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Ueli im Hoch Über , Mönch und an einem Tag: Profi-BergsteigerUELI STECK schafft diese weite und Glücksgefühl ausgesetzte Gratkletterei in 16 Stunden und 10 Minuten. steht einsam und alleine Alleine, ungesichert und ohne Bergbahn. auf der Jungfrau (4158 m). Im ge- waltigen Hoch­ gebirge wirkt ein Mensch wie ein Zwerg am Berg. Nach Eiger und Mönch ist dies sein dritter Gipfel an diesem Tag.

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 49 Fast oben Solo-Kletterer Balance-Akt Auf dem Ueli Steck auf den letz- schmalen Ostegggrat ten Metern zum Eiger- hinauf zum Eiger. Gegen Gipfel (3970 m). 30 Alpi- Norden geht der Blick nisten hat er auf dem 2000 Meter hinab nach Mittellegigrat überholt. .

Ueli rennt nicht. Aber er ist zügig im

Trittsicher Ueli Steck ­ bewegt sich ungesichert «Steck-Schritt» und furchtlos, als wäre er im Tal auf dem Trottoir. unterwegs Im Hintergrund: das Grosse Fiescherhorn (4049 m).

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 51 Nebel zieht auf Ueli Steck eilt über den anspruchsvollen Ost- grat auf die Jungfrau. Die Schneewechten sind tückisch.

Am Abend sind die Füsse von Steck aufgequollen, weil seine Spezialschuhe nicht ganz dicht sind

Start Steck beginnt seine Achtung Nichts hält Zwischenhalt Corinne, die Mittel- monströse Solo-Tour um ihn ab – auch nicht legi-Hüttenwartin, bereitet Lasagne 3.04 Uhr. Vom Bahnhof das Stopp-Schild auf für das Znacht vor, als Steck Grindelwald läuft er los. dem . um 7 Uhr in der Früh vorbeikommt.

52 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 53 Schnee und ewiges Eis im Hochsommer

Kräftezehrend Auf dem Nordostgrat am Mönch liegt hoher Schnee, von der Sonne aufgeweicht und schwer. Ueli Steck sinkt bei jedem Schritt ein.

54 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 9 Uhr 9.50 Uhr 11 Uhr 7.45 Uhr 10.25 Uhr 13.30 Uhr 5 Uhr 14.35 Uhr 16.15 Uhr TEXT NATASCHA KNECHT 6.15 Uhr In der Schlüsselstelle! beginnt, eine Seilschaft nach der 17.45 Uhr FOTOS ROBERT BÖSCH Die schwierigste Passage dieser anderen zu überholen. Er rennt Route ist ein vertikaler, 45 Meter nicht. Aber er ist zügig unter- s ist 2.30 Uhr: Bei hoher Aufschwung auf dem Grat. wegs – im «Steck-Schritt» halt. Ueli Steck, 39, geht Steck klettert alleine und ohne Die Route kennt er gut, das letzte alles schnell, selbst Seilsicherung. Fehler darf er sich Spezial­ Mal kletterte er sie vor einer Wo- am frühen Morgen. keinen erlauben, unter ihm gäh- anfertigung che – zusammen mit dem Nepa- Vor zehn Minuten nen mehrere hundert Meter Luft. Stecks Schuhe lesen Tenji Sherpa, mit dem er sind eine Art ist der Profi-Alpinist daheim in 7.05 Uhr Ankunft bei der Mit- 2012 auf dem stand. steigeisenfester ERinggenberg BE aus dem Bett tellegihütte (3355 m). Hier ist 9 Uhr Eiger! 3970 Meter! Nur Laufschuh mit ­gestiegen, jetzt sitzt er bereits im man es sich nicht gewohnt, dass eingenähten eine Seilschaft hat es vor ihm auf Auto. Er hat sich eine sehr weite Kletterer schon so früh vom Ost­ Gamaschen. den Gipfel geschafft. Sie gratulie- Tour vorgenommen: Von Grin- egggrat kommen. «Du bist fit!», ren sich gegenseitig. Dann macht delwald BE will er im Allein- sagt Corinne, die Hüttenwartin. sich Steck sofort auf den Abstieg gang zu Fuss über Eiger, Mönch, «Schauen wir dann am Abend», Richtung Mönch. 15 Meter muss Bergsteiger- Jungfrau – und am Ende hinab entgegnet Steck lachend. Sein er abseilen, dazu hat er ein 30 Me- Marathon Mit Ueli Steck an nach Stechelberg BE. Normaler- ­Gesicht ist leicht gerötet wegen ter langes und 4 Millimeter dickes einem Tag über weise bedeutet jeder dieser Gip- der Anstrengung, aber vor allem Seil dabei. Helm trägt er keinen. Eiger, Mönch fel eine Tagestour. Steck rechnet wegen des kalten Windes auf 9.50 Uhr Steck klettert über und Jungfrau. mit «etwa 17 Stunden» für alle dem Grat. Geschwitzt hat er die letzten Türme der Eigerjöcher drei am Stück: von Tal zu Tal, kaum. ­Eilig isst er eine Banane, und erreicht den Grat, der von ohne die Bergbahnen zu benut- die er ­selber hochgetragen hat. der Nordostseite auf den Mönch Attraktion Die Bergsteiger zen. Wir schreiben den 3. August Er kauft 1,5 Liter Mineralwasser führt. Trotz Hochsommer liegt in der Rottal- 2016. und Rivella, füllt es aus den PET- hier hoher Schnee, von der Son- hütte (2755 m) 3.04 Uhr Noch herrscht dunkle Flaschen in seine Trinkschläuche ne aufgeweicht und schwer. Steck freuen sich, Nacht über Grindelwald (1031 m). im Rucksack. Nach 15 Minuten sinkt bei jedem Schritt ein, was an dass «promi- Alles ist still und schläft. Nur Pause geht er weiter. den Kräften zehrt. Plötzlich zie- nenter Besuch» vorbeischaut. beim Bahnhof regt sich etwas: 7.45 Uhr Die Grat-Kletterei auf hen Schleierwolken auf und hül- ­Ueli Steck läuft los – über den den Eiger ist unheimlich aus­ len den Berg ein. Wanderweg hinauf nach Alpig- gesetzt: Gegen Norden fallen die 10.25 Uhr Mönch! 4107 Meter! len und zur Ostegg. Mit seinen en- Felsen senkrecht nach Grindel- Steck steht einsam und alleine auf gen, schwarzen Hosen und dem wald ab, gegen Süden auf den dem Gipfel – und in den Wolken. Mini-Rucksack sieht er eher aus ­Ischmeer-Gletscher mit seinen Durch den Wind lichten und ver- wie ein Trail-Runner als wie ein riesigen, hungrigen Spalten. Steck dichten sich die Schleier im Se- Alpinist. bewegt sich furchtlos, als wäre kundentakt. Lange bleibt Steck 5 Uhr Erst seit zwei Stunden er im Tal auf dem Trottoir. Für nicht stehen, etwa drei Minuten, unterwegs, aber schon 1700 Hö- viele Alpinisten ist der Mittellegi- dann rennt er über den Westgrat hen­meter in den Beinen, erreicht grat das höchste der Gefühle, für hinab aufs Jungfraujoch (3454 m). Steck den Ostegggrat. Hier be- Steck ist es «Routinegelände». 11 Uhr Ankunft auf dem Joch, ginnt die hochalpine Felskletterei Die Schwierigkeiten liegen weit dem touristischen Hotspot im hinauf zum Mittellegigrat und auf unter seinem Niveau, zudem hat Berner Oberland. Es hat wahn- den Eiger-Gipfel. es Fixseile. Er klettert seit 28 Jah- sinnig viele Besucher, darunter 6.05 Uhr Steck überholt die ren in den anspruchsvollsten auch einige Bergsteiger, die er erste Seilschaft an diesem Tag: Wänden dieser Welt. kennt und mit denen er einen zwei Bergsteiger, die in der 8.15 Uhr 33 weitere Alpinisten Schwatz hält. Steck macht an Ostegghütte auf 2317 Metern über- befinden sich auf der Route, sie der Stehbar eine Pause, isst ein nachtet haben und von dort ge- ­alle sind am Morgen von der Sandwich, einen Riegel und ein startet sind. ­Mittellegihütte gestartet. Steck paar Macadamia-Nüsse. Wie- u

56 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE Verirrt Beim Ab- Schlussspurt stieg von der Jung- Die letzten frau landet Steck 1850 Höhen­ auf dem Rotbrätt- meter hinab grat statt auf dem nach Stechel- Rottalgrat. Er muss berg joggt Seine ist wieder 200 Höhen­ Steck über den Fitness meter hoch­klettern. Wanderweg. phänomenal, und er weiss, wie er seine Kräfte einteilen muss

u der füllt er seine Trinkschläu- Schleierwolken, die Sicht wird in seine Kräfte einteilen muss. Vor che mit Wasser und Rivella auf. der Höhe zunehmend schlechter. zehn Tagen absolvierte er den Er fühle sich gut, sagt er, spüre Steck steigt dennoch zügig und ­Eiger Ultra Trail: 101 Kilometer aber «schon langsam die Beine». zielstrebig dem Gipfel entgegen. und 6700 Höhenmeter in 14 Stun- Fans wollen mit ihm ein Selfie Er kennt den Weg. Vor zwei Wo- den und 35 Minuten. machen. Asiatische Gäste fragen chen erkundete er diese Route mit 17.45 Uhr Ankunft bei der un- interessiert, wer das sei. «Der bes- seiner Ehefrau Nicole. bewarteten Rottalhütte (2755 m). te Bergsteiger der Welt», erklärt 14.35 Uhr Jungfrau! 4158 Meter! Gegen 20 Bergsteiger sind da. Sie ein Grindelwalder. Wieder steht Steck einsam und al- wollen am nächsten Tag von hier 11.45 Uhr Auf der Aussichts- leine auf dem Gipfel – und in den auf die Jungfrau. Dass unerwartet plattform steigt Steck über die Wolken. Er weiss, wenn alles nach «prominenter Besuch» eintrifft, Abschrankung, eilt vom Joch über Plan läuft, geht es von hier nur freut sie sichtlich. Unter ihnen den Gletscher hinüber zum Ost- noch bergab. Und wie! 3250 Höhen- auch einige Bergführer. Etwa Go- grat der Jungfrau. Eine junge meter bis nach Stechelberg – über di Just. «Mit ihm habe ich früher Schweizerin stellt bewundernd den langen, felsigen Rottalgrat auf als Zimmermann gearbeitet», sagt fest: «Läck, dä isch huere schnäll.» der Westseite der Jungfrau. Doch Steck ebenfalls erfreut. Alle möch- 12.15 Uhr Um auf den Grat zu der Nebel ist jetzt so dick, dass ten ein Wort mit ihm wechseln gelangen, muss er am Fuss der Steck die Orientierung verliert. oder ein Foto mit ihm machen. Ein Jetzt Pizza! Jungfrau den Bergschrund über- Statt zum Rottalgrat geht er zum Bergsteiger aus Deutschland ist Nach 16 Stunden winden – die riesige Lücke zwi- Rotbrättgrat, der für das Abklet- ganz aus dem Häuschen, dass Ue- und 10 Minuten ist Steck am Ziel schen dem Gletscher und dem tern heikel wäre. Bis Steck merkt, li Steck wahrhaftig vor ihm steht. in ­Stechelberg: Fels. Bis zu dieser Stelle sehen ihn dass er «lätz» ist, dauert es eine 18.15 Uhr Fertig Pause! Bis ins «Äs het gfägt.» die Leute auf dem Joch gut und Weile. Er kramt das Mobiltelefon Tal warten noch 1850 Höhen­ deutlich. Dann verschwindet er aus dem Rucksack und versucht, meter über den Wanderweg. Steck von der Bildfläche. Nach fünf Mi- auf der Karten-App seinen Stand- joggt los. nuten ist er immer noch nicht zu ort abzurufen. GPS und Funkgerät 19.15 Uhr Ziel erreicht! Steck sehen, nach zehn Minuten auch für den Notfall hat er nicht dabei – kommt im Dorf Stechelberg an: nicht. Wo ist Steck? Hat er Pro­ um Gewicht zu sparen. 16 Stunden und 10 Minuten nach- bleme? Ist er gar in den Schrund 15.25 Uhr Steck kehrt um. Ihm dem er in Grindelwald gestartet gefallen? Nach weiteren zehn Mi- bleibt nichts anderes übrig, als ist. Dazwischen liegen Eiger, nuten dann endlich die allgemei- wieder hinauf Richtung Jung- Mönch und Jungfrau. 28,43 Kilo- ne Erleichterung: Steck taucht frau-Gipfel zu klettern, um auf meter und 4785 Höhenmeter. «Äs wieder auf. Er ist durch eine den Rottalgrat zu gelangen. Die het gfägt», schwärmt er. Als Ers- Schneerinne geklettert, die aus der 200 Extra-Höhenmeter scheinen tes zieht er die Schuhe aus, die Ferne selbst mit dem Feldstecher ihm nichts auszumachen: Er Füsse sind aufgequollen, weil sei- kaum zu erkennen ist. Diese Pas- flucht nicht, nimmt es easy. Die ne Spezialschuhe nicht ganz dicht sage erlebt­ er als die anstrengends- Sonne drückt jetzt durch den Ne- sind und innen nass wurden. te der ganzen Tour: Der Schnee ist bel, die Sicht ist wieder perfekt. Steck wirkt immer noch munter, jetzt, um die Mittagszeit, stark auf- 16.15 Uhr Steck findet den Rot- und obwohl er über den ganzen geweicht und nicht trittfest. talgrat nun problemlos. Flott klet- Tag verteilt nur 1 Banane, 2 Sand- 13.30 Uhr Der Ostgrat der tert er abwärts. Obschon bereits wiches, 3 Riegel, 2 Energiegels Jungfrau ist sehr schmal und ex- seit über 13 Stunden unterwegs, und 3 Macadamia-Nüsse geges- poniert, mal felsig, mal von lässt sein Tempo nicht nach. Sei- sen hat, halte sich der Hunger in Schnee, Eis und tückischen Wech- ne Fitness ist phänomenal, und Grenzen. «Aber eine Pizza glusch- ten dominiert. Wieder bilden sich als Profisportler weiss er, wie er tet mich.» 

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