Röderberg-Verlag GmbH, Frankfurt/Main

BIBLIOTHEK DES WIDERSTANDES Copyright by Röderberg-Verlag GmbH Frankfurt am Main 1974. Nachdruck der Gedichte von Bertolt Brecht mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp-Verlages Frankfurt. Gesamtherstellung: Fuldaer Verlagsanstalt GmbH. Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader Inhalt

PROF. DR. RENATE RIEMECK • Vorwort ...... 7 GERDA ZORN • Einleitung ...... 9 GERDA ZORN • Aus dem Leben der Charlotte Gross ...... 11 INGEBORG KÜSTER • Verlobung in Oranienburg ...... 25 RUTH GLEISSBERG • Abschied und Heimkehr ...... 28 LUCIE SUHLING • Aufmachen – Polizei! ...... 32 LINA KNAPPE • Meuterei im Jugendgefängnis...... 41 LINA KNAPPE • «Es war alles ganz einfach» ...... 45 ELLY JLLMER-REUTER • Seite an Seite ...... 51 GERTRUD MEYER • Die Mutter des Deserteurs ...... 59 GERTRUD MEYER • Begegnung mit der Schauspielerin Hanne Mertens ...... 71 EDMUND VON DER MEDEN • Meine Erinnerung an Hanne .... 91 GERTRUD MEYER • «Gerichtliches Nachspiel» ...... 94 GERTRUD MEYER • Mit «Kristin Lavranstochter» in der Zelle ... 98 AENNE BOHNE-LUCKO • ... entkommen ...... 103 GERTRUD MEYER • Schweigen ...... 110 GERTRUD MEYER • France Bloch-Sérazin ...... 114 ERIKA L. • Ich gebe zu Protokoll ...... 129 GENEVIÈVE HELMERS • Odyssee einer Deportierten ...... 132 ILSE LÖFFLEROWA • Flämmchen ...... 138 LIZA NEUMANOVA • Vor der Gaskammer «gerettet» ...... 142 MAX OPPENHEIMER • Nachwort ...... 150

Bildteil 153

7

Vorwort

Dieses Buch füllt eine Lücke in der Literatur über den Widerstand gegen die NS-Herrschaft: Es sind Frauen, die hierzu Worte kommen. Der Kampf, den die zur Illegalität verdammten Repräsentanten der deut- schen Arbeiterschaft gegen die faschistische Diktatur geführt haben, ist zwar noch längst nicht hinreichend dokumentiert. Doch es liegen bereits wichtige Veröffentlichungen vor und weitere sind in Vorbereitung. Das ist um so wichtiger, als wir in der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit aus- schliesslich über die Opposition kirchlicher Kreise und über die Verschwö- rungen enttäuschter Offiziere, bürgerlicher Politiker und Diplomaten infor- miert worden waren. Was bisher jedoch gänzlich fehlte, war eine Sammlung von Berichten, aus denen beispielhaft hervorgehen kann, in welchem Masse die Frauen an der Widerstandsbewegung beteiligt waren, wie sehr sie sich im antifaschisti- schen Kampf bewährten, was sie taten und erduldeten, um ihrer Überzeu- gung treu zu bleiben. Erstmals wurde hier nun der Versuch gemacht, die Erinnerungen von heute noch Lebenden und einiges aus dem Nachlass der Opfer des Faschismus zu- sammenzutragen. Man möchte hoffen, dass weitere Bände dieser Art bald- möglichst folgen. Es sind Lebensbilder schlichter, unglaublich einsatz- und opferbereiter Frauen, die sich in diesem Buch manifestieren. Keines ist zum Zwecke der Selbstdarstellung geschrieben. Jedes will nur Zeugnis sein. Aber indem diese Frauen bezeugen, was sie erlebt und erlitten haben, lassen sie uns erken- nen, wie sie in den Zeiten schlimmster Verfolgungen das Risiko der illega- len Arbeit auf sich nahmen, die Angst überwanden, jeden Gedanken an ihr persönliches Wohlergehen verjagten und alles taten, um dem NS-Regime widerstehen und ihren Kameraden helfen zu können. Die Schilderungen von Verhaftungen, Verhören, Brutalitäten sind nicht nur eine erschütternde Anklage gegen das System des Faschismus; sie sind zu- gleich Beweise einer unvorstellbaren Kraft des Beharrens und menschlichen Durchhaltevermögens im Glauben an humane Werte. Erzählte Episoden aus Haft und Deportation lassen Einzelschicksale her- vortreten; aber diese Einzelschicksale sind charakteristisch für das Ganze der Widerstandsbewegung: Welch überragende Grösse der Verfolgten und welch aufopferungsvolle Verbundenheit und Liebeskraft der mit ihnen Lei- denden leuchtet darin auf! Die Briefe, Dokumente und Gedichte, die in den

8

Band aufgenommen wurden, erhalten auf diesem Hintergrund ihr beson- deres Gewicht. Erschütternd sind die zu Protokoll gegebenen Berichte aus den letzten schlimmsten Wochen der NS-Diktatur: Fakten, Zahlen, Daten – ohne Kommentar. Weil es da gar nichts mehr zu sagen gibt. Weil Erzählungen nicht mehr möglich waren. Weil man nur noch schweigen kann. Und doch müssen wir heute Bertolt Brechts Aussage wiederholen: «Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.» Wir müssen es sprechen. Wir, die wir Erben dieser Vergangenheit sind. Das Wissen um ihre gesellschaftliche Verantwortlichkeit und die Solidarität mit den Gleichgesinnten gab den Frauen, die wir hier kennenlernen dürfen, die Fähigkeit, auch unter furchtbarsten Umständen – in Gefängnissen, Zuchthäusern, Arbeitslagern, KZ und auf den Wegen der «Evakuierung» – das Letzte an Lebenswillen aufzubringen. In der Hoffnung auf die Zukunft erwuchs ihnen die Kraft. Sie haben eine leuchtende Spur hinterlassen. Sie sind uns Vorbild. RENATE RIEMECK

9

Einleitung

Opposition und Widerstandskampf deutscher Frauen und Mädchen gegen das Hitlerregime ist hierzulande noch immer viel zu wenig bekannt. Wer wusste damals – wer weiss heute –, was es gerade für Mütter und Frauen in den Jahren 1933 bis 1945 bedeutete, ihren Idealen von Menschlichkeit und Demokratie unbeirrt treu zu bleiben. Bundespräsident Heinemann forderte, * «in der Geschichte unseres Volkes nach jenen Kräften zu spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu las- sen, die dafür gelebt und gekämpft haben, damit das deutsche Volk mündig und moralisch verantwortlich sein Leben und seine Ordnung selbst gestal- ten kann». Wir spürten einige Frauen auf, die, inzwischen älter geworden, bereit waren, ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus dem illegalen Kampf niederzuschreiben. Andere erzählten uns Einzelheiten von damals. Es sind unterschiedliche Erlebnisse, alle aber zeigen, dass es in den zwölf langen Jahren faschistischer Diktatur auch in Deutschland Frauen gab, die ihr eigenes Leben für den Frieden und eine bessere Welt einsetzten, obwohl sie wussten, dass sie damit ihr Leben riskierten. Wer waren diese Frauen? Was bewog sie zu ihrem Tun? Woher nahmen sie den Mut und die Standhaftigkeit, sich nicht zu beugen, wo andere, längst von Angst gelähmt, resignierten, das Unrecht duldeten oder sich gar zum willigen Werkzeug des Faschismus herabwürdigen liessen? Woher nahmen sie die Kraft, die unbeschreiblichen Leiden zu überstehen, nicht aufzuge- ben, auch wenn ihre Lage hoffnungslos schien? Der grösste Teil dieser Frauen kam aus der Arbeiterbewegung. Viele von ihnen hatten bereits vor 1933 aktiv in ihren Parteien und in der Öffentlich- keit gewirkt. Jüngere waren in der Arbeiterjugendbewegung und im Arbei- tersport organisiert. Sie hatten gelernt, dass Gleichberechtigung vor allem im gemeinsamen Kampf errungen wird. Gemeinsam lernten sie politische Zusammenhänge zu begreifen und anderen zu vermitteln. Gemeinsam führ- ten sie auch den illegalen Kampf – oft bis in den Tod. Auch in bürgerlichen und liberalen Kreisen und Parteien gab es Frauen, die erkannten: der Feind steht rechts. Frauen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit mahnten: «Hitler bedeutet Krieg! Schützt Eure Kinder, lasst Euch nicht von Phrasen bluffen, hinter diesen Phrasen steht die brutale Gewaltpolitik, die Ihr alle am eigenen Leib zu spüren bekommt. Gebt keine Stimme für Hitler, der der Handlanger Eurer Ausbeuter, Euer

Bundespräsident Gustav Heinemann in einer Rede am 13. 2.1970 in Bremen.

10

Feind ist. Schliesst Euch zusammen, organisiert Euch für Frieden und Frei- heit.» * Als Warnungen, Mahnungen, Demonstrationen gegen das heraufziehende Unheil legal nicht mehr möglich waren, gingen viele den schweren Weg des illegalen Kampfes oder der Emigration. Nach ersten Verhaftungen hoffte ein grosser Teil noch, der «braune Spuk» sei bald vorüber. Aber der Kampf wurde härter, je länger er dauerte. Welche Bedeutung die Haltung dieser Frauen, Mütter und Mädchen für die Geschichte unseres Volkes hat, kann im Rahmen der hier vorgelegten Er- lebnisberichte nur unvollkommen angedeutet werden. Viele Frauen sassen bereits zum zweiten- oder drittenmal in den Gefängnissen und Zuchthäu- sern, als nach Kriegsausbruch unzählige Mädchen und Frauen aus den von Hitler besetzten Ländern Europas dazu kamen. Widerstandskämpferinnen und «Fremdarbeiterinnen», die nun das Schicksal deutscher Antifaschistin- nen innerhalb und ausserhalb der Gefängnismauem teilten. Sie wussten, dass ihr Kampf in Übereinstimmung mit dem Willen ihrer Völker stand. Der Kampf der deutschen Antifaschisten dagegen fand bei der Mehrheit unse- res Volkes nur geringen Widerhall. Alle geistigen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Begebenheiten sind nicht zuletzt auch auf Traditionen gegründet, erklärte Bundespräsident Heinemann. Sogar das, was man Umbrüche, Revolutionen und Reformen nenne, beruhe nicht selten darauf, dass Erkenntnisse und Forderungen frü- herer Tage neu aufgegriffen oder weitergeführt wurden. Dabei komme es nur darauf an, an welche Traditionen angeknüpft und in welchem Sinn eines historischen Vorganges gedacht wird. Bei der Herausgabe persönlicher Er- innerungen antifaschistischer Frauen kommt es uns vor allem darauf an, dass die Überlebenden des illegalen Kampfes selbst zu Worte kommen. Ihre Tradition des Kampfes um Frieden und Fortschritt reicht von Clara Zetkin bis Rosa Luxemburg, von Berta Suttner bis Magda Hoppstock-Huth, von Käthe Kollwitz bis Ricarda Huch, von Sophie Scholl bis Angela Davis. Das Schicksal der in diesem Buch vorgestellten Frauen steht stellvertretend für das Tausender Frauen und Mädchen dieser Epoche. 1970 erklärte Bun- despräsident Heinemann in der bereits zitierten Rede, es sei an der Zeit, «dass ein freiheitlich demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders schreibt». Wir hoffen, mit diesem Buch einen Beitrag dazu leisten zu können. Gleichzeitig wollen wir mit der Veröffent- lichung derer gedenken, die im Kampf gegen Faschismus und Krieg ihr Le- ben lassen mussten. GERDA ZORN

«Lida Gustava Heymann», Nachrufe von Christine Thies und Magda Hoppstock-Huth, Ham- burg 1948, S. 8.

11

Gerda Zorn Aus dem Leben der Charlotte Gross

Ich hatte davon gehört, dass sie, als Kurier einer bekannten Widerstands- gruppe, zwischen und Berlin Material durch alle Gestapofallen brachte und noch die Verbindung hielt, als bereits Prozesse gegen Angehö- rige dieser Gruppe geführt wurden. Sie sah ganz anders aus, als ich mir eine Heldin vorgestellt hatte. Das aber war sie ohne Zweifel. Wie hatte sie es durchgestanden? Woher nahm sie die Kraft? Vor mir stand eine kleine, zierliche Frau mit ergrautem Haar, die sich äusser- lich in nichts unterschied von Frauen ihres Alters. Ich bat sie, mir etwas aus ihrem Leben, dem Leben einer Mutter und antifaschistischen Kämpferin unter dem Hakenkreuz, zu erzählen. Sie sah mich erstaunt an. «Da gibt es doch sicher andere, bedeutendere Frauen als mich.» Ihr Wesen verriet viel von dem, was sie wohl damals schon auszeichnete – das Zurückstellen der eigenen Person, die Selbstverständlichkeit, sich für die Sache einzusetzen, der sie sich verschrieben hatte. Ihr Lächeln strahlte menschliche Wärme aus, und in ihren Augen blitzte der Schalk, als sie schliesslich sagte: «Wenn es sein muss, spreche ich auch über mich – doch wo beginnen?»

«Das fing gleich nach der Machtübernahme an» Ich war verlobt mit dem Redakteur der kommunistischen Hamburger Volks- zeitung Otto Wahls. Wir wohnten in der Wohnung meines Schwiegervaters. Mein Verlobter hatte als Redakteur und Journalist die Nazis schon vor 1933 entlarvt und bekämpft. Deshalb suchten sie ihn. Sechs Hausdurchsu- chungen folgten in kurzer Zeit. Er war aber schon in die Illegalität unterge- taucht. Schliesslich nahmen sie mich in «Schutzhaft», liessen mich wieder frei, holten mich wieder. Das wiederholten sie dreimal. Im Juli 1933 war das Untersuchungsgefängnis Hamburg-Holstenglacis mit Menschen überfüllt, die in «Schutzhaft» sassen. Nach noch geltenden Ge- setzen der Weimarer Republik hätten politische Gefangene Vergünstigun- gen gegenüber anderen Gefangenen haben müssen. Wir wurden aber schlech- ter behandelt als Zuchthäusler. Wir waren vollkommen der Willkür der Ge- stapo ausgeliefert. Ich war damals in einem kleinen Saal im Untersuchungsgefängnis unterge- bracht. Wegen der immer strengeren Haftverschärfung wurde die Empö-

12 rung der Frauen täglich grösser. Wir suchten uns mit den Gefangenen in einem anderen Saal und den in Einzelhaft befindlichen in Verbindung zu setzen. Wir erklärten ihnen: «Das dürfen wir nicht stillschweigend schlu- cken. Wir müssen uns wehren. Unser Vorschlag: Hungerstreik!» Je schärfer man gegen uns vorging, um so stärker wurde unser Wille zum Widerstand. Eines Tages war es soweit. Mit allen uns erreichbaren Gefan- genen hatten wir den Beginn des Hungerstreiks festgelegt. Die Überra- schung des Gefängnispersonals war gross, als an einem Tag 32 Schutzhäft- linge die Essenannahme verweigerten. Zuerst machten sie höhnische Ge- sichter und meinten, «wenn die erst wirklich Hunger haben, werden sie schon essen». Sie hatten unseren Kampfeswillen unterschätzt. Von Tag zu Tag wurden sie unruhiger ... Am dritten Tag erschien der neueingesetzte Präsident des Strafvollzugs, um uns klarzumachen, dass unser Streik sinnlos sei und wir uns nur selbst schä- digten. Dann kam der Gefängnisarzt und versuchte, uns «zur Vernunft zu bringen». Die Kalfaktorinnen weinten und baten uns, zu essen, sie könnten unseren elenden Zustand nicht mehr mit ansehen. Natürlich ging es uns schlecht, aber unser Wille durchzuhalten und unsere Solidarität waren stärker. Jeden Tag stellte man uns nun Milch und gut duftende Milchsuppe in die Zellen – aber wir liessen alles unberührt zurückgehen. Es war gewiss nicht so einfach, wie es sich jetzt anhört. Am vierten Tag versuchte man es anders. Man sperrte uns das Wasser ab. Wir litten sehr, aber wir hatten uns bei Beginn des Streiks das Ziel gesetzt, eine Woche durchzuhalten, ganz gleich, ob wir etwas erreichen würden oder nicht. Wir hielten durch, waren aber froh, als der siebte Tag kam und wir den Abbruch des Streiks verkünden konnten. Dies um so mehr, als wir erfuhren, dass die Gefängnisbehörde mit zwangsweiser Ernährung begin- nen wollte. Als ich vier Jahre später wieder in das Untersuchungsgefängnis eingeliefert wurde, sprachen die Beamtinnen noch voller Achtung von dem Hungerstreik der Frauen im Jahre 1933. Bis 1935 traf ich mich heimlich mit meinem Verlobten. Dann schlug die Par- teileitung vor, wir sollten emigrieren. Ich bestärkte ihn, allein zu gehen, da ich um diese Zeit schon schwanger war. Die Gestapo suchte ihn und hoffte jetzt, in meinem Zustand, leichter von mir zu erfahren, wo er sich aufhalte. Um meinen Schwiegervater nicht noch mehr zu belasten – ich hatte erlebt, wie sie den alten Mann bei einer nächtlichen Hausdurchsuchung schlugen suchte ich mir ein Zimmer. Am 31. August 1935 ging ich in das Kran- kenhaus Elim zur Entbindung. Unsere Vera wurde geboren. Meine Freude über das Baby war allerdings getrübt – als einzige junge Mutter musste ich nicht nur auf den Besuch des Vaters meines Kindes verzichten, ich durfte

13 nicht einmal sagen, wer der Vater ist. Die Gestapo quälte mich ständig zu- zugeben, dass ich noch Verbindung mit meinem Verlobten hätte. Die Ju- gendbehörde stellte Nachforschungen nach dem Vater des Kindes an. Dabei ahnte ich damals nicht einmal, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Viel später erfuhr ich, dass er bei den Internationalen Brigaden in Spanien ge- kämpft hatte und dann nach Mexiko emigriert war.

Als KPD-Frauengruppe registriert «Inzwischen waren viele unserer führenden Genossen verhaftet. Es war klar, dass die Frauen der Verhafteten sich enger zusammenschlossen. Es war klar, dass ich zu ihnen gehörte. Und es war klar, dass wir trotz Verhaftung der Männner, trotz Hausdurchsuchungen, trotz Verfolgung und eigener be- reits erlittener .Schutzhaft’ die illegale Arbeit weiter machten.» Die Gestapo hatte die Frauen bereits als illegale Frauengruppe der KPD – Thälmann-Saefkow-Mindus-Behr * registriert und beobachtete jeden ihrer Schritte. Natürlich wandten die Frauen alle Vorsicht und Klugheit an, dennoch standen auch sie noch in einem Lernprozess gegen die Übermacht, die alles daran setzte, sie zu vernichten. Lotte Gross wurde zum vierten Male verhaftet: «Im März 1936 erfolgte meine vierte Verhaftung durch die Gestapo. Morgens um sechs Uhr klingelten sie. Die Wohnungsinhaberin, bei der ich das Zimmer gemietet hatte, wurde ebenfalls mitgenommen. Wir mussten mein sieben Monate altes Baby allein zurücklassen. Die Gestapo- Männer sagten, irgend jemand würde das Kind schon ins Waisenhaus brin- gen. Den ganzen Tag wurde ich im Stadthaus vernommen. Man drohte, ich würde mein Kind nie wiedersehen, man würde es zu einem Nationalsozia- listen erziehen. Ich bekam Angstzustände und hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Diese Zustände wiederholten sich später im KZ, sobald die Aufseherinnen auf mein Kind zu sprechen kamen. Fünf Monate behielten sie mich in Einzelhaft, dann wurde ich ohne weitere Verhöre entlassen. Ich fand das Kind bei einer guten Familie. Meine Genos- sen hatten es dort untergebracht. Der Betrieb, in dem ich bis zur Entbin- dung gearbeitet hatte, stellte mich wieder ein. Das ging bis 1937 – dann, im Januar, wurde ich am Arbeitsplatz verhaftet. Zwei Wochen wurde ich täglich ins Stadthaus zum Verhör gebracht. Wir waren ca. 20 Häftlinge, die in einem grossen Raum, mit dem Gesicht zur Wand, völlig reglos unter SS- oder SA-Bewachung stehen mussten und auf das Verhör warteten. Bei der geringsten Bewegung stiess man unseren Kopf an die Wand und schlug uns.

* Rosa Thälmann, Thea Saefkow, Grete Mindus, Charlotte Behr-Gross. Vgl. dazu Hochmuth/ Meyer «Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933-1945», 1969, S. 525.

14

Während des Verhörs wurde ich Menschen gegenübergestellt, die ich nicht kannte und die mich nicht kannten. Fragen wurden gestellt. Bei jeder Verneinung schlug mir der verhörende Gestapomann ins Gesicht. Da ich beim ersten Schlag gleich vom Stuhl fiel, setzte er mich so, dass ich rechts und links Halt zwischen Wand und Tisch hatte. Nach dem fünften Schlag erklärte ich, dass ich schwanger sei. Das Verhör wurde abgebrochen.» Ich überlegte, wie es möglich sei, dass in einer so zarten, ja zierlichen Frau so viel Kraft steckt. Sie hatte mir einige Fotos aus der damaligen Zeit ge- zeigt. «Die wenigen, die ich aus dieser Zeit noch besitze. Das, was nicht von der Gestapo beschlagnahmt oder zerrissen wurde, hat später der Krieg ver- nichtet. Auch meine Wohnung in Hamburg wurde ein Opfer der Bomben», erklärte sie. Dann zeigte sie mir Bilder ihrer inzwischen gross gewordenen Kinder.

Der Junge kam im Gefängnis zur Welt Ich erfuhr, dass Charlotte Gross in den Monaten ihrer «Freiheit» einen Ge- nossen kennen- und liebengelernt hatte, der bereit war, das schwere Leben mit ihr zu teilen. Gemeinsam hofften sie auf eine Zukunft nach diesem «dritten» Reich. Gemeinsam freuten sie sich über die Entwicklung des Ba- bys Vera. Sie wollten heiraten, aber die erneute Verhaftung trennte sie wie- der. Charlotte wurde nach ihrer Erklärung, dass sie schwanger sei, zwar nicht mehr geschlagen, aber sie kam zurück ins KZ Fuhlsbüttel. Fünf Wo- chen Einzelhaft! Fünf Wochen niemanden, mit dem sie sprechen konnte. Fünf lange bange Wochen, in denen sie nicht wusste, was weiter mit ihr geschehen würde. Schliesslich kam sie in Gemeinschaftshaft und wurde nach weiteren drei Monaten endlich dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Er er- klärte, er erhebe keine Anklage. Angesichts ihres Zustandes hoffte sie nun, frei zu kommen, aber die Gestapo hatte Rückführung ins KZ angeordnet. Sie bekam weder Milch noch die Möglichkeit, länger als die übliche halbe Stunde auf dem Hof frische Luft zu schöpfen. «Es war schrecklich. 20 Betten in einem Saal, der an den Fenstern nur kleine Luftklappen hatte. Die Verpflegung reichte nicht einmal für mich, wie sollte ich unter diesen Umständen ein gesundes Kind zur Welt bringen? Und dann die Drohung, mir das Kind nach der Entbindung wegzunehmen und in ein Waisenhaus zu stecken ... Ich bekam Sodbrennen, Verdauungs- schwierigkeiten, Ohnmachtsanfälle und litt unter Luftmangel. Die Angst um das Kind machte mich krank. Vier Wochen vor der Entbindung über- führten sie mich in das Lazarett des Berliner Frauengefängnisses. Hier be- kam ich endlich etwas Milch und Suppe. Am 13. August 1937 wurde der Junge geboren. Er war so zart, dass ich fürchtete, er stirbt mir unter den

15

Händen. Ich nannte ihn Etkar nach unserem Genossen Etkar Andre, den die Nazis im März 1933 verhaftet hatten und der 1936 hingerichtet wurde. * Mein Sohn sollte so stark und mutig werden wie er. Wenn ich allerdings daran denke, welch kleines zartes Bündel damals in der Zelle neben mir lag . . . Gemeinsam verbrachte ich mit meinem kleinen Etkar die vielen ein- samen Stunden in der Einzelzelle. Es schmerzt mich heute noch, wenn ich daran denke, dass wir täglich nur die kleine halbe Stunde an die Luft durf- ten. Jeden Sonnenstrahl, der durch unser Gitterfenster kam, nutzte ich, das Baby in das wärmende Licht zu halten. Immer in dem Gedanken, es könnte das letztemal sein. Oft genug drohten sie mir, ihn wegzunehmen. Dass ich ihn elf Monate bei mir hatte, verdanke ich dem Gefängnisarzt. Er betonte der Gestapo gegenüber immer wieder die zarte Konstitution des Kindes, bis meine Schwiegermutter die Erlaubnis erhielt, ihn zu holen .. Einige Wochen später wurde Charlotte Gross in das Reichsfrauenlager Lich- tenburg überführt. «90 Frauen in einem Tages- und Schlaf raum! Dieses ständige Beisammen- sein mit Frauen, die grösstenteils aus schlechten Verhältnissen kamen, war schlimmer als die Einzelhaft. Jeder Häftling hatte nur einen bestimmten Sitzplatz, den er nicht ohne Grund verlassen durfte. Arbeit gab es nicht. So sassen wir in dieser schlechten Luft und warteten, warteten ... Es gab nur zwei Toiletten. Sie waren ständig besetzt. Als der Winter kam, wütete eine Grippe-Epidemie, von der auch ich erfasst wurde.» Endlich, Ende April 1939, wurde sie entlassen. Die zukünftige Schwieger- mutter nahm sie auf, aber die geplante Heirat war wiederum nicht möglich. «Die Wehrmacht hatte meinen Verlobten zu einer dreimonatigen militäri- schen Ausbildung beordert. – Als die drei Monate vorbei waren, wurde er nicht entlassen, sondern kam sofort zum Einsatz nach Polen. Was wir schon vor 1933 gesagt hatten, trat ein. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg – der Krieg begann. Als der Polenfeldzug beendet war, bekam Etkars Vater Urlaub. Wir konnten endlich heiraten. Aber der Krieg ging weiter, und mein Mann musste wieder an die Front...»

Kurier der illegalen KPD Der Krieg stellte alle antifaschistischen Kräfte vor grössere und schwerere Aufgaben als bisher. Neue Formen mussten gefunden, neue Verbindungen geknüpft werden. 1937-1940 waren verschiedene politische Gefangene aus Zuchthäusern und dem KZ Sachsenhausen entlassen worden, darunter die Hamburger Kommunisten Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Robert

Das Todesurteil wurde am 4. 11.1936 in Hamburg vollstreckt.

16

Abshagen. Sie hatten den Faschismus in seiner brutalsten Form erlebt und blieben entschlossen, dieses Regime zu bekämpfen. Es gelang ihnen, in Hamburg und im norddeutschen Raum eine Vielzahl kleiner Widerstands- gruppen in Betrieben, Sportvereinen und Wohngebieten zu erfassen und zu organisieren. Unter ihrer Leitung wuchs eine bedeutende Widerstandsorga- nisation, zu der Lotte Gross gehörte. Sie berichtet darüber: «Durch Käthe Jacob wurde ich mit ihrem Mann Franz Jacob bekannt. An- ton Saefkow kannte ich schon vor 1933. Nach seiner Entlassung aus dem KZ traf ich ihn einmal in Berlin und berichtete später Franz Jacob davon. Er schlug vor, Kontakt mit Saefkow aufzunehmen und ihn über die Auffas- sung der Hamburger Leitung zur politischen Lage zu informieren. In sei- nem Auftrag fuhr ich im Sommer 1942 nach Berlin zu Anton Saefkow und brachte ihm eine entsprechende Schrift. Saefkow war begeistert, dass wir in Hamburg eine Organisation hatten, die solches Material herausgeben konnte.» Das Wachsen der Organisation und ihr Einfluss blieben der Gestapo nicht verborgen. Sie merkte, dass sich der Widerstand im Laufe des Krieges ver- stärkt hatte, und fürchtete, dass sich ihre Gegner trotz Terror und brutaler Verfolgung organisatorisch festigen und ausbreiten würden. Sie versuchten, V-Männer, bezahlte Agenten und Provokateure in die Widerstandsgruppen einzuschleusen. Im Oktober setzte schliesslich das Reichssicherheitshaupt- amt eine Sonderkommission zur Aufrollung der Widerstandsorganisation Bästlein-Jacob-Abshagen ein. Fast einhundert Männer und Frauen, die zur Hamburger Organisation gehörten, wurden schlagartig verhaftet. Franz Ja- cob konnte fliehen und versteckte sich mit Hilfe seiner Frau, mit Unter- stützung von Charlotte Gross und anderen Freunden, vier Wochen lang in Hamburg. Seine Situation wurde immer schwieriger. Obwohl die Gestapo nach ihm fahndete, traf sich Charlotte Gross heimlich mit ihm. Sie fuhr für ihn nach Berlin, um mit Anton Saefkow seine illegale Unterbringung in Berlin zu beraten. Schliesslich gelang ihm die Flucht nach Berlin. Charlotte Gross blieb Kurier zwischen Hamburg und Berlin. Sie war es auch, die Jacob im Dezember 1942 die Nachricht überbrachte, dass er Vater geworden sei: «Er hatte sich eine Tochter gewünscht, und es war eine Tochter. Ich musste ihm schildern, wie diese Tochter Ilse aussah, wie es seiner Frau Katharina ging, wie sie alles überstanden hatte. Er liebte Kinder und hatte sich sehr auf das Baby gefreut. Ich werde nie vergessen, wie er sagte: ,Und ich kann es nicht sehen .. Obwohl er und seine Freunde im ganzen Reich von der Gestapo gesucht

17 wurden, obwohl Steckbriefe über sie im Kriminalpolizeiblatt * erschienen, baute er mit Anton Saefkow und anderen 1943/44 in Berlin und Branden- burg eine der grössten Widerstandsorganisationen auf, die es während des Krieges gab. Zu ihr kamen auch Angehörige der inzwischen zerschlagenen Schulze-Boysen/Hamack-Gruppe. Lotte Gross berichtet über diese Zeit: «1943/44 überbrachte ich des Öfteren Analysen über die innenpolitische Situation und die Lage an den Fronten. Es war die Zeit, als mit Stalingrad die Wende kam, aus der wir alle neue Hoffnung schöpften. Ich nahm Ma- terialien über das Nationalkomitee Freies Deutschland, das für unsere Ar- beit von grosser Bedeutung war, von Berlin nach Hamburg mit und Flug- blätter, die an die Bevölkerung gerichtet waren. Als der Prozess gegen die Genossen der Jacob-Bästlein-Abshagen-Widerstandsorganisation im Mai in Hamburg 1944 begann, fuhr ich mehrfach nach Berlin, um Franz Jacob und Anton Saefkow zu informieren. Wir trafen uns in einer Laube, bis auch das zu gefährlich wurde ... Franz verfasste Flugblätter, die sich mit der Ter- rorjustiz in Hamburg auseinandersetzten. Ich nahm diese Flugblätter nach Hamburg mit, wo sie verteilt wurden.» Verteilt – wie einfach das klingt. Ich dachte an Falladas Roman «Jeder stirbt für sich allein». Mit welchen Gefahren war es seit 1933 verbunden, nur ein einziges Flugblatt gegen die Nazis irgendwo niederzulegen oder gar zu verlieren! Hier aber ging es darum, Genossen, Freunde und solche, die für den antifaschistischen Kampf gewonnen werden sollten, zu informie- ren. Das bedeutete, dass immer eine Anzahl von Menschen von der illegalen Tätigkeit wusste. Als die Todesurteile gegen die Angehörigen der Hamburger Gruppe ver- kündet wurden, überbrachte Charlotte die Nachricht nach Berlin. «Ich erinnere mich noch, wie die Berliner Genossen über diese Urteile er- schüttert waren und wieviel Überlegungen Franz Jacob anstellte, die Flug- blätter so zu verfassen, dass sie die Hamburger aufrütteln könnten, die Ge- nossen zu retten. Mein letztes Treffen mit Franz hatte ich am 16. Juni 1944 in Berlin. Von dieser Kurierfahrt brachte ich ausser einer Reihe von Schriften und Flug- blättern des Nationalkomitees Freies Deutschland auch ein Exemplar einer parteiinternen Niederschrift Anton Saefkows und Franz Jacobs mit. Sie sollte sicher aufbewahrt werden. Der Genosse, der sie versteckte, musste

* Sonderausgabe «Deutsches Kriminalpolizeiblatt» vom 3. 2. 1943, vgl. dazu Hochmuth/Meyer «Streiflichter..S. 361.

18 sie aber vernichten, als die Gefahr zu gross wurde, dass sie der Gestapo in die Hände fiel.»

Die grosse Verhaftungswelle Trotz der Verfolgung und der Todesurteile gegen ihre Hamburger Genossen intensivierten Saefkow und Jacob ihre Arbeit. Sie hatten Kontakte zu Wi- derstandsgruppen im Ruhrgebiet, in Sachsen, Thüringen, Hamburg, Mün-

19

20 chen, Breslau, Königsberg und anderen Städten. * Im Frühjahr 1944 nah- men sie Verbindung zu den Sozialdemokraten Adolf Reichwein und Julius Leber auf, die sich dem Kreisauer Kreis angeschlossen hatten. Anfang Juli 1944 wurden sie von der Gestapo verhaftet; gleichzeitig meh- rere hundert Männer und Frauen in Berlin, Brandenburg, Sachsen, Thü- ringen, Hamburg und anderen Orts, darunter Charlotte Gross und Katha- rina Jacob. In den im Herbst 1944 folgenden Prozessen wurden gegen an- nähernd 400 Angehörige der von Saefkow, Jacob, Bästlein, Neubauer und Schumann geleiteten Widerstandsorganisationen Todesurteile verhängt, die anderen erhielten hohe Freiheitsstrafen. ** Auch gegen Charlotte Gross wurde die Todesstrafe beantragt. Sie erzählt: «Ich war, nachdem ich in Hamburg die letzten Flugblätter abgeliefert hatte, in Urlaub nach Thüringen gefahren. Es war der 6. Juli 1944 – ein herr- licher Sommertag. Die Menschen um mich herum lebten, als ginge alles sei- nen .normalen’ Gang. An den Krieg hatten sie sich gewöhnt. Zwar fielen täglich Männer, Väter, Söhne, aber es wurden weiter Feste und Hochzeiten gefeiert und Kinder geboren. Obwohl ich immer damit gerechnet hatte, dass die Gestapo mich eines Tages wieder holen könnte, traf es mich hart, als diesmal SS-Männer in ihren schwarzen Uniformen kamen, um mich abzu- führen. Wohin würden sie mich bringen? Wir – d.h. meine Genossen – waren so guter Hoffnung, dass dieser Krieg bald zu Ende ging. Die Lage an den Fronten wurde für Hitlerdeutschland immer schlechter – es konnte nicht mehr allzulange dauern, und Deutschland würde frei sein. Wir wür- den endlich wieder frei atmen können . . . Hatte ich in der lieblichen Thü- ringer Landschaft wirklich davon geträumt? Jetzt sass ich im Gefängnis der Gestapo in Berlin-Potsdam. Die Folterungen, mit denen sie versuchten, aus mir herauszupressen, wo die Flugblätter seien, rissen mich zurück in die Wirklichkeit der Nazityrannei. Von mir würden sie nichts erfahren. Ich blieb dabei, ich hätte die Flugblätter verbrannt . . . Manchmal glaubte ich, das Schlimmste läge hinter mir. Doch es wurde noch schlimmer, hier in diesem schrecklichen Gefängnis, in dem es zu viele Wanzen und wenig zu essen gab. Drei Frauen waren in eine kleine Einzelzelle eingesperrt. Die Ver- höre wurden vor allem nachts durchgeführt. Ständig lauschten wir, wenn die schweren Stiefel der SS näher kamen, vor welcher Zellentür sie wohl haltmachten. Kurzverhöre und Gegenüberstellungen fanden gleich auf dem Flur statt. Dabei hagelte es Tritte und Schläge. Wir hörten die Schreie der Gequälten durch die Zellentür. Wir froren entsetzlich – man hatte uns

* Vgl. «Streiflichter...», ebda. S. 364. ** Vgl. ebda. S. 368 sowie Gerhard Nitzsche «Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe, Dokumente und Materialien des antifaschistischen Kampfes», Berlin 1957.

21

alles abgenommen bis auf das, was wir am Leibe trugen. Es gab nicht ein- mal Monatsbinden, so dass wir unsere Strümpfe dafür benutzten. Und dann der Hunger – es war die schlimmste Hungerzeit, die ich je durch- machte. Nach dreieinhalb Wochen wurde ich zum ersten Verhör geholt – es endete mit Schlägen und Fingerquetschungen ... Wir waren in einem unbeschreiblich verwahrlosten Zustand, als sie uns nach viereinhalb Wochen endlich ins Untersuchungsgefängnis nach Berlin- Moabit und von dort in das Berliner Frauengefängnis Barnimstrasse brach- ten.»

Ich blieb am Leben «Am 20. September 1944 beantragte der Staatsanwalt gegen mich die To- desstrafe. Dass der Richter mich schliesslich ,nur’ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilte, wundert mich heute noch. Auch dass ich noch lebe. Wenn ich daran denke, was alles noch folgte: Die Zuchthäuser Lübeck, Cottbus und dann Jauer in Schlesien. Von dort ging es, als die Front näherrückte, auf den Todesmarsch. «Todesmarsch» nannte man jene für die meisten Häftlinge tödlichen Eva- kuierungen aus den Zuchthäusern und Konzentrationslagern, wenn die «Front» näherrückte. So brutal war dieses Regime, dass es seine inneren Feinde nicht einmal seinen äusseren Feinden überliess. Sie schleppten ihre Opfer, deren politischen Widerstand sie nicht brechen konnten, noch mit sich, als an der Ostfront die Rote Armee und an der Westfront die Alliier- ten die deutschen Grenzen bereits überschritten hatten. «Es war Ende Januar 1945, als das ganze Frauenzuchthaus Jauer evakuiert werden sollte, weil die Front näherrückte. Wir hörten bereits das Schiessen, als wir morgens, 5.30 Uhr, zum Abmarsch antreten mussten. Ein langer Zug von 950 gefangenen Frauen. Es war sehr kalt, und es fing auch noch an zu schneien. Wir hatten zum Teil nur Holzpantoffeln oder leichte Sommer- schuhe. Wir liefen und liefen. Nach einigen Stunden brachen die ersten zusammen. Es waren meist ältere Frauen und langjährige Häftlinge, die den Strapazen in Eis und Schnee nicht gewachsen waren. SS-Männer und SS-Frauen begleiteten uns – ausgerüstet mit Pistolen und Reitpeitschen. Daneben liefen noch einige Aufseherinnen des Zuchthauses. Wir kamen sehr langsam voran. Wer zusammenbrach, wurde am Ende des Zuges von der SS erschossen. So schleppten wir uns mehr tot als lebendig voran. Ver- schiedene Häftlinge versuchten zu fliehen. Auf jeden Fliehenden wurde sofort scharf geschossen. Wer lebend eingeholt wurde, wurde ausgepeitscht. Am ersten Tag erreichten wir abends eine grosse Ziegelei, in die man uns sperrte. Es zog an allen Ecken und Enden. Wir mussten auf dem nackten

22

Fussboden kampieren. Am nächsten Morgen ging es weiter durch Schnee und Regen über die Landstrassen. Abends gelangten wir an eine Scheune, in die man uns sperrte. Viele hatten erfrorene Füsse und grosse Schmerzen. Sie mussten wie alle am nächsten Tag weiter, bis sie zusammenbrachen. Viele hatten die Ruhr und starben unterwegs. Nach sieben Tagen erreich- ten wir in Görlitz das Gefängnis – 600 Frauen von 950, die in Jauer ab- marschiert waren! Ich wurde mit elf anderen Frauen in einer Zwei-Mann-Zelle untergebracht. Es war so eng, dass wir uns nur, zu je sechs Frauen, auf dem Fussboden ge- genübersitzen konnten. Nachts legten wir uns auf eine Seite – zum Aus- strecken reichte der Platz nicht. Das Gefängnis war übervoll. Wie in allen Zellen, hatten auch wir nur einen Kübel, der dazu nur einmal am Tag ge- leert wurde. Der Gestank war entsetzlich. Trotzdem waren wir froh, hier wenigstens eine Woche vor der SS sicher zu sein ... Nach einer Woche ging der traurige Marsch weiter. Jetzt waren wir nur noch 550 Frauen, die zu Fuss, aber auch per Bahn – in Viehwagen – immer unter Bewachung weitertrans- portiert und -getrieben wurden. Mit jedem Tag rückten die Fronten inner- halb Deutschlands näher auf Berlin zu. Sie wussten wohl selbst nicht mehr, wohin sie uns bringen sollten. Trotzdem bewachten sie uns scharf und liessen niemanden flüchten. Manchmal wurden unsere Viehwaggons abgekoppelt und blieben stundenlang auf offener Strecke stehen. Wir durften dann nicht einmal die Wagen verlassen. Wir hockten darin und waren vollkommen durchgefroren. So waren wir einige Wochen unterwegs, bis wir endlich befreit wurden.» Der Krieg und mit ihm die Nazidiktatur waren vorbei. Wie war es möglich, dass ein Mensch das alles ertragen konnte, ohne aufzugeben oder daran zu zerbrechen? Ist es wirklich so, dass Leiden den Schwachen stärker, den Star- ken aber noch stärker macht? Lotte Gross wusste, wofür sie kämpfte. Sie hatte die harte Schule des Klassenkampfes schon vor 1933 absolviert. Als ungelernte Arbeiterin, die das Vertrauen ihrer Kollegen genoss, wurde sie Betriebsrätin. Als das Millionenheer der Erwerbslosen immer stärker an- wuchs, das Elend immer grösser wurde, organisierte sie mit ihren Genossen Aktionen der Betriebsarbeiter und Erwerbslosen. Sie verteilte Flugblätter, die zur Demonstration aufriefen und – wurde das erstemal in ihrem Le- ben verhaftet. Damals war sie ein junges Mädchen. Aus dieser Kampfzeit kannte sie Anton Saefkow und andere junge Kommunisten, die später im Widerstand gegen Hitler standen. Sie wurde genausowenig als Heldin ge- boren wie andere ihres Geschlechts, die in der Geschichte der Arbeiter- bewegung eine Rolle spielten. Sie wuchs mit ihren Aufgaben. Das Ver- trauen, das sie erst bei ihren Kolleginnen genoss, später in der Widerstands-

23 bewegung, beflügelte sie, die schwierigsten Aufgaben der Illegalität zu lö- sen. Dazu kam die Gewissheit, dass die Nazityrannei eines Tages zerschla- gen wird. Diesen Tag wollte sie erleben. So hielt sie durch.

Und heute? Was macht diese fast 70jährige Frau heute? Ist sie noch immer politisch tätig? «Ich versuche, alten und kranken Kameraden zu helfen und vor allem im Rahmen der Sozialen Kommission der VAN* meine Kameraden bei der Durchsetzung ihrer Entschädigungsansprüche für ehemalige Widerstands- kämpfer zu beraten.» Ich meinte, dass dies kein Problem sei, da die Entschädigung doch staat- licherseits geregelt ist. Schliesslich wurde doch durch das Bundesentschä- digungsgesetz vom 29. Juni 1956 für ehemalige Widerstandskämpfer und Verfolgte gesorgt. In der Präambel heisst es ausdrücklich: «Der aus Über- zeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens Willen gegen die natio- nalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand war ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates.» Sie sieht mich skeptisch an: «Leider sieht es in der Praxis etwas anders aus. Vielen ehemaligen kommunistischen Widerstandskämpfern wurden wäh- rend des kalten Krieges unter Adenauer mit Hilfe des § 6 dieses Bundesent- schädigungsgesetzes ihre Rechte auf Wiedergutmachung aberkannt oder verweigert. Daran hat sich bis heute nichts geändert.» Nachdenklich verabschiedete ich mich von dieser ungewöhnlichen Frau, die nie aufgehört hat für das Recht zu kämpfen – unauffällig und bescheiden.

Charlotte Gross geb. Behr Geb. 1905 als Zweitälteste von fünf Geschwistern im damaligen Posen. Da die Mutter früh verstarb, musste sie den Haushalt führen. Später ging sie als ungelernte Arbeiterin nach Berlin. In einem Berliner Metallbetrieb wird sie von ihren Kollegen als Vertrauens»mann» gewählt und schliesslich Betriebs- rätin. Aktives Mitglied der Arbeiterbewegung. 1929 bis 1932 in Essen, danach in Hamburg tätig. 1933 bis 1945 in der Widerstandsbewegung, mehrfach verhaftet und ein- gesperrt in Konzentrationslager und Zuchthäuser. Mutter von zwei Kindern. Nach 1945 politisch aktiv und, soweit es die durch Verfolgung und Haft ge- schädigte Gesundheit zulässt, auch heute noch.

* Vereinigte Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten – Bund der Antifaschisten, Hamburg.

24

Bertolt Brecht Wiegenlied

Als ich dich in meinem Leib trug, War es um uns gar nicht gut bestellt. Und ich sagte oft: Der, den ich trage, Kommt in eine schlechte Welt.

Und ich nahm mir vor, zu sorgen, Dass er sich da etwa auch nicht irrt. Den ich trage, der muss sorgen helfen, Dass sie endlich besser wird.

Und ich sah da Kohlenberge Mit ’nem Zaun drum. Sagt ich: nicht gehärmt! Den ich trag, der wird dafür sorgen, Dass ihn diese Kohle wärmt.

Und ich sah das Brot hinter Fenstern, Und es war den Hungrigen verwehrt. Den ich trage, sagt ich, der wird sorgen, Dass ihn dieses Brot da nährt.

Und sie holten seinen Vater In den Krieg, und ist nicht heimgekehrt. Den ich trage, sagt ich, der wird sorgen, Dass ihm das nicht widerfährt.

Als ich dich in meinem Leib trug, Sprach ich leise oft in mich hinein: Du, den ich in meinem Leibe trage, Du musst unaufhaltsam sein.

25

Ingeborg Küster Verlobung in Oranienburg

Fritz Küster war vom Februar 1929 bis zum Verbot im März 1933 geschäfts- führender Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft für das Deut- sche Reich und Herausgeber der Wochenschrift «Das Andere Deutschland», die von der Mehrheit aller Mitglieder der Friedensgesellschaft gelesen wurde. Getreu seiner mutigen und konsequenten Haltung führte Fritz Kü- ster nach der «Machtübernahme» am 30. Januar 1933 unerschütterlich sei- nen Kampf gegen die Nationalsozialisten fort, leitete Ende Februar noch eine grosse Versammlung gegen das Regime und brachte bis zum 4. März seine Zeitung heraus. Am 6. März 1933 wurde Fritz Küster verhaftet. Er durchlief die Stationen Polizeipräsidium, die Gefängnisse Berlin-Moabit und Plötzensee, das Konzentrationslager im alten Zuchthaus zu Branden- burg/Havel. Von dort kam er in das KZ Oranienburg, wo er in engem täg- lichen Kontakt mit Erich Mühsam bis zu dessen Ermordung war. Ich war Fritz Küsters Sekretärin gewesen und auch seine Freundin. Gegenüber der Gestapo gab ich mich als seine Verlobte aus, da er keine Angehörigen hatte, die seine Rechte hätten wahmehmen können. Einen Ring konnte ich leicht beschaffen. Bei einem Besuch im Konzentrationslager Oranienburg sass ich meinem Chef gegenüber. Jede Häftlingsfrau war flankiert von SA-Männern, ebenso die Gefangenen. Der Aufsichtführende, den die Gefangenen «Himmelstoss» nannten, lief ständig mit einem grossen Schäferhund in der Halle der ehe- maligen Brauerei umher und stiess ab und zu ein fürchterliches Gebrüll aus, das die Frauen einschüchtern sollte. Etwas abseits von uns sah ich die jüdi- schen Häftlinge, besonders gekennzeichnet, mit geschorenem Kopf. Mein Chef zeigte mir Erich Mühsam, dessen Gesicht Verzweiflung und auch Re- signation ausdrückte. Wie bei allen Häftlingen war auch der Anzug meines Chefs mit roter Men- nige bestrichen, um einen Fluchtversuch zu erschweren. Die Bangigkeit, das Herzklopfen der Frauen schien sich in der Luft zu verdichten. Alle rede- ten auf ihre Männer ein, um so schnell wie möglich von daheim, ihren täg- lichen Nöten und den Kindern zu berichten. Mein Häftling und ich schwiegen. Über Politik durften wir nicht sprechen und das Glück, einander zu sehen, konnten wir schweigend besser ausko- sten. Mein Chef griff nach meiner linken Hand. Er streichelte den Ver- lobungsring, liess seinen Finger darum kreisen und sagte dann, indem er

26 mich ansah: «Der Ring steht dir gut. So gut, dass du ihn von jetzt an immer tragen sollst.» Ich begriff, dass dies meine Verlobung war und konnte keinen Ton hervor- bringen. Auf Gedeih und Verderb fühlte ich mich mit dem Mann mir gegen- über nun auch vor aller Welt verbunden. Wie auch die anderen Frauen, war ich durch die Verhaftung zusätzlich zur seelischen Not in grosse materielle Schwierigkeiten geraten. Eine Kolonne von SA-Männern hatte Mitte März das Büro verwüstet, alle Konten waren beschlagnahmt und das bewegliche Mobiliar abtransportiert worden. Mir verweigerte man aus politischen Gründen eine Anstellung, auch eine Arbeitslosenunterstützung wurde ab- gelehnt, so dass ich notdürftig mit 6,60 Mark von der Fürsorge über Wasser gehalten wurde. Ich war also genauso mittellos wie mein Verlobter, dessen Leben ich täglich auf das schwerste gefährdet wusste. Hätte man mir pro- phezeit, dass ich nach dieser Verlobung, ein Jahr nach seiner Verhaftung, noch mehr als vier weitere Jahre im Bemühen um seine Freilassung ins Ge- stapo-Hauptquartier in Berlin gehen und zwei weitere Konzentrationslager bei Besuchen kennenlemen würde, so hätte dieses Bewusstsein im Jahre 1934 mein Glück nicht geschmälert. Ein ganzes Jahr lang hatte mein Chef versucht, mich durch kalte und unpersönliche Briefe zu entmutigen. Zur Zeit seiner Verhaftung war ich 23 Jahre alt. Er meinte, ein Politiker dürfe keine Frau an sich binden. Einmal verbot er mir geradezu, auf ihn zu war- ten und malte mir die Zukunft in düsteren Farben aus. Aber ich hatte dies richtig gedeutet. Fritz Küster dachte nie an seinen persönlichen Vorteil, ich sollte die Entbehrungen dieser Jahre nicht seinetwegen auf mich nehmen. Ein Jahr später wusste er, dass meine persönliche Zuneigung und eine feste politische Überzeugung durch nichts zu erschüttern waren. Er wusste, dass ich unser gemeinsames Schicksal längst voll und ganz angenommen hatte. Die Verlobung in Oranienburg war nur die Besiegelung dieses zweifachen Gelöbnisses.

Ingeborg Küster geb. Andreas Geb. 1909 in Wuppertal-Barmen. 1918 Umzug nach Norddeutschland. Be- such des Lyzeums in Harburg/Elbe. 1928/29 Tätigkeit bei der von Prof. Friedrich Wilhelm Foerster herausge- gebenen pazifistischen Zeitschrift «Die Menschheit» in Wiesbaden. 1929 bis 1931 Sekretärin des geschäftsführenden Vorsitzenden der Deut- schen Friedensgesellschaft, Zentrale Berlin. Drei Semester Hochschule für Politik in Berlin bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten.

27

Ab 1931 Redaktionssekretärin bei dem Herausgeber der politischen Wo- chenzeitung «Das Andere Deutschland», Fritz Küster, bis zum Verbot und zur Verhaftung des Chefs. Danach längere Zeit arbeitslos und schliesslich Stenotypistin in verschiedenen Büros. Bis zur Entlassung Fritz Küsters im Herbst 1938 aus dem Konzentrationslager Besuch des Häftlings in mehre- ren KZ-Lagem. Nach der Entlassung Heirat. Zwei Kinder. Nach dem Krieg Lizensierung der Wochenzeitung «Das Andere Deutsch- land» unter dem alten Namen. Kampf gegen die Wiederaufrüstung. Mit- begründerin der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung und der Zeit- schrift «Frau und Frieden». Ab 1963 alleinige Herausgeberin von «Das An- dere Deutschland». 1969 Einstellung der Zeitung aus finanziellen Gründen. Weiterhin Herausgabe von «Frau und Frieden». Ausgedehnte Reisen, u.a. viermal ganz Ägypten bis zum Sudan bereist, viermal die Sowjetunion, 1967 Rundreise durch Cuba usw. Berichte und Vor- träge darüber bis in die Gegenwart.

28

Ruth Gleissberg Abschied und Heimkehr

Es war in Berlin. Im Frühling 1935 schob ich den Kinderwagen mit Peter und Ronny die Strasse «Unter den Linden» entlang. Die beiden gehörten zu der halbjüdischen Familie F., mit der ich im Herbst 1936 nach England emi- grieren sollte. Da begegnete mir M., eine der Jugendgenossinnen aus dem ISK (Internationaler Sozialistischer Kampfbund), in dessen Reihen ich ein halbes Jahr vor dem Sieg des braunen Feindes meine ersten politischen Schritte getan hatte. Es war die erste Wiederbegegnung, seit wir in den Wäldern um Berlin am 1. Mai 1933 im Zelt versteckt und mit gedämpfter Stimme zusammen die Internationale gesungen hatten – ein entscheidende Begegnung; denn sie führte mich wieder mit einigen Berliner Genossen zu- sammen und später in England zu den emigrierten und englischen Mitglie- dern dieses Internationalen Sozialistischen Kampfbundes. Ich war den Nazis gegenüber in der gleichen Situation wie meine Pfleglinge, nämlich «halbjüdisch». Mein Vater, ein jüdischer Arzt, war im ersten Welt- krieg gefallen, und meine Mutter hatte meinen Bruder und mich durchge- bracht, indem sie eine Privatschule führte. Es lag nahe, dass sie uns beide aus der Gefahr heraus wünschte. (Mein Bruder verliess 1937 Deutschland und ging in die USA, so dass unsere Familie die Hitlerzeit in drei verschiedenen Ländern verbrachte.) Ich hatte meinen geliebten Montessori-Kindergarten, dessen Mitarbeiterin ich war, schon verlassen müssen, zusammen mit allen ganz- und halbjüdischen Kindern. Ich wünschte mir glühend, am illegalen Kampf teilnehmen zu können. Ich wäre dann nach kurzer Zeit aus England nach Deutschland zurückgekehrt. Da ich aber ein politischer Anfänger war, rieten mir meine Genossen zur antifaschistischen Arbeit in der Emigration. Ich war noch nicht lange in , als ich erfuhr, dass meine Mutter ihre Schule geschlossen hatte und sich nun mit ihrer kärglichen Pension und Pri- vatstunden durchschlagen musste. Man hatte von ihr verlangt, dass sie den Kindern ihrer jüdischen Verwandten und deren Freunden ihre Schule ver- schlösse. Dazu war sie, ein bürgerlich-liberaler Mensch, nicht bereit. Zur Ausübung meines Berufes als Kindergärtnerin hatte ich in der Emigra- tion keine Gelegenheit, aber welcher deutsche Emigrant hatte schon das Glück, sein Fachkönnen nutzen zu dürfen? Wie viele von uns begann auch ich als Hausangestellte und wechselte dann über in das Büro eines jüdi- schen Emigranten-Komitees im berühmten «Bloomsbury-House», einem alten Londoner Hotel, in dem sich die ganze Betreuungsarbeit für Tau-

29 sende von Flüchtlingen aus Hitlers Reich und später den eroberten Län- dern konzentrierte. Als der Krieg ausbrach, entschloss ich mich, einen kur- zen Metallarbeiterlehrgang durchzumachen, um in die Flugzeugproduktion zu gehen. Es befriedigte mich, auch durch meine tägliche Arbeit zur Ver- nichtung der Nazis beizutragen. Nein – es hat mich nicht beunruhigt, dass «meine» Flugzeuge Bomben auf meine alte Heimat hätten werfen können. So selbstverständlich war mir die Notwendigkeit des antifaschistischen Kampfes, auch mit diesen Mitteln. Inzwischen fühlte ich mich ganz als Engländerin, nicht nur durch meine Heirat mit einem englischen Genossen, sondern durch mein Leben in dieser gewaltigen Stadt London mit seinen liebenswerten, kaltblütigen und mir ein wenig lächerlich erscheinenden Menschen, die auf ihre Art gemeinsam mit uns Hitler bekämpften. Daran änderten auch nichts die gehässigen, anti- deutschen Angriffe eines Mädchens, in deren Nähe ich in meinem Flug- zeugwerk arbeitete. Wie grossartig war dagegen die Haltung der Kollegen, deren Betriebsrat mit einer offiziellen Entschuldigung zu mir kam! Der wichtigste Grund für mein Zugehörigkeitsgefühl war aber meine poli- tische Arbeit; denn dank meiner englischen Staatsbürgerschaft hatte ich die Möglichkeit, mich voll am englischen politischen Leben zu beteiligen. Meine ganze Freizeit verbrachte ich im Büro der Londoner Gruppe des ISK und in politischer Kursarbeit. Viele Abende verbrachte ich in Arbeiterkneipen und bei sozialistischen Versammlungen, um unsere Monatszeitschrift «So- cialist Vanguard» zu verkaufen. Ich hatte die Verantwortung für die Buch- führung für unsere vielen Broschüren, die sowohl der Entwicklung des So- zialismus in England wie der Aufklärung über den Faschismus und anderen internationalen Fragen gewidmet waren, und ich beteiligte mich an der Or- ganisierung von Veranstaltungen, gemeinsam mit sozialistischen Emigran- ten aus anderen, vom Faschismus überrannten Ländern. Wir hatten uns ver- pflichtet, auch in der Labour Party zu arbeiten und, wo möglich, uns an der Gewerkschaftsarbeit zu beteiligen. Nun soll man nicht denken, dass «wir Engländer» streng getrennt von den Emigranten arbeiteten. Wir waren ja eine internationale Organisation. Wir lebten zusammen, wir lernten in unseren Kursen gemeinsam und halfen uns menschlich und politisch. Als es erkennbar wurde, dass Hitlers Macht bald zusammenbrechen würde, setzten wir uns zusammen, um zu beraten, wie wir uns beim Ende des Krie- ges verhalten sollten. Es war klar, dass im zerstörten und von den Nazis ver- dorbenen Deutschland alle Kräfte gebraucht würden. Erst allmählich däm- merte mir, dass auch ich damit gemeint sei! Mit der Vorstellung, «wieder eine Deutsche zu werden», mich wieder auf neue Menschen, neue Aufgaben

30 umzustellen, konnte ich mich nur sehr langsam befreunden. Aber ich ver- stand, dass nach der Spannungszeit des Krieges in meiner englischen Heimat für mich wenig Bedarf sein würde, während ich in Deutschland nützlich sein könnte. So begann meine Zeit des Lernens über deutsche politische Zu- sammenhänge, die Mitarbeit in der deutschen Gewerkschaftsgruppe und vor allem die berufliche Einstellung auf ein neues Arbeitsfeld. Die «Gesell- schaft der Freunde» (Quäker) ermöglichte es einem halben Dutzend deut- scher Sozialarbeiter, die zu Zeiten der Weimarer Republik in der prakti- schen Arbeit oder an Schulen tätig gewesen waren, einen Halbjahreskursus zur Vorbereitung auf die Sozialarbeit in einem befreiten Deutschland durch- zuführen. Ein gemischtes Völkchen von etwa 20 jungen und älteren Män- nern und Frauen, beruflich Vorgebildeten und Neulingen, kam da zusam- men. Es war eine schöne Zeit des Lernens, und als der Krieg zu Ende ging, die Freunde einer nach dem anderen nach Deutschland zurückreisten und ich erfuhr, dass meine alte Mutter noch lebte und auf mich wartete, da war ich auch persönlich ganz und gar zur Rückkehr bereit. Aber nun war es ein Nachteil für mich, was mir vorher so nützlich gewesen war: Mein englischer Pass! Es bedurfte vieler Monate, mühsamer Verhand- lungen und Ungeduld über nutzlos vertane Zeit bei gleichgültiger Arbeit, bis ich trotz englischer Staatsbürgerschaft zu deutscher Sozialarbeit zurück- kehren durfte. Meine Mutter hatte Verbindung zum Deutschen Roten Kreuz angeknüpft, die Genossen in Deutschland aber vermittelten mir die Verbin- dung zur Arbeiterwohlfahrt in Hannover, bei der ich Ende 1946 (im Büro) begann, die Kindergartenarbeit aufzubauen – eine gute Zeit der Hoffnung, der Pläne, des Kampfes um jede Baracke, jeden Eimer Farbe, und der besten kollegialen Zusammenarbeit meines Lebens!

Ruth Gleissberg geb. Eichwald Geboren 1912 in Hannover, Abitur 1930 im Landschulheim bei Holzminden, Ausbildung als Kindergärtnerin und Hortnerin in Berlin. Ab 1932 Mitarbei- terin, später Mitglied des «Internationalen Sozialistischen Kampfbundes» (Leonard Nelson). 1936 Auswanderung nach England, wo sie ihre politische Arbeit in der englischen Gruppe des «ISK» fortsetzt. Ruth Gleissberg kehrte 1946 nach Deutschland zurück, wurde Mitglied der SPD und heiratete 1950 den Chefredakteur des «Neuen Vorwärts», Gerhard Gleissberg (später Mit- herausgeber von «Die Andere Zeitung»). 1961 wurde sie aus der SPD we- gen Mitarbeit in der Deutschen Friedensunion ausgeschlossen. Sie blieb po- litisch aktiv, u.a. in der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung. Während des Vietnamkrieges setzte sie sich vor allem für die Beendigung dieses Krie- ges und die solidarische Hilfe für das vietnamesische Volk ein.

31

Bertolt Brecht Über die Bezeichnung Emigranten

Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab: Emigranten. Das heisst doch Auswanderer. Aber wir wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss Wählend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer. Sondern wir flohen. Vertrieben sind wir, Verbannte Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns aufnahm. Unruhig sitzen wir so, möglichst nahe den Grenzen Wartend des Tages der Rückkehr, jede kleinste Veränderung Jenseits der Grenze beobachtend, jeden Ankömmling Eifrig befragend, nichts vergessend und nichts aufgebend Und auch verzeihend nichts, was geschah, nichts verzeihend. Ach, die Stille der Stunde täuscht uns nicht! Wir hören die Schreie Aus ihren Lagern bis hierher. Sind wir doch selber Fast wie Gerüchte von Untaten, die da entkamen Über die Grenzen. Jeder von uns, Der mit zerrissenen Schuh’n durch die Menge geht, Zeugt von der Schande, die jetzt unser Land befleckt. Aber keiner von uns Wird hier bleiben. Das letzte Wort Ist noch nicht gesprochen.

32

Lucie Suhling Aufmachen – Polizei!

Cuddl, mein Mann, war seit Jahren arbeitslos. Auch ich gehörte zum Mil- lionenheer der Erwerbslosen. Wir schlugen uns schlecht aber recht durch und nutzten die Zeit für illegale Arbeit. Wir tüftelten viele Möglichkeiten aus, dem Faschismus zu schaden, vor allem aber, den Verängstigten Mut zu geben, ihnen zu zeigen, dass es noch Menschen gab, die bereit waren, gegen das Unrecht zu kämpfen. Zum 1. Mai 1934, unserem Feiertag, den die Nazis für ihre Zwecke ausnutzten, hatten wir etwas Besonders ausgedacht. Mor- gens hing ein grosses Plakat – es war auf ein Brett geklebt – über einem Haltedraht der Strassenbahnoberleitung. Weithin war zu lesen: «Nieder mit dem Faschismus! Es lebe der Sozialismus!» Erst gegen Mittag gelang es der Feuerwehr, das Plakat wieder herunterzuholen. Nachts hatten wir zwischen Häuserwänden an Schnüren aufgezogene rote Fähnchen gespannt. Auch verteilten wir mit unseren Freunden Flugblätter. Jeder nahm sich einen Hauseingang vor und belegte vier Wohnungen mit unserem Material. Be- vor die Menschen, geweckt vom Hundegebell, hinaussehen konnten, waren wir schon verschwunden, um in einer anderen Strasse weiter zu verteilen. Andere wichtige Arbeiten wurden uns von der illegalen Leitung übertragen, so die Unterbringung besonders gefährdeter Freunde in illegalen Quartie- ren. Sehr deutlich ist mir eine Begebenheit in Erinnerung geblieben. Wir hatten einen Jugendfreund weiterzuleiten. Eine Besprechung wurde notwendig. Treffpunkt: Ein Waldstück in unserem Wohngebiet. Aus verschiedenen Richtungen kommend, trafen wir uns am hellichten Tage, in dem Glauben, so am.wenigsten aufzufallen. Ein junger Mann war bei uns. Ein Kamerad sollte ihn in das vorbereitete Quartier bringen. Von dort aus ging er in die Emigration. Noch sehe ich sein frisches Gesicht, seinen roten Wu- schelkopf, höre seine zuversichtlichen Worte. Alles war besprochen, der Freund längst unterwegs. Wir machten uns auf den Heimweg, als Cuddl mich plötzlich an sich zog und küsste. Dabei drehte er dem Weg den Rücken zu, während er mit den Augen zum Waldrand sah. Ein Auto fuhr an uns vorüber. Wir beobachteten aus den Augenwinkeln, wie es langsam den Weg herunterfuhr und das Waldstück absuchte. Wir aber wussten: Unser Mann war in Sicherheit. Zu jener Zeit gab es noch viel Hilfsbereitschaft bei der Unterbringung un- serer Kameraden, aber auch Angst. Besonders die Frauen hatten Angst.

33

Viele hielten ihre Männer von der illegalen Arbeit zurück. Sie liessen sich von den grossen Worten der Nazis und deren Versprechungen auf Arbeit betören. Die Männer bekamen Arbeit, für eine Mark pro Tag am Bau der Reichsautobahn. Und dafür mussten sie sich noch das Handwerkszeug – die Schaufel – selber kaufen. Später bekamen sie Arbeit in Rüstungs- fabriken, und noch später mussten sie selbst in den Krieg. Aber die jahre- lange Erwerbslosigkeit hatte die Menschen zermürbt. Die meisten hatten nur Arbeit und Brot gewollt – sie hatten nicht glauben wollen, dass Hitler ihnen den Krieg bringen würde. Inzwischen waren viele Kameraden verhaftet worden. Ab und zu hörten wir von unseren Freunden, dass die Nazis einen von ihnen erschlagen hatten. Andere hatten sich in der Zelle erhängt, weil sie die Folterungen nicht mehr ertragen konnten und lieber starben, als ihre Kameraden preiszugeben. Manche Kameraden kamen nach Wochen zerschlagen und zerschunden aus der Gestapohaft zurück, müde geworden und ohne Hoffnung. Andere ar- beiteten wieder mit, sobald sie wussten, dass kein Gestapospitzel sie mehr beobachtete. Zu ihnen gehörte mein Mann, Cuddl, der im Juni 1933 zum er- stenmal verhaftet worden war. An einem Abend, es war sommerlich warm, standen wir, wie so oft, am Fenster und schauten in die Gärten, die voll leuchtender Farben waren. Unsere Gedanken waren bei unseren Freunden, die die Nazis bereits ins Konzentrationslager gesperrt hatten. Cuddl hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt, als ob er ahnte, dass es für lange Zeit der letzte gemeinsame Abend sein würde. Da kamen sie. Sie schlugen auf die Tür: «Aufmachen! Polizei!» Obwohl wir auf so etwas gefasst waren, starrten wir uns an. Schrecken in den Augen, Angst im Herzen. «Jetzt heisst es tapfer sein», sagte mein Mann zu mir und öffnete die Tür. Vier Gestapo- männer stürzten in unsere Wohnung. Ohne Rücksicht darauf, dass ich schwanger war, stiessen sie mich beiseite, dass ich fast hingefallen wäre. Sie rissen die Bilder von den Wänden, die Bücher aus den Regalen und be- schlagnahmten sogar ein Buch von Selma Lagerlöf. Ich fragte den neben mir stehenden Gestapomann: «Warum beschlagnahmen Sie Selma Lagerlöf?» «Das ist eine dreckige Judensau», antwortete er. «Selma Lagerlöf ist Nobelpreisträgerin für Literatur», sagte ich wütend. «Interessiert mich nicht. Selma ist ein jüdischer Name. Das Buch bleibt be- schlagnahmt.» Inzwischen wühlten die anderen in Kleider- und Wäscheschränken, warfen Betten und Matratzen auf den Fussboden. Überall Suche nach Material, das wir längst sichergestellt oder verbrannt hatten. Sie schrien meinen Mann an: «Los, zieh dich an, Mensch, sonst nehmen wir dich im Schlafzeug mit!»

34

Das Wort «Mensch» war zu einem Schimpfwort geworden. Wie recht sie hat- ten; denn sie waren keine Menschen. Cuddl musste ohne Abschied gehen. Auf der Strasse stiessen ihn die Gestapo- männer ins Auto. Nie kann ich vergessen: dort sass das Liebste, das ich be- sass. Sein blasses, schmales Gesicht schien noch schmaler. Seine Augen such- ten mich, während die Gestapo die beschlagnahmten Bilder zusammenwarf. Ein angedeutetes Lächeln sollte mir Mut machen. Dann wandte er sich ab, schon in der Welt seiner Kameraden, in der Welt der Schmerzen und Lei- den. Ich trat vom Fenster zurück, die Augen blind von Tränen, allein in all dem Durcheinander. Hass war in mir. Damals habe ich begriffen: Hätten mehr Menschen diesen Hass besessen gegen alles, was den Menschen erniedrigt, gegen alles, was Menschenrechte und Menschenwürde beleidigt, es wäre dem Faschismus schwer geworden, das Ruder zu ergreifen. Ich machte mich auf den Weg, um Cuddl zu suchen. Lange, bevor die Ge- stapo ihre Büros öffnete, stand ich vor der Tür des Stadthauses. Viele Frauen waren da, die wie ich ihre Männer oder Söhne suchten. Endlich konnte ich fragen: «Ist Carl Suhling hier eingeliefert?» «Scheren Sie sich zum Teufel, hier ist kein Carl Suhling!» «Er wurde heute Morgen durch die Gestapo verhaftet.» «Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen machen, dass Sie weiterkommen. Los! Los! Sonst mache ich Ihnen Beine!» Ich hätte den Kerl in der SS-Uniform ins Gesicht schlagen mögen. Wo mochte Cuddl sein? Lange schon wussten wir, mit welchen Mitteln die Gestapo versuchte, Geständnisse zu erpressen. Ich hätte schreien mögen, toben, mich wie ein Hund in eine Ecke verkriechen und in den Himmel hin- einheulen, lauter und immer lauter. Ich tat nichts. Ich ging weitersuchen, ohne Hoffnung, ohne Glauben, ihn wiederzusehen. Obwohl sicher war, dass Cuddl auf keinen Fall dort sein konnte, ging ich zum Untersuchungsgefäng- nis. Ich wollte hoffen, dass er Glück hatte. Warum sollte er kein Glück ha- ben? Er war ja nur ein kleines Rädchen in unserer gemeinsamen Sache des grossen illegalen Kampfes. Ich wusste, dass die Gestapo auch diese kleinen, treuen Rädchen hasste, weil ohne sie das Grosse nicht möglich war. Ich kannte die Treue meines Mannes zu der Sache, der wir unser Leben ver- schrieben hatten. Ich stand vor dem Tor des Untersuchungsgefängnisses und wartete. Ein Beamter fragte: «Nun, junge Frau, was haben Sie auf dem Herzen?» «Ich suche meinen Mann. Ist er vielleicht hier eingeliefert?» «Wie heisst er denn?»

35

«Carl Suhling.» Der Beamte rief die Treppe hinunter: «Adje, sieh doch mal nach, ob wir einen Zugang Carl Suhling hatten.» Ich stand da und zitterte vor Kälte, obwohl draussen ein heisser Sommertag war. «Junge Frau, wann ist Ihr Mann denn verhaftet worden?» «Heute Morgen um fünf Uhr.» «Wer hat ihn verhaftet?» «Die Gestapo.» Mitleidig sah mich der Beamte an. Dann ging er zur Treppe und rief: «Hast du ihn gefunden?» «Nein, hier ist er nicht eingeliefert worden.» «Brauchst auch nicht zu suchen. Der Mann ist von der Gestapo verhaftet.» «Ja, da können wir gar nichts machen. Wen die Gestapo in Händen hat, den gibt sie so schnell nicht an uns weiter.» «Können Sie mir bitte sagen, ob es noch eine andere Möglichkeit gibt, zu erfahren, wo mein Mann ist?» fragte ich. «Gehen Sie doch mal nach Fuhlsbüttel. Da ist ein Teil der Strafanstalt als Konzentrationslager eingerichtet worden; aber beeilen Sie sich. Die machen um sechzehn Uhr Feierabend.» Ich rannte los. Wer Hamburg kennt, weiss, wie weit der Weg vom Unter- suchungsgefängnis zur Strafanstalt Fuhlsbüttel ist. Uns war bekannt, dass in diesem Konzentrationslager politische Gefangene in der Gefängniskirche bei Orgelmusik gefoltert wurden, damit man ihr Schreien nicht hören konnte. Dort sollte Cuddl sein? Kalte Schauer liefen mir den Rücken herunter. Zu spät. Es war schon nach sechzehn Uhr. Auskunft wurde nicht mehr er- teilt. Ich war am Ende meiner Kraft. Nicht nur die Sorge um meinen Mann, nicht nur der heisse Tag, auch das Kind, das wir erwarteten, zehrte an mei- nen Kräften. Müde schleppte ich mich nach Hause. Leer war unsere Woh- nung, das Durcheinander gross. Ich begann aufzuräumen, bleierne Schwere in den Gliedern. Ich konnte nicht schlafen. Endlich, um zwei Uhr nachts fiel ich in einen kurzen Schlaf, aus dem mich Schläge gegen die Wohnungs- tür aufschreckten. War ich jetzt an der Reihe? Ich öffnete die Tür. Dunkel- heit schlug mir entgegen. Niemand war da. Ich hatte geträumt. Jetzt endlich konnte ich weinen. Ich weinte um meinen Mann, unsere Freunde und dar- um, dass es uns nicht gelungen war, die Arbeiter und alle, die gegen den Fa- schismus waren, zum gemeinsamen Kampf gegen Faschismus und Krieg zu organisieren. Tagelang suchte ich noch vergeblich, bevor man mir endlich

36 sagte, dass Cuddl ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel eingeliefert worden sei. Eines Tages kam Cuddl wieder. Wochen waren vergangen. Er wurde ent- lassen mit der Auflage, sich nicht wieder erwischen zu lassen; sonst würde das, was er bisher erlebt hatte, gegen das, was ihn erwarte, nur ein Kinder- spiel sein. Cuddl erzählte nicht viel. Er wollte mir das Herz nicht schwermachen. Ein- mal sagte er nur: «Mach dich auf das Schlimmste gefasst. Einmal werden sie uns wieder holen und dann ... Es sind Tiere und keine Menschen.» Was Cuddl verschwieg, das sagten mir die Nächte, in denen er sich stöhnend und ächzend im Bett herumwarf. Fasste ich ihn an, um ihn zu wecken, schlug er um sich. Hatte ich ihn endlich wachgerüttelt, atmete er auf wie nach einem schweren Alptraum. Später bat er mich: «Bitte, fass mich nicht an, wenn du mich weckst. Ich denke immer, dass sie wieder auf mich ein- schlagen. Rufe, bis ich wach bin.» Vierzehn Monate war Cuddl wieder zu Hause. Natürlich hatten wir unsere illegale Arbeit fortgesetzt. Das Damoklesschwert neuer Verhaftung hing Stunde für Stunde über uns. Wir erlebten jeden Tag mit unserem Kind so, als wenn es unser letzter gemeinsamer Tag sei. Ende September geschah, womit wir immer rechnen mussten: Wieder wurde gegen unsere Tür ge- schlagen, wieder wurde geschrien: «Aufmachen! Polizei!», und wieder er- starrten wir vor Schreck, Angst, Sorge und innerer Not. Dieses Mal war es nicht mein Mann, den sie holten, dieses Mal holten sie mich. Ich stand wie gelähmt: Dort lag mein Kind, das vor wenigen Wochen ein Jahr alt gewor- den war. Mein Mann starrte mich an. Ich sah, wie er schluckte. Auch ich musste gehen, ohne Abschied nehmen zu dürfen. Sie stiessen mich ins Auto. Ich war allein in der Dunkelheit, sehr allein. Nach langer Fahrt wurde ich auf einer Polizeiwache in einem Hamburger Vorort «abgeliefert». Eine Holzpritsche ohne Matratze stand in dem Raum, der sein Licht durch ein Drahtgeflecht vom Flur erhielt. Die Gestapo war weitergezogen, neue Ver- haftungen vorzunehmen. Endlich, nach stundenlangem Warten, wurde die Zellentür aufgerissen. «Raustreten!» Das Gesicht zur Wand gekehrt, musste ich warten. Was hatten sie vor? Wie- der wurde ich in den Wagen gestossen und zur Gestapo ins Stadthaus ge- bracht. Dunkel war der Keller, in den ich mit anderen Verhafteten ge- trieben wurde, unbeleuchtet die Zelle, in die ich fast hineinfiel. Sie roch nach Schweiss, Urin und anderen menschlichen Ausdünstungen. Allmählich erkannte ich, es waren noch mehr Frauen in dem Raum. Keine sprach ein Wort.

37

Endlich wurde ich aufgerufen, meine Personalien wurden aufgenommen, polizeiliche Aufnahmen gemacht. Heute kann ich verstehen, dass die Men- schen «draussen» einen Schreck bekamen, wenn sie die Bilder von politi- schen Häftlingen sahen. Wir sahen entsetzlich aus: die Männer, oft nach tagelangem Warten mit Stoppelbärten, starren Blickes in die Linse sehend, die Frauen ungekämmt und ungewaschen, weil sie in den Kellern der Ge- stapo keine Möglichkeit dazu bekamen. Im Morgengrauen fuhren wir nach Fuhlsbüttel hinaus, streng bewacht von SS-Leuten. Wieder hiess es: Gesicht zu Wand – Zehen fest an die Fussleiste gepresst – Hände an die Hosennaht. Obwohl wir diese Vorschrift genau befolgten, gab es harte Ohrfeigen. Die Nase blutete. Die Hand durfte nicht gehoben werden. Das Blut tropfte auf Kleidung und Fussboden. Hilflos standen wir da und mussten uns von den SS-Bewachem beschimpfen las- sen: «Du dreckige Sau! Wie siehst du aus? Sieh mal an, das Aas hat tat- sächlich unseren Fussboden beschmiert. Nimm dein Taschentuch, du Hure, und wisch das auf! Gnade dir Gott, wenn auch nur noch eine Spur zu sehen ist!» Es hagelte Schläge, Fusstritte und Beschimpfungen und war doch ein sanfter Empfang, gemessen an dem, was uns noch erwartete. Von einer SS-Eskorte begleitet, wurden wir in den B-Flügel des ehemaligen Männerkonzentrationslagers gebracht, in dem die obere Station mit Frauen belegt war. Die Zelle war kahl: Eisenbett mit Strohsack und Decke, Hänge- schrank, eine Blechschüssel mit angerostetem Löffel, Eimer, Klo mit Was- serspülung. Eine Woche nach meiner Verhaftung erhielt ich den «Schutzhaftbefehl». Nach vierzehn Tagen kam ich das erstemal zur Vorführung. Wir wurden auf dem Hof des A-Flügels zusammengetrieben. Als ich mich rennend an der Zuchthausmauer, mit dem Gesicht zur Wand anschloss, sah ich plötzlich Cuddl dort stehen. Er war um Jahre gealtert, unrasiert, das Gesicht mit schwarz-grauen Stoppeln bedeckt, seine Augen trübe und von Schlaflosig- keit leicht gerötet. Aus den Augenwinkeln sah er mich an, hob seine Ober- lippe und versuchte zu lächeln, als ob er mir Mut machen wollte. Sein Ge- sicht drückte eine solche Qual aus, dass ich meine Tränen nicht zurückhalten konnte. Ein Gestapomann fragte mich: «Warum weinen Sie?» «Ich weine nicht, und wenn ich weine, sind es Tränen gegen Sie!» Brutal schüttelte er mich und schrie: «Nun aber Schluss! Was denkst du dir eigentlich?! Wir werden dir deine Frechheiten schon austreiben. Darauf kannst du dich verlassen!» Ich sah mich schnell um und stellte fest, dass fast alle Freunde unseres Wohngebietes verhaftet worden waren. Ich war bestürzt. Wie konnte das

38 geschehen? (Später erfuhren wir, dass die Gestapo sich an die Frau eines unserer Freunde herangemacht hatte, ihr Freiheit und Arbeit für ihren Mann versprach, wenn sie bereit sei zu «helfen». Sie erhielt den ersten, den zweiten und auch den dritten Besuchsschein für ihren Mann. So konnte die Gestapo ihn «weich» machen. Dieser Verrat kostete seine alten Freunde, die ihm treue Kameraden waren, insgesamt fast einhundert Jahre Gefäng- nis und Zuchthaus). Mein Mann, der durch das Zuchthausurteil «wehrunwündig» geworden war, wurde 1943 «auf besonderen Befehl des Führers» wieder für «wehr- würdig» erklärt. Er kam in das berüchtigte Bewährungsbataillon 999. * Von dieser «Bewährung» ist er nicht zurückgekommen. Wir hatten nichts, was uns das Leben erleichterte. Wir durften weder lesen noch schreiben noch arbeiten. Sechzehn Stunden am Tage verrannen, wäh- rend wir unnütz in unseren Zellen auf und ab gingen. Meine Gedanken waren bei meinem Kind, suchten meinen Mann, verweilten bei unseren Freunden. Um irgend etwas zu tun, legte ich kleingeschnittenes Zeitungs- Toilettenpapier zusammen. Vielleicht fand man zusammengehörende Teile, fügte sie zusammen und konnte erfahren, was «draussen» vor sich ging. Bei diesem Spiel überhörte ich, dass sich die Aufseherin an meine Zellentür her- anschlich und durch den Spion sah. Wütend riss sie die Tür auf und nahm mir mein harmloses Zusammensetzspiel fort. Von nun an bestand mein Toi- lettenpapier aus hartem, braunem Packpapier. Ich setzte meine Wanderungen durch die Zelle fort. Die Gedanken gingen zurück in die Vergangenheit. Ich wusste: der zurückgelegte Weg war der richtige. Ich dachte an die glücklichen Tage gemeinsamen Erlebens, an De- monstrationen, wo wir mit Hunderttausenden aufmarschierten, an gemein- same Wanderungen mit Mann und Freunden und an die oft heftigen Dis- kussionen, wobei wir versuchten, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewin- nen. Ich dachte an meine politische Schulung, die der Jugendverband in der Jugendherberge in Geesthacht organisiert hatte. Dort unterrichtete unter anderem unser Genosse Dr. Hermann Duncker über «Kapitalismus-Impe- rialismus». Diese Erinnerungen halfen mir, vieles zu überstehen. Mit ihnen erlebte ich hinter Kerkermauem mein Leben ein zweites Mal, tiefer und be- wusster, als in der Vergangenheit.

* Die «999er» waren dazu bestimmt, als «verlorener Haufen» die von den regulären Verbänden aufgegebenen militärischen Stützpunkte rund um das Mittelmeer und später auf der Krim zu halten, oft ohne Waffen und ohne genügende Verpflegung, regelrecht dem Verhungern preis- gegeben. Von etwa 2’000 aus Hamburg zu den «999ern» Einberufenen haben etwa 400 über- lebt.

39

40

Lucie Suhling geb. Wilken

Geb. 1905 in Bochum. Besuch der Volks- und Handelsschule, Lehre als kaufmännische Angestellte. Ab 1927 Mitarbeiterin bei der Internationalen Arbeiterhilfe in Essen, später Mitarbeiterin der KPD, Bezirk Ostpreussen, und freie Mitarbeiterin der Partei- Zeitung in Königsberg. 1930 Heirat, danach bei der «Hamburger Volkszeitung» bis zum endgültigen Verbot der kommunistischen Zeitungen und der KPD. Ab 1933 erwerbslos. September 1933 Geburt des ersten Kindes, dem später noch zwei weitere fol- gen. Seit 1933 in der Widerstandsbewegung. 1934 erste Verhaftung und Einliefe- rung in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel. 1935 Verurteilung zu zwei Jah- ren Zuchthaus. Ende 1936 Entlassung. Wieder illegale Arbeit und erneute Ver- haftung 1938. KZ Fuhlsbüttel bis 1939. Illegale Tätigkeit, 1944 erneute Ver- haftung. Nach der Befreiung 1945 Parteiarbeit in der KPD und Volkskorres- pondent der «Hamburger Volkszeitung».

41

Lina Knappe Meuterei im Jugendgefängnis

Wir waren vierzehn Mädchen, Freundinnen unter zweihundert Angehöri- gen des Kommunistischen Jugendverbandes, die das Hamburger Oberlan- desgericht wegen «Vorbereitung zum Hochverrat» verurteilte. Ich war acht- zehn Jahre alt, wie die meisten von uns. Der Richter verkündete das Urteil mit geschwollener Stimme. Zwei Jahre und sechs Monate Gefängnis für mich. Wie er so dastand und sich wichtig tat, kam er uns beinahe lächerlich vor. Wir waren keineswegs geknickt, wenn auch über die harten Urteile nicht erfreut. Aber wir waren stolz, denn wir hatten uns bei den Gestapo- verhören und in der Gerichtsverhandlung gut gehalten und unserem Jugend- verband Ehre gemacht. Und wir hatten illegal gearbeitet: Im April 1933 hatte unter der Flagge «Jahresversammlung des Sportver- eins» unsere letzte illegale Jugendkonferenz stattgefunden. Wir wählten eine illegale Leitung. Nach einigen Tagen kamen wir in unserer Gruppe zu- sammen, um unsere nächsten Arbeiten zu besprechen. Wir verkauften «Die Junge Garde», die illegale Zeitung des Kommunistischen Jugendverbandes, die uns Kuriere von ausserhalb brachten. Für Hamburg-Altona machten wir eine eigene Zeitung, von uns selber geschrieben, abgezogen und vertrieben. Sie hiess «Der Jungprolet». Um zu zeigen, dass es eine Opposition gab, mal- ten wir Losungen an Zäune und Wände. Um nicht erwischt zu werden, machten wir es bei Spaziergängen in der Dunkelheit, während einige von uns «Liebespärchen» spielten. Im Weiterschlendem klebten wir Handzettel an Anschlagsäulen, Haustüren und wo es gerade passte. Die Flugblätter steckten wir meist in Hausbriefkästen. Manchmal konnten wir auch in der Bahn welche «liegen lassen». Dabei musste man aber sehr aufpassen. Dann kam der «Altonaer Blutsonntagsprozess». Obwohl jeder in Hamburg wusste, dass die siebzehn Menschen, die im Juli 1932 bei einem Provoka- tionsmarsch der SA durch die Proletarierviertel von Altona von Polizei und bewaffneten SA-Banden erschossen worden waren, wurden jetzt, fast ein Jahr später, vier von unseren Genossen dafür zum Tode verurteilt. Dagegen führten wir auf einem Wochenendmarkt eine illegale Protestdemonstration durch. Wir mischten uns unter die Passanten, aber so, dass wir nicht zu weit aus- einander waren, und nach einem gegebenen Signal riefen wir: «Rettet und Genossen!» Es wimmelte hier von Braunhemden. Aber sie konnten uns nicht fassen. Wir tauchten rasch in der Menge unter, fan-

42 den uns an anderer Stelle wieder zusammen und riefen wieder im Sprech- chor. In diesem Sommer 1933 machten wir noch manche Wanderung. Das waren glückliche Stunden. Die Naziverfolgung hatte unser Zusammengehörig- keitsgefühl nur gestärkt. Wenn wir uns lagerten, diskutierten wir, bespra- chen unsere Aufgaben, machten Pläne, machten politische Schulung. Das war wichtig, denn man musste bei der Nazidemagogie, mit der die Menschen benebelt wurden, richtig diskutieren können. Bei schlechtem Wetter trafen wir uns in kleineren Gruppen in Wohnungen, die den Nazis nicht verdäch- tig waren. Durch Kuriere, die die Verbindung mit anderen Gruppen hatten, erfuhren wir, wie dort gearbeitet wurde und was sich so ereignet hatte. Wenn es ging, stimmten wir unsere Arbeiten mit Gruppen in anderen Stadt- bezirken ab. Den Faschisten war die aktive Arbeit des Kommunistischen Jugendverban- des nicht entgangen. Sie konnten einzelne Gruppen aufspüren und einen Teil unserer Genossen verhaften. Mehrere waren auch schon abgeurteilt. Alwin Esser aus Eimsbüttel, einer unserer aktivsten und ein lustiger Junge, war in der gleichen Nacht, als sie ihn verhaftet hatten, vom «Kommando zur besonderen Verwendung» ermordet worden. Das hatte uns hart getrof- fen, ebenso wie die Hinrichtungen der vier im August 1933 und die Hin- richtung von Rudi Lindau im Januar 1934. Dann wurden wir geschnappt, von der Gestapo verhört, vor Gericht gestellt und abgeurteilt. Und nun standen wir vierzehn Mädchen im langen Flur von Lübeck-Lauerhof und warteten gespannt und unruhig, aber auch ein wenig neugierig, was nun werden würde. Die meisten von uns sollten hier zwei Jahre verbringen. Einige, darunter ich, noch länger. Wir wurden ein- zeln in die Zellen gebracht. Als wir zum erstenmal zum Rundgang auf den Hof kamen, entdeckten wir einige ältere Genossinnen, die schon vor uns abgeurteilt worden waren. Sie hatten uns auch sofort erkannt, nickten uns zu und schüttelten wie zur Begrüssung ihre zusammengefassten Hände. Ich erkannte vor mir Elisabeth Bruhn, als sie sich nach mir umdrehte. Sie winkte mir zu und lachte mich an. Ich war froh, als ich sie sah. Elisabeths Mann, Gustav, war auch verurteilt. Er sass im Zuchthaus Rendsburg. Unsere Genos- sinnen fielen auf besondere Weise unter den anderen Frauen auf. Es war ihre stolze Haltung und wie sie sich gegenüber den Bewacherinnen benah- men, höflich aber kühl. Wenn sie angerempelt wurden, zuckten sie mit kei- ner Miene, sondern reckten den Kopf noch höher. Diese Genossinnen hatten den Bogen schon raus. Sie liessen uns Nachrichten zukommen und steckten uns häufig etwas zu essen zu, denn wir hatten immer Hunger. Aber das sollte nicht mehr lange dauern. Die Gefängnisverwaltung hatte

43 sich für uns Jugendliche ganz besondere Schikanen ausgedacht. Sie isolierte uns von den älteren Genossinnen und steckte uns in den sogenannten Ju- gendbau, einen umgebauten Pferdestall. Sieben ehemalige Pferdeboxen waren unsere Zellen. Zuerst dachten wir, das sollten nur unsere Schlaf- stellen sein, arbeiten würden wir in einem Gemeinschaftsraum. Aber nein! Die Werkmeisterin liess die Körbe mit der Arbeit in diese Zellen schaf- fen. Es waren Sisaltaue, die lange im Meerwasser gelegen hatten, voll Teer, schmutzig und schmierig. Ihr Gestank verpestete die ganze Luft. Es war grässlich. Die Taue mussten entknotet und dann vollkommen auseinander- gezupft werden. Was das für einen Dreck gab, kann sich niemand vorstel- len. Kaum hatten wir eine Stunde gearbeitet, war schon alles mit dickem, grauen Staub bedeckt, auch wir selber. Der Staub hängte sich in die Haare und Wimpern und verklebte uns die Augen. Nachdem wir diese Arbeit einige Wochen gemacht hatten, stellten sich aller- hand Beschwerden ein. Der Staub hatte sich in uns festgesetzt. Wir mussten dauernd husten. Alle hatten entzündete Augen. In dieser staubigen, sticki- gen Luft und in dem Gestank mussten wir auch schlafen. Da würden wir bald die Schwindsucht kriegen. Wir atmeten auf, wenn es auf den Hof zur Freistunde ging. Leider dauerte sie nur eine halbe Stunde. Bei schlechtem Wetter liess man uns manchmal überhaupt nicht nach draussen. Auch wenn wir auf dem Hof waren, wurden unsere Zellen niemals richtig durchge- lüftet. Was sollten wir tun? In der Freistunde kriegten wir es fertig, uns mit den Genossinnen aus den anderen Zellen im Jugendbau zu verabreden. Als die Werkmeisterin am nächsten Morgen kam, baten wir um andere Arbeit. Aber sie liess sich auf nichts ein. «Anordnung von oben!» Wir ver- standen gut. Sie wollten uns mürbe machen und unseren Willen brechen. Darum mussten wir uns jetzt wehren. Beim nächsten Rundgang sprachen wir uns wieder ab. Am nächsten Morgen weigerten wir uns, die Körbe in die Zelle zu nehmen. Gemeinsame Arbeitsverweigerung! Die Werkmeiste- rin schnappte fast über. So etwas hatte es in ihren langen DienstJahren noch nicht gegeben. Das war schon Meuterei! Wir ahnten nicht, welchen Aufruhr wir angerichtet hatten. Es dauerte nicht lange, und wir vierzehn mussten zum Rapport bei der Ge- fängnisvorsteherin, Frau Ellering. Und, o Schreck! Neben ihr stand auf- gerichtet, als hätte sie einen Stock verschluckt, von Kopf bis Fuss ganz in schwarz, mit bleichem Gesicht, die Oberaufseherin, Freifrau von Zenken. Wir nannten sie nur «die schwarze Gefahr». Sie musterte uns mit eisigen Blicken. Die Werkmeisterin zitterte vor den beiden, als ginge es ihr selber an den Kragen. Dann wurden wir, eine nach der anderen, ins Gebet genommen. Wir ver-

44 suchten, diesen Frauen, die vielleicht Kinder in unserem Alter hatten, klar- zumachen, warum wir diese Arbeit nicht weitermachen konnten. Aber all unser Reden half nichts. Als wir trotzdem bei unserer Weigerung blieben, verhängte die Vorsteherin für alle Vierzehn verschärften Arrest. Ich wurde im Keller in einen «Zwinger» gesteckt. Das war ein Eisenkäfig, geeignet, um wilde Tiere zu transportieren. Es war unmöglich, sich darin zu bewegen. Die Einrichtung bestand aus einer nackten Holzpritsche und dem bekannten Kübel. Unser Essen bestand aus Wasser und Brot, an jedem vierten Tag gab es einen Schlag warmes Essen. Ich wusste nicht, was sie mit meinen Freundinnen gemacht hatten, denn ich kam aus dem Käfig nicht heraus. Nach einiger Zeit wurde ich nach oben zum Rapport gebracht. Da standen auch alle anderen. Sie hatten sehr abgenommen, ihre Haut war grau und schlaff. Wahrscheinlich sah ich genauso aus. Aber es gab keinen Spiegel, um sich zu betrachten. Die Vorsteherin und «die schwarze Gefahr» pflanzten sich vor uns auf. Sie fragten, ob wir nun genug hätten und for- derten uns auf, wieder an die Arbeit zu gehen. Bei einer weiteren Arbeits- verweigerung würde eine Meldung an die Gestapo nach Berlin gehen. Hof- fentlich wäre uns klar, was das bedeutete. Wir sahen uns verstohlen an. Jeder dachte dasselbe. Nun erst recht nicht! Dann brachten sie uns zurück in den Keller, und ich schmorte weiter in meinem Käfig. Zwei Wochen vergingen. Wieder wurden wir zum Rapport geholt. Die Vorsteherin sagte, dies wäre unsere letzte Chance. Wenn wir nicht so- fort an die Arbeit gingen, bekämen wir einen Prozess wegen Meuterei. Wir verstanden – nun wurde es ernst! Wir würden zusätzlich einige Jahre be- kommen, aber diesmal Zuchthaus mit Strafverschärfung. Was war zu machen? Wir suchten uns mit Gesten und Blicken zu verstän- digen. Ich sah zu Änne und Anni hinüber. Ich fühlte, was es Änne für eine Überwindung kostete, als sie sagte: «Ich nehme die Arbeit wieder auf.» Das war für uns das Signal. Wir sagten das gleiche. Und dann befanden wir uns wieder in dem stinkenden Bau, schlapp und niedergeschlagen. Aber wir hatten ihnen unseren Widerstandswillen und unsere Solidarität gezeigt. Und ein kleiner Erfolg war uns doch vergönnt. Wir erhielten für abends eine zusätzliche Freistunde. Nach einigen Tagen kriegten wir sogar an Stelle der ekligen Sisaltaue saubere Bindfäden zum Aufpuhlen. Die älteren Genossinnen hatten unsere Aktion zwar mit Stolz aber auch mit grosser Sorge verfolgt. Sie wussten besser als wir, was eine Meuterei im Gefängnis für Folgen haben konnte. Auch waren sie bekümmert wegen un- serer angeschlagenen Gesundheit. Sie setzten sich auf allerlei Schleichwegen mit uns in Verbindung, teilten ihre Rationen mit uns, versuchten, uns ein bisschen hochzupäppeln. Elisabeth Bruhn und Maria Cords arbeiteten beim

45

Gemüseputzen. Sie nutzten jede Gelegenheit, um für uns Möhren, Pellkar- toffeln und anderes aus der Küche zu stibitzen. Die Esssachen schoben sie uns mit viel Geschicklichkeit, versteckt in Wäschekörben und Essenbitons, zu. Wir hatten das Gefühl, als wären sie unsere Mütter, die sich um uns sorgten. Das gab uns Kraft und Zuversicht, und wir holten auch gesund- heitlich wieder auf. Nach einiger Zeit stellte sich ein weiterer Erfolg ein. Wir brauchten nicht mehr in den stinkigen Zellen zu arbeiten. Tagsüber waren wir jetzt gemein- sam in einem richtigen Arbeitsraum. Das war für uns eine grosse Freude und Genugtuung. Unser Kampf hatte doch Erfolg gehabt.

Lina Knappe «Es war alles ganz einfach»

Als Lina Knappe den vorstehenden Beitrag zu diesem Buch geschrie- ben hatte, baten wir sie, ein wenig aus ihrem Leben zu berichten. Lina wehrte ab. «Von mir gibt es nichts zu erzählen. Es war alles ganz ein- fach.» Auf Drängen brachte sie einige handbeschriebene Blätter. Wir geben den Inhalt unverändert wieder.

Ich wurde im ersten Weltkrieg, am 15. August 1915, in einer Arbeiterfami- lie in Hamburg geboren. Mein Vater, Friedrich Frank, genannt Fiete, war Hafenarbeiter. Meine Mutter, Emma Ebert, war die Tochter eines Zigarren- machers. Vater war in der Hafenarbeitergewerkschaft und in der Sozial- demokratischen Partei. Er hat mir viele Male aus seinem Leben erzählt, von Maidemonstrationen, von Streiks, von Zusammenstössen mit der Polizei und von August Bebel. Einmal, es muss 1905 oder 1906 gewesen sein, hat Rosa Luxemburg in Hamburg auf einer grossen Kundgebung gesprochen. Die Ar- beiter waren begeistert. Als Folge machten sie den ersten politischen Streik in Deutschland. Sie forderten ein besseres Wahlrecht. Meine ersten Erinnerungen an meinen Vater sehen ihn als Soldat. Als er aus dem ersten Weltkrieg nach Hause kam, war Revolution. Die Arbeiter in Deutschland wollten auch eine Revolution, wie in Russland. Dann wur- den Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet, und es gab die Wei- marer Republik. Ich weiss aus dieser Zeit nicht viel, am meisten von Streiks, Arbeitslosigkeit und Demonstrationen. Mit zehn Jahren wurde ich Pionier und trug ein rotes Halstuch.

46

1931 ging ich in den Kommunistischen Jugendverband. Wir wollten für eine bessere Welt und gegen den Krieg kämpfen. Als die Nazis an die Macht kamen, gab es bei uns und anderen Genossen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Viele wurden gefoltert und totge- schlagen. Dann fingen auch im Jugendverband die Verhaftungen an. Henry Knappe kannte ich aus dem Jugendverband. Er war am 14. Oktober 1916 geboren. Wir wurden zusammen verhaftet und verurteilt. 1937 kamen wir wieder heraus. 1939 haben wir geheiratet. Weil ich aus politischen Gründen gesessen hatte, kriegte ich keine Arbeit und darum auch keine Arbeitspapiere. Darum ging ich eine Zeitlang zum Bauern als Landhelferin. Dann suchte ich mir in Hamburg Arbeit. Ich kam bei der Füllhalterfabrik Montblanc an. Hier habe ich an der Schleif- und Poliermaschine gearbeitet. Wir Antifaschisten im Betrieb gaben uns Mühe, mit den Arbeitern zu dis- kutieren, denn viele waren auf den Rattenfänger Hitler hereingefallen. Wir klassenbewussten Arbeiter versuchten, den anderen klarzumachen, dass Hit- ler den Krieg wollte. Das war schwer. Die grosse Arbeitslosigkeit war ja vor- über. Es gab Arbeit bei der Autobahn. Nur wurde man auch dabei nicht satt. Henry arbeitete bei Doberstein in der Schanzenstrasse. Da wurden Kühltruhen und ähnliches hergestellt. Dann kam der Krieg. Nun mussten wir Antifaschisten mit Äusserungen und Diskussionen noch vorsichtiger sein. Es war eine schwere Zeit; denn die Nazis feierten einen Sieg nach dem anderen. Wir waren sehr niederge- schlagen. Aber wir haben niemals geglaubt, dass Hitler die Sowjetunion be- siegen könnte. 1941 wurde meine Tochter Marlis geboren (unser Sohn kam 1948). Meinem Mann ging es gesundheitlich nicht gut. Darum brauchte er nicht Soldat zu werden. Die Nazis hatten ihm 1934 bei den Verhören ein Ohr zerschlagen. Im Eppendorfer Krankenhaus stellten sie fest, dass das Trom- melfell geplatzt war. Ausserdem hatte er sich in der Haft eine Tbc geholt. Daran ist er 1960 nach langem Kranksein gestorben. Wir hatten einen netten Freundeskreis. Jeder konnte sich auf den anderen verlassen. Jetzt im Krieg mussten wir unsere Treffs gut tarnen. Wenn wir uns aussprechen wollten, trafen wir uns ausserhalb, auf einer Wanderung oder Radtour. Ende 1941 und Anfang 1942 ging eine Anzahl von führenden Genossen, die im Zuchthaus und Konzentrationslager gewesen waren, daran, aus Be- triebsgruppen eine grosse Widerstandsorganisation aufzubauen. Dass Bern-

47 hard Bästlein (wir nannten ihn Berni Bumms) der Führer war, erfuhren wir aber erst nach dem Zusammenbruch des Hitlerreiches, als er und viele Ge- nossen längst hingerichtet oder ermordet waren. Die Widerstandsorganisation hatte ihre Hauptstützen auf den Werften und in Grossbetrieben. Die Arbeiter waren früher meistens in der KPD oder SPD und gewerkschaftlich organisiert. Als der Krieg sich hinzog und viele an die Front mussten, wurden die Arbeitskräfte knapp. Darum mussten dort auch Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und Häftlinge aus Konzentrations- lagern arbeiten. Diesen ging es sehr schlecht. Jeden Tag brachen welche vor Hunger und Schwäche zusammen. Andere wurden tot herausgetragen. Einige Arbeiter organisierten heimlich Sammlungen. Auch wir halfen, so gut wir konnten. Es fiel uns manchmal schwer, weil wir auch für unsere Illegalen sorgen mussten. Wir brachten Geld, Lebensmittel, verschiedenes zum Anziehen und Zigaretten zusammen. Damit die ausländischen Kamera- den wussten, was an der Front los war, organisierten Genossen für sie eine Art Nachrichtendienst. Die Hitlerarmeen konnten nun nicht mehr dauernd Siege aufweisen. Als die Abende kürzer wurden, haben wir manchmal ausländische Freunde ein- geladen, die in der Nähe in einem Barackenlager wohnten. Wir hörten zu- sammen «Feindsender». Weil man draussen leicht die ausländischen Sende- zeichen hören konnte, legten wir eine Decke über den Radioapparat und krochen allesamt mit den Köpfen darunter. Wir wussten, dass mancher, von seinen Nachbarn denunziert, ins KZ kam, nur weil er ausländische Sender hörte. Heute kann sich das keiner mehr richtig vorstellen, dieses Radio- hören. Aber damals, wenn die Gestapo dahinterkam, konnte es den Kopf kosten. Nach dem Sieg der Roten Armee bei Stalingrad gab es unter uns grossen Jubel. Nun musste es bald mit den Nazis zu Ende gehen. Wenn nur die Eng- länder sich beeilten mit der zweiten Front. Oktober/November 1942 hatten Massenverhaftungen stattgefunden. Die Gestapo hatte es besonders auf die führenden Genossen unserer Widerstandsorganisation abgesehen, aber es wurde auch jeder verhaftet, der als Antifaschist verdächtig war. Die Ge- stapo hatte überall ihre Spitzel und Provokateure. Unter den Verhafteten waren viele von unseren Freunden aus dem Kommunistischen Jugendver- band, die schon mit uns im Gefängnis gesessen hatten. Im Juli 1943 wurden wir bei dem Grossangriff auf Hamburg ausgebombt. Die Menschen blieben im glühenden Asphalt stecken oder wurden durch die Luft gewirbelt, und dazwischen fielen immer noch Bomben. Es ist wie ein Wunder, dass wir mit dem Leben davongekommen sind. In unserer Strasse waren fast alle Häuser zerstört. Wir wohnten danach in einem Behelfsheim

48 mit anderen Ausgebombten; aber weil Henry unter Tbc-Aufsicht stand, krieg- ten wir bald eine Wohnung. Bei den Grossangriffen wurden im UG (Untersuchungsgefängnis) auch Was- ser- und Kanalrohre getroffen. Darum mussten grosse Teile geräumt werden. So kam es, dass viele von unseren Genossen auf Ehrenwort beurlaubt wur- den. Sie sollten sich nach einiger Zeit wieder freiwillig stellen. Führende Genossen gaben die Parole aus, dass sich niemand stellen dürfe. Wir dach- ten, dass es mit Krieg und Naziherrschaft bald ein Ende hätte. Für ein paar Monate könnten wir sicher unsere Illegalen verstecken und mit Geld und Lebensmitteln versorgen. Als wir die neue Wohnung kriegten, waren wir für die Leute im Hause ein unbeschriebenes Blatt. Wir brauchten auch kaum etwas zu befürchten, denn es waren ehrliche Arbeiter, die früher zur SPD oder zur KPD gehörten. Das zuständige Polizeirevier wusste auch nichts von uns. Darum war unsere Wohnung ziemlich sicher, und es fanden bei uns häufig illegale Besprechun- gen von führenden Genossen statt. Walter Bohne * sagte, es käme jetzt dar- auf an, mit allen Antifaschisten die Verbindung zu halten. Wir müssten uns auf den Zusammenbruch des Faschismus vorbereiten. Noch bevor die Eng- länder oder Amerikaner in Hamburg wären, müssten die Arbeiter wichtige Punkte besetzt haben und schon mit den Naziführern aufräumen. Wenn das nicht wäre, könnte es leicht sein, dass die Sieger uns Arbeitern keine Chance liessen, später an erster Stelle mitzubestimmen. Inzwischen gingen die Verhaftungen immer weiter. Walter Bohne wurde bei seiner Verhaftung auf der Strasse erschossen. Im Mai 1944 waren die grossen Prozesse gegen die Mitglieder aus der Widerstandsorganisation. Im Juli / August wurden die zum Tode Verurteilten hingerichtet, andere Ham- burger Genossen später in Berlin. Wir waren wie erschlagen. Auch viele, die sich noch länger verstecken konnten, fielen der Gestapo in die Hände; dabei auch Aenne**, Klara, Liesbeth, Trudel, Jonny Stüve, Kurt Friedrichs. Wir erfuhren bald, dass Kurt und Jonny schon tot waren. Auch die Frauen – besonders Aenne – mussten eine schwere Zeit durchmachen. Addi Matschke – auch ein sicherer Todeskandidat – war ihnen entkom- men. Er war der letzte der Illegalen, der zu uns kam und den wir versteck- ten. Wir hatten Angst um ihn; denn die Gestapo hielt nun auch Haussu- chung bei denen ab, die schon früher gesessen hatten. Wir wussten nicht ein und aus. Zuletzt fanden wir für Addi doch noch einige Ausweichquartiere,

* Siehe Bericht seiner Frau, Aenne Bohne, Seite 103. ** Hier handelt es sich um Aenne Bohne, siehe den Bericht «Meuterei im Jugendgefängnis».

49 wo er sich abwechselnd für kurze Zeit verstecken konnte. Als dann die Ge- stapo zu uns kam, war Addi zum Glück nicht da. Das rettete ihm das Leben. Als es endlich mit Krieg und Naziherrschaft vorbei war, kamen die Genos- sen aus Zuchthäusern und Konzentrationslagern nach Hause. Es waren nur wenige, die überlebt hatten, von vielen Genossen und Freunden. Die mei- sten von ihnen waren gesundheitlich fertig; aber alle machten grosse Pläne für die Zukunft, denn der blutige Kampf durfte nicht umsonst gewesen sein. Wir wollten ein neues Deutschland aufbauen. Nie wieder sollte es Krieg und Faschismus geben!

Hitler bedeutet Krieg!

Bei der grossen Eisenbahnbrücke an der Mauer eines Lagerhauses stand in grossen Buchstaben in weisser Schrift: Hitler bedeutet Krieg!

Tausende und aber Tausende gingen daran vorbei, über die Brücke hinweg in die Neustadt oder Altstadt ihrer Arbeit nach. Sie lasen Tag für Tag: Hitler bedeutet Krieg!

Sie lasen diesen Satz von der Brücke aus an der Wesermauer über dem Wasser. Und sie lasen ihn am Zaun, dem langen, der ihre Werft umfasste: Hitler bedeutet Krieg!

50

Eines Tages sahen sie, wie wir Gefangene die Schrift unter SA-Bewachung bei der grossen Eisenbahnbrücke wieder abwuschen. Aber so sehr wir auch schrubbten: Hitler bedeutete Krieg!

Eines Tages war die Schrift fort samt der Mauer auf der sie stand. Samt dem Lagerhaus, das auf der Mauer stand. Und die Brücke war zerstört und die Wesermauer. Und die Stadt war ausgebrannt und viele Städte mit ihr. Hitler bedeutete Krieg!

Die wir dies gestern schrieben müssen heute schon wieder mahnen und schreien. Werden wieder Tausende nur vorbeigehen, ihrer Arbeit nachgehen? Und – werden sie morgen noch lesen können was wir schrieben? Noch hören können was wir schrien? Heute müssen sie sich entscheiden, morgen ist es zu spät!

(Flugblattgedicht Nr. 14 von Pelle Igel)

51

Elly Jllmer-Reuter

Seite an Seite

Im Jahre 1915 wurde ich geboren. Als ich ein Jahr alt war, fiel mein Vater. Meine Mutter hat den sinnlosen Tod ihres Mannes nie vergessen. Sie hasste den Militarismus mit aller Leidenschaft und hat mich in diesem Sinne er- zogen. Mutter bekam keine Rente. Um sich und mich ernähren zu können, arbeitete sie im Glühlampenwerk Auer. Bis zu 70 Grad Hitze herrschte in einigen Arbeitssälen. Durch diese schwere Arbeit und dadurch, dass sie sich nie richtig satt essen konnte, wurde Mutter schwer lungenkrank. Ihr Leiden und der Hunger machten sie oft ungeduldig und ungerecht. Sie strafte mich hart, wenn ich meine Sachen zerrissen hatte, denn Geld, um neue Kleidung zu kaufen, war nicht da. Nur den geschickten Händen meiner Mutter war es zu danken, dass ich immer ordentlich angezogen war. Nach dem Krieg gab es keine Arbeit. Es war ein jammervolles Leben. Mit sechs Jahren kam ich in den Arbeitersportverein «Fichte». Hier fand ich Verständnis und Antwort auf viele Fragen. Freunde machten mir klar, warum meine Mutter so oft barsch zu mir war. Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen gehören die Demonstrationen unter einem Meer von roten Fahnen. Zuerst ging ich an der Hand meiner Mutter, später mit meinen Sportkameraden. Durch die sportliche Betätigung verlor ich die Anfälligkeit für Krankheiten und lernte Disziplin in allen Lebenslagen. Mit sechzehn Jahren trat ich dem Kommunistischen Jugendverband bei. Wir verteilten Flugblätter, verkauften Broschüren und diskutierten. Genossen gaben mir Bücher, wie Makarenkos «Der Weg ins Leben», Alexander Ne- werows Roman «Taschkent – die brotreiche Stadt», Gorkis «Mutter» u.a. Sie sorgten auch dafür, dass ich mich mit der Theorie des Marxismus-Leni- nismus beschäftigte und schickten mich zu dem Genossen Duncker, einem engen Vertrauten Karl Liebknechts und Mitbegründer der Kommunisti- schen Partei. Er war ein hervorragender Lehrer, der seine Kurse vor 1933 in der Marxistischen Arbeiterschule in Berlin-Neukölln abhielt. Mit seiner Hilfe erarbeitete ich mir die Grundlage, um später selbständig wissen- schaftliche Werke lesen zu können. Besonders schnell hatte ich Marx’ «Lohn, Preis und Profit» begriffen. Es fiel mir nicht schwer, mich in die Disziplin der Kommunistischen Partei ein- zufügen. Ich versuchte, andere Menschen für uns zu gewinnen, so auch den

52

Mann, den ich geheiratet hatte. Er war kein Genosse. Nach 1933 kam er immer mehr unter den Einfluss seiner Mutter, und wir hatten keinen inne- ren Kontakt mehr zueinander. Nachdem er sich einem SA-Spielmannszug anschloss, trennte ich mich von ihm, so schwer es mir auch fiel. Weil er kei- nen Unterhalt für unser Kind bezahlte, konnte ich unsere Tochter seinem Einfluss entziehen. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet und habe dann auch das Sorgerecht bekommen. Die Solidarität war in der Arbeiterklasse stark ausgeprägt. Über meinem ganzen Leben leuchtet dieser Stern. Schon in meiner Kinderzeit war es meine Mutter, die half, wo Not war, und Quartiere zur Verfügung stellte. Während des Krieges gegen die Sowjetunion half sie sowjetischen Kriegs- gefangenen, die in der Nähe ihrer Wohnlaube in einem Lager waren und bei schwerer Schienenarbeit furchtbar hungern mussten. Sie sammelte Brot und Zigaretten und nähte Säckchen, in die sie das Gesammelte hineintat. Unsere Kinder stellten diese Säckchen an die Bäume. Blitzschnell wurden sie dann von den ausgehungerten Sowjetsoldaten ergriffen. Das Jahr 1939 war für mich ein bedeutsames Jahr. Werner Ulmer, der Bru- der einer Sportfreundin, kam aus dem Zuchthaus Luckau. Ich kannte Wer- ner schon vor 1933. Er war Mitglied des Kommunistischen Jugendverban- des, arbeitete aber in einer anderen Gruppe. 1935 wurde er verhaftet. Seine Mutter, obgleich keine Genossin, war eine grossartige Frau. Sie hielt zu ihrem Sohn. Die Rede eines Gestapobullen: «Was kümmern Sie sich um den Bengel, die Kohlrübe fällt ja doch», konnte sie nicht beirren. 1939 fragte sie mich, ob ich Werner Arbeit besorgen könne. Die Gestapo habe Werner vor die Alternative gestellt, innerhalb von acht Tagen Arbeit vor- zuweisen oder ins Konzentrationslager zu wandern. Zu dieser Zeit arbei- tete ich in einem Anwaltsbüro von fünf Anwälten. Der Seniorchef stellte auf meine Bitte Werner als Registraturgehilfen ein. Als dieser Chef starb, wurden Werner und ich von seinem Nachfolger, einem Faschisten, hinaus- geworfen. Nun, wir bekamen andere Arbeit, Werner sogar durch einen an- deren Anwalt in einer Bank. Wir haben ein wunderbares Leben geführt. Wir liebten uns. Wir waren uns einig im Hass gegen die Faschisten und taten alles, was in unseren Kräften stand, um ihnen zu schaden. Im Dezember 1939 beschlossen Werner und ich zu heiraten. Der Standes- beamte verlangte von uns einen Gesundheitspass. Er sagte: «Sie können doch nicht normal sein, wenn Sie einen Zuchthäusler heiraten, und Sie sind nicht normal, weil Sie Zuchthäusler waren. Bringen Sie keinen Gesund- heitspass bei, müssen Sie sterilisiert werden.» Werner wohnte damals am Prenzlauer Berg in Berlin. Genossen rieten uns, den Kreisarzt dieses Bezirks

53 aufzusuchen. Dieser gab uns auch ein Schreiben mit, in dem er sich verbat, ihm völlig gesunde Menschen zu schicken. Werner hatte kaum etwas Gutes anzuziehen. Die Genossen halfen uns. Der eine besorgte Schuhe, der an- dere eine Hose u.a. So konnte Werner in anständiger Kleidung mit mir zum Standesamt gehen. Am 16. Dezember kam der grosse Tag. Der Heiratsablauf selbst war eine einzige Komödie. Eine Schiessbudenfigur von einem Standesbeamten schloss mit grosstönenden Worten über Hitlers Sendung und über unsere Pflichten, unseren Ehebund. Auf den Rathaustreppen konnte ich das Lachen nicht mehr verbeissen. Nach einem Jahr ging auch der Glückwunsch meiner Kol- legen «Glück und Einigkeit und übers Jahr ’ne Kleinigkeit» in Erfüllung. Unser Kind wurde geboren. Zu meiner Tochter aus erster Ehe hatte Werner ein inniges Verhältnis. Er hat sie mit in die Familie übernommen, der neben der politischen Arbeit seine ganze Sorge und Liebe gehörte. Gemeinsam stellten wir Flugblätter her. Werner verteilte sie morgens in der S-Bahn. Diese Flugblätter machten wir in Druckschrift. Den Gefallen, die Flugblätter mit meiner eigenen Schreibmaschine herzustellen, taten wir der Gestapo nicht. Sie hatte sich längst von der Type unserer Maschine über- zeugt. Unser Leben war nicht leicht. Werner hatte sich im Zuchthaus eine Herz- krankheit geholt, die er vor mir zu verbergen suchte. Sehr viel Zartgefühl war nötig, um ihn nach und nach ruhiger zu machen. Ich schaffte es auch. Wenn irgend etwas mit Behörden zu erledigen war, trat ich in Erscheinung. Wemer liess ich nach Möglichkeit aus dem Spiel. Ich besass genug Selbstbe- wusstsein und Energie, um mich gegebenenfalls auch in schwierigen Situa- tionen durchzusetzen. So ging ich z.B. Mitte 1942 zum zuständigen Polizei- revier und verlangte, dass der tägliche Meldezwang für Werner aufhören solle, weil er sonst Ärger bei der Arbeit bekäme. Das Gesicht des Revier- vorstehers schwoll vor Wut rot an. Er brüllte mich an: «Kennen Sie den deutschen Gruss nicht? Sind Sie überhaupt eine deutsche Frau?» Doch dann überliess er mich einem Revierbeamten, der vernünftig war. Ich erreichte, dass Wemer sich nur noch alle paar Wochen melden musste, und zwar dann, wenn er dazu aufgefordert wurde. Werner und ich arbeiteten sehr viel, einmal beruflich und zum anderen an unserer Weiterentwicklung. Zu der Zeit war es nicht leicht, an uns interes- sierende politische Bücher heranzukommen. Von Genossen bekamen wir marxistische Literatur. In Berlin-Lichtenberg, Augustaplatz, hatten die Ehe- leute Hiller eine Leihbibliothek. Sie hatten die von Hitler verbotenen Bü- cher nicht beseitigt, sondern versteckt. Diese bekamen wir des Öfteren von ihnen ausgeliehen.

54

Bis zu seiner Einberufung als Strafsoldat hatte sich Werner in verschiede- nen Firmen, zuletzt bei der Firma Agil, bis zum Bilanzbuchhalter heraufge- arbeitet. Er besuchte Fachkurse und übernahm noch Nebenarbeiten als Buchhalter. Die Nebenarbeiten liessen sich gut tarnen für bestimmte Treffs. Wir gingen gern ins Theater oder in die Oper. Ich selbst arbeitete zu Hause, weil ich nach der Geburt unseres Kindes nicht mehr im Betrieb arbeiten konnte. Die Schreibarbeiten bekam ich von einem Rechtsanwalt. Heute hört sich das alles leichter an, als es damals war. Wie oft habe ich in die Nacht hineingehorcht, weil ich nicht schlafen konnte. Ich lauschte auf Werners Atemzüge, die schwer waren, wenn ihm das Herz zu schaffen machte. Ich sah nach den Kindern. Oft dachte ich, gleich wird es klingeln, und die Gestapo steht vor der Tür. Sicher war man nie. Trotz allem verlor ich nie den Mut. Meine Sorgen habe ich mir nicht anmerken lassen. Wer- ner spürte nur meine Liebe und Bewunderung seiner Klugheit. 1943 wurde Werner – wie viele andere Genossen – zum «Bewährungs- Bataillon 999», einer Strafdivision mit dem Standort Heuberg, eingezogen. Dort besuchte ich ihn viermal, zweimal mit den Kindern. Auf dem Heuberg machten wir uns klar: Jetzt hiess es getrennt marschieren und vereint schla- gen. Für Werner stand fest, keinen Schuss für die Faschisten abzugeben, aber jedes Mittel gegen die Faschisten anzuwenden. Er wollte versuchen, auch andere Menschen für die Arbeit gegen die Faschisten zu gewinnen. Bald gehörte er der illegalen Leitung der Antifaschisten auf dem Heuberg an. Zur Strafdivision gehörten sogenannte Stammannschaften, die vom Ge- freiten an aufwärts die militärische Führung hatten und auch versuchten, die Strafsoldaten politisch im Sinne der Faschisten zu erziehen. Es war aber so, dass umgekehrt eher ein Schuh daraus wurde. Bei meinen Besuchen auf dem Heuberg lernte ich andere Frauen von Wi- derstandskämpfern kennen. Einige Erlebnisse möchte ich nicht unerwähnt lassen. Das erstemal war ich mit vielen anderen Frauen zusammen im März 1943 auf dem Heuberg. Die Männer bekamen keinen Ausgang. Eine ältere Frau aus dem Ruhrgebiet war eine gute Organisatorin. Mit dem richtigen Gefühl, wem sie etwas sagen konnte, flüsterte sie uns zu: «Jeden Unteroffizier und Offizier ansprechen: ,Wir wollen unsere Männer sehen.’» Das machten wir auch. Am Zaun des Truppenübungsplatzes trafen wir uns und riefen im Sprechchor: «Wir wollen unsere Männer sehen!» Die Posten flehten uns an, wir sollten Weggehen, sonst müssten sie auf uns schiessen. Als unsere Männer dann erstmalig in Gruppen ins Kino ausgeführt wurden, gingen wir Frauen natürlich mit. Für mich ging die Sonne auf, als ich mei- nen Werner sah. Es gab wenige Menschen, die bereit waren, uns Quartier

55 zu geben. Dankbar möchte ich hier Frau Fecker in Tiergarten (ein Orts- name) und die Eheleute Glückler in Schwemmingen erwähnen. Obgleich sie wussten, dass unsere Männer ehemalige politische Häftlinge waren, nutz- ten sie unsere Notlage nicht aus und waren sehr freundlich. In unseren Ge- sprächen legte Werner mir immer wieder ans Herz, unsere bisherigen Stu- dien auch allein fortzusetzen. Es handelte sich besonders um unsere Ge- schichts- und gesellschaftswissenschaftlichen Studien. Werner war, bevor er eingezogen wurde, ständig Gast in der Berliner Stadtbibliothek gewesen. Seine Lesekarte besitze ich noch und einen Notizzettel über den Histori- schen Materialismus. Immer wieder sagte er zu mir: «Unternimm alle An- strengungen, um die Kinder den faschistischen Einflüssen zu entziehen.» Ihnen galt seine ständige Sorge. Bei meinem letzten Besuch im Juni 1943, vor Werners Einsatz in Griechen- land, bereitete er mich darauf vor, dass ich evtl, von Berlin fort müsse. Ich sollte auf ein bestimmtes Telegramm oder auf besondere Formulierungen in seinen Briefen achten. Er sagte sehr eindringlich zu mir: «Ellychen, es ist notwendig. Ich kann dir nicht alles im Einzelnen sagen, aber du musst dann alles Notwendige in die Wege leiten.» Da ich nicht gewohnt war, unnütze Fragen zu stellen, stimmte ich zu, wenn auch sehr zögernd, denn Werner sorgte sich um unsere Sicherheit. In Berlin hatte ich Verwandte und Genos- sen. Ich konnte z.B. Lebensmittelkarten für illegal arbeitende Genossen an bestimmte Adressen schicken, weil ich mir durch intensive Arbeit mit Maschinenschreiben und Nähen zusätzliche Lebensmittel verschaffte. Erst viel später, als die Briefe aus Griechenland kamen, begriff ich in vollem Umfang Werners Absichten. Ich liess mich mit den Kindern evakuieren. Wir kamen nach Braunsberg in Ostpreussen. Hier bekam ich die Nachricht von Werners Plan zur «Fahnenflucht». Mit einem Brief vom 15. Oktober 1943 bereitete er mich auf Ereignisse vor, die evtl, eintreten könnten, und mit einem Brief vom 30. Oktober 1943 teilte er mir in einer Geheimschrift mit, dass ich mich evtl, von ihm pro forma lossagen sollte. Er dachte dabei an die Sippenhaft der Faschisten, die Frauen und Kinder ins Konzentrations- lager brachten, weil diese zu ihren Männern hielten, die Hitlergegner wa- ren. Ich schrieb ihm dann zwar, um ihn zu beruhigen, dass ich seine Briefe verstanden hätte, aber für mich stand fest, dass ich es nicht tun würde. Es gab viele Menschen, die ein anderes, besseres, menschliches Deutschland vertraten und mir das Schwere tragen halfen; aber es gab auch andere, die sich niederträchtig und gemein verhielten, die sich nicht scheuten, ihre schmutzigen Finger an meinen Kindern abzuwischen. Ihnen habe ich, dies- mal mit meinen Händen, nachdrücklich klargemacht, dass sie meine Kinder nicht anzurühren hätten. Dass diese Elemente vor mir ausspuckten und mich

56 beschimpften, machte mir nicht viel aus. Die wahren Menschen hielten zu mir, wie meine Wirtsleute, die Familie Sloikowski und eine ehemalige SAJ- lerin, die Briefe und Dokumente, die meinen Werner betrafen, versteckte. Unvergessen ist mir auch ein Unbekannter, der mir vor dem Besuch der Gestapo eine Karte zustellen liess, dass ich keine Unterstützung mehr be- kommen würde. Somit war ich gewarnt. Der erste Beamte – in der Aufre- gung vermochte ich nicht deutlich den Ausweis zu erkennen – tat mir wei- ter nichts. Einige Zeit später tauchte ein zweiter Gestapobulle auf, der mich mehrmals auf die Arme schlug, als ich mir den «Herrenbesuch» verbat. Ich sagte, er solle in den Kleiderschrank sehen, ob mein Mann darin sitzen würde und mich in Zukunft zum Amt bestellen. Ich wurde aufgefordert – von beiden –, dass ich mich scheiden lassen sollte. Dem ersten gegenüber redete ich mich heraus, dass ich wegen der Bomben ja nicht nach Berlin könne. Dem zweiten Gestapobullen lehnte ich das Ansinnen mit den Wor- ten ab: «Was der liebe Gott zusammenfügt, das soll der Mensch nicht schei- den!» Hinterher habe ich geweint und gelacht – geweint über das Ansin- nen und gelacht über das dumme Gesicht der Gestapobullen. Von beiden bekam ich wieder die Drohung zu hören, sie würden meine beiden Kinder in nationalsozialistische Erziehung bringen. Die Aufregungen verursachten bei mir eine nervliche Erschütterung, die sich im Zucken der rechten Kopf- hälfte und in einer Versteifung des linken Armes bemerkbar machte. Schande über den Militärarzt (der gleichzeitig Zivilisten behandelte), der zu mir sagte: «Eine Kommunistensau behandele ich nicht.» Ich verliess diesen «Arzt» mit den Worten: «Ich möchte wissen, wer wohl die grösste Sau von uns beiden ist.» Meinen Dank an die ehemalige Gemeindeschwester, die in der Nazizeit NSV-Schwester genannt wurde. Sie half mir, dass ich meinen linken Arm nach Wochen wieder bewegen konnte. Braunsberg war eine Lazarettstadt. Es gab dort viele verwundete Soldaten. Meine oben erwähnte SAJlerin hatte persönliche Verbindungen zum Laza- rett und versuchte, die Soldaten davon zu überzeugen, dass der Krieg be- endet werden muss. Das hörte sich natürlich leichter an, als es war. Die Nazifrauen organisierten unter den Bürgern in Braunsberg Besuche mit Geschenken für die Verwundeten. Unter diesem Deckmantel machte die SAJlerin ihre Arbeit. Da ich in dieser Zeit nicht ganz ohne Schatten (Ge- stapo-Beobachter) war, organisierte ich meine illegale Arbeit etwas anders, zwar mit grosser Mühe verbunden, aber sicherer. Die Zigarettenzuteilung verwandte ich für die Verwundeten. Ich hatte auch noch Zigaretten von Werner, die er mir zugesandt hatte, um sie gegen Lebensmittel einzutau- schen. Die Zigarettenschachteln hatten eine Banderole, die ich in mühsa-

57 mer Arbeit über Dampf löste, dann tat ich ein selbstgefertigtes kleines Flugblatt in die Schachtel und klebte die Banderole mit Eiweiss wieder an. Glücklicherweise bekam ich von meinen Wirtsleuten hin und wieder ein Ei geschenkt. Auf diesen Zetteln forderte ich die Soldaten auf, sich nicht wie- der in den verlorenen Krieg schicken zu lassen. Die Soldaten hatten teil- weise eine panische Furcht vor einem gewissen Keller im damaligen Königs- berg. Dort wurden die Verwundeten mit gewaltsamen Mitteln wieder front- verwendungsfähig gemacht. Es gab sogar einarmige Soldaten, die sich zur Panzerarmee meldeten. Darum war es sehr sehr schwer, mit den Verwun- deten zu sprechen. Für die Übermittlung der Zigaretten an die Soldaten nutzte ich die Sammlungen durch die NSV über irgendeine x-beliebige Evakuierte, so dass es schwierig war aufzudecken, von wem die Zigaretten stammten. Ich hatte die Bekanntschaft einer Frau gemacht, die bei Bauern vor der Stadt wohnte. Wir besprachen Flüsterparolen, die wir auch anwandten, als es hiess, alle Evakuierten müssten weg. Aus dem Osten kamen immer mehr Flüchtlinge. Die Rote Armee rückte näher. Es war Juli 1944. Viele evaku- ierte Frauen stammten aus Berlin und dem Rheinland, wo die Bomben ihr Hab und Gut zerstört hatten. Durch ihre Arbeit und die Hilfe von guten Menschen hatten sie wieder einige Sachen für sich und die Kinder anschaf- fen können. Jetzt sollten sie wieder alles stehen lassen und nur mit einem Koffer fliehen, weil Güterzüge für die Front gebraucht wurden. Unsere Flüsterparolen wirkten. Als der Tag der Evakuierung, der 26. Juli 1944, kam, glaubte man, eine ganze Stadt sei auf den Beinen. Leiterwagen mit Sachen der Evakuierten fuhren zum Bahnhof. Ein Güterwagen nach dem anderen musste angehängt werden. Die Bahnhofswache (SS-Soldaten) fluchte, schimpfte, tobte. Es nutzte nichts. Die Frauen waren eben da. Der unendlich lange Zug schlich wie eine Schnecke. Nach etwa 36 Stunden ka- men wir in Naumburg an. In den nächsten 24 Stunden waren wir in den verschiedensten Orten in der Gegend von Naumburg untergebracht. Ich kam mit den Kindern nach Schönburg. Dort bekam ich die Nachricht von Braunsberg nachgesandt, dass mein Werner am 28. Juli 1944 – 05.10 Uhr – erschossen worden war.

58

Abschiedsbrief Werner Jllmers an seine Frau Elly

59

Gertrud Meyer Die Mutter des Deserteurs

Draussen schien die Sonne. Die Lindenbäume im Gefängnishof reckten ihre Zweige bis an mein vergittertes Fenster. Auf der Baumspitze sang eine Amsel – meine Amsel. Ich kannte ihre Stimmungen, wusste, wie sich im Tagesablauf ihre Tonfolge änderte. Am schönsten war es, wenn sie auf der höchsten Baumspitze ihr Abendlied sang. Dann öffnete ich die Fenster- klappe, lauschte ihrem Gesang, und meine Sehnsucht wuchs nach Freiheit, nach meinen Lieben, nach Blumen, Duft und Sonne, ich erinnerte mich an vergangene, glückliche Tage. Sechs Monate isolierter Einzelhaft lagen jetzt hinter mir. Selten war mir das lange Alleinsein so schwergefallen. Wie viele Menschen, die ich liebte, Freunde und Genossen hatte ich in diesem Jahr verloren. Ich wusste, es würden nicht die letzten sein. Da meine Gestapoverhöre endlich abgeschlossen waren, hoffte ich auf das Ende meiner Isolierung – wenn nicht wieder etwas Unvorhergesehenes «aufplatzte». Ausserdem brauchte die Gestapo Raum. Nach den Ereignissen des 20. Juli waren alle Säle und Zellen überfüllt, aber in meiner Zelle gab es noch zwei freie Schlafstellen. Gewiss, man konnte mir recht unliebsame Mithäftlinge oder Provokateure in die Zelle legen, das wäre nicht das erste- mal. Ich hatte aber auch verstanden, sie ziemlich rasch wieder loszuwerden. Zu den besonderen Haftverschärfungen gehörte auch das Beschäftigungs- verbot. So vertrieb ich mir die Zeit auf eigene Art, rezitierte Gedichte und Balladen, erzählte einer imaginären Zellengenossin aus Romanen und No- vellen meiner Lieblingsschriftsteller. Manchmal ritzte ich zwischen die meist obszönen Schmierereien an der Wand ein kleines selbstverfasstes Gedicht, eine mathematische Gleichung oder versuchte, mich an den komplizierten Aufbau eines Kohlenwasserstoffmoleküls zu erinnern. Einmal, als ich das periodische System an die Wand kratzte, wurde ich erwischt. Diese «Frei- zeitgestaltung» kostete mich drei Tage Freistundensperre und Essensentzug. Da wurde der Riegel zurückgeknallt, Schlüssel drehten sich im Schloss (die Zellen wurden doppelt versperrt) und herein kam die SS-Aufseherin Borge- mehn. Diese dumme, primitive und aufgeblasene Pute, die mit besonderem Stolz ihren fetten Bauch und den quabbeligen Hängebusen in die SS-Uni- form presste, hatte mir in meiner jetzigen Stimmung noch gefehlt. Sie hatte ein Tuch in der Hand, also Sauberkeitskontrolle, die immer gleichzeitig auch eine gründliche Inspektion nach möglicherweise verbotenen Dingen

60 darstellte, von uns Häftlingen «Budenzauber» genannt. Ich stellte mich vor das Doppelbett unter dem Fenster, das Gesicht der Aufseherin zugewendet, die Hände seitlich an den Rock gelegt und meldete vorschriftsmässig: «Zelle einundvierzig, belegt mit Schutzhäftling Meyer.» «Is gut», antwortete sie gnädig und begann, während draussen, vor der offe- nen Zellentür die andere Aufseherin wachte, die Zelle durchzustöbern, öff- nete den Wandschrank, ob sich alles vorschriftsmässig an seinem Platz be- fand, hob Decken und Matratzen in die Höhe, tastete sie gründlich ab, liess mich Wäsche, Strümpfe und Kleider ausbreiten, die Manteltaschen nach aussen kehren und meinen Waschbeutel ausleeren. Dann blieb sie neben mir stehen, bis alles wieder geordnet war und das Karomuster des Decken- bezuges eine fadengerade Kante bildete. Dann klappte sie den Klosettde- ckel in die Höhe, sah hinein und sagte zufrieden: «Wissen Sie, mein Mann, der is Klempner. Der erkennt die Frauen ans Klosett. Sie, würd er sagen, sind eine gute Hausfrau.» Es fiel mir schwer, nicht lachend loszuprusten und erwiderte in dem glei- chen salbungsvollen Ton: «Ja, ja, es gibt so’ne und so’ne.» Die Borgemehn nickte zustimmend. «Da haben Sie recht. Die meisten Dreckschweine gibt es bei die Gebildeten, die mit höhre Schule und so.» Glücklicherweise hatte sie noch mehr Zellen zu inspizieren. Ich war froh, als sie mit ihrem Geschwafel aufhörte und verschwand. Doch kurz darauf erschien das geschwätzige Weib noch einmal, aber neben ihr stand eine Frau, in der Hand einen Pappkarton. «Sie haben Zugang», und zu der Frau gewandt, «holen Sie Ihr Bettzeug rüber.» Das war eine angenehme Überraschung, fast, als habe der Himmel ein Ge- bet erhört. Ich hatte diese Frau bei der Freistunde beobachtet. Sie gefiel mir. Ausserdem hatten wir schon miteinander gesprochen, einmal unter der Dusche, das zweitemal beim Wäscheumtausch. Wir gaben uns die Hände, ich stellte mich vor und sie antwortete mit freundlichem Lächeln: «Made- leine Hoppstock-Huth. Wie angenehm, dass wir beide jetzt Zellengenossen sind.» Ich half ihr emsig, die Sachen einzuräumen, wobei sie gestand, dass sie zu ungeschickt sei, um vorschriftsmässig ihr Bett zu bauen. Nie würde sie es lernen, fadengerade das Karomuster auszurichten. Zweimal hatte man ihr deswegen schon das Mittagessen entzogen. Madeleine ist längst gestor- ben, aber ich denke, sie würde es mir nicht Übelnehmen, dass ich hier aus- plaudere; sie hat es auch nie gelernt. Doch haben sich immer freundliche Zellenkameradinnen gefunden, die ihr halfen. Aber Klosettscheuern konnte sie wirklich. Mich interessierte sehr, warum sie, eine Frau aus anderen gesellschaftlichen Kreisen als die meisten Häftlinge, in die Hände der Gestapo gefallen war.

61

Allerdings warnte ich sie, niemandem, auch mir nicht, mehr zu erzählen, als die Gestapo wirklich wusste. Denn niemand kann beschwören, wieviel er bei Folterungen zur Aussageerpressung aushält. Nun, es war «eine ganz schöne Latte»: Verbindung zu Feindländern über Beziehungen in neutralen Ländern, Heimtücke, Abhören und Verbreiten feindlicher Rundfunksendungen, Sohn und Tochter ins feindliche Ausland emigriert, Fortführen der verbotenen «Internationalen Frauenliga für Frie- den und Freiheit», deren Präsidentin sie war, Besitz von feindlichem Schrift- tum, wozu auch Shakespeare und andere englische Schriftsteller sowie ihre französische Bücherei zählten. Madeleine unterstand der Gestapoabteilung «Westliches Ausland». Ihr Ver- nehmer war Hans Reinhard, ein verrufener Schläger. Er hatte Madeleine wegen «Leugnen und Aussageverweigerung» einige Male geschlagen. Als das nichts nützte, übernahm der Chef, Kriminalrat Paul Stawitzki, die Ver- höre, von Madeleine als ein «richtiger Knochenbrecher» charakterisiert. Dann hörten die Misshandlungen plötzlich auf. Später, nach ihrer Haftent- lassung, erfuhr Madeleine, dass die Gestapoführung festgestellt hatte, dass ihre Angehörigen zur «high society» gehörten. So kam sie trotz Stawitzki ohne schwere Körperschäden davon, wenn sie auch unter den Nachwirkun- gen der Misshandlungen noch lange zu leiden hatte. Die Gewaltanwendungen gegenüber wehrlosen Menschen, die Verletzung der Menschenwürde, hatten Madeleine tief getroffen. Diese Erlebnisse und zum Teil auch der Einfluss unserer Diskussionen hatten manche ihre Auffas- sungen geändert. Die Pazifistin hatte verstanden, dass Faschismus, nationale und koloniale Unterdrückung, gegen die sich ihr Kampf besonders richtete, die gleichen Wurzeln haben und nur offensiv bekämpft werden können. Es war eine erfreuliche, sich gegenseitig befruchtende Gemeinschaft. Wir diskutierten nüchtern und sachlich, aber auch in leidenschaftlichen Streit- gesprächen, doch stets fair und kameradschaftlich. Auf unseren eisenharten Matratzen liegend, philosophierten wir bis tief in die Nacht hinein, so dass die Aufseherinnen häufig auf die Türe klopften und Ruhe forderten. Am meisten beschäftigte uns, was «nachher» kommen müsse. Madeleine hatte schon in ihrem eigenen Freundeskreis die Meinung vertreten, dass nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes eine radikale Änderung unserer Gesell- schaftsstruktur notwendig sei. Wir versuchten uns nun darüber zu verstän- digen, wie das geschehen müsse. Eines Tages fand unsere vertraute Gemeinschaft ein Ende. Das untere des doppelstöckigen Bettes war noch frei. Man brachte uns eine dritte Zellen- genossin. Die Neue blickte verwirrt und unsicher um sich, in der Hand das Bettzeug und ihren Waschbeutel. Sie trug ein schlichtes aber nettes, offen-

62 bar selbstgenähtes dunkelblaues Kleid mit weissem Spitzenkragen. Ihre Haare waren zu einer glatten Frisur geschnitten. Wir begrüssten sie und nannten unsere Namen. Sichtlich erfreut über unseren Ton antwortete sie: «Ich heisse Augustine Pellmann, aber mein Mann nennt mich Stine.» «Dann wollen wir es auch bei Stine lassen», antwortete Madeleine in ihrer gewinnenden Art. Wir halfen der Neuen, ihre wenigen Sachen unterzubrin- gen und ihr die Regeln des Gefängnislebens zu erklären. Mir war ziemlich beklommen, denn ich erkannte, dass Stine, einmal in den Händen der Ge- stapo, in ihrer Beschränktheit gefährlich werden konnte. Nun war es mit unseren Diskussionen und sogar mit den Unterhaltungen über Literatur und Malerei vorbei. Madeleine und ich verständigten uns mit den Augen – äusserste Vorsicht war notwendig. Diese Stine war von Kopf bis Fuss der Typ der Kleinbürgerin, für die es nur die Familie, Kochtopf und Küche und das gemütliche Wohnzimmer mit den Geranien auf dem Fensterbrett gab. Während ich ihr zeigte, wie man ein Bett «baute», sass Stine auf dem Ho- cker und erzählte von ihrem neunzehnjährigen Jungen, den sie offenbar sehr liebte. Er war seit einem halben Jahr Soldat. Ich fragte, warum sie verhaftet worden war. Es war eine alltägliche Ge- schichte, wie es sie zu Dutzenden gab. Das Miethaus, in dem sie wohnte, war bei dem grossen Bombenangriff im Sommer 1943 nicht so schlimm be- troffen worden. Darum musste die Familie Pellmann, obwohl sie nur zwei Zimmer besass, eine Untermieterin in ihre Wohnung nehmen. Stine be- teuerte: «Ich habe sie liebevoll wie eine Schwester aufgenommen. Aber bald habe ich gemerkt, worauf sie scharf war, auf meinen Mann und die schöne Wohnung dazu. Sie hat mich angezeigt, damit sie mich wegkriegt.» «Was sagt denn Ihr Mann dazu?» fragte Madeleine. «Der is doch auf Montage und weiss noch nix davon, weil er nur alle zwei Monate nach Hause kommt.» Stine hatte die Hände im Schoss gefaltet, auf die ihre Tränen tropften. Dann gingen ihre Augen zwischen mir und Madeleine hin und her. «Und wer hat Sie verpetzt?» Jetzt wurde es brenzlich. Ich kam Madeleines Antwort zuvor. «Das ist eine ganz blöde Sache. Die Gestapo hat uns mit zwei anderen verwechselt. Aber bei meiner letzten Vernehmung hab’ ich gemerkt, dass sie schon dahinter- gekommen sind. Vielleicht haben wir Chancen, dass wir bald hier rauskom- men.» Stine schient enttäuscht zu sein. «Ich hab gedacht, dass Sie so richtige Po- litische sind, wie sie immer in den Zeitungen schreiben, die geheime Ketten- briefe oder andere Dinger rumschicken, die manchmal in unserm Brief- kasten liegen.»

63

Madeleine brachte das Gespräch rasch auf ein anderes Geleise. «Von Ket- tenbriefen hab ich noch nie was gehört. Aber wie wäre es, wenn wir Brü- derschaft machen, wir sagen Stine zu dir und du nennst uns auch beim Vor- namen. Wenn wir dann alle wieder zu Hause sind, besuchen wir uns mal und stossen richtig mit einem Glas Wein an.» (Madeleine hatte, ohne auf- zufallen, den richtigen Ton getroffen.) «Au, fein, da wird mein Mann sich auch freuen.» Ich stand Stine gegenüber, an das Klappbett gelehnt, betrachtete das hagere Gesicht, die knochigen, aber nicht ungepflegten Hände. Ich musste wissen, was hinter ihr steckt. Die Bemerkung über «die Kettenbriefe und andere Dinger» beunruhigte mich sehr. Vielleicht war sie doch eine Provokateurin. Ich versuchte mich ihrer Sprache anzupassen. «Für was hat das gemeine Weib dich denn angezeigt?» «Sie hat manchmal auf Hitler geschimpft, und denn hab ich auch so was gesagt, von wegen: erst hat der Gefreite vom Blitzkrieg gesprochen und unsere Soldaten feiern Weihnachten in Moskau. Denn dauerte es mit dem Krieg immer länger. Und der Göring hat gesagt, er will Meier heissen, wenn die englischen Bomben auf uns fallen, aber die Bombenangriffe kamen doch, und er heisst noch immer Göring. Jetzt haben wir schon vier Jahre den Schlamassel.» Ich schüttelte den Kopf, tat entrüstet, wir mussten uns sichern. «Stine, wie konntest du nur so was sagen!» Doch Stine ereiferte sich nun wirklich. «Ich hab aber recht. Zuerst waren wir noch dumm, weil wir von dem Krieg nich viel gemerkt haben. Wir hatten ja auch genug zu essen, mehr wie im ersten Weltkrieg. Und mein Junge war bei der Hitlerjugend, und es hat ihm Spass gemacht. Aber denn würd’ es mit den Bombenangriffen immer schlim- mer. Und meine Mutter ist auch verschütt, die liegt noch immer unter den Trümmern vom Karstadtbunker. Denn haben sie meinen Mann dienstver- pflichtet. Und nu muss mein Jung auch noch Soldat sein. Jetz is er im La- zarett. Sie haben ihm den Blinddarm rausgenommen. Diese Tage kommt er raus. Er hat geschrieben, dass er auf der Durchreise zu seinem Truppen- teil einen halben Tag zu Hause sein kann. Aber da is niemand, nur das ge- meine Weib. Ich könnt das heulende Elend kriegen.» Stine legte den Kopf auf den Klapptisch und weinte. Nein, das war doch keine Provokateurin. Madeleine und mir war bei Stines Erzählung richtig mies geworden. Sie trocknete die Tränen auf ihrem verquollenen Gesicht, knüllte das feuchte Taschentuch zusammen. «Was meint ihr, soll ich die Gestapo fragen, dass sie mir einen Tag frei geben, wenn der Junge kommt?

64

Ich will es ihm doch ein bisschen gemütlich machen, einen Kuchen backen und Blumen hinstellen und ihn an die Bahn bringen. Vielleicht kommt er nich mehr nach Hause. Ein Schulfreund von ihm is auch schon gefallen. Ich schwör bei der Gestapo auf die Bibel, dass ich wiederkomm.» Madeleine und ich blickten einander an. Die Gestapo würde sich totlachen, wenn jemand bei ihr auf die Bibel schwören wollte. Sie kümmerten sich den Teufel um eine verzweifelte Mutter. Ich schüttelte den Kopf. «Damit wirst du kein Glück haben. Versuch es anders. Wenn dein Junge erfährt, dass du verhaftet bist, kommt er sicher von allein zur Gestapo, um dich zu suchen. Du musst sofort eine Besuchs- erlaubnis für ihn beantragen, dann braucht er die Zeit nicht mit unnützen Laufereien zu verplempern, und ihr könnt euch wenigstens oben sehen. Wir rufen gleich die Hauptwachtmeisterin. Aber wir dürfen nicht für dich spre- chen. Du musst es selber tun. Sag ihr, dass du sofort einen Brief an deinen Vemehmer schreiben möchtest.» Danach fühlte Stine sich etwas beruhigt. Sie schneuzte sich, wischte die Tränen fort und fragte: «Wann gibt’s hier was zu essen? Als sie mich heut Morgen um sechs geholt haben, hatte ich doch noch nix gegessen.» Madeleine sprang auf. «Entschuldige, dass wir nicht daran gedacht haben. Du kriegst heute nichts, weil du noch nicht auf der Verpflegungsliste stehst. Wir haben beide noch eine Brotschnitte auf Vorrat.» «Es ist auch noch etwas Marmelade von meiner Schwester da», sagte ich und stellte Stine zu ihrem Abendbrot noch einen Becher mit Wasser hin. Es dunkelte. Wir lagen alle schlaflos auf unseren harten Matratzen. Durch das Gitter erblickte ich den Mond und die vorüberziehenden Wolken. Stine, von Unruhe verfolgt, war wieder aufgestanden und lief auf dem schmalen Gang zwischen meinem heruntergeklappten Bett und der Wand hin und her. Endlich kniete sie sich vor ihrem Bett nieder, vergrub das Gesicht in die ge- falteten Hände und betete halblaut das Vaterunser. Dann fügte sie hinzu: «Lieber Gott, ich hab vielleicht was Dummes gemacht, aber mein armer Junge kann doch nix dafür. Gib, dass ich ihn sehen kann. Gib, dass ihm da draussen nix passiert. Lieber Gott! Beschütze mein einziges Kind. Amen!» Am nächsten Morgen wurde Stine wieder zum Verhör geholt. Sie wandte sich in der Tür noch einmal zurück und sagte: «Ich werde mich vor der Ge- stapo auf die Knie werfen, dass ich mein Kind sehen kann.» «Das wird sie sicher tun», meinte Madeleine, als ich hinter Stine die Tür ge- schlossen hatte. Ich war unruhig. «Mir will das nicht gefallen. Bei diesem Hochbetrieb nach dem 20. Juli, wo sie alle Hände voll zu tun haben, eine Frau wie Stine

65 sofort wieder zum Verhör holen – da steckt mehr dahinter. Wenn sie sich in ihrer Einfalt nur nichts Schlimmes eingebrockt hat.» Stine kam ungewöhnlich spät vom Verhör zurück. Die Gestapomänner hat- ten sie in einem Personenwagen nach Fuhlsbüttel gebracht. Sie bewegte sich wie hölzern, rührte mechanisch in ihrem Mittagessen, das wir unter einer Decke für sie warm gehalten hatten. Wenn sie ein wenig ass, schien es, als wenn sie auf Häcksel kaute. Wir drängten sie nicht, bis sie von selber begann zu berichten. Die Ver- nehmung hatte heute damit begonnen, dass man sie fragte, was sie über den Führer und den Nationalsozialismus dachte. Diese Fragen hatte sie offen- bar mit einer gewissen Bauernschläue beantwortet, so dass man nicht viel damit anfangen konnte. Gefährlich wurde es, als man ihre Meinung zum Krieg wissen wollte. «Da sass so ein Fetter, mit Schweinsaugen und Wurstfingern, und auf der Brust ’ne ganze Menge Lametta. Der fragte: ,Sie glauben wohl nich an den Endsieg?’ Doch, hab ich gesagt, der Führer weiss, was er tut, auch wenn wir jetzt zurückgehen. Er will die Russen und die andern nur weit genug nach vorn locken. Dann können wir sie alle mit unsem neuen Wunderwaffen fertigmachen.» Stine gab damit eine der üblichen Propagandalügen wieder, die von den Faschisten gegen die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung verbrei- tet wurden. Ich wollte etwas sagen, schluckte es aber hinunter. Stine erzählte weiter. «Da hat der andere Vemehmer, der mit dem grauemaillierten Kopf – « «Mit was für einem Kopf?» fragte die erstaunte Madeleine. «Graumeliert», erklärte ich mit unbewegtem Gesicht, um Stine nicht un- sicher zu machen und forderte sie auf, weiter zu sprechen. «Da sagte er, ,es dauert Ihnen wohl zu lange, weil Ihr Sohn jetzt bei der Wehrmacht ist?’. Ich hab geantwortet, er ist doch erst neunzehn geworden, weiss nicht, was Leben ist. Noch nicht mal ’ne Braut hat er gehabt. Warum soll er denn jetzt schon sterben? Ich hab doch nur den einen Jungen.» Sie schob die Schüssel zurück und schluchzte. Madeleine streichelte ihr übers Haar. «Und dann?» Stine hob das Gesicht. «Dann hat der Fette gesagt, ob ich denn nich stolz bin, dass mein Sohn Führer und Vaterland verteidigen darf. Ich hab gesagt, mir wär’s lieber, wenn er das nich braucht. Dann sind sie nach nebenan ge- gangen, und es hat lang gedauert, bis sie wieder reinkamen. Ich hab sie ge- fragt, ob ich nich Urlaub kriegen kann, nur für den einen Tag, wenn mein Junge da ist. Denn sonst müsst er mit dem gemeinen Weib, das mich ver-

66 petzt hat, allein sein. Ich schwör, dass ich sofort wiederkomm. Da sagte der Grauema ------«, sie stotterte. «Sprich ruhig weiter», half ich ihr. Aber meine Hände waren eiskalt. In Madeleines Augen stand Entsetzen. «Da sagte der Grau –, ,Sie wollen wohl nich, dass er an die Front geht?’. Na, welche Mutter will das wohl gern. Und der Fette sagte, ,dann würden Sie Ihrem Sohn wohl auch bei der Fahnenflucht helfen?’. Sie wollten wohl gern hören, dass ich dazu ja sag. Aber so dumm war ich nich. Da sagte auf einmal der Grau –, der Hund, der gemeine, mein Junge wäre nebenan ge- wesen. Er wollte mich besuchen. Sie haben ihm gesagt, er soll warten, sie müssten mich erst prüfen, aber ich hätt es nich bestanden. Sie haben ihn wieder weggeschickt, und ich hab nich mal gewusst, dass ich nur durch die Tür zu gehen brauch, um ihn zu sehen. Und es hat auch keinen Zweck, haben sie gesagt, denn ich könnt ihn nur dazu verleiten, dass er dem Führer untreu wird. Und morgen geht auch schon sein Zug. Da hab ich mich wie- der auf die Knie geworfen und gesagt, wenn ich ihn doch nur von weitem einen Augenblick sehen darf, wär ich ja auch zufrieden. Aber das wollten sie auch nich. Dann hab ich gesagt, sie sollen doch an meinen Mann ein Telegramm schicken, damit der Junge wenigstens seinen Vater zu sehn kriegt. Aber nein, das wollten sie auch nich. Mein Mann wäre doch auf kriegswichtige Arbeit und könnt jetzt nich abkommen.» Stines Kopf lag wieder auf dem Tisch, ihr schmaler Rücken bebte im Schluchzen. Uns beiden aber war übel vor Entsetzen. Stine hatte sich im Gestaponetz verfangen. Jetzt ging es schon um ihren Kopf. Ruhelos wälzten wir uns auf unseren Schlafstätten. Stine hatte die Decke über den Kopf gezogen, um ihr Weinen zu dämpfen. Nach einiger Zeit stand Madeleine auf, schlug sachte Stines Decke zurück und sagte leise: «Du darfst nicht verzweifeln. Wir wollen dir helfen und mit dir beten.» Wir knieten zu dritt vor Stines Bett, falteten die Hände und sprachen ge- meinsam das Vaterunser. Madeleine schloss ein Bittgebet an. «Und nun bitten wir um Gottes Segen für den Sohn Peter. Gott, du Barm- herziger und Allmächtiger, Schöpfer des Himmels und der Erden, behüte und beschütze diesen Sohn auf allen seinen Wegen, jetzt und immerdar. Amen!» «Amen!» wiederholten wir noch einmal zu dritt. Wir waren drei Mütter, alle im Ungewissen über das Schicksal unserer Söhne. Ich dachte an meinen eigenen Sohn, den ein böses Schicksal von mir getrennt hatte, von dem ich seit Jahren nichts wusste. Ich presste mein Gesicht in die Hände und wiederholte leise: «Gott, Barmherziger und Allmächtiger, beschütze mir mein einziges Kind.» Ich versuchte zu glauben, dass es diesen Gott, der unsere Kinder beschützte, vielleicht doch gab.

67

Zwei Tage waren vergangen. Die Burmeister, das kaltschnäuzigste unter den SS-Weibern, stand am frühen Morgen, während die Kalfaktoren noch mit den Kaffeebitons über den Flur schleiften, mit dem verhängnisvollen Zettel in der Tür. «Pellmann. Zur Vorführung!» Stine, als müsse sie zusammenbrechen, lehnte sich einen Augenblick an die Wand. Wir atmeten beklommen in dem Bewusstsein, dass das Schicksal un- widerruflich seinen Lauf nahm. Gestern hatte Stine erfahren, dass am Tage, als ihr Junge fahren musste, er am frühen Morgen in der verzweifelten Hoff- nung, man würde ihm doch ein kurzes Wiedersehen mit seiner Mutter er- lauben, noch einmal zur Gestapo gegangen war. Sie hatten ihn mit Gewalt aus dem Hause gebracht. Nachmittags rief der Verbindungsmann vom Wehrbezirkskommando bei der Gestapo an. Peter hatte seinen Marschbe- fehl nicht abgeholt. Stine wurde pausenlos verhört. Sie hatten aus ihr herauspressen wollen, wo sich der Junge verbergen könne. Doch Stine blieb fest. Sie kämpfte wie eine Löwin. Obwohl sie übel zugerichtet war, blieb sie achtsam wie nie zuvor, fiel weder auf Versprechungen noch auf Provokationen herein. Ihr Kampf war vergebens. Zwei Hamburger Gestapomänner in Zivil hat- ten ihren Mann auf seiner Arbeitsstelle bei Osnabrück aufgesucht und den Ahnungslosen, der selbst von der Verhaftung seiner Frau nichts wusste, überrumpelt. Arglos nannte er ihnen die Namen von Verwandten und Freunden des Jungen. Erst als er der Gestapostelle in Osnabrück zuge- führt und dort verhört wurde, begriff er, um was es ging. Er erhielt die Auf- lage, seine Arbeitsstelle nicht zu verlassen und sich jeden Abend bei der Gestapo zu melden. «Was meinst du?» fragte Madeleine und räumte Stines Brotschnitte in den Schrank, «ob sie den Jungen schon haben?» Ich zuckte mit den Schultern. «Ob heut oder morgen. Er kann ihnen nicht entkommen.» Madeleine lief ruhelos durch die Zelle. «Was werden sie mit ihm machen?» «Frag, was sie mit beiden machen werden. Schnellverfahren vor einem Kriegsgericht und sofortige Hinrichtung.» Madeleine sank auf den Hocker, schlug die Hände vor das Gesicht und stöhnte: «Das ist doch teuflisch! Da wird eine Frau wegen läppischem Kü- chengewäsch von einem bösartigen Weib denunziert, will sich in Unkennt- nis der Gestapomethoden schützend vor ihr Kind stellen und treibt es dem Henker direkt in die Arme. Wahrscheinlich war es ursprünglich nicht ein- mal die Absicht des Jungen, zu desertieren, sondern er bemühte sich, seine

68

Mutter zu sehen. Die Gestapo machte ihn dann verwirrt und kopflos, so dass er einfach davonlief. Neunzehn Jahre! Das ist doch noch ein Kind!» Die Tür ging auf, die Hauptwachtmeisterin kam herein. Ich meldete vor- schriftsmässig: «Zelle einundvierzig, belegt mit drei Schutzhäftlingen. Schutzhäftling Pellmann zur Vorführung.» «Wenn Sie wieder melden, dann, belegt mit zwei Schutzhäftlingen. Ziehen Sie das Bett ab und packen Sie die Sachen von der Pellmann zusammen. Ich lasse sie nachher abholen.» Am Abend hatte die Kreuzer Dienst, eine Bewacherin, mit der ich «ganz gut konnte». Gegen acht kam sie in die Zelle. «Komm mal mit. Du ver- stehst ja was von elektrischen Sachen. Mein Lichtschalter ist kaputt, sieh zu, dass du ihn wieder hinkriegst.» Als ich neben ihr die Treppe hinunterging, sagte ich wie beiläufig: «Heut Morgen ist Frau Pellmann abgegangen. Die ist mal schnell ins UG gekom- men.» «I wo, ihr Sohn ist doch Desertöhr. Den haben sie heut Nacht erwischt. Die beiden sind schon ab zum Kriegsgericht.»

Gertrud Meyer geb. 1898 in Köln. Kindheit und Jugend in Hamburg. 1912 Eintritt in die «Sozialistische Arbeiterjugend». Nach Besuch der Volksschule als Arbei- terin in verschiedenen Betrieben tätig. Seit 1919 aktives Mitglied der Ar- beiterbewegung in Köln, 1924/25 Stadtverordnete. 1938 von der Gestapo verhaftet und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Anfang 1944 wegen illegaler Tätigkeit in Hamburg erneut verhaftet. Nach der Befreiung 1945 zunächst Sachbearbeiterin im «Komitee ehemali- ger politischer Gefangener» (später VVN Hamburg), dann leitende Sachbe- arbeiterin zur Erforschung des Widerstandes. Herausgabe verschiedener Publikationen über die NS-Zeit.

69

70 ______

Kurt Tucholsky Der Graben

Mutter, wozu hast du deinen Sohn aufgezogen? Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält? Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen, Und du hast ihm leise was erzählt? Bis sie ihn dir weggenommen haben. Für den Graben, Mutter, für den Graben.

Junge, kannst du noch an Vater denken? Vater nahm dich oft auf seinen Arm. Und er wollt’ dir einen Groschen schenken, und er spielte mit dir Räuber und Gendarm. Bis sie ihn dir weggenommen haben. Für den Graben, Junge, für den Graben.

Drüben die französischen Genossen lagen dicht bei Englands Arbeitsmann. Alle haben sie ihr Blut vergossen, und zerschossen ruht heut Mann bei Mann. Alte Leute, Männer, mancher Knabe in dem einen grossen Massengrabe.

Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker! Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit! In die Gräben schickten euch die Junker, Staatswahn und der Fabrikantenneid. Für das Grab, Kameraden, für den Graben.

Werft die Fahnen fort! Die Militärkapellen spielen auf zu eurem Totentanz. Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen – Das ist dann der Dank des Vaterlands.

Denkt an Todesröcheln und Gestöhne! Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne, Wollt ihr denen nicht die Hände geben? Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben Übern Graben, Leute, übern Graben. –

71

Gertrud Meyer Begegnung mit der Schauspielerin Hanne Mertens

Es ist ein eisiger Tag, dieser 5. Februar 1945. Soeben trifft im Gestapo-Ge- fängnis Hamburg-Fuhlsbüttel der Transport mit den heute verhafteten Frauen ein. Man hört das Schliessen der Aussentür, Tritte von vielen Füssen. Mit grellen Kommandostimmen jagen die SS-Aufseherinnen die Angekom- menen die Kellertreppe hinunter. Der lange Flur dort unten ist durch eine blaue Verdunkelungsbirne, die an einem Draht baumelt, spärlich beleuchtet. Die Gefangenen wurden in einem mit einer Plane verdeckten Lastwagen transportiert. Die «Grüne Minna», der Gefängniswagen, hätte sie zumin- dest vor dem eisigen Wind geschützt. Er ist wegen Motorschadens ausran- giert. Der Weg dieses abendlichen Sammeltransportes hat fast zwei Stun- den gedauert. Er führt von der Gestapozentrale am Sievekingsplatz zu der Haftanstalt Hütten (ein Durchgangsgefängnis in der Nähe der Gerichtsge- bäude), von dort zum Untersuchungsgefängnis (UG) am Holstenglacis, dann vorbei an den verschiedenen Gestapodienststellen in der Stadt. Er bringt alle an diesem Tage zur Vernehmung vorgeführten sowie die heute verhaf- teten Männer und Frauen nach Fuhlsbüttel. Dort befinden sich innerhalb des grossen Gefängnis- und Zuchthauskomplexes die Sonderflügel für Gesta- pohäftlinge. Die Frauen kommen in den B-Flügel, in das ehemalige «Kolafu». * Erschreckt und beklommen drängen sie sich in dem fast dunklen Keller zu- sammen. Während eine SS-Aufseherin mit der Taschenlampe leuchtet, hakt die andere auf der Transportliste die aufgerufenen Namen ab. Dann geht sie mit der Liste nach oben. Sie muss die Verteilung auf die Zellen vorneh- men und darauf achten, dass entsprechend den Gestapoanweisungen «Kom- plizen» auf verschiedene Stockwerke kommen. Die andere beleuchtet mit der Taschenlampe die Köpfe der Frauen, stochert mit einer Stricknadel in den Haaren und sucht nach Läusen. Danach befiehlt sie den Frauen, die Schuhe auszuziehen und diese ausgerichtet nebeneinander an die Wand zu stellen. Nun müssen sie sich auszichen, Wäsche, Kleider, Mäntel zu einem Bündel zusammenrollen und vor ihre Schuhe legen. Dann schliesst die Auf- seherin den Duschraum auf und schaltet das Licht ein.

Abkürzung für das Konzentrationslager Fuhlsbüttel.

72

Ich trete hinter ihr ein, denn ich bin Bade-, Entlausungs- und Desinfek- tionskalfaktorin. Hier ist es hell und warm. Um vier Uhr habe ich den Warmwasserbehälter angeheizt. Beim Regulieren der Temperatur für die Brausen muss ich den Frauen den Rücken zuwenden. Vielleicht fürchtet man, ich könnte unter den Ankömmlingen «Komplizen» entdecken und ihnen Zeichen geben. Doch es gelingt mir, mich so zu bewegen, dass ich die Frauen jetzt im vollen Licht doch sehen kann. Zwei haben blutunterlaufene Striemen und Flecke. Eine andere kann Hände und Arme nur mühsam be- wegen. Ihre Hände sind rot und geschwollen. Man hat ihr beim Verhör die Finger mit Kantstäben gequetscht, eine Spezialität im Kommunistendezer- nat. Ein junges Mädchen ist fürchterlich zugerichtet, das Gesicht verquol- len, das Haar zerzaust, am Körper klaffende Wunden, zerfetzte Haut, ver- krustetes Blut, auf den Brüsten dunkle, blutunterlaufene Stellen. Entsetzen steht auf den Gesichtem der anderen Frauen, als sie das sehen. Das Mäd- chen – eine Ausländerin – ist in der Abteilung des berüchtigten Kriminal- kommissars Schweim «vernommen» worden. Wir, die täglich mit den Häft- lingen zu tun haben, kennen das schon. Jetzt sehe ich auch die Frau, die mir auf dem Flur schon aufgefallen ist und auf den Namen Mertens antwortete, gut gewachsen, dunkelhaarig, ein herb- schönes Gesicht. Ihre Bewegungen sind fast hölzern, entweder ist sie krank oder sie wurde bei der Gestapo misshandelt. Sie streckt die Arme nach oben, dreht und wendet sich und lässt das warme Wasser mit sichtbarem Genuss an sich herunterrieseln. Die Wachtmeisterin übernimmt jetzt das Regulieren der Brausen, denn ich muss hinüber in die Brenne. Als ich die zusammengerollten Bündel in den Desinfektionsofen schieben will, fühle ich einen weichen Pelz, den meine Hände fast ungewollt, zärtlich streicheln. Er gehört Frau Mertens. In der Brenne würde er unrettbar ruiniert. Schnell wickle ich den Mantel aus dem Bündel, spähe hinaus, ob keine Aufseherin in der Nähe ist, und werfe ihn in die offenstehende Tür einer leeren Arrestzelle. Die Brenne dampft. Ich habe ein wenig Zeit und gehe wieder auf den Flur. Die nackten Frauen kommen aus dem Duschraum und müssen sich vor ihren Schuhen an der Wand aufstellen. Die Wärme aus der Dusche hält nicht lange vor. Frierend bedecken sie die nackten Brüste und schieben die Hände in die Achselhöhlen. Ich hole aus der Brenne eine Anzahl zerlöcher- ter, aber desinfizierter Decken, die die Frauen sich umhängen. Die Desinfektionszeit ist herum. Aus der geöffneten Brenne strömen die dampfenden Bündel einen widerlichen Gestank nach Schweiss, versengter Wolle und allerlei Undefinierbarem aus. Die Frauen sortieren ihre Sachen im Halbdunkeln auseinander. Wie komme ich jetzt an den Mantel? Frau

73

Mertens hat sein Fehlen bemerkt und will sich schon an das SS-Weib wen- den. Ich lege den Finger auf den Mund, sie bemerkt es und versteht. Bei den Schuhen gibt es Durcheinander. Die Bewacherin muss mit der Taschen- lampe leuchten, eine Gelegenheit, die ich nutze, um rasch den Mantel zu holen. Frau Mertens streicht mir mit einer flüchtigen Bewegung dankbar über den Arm. Sie wird ihren Mantel noch sehr brauchen. Viele Frauen haben keinen, und im Hause ist es kalt. Die drei Säle mit etwa vierhundert Insassinnen in dem L-förmigen Bau sowie die Zellen beiderseits des Lang- flügels werden schon seit November nicht mehr beheizt. Der Koks ist knapp und darf nur für die Heizanlage des kurzen Flügels, in dem sich die Dienst- räume der Aufseherinnen befinden, verbraucht werden. Nach mehrtägigen Verhören im Gestapohaus erscheint Frau Mertens heute zum erstenmal in der Freistunde. Wir wissen inzwischen, dass sie die Schau- spielerin Hanne Mertens vom Thalia-Theater ist. Für uns Politische ist sie die Kameradin Hanne, um die wir uns Sorgen machen. Hanne sieht angegriffen aus und zieht ein Bein nach. Jetzt nähert sie sich beim Rundgang der Aufseherin Burmeister, eine üble Kanaille und Geliebte des Kommandanten Tessmann, wodurch sie eine fast unbeschränkte Macht besitzt. Mit niederträchtigem Grinsen sieht sie Hanne an. Diese blickt über sie hinweg, streckt den Rücken, reckt stolz den Kopf und bemüht sich, nicht zu hinken. Hämisch schaut die Burmeister hinter ihr drein. Wenige Tage später ist ein Durchgangstransport mit ausländischen Häft- lingen angemeldet, der vorübergehend untergebracht werden muss. Das gibt viel Arbeit. Ich muss schon früh die Brenne einschalten und das Brausebad anheizen. Eben schleife ich einen gefüllten Kohlenkorb über den Flur, als sich von oben herunter die Kommandostimme von Tessmann und das Ge- keife einiger SS-Weiber nähern. Dieser Gesellschaft darf ich jetzt nicht ins Gehege kommen. Ich lasse den Korb stehen und verdrücke mich rasch in die Brenne, ziehe die Tür heran und spähe durch einen Spalt. Sie treiben Hanne mit Schlägen und Fusstritten vor sich her. Die Hauptwachtmeisterin schliesst die Käfigzelle auf, stösst Hanne hinein, Tressmann gibt ihr noch einen Fusstritt, die «Haupt» schliesst den Käfig im Innern der Zelle ab. Ein anderes SS-Weib geht um den Käfig herum zum Fenster und zieht das schwarze Rollo herunter – also Dunkelarrest! Der Riegel knallt vor, die Zellen- tür wird verschlossen. Wir alten Häftlingshasen wissen, was dieser Arrest bedeutet: als Nahrung täglich zwei Schnitten trockenes Brot und einen Becher Wasser, jeden vier- ten Tag eine warme Mahlzeit, im Käfig das Klosett und eine nackte Pritsche ohne Decke. Der Platz zwischen Pritsche und Käfigstäben ist so eng, dass man sich nicht bewegen kann. Manchmal werden den Frauen noch Hand-

74 fesseln angelegt. Die Haftdauer ist verschieden, mindestens aber eine Woche. Maria Dehrenberg wurde dort unten sieben Wochen hintereinander eingesperrt, dann kam noch eine zusätzliche Woche hinzu. Anschliessend transportierte man sie in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Spä- ter haben wir erfahren, dass sie dort bald gestorben ist. Von drüben kommen Schritte ... Meine Hände zittern, das Herz klopft in ohnmächtigem Zorn. Ich aber muss tun, als ginge mich das da draussen nichts an, stehe an meinem Platz und hantiere an der Apparatur. Tessmann reisst die Tür auf. Er kennt «seine Politischen», weiss, dass mir nichts entgan- gen ist, weiss um unseren unversöhnlichen Hass. Er brüllt: «Ich warne Sie! Sollten Sie sich der Arrestantin nähern, dann passiert Ihnen dasselbe.» Ich muss antworten, trete unter das Fenster, lege die Hände, vorschriftsmässig wie ein Soldat, seitlich an den Rock und antworte: «Herr Kommandant, ich habe verstanden.» Sie entfernen sich. Ich weiss, was jetzt kommt, denn ich erlebe es nicht zum erstenmal. Eines der SS-Weiber wird auf Strumpfsocken herunterschleichen, die Arrestantin und mich beobachten. Da ist sie schon. Sie versucht, Geräusche zu vermei- den; ich tue gelassen und beobachte scheinbar aufmerksam das Manometer. Jetzt muss sie bei Hanne sein. Zwar kann sie in der Dunkelheit nichts er- kennen, aber häufig geht das Einsperren in den Dunkelarrest nicht ruhig ab; die Häftlinge schreien und toben, rütteln am Käfig, schlagen mit ihren Schu- hen gegen die Eisenstäbe, so dass es im ganzen Haus schallt. «Zur Beruhi- gung» giesst man ihnen einen Eimer Wasser über den Leib. Aber bei Hanne ist es still. Gern würde ich jetzt zu ihr hinübergehen, sie trösten und fühlen lassen, dass sie nicht allein ist. Das aber kann ich jetzt nicht tun. Erwischte man mich, könnte sich Hannes Lage nur verschlimmern. Ich käme gleichfalls in Arrest und würde durch eine Kriminelle, die es mit den SS-Weibern hält, ersetzt. Der Badekalfaktor aber ist das wichtigste Verbindungs- und Infor- mationsglied für die politischen Häftlinge. Deswegen habe ich im Einver- nehmen mit meinen Genossinnen diese Arbeit im Keller angenommen, ob- wohl sie für mich zu schwer ist. Am nächsten Tag hat die Kreuzer Nachtdienst. Sie ist eine von denen, die «nicht so schlimm» ist, wenn man sie zu nehmen weiss; ihr hervorragendes Merkmal – Faulheit. Darauf baue ich meinen Plan, denn ich will mit Hanne sprechen, erfahren, was geschehen ist, und sie selber über einiges informieren. Um das zu erreichen, muss ich ein wenig Theater spielen. Wenn die Hauptwachtmeisterin ihren abendlichen Rundgang macht, wer- den alle Kalfaktoren eingeschlossen, auch ich. Darum erfinde ich einen Grund, damit sie mich nach Einschluss noch im Keller lässt.

75

Als sie mich holen will, knie ich vor dem Ofen, murkse im Feuerloch herum, wische mir mit der verrussten Hand den Schweiss aus dem Gesicht und melde, dass der Ofen nicht zieht. Das ist zwar gekohlt, aber sie versteht nichts davon, und männliche Handwerker gibt es nicht. Ich mache ihr klar, wenn sie morgen nicht frieren will, muss ich jetzt versuchen, die Sache in Ordnung zu bringen. Sie gibt der Kreuzer Anweisung, auf mich aufzupassen. Nach einiger Zeit kommt diese herunter und murrt: «Dafür hättest du dir auch einen anderen Abend aussuchen können.» Ich wehre ab: «Wenn der Ofen nicht ziehen will, fragt er nicht, wer gerade Nachtdienst hat. Überhaupt weiss ich nicht, was Sie hier sollen. Sie stehen mir nur im Wege.» Sie nagt unentschlossen an ihrer Unterlippe. Dann winkt sie ab. «Beeil dich.» Hau schon ab, denke ich und rumore, so laut ich kann, mit Schaufel und Schürhaken. Ich bin ja auch nicht von gestern und habe den «Knast» schon einige Jahre «studiert». Plötzlich steht sie wieder neben mir. «Noch nicht fertig?» Ich schüttle den Kopf. «Reichen Sie mir doch bitte mal Ihre Taschenlampe. Ich muss mir die Bescherung von innen ansehen.» Sie gibt mir die Lampe, ich fahre damit im Feuerloch hin und her. «Dacht ich mir’s doch, der Koks taugt nichts. Der Abzug ist mit Teer verschmiert, aber ich krieg’s wieder hin. Bemühen Sie sich nicht, ich melde mich, wenn ich fertig bin.» Sie latscht wieder nach oben, ich auf Strumpfsocken hinterher, denn ich will wissen, ob sie wirklich in den Dienstraum geht, und spähe um die Ecke. Am Schatten auf der offenen Tür kann ich erkennen, dass sie mit ausge- breiteter Zeitung im Sessel sitzt. Eben stellt sie auch das Radio an. Nun hin zu Hanne. Ich klopfe auf die Tür und flüstere: «Hanne, Hanne!» Drinnen regt es sich. Sie versteht mich schlecht, der Käfig ist zu weit von der Tür ent- fernt. Ich rufe noch einmal, aber lauter: «Hier ist Trudel, die Badekalfak- torin. Ich gebe dir mein Klopfzeichen, dreimal kurz, einmal lang. So! Das bedeutet, die Luft ist rein und wir können miteinander sprechen. Aber ich muss leise sein. Wenn man mich oben mit dir hört, sperrt man mich gleich- falls ein. Zweimal so» – ich stucke mit der Faust gegen die Tür – «be- deutet: Es ist jemand in der Nähe. Wenn .Einschluss’ gerufen wird, sind welche von der Gestapo im Haus. Dann darf kein Häftling ausserhalb der Zelle bleiben. Warte!» Ich renne einige Stufen die Treppe hinauf und höre: Das Radio bringt die Abendnachrichten, Berichte über die letzten Frontbegradigungen, wie die Rückzugsgefechte in der Nachrichtensprache heissen. Die Kreuzer wird jetzt nicht stören. «Hanne, ich bin wieder da. Kannst du mich verstehen? Ich werde so oft ich kann an deine Tür kommen. Länger sprechen können wir meist nur abends

76 nach Einschluss, wenn ich noch im Keller zu tun habe. Leider gelingt das nur selten.» «Ach, schon zu wissen, dass eine menschliche Seele in meiner Nähe ist, tut gut. Ich fühle mich nun nicht mehr so ganz verlassen.» «Wie bist du denn in den Arrest gekommen?» Hanne erzählt – wie ich mir dachte – eine Lappalie, von der SS absicht- lich an den Haaren herbeigezogen. Sie stopfte Soldatenstrümpfe und tat, was wir auch tun, wenn wir frieren, sie zog sich ein Paar über die kalten Füsse. Die Burmeister hat es gesehen und bei Tessmann eine Meldung ge- macht. Ich nehme an, dass von der Gestapo strenge Anweisungen zu ihrer Überwachung vorliegen. Hanne hat es sowieso nicht leicht, denn diese SS- Weiber haben einen «Pick» auf schöne Frauen. «Hast du eine Ahnung, wie lange ich hier bleiben muss?» Was soll ich antworten? Vermutlich länger als eine Woche. Ich muss sie be- ruhigen, ohne ihr zu viel Hoffnung zu machen. «Einige Tage wird es schon dauern. Versuche, alles zu tun, um deine Gesund- heit zu erhalten. Turne auf der Pritsche, mache Dauerlauf auf der Stelle, damit der Kreislauf in Ordnung bleibt.» «Das kann ich nicht, ich bin erst vor kurzem operiert worden.» Ach du meine Güte, auch das noch, denke ich. «War denn die Wunde noch nicht ausgeheilt?» «Doch!» «Dann haben sie dich misshandelt?» Hanne zögert. «Es war ein Kriminalrat, Stawitzki heisst er.» «Und?» «Er hat mich geschlagen und in den Leib getreten. Als ich ohnmächtig wurde, haben sie mich mit Wasser begossen.» Diese Bestien! Hier stehe ich nun vor Hannes Tür, gebe ihr Ratschläge und bin doch so hilflos wie sie. «Hanne, halte dich fest in der Hand. Lenke deine Gedanken ab, stelle dir ir- gendwelche Aufgaben.» Ich klopfe meinen Abschiedsgruss. Dann muss ich zum Ofen und ein kleines Feuer anlegen. Die Schulz wird, wenn sie morgen früh das Dienstzimmer angewärmt findet, mit meiner «hervorragenden Leistung» zufrieden sein.

Im Hause herrscht Aufregung, Diphtherie! Es begann mit einem jungen ukrainischen Mädchen, ein Sonderhäftling, das nicht aus der Zelle darf und unter schärfster Bewachung steht. Als ich sie einmal heimlich durch den

77

Spion sah, trug sie weder Mantel noch Jacke, nur ein verschlissenes Som- merkleid trotz der ungeheizten Zelle. Zunächst hat man zu ihrer Aufwar- tung aus dem Ausländersaal ein anderes ukrainisches Mädchen geholt. Dann erkrankte auch dieses und andere mit ihr. Nun fürchtet die Gefängnis- verwaltung eine weitere Ausbreitung. Das Mädchen aus der Sonderhaft ist gestorben. Die Kranken sollen heute abtransportiert werden. Ich muss eine Anzahl Decken desinfizieren. Mir ist es recht. Die Aufseherinnen haben jetzt alle Hände voll zu tun, und ich kann mir zwischendurch Zeit für Hanne nehmen. Hoffentlich bleibt sie von der Seuche verschont. Ich klopfe meinen Gruss: «Wie fühlst du dich?» «Stimmungsmässig nicht gerade wie ein Held, innerlich wie ausgebeutelt. Auch die Wunde schmerzt, und ich friere sehr. Aber ich will durchhalten.» «Das musst du auch. Die Rote Armee rückt auf die Oder zu, im Westen haben die Amerikaner die Grenze überschritten. Mit der Naziherrschaft ist es bald zu Ende. – Nun muss ich an die Arbeit, aber ich bleibe in deiner Nähe.»

Plötzlich höre ich Hannes klangvolle Stimme:

«Bedecke Deinen Himmel, Zeus, mit Wolkendunst und übe, dem Knaben gleich, der Disteln köpft, an Eichen Dich und Bergeshöhn; musst mir meine Erde doch lassen stehn und meine Hütte, die Du nicht gebaut und meinen Herd, um dessen Glut du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres unter der Sonne, als euch, Götter, ihr nähret kümmerlich von Opfersteuern und Gebetshauch Eure Majestät und darbtet, wären nicht Kinder und Bettler hoffnungsvolle Toren.»

78

Ich bin beglückt und empfinde den «Prometheus» wie ein mir dargebrachtes Geschenk, nur fürchte ich, dass man sie oben hören kann. Darum nehme ich meine Holzpantinen in die Hand, laufe auf Strumpfsocken bis zur Treppen- wendung hinauf und lausche. Aber über mir ist noch immer Grossbetrieb, Füsseschurren, Eisenbetten werden über den Flur geschoben. Die Haupt- wachtmeisterin ruft nach den Etagenkalfaktoren, sie sollen Zellen mit Lysol auswaschen. Beruhigt gehe ich wieder hinunter und höre:

«... Wähntest Du etwa ich sollte das Leben hassen in Wüsten fliehen weil nicht alle Blütenträume reiften?

Hier sitze ich, forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei, zu leiden, zu weinen, zu geniessen und zu freuen sich und Dein nicht zu achten, wie ich!»

Stolz, Protest, Zorn, dieses alles schwingt in ihrer Stimme. Am nächsten Morgen antwortet Hanne nur schwach auf meinen Gruss. Sie hat Kopfweh, vermutlich auch Fieber. Wenn es nur keine Diphtherie ist! Da die morgendliche Brotration noch nicht ausgegeben ist, rate ich ihr, wenn die Wachtmeisterin kommt, um eine Medikament zu bitten. Die heutige Dienstaufseherin ist die einzige SS-Aufseherin, die nicht zu der primitiven Sorte gehört und auch nicht grober mit uns umgeht, als es die Vorschrift verlangt. Ihre Tochter studiert an der Hamburger Universität. Als ich diese Frau einmal fragte, warum sie sich ausgerechnet eine Beschäftigung im Ge- fängnis ausgesucht hat, antwortet diese gebildete Kerkermeisterin, unter dem, was man ihr als Dienstverpflichtung angeboten habe, sei dieses die be- quemste Beschäftigung gewesen. «Ausserdem stellt man mit der SS-Uni- form auch etwas vor», fügt sie hinzu. Mir verschlägt diese Antwort fast den Atem. «Haben Sie sich denn nicht vorgestellt, wozu Sie sich hergeben? Widerstrebt es Ihnen nicht als gebildete Frau?» «Ein wenig anders hatte ich es mir schon gedacht, aber bekanntlich gewöhnt

79 man sich an alles. Wenn ich meinen Dienst hier beendet habe und das Tor von draussen schliesse, schalte ich einfach ab.» So einfach ist das! Vielleicht wird sie sich aber doch um Hanne kümmern, denn sie hat mir er- zählt, als sie einmal im Keller Dienst tat, dass sie Hanne in Salzburg als «Medea» erlebte und – wie sie sagte – einen unauslöschlichen Eindruck davon mitgenommen hat. Tatsächlich sehe ich sie später mit dem Sanitäter herunterkommen. Es stellt sich heraus, es sind keine Anzeichen von Diph- therie, sondern eine fieberhafte Erkältung, die leicht eine Lungenentzündung werden kann. Der Sanitäter hat einige Sulfonamid-Tabletten dagelassen. Nach einigen Tagen geht es Hanne wieder besser. Sie kämpft um ihr Leben, betreibt autogenes Training, teilt sich den Tag auf verschiedene Weise ein, wobei ihr die Geräusche im Hause und mein Klopfen die Zeitorientierung geben. Sie repetiert, deklamiert, übt Rollen, denkt sich Inszenierungen aus. Wir haben wieder Grossbetrieb: Neue Transporte von ausserhalb, Umbele- gung von Häftlingen in Zellen und Sälen halten die Aufseherinnen beschäf- tigt. Ich muss in einer augenblicklich nicht belegten Arrestzelle Matratzen- stücke mit einer Desinfektionsflüssigkeit abwaschen und habe Hanne signa- lisiert, dass wir ungestört sind. Plötzlich höre ich Tessmann mit der Schulz auf der Kellertreppe sprechen. Mir stockt fast das Herz, denn Hanne dekla- miert, und ich bin zu weit entfernt, um sie noch zu warnen, und warte nun voller Angst, was jetzt geschieht. – Nichts! Sie haben vor Hannes Zelle ge- standen, kommen jetzt zu mir herüber, die Schulz notiert die Zahl der Ma- tratzenstücke, und beide gehen wieder nach oben. Erst am Abend komme ich dazu, Hanne zu fragen. Sie hat nicht gewusst, dass vor ihrer Tür gehorcht wurde. Nun wiederholt sie das Gedicht, ein kleiner Vers von Storm:

«Das ist die Drossel, die da schlägt, der Frühling, der mein Herz bewegt, ich fühle, die sich hold bezeigen, die Geister aus der Erde steigen. Das Leben fliesset wie ein Traum – mir ist wie Blume, Blatt und Baum.»

Heute, da ich diese Erinnerungen niederschreibe, glaube ich, dass Tessmann schon damals wusste, dass Hanne sterben sollte. Vielleicht hat dieses Gedicht für einen kurzen Augenblick «sein Herz bewegt». Bei dem Betrieb der letzten Tage, dem Kommen und Gehen von Durch- gangstransporten, haben die Aufseherinnen wenig Zeit, mich zu kontrollie-

80 ren. Ich kann öfter ungestört mit Hanne sprechen und erfahren, warum sie verhaftet worden ist. Als sie 1943 von München nach Hamburg zurückkehrte, hatte sie dort fünf Jahre mit Erfolg an den Kammerspielen gewirkt. Bereits in München war sie mehrmals von der Gestapo vorgeladen und verwarnt worden. Neben ih- rem Bühnenauftreten hatte man ihr eine bedeutende Filmrolle angeboten, die plötzlich, angeblich auf Anweisung von oben, zurückgezogen wurde. Gleichzeitig kam eine neue Vorladung zur Gestapo. Hanne spürte, dass eine ernste Gefahr auf sie zukam. Ihre Äusserungen im Kreise von Kollegen und vermeintlichen Freunden gegen den Krieg, gegen die Nationalsozialisten, Spötteleien über bekannte NS-Bonzen, über Hitler und Goebbels, das alles lag aktenkundlich vor. So schien ihr das Angebot des Thalia-Theaters, zurück nach Hamburg zu kommen, als der rettende Ausweg. Auch in Hamburg wagte sie, ihre Meinung zu sagen. Wieder wurde sie denunziert. Hanne erkrankte und musste operiert werden. Als sie nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus zum ersten Male auf die Strasse ging, geschah es. Sie stand, die Kanne in der Hand, mit anderen in der Schlange, um die ihr vom Arzt verschriebene Milch zu holen. Plötzlich bra- chen drei Männer durch die Reihen, ergriffen sie und zerrten sie ins Auto. Bei der Gestapo blätterte Kriminalrat Stawitzki eine umfangreiche Akte vor ihr auf. Sie war ihr von München nach Hamburg gefolgt. Alles, was seit Jahren von Denunzianten und berufsmässigen Spitzeln gegen sie zusammen- getragen war, lag hier vor. Beim Verhör wurde sie aufs Infamste beleidigt, beschimpft und misshandelt. Als ich heute das Ohr an die Türritze halte, um mit Hanne zu sprechen, spüre ich zum ersten Male deutlich den mir bekannten Azetongeruch, der sich bei allen Häftlingen einstellt, die länger im Hungerarrest verbringen. Ich mache mir Sorgen, dass sie gesundheitlich ganz zusammenbrechen könnte, bin verstört und versuche bei unserer Unterhaltung unbefangen zu scheinen. Hanne, die Gequälte, Leidende, Tapfere, spürt mit feinem Gefühl, dass mich etwas beunruhigt. Sie will mich darum ablenken und mir eine Freude machen.

«Höre, was mir heute Nacht eingefallen ist, ein Sonett von Shakespeare:

Manch jungen Morgen sah ich flammend steigen, mit königlicher Gunst die Höhn umglühn, sein leuchtend Antlitz über Wiesen neigen den blassen Strom mit goldenem Glanz besprühn,

81

bis niedriges Gewölk sein Angesicht mit Qualm umzog, verbergend seinen Strahl, und heimlich, schmachvoll sich das Himmelslicht von der verlassnen Welt gen Westen stahl.

So lag auch meiner Sonne warmer Schein mir sieghaft leuchtend auf der Stirn am Morgen; Doch ach! Sie war nur eine Stunde mein, nun hält sie hinter Wolken sich verborgen.

Soll ich drum meine Erdensonne hassen, da Himmelsangesichte selbst verblassen?»

Ich kann nicht verhindern, dass mir Hannes Aufmunterung Tränen hervor- locken. Zum Glück weiss sie es nicht. * * * In der vergangenen Nacht ist ein ungewöhnlich grosser Durchgangstransport eingetroffen. Ich werde geweckt und soll helfen, die Frauen unterzubrin- gen. Es sind Häftlinge aus KZ-Lagerkommandos, die in Rüstungswerken gearbeitet haben und jetzt, weil die Front näherrückt, in ihre Stammlager abgeschoben werden, wobei es zweifelhaft ist, ob sie diese überhaupt er- reichen. Ich komme mir vor wie in der Hölle. Die Frauen haben kaum noch Menschliches. Manche abgemagert bis zum Skelett, tief in Höhlen liegende Augen, die Köpfe geschoren, schwärende Wunden, die meisten nur not- dürftig bekleidet und alle vor Schmutz starrend. Als schützende Hüllen tra- gen einige Zementsäcke, viele haben die Füsse mit Lappen umwickelt. Da keine Arrestzellen frei sind, kampieren sie im Kellerflur oder in einem un- benutzten Kohlenkeller auf dem Boden. Schreiend und tobend versuchen die SS-Transportbegleiterinnen, in diesem Chaos «Ordnung» zu schaffen. Die zusätzlich herbeigerufenen Aufseherinnen aus dem Haus sind ziemlich ratlos. Die Hauptwachtmeisterin ist vernünftig genug, alles zusammen- suchen zu lassen, was zum Zudecken geeignet ist. Aber das reicht nicht aus, und so gibt es um diese Fetzen verschiedentlich Balgereien. Als endlich alle liegen, ist die halbe Nacht schon fast vergangen. Die SS-Begleiterinnen wer- den in einer für sie geräumten Zelle auf B III untergebracht. Am Morgen ist um fünf Uhr wecken. Die Gefangenen torkeln vor Erschöpfung. Aus der Hauptküche kommen Bitons mit einer warmen Brühe, welche die Frauen aus halbverrosteten Bechern schlürfen, die sie dann wieder in ihren Bün- deln verstauen. Das Verteilen der Brotschnitten geht nicht ohne Fusstritte und Schlägereien vor sich. Eine junge Frau flüstert mir zu:

82

«Kannst du uns nicht einige Lappen besorgen? Viele Frauen haben ihre Tage, aber wir sind ohne einen Fetzen Stoff.» Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Die Ärmsten hatten zu alledem nicht einmal Gelegenheit, sich zu säubern. Als ich die Hauptwachtmeisterin um Hilfe bitte, schliesst diese ohne ihr sonst übliches Lamento die Wäschekammer auf und sucht einen Haufen sauberer alter Lappen und zerrissener Handtücher heraus. Ich habe den Eindruck, dass selbst für dieses abgebrühte Weib das Inferno im Keller zu viel ist. Jetzt kommen die SS-Transportbegleiterinnen herunter. Sie haben im Dienstzimmer der Hauptwachtmeisterin gefrühstückt und ihre Marschver- pflegung in einem umgehängten Brotbeutel verstaut. Ob auch für die Ge- fangenen etwas Essbares mit auf den Weg gegeben wird, kann ich nicht er- fahren. Es sieht aber nicht so aus. Mit Geschrei und unflätigen Schimpf- worten treiben die SS-Weiber die Unglücklichen zusammen. Einige ziehen aus ihren Langschäftern einen Gummiknüppel heraus, mit denen sie auf die Wehrlosen einschlagen. Aus den Gesprächen der Hauptwachtmeisterin mit einer SS-Begleiterin ist zu entnehmen, dass der Transport mit Lastwagen zum alten Bahnhof gebracht und dort in einen Güterzug verladen wird. Als sie aus dem Hause sind, reissen wir alle Flur- und Kellerfenster auf, um Durchzug zu machen. Es herrscht ein infernalischer Gestank. Die zwei Klo- setts, welche die Frauen benutzen konnten, sind verdreckt und verstopft. Unflat, Urinpfützen bedecken den Boden. Einige ausländische Häftlinge aus dem grossen Saal haben genug zu tun, bis alles gesäubert ist. Ein unde- finierbarer mit Lysol vermischter Geruch bleibt noch tagelang haften. Hannes Gesundheitszustand beunruhigt mich immer mehr. Ich will ihr etwas zu essen beschaffen. Das ist aber nur mit Hilfe einer Aufseherin mög- lich. Aber welcher? Der Studentinmutter traue ich nicht, trotz ihrer Bewun- derung für die grosse Schauspielerin. Ich muss es mit Frau Eckerts versuchen. Sie kann mich leiden, und ich nehme ihr nicht übel, wenn sie mich duzt. Ich habe sie ein wenig korrumpiert, d.h. Dinge für sie getan, die verboten sind: im Duschraum für sie gewaschen, für ihre Enkelkinder gestrickt, ihr ein Samtbarett genäht, aus einem alten Seidenkleid eine hübsche Bluse gezau- bert (alles mit der Hand genäht) und stopfe ihr sogar, was mir sehr zuwider ist, die Strümpfe. Dafür lässt sie abends das Licht in meiner Zelle brennen. Manchmal kommt sie auch zu einem kleinen Plausch. Sie bringt mir ihre Zeitung, aus der ich die Nachrichten herausschneide und heimlich an meine Freundinnen weitergebe, stellt das Radio laut (ihr Dienstzimmer liegt mei- ner Zelle gegenüber), wenn die Frontnachrichten kommen. Erwischt sie mich einmal, wenn ich an einer Zellentür flüstere, tut sie, als habe sie es

83 nicht gesehen (natürlich riskiere ich das nicht, wenn noch andere Aufsehe- rinnen in der Nähe sind). Beim Nachtdienst schliesst sie schon mal die Zelle einer Genossin auf, und wenn sie merkt, dass wir uns etwas Besonderes zu sagen haben, verschwindet sie auch für einige Minuten. So riskiert sie eini- ges für uns, weiss aber auch andererseits, dass sie sich auf uns verlassen kann und dass keine von uns sie «in die Pfanne hauen» würde. Heute nun hat sie Nachtdienst. Ich will das nutzen und habe mir einen Plan zurechtgelegt, bei dessen Ausführung ihr kaum etwas passieren kann. Kurz vor dem Abendeinschluss ist zur Beheizung der Diensträume noch eine Kohleladung angekommen. Als die Kohlenträger fort sind, schurre ich den Koks weit auseinander, so dass der Kellerflur bis zur Treppe «eingesaut» ist. Die Schulz macht – wie erwartet – grosses Geschrei; schimpft auf die «Schweinekerle von Kohlenträgern» und befiehlt mir, den Keller nach Ein- schluss zu reinigen. Wenn der Kommandant diesen Zustand vorfände, be- käme sie einen «reingehängt». Als die übrigen Zellen bereits für die Nacht verriegelt und abgeschlossen sind, gehe ich wieder hinunter, schaufle den Koks zusammen und schrubbe den Boden, um alles wieder auf Hochglanz zu bringen. Nach einiger Zeit kommt die Eckerts herunter. Sie ist verstimmt, weil sie den Rapport nicht fertig kriegte, denn Berichte schreiben ist nicht ihre starke Seite. Ausserdem hat sie zu Hause ständigen Ärger mit ihren Un- termietern. Sicher hat es wieder Krach gegeben. Sie lamentiert: «Die machen sich in meiner Wohnung mausig, als wenn sie ihnen gehörte. Am liebsten würden sie mich ganz rausdrängen. Sie wagen es nur nicht wegen der SS-Uniform, die auch mal ihr Gutes hat. Und das Klosett müss- test du mal sehen! Die verwechseln mich wohl mit einem Latrinenputzer. Feine Gesellschaft, sag ich dir!» Ich kann mir nicht verkneifen, sie ein wenig zu frozzeln. «Aber liebe Frau Wachtmeisterin, das sind doch Volksgenossen!» «Schöne Volksgenossen! Ich kann dir gar nicht sagen, wie mir alles zum Halse heraushängt.» Nun, ich kann sie verstehen. Ihr Mann fiel im ersten Weltkrieg. Nun sass sie da, allein mit ihren Kindern. Dann hat sie sich mühselig einen kleinen Kramladen aufgebaut, der sie recht und schlecht ernährte. Dieser wurde ihr vor einiger Zeit wegen Warenmangels amtlich geschlossen und sie selber zum Arbeitsamt geschickt. Als man sie nach Fuhlsbüttel dienstverpflichtete, wagte sie nicht, abzulehnen. Es ist ihr unangenehm, dass sie ihre rundliche Grossmutterfigur in die SS-Uniform pressen muss. Auf einen Besenstiel ge- stützt, höre ich geduldig zu und bedaure sie, so wie sie es erwartet, wenn sie ihr Herz erleichtern will. Doch nun ist es genug. Ich lehne den Besen an

84 den Ofen und rede sie jetzt absichtlich nicht, wie es die Vorschrift ist, mit «Frau Wachtmeisterin» an. «Frau Eckerts, Sie müssen mir einen Gefallen tun. Frau Mertens geht es nicht gut. Wir wollen mal nach ihr sehen. Schliessen Sie doch bitte einen Augenblick ihre Zelle auf.» «Was soll ich tun», ruft sie erschrocken. Ich muss jetzt versuchen, sie «weich» zu machen. «Liebe Frau Eckerts», schmeichele ich, «Sie sind doch der einzige wirkliche Mensch im Hause.» Und als sie sich noch nicht entschliessen kann, füge ich hinzu: «Sie wissen doch, wer Frau Mertens ist. Sie wird es Ihnen sicher einmal danken.» Um ihr keine Zeit zu Einwänden zu lassen, erkläre ich, was sie tun soll: «Also, Sie schliessen auf, dann gehen Sie sofort zur Treppe. Wenn Sie hö- ren, dass die Aussentür geöffnet wird, haben Sie noch reichlich Zeit, Frau Mertens’ Zelle wieder abzusperren und mich nach oben zu holen. Der Bo- den ist noch nass, und jeder kann sehen, dass ich ihn gerade gescheuert habe.» Während sie hinübergeht, habe ich von der noch glimmenden Koksglut eine Blechschüssel mit gewärmter Erbsensuppe geholt. Als ich hinüberkomme, steht die Zellentür schon offen. «Jetzt auch den Käfig», bitte ich. Die Eckerts sperrt auch diesen auf und geht dann sofort zum Treppenaufgang. Ich stelle die Erbsenschüssel auf den Klosettdeckel. Hanne sieht mich aus dem Dunkel heraus einen Augenblick fassungslos an und steigt zögernd von der Pritsche herunter. Schweigend umarmen wir uns. Dabei spüre ich verstärkt diesen unangenehmen Azeton- geruch. Sie presst den Kopf an meine Schulter. Sie zittert. Dann richtet sie sich auf, schüttelt das Haar aus dem Gesicht und fährt sich mit dem Hand- rücken über die Augen. «Es gibt noch Wunder.» «Ich musste doch einmal nach dir sehen. Hier, ich habe dir auch was zum Essen mitgebracht.» Damit hole ich aus meinem Kleidausschnitt einen Beu- tel, in dem sich einige mit Margarine bestrichene Brotstücke befinden und erkläre ihr, wie sie diesen Beutel mit dem daran befestigten Band und den Sicherheitsnadeln oben hinter dem Wasserkasten des Spülklosetts befesti- gen kann. «Tue es sofort, damit du dich später im Dunkeln zurechtfinden kannst.» Ich stelle die Erbsenschüssel hinüber auf die Pritsche, damit Hanne aufs Klosett klettern kann. Dabei gebe ich ihr fachmännische Ratschläge. Unaus-

85 denkbar, was passierte, wenn der Beutel gefunden würde! Ihr Käfig ist schon einige Male durchsucht worden, einmal nachts von Gestapomännem. Es ist ihr gelungen, den Beutel zu verstauen. Sie steigt herunter. An ihren Bewegungen sehe ich, wie schwach sie geworden ist. Sie nimmt meine Hände. «Wie gut, dich auch einmal zu sehen. Ich wäre wohl verzweifelt, wenn du nicht gewesen wärest.» «Ach, Hanne, wir Frauen können viel mehr ertragen, als wir glauben. Stelle dir vor, du habest einen finsteren Tunnel zu durchschreiten. Das Ende, das Licht ist nicht mehr fern.» Die Eckerts läuft mit steigender Unruhe zwischen Käfigzelle und Treppen- aufgang hin und her. «Ich gebe euch noch fünf Minuten Zeit», drängt sie. Nun reiche ich Hanne die Schüssel mit der Erbsensuppe. «Iss so viel du kannst, sie ist noch warm.» Hanne will nach der Schüssel greifen, lässt die Hände sinken, ein trostloser Blick, Tränen rollen über ihre Wangen. «Es geht doch nicht. Ich kann nicht auf Kommando essen.» Sie steht so arm, so zum Erbarmen hilflos vor mir. Ich weiss nichts zu sagen, halte ihr noch immer die Schüssel hin, möchte sie anflehen, es doch zu versu- chen, und begreife, dass es unmöglich ist. Die Eckerts kommt zurück. Sie hat Angst. «Schluss jetzt! Wenn Tessmann oder einer von der Gestapo kommt, hänge ich drin.» Sie jammert: «Ich möchte euch gern helfen, aber ich will mir vor Toresschluss nicht die Rübe abhacken lassen.» Wir müssen uns fügen. Wieder legt Hanne, wie Schutz suchend, ihren Kopf an meine Schulter. Ich fühle das Beben ihres Körpers. Die Eckerts schliesst ab – den Käfig, die Zelle. Aufatmend, mit Schweiss- perlen auf der Stirn, lehnt sie sich einen Augenblick an die Wand. «Komm!» Ich gehe vor ihr die Treppen hinauf. Sie sperrt mich ein und schaltet drau- ssen sofort das Licht aus. Ich kann ihr nicht einmal böse sein. Im Dunkeln schütte ich die Erbsensuppe ins Klosett, werfe mich auf die eisenharte Ma- tratze und weine wie lange nicht. * * * Ein warmer Frühlingstag. In der Freistunde gibt es frohe Gesichter. Zwar wird es noch Wintertage geben, aber der Frühling ist nicht mehr fern, und diesen Sonnentag geniessen wir. Durch die Reihen gehen flüsternd die letz-

86 ten Frontberichte. Es kann mit der Naziherrschaft nicht mehr lange dauern. Dennoch lastet auf uns Politischen ein schwerer Druck. Die Prozesstermine rücken immer näher. Es heisst, dass wir demnächst ins UG kommen. Für uns, eine grössere Anzahl von «Rückfälligen», besteht die Drohung: Todesurteil. Kaum habe ich meine Mittags-Schlampampe – grüne gehackte in einer scharfen Säure konservierte Strünke – hinuntergewürgt, als mich die Auf- seherin Bosch herausholt. Ein grosser Haufen Decken aus dem Männerbau ist zu desinfizieren. Sie kommen dort mit ihrer Arbeit nicht nach und schi- cken deswegen einen Teil zum Frauenbau herüber. Als wir am Dienstraum der Hauptwachtmeisterin vorübergehen, höre ich, dass Tessmann sagt: «Die Mertens kann morgen aus dem Arrest heraus.» Mir stockt fast das Herz. Ich muss mich zusammennehmen, damit die Bosch, diese SS-Bestie, die mir ein- mal höhnisch ins Gesicht sagte, «es würde mir ein Vergnügen machen, zu- zusehen, wenn du gehängt wirst», nicht merkt, wie sehr ich mich freue. Ich vergehe fast vor Ungeduld, bis ich eine Gelegenheit finde, es Hanne zu sa- gen. Sie kann es kaum glauben und fragt mehrere Male: «Hast du dich auch nicht verhört?» Ich habe ihr signalisiert, dass die Luft rein ist. Sie antwortet mit einem Ge- dicht von Heine:

«In mein gar zu dunkles Leben strahlte einst ein süsses Bild; nun das süsse Bild erblichen, bin ich gänzlich nachtumhüllt.

Wenn die Kinder sind im Dunkeln, wird beklommen ihr Gemüt, und um ihre Angst zu bannen, singen sie ein lautes Lied. Ich, ein tolles Kind, ich singe

jetzo in der Dunkelheit; Klingt das Lied auch nicht ergötzlich, hat’s mich doch von Angst befreit.»

Als ich wieder an ihrer Tür vorbeikomme, spricht sie Rollen aus einem Thea- terstück. Plötzlich erinnere ich mich – Hedda Gabler! Diese Frauengestalt Ibsens habe ich als junges Mädchen in der Inszenierung Leopold Jessners im Thalia-Theater erlebt. Und nun – Hanne! An einem ungestörten Abend hat sie mir erzählt, dass die Hedda Gabler ihre letzte grosse Rolle gewesen sei, bevor Goebbels die Theater im totalen Kriegseinsatz schliessen und die

87

Künstler zum Enttrümmern, Schanzen, zum Bau von Panzersperren ein- setzen liess. Bei ihrem Erzählen spüre ich, wie sehr Hanne sich mit dieser Rolle verwachsen fühlt. Hedda Gabler, das ist die nach Schönheit dürstende Tochter eines Generals, die aus einem reichen, aber in geistiger Enge leben- den Elternhaus ausbricht und einen Kunsthistoriker heiratet. Ihre Erwar- tungen erfüllen sich nicht. Auch hier Beschränktheit, kleinbürgerliche Be- grenztheit, künstlerisches Versagen, menschliche Dürre. Der einzige Mensch, dem es gelungen ist, über sich hinauszuwachsen, zerbricht an seiner Um- gebung. Und inmitten dieser Konflikte Hedda Gabler, jetzt selber Mitwir- kende in einem Spiel von Niedertracht und Beschränktheit. Als sie sich des- sen bewusst wird und erkennt, dass sie Opfer ihrer eigenen Illusionen ge- worden ist, beendet sie ihr Leben mit einem Schuss in die Schläfe. Und nun – Hedda Gabler – Hannes Glanzrolle – im Dunkelarrest der Käfigzelle! Heute Abend wird unser letztes Plauderstündchen sein. Es ist mir gelungen, die Hauptwachtmeisterin zu überzeugen, dass ich mit der Arbeit für den Männerbau nicht fertig werden konnte. Da die Decken aber morgen früh abgeliefert werden sollen, muss ich angeblich den Rest nach Einschluss ma- chen. Heute hat die Borgemehn Nachtdienst, eine der Dümmsten und Pri- mitivsten. Wenn ich sie sehe, fällt mir immer ein, wie sie nach dem Attentat des 20. Juli während der Freistunde der Burmeister um den Hals fiel und schluchzte: «Mein Führer, mein Führer! Die Vorsehung wird dich auch weiter behüten. Alle, die es wagen, die Hand gegen dich zu erheben, müssen wie Würmer zertreten werden.» Obwohl sie von meiner Arbeit nichts versteht, will sie mich belehren. Sie merkt nicht, dass ich sie beschwindele. Ich bin mit meiner Arbeit längst fer- tig, die Männer könnten sämtliche Decken abholen. Aber ich habe einen Stapel zusammengelegter Decken wieder zu einem ungeordneten Haufen durcheinandergeworfen, schichte einen Teil davon in die Brenne und zeige auf die anderen auf dem Boden: «Das sind noch vier Partien, mit Ein- und Ausräumen für gut eineinhalb Stun- den Arbeit.» Sie sieht auf ihre vergitterte Armbanduhr. Ihre goldene Uhr wurde zerbro- chen, als sie eine Kriminelle aus dem Saal an den Haaren zerrte und diese «aus Versehen» mit der Blechschüssel auf ihr Handgelenk fiel. «So lange kann ich nicht warten.» Sie verschwindet. Ich schalte die Brenne ein. Es könnte sein, dass sie oder Tessmann noch einmal zur Kontrolle kom- men. Das geschieht öfter. Hanne erwartet mich. Es ist erstaunlich, dass eine Frau wie sie, gewöhnt an

88

Erfolge, an geselliges und geistig reges Leben, trotz allem, was so unerwartet über sie hereingebrochen ist – die Verhaftung unmittelbar nach ihrer Ope- ration, die Folterungen von Stawitzki, die eisige Zelle auf B II, das Hungern und Frieren im Dunkelarrest und das Schlimmste, das Zertreten jeder Men- schenwürde –, dies alles durchgehalten und dabei weder Mut noch Haltung verloren hat. Wie immer stehe ich an die Tür gelehnt, das rechte Ohr an die Türritze ge- presst. Das Gesicht der Treppe zugewandt, muss ich mit dem linken Ohr auf die Geräusche von oben lauschen. Wir haben uns in diesen Wochen gut auf- einander eingespielt. Hanne weiss, in welcher Lautstärke sie mit mir spre- chen darf. Sie wartet geduldig, bis ich wiederkomme – oder auch nicht –, wenn ich plötzlich verschwinden muss. Heute gesteht sie mir, dass sie zeitweise grosse Angst gehabt hat, dieser Dun- kelarrest sei die letzte Station zum Prozess vor dem Volksgerichtshof. «Wie kommst du darauf?» frage ich erstaunt. «Weil Stawitzki sagte, ich würde unter keinen Umständen ungeschoren da- vonkommen.» «Ach, der Bandit hat dich nur erschrecken wollen, denn du hast ja nicht einmal einen Schutzhaftbefehl. Zu einem Prozess gehört eine abgeschlossene Voruntersuchung. Dann erfolgt die Überweisung an die Staatsanwaltschaft, die das Hauptverfahren für das Gericht vorbereitet. Als Untersuchungshäft- ling kommt man dann in das UG. Also beruhige Dich. Da gibt es ganz an- dere Fälle, die längst verhandelt werden sollten.» Dabei will ich jetzt nicht daran denken, dass ein Mensch, einmal in den Klauen der Gestapo, auf viel- fache Weise umkommen kann. Wir machen jetzt einen richtigen Schwatz, soweit das bei dem grossen Ab- stand zwischen Tür und Käfig möglich ist. Hanne erzählt, dass sie schon am ersten Tag eine Auseinandersetzung hatte, als sie es ablehnte, das verwaschene hässliche Anstaltskleid mit der schäbigen Schürze zu tragen. «Aber Hanne», necke ich, «du hast wenig Stilgefühl. Für uns Häftlinge ist dies die einzig angemessene Kleidung.» Wir machen Pläne für «nachher» – ein gemeinsamer Elbspaziergang im Frühling – durch den Stadtpark mit seinem weiten Vogelschutzgebiet schlendern – «und abends», schlägt Hanne vor, «bei mir zu Hause. Ich werde ein wenig musizieren. Bestimmt findet sich noch eine Flasche Wein. Du wirst dich bei mir wohl fühlen und auch meine Freunde kennenlernen.» So träumen wir vom kommenden Frühling. Zum Abschied bittet mich Hanne, das «Abendglöckchen», ein kleines russi- sches Lied, zu singen, das sie hörte, als ich es einmal in der Brenne sang.

89

Den Mund nahe am Türspalt, schmecke ich fast das Azeton. Ich lasse mir nichts merken und stelle mir vor, wie Hanne jenseits der Tür die Käfigstäbe umfasst, das Gesicht gegen ihre Hände gelegt. Sie summt als Begleitung die Melodie mit, während ich die Oberstimme singe. Dann klopfe ich meinen Abschiedsgruss und gehe hinüber, um die Brenne aufzuräumen. Heute tut es mir nicht leid, als ich zum Einschluss geholt werde. Morgen wird Hanne aus der Käfighölle erlöst sein. * * *

Freistunde! Nach Wochen Dunkelarrest befindet sich Hanne jetzt unter uns im Sonnenschein auf dem Hofe. Sie geht im inneren Kreis für Körperbehin- derte. Ihr Gang ist schwankend, die Schritte schleppend, das Gesicht grau und eingefallen, ihr schönes Haar struppig und ohne Glanz. Wir, im äusseren Kreis, gehen in entgegengesetzter Richtung, so dass wir den Frauen im inneren Kreise häufig begegnen. Viele freuen sich über Hannes Erscheinen, winken und lächeln ihr heimlich zu. Wenn unsere Augen sich treffen, geht ein frohes Aufleuchten über ihr Gesicht. Doch plötzlich schwankt sie und wäre gefallen, hätten nicht hilfreiche Hände zugegriffen. Die Aufseherin erlaubt ihr, sich an die Mauer zu lehnen. So steht sie und hält mit geschlossenen Augen ihr blasses Gesicht der Sonne entgegen. Am nächsten Tage beginnt unser Abtransport ins UG. Wir sind die erste Gruppe, «Komplicen» aus der Bästlein-Organisation, ausserdem Frauen aus kleineren Widerstandsgruppen, einige Einzelgänger. Andere Transporte werden in den nächsten Tagen folgen. Das bedeutet, dass unsere Prozesse vorbereitet sind, vielleicht stehen die Termine schon fest. Manche klam- mem sich an die Hoffnung, dass aus ihrem Prozess nichts mehr wird, denn Roland Freisler, der Vorsitzende und berüchtigte Blutrichter des Volksge- richtshofes, ist im Februar bei einem Bombenangriff umgekommen. Wir, die Erfahrenen, bleiben misstrauisch und, wie sich herausstellt, mit Recht. Das Volksgericht bekommt einen neuen Vorsitzenden, und die Pro- zesse gehen weiter. Täglich erfahren wir neue Nachrichten, die unsere Unruhe steigern. Nun heisst es, der Volksgerichtshof wird im Gebäude des Oberlandesgerichts in Hamburg tagen. Wir wissen auch, dass die zum Tode Verurteilten nicht mehr ins Gefängnis zurückkommen, sondern sofort zur Hinrichtung nach Bützow-Dreibergen geschafft werden. Angeblich soll infolge von Bomben- schäden die im UG aufgestellte Hinrichtungsmaschine nicht mehr funktio- nieren. Alles in uns bäumt sich dagegen auf, heute noch sterben zu sollen, nach den vielen durchlittenen Jahren des jetzt in Trümmern liegenden «tau- sendjährigen Reiches».

90

An einem Morgen werden alle in letzter Zeit aus Fuhlsbüttel überführten politischen Häftlinge zur Verwaltung geholt, darunter auch die gestrigen Zugänge. Wartend stehen wir uns im Flur in zwei Reihen gegenüber. Als die Aufseherin den Rücken kehrt, huscht Gerda, meine ehemalige Zellen- nachbarin, zu mir herüber und flüstert mir etwas ins Ohr. Es wirft mich fast um. Hanne Mertens ist wieder in Dunkelarrest gesteckt worden! * * *

Jetzt beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Fieberhaft verfolgen wir an heim- lich kursierenden Zeitungsausschnitten den Frontverlauf. Wir bekommen den Krieg jetzt unmittelbar zu spüren. Entgegen ihrer bisherigen Gepflo- genheit werfen die englischen Flieger nun auch Bomben auf das Untersu- chungsgefängnis ab. Seit dem 10. März hat es dreimal den Männerbau ge- troffen. Es gab Tote und Verletzte. In der Nacht zum 14. April geht ein Volltreffer in den Frauenbau. 33 Tote und eine Anzahl Schwerverletzte liegen unter den Trümmern. Bei diesem Angriff wurde auch das angren- zende Oberlandesgericht getroffen. Der Volksgerichtshof kann nun auch hier nicht mehr tagen. Es heisst, die Verhandlungen sollen jetzt in Bad Schwartau, nahe bei Hamburg, stattfinden. Wir wissen, dass am 15. April noch zwei Frauen aus dem UG dorthin geschafft wurden. Sie sollten als sogenannte Volksschädlinge abgeurteilt werden. Wahrscheinlich wurden sie zum Tode verurteilt und sind bereits hingerichtet, denn sie kamen nicht mehr ins UG zurück. Wir Frauen der Todesstation verbringen schlaflose Nächte. Die Termine für die Angehörigen der Bästlein-Organisation sind für die Zeit vom 17. bis 21. April angesetzt worden. Als erstes soll gegen Aenne Bohne und Heinz Nilsson verhandelt werden. Sie sind die letzten Überlebenden von jenen, die die Gestapo aus der engeren Leitung der Organisation verhaften konnte. Das Todesurteil ist ihnen sicher. Aber auch wir anderen haben wenig Chancen. Morgens, wenn sich die Tür öffnet, warten wir herzklop- fend mit angstvoller Spannung, ob man uns die verhängnisvolle Vorladung bringt. Frau Hofmeister, unsere Freundin unter den Bewacherinnen, will uns Mut machen und berichtet, dass die englischen Panzerarmeen mit ihrer Spitze bereits jenseits der Elbe stehen. Parlamentäre der Stadt Hamburg sollen mit dem Oberkommandierenden der vorrückenden britischen Armee verhandeln. Am 19. April 1945 wird Hamburg zur offenen Stadt erklärt. Zum letztenmal erscheinen englische Flieger. Aber es fallen keine Bomben mehr. Frau Hofmeister bringt uns die erlösende Nachricht, dass es keine Prozesse mehr gibt. Wie sehr hat sie mit uns gebangt. Die Herren Staatsanwälte, die

91 in Hamburg Hunderte von Bluturteilen fällten, ziehen es jetzt vor, ihre eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Sie sind verschwunden! Wir sind gerettet! Wir werden leben! Aber eine rechte Freude will doch nicht aufkommen. Zu viele unserer An- gehörigen, Freunde und Genossen sind im Kampf gegen das verbreche- rische Regime gefallen. Auch sorgen wir uns um die im Gestapogefängnis zurückgebliebenen Kameradinnen. Wie es heisst, soll im Einvernehmen mit der Oberstaatsanwaltschaft noch ein grösserer Transport von Fuhlsbüttel in das Auffanglager Kiel-Hassee in Marsch gesetzt worden sein. Aber eine grö- ssere Gruppe von Frauen blieb zurück. Was wird mit ihnen geschehen? Wir haben zuviel Erfahrung, um nicht zu fürchten, dass für alle dort Verblie- benen unmittelbare Todesgefahr besteht. Mit Schrecken denke ich daran, dass sich unter diesen Freundinnen auch Hanne Mertens befinden soll.

* * *

Kurze Zeit später (noch in der Haft) erfahren wir, dass unsere schlimmsten Befürchtungen eingetroffen sind. Alle politischen Häftlinge, Frauen wie Männer, die sich zu dieser Zeit noch in Gestapohaft befanden, wurden am Abend des 20. April 1945 zur «Sonderbehandlung» * in das schon weitge- hend geräumte Konzentrationslager Neuengamme gebracht. 58 Männer und 13 Frauen sind dort in den Nächten zwischen dem 22. und 24. April ermor- det worden. Unter ihnen befand sich Hanne Mertens, ehemals Schauspiele- rin am Thalia-Theater.

Edmund von der Meden Meine Erinnerung an Hanne

... Als es hiess, dass Hanne Mertens zu uns ** kommen sollte, liess man seine Beziehungen spielen, um zu erfahren, was eine ungewöhnliche Schauspie- lerin veranlassen konnte, von den immer noch hochgeschätzten Kammer- spielen (München) ans etwas künstlerisch verwirtschaftete Thalia-Theater

* «Sonderbehandlung» bedeutet: Töten ohne richterliches Urteil auf Grund von Gestapoanwei- sungen. Siehe dazu: «Nacht über Hamburg», a. a. O., S. 186. ** Hanne Mertens folgte im Sommer 1943 einem Engagement von den Kammerspielen in Mün- chen an das Thalia-Theater Hamburg.

92

(Hamburg) zu gehen. Was wir hörten – und das musste nicht stimmen! – war sehr unerfreulich. (Cliquenbildung mit politischer Hilfe zweier rivali- sierender SS-Gruppen, die bis zur Störung von Vorstellungen ging.) Die Gruppe um Hanne schien unterlegen zu sein. Offenbar gab es intern einen unfreundlichen Abschied. So wurde es uns geschildert. Es war also kein Wunder, dass Hanne Mertens mit einer gewissen Reserve bei uns aufge- nommen wurde, die wir sie aber möglichst wenig merken liessen. Ihre künst- lerische Potenz, dazu das Bewusstsein, dass der ganze Spuk über kurz oder lang doch zu Ende sei, liess uns die Münchner Berichte mehr oder minder vergessen... Als ich den Bericht «Meine Begegnung mit der Schauspielerin Hanne Mer- tens» von Frau Meyer las, kam mir ein grauenhafter Verdacht: Ob man vielleicht Hanne mit dem Hamburger Engagement eine Falle gestellt hatte, weil man sich nicht recht traute, sie in München zu liquidieren ...? Und nun zur Schauspielerin Hanne Mertens. Sie war eine wirklich unge- wöhnliche Frau. Sie besass das, was nicht zu erarbeiten ist und was der überwältigenden Menge der darstellenden Künstler fehlt: Persönlichkeit. Rollen, gefürchtet wegen ihrer Fadheit (Adelheid in den grässlichen «Jour- nalisten»), wurden durch sie zu eigenartigen, unverwechselbaren Figuren. Entscheidend aber war dabei immer, dass es keine Verfälschung gab. Die Dimension des Dargestellten wurde durch sie erweitert, vertieft. Oft weit über die dichterische Vorlage hinaus. Die wenigen Rollen, die Hanne Mer- tens in Hamburg spielte – eigentlich war nur die Hedda Gabler eine ihr entsprechende Aufgabe –, haben sie uns als eine ganz starke Persönlich- keit gezeigt. Schauspieler ihrer Art aber, meist schwierige Charaktere – nur das Mittelmass und die Langweiligkeit sind einfach –, sind ein seltenes Geschenk für die Kunst des Theaters. Die sinnlose Hinmordung einer Frau wie Hanne Mertens war ein grausamer Verlust für alle, die sich dem – heute wie damals keineswegs problemlosen – Theater verbunden fühlen.

(E. von der Meden ist musikalischer Leiter am Thalia-Theater, Hamburg)

Ein englischer Offizier entdeckt den Hinrichtungsbunker im Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg Als im April/Mai 1945 die in den Konzentrationslagern begangenen Ver- brechen bekannt wurden, setzten die Alliierten besondere Untersuchungs- kommissionen ein. Sie sollten ermitteln und Möglichkeiten schaffen, die Schuldigen vor ein Kriegsgericht zu bringen.

93

Ein Ermittlungsoffizier berichtet, was er vorgefunden hat: «Ich bin Leutnant S. Charlton vom 53. RECCE-Regiment. Meine Heimat- adresse ist 40 Guildhall Street, Folkestone. Am 5. Mai 1945 wurde mir von meinem kommandierenden Offizier, Col. L. Williams, befohlen, nach dem Lager Neuengamme zu gehen, über die Be- dingungen zu berichten und ob dasselbe noch in Feindeshand sei. Ich kam im Lager an am Morgen des 5. Mai. Meines Wissens war ich der erste bri- tische oder alliierte Offizier, der das Lager betrat. Mir wurde eine Übersichtskarte vom Neuengammer Lager gezeigt. Diese war gegengezeichnet bezüglich der Genauigkeit vom Cpt. G. C. Evens, 155. CRE WORKS HQ 8 Sub Area – Hamburg. ... Ich kam zum Lager vom Nordende und ging eine gepflasterte Strasse, welche zum Haupteingang führte. Das Lager war von einem elektrischen Stacheldraht umgeben... Im Innern des Lagers waren ebenfalls mehrere Teile durch Stacheldraht voneinander abgetrennt

Dann wurde mir eine Baracke gezeigt, welche auf dem Plan nicht verzeich- net ist. Diese befindet sich zwischen Bad und Küche. Sie hatte Metalltüren und Gitter an den Fenstern. Das Gebäude war in einem schmutzigen Zu- stand. Am Ende des grossen Gebäudes mit den Brausen war ein Anbau, der mir wie ein Entlausungsraum vorkam! Ich besichtigte die Räume eingehend und fand, dass sie wie sechs grosse Fleischschränke aussahen. Sie hatten luftdichte Türen, und jede Box konnte leicht sechs Personen fassen.» * * * *

Namen der 13 Frauen, die am 20. April 1945 aus der Gestapohaftanstalt Fuhls- büttel in das Konzentrationslager Neuengamme (mit 58 Männern) überführt wurden und in der Nacht zum 22. April 1945 im Bunker ermordet worden sind:

Kreuzer, Leni (Anni?) Behling, Erna Ladewig, Annemarie Dohme, Senta Mertens, Hanne Etter, Erika Mrozek, Margarethe Fiering, Marie Rosenkranz, Elisabeth Heyckendorf, Helene Strelzowa, Sinaida (Sowjetbürgerin) Jakuditsch, Anna (Sowjetbürgerin) Zinke, Margit

«So ging es zu Ende ...», Dokumente und Berichte, herausgegeben von der Lagergemeinschaft Neuengamme, Hamburg 1960, Seite 67/68.

94

Gertrud Meyer «Gerichtliches Nachspiel»

Die Ermordung der 71 Menschen in Neuengamme in letzter Stunde wurde später Gegenstand mehrerer Prozessverhandlungen. Der erste derartige Pro- zess richtete sich gegen die SS-Führung des Konzentrationslagers Neuen- gamme. Er fand vom 18. März bis 3. Mai 1946 vor einem britischen Kriegs- gericht im Curio-Haus, unter dem Aktenzeichen 8C/9929/5/A (E), statt. Ein anderer Prozess, gleichfalls vor einem britischen Kriegsgericht, wurde vom 7. Juli bis 8. August 1947 im Curio-Haus verhandelt. Angeklagt waren Bewacher, Männer und Frauen nebst dem Kommandanten Tessmann der Gestapohaftanstalt in Fuhlsbüttel, sowie der Höhere SS- und Polizeiführer Graf von Bassewitz-Behr, der die Exekutionsanordnung für jene 71 Ermor- deten unterschrieben hatte. Der dritte, ein Schwurgerichtsprozess, lief unter dem Aktenzeichen 14 Js 259/47 vom 9. Mai bis 2. Juni 1949 vor dem Hamburger Landgericht. Er richtete sich gegen Angehörige des Gestapodezernats IV (II) la (Marxis- mus-Kommunismus). Neben der Aufrollung unzähliger Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde hier enthüllt, mit welcher Willkür die Vernich- tung von Angehörigen des innerdeutschen Widerstandes und der antifaschi- stischen Opposition betrieben worden ist. Der Prozess befasste sich auch mit der Vorgeschichte der letzten Mordaktion. Es wurde festgestellt, dass alle in Neuengamme Ermordeten sich ungesetz- lich in Haft befunden hatten. Nach den damals geltenden Bestimmungen musste jede Haft, die über eine Woche hinausging, durch einen Schutzhaft- befehl legalisiert werden. Das aber ist in keinem dieser Fälle geschehen, absichtlich nicht, denn nach dem Willen der Gestapo sollten alle diese Men- schen sterben. 71 Menschen konnten sie aber nicht heimlich in einem Kel- ler der Gestapo oder in Fuhlsbüttel umbringen. So überführte man sie in das Konzentrationslager Neuengamme, wo die Hamburger Gestapo seit Jahren eine «hauseigene» Mordstätte für Liquidationszwecke hatte. * Die 71 zur Vernichtung vorgesehenen Menschen wurden nach einer von ver- schiedenen Gestapodienststellen aufgestellten Liste, im Einvernehmen mit Dr. Freytag, als Vertreter der Justiz, zur Vernichtung vorgemerkt. Unter die- sen Dienststellen befand sich auch die Abteilung IV 1, Leiter Kriminalrat SS-Sturmbannführer Paul Stawitzki, der Hanne Mertens nicht «ungescho- ren davonkommen» lassen wollte. Am Abend des 20. April 1945 wurden

So ging es zu Ende ...», Lagergemeinschaft Neuengamme, Hamburg 1960, S. 17.

95 sämtliche zur Vernichtung vorgesehenen Gefangenen aus Fuhlsbüttel nach Neuengamme transportiert. Zu der «Liquidationsliste» machte das Gericht im Schwurgerichtsprozess 14 Js 259/47 folgende Ausführungen: Bd. II Betrifft Liquidationsliste. Für den Fall der Annäherung alliierter Streitkräfte war die Evakuie- rung des Pol.-Gefängnisses Fuhlsbüttel durch den Reichsverteidigungs- Kommissar angeordnet worden. Die Durchführung dieser Anordnung lag in der Hand des damaligen SS- und Polizeiführers Nord, Graf von Bassewitz-Behr. In den diesbezüglichen Plänen, die bereits 1944 aus- gearbeitet wurden, war die Überführung sämtlicher Häftlinge von Fuhlsbüttel in das Konzentrationslager Neuengamme vorgesehen. Als Ende März 1945 die Räumung durchgeführt werden sollte, erwies sich dieser ursprüngliche Plan ... als undurchführbar. Graf Bassewitz-Behr befahl daher in Übereinstimmung mit dem Inspektor der Sicherheits- polizei Herford die Überführung der Häftlinge in das Arbeitslager Kiel-Hassee. Da dieses Lager ungenügend gesichert war, sollten die schweren Fälle nach Neuengamme gebracht werden... Zu diesem Zwecke verfügte Graf Bassewitz-Behr, eine Liste über... die nach Neuengamme zu transportierenden Gefangenen (letztere als Liquida- tionsliste bekannt) aufzustellen. Die Aufforderung zur Aufstellung die- ser Liste wurde durch den damaligen Chef der Gestapo, Blomberg (Hans-Wilhelm, SS-Oberführer, Vf), über den Regierungsrat Jacobs an die einzelnen Abteilungsleiter weitergegeben. Der Angeschuldigte Bo- ckelmann stellte gemeinsam mit dem Angeschuldigten Helms eine Liste der gefährlichen Häftlinge auf... Zusammen mit den von anderen Ab- teilungen Gemeldeten standen auf dieser Liste 71 Personen. Diese Häftlinge brachte der Gefangenenaufseher Stange nach Neuengamme, wo sie am 23.4.1945 hingerichtet wurden. * Den Abend des Abtransportes der 13 Frauen aus der Gestapohaftanstalt Fuhlsbüttel nach Neuengamme schilderte die letzte Kalfaktorin, Ellen Kat- zenstein: «Die Frauen ahnten nicht, was ihnen bevorstand. Da kein Gerichtsver- fahren gegen sie lief, nahmen sie an, sie würden ... entlassen. Alle be- fanden sich in freudiger Erregung. Sie zeigten sich gegenseitig die Bil- der ihrer Männer und Kinder..., richteten ihre Kleidung so nett wie möglich her. Erika, die Jüngste, trug weisse Kniestrümpfe.» **

* Unterlagen zur Anklageschrift «Helms u.a. 14 Js 259/47» bei der Oberstaatsanwaltschaft Hamburg, siehe auch «Nacht über Hamburg», S. 105 f. ** A.a. O., S. 106.

96

Über die Ankunft der Gefangenen im Lager sagte Karl Totzauer, Adju- tant des Lagerkommandanten Max Pauly, bei seiner Vernehmung vor dem britischen Kriegsverbrecher-Untersuchungsausschuss, dass ihn Oberscharführer Naeve (SS-Schreibstube) darüber informiert habe, dass auf Anordnung des Höheren SS- und Polizeiführers Bassewitz-Behr ein Transport von Häftlingen aus Fuhlsbüttel angekommen sei. Diese Häft- linge sind einige Tage später exekutiert worden. Der politische Häftling Hans Schwarz, einer der Funktionäre der illegalen Häftlingsorganisation im Konzentrationslager Neuengamme, wurde am ach- ten Prozesstag, Dienstag, 26. März 1946, als Zeuge vernommen. Im Kreuz- verhör befragte ihn der Verteidiger des Schutzhaftlagerführers Anton Thu- mann. «Haben Sie mit den Opfern gesprochen? Zeuge: Jawohl! Verteidiger: Wann und wo? Zeuge: Ich habe mit einer grösseren Zahl von Männern auf Block 20 ge- sprochen. Es war verboten. Ich setzte mich der Gefahr aus, da rund um den Block eine Wache stand. Verteidiger: War den Leuten bekannt, was ihnen bevorstand? Zeuge: Nein. Ausdrücklich antworteten sie mit «Nein». Sie wüssten auch nicht, wohin sie kämen. Ich habe sie gefragt, ob sie irgend- einen Schutzhaftbefehl oder ein Urteil bekommen haben. Sie antworteten: «Nein». Verteidiger: Was haben Sie über die 13 Frauen gehört, über ihre Verhaftung ...? Zeuge: Ich habe sie nur ganz kurz gesehen und auch nur aus dem Bun- ker heraus ganz kurz mit ihnen sprechen können. Ich weiss aus Schilderungen des Architekten Ladewig, dass seine Tochter und die Schauspielerin Hanne Mertens dabei waren ... Verteidiger: Sie haben von einer Frau gesprochen ... hat diese Frau gewusst oder gehört, was mit ihr geschehen sollte? Zeuge: Nein, nach ihrer Schilderung nicht. Über die Durchführung der Exekution wurden neben der SS-Lagerführung auch drei kriminelle Häftlinge vernommen, welche bei der Mordaktion zu- gegen waren. So sagte am 25. März 1946, dem 7. Verhandlungstag, der vor- geführte Cornelius aus: Zeuge: Die Gefangenen (Frauen, Vf.) mussten sich nackend ausziehen und sich hinstellen, dann wurden die Schlingen hochgezogen. Präsident: Sind die Gefangenen gleich daran gestorben?

97

Zeuge: Sie wurden 10 bis 15 Minuten hängengelassen. Präsident: Wissen Sie, ob sie gleich tot gewesen sind? Zeuge: Sie haben noch gezappelt und mit den Händen um sich geschla- gen und sind dann hochgezogen worden.» Der kriminelle Häftling Sieverts, gleichfalls bei den Exekutionen anwesend, berichtete am 27. März 1946 im Zeugenstand, dass in der Nacht die SS-Män- ner Feierabend und Rüge kamen, sich auf sein Bett legten, um nach der An- strengung von der Exekution der Frauen auszuruhen. Zum Schluss seien noch die Aussagen aus der Voruntersuchung des SS-Ober- sturmführers und Schutzhaftlagerführers Thumann gebracht, der die Exeku- tionen leitete: «Anton Thumann, eidesstattliche Aussage, beschworen von ihm vor Captain Walter Freud, Haupt-Liste des Nr. 2 Kriegsverbrecher-Untersuchungs-Ausschusses zu Minden am 4. Januar 1946.» «... Eines Abends, ca. 9.00 Uhr, zwischen dem 20. und 24. April 1945, wurden 13 Frauen und 58 Männer nach Neuengamme gebracht. Da ich mit den Gefangenen nicht gesprochen habe, weiss ich nicht, welcher Nationalität sie waren. Ich bekam den mündlichen Befehl von Pauly (der Lagerkommandant von Neuengamme, Vf), dass diese Menschen, die von dem Hamburger Polizeichef gekommen waren, zu exekutieren waren. Mir war nicht gesagt worden, warum sie exekutiert werden soll- ten oder ob sie über ihr Schicksal informiert waren. Die Männer wur- den nach Block 20 gebracht und die Frauen in die Bunkerzellen. Aus den Zellen wurden sie auf den Korridor gebracht, wo die Galgen er- richtet waren. Die Frauen mussten auf den Stuhl steigen. Die Schlinge wurde dann um ihren Nacken gelegt und der Stuhl weggezerrt. Jede blieb eine halbe Stunde lang hängen. Während dieser Zeit schloss ich den Bunker ab und ging in mein Zimmer. Während der Zeit waren die folgenden (SS-Männer, Vf) dort: Dreimann, Warnke, Feierabend, Rüge und Brems sowie die Gefangenen (kriminelle Häftlinge des Konzentra- tionslagers Neuengamme, Vf) Cornelius, Leers, Sieverts. Der Bunker war von Fackeln beleuchtet. Die drei obengenannten Gefangenen nah- men die Körper ab und brachten sie mit Dreimann in die Leichenkam- mer. Die 13. Frau wurde mit einem finnischen Karabiner erschossen. * Wir beendeten die Exekution der Frauen zwischen 12 und 1 Uhr nachts.

* Darüber liegen von Seiten der SS-Männer sowie von den bei den Exekutionen anwesenden kriminellen Häftlingen abweichende Aussagen vor. Sie laufen darauf hinaus, die 13. Frau sei nach den Schüssen noch nicht tot gewesen. Man habe sie dann mit einem Stein erschlagen.

98

Gertrud Meyer Mit «Kristin Lavranstochter» in der Zelle

Seit Wochen befinde ich mich neben vielen politischen Häftlingen in Einzel- haft im Zellenbau des Frauen-Zuchthauses Cottbus. Wir schreiben das Jahr 1939. Die Arbeit besteht im Staffieren von Soldatenmänteln mit Futterstoff. Zwei- mal wurde das Arbeitspensum bereits erhöht. Der Arbeitstag dauert zwölf Stunden. Das heisst, zwölf Stunden immer die gleiche, stupide Arbeit, ohne Möglichkeit, wenigstens geistig zu entfliehen. Der einzige für mich zuge- lassene Lesestoff besteht in der Strafvollzugsordnung. Sie hängt an der Zel- lenwand. Nach «Bewährung» könnte ich in absehbarer Zeit Stufe II und nach Jahren Stufe III erklimmen, heisst es darin. Dann bekäme ich erwei- terte Schreiberlaubnis, mehrere Bücher nach Wahl, könnte die Zelle mit einem Bild «schmücken». Doch was soll’s! In der Praxis gibt es inzwischen nur noch Stufe I mit vielen Möglichkeiten der Strafverschärfung. Mein Wunsch, endlich etwas Gedrucktes zu haben, wird immer grösser. Nicht einmal das «Toilettenpapier» bietet Abwechslung. Der dicke Packen Zeitungsschnipsel – ein Blatt hat die Grösse des Sechzehntels einer Zei- tungsseite – besteht aus einem immer gleichen Feuilletonausschnitt. Über- schrift: «Das Pferd Arabella.» Ich habe die 30 – dazu noch unvollständi- gen – Zeilen vor- und rückwärts gelesen. Ich habe die Worte gezählt. Ich werde auch noch die Buchstaben zählen. Was dann? Von Tag zu Tag hoffe ich auf Leseerlaubnis. Wenn ich die Aufseherin frage, erhalte ich immer die gleiche Antwort: «Von Berlin liegt noch nichts vor.» Wieder soll die Arbeitsnorm erhöht werden! Von anfänglich sechs Mänteln am Tag hat man uns bis auf elf hochgejagt. Nun sollen es 13 (dreizehn!) sein. Mein Verdienst beträgt pro Tag sechs Pfennige, gleich, wieviel Stück ich schaffe. Die Fabrik, für die wir arbeiten, zahlt pro Stück 1,32 RM; mein Lohn müsste demnach 14,52 RM betragen! Aber hier geht’s nicht um das Geld, sondern um Grundsätzliches. Kein Stück mehr machen, verabreden wir uns in der Freistunde. Als Antwort hat sich die Zuchthausleitung eine der empfindlichsten Strafen für Politische ausgedacht – Buchsperre für alle! Es werden Versuche gemacht, unsere Front zu durchbrechen, auch bei mir. «Sie sind doch eine schnelle Arbeiterin. Wenn Sie die Norm erfüllen, be- kommen Sie sofort Leseerlaubnis», versucht es die Werkmeisterin. «Ist denn die Erlaubnis von Berlin da?» frage ich naiv. «Seit gestern.» – Ich bin

99 sicher, dass die Erlaubnis längst vorliegt. «Ich würde es trotz aller Anstren- gungen nicht schaffen», bedauere ich. Nun versucht man härtere Methoden. Die neue Regierungsrätin – eine Nazisse reinsten Wassers – lässt uns zur Vorführung holen. Von zwei Be- wacherinnen flankiert, stehen wir in einer Reihe auf dem Flur. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Keiner denkt daran, Zugeständ- nisse zu machen. Jetzt droht man uns mit Meldung an die Gestapo wegen Arbeitssabotage. Die Folgen kennt jeder. Also überlegen. Wieder verstän- digen wir uns in der Freistunde. Einige sollen so tun, als ob sie sich vergeb- lich mühen und ein angefangenes zwölftes Stück vorzeigen. Andere sollen «das Pensum beinahe schaffen», aber so, dass vieles wieder aufgetrennt werden muss, so dass in Wirklichkeit weniger herauskommt als zuvor. Auf diese Weise können sie uns keine organisierte Arbeitssabotage vorwerfen. Der Kampf zieht sich einige Tage hin. Schliesslich bleibt es doch bei elf Stück. Dann erhalten alle wieder Leseerlaubnis – nun auch ich! Aufgeregt blättere ich im Katalog. Was soll ich nehmen? Ein nationalsozialistisches Buch ist Pflicht. Das zweite darf ich wählen. Der Katalog ist bereits mehr- fach «gesäubert» – man erkennt es an der verschiedenfarbigen Tinte. Aber da ist «Kristin Lavranstochter» von Sigrid Undset. * Glücklich empfange ich meine so langentbehrte Lektüre. (Das Nazibuch fliegt erst mal auf den Spind.) «Kristin Lavranstochter» verstecke ich auf meinem Schoss unter dem Soldatenmantel. Falls man mich durch den Spion betrachtet, habe ich Nähnadel und Fingerhut bereit. Dann beginne ich mit Lesen. Ab und zu mache ich wirklich einen Stich. Aber ich kann mich vom Buch nicht losreissen. Ich muss lesen! Plötzlich höre ich an den Geräuschen auf dem Flur, dass es Mittag ist. Kaum zu glauben, wieviel Zeit verronnen ist. Unmöglich, das Versäumte aufzuholen. Wenn ich heute Abend das Pen- sum nicht geschafft habe, wird mir morgen wieder die Leseerlaubnis entzo- gen. Es bleibt also nichts anderes übrig, ich muss auf die Freistunde verzich- ten, arbeiten und mich dabei verteufelt ranhalten. Von nun an lebe ich mit Kristin. Morgens, in der Zeit nach der Zellenreini- gung und in Erwartung des Frühstücks, lese ich stehend, mittags lese ich, während ich aus dem Napf löffele; abends lese ich, bis man uns das Licht ausknipst. Ich begleite Kristin, die inzwischen zur Frau heranwächst, auf dem Weg ihres eigenwilligen Lebens. Im Dunkeln liege ich, die verschränk- ten Arme unter dem Kopf und beschäftige mich mit ihrem Schicksal. Sie hilft mir, andere quälende Gedanken in den Hintergrund zu drängen. Inzwischen bricht «draussen» das Verhängnis aus. Deutsche Truppen sind in

* Nach dem Einmarsch in Norwegen verschwinden auch die Bücher der Nobelpreisträgerin Und- set aus der Zuchthausbibliothek.

100

Polen einmarschiert! Die Bewacherinnen können uns in der Freistunde kaum zur Ruhe zwingen, so sehr hat uns dieses Ereignis aufgestört. Einige Tage später erhalte ich den «Leuchtturm», die Zeitung für Häftlinge des Strafvollzugs. Ich lese die ersten Kriegsberichte. Der zweite Weltkrieg hat begonnen! Vorläufig geht das Leben bei uns im gewohnten Gleis weiter. Wie bisher staffieren wir Soldatenmäntel aus. Aber mehr als bisher drängt sich die Frage auf – wer wird in ihnen sterben? Ich flüchte mich zu Kristin, die ihr eigenes Schicksal tragen muss, lebe mit ihr und bin froh darüber; sie ist mir nahe und vertraut und lenkt mich für kurze Zeit von der Furcht um das Kommende ab. Abendruhe herrscht im Zellenhaus. Ich lese, über meinem Kopf die Leucht- birne. Plötzlich geht das Licht aus. Was bedeutet das? Meine Zellennachbarin lässt geräuschvoll die Fahne (ein eiserner Winker, von der Zelle aus zu bedienen, vom Flur aus für die Bewacherin als «Fahne» sichtbar) fallen, ich tue desgleichen. Auch an anderen Zellentüren klappert es. Jeder will wissen, was los ist. Die Bewacherin muss von Zelle zu Zelle gehen. «Daran werdet ihr euch jetzt gewöhnen müssen. Es gibt nach Ein- schluss kein Licht mehr», erklärt sie. Unser erster Tribut an den Krieg – Stromsperre! Da sitze ich nun mit «Kristin Lavranstochter» im Dunkeln. Kristin, was sollen wir machen? Die grellen Scheinwerfer auf dem Hof wer- fen ein helles Viereck an die Zellenwand. Es ist ziemlich hoch, durchbro- chen vom Schatten der Gitterstäbe. Ich klettere auf mein Bett und balan- ciere so lange auf der schmalen Eisenkante, bis ich das Buch auf dem er- leuchteten Fleck habe. Nun kann ich lesen! Nur die schwarzen Gitterstrei- fen stören. Dauernd muss ich das Buch hin- und herschieben. Allmählich beginnen die Arme zu schmerzen, meine Hände zittern, der Nacken wird steif. Die Eisenkante schneidet in die Fusssohlen. Kristin, ich gebe nicht auf! Ich klettere hinunter, ziehe meine Holzpantoffeln an, klet- tere wieder auf die Bettkante, stets in Gefahr, herunterzukippen. Ich lese – lese, ohne zu ahnen, dass mir auch diese «Beleuchtung» nur noch wenige Tage vergönnt sein wird. Der Einmarsch in Polen sollte nur der Anfang sein. England und Frankreich haben Hitler den Krieg erklärt. Er hatte ihn provoziert. Nun hat er ihn und mit ihm das deutsche Volk. Für uns aber beginnt für Jahre die Zeit der totalen Verdunkelung. Nun zehren wir Lese- ratten nur noch vom Sonntag. Auch Kristin muss warten, bevor ich mit ihr das Ende ihres Lebensweges erreiche. Sie hat mich nicht enttäuscht. In den ihr vom Schicksal auferlegten Prüfungen, in denen ich mich ihr so nahe fühle, hat sie bei der Pflege von Pestkranken das Gesetz ihres Lebens er- füllt.

101

Sigrid Undset wurde am 20. Mai 1882 in Kalundborg (Dänemark) geboren. Später siedel- ten ihre Eltern nach Norwegen über. Den entscheidenden Teil ihres Lebens verbrachte sie in Lillehammer. Wegen des frühen Todes ihres Vaters musste sie ihre Absicht, Malerin zu werden, aufgeben und als Büroangestellte arbeiten. In ihrer freien Zeit schrieb sie ihre ersten Frauenromane. Sie erhielt ein Stipendium und konnte den Brotberuf aufgeben. Zunächst reiste sie nach Rom. Sie beschäftigte sich mit historischen Studien, welche die Grundlage der von ihr geschaffe- nen Frauenschicksale bildeten. Ihr in Deutschland bekanntester Roman ist «Kristin Lavranstochter» (Kristin Lavransdatta). 1925 trat sie zur katholischen Kirche über. 1928 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur. Es ist wenig bekannt, dass Sigrid Undset seit den ersten Anfängen Gegnerin des Nationalsozialismus gewesen ist. Sie lehnte den Antisemitismus ab, wandte sich aufs Heftigste gegen die Ju- denverfolgung, bekämpfte den Nationalsozialismus aus ihrer humanisti- schen Geisteshaltung, trat angesichts der Kriegsgefahr für die Neutralität Norwegens ein, in der Hoffnung, ihr Land vor Krieg und Faschismus zu be- wahren. Am 10. April 1940 geschah der deutsche Überfall auf Norwegen. Die Sied- lung und Sigrid Undsets Hof im Gudbrandstal wurden von Jagdfliegern und Panzern zerstört und in Brand geschossen. Die norwegischen Widerstands- kämpfer besassen nichts als Knüppel, Steine und Flinten. Sie mussten der Übermacht erliegen. Sigrid Undset sah aus ihrem Versteck, wie ihr Sohn unter den Schüssen der Faschisten verblutete. Es gelang ihr, über Stockholm in die Sowjetunion zu flüchten. Einige Mo- nate später traf sie in New York ein. Hier setzte sie in Wort und Tat ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus fort. 1945 kehrte sie nach Lillehammer (Gudbrandstal) zurück. Sigrid Undset starb am 10. Juni 1949.

Sigrid Undset an G. M. Jahre später – Krieg und Naziterror waren vorüber – schilderte ich Frau Undset in einem Brief, unter welchen Umständen ich «Kristin» kennenge- lernt und wie viel sie mir bedeutet hat. Ich erhielt von ihr nachstehendes Antwortschreiben:

102

103

Aenne Bohne-Lucko ... entkommen

Man schrieb das Jahr 1945. Am 4. März befand ich mich zehn Monate in der Gestapohaftanstalt Fuhlsbüttel, in streng isolierter Sonderhaft. Das be- deutete: verringerte Essenrationen, am Tage die Hände in der «8» auf dem Rücken gefesselt, nachts an den eisernen Bettrahmen gekettet. Mein einziger Spaziergang während dieser Zeit war die Zelle, sieben Schritte hin, sieben Schritte her. Wie beneidete ich meine Mitgefangenen, wenn mittags der Ruf durch das Haus ging: «Fertigmachen zur Freistunde!» Ach, könnte ich doch nur ein einziges Mal draussen in der frischen Luft her- umgehen, den Himmel, Wolken, Vögel, Bäume – und seien sie auch ohne Blätter – und vor allem meine Kameraden sehen. Ich wusste nicht, wen die Gestapo noch von meinen illegalen Genossen verhaftet hatte, wusste nicht, wer inzwischen ermordet oder hingerichtet worden war. Ich wusste auch nicht, was draussen vorging. Wie sah es auf dem Kriegsschauplatz im We- sten und Osten aus, wie stand es mit der zweiten Front? Ich hoffte mit aller Inbrunst auf ein baldiges Kriegsende, denn nur dann konnte ich diese Stätte des Schreckens und Grauens lebend verlassen. Dann kam dieser 4. März 1945. Er verlief anders als die vergangenen Tage. Am Nachmittag holte man mich aus der Zelle und führte mich in die Ver- waltung. Hier eröffnete man mir, dass ich am anderen Tage «auf Transport» gehen sollte. Was hatte das nun zu bedeuten – Volksgerichtshof? Vorläu- fig musste ich nur den Empfang meiner Effekten unterschreiben, die ich aber nach der Unterschrift nicht bekam, sondern am nächsten Tag erhalten sollte. Effekten – so nannte man Sachen, die den Gefangenen bei der Ver- haftung abgenommen wurden und über die man eine Liste aufstellte. Das waren also meine zwei Ringe, die Armbanduhr, Geld, Kleidung, Schuhe und verschiedene persönliche Dinge, wie sie eine Frau bei sich trägt. Trotz dieser Unterschrift habe ich – meinen Kameradinnen ging es genauso – von diesen Sachen nichts wieder gesehen. Die Gestapo hat sich an ihnen bereichert wie auch an unserem persönlichen Hab und Gut in unseren Woh- nungen. Ich wurde wieder zurückgeführt und ging ruhelos in meiner Zelle auf und ab. Wohin kam ich, was war mit mir beabsichtigt? Sollte der Krieg zu Ende sein? Kam ich auf Transport? Es konnte der Gang in den Tod, aber auch meine Rettung sein. Zwischen solchen Überlegungen zerrten mich meine Gedanken hin und her. Ich wusste, dass die Absicht der Gestapo nur sein

104 konnte, mich und andere Kameraden zu vernichten. Jetzt bestand vielleicht eine winzige Hoffnung, ihrer Gewalt zu entrinnen. In dieser Nacht schlief ich nicht. Ich starrte, auf dem Rücken liegend, von meinem eisernen Bett durch die Fenstergitter, zerrte ohnmächtig an meinen Hand- und Fussfesseln. Ich dachte an meinen Mann, den die Gestapobandi- ten am Klosterstem in Hamburg auf offener Strasse erschossen hatten. Ich dachte an meine Freunde, mit denen ich von Jugend an vertraut war. Viele von ihnen waren der Gestapo in die Hände gefallen und lebten nicht mehr. Sollte ich ihnen auch folgen? Als die Bewacherin mich am anderen Morgen aus der Zelle holte, blieb ich ruhig und gefasst. Ich war bereit. Dann blickte ich den langen Gang hinun- ter und sah zu meiner grössten Freude am Ende des Flurs andere Mitge- fangene stehen. Beim Näherkommen erkannte ich vertraute und liebe Freunde. Also kam ich nicht allein auf Transport. Bis alle aus den verschie- denen Stockwerken zusammengeholt waren, standen wir auf dem Flur, mit dem Gesicht zur Wand und rührten uns nicht. Die bewachenden SS-Bandi- ten schrien auf uns ein. Angeführt von dem langen Paul, einem der gefürch- tetsten Schläger und Mörder, führte uns die SS-Bewachung zum Tor hinaus. Was noch nie geschehen war, wenn wir zur Gestapovernehmung geführt worden waren: wir mussten ein Stück die Strasse entlang zu Fuss gehen. Obwohl ich mich schwach und schwindlig von dem langen Mangel an Be- wegung fühlte, genoss ich diesen Weg. Dann wurden wir in einem Sonder- wagen der Strassenbahn verfrachtet; denn die üblichen Gefangenentrans- portwagen konnten nicht mehr repariert werden. Hier, im hellen Tageslicht, blickten wir uns an. Wir sahen alle gleich aus. Verhungert, mit grauer Ge- sichtsfarbe, zerlumpt, marschierten wir mit schleppenden Schritten. Aber ungebrochen war unser Mut, der in unserem verhaltenen Lächeln und aus allen Augen leuchtete, trotz der uns bewachenden SS-Männer mit ihren griff- bereiten Pistolen. Wir ahnten damals nicht, dass entgegen den Absichten von Gestapo und Justiz dieser 5. März unser Glückstag werden sollte. Es begann damit, dass man uns nicht in einen Sonderwagen der Eisenbahn zum Termin beim Volksgericht verfrachtete, sondern uns im Untersuchungsgefängnis Ham- burg ablieferte. Das bedeutete – Zeit gewonnen! Den SS- und Gestapo-Banditen sowie dem Volksgerichtshof waren wir fürs erste entronnen. Neue Hoffnung erfüllte uns. Unterwegs hatte ich mich bereits über das Wichtigste informieren können und wusste, mit dem Krieg geht es in Kürze zu Ende. An welchen Abgrund hatten die Faschisten das deutsche Volk geführt? Welche Leiden, Schrecken

105 und welches Grauen hatte die Bevölkerung über sich ergehen lassen, ver- ursacht durch den von den Faschisten und ihren Hintermännern provozier- ten Krieg. Hamburg war ein einziger Trümmerhaufen. Was war aus unserer schönen Heimatstadt geworden! Wer zählt die Obdachlosen, die verbrann- ten, zerfetzten, erstickten Opfer von angloamerikanischen Bomben, Phos- phorkanistern und Brandstäben. Unsere Fahrt endete vor dem Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis. Ich wurde von meinen Freundinnen getrennt und kam allein in eine Aufnahme- zelle. Endlich holte mich ein Wärter in Grün, also kein SS-Mann, und brachte mich in den sogenannten B-Flügel, den Frauenbau. Im Souterrain waren die Bade- und Entlausungszellen. Ach, welch eine Wohltat, welcher Genuss, nach zehn Monaten das erste Bad, dazu Seife und saubere Wäsche! Kaum war ich in der Badezelle, als die Tür aufging und eine Beamtin her- einkam. Wir starrten uns an, fassungslos vor Staunen und Freude fielen wir uns in die Arme. Frau Hofmeister war es – unser Seelchen –, wie sie von uns schon in früheren Haftzeiten genannt wurde. Während ihr die Tränen die Wangen hinunterrannen, sagte sie: «Dass du lebst, kommt mir so un- wirklich vor. In Hamburg erzählt man sich seit langem, du seiest tot, die Gestapo hätte dich umgebracht. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin.» Meine mütterliche Freundin nahm mich in die Arme, drückte mich an sich, strich mir das Haar aus dem Gesicht und schaute mich immer wieder an, als könne sie das Wunder nicht fassen. Auch ich war erschüttert, aber auch irgendwie beruhigt, dass ausgerechnet unser Seelchen die erste Frau war, der ich hier im Hause begegnete. Mir schien es ein gutes Omen. Frau Hofmeister, unsere Freundin und Helferin in den vergangenen schwe- ren Jahren, hatte Freud und noch mehr Leid mit uns getragen, den politi- schen Häftlingen treu zur Seite gestanden, uns mit zusätzlichem Essen ver- sorgt und vieles für uns gewagt. Sie wurde 1933 aus der Sozialbehörde hinausgeworfen, nach längerer Ar- beitslosigkeit dienstverpflichtet. 1936 wurde sie Hilfsaufseherin im Frauen- gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel. Dort hatte ich sie während meiner ersten Haft (jetzt befand ich mich zum drittenmal hinter Mauern) kennen und schätzen gelernt, eine Frau, demokratisch und human erzogen, entschie- dene Gegnerin des faschistischen Regimes. Wie hatte sie in diesen langen Jahren auf schmalem Pfad balancieren müssen, häufig selber in Gefahr, in die Vernichtungsmaschinerie zu geraten. Man brachte mich in den ersten Stock. Hier befanden sich die Zellen für die Frauen, die mit Todesstrafe zu rechnen hatten. Es war mir eine grosse Beruhigung, dass sich in meiner Nebenzelle meine Genossin Gertrud Meyer befand. So hatte ich doch einen Menschen, mit dem ich mich verständigen

106 und – da wir in der Freistunde hintereinander gingen – aussprechen konnte. Es folgten aufregende Wochen – ein Wettlauf mit dem Tode. Bestanden Chancen zu überleben? Gertrud und ich hatten die gleiche Maxime: Nie die Hoffnung aufgeben, und solange wir leben – kämpfen! Gertrud sagte mir einmal beim Rundgang, wie Georgi Dimitroff es ausgedrückt hatte: «Ein Revolutionär, ein Bolschewik darf nicht freiwillig sterben. Er muss unter allen Umständen leben und kämpfen!» Und lächelnd fügte sie hinzu: «So- lange man uns leben lässt, aber noch sind wir da.» Jetzt, im letzten Kriegsstadium, häuften sich die Tag- und Nachtangriffe der englischen Flieger. Bei jedem Alarm führte man die Frauen in den Keller. Wir von der «Todesstation» aber blieben auch während der Angriffe in un- seren Zellen eingeschlossen. Es hiess, die Engländer stehen auf der anderen Elbseite und beschiessen Hamburg mit Artillerie. Also war der Krieg noch nicht zu Ende. Wir sollten es leider noch sehr zu spüren bekommen. Die Bomben fielen auch auf das UG. Einige Male hatte es den Männerbau getroffen. Eines Nachts schlug eine Mine in den Frauenbau. Mehr als dreis- sig Menschenleben, die bisher die Schrecken des Faschismus überstanden hatten, waren mit einem Schlage vernichtet. Meine Zelle war die letzte auf dem Flur, die nicht mit in den Abgrund gerissen worden war. Als ich mich aus Trümmern und Scherben herausgearbeitet hatte, war mir bewusst: Ich bin noch einmal davongekommen! Das war in der Nacht vom 13. zum 14. April 1945. Am 17. April, um acht Uhr morgens, kam die Oberaufsehe- rin in meine Zelle und sagte: «Bohne, Sie haben Termin. Halten Sie sich bereit.» Ich sank auf den Hocker. Nun musste ich mich doch damit abfinden, dass es für mich keine Freiheit und kein neues Leben geben würde. Die Stunden verrannen. Ich wartete auf das Unausbleibliche. Niemand kam mich holen. Ich musste mich zusammenreissen, um ruhig zu bleiben. Frau Hofmeister hatte an diesem Tage Nachtwache. Abends kam sie in meine Zelle. Von ihr erfuhr ich, dass ich aufgerufen war, weil der Volksgerichtshof vom 17. bis 21. April nebenan, im Hanseatischen Oberlandesgericht, tagen sollte. Aber bei dem letzten Bombenangriff war nicht nur unser Haus, sondern auch an- dere Gebäude aus dem grossen Komplex der Justizgebäude am Sievekings- platz getroffen worden, so auch das Oberlandesgericht. Wieder ein kleiner Zeitgewinn, aber an unsere Rettung wagten wir kaum zu glauben. Sicher gab es noch andere Räume, wo der Volksgerichtshof sein mörderisches Ge- schäft verrichten konnte. Nervenzerrüttendes Warten, den zweiten, den dritten, den vierten Tag. Nie- mand sagte mir, ob der Prozess abgesetzt war, und niemand kam mich holen.

107

Die Freunde bangten mit mir. Ich konnte Gertrud ansehen, welche Sorgen sie sich um mich machte. Sie versuchte zuversichtlich auszusehen. Wir rät- selten herum, fanden keine Erklärung und hofften nur, dass die faschisti- schen Henker jetzt an ihre eigene Sicherheit dachten und es nicht mehr wagten, sich durch Todesurteile blosszustellen. Am 22. April erfuhr ich von Frau Hofmeister, dass der Volksgerichtshof doch noch getagt hatte, nahe bei Hamburg, in Bad Schwartau. Sie hatte täg- lich damit gerechnet, dass man mich und vielleicht auch noch andere Genos- sen holen würde. Absichtlich hatte sie es mir verschwiegen – nur Gertrud wusste davon und bemühte sich, ihre Angst vor mir zu verbergen. Sie wusste auch, dass zwei Frauen, die man – wenn ich mich recht erinnere – wegen Wirtschaftssabotage angeklagt hatte, vom Volksgerichtshof in Bad Schwartau noch zum Tode verurteilt worden waren. Sie kamen nicht mehr ins UG zurück, sondern wurden aus dem Verhandlungssaal direkt nach Bützow-Dreibergen überführt. Dort war seit Dezember 1944 die Hinrich- tungsstätte für den gesamten Oberlandesgerichtsbezirk Nord, der von Bre- men bis Mecklenburg reichte. Jetzt, da der 21. April vorübergegangen war, glaubte Frau Hofmeister zuversichtlich, dass keine Verhandlungen mehr stattfinden würden. Ich atmete auf. Neue Hoffnung keimte. Vielleicht würden wir doch am Le- ben bleiben. Und es geschah! Ich und die Freundinnen von der Todesstation, ebenso die noch lebenden Todeskandidaten im Männerbau, haben den Faschismus entgegen den Absichten von Gestapo und Nazijustiz überlebt. Wir sind entkommen!

Aenne Bohne-Lucko wurde am 28. November 1914 in Hamburg geboren. Sie besuchte die Schule bis zur mittleren Reife. Seit ihrem 14. Lebensjahr war sie in der Arbeiter- jugend und im Arbeitersportverein organisiert. 1934 wurde sie zum ersten- mal wegen illegaler antifaschistischer Arbeit verhaftet. 1935 fand ihr Pro- zess wegen «Vorbereitung zum Hochverrat» statt. Strafmass: eindreiviertel Jahr Gefängnis in Hamburg-Fuhlsbüttel und Lübeck-Lauerhof. 1937 hei- ratete sie den Kommunisten Walter Bohne, mit dem sie 1939 bis 1942 aktiv am Aufbau der illegalen «Bästlein-Jacob-Abshagen-Widerstandsorga- nisation» in Hamburg beteiligt war. 1942 erfolgte ihre erneute Verhaftung. Sie wurde in die Gestapohaftanstalt Fuhlsbüttel, dann ins Untersuchungs- gefängnis Hamburg gebracht. Im Zusammenhang mit den schweren Bom-

108 benangriffen Juli 1943 vorübergehend beurlaubt, lebte sie anschliessend illegal. Am 5. Januar 1945 wurde ihr Mann, Walte Bohne, in Hamburg von der Gestapo auf offener Strasse erschossen. Im Juni erfolgte ihre er- neute Verhaftung, nachdem eine grosse Gruppe der engeren Leitung der bekannten Widerstandsorganisation bereits ermordet und hingerichtet wor- den war. Aenne Bohne kam als Sonderhäftling mit Haftverschärfung in die Gestapohaftanstalt Fuhlsbüttel. Am 5. März 1945 erfolgte ihre Über- führung ins UG Hamburg-Holstenglacis. Ihr Prozess musste wegen Bomben- angriffen auf Gericht und UG und schnellen Vorrückens der britischen Ar- mee kurzfristig abgesetzt werden. Der Einmarsch der britischen Truppen am 3. Mai 1945 rettete sie vor der sicheren Todesstrafe. Ihre Befreiung er- folgte aber erst am 26. Mai 1945 – solange mussten die aus politischen Gründen inhaftierten Frauen und Männer im Untersuchungsgefängnis Hamburg, trotz Niederlage des Faschismus, noch um ihre Freilassung kämp- fen.

Unserer Wachtmeisterin gewidmet

Wir widmen diese Zeilen der Wachtmeisterin Frau Hofmeister, die es ver- standen hatte, über unnennbaren Terror hinweg sich mit menschlicher Güte derjenigen Frauen anzunehmen, die aus politischen Gründen einge- sperrt sassen.

Heiss schlägt das Herz. Es mühen sich die Bilder In eine graue, todeswunde Zeit. Und alle Qualen dringen immer wilder Sich aus der Asche der Vergangenheit.

Hört Ihr das Schreien noch, das irre Stöhnen, Das tief aus Kasematten drang? Wo Henkersknechte Euren Tod verhöhnten, Und jeder Pulsschlag um die Freiheit rang?

Wild schlägt das Herz. Es wuchsen kahle Wände Und schlossen alle Liebe aus. Im stummen Schmerz verschlangen sich die Hände. Der Terror raste durch das Haus.

109

Der Hunger wühlte, Seuchen drohten Und trieben Frauen in den Tod. O haltet ein, Ihr blut’gen Boten! O gebt uns Wärme und ein Stückchen Brot.

Warm schlägt das Herz. Es lebte eine Seele Und sah den Frauen in das Herz. Mit einem Lächeln schmückte sie Befehle und linderte den ärgsten Schmerz.

Ein Buch, ein Gruss und gute Blicke, Verstohlen in die Haft gebracht, Umwoben unsere Geschicke, Erwärmten unsre Kerkernacht.

Dank schlägt das Herz. Nie wurde es vergessen, Dass auch die Güte in die Zellen kam. Das Dunkel wich. Der Terror mag verwesen, Der uns den Glauben an die Güte nahm. –

Nun soll das Leben wieder glänzen. Die Sterne leuchten ungeahnt und klar. Und Güte soll den neuen Tag ergänzen, Die in den tiefsten Nächten um uns war.

Hedwig Voegt

Anfang Oktober 1945 im KZ-Erholungsheim Hamburg-Wentorf geschrieben.

110

Gertrud Meyer Schweigen

Die Bewacherinnen haben ihren letzten Kontrollrundgang gemacht. Ich liege auf der Pritsche, die verschränkten Arme unter dem Kopf, und blicke durch die Fenstergitter. Der Abend verdämmert, die Geräusche im Hause sind verstummt. Ich weiss, hinter manchen Zellentüren lastet Todesangst. Auch ich werde manchmal davon überfallen, und nicht immer gelingt es mir, damit fertig zu werden. Plötzlich schrecke ich hoch. Unten klappt die Aussentür, dann Männerschrit- te. Mein Herz hämmert. Diese späten Besuche bedeuten immer etwas Schlim- mes. Ich springe von meinem Bett und presse das Ohr an die Türritze. Es ist nichts zu hören; offenbar wird im Dienstzimmer der Hauptwachtmeisterin bei verschlossener Tür beraten. Nach längerer Zeit poltern Schritte die Treppe hoch. Stiefel mehrerer Männer knallen auf den eisernen Flur. Da- zwischen glaube ich noch ein anderes Geräusch zu vernehmen, als ob ein Mensch mehrfach stolpere. Mir fällt ein, dass heute, mir schräg gegenüber, eine Zelle geräumt worden ist. Sie wird jetzt geöffnet und wieder geschlos- sen. Schritte entfernen sich. Kein Befehlswort ist während dieser Zeit ge- sprochen worden. Was mag das bedeuten? Dieses Schweigen ist mir un- heimlich. Beklommen wälze ich mich auf meinem Lager und finde keinen Schlaf. Der Morgen kommt. Weisse Wolken schwimmen an den Gitterstäben mei- nes Fensters vorüber. Ich stehe hinter der Zellentür und lausche auf die Vorgänge im Hause. Drüben schleifen die Kaffeebitons über den Flur. Die Wachtmeisterin spricht mit der Kalfaktorin. Gleich müssen sie an der be- wussten Zelle sein. Aber der Biton schlurft daran vorüber, die Zelle wird nicht geöffnet. Endlich kommt man auch zu mir. Beim Kaffeeausschenken werfe ich rasch einen Blick hinüber; aber was kann eine geschlossene Tür schon sagen? Später höre ich die Hauptwachtmeisterin kommen. Ich kenne ihre Schritte. Sie ist allein. Jetzt schliesst sie jene Zelle auf. Wahrscheinlich bringt sie die Morgenration. Aber auch dies geht mit völligem Schweigen vor sich. Ich habe begriffen. Die Neue in jener Schweigezelle ist ein Sonder- häftling. Zu ihr hat von den Bewacherinnen nur die Hauptwachtmeisterin Zutritt. Nachmittag. Ich habe Decken desinfiziert und will mich im Dienstzimmer zurück zum Einschluss melden. Vor dem Zimmer der Hauptwachtmeisterin

111 stehen Pakete. Alle Bewacherinnen sind drinnen mit der Paketkontrolle be- schäftigt. Darum wird man jetzt kaum auf mich achten. Ich ziehe meine Holzpantinen aus, husche am Dienstzimmer vorüber, die Treppe hinauf. Herzklopfend stehe ich dann vor jener verhängnisvollen Zelle. Auf der Tür steht kein Name, sondern ein mir unbekanntes Zeichen. Geräuschlos schiebe ich den Verschlussdeckel des Spions zur Seite. Ich wage kaum zu atmen. Vor mir sehe ich ein junges Mädchen. Es kann kaum zwan- zig Jahre alt sein. Das Gesicht ist von unnennbarem Leid gezeichnet. Das lange, dunkle Haar hängt wirr, wie gewaltsam zerzaust, über den Rücken, die Augen in tief umschatteten Höhlen sind geschlossen. Das Mädchen muss ein Geräusch gehört haben, wendet langsam den Kopf zur Tür, blickt einen Augenblick zum Spion. Dann lehnt es sich wieder gegen die Wand. Es muss ihr schwerfallen, denn die Hände sind auf dem Rücken gefesselt. Mir fällt auf, dass in der Zelle der übliche Schemel fehlt. So kann sich dieses geschun- dene Kind nicht einmal setzen. Das Bett ist gegen die Wand geklappt. Aber es dürfte auch heruntergeklappt nicht zum Sitzen benutzt werden. Das ist für alle Häftlinge streng verboten. Beklommenen Herzens schiebe ich vor- sichtig den Deckel wieder vor den Spion. Mir ist, als spüre ich den Tod. Wenige Tage später, schon halb im Schlafdämmer, höre ich wieder Männer- schritte auf der Treppe poltern. Jene Zelle wird geöffnet. Wieder wird kein Wort gesprochen. Schritte entfernen sich. Ich finde keine Ruhe, wälze mich auf dem harten Lager. Viele Stunden müssen so vergangen sein. Endlich höre ich sie wiederkommen. Offenbar hindert die Kerle etwas an ihrem gewohnten forschen Schritt. Mir scheint, als würde etwas über den Boden geschleift. Angst schnürt mir die Kehle. Am nächsten Tage lausche ich bangend auf Geräusche aus jener Zelle. Die Hauptwachtmeisterin ist gekommen und wieder gegangen. Später kommt sie, begleitet von Männerschritten, zurück. Es könnte der Sanitäter sein. Nachmittags gelingt es mir nach der Kelleratbeit, einen Blick durch den Spion zu wagen. Das Mädchen liegt in einer seltsam verkrümmten Stellung halb seitlich auf dem Boden, die Arme mit auf dem Rücken gefesselten Händen wie verrenkt. Entsetzen lähmt mich. Ich möchte schreien. Vielleicht ist das Mädchen tot. Dann sehe ich, wie es versucht, seine Lage zu ändern und die Beine zu verschieben. Mir wird schwindlig. Ich torkele, ziehe mich am Umfassungsgeländer entlang hinüber zu meiner Zelle, hocke mich auf den Boden und warte, bis eine der Bewacherinnen kommt und aufschliesst. Tage verrinnen. Furcht umgibt mich und lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Nachts liege ich und lausche. Und wieder die Männerschritte und das Schlei-

112 fen über den Flur. Dann, als ich mich einige Tage später aus dem Keller im Dienstzimmer zurückmelden will, höre ich den Kommandanten mit der Hauptwachtmeisterin sprechen. Ich ziehe mich bis zur Kellertreppe zurück, setze einen Fuss auf die letzte Stufe, als sei ich soeben heraufgekommen, und lausche, eng an die Wand gepresst. «Die Tscherbakowa wird morgen mit ihrem Komplicen erledigt», höre ich. Sofort ist mir bewusst, dass es sich um das Mädchen in der Schweigezelle handelt. Schweissnass vor Angst renne ich in meiner Zelle hin und her, möchte Zorn und Empörung hinausschreien, an den Gitterstäben rütteln und weiss doch, dass aller Protest vergeblich ist. Draussen schmettert die Amsel unbekümmert ihr Abendlied. Rosige Wölk- chen verschwimmen im letzten Abendschimmer. Mir aber ist, als wehe Todes- atem aus jener Zelle zu mir herüber. Am nächsten Morgen ruft man mich schon früh in den Keller. Ein Haufen Männersachen muss desinfiziert werden. Kaum gelingt es mir, die Apparatur richtig einzuschalten. Meine Hände zittern, das Herz klopft. Eben geht die Aussentür. Ich erschrecke. Aber es ist nur der Kommandant, der hinter sich die Tür zum Dienstzimmer der Hauptwachtmeisterin schliesst. Dann höre ich, dass die Stationswachtmeisterin mit ihrer Kalfaktorin das Haus verlässt, um zur Wäschekammer zu gehen. Nun ist niemand zur Bewachung auf dem Flur. Rasch laufe ich nach oben zur Zellentür des Mädchens. Ich zittere, weiss nicht, was ich tun kann. Ich möchte ihm eine Liebe erweisen, ihm hel- fen, es schützend in meine Arme schliessen und stehe nun hier und kann gar nichts tun, nicht einmal einige freundliche Worte flüstern. Ich weine in ohnmächtigem Zorn. Aus der Zelle dringt kein Laut, kein Geräusch einer Bewegung. Angst über- fällt mich. Sollte etwas geschehen sein? Mit zitternder Hand schiebe ich leise die Klappe zur Seite und spähe durch den Spion. Das Mädchen lehnt reglos an der Wand. Unter den Wimpern rollen langsam Tränen über das leidgezeichnete Gesicht. Und dennoch liegt in der Haltung etwas Erhabe- nes, der Ausdruck eines Menschen, der seinen Weg zu Ende gegangen ist. Ich fühle mich hilflos, erbärmlich, ja schuldbeladen. Da steht die junge Gestalt mit den gefesselten Händen, das blasse Gesicht, den Mund, den schlanken Hals, das dunkle Haar, die Tränentropfen auf ihren Wangen – und ich kann ihr nicht helfen . . . Jetzt wendet das Mädchen den Kopf zur Tür und lauscht. Ich aber gehe langsam wieder in den Keller. Der bekannte Ruf «Einschluss» gellt durchs Haus. Die Henker sind gekom- men, schon höre ich sie auf der Vordertreppe. Offenbar hat man in der Aufregung vergessen, mich einzuschliessen. Auf dem Flur des ersten Stock-

113 werks knallen wieder SS-Stiefel. Ich laufe die Kellertreppe hinauf, spähe um die Ecke und sehe die Gruppe sich entfernen. Neben dem Kommandan- ten gehen zwei Männer in SS-Uniform, das Mädchen in der Mitte mit Hand- fesseln an sich gekettet. Es vermag vor Schwäche kaum die Füsse zu heben. Die Aussentür fällt ins Schloss. Am gleichen Tage wird die Zelle wieder «normal» belegt.

114

Gertrud Meyer France Bloch Sérazin

Der nachstehende Bericht über das Leben und Sterben von Françoise Sera- zin-Bloch, genannt France, entstand durch Zusammenarbeit von Freunden und Kameraden sowie Recherchen verschiedener Art. Bei unserer Absicht, für eine Veröffentlichung Zahl und Namen der in Hamburg Hingerichteten durch Unterlagen der Hamburger Standesämter festzustellen *, waren wir auf folgende Vollzugsmeldung der Oberstaatsanwaltschaft Hamburg an das Zentralstandesamt gestossen: Sérazin Françoise, Französin geb. 21. 2.1913 in 12. 2.1943 um 21 Uhr enthauptet Vater: Jean Bloch, Schriftsteller, Paris Mutter: Marguerite née Herzog Ehemann: Frédéric. Wir fingen mit unseren Nachforschungen zunächst in Hamburg an. Eine Kameradin, die mit Frau Sommer, der ehemaligen Vorsteherin des Unter- suchungsgefängnisses Hamburg, noch in Verbindung stand, versuchte durch sie Näheres über die letzten Lebensstunden von France zu erfahren. Frau Sommer war den meisten Frauen, die als politische Häftlinge im Hambur- ger Untersuchungsgefängnis verbracht hatten, in guter Erinnerung. Sie hatte einstmals ihren Beruf gewählt, um zur Humanisierung des Strafvollzugs beizutragen und den Haftentlassenen den Weg in ein geordnetes Leben zu ebnen. Da sie bereits vor 1933 als Beamtin auf Lebenszeit eingestellt worden war, wurde sie nach der Machtübernahme der Faschisten im glei- chen Dienstverhältnis übernommen. Als Gegnerin des Hitlerregimes be- trachtete sie es als ihre besondere Aufgabe, unter den nunmehr erschwerten Bedingungen nicht zu kapitulieren und ihre Fürsorge vor allem den durch das NS-Regime Verfolgten zu widmen. Dabei kam sie nicht selten selber in Bedrängnis. Gesetze und Verordnungen wurden verschärft, nationalsoziali- stische Bewacherinnen eingestellt, die ihre älteren Kolleginnen überwach- ten und denunzierten. Frau Sommer wurde viele Male verwarnt und bald nach der Hinrichtung Frances degradiert, so dass sie kaum noch in Kon- takt mit den Häftlingen kommen konnte. Durch sie erfuhren wir, dass

* Siehe: Gertrud Meyer, «Nacht über Hamburg», Röderberg-Verlag Frankfurt am Main, S. 229, 239, 329.

115

France «Nacht und Nebel»-Häftling gewesen ist* und wie sie jene Tage vom 10. bis 12. Februar 1943 im Untersuchungsgefängnis Hamburg bis zu ihrem Todesgang verbracht hat. Ein österreichischer Freund, der einige Jahre in französischer Emigration ver- bracht hatte, machte uns auf die Gedenkschrift «Heroines d’hier et d’aujourd’ hui» aufmerksam, herausgegeben von der Editions de l’Union des Femmes Françaises, Paris. Nun hatten wir schon eine Vorstellung von France. Später erhielten wir von der Familie Cohen-Nordmann aus Paris weitere Hinweise, die das Bild Frances vervollständigten.

Wer war France? France, eine französische Kommunistin, war mit ihren Gefährten als Wider- standskämpferin von einem deutschen Gericht in Paris zum Tode ver- urteilt worden. Die Männer wurden erschossen, France nach Hitlerdeutsch- land verschleppt. Die Gründe dafür konnten nicht geklärt werden. Viel- leicht hofften die Nazis, France durch den schweren Druck als «NN-Häft- ling», Foltern und Repressalien zu zermürben, um sie zu Aussagen gegen noch lebende Widerstandskämpfer ihrer Gruppe zu erpressen. Es blieb ihnen jeder Erfolg versagt. Nichts hat Frances Standhaftigkeit brechen kön- nen.

Elternhaus und Kindheit In Poitiers, einer Stadt in Mittelfrankreich, inmitten von blühenden und fruchttragenden Gärten, lebt der Geschichtsprofessor Jean Richard Bloch mit seiner Familie. Seine Eltern waren im Elsass beheimatet. Blochs Vater hat sich, wie bereits seine Vorfahren, um die Entwicklung des französischen Eisenbahnwesens verdient gemacht. Als im Jahre 1871 Elsass von den deut- schen Siegern annektiert wurde, lebte er mit seiner Familie in Frankreich. Bloch bleibt der Heimat seiner Eltern und ihren Menschen eng verbunden, in seinem Roman «. . . & Cie» (inspiriert von den Eltern Marguerites) ge- staltet er mit reicher Einfühlungs- und Ausdruckskraft die Geschichte einer nach Frankreich zurückgewanderten Familie, ihr Schicksal und ihre Rolle innerhalb einer bestimmten Periode der bürgerlich-kapitalistischen Gesell- schaft. Die nahen menschlichen Beziehungen seines Vaters zu den Eisenbahnar- beitern, das Wissen um ihr Leben und Denken sind mitbestimmend für das

Erläuterung zum «Nacht und Nebel»-Erlass, siehe Anhang.

116

Verhältnis des Sohnes zum schaffenden werktätigen Menschen. Sein Be- kenntnis zur Arbeiterklasse, seine aktive Teilnahme an ihren Kämpfen, fin- det später darin seinen sichtbaren Ausdruck. Jean Richard Blochs hervorragende pädagogische Eigenschaften befähigen ihn, junge Menschen zu führen, sie zu selbständigem Denken und persönli- cher Verantwortung zu erziehen. Warmherzigkeit, Güte, Leidenschaftlich- keit und Aufrichtigkeit vereinen sich mit aussergewöhnlicher Intelligenz. Sein tiefgründiges und umfangreiches Wissen, die Kenntnis vergangener Epochen und ihrer gesellschaftlichen Strukturen befähigen ihn, die Gesetz- mässigkeit ihres Werdens und Vergehens gegenwärtig zu machen. Ausge- dehnte Reisen, stete Aufnahmebereitschaft erweitern seine Kenntnisse, schärfen sein Urteil und sein kritisches Verhältnis zur Gegenwart, lenken die Blicke nach vorn, auf das Werden einer neuen Gesellschaftsordnung. Er ist mitgerissen von den gewaltigen Anstrengungen des russischen Volkes beim Aufbau des Sozialismus, Schritte auf dem Wege des kommenden Zeit- alters. Diese Entwicklung findet ihren Niederschlag in seinem literarischen und publizistischen Schaffen, seinen Romanen, Novellen, Gedichten, Essays. Bloch wird Mitherausgeber der grössten französischen Monatszeitschrift «EUROPE». Seine «Chroniken», aktuell, eindrucksvoll, von unbestech- licher Wahrhaftigkeit, sind Spiegel des Zeitgeschehens. Jedes Erscheinen, mit Spannung erwartet, übt einen nachhaltigen Einfluss auf die öffentliche Meinung aus. Später übernimmt er die Leitung der grössten französischen Abendzeitung «LE SOIR». In der täglichen Konfrontation mit den immer stärker auftretenden Span- nungen des von Krisen erschütterten Landes, der steten Verschlechterung der Lage der Werktätigen, dem Verrat an der französischen Volksfrontre- gierung, dem zersetzenden Einfluss des deutschen Faschismus, der bereits seine Prätorianergarden in Frankreich organisiert, führt Bloch mit Wort und Feder einen leidenschaftlichen Kampf. Diese, von bedingungsloser Ver- antwortung getragene Tätigkeit ist eine Seite, die andere – das offene Be- kenntnis zum Handeln. Er wird aktives Mitglied der Kommunistischen Par- tei. Jean Richard Bloch und Frau Marguerite haben vier Kinder, den Sohn Mi- chel* und die Töchter Marianne (der Name Marianne war später Gefäng- nispseudonym für France), France und Claude. France wird am 21. Februar 1913 in Paris geboren. Die Geschwister verbringen ihre Kindheit in der Hei- mat ihrer Eltern, in Merigote bei Poitiers.

* Heute Professor der Geschichte in Poitiers.

117

Schon früh zeigen sich Frances besondere Anlagen. Ohne Unterricht lernt sie als Vierjährige Lesen und Schreiben. Aber sie ist kein Stubenhocker, sondern ein lebhaftes, fröhliches Kind, häufig Anführerin ihrer Spielgefährten.

France geht ihren eigenen Weg Nach Beendigung der Schule besucht France das Collège Sévigné in Paris. Wie ihre Freunde berichten, ist es ihr nicht immer leichtgefallen, sich in das Schema einer Lehranstalt einzufügen. Ihre Disziplin siegt. Sie verzichtet bewusst auf einen Beruf, der ihren eigentlichen Neigungen entsprochen hätte. Als Schülerin von Madame Curie wählt sie Chemie als Berufsfach. Sie will forschen, neue Erkenntnisse vermitteln und zum Nutzen der Men- schen beitragen. Es ist die Zeit ihres Wachsens und der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Sie liebt Stendhal und Goethe, beschäftigt sich mit Marx und Hegel und dringt mit ihrem beweglichen Geist in das Wesen der Dialektik und Ge- setzmässigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung ein. Es sind aber auch die Jahre, da sie sich ihrer Jugend freut, bei fröhlicher Geselligkeit, Diskus- sionen, Musizieren, Beschäftigung mit der Literatur, Wanderungen und Radtouren, allein oder mit Geschwistern und Gefährten. 1934 beendet France ihr Studium mit dem Titel «Licenciée des Sciences». Sie ist Mitarbeiterin von Professor Urbain am Institut de Chimie, wo man ihr besondere chemisch-physikalische Forschungsaufgaben überträgt. Für hervor- ragende Leistungen erhält sie ein Stipendium. Sie will nun ihren Doktor ma- chen. In diesen Jahren hat France sich einen eigenen Standpunkt erobert. Sie ist französische Patriotin, die ihre Heimat liebt, die stolz ist auf Frankreichs grosse Vergangenheit, auf die Impulse, die es der Welt gegeben hat. Doch ihr kritischer Blick ist jetzt geschärft. Sie erkennt die Widersprüche in der Gesellschaft und ist sich ihrer Verantwortung gegenüber dem politi- schen und sozialen Geschehen bewusst. France wird Mitglied der Kommu- nistischen Partei. Jetzt fühlt sie sich ganz in Übereinstimmung mit sich sel- ber – von der individuellen Vervollkommnung bis zur Eingliederung ins Kollektiv. Die Freunde Frances berichten von der Bedeutung, welche die Begegnung zwischen France und Frédo Sérazin für beide gehabt hat. Sie lernt ihn bei der Parteiarbeit im 14. Arrondissement von Paris im Jahre 1939 kennen. Frédo ist Metallarbeiter, France eine vielseitig gebildete Frau. Er fragt France, ob sie seine Frau werden will. Es erscheint ihm wie ein Wunder, als

118 sie antwortet: «Ja.» France erzählt später von ihrer Hochzeit: «Wir waren dabei zu dritt, Frédo, die Partei und ich.»

Krieg und Faschismus in Frankreich Im September 1939 beginnt der Krieg. Frédo rückt zur Armee ein, wird je- doch bald von seinem Betrieb reklamiert. Am 28. Januar 1940 kommt ihr Sohn Roland zur Welt. Das gemeinsame Glück soll nur drei Wochen dauern. Die Hitlerarmee zieht in Frankreich ein. In ihrem Gefolge marschieren die Schergen des Faschismus, SS und Gestapo, die in Frankreich willige Helfer – Verräter ihres Volkes – finden. Das Verhängnis bricht über France, ihre Angehörigen, Freunde und Genossen herein. Im Februar wird Frédo, weil er Kommunist ist, von der Daladier-Regierung verhaftet. Der Widerstand gewinnt an Kraft. Im Sommer 1941 verstärken sich die Ak- tionen. Die Nazis wollen mit verschärften Repressalien den Widerstand brechen. Foltervemehmungen und Morde an den Gefangenen sind übliche Methoden. Inzwischen hat die Jagd der deutschen Faschisten und ihrer französischen Polizei-Kollaborateure auf France, ihre Angehörigen und Verwandten be- gonnen. Ihr Vater, Jean Richard Bloch, der seit den ersten Besatzungstagen illegal arbeitet und verfolgt wird, muss Schwerstes erleiden. Dann siedelt er mit seiner Frau in die Sowjetunion über. Hier hat er bis zum Kriegsende den französischen Teil des Rundfunks geleitet und in mehr als zweitausend Reden und Artikeln zum Kampf gegen den Faschismus beigetragen. *

Frédo und France müssen sich trennen Im Januar 1941 gelingt es Frédo, aus der Festung Sisteron (in der unbesetz- ten Zone) auszubrechen. Er kehrt zur illegalen Arbeit nach Paris zurück. In dieser Zeit kann er sich nur zweimal heimlich mit France treffen. Frédo wird zum zweiten Male verhaftet. Er kommt in das Lager Château- briant. Als im Oktober 1941 der deutsche Festungskommandant von Nan- tes durch französische Patrioten erschossen wird, holen die Faschisten eine grössere Anzahl von Geiseln auch aus diesem Lager, auch Frédo ist dabei. 48 Geiseln werden erschossen, unter diesen 27 Kommunisten. Frédo kommt noch einmal davon. 1943 gelingt es ihm ein zweites Mal auszubrechen. Ein Jahr noch arbeitet er aktiv im Untergrund. Er hat nicht erfahren, dass France inzwischen tot ist, weiss nur von ihrer Deportation. 1944 fällt er der

1942 wird Frances Grossmutter deportiert und ermordet.

119

Miliz – der französischen Gestapo, die der deutschen in nichts nachsteht – in die Hände. Seine Leiche wird erst im Sommer 1945 gefunden. * Frances Bruder Michel ist 1941 gleichfalls als Widerstandskämpfer verhaf- tet worden. Er bleibt bis zum Ende der Besatzungszeit im Gefängnis. Nach France wird gefahndet. Sie müsste flüchten und sich in Sicherheit bringen – aber sie bleibt. Im Folgenden bringen wir einen Auszug aus der erwähnten Gedenkschrift «Héroines d’hier et d’aujourd’hui» (Seite 6), welcher uns eine Vorstellung des für France so bedeutungsvollen, aber auch verhängnisvollen Zeitabschnittes gibt: «Schon 1940 hat sie die Untergrundarbeit gegen die Besatzungsmacht begonnen und gehört einer der ersten Gruppen der F.T.P.F. an. Trotz- dem arbeitet sie weiter, um ihren und ihres Sohnes Lebensunterhalt zu verdienen. In ihr Laboratorium ist sie seit dem Waffenstillstand nicht mehr zurückgekehrt, aber sie unterrichtet in einem zusätzlichen Kur- sus, und als dann aufgrund der Erlasse Juden nicht mehr arbeiten dür- fen, gibt sie Privatstunden. Obwohl viele ihrer Freunde sie dringend darum bitten, weigert sie sich kategorisch, Paris zu verlassen. Sie fin- det, dies wäre Fahnenflucht! Wieder einmal geht sie den schwierigsten, den gefährlichsten Weg. Dann wird sie zusammen mit mehreren ihrer Kameraden von der französischen Polizei verhaftet. Sie wird in die Sante gebracht. Nach entsetzlichen Verhören, die France heldenhaft durchgestanden hat, kommt sie vor Gericht, und die 19 in dieser Sache Angeklagten werden zum Tode verurteilt. Sie ist die einzige Frau. Alle Männer werden sofort hingerichtet. Für sie aber hat man eine raffi- niertere Marter vorbehalten. Man exekutiert sie nicht zusammen mit ihren Kameraden und Freunden im Hochgefühl des Prozesses, wo ihre Haltung selbst den Deutschen Respekt eingeflösst hat. Man deportiert sie und sperrt sie in der Festung Lübeck ein.»

Wir berichten nun chronologisch Am 16. Mai 1942 wird France mit zahlreichen Kampfgenossen, darunter ihr Cousin Jean Louis Wolkowitsch **, Freund und Gespiele ihrer Kindheit, von der französischen Polizei, einer Sonderbrigade zur Verfolgung von Kommu-

* Lt. Auskunft von Mmd. Cohen, Paris, wurde nach der Befreiung in den Archiven von St. Etienne u.a. auch ein Foto des gefolterten Frédo gefunden. Als man den Ort untersuchte, wo die Miliz von St. Etienne ihre Opfer verscharrte, fand man auch seine Leiche. Wahrscheinlich wurde er im Juni 1944 verhaftet und kurz darauf von der Miliz ermordet, weil er an Aktionen der Francs-Tireurs und Partisanen teilnahm. ** Jean Louis Wolkowitsch ist am 11. August 1942 als Geisel erschossen worden.

120 nisten, verhaftet. Nach Folterverhören erfolgt, wie üblich, die Auslieferung an die deutschen Gewalthaber. Am 4. Juni überführt man sie in das Gefängnis Sante in Paris, deutsche Abteilung, 2. Division. Die Untersuchungshaft mit allen erdenklichen Repressalien, Folterungen und Zeugenvernehmungen dauert bis September. Von den Verhafteten kommen 25 Angeklagte – unter diesen France – vor ein deutsches Gericht in Paris. * Man stellt ihnen deutsche Offizialverteidiger. Am 30. September 1942 ist Urteilsverkündigung. France und 19 der angeklagten Männer werden zum Tode verurteilt. Am 21. Oktober 1942 werden die 19 Männer erschossen. France und alle in die- sem Prozess als Zeugen vernommenen Frauen werden nach Deutschland verschleppt. Die Deportation erleben sie gemeinsam mit holländischen und luxembur- gischen Frauen. Wenn die Fahrt zum Aufenthalt in einem Durchgangsge- fängnis unterbrochen wird, sind die Frauen von scharf dressierten Hunden umkreist, die nur auf einen Pfiff warten, um sich auf die Wehrlosen zu stürzen. Gequält von Hunger und Durst, ohne sanitäre Fürsorge vegetie- rend, schleppt sich die Reise viele Tage hin.

Wieder Gestapo und NS-Justiz Frances Akten sind inzwischen nach Berlin gegangen, wieder folgen Ver- höre, wieder muss sie Demütigungen und Repressalien erleiden. Ähnliches geschieht mit vielen anderen deportierten Frauen. Ihre Kameradinnen be- richten, dass France, die selber so Schweres erleiden musste, auch hier ihren Gefährtinnen tröstende Freundin, tapfere und hilfsbereite Kameradin ge- wesen ist; verpflichtendes Beispiel, aus dem sie Mut und Kraft schöpften. France ist in der Gewalt der nazistischen Terrororgane, SS-Reichssicher- heits-Hauptamt und Oberreichsanwalt, die über sie erneut zu beschliessen haben. Das in Paris gefällte Urteil wird in Berlin bestätigt, das Gnaden- gesuch abgelehnt. Nichts kann jetzt Frances Schicksal aufhalten. Zu dieser Zeit befindet sie sich nach zahlreichen Zwischenstationen in der Frauenvollzugsanstalt Lübeck-Lauerhof. Um das Todesurteil zu vollstre- cken, bringt man sie nach Hamburg in das Untersuchungsgefängnis, Holsten- glacis Nr. 3.

* Nach einer Darstellung von Francis Cohen, Paris, tagte das Gericht in einem Hotel nahe der Kirche Saint Philippe du Roule (wahrscheinlich im Hotel Bradford).

121

France hat noch zwei Tage zu leben Frau Sommer berichtet «France trifft am 10. Februar gegen Mittag bei uns ein. Wir sehen, dass sie ,NN-Häftling’ ist, denn die sonst übliche Begleitakte fehlt. Mit dem Tod soll auch ihr Name für immer ausgelöscht sein. * Mein Dienstzimmer be- findet sich gegenüber ihrer Zelle. Dadurch kann ich jede freie Minute bei ihr sein. Ich bin froh, dass ich genügend Französisch spreche, so werde ich mich, ungehindert von Spitzeln und Zuträgern, mit ihr unterhalten können. Als ich zu ihr hineingehe, meine ich, mir stocke das Herz. Ich sehe in grosse, dunkle Augen, ein blasses, von Trauer und schweren Erlebnissen gezeichne- tes und dennoch liebreizendes Gesicht. Ihre Haltung, verständlicherweise zunächst abwehrend, drückt Stolz und ungebrochenen Mut aus. France weiss, dass sie hingerichtet werden soll, doch weder ihr noch uns ist der Ter- min bekannt. Wenige Tage zuvor, am 6. Februar, wurde eine polnische Stu- dentin** hingerichtet. Zum Abschied sagte sie zu mir: ,Ich hätte so gern noch gelebt, geliebt und gearbeitet.’ Und nun France. Das ist nicht zu er- tragen. France hat Vertrauen zu mir gefasst, und ich bin glücklich, ihr Wärme und ein wenig das Gefühl von Geborgenheit zu geben. Ich ermuntere sie zu er- zählen. Sie lässt ihr Leben noch einmal vorüberziehen, die glückliche Kind- heit, das Elternhaus, die Grossmutter, Geschwister, Verwandte, Freunde, ihre Freude am Klavierspiel und Zeichnen. Mir ist, als sähe ich den ländli- chen Heimatort, mit dem sie innig verwachsen ist, den Garten, die Bäume und Blumen, ihre Katzen, die so schmeichlerisch im Arm liegen. Dann wie- der steht Paris vor uns mit seinen wechselvollen Farben und seinem regen geistigen Leben. Ganz zart, in verhaltenen Worten drückt sich ihre Sehn- sucht aus nach Frédo, ihrem Mann, nach Roland, dem geliebten Kind, von denen sie seit vielen Monaten nichts mehr weiss. Ich kann ihr eine Freude machen und bringe ihr Bilderbände aus Frank- reich, Paris, Dome und Schlösser, Abbildungen aus Poitiers. Als sie darin blättert, sagt sie ganz spontan: ,Ich liebe mein Vaterland und bin stolz, für Frankreich sterben zu können!’ Ich sehe ihr schönes, kühnes Gesicht und

* Dass wir Frances Namen später im Register des Zentralstandesamtes fanden, verstiess gegen die Vorschriften, denn auch dort durften «NN-Häftlinge» nicht geführt werden. Dieser «Irr- läufer» war gewiss kein Zufall, sondern absichtlich mit «untergeschoben». ** Ihr Name: Szytra Lipszys, geboren am 14.5.1915 in Warschau, Studentin. Am 3.2.1943 von Lübeck-Lauerhof nach Hamburg transportiert, hingerichtet am 6.2.1943, Untersuchungsge- fängnis Hamburg. Zeichen des Transportzettels O.St. Lübeck 1 AR 3/43 g, offenbar gleich- falls «NN-Häftling».

122 möchte weinen. Du liebes Kind, denke ich, du solltest für Frankreich leben dürfen. Ich muss mich abwenden, denn es würgt mich im Hals. Am 12. Februar 1943 gegen Mittag kommt der Staatsanwalt in Frances Zelle. Er verliest noch einmal das Todesurteil und teilt gleichzeitig mit, dass die Hinrichtung abends um 9 Uhr stattfinden soll. Ich komme erst später hinzu und bin erschüttert; sie scheint mir irgendwie verklärt, wie ein Mensch, der viele Tode gestorben ist und nun das Letzte, das Auslöschen des Lebens, gefasst entgegennimmt. France wird in die Todeszelle gebracht. Nebenan steht das Fallbeil. In der Zelle sind zwei Bewacherinnen. Die Tür ist angelehnt, davor steht ein Po- sten. Ich setzte mich zu ihr. Wir haben noch sechs Stunden vor uns. Ich werde bis zuletzt bei ihr bleiben. France darf Abschiedsbriefe schreiben. Traurig sagt sie: ,Ich fürchte, sie werden niemals ankommen.’ Ich lege ihr beruhigend die Hand auf den Arm. ,Ich verspreche Ihnen, die Briefe wer- den ankommen.’ Die beiden Bewacherinnen haben von unserem Gespräch nichts verstanden – zum Glück. Der Uhrzeiger kreist. France hat nichts gegessen, nur eine Tasse Kaffee ge- trunken. Nun bittet sie mich, ihr einiges von Goethe vorzusprechen. Es fällt mir schwer, aber ich habe die vergangenen Tage so viel Beherrschung auf- bringen müssen, dass es mir auch jetzt gelingt, meine Verzweiflung zu ver- bergen. So hole ich aus meiner Erinnerung Gedichte, Lieder, das Heiderös- lein. Als letztes – Wanderers Nachtruh. Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest Du kaum einen Hauch; die Vöglein schweigen im Walde. Warte nur, balde ruhest du auch. France atmet tief und ruhig. Sie geht dem Tod schon entgegen. Die Vorbe- reitungen zur Hinrichtung werden getroffen. Man bindet ihr das Haar hoch. Sie muss den Oberkörper entblössen; eine Bewacherin hängt ihr eine Pele- rine um. Die Hände werden auf dem Rücken gefesselt. Sie tritt jetzt ihren letzten Gang an. Abschiednehmend wendet sie sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Der Anstaltsdirektor tritt mit dem Staatsanwalt herein. France schreitet zwischen ihnen hinaus. Am Schafott befinden sich noch einige Amtsperso- nen und der Henker. Es ist 9 Uhr abends. Ich falte die Hände und bete.»

123

Frau Sommer schweigt. Wir sitzen neben ihr in der Dämmerung. Das Zim- mer geht nach dem Garten. Es ist ein unvergleichlicher Abend. Stille und der Duft von Bäumen, Blättern und Blumen umgibt uns. Wir sind bewegt von der Erzählung der heute 81jährigen Frau. «Was ist nun mit den Briefen geschehen?» fragen wir schliesslich. «Ich habe sie noch in der gleichen Nacht abgeschrieben, denn ich musste sie am näch- sten Morgen abliefern und wusste, dass man sie vernichten würde. Zu Hause habe ich sie auf dem Boden hinter einem Dachsparren versteckt. Später konnte ich sie an die französische Rückführungskommission für Kriegsge- fangene und Deportierte abliefern.» Frau Sommer zeigt uns die in jener Nacht handgeschriebenen Blätter. Für die Kommission hat sie Abschriften mit der Schreibmaschine gemacht. Wir zeigen ihr die Gedenkschrift mit den Bildern von France, in der auch diese beiden Briefe enthalten sind. Sie legt uns zwei Fotos hin. «Sie wurden am 10. Februar 1943 nach der An- kunft Frances aufgenommen. Später habe ich den Fotografen gefragt, ob die Bilder wohl noch zu finden seien. Er hat sie aufbewahrt und mir ge- schenkt. Dieses sind Vergrösserungen.» Sie reicht uns eines der Fotos. * «Nehmen Sie es als Erinnerung an eine mir unvergessliche junge französische Frau; sie war für mich die Verkörperung des Schönen, Menschlichen und Erhabenen.»

Die letzten Briefe geschrieben im Untersuchungsgefängnis in Hamburg einige Stunden vor ihrer Hinrichtung

12. 2.1943 Mein Frédo, dieser Brief ist der letzte, den Du von mir erhältst. Heute Abend um 9 Uhr werde ich hingerichtet. Ich bin am 30. September zum Tode ver- urteilt worden. Mein Gnadengesuch ist vom Führer des 3. Reiches zu- rückgewiesen worden. Ich werde sterben, wie so viele andere seit Mo- naten gefallen sind. Du hast mir nur Glück geschenkt, ich war stolz auf Dich, stolz auf un- seren Bund, stolz auf unser tiefes Einvernehmen, stolz auf unseren geliebten Roland.

Wir bringen das Foto im Anhang.

124

Ich habe die ganzen Monate in der Sante in täglichem Kontakt mit Raymond *, Deinem Bruder, gelebt. In einigen Stunden werde ich mich seiner, Deiner, unser würdig zeigen. Ich will nicht weich werden, Frédo, Du verstehst, ich darf es nicht. Ich sterbe für das, wofür ich gekämpft habe; Du weisst wie ich, dass ich nicht anders hätte handeln können: Man bleibt, was man ist. Ich bitte Dich, behalte viel Kontakt mit Papa und Mama, mit allen Meinen. Raymond hatte mir Louisette anvertraut, Ihr müsst über sie wachen – geh zu Maria-Elisa, Marianne, Michel, Jacqueline, zu allen, Fernand, Lisette, Francis, Laurence, Monette und Francis, Richard, Maurice, Jean-Louis. Cylo ist mit mir in Deutschland gefangen gewe- sen; sie wird Dir von unserem Leben erzählen. Mein Liebes, sei sehr, sehr tapfer, wie ich, wie unsere Liebe, stark und fest und wahr wie sie. Eliane und Roland sollen sehr, sehr glücklich sein. Und Du, mein Geliebter, weisst, dass ich Dir gehöre. Ein letztes Mal umarme ich Deine Mutter, die Kummer haben wird, unu auch Paulette, Alexandre, die ganze Familie. Die Deine France 12. 2.1943 Meine Freunde, heute Abend werde ich sterben; um 9 Uhr werde ich hingerichtet. Ich habe keine Angst, aus dem Leben zu gehen, nur darf ich nicht daran denken, wie furchtbar schwer es mir wird, Euch alle zu verlassen, meine Freunde. Ich schreibe gleichzeitig noch zwei Briefe, an Papa und Mama und an Frédo – dieser hier ist für Dich, geliebte Monette, für Dich, Tante Maimaine, für meine Claude, Teil meiner selbst, für meine lieben, lie- ben Marianne und Michel, für Dich, mein Gerard, für Euch, meine Lie- ben alle. Ich schreibe noch zwei andere Briefe – werden sie ankommen? Ich denke auch an Berthe und an sie alle, die ich geliebt habe. Madame Dreyfus ist die letzte Freundin, die ich gesehen habe, bevor ich die französische Erde verliess. Ich umarme sie. Viele Kameraden werden Euch erzählen, wie unsere, meine Gefangen- schaft war. Ich erzähle Euch nichts darüber. Ich habe auch keine Lust,

* Raymond Losserand, Gemeinderat des 14. Arrondissements, mit dem zusammen France verur- teilt worden war.

125

es zu tun. Ich will Euch nur Lebewohl sagen. Ich sterbe ohne Furcht. Noch einmal: Das Schrecklichste ist, sich trennen zu müssen. Ich werde bis zuletzt sehr stark sein, ich verspreche es Euch. Ich bin stolz auf alle, die schon gefallen sind, und auf alle, die jeden Tag für die Befreiung fallen. Ich bitte Euch alle, Euch um Papa und Mama zu kümmern, Frédo nahe zu bleiben, mir meinen liebsten Sohn aufzuziehen. Er gehört Euch allen. Wenn Tante Maimaine Eliane bei sich behält, bin ich froh dar- über. Dank Euch allen, meine lieben, lieben Freunde. Ihr wisst, dass ich ein glückliches Leben gelebt habe, ein Leben, in dem ich nichts, gar nichts zu bereuen habe. Ich habe Freunde gehabt und eine Liebe, Ihr wisst’s, und ich sterbe für meinen Glauben. Ich werde nicht schwach werden. Ihr werdet sehen, was ich nicht mehr sehen werde. Seht es und denkt dann ohne Schmerz an mich. Ich bin ganz ruhig und glücklich und vergesse niemanden von Euch. Wenn ich einen nicht genannt habe, so habe ich ihn deshalb nicht vergessen. Ich denke an Euch alle, alle. Ich habe Euch lieb, meine Liebsten, meine Freunde, denen ich gut bin, mein Roland. France

(Für die Übersetzung des französischen Textes der Gedenkschrift und der beiden Briefe danken wir Herrn Karl H. Zimmermann, Hamburg. Besonderen Dank auch den Freunden aus Paris für Hinweise und freundliche Mitarbeit, Frau Marie-Elisa Cohen-Nordmann und Herrn Francis Cohen.)

126

Maria Hiszpánska-Neumann: Steineträgerinnen (1944) (Aus «Kunst im Widerstand», Verlag der Kunst Dresden und Röderberg-Verlag Frankfurt/M.)

127

Arbeitssklavinnen in der Kriegsindustrie

Bereits vor dem Krieg hatte die Reichsführung der SS begonnen, eigene Industrieunternehmen zu gründen, in denen Häftlinge aus Konzentrations- lagern Sklavenarbeit verrichten mussten. Um den Umfang und die Renta- bilität dieser Betriebe zu steigern, schuf die SS einen eigenen Wirtschafts- konzern, das Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt (WVHA) unter der Leitung des SS-Obergruppenführers Oswald Pohl. Als der Krieg begann, wollte auch die SS an dem grossen Geschäft teilneh- men und durch die Ausbeutung von Häftlingen und Kriegsgefangenen Pro- fite in einem bisher nicht gekannten Ausmass scheffeln. Darum wurden am 19. Januar 1942 auf Anweisung des Reichsführers SS Heinrich Himmler die Konzentrationslager, die bisher dem SS-Hauptamt unterstanden, an das WVHA angegliedert. Nun verfügte die SS über ein Millionenheer billigster Arbeitssklaven, Männer und Frauen, die sie nach Belieben in den SS-eige- nen Unternehmungen verwenden oder gewinnbringend an die Industrie verschachern konnte. Einsatz und Verteilung der KZ-Häftlinge erfolgte durch den SS-Standartenführer Hermann Maurer. Den Herren der Gross- industrie – organisiert in den Industrie-Reichsvereinigungen Kohle, Eisen, Chemie – waren diese billigsten aller Arbeitskräfte mehr als willkommen. Sie hatten keinerlei Verantwortung für deren Schutz und Leben zu tragen und erhielten die Bewacher, in Gestalt der SS-Mannschaften, kostenfrei mitgeliefert. Dabei wurden – besonders nach der Kriegswende bei Stalin- grad – in immer stärkerem Masse weibliche Häftlinge eingesetzt, die unter unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen massenweise zugrunde gingen. Nach den Statistiken des WVHA blieben die Arbeitssklaven unter diesen fürchterlichen Verhältnissen meist nicht länger als neun Monate am Leben. Zu den grauenvollsten Stätten der «Vernichtung durch Arbeit» gehörten die u.a. in nachfolgenden Berichten erwähnten Betriebe in den Stollen der stillgelegten Salzbergwerke Beendorf (Kommando Helmstedt A III), wo Einzelteile von Flug- und V-Waffen hergestellt wurden. Die dort arbeiten- den Frauen, meist Ausländerinnen und als solche völkerrechtswidrig in der Kriegsindustrie eingesetzt, waren der Willkür der SS erbarmungslos ausge- liefert. Sie konnte nach eigenem Ermessen oder auf Anforderung der Werksfüh- rung selbst die Todesstrafe verhängen, die häufig am Arbeitsplatz vollstreckt wurde. Schon am 20. Februar 1942 hatte Himmler für die Behandlung ausländi-

128 scher Zwangsarbeiter – und das galt in besonderem Masse für Konzentra- tionslagerhäftlinge – eine entsprechende Anweisung gegeben: «... (für) pflichtwidrige Arbeitsverweigerung und lässiges Arbeiten… (ist) in besonders schweren Fällen Sonderbehandlung (Töten ohne richterliches Ur- teil) zu beantragen. Die Sonderbehandlung erfolgt durch den Strang.» * Die Monopolherren machten von dieser Ermächtigung weitgehend Ge- brauch. In einem Schreiben vom 4. Oktober 1943 forderte Hermann Röch- ling, Präsident der Reichsvereinigung Industrie, die Mitgliedsfirmen auf, alle Verfehlungen (ausländischer Arbeiter) am Arbeitsplatz unbarmherzig zu verfolgen und strengstens zu ahnden. Generalfeldmarschall Erhard Milch erklärte als Chef der zentralen Planung (gemeinsame Produktionsplanung von Industrie und Wehrmacht) in einer Rede vor Vertretern der Industrie, die Prügelstrafe werde gegenüber ausländischen Arbeitern zu wenig ange- wandt; diese müssten weit härter als bisher angefasst und bei Arbeitsver- weigerung sofort am Tatort erhängt werden. ** In diesen Anordnungen und der gehandhabten Praxis der SS offenbarte sich die verhängnisvolle Situation der ausländischen Arbeitssklaven. Sie standen vor der Alternative, für den Gegner ihres Heimatlandes Kriegs- werkzeuge herzustellen oder dies zu verweigern und dafür zu sterben. Viele riskierten ihr Leben bei der Organisierung von Sabotageakten, wobei sie unbrauchbare Fertigteile lieferten oder ihre Herstellung verzögerten. In den Jahren 1945-1948 fanden vor den Kriegstribunalen eine grosse Zahl von Kriegsverbrecherprozessen statt, die sich mit den unmenschlichen Be- dingungen in den Arbeitskommandos der KZ-Häftlinge und mit den dafür Verantwortlichen befassten. Manche der dort als Zeugen geladenen Frauen stellten nach Beendigung der in Hamburg durchgeführten Prozesse ihre Be- richte dem «Komitee ehemaliger politischer Gefangener» (VVN) zur Ver- fügung. Aus diesen sind nachfolgende Beiträge ausgewählt. Die von aus- ländischen Frauen in deutscher Sprache geschriebenen Berichte sind sprach- lich nicht verändert worden.

* Nürnberger Dokumente 3040-PS, vergl. auch «Nacht über Hamburg», S. 144. ** Ebenda.

129

Erika L. Ich gebe zu Protokoll

Ich wurde am 2. September 1943 wegen Arbeitsverweigerung in Bielefeld von der Gestapo verhaftet. Nach acht Monaten kam ich nach Ravensbrück mit ca. 100 Frauen und Män- nern. Im Lager Ravensbrück lagen wir drei Tage auf der Lagerstrasse. Am ersten Tag bekamen wir gar nichts zu essen, am zweiten und dritten Tag ein Stück Brot mit etwas Kaffee. Von dort kam ich mit 250 deutschen Frauen am 2. August 1944 nach Been- dorf bei Magdeburg*, ein (stillgelegtes) Salzbergwerk. Dort befand sich ein Rüstungsbetrieb 600 Meter unter Tage, wo mehrere Wiener und Berliner Firmen, u.a. Siemens, mit ca. 10’000 Mann Belegschaft in der Rüstungs- industrie beschäftigt waren, darunter zeitweise 4’000 weibliche und 1’000 männliche Häftlinge. Hier wurden Einzelteile für Flugzeuge hergestellt. Folgende Einzelheiten habe ich dort erlebt: Es wurde in zwei Schichten gearbeitet. Um 4 Uhr morgens wurde aus dem Lager ausgerückt, und abends um 8 Uhr waren wir im Allgemeinen wieder im Lager. Beim Einrücken mussten wir durch eine kleine, schmale Eisentür. Der Toni Brunken (SS-Unterscharführer und Blockführer) stand mit einem eineinhalb Meter langen Knüppel beim Tor und schlug dann wahllos beim Empfang, besonders bei Voralarm und Alarm, auf die Gefangenen ein... Im Schacht selbst wurden die Häftlinge im Allgemeinen nicht geschlagen, da zuviel Zivilarbeiter dabei waren. Bestraft wurden wir dann im Lager selbst für alle Vergehen, und zwar immer mit furchtbaren Prügeln. Eine der gefürchtetsten SS-Frauen, Christel Krieher, nahm die Häftlinge aber auch im Werk in der Toilette vor und misshandelte sie dort. So im November 1944 die Gefangene Rosel Jamareck (eine Tschechin), nachdem sie diese bereits auf dem Arbeitsplatz mit einem Knüppel geschlagen hatte. In der Toilette spritzte die Krieher die Gefangene dreiviertel Stunde mit kaltem Wasser ab. Zwischendurch schlug sie mit einem Schlauch auf sie ein. Die Gefangene musste sich vorher nackt ausziehen ... Ich war als Kolonnen- führerin bei diesem ganzen Vorgang zugegen und kann diese Dinge eides- stattlich erklären.

* Die Frauen kamen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück, wurden als Arbeitskommandos für Beendorf verwaltungsmässig dem Konzentrationslager Neuengamme unterstellt.

130

Am 11. April 1945 mussten wir Beendorf verlassen, da die Amerikaner nä- herrückten. 4’000 Frauen und 1’000 Männer wurden in offene Waggons ver- laden, zu je 130 in einem Waggon. 14 Tage waren wir unterwegs, davon die letzten vier Tage ohne jegliches Essen. Ein Unterscharführer aus Porta (Hammerwerke) war der Transportführer. Bei dem Transport waren 500 jüdische Häftlinge, die bereits zum Skelett abgemagert waren. Jeden Tag starben ca. 80 von ihnen an Hungertyphus. Einmal beim Appell in unserem Wagen hatten wir wiederum vier Tote. Der Unterscharführer aus Porta erklärte, sie wären nicht tot und stach sie mit einem spitzen Gegenstand in den Hals. Dann stellte er die Toten aufrecht zwischen uns. Der Raum war so eng, dass die Toten natürlich aufrecht ste- hen blieben, solange der Appell dauerte . .. Bei Sterbenden, die zum Appell antreten sollten und nicht mehr stehen konnten, nahm dieser Unterschar- führer eine Schere und stach sie in den Hals und stellte sie dann zwischen uns als Lebende, indem er sie an den Haaren hochriss. Diese Einzelheiten habe ich in dem Waggon selbst erlebt... Am 15. April 1945 wurden vier jüdische Frauen wahnsinnig. Sie kamen in die letzten Waggons, wo die Kranken lagen. Einer war voll Halbtoter und Idioten. Der Zustand in diesen Waggons lässt sich mit Worten kaum be- schreiben. Hier lagen auch drei Frauen, die vor und während der Fahrt ent- bunden hatten. Die Kinder gingen natürlich während dieser Fahrt zugrunde. Schätzungsweise sind auf diesem Transport 1500 Häftlinge gestorben. Die einzelnen Wagen wurden dann am Ende der Fahrt abgehängt und die Häftlinge auf einzelne Lager verteilt, nach Langenhorn bei Hamburg, nach Hamburg-Wandsbek, Eidelstedt und Bahrenfeld bei Hamburg. Am 2. Mai kamen die ersten Engländer nach Hamburg-Eidelstedt. Wir waren 350 Häft- linge, die dort befreit wurden. Die SS-Bewachung war ausgerückt bis auf drei SS-Frauen, die später festgenommen wurden. Diese Angaben beruhen auf Wahrheit und erkläre ich an Eidesstatt.

Hamburg, den 13. November 1945.

Unterschrift Erika L. Vollständiger Name und Unterschrift sind den Herausgebe- rinnen bekannt.

131

Stärke der KZ-Frauen-Kommandos im Lager Beendorf 1. Block: 1‘200 Frauen Russinnen, Polinnen, Französinnen, Deutsche 2. Block: 2’000 Frauen jüdische, verschiedener Nationalität Das Lager als Frauen-Arbeitskommando wurde am 2. August 1944 eröffnet. Lagerführer war SS-Untersturmführer Gerhard Poppenhagen Unter den aus dem KZ Ravensbrück eingetroffenen Zugängen befanden sich Halbtote und Verhungerte. Das Lager wurde am 11. April 1945 aufgelöst. *

* Bericht und Aufstellung aus den Unterlagen des «Hans-Schwarz-Archivs», Hamburg.

132

Geneviève Helmers Odyssee einer Deportierten

Unser Abgang für das Kommando ist sehr schnell beschlossen. Einfall der Polizei des Lagers: «Der ganze Block raus! Raus! Raus! Schnell, schnell, los, los!» Fuss- und Stiefeltritte, Schreie, Flüche. Fünf zu fünf! Alles zum Revier. Scheinbar medizinische Untersuchung, neuer Vorwand zur Zur- schaustellung (Entkleidung) der weiblichen Gefangenen vor den grinsen- den SS-Leuten. Ein Teil wird zum Transport bestimmt, der andere bleibt. Was ist der Grund für diese Auswahl? Wir wissen es nicht. Ist es besser, die Hölle von Ravensbrück zu verlassen, oder aber, sich in einem Kom- mando bombardieren zu lassen? Mein Schicksal ist entschieden: Meine Kameradin des Strohsacks und ich sind für den Transport bestimmt. Gerüchte kommen auf: Wir sollen in einer «Kuchenfabrik» arbeiten. Nach Hannover soll es gehen. Gemäss den Papieren von Ravensbrück haben politische Gefangene niemals für die deutsche Rüstungsindustrie gearbeitet. Aber die Zukunft sollte uns lehren, dass sich Kuchenfabriken schnell in Pulverfabriken, Werke für V 1, für Hein- kel und für Gasmasken verwandelten. Für die «Reise ohne Gepäck» trafen wir uns im Viehwagen wieder. Wir brauchten zwei Tage und eine Nacht, um diese lächerliche Strecke Ravens- brück–Hannover zurückzulegen, in starker Juni-Hitze, ohne Wasser, ohne Luft, ohne Stroh, zusammengepresst und niedergehockt im Staub einer vor- herigen Kohleladung. Das war nicht das Schlimmste. Was uns jedoch de- mütigte und terrorisierte, hing mit einem Eimer aus roter Emaille zusam- men, der über unseren Köpfen schwebte. Wir durften ihn nur selten benut- zen und nur mit Genehmigung des grossen Teufels von der SS, der die Wache in unserem Wagen hatte und der sich daran ergötzte und unsere Beschämung noch durch seine Bemerkungen und Unflätigkeiten vergrös- serte. Auf dem Ankunftsbahnhof Hannover-Limmer nahmen die Direktoren des Werkes, dickbäuchige Deutsche, vervollständigt durch ein starkes Aufgebot von Polizei, die Lieferung des «französischen Viehs» mit einer Miene der Zufriedenheit und der Sieger in Empfang. Die Holzbaracke, die als Arbeitslager diente und mit elektrischem Stachel- draht versehen war, lag am Fuss der Fabrik auf einem Platz eines Blocks, der durch das Bombardement abgebrannt war; davon zeugten noch die ver-

133 kohlten Balken und die verbogenen Eisenstangen. Von den 600 Ukrainerin- nen, die vor uns in der Fabrik gearbeitet hatten, hatte nicht eine überlebt. Unser Leben in der Fabrik begann, ein Leben, bei dem man nur verkommen und verdummen konnte mit seinen zwölf Stunden Arbeit am Fliessband, eine Woche Tag-, eine Woche Nachtarbeit. Die Lehrzeit ist schwer: Man muss im Rhythmus des rollenden Bandes drei Kilogramm schwere Gusseisen- formen im Tempo von drei Stück pro Minute heben, und das von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends oder von 10 Uhr abends bis 10 Uhr morgens. Die Werkführer haben keine Geduld; wir bringen wenig guten Willen auf, um ihre Gasmasken zu fabrizieren. Wenn die «Mäuse» sich einmischen, endet es immer mit Fusstritten und Faustschlägen, welche man mit stoischer Ruhe in Habt-Acht-Stellung empfangen muss, die Fäuste geballt und Wut im Herzen. Der Skandal ist so gross, dass die deutschen Zivilisten, die in un- serer Abteilung arbeiten, nicht länger mehr Zeugen solcher Szenen sein wol- len. Man begnügt sich darum damit, unsere Nummer aufzurufen, und die Rechnung wird dann im Lager beglichen; uns entgeht auch weiterhin nichts. Ich erinnere mich besonders einer kleinen Französin von 18 Jahren, auf welche sich eines Nachts eine SS-Frau stürzte und die nicht eher von ihrer Quälerin losgelassen wurde, bis sie leblos am Boden lag. Abgesehen von diesen Zwischenfällen, ging die Arbeit langsam, monoton und einschläfernd vonstatten. Die Luft der Abteilung war nicht zu atmen: Dünste von Benzin, von Gummi, die Luft oft 35 Grad, ohne Möglichkeit zu lüften, aus Gründen des «Luftschutzes», nur zwei Ventilatoren, welche die Luft leise bewegten. Wir vergifteten langsam. Zum Glück schufen die Alarme, die in den letzten Monaten immer häufiger wurden, ein wenig Ab- wechslung. Man brachte uns in den Luftschutzbunker, denn, uns selbst überlassen, hätten wir ohne Zweifel die Gelegenheit benutzt, das Weite zu suchen oder an ihren kostspieligen Maschinen Sabotageakte zu vollführen. Aber der Unterschied der Temperatur ist fürchterlich. Wir verlassen unseren Schwitzraum, um in dem eisigen Keller des Werkes unterzukriechen. Der Gefahr für unsere Gesundheit suchten wir dadurch zu begegnen, indem wir Pappe unter unsere gestreiften Kleider legten. Unnützes Beginnen: «Spinne und Käfer» (zwei SS-Frauen) hatten unsere List bald bemerkt, denn jedes- mal, wenn sie uns schlugen, merkten sie den Widerstand unseres Papp- schildes. Nach einigen Monaten machten wir unsere Arbeit wie Automaten, aber unser armer Kopf hatte Zeit, abzuschweifen, und stets ist es der Zweifel an unserer Rückkehr, der ihn plagt. Wird man nicht den Verstand verlie- ren? Nichts unterbricht die Monotonie unseres Zuchthäuslerlebens: Die Suppe aus Steckrüben am Mittag und das kleine Stück Brot am Abend sind

134 die Dinge, an die man denkt. Häufig wurden wir, bevor das Essen kam, ohn- mächtig. In der Woche der Nachtarbeit kam noch der Kampf gegen den Schlaf hinzu. Wir versuchten, unsere Taschentücher an einem Wasserhahn zu tränken, um sie uns auf das Gesicht zu legen, obwohl es verboten war, den Wasser- hahn zu benutzen. In der Mitternachtspause fallen wir auf die Tische, auf die Zementfussböden, um zu schlafen. Geschimpfe und Schreie lassen uns taumelnd erwachen, und wir beginnen wieder mit der Arbeit, der Geist in Träume getaucht, die sich zwischen zwei halbbewussten Handgriffen immer schneller folgten. Zur körperlichen Müdigkeit kommt die Nervenspannung, und nach einer solchen Nacht wie im Alptraum erwacht, kommen wir in den Block zurück, unfähig, auf unseren Strohsäcken, die wir zu zweit teilen, Schlaf zu finden, in einem Zimmer für sechzig, Fenster und Vorhänge dicht geschlossen. Wir können uns noch glücklich preisen, wenn wir uns nach Be- endigung der Arbeit sofort niederlegen dürfen. Für ein Wort, im Arbeits- raum oder im Luftschutzkeller gesprochen, dafür, dass wir nicht im Gleich- schritt marschieren, oder wegen einer Laune der SS gab es als häufigste Strafe sechs Stunden Spiessrutenlaufen nach zwölf Stunden Nachtarbeit. Wir schwankten vor Schlaf, und oft wurden wir ohnmächtig vor Müdigkeit. Dabei ist es verboten, den Kranken Hilfe zu bringen, öfters verbrachten wir fünfzig Stunden ohne Schlaf. Dazu kamen die Arbeitseinteilungen des Lagers, die während der Woche der Nachtarbeit auch uns umfassten: Entladung von Kohlewagen, von Wag- gons mit Kartoffeln, Erdarbeiten. Unnötig zu sagen, dass dieses Leben schnell den Allergesündesten überwältigte. Wohlverstanden, auch sonntags. Ebensowenig wie in Ravensbrück gab es hier ein religiöses Leben. Die Lagerordnung forderte, dass die Häftlinge von 10 Uhr bis mittags im Lager arbeiteten. Die SS zerbrachen sich den Kopf, um für uns «unangenehme» Arbeiten zum Zeitvertreib zu finden. In der heissesten Sonne, im fürchterlichsten Regen, immer hatten wir mit unseren Händen vor dem Stacheldraht Unkraut herauszureissen oder mussten Schlacke kleinschlagen. Nachmittags, wo wir aufatmen hätten können, hängte man sich noch an uns: Übungen, um in den Luftschutzkeller zu laufen, mehrere Stunden im Gleichschritt um den Block zu marschieren. Danach waren wir schwarz vor Staub und Schweiss, und unser erschreckender Anblick entfesselte bei den SS-Leuten ungeheuren höhnischen Spott. Eines unserer grössten Leiden war, dass wir mehr als sechs Wochen kein Wasser hatten als Folge der Zerstörung der Wasserleitung durch das Bom-

135 bardement. Nicht einen Tropfen zu trinken, keine Möglichkeit, sich zu wa- schen, wenn man es nicht mit Schnee tun konnte. Nur die ins Lager dringenden Nachrichten unterstützten uns im Kampf ge- gen deri täglichen Verschleiss unserer Kräfte. Selbst wenn wir keine Zeitun- gen auf illegalem Wege erhalten hätten, wäre die Haltung des grössten Teiles der SS genug gewesen, um uns Hoffnung zu geben. Die «Hässliche» und die «Steinerne» wurden zart gesonnen. Man ging dazu über, sich nach unseren französischen Adressen zu erkundigen, und eine von ihnen ging soweit, sich ein gestreiftes Kleid zu wünschen, um bei der Ankunft der Alliierten unbe- achtet verschwinden zu können. So waren wir nicht überrascht, als am 6. April unsere SS-Frauen in unsere Taschentücher ein kleines Stück Brot einwickeln liessen, um uns, versehen mit diesem Unterpfand, einen Marsch von hundert Kilometern anzukündi- gen, welcher uns zu den unvorstellbaren Schrecken des Lagers Bergen-Bel- sen führen sollte.

In Bergen-Belsen Drei Tage lang marschierten wir auf den Strassen der «Lüneburger Heide». Während sechzehn Monaten haben wir nicht solche Weiten gesehen. Wir kommen nur langsam vorwärts. Unsere Truppe vergrösserte sich durch das Männerkommando von Hanno- ver-Stöcken. Unsere jämmerliche Gruppe dehnt sich über Kilometer aus. Nachzügler werden unerbittlich niedergeschossen. Wir schlafen auf Sand oder Zement, und unser kleines Brot ist schnell aufgegessen. So empfangen wir die Nachricht von der Ankunft in einem Lager am Abend des dritten Tages fast mit Erleichterung. Wir würden einen Platz haben, uns ausstre- cken können und eine Suppe erhalten. Wir wussten noch nicht, was das Ver- nichtungslager von Bergen-Belsen bedeutete. Der Anblick im Morgengrauen erwies sich als Abbild Dantescher Hölle: Überall Leichen, denn das Krematorium funktionierte wegen des Kohle- mangels schon lange nicht mehr. Berge von Kadavern, überall Schmutz und Exkremente, die keine Luft zum Atmen liessen. Dort trafen uns die Englän- der am 15. April 1945. Trotz unseres Drängens, das Lager zu verlassen, mussten wir unsere Unge- duld zurückstellen. Noch zehn Tage mussten wir dort leben, gegen den Tod kämpfend und machtlos ihm gegenüber. Endlich wurden wir in die Kaser- nen der SS in drei Kilometer Entfernung überführt, wo wir noch einen Mo- nat auf unsere Repatriierung warteten, denn der Typhus hatte sich unter

136 uns ausgebreitet und hörte nicht auf, Verheerungen anzurichten. So wurde auch die Freude auf unsere Heimkehr nach Frankreich getrübt durch die Erinnerungen an unsere toten Kameraden.

Geneviève Helmers Geboren am 14. 8.1920. Studentin der Sprachen auf der Universität Strasbourg. – Verhaftet am 25.11. 1943 in Clermont-Ferrand. Am 15.1.1944 in das Lager Compiègne überführt, von dort am 25.1.1944 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Am 25.6.1944 Transport nach Hannover-Limmer, einem Aussenkommando des Konzentrationslagers Neuengamme. Am 8.4.1945 erfolgte die Evakuierung nach Bergen-Belsen. Die Repatriierung in die Heimat erfolgte am 25.5.1945.

138

Ilse Löfflerowa, Prag Häftling des Frauenarbeitskommandos Neuengamme-Eidelstedt «Flämmchen»

Wir nannten sie nie anders, sie war unser «Flämmchen». Die Jüngste auf unserer Stube, wo die Älteste gerade 18 Jahre alt war. Unsere Stube lag in der Baracke 12 im Konzentrationslager Neuengamme-Eidelstedt. Aus unse- ren Fenstern sahen wir auf das Geflecht des Stacheldrahts und hindurch Hunderte Güterzüge; denn die Baracken standen an der Ecke parallel mit dem Eidelstedter Güterbahnhof. Flämmchen konnte im Morgengrauen lange Minuten zum Fenster hinaus- starren und das Hin- und Hergleiten der Güterzüge beobachten. Dabei summte sie ganz leise Lieder unserer Heimat und des grünen Waldes vor sich hin. Sie hatte sie in der Schule gelernt, die sie gerade bis zur fünften Gymnasialklasse besuchen durfte. Flämmchen summte auch dann – viel- leicht, um sich und uns zu beruhigen –, wenn die Bomben um uns herum krachten; denn der Güterbahnhof war ein oft gesuchtes Ziel für die briti- schen Bombenflugzeuge. Wahrscheinlich, um den Bahnhof und das Trans- portgut vor Bombenangriffen zu schützen, hatte die Hamburger Stadtver- waltung «in höherem Auftrag» und in ihrer ungewöhnlichen Menschen- freundlichkeit das Frauenkonzentrationslager hier gebaut und die Bara- ckendächer mit dem Roten Kreuz bemalt. Trotz dieser Vorsorge begruben die Bomben einmal 92 unserer Mädchen. Drei ganze Baracken voll unschul- diger, lebenslustiger Mädchen unter den Trümmern! Einige unter uns mit grimmigem Galgenhumor schlugen damals vor, an den Hamburger Magistrat ein Dankschreiben zu richten. Das war im Jahre 1943. Erst ein paar Monate später kam Flämmchen zu uns, mit einem Transport aus Ravensbrück. Dort hatten die Nazi ihre Mut- ter getötet, «ausnahmsweise» durch Genickschuss, wie Flämmchen sagte. Unser Stubenzuwachs war ein äusserst zierliches Geschöpf. Ihren regelmässi- gen Gesichtszügen tat nicht einmal der kahlgeschorene Kopf Abbruch. Ihre Augen konnten hart wie Stahl sein und in der nächsten Minute ganz sanft schimmern. Keiner konnte eigentlich sagen warum, aber bald war Flämm- chen ein Liebling der Stube. Sogar unsere grosse SS-Schlägerin, Aufseherin aus der Kleiderkammer, die vierschrötige Emma mit der eingedrückten Bo-

Aus dem «Hans-Schwarz-Archiv», Hamburg.

139 xernase, bekam einen leicht versonnenen Blick, wenn Flämmchen in Sicht war. Der Tag, an dem es passierte, war seit dem frühen Morgen mit Unruhe er- füllt. Das ganze Lager ging nicht zur Arbeit, und die wildesten Gerüchte waren sofort in Umlauf. Die gesamte Lager-SS rückte in die Baracken ein und befahl Grossreinemachen. Sie trieb uns an mit all den dazugehörigen Ohrfeigen und Kolbenstossen in die mageren Rippen. Gegen Mittag verbrei- tete sich das Gerücht, eine Kommission des Internationalen Roten Kreuzes sei auf dem Wege ins Lager, um die Schwächsten zu ermitteln und sie gleich ins neutrale Ausland mitzunehmen. Kurz vor der Suppenverteilung kam aus dem Krankenblock das Gerücht, alle Kranken würden nach Hamburg in ein Zivilkrankenhaus überführt werden. Anstelle der Kommission des Roten Kreuzes kam ein Oberscharführer an, eine lange Latte mit strohblondem Bärtchen. Vom Waschhausfenster aus sahen wir ihn, als er durch die Tür von Baracke eins, der SS-Baracke, schritt. Also doch ein Neuer, sagte unsere Aufseherin vor sich hin. Dann schrie sie: «Abtreten!» und jagte uns in den Block. Eine Stunde später tra- ten wir ohne Suppe zum Zählappell an. Unser Unterscharführer schritt an der Linken des Neuen und machte ein recht betretenes Gesicht. Auch aus den Gesichtern der Aufseher lasen wir Bestürzung und Ratlosigkeit. Hasti- ger als sonst zählten sie die Reihen. Nach der Meldung trat der Neue vor den alten «Unter» und brüllte: «Hergeschaut, ihr Schweine, ab jetzt kom- mandiere ich das Lager!» Ein Flüstern an den «Unter», und schon kam das gefürchtetste aller Kommandos: Auf, nieder – auf, nieder; und der Neue schlug mit einer stählernen Gerte den Takt dazu. Wir standen mit Flämmchen in der vorletzten Reihe. «Herta ist es schlecht geworden», stiess mich so unauffällig wie möglich Flämmchen an, «rutsch ein bisschen nach vorn, damit sie nicht fällt, und sieh dich unauffällig um, wo die Blockleiterin von drei steht, ob wir nicht den Schlüssel bekommen und Herta zurückschmuggeln können.» Die Blockleiterin vom Dreier stand gottlob in der allerletzten Reihe. Ich stütze Herta, und Flämmchen rutscht ganz sachte an sie heran, bis der Schlüssel in Greifweite ist. Flämmchen sperrt, von der letzten Reihe ge- deckt, Block drei auf, und fast in der gleichen Sekunde habe ich Herta in die Lücke bugsiert. Rasch wird die Lücke ausgefüllt, und Flämmchen hat gerade noch Zeit, den Block hinter Herta abzusperren und den Schlüssel in der Tasche verschwinden zu lassen. Ja, sie geht noch in die Kniebeuge, fast gleichzeitig mit dem Kommando «Nieder», da legt sich ihr – ich sehe es heute noch mit grauenhafter Deutlichkeit – eine gelbbehandschuhte Hand auf die Schulter. «Kniebeugen amüsiert dich wohl nicht, du Wildsau?»

140 sagte kalt-ruhig eine knarrende Stimme. Der Neue steht zwischen uns und schüttelt Flämmchen den Atem fast aus dem Körper. Trotz allem sehe ich plötzlich dicht vor meiner Fussspitze den Schlüssel. Ich setze den Fuss dar- auf. Als ich mich vorsichtig umblicke, führt der Aufseher vom Tag Flämm- chen in die Richtung Arrestbaracke. Der Neue scheint plötzlich die Lust am grausamen Spiel verloren zu haben. Sein «Abtreten» klingt lustlos und gleichgültig. Am Spätnachmittag ist Kleiderwechsel, wie jeden Sonnabend. Kleiderkam- mer-Emma blickt uns erwartungsvoll an, als unsere Stube antritt. «Heute nur neunundzwanzig Stück», sagt sie, und im Tonfall ihrer Stimme liegt eine eindeutige Aufforderung. Wir wagen es: «Könnten Sie, Frau Aufsehe- rin, nicht ein Wort für Flämmchen einlegen?» Die Emma macht sich plötzlich an einem Kittel zu schaffen, und anstelle der erwarteten Maulschelle kommt die Antwort: «Ausgeschlossen», und nach einer Pause mit ganz leiser Stimme: «Ich kenne den neuen Oberscharführer ja auch nicht. Er ist doch den ersten Tag hier.» Und dann kommt der ganz verblüffende Nachsatz: «Das müssen SIE verstehen.» Das Sie kommt für uns so überraschend, dass wir ein verlegenes «Danke» flüstern. Wir hocken auf der Stube, und in den Schüsseln wird die Suppe kalt. Kei- ner mag essen, keiner mag sprechen. Es dämmert schon stark, als die Tür aufgeht. Vor uns steht Kleiderkammer-Emma. «Wollt ihr was ausrichten? Ich bringe Brot und Margarine nach hinten», sagt sie. Und wirklich, Emma hat die Bluse ganz ausgebeult. Das Brotpaket ist umfangreich. Zuerst schütteln wir stumm die Köpfe. Dann schluchzt Ingrid, Flämmchens Bettgenossin, laut und haltlos auf. Die Emma steht wie angenagelt und wartet. Ingrid hebt den Kopf, sieht Emma fest an und sagt mit unnatürlich lauter Stimme: «Richten Sie ihr aus: Die Stube zwei, Block zwölf, gelobt dir, deinen Tod zu rächen!» Emma zuckt heftig zusammen. «Sie glauben wirklich?» Ja, Emma, wir glauben wirklich, wir wissen. Anscheinend wissen wir alten Häftlinge in diesen Dingen doch besser Bescheid. Emma dreht sich mit einem Ruck zur Tür, als habe sie diesen unausge- sprochenen Satz gehört. Die Hand auf der Klinke, den Blick von uns abge- wandt, sagt sie so leise, dass es kaum zu verstehen ist: «Ich richte es wört- lich aus», und fast unhörbar hingehaucht: «Ehrenwort» ... Die Nacht schien endlos. Keine von uns sprach ein Wort, dennoch wussten wir alle, dass niemand schlief. Der Morgen dämmerte schon durch die Fen- ster, als Ingrid überlaut sagte: «Ich glaube Emma das Ehrenwort, obwohl eine SS-Frau...» Wieder lag ein lähmendes Schweigen wie eine dicke Wolke in der Luft.

141

Gleichmässige Hammerschläge unterbrachen die Stille. Im kleinen Hof wurde der Galgen zusammengezimmert. «Diese Bestien», stiess Ingrid her- vor, «diese Bestien. Vor dem angetretenen Lager, beim Zählappell. Wir traten an. Später als sonst. Es war ja Sonntag. Im rechten Eck, im «klei- nen Hof», stand der Galgen. Der Zählappell wollte kein Ende nehmen. Der Neue tobte. Immer wieder stimmte etwas nicht. Emma hatte sich dreimal verzählt, und der Neue sah aus, als wollte er die Pistole ziehen und die SS-Frau auf der Stelle niederknallen. Endlich nickte er und schickte die Läuferin mit einem Befehl weg. Wir wussten, was kam. In wenigen Minuten würden wir unser Flämmchen wiedersehen. Zum allerletzten Male. Alle blick- ten zu Boden. «Augen rechts!» knallte die Stimme des Neuen. «Augen rechts!» wiederhol- ten die Aufseher und liefen die Reihen entlang. Im rechten Eck stand Flämmchen, drei Schritte vor dem Galgen, flankiert von den Aufsehern vom Dienst. Hinter dem Galgen, den schwarzen Kittel über der SS-Uniform, stand Erich, der Sanitäter aus dem Hauptlager, der als Nebenprofession das Amt des Henkers versah. Flämmchens Augen blieben unverbunden. Ihr Ausdruck war nicht zu er- kennen, wir standen zu weit weg, aber sicher leuchteten sie jetzt hart wie Stahl. Dann drehte Flämmchen sich mit dem Gesicht zum Galgen hin, ihr Rücken wurde steif wie ein Brett. Mit den Bewegungen einer Marionette setzte sie den Fuss auf die erste Stufe. Blitzartig drehte sie sich um. Sie hob den Kopf, und bevor der Henker die Schlinge über sie werfen konnte, sang sie mit lauter Stimme: «Heimat, die ich liebe...» Als sie die Strophe zu Ende gesungen hatte, versackte ihre Stimme in einem herzzerschneidenden Röcheln.

142

Liza Neumanova, Prag

Vor der Gaskammer «gerettet»

Im Jahre 1944, etwa Anfang Juli, wurden wir in Auschwitz II (Birkenau) für einen Abtransport ausgesucht. Ursprünglich waren wir nach einer halb- jährigen sogenannten Quarantäne in Birkenau zur «Sonderbehandlung» (Vergasung) bestimmt, so wie es mit dem früheren Transport aus dem Ghetto Theresienstadt geschah. Diese 4’000 Menschen wurden binnen einer Nacht in den Gaskammern umgebracht. Aber nachdem die Nazis Arbeits- kräfte brauchten, kamen wir mit zwei Selektionen durch Dr. Mengele le- bend davon. Die gesunden und jungen Leute wurden in einige Transporte eingereiht, die alten Leute, Kinder und ihre Mütter vergast. In Güterwagen verfrachtet, kamen wir Anfang Juli in Hamburg an, nun- mehr Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme. Wir wurden im Kommando Dessauer Ufer in Getreidespeichern, die bisher als Unterkünfte für Kriegsgefangene gedient hatten, untergebracht. Täglich mussten wir um 3 Uhr früh aufstehen, bekamen ein wenig sogenannten Kaffee, kaum an- gewärmt, und um 4 Uhr, nur in leichter Bekleidung – Sommerhäftlingskit- tel, ohne Strümpfe, in ausgetretenen Holzpantoffeln, die uns die Füsse wund- scheuerten – warteten wir in Wind und Wetter auf den Dampfer, der uns zu unseren Arbeitsplätzen brachte, welche vorwiegend Benzin- und Ölraf- finerien waren, die bei Bombenabwürfen beschädigt oder teilweise vernich- tet waren. Wir arbeiteten bei folgenden Firmen – alle habe ich nicht mehr in Erinnerung, ich nenne nur die wichtigsten –, wo wir in verschiedene Arbeitskommandos auf geteilt wurden: Ebano Oehler, Teerfabrik, Hamburg-Moorburg, Erdölfabrik Schindler, Wilhelmsburg-Eurotank. Von 6 Uhr früh bis spät am Nachmittag arbeiteten wir, bis auf die Mittags- pause, ununterbrochen. Dann wanderten wir wieder auf den Dampfer zu- rück und kamen abends in unsere Unterkünfte, wo wir nach einem spärli- chen Nachtmahl schlafen gingen. Anfangs wurden wir während Bombenanflügen in unseren Unterkünften eingesperrt; wir erlebten einen schweren Bombenangriff in der Nacht; spä- ter mussten wir bei Alarm sofort in den Keller, wo wir täglich den Abend bis Mitternacht verbrachten. Morgens um 3 Uhr begann, wie gewöhnlich,

143 der Arbeitstag, dessen Abend wir frierend, hungrig und todmüde sehnlichst erwarteten. An die Namen unserer SS erinnere ich mich leider nicht mehr, nur an die Misshandlungen mit einer neunschwänzigen Riemenpeitsche, an deren En- den Metallkugeln waren. Einmal stiess ein SS-Mann grundlos eine junge Frau über die Stiegen hinun- ter. Sie erlitt eine schwere Kopfverletzung und starb nach kurzer Zeit. An den Namen der Umgekommenen erinnere ich mich leider auch nicht mehr, ich weiss nur, dass sie Doktor der Philosophie war. Bei einem Bombenangriff in Moorburg hatten wir auch einige Tote. Ich scheuerte mir bei den Märschen zum Arbeitsplatz die Füsse an den Holz- schuhen so wund, dass ich einige Wochen in der Krankenabteilung verbrin- gen musste. Vielleicht war das mein Glück, so wurde ich von vielem ver- schont. Andererseits hatte ich Angst, wegen Arbeitsunfähigkeit nach Auschwitz oder Ravensbrück zurückgeschickt zu werden. Ich kehrte, ob- wohl noch nicht genesen, zu den Gesunden zurück, weil ein Gerücht um- ging, dass die Kranken zur Vergasung wegtransportiert würden. Alle schwangeren Frauen mussten sich melden und wurden abtransportiert; niemand wusste wohin. Keine von ihnen kehrte nach der Befreiung in die Heimat zurück. Nach der Entlassung aus der Krankenabteilung arbeitete ich wieder bei den genannten Firmen, auch bei einer Firma in der Albrechtstrasse, wo die Ar- beit besonders schwer und für Frauen gänzlich ungeeignet war. Nach solch einem schweren Arbeitstag hatte ich noch lange Beschwerden. Vom Lager am Dessauer Ufer siedelten wir im Oktober nach Neugraben über. Im Winter 1944/45 – er war besonders kalt – arbeiteten wir in Hamburg-Neugraben bei der Firma Weseloh und in der Ziegelei Malo. Es war meistens schwere Arbeit mit Schaufel und Spitzhacke, einige Meter tiefe Bunker oder wieder Planierungsarbeiten. Zu Mittag gab es keine warme Suppe, die gab es nur noch am Abend. Wir mussten mit einem vier- tel Brot und etwas Marmelade oder Margarine auskommen. Am Sonntag zwang man uns, im Wald Bäume zu fällen, um den Holzvorrat für die Küche für die ganze Woche aufzustocken. Erst am Nachmittag, nachdem wir die Unterkünfte und den Waschraum gewaschen hatten, durften wir uns ein wenig ausruhen. Ich bekam eine schwere Phlegmone in der linken Ferse und lag wieder wo- chenlang im Krankenhaus. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ar- beitete ich, trotzdem meine Ferse noch wund war, wie vorher. Während unseres Aufenthaltes in Neugraben wurde eine Arbeitskolonne

144 unserer Frauen von einem schweren Bombenangriff überrascht. Unsere Ka- meradinnen mussten die Toten und die Verletzten bergen. Es war eine fürchterliche und grausige Arbeit. Sie kamen, trotzdem die meisten von uns schon vollkommen apathisch waren, gänzlich erschöpft und erschüttert zu- rück. Von Neugraben wurden wir nach Tiefstack abtransportiert. Unsere Arbeitsplätze waren: Zementfabrik Tiefstack, Hamburg-Tiefstack, Möller, Bauunternehmen, Hamburg-Tiefstack, Billstrasse. Auch dort erlebten wir natürlich auch nichts Erfreuliches: schwere Arbeit, wenig Essen, Wind und Wetter, Peitschenhiebe oder wenigstens Ohrfeigen, ab und zu als Bestrafung kein Nachtmahl. An einem Sonntag während un- seres Aufenthaltes in Tiefstack wurden alle Häftlinge in einen Bunker ge- trieben. Erst als verschiedene ohnmächtig wurden, durften sie den Bunker wieder verlassen. Einige tausend Häftlinge hatte man da eingesperrt. Wahr- scheinlich sollte ausprobiert werden, wie lange man es da aushalten kann. Unser Lager in Tiefstack wurde, während wir an der Arbeit waren, bei einem Bombenangriff fast vollkommen vernichtet. Fast alle, die im Lager blieben, waren tot oder verletzt und erlagen später ihren Verletzungen. Das Leben danach war ganz unerträglich. Einige Nächte mussten drei bis vier Menschen auf einem Strohsack schlafen. Waschmöglichkeiten gab es keine mehr. Bald darauf waren wir vollkommen verlaust. Mittel zur Ent- lausung bekamen wir keine oder so schlechte, dass sie uns nicht halfen. Nach der schweren Tagesarbeit mussten wir zusätzlich abends und am Sonn- tag Wiederaufbauarbeiten unseres Lager verrichten. Es war kaum noch aus- zuhalten. So freuten wir uns, als wir Anfang April einmal früh nicht an die Arbeit geführt wurden, sondern zum Bahnhof. Aber wie gross war unser Entsetzen, als wir in Bergen-Belsen ankamen! Dort wurden wir fast alle in einen Block hineingepresst. Wir hockten die ganze Nacht dicht aneinander- gepresst, da wir wegen Platzmangels nicht liegen konnten. Einige unserer Kameradinnen wurden noch in Bergen-Belsen erschossen. Die letzten Tage vor der Befreiung waren die fürchterlichsten und forderten die meisten Opfer. Fast alle bekamen Flecktyphus. Endlich kam die Befreiung; doch für viele von uns war es schon zu spät. Sie waren schon viel zu schwach und verkommen, um sich wieder aufraffen zu können. Mit mir waren zwei Cousinen, welche kurz nach Kriegsende im Mai 1945 an den Folgen des Flecktyphus starben. Ich selbst hatte auch Flecktyphus, doch ich kehrte im Juli 1945 in die Heimat zurück. Ich hatte viel Glück, dass ich dies alles überlebte. Ich darf auch nicht vergessen, dass uns in Hamburg Kriegsgefangene, besonders Franzosen, halfen. Sie gaben

145 uns ihre Pullover, so dass wir weniger froren, auch Essen, wenn sie die Möglichkeit hatten, uns ungesehen etwas zu reichen. Doch allen konnte nicht geholfen werden. Ich glaube, in unserem Lager waren 500 Frauen. Wie viele von uns noch leben, weiss ich nicht, da sie in der ganzen Welt verstreut sind.

13‘000 weibliche Häftlinge – Wo sind sie geblieben?

Eine Übersicht über Frauen-Arbeitskommandos, die dem Konzentrationslager Neuengamme unterstanden*

Seit 1943 wurden in den westdeutschen Industrieunternehmen, neben den bereits bestehenden Arbeitskommandos von männlichen Häftlingen aus dem Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg, in steigendem Masse auch weibliche KZ-Häftlinge eingesetzt. Sie trafen aus den Stammlagern Ravensbrück und Auschwitz, ohne den Weg über Neuengamme zu machen, direkt an den Stätten ihrer Arbeitskommandos ein. Verwaltungs- und num- mernmässig wurden die Frauen dem Häftlingsbestand des Männer-Konzen- trationslagers Neuengamme eingefügt. Der Gesamthäftlingsbestand von Neu- engamme zählte 88’000 männliche und 13’000 weibliche Häftlinge. Der erste Frauentransport kam im Dezember 1943 aus Auschwitz und erhielt die Nummern 13 bis 950. Die Transporte des Jahres 1944 bestanden hauptsächlich aus Frauen des Konzentrationslagers Ravensbrück (unter denen sich bereits früher aus Auschwitz Überführte befinden konnten) und verteilten sich auf folgende Monate und Nummern: Januar 25 803 bis 26 041 Februar 26 060 bis 26 797 März 26 824 bis 28 422 April 28 533 bis 29 387 Mai 29 402 bis 29 486

Quelle: «Hans-Schwarz-Archiv», Hamburg.

146

Andere Transporte im Mai und Juni erhielten die Nummern: Mai 6302 bis 6306 Juni 6307 bis 6837 Über spätere Transporte, die ab Juli auf den Arbeitskommandos ein- trafen, fehlen die Unterlagen. Die 13’000 weiblichen Häftlinge wurden nach einem Bericht des Standortarztes von Neuengamme, Dr. Trzebinski, vom 29. März 1945 in folgenden Arbeitskommandos beschäftigt: * Stahlwerke Braunschweig 729 Lübberstedt 497 Salzwedel 1‘518 Bremen (Behelfswohnbau) 789 A III Helmstedt (Beendorf) 2‘021 Horneburg (Elbe) 299 Hamburg-Langenhorn 740 Hamburg-Wandsbek / Draegerwerke 526 Hamburg-Eidelstedt 469 Fallersleben 644 Salzgitter 472 Hannover / Conti 1‘011 Hamburg-Tiefstaak 492 Hamburg-Sasel 497 Porta / Hammerwerke 967 Boizenburg / Thomsen 400 Garlitz 2

Weiter heisst es in dem Trzebinski-Bericht, dass in der Berichtszeit 95 Frauen gestorben sind (bezieht sich auf drei Monate von 1945). Über die Todesart ist nichts ausgesagt. Aus den verschiedenen Pro- zessen gegen die SS-Führung des Lagers Neuengamme wie seiner Aussenlager und Arbeikommandos wurde bekannt, dass auf Anord- nung der Gestapo Hamburg sowie der SS-Führung von Neuengamme Frauen und Mädchen exekutiert worden sind, u.a. in Hamburg-Ei- delstedt und bei den Draegerwerken in Hamburg-Wandsbek. ** Die Frauen der obengenannten Arbeitskommandos gehörten ver- schiedenen Nationalitäten an. Einige Wochen vor dem Zusammen-

* Von diesen Kommandos sind einige ganz oder teilweise in den ersten Monaten von 1945 bei Kommandos in der näheren und ferneren Umgebung von Hamburg eingesetzt worden.

** Quelle: «Hans-Schwarz-Archiv», Hamburg.

147

bruch des Naziregimes– der Zeitpunkt ist unterschiedlich – wurden sie evakuiert Die meisten kamen nach Bergen-Belsen. Wie lange diese Transporte unterwegs waren und wie viele Frauen die Trans- porte und zuletzt das Todeslager Bergen-Belsen überlebt haben, konnte nicht ermittelt werden. Viele Frauen starben noch Wochen nach ihrer Befreiung an den Folgen. Die Zahl der Toten muss sehr hoch gewesen sein. Schätzungen konnte auch das Internationale Rote Kreuz (Arolsen) nicht machen. In den vorgenannten Arbeitskommandos befanden sich verhältnismässig viele französische Frauen. Unmittelbar nach ihrer Ankunft, in April und Mai 1945, begann die französische Repatriierungskommission mit Ermitt- lungen über Schicksal und Verbleib der Frauen ihrer und anderer Nationen. Sie konnte folgendes feststellen: *

Beendorf 10 km östlich von Helmstedt gelegen, Arbeit in Fabriken für Flugzeugbau. Evakuiert 7. 4. 1945 in Richtung Wöbbelin (das sie nur zum Teil erreichten, andere Bergen-Belsen).

Boitzenburg Arbeitskommando an der Strasse Nr. 5, rechtes Elbufer, 12 km östlich von Lauenburg. Arbeit in Fabriken. April 1945 nach Wöbbelin evakuiert.

Eidelstedt-Hamburg durchschnittlich 500 Frauen. Munitionsarbeiten. Evakuiert April 1945.

Fuhlsbüttel-Hamburg durchschnittlich 800 Frauen. Munitionsarbeiten. Evakuiert April 1945.

Horneburg-Elbe Kommando von 150 jüdischen Frauen unter Kontrolle der SS. Linkes Elb- ufer, Leder-, Lampen- und Radio-Fabriken. Evakuiert April 1945.

Langenhagen durchschnittlich 450 Frauen. Eingerichtet Februar 1945, April 1945 evaku- iert nach Bergen-Belsen.

Langenhorn-Hamburg durchschnittlich 540 Frauen, verschiedene Fabriken, evakuiert 1945.

* A. a. O.

148

Limmer-Hannover etwa 1‘000 jüdische Frauen, bestand seit Juli 1944, Gasmasken-Fabrik. Am 7.4.1945 zu Fuss nach Bergen-Belsen evakuiert. Kurz vor Celle Zusam- mentreffen mit dem Frauenevakuierungstransport der Akkumulatorenwerke Stöcken-Hannover, gemeinsamer Weitermarsch.

Poppenbüttel-Sasel-Hamburg durchschnittlich 50 Frauen. Benzin. Evakuiert April 1945.

Tiefstaak-Hamburg durchschnittlich 500 Frauen in verschiedenen Betrieben. Evakuiert April 1945.

Wandsbek-Hamburg durchschnittlich 780 Frauen in verschiedenen Betrieben. Evakuiert April 1945.

Erläuterungen zum «Nacht und Nebel»-Erlass (NN-Erlass)

Der «Nacht und Nebel»-Erlass kam auf Befehl Hitlers am 7. Dezember 1941 heraus. Als Vorwand diente die Erschiessung des deutschen Festungs- kommandanten durch französische Patrioten in Nantes am 20. Oktober 1941. Zur Vergeltung liess die deutsche Besatzungsmacht 50* angesehene französische Bürger erschiessen. Der «NN-Erlass» richtete sich zunächst ge- gen die Bevölkerung in Frankreich, dann auch anderer besetzter Gebiete im Westen, später auch gegen Dänemark und Norwegen. Sein Zweck war: Personen, «die die deutsche Sicherheit gefährden», bei «Nacht und Ne- bel» spurlos verschwinden zu lassen. Der «NN-Erlass» erschien als Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), von dessen Chef, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, am 12. De- zember 1941, wie folgt erläutert:

* Nach dokumentarischen Unterlagen sollen es bei dieser Erschiessung 50 Opfer gewesen sein, tatsächlich waren es 48. Von den Erschossenen, fast alles Kommunisten aus verschiedenen Departements, kamen 27 aus dem Lager Châteaubriand. 21 Patrioten, gleichfalls aus verschie- denen Departements stammend, waren Insassen des Gefängnisses von Nantes, Hauptstadt des Departements Loire Atlantique. Am 22. Oktober wurden weitere 50 Geiseln erschossen, zumeist Kommunisten aus dem Lager Souged in der Nähe von Bordeaux im Departement Gironde.

149

«Es ist der lange erwogene Wille des Führers, dass in den besetzten Gebieten bei Angriffen gegen das Reich oder die Besatzungsmacht den Tätern mit anderen Massnahmen begegnet werden soll als bisher... Bei solchen Tätern werden Freiheitsstrafen, auch lebenslange Zucht- hausstrafen, als Zeichen der Schwäche gewertet. Eine wirksame und nachhaltige Abschreckung ist nur durch Todesstrafen oder durch Mass- nahmen zu erreichen, die die Angehörigen und die Bevölkerung über das Schicksal des Täters im Unklaren lassen.» (Nürnberger Dokumente 669 – PS) Der «NN-Erlass» wurde dann für die Fälle, in denen die Todesstrafe nicht innerhalb einer Woche nach der Verhaftung vollstreckt würde, von Keitel im Februar 1942 wie folgt ergänzt: «... sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland ge- bracht ... werden. Die abschreckende Wirkung dieser Massnahme liegt a) in dem spurlosen Verschwinden der Beschuldigten, b) darin, dass über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf.» (Nürnberger Protokolle 090 – L) *

Vgl. G. Meyer, a. a. O., S. 138/139.

150

Nachwort

Publikationen über die Jahre der Hitler-Diktatur sind während der letzten Jahre in steigender Zahl auf dem Büchermarkt erschienen. Doch allzu viele davon drücken sich unter dem Deckmantel sogenannter historischer Objek- tivität an den Lehren aus dieser Zeit brutaler Diktatur und grausamen Krie- ges vorbei, an der Tatsache, dass die Mehrzahl derer, die Widerstand leiste- ten, «aus den Hütten des armen Mannes», wie es Emst Wiechert einmal formulierte, d.h. aus der Arbeiterschaft, kam, und dass es die Herren von Stahl und Kohle waren, die 1933 den Faschismus in den Sattel hoben. Deshalb ist eine Sammlung von Erlebnisberichten wie das vorliegende Buch von so grosser Bedeutung. Es durchbricht das Schema des Konformismus und fordert zur Parteilichkeit, zur konkreten Stellungnahme heraus. Die Solidarität und der ungebrochene Mut der Häftlinge in Gefängnissen, in Lagern und Arbeitskommandos sind Beweise für den humanitären und patriotischen Charakter des deutschen Widerstandes. Die Getretenen und Geschundenen, die dennoch die Fahne der Freiheit hochhielten, waren es, die das wahre, das andere Deutschland in dieser dunklen Zeit verkörperten. Der Leser, insbesondere wenn er einer Generation angehört, die ihre ersten Schritte in die politische Arena erst in den 60er oder 70er Jahren machte, wird durch die oftmals fast unterkühlt anmutende Darstellung des Haft- Alltages und der Sklavenarbeit nicht nur zum Mitfühlen, sondern ebenso sehr – ja vielleicht in noch stärkerem Masse – zum Handeln geführt. Handeln heute, gemäss den Maximen des Widerstandskampfes, heisst: Ein- reihen in die Front derer, die rechtzeitig das Übel beim Namen nennen, die jeder Regung eines neuen Nazismus entgegentreten und sich gegen den Machtanspruch der wiedererstandenen Monopole zur Wehr setzen, wohl wissend, dass äusserste Wachsamkeit und Kampfbereitschaft am Platze sind, wenn Demokratie und Freiheit einen festen Platz in unserem Land erhalten sollen. So ist dieses Buch historischer Bericht und politische Waffe zugleich, nütz- lich in der täglichen Auseinandersetzung mit den Kräften, die nicht wahr- haben wollen, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Der Band des Röderberg-Verlages erhebt nicht den Anspruch, eine lücken- lose Chronik über das Schicksal antifaschistischer Frauen im norddeutschen Raum zu sein, aber er hat es sich zur Aufgabe gesetzt, der jungen Genera-

151 tion zu berichten, dass selbst unter Bedingungen, bei denen das Menschsein aufzuhören schien, Frauen aller Nationen zusammenstanden, kämpften und nicht den Glauben an eine bessere Zukunft verloren. So kann die Darstellung der geschichtlichen Ereignisse von gestern zum Aufbau einer humanen und demokratischen Gesellschaft, die auf den Grundsätzen des antifaschistischen Widerstandskampfes beruht, beitragen.

MAX OPPENHEIMER

Bibliothek des Widerstandes. Die Röderberg-Reihe über den antifaschistischen Widerstand 1933-1945. GüntherAls nächster Band erscheint Weisenborn

Der lautlose Aufstand ca. 480 Seiten, ca. 20,– DM. Bitte bestellen Sie schon jetzt. Lieferbare Titel der Bibliothek: Rudi Goguel: Cap Arcona Fred Wander: Der siebente Brunnon Report über den Untergang der Häft- 110 Seiten, 6,50 DM lingsflotte in der Lübecker Bucht am 3. Mai 1945 – 156 Seiten, 9,– DM Fritz Salm: Im Schatten des Henkers Arbeiterwiderstand in Mannheim Willi Bohn: Transportkolonne Otto gegen Hitler-Diktatur und Krieg 144 Seiten, 6,80 DM 302 Seiten, 12,–DM Karl-Heinz Jahnke: Entscheidungen – Jugend im Widerstand 1933-1945 Aurel Billstein: 252 Seiten, 13,80 DM Der eine fällt, die andern rücken nach Dokumente und Berichte aus dem Gertrud Meyer: Nacht über Hamburg Widerstand in Krefeld 1933-1945 366 Seiten, 17,– DM 400 Seiten, 18,– DM Willi Perk: Die Hölle im Moor 164 Seiten, 8,80 DM Faschismus und Widerstand 1933-1945 Gertrud Rast: Allein bist Du nicht Ein Literaturverzeichnis. 110 Seiten, 5,– DM Bearbeitet von Ursel Hochmuth 198 Seiten, 14,–DM 6 Frankfurt/Main 1 RIODERBERG-VERLAG Postfach 4129 Ingeborg Küster – damals 25 Jahre Charlotte Gross 1948

Ruth Gleissberg damals

Lucie Suhling 1973

Henry und Lina Knappe mit Töchterchen Marlis 1948

Elly Jllmer-Reuter damals

Hanne Mertens 1943, Schauspielerin am Thalia-Theater Hamburg

Gesamtkomplex der Haftanstalten Hamburg-Fuhlsbüttel, x das ehemalige Konzentrationslager Fuhlsbüttel, genannt KOLAFU, war später Gestapo-Frauenhaftanstalt. (Erstveröffentlichung mit Genehmigung des Staatsarchivs Hamburg) France et son mari Frédo Sérazin, assassine par la milice, à Saint-Etienne, en 1944

France am 10. Februar 1943 – zwei Tage vor ihrer Hinrichtung (Geschenk von Frau Sommer, bisher unveröffentlicht)

Der Todesbunker des Konzentrationslagers Neuengamme

Freunde aus Widerstandskampf und Haft der «Bästlein-Jacob-Abshagen»-Organisation. Im Hintergrund: Hertha Reinecke und Max Heyckendorf. Davor von links: Lina Knappe, Anni Krümmel-Hirth, Aenne Bohne-Lucko, Gertrud Meyer, Anni Kreuzer-Wadle und Hein Wadle – Zusammenkunft 1972.