Rotfuchs / Mai 2016
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19. Jahrgang, Nr. 220 Mai 2016 OT UCHS RTribüne für KommunistenF und Sozialisten in Deutschland Adieu, Genossen! er französische Schriftsteller und Publi- und Gründern der DDR. Er hat ihre erste Dzist André Wurmser, der für die damals Verfassung maßgeblich mit formuliert. Jahr- kommunistische „Humanité“ viele Jahre zehntelang gehörte er dem Weltfriedensrat eine stets mit Spannung erwartete tägli- an. 1980 wurde er am Pergolenweg in der che Kolumne unter der Überschrift „Mais ...“ Gedenkstätte der Sozialisten beigesetzt. („Aber ...“) verfaßte, „überlebte“ seinen phy- Zu mir selbst nur soviel: An dem Tag, an dem sischen Tod – zumindest journalistisch – um die DDR entstand, war ich FDJ-Sekretär des 24 Stunden. In jener Ausgabe der lieben alten traditionsreichen Berlinischen Gymnasi- „Huma“, die sein Ableben vermeldete, bat er ums zum Grauen Kloster, das Schinkel und Inhalt noch einmal ums Wort. „Un dernier mais ...“ Bismarck besucht hatten. Es galt damals als („Ein letztes Aber ...) stand über dem Text, die reaktionärste Schule im Osten der Stadt. Seite der viele bewegte. Es war gewissermaßen Stadtschulrat Ernst Wildangel hatte mich dort Brücken bauen für den Frieden! 3 ein Nachruf des Autors auf sich selbst. hingeschickt. Auf dem Schulhof hielt ich vor Erika Schirmer und die Friedenstaube 4 Der überzeugte Materialist Wurmser, der einem verblüfften und überwiegend feind- Ein General, der vom Krieg schwadronierte 5 natürlich um die Endlichkeit menschlichen seligen Zuhörerkreis die Festansprache zur Mietwucher aus Prinzip 6 Daseins wußte, verabschiedete sich auf bei- Staatsgründung. nahe surrealistische Weise von seinen Genos- Nach dem Studium war ich zunächst Staats- Herluf Bidstrup: Neulich im „Jobcenter“ 7 sen. Er bat sie überdies, auf Sträuße und anwalt und Bürgermeister, dann Journalist Über 20 Jahre Rentenunrecht sind genug! 8 Kränze zu verzichten und das Geld statt des- beim Fernsehen der DDR, Mitarbeiter des Gedanken eines katholischen Weggefährten 9 sen seiner in jenen Tagen tapfer kämpfenden Außenministeriums und schließlich fast Die „Greif“ geht noch lange nicht in Rente 10 Partei – der FKP – zu spenden. 25 Jahre Redakteur und Auslandskorre- BStU verschlingt 100 Millionen € jährlich Für Wurmser hatte sich der Kreis des Lebens, spondent des ND, das damals in einer Millio- für nichts 11 mit dessen Bilanz er durchaus zufrieden sein nenauflage erschien. In der Zeitung, die seit konnte, geschlossen. Sein literarisches Erbe Walter Ulbrichts Ausscheiden zwar oft höl- BRD-Flüchtlings„hilfe“ statt DDR-Solidarität 12 ist beachtlich. Ein mit der Feder bewaffne- zern, sperrig und blutarm daherkam, aber bis Protest gegen Geschichtsfälschungen 13 ter Klassenkämpfer, blieb er buchstäblich 1989 immerhin auf Klassenpositionen stand, Beate Klarsfelds historische Tat 14 bis zum letzten Atemzug der revolutionären habe ich etwa zweieinhalbtausend Artikel Zum 145. Todestag von Wilhelm Weitling 15 Sache des Proletariats verbunden. veröffentlicht, von unzähligen Beiträgen in ■ Ohne mich mit dem bedeutenden Franzosen „horizont“, „Weltbühne“ und anderen Publika- Volksentscheide zur Enteignung von Nazi-Ver- auf eine Stufe erheben zu wollen, habe auch tionen ganz abgesehen. Das damals kommu- brechern in Hessen und Sachsen RF-Extra I ich das Verlangen, Euch Lebewohl zu sagen. nistische Blatt entsandte mich als Reporter ■ Hätte die UdSSR ohne Rüstungswettlauf Ich bin, wie man so sagt, mit mir im Reinen. an viele Brennpunkte des internationalen überleben können? RF-Extra III Dazu gehört auch privates, persönliches Glück, Geschehens. Monatelang verfolgte ich als Die Lüge vom Abzug der ISAF-Truppen 17 das ich erfahren habe. Berichterstatter – zugleich auch als Vertre- Mazedonien: Historisches und Aktuelles 18 Seit 1948 stand ich in den Reihen der deut- ter einer weltweiten Solidaritätsbewegung schen kommunistischen Bewegung. Ich bin – im kalifornischen Gerichtssaal den Pro- Syrien liegt „im Herzen der Gasreserven der SED an meinem 16. Geburtstag – dem zeß gegen die auf Leben und Tod angeklagte des Planeten“ 19 28. Dezember jenes Jahres – als FDJler in marxistische Philosophiedozentin Angela Lateinamerika bald wieder US-Hinterhof? 20 Westberlin beigetreten. Davis. Damals besuchte ich auch junge India- Iran nach den Wahlen 21 Die andere entscheidende Koordinate mei- ner in ihren Wigwams und Rundhäusern am Der ungesühnte Massenmord von Odessa 22 nes Lebens will ich besonders hervorheben: Pit River in der Sierra Nevada. Es gab gute Almos Csongár: Das ungarische Dilemma 22 Über 40 Jahre – von der ersten bis zur letz- Gründe, ihren Mut zu bewundern. Ich genoß ten Minute ihres Bestehens, wobei dieses für die Gastfreundschaft japanischer Fischer, Ohne Geld ist die ganze „Freiheit“ nichts wert 23 mich am 18. März 1990 sein Ende fand – war stand auf einem Friedhof bei Tokio am Grab Der „Dichter“ ist schon unterwegs 24 ich Bürger der Deutschen Demokratischen des Kundschafters Richard Sorge. Schon 1964 Rudi Kurz: Hamlet im Mai 25 Republik, des besten Staates in der Geschichte hatte ich – unmittelbar nach dem durch USA- unseres Volkes. Diese beiden Klammern Kriegsschiffe provozierten „Zwischenfall im Gisela Steineckert: Hand aufs Herz 27 haben alles zusammengehalten. Golf von Tonking“ – die Helden Vietnams ken- RF-VeranstaltungenChrista Kożik: Ein Mädchen im Mai /aus Juni Randberlin 2826 Zu besonderem Dank fühle ich mich meinem nengelernt. Später begleitete ich fünf Jahre Vater verpflichtet, der mir auch als mein Leh- lang Portugals Kommunisten durch Revolu- Leserbriefe 29 rer an der Juristischen Fakultät der Humboldt- tion und Konterrevolution. Grafik des Monats 32 Universität in so mancher Hinsicht den Weg Vielen Großen der Volks- und Arbeiterbewe- gewiesen hat. Er war ein treuer Kommunist. gung bin ich persönlich begegnet: so Brasi- Beilage Als Mitglied des Deutschen Volksrates und liens legendärem Luis Carlos Prestes und Andrew Thorndike: Abgeordneter der Provisorischen Volkskam- Nur was der Arbeiterklasse nutzt mer zählte er 1948/49 zu den Bahnbrechern Fortsetzung auf Seite 2 Seite 2 RotFuchs / Mai 2016 Chiles begeisternder Gladys Marin; den Gene- Kommunist – und seine deutsche Frau Chri- anders sein als bisher, bringt doch jeder an ralsekretären der meisten kommunistischen stine boten uns ein vorzügliches Abendessen ihm Arbeitende seine eigene Handschrift, sei- Parteien Lateinamerikas; dem in der Haft an. Vor allem aber: Longuet erzählte aus sei- nen persönlichen Stil, seine Art des Herange- erblindeten Nationalen Vorsitzenden der KP nem bewegten Leben, so auch davon, daß bei hens und das Maß seiner Kenntnisse ein. Das der USA Henry Winston, einem besonders lie- seinem Vater Jean – dem außenpolitischen galt für mich ebenso wie es für meine Nachfol- benswerten Menschen; Portugals genialem Redakteur der „Huma“ und Marxens Lieb- ger gilt. Ich habe versucht, das Beste zu geben, Álvaro Cunhal wie auch dem roten General lingsenkel Jonny – Lenin als Freund des Hau- und sie werden von dem gleichen Gedanken und zeitweiligen Lissabonner Regierungs- ses aus- und eingegangen sei. beseelt sein. Fortan sind ihre Erfahrungen und chef, meinem Freund Vasco Goncalves. Unver- Die Kette solcher Erinnerungen ließe sich Fähigkeiten allein bestimmend. geßlich blieb mir ein Gespräch zwischen dem wohl noch eine Weile fortsetzen. Doch ich will Zögert keinen Augenblick, auch in Zukunft Generalsekretär der KP Griechenlands, Hari- niemanden damit langweilen, sondern statt Eure ganze Kraft dafür einzusetzen, Kommu- laos Florakis, und Volkskammerpräsident dessen selbst Bilanz ziehen. Meine Kinder, nisten, Sozialisten und andere Weggefährten Horst Sindermann, dem ich in Athen beiwoh- Enkel und Urenkel in Deutschland, Schweden mit oder ohne Parteibuch beharrlich, geduldig nen durfte. und Brasilien müssen die Flamme des Lebens und zielklar im Sinne von Marx, Engels und Besonderen Wert legte ich immer auf den Kon- weitertragen. Lenin zu sammeln! takt mit der Basis der eigenen Partei – den Was ist die Quintessenz – außer Erfüllung im Wie einst für André Wurmser hat sich nun sogenannten einfachen Genossen – und vie- Privaten – für einen Menschen, der aus „unse- auch für mich der Kreis geschlossen. Ein win- len Menschen ohne SED-Parteibuch. Unzäh- rem Holz geschnitzt“ wurde? Meine charak- ziges Detail führte mir das schon früher vor lige Male habe ich vom Fleck weg die Fragen terlichen und politischen Prioritäten setze ich Augen: Bis zu meinem 5. Lebensjahr blickte interessierter Bürger zu außenpolitischen so: Prinzipienfestigkeit, die sich im Leben und ich in Charlottenburgs Knesebeckstraße aus und internationalen Themen beantwortet, Sterben bewährt; Unveräußerlichkeit einmal unserem Küchenfenster auf einen engen Post- von denen ich etwas zu verstehen glaubte. gewonnener Überzeugungen, Erkenntnisse, hof. Jeden Morgen wurden dort in langer Reihe Allein im vogtländischen Plauen war ich 20 Einsichten und Haltungen; Berechenbarkeit die damals gerade eingeführten und alle Welt Jahre hintereinander auf „Propagandisti- für jedermann; unbedingte Verläßlichkeit; frappierenden gelben Seitenwagen-Maschinen schen Großveranstaltungen“ mit jeweils bis Fleiß; Mut im Umgang mit dem Klassenfeind, der Eilzusteller betankt. Das war ein aufre- zu 1 000 Zuhörern zu Gast, die angesichts des was nicht mehr heißt als Verdrängung der gendes Ereignis meiner frühen Kindheit. Im oft kargen Informationsflusses jener Jahre auf eigenen Angst; Kameradschaftlichkeit und letzten Abschnitt meines Lebens stand mir zusätzliche Auskünfte warteten. Im benach- Solidarität gegenüber Freunden; profunder Tag für Tag ein ähnliches