 Nationaltheater 208 f. 70, 149 Moskauer Putsch (1991) Nationalturkestanisches Öffentlichkeit 102, 155, 73, 163 Einheitskomitee 54 158 f., 196 Mountain Society Deve- Nationsbildung 67, 73, Oghusen 24, 89 lopment Solidarity Pro- 82 f., 215, 217 Ögödei Khan 27 f. gram (MSDSP) 126 NATO 79, 110, 185, 194 Ökologie 12, 66, 72, Mudschaheddin 49 Naurus (Neujahrsfest) 244, 250 f., 258-260, Mu�iyate (Geistliche 125, 293 263-265, 267 Verwaltungen) 67 f., Nawoi, Alischer 75, Okrainy Rossii (Grenz- 144, 146 f., 153 f. 237, 275 länder) 42 Muhi 28 Nawoi-Fabrik 176 okrug (Kreis) 37 Muhiddinow, Dilmurod Nehm, Kay 196 Oktoberrevolution 49, 202 Neutralität 81 67, 296 Mullahs (islam. Geistli- Neu Delhi 132 Olij Majlis (Unterhaus) che) 54, 149, 181 Nicht-Regierungs-Or- 10, 162 Murghab 42, 120 ganisationen (NGOs) Omsk 35 Musaffar ad-Din 38 10, 207, 251 Omsker Prikas-Verwal- Muslims of the Soviet Nichteinmischung 101, tung 37 East 68, 147 132, 174 Opiumverarbeitung Musulmonobod (Land Niederlande 192, 226 siehe Drogen der Muslime) 150 Niedermayer, Oskar Opposition 9 f., 46, 74, Mystik 136, 140 f. Ri�er von 52, 55 76, 86, 99, 107, 148, 153 f., Nabucco-Pipeline 233 Nigeria 226 157, 162 f., 181, 201

315 Anhang

Orenburg 35, 41 f., 46 Partisanenbekämpfung Politikverständnis 111 Orenburger Linie 35 55, 60 Politikwissenscha� 92 Organisation der Verein- Pascha, Enver 49 Polizei 48, 190, 217 ten Nationen für Er- Paschtunen 124, 237 Polo, Marco 27 ziehung, Wissenscha� patrimoniale Ära 66 f., Popularität 152, 154, 157 und Kultur (UNESCO) 72-74, 76 Prawda (Wahrheit) 56 91, 295, 299 Patriotismus 94 f. Preußen 51, 58 Organisation des Ver- Patronage 176 Privilegien 140, 185, 219 trages über kollektive Pazifik 53 Pro-Kopf-Einkommen Sicherheit (OVKS) Peacekeeping-Truppe 65, 106 171-173, 182, 291 f. siehe Friedensmissionen Programm Central Asia Organisation für Sicher- Peking 26, 53, 100, Regional Economic heit und Zusammenar- 102 f., 113, 183 f., 187 Cooperation (CAREC) beit in Europa (OSZE) Perestroika 73, 83 f., 95, 130, 134 108-110, 182, 185 136, 143, 146, 151 Proletariat 46 Organisation für wirt- Peripherie 44, 71, 73, Propaganda 54, 57 f., scha�liche Zusammen- 118 60 f., 136, 144, 147, 155 arbeit (ECO) 128, 134 Perser 16 f., 19, 31, 269 Proporz 164 Osch 124, 212, 215, Persien 12, 16 f., 21-28, Prosweschtschenije 217-219, 221 f. 31, 34, 48 f., 52, 84, 88 (Au�lärung) 93 Osmanen 28, 30, 33 Persisch 16, 149 Protektorate 34, 38, 42 Ost-West-Beziehungen Persischer Golf 225, 232 Provincial Reconstruc- 184 Peschawar 42 tion Teams (PRTs) 133 Österreicher 58 Pestizide 242, 244, 247, Pufferstaat 118 Ostfront 54 f., 64 260 Pulatow, Abdurahim 74 Ostmi�eleuropa 28 Peter der Große 35 Putin, Wladimir 111, 166, Oxos siehe Amudarja Petrograd siehe St. Pe- 168, 171, 178, 181, 187 Özbek 29 tersburg Pyrenäen 61 Özbeken 31 PetroKasachstan 176 Qin-Dynastie 22 Ozod Dekhkanlar (Freie Petropawlowsk 35 Que�a 42 Bauern) 162 Pfeffer 27 Qutaiba ibn Muslim 137 Pakistan 11, 14, 98, 107, Pflüger, Friedbert 195 Rachmon, Emomali 128 116, 118, 126, 128, 131, Philosophie 140, 153 Radio Liberty/Radio Free 180, 189, 231 f., 235 Phosphorit 238 Europe 203 Palästina 24 Pilgerfahrten 68, 145, Raffinerien 230 Pamir-Abkommen 118 149, 152, 188 Rajew, Sultan 212 Pamir-Gebirge 245 Pilgerstä�en 88, 141, Raschidow, Scharaf 66, Pamiri 89 145, 150, 295, 299 74, 163 Pan-Islamismus 80 Pipelines 108, 110-112, Rassenideologie 20 Pan-Turkismus 80, 86 128, 175, 182, 226, Rasulow, Dschabar 66 Panipat 31 231-233, 235, 240 Ratspräsidentscha� Papyrus 23 Pjandsch 117, 119-121, 193, 201, 204 paralleler Islam 14, 68, 128 Rat für Allgemeine 136, 148 Planwirtscha� 73, 80 Angelegenheiten und Parlament 10, 46, 63 f., Plünderungen 48 Außenbeziehungen 179, 218, 288 Pluralismus 64, 78 192, 201, 203 Parteien 10, 46, 53, 63 f., Polen 44, 55, 58, 61, 79, Rechtshilfe 197 69, 74, 152, 154 f., 162 f., 222, 229 Rechtsprechung 43 f., 187, 297 Pol-e Chomri 128, 295 80, 154, 179, 191, 199, Parther 89 Politbüro der KPdSU 200, 205 Partisanen 55, 60 f. 10, 67, 72, 143 Rechtssicherheit 107

316 Register

Rechtsstaatlichkeit 108, Russisch-Orthodoxe Scharia (islam. Gesetz) 192, 201, 204 Kirche 45 86, 141 Rechtswissenscha�en Russischer Bürgerkrieg Scha�enwirtscha� 65 153 49, 52, 78 Scheichs 141, 150 Referendum siehe Wahlen Russische Revolution Scherberchan 128 Reformen 63, 78, 109, (1905) 12, 46 f. Scher Dor 136, 209 142 f., 160, 164 Russkaja obschtsche- Schia, Schiismus, Schiiten Regionale Anti-Terror- musulmanskaja Partija 31, 89, 140, 146, 293 f. Struktur (RATS) 99, (Russische Allmuslimi- Schir Chan Bandar 127, 101 f. sche Partei) 46 130 Regionalismus 72, Russland 233 Schmuggel 122, 124, 171 181 f., 184, 187 Russophilie 170 Schri�steller siehe Intel- Regionalorganisationen Rüstung 52 lektuelle 81, 97 f., 103 Safawiden 31 Schu-Sarysu 236 Regisseure siehe Intellek- Saffariden 23 Schugnan 118 tuelle Sainabitdinow, Saidscha- Schulden 106, 111 Registan-Platz 209 f. chon 202 Schulen 44 f., 93, 95, 180 Reichswehr 52 Saken 17 Schulsystem 44 f., 93, Reitervölker 17, 20-23 Salzstürme 242 142, 180 Rekrutierung 55 Samani, Ismail 84, 88 Schutzgelder 131 Religion 221, 237 Samaniden 23 f., 88, Schwarzes Meer 108, 232 Religionspolitik 136 137 f., 295 Schwefelsäure 237 Repression 12, 49, 74, Samara 41 Schwerspat 238 76, 78, 148, 190 f., 203, Samarkand 10, 16-19, Schymkent 215 254 22-24, 27, 29, 31, 37 f., Scientific Information Cen- Rese�lement-Programm 40-42, 51, 57, 72, 75, 88, ter (SIC-KWC) 253 198 136 f., 147, 150, 159 f., Sedimentbecken 228 Revolten siehe Aufstände 163-165, 209-211, 269, Seeckt, Hans von 52 f. Ridgeway-Linie 118 294, 297, 299 Seewege 27, 129 Rituale 141, 149, 156, Samarkand-Klan 159 Seidenstraße 5 f., 12, 273 Sangtuda 128 16 f., 27, 35, 51 f., 117, Rodtschenko, Alexander Sanktionen 9, 190-193, 122, 129, 137 f., 268 f., Michailowitsch 69 195, 199-202, 213, 290 295, 297 Rohopium siehe Drogen Sarafschan 22, 31, 37 Selbstständigkeit Römer 17, 22 Saretschnoje 237 siehe Unabhängigkeit Rosenrevolution 184 Sassaniden 19, 137 Selbstverständnis 179, Rot-Front 222 Säuberungen 69, 272 Rotarmisten 56 f., 61 72, 74, 83, 94, 143 f., Seldschuken 24 f., Rote Armee 49, 52, 148, 150 28, 89 56 f., 59, 61, 68, 118 f., Schachrisab 91 Selen 238 146, 296 Schah-Denis-Feld Seleukiden 19 Rückwanderung 230 f., 235 Semipalatinsk 35, 42 siehe Migration Schah Ruch 30 Semiretschie 37, 42, 43 Rumänien 198, 229, Schaibani, Mohammed Senat 162 232, 290 31 Separatismus 99 Rundfunk siehe Medien Schaibaniden 31 f. Serafschan 17, 297 Russifizierung 12, Schanghaier Organisation Serben 177 43-45, 84, 177 für Zusammenarbeit Sessha�igkeit 32 f., 37, Russisch 39, 44 f., 70, (SOZ) 13, 81, 96-103, 41 f., 49, 90, 142 86, 111, 177 f., 180, 110, 112, 134, 183, 184, Seuchen 47, 58 211, 276 185 Shakarbulak 230

317 Anhang

Shanghai Five 100 Staatsangehörigkeit Sugd 215, 217 Shirkats 262 178, 197 Sughdh 17 Sibirien 34, 44, 65, 146, Stabilität 97-99, 107, Sulejmenow, Olschas 237, 295 132, 135, 143, 154, 160, 71, 83 Sicherheit 37, 96-99, 107, 204, 215, 217 Sunna, Sunnismus, Sun- 135, 168, 182, 197, 204 Stadt-Land-Gegensatz niten 31, 38, 89, 138, Sicherheitsorgane 9, 118, 149 140, 221 47, 102, 107, 158, 190 f., Stagnation 66, 76, 78 Supergiants 230 198, 217 Stalin, Josef W. 54, 56, Supsa 231 Sicherheitspolitik 79, 64, 67, 69, 70, 83, 93, Suren (Koranverse) 68, 81, 97, 104-106, 111 f., 144, 269, 272 188 166 f., 173, 182-184, Stalinismus 54 Surxandaryo-Qashqada- 187, 193, 218 Stämme siehe Klans ryo 159 Sicherheitsrisiken 174 Stammesführer Swjatoslawitsch, Igor 71 Siebenstromland siehe Khane Symbole 13, 74, 82, siehe Semiretschie Stammesverbände 84 f., 88, 91, 99, 103, Siedler 41, 43, 47 f. siehe Klans 105, 195, 210 Siedlungsgebiete 217, stanizy (Siedlung) 41 Syrdarja 9, 17 f., 22, 25, 219, 221 Stauffenberg, Claus 31 f., 35, 37, 66, 236, Silber 238 Schenk Graf von 55 242-244, 247, 251, 254, Sippe siehe Klans Steinmeier, Frank-Walter 256, 260, 267 Skythen 16, 19 104, 192 f., 198-200, 205 Syrer 16 Slowakei 55 Steppe 12, 23 f., 34, 37, Tachar 122 Sluschba Natsionalnoy 41-44, 49 f., 137, 297 Tadschibajewa, Mutabar Besopasnosti (SNB) Steuern 44, 48, 65 202 63, 160, 162, 164, 203 Strafprozessordnung Tadschiken 9, 14, 60, 71, So� Power 111 (StPO) 196 89 f., 93, 118, 125, 179, Sogdiana 5, 16-19 Straßenbau 130 219, 298 Sogdisch 16 f. Strategie 7, 11, 42, 51, Tadschikischer Bürger- Solih, Mohammed 74 53, 78, 105 f., 110 f., 113, krieg 121, 167, 174, Sonderwirtscha�szonen 169, 183, 204 f., 217, 217 125 f. 250, 295 Tahiriden 23 Soschina, Maria 210 Strategie für eine neue Taktik 22, 33, 56, 114 Souveränität siehe Unab- Partnerscha� mit Zen- Talas 23, 137 hängigkeit tralasien 105 Taliban 7, 120, 126, Sowchosen 67, 262 Strategischer Lu�trans- 296-298 Sowjetarmee siehe Rote portstützpunkt Termes Tal des Polytimetos Armee 133 siehe Serafschan Sowjetisierung 14, 52 Streiks 47 Tamerlan siehe Timur Sowjetsoldaten 20, 54 f. Strukturschwäche 77 Lenk Sozialismus 13, 46 f., Stützpunkte siehe Gar- Tanguten 26 49, 86, 119, 144, 147 nisonen TAP-Pipeline 128 Sozialwesen 77, 109 Subventionen 65, 77, Tarim-Becken 27 Spanien 226 259, 265 Taschkent-Klan 159 Spionageskandale 183 Südafrika 226 Taschkenter Abkommen Spiritualität 140, 152 Südjolotan 230 171 Sprachen 221 Südkorea 63 Tataren 9, 20, 29, 33, 35 SS 55, 58, 60 Südostasien 27 Technologie 111, 230, SS-Division »Neu- Sufi-Orden 136, 140 f., 252, 254 Turkestan« 55 149 f., 153 Teehäuser 149 St. Petersburg 42 f., 47 f. Sufismus 140 f., 149 f. Telekommunikation 98

318 Register

Temudschin siehe Dschin- Triest 232 Umma (Gemeinscha� gis Khan Troitzki 58 der Gläubigen) 138, Tengis-Feld 229, 232 Truppenbetreuung 54 140, 152 Termes 125, 127, 133 f., Tschador (Ganzkörper- Umweltkatastrophen 193-195, 211, 293, 296 schleier) 144 f., 151, 15, 242 f. Terrorbekämpfung 10, 154 Umweltprogramm der 96, 98 f., 101 f., 109, 132, Tschagatai Khan 28 f. UN (UNEP) 251 168, 170, 172, 291 Tscharwak-See 298 UN-Flüchtlingshochkom- Terrorismus 9 f., 98 f., Tsche-Bas 248 missariat (UNHCR) 101, 124, 132, 136, Tscheljabinsk 96 198 168-170, 172, 186, 190, Tschiang-Kai-Schek 53 Unabhängigkeit 10, 193, 214, 217 f., 291 Tse-tung, Mao 53 21, 32 f., 38, 49, 51, 57, Textilindustrie 40, 112, Tugai-Wälder 247 62-64, 66, 73 f., 77 f., 260, 267 Tulpenrevolution 167 81-83, 85, 87-89, 91 f., Theater siehe Kunst Tümen 26 94, 125, 130, 134, 136, Theologie 140, 153 Turgundi 126 153 f., 159, 163, 167, Tibet 32 Turgunow, Aksam 202 177, 180, 183, 186, 261, Tiflis 232 f. Turkbataillone 58, 60 269 f., 294, 297 Tikrit 30 Turkbataillon 303 61 Ungläubige 46 Timuriden 29, 31, 71, Türkei 17, 63, 132, 227, United Commission on 88, 138, 141, 271, 298 233, 235, 240, 262, 274 the Aral Sea 256 Timuriden-Museum 85, Türken 16, 21, 24, 274 United States Agency for 88, 271 Turkestaner 54 f., 58-61 International Develop- Timur Lenk 12, 29 f., Turkestanischer Natio- ment (USAID) 130 74-76, 84, 87 f., 138, nalkongress 57 Universität 54 f., 67, 140 f., 271 f., 275, 293, Turkestanisches Infante- 70, 90, 93-95, 180, 222, 295-299 riebataillon Nr. 450 60 268, 297 Titularnation 71, 76, 90, Turkestanskaja Tusem- Unruhen siehe Aufstände 94, 214 f., 219-221 naja Gaseta (Turkesta- Unter-Khane siehe Ilchane Todesstrafe 10, 199 f., nische Einheimische Untergrund 148, 210, 292 Zeitung) 39 295 Toktamisch Khan 29 Turkestanskie Wedo- Uralgebirge 29 Toktogul-Stausee 254 mosti (Turkestanische Ural (Fluss) 35, 43, 238 Toleranz 82, 206-208, Nachrichten) 39 Uran 176, 224, 226 f., 211, 213 Turki 141, 149 236-238, 241 Tolui Khan 28 Turkistan 141 Uranverarbeitung 176 Topografie 135 Turkmenen 14, 24, 37, Urgentsch 22, 25, 32, Tourismus 85, 295 50, 60, 85, 90, 118, 120 251 Transall C-160 133 Turkvölker 21-24, 29, Usbek siehe Özbek Transformation 64, 31, 71, 89, 141, 142, 274 Usbekisch 39, 211, 221 78, 110 Typhus 242, 246 Usbekische Sozialistische Transitverkehr 130, 132, Überfälle 35, 99 Sowjetrepublik (SSR) 134 f., 182 Überläufer 55, 61 52, 69, 163, 294 Transkaspien 37, 40, 49 Überwachung 10, 153 f. Usgen 219 Transkaspische Eisen- Ukraine 55, 72, 79, 83, Ust-Kamenogorsk 237 bahn 41, 46 182, 225, 229, 231 f. Usubalijew, Turdakun 66 Transoxiana 17, 19, Ulanen 33 usul-i dschadid (Neue 22-24, 26 f., 29, 31 Ulba 237 Methode) 142 Transport Corridor Ulugbek 30 uznews.net 204 Europe–Causasus–Asia Ulus 27-29, 32 Vanadium 238 (TRACECA) 108 Umayyaden 137 Vasallen 23, 29, 33

319 Anhang

Verbannung 47, 295 Wasser 106 f., 127-129, Xalq Demokratik Partiya- Verbrechen gegen die 135, 242-245, 248, 250, si (Volksdemokratische Menschlichkeit 197 252-254, 258, 260 f., Partei Usbekistans) 63 Vereinigte Staaten von 264, 267 Xinjiang 32, 130 Amerika (USA) 7, Wasserkra� 108, 128, Xiongnu 22 9, 11, 78, 99 f., 102 f., 175 Xorasm siehe Choresmien 118, 134, 165-167, 170, Wehrgeografie 55 Yasawi, Achmad 141 173, 183-187, 189, 194, Wehrmacht 50, 54-58, Yasawiya 141 198, 229, 232, 274, 294, 60 f. Yuan-Dynastie 28 296 Wehrpflicht 26, 44, 47, Yuezhi 19 Vereinte Nationen (UN) 56, 174 Zeitung siehe Medien 98, 110, 117, 202, 245, Weimarer Republik 52 Zensur 69, 94 256, 293 Weißrussland 79, 172, Zentralasiatische Organi- Verfassung 10, 163, 183, 225 sation für Zusammen- 189, 294 Weltbank 130, 132, arbeit 183 Verfassungsänderungen 247 f., 251 Zentralasiatisches Poly- 162 Welthandelsorganisation technisches Institut 163 Vergewaltigungen 61 (WTO) 108 Zentralasiatische Union Verkehrssprache 17, Weltrechtsprinzip 197 81 111, 177, 293 Werny 35, 42 Zentralasiatische Wirt- Vernichtungskrieg 20, 54 Wertschöpfung 65, scha�sgemeinscha� 81 Versteppung 12, 247, 266 258 f., 261, 263-266 Zentralkomitee (ZK) 245 Ve�ernwirtscha� 164 We�bewerb 113, 129, Zentralkomitee der Vilojate (Gebiete) 162 175 KPdSU 75 Visa 121 f., 125, 131, Widerstand 10, 46, Zhang Qian 18 178, 196, 203 48 f., 52, 68, 70 f., 87, Zink 238 Völkerstrafgesetzbuch 143 f. Zinn 238 196 f. Wien 233 Zitrusfrüchte 126 Volkszählung 215 Wilhelm II. 20 Zivilgesellscha� 10, Vormachtstellung 23, Willkür 84, 190 73, 207 42, 52, 182 Wirtscha�skrise 73, Zölle 108, 125, 130 f., 135 Waffenhandel 173, 193 76-78, 177 Zoroastrismus 88, 140 Waffenschmuggel 108 Wirtscha�swachstum Zossen 58 Wahlen 10, 27, 63 f., 11, 78, 106, 175, 179 Zuwanderung siehe Mi- 162-164, 178, 274 Wissenscha� 90-95, gration Wakhan 118 137 f., 140, 145, 153, Zwangsarbeit 47 Wallfahrten siehe Pilger- 253, 272 f., 295 Zweistromland 24, 27 fahrten Wohlstand 40, 49, 80, Zweiter Anglo-Afghani- Waqf (islam. Sti�ung) 272, 274 scher Krieg 42 45, 143 Wolfram 238 Zweiter Weltkrieg 53, Warlords 126, 173 Wolga 29 56 f., 64, 67, 70, 87, 119, Washington 100, 184, wolost (Gebiet) 37 143 f., 270 186, 274 Wüsten 35, 38, 295 Zypries, Brigi�e 196

320 Autorinnen und Autoren

Mark Aretz, Architekt, Leipzig ([email protected]) Hauptmann Dipl.-Pol. Christian Becker, Ba� eriechef 5./Panzerartillerie- bataillon 215, Augustdorf ([email protected]) Das deutsche Interesse an Usbekistan und damit das Bild dieses Wegweiser zur Geschichte Dr. Falk Bomsdorf, Friedrich-Naumann-Sti� ung, Moskau Landes sind stark beeinfl usst durch die Ereignisse in Afghanistan. ([email protected]) Spezielles Augenmerk gilt der Haltung der usbekischen Regie- Dr. Klaus Brinkmann, Bundesanstalt für Geowissenscha� en und Rohstoff e rung gegenüber dem laufenden Einsatz der International Security (BGR), Hannover ([email protected]) Assistance Force (ISAF) und insbesondere zum Betrieb des Stra- Dr. Bernhard Chiari (bc), Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam tegischen Lufttransportstützpunktes im usbekischen Termes. ([email protected]) Imke Dierßen M.A., amnesty international, Berlin Der »Wegweiser zur Geschichte: Usbekistan« ermöglicht einen ([email protected]) Blick aus anderer Perspektive. 19 Autoren beschreiben Geschichte Dr. Ma� eo Fumagalli, Institut für Internationale Beziehungen und und Kultur des Landes als Teil Zentralasiens und damit die rei- Europäische Studien, Central European University, Budapest chen und vielfältigen Traditionen eines Kulturkreises, der bis zum (ma� [email protected]) Ende der Sowjetunion für Europäer nur schwer zugänglich war Richard Göbelt M.A., Deutscher Bundestag, Berlin ([email protected]) und nach dem Ende der UdSSR erst langsam in den Blick der Prof. Dr. Ulrike Grote, Institut für Umweltökonomik und Welthandel, europäischen Politik rückte. Usbekistan beansprucht heute eine Universität Hannover ([email protected]) Schlüsselrolle innerhalb Zentralasiens und versteht es geschickt, Dr. Uwe Halbach, Sti� ung Wissenscha� und Politik, Berlin ([email protected]) die teils entgegengesetzten Interessen des in der Region do- Dr. Anne� e Krämer,Linden-Museum, Staatliches Museum für Völkerkunde, minierenden Russlands, aber auch Chinas, der USA oder der Stu� gart (anne� [email protected]) Europäischen Union für eigene Ziele zu nutzen. Die usbekische Dipl.-Pol. Bernd Kuzmits, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn Führung unter Präsident Islam Karimow versucht, an eine vorso- ([email protected]) wjetische nationale Identität anzuknüpfen, doch zeigt dieser Band Dr. John P.A. Lamers, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn ebenso, wie stark in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und regio- ([email protected]) nalen Netzwerken die Prägungen und Strukturen der Sowjetzeit PhD Marlène Laruelle, Centre d`études des mondes russe, caucasien et centre-européen, Paris ([email protected]) weiter fort wirken. Zahlreiche Karten, lexikalische Begriffserklä- Prof. Dr. Loretana de Libero, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam rungen im Text sowie der umfangreiche Anhang mit Zeitstrahl, ([email protected]) einer Aufl istung wichtiger Feiertage, Literatur- und Filmtipps und PD Dr. Christopher Martius, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn einem Register helfen bei der raschen Orientierung.

([email protected]) Usbekistan Usbekistan Dr. Anna Matwejewa, Crisis States Research Centre, London School of Economics, London ([email protected]) Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam ([email protected]) Hauptmann Magnus Pahl M.A. (mp), Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam ([email protected]) Dipl.-Geologe Hilmar Rempel, Bundesanstalt für Geowissenscha� en und Rohstoff e (BGR), Hannover ([email protected]) Dr. Martin Rink, Historiker, Potsdam ([email protected]) Dr. Simone Röhling, Bundesanstalt für Geowissenscha� en und Rohstoff e (BGR), Hannover ([email protected]) Dr. Inna Rudenko, Zentrum für Entwicklungsforschung, Bonn ([email protected]) Dipl.-Ing. Sandro Schmidt, Bundesanstalt für Geowissenscha� en und Rohstoff e (BGR), Hannover ([email protected]) Dr. Andrea Schmitz, Sti� ung Wissenscha� und Politik (SWP), Berlin ([email protected]) Dr. Ulrich Schwarz-Schampera, Bundesanstalt für Geowissenscha� en und Eine Publikation des Rohstoff e (BGR), Hannover ([email protected]) Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zur Geschichte Wegweiser Dr. Jenniver Sehring, Institut für Politikwissenscha� und Sozialforschung, Universität Würzburg ([email protected]) im Verlag Ferdinand Schöningh MGFA Erinnerungsorte

Aralsee Balchasch- Syrdarja see

Kysylorda

KASACHSTAN

S Karakalpakistan y rd a r ja

Taras Ti e n - 751 Talas 1 Sarykamysch- Nukus N a w o i 4 494 m s h a n see Schymkent KI R GISISTAN Uchquduq

Daschchowus

Urgentsch Choresm Tujamujun- Tschardara- V Chiwa Stausee Dschalal- Stausee Abad 2 8 TASCHKENT Namangan USBEKISTAN 714, 1865 Nam. arja yrd Andischan S l And. Taschkent Ta 9 Aidarkul F.- Ferg. 11 Fergana Osch B u c h a r a 1875 Kokand 2 165 m Gulistan 10 Sirdaryo Nam. =Namangan And. =Andischan Gadschdiwan 712, Dschisak Chodschent Ferg. =Fergana Gasli 1512 1141, 7 F.-Tal=Fergana- Nawoi 1220, D s c h i s a k Tal 3 1868 Buchara S a m a r k a n d TURK MENISTAN Samarkand 6 P 709, 955, 999, 1220, Alai-Gebirge a 7 495 m 1538, 1740, Khazret Sultan Turkmenabad 1866 12 TA DSCHIKISTAN m 4 Schachr-i 4 643 m Karchi Sabs DUSCHANBE i A m u r d a Qashqadaryo rja ASCHCHABAD Kuljab Surxondaryo

Merw Anregungen, Nachfragen und Kritik richten Sie bitte an: Mary Karakum- Dandanaqan ndsch Kanal 5 ja 1040 P Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) IRA N Termes Modul Einsatzunterstützung 0 100 200 km AN Dr. Bernhard Chiari IST AFG H ANISTAN AK Zeppelinstraße 127/128 P 14471 Potsdam Zeichenerklärung Höhenschichten Schlachten (mit Jahresangaben) Deutscher Stützpunkt Staatsgrenze Fernstraße unter 0 m Telefon (0331) 9714 550 0 – 100 m 100 – 200 m Konfliktregionen 3 Historische Städte mit hohem ethnografischen Bezug Provinzgrenze Fluss, periodisch BwKz (90) 8529 550 200 – 500 m Fax (0331) 9714 507 500 – 1 000 m Terroristische Anschläge/Massaker seit 1989 »Brücke der Freundschaft« Nawoi Provinz Salzsee 1 000 – 1 500 m E-Mail [email protected] 1 500 – 2 000 m V Vertrag von Taschkent Verlauf der Seidenstraße im Mittelalter Hauptstadt Staudamm 2 000 – 3 000 m www.mgfa.de (auch im Intranet Bw) zur Beendigung des Kaschmir-Krieges, 3 000 – 4 000 m 3./4.7.1965 Ruinen von Merw (Oasenstadt und wichtiger Sitz der Provinzverwaltung Internationaler Flugplatz über 4 000 m © MGFA Knotenpunkt an der Seidenstraße) 05939-04