Jahresbericht 2014 Sächsischer Landtag · 5. Legislaturperiode Vorbemerkungen zum Sprachgebrauch

Im Jahresbericht 2014 werden die Begriffe Menschen mit Migrationshintergrund, Migranten, Zuwanderer und Ausländer verwendet.

Der Begriff »Migrationshintergrund« wurde erstmals im Mikrozensus1 des Statistischen Bundes­ amtes im Jahr 2005 benutzt und bezieht sich auf den gesamten Integrationsprozess, der meh­ rere Generationen umfassen kann. Damit sind nicht länger nur Aussagen über Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit möglich. Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen alle, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind, alle in Deutschland geborenen Ausländer/-innen und alle in Deutschland mit deutscher Staatsan­ gehörigkeit Geborene mit zumindest einem zugezogenen oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.

»Migranten« sind Personen mit Migrationshintergrund, die selbst zugewandert sind.

Der Begriff »Zuwanderer« wird synonym zum Begriff »Migrant« verwendet, betont aber stärker, dass die Zuwanderung gerade erfolgt ist oder zukünftig erfolgen wird.

Der Begriff »Ausländer« wird vor allem in rechtlicher und statistischer Hinsicht verwendet und bezieht sich auf die Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Der Jahresbericht 2014 kann überwiegend nur etwas zu Ausländern aussagen, weil das Statis­ tische Landesamt des Freistaates Sachsen außer für den Bereich der Schulbildung noch nicht über Zahlen zu allen Personen mit Migrationshintergrund verfügt.

Soweit in diesem Bericht die männliche Form gebraucht wird, werden Männer und Frauen in gleicher Weise angesprochen.

Bei den Themen Asyl und Flucht werden in anderen Veröffentlichungen unterschiedliche Be­ griffe (zum Beispiel Asylsuchende, Asylbegehrende, Asylbewerber, Personen mit Asylstatus, Flüchtlinge) verwendet. Erläuterungen dazu gibt das Glossar im Anhang.

1 Statistisches Bundesamt: Migration & Integration Methodische Erläuterungen www.destatis.de. Vorwort von Geert Mackenroth, Sächsischer Ausländerbeauftragter, 6. Legislaturperiode des Sächsischen Landtags

Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete im Sächsischen Landtag, verehrte Leserinnen und Leser,

Asyl und Zuwanderung haben das politische Jahr 2014 thematisch geprägt – auch und gerade in Sachsen. Im Frühjahr 2014 nahm das Interesse an der Arbeit des Sächsischen Ausländerbeauftragten durch die Veröffentli­ chung der Ergebnisse des aktualisierten »Heim-TÜV« zu. Das Thema Unterbringung erhielt neue und steigende Aufmerksamkeit, als Vorwürfe gegen Wachdienste in Gemein­ schaftsunterkünften in Nordrhein-Westfalen bekannt wurden. Gegen Ende des Jahres schließlich berührten die Themen Zuwande­ rung, Fremdenskepsis, Migration und Integ­ ration einen Großteil der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen. Es ist gut, dass Kandida­ ten oder Parteien – unrühmliche Ausnah­ men bestätigen die Regel – diese Themen in den Wahlkämpfen des vergangenen Jahres nicht missbraucht haben, um sich auf dem verbunden. In den Hintergrund rückten – Rücken der Schutzbedürftigen zu profilieren. auch durch die thematische Verengung sei­ Dennoch dominierten und dominieren die tens der vielen »*gidas« – die anderen Berei­ genannten Themen die politischen und pri­ che der Migration in unserer Gesellschaft. vaten Diskussionen, wurden und werden am Diese sind aber die Arbeitsfelder, auf denen Wohnort, am Arbeitsplatz und auf der politi­ wir Sachsens Zukunft bauen. Sie verlangen schen Bühne erfahrbar. Sie forderten unsere von Politik und Verwaltung Lösungsvor­ Gesellschaft im vergangenen Jahr und sie schläge und ein beherztes Eingreifen. Dazu werden es weiter tun. gehören das spürbare Willkommen in Sach­ Die Zahl der Menschen, die in unserem sen für Zuwanderer, Gäste und Studierende Land Schutz und Hilfe suchen, stieg 2014 sowie die Anpassungen im Bereich der deutlich an. Damit waren und sind erhöhte (Sprach-)Ausbildung und der Anerkennung Anstrengungen von Staat und Gesellschaft von Berufsabschlüssen sowie die weltweite

www.offenes­sachsen.de 3 Werbung für einen aufgeschlossenen Frei­ zu lernen. Dort wird die Arbeit geleistet, die staat. bei den Migranten, aber auch beim Bürger Die Abgeordneten des Sächsischen Land­ unmittelbar ankommt. In den vielen Gesprä­ tags haben mich im Dezember 2014 zum chen und den zahlreichen Ortsterminen seit Sächsischen Ausländerbeauftragten gewählt. Dezember ist mir immer wieder viel Un­ Ich sehe mich in dieser Funktion als vom kenntnis von Fakten und Zusammenhängen Parlament beauftragter Anwalt, als Ombuds­ begegnet. Aus dieser Unkenntnis resultieren mann in unserer Gesellschaft für alle dieje­ oft Ängste und Vorurteile, gelegentlich sogar nigen, die aus dem Ausland zu uns kommen. eine aggressive Grundstimmung. Das alles Dabei gilt mein Augenmerk einer sachlichen nehme ich sehr ernst – Faktenwissen und und pragmatischen Debatte gleichermaßen. ruhige Aufklärung sind die Mittel der Wahl, Rechtsstaatlichkeit und Einzelfallgerechtig­ um zu einem sachlichen, abgewogenen keit sind für mich in gleicher Weise verbind­ Urteil zu kommen. Daran müssen wir ar­ lich. Ich nehme auch die Exekutive in die beiten. Ich erfuhr aber auch sehr viel Hilfs­ Pflicht, die Verhältnisse mit gesetzlichen Än­ bereitschaft, Verständnis und den Willen derungen und darüber hinaus mit Förderun­ zur aktiven Gestaltung der Situation. Das gen und Aufklärung aktiv zu gestalten. macht Mut. Schon der Beginn der neuen Legislatur­ Migration und Integration sind mehr als periode im Herbst 2014 brachte eine Vielzahl regionale und zeitlich begrenzte Aufgaben. an Veränderungen und Beschlüssen, die Flucht und Vertreibung, Demografie und sich in der Arbeit der Landes- wie der Kom­ Arbeitswelt, Menschlichkeit und Ordnungs­ munalverwaltungen niederschlugen. Diese wille sind Themen, die Gesellschaft und Veränderungen und Vorhaben müssen sich Politik dauerhaft fordern werden. Wir würden einspielen und bewähren. Greifen Sie nicht, unseren Gestaltungsauftrag vernachlässigen muss nachgebessert werden. Darauf werde und handelten verantwortungslos, wenn wir ich von Amts wegen und mit Beharrlichkeit die Augen vor Fakten verschlössen und das achten und mich – wo nötig – entschlossen Handeln Amtsträgern, Nachbarn oder gar einmischen. kommenden Generationen überließen. Eingemischt hat sich auch mein Vorgän­ Ein Jahresbericht an das Sächsische ger im Amt, Martin Gillo, dem ich an dieser Parlament am Ende der vergangenen und Stelle herzlich für sein Engagement in der am Beginn einer neuen Legislaturperiode vergangenen Legislaturperiode danke. Seine dokumentiert, resümiert und eröffnet Amtszeit wird mit den Themen Anerkennung Perspektiven. Diese drei Sichtweisen finden von Berufsabschlüssen, der Bündelung von Sie in dem Bericht, der vor Ihnen liegt. Wissen und Engagement in Netzwerken Gehen wir gemeinsam und beherzt die und vor allem dem sächsischen »Heim-TÜV« vor uns liegenden Aufgaben an. verbunden bleiben. Das ist vor allem sein Bericht: Er ist seine Bilanz, nicht nur in dem ausführlichen Namensartikel, der diesem Ihr Vorwort folgt. Auch die übrigen Kapitel be­ schreiben seine Arbeit und deren Ergebnisse. Ich werde diese Arbeit fortsetzen und selbst­ verständlich meine eigenen Akzente setzen. Für mich war es besonders am Anfang wichtig, die Perspektiven der Basis kennen Geert Mackenroth

4 Jahresbericht 2014 Gemeinsamer Ballonstart beim Einbürgerungsfest

1 Bilanz »Wer wird Deutschland?« von Martin Gillo ______9 1.1 Die Belange von Ausländern berücksichtigen: Systemische Lösungsansätze aus Sachsen______11 1.2 Die Einheimischen mitnehmen: Willkommensgesellschaft Sachsen______16 1.3 Die Einwanderungsgesellschaft von morgen mitgestalten: Für Einheit in Vielfalt_____ 23 1.4 Der Weg beginnt: Jetzt______33

2 Herausforderungen und Chancen______35 2.1 Anstieg der Anträge auf Asyl dominierte 2014 ______35 2.2 Politische Weichenstellungen ______43 2.3 K!D – Kommune im Dialog: Ein Projekt mit gutem Erfolg und vorläufigem Ende_ ____ 46 2.4 Neuregelungen im Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht ______48 2.5 Umbau der Ausländerbehörde tut ausländischen Klienten und Mitarbeitern gut _____ 52 2.6 Ehrenamt konkret – Engagiert vor Ort in Borna ______55 2.7 Als EU-Bürgerin in Sachsen ______58 2.8 Stipendium für engagierte Jugendliche ______61

3 Der »Heim-TÜV« in Sachsen bewegt______67 3.1 Der »Heim-TÜV«: Menschenwürde messbar machen______67 3.2 Veröffentlichung des »Heim-TÜV«-Berichtes: Positive Bilanz nach vier Jahren ______69 3.3 Herausforderungen bei der Flüchtlingsunterbringung in Sachsen______72

4 Zukunft gemeinsam gestalten ______75 4.1 Netzwerk Integration und Migration Sachsen______75 4.2 »Kursbuch Integration und Migration Sachsen – Initiativen zur Einigkeit in Vielfalt« ______80 4.3 Der Freistaat als Einwanderungsland!? – Warum (auch) Sachsen Zuwanderung braucht______84

5 Ausblick »Wie geht es weiter« von Geert Mackenroth ______91

6 Die Sächsische Härtefallkommission______95 6.1 Bilanz 2014 ______95 6.2 Zehn Jahre Härtefallkommission______96 6.3 Öffentlichkeitsarbeit der Härtefallkommission – mehrsprachig und detailliert______98

7 Veranstaltungen und Initiativen ______101 7.1 Interkulturelle Woche Sachsen ______103 7.2 Einbürgerung – »Sachsen als Herzensheimat«______106 7.3 Tag der offenen Tür______110 7.4 Beteiligung an ausgewählten Veranstaltungen 2014______112

8 Anhang______115

www.offenes-sachsen.de 7

1. Bilanz »Wer wird Deutschland?« von Martin Gillo, Sächsischer Ausländerbeauftragter, 5. Legislaturperiode des Sächsischen Landtags

Schritt für Schritt und Jahr für Jahr wird Flüchtlingen, die nach Deutschland kom­ Deutschland immer mehr zu einem Land mit men, bis hin zu der Frage, wie wir unsere einer großen Vielfalt an Perspektiven, Religi­ Einwanderungsgesellschaft gestalten wollen. onen, Weltanschauungen und Kulturen. Stellen wir uns vor: Eine Flüchtlingsfami­ Kulturelle und religiöse Vielfalt gab es lie kommt nach Deutschland. schon immer, doch bis vor historisch kurzer Sie beantragt hier Asyl, kommt in der Zeit war eine Kultur meist auch einem ganz Erstaufnahmeeinrichtung unter und wartet. konkreten Land bzw. Staat zugeordnet. Die Nach drei Monaten Bearbeitungszeit sollte Grenze zwischen zwei Ländern war damit ihr Antrag eigentlich entschieden sein. Wird auch die Grenze zwischen zwei Kulturen. er akzeptiert, bekommt die Familie ein Auf­ Sie diente als Abgrenzung nach außen und enthaltsrecht. Wird er abgelehnt, steht die identitätsstiftend nach innen. Rückkehr in das Land bevor, dem die Flücht­ In der globalisierten und mobilen Welt linge entkommen wollten. So ist die Theorie. von heute ist das ganz anders. Auch in Die Praxis ist komplexer und vor allem Deutschland. Menschen mit unterschiedli­ langwieriger. Die Bearbeitungszeiten von chen Kulturen und Religionen, Lebensstilen Asylanträgen sind meist deutlich länger und und Familienmodellen treffen aufeinander können sich manchmal über Jahre hinzie­ und leben vor allem in den Städten unter ei­ hen. Ist die Entscheidung einmal gefallen nem Dach. Wie können wir in dieser wach­ und zwar negativ, hat unsere Beispielfamilie senden Vielfalt konstruktiv miteinander um­ das Recht, sie vom Verwaltungsgericht über­ gehen und miteinander leben und arbeiten? prüfen zu lassen. Auch das kann wiederum Meine Antwort heißt »Einheit in Vielfalt«. sehr lange dauern, und bei einer Ablehnung Die Basis dafür bildet unser Grundgesetz mit des Antrags hätte sie wiederum das Recht, seinem Bekenntnis zum Pluralismus der auch diese Entscheidung vor dem Oberver­ Werte, Religionen, Weltanschauungen und, waltungsgericht prüfen zu lassen. Erst dann ja, auch zum Pluralismus der Lebenspartner­ ist das Urteil rechtskräftig und endgültig, schaften. und erst dann stünde möglicherweise die So weit, so leicht. Die Herausforderung Rückführung in das Herkunftsland an. besteht darin, dieses Bekenntnis im konkre­ In dieser Zeit geht das Leben für die ten Alltag zu gestalten und umzusetzen – Flüchtlingsfamilie weiter. Die Kinder wach­ auch weil vielen das Bekenntnis zu einer sen, gehen zur Schule, freunden sich mit offenen Gesellschaft (noch) nicht so ange­ ihren Klassenkameraden an, werden Mitglie­ nehm ist. Und weil wir gerade in diesem der in Sportvereinen. Sie lernen Deutschland Bereich immer neue und angemessene Ant­ und unsere Gesellschaft kennen und – hof­ worten finden müssen – vom Umgang mit fentlich – lieben. Viele von ihnen haben www.offenes-sachsen.de 9 Der Ausländerbeauftragte wird im Freistaat Sachsen vom Landtag gewählt und ist selbst auch ein Angehöriger des Parlamentes. Dies bringt viel innere Freiheit mit sich. Denn das Gesetz, das sein Amt beschreibt, sagt nur, der Beauftragte solle sich um die im Freistaat lebenden Ausländer kümmern. Über die Ausgestaltung entscheidet er. Es gibt auch keine Stellenbeschreibung. Die entwickelt er selbst. Als ich 2009 ins Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten gewählt wurde, habe ich mir dieses Feld von einer neuen Perspek­ tive her erschlossen. Ich bin 1945 in Sachsen keine Erinnerung mehr an ihre ursprüngli­ geboren, in Niedersachsen aufgewachsen che Heimat. Andere sind hier geboren. Sie und habe ab 1969 lange Jahre als Ausländer sprechen besser Deutsch als die Sprache in anderen Ländern gelebt und gearbeitet. ihrer Mutter. Deutschland ist ihre wahre 1997 bin ich mit einem großen amerikani­ Heimat geworden. Angenommen, der Asyl­ schen Unternehmen nach Sachsen zurück­ antrag ihrer Eltern wird abgelehnt – sollen gekehrt. In meine »Heimat«, wie damals wir den Kindern nach diesen vielen Jahren meine amerikanischen Kollegen meinten. ihre neue Heimat nehmen? Ins Unbekannte – so fühlte es sich für mich Gerade beim Umgang mit Flüchtlingen an. Und manche deutschen Kollegen be­ geht es neben der Einhaltung von Gesetzen zeichnen mich noch heute als »Amerikaner«. immer auch um Menschlichkeit und Men­ Das »Ausländer sein« war mir also nicht schenwürde. Deshalb hat der Gesetzgeber fremd. Was aber tut man, wenn man sich für solche menschlich schwierigen Situatio­ um die Belange von Ausländern in Deutsch­ nen die Möglichkeit geschaffen, sich an eine land kümmern soll? Zunächst einmal muss Härtefallkommission zu wenden. Solche man akzeptieren, was ist. Die neuen Bun­ Kommissionen gibt es in allen Bundeslän­ desländer sind zumindest hinsichtlich der dern. Sie können in Fällen wie dem eben Vielfalt der Bevölkerung nicht mit den alten beschriebenen trotz negativer Asylentschei­ Bundesländern zu vergleichen. Sachsen dungen ein Bleiberecht aus humanitären zum Beispiel hat insgesamt einen Auslän­ Gründen erwirken – nach eingehender deranteil von etwa 2,5 Prozent. In den drei Auseinandersetzung und Abwägung. großen Städten Chemnitz, und Leip­ Willkommen in der Welt des Sächsischen zig liegt er etwas höher, zwischen vier und Ausländerbeauftragten. Abwägungen sol­ fünf Prozent. Dafür haben in den ländlichen cher Art gehören zu seinem Arbeitsalltag, Regionen die wenigsten Menschen Einwan­ denn er ist auch Vorsitzender der Sächsi­ derer in ihrem Bekanntenkreis – hier liegt schen Härtefallkommission. der Ausländeranteil meist bei einem Prozent.

10 Jahresbericht 2014 1.1 Die Belange von Ausländern berücksichtigen Systemische Lösungsansätze aus Sachsen

Die niedrigen Ausländerzahlen brachten 1.1.1 Menschenwürde für Gesprächspartner immer wieder zu der Flüchtlinge sichern Frage, was ich denn überhaupt mit meiner Zeit anfinge, wenn doch so wenig Ausländer Deutschland bekennt sich sowohl zum in Sachsen lebten. Gebe es da überhaupt Prinzip der Ordnungsstaatlichkeit als auch etwas zu tun? zu dem der Menschenwürde. Der Ausländer­ Kein Text ohne Kontext. Ich kann die beauftragte ist in seiner Arbeit Anwalt und Situation der Ausländer, Einwanderer, Fürsprecher für Menschenwürde unter Migranten – wie immer ich sie nennen mag – Beachtung der Ordnungsstaatlichkeit. nicht wirklich verstehen, wenn ich nicht Ein Ausländerbeauftragter kann Ent­ auch die Gesellschaft in den Blick nehme, scheidungen der Behörden von außen in der wir und sie gemeinsam leben. Aus betrachten und dazu beitragen, dass die dieser Perspektive heraus ergeben sich große Menschenwürde deutlich sichtbar wird. Aufgaben. In den vergangenen fünf Jahren Oft hilft der Dialog mit den Verantwortlichen als Sächsischer Ausländerbeauftragter habe vor Ort, um Auslegungsspielräume, die ich vor allem auf den folgenden Feldern das Ausländerrecht durchaus eröffnet, Lösungsansätze erarbeitet. im Interesse der Betroffenen zu nutzen. www.offenes-sachsen.de 11 Anwalt für Menschenwürde. Das gilt für die überprüft. Die Ergebnisse werden veröffent­ Arbeit des Ausländerbeauftragten in der licht. Unsere Erfahrung in Sachsen zeigt: Härtefallkommission und für viele andere Hinschauen lohnt sich.3 Die Lebensbedin­ Einzelfälle. Das gilt genau so für den tagtäg­ gungen für Flüchtlinge haben sich in Sach­ lichen Umgang mit Flüchtlingen. Wie sind sen verbessert. Auch bei steigenden Flücht­ sie untergebracht? Wie werden sie behandelt? lingszahlen möchten heute kein Landrat Wie sehen ihre Lebensbedingungen aus? Kön­ und kein Oberbürgermeister mehr für ein nen sie die deutsche Sprache erlernen? Ge­ »rotes« Heim verantwortlich sein. hen ihre Kinder auch tatsächlich zur Schule? Nach vier Jahren Praxis interessieren sich Kurz: Wie steht es um ihre Menschenwürde? erfreulicherweise auch andere Bundesländer In diesem Bereich gab es bis 2010 keine und Akteure aus dem Wohlfahrtsbereich klaren Regeln, die sicherstellten, dass Asyl­ für den »Heim-TÜV«. Das ist ermutigend suchende menschenwürdig untergebracht und wird den Prozess vorantreiben – auch und behandelt wurden. hinsichtlich einer stärkeren dezentralen Deshalb haben wir unseren »Heim-TÜV« Unterbringung von Flüchtlingen. Denn eine für Asylbewerberunterkünfte2 entwickelt, Heimunterbringung eignet sich in keinem mit dem man die menschenwürdige Unter­ Fall als Dauerlösung. Nach angemessener bringung nach klaren Kriterien überprüfen Zeit sollte ein Leben in Wohnungen ermög­ kann. Anhand eines Ampelsystems kann licht werden. Deshalb könnte es für Sachsen man so transparent und nachvollziehbar eine lohnende Zukunftsaufgabe sein, auch zeigen, inwieweit in den Unterkünften die Lebensbedingungen der nicht in Heimen, menschenwürdige Zustände vorherrschen. sondern dezentral in Wohnungen unterge­ Alle Asylbewerberheime in Sachsen werden brachten Flüchtlinge zu erfassen und, wenn ein- bzw. zweijährlich nach diesem System nötig, zu verbessern.

2 Ute Enderlein et al.: Mitmenschen im Schatten. 3 Ute Enderlein et al.: Hinschauen lohnt sich. »Heim-TÜV« 2011 über das Leben in sächsischen »Heim-TÜV« 2013 über das Leben in sächsischen Gemeinschaftsunterkünften. Der Sächsische Ausländer­ Gemeinschaftsunterkünften. Der Sächsische Ausländer­ beauftragte. Sächsischer Landtag. Dresden 2012. beauftragte. Sächsischer Landtag. Dresden 2014.

12 Jahresbericht 2014 1.1.2 Klugen Köpfen Türen öffnen und Reicht das? Nein! Denn sie kommen, wenn Sachsen zur zweiten Heimat werden sie ein attraktives Angebot erhalten. Aber lassen mittelfristig werden sie nur bleiben, wenn sie und ihre Familie sich bei uns willkom­ Über 90 Prozent aller Ausländer sind weder men und heimisch fühlen. Wir haben in Asylbewerber noch Geduldete. Sie leben und zwei Studien mit ausländischen Forschern4 arbeiten hier in Sachsen. Und es kommen und Fachkräften5 herausarbeiten können, immer neue hinzu – auch weil sich der Frei­ dass wir noch viel Raum nach oben haben, staat Sachsen für die erleichterte Zuwande­ was den freundlichen Behördenumgang mit rung von ausländischen Fachkräften stark ausländischen Fachkräften angeht. gemacht hat. »Klugen Köpfen Türen öffnen« – Bleibeabsichten und Integrationserfolge unter diesem Motto hat der Freistaat Sach­ hängen auch eng damit zusammen, ob Kin­ sen maßgeblich zu einer großzügigen der von Zuwanderern gute Bildungschancen Blue-Card-Regelung der Bundesregierung haben, die ihnen später auch ein Studium beigetragen. ermöglichen. Langsam verschwindet auch die Skepsis Dafür sollte Deutsch als Zweitsprache der Bevölkerung gegenüber den Menschen, auch an Gymnasien angeboten werden, die hier leben und arbeiten. Angesichts des was bisher oft noch nicht der Fall ist. In steigenden Fachkräftemangels besonders Sachsen ist der Zugang zu Gymnasien nach in den ländlichen Regionen setzt sich der vierten Klasse an Bildungsempfehlungen die Überzeugung durch: Nicht die Herkunft gebunden. Deutsch, Mathematik und zählt, sondern die Fähigkeiten und das 4 Engagement. Besonders deutlich ist das bei Malcolm Jackson: Das Leben ausländischer Forscher in Dresden. Eine explorative Studie mit Annotationen den Medizinern. Viele Kommunen in Sach­ zur aktuellen Situation in Sachsen. Der Sächsische Aus­ sen würden ohne ausländische Ärzte im länderbeauftragte. Sächsischer Landtag. Dresden 2012. medizinischen Notstand leben. Deshalb 5 Ute Enderlein et al.: Willkommensgesellschaft Sachsen: Was ausländische Fachkräfte sagen. In: Ute Enderlein werben wir aktiv um ausländische Fach­ et al.: Jahresbericht 2012. Der Sächsische Ausländerbeauf­ kräfte für Sachsen. tragte. Sächsischer Landtag. Dresden 2013, S. 71–96. www.offenes-sachsen.de 13 Sachunterricht müssen mit einem Schnitt wir Wege zur deutschen Sprache aufgezeigt, von 2,0 beurteilt sein, sonst läuft nichts. die man auch unabhängig von einem Zweisprachig aufwachsende Kinder sind im Sprachkurs gehen kann. Alter von zehn Jahren in der Regel allerdings Eine gemeinsame Sprache ist ein Zeichen noch nicht so weit wie ihre einsprachig auf­ der Zusammengehörigkeit. Darüber hinaus wachsenden Klassenkameraden. Deshalb bleibt die Ermutigung zum Erwerb der sollten Bildungsempfehlungen für zweispra­ deutschen Staatsangehörigkeit für mich chige Kinder auf alternativen Wegen gefun­ ein wichtiger Bestandteil der Arbeit eines den und ausgesprochen werden. Ausländer- oder Integrationsbeauftragten – Ein Teil dieses Gedankens findet sich in verbunden mit dem Bekenntnis zur doppel­ der Schulordnung für Grundschulen bereits ten Staatsbürgerschaft. wieder – unter bestimmten Voraussetzungen werden die im Herkunftsland erbrachten Leistungen berücksichtigt. Die Regelung 1.1.3 Integrative Kräfte bündeln geht allerdings an einem Großteil der Lebenswirklichkeiten vorbei, etwa wenn In einem Land mit einem Ausländeranteil die Geflüchteten keine Zeugnisse aus dem von 2,5 Prozent sind auch die Initiativen für Herkunftsland haben. die Vertretung der Interessen der Migrantin­ Der Zugang zur deutschen Sprache sollte nen und Migranten und für ein interkulturel­ generell erleichtert werden. Denn die Ermu­ les Zusammenleben deutlich kleiner und tigung zur Teilhabe und Integration in unse­ auch rarer gesät als in den alten re deutsche Gesellschaft beginnt mit dem Bundesländern. So gibt es zum Beispiel Erlernen unserer Sprache. Die Wege zu nur in vier sächsischen Städten Ausländer- passenden Sprachkursen sind noch immer bzw. Migrantenbeiräte. steinig – nicht nur für Asylsuchende. Mit Egal ob groß oder klein – trotz allem gibt unserem Angebot »Deutsch für alle«6 haben es mittlerweile über 200 Integrations- und Migrationsinitiativen, Beratungsstellen

6 Ute Enderlein et al.: Deutsch für alle. 99 Wege zur sowie Migrantenorganisationen in ganz deutschen Sprache. Der Sächsische Ausländerbeauftragte. Sachsen. Ihre Vernetzung und Unterstüt­ Sächsischer Landtag. Dresden 2012, 3. Auflage. zung ist eine der wichtigsten Aufgaben des Sächsischen Ausländerbeauftragten. Im Netzwerk für Integration und Migration Sachsen (NIMS) finden sie nicht nur eine Plattform für die Zusammenarbeit, sie bekommen auch eine Stimme für Teilhabe und Integration, die von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Was sollten die Prioritäten für einen weltoffenen Umgang mit Zuwanderern in Sachsen sein? Das NIMS entwickelte fünf strategische Vorschläge,7 mit denen

7 Ute Enderlein et al.: Kursbuch Integration und Migration Sachsen. Initiativen zur Einigkeit in Vielfalt. Der Sächsische Ausländerbeauftragte. Sächsischer Landtag. Dresden 2014.

14 Jahresbericht 2014 die Integration in Sachsen gefördert werden kann: • Beim Thema »Deutsch für alle« stellt das NIMS dar, wie der Spracherwerb weiter optimiert und für alle Einwanderergrup­ pen zugänglich gemacht werden kann. • Im Bereich »Integration durch Bildung« zeigt das NIMS Lösungsansätze auf, wie alle sächsischen Bildungsorganisationen – von der Kita bis zur Weiterbildung – inter­ kulturell so geöffnet werden können, dass alle Lernenden unabhängig von ihrer Herkunft ihre Potenziale entfalten können. • Beim Thema »Vielfalt als Stärke« ist her­ ausgearbeitet, wie auch kleine und mittle­ re Unternehmen durch Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund gestärkt werden • Das NIMS setzt sich auch für den Aufbau können. Der Mitarbeiter mit Migrations­ einer psychosozialen Versorgungsstruktur hintergrund bringt nicht nur seine Qualifi­ für traumatisierte Flüchtlinge in Sachsen kation zum Arbeitsplatz, er bringt auch ein, die den Betroffenen Beratung, Auf­ neue Ideen und Perspektiven mit, die die klärung und therapeutische Begleitung Firma bereichern können. vermitteln soll. • Das NIMS setzt sich für die Förderung Die bisher erreichten Erfolge in Sachsen einer qualifizierten Flüchtlingssozialarbeit haben viele Väter und Mütter. Sie gehören ein, da in unserer Gesellschaft alle Men­ den Initiativen, Beratungsstellen und Netz­ schen konstruktiv miteinander umgehen werken an, sind kommunale Beauftragte, und sich gegenseitig respektieren sollen. Mitarbeitende von Behörden in den Land­ Sozialarbeit ist die wichtigste und hilf­ kreisen, Gemeinden und Ministerien, reichste Verbindung zwischen den »Neu­ Rechtsanwälte. Oder sie haben ihren eigent­ en« und unserer Gesellschaft mit all ihren lichen Wirkungskreis in Kirchen und Religi­ Werten, Gesetzen und ausgesprochenen onsgemeinschaften oder in Organisationen, sowie unausgesprochenen Regeln – von die mit Ausländern zu tun haben. Sie alle der Mülltrennung über die Schulpflicht kümmern sich tagtäglich um die Belange der bis hin zur demokratischen Verfasstheit in Sachsen lebenden Ausländer. Und wie man unserer Gesellschaft. sieht, geht das auf sehr verschiedene Art.

www.offenes-sachsen.de 15 1.2 Die Einheimischen mitnehmen Willkommensgesellschaft Sachsen

Das vielleicht anspruchsvollste Thema ergibt kommen, sind Menschen mit Talenten. Wer sich nicht aus den Belangen der Ausländer, von ihnen auf längere Zeit bei uns lebt und sondern aus ihrem gesellschaftlichen Kon­ sich aktiv und konstruktiv in unsere Gesell­ text. Es geht um die Meinungen und Einstel­ schaft einbringt, auch der oder die sollte bei lungen unserer Bevölkerung. Die niedrige uns natürlich willkommen sein. Ausländerquote in Ostdeutschland hat Wie steht es um die Willkommensgesell­ nämlich unvermutete Auswirkungen auf die schaft in Sachsen (und in den neuen Bun­ Bürgerinnen und Bürger. desländern insgesamt)? Wie offen sind die Wir lesen immer wieder von der Willkom­ Menschen im Freistaat für die mit und bei mensgesellschaft. Ist das etwa eine Mogel­ uns lebenden Ausländer? Ein Außenstehen­ packung wie der Begriff »deutsche Leitkul­ der könnte vielleicht vermuten, dass die tur«, der vor Jahren in aller Munde war und Weltoffenheit der Bürger in einer Gesell­ gefordert wurde, dessen Inhalte jedoch nie schaft mit wenigen Ausländern durch nichts beschrieben wurden? Offensichtlich nicht. getrübt werden kann. Es gibt einfach zu Hier ist meine Definition: wenige Ausländer, über die man sich ärgern In einer Willkommensgesellschaft ist könnte. Oder? jeder auf Dauer willkommen, der sich nach Weit gefehlt. Der Weg zur Weltoffenheit seinen Möglichkeiten konstruktiv und war und ist für Menschen in Regionen mit produktiv bei uns einbringt und seinen einem geringen Ausländeranteil oft steiniger eigenen Lebensunterhalt entsprechend und schwieriger als dort, wo ganz selbstver­ seiner Möglichkeiten absichert, Familien­ ständlich Menschen aus verschiedenen Kul­ angehörige eingeschlossen.8 turen zusammenleben und Vorurteile sich Die Willkommensgesellschaft öffnet sich durch persönliche Begegnungen und Fakten also nicht nur der nobelpreisverdächtigen ins Nichts auflösen. Auch die Geschichte spielt Wissenschaftlerin, sondern z. B. auch dem in den neuen Bundesländern bei der Erklä­ engagierten Angestellten, der Musikerin, rung der Fremdenskepsis eine wichtige Rolle. dem Pfleger oder dem kleinen Ladenbesitzer. Wir erinnern uns: Die Nationalsozialisten Viele Fachkräfte kommen über die neue Blue vergifteten das Bewusstsein der Menschen Card ganz offiziell nach Deutschland. Doch in Deutschland jahrelang mit Rassenhass auch die, die zunächst ohne Einladung und und Vorurteilen. gewissermaßen als ungebetene Gäste zu uns Die DDR machte formal Schluss mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und 8 Dieser Ansatz für das Willkommen beinhaltet immer distanzierte sich von der Ideologie der Nazis. auch die Gegenseitigkeit. Die Suahelis sagen es so: »Behandle deinen Gast zwei Tage wie einen Gast. Trotzdem gab es nur wenige Ausländer. Sie Am dritten gib ihm eine Hacke.« kamen als Vertragsarbeiter oder Studenten.

16 Jahresbericht 2014 Kontakte mit ihnen waren, wenn dann nur Donsbach vom Institut für Kommunikations­ kontrolliert möglich, immer unter Beobach­ wissenschaften der Technischen Universität tung von »Horch-und-Guck«. Wer frei reden Dresden aus dem Jahre 2011.9 Die Bürger wollte, blieb lieber in seinem engen Freun­ wurden gefragt: deskreis. Kein Wunder, dass Kontakte mit »Wenn Sie die Wahl hätten: In was für Ausländern keine Regel, sondern die Aus­ einer Gesellschaft würden Sie lieber leben? nahme waren. • In einer Gesellschaft, in der Menschen aus Die Wiedervereinigung brachte große vielen verschiedenen Kulturkreisen leben Hoffnungen, die Freiheit und die D-Mark. oder Sie brachte aber auch mit sich, dass viele • in einer Gesellschaft, in der Menschen Unternehmen in den Konkurs gingen und der gleichen kulturellen Herkunft leben, Millionen Menschen arbeitslos wurden. In die sich sehr ähnlich sind?« Zeiten solch hoher Arbeitslosigkeit wurden 56 Prozent der Befragten entschieden Ausländer oft als Konkurrenz empfunden. sich für ein multikulturelles Umfeld. 44 Pro­ Wirken diese Erfahrungen bis in die heu­ zent bevorzugten eine ethnisch homogene tige Zeit nach? Wie steht es vor diesem Hin­ 9 tergrund um die Weltoffenheit der Menschen Wolfgang Donsbach: Dresden – weltoffene Metropole oder fremdenfeindliche Problemstadt? in Sachsen? Eine landesweite Umfrage gibt In: Ute Enderlein et al.: Jahresbericht 2010. es dazu noch nicht. Der Sächsische Ausländerbeauftragte. Immerhin gibt es sie zur Weltoffenheit Sächsischer Landtag. Dresden 2011, S. 24–26 (auch unter http://forschungsinfo.tu-dresden.de/ in Dresden, durchgeführt von Wolfgang detail/publikation/a39283). www.offenes-sachsen.de 17 Rotarier aus Indien informieren sich zur Studiensituation

Zusammensetzung ihrer Stadt. Die Dresdner gehören auch mehr Ausländer – und zwar Studierenden waren da schon etwas offener. aus allen gesellschaftlichen Schichten. Dort sahen sich 68 Prozent als multikulturell Nur dort, wo es einen nennenswerten Anteil interessiert und nur 32 Prozent wollten Ausländer gibt, ist Integration überhaupt lieber nur unter Deutschen bleiben. möglich.«10 Aufgrund vieler Gespräche mit Menschen Auch die Entwicklungen in den alten aus ganz Sachsen vermute ich, dass sich bei Bundesländern haben Auswirkungen auf einer solchen Befragung in den ländlichen die Meinungen der Ostdeutschen. Die von Regionen noch keine Mehrheit für eine von den Medien oft aufreißerisch den Migranten vielen Kulturen geprägte Gesellschaft finden zugeschriebenen Probleme in Westdeutsch­ würde. land wie Kriminalität und Entwicklungen in Damit wird klar, wo die größte Heraus­ Richtung von Parallelgesellschaften spiegeln forderung für einen Ausländerbeauftragten sich auch im Bewusstsein der Ostdeutschen in einem ostdeutschen Land liegt: in der wider und dann eventuell sogar in überstei­ Fremdenskepsis der eigenen Bevölkerung. gerter Form. Was weit weg geschieht, kann Befragt, wie denn hier Abhilfe geschaffen übertrieben gesehen werden. werden könnte, antwortet Wolfgang Thilo Sarrazin beispielsweise erregte Donsbach vom Institut für Kommunika­ mit seinem Buch »Deutschland schafft sich tionsforschung: ab« gerade in Sachsen sehr viel Aufmerk­ »Fremdenfeindlichkeit beruht vielfach samkeit. Seine Buchvorstellung in der Messe auf Vorurteilen, Unwissenheit, fehlender in Dresden war mit 2.500 Zuhörern ausge­ Erfahrung und vielfach auf Existenzängsten. bucht. Vom Veranstalter hörte ich, dass er Zumindest der letzte Punkt lässt sich nicht in einem größeren Saal das Doppelte an durch mehr Ausländer aus den Köpfen Tickets hätte verkaufen können. Auch eine der Menschen verbannen. Alle anderen zeitgleiche Veranstaltung im Ökumenischen Gründe für Fremdenfeindlichkeit lassen Zentrum Dresdens zu den Thesen des sich jedoch am besten durch eine insgesamt kulturell buntere Stadt beseitigen und dazu 10 Ebenda S. 26.

18 Jahresbericht 2014 Podiumsdiskussion mit Altbundespräsident Roman Herzog

Buches war überfüllt – dabei waren auch 1.2.1 Ein Ausländerbeauftragter ist viele Anhänger Sarrazins, die mit dem Buch auch Inländerbeauftragter in der Hand und markierten Zitaten eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Allen Ängsten zum Trotz – unsere Gesell­ Thesen aushebeln wollten. Viele Leserinnen schaft braucht ein engeres und konstruktive­ und Leser fühlten sich offensichtlich beru­ res Miteinander von allen, unabhängig von fen, die »Wahrheit nach Sarrazin« mit fast Herkunft und Glauben oder Nichtglauben. religiösem Eifer zu verteidigen. Erst das Wenn sich alle bei uns heimisch und beherzte Einschreiten der Hausherrin mach­ erwünscht fühlen können, wenn sie sich te einen Dialog wieder möglich. respektvoll und auf Augenhöhe begegnen Bei der Fremdenskepsis in den neuen und miteinander zusammenleben und Bundesländern und besonders auch in -arbeiten, dann können wir am besten unser Sachsen spielt die Angst vor dem Islam Potenzial für eine lebenswerte Gesellschaft eine besondere Rolle, und das bei einem für alle realisieren. geschätzten Anteil von Muslimen von um Wer mir sagte, meine Aufgabe als Aus­ die 0,4 Prozent der sächsischen Gesamt­ länderbeauftragter sei bei so wenigen bevölkerung. Diese Angst wird weniger Ausländern einfach, dem antwortete ich durch eigene Erfahrung ausgelöst als durch meist, dass ich mich nicht nur als Ausländer-, Un ­wissen und sie wird bestärkt durch die sondern auch als Inländerbeauftragter sehe. aktuellen Schlagzeilen in den Medien. Nur Ich möchte die ganze Gesellschaft erreichen sehr selten kennt jemand einen muslimi­ und ihr Mut machen. Jede Gesellschaft ent­ schen Mitbürger. Gehört der Islam heute zu wickelt sich weiter. Unsere Reise geht in Deutschland? Es verwundert nicht, dass ich Richtung Weltoffenheit und kulturelle Viel­ auf diese Frage in Podiumsdiskussionen falt. Um diese Veränderung zu verdeut­lichen, besonders in den ländlichen Regionen nur zeichne ich gern das Bild einer Karawane. selten ein Ja höre. An der Spitze gehen die Wegbereiter voran. Das sind oft nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung, die neue Wege suchen und www.offenes-sachsen.de 19 finden. Ihnen folgen in einigem Abstand die 1.2.2 Mit Kommunikation und Kooperation frühen »Trendaufgreifer«, die etwa zehn bis überzeugen 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie sind an neuen Entwicklungen interessiert Eine gute und offene Kommunikation ist und wollen von Anfang an dabei sein. dabei das A und O. Menschen öffnen sich Die Zwei-Drittel-Mehrheit der Bevölke­ neuen Einsichten, wenn sie respektiert und rung ist bereit, sich den Veränderungen in ihre Sorgen gehört werden. Deshalb war der Gesellschaft zu öffnen und sie zu unter­ und ist auch das eine wichtige Aufgabe stützen. Sie will allerdings verstehen, dass für einen Aus- und Inländerbeauftragten: die Richtung sinnvoll ist. Wir alle wollen die Mehrheit der Bevölkerung mit guten erkennen, wie eine Veränderung auch für Argumenten zu erreichen und sie zum uns Vorteile bringt. Wo das der Fall ist, ist Mitmachen zu bewegen. Auf welchen Wegen die Mehrheit dabei – wenn auch mit einigem kann das gelingen? Hier sind einige Bei­ Abstand zu den frühen »Trendaufgreifern«. spiele: Ganz am Ende kommen mit großem Abstand die Nachzügler. Das sind die Ewig- • Dialoge über die Welt von morgen gestrigen, denen jede Veränderung suspekt Wie kann sie aussehen, unsere Zukunft? ist und die sich oft eine gute alte Zeit zu­ Was sind die Chancen, die sich uns bieten rückwünschen, die jedoch niemals so »gut« werden? Was sind die Risiken? Wie kön­ war, wie es ihnen scheint. Das können nen wir ihnen begegnen? Zukunft hat bis zu 15 Prozent der Bevölkerung sein. viel mit Hoffnungen zu tun. Was können Ich rate dazu, sich auf die ersten 85 Pro­ wir gemeinsam tun, um diese Hoffnungen zent dieser Karawane zu konzentrieren. Realität werden zu lassen? Zukunft hat Ewiggestrige zu überzeugen ist vergebliche natürlich immer auch etwas mit Angst zu Liebesmüh, wie das Beispiel eifernder Sarra­ tun. Diese Ängste sind legitim und sollen zin-Verteidiger zeigte. Im Gegenteil, jeder offen angesprochen werden können. Man­ Versuch, den Dialog mit ihnen aufzunehmen, che Ängste lösen sich in Luft auf, wenn bestätigt und bestärkt sie. Wo jedoch Frem­ sie in einer freundlichen Atmosphäre of­ denfeinde versuchen, auf unrechtmäßige fen durchleuchtet werden. Andere wiegen Weise den Weg der anderen zu behindern, weniger schwer, wenn sie ans Tageslicht da sind die Ordnungshüter gefragt. kommen und man gemeinsam nach Ich bin überzeugt, dass wir mehr Men­ Lösungen suchen kann. schen für die Vision einer attraktiven und vielfältigen Zukunft gewinnen, wenn wir • Begegnungen zwischen Einwanderern den 85 Prozent konkrete Wege aufzeigen, und Einheimischen um Positives zu bewirken. Über jemanden zu reden ist nicht halb so hilfreich, wie mit jemandem zu reden. Nichts befreit so schnell von Vorurteilen und Ängsten wie die direkte Begegnung mit denen, vor denen man Angst hat. Deshalb gilt es, solche Begegnungen wei­ ter zu fördern. Die interkulturellen Tage in Deutschland und auch in Sachsen bieten dafür hervorragende Chancen, ebenso wie die vielen Veranstaltungen von Mig­

20 Jahresbericht 2014 rantenorganisationen, die Gelegenheiten bieten, mit Migranten ins Gespräch zu kommen.

• Mitmachen statt Zusehen Immer wieder zeigen Initiativen, wie man sich konkret für eine konstruktive gemein­ same Zukunft von Migranten und Hiesi­ gen einsetzen kann – unabhängig von der Herkunft. Egal wo diese Initiativen ihren Ursprung haben, ob in einem ande­ ren Bundesland, in Sachsen oder vor Ort, jede Bürgerin und jeder Bürger hat die Chance, auch konkret an dieser Zukunft Runder Tisch »Anerkennung« mitzuarbeiten. In den Vereinen und Netzwerken gibt es beauftragten hat das bestätigt. Seit Er­ nicht nur die Möglichkeit zur Begegnung, scheinen der Kolumne erhalte ich immer sondern auch die Chance zur Zusammen­ wieder positive Rückmeldungen und Er­ arbeit an konkreten Projekten. In der mutigung, sie weiterzuführen. Auch unser gemeinsamen Arbeit lebt man Solidarität Internetauftritt www.offenes-sachsen.de und baut Brücken zu andauernden lebt von dieser Herangehensweise. Freundschaften. Vereine und Netzwerke schaffen auch • Integration und Migration Zugang zu Perspektiven, die über die als Medienthema lokalen Angelegenheiten hinaus reichen. Wer die große Mehrheit erreichen will, Sie öffnen die Mitglieder für Ideen und der braucht dazu die Medien. Über die Anregungen aus ganz Deutschland und Zeitschriften, die Magazine, Rundfunk, darüber hinaus. Lokal handeln, global Fernsehen und das Internet kommen denken, das gilt auch für das Mitgestalten Informationen in jeden Haushalt. Die in integrativen Netzwerken. sächsischen Medien waren und sind an ermutigenden Nachrichten sehr inter­ • Information mit Herz und Verstand essiert. Ich bin immer wieder überrascht, Der Ausländeranteil in Sachsen wird von wie klar sich die Medien zu einer integra­ der einheimischen Bevölkerung regelmä­­ tiven Gesellschaft bekennen und das aktiv ßig überschätzt. Dass der Anteil nur bei durch Berichterstattung begleiten. Diese etwa 2,5 Prozent liegt, wissen die wenigs­ Unterstützung erfordert von eigener Seite ten. Im Gegenteil, Besucher meiner Veran­ einen ehrlichen und offenen Umgang staltung verschätzen sich häufig um das bis mit Fakten. Und sie erfordert Mut, auch zu Achtfache. Mit Fakten können wir Wahr­ unbequeme Dinge anzusprechen und nehmungen an die Realität anpassen. offen nach Lösungen für Probleme zu Und das Herz? Antoine de Saint-Exupéry suchen. schrieb: »Man sieht nur mit dem Herzen gut«. Die Beliebtheit meiner Kolumne • Ermutigung zum Handeln »Mit Herz gesehen« im wöchentlichen Ein Ausländerbeauftragter ist immer ein Newsletter des Sächsischen Ausländer­ Vorbild. Er signalisiert bei allen Anlässen, www.offenes-sachsen.de 21 wie wir als Gesellschaft mit den Fragen Verfügung stellt, sondern den Initiativen des Zusammenlebens mit Migranten und auch die Gelegenheit gibt, ihre Arbeit und Ausländern positiv umgehen sollten. ihre Erfolge sichtbar zu machen. Der Das ist nicht immer bequem, aber immer Sächsische Integrationspreis, der gemein­ richtig. In einem konkreten Fall bedeutete sam vom Sozialministerium und Ausländer­ es, dass ich nach einem rassistischen beauftragten getragen wird, kann so Mord in Leipzig demonstrativ Solidarität gleichzeitig die Wegbereiter an der Spitze mit den Eltern zeigte, auch als sich andere der Karawane ermutigen und die große Politiker noch bedeckt hielten und an der Mehrheit der Bevölkerung mit guten Beerdigung nicht teilnahmen. Nachrichten erreichen. Für mich bedeutete es auch, mich für Initiativen einzusetzen, die sich vorbild­ Helfen alle diese Initiativen? Die kurze Ant­ lich für die Inklusion und die menschen­ wort ist: ja. Wir gehen heute viel weltoffener würdige Begleitung von Flüchtlingen mit den Themen Integration, Migration und engagieren oder die sich dafür einsetzen, der Öffnung der Gesellschaft um als noch auch Asylsuchenden das Erlernen der vor wenigen Jahren. Integration ist ein ge­ deutschen Sprache zu ermöglichen. samtgesellschaftliches Thema geworden. Die Unterbringungsbedingungen für Flüchtlinge • Sichtbarkeit für alltägliche Erfolge in Sachsen wurden deutlich verbessert. Wie sang- und klanglos vollzieht sich Es gibt ein festes Netzwerk von für die häufig noch immer die Einbürgerung neu­ Integration arbeitenden Personen und Insti­ er Deutscher. Häufig ist es nur ein reiner tutionen, es gibt Diskurse, die Zivilgesell­ Verwaltungsakt. Das ist weder dem wich­ schaft engagiert sich an vielen Stellen in tigen Schritt eines Ausländers angemes­ hervorragender Weise für Flüchtlinge und sen, noch bringt es zum Ausdruck, dass ein gutes Zusammenleben. Es wurden Wel­ wir uns darüber freuen, neue Bürgerinnen come-Center eröffnet und für die Mitarbeiter und Bürger zu gewinnen. Deshalb gibt der Ausländerbehörden Leitlinien für den es in Sachsen seit über zehn Jahren eine Umgang mit Migranten entwickelt. Die Säch­ Einbürgerungsfeier im Sächsischen Land­ sische Staatsregierung spielt eine bedeuten­ tag, gemeinsam veranstaltet vom Sächsi­ de Rolle in der Öffnung der Bundesgesetze schen Staatsminister des Innern und dem für Zuwanderung und bekennt sich mit Ausländerbeauftragten mit anschließen­ dem Unterbringungs­ - und Kommunikations­ dem Empfang und einem gemeinsamen konzept für Asylbewerber zur Balance von Luftballonstart vor dem Landtag. Damit Ordnungsstaatlichkeit und Menschenwürde werden nicht nur die neuen Deutschen beim Umgang mit Flüchtlingen. willkommen geheißen. Auch die Medien Mit diesen Veränderungen sind wir in berichten darüber gerne und erreichen Sachsen am Ziel – wenn wir den Weg als damit die Menschen in unserem Land. Ziel verstehen. Integration, Willkommens­ Integration ist für unsere Gesellschaft gesellschaft, Weltoffenheit – alles, was wichtig. Sie kommt am besten voran, wenn wir uns heute darunter vorstellen, wird in der Staat Mittel nicht nur »von oben« zur 30 Jahren wie ein guter Anfang aussehen.

22 Jahresbericht 2014 1.3 Die Einwanderungs­gesellschaft von morgen mitgestalten Für Einheit in Vielfalt

Auch hier gilt: kein Text ohne Kontext. Die Veränderungen im Freistaat Sachsen müssen natürlich auch im Kontext der Situation in Gesamtdeutschland, in Europa und auch weltweit gesehen werden. Deutschland ist ein Einwanderungsland – und das bereits seit Jahren. Deutschlands Bevölkerung schrumpft und wird immer älter. Passt nicht zusammen? Doch! Mehr noch: Beide Entwicklungen ge­ meinsam sorgen für eine grundlegende und historisch in diesem Ausmaß noch nie da gewesene Umwälzung unserer Gesellschaft. Schauen wir zuerst auf die demografische Entwicklung, zu der schon viele Enquete­ kommissionen auf Bundes- und Landesebene Drittel kleiner sein wird als die der Eltern. getagt haben, so auch in Sachsen während Die Generation unserer Ur-Urenkel wird – der Jahre 2004 bis 2008.11 wenn sich nichts ändert – also zahlenmäßig Übereinstimmend haben diese Kommissi­ nur noch knapp ein Fünftel so groß sein, onen festgestellt: Die Bevölkerungszahl sinkt wie es die unsere heute ist. kontinuierlich seit Jahren – trotz Zuwande­ Gleichzeitig verändert sich die Alters­ rung. Familien werden seit vielen Jahrzehn­ struktur der Bevölkerung grundlegend. ten immer kleiner, die Geburtenrate stag­ Während auf der einen Seite immer weniger niert noch immer bei 1,4 Prozent.12 Kinder geboren werden, können sich auf Nach Adam Riese bedeutet das, dass der anderen Seite immer mehr Menschen künftig jede Kinder-Generation um ein aufgrund gesicherter Lebensverhältnisse und besserer medizinischer Versorgung

11 Enquetekommission des Sächsischen Landtags: eines längeren Lebens erfreuen. Demografische Entwicklung und ihre Auswirkungen Die Gruppe der über 65-Jährigen ist die auf die Lebensbereiche der Menschen im Freistaat derzeit am schnellsten wachsende Bevölke­ Sachsen sowie ihre Folgen für die politischen Handlungs­ felder. Sächsischer Landtag. Dresden 2008. rungsgruppe – während die Gruppe der 12 Statistisches Bundesamt. Geburtenrate 2012 Erwerbstätigen immer kleiner wird. Progno­ (https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/ sen deuten darauf hin, dass das Verhältnis Bevoelkerung/Bevoelkerungs­bewegung/BroschuereGe­ burten/Deutschland0120007129004.pdf?__ zwischen beiden Gruppen um 2040 herum blob=publicationFile). bei 1:1 liegen wird. www.offenes-sachsen.de 23 Das bedeutet: Jeder Erwerbstätigte muss von unmittelbaren Nachbarländern Zuflucht seinem Einkommen zunächst seine Steuern finden. In dieser globalen Bewegung ist bezahlen, seine Kinder und Familie versor­ Deutschland ein attraktives Ziel unter vielen gen, sich medizinisch versichern und dann anderen. noch genügend hohe Sozialversicherungs­ Auch innerhalb der Europäischen Union beiträge bezahlen, damit davon jeweils wächst die Mobilität der Menschen. Es mindestens ein Rentner versorgt werden entspricht der europäischen Idee, dass kann – von den solidarischen Leistungen sich die Menschen frei in den Mitglied­ für andere Bedarfe ganz abgesehen. Auch staaten bewegen, arbeiten und niederlassen die Wirtschaft wird mehr zur Kasse gebeten. können. Über ein Drittel aller Ausländer, Sie muss genügend Gewinne produzieren, die in Sachsen leben, sind EU-Bürger, um über deren Besteuerung ihren Beitrag Tendenz steigend. Mit ihnen wachsen unser zum Wohlergehen des Landes zu leisten. gegenseitiges Verständnis, das bindende Wie stark muss unsere Wirtschaftskraft Gefühl einer europäischen Gemeinschaft also künftig sein, wie hoch das durchschnitt­ und die kulturelle Vielfalt in unserem Frei­ liche Einkommen der Arbeitnehmer, um den staat. Und es wachsen die Chancen, über gegenwärtigen Lebensstandard in unserem eine Zuwanderung von Fachkräften die Land auch in Zukunft in etwa aufrechterhal­ wirtschaftlichen Folgen des oben beschrie­ ten zu können? Eine wichtige Frage, und benen demografischen Wandels zumindest nicht die einzige, auf die wir Antworten abzuschwächen. finden müssen. Schauen wir auf das Thema Die eigentliche Umwälzung und Heraus­ Migration. forderung liegt in der wachsenden ethni­ Deutschlands Attraktivität als Zielort für schen Vielfalt unserer Bevölkerung. Wir Einwanderer wächst.13 Ich denke dabei so­ werden immer mehr zu einem Land, in dem wohl an Menschen, die sich hier wie von Zuwanderer und Deutsche aus aller Welt uns gewünscht als Arbeitskräfte einbringen leben. Für manche ist das eine Schreckens­ wollen, als auch an Flüchtlinge, die aus vision: Deutschland als Land der Migranten? unterschiedlichen Gründen hier Schutz Deutsche als Fremde im eigenen Land? und Perspektiven für sich und ihre Familien Rein statistisch lassen sich diese Verän­ suchen. derungen heute schon erkennen. Im Jahre Mit dieser Situation steht Deutschland 2000 hatten zehn Prozent der Bevölkerung nicht allein da. Migration ist ein globales einen Migrationshintergrund. Sie waren also Phänomen. Weltweit arbeiten heute etwa Zuwanderer oder Kinder von Zuwanderern. 100 Millionen Menschen in anderen als ih­ 2010 waren es bereits 20 Prozent – und ren Geburtsländern, leben also nach unse­ die Mehrheit dieser Menschen waren Deut­ rem Verständnis als »Ausländer« – darunter sche – von Geburt an oder durch Einbürge­ auch viele Deutsche. Gleichzeitig gibt es et­ rung. Heute wissen wir, dass in den großen wa 50 Millionen Flüchtlinge, die ihre Heimat Städten Westdeutschlands Kinder mit Migra­ wegen Hunger, Krieg, Gewalt, Diktaturen tionshintergrund schon oft die Mehrheit in und Perspektivlosigkeit verlassen mussten den Schulen ausmachen. und die in der übergroßen Mehrheit in den Und 2035 – das ist meine Überzeugung – werden wir in einem Land leben, in dem 13 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration Menschen mit Migrationshintergrund, ihre und Migration: Deutschlands Wandel zum modernen Ein­ Familien und ihre Nachkommen die Mehr­ wanderungsland. Jahresgutachten 2014 mit Integrations­ barometer. heit der Bevölkerung ausmachen.

24 Jahresbericht 2014 Unternehmer aus Sachsen zu Gast beim »Tag der offenen Tür«

Was bedeutet das? Das bedeutet, dass Migra­ »Es ist wahr: Wo Verschiedenheit heimisch tionserfahrungen in deutschen Familien wird, da ändert sich das Zusammenleben. normal sein werden, dass binationale Ehen Einwanderung setzt starke Gefühle frei und normal sein werden und dass die Mehrheit birgt gelegentlich auch handfeste Konflikte. der Deutschen deutsche und andere kultu­ Die offene Gesellschaft verlangt uns allen relle Wurzeln haben wird. einiges ab: jenen, die ankommen, und jenen, Natürlich wird das für die neuen Bundes­ die sich öffnen müssen für Hinzukommende. länder nicht in diesem Ausmaß gelten, denn Offen sein ist anstrengend.«14 hier leben gegenwärtig nur etwa 2,5 Prozent Sehen wir also den Dingen ins Auge und Ausländer und etwa fünf Prozent Menschen handeln wir. Wir haben gute Voraussetzun­ mit Migrationshintergrund. Aber auch in gen und viele Erfahrungen. Tiefgreifende den neuen Ländern werden wir damit umge­ Veränderungen sind für unser Land nichts hen müssen, dass unsere Gesellschaft und Neues. Schauen wir in die deutsche Nach­ unsere Kultur vielfältiger wird. Das wird die kriegsgeschichte und lernen wir von den Welt sein, in der wir in nicht allzu ferner Zu­ guten Antworten, die wir bereits gefunden kunft leben werden. haben. Für mich ist das ein sehr wahrscheinli­ ches Zukunftsszenario. Eines, das unsere Gestaltung und nicht unsere Angst braucht. 14 Rede Joachim Gaucks zur Einbürgerungsfeier anlässlich 65 Jahre Grundgesetz am 22.05.2014 (http://www.bun­ Bundespräsident Joachim Gauck hat despraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/ es in einer Rede so auf den Punkt gebracht: Reden/2014/05/ 140522-Einbuergerung-Integration.html). www.offenes-sachsen.de 25 1.3.1 Deutschland ist Meister der zugemutet. Auch hier haben wir als Gesell­ Veränderungen schaft demokratische Antworten gefunden, auch wenn es damals angesichts der Gewalt Wie viele Veränderungen musste Deutschland von Baader-Meinhof, Rote-Armee-Fraktion nach der Zeit des Nationalsozialismus schon und ihren Nachfolgern nicht immer sicher bewältigen? Mindestens drei fallen mir ein. erschien. Als Ergebnis der Nazizeit und des Zweiten In der Folge ist es uns sogar gelungen, Weltkrieges verloren auch fast 17 Millionen die Chancen und Potenziale dieser Verände­ Deutsche ihre Heimat und mussten ein neues rung zu nutzen. So wurde das politische Es­ Unterkommen suchen – eine gewaltige Her­ tablishment durch eine aktive außerparla­ ausforderung nicht nur für die einzelnen Men­ mentarische Opposition, die sich später zur schen, sondern auch für die Regionen, die Partei DIE GRÜNEN mauserte, herausgefor­ die Flüchtlinge und Vertriebenen aufnahmen. dert. Auch der zivile Ungehorsam und eine In der Stadt Delmenhorst wohnten vor lebendige und engagierte Zivilgesellschaft dem Krieg etwa 37.000 Einwohner. Nach bei Themen wie dem Betreiben von Atom­ dem Krieg schwoll sie durch Flüchtlinge aus kraftwerken oder tiefgreifenden städtebauli­ dem Osten auf etwa 65.000 an. Das ging chen Projekten gehören mittlerweile zu un­ nicht ohne Konflikte, aber es ging. Auch die serem gesellschaftlichen Selbstverständnis. Menschen in der sowjetischen Besatzungs­ Vor den 68ern wäre das undenkbar gewesen. zone waren besonders gefordert, denn hier Der dritte Beweis für Deutschlands Fähig­ machten Flüchtlinge und Vertriebene fast keit bei der Bewältigung von großen Umwäl­ ein Viertel der Bevölkerung aus. Mit alltäg­ zungen ist die Verwirklichung der Wieder­ licher Solidarität und Mitmenschlichkeit ha­ vereinigung nach 1990. Für diese Aufgabe ben die Menschen in beiden Teilen Deutsch­ wurden alle Kräfte der Gesellschaft geweckt lands diese Herausforderung bewältigt. und gebündelt. Es wurden keine Kosten und Nehmen wir ein zweites Beispiel: Aufwendungen gescheut, um zwei total un­ Die 68er-Generation hat ihren Vätern und terschiedliche Systeme und Wirtschaftsräu­ Müttern drängende Fragen nach der persön­ me miteinander zu verschmelzen. Die Bürge­ lichen Verantwortung während der Nazizeit rinnen und Bürger wurden nicht nur über

26 Jahresbericht 2014 eine Solidarabgabe einbezogen, sondern zwei Jahre kommen und dann in ihre Heimat haben diese deutsche Einheit ganz konkret zurückfahren? im alltäglichen Zusammenleben realisiert. Es ist ganz anders gekommen. Die Wirt­ Gerade die Bürgerinnen und Bürger der schaft und unsere eigene Politik waren es, neuen Bundesländer hatten einen großen die sie zum Bleiben bewegte. Sie holten ihre Anteil daran, weil sie sich in ein für sie kom­ Familien nach Deutschland, bekamen Kin­ plett neues Gesellschaftssystem, in eine an­ der und suchten bei uns ihr privates Glück. dere Kultur und eine fremde Rechtssystema­ Die deutsche Politik hat das lange mehr­ tik eingebracht haben – zum Teil unter heitlich ignoriert. »Deutschland ist kein großen persönlichen Lasten. In diesem Pro­ Einwanderungsland« – mit diesem Satz ver­ zess sind beide Seiten, ist ganz Deutschland schloss man sich über lange Zeit der Realität. aneinander gewachsen. Irgendwann, so glaubte man lange, würden Mit anderen Worten: Wenn wir es wollen, die Gastarbeiter mit ihren Familien schon dann bewältigen wir auch die schwierigsten wieder in ihre Heimat zurückgehen. Deshalb Herausforderungen. Diese Erfahrungen der erschien es den Politikern damals sinnvoller, Vergangenheit sollten uns Mut machen, dass für die Kinder der Gastarbeiter muslimische wir auch den neuen Wandel konstruktiv ge­ Imame und Lehrer aus der Türkei nach stalten können. Wenn wir es denn wollen. Deutschland zu holen und sie nicht in den regulären Schulbetrieb einzubinden. Keine kluge Entscheidung, wie man heute weiß. 1.3.2 Vielfalt als Normalität Doch diese Fehler wurden korrigiert. Heute wissen wir um die Bedeutung der Zwanzig Prozent der Menschen, die in Deutsch­ gemeinsamen Bildung für alle Kinder, die land leben, haben einen Migrationshinter­ in unserem Land leben. grund. Wie gehen wir mit dieser Vielfalt um? Auch die Einstellung der Bundespolitik Auch bei dieser Frage haben wir nach zum Thema Zuwanderung hat sich grund­ langem Zögern dazugelernt. Denken wir legend gewandelt. an die ausländischen Gastarbeiter in West­ Heute verkörpert Angela Merkel unsere deutschland. Sollten die nicht jeweils für neue Perspektive. Sie sagte 2013: »… wir wollen www.offenes-sachsen.de 27 ein Integrationsland werden. Integration – Wie lässt sich eine solche Einheit von das ist ein Wort für einen verstärkten Zusam­ Menschen vielfältigster Herkunft, Kultur, menhalt. Es ist auch Ausdruck davon, dass Religionen, Weltanschauungen und Lebens­ wir in zunehmender Vielfalt eine Bereiche­ entwürfen herstellen? Was ist die gemein­ rung sehen, dass wir Chancen sehen, dass same Basis? Wie können wir sie gemeinsam wir diese Chancen freilegen wollen, dass wir stärken? Was sind die bindenden Kräfte aber auch nicht die Augen verschließen vor in einer vielfältigen Gesellschaft? Geht das den Schwierigkeiten, die sich auf diesem überhaupt: Einheit in Vielfalt? Wege ergeben.«15 Ihr Bekenntnis zur Vielfalt Ich bin überzeugt davon. zeichnet unsere Politik heute aus. Schauen wir auf unsere Geschichte: Am 23. Februar 2012 gedachte Deutschland Sie belegt vielfach, wie aus vielen Menschen in einer bewegenden Gedenkfeier in der unterschiedlichster Herkunft ein gemeinsa­ Berliner Oper der zehn Mordopfer der NSU- mes Land wurde. Schauen wir auf unsere Terrorgruppe. Aus ganz Deutschland kamen Gegenwart: Sie kennt so viele alltägliche Menschen zusammen. Auch Bundeskanzlerin Beispiele, in denen aus Vielfalt Gewinn für Merkel sprach. In ihrer Rede prägte sie den alle erwächst. Begriff der Vielfalt für unser Land. »Deutsch­ Wenn wir mit offenem Herzen und land ist ein Land der Vielfalt. Deutschland, wachen Augen um uns schauen, dann er­ das sind alle, die bei uns leben.« kennen wir, auf welchen Wegen wir diese Sie hat damit das, was uns in der Ver­gan­ »Einheit in Vielfalt« erreichen. Einige dieser genheit ängstigte, als Stärke aufgezeigt. Wir Wege sind nicht wirklich neu. Im Gegenteil: werden immer mehr zum Land der Vielfalt. Es gehört zu den wesentlichen Stärken unse­ Wir sehen die Realität, und wir erkennen rer Gesellschaft, dass wir sie gehen können. sie an. Das ist ein Durchbruch in unserem Wenn wir sie bewusst nutzen, können wir Selbstverständnis. die anstehenden Veränderungen gut gestal­ ten. Vielleicht entdecken wir auch neue Wege hin zu einer »Einheit in Vielfalt«. 1.3.3 Deutschland einig Vaterland Fünf dieser Wege möchte ich genauer beschreiben. Vielfalt anerkennen – das ist der erste Schritt. Wirklich weiter kommen wir nur mit einem Das Grundgesetz ist die gemeinsame weiteren. Vielfalt allein bringt uns noch nicht Wertebasis unserer Gesellschaft ans Ziel. Unsere freiheitlich-demokratische Grund­ Es war Gamze Kubaşik, die Tochter eines ordnung ist das sichere Fundament für eine der NSU-Opfer, die in ihrer bewegenden Rede offene und demokratische Gesellschaft, in auf der Trauerfeier sagte, was zur Vielfalt da­ der jeder nach seinen Wertevorstellungen zu gehört: Einheit. Sie ermahnte uns alle zur sein Glück finden darf, solange er damit die »Suche nach Einheit in der Vielfalt«.16 gleichen Rechte des Anderen nicht ein­ schränkt. Das Grundgesetz ist damit die 15 Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Festakt wichtigste Basis für die Einheit unserer »60 Jahre Bundesamt für Migration und Flüchtlinge« am 10.04.2013 (http://www.bundeskanzlerin.de/Content­ vielfältigen Gesellschaft. Archiv/DE/Archiv17/Reden/2013/04/2013-04-10-merkel- bamf.html). 16 Mitmischen.de – Portal zum Bundestag. 15.12.2002 (http:// www.mitmischen.de/diskutieren/topthemen/politikfeld_ inneres/neonazi-mordserie/staatsakt/index.jsp).

28 Jahresbericht 2014 Zu unserem Grundverständnis gehören u. a. internationalen Rechts ausgemacht, • das Bekenntnis zu den allgemeinen in das nicht nur die demokratischen Menschenrechten, Länder eingebettet sind.17 Das sollte uns • das Primat der Politik über die Religionen beruhigen. und Weltanschauungen, • die Demokratie, In Solidarität auch mit • die Gleichberechtigung von Mann und Andersdenkenden Frau, Ein zweiter wichtiger Weg hin zu einer • das Bekenntnis zum Pluralismus der Einheit in Vielfalt ist die Solidarität mit Wertevorstellungen, auch der Religionen, Andersdenkenden. Das bedeutet beispiels­ • das Gewaltmonopol des Staates, weise, Solidarität mit Menschen und • das Prinzip der Vernunft bei der Findung Gruppen anderen Glaubens oder anderer von Lösungen für Konflikte und Dilemmata, Kultur zu zeigen, wenn ihre Rechte und ihre • die Zivilgesellschaft, also die Einbe­ Menschenwürde bedroht werden. ziehung der Bürgerinnen und Bürger Treffende Worte kamen hier im August in mündiger Weise bei wichtigen 2014 vom Vorsitzenden des Zentralrates der gesellschaftlichen Vorhaben. Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek. Deutschland steht mit diesem Grundver­ Er sagt angesichts des Terrors der Terroris­ ständnis nicht allein. Viele andere Länder ten der IS-Miliz: sind ähnliche Wege gegangen und gehen »Mitmenschlichkeit und Solidarität sind sie weiter. Deutsches Recht wird damit keine Werte, die nur einseitig eingefordert durch europäisches und internationales werden können. Wer Frieden will, macht Recht abgesichert und bestärkt. diese Werte zum allgemein verbindlichen Philip Allott, Experte des internationalen und verpflichtenden Maßstab, an dem wir Rechts an der Cambridge University, hat uns alle – Juden, Christen und Muslime – bereits vor 20 Jahren einen sehr dynami­ schen Prozess der Selbstordnung der Welt­ 17 Philip Allott: Eunomia. New Order for a New Age. Oxford gemeinschaft durch eine Stärkung des University Press, Oxford, Großbritannien 1990. www.offenes-sachsen.de 29 messen lassen müssen, wann und wo auch immer Menschen in Not geraten.«18 Diese Solidarität beweist sich gerade, wenn wir sie auch denjenigen gegenüber praktizieren, die nicht unserer Meinung sind.

Mit gegenseitigem Respekt auf Augenhöhe Der dritte Weg, auf dem wir die Einheit unse­ rer Gesellschaft gestalten, ist der offene und gemeinsame Dialog auf der Grundlage gegen­ seitigen Respektes und gegenseitiger Wert­ schätzung. Kurz: der Umgang auf Augenhöhe. Im offenen Dialog erkennen wir, dass wir – abhängig von unserer Perspektive und unseren Wertvorstellungen – die gleiche Situation völlig unterschiedlich einschätzen Perspektive ebenso eine Berechtigung hat können, ohne dass damit bereits eine aktive wie die meine. Das Gleiche muss auch umge­ Verneinung der Position des anderen ver­ kehrt gelten. Eine Brücke zu dieser Offenheit bunden ist. ist die Erkenntnis, dass kein Mensch fehler­ Wer bereit ist, sich in die Situation des los ist, auch nicht in der Interpretation von Anderen hinein zu versetzen, wer versucht, Texten, die er selbst für fehlerlos hält. die Argumente der Gegenseite zu verstehen Im Amerikanischen gilt der pragmatische und zu respektieren, der lernt dabei auch Satz: »Let’s agree to disagree«. Seien wir Formen des respektierenden Dialogs und uns einig, dass wir trotz unterschiedlicher des Einvernehmens, selbst wenn man mit Meinung in gegenseitigem Respekt konst­ seinem Gesprächspartner nicht zur gleichen ruktiv miteinander leben wollen. Schlussfolgerung kommt. Eine offene Gesellschaft lernt, mit unter­ In einem solch konstruktiven Dialog kön­ schiedlichen Überzeugungen zusammenzu­ nen die Partner auch akzeptieren, dass am leben, ohne einander bekämpfen zu müssen. Ende des Dialogs nicht immer gemeinsame Ein konstruktiver Dialog über kulturelle Lösungen stehen können. und Wertegrenzen hinweg muss erworben Gotthold Ephraim Lessing riet: »Jeder werden und sollte schon in der Schule ver­ sage, was ihm Wahrheit dünkt, und die mittelt und praktiziert werden. Glücklicher­ Wahrheit selbst sei Gott empfohlen.«19 Da­ weise gibt es solche methodischen Ansätze hinter steht eine bewusste Bescheidenheit schon. Ein Beispiel dafür ist die Konstanzer gegenüber der eigenen Perspektive. Ich kann Methode der Dilemma-Diskussion erst dann gut kommunizieren, wenn ich mei­ (KMDD)®.20 nem Gesprächspartner zubillige, dass seine Neue Lösungen durch Versöhnung alter Widersprüche 18 Pressemitteilung des Zentralrats der Muslime vom 31.7.2014 (http://www.zentralrat.de/ Die Idee der Versöhnung oder Synergie 23989.php). (Reconciliation) geht einen Schritt weiter. 19 Gotthold Ephraim Lessing in einem Brief an Johann Albert Heinrich Reimarus vom 06.04.1778. In: Wilfried 20 Georg Lind: Moral ist lehrbar. Handbuch zur Theorie Barner u. a.: Lessing: Epoche, Werk, Wirkung. C.H. Beck, und Praxis moralischer und demokratischer Bildung. München 1998, 6. Auflage, S. 346. Oldenbourg Verlag, München 2009, 2. Auflage.

30 Jahresbericht 2014 Wer würde gewinnen? Würden die Deutschen auf Gründlichkeit und der damit verbundenen Risikoabsicherung bestehen – auf Kosten einer frühzeitigen Einführung neuer Produk­ te? Würden sich die Amerikaner mit ihrer Risikofreude­ durchsetzen und damit die neuen Produkte aufs Spiel setzen? Die Syn­ ergie lag in der Rollenaufteilung: Bei Inno­ vationen kam die amerikanische Risikobereit­ schaft zum Tragen, bei der gewissenhaften Umsetzung der Ziele in der Produktion­ die deutsche Gründlichkeit. Die Antwort lag und liegt also im Sowohl-als-auch. Das erstklassige Klima der Zusammenar­ beit zwischen deutschen und amerikani­ Hier geht es darum, wie man die anschei­ schen Mitarbeitern zeigte auch auf der per­ nenden Widersprüche überwinden kann, sönlichen Ebene, wie Synergie/Versöhnung indem man die Stärken der beiden Positio­ Menschen mit unterschiedlichen Kulturen nen kreativ miteinander verbindet, ihre und Perspektiven binden kann. jeweiligen Schwächen vermeidet und so Synergie/Versöhnung ist auch für das Ver­ neue Lösungen entdeckt. hältnis von Weltanschauungen und Religio­ Die Wirtschaft macht es vor. Fons nen zueinander ein möglicher nächster Schritt. Trompenaars und Charles Hampden-Turner21 Lessings Definition der Aufklärung schaffen es mit ihrer Dilemma–Reconciliation liegt im Zugeständnis an den Anderen, dass Methode, aus diametral unterschiedlichen er auch Recht haben könnte. Der Ansatz Wertvorstellungen Synergien und innovative der Synergie/Versöhnung geht noch einen Lösungen zu entwickeln. Schritt weiter, dass nämlich jeder von uns Statt sich auf einen Entweder-Oder-Kampf einen Teil der Wahrheit besitzt und niemand von Werten einzulassen oder sich mit faulen im Besitz der ganzen Wahrheit ist. Kompromissen zufrieden zu geben, werden Willkommen also bei der Aufgabe, die aus konfliktbeladenen Dilemmata neue vielfältigen Teilwahrheiten gleichberechtigt Lösungen und neuartige Ergebnisse gemacht. zusammenzutragen, um einen breiteren Blick Ein Beispiel: Bei der Niederlassung des auf die ganze Wahrheit zu erhalten. Dieses amerikanischen Konzerns AMD in den Zusammentragen der Perspektiven ist ein 1990ern in Dresden ging es auch darum, wichtiges Element der »Einheit in Vielfalt«. zwei unterschiedliche Kulturen unter ein Diese Perspektive gehört auch zum Zu­ Firmendach zu bekommen: deutsche Gründ­ sammenleben unterschiedlicher Religionen. lichkeit und amerikanische Risikofreude.22 Ein ganz praktischer Ansatz ist das »Pluralism Project« der Harvard University in den Vereinigten Staaten, das viele Bei­

21 Fons Trompenaars and Charles Hampden-Turner: Riding spiele von Solidarität der Religionen mitein­ the Waves of Culture: Understanding Diversity in Global ander und den Dialog der Religionen zeigt.23 Business. Random House Business Books. 1993. 22 Martin Gillo: Go Deutschland Go. Denkanstöße eines deutschen Amerikaners. Murmann Verlag, Hamburg 2005, 23 The Pluralism Project at Harvard University S. 73 f. (www.Pluralism.org). www.offenes-sachsen.de 31 Hier geht es um das konstruktive und solida­ schärfer zu sehen als unsere Gemeinsam­ rische Miteinander der Religionen. Es ist kei­ keiten. ne theologische Suche nach einer Einheits­ Manchmal wird das Einende erst in einer religion, sondern praktiziert das respektvolle tiefen Krise sichtbar. Ein Beispiel aus meiner religiöse Miteinander auf Augenhöhe. Ein Amtszeit mag hier genügen. solches Projekt würde uns auch in Deutsch­ Vor einigen Jahren wurde in Leipzig ein land gut zu Gesicht stehen. 18-jähriger irakischer Flüchtling von zwei Eine weitere wunderbare Idee wächst Rassisten ermordet, einfach nur, weil sie gerade in Berlin: das »House of One«. Hier sich über jemanden her machen wollten, der entsteht ein gemeinsames Bet- und Lehr­ fremd war. Die Familie war total erschüttert, haus für Juden, Christen und Muslime. denn sie war aus dem Irak geflohen, um Wir sehen: Die »Einheit in der Vielfalt« Sicherheit zu finden. wächst um uns herum. Jeden Tag ein Stück Die ersten Reaktionen ähnelten denen mehr. auf die NSU-Morde. Ein Fall aus der Türste­ her-Szene sei es, so hörte man. Da hatte er Menschsein und Mitmenschlichkeit als wohl selber Schuld. Warum war er auch bindende Kräfte nachts vor dem Bahnhof? Für viele war Schließen wir die Runde mit der fünften der »Fall« damit geklärt und man konnte Perspektive ab. Bei aller Verschiedenheit der zur Tagesordnung übergehen. Religionen, Wertevorstellungen, nationaler Ich besuchte die trauernde Familie und und regionaler Kulturen eint uns immer sprach mit der Mutter, einer koptischen noch viel mehr, als dass uns trennt. Christin. Ich erfuhr, dass der Junge zur evan­ Wir alle sind Menschen. Was uns eint, gelischen Kirche übergetreten und in Leipzig ist der Wunsch, ein gutes Leben zu führen. getauft worden war. Sein Bruder, der einen Was uns eint, ist der Wunsch, unsere Kinder anderen Vater hatte, war Muslim. Der gesund und erfolgreich zu sehen. Was uns Lebensgefährte der Mutter war das auch. eint, ist der Wunsch nach Frieden. Nach Am Ende des Besuches brachte mich der Gesundheit. Nach Anerkennung. Wir wollen Lebensgefährte der Mutter zur Tür und sagte in Freiheit und mit guten Nachbarn leben. beim Abschied: »Es ist doch alles ein Gott. Leider verlieren wir das im täglichen Muslim, Christ, es gibt keinen Unterschied. Stress und angesichts der bedrohlichen Wir gehören doch alle zusammen.« Diese Nachrichten aus aller Welt leicht aus den Worte werden mich mein Leben lang beglei­ Augen. Es fällt uns leichter, das Trennende ten. Recht hat er.

32 Jahresbericht 2014 1.4 Der Weg beginnt: Jetzt 

Gamze Kubaşik war zehn Jahre mit der Trauer um ihren ermordeten Vater allein. Viele Jahre stand sogar der Verdacht im Raum, dass ihre Mutter etwas mit der Er­ mordung ihres Vaters zu tun gehabt haben könnte. Welche Verzweiflung muss sie in dieser langen Zeit durchlitten haben? Wie müssen ihr die Ausgrenzungen zugesetzt haben? Wir haben sie damit allein gelassen. Vielleicht bedurfte es ihres Leidens, um zu erkennen, wie wichtig die Einheit bei Vielfalt ist. Nehmen wir uns ihre Botschaft zu Herzen. Wir werden ein anderes Land. Schneller Besuch von der Beauftragten der Bundesregierung als wir denken. Glücklicherweise kennen Staatsministerin Aydan Özoğuz wir auch schon eine Reihe von Wegen, wie wir aus der Vielfalt heraus ein liebenswertes, lebenswertes und erfolgreiches Land gestal­ ten können. Die Zeit dafür ist jetzt. Wer das alles als zu unrealistisch betrachtet, der sei ermutigt, dass auch die längste Reise mit dem ersten Schritt beginnt. Auf den folgen dann weitere. Einer nach dem anderen. Ich danke Ute Enderlein und Christoph Hindinger für ihre vielen hilfreichen Anregungen zu diesem Artikel.

Übergabe des Staffelstabes am 17. Dezember 2014

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2. Herausforderungen und Chancen  2.1 Rückblick auf 2014 Anstieg der Anträge auf Asyl dominierte das Jahr

Die stark ansteigende Zahl von Flüchtlingen und Behelfslösungen. Besonders die dominierte die Entwicklung im Jahr 2014: Kommu­nikation blieb anfangs Stückwerk: Gab es in Sachsen 2012 noch 3.503 Zugänge Die Verfahren,­ beginnend mit der Prognose an Asylbegehrenden, so waren es 2013 be­ der Gesamtzahlen, der Zuständigkeit für reits 6.398 und im Jahr 2014 dann 11.78624 . die Prüfung und Entscheidung im Einzelfall Andere wichtige Themen wie etwa die seitens des Bundesamts für Migration und Anerkennung ausländischer Qualifikationen, Flüchtlinge in Nürnberg über die verschiede­ die demografische Entwicklung, die Integra­ nen Aufgaben von Freistaat und Kommunen, tion im Alltag oder eine gesteuerte Zuwande­ wurden nur unzureichend erklärt. Der rung von Fachkräften traten demgegenüber Umgang mit den Asylsuchenden und Flücht­ in den Hintergrund. lingen – von der ersten Aufnahme in der Verantwortung des Bundesamtes für Migra­ Entwicklung zu spät erkannt tion und Flüchtlinge (BAMF) bis zur geziel­ Wer in den letzten Jahren die Berichte über ten Unterbringung und Betreuung in den Krisen- und Kriegsgebiete in der Welt auf­ Landkreisen und Kreisfreien Städten – merksam verfolgt hat, für den kam der gestaltete sich schwierig. Die Gründe hierfür­ progressive Anstieg an Asylanträgen nicht sind differenziert zu betrachten. Die pauscha­ überraschend. Die Ursachen für Flucht und le Zuweisung von Verantwortung zwischen Vertreibung sind bekannt. Die Gründe einer Kommunen und Freistaat, zwischen Bundes­ Flucht aus Gebieten wie Syrien oder Libyen ebene und Europäische Union kennzeichnete sind nachvollziehbar. Sie reichen von Krieg die Debatte, war aber in der Sache wenig über Diskriminierung und Verfolgung bis hilfreich. Der Handlungsdruck stieg. Bilder hin zu existenziellen wirtschaftlichen Not­ von Flüchtlingen im Mittelmeer beherrsch­ situationen. ten die Nachrichten. Die EU ist das Ziel von Im zweiten Halbjahr 2014 allerdings immer mehr Schutzsuchenden. Die europäi­ verfestigte sich der Eindruck, dass die zu­ schen Rahmenbedingungen­ erschweren ständigen Behörden und Kommunen von den geordneten und gerechten Umgang der Entwicklung überrannt wurden und mit jedem einzelnen menschlichen Flucht­ nicht mehr angemessen reagieren konnten. schicksal, sind von höchst unterschiedli­ In einzelnen Bereichen kam es zu Not- chen nationalen Regelungen gekennzeichnet und lassen häufig jede innereuropäische Solidarität vermissen. 24 Sächsisches Staatsministerium des Innern, Stand 31.12.2014. www.offenes-sachsen.de 35 Bundesamt: Prognosen, Stau on und Flüchtlinge entstand nicht allein und Entscheidungen 2014. Um die aufgelaufenen Bearbeitungs­ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlin­ rückstände aufzuholen, erhielt das Bundes­ ge korrigierte 2014 seine Prognosen in außer­ amt im Jahr 2014 die Mittel für 600 zusätz­ ordentlich kurzen Abständen. Eine konse­ liche Stellen. Aber auch dieses Personal quente und belastbare Planung bis hinunter wird in Zukunft nicht ausreichen. Offen wa­ in die Verwaltungsebene der Unterbrin­ ren zum Jahresende rund 4.000 Verfahren gungsbehörden war damit kaum möglich. von Antragstellern im Freistaat Sachsen. Somit erfolgten die Zuweisungen von Asyl­ Die gestiegenen Zahlen allein können die bewerbern kurzfristig, oft sogar ohne Erstre­ mangelnde Vorsorge auf Bundes-, Landes- gistrierung der Betroffenen: Im Regelfall soll und kommunaler Ebene nicht erklären. ein Asylbewerber innerhalb von drei Monaten Höhere Flüchtlingszahlen waren bereits in die wichtigsten Aufnahmeverfahren im den 1990er-Jahren infolge des Balkankonflik­ Bundesamt mit dem Ziel einer Entscheidung tes bewältigt worden. Nach dem sogenann­ innerhalb dieser Frist durchlaufen haben. ten Asylkompromiss gingen die Zahlen bis Diese politische Vorgabe war durchweg nicht zum Jahr stark 2009 zurück. Nach leichten haltbar und führte zu Vollzugsproblemen, Steigerungen verdoppelte sich 2013 die Zahl besonders bei der anschließenden Unter­ der Anträge und verdreifachte sich 2014 im bringung. Die regionale Behörde kann nur Vergleich zu 2012. Die Tendenz war eindeu­ dann gezielt und konfliktmindernd unter­ tig, führte aber nicht zu einer hinreichenden bringen, wenn die Nationalität, die Familien­ Reorganisation der Entscheidungsabläufe struktur, der Ausbildungsstand oder eine und nicht zu einer ausreichenden finanziel­ Perspektive der Betroffenen bekannt sind. len, personellen und kommunikativen Vor­ Zwar war die absolute Spitze zum Jahres­ sorge auf allen Ebenen. Bei der Bewertung ende – ausgelöst auch durch Tausende von der mehrmonatigen Wartezeit auf eine Ent­ An­tragstellern aus Kosovo – nicht vorherzu­ scheidung des Bundesamtes kommt hinzu, sehen. Doch der Stau von rund 200.000 offe­ dass die Entscheidungsstatistik für Flücht­ nen Verfahren beim Bundesamt für Migrati­ linge aus manchen Ländern, etwa dem

36 Jahresbericht 2014 Hauptherkunftsland Syrien, eindeutig und weit bei 31,5 Prozent. Abzüglich der Rück­ kontinuierlich deutlich über 90 Prozent liegt. nahmen, der Überstellung in ein anderes Die Verstärkung und die personellen Land nach dem Dublin-Verfahren und sons­ Hilfen seitens der Bundesländer bewirkten tiger Verfahrenserledigungen liegt die berei­ trotzdem, dass im Monat Dezember 2014 die nigte Schutzquote sogar bei 48,5 Prozent. durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Ein Schutz nach der Genfer Flücht­ vorher bis zu zehn Monaten auf rund fünf lingskonvention wurde bei 24,1 Prozent Monate sank. Die Verfahren werden außer­ (31.025 Personen) anerkannt. Bundesweit dem durch die oft schwierige Zusammenar­ erhielten 1,8 Prozent den Status von Asyl­ beit mit den Behörden der Herkunftsländer, berechtigten (2.285 Personen). Subsidiären eine sich ständig verändernde Lage in den Schutz erhielten rund 4,0 Prozent – insgesamt Herkunftsländern oder eine ungeklärte Iden­ 5.174 Personen. 2.079 Personen – ca. 1,6 Pro­ tität der Flüchtlinge und Asylbewerber ver­ zent – fielen unter das Abschiebeverbot. zögert. Über Monate und Jahre verändert In Sachsen wurde 2014 über 6.099 Asyl­ sich auch die persönliche Situation, etwa anträge entschieden. 1.326 Menschen wur­ durch Krankheit, Geburt oder Heirat. Zudem den als Flüchtlinge bestätigt, weitere 61 werden etwa 80 Prozent der abschlägigen erhielten subsidiären Schutz. In 105 Fällen Entscheidungen des Bundesamtes vor Ge­ wurde ein Abschiebeverbot festgestellt. Aus richt angefochten. Sachsen abgeschoben wurden im Jahr 2014 insgesamt 1.037 Personen. Schutzquote bleibt hoch Insgesamt beantragten 2014 in Deutschland Die Verteilung von Flüchtlingen in Europa, 202.834 Menschen Asyl. Darunter waren Deutschland und Sachsen 173.072 Erstanträge und 29.762 Folgeanträge. Pro 1.000 Einwohner nimmt Deutschland Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Zahlen rechnerisch knapp einen Flüchtling (0,95 Pro­ um 59,7 Prozent. Die Gesamtschutzquote bei zent) auf und liegt damit unter den europäi­ den Entscheidungen des Bundesamtes für schen Mitgliedstaaten auf dem neunten Platz, Migration und Flüchtlinge lag deutschland­ wenn man die Verteilung der Asylbegehrenden www.offenes-sachsen.de 37 in Relation zur Einwohnerzahl setzt. Malta Unterbringung am Limit in der EAE kommt auf fast fünf Personen, Schweden und den Landkreisen liegt knapp darunter. Vor Deutsch­land liegen Erste Station der Asylbegehrenden in Sach­ noch Luxemburg, die Schweiz, Belgien, Ös­ sen ist die Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) terreich, Norwegen, Zypern und Dänemark. in Chemnitz. Sie liegt in der Verantwortung Nach dem Königsteiner Schlüssel wurden der Landesdirektion, einer Behörde des Frei­ und werden dem Freistaat Sachsen etwa staates. Auf dem Gelände befindet sich eine 5,1 Prozent der Gesamtzahl der Asylbewerber Außenstelle des BAMF, das für das Verfahren in der Bundesrepublik zugeteilt. Haupther­ zuständig ist. Vereinfacht gesagt erfolgen kunftsländer waren Syrien und Tunesien. in der EAE die Erfassung und Gesundheits­ Bis Ende des Jahres besaß die Außenstelle prüfung der Bewerber. Das Asylverfahren des BAMF in Chemnitz die alleinige Zustän­ wird eröffnet. Nach Angaben der Landes­ digkeit für Flüchtlinge aus Tunesien. direktion Sachsen wurden im Jahr 2014 in der Offizielle Stellen Kosovos erklärten den Auf­nahmeeinrichtung Chemnitz insgesamt explosiven Anstieg der Flüchtlinge aus dem 11.786 Asylsuchende registriert. Zeitweise wirtschaftlich desolaten Land zum Jahresen­ kam es zu einer massiven Überbelegung, so de mit gezielten Falschinformationen über dass schon 2013 eine bereits geschlossene die Anerkennungssituation in Deutschland. Außenstelle in Schneeberg wieder eröffnet Hierfür verantwortlich seien Schlepperorga­ werden musste. Außerdem reagierte die Lan­ nisationen, die sich an der Not der Flüchten­ desdirektion mit provisorischen Unterbringun­ den bereichern. Das deckt sich mit den Er­ gen, zum Beispiel in Zelten. Die Staatsregie­ kenntnissen in Sachsen. rung beschloss zudem, bis zum Jahre 2017 zwei weitere Standorte in Leipzig und Dresden für die Erstaufnahme zu schaffen.

Kundgebung »Dresden für alle« am 16. November 2014

38 Jahresbericht 2014 -Abendspaziergang am 16. November 2014 in Dresden

Nach drei Monaten in den Erstaufnahmeein­ Widerstand gegen neue Standorte richtungen sollen die Bewerber im Regelfall Am 31.12.2014 lebten in Sachsen insgesamt in den Landkreisen und Kreisfreien Städten 11.163 Asylbewerber im Verfahren, davon untergebracht werden. Nach Maßgabe des 10.123 in den Kommunen. Die Unterbringungs­ Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetzes behörden konnten bis zu 50 Prozent der wurden 2014 insgesamt 9.273 Personen auf Asylbewerber dezentral in Wohnungen oder die sächsischen Kommunen verteilt. kleinen Wohngemeinschaften unterbringen. Trotzdem war der Bedarf an Gemeinschafts­ Die 9.273 Personen wurden wie folgt unterkünften gestiegen. Im Jahr 2013 wurden den Landkreisen und Kreisfreien Städte im Rahmen des »Heim-TÜV« 40 Gemein­ zugewiesen: schaftsunterkünfte­ geprüft. Ende 2014 gab es in Sachsen bereits über 60 Gemeinschafts­ Erzgebirgskreis______832 unterkünfte. Die Kommunen mussten schnell Zwickau ______779 auf die ihnen zu diesem Zeitpunkt zur Ver­ Mittelsachsen______746 fügung stehenden Liegenschaften und An­ Vogtlandkreis______439 gebote privater Eigentümer zurückgreifen. Bautzen______716 An vielen Orten kam es zu Bürgerprotesten Meißen______586 gegen neu geplante Standorte. Die Gründe Görlitz______453 für den gelegentlich auch von Extremisten Sächsische Schweiz-Osterzgebirge______578 organisierten Widerstand waren oft Mangel Nordsachsen______466 an Informationen, aber auch gezielte frem­ Leipzig______612 denfeindliche Gerüchte und der mangelnde zeitliche Vorlauf. Die Proteste lassen – so Stadt Chemnitz______579 wurde es bei vielen Bürgergesprächen deut­ Stadt Dresden______1.252 lich – auf Informationsdefizite zum Asylver­ Stadt Leipzig______1.235 fahren, zu den rechtlichen Rahmenbedin­ gungen, zu Fluchtgründen und zur weiteren Perspektive der Asylbegehrenden schließen. www.offenes-sachsen.de 39 Proteste im Umfeld der Asyldebatte Straftaten im Bereich politisch Ende 2014 erhielt die sogenannte Pegida-­ motivierter Kriminalität in Sachsen Bewegung in Dresden enormen Zulauf. Die Im Bereich der politisch motivierten Krimi­ »Patriotische Europäer gegen die Islamisie­ nalität (PMK) weist die polizeiliche Kriminal­ rung des Abendlandes« gefielen sich nicht statistik für 2014 einen Anstieg der Strafta­ selten in undifferenzierten fremdenfeindlichen­ ten aus. 2014 wurden 3.125 Fälle registriert, Aus­sagen gegen Flüchtlinge, Asylbewerber­ 16 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei den und Zuwanderer. Auch diese Meinungen Gewaltstraftaten sind im Bereich PMK -links- waren oft auf Unkenntnis der Details zurück­ 157 Fälle (Rückgang um sechs Prozent) und zuführen. Pegida weist im Themenfeld Asyl im Bereich PMK -rechts- 86 Fälle (Anstieg und Zuwanderung auf ein Kommunikations- um 16 Prozent) zu verzeichnen. und Verständnisproblem hin. Fremdenfeindliche Straftaten nahmen 2014 um 68 Prozent auf 256 zu. Die Zunahme kann durchweg mit einer gestiegenen Fall­ zahl rechtsextremistischer Propaganda zur Asylpolitik erklärt werden. Im Vergleich stieg das Aufkommen der politisch motivierten Straftaten von Auslän­ dern leicht an, liegt mit 29 Fällen aber wei­ terhin auf einem niedrigen Niveau.

Offene und frühzeitige Information vor Ort zahlen sich aus Der offene Umgang mit Zahlen, breite Dis­ kussionen über die Rechtslage und die Voll­ zugspraxis sowie frühzeitige ausführliche Information der betroffenen Gemeinden durch die Landesdirektion und die örtlichen Unterbringungsbehörden wurden von den betroffenen Anwohnern sehr positiv ange­ Auch in Folge der Proteste erkannte die nommen. Das Engagement von Bürgerinitia­ Politik Handlungsbedarf. Veranstaltungen, tiven tat ein Übriges, dass betroffene Bürger Foren und die auf vielen Ebenen verstärkte im Umfeld von Asylbewerberunterkünften Kommunikation zwischen Politik und sich mit ihren Fragen, Sorgen und Ängsten Bürgern belegten das vorhergehende Erklä­ ernst genommen fühlten. Die meisten sind rungsdefizit. Es ist nunmehr allgemeine dann auch grundsätzlich bereit, Flüchtlin­ Erkenntnis, dass die Politik eine demokrati­ gen Schutz und Perspektive zu ermöglichen. sche Bringschuld hat, der Öffentlichkeit und Oft helfen sie durch Beteiligung, durch den Wählern zu erklären, was und bis wann Hilfsangebote, Patenprogramme oder Sach­ was getan werden muss, was konkret vor Ort spenden. Allerdings werden sie auch künftig geplant ist, warum Asylbewerber Schutz und keine Lösungen ohne Vorlauf und Bürgerbe­ ein belastbares rechtsstaatliches Verfahren teiligung akzeptieren. erhalten, warum Zuwanderung notwendig Parallel zu den offiziellen Initiativen ent­ ist und welche Alternativen es zum gelten­ standen nahezu flächendeckend im Freistaat den Recht und zur bisher geübten Praxis gibt. örtliche Bündnisse, die sich für eine offene

40 Jahresbericht 2014 Kommunikation und Information vor Ort sen, mittlerweile auch in den Behörden­ einsetzten. Im Vordergrund standen dabei strukturen. Ein Beispiel aus Chemnitz findet die Information über Fluchtgründe, die sich in diesem Bericht. Im Interview mit der Herkunft und Fluchtgeschichten der Asyl­ Leiterin wird deutlich, dass eine positive bewerber, die Perspektiven der Asylbewer­ Grundstimmung nicht administrativ ange­ ber in Sachsen und die Gestaltung des ordnet werden kann. Ihr Gelingen ist stark Gemeinwesens vor Ort. Die örtliche Bevölke­ davon abhängig, dass alle Beteiligten – rung reagierte gleichwohl nicht selten in Mitarbeiter, Asylbewerber, Partner der Be­ einem Spektrum zwischen schroffer Ableh­ hörden – in den Prozess einbezogen werden. nung und tätiger unmittelbarer Hilfeleistung – Ihre Erfahrungen müssen einfließen, sonst für manche Dorfgemeinschaft bis heute scheitern die Bemühungen. eine gewaltige Belastung. Im ehrenamtlichen Bereich ist der Ein­ Das Projekt »Kommune im Dialog« der satz von regionalen Vereinen, Gemeinden, Sächsischen Landeszentrale für politische Verbänden, Organisationen und Einzelper­ Bildung (SLpB) hat die Kommunikationsini­ sonen oft hervorragend. Gesellschaftliche tiative der Politik verstärkt und unterstützt. Kräfte wie die Sozialverbände, Kirchen, Dieses Programm lief im Jahr 2014 aus. Mit Hilfsorganisationen, Bürgerinitiativen und Blick auf die guten Erfahrungen in der Ver­ Künstlergruppen schufen regionale Hilfsan­ gangenheit und auf die Prognose für die Zu­ gebote oder überregionale Förderungsmög­ kunft sollte ein vergleichbares Programm ins lichkeiten. Angeboten wurden eine Vielzahl Leben gerufen werden, welches auch ohne von Sonderprogrammen zur finanziellen die Moderation der Landeszentrale Anleitung, Unterstützung, Spendenaktionen, Informati­ fachliche Beratung und eine Überführung in onsabende oder Patenschaften bis hin zur die kommunale Praxis ermöglicht. Bereitstellung von Wohnraum. Auch einzel­ ne Bürger wandten sich an die Geschäfts­ Die Ankunft vor Ort muss organisiert sein stelle des Ausländerbeauftragten. Sie boten Positive Entwicklungen zu einer gut organi­ konkrete Hilfen an, machten Vorschläge für sierten Ankunft vor Ort gibt es in ganz Sach­ eine bessere Unterbringung oder suchten www.offenes-sachsen.de 41 Gespräch mit Einheimischen und Asylbewerbern in Werdau

Kontakt zu strukturierten Hilfsangeboten personen leisteten viel. Immer neue Men­ und direkt zu Flüchtlingen. Im folgenden schen in den Erstaufnahmestellen, die teils Kapitel finden Sie ein Beispiel der Initiative heftigen und kontroversen Diskussionen einer Bornaer Kirchgemeinde. vor Ort sowie Kapazitätsprobleme der vor­ handenen Aufnahmestrukturen erforderten Fazit: Lösungen mit Reibungen vor allem Eines: unverzügliches, pragmati­ Die sächsische Gesellschaft musste sich sches Handeln. Das ging nicht ohne Rei­ 2014 an die gestiegenen quantitativen An­ bung. Doch der Einsatz lohnt sich, gilt er forderungen gewöhnen und nach Kräften doch Menschen, die uns anvertraut sind versuchen, diese zu bewältigen. Landkreise und die in Sachsen Schutz, Mitmenschlich­ und Kreisfreie Städte, Gemeinden, gesell­ keit, Hilfe, Sicherheit und Perspektiven schaftliche Gruppen, Vereine und Einzel­ suchen.

42 Jahresbericht 2014 2.2 Diese Weichen sind gestellt 

Die Regierungskoalition in Sachsen verstän­ • die im Ausland erworbenen Schul-, digte sich in ihrem Vertrag vom 10. November Berufs-, und Studienabschlüsse be­ 2014 auf integrationspolitische Ziele, die hier schleunigt prüfen und, wenn möglich, auszugsweise aufgeführt sind: anerkennen.

1. Förderung und Verpflichtung zu Bildung Die Exekutive will • die schulische Integration von Flüchtlings- und Migrantenkindern sicherstellen und dazu insbesondere das Unterrichtsfach Deutsch als Zweitsprache absichern, • die frühe Sprachförderung in Kindertages­ einrichtungen auch über die Laufzeit des gegenwärtigen Modellprojekts hinaus ver­ stärken, • die Integration von Kindern mit nicht- deutscher Muttersprache der Eltern fördern, • allen Migrantinnen und Migranten einen kostenlosen Sprachkurs mit mindestens Sprachniveau A2 ermöglichen, • Jobcenter und Ausländerbehörden 3. Bessere Unterbringung anhalten, Migrantinnen und Migranten Die Exekutive will zur Teilnahme an Integrationskursen zu • die auch angesichts der steigenden verpflichten (§ 44a Aufenthaltsgesetz). Zugangszahlen erforderlichen Erstauf­ nahmekapazitäten schaffen und dabei 2. Förderung von Arbeit bauliche, personelle und organisatorische Die Exekutive will Gegebenheiten anpassen, • die Asylsuchenden sozialpädagogisch bes­ • dafür in Leipzig und Dresden spätestens ser betreuen und durch Arbeitsangebote 2017 neue EAE eröffnen, die Integration von in Sachsen lebenden • die für die Unterbringung zuständigen Migrantinnen und Migranten verstärkt Landkreise und Kreisfreien Städte im Rah­ fördern, men des Unterbringungs- und Kommuni­ • das Sächsische Berufsqualifikationsfest­ kationskonzeptes zeitnah über Zugänge stellungsgesetz evaluieren, informieren, www.offenes-sachsen.de 43 • die finanzielle Unterstützung der Kommu­ 5. Aufbau Netzwerk der Migranten­ nen nach dem Sächsischen Flüchtlings­ selbstorganisationen aufnahmegesetz regelmäßig überprüfen, Migrantenselbstorganisationen sollen • schnell die Absicht des BAMF unterstützen, finanziell bei der Einrichtung eines Landes­ Entscheidungen im Asylverfahren inner­ netzwerkes unterstützt werden. Ein dauer­ halb von drei Monaten zu treffen und haftes Förderprogramm für demokratische • bei versagtem Bleiberecht die Entschei­ und integrationsfördernde Migrantenselbst­ dung, soweit keine freiwillige Ausreise organisationen wird eingerichtet. erfolgt, zeitnah durchsetzen. 6. Fortschreibung der Strukturen 4. Förderung gesellschaftlicher Initiativen Die Staatsregierung nahm bis zum und Qualifizierung der Verwaltung Dezember 2014 auf administrativem Wege Um das ehrenamtliche Engagement zu för­ folgende Veränderungen vor: dern, soll es für ehrenamtlich Engagierte • ein neuer Geschäftsbereich im Sozial­ künftig neben der Aufwandsentschädigung ministerium mit der Staatsministerin für Bildungs-, Begleit- und Qualifizierungsange­ Gleichstellung und Integration, bote geben. Bei Förderanträgen soll Engage­ • der Lenkungsausschusses Asyl und ment grundsätzlich als Eigenleistung be­ • das Verbändegespräch wurden eingerichtet. rücksichtigt werden. Im öffentlichen Dienst soll der Anteil der Beschäftigten mit Migrati­ Im Lenkungsausschuss Asyl stimmen sich onshintergrund erhöht und die interkulturel­ die auf staatlicher und kommunaler Ebene le Kompetenz in der Landesverwaltung als für das Verwaltungsverfahren, die Unter­ Qualitätskriterium verankert werden. bringung und die soziale Betreuung der Asylbegehrenden verantwortlichen Aufgaben­ träger ab. Im Rahmen der Gesetze verfolgt der Lenkungsausschuss die einheitliche und landesweite Beantwortung und Koordinie­ rung der wichtigsten Fragen zur Unterbrin­

44 Jahresbericht 2014 gung. Ressortübergreifend koordiniert er die der Sächsische Landkreistag und der Sächsi­ in staatlicher Verantwortung liegenden Zu­ sche Städte- und Gemeindetag. Im Berichts­ ständigkeiten für die Aufnahme, Unterbrin­ jahr 2014 fanden noch keine Verbändege­ gung, soziale Betreuung und erste Integration spräche statt. von Asylbegehrenden und die organisatori­ Das bisher beim Ausländerbeauftragten sche Unterstützung der Kommunen bei der angesiedelte »Netzwerk Integration und Unterbringung und sozialen Betreuung. Migration Sachsen NIMS« wird künftig im Der Lenkungsausschuss Asyl wird gelei­ Rahmen der Verbändegespräche tagen. tet von der Sächsischen Staatsministerin für Gleichstellung und Integration und dem 7. Aufwertung des Amtes des Ausländer- Staatssekretär des Staatsministeriums des und Integrationsbeauftragten Innern. Mitglieder sind neben den maßgeb­ Das Amt des Sächsischen Ausländerbeauf­ lichen Staatssekretären der Ressorts der tragten wird zu einem Beauftragten für Mig­ Präsident der Landesdirektion, je ein Ver­ ration und Integration weiterentwickelt. Es treter der Staatskanzlei und der Oberbürger­ wird mit den dafür notwendigen finanziellen meister, zwei Landräte, ein Vertreter des und personellen Ressourcen und Kompeten­ BAMF und der Leiter des Malteser-Hilfs­ zen ausgestattet, insbesondere um den dienstes. Außerdem nehmen der Sächsische bundesweit beispielgebenden »Heim-TÜV« Ausländerbeauftragte und Vertreter der dauerhaft fortführen zu können. Arbeitsagentur teil. Der Lenkungsausschuss Die kommunalen Ausländerbeauftragten soll monatlich tagen. in den Landkreisen und Kreisfreien Städten Die Verbändegespräche sollen alle gesell­ sollen unter Beachtung der kommunalen schaftlichen Beteiligten und Aufgabenträger Selbstverwaltung zu hauptamtlichen Integ­ vernetzen, die sich mit der Aufnahme, Be­ rationsbeauftragten aufgewertet werden. treuung und ersten Integration von Asylbe­ gehrenden befassen. Die Gespräche sollen darauf abzielen, »einen breiten gesellschaft­ lichen Konsens für einen humanen, zuge­ wandten Umgang mit hinzukommenden Asylsuchenden und Flüchtlingen zu bilden und die Breite der Bevölkerung hinter die­ sem Konsens zu vereinen.« Die Fachressorts benennen die an den Verbändegesprächen Beteiligten. Die Staatsministerin für Gleichstellung­ und Integration initiiert, führt und organisiert die Verbändegespräche. Sie sollen mindes­ tens halbjährlich stattfinden. Vertreten sind neben den Repräsentanten der Ministerien (SMI, SMK, SMF, SMWA, SMWK, SMS), wiederum der Präsident der Landesdirektion Sachsen, die Landeszentra­ le für politische Bildung, die Vorsitzenden der Landtagsausschüsse für Inneres und So­ ziales, der Sächsische Ausländerbeauftragte, www.offenes-sachsen.de 45 2.3 K!D – Kommune im Dialog Ein Projekt mit gutem Erfolg und vorläufigem Ende von Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung

Für die Durchführung des Projektes K!D Institutionen der Verwaltung in 25 Veran­ (Kommune im Dialog) war die Landeszentra­ staltungen. Das Projekt förderte somit die le im Doppelhaushalt 2013/14 mit zusätz­ Streit- und Mitwirkungskultur und den Er­ lichen Finanzmitteln ausgestattet worden. fahrungsaustausch unter den maßgeblichen Das Anliegen des Projekts – so die ursprüng­ Akteuren. Die Notwendigkeit, die geplanten liche Idee – bestand darin, politische Diskussionsveranstaltungen gemeinsam Meinungs- und Willensbildungsprozesse in mit den staatlichen, kommunalen und auch sächsischen Kommunen zu unterstützen. ehrenamtlich tätigen Verantwortungsträgern Die Erfahrungen aus der Arbeit mit der AG vor- und nachzubereiten, führte 2014 zu 13. Februar in Dresden hatten gelehrt, dass einer vergleichsweise großen Zahl an Gremi­ die für die demokratische Praxis elementar ensitzungen. wichtigen Prozesse belastet und blockiert sein können und der überparteilichen Mode­ Arbeits­ Teil­ K!D 2014 Anzahl einheiten ration bedürfen. Die Idee erwies sich als nehmer á 90 min tragfähig. Die SLpB musste wenig Werbung Veran­­stal­ 25 2.346 99 investieren. Anfragen nach den angebotenen tungen Unterstützungsleistungen der SLpB kamen 131 596 247 aus Riesa, Schneeberg, Chemnitz, Plauen/V., Gremien (2013: 51) Neukirch/L., Perba, Dresden, Freiberg und anderen Kommunen. In den allermeisten Mit dem 31. Dezember 2014 fand das Projekt Fällen bestand Bedarf, offen und öffentlich ein vorläufiges Ende. Die Art und Weise so­ über die angefallenen Probleme im Zusam­ wie der Umfang der Fortführung hängt unter menhang mit der Einrichtung und Betreibung anderem von der finanziellen Ausstattung der von Asylbewerberheimen zu diskutieren, SLpB durch den Doppelhaushalt 2015/16 ab. die zum Teil heftigen Proteste aus Teilen der Zu den wesentlichen Erkenntnissen, die Bevölkerung aufzunehmen und in einen im Projekt gewonnen wurden, gehören: sachlichen Diskurs zu überführen. Die An­ • Zum Asylrecht sowie zu dessen politischer frage des Sächsischen Bau- und Immobilien- und administrativer Umsetzung besteht managements (SIB), einen Gesprächsprozess ein großer Informations- und Diskussions­ über die Gestaltung des sowjetischen bedarf. Militärfriedhofs in Dresden zu moderieren, • Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen stellte eine interessante und anspruchsvolle sich bei politischen Entscheidungen zu Ausnahme dar. schlecht informiert und zu wenig einbe­ Im Jahr 2014 unterstützte K!D sächsische zogen. Viele identifizieren »die Politik« Kommunen, gemeinnützige Vereine sowie mit »der Verwaltung«.

46 Jahresbericht 2014 • Die von offener, öffentlicher, fairer, auf gegenseitiges Verständnis und auf Kom­ promiss abzielender Auseinandersetzung geprägte politische Kultur ist mancherorts nur schwach ausgeprägt. Opposition wird oft nur als Konfrontation wahrgenommen und betrieben. • Auch destruktive und pauschal ablehnen­ de Stimmungen müssen wahrgenommen und aufgenommen werden. Es ist möglich, sie in einen sachlichen und konstruktiven Diskussionsprozess zu überführen. Dabei werden die Bedeutung von Emotionen und die notwendige Dauer von Prozessen unterschätzt. • Politisch Verantwortliche diskutieren Pro­ blemlagen sehr oft ausschließlich defensiv. Die gesellschaftlichen und politischen Chancen, die sich in auftretenden Konflik­ ten verbergen, werden nur selten offensiv (und optimistisch) angesprochen.

www.offenes-sachsen.de 47 2.4 Neuregelungen im Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht

2.4.1 Änderungen im wie § 29 Abs. 1 StAG direkt am Anfang Staatsangehörigkeitsrecht klarstellt. Das Gesetz ist am 20. Dezember 2014 Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des in Kraft getreten. Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) wurde die so genannte Optionspflicht umfassend geändert. In Deutschland geborene und auf­ 2.4.2 Bessere Rechtsstellung für asyl­ gewachsene Kinder ausländischer Eltern suchende und geduldete Ausländer müssen sich künftig nicht mehr entscheiden, welchen Pass sie führen wollen. Der Nach­ Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstel- weis, in Deutschland aufgewachsen zu sein, lung von asylsuchenden und geduldeten genügt. Ausländern Der Gesetzgeber legt in § 29 Abs. 1a, Das Gesetz erleichtert die Rechtsstellung 5 StAG genau fest, wie dieser Nachweis zu von asylsuchenden und geduldeten Auslän­ führen ist: Wer bis zur Vollendung seines dern. Es ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten, 21. Lebensjahres acht Jahre in Deutschland einzelne Vorschriften gelten ab 1. März 2015. gelebt hat, sechs Jahre hier zur Schule Das Gesetz regelt zum einen Anpassun­ gegangen ist oder einen Schulabschluss gen im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) und beziehungsweise eine abgeschlossene Be­ eröffnet zum anderen Erleichterungen im rufsausbildung erworben hat, erfüllt die Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bei der räum­ Voraussetzungen. lichen Beschränkung für Asylbewerber und Die Folge ist, dass nur wenige Deutsche, Geduldete, der so genannten Residenz­ die gemäß § 4 Abs. 3 StAG allein auf Grund pflicht. der Geburt in der Bundesrepublik die deut­ Für Asylbewerber und geduldete Auslän­ sche Staatsangehörigkeit erlangt oder diese der ist eine Verkürzung der Wartefrist für die im Rahmen der Übergangsbestimmung des Ausübung einer Beschäftigung vorgesehen. § 40b StAG durch Einbürgerung erworben Hierdurch sollen die betreffenden Personen haben, sich überhaupt noch zwischen der künftig bereits nach drei Monaten durch deutschen und der von den Eltern abgeleite­ die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ihren ten ausländischen Staatsangehörigkeit ent­ Lebensunterhalt selbst bestreiten dürfen. scheiden müssen. Die Residenzpflicht wird nunmehr nach drei Die Optionspflicht gehört jedoch noch Monaten Aufenthalt im Bundesgebiet grund­ nicht gänzlich der Vergangenheit an. sätzlich abgeschafft (§ 59a AsylVfG). Sie obliegt weiterhin denjenigen, die Um dabei weiterhin eine gerechte Vertei­ nicht in Deutschland aufgewachsen sind, lung der Sozialkosten zwischen den Ländern

48 Jahresbericht 2014 zu gewährleisten, wird eine Wohnsitzauflage nen erheblich. Sachleistungen bleiben dane­ für solche Asylbewerber und Geduldete einge­ ben jedoch weiterhin möglich, zum Beispiel führt, deren Lebensunterhalt nicht gesichert um Versorgungsengpässe angesichts der ist. Sie sollen Sozialleistungen nur an diesem derzeit stark steigenden Anzahl von Asylbe­ behördlich festgelegten Wohnsitz beziehen. werbern zu vermeiden. Ausnahmeregelungen zur Anordnung Weiterhin sollen Hürden bei der Jobsuche der Residenzpflicht finden sich für Fälle, für Asylsuchende gesenkt werden. in denen »Tatsachen die Schlussfolgerung Die Bundesanstalt für Arbeit durfte bis­ rechtfertigen«, dass ein Verstoß gegen das her einer Beschäftigung von Asylbewerbern Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vorliegt, und Geduldeten nur unter bestimmten Vor­ oder wenn »konkrete Maßnahmen zur aussetzungen zustimmen: Für das konkrete Aufenthaltsbeendigung« bevorstehen Stellenangebot durften keine deutschen Ar­ (§ 59b AsylVfG). beitnehmer, EU-Bürger oder entsprechend Das Gesetz sieht auch Anpassungen im rechtlich gleichgestellte Ausländer zur Ver­ Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vor. fügung stehen. Durch die Beschäftigung Diese sind zum 1. März 2015 in Kraft ge­ durften sich außerdem keine nachteiligen treten. Die Neuregelung bestimmt hier, dass Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben. zukünftig nur noch während des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen in der Diese Vorrangprüfung entfällt nun: bisherigen Form am Sachleistungsprinzip • für Hochschulabsolventen in Engpass­ festgehalten wird. Der »Sachleistungsvor­ berufen, die die Voraussetzungen für eine rang« wurde damit teilweise aufgehoben. Blaue Karte EU erfüllen oder Nach der Erstaufnahmezeit werden • für Fachkräfte, die eine anerkannte nunmehr zukünftig vorrangig Geld- statt Ausbildung für einen Engpassberuf nach Sachleistungen erbracht. Das stärkt die der Positivliste der Bundesagentur für Selbstbestimmungsmöglichkeit der Leis­ Arbeit haben beziehungsweise an einer tungsberechtigten. Damit reduziert sich Maßnahme für die Berufsanerkennung auch der Verwaltungsaufwand der Kommu­ teilnehmen oder www.offenes-sachsen.de 49 • wenn sich die Menschen seit 15 Monaten Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten ununterbrochen erlaubt, geduldet als sichere Herkunftsstaaten und oder mit einer Aufenthaltsgestattung zur Erleichterung des Arbeitsmarkt­ in Deutschland aufhalten. zugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer Diese Zweite Verordnung zur Änderung Ziel des Gesetzes sind Verbesserungen der Beschäftigungsverordnung ist am für hier lebende Asylsuchende. Allerdings 11. November 2014 in Kraft getreten. Mit finden auch Asylrechtseinschränkungen der Verordnung setzt die Bundesregierung durch die Festlegung sicherer Herkunfts­ ihre Zusage um, den Arbeitsmarktzugang staaten bei Flüchtlingen vom Westbalkan für Asylbewerber und Geduldete weiter statt. Ziel ist eine Reduzierung der Asyl­ zu erleichtern. Die Neuregelung ist auf anträge von Staatsangehörigen dieser drei Jahre befristet. Die Bundesregierung Staaten und damit eine insgesamt schnellere wird anschließend, unter Berücksichtigung Bearbeitung. der Arbeitsmarktsituation, über eine Ver­ Bosnien-Herzegowina, die ehemalige längerung entscheiden. jugoslawische Republik Mazedonien sowie Serbien gelten seit der Verabschiedung des Gesetzes als sichere Herkunftsstaaten. Damit wird kraft Gesetzes vermutet, dass in diesen Ländern keine politische Verfol­ gung droht. Die gesetzliche Vermutung ist jedoch im Einzelfall widerlegbar. So

50 Jahresbericht 2014 kann der Asylbewerber darlegen, dass er Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungs- »abweichend von der allgemeinen Lage im recht zur Erleichterung der Unterbringung Herkunftsland« mit politischer Verfolgung von Flüchtlingen rechnen muss. Mit dem Gesetz über Maßnahmen im Mit dem Gesetz zur Erleichterung des Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und Unterbringung von Flüchtlingen wurden geduldete Ausländer sind nunmehr auch im Bauplanungsrecht (Baugesetzbuch) für Asylsuchende mit Aufenthaltsgestattung Klarstellungen und befristete Erleichterun­ und Personen mit Duldung wesentliche gen bei der Schaffung von Flüchtlingsunter­ Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang künften eingeführt. in Kraft getreten: Die Wartefrist für die Anlass für dieses Gesetz sind die erheb­ Arbeitserlaubnis verkürzt sich für beide lich angestiegenen Flüchtlingszahlen und Gruppen von bisher neun bzw. zwölf Mona­ die daraus folgenden Schwierigkeiten, insbe­ ten auf die ersten drei Monate des Aufent­­ sondere der Kommunen, bei der Bereitstel­ halts. Bei der Berechnung der Wartefrist lung von Unterkünften. wird die gesamte Zeit des bisherigen Auf­ Auch das bisher geltende Bauplanungs­ enthalts mitgezählt – unabhängig vom recht hielt Instrumente bereit, um den vorherigen Status. Bau von Flüchtlingsunterkünften oder die Danach besteht immer noch für beide entsprechende Umnutzung bislang anders Gruppen grundsätzlich ein nachrangiger genutzter Gebäude auch kurzfristig zu er­ Arbeitsmarktzugang. Weiterhin muss für möglichen. eine konkrete Beschäftigung eine Erlaubnis In weiteren Bereichen ist der Gesetzgeber bei der Ausländerbehörde beantragt werden. nun durch Klarstellungen und Erleichterun­ Diese muss wiederum die Zentrale Auslands- gen unterstützend tätig geworden. und Fachvermittlung der Bundesagentur Das Gesetz ist am 26. November 2014 in für Arbeit um Zustimmung anfragen. Für Kraft getreten. eine Zustimmung werden grundsätzlich eine Vorrangprüfung und eine Prüfung der Beschäftigungsbedingungen durchgeführt. Wie bereits dargestellt, entfällt die Vorrang­ prüfung spätestens nach einem 15-monati­ gen Aufenthalt. Das Gesetz ist am 6. November 2014 in Kraft getreten.

www.offenes-sachsen.de 51 2.5 Umbau der Ausländerbehörde tut ausländischen Klienten und Mitarbeitern gut

Ausländerbehörden sind Willkommensbe­ weilen, bis sie mit ihrer Wartemarke endlich hörden: Um diesem Anspruch stärker ge­ drankamen oder sogar wegen großen An­ recht zu werden, bewarb sich die Stadt drangs wieder frustriert nach Hause gingen. Chemnitz für das Modellprojekt »Ausländer­ Jetzt arbeiten wir ausschließlich nach einem behörden – Willkommensbehörden« und ist Bestellsystem und vergeben Termine sowohl vom Bundesamt für Migration und Flüchtlin­ kurz- als auch langfristig. Unruhe auf dem ge (BAMF) als einer von zehn ausgewählten Gang, unzufriedene Besucher oder der zeit­ Modellstandorten benannt worden. Die Auf­ weilige Handel mit Wartemarken unter den taktveranstaltung fand im Oktober 2013 in Vorsprechenden sind vom Tisch. Das hilft al­ Nürnberg statt. len. Unser Ziel ist es, eine bürgerfreundliche, Der Wandel zur Willkommensbehörde – serviceorientierte Behörde zu werden, die ob und wie das funktioniert, berichtet ge­ dem Willkommensgedanken gerecht wird. genüber der Redaktion des Jahresberichtes Bereits während der Umgestaltung spürten Astrid Gertig. Sie ist seit Januar 2015 die Besucher und Verwaltungsmitarbeiter, dass Leiterin der Ausländer- und Staatsange­ diese Wandlung gut ist. hörigkeitsbehörde, nunmehr eine Abteilung des Bürgeramtes der Stadt Chemnitz. Was haben Sie noch konkret festgestellt und geändert? Über zwanzig Jahre wurden Ausländer Die Kollegen regten mit dem Willen zur im Ordnungsamt in Chemnitz betreut. Verbesserung gezielte Umbau- und Umzugs­ Wie lässt sich so eine Einrichtung zur Willkommensbehörde umgestalten? Der entscheidende Punkt ist: Unsere Mitarbeiter haben jahrelange Erfahrung und deshalb war der wichtigste Schritt, die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzubeziehen. Sie können genau benennen, an welchen Stellen es im Arbeitsalltag nicht wie gewünscht abläuft, und damit zu wie­ derholter Kritik von außen führt. Sie wissen aber auch, wo es bereits gut funktioniert und haben die maßgeblichen Ideen für Verbesserungen. So mussten die Antragsteller früher über Stunden im nüchternen Wartebereich ver­

52 Jahresbericht 2014 maßnahmen an. So wechselte zum Beispiel der Zugang zur Informationsstelle unmittel­ bar in den Wartebereich. Die Tür ist nun roll­ stuhlgerecht und hat »Kinderwagenbreite«. Glasausschnitte machen unser Ziel Transpa­ renz deutlich. Zu den langen, weißgestriche­ nen Gängen bildet der Info- und Warte­ bereich in freundlichen Farben nun einen sofort erkennbaren Kontrast. Seit kurzem verstärkt außerdem eine Mitarbeiterin mit Sprachmittlerausbildung Englisch/Französisch das Team. Ein rascher Rückgriff auf interne Dolmetscherleistung er­ leichtert einen großen Teil der Verständigung. Nicht zuletzt wurde die Ausländer- und Staatsangehörigkeitsbehörde zum 1. Januar teilweise genommen. Das Projekt selbst 2015 aus dem Bereich des Ordnungsamtes findet im September 2015 seinen Abschluss. ausgegliedert und dem Bürgeramt zugeordnet. Bis dahin wollen wir aber auf jeden Fall noch versuchen, im gesamten Bürgeramt Eine Willkommensbehörde möchten viele eine Online-Terminvergabe auf den Weg werden, lässt sie sich von oben anordnen? zu bringen. Diesen Service wünschen sich Nein, das funktioniert nur, wenn möglichst vor allem unsere zahlreichen ausländischen viele Mitarbeiter mitgenommen werden. Studenten. Darüber hinaus ist auch geplant, Aber die Entscheidung und der ausdrückli­ die Konversationsmöglichkeiten durch Eng­ che Wille der Stadtspitze haben uns gehol­ lischsprachkurse für alle Mitarbeiter zu ver­ fen. Das Projekt war gewünscht und wird bessern – vor allem im Hinblick auf typische unterstützt. Als Bestandteil des Projektes Vorsprachekonstellationen und Fachtermini. begleitet eine Beraterfirma die Ausländer­ behörde, die den Prozess gezielt angestoßen Welche Reaktionen und Wünsche und unterstützt hat. von außen gibt es? Ebenso wichtig wie bauliche Veränderun­ Bei der Chemnitzer Integrationsbeauftragten gen ist es aber auch, innere Einstellungen zu kommt Lob an und der Ausländerbeirat der verändern. Zurückblickend kann man sagen, Stadt sieht ebenfalls eine spürbare Verbesse­ dass die Ideen zu den wichtigsten Maßnah­ rung. Mit der Universität Chemnitz bestehen men durch die Mitarbeiter selbst vorgeschla­ bereits seit längerem enge Kontakte, die wei­ gen wurden und Ergebnis diverser Workshops ter intensiviert wurden. Die Umgestaltung und Inhouse-Seminare waren. hat sich jetzt schon gelohnt. Aber allen Be­ teiligten ist wichtig, dass wir als Behörde bei Das klingt alles nach einem glatten und den Beratungen mit den Partnern persönlich reibungslosen Prozess im vollen Betrieb? sichtbar werden und wir Prozesse und Ent­ Ehrlich gesagt waren die Kollegen am An­ scheidungen aus einer weiteren Perspektive fang euphorischer. Zwischenzeitlich hat uns sehen. Netzwerkarbeit macht Mühe, aber sie die Arbeitsbelastung durch die gestiegenen zahlt sich aus. Das gilt auch für die Zusam­ Fallzahlen in den vergangenen Monaten die menarbeit mit den anderen Ämtern der Luft oder besser die Kraft für Veränderungen Stadtverwaltung. www.offenes-sachsen.de 53 Ausländerbehörden – Vernetzung und Zusammenarbeit Willkommensbehörden • Externe Vernetzung mit relevanten Modellprojekt des Bundesamtes für Akteuren vor Ort: zum Beispiel anlass­ Migration und Flüchtlinge bezogene Fallbesprechungen, runde Tische, Informationsveranstaltungen Mit dem Ziel, eine Willkommenskultur • Vernetzung innerhalb der Verwaltung zu etablieren, fördert das Bundesamt für zur Gestaltung effizienter und kunden­ Migration und Flüchtlinge (BAMF) seit freundlicher Prozesse Oktober 2013 das zweijährige Modellpro­ jekt »Ausländerbehörden – Willkommens­ Im Auftrag des BAMF haben die Projekt­ behörden«. Insgesamt zehn Bundesländer träger Rambøll Management Consulting unterstützen die Durchführung des Modell­ GmbH und imap – Institut für interkultu­ vorhabens. Das Projekt soll Ausländer­ relle Management- und Politikberatung behörden auf dem Weg zu »Willkommens­ GmbH das Modellprojekt konzipiert und behörden« begleiten. in den Ausländerbehörden der folgenden Kommunen begleitet: Drei Kernbereiche stehen dabei im • Bietigheim -Bissingen Vordergrund: (Baden-Württemberg) • Deggendorf (Bayern) Strategie- und Organisationsentwicklung • Potsdam (Brandenburg) • Entwicklung eines Leitbildes der Aus­ • Wetteraukreis (Hessen) länderbehörde als Willkommensbehörde • Essen (Nordrhein-Westfalen) • Reorganisation interner Prozesse und • Mainz (Rheinland-Pfalz) Arbeitsabläufe, Verbesserung der • Chemnitz (Sachsen) Service- und Kundenorientierung • Magdeburg (Sachsen-Anhalt) • Kiel (Schleswig-Holstein) Personalentwicklung zur Stärkung der • Weimar (Thüringen) sozialen und fachlichen Kompetenzen • Durchführung von Schulungen zur inter­ Neben der individuellen Begleitung der kulturellen Kompetenz oder zur Rollen­ teilnehmenden­ Behörden wird aus den klärung im Spannungsfeld »Ordnungs­ Erfahrungen ein »Werkzeugkoffer« mit behörde – Willkommensbehörde« Praxisansätzen und Handlungsempfeh­ • Strukturierung des fachlichen Aus­ lungen für weitere Ausländerbehörden tauschs bei Gesetzesänderungen zusammengestellt.

54 Jahresbericht 2014 2.6 Ehrenamt konkret – Engagiert vor Ort in Borna

Während in jeder Woche viele Menschen ihre 2.6.1 Gemeinsam für Flüchtlinge Vorurteile gegenüber Asylbewerbern und ihr Misstrauen gegenüber Muslimen auf die Seit 2012 wohnen auf dem Gebiet der Pfarrei Straße tragen und mit ihrem Unmut die Me­ St. Joseph in Borna Flüchtlinge aus dem dienberichterstattung prägen, leisten gleich­ Nahen Osten. Um diesen Menschen die Inte­ zeitig zahlreiche engagierte Einzelpersonen, gration in der neuen Heimat zu erleichtern, Vereine und Initiativen ehrenamtliche­ Hilfe – beschlossen im September 2013 zwei Männer, unspektakulär, konkret und vor Ort. Sie zeigen sich gemeinsam für die Flüchtlinge einzuset­ und leben vor, dass Flüchtlinge in Sachsen zen. Der eine ist Torsten Hartung, der sich willkommen sind. Überall in Sachsen – außerdem der pastoralen Gefängnisarbeit nicht nur in den großen Städten – gibt es eh­ widmet. Der andere, Mina Mardoo, musste renamtliches Engagement für Asylbewerber. wegen seines christlichen Glaubens aus So auch in Borna, einer 20.000-Einwohner- Libyen fliehen. Die beiden Männer treibt Stadt südlich von Leipzig, Verwaltungssitz vor allem an, dass Asylbewerber infolge der des Landkreises Leipzig. Verfolgungssituation oft traumatisiert sind. www.offenes-sachsen.de 55 geführt und bei Interesse zu Gottesdiensten und Veranstaltungen gefahren. Auch bei der Suche und der Einrichtung einer Wohnung erhalten sie Unterstützung. Zwar spielt die konventionelle Gemeindeseelsorge eine gro­ ße Rolle, doch betonen die beiden Männer, dass die Arbeit der Pfarrei Borna für Men­ schen jeglicher Religion offen ist. Zahlrei­ chen Muslimen wurde im Bereich der Woh­ nungshilfe und der allgemeinen sozialen Beratung geholfen. Im vergangenen Jahr haben Mardoo und Hartung dafür ein gan­ zes Netzwerk an Menschen, Institutionen und Behörden geknüpft, welche Teil dieser Integrationsarbeit sind. Um einen aktiven Zusätzlich belastend für die Asylbewerber sozialen Kontakt und ein persönliches ist, dass sie sich in der Anerkennungsphase Kennenlernen untereinander zu fördern, in einer Warteschleife befinden, deren Ende werden in regelmäßigen Abständen außer­ für sie nicht absehbar ist. Hartungs und dem Ausflüge und Grilltage organisiert. Mardoos konkrete Integrationsarbeit basiert Die bislang dritte Säule der Unterstüt­ auf mehreren Säulen. zung entstand aus der Erfahrung, dass Deutschkurse nur für Asylbewerber unter 27 Jahren angeboten werden und Zusatzan­ 2.6.2 Gezielte Unterstützung gebote der Volkshochschule Borna für ältere Migranten nur bis zum untersten Ausbil­ Zum einen begleiten die beiden Männer dungsgrad führen (A1). Deshalb engagiert Flüchtlinge bei Behördengängen und leisten sich Dolores Seeling seit April 2014 in der Hilfe im Sinne der allgemeinen sozialen sprachlichen Weiterbildung der Asylbewer­ Beratung. Mardoo und Hartung unterstützen ber. In einem wöchentlichen Konversations­ die Migranten, angefangen bei Anträgen kurs wird gemeinsam die Alltagskommuni­ für die Grundsicherung, einen Kindergarten- kation geübt. An dem Kurs nahmen bisher oder Schulplatz über die Hilfe bei der überwiegend Familien teil. Wohnungssuche, beim Beantragen von Reise­dokumenten und beim Ausfüllen von Miet- oder Telefonverträgen bis hin 2.6.3 Hindernisse und Hilfen zur Vermittlung von Anwälten oder einem Deutschkurs. Auch als Übersetzer in Doch die ehrenamtliche Tätigkeit ist nicht Arabisch-Englisch ist Mina Mardoo gemein­ immer einfach. Die Planung, Koordination sam mit seiner Frau Carolin Johanna uner­ und Umsetzung der Aufgaben erfordern oft setzlich. viel Zeit, Organisationsgeschick und Geduld. Die zweite Säule ihres Engagements ist Und obwohl die Engagierten ihre Arbeit die Integration in ein soziales Umfeld durch ohne monetäre Gegenleistung erbringen, den Aufbau von persönlichen Kontakten. entstehen notwendige Ausgaben. Anfangs Christliche Migranten werden beispielsweise wurde die Arbeit allein durch die Pfarrei in die vorhandene Gemeinde des Ortes ein­ St. Joseph finanziert. Eine große Hilfe für

56 Jahresbericht 2014 Sprachunterricht Möbeltransport die anfallenden Aufgaben, besonders für halte ich den direkten Kontakt zu den betrof­ die Transportdienste, ist daher vor allem der fenen Flüchtlingen durch möglichst alle sogenannte »Boni-Bus«; ein gespendeter Gruppen der Gemeinde.« Für Oettler ist die Kleintransporter des Bonifatiuswerkes, mit Arbeit mit den Flüchtlingen eine Umsetzung dem die beiden alle logistischen Anforde­ des christlichen Glaubensverständnisses. rungen erfüllen können und in ihrer Arbeit »Kirche muss am Rand der Gesellschaft mobil sind. Einen Zuschuss dafür erhielt die wirken«, sagt er in Anlehnung an einen Pfarrei durch das Bischöfliche Ordinariat Aufruf des Papstes. Dresden. »In den ersten sechs Monaten sind wir über 20.000 Kilometer gefahren«, sagt Hartung. »Durch den Boni-Bus konnten 2.6.4 Unermüdliches Engagement wir auch Wohnungsauflösungen nutzen, um dann die Möbel und Sachspenden gleich Wie lange die Integrationsarbeit weitergeht? an die bedürftigen Familien weiter geben Auf unbestimmte Zeit, so sind sich die zu können«. Zweimal im Monat fahren Engagierten sicher, denn die Zuweisung Hartung und Mardoo mit den Familien zum von Asylbewerbern nehme eher zu als ab. Einkaufen nach Leipzig, damit sich die Mig­ So wie in Borna engagieren sich an vielen ranten mit heimischen Lebensmitteln versor­ Orten in Sachsen Ehrenamtliche für Asylbe­ gen können, die sie in Borna nicht erhalten. werber. Doch was würde passieren, wenn Daneben werden auch die Asylbewerber­ alle ehrenamtlich Tätigen ihre Arbeit für heime in Thräna (Stadt Borna), Elbisbach eine gewisse Zeit aussetzen würden? Ohne und Hopfgarten (Stadt Frohburg) regelmäßig das unermüdliche Engagement der Ehren­ angefahren. amtlichen wären eine adäquate Integration Die Gemeindeglieder und die Infra­ der Asylbewerber­ und Asylberechtigten so­ struktur von St. Joseph bilden die Basis der wie ein konstruktives Zusammenleben in der Arbeit. Der Gemeindepfarrer Dr. Dietrich Gesellschaft kaum möglich. Ehrenamtliche Oettler berichtet von anfänglicher Skepsis: benötigen für ihre Arbeit feste Rahmenbe­ »Wir mussten auch überzeugen und erlernen, dingungen, Anleitung und Weiterbildung, im nahen Umfeld Not zu sehen und konkret Hilfe beim strukturierten Engagement und zu handeln.« »Für grundlegend wichtig vor allem Wertschätzung. www.offenes-sachsen.de 57 2.7 Als EU-Bürgerin in Sachsen

Betreuung der behinderten Menschen gebraucht wurde, willigte ich ein, länger als ein Jahr zu bleiben und weiter dort zu arbeiten. Später habe ich durch einen Flyer erfah­ Lenka ren, dass es in Deutschland den Beruf der Peregrinova Gemeindereferentin gibt. Da ich mich schon vorher ehrenamtlich in Kirchge­ meinden engagiert hatte und das Bistum mein Studium anerkannte, bewarb ich Lenka Peregrinova ist 38 Jahre alt und mich für die Ausbildung und hoffe nun, im kam im Oktober 2001 aus der Slowakei Sommer dieses Jahres fertig zu werden. für einen europäischen Freiwilligendienst nach Dresden. Ihr Mann zog 2006 nach Wie soll es danach für Sie weitergehen? Deutschland und ihre beiden Kinder Das ist relativ offen, weil mein Mann die­ wurden in Deutschland geboren. Zweimal ses Jahr mit dem Studium fertig wird und im Jahr fahren sie zu ihrer Familie in ich meine Ausbildung abschließen werde. die Slowakei. Gegenüber der Redaktion Ihn zieht es wieder zurück in die Slowakei, schildert sie Ihre Erfahrungen. schließlich lebt dort unsere ganze Familie. Allerdings sind unsere Kinder hier im Kin­ Was hat Sie dazu bewogen nach dergarten und haben hier ihre Freunde. Deutschland zu kommen? Nach meinem Theologie- und Ethikstudi­ Wie war es für Sie am Anfang in um in der Slowakei entschied ich mich für Deutschland? einen europäischen Freiwilligendienst in Also ein großer Kulturschock war das nicht. Deutschland. Für mein Leben war dieses Aber ein paar Sachen waren doch beson­ Jahr eine Bereicherung, es war für mich kein ders, zum Beispiel die Herrnhuter Sterne Job, sondern ich hatte mich ganz bewusst im Advent oder dass es hier oft keine Vor­ dafür entschieden und war offen für die suppe gibt oder die Mülltrennung, die es neuen Erfahrungen, die ich machen würde. damals in der Slowakei nicht gab. Als 2002 Ich habe in einer Behindertenwerkstatt der Euro kam, war das auch noch eine Um­ in Dresden gearbeitet und als 2002 das stellung für mich, denn ich hatte mich ge­ Hochwasser kam, da wurde die Werkstatt rade an die Deutsche Mark gewöhnt. Am überflutet und die Behinderten wurden Anfang ist man da sehr auf solche »Äußer­ auf andere Heime verteilt. Da Personal zur lichkeiten« fixiert.

58 Jahresbericht 2014 Meine ersten Kontakte mit den Menschen ihnen nur slowakisch, weil wir uns dach­ waren durchweg positiv. Die Leute waren ten: Besser gutes Slowakisch als schlech­ sehr freundlich und nett zu mir. Aber tes Deutsch. Im Kindergarten und der ich hatte auch Glück, dass ich in Ost­ Umgebung, oder wenn wir Besuch bekom­ deutschland gelandet bin, denn andere men, sprechen wir Deutsch. Ich finde es Freiwillige in den westdeutschen Städten faszinierend, wie schnell beide Kinder von wurden teilweise nicht so offen aufge­ der einen in die andere Sprache wechseln nommen. können. An abfällige Bemerkungen kann ich mich nicht erinnern, vielleicht auch, Was bedeutet Heimat für Sie? weil ich nicht die erste Freiwillige in der Auf diese Frage habe ich noch keine end­ Behindertenwerkstatt war. Die Leute gültige Antwort gefunden. Das ist bei waren neugierig und wollten viel über mir ein Prozess. Lange Zeit war Heimat mein Land hören. Und für behinderte für mich nicht von einem Ort abhängig, Menschen ist es nicht wichtig, woher du sondern es sind die Menschen, bei denen kommst. ich mich wohlfühle. Aber je älter ich werde, desto mehr sehne ich mich auch nach Wie war die neue Sprache für Sie? den Traditionen und Geschichten aus der An den Schulen in der Slowakei gab es Slowakei und schätze es, wenn ich hier nach der Wende die Möglichkeit Deutsch slowakischen Alltagsdingen begegne. und Englisch zu lernen. Ich entschied mich für Deutsch, belegte in meiner Was vermissen Sie besonders an Freizeit Deutschkurse und besuchte vor der Slowakei und was schätzen Sie meinem Freiwilligendienst Intensivkurse. an Deutschland? Dadurch fühlte ich mich ein bisschen vor­ Meine Oma in der Slowakei backt immer bereitet für das geplante Jahr in Deutsch­ sehr leckere Sachen, als ich manches hier land. Aber ich war nicht darauf vorbereitet, auch backen wollte, gelang es mir nie so dass ich hier so vielen Dialekten begegnen richtig. Irgendwann fand ich heraus, dass würde. es an dem Mehl liegt, das hier anders ist. Da hieß es: durchhalten und sich kon­ Wenn wir in die Slowakei fahren, dann zentrieren. bitten uns die Erzieherinnen aus dem Ich habe gestaunt, dass Tschechien und Kindergarten immer Biscotti mitzubringen, Polen so nah sind und niemand hier die weil das die Kindergartengruppen so Sprachen kann. Das wäre am Anfang zu­ gern essen. Das freut mich. Ich vermisse mindest eine Erleichterung gewesen, denn besonders meine Familie und wünsche ich verstehe beide Sprachen. So lebte ich mir manchmal, dass sie hier wäre. ein Jahr in tiefem Deutsch beziehungswei­ Ich schätze an den Deutschen, dass sie so se Sächsisch, rückblickend gesehen war pünktlich sind, strukturiert arbeiten und das auch gut. gute Qualität leisten. Die meisten Deutschen trennen Freizeit und Arbeit strikt und ar­ Welche Sprache sprechen Ihre Kinder? beiten auf den Urlaub hin, um ihn sich Wir erziehen unsere Kinder zweisprachig. leisten zu können, das kannte ich aus der Wir haben uns dazu im Vorfeld belesen Slowakei nicht. Allerdings wünsche ich mir und mit Freunden gesprochen, was am in Deutschland manchmal ein bisschen mehr besten wäre. Mein Mann und ich reden mit Lockerheit und weniger Perfektionismus. www.offenes-sachsen.de 59 Hintergrund angehörige dieser Länder gilt die uneinge­ EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit schränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit seit Für die acht neuen EU-Mitgliedstaaten dem 1. Januar 2014. Seit der Neuregelung Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slo­ des Freizügigkeitsrechts 2004 und dem wenien, Estland, Lettland und Litauen aus Wegfall von Übergangsregelungen für ost­ dem Jahr 2004 gilt seit dem 1. Mai 2011 die europäische Länder entwickelten sich die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügig­ Arbeitnehmerzahlen für Deutschland aus keit. Am 1. Januar 2007 sind Bulgarien und diesen osteuropäischen Ländern folgender­ Rumänien der EU beigetreten. Für Staats­ maßen:

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus ausgewählten EU-Staaten in Deutschland

Wegfall der Wegfall der Übergangsregelungen Übergangsregelungen 2011 für EU-8-Staaten 2014 für EU-2-Staaten Dezember 2010 141.770 52.484 Dezember 2011 215.890 69.090 Dezember 2012 284.994 91.292 Dezember 2013 346.188 112.850 Dezember 2014 409.845 199.976

Quelle: »Hintergrundinformation Auswirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der EU-Schulden­ krise auf den deutschen Arbeitsmarkt«, S. 12, Stand: Dezember 2014, Bundesagentur für Arbeit.

60 Jahresbericht 2014 2.8 Stipendium für engagierte Jugendliche

Durch die Herkunft meiner Familie kenne ich mich auch sehr gut im Nahostkonflikt aus. Bezüglich meines Migrationshinter­ grunds habe ich bis jetzt auch nur positive Hana Dabdoub Erfahrungen gemacht.

Wie ist Ihre Bindung zu der Heimat Ihrer Familie? In den Libanon reisen wir circa alle drei Hana Dabdoub wurde 1996 in Leipzig ge­ Jahre und bleiben dort dann während der boren. Sie besucht die 12. Klasse eines Sommerferien. In Israel war ich noch nicht, Gymnasiums. Ihre palästinensischen Groß­ was mich sehr traurig macht. Ich wünsche eltern sind wegen des Nahostkonflikts mir, irgendwann nach Israel zu fahren aus Israel in den Libanon geflohen. Hanas und meine Wurzeln kennenzulernen. Eltern stammen aus dem Libanon. Sie wird Mein Vater ist 1981 durch ein Stipendi­ von der START-Stiftung gefördert und gab um in die DDR gekommen. Er hat an der der Redaktion Auskunft zu Erlebtem und Hochschule für Grafik und Buchkunst Zukunftsplänen. studiert. Weil er als junger Mann nach Deutschland kam, hat er die Sprache Wie wird Ihr Migrationshintergrund von schnell erlernt und sich in die neue Kul­ der Umgebung aufgenommen? tur einleben können. Meine Mutter ist Ich besuche mit großer Freude seit zwölf nach der Heirat mit meinem Vater nach Jahren eine private christliche Schule, bin Deutschland gekommen. Durch meinen die einzige Muslima in meiner Klassenstufe Vater konnte sie sich gut in Deutschland und auch eine der wenigen mit ausländi­ integrieren und Kontakte mit Deutschen schen Wurzeln. Trotzdem wurden in meiner knüpfen. Klasse mein Migrationshintergrund und meine Religion als Bereicherung aufge­ Was bedeutet Heimat für Sie? nommen, denn ich bringe andere Erfah­ Heimat ist dort, wo meine Familie und rungen und Ideen in die Klasse. Zum Bei­ meine Freunde sind. Das ist dort, wo spiel kenne ich die arabische Sprache und ich geliebt werde, wo ich mich wohlfühle, Kultur. Ich kann sie meinen Klassenkame­ sicher und glücklich bin. Dieser Begriff raden näher bringen, die diese Themen ist für mich also nicht zwingend ortsab­ gar nicht oder nur aus den Medien kennen. hängig. www.offenes-sachsen.de 61 Was möchten Sie nach der Schule keit herrschen, denn dann würde es uns machen? allen besser gehen. Erstmal will ich mein Abitur fertig machen, Ich wünsche mir auch, dass die Vor­ danach schaue ich weiter. Vielleicht urteile gegenüber Asylbewerbern abgebaut studiere ich etwas mit Management oder werden. Schließlich kommen sie als Schutz­ es geht doch eher in die kreative Richtung. suchende her, sie mussten aus ihrer Es gibt schließlich eine sehr große Aus­ Heimat fliehen und kommen nicht, um wahl von tollen Studiengängen. hier von staatlichen Mechanismen und der wirtschaftlichen Lage zu profitieren. Was bedeutet START für Sie? Mir ist klar, dass man diese Probleme Vor vier Jahren habe ich das START-Stipen­ nicht sofort beheben kann, aber dafür dium bekommen und dafür bin ich wirklich ist beispielsweise auch das Ehrenamt da. sehr dankbar. Das hat mich merklich weiter Pegida und Legida sollten wir zeigen, gebracht, denn mein soziales und gesell­ dass es nicht so ist, wie sie sagen. Wir schaftliches Engagement wurde gefördert. sollten den Fremden gegenüber offen sein Dabei haben mich auch andere START-­ und auf sie zugehen. Wir brauchen keine Stipendiaten motiviert und inspiriert. Aber Angst zu haben, denn im Grunde genom­ auch die wertvollen Bildungsseminare, die men sind sie wie wir. ich besuchen durfte, haben mein Wissen Fremdenhass muss auch als ein Problem und meinen Horizont sehr erweitert. mehr von der Gesellschaft wahrgenommen Seit drei oder vier Jahren läuft jeden werden. Erst wenn wir uns alle dieses Pro­ Dezember das Projekt »Stolz und Vorur­ blems bewusst sind, können wir es behe­ teil«, welches ich mit vier Freundinnen ben. Ansonsten drehen wir uns ständig im aufgebaut habe. Wir starten dann Kleider­ Kreis und letztendlich hat niemand etwas sammelaktionen für Asylbewerber. Daran davon. beteiligt sich auch die ganze Schule und wir haben positive Rückmeldungen bekom­ men. Für diese Aktion habe ich 2013/14 Hintergrund START-Stiftung vom Förderverein meiner Schule einen Die START-Stiftung fördert Jugendliche mit Preis für besonderes soziales Engagement Migrationshintergrund durch Stipendien. bekommen. Diese Aktionen machen mich START gehört zur gemeinnützigen glücklich, weil ich helfen kann. Hertie-Stiftung und wurde 2002 ins Leben gerufen. Aktuell werden rund 650 Schüler Welche Probleme sehen Sie in unserer gefördert, darunter 26 in Sachsen. Durch Gesellschaft und welche Wünsche oder die Stipendien wird den Schülern gezeigt, Lösungsvorschläge haben Sie? dass ihr Engagement geschätzt und geför­ Meine Familie und ich wünschen uns, dert wird. dass auf der Welt Frieden und Gerechtig­

62 Jahresbericht 2014 Khanh Pham Duy

Khanh Pham Duy ist 18 Jahre alt und macht ches Engagement vertieft. Aber das ist ja gerade in seinem Geburtsort Plauen das der Sinn des Stipendiums: Es werden Men­ Abitur. Seine Eltern kamen aus Vietnam in schen gefunden und zusammengebracht. die DDR. Er selbst besuchte die Heimat sei­ Gegenseitig inspiriert und motiviert man ner Familie viermal, der letzte Besuch liegt sich dann zur ehrenamtlichen Unterstüt­ schon sieben Jahre zurück. Im Gespräch zung. Dadurch habe ich mich dann erst berichtet er über die Unterstützung durch richtig »getraut«. Ich mache jetzt an der die START-Stiftung und seine Erfahrung. Schule zum Beispiel das Projekt »Schüler helfen Schülern«. Fünf Schüler betreue ich Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? da manchmal gleichzeitig und helfe ihnen Nach dem Abitur möchte ich nicht in bei Hausaufgaben oder gebe Nachhilfe. Plauen bleiben, sondern in Aachen Ich engagiere mich ferner beim Fußball, Maschinenbau studieren. Aachen ist zwar da habe ich mich zum Nachwuchsschieds­ sehr weit weg von zu Hause, aber durch richter ausbilden lassen. START habe ich auch dort Freunde gefun­ Ich versuche also meine eigenen Hob­ den und Kontakte geknüpft. bies mit dem Engagement zu verbinden. Später würde ich dann am liebsten in der Automobilindustrie oder der Energie­ Wie wird Ihr Migrationshintergrund technik arbeiten. Da würde ich mich gern von der Umgebung wahrgenommen? mit Umwelttechniken beschäftigen, beson­ Ich habe schon öfter Bemerkungen wie ders effizientere Motoren und die Gewin­ Fidschi gehört. Manche Aussagen waren nung von erneuerbaren Energien finde ich zwar nicht direkt rassistisch oder böse spannend. Das wäre mein absoluter gemeint, steckten mich aber in eine Wunsch. Schublade. Aber mit der Zeit und je älter ich geworden bin, desto weniger werden Was bedeutet START für Sie? diese Bemerkungen beziehungsweise START hat mich sehr geprägt, ich wurde kommen gar nicht mehr vor. dadurch offener und selbstbewusster. Zum einen liegt das daran, dass ich Deshalb wird es mir bestimmt nicht schwer mir Freunde und Bekannte gesucht habe, fallen, ein neues Umfeld in Aachen aufzu­ die mich so akzeptieren, wie ich bin. Sie bauen. unterstützten mich in vielen Situationen, Als ich mich für START beworben habe, nahmen mich in Schutz und gaben mir da war ich Klassensprecher und habe an Rückhalt. Zum anderen ist das Nachlassen schulischen Wettbewerben teilgenommen. vielleicht darin begründet, dass ich stets Erst mit START habe ich mein ehrenamtli­ versucht habe mich anzustrengen und mit www.offenes-sachsen.de 63 meinen Leistungen zu überzeugen. spiel hat mich mein Vater Bescheidenheit Außerdem habe ich die Leute auf meine gelehrt und gesagt, dass man immer hart Herkunft aufmerksam gemacht. arbeiten soll für das, was man erreichen Ein Beispiel für die Wahrnehmung ist möchte, besonders wenn es mal nicht so mein Engagement als Schiedsrichter. Nach­ klappt, wie man es sich vorstellt. Und das dem ich meine erste Saison erfolgreich ist es beispielsweise, was die vietnamesi­ abgeschlossen hatte, haben wir in dem sche Lebenskultur widerspiegelt. Verein, in dem ich tätig bin, eine kleine Ge­ sprächsrunde gemacht. Dabei hat mir der Wie ist die Bindung Ihrer Familie Vorsitzende gesagt: »Du hast mich wirklich zu Vietnam? sehr überrascht. Ich weiß noch, als ich an­ Meine ganze Familie ist in Vietnam, nur fangs versucht habe langsam und deutlich meine Eltern und meine Tante und mein zu reden, weil ich dachte, dass du mich Onkel leben in Deutschland. Mein letzter vielleicht nicht so gut verstehst.« Besuch liegt zwar sieben Jahre zurück, Wie schon angedeutet, habe ich öfters aber ich halte trotzdem den Kontakt und gemerkt, dass ich unterschätzt wurde, versuche, das zu pflegen und beizube­ zum Beispiel in der Schule. Das habe ich halten. Ab und zu sieht man Fotos oder mit einer erhöhten Leistungsbereitschaft skypt mal miteinander. versucht zu kompensieren und wollte mich Die Bindung meiner Familie zu Vietnam beweisen. Erst nach meiner erfolgreichen zeigt sich in vielen Dingen, wie z. B. dem Teilnahme an beispielsweise Mathewettbe­ Vietnamesisch zu Hause, dem Beibehalten werben bekam ich von den Lehrern Aner­ von Traditionen und Feiern von traditio­ kennung geschenkt und wurde unterstützt. nellen Festen oder dem täglichen Infor­ Da meine Eltern ein Geschäft besitzen, mieren über aktuelle politische und gesell­ in dem ich mithelfe, komme ich mit den schaft­liche Themen in Vietnam. Kunden ins Gespräch. Die Kundschaft be­ In erster Linie ist Vietnam für meine steht aus meist älteren Menschen und ich Eltern Heimat. Das wäre die erste Antwort, merke, dass viele den Asylbewerbern und wenn sie danach gefragt werden würden. Flüchtlingen gegenüber aufgeschlossen Jedoch fühlen sie sich auch in Deutschland sind, aber ich höre ebenfalls Stimmen, wohl und wollen hier weiterhin in Zukunft die meinen, Ausländer und Asylbewerber leben. seien faul oder würden auf Kosten des Mein Vater kam als Vertragsarbeiter in Staates leben und Kriminalität mitbringen. die DDR, genauer gesagt nach Riesa. Als Aber ich persönlich bekomme davon nicht nach der Wende der Betrieb, in dem er ar­ viel mit. beitete, pleite ging, beschloss er in Deutsch­ land zu bleiben. Er schloss sich nicht einem Was ist Heimat für Sie? Rückkehrprogramm nach Vietnam an, Heimat ist für mich der Ort, wo ich gebo­ sondern entschied sich in Deutschland zu ren und aufgewachsen bin, aber auch wo bleiben. Dann fasste er den Entschluss ich mich wohlfühle. Zuerst einmal bin ich sich selbstständig zu machen. Schließlich also Plauener und dann Deutscher. lernte er meine Mutter kennen, und so kam Ich fühle mich als ein Deutscher mit eins zum anderen und ich wurde geboren. vietnamesischem Migrationshintergrund. Dadurch, dass meine Eltern ein Geschäft Deshalb sind vietnamesische Werte und eröffneten, hatten sie den Anreiz, hier zu die Traditionen ein Teil von mir. Zum Bei­ bleiben und sich etwas aufzubauen.

64 Jahresbericht 2014 Welche Probleme sehen Sie in unserer lehnend gegenüber zu stehen, dann ist es Gesellschaft im Umgang mit Fremden? schwer deren Herangehensweise wieder Das größte Problem sehe ich in Vorurteilen zu revidieren. und Angst auf beiden Seiten vor dem Un­ Ich kann nur immer wieder betonen, bekannten. Man weiß nicht, wie die Ande­ dass das Aufeinander-zugehen von beiden ren sind und manchmal versuchen die Seiten, von der inländischen Bevölkerung Menschen gar nicht, aufeinander zuzuge­ und den Ausländern, wesentlich ist. Ein hen und sich kennenzulernen. Wichtig ist gegenseitiger Austausch ist wichtig, um da Empathie und der Dialog miteinander. eine multikulturelle Gesellschaft zu errei­ Diese Angst spiegelt Pegida wider. Ich chen, die funktioniert und harmoniert. habe mich mit dem Thema befasst und bemerkt, dass viele gar nicht wissen, was Flüchtlinge und Asylbewerber für Hinter­ Hintergrund Vertragsarbeiter gründe mitbringen. Stattdessen werden Vertragsarbeiter kamen aus anderen Theorien aufgestellt und Geschichten ge­ sozialistischen Staaten in die DDR. Nach bildet, die schwer wieder abgelegt werden Ausbildung und Qualifizierung sollten können. Da müssen wir dran arbeiten, sie in ihre Heimatländer zurückkehren, um einen interkulturellen Austausch zu um dort die Wirtschaft mit aufzubauen. schaffen. Auf diesem Weg sollten wir auch 1989 lebten circa 60.000 Vietnamesen die Medien als Mittler nutzen. in der DDR, welche die größte Gruppe Außerdem fängt es oftmals klein an: der Vertragsarbeiter waren. 1997 konnte Wir sollten viel mit Jugendlichen arbeiten, der Aufenthaltsstatus mit der Bleiberechts­ schließlich sind die unsere nächste Gene­ regelung für die ehemaligen Vertrags­ ration und wenn die durch die Familien arbeiter geklärt werden. schon lernen, dem Fremden generell ab­

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3. Der »Heim-TÜV« in Sachsen bewegt 3.1 Der »Heim-TÜV«: Menschenwürde messbar machen

»Warm, trocken, satt und sauber«. Das galt Gesellschaft ins Zentrum des öffentlichen lange Zeit als ausreichend in Bezug auf die Interesses. Unterbringung von Flüchtlingen in Deutsch­ Der »Heim-TÜV« zielt auf ein transparen­ land. Mittlerweile besteht ein breiter Kon­ tes und vergleichbares Verfahren zur Prü­ sens darüber, dass eine menschenwürdige fung der Unterbringungsbedingungen von Unterbringung mehr bedeutet – nämlich Asylsuchenden in Gemeinschaftsunterkünf­ auch unter anderem soziale Inklusion, ten im Freistaat Sachsen ab. Anhand von adäquate soziale Betreuung und Zugang zehn Faktoren wird dabei die menschen­ zu Bildung. Doch diese Feststellung auf würdige Unterbringung messbar gemacht. dem Papier allein oder bloße Empfehlungen Die Bewertungskriterien umfassen unter reichen nicht aus. Um die Flüchtlingsunter­ anderem die Unterbringung der Flüchtlinge bringung tatsächlich zu verbessern, ist das (Zustand, Lage und Umfeld der Unterkunft), Bewusstsein ausschlaggebend, dass ein ge­ die soziale Betreuung, die soziale Inklusion naueres Hinschauen notwendig und auch (Mitwirkungsmöglichkeiten, Bildungszugang, lohnenswert ist. gesellschaftliche Teilhabe), die Sicherheit Zu diesem Zweck entwickelten der Säch­ und auch die frauen- und kindergerechte sische Ausländerbeauftragte Martin Gillo Unterbringung. und sein Team im Jahre 2010 den »Heim- Um eine möglichst objektive Bewertung TÜV« und setzten ihn anschließend um. zu gewährleisten, werden der »Heim-TÜV« Auch wenn im Jahr 2014 keine Besuchs- und Bewertungsrunde durchgeführt wurde, Ortstermin beim »Heim-TÜV« 2011 so war es doch ein ereignisreiches Jahr für das Projekt: Der »Heim-TÜV«-Bericht 2013 wurde der Öffentlichkeit und dem Parlament vorgestellt und Medienvertreter prangerten fehlende Mindeststandards in der Flücht­ lingsunterbringung an. Auch andere Bun­ desländer zeigten Interesse an der Methode. Die Reaktionen auf den »Heim-TÜV« waren vielfältig und ermutigend. Für das Jahr 2014 lässt sich weiter eine durchaus positive Bilanz ziehen. Denn vor allem wanderte das Thema Mindeststandards in der Flüchtlings­ unterbringung aus dem Randbereich der

www.offenes-sachsen.de 67 und die anschließende Auswertung immer Ergebnisse wurden nicht veröffentlicht, durch ein mehrköpfiges Team durchgeführt. sondern nur den Landräten und Oberbürger­ Zudem werden nicht nur Unterbringungsbe­ meistern vorgelegt, um ihnen nach dem hörden, Bildungsagenturen, Heimleiter und Prinzip Innenrevision die Gelegenheit zu Sozialarbeiter befragt, sondern es wird auch geben, selbst etwas an den Bedingungen das Gespräch mit den Heimbewohnern ge­ zu ändern. Im Jahr 2011 wurden dann diesel­ sucht. So werden unterschiedliche Perspek­ ben Unterkünfte erneut besucht und die tiven eingebracht und auch kritische Einzel­ Ergebnisse in einem Bericht unter dem Titel fälle erfasst. Durch eine Ampelbewertung »Mitmenschen im Schatten« der Öffentlich­ erfolgt eine nachvollziehbare und verständ­ keit vorgestellt. Bereits damals zeigte sich, liche Bewertung der Unterkünfte. Der dass im Vergleich zum Vorjahr erhebliche »Heim-TÜV« zeigt somit positive und nach­ Verbesserungen in der Flüchtlingsunterbrin­ ahmenswerte Zustände auf und gibt zugleich gung zu vermerken waren. Ein Jahr später konkrete und konstruktive Anregungen für fand eine Nachprüfung statt. Dabei konzent­ Verbesserungen. Dabei soll nicht mit dem rierten sich die Besuche auf neu eröffnete Finger auf einzelne Schuldige gezeigt wer­ Heime und solche, die 2011 »rot«, also als den, sondern es wird vielmehr das System unangemessen, eingestuft worden waren. der Unterbringung als Ganzes in den Blick Im Jahr 2013 wurden schließlich in einer genommen. zweiten großen »Heim-TÜV«-Runde aber­ Der erste »Heim-TÜV«-Besuch aller säch­ mals alle – zu diesem Zeitpunkt bereits 40 – sischen Asylbewerberheime, damals 30 Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende an der Zahl, wurde 2010 durchgeführt. Die besucht und bewertet.

68 Jahresbericht 2014 3.2 Veröffentlichung des »Heim-TÜV«-Berichtes Positive Bilanz nach vier Jahren

Am 11. März 2014 stellte Martin Gillo im künfte für Asylsuchende errichtet wurden Rahmen einer Pressekonferenz den »Heim- oder werden. TÜV«-Bericht 2013 über das Leben von In der Pressekonferenz wurde die Not­ Flüchtlingen in sächsischen Gemeinschafts­ wendigkeit einer abgestimmten Strategie und unterkünften der Öffentlichkeit vor. Mit dem des gemeinsamen Handelns bei der Aufnah­ Titel »Hinschauen lohnt sich« machte der me und der menschenwürdigen Unterbrin­ Bericht darauf aufmerksam, dass sich die gung von Asylsuchenden in Sachsen betont. Flüchtlingsunterbringung in Sachsen durch Dafür bedarf es nicht nur der Verbesserung den »Heim-TÜV« konkret verbessert hatte. einzelner Heime, sondern auch eines syste­ An der Vorstellung des Berichtes nahm auch mischen Ansatzes. Der »Heim-TÜV«-Bericht Frank Richter, Direktor der Sächsischen bewertet nicht nur die Gemeinschaftsunter­ Landeszentrale für politische Bildung, teil. künfte, sondern zeigt auch viele Best-Practi­ Er stellte dabei die bisherigen Erfahrungen ce aus dem Bereich der Flüchtlingsunter­ aus dem Projekt »Kommune im Dialog« vor. bringung auf. In diesem Projekt bietet die Landeszentrale Die Ergebnisse des »Heim-TÜV« 2013 unter anderem an, Kommunikationsprozes­ wurden auch dem Sächsischen Landtag vor­ se in den sächsischen Kommunen zu mode­ gelegt (Drucksache 5/13948). Der Bericht rieren, in denen neue Gemeinschaftsunter­ wurde am 10. Juli 2014 in der 101. Sitzung des Plenums durch den Sächsischen Aus­ länderbeauftragten vorgestellt und anschlie­ ßend durch die Abgeordneten rege disku­ tiert. Der »Heim-TÜV«-Bericht erntete von allen demokratischen Parteien und der Staatsregierung viel Lob und Zustimmung. So sprachen die Abgeordneten der verschie­ denen Parteien während der Plenarsitzung von einem »respektvollen Ansatz«, einem »kleinen sächsischen Exportschlager«, einem »ausgeklügelten und transparenten Bewertungssystem« und einem »Qualitäts­ merkmal für Sachsen«. Der Tenor war ein­ deutig: Hinschauen erfordert Mut und Durchhaltevermögen – aber es lohnt sich definitiv. www.offenes-sachsen.de 69 Nicht zuletzt dank des »Heim-TÜV« hat sich viele positive Reaktionen in Fachkreisen und die Situation der Flüchtlingsunterbringung in der Öffentlichkeit ausgelöst. Die mediale in Sachsen in den letzten Jahren kontinuier­ Aufmerksamkeit nach der Veröffentlichung lich verbessert. Während im Jahre 2010 noch des »Heim-TÜV«-Berichts war groß und regte 50 Prozent der besuchten Unterkünfte als eine öffentliche politische Debatte über die unangemessen eingestuft wurden, so waren Unterbringung von Flüchtlingen in Sachsen es 2011 nur noch 20 Prozent. 2013 wurde kein an. Auch in der sächsischen Politik hat sich Heim mehr »rot«, also als unakzeptabel, be­ im vergangenen Jahr in Bezug auf Mindest­ wertet. Zehn der 40 besuchten Unterkünfte, standards in der Flüchtlingsunterbringung das entspricht 25 Prozent, wurden mit der und deren Kontrolle einiges getan. grünen Ampelfarbe bewertet. Die Standards Viele Kriterien des »Heim-TÜV« finden in den Gemeinschaftsunterkünften haben sich beispielsweise im neuen Unterbrin­ gungs- und Kommunikationskonzept des Freistaates Sachsen wieder, welches zwi­ schen dem Sächsischen Staatsministerium des Innern und den beiden kommunalen Spitzenverbänden – dem Sächsischen Städ­ te- und Gemeindetag und dem Sächsischen Landkreistag – abgestimmt wurde. Auch wenn es sich dabei nur um Mindestempfeh­ lungen und nicht um verbindliche Standards handelt, ist es ein großer Gewinn. Dass der »Heim-TÜV« inzwischen als wichtiges Qualitätsinstrument der Flücht­ lingsunterbringung angesehen wird, spiegel­ te sich auch im Koalitionsvertrag von CDU und SPD wider. Unter dem Stichpunkt »Will­ kommenskultur und Integration« sprechen die Koalitionsparteien von einer dauerhaften sich also insgesamt deutlich verbessert. Zu­ Fortführung des bundesweit beispielgeben­ dem ist die Mehrheit der Familien mittler­ den »Heim-TÜV«. weile dezentral untergebracht. Auch das Sachleistungsprinzip wurde überwiegend durch Geldleistungen abgelöst, um den 3.2.2 Bundesweite Reaktionen Asylsuchenden ein eigenständigeres Leben zu ermöglichen. Schließlich wurden auch der Nicht nur in Sachsen, sondern auch über Bildungszugang für Kinder von Asylbewer­ die Grenzen des Freistaates hinaus findet bern und die soziale Betreuung verbessert. der »Heim-TÜV« Beachtung. Wenn sich die Diskussion heutzutage um Mindeststan­ dards in der Flüchtlingsunterbringung dreht, 3.2.1 Reaktionen auf den »Heim-TÜV« dann wird immer häufiger auf das sächsi­ in Sachsen sche Vorgehen verwiesen. Einen überregionalen Bekanntheitsgrad In Sachsen wird hingeschaut! Und dieses gewann der »Heim-TÜV« vor allem durch die Hinschauen hat regional und überregional traurigen Vorfälle in Nordrhein-Westfalen.

70 Jahresbericht 2014 Pressekonferenz mit dem Direktor der Landeszentrale für politische Bildung

Im September 2014 wurde bekannt, dass auswahl in Gemeinschaftsunterkünften ein. Sicherheitskräfte Asylbewerber misshandelt Auch jenseits der deutschen Grenzen stieß und gedemütigt hatten. Fragen wurden laut, der »Heim-TÜV« auf Interesse. Im vergange­ wie so etwas passieren kann und warum es nen Jahr wurde das Team des Sächsischen kaum Mindeststandards und Kontrollinstru­ Ausländerbeauftragten erstmals als externe mente für deren Einhaltung gibt. Da der Evaluierungsinstitution damit beauftragt, »Heim-TÜV« im Bundesgebiet das einzige ein außerhalb von Deutschland liegendes Evaluationsinstrument seiner Art ist, erhielt Asylbewerberheim zu begutachten. Im Juli die Geschäftsstelle Ende des Jahres 2014 2014 fuhren zwei Mitarbeiter der Geschäfts­ zahlreiche Medienanfragen und die Anre­ stelle des Sächsischen Ausländerbeauftrag­ gungen von Martin Gillo wurden gern als ten auf Einladung nach Südtirol/Italien, Expertenmeinung hinzugezogen. um dort eine Gemeinschaftsunterkunft Andere Bundesländer zeigten bereits vor der Caritas Bozen-Brixen nach dem Evalua­ diesen Vorfällen Interesse am Instrument tionsschema des »Heim-TÜV« zu bewerten. »Heim-TÜV« und strebten eine Übertragung Dabei konnten beide Seiten profitieren: der Kriterien auf regionale Gegebenheiten Die Gemeinschaftsunterkunft erhielt eine an, wie zum Beispiel das Saarland. Zudem detaillierte Bewertung mit konkreten Anre­ wurde mehrfach gefordert, ein vergleichba­ gungen zur Verbesserung, die die Betreiber res Qualitätsmanagement für die Flücht­ dankend aufnahmen. Und die Geschäfts­ lingsunterbringung bundesweit einzuführen. stelle bekam einen interessanten Einblick in Auch wenn bislang kein weiteres Bundes­ das Asyl- und Unterbringungssystem eines land einen eigenen »Heim-TÜV« entworfen anderen Staates. Positiv zu bemerken war in hat, so erfassen mittlerweile doch mehrere Südtirol vor allem, dass alle Heimbewohner Bundesländer systematisch Daten über die ein Konto hatten und dass es trotz einer Lebensbedingungen der Asylbewerber und hohen Fluktuation einen aktiven Heimbeirat führen strengere Kriterien für die Personal­ gab.

www.offenes-sachsen.de 71 3.3 Herausforderungen bei der Flüchtlingsunterbringung in Sachsen

Bei der Flüchtlingsunterbringung treffen vie­ weiter in Bezug auf Unterbringungsstan­ le Aspekte aufeinander, die auf den ersten dards? Die letzten »Heim-TÜV«-Besuche Blick nur schwer miteinander vereinbar wurden 2013 durchgeführt. Bereits im darauf­ scheinen: Die Landkreise und Kreisfreien folgenden Jahr 2014 hat es zum Teil tiefgrei­ Städte müssen als untere Unterbringungsbe­ fende Veränderungen und Entwicklungen hörden mit begrenzten finanziellen Mitteln gegeben. Sie unterwerfen nicht nur die Be­ und auf der Grundlage gesetzlicher Regelun­ reiche Unterbringung und Mindeststandards gen eine geeignete Unterbringung und sozia­ neuen Rahmenbedingungen, sondern stellen le Betreuung der Asylbewerber gewährleisten; auch die Organisation und Durchführung humanitäre Mindeststandards müssen des »Heim-TÜV« selbst vor grundlegende da­bei eingehalten werden, um den Schutz­ Herausforderungen. Zum einen gab es Ände­ suchenden ein menschenwürdiges Leben rungen bisher geltender gesetzlicher Rege­ zu ermög­ ­lichen. Gleichzeitig steigen jedoch lungen, die konkret die Unterbringung von die Flüchtlingszahlen­ und somit der Bedarf Asylsuchenden betreffen, wie zum Beispiel an Unterbringungsmöglichkeiten. Zudem die Änderung des Bauplanungsrechtes. leisten nicht selten Bürger gegen geplante Auch eine Erhöhung der Pro-Kopf-Pauschale, Flüchtlingsunterkünfte in ihrer Nachbar­ die die Landkreise und Kreisfreien Städte schaft Widerstand. Im gesamten Prozess der für die Unterbringung von Asylsuchenden Flüchtlingsunterbringung – von der Planung erhalten, wurde angekündigt. Zum anderen über die Kommunikation mit den Anwohnern wuchsen die Flüchtlingszahlen aufgrund und den verantwortlichen Akteuren bis hin weltweiter Konflikte und Krisen rapide an. zur Durchführung – müssen diese Punkte Vor allem vor dem Bürgerkrieg in Syrien und berücksichtigt werden. Eine Vereinbarkeit den Gräueltaten des so genannten »Islami­ dieser Aspekte zu finden, ist auch in Zukunft schen Staates« flohen zahlreiche Menschen eine wichtige Aufgabe, die nur gemeinschaft­ und suchten ein sicheres Leben in Deutsch­ lich gelöst werden kann. Daher ist auch land. Um dem wachsenden Unterbringungs­ weiterhin ein genaues Hinschauen erforder­ bedarf gerecht zu werden, stieg die Anzahl lich. Dabei ist es zwar durchaus zielführend, der Gemeinschaftsunterkünfte in Sachsen einzelne Gemeinschaftsunterkünfte zu über­ 2014 im Vergleich zum Vorjahr um etwa die prüfen, wichtig ist jedoch auch, gleichzeitig Hälfte an. Gleichzeitig sind mittlerweile das System als Ganzes und die Rahmen­ knapp 50 Prozent der Personen, die Leistun­ bedingungen der Unterbringung im Auge gen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu behalten. erhalten, dezentral untergebracht (Stand: Welche Änderungen gab es seit dem letz­ Oktober 2014). Dabei unterscheiden sich ten »Heim-TÜV«? Und wie geht es in Zukunft die Zahlen jedoch stark zwischen den Land­

72 Jahresbericht 2014 kreisen und Kreisfreien Städten. Doch auch meinschaftsunterkünften soll die dezentrale wenn angestrebt wird, die Mehrheit der Unterbringung stärker in den Fokus des Asylbewerber – vor allem die Familien – Qualitätsmanagements rücken. Auch kon­ zunehmend dezentral in Wohnungen unter­ krete Empfehlungen für die Eröffnung neuer zubringen, so nimmt die Anzahl der Ge­ Heime sind denkbar. meinschaftsunterkünfte aufgrund der Ein weiterer zukünftiger Schwerpunkt steigenden Flüchtlingszahlen keinesfalls betrifft nicht nur das Leben in sächsischen ab. Zudem richten einige Landkreise und Gemeinschaftsunterkünften, wie der Unterti­ Kreisfreien Städte Notunterkünfte für Asyl­ tel des »Heim-TÜV«-Berichtes 2013 lautet, bewerber ein und auch im Bereich der sondern auch das Leben mit den Anwohnern Erstaufnahme müssen neue Kapazitäten dieser Unterkünfte. Aktuelle Geschehnisse bereitgestellt werden. und Proteste gegen geplante Flüchtlingsun­ Wie gehen wir also um mit diesen verän­ terkünfte zeigen, dass die Akzeptanz der derten Rahmenbedingungen? Ganz im Sinne Bevölkerung im Umfeld von Gemeinschafts­ des Koalitionsvertrages von CDU und SPD unterkünften nicht immer gegeben ist. Ver­ wird die Qualitätsprüfung der Flüchtlings­ mittelnde Ansätze und die Durchführung unterbringung auch in Zukunft ein zentrales von Informationsveranstaltungen sind dabei Thema des Sächsischen Ausländerbeauftrag­ besonders wichtig zur Förderung der Ver­ ten sein. Denn gerade in Anbetracht der ständigung von Bewohnern und Anwohnern aktuellen Entwicklungen brauchen wir von Gemeinschaftsunterkünften. Ermuti­ effiziente Konzepte, neue Ideen und eine gend ist dabei jedoch vor allem der aktive adäquate Unterstützung für einen menschli­ Einsatz vieler Ehrenamtlicher und engagier­ chen Umgang mit Flüchtlingen. Dazu soll ter Bürger, die die Flüchtlinge in Vereinen, der »Heim-TÜV« weiterentwickelt und hin­ Initiativen und als Einzelpersonen willkom­ sichtlich rechtlicher Änderungen angepasst men heißen und sie bei der Integration in werden. Neben der Qualitätsprüfung von Ge­ unsere Gesellschaft unterstützen.

www.offenes-sachsen.de 73 Netzwerktreffen 2014 4. Zukunft gemeinsam gestalten 4.1 Netzwerk Integration und Migration Sachsen

An der Integrationsarbeit in Sachsen sind Auswahlprozess wurden fünf Themen viele Akteure beteiligt: Ehrenamtliche, Orga­ bestimmt, welche in multiprofessionell nisationen, Vereine, Behörden – die Liste besetzten Teams weiter bearbeitet und an­ ist lang. Doch sie alle verfolgen ein Ziel: ein schließend allen Mitgliedern zur Diskussion konstruktives Miteinander in einer vielfälti­ gegeben wurden. Diese Themen sind der gen Gesellschaft zu gestalten. Aus diesem Bildungszugang, das Erlernen der deutschen Grund haben sich die beteiligten Personen Sprache, die Arbeitsmarktintegration, die und Institutionen in Sachsen zu dem Netz­ Förderung qualifizierter Flüchtlingssozialar­ werk Integration und Migration Sachsen, beit und der Aufbau einer psychosozialen kurz NIMS, zusammengeschlossen. Versorgungsstruktur für traumatisierte Flüchtlinge. Am 17. März 2014 trafen sich die Mitglieder des NIMS im Sächsischen Land­ 4.1.1 Schwerpunkte der Integrationsarbeit tag, um diesen Prozess fortzusetzen. Dabei in Sachsen arbeiteten die fünf Arbeitsgruppen Visionen und Ziele, Herausforderungen, erfolgver­ Um das gemeinsame Ziel zu erreichen, be­ sprechende Lösungsansätze und konkrete schäftigen sich die Netzwerkmitglieder mit Umsetzungsschritte für das jeweilige Thema unterschiedlichen Fragen: Welchen Heraus­ heraus. forderungen stehen wir gegenüber? Wie Die Ergebnisse wurden anschließend können sowohl Migranten als auch die im durch die Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Bereich Integration tätigen Personen und Sächsischen Ausländerbeauftragten zusam­ Institutionen in ihrem Leben und Arbeiten mengetragen und unter dem Titel »Kursbuch am besten unterstützt werden? Welche Vor­ Integration und Migration Sachsen« veröf­ aussetzungen müssen wir für die Einigkeit fentlicht. Aus Ideen wurden schließlich kon­ in Vielfalt schaffen? All diese Fragen führen krete Handlungsempfehlungen basierend zu einem zentralen Anliegen: die Identifika­ auf den vielfältigen Perspektiven der betei­ tion der wichtigsten Aufgabenfelder für die ligten Akteure. Am 27. Juni 2014 trafen sich Integrationsarbeit in Sachsen. die Netzwerkmitglieder erneut. Das Netz­ Dafür wurden in einem ersten Schritt be­ werktreffen fand in Kooperation mit dem reits im Dezember 2013 gemeinsam mit den Deutschen Hygiene-Museum Dresden statt. Netzwerkmitgliedern Schwerpunktthemen, Dabei stellten die Vertreter der Arbeitsgrup­ die die Arbeit aktuell und in Zukunft domi­ pen die einzelnen Handlungsfelder des Kurs­ nieren werden, herausgearbeitet. In einem buches vor. Da das Treffen zum letzten Mal www.offenes-sachsen.de 75 auf Einladung des scheidenden Ausländer­ den? Wie vermittelt man den Menschen, beauftragten Martin Gillo erfolgte, endete dass Vielfalt nicht nur Herausforderung, die Veranstaltung mit einem feierlichen Ab­ sondern vor allem Bereicherung und Poten­ schied und Glückwünschen von den Mitglie­ zial bedeutet? Dieser Aspekt wurde ebenfalls dern. während des letzten Netzwerktreffens an­ hand der Frage »Wie kommuniziert man Vielfalt erfolgreich nach außen?« behandelt. Vorstellung im Maria-Fraenkel-Saal Während einer Führung durch die Ausstel­ lung »Das neue Deutschland« im Deutschen Hygiene-Museum Dresden sollten Antworten auf diese Frage gefunden werden. Ein wich­ tiger Punkt wurde besonders betont: Bei dem Kommunikationsprozess stehen die Akteure selbst im Mittelpunkt. Die Ergebnisse der Diskussionen wurden in den folgenden vier Säulen präsentiert, die die wichtigsten Anforderungen an eine vielfaltsorientierte Kommunikation zusammentragen: • sachliche Aufklärung fördern – zum Beispiel durch Zahlen und Fakten • emotionale Erfahrungen ermöglichen – auch durch persönliche Begegnungen • Medienästhetik nutzen – etwa durch Bilder und Metaphern • (Selbst-)Reflexion begleiten – zum Beispiel durch die Entwicklung von Empathie und die Entkräftung von Vorurteilen

4.1.3 Geschichte und Umfang des Netzwerks

NIMS ermittelt den Bedarf an Information, Kommunikation und Vernetzung der an der Integrationsarbeit in Sachsen Beteiligten. Präsentation der Arbeitsgruppen NIMS ist ein landesweit agierendes Netz­ im Sächsischen Landtag werk. Es wurde 2010 auf Initiative des Säch­ sischen Ausländerbeauftragten gegründet 4.1.2 Kommunikation von Vielfalt und trifft sich etwa zwei bis drei Mal im Jahr. Zum Netzwerk gehören etwa 200 Organisati­ NIMS trägt Ideen und Anregungen zusam­ onen und 40 Einzelpersonen, die sich im Be­ men, wie wir am besten in Vielfalt leben reich Integration und Migration in Sachsen können. Doch was nützen die positiven As­ engagieren. Mitglieder des Netzwerkes sind pekte einer vielfältigen Gesellschaft, wenn beispielsweise (kommunale) Ausländer- und diese nicht als solche wahrgenommen wer­ Integrationsbeauftragte, Migrantenselbstor­

76 Jahresbericht 2014 Gemeinsame Veranstaltung mit dem Deutschen Hygiene-Museum ganisationen, Beratungsstellen, Vereine und Handlungsstrategien und sind Grundlage Initiativen oder lokale Netzwerke. NIMS ist für den fachlichen Dialog mit den Verant­ grundsätzlich offen für weitere Mitstreiter, wortlichen und potentiellen Partnern aus die sich für Migration und Integration ein­ der Wirtschaft, dem Gesundheits- und Bil­ setzen. Wichtige Integrationsthemen können dungsbereich, der Politik und der Verwal­ gemeinsam bearbeitet und Lösungsansätze tung. Das Thema Vielfalt und interkulturelle multiprofessionell entwickelt werden. Öffnung ist kein Nischenthema mehr, es Die Koordination des Netzwerkes und die gehört mitten in unsere Gesellschaft. Aus Organisation der Netzwerktreffen liegen diesem Grund wurde das Kursbuch als beim Sächsischen Ausländerbeauftragten Handlungsempfehlung an verschiedene und seiner Geschäftsstelle. Die Mitglieder Akteure aus Politik und Gesellschaft verteilt. des Netzwerkes verfügen über die fachliche Um auch in Zukunft eine aktive Netz­ und inhaltliche Kompetenz. werkarbeit zu gewährleisten, ist es wichtig das Netzwerk zu verstetigen. Viele Institutio­ nen, wie zum Beispiel die Migrationsbera­ 4.1.4 Zusammenarbeit ist unsere Zukunft: tungsstellen, existieren schon sehr lange Wie geht es weiter? und sind zu festen Ansprechpartnern gewor­ den. Problematisch für eine langfristige und Das Netzwerk arbeitete während der beiden tragfähige Netzwerkarbeit sind hingegen Treffen im vergangenen Jahr wichtige Hand­ projektbezogene Stellen und Einrichtungen, lungsempfehlungen für die Beteiligten her­ die nur zeitweilig existieren. Unsichere aus. Sie dienen als Richtlinie für regionale Finanzierungen sind keine Basis für eine www.offenes-sachsen.de 77 • Sächsisches Staatsministerium­ des Innern • Sächsisches • Kommunale Ausländer­­ Staatsministerium­ und Integrationsbeauf­ für Soziales und tragte Behörden und Verbraucherschutz Beauftragte • Ausländerbeauftragte • Sächsisches Staats­ Institutionen der Universitäten und ministerium für Kultus Hochschulen • Bundesamt für Migra­ • Ausländerbeauftragte tion und Flüchtlinge aus der Wirtschaft • Bundesagentur für Arbeit • Sächsisches • Flüchtlingsräte Bildungsinstitut Interessens­ • Sächsischer • Landeskriminalamt vertretungen Migrantenbeirat Sachsen von • Ausländerbeiräte Ausländern • Migrantenselbst­ organisationen

Kirch­ und Religions­ gemeinschaften NIMS

Rechtsanwälte

• Migrationsberatungs­ stellen für Erwachsene • Jugendmigrations ­ Lokale und beratungsstellen­ überregionale • Sprach­ und Integra­ Netzwerke tionskursträger • Koordinatoren für themen­ Migration/Integration bezogene der Regionalstellen • z. B. Ausländerrat Beratungs­ der Sächsischen Dresden oder stellen Bildungsagenturen Verband binationaler • Informations­ und Partnerschaften Beratungsstelle Aner­ Vereine und • z. B. für Arbeitsmarkt­ kennung Sachsen (IBAS) Initiativen integration, • Akademische Auslands­ Flüchtlingshilfe, ämter, Welcome Center, Bildung und Studentenwerke Spracherwerb • Opferberatungsstellen

78 Jahresbericht 2014 NIMS-Treffen im Juni 2014 im Deutschen Hygiene-Museum ertragreiche Zusammenarbeit. Für eine Organisation der Treffen wichtig, sondern kontinuierliche und langfristige Arbeit sind auch, um einen Kanal zur Politik sowie die finanzielle Mittel nötig. Für ein stetig arbei­ begleitende Presse- und Öffentlichkeitsar­ tendes NIMS sind zudem weiterhin regelmä­ beit für das Netzwerk sicherzustellen. Auch ßige Netzwerktreffen wichtig. Dort sollte an innerhalb des Netzwerkes ist es von Bedeu­ ausgewählten Problemthemen gearbeitet tung, Informationen regelmäßig weiterzuge­ werden, die auch aus dem Netzwerk selbst ben – etwa mithilfe einer Datenbank. Grund­ kommen. sätzlich soll das Netzwerk weiterhin offen Darüber hinaus bedarf es einer zentralen angelegt sein. Denn nur durch einen niedrig­ Informations-, Koordinations- und Kommu­ schwelligen Zugang zum Netzwerk können nikationsplattform. Dies ist nicht nur für die auch neue Akteure einen Weg hinein finden.

www.offenes-sachsen.de 79 4.2 »Kursbuch Integration und Migration Sachsen – Initiativen zur Einigkeit in Vielfalt«

Im Juni 2014 wurde das »Kursbuch Integrati­ 4.2.1 Philosophie: Initiativen on und Migration Sachsen« veröffentlicht. zur »Einigkeit in Vielfalt« Es ist das Ergebnis der Zusammenarbeit erfahrener Akteure der sächsischen Integra­ Dieses Motto spiegelt sowohl den Entste­ tionsarbeit und bietet eine thematisch hungsprozess als auch die Philosophie strukturierte Sammlung von fünf prioritären der Verfasser wider. Einigkeit in Vielfalt Handlungsfeldern. Neben dem Sachstand bedeutet dabei nicht nur Einigkeit trotz Viel­ und aktuellen Herausforderungen beschrei­ falt, sondern vor allem Einigkeit aufgrund ben die Verfasser mittel- und langfristige von Vielfalt. Nur wenn alle Beteiligten ihre Ziele der Integrationsarbeit in Sachsen. verschiedenen Begabungen, Erfahrungen Sie empfehlen konkrete Handlungen und und Interessen vor Augen haben und ein­ Lösungsansätze in den verschiedenen Berei­ bringen, kann Vielfalt als Bereicherung für chen. So entstand ein praktischer Wissens­ die gesamte Gesellschaft, vom Kindergarten speicher, der darüber hinaus die Grundlage bis zum Unternehmen, wahrgenommen für die weitere Netzwerkarbeit bildet und ein werden. fachliches Angebot für Entscheidungsträger Unterschiedliche Werte, Kulturen, Religi­ und Engagierte im Integrationsbereich in onen, Weltanschauungen, Herkunftsländer – Sachsen ist. dies bedeutet Vielfalt. Die Basis für Einigkeit in Vielfalt bilden eine offene Gesellschaft und das Grundgesetz mit seinem Bekenntnis zum Pluralismus. Vielfalt zu begegnen, bedeutet nicht nur, bloßes Wissen über den Anderen zu erwerben; es meint auch, mit kulturellen Unterschieden umgehen zu können und immer wieder neue Wege zur Gemeinsamkeit zu finden. Das Potenzial von Vielfalt zeigte sich auch bei der Erarbeitung des Kursbuchs selbst: Denn ohne die Vielfalt von Akteuren, Ideen und Perspektiven im Netzwerk Integ­ ration und Migration Sachsen wäre das Kursbuch nicht zustande gekommen. Dieser Wegweiser für die zukünftige Integrations­ arbeit beweist: Das Netzwerk ist mehr als die Summe seiner Netzwerkmitglieder.

80 Jahresbericht 2014 der Ausbau des begleitenden Einsatzes von Sprachlotsen nach dem Vorbild des Dresdner Gemeindedolmetscherdienstes. Bei der Einrichtung eines sachsenweiten Pools an Sprachmittlern sollte gezielt auf die Kompetenz und persönliche Erfahrung von Menschen mit Migrationshintergrund zurückgegriffen werden.

Integration durch Bildung: Bildungs­organisationen interkulturell öffnen Bildungswege lassen sich für Zuwanderer oft nur schwer erschließen – aufgrund feh­ lender Informationen, anderer Bildungsver­ ständnisse oder bestehender Sprachbarrie­ ren. Jedoch sollten allen Menschen während 4.2.2 Schwerpunktthemen des gesamten Bildungsprozesses und un­ abhängig von ihrem ausländerrechtlichen Deutsch für alle: Status, ihrer Herkunft oder Aufenthaltsdauer Spracherwerb optimieren und für der Zugang zu Bildung und das Nachholen alle Zielgruppen ermöglichen von Bildungsabschlüssen möglich sein. Manche rechtliche Beschränkungen schlie­ Damit sich das Bildungssystem zu einem ßen bestimmte Gruppen von Migranten vielfaltsorientierten System entwickelt, noch immer vom Spracherwerb aus. Dabei brauchen die Mitarbeiter in den Bildungsor­ ist dieser vor allem für Asylbewerber wichtig. ganisationen Unterstützung. Interkulturelle Im Koalitionsvertrag der jetzigen Staatsregie­ Fähigkeiten und Sensibilität sollten daher in rung heißt es dazu: »Das Erlernen der deut­ der Aus- und Weiterbildung vermittelt werden, schen Sprache ist der entscheidende Schlüs­ zum Beispiel durch reguläre Begegnungen sel für Integration und ein gelingendes mit Migranten. Das macht die fundamentale Miteinander.« Weiter heißt es dort: »Deshalb Bedeutung eines Miteinanders auf Augenhö­ sollen alle Migrantinnen und Migranten An­ he erlebbar. spruch auf einen kostenlosen Sprachkurs Auch bei Lernenden gilt prinzipiell der mit mindestens Sprachniveau A2 erhalten.« stärkenorientierte Ansatz. Nur so können Um den Spracherwerb von Migranten zu för­ wertvolle Ressourcen, wie die Mehrsprachig­ dern, bedarf es vor allem einer umfassenden keit, optimal betont werden. Um Neuzuwan­ Analyse der derzeitigen Angebotssituation in derern die Möglichkeit zu geben, den Über­ Sachsen und einer adäquaten Finanzierung. gang in unsere Bildungseinrichtungen zu Vor Beginn eines Sprach- oder Integrations­ meistern, sollten sie qualifiziert begleitet kurses sollte es für alle Zuwanderer ein und unterstützt werden. Dazu müssen auch Beratungsangebot und eine konsequente die Anforderungen seitens der Bildungs­ Einstufung nach Vorbildung und Vorkennt­ träger an die wachsende Vielfalt angepasst nissen geben. Nur so können die Lernenden werden, etwa durch eine sprach- und kultur­ gemäß ihrer individuellen Fähigkeiten effizi­ sensible Überprüfung bisher verwendeter ent gefördert werden. Ein weiterer Ansatz ist Formulare. www.offenes-sachsen.de 81 Vielfalt als Stärke: komplizierter begrifflicher Unterscheidun­ Integration von Arbeitnehmern mit gen ist dabei hilfreich. Ergänzend sollte Migrationshintergrund in kleine und bei den Unternehmen dafür geworben wer­ mittlere Unternehmen verbessern den, der »Charta der Vielfalt«25 beizutreten. In vielen Unternehmen schrumpft aufgrund Doch auch Zuwanderer müssen unter ande­ der demografischen Entwicklung der Bewer­ rem durch eine kultursensible Berufsorien­ berpool. Daher wenden sie sich zunehmend tierung unterstützt werden, damit sie aktiv Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund ihre Stärken in das Unternehmen einbringen zu. Diese bringen viele Ressourcen mit: können. Darüber hinaus sollten die Rechte unter anderem Mehrsprachigkeit, interkultu­ der Zuwanderer als Bewerber und Arbeit­ relles Wissen und internationale Kontakte. nehmer gestärkt werden. Denn bei der Um die Potentiale von Zuwanderern auszu­ Fachkräftegewinnung ist auch die Bezah­ schöpfen, sollten Unternehmen erkennen, lung ein wesentlicher Faktor: Lohndumping dass Vielfalt Innovationskraft, Zukunftsfä­ auf Kosten von Zuwanderern ist nicht higkeit und Bereicherung bedeutet. So kann akzeptabel. Sachsen seine Attraktivität für Zuwanderer steigern – nicht nur in den großen Städten, Zusammenleben und Inklusion: sondern in allen sächsischen Regionen. Qualifizierte Flüchtlingssozialarbeit Zudem bedarf es grundlegender Struktur­ ermöglichen veränderungen, wie zum Beispiel eine Ver­ Eine flächendeckende, finanzierte und be­ netzung von Wirtschaftsförderung, Jobcen­ darfsgerechte Flüchtlingssozialarbeit ermög­ tern, Kammern, Unternehmensvertretern licht eine adäquate Begleitung von Asylsu­ und auf dem Arbeitsmarkt Tätigen. Viele chenden, ein konstruktives Zusammenleben Unternehmen wünschen sich außerdem für der gesamten Gesellschaft und beugt Kon­ ihre Anliegen eine zentrale Anlaufstelle und flikten vor. Das Unterbringungs- und Kom­ Leitfäden mit wichtigen Informationen rund munikationskonzept des Freistaates ist ein um das Thema Einstellung von Migranten. Auch eine kommunikative Vereinfachung 25 Siehe dazu www.charta-der-vielfalt.de.

82 Jahresbericht 2014 Schritt in die richtige Richtung, da Sozialar­ beit als Bestandteil einer menschenwürdi­ gen Unterbringung von Flüchtlingen aner­ kannt wird. Weiterhin sollten konkrete Aufgabenkataloge für qualifizierte Sozial­ arbeit sowie ein angemessener Personal­ schlüssel in den Gemeinschaftsunterkünften und für dezentral untergebrachte Flüchtlinge mit allen wichtigen Beteiligten gemeinsam ausgearbeitet werden. Eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen in diesem Bereich tätigen Personen und Institutionen sollte Standards zur Struktur des Angebotes und zur Qualifi­ zierung festlegen. Dabei müssen auch die Kommunen im Rahmen der Sozialplanung beteiligt und Konzepte gemeinsam vor Ort über ihre Eltern von einer Traumatisierung entwickelt werden. betroffen. Beim Thema Qualifikation sollte be­ Gleichzeitig schränken jedoch die derzeit rücksichtigt werden, dass auch ehemalige geltenden Regelungen des Asylbewerberleis­ Asylbewerber wichtige Ressourcen und Er­ tungsgesetzes eine mangelnde institutionel­ fahrungen für die Flüchtlingssozialarbeit le Förderung und die räumliche Zerstreuung mitbringen können, auch wenn ihnen for­ der beteiligten Personen und Einrichtungen male Qualifikationen fehlen. Flüchtlings­ eine angemessene psychosoziale Versorgung sozialarbeit braucht außerdem Fremdspra­ ein. Nach dem Motto »Kooperation trotz chenkenntnisse. Mit den bundesgeförderten Wettbewerb« sollten die in Sachsen tätigen Migrationsberatungsstellen und Jugendmig­ Traumatherapeuten und die Institutionen rationsdiensten existieren in Sachsen bereits in diesem Bereich vernetzt werden. In Angebote für Migranten, die sich sowohl Leipzig besteht seit 2007 in Trägerschaft des hinsichtlich der Zielgruppe als auch thema­ Caktus e. V. eine Struktur zur psychosozia­ tisch erweitern ließen. len Versorgung von Flüchtlingen in Sachsen. Dieses Angebot soll ausgeweitet werden. Aufbau einer psychosozialen Versorgungs- In Dresden gibt es zudem eine Arbeitsgrup­ struktur für traumatisierte Flüchtlinge pe zu diesem Thema. Des Weiteren sollten Traumatisierte Flüchtlinge müssen effektiv Schulungen angeboten und Personen, die und bedarfsgerecht beraten, betreut und be­ indirekt in diesen Prozess eingebunden sind, gleitet werden. Gerade bei dieser Zielgruppe sensibilisiert werden. Dies betrifft Dolmet­ gibt es besondere Herausforderungen: Die scher, die eine Traumatherapie begleiten, psychischen Probleme sind oft komplex, aber auch Erzieher oder Lehrer. Flüchtlings­ weil sie mit einer Vielzahl an Entwurzelungs- sozialarbeiter sollten zudem Informationen und Belastungsfaktoren verbunden sind. zu Symptomen und eine Liste qualifizierter Oft sind auch Kinder direkt oder indirekt Traumatherapeuten in Sachsen erhalten.

www.offenes-sachsen.de 83 4.3 Der Freistaat als Einwanderungsland!? – Warum (auch) Sachsen Zuwanderung braucht von Martin Weinmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)

4.3.1 Einleitung: Sachsen als weltoffenes und zukunftsorientiertes Land

»Der Freistaat Sachsen ist ein weltoffenes und zukunftsorientiertes Land« – so heißt es im Zuwanderungs- und Integrationskonzept Bekenntnis des Freistaats nicht vollständig des Landes (SMS 2012). Die Demonstratio­ mit dem Selbstverständnis seiner Bürger nen der Pegida-Bewegung und ihrer Ableger deckt. Zwar ist die sächsische Bevölkerung im Winter 2014/15 haben jedoch den Ein­ keineswegs durchweg von Vorbehalten ge­ druck vermittelt, dass sich dieses offizielle gen Zuwanderer geprägt und eine Analyse des SVR-Integrationsbarometer 2014 für die Region Leipzig zeigt, dass das Integrations­ klima auch in dieser Region weitgehend positiv bewertet wird. Nichtsdestoweniger zeigen die Proteste, dass die Politik verstärkt die Bedeutung von Zuwanderung für die Zukunftsfähigkeit des Freistaates erläutern und begründen muss. Denn nur wenn das staatliche Leitbild mit dem Selbstverständ­ nis der Bürger einhergeht, wird es gelingen, für Zuwanderer attraktiv zu sein. Argumente dafür gibt es zur Genüge. Einige der wich­ tigsten werden in diesem Beitrag dargestellt.

4.3.2 Der Freistaat als Einwanderungsland

Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung leben weiterhin deutlich weniger Zuwanderer in den neuen als in den alten Bundesländern. Außerdem unterscheidet sich die Zusammen­ setzung der zugewanderten Bevölkerung in

84 Jahresbericht 2014 Ost- und Westdeutschland. Durch die Migra­ Ausländern nach Sachsen übertrafen also tionsbewegungen der letzten Jahre zeichnet erstmals die Fortzüge (vgl. SLFS 2013: 67). sich jedoch langsam ein Wandel in der Unter anderem aufgrund der anhaltenden Struktur der Zuwandererbevölkerung ab. guten Konjunktur sowie des Fachkräfte­ Im Jahr 2013 hatten 4,4 Prozent der Be­ bedarfs, der sich in Teilen der sächsischen völkerung in Sachsen (ca. 177.000 Personen) Wirtschaft abzeichnete, erhöhte sich der einen Migrationshintergrund, fast die Hälfte Wanderungsüberschuss in den folgenden davon (47,5 Prozent) besaß die deutsche Staats­ Jahren weiter. Die Gesamtwanderungs­­ge­ bürgerschaft.26 Mehr als drei Viertel der winne (Deutsche und Ausländer) gehen sächsischen Zuwandererbevölkerung sind mittlerweile zum größten Teil auf ausländi­ selbst nach Deutschland zugewandert (sog. sche Zuwanderung zurück: Der Anteil der erste Generation), der Rest ist in Deutsch­ Ausländer an allen nach Sachsen Zugezo­ ­ge­ land geboren. Von denjenigen, die selbst zu­ nen lag im Jahr 2013 bei 38,1 Prozent, der gewandert sind, leben fast zwei Drittel schon Anteil an der Nettowanderung bei 70,6 Pro­ seit mindestens zehn Jahren in Deutschland zent (vgl. SLFS 2014b: 66). (Statistisches Bundesamt 2014a). Die starken Wanderungsgewinne, die Mit dem Aufschwung der sächsischen Deutschland insgesamt in den letzten Jahren Wirtschaft in den letzten Jahren gingen die verzeichnen konnte, sind größtenteils eine Arbeitslosenquote sowie die Abwanderung Folge der Zuwanderung von Arbeitsmigran­ in andere Bundesländer und ins Ausland ten aus anderen europäischen Ländern. zurück, und die Zuzüge stiegen. Dadurch Auch in Sachsen kam die Mehrheit der Zuge­ konnte Sachsen 2011 zum ersten Mal seit der wanderten aus dem europäischen Ausland. deutschen Wiedervereinigung einen positiven Der Anteil der Zuwanderer aus EU-Staaten Wanderungssaldo (sog. Nettowanderung) an der Nettowanderung ist jedoch mit verbuchen; die Zuzüge von Deutschen und 40,5 Prozent im Jahr 2013 geringer als im Bundesgebiet insgesamt (65,7 Prozent) 26 In Gesamtdeutschland lag der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im selben Jahr mit 19,7 % (vgl. SLFS 2014b: 71; Statistisches Bundes­ deutlich höher (ca. 15,9 Millionen Personen). amt 2014b). www.offenes-sachsen.de 85 Die Neuzuwanderer, die in den letzten Jah­ sches Bundesamt 2014c). Betrachtet man ren aus anderen EU-Staaten nach Deutsch­ ausschließlich die Neuzuwanderer, dann land kamen, »sind in der Regel jung, moti­ wird deutlich, dass sich die Unterschiede viert und qualifiziert« (SVR 2013: 17). Für in der Altersverteilung noch stärker ver­ eine demografisch alternde Gesellschaft ist schieben und zwar in einer Weise, die für dies ein unschätzbarer Gewinn. Dennoch Arbeitsmarkt und Sozialsysteme positiv ist: muss sich Sachsen zukünftig auch verstärkt Drei Viertel der im Jahr 2013 nach Sachsen darauf einstellen, qualifizierte Fachkräfte zugewanderten Ausländer (Netto) waren aus Drittstaaten anzuwerben. Denn es ist zwischen 18 und 45 Jahre alt. Personen die­ davon auszugehen, dass Fachkräfte aus ser Altersgruppe sind noch mindestens Europa – zumindest einige – wieder in ihre 20 Jahre erwerbsfähig und daher für den Herkunftsländer zurückkehren werden, Arbeitsmarkt besonders interessant. Die wenn sich die Krisen in den südeuropäischen Zuwanderung von Ausländern nach Sachsen Staaten beruhigt und die Wirtschaftsverhält­ trägt also dazu bei, das Verhältnis von Er­ nisse in den ost- und südosteuropäischen werbspersonen zu Rentnern zu verbessern: Mitgliedstaaten an die Deutschlands ange­ Nur 26,8 Prozent der sächsischen Gesamtbe­ glichen haben. völkerung sind jünger als 30 Jahre, bei den 2013 nach Sachsen zugewanderten Auslän­ dern ist dieser Anteil fast dreimal so hoch 4.3.3 Warum braucht Sachsen (77,0 Prozent). Im Jahr 2013 war etwa ein Zuwanderung? Viertel der sächsischen Gesamtbevölkerung 65 Jahre und älter; bei den zugewanderten Zuwanderung federt die demografische Ausländern lag dieser Anteil hingegen unter Entwicklung ab 1 Prozent (SLFS 2014b: 38 ff., 66). Die Folgen des demografischen Wandels sind in Sachsen deutlich zu spüren: Die Zuwanderung wirkt sich positiv Einwohnerzahl ist weiter rückläufig, die auf den Arbeitsmarkt aus und entlastet Geburtenziffer stagniert bei etwa 1,4 Kinder die Sozialkassen pro Frau und erreicht nicht das Bestandser­ Spätestens mit dem Renteneintritt der haltungsniveau (2,1 Geburten pro Frau). geburtenstarken Jahrgänge (1955 bis 1969) Zudem erhöhen sich das Durchschnittsalter wird es im kommenden Jahrzehnt absehbar­ und der Anteil der 65-Jährigen und Älteren zu einem Rückgang der Beitragszahler kom­ mit der allgemein steigenden Lebenserwar­ men und die Einnahmen der Rentenversi­ tung stetig, während es immer weniger Jün­ cherung werden entsprechend sinken. gere gibt – die Bevölkerung im Erwerbsalter Vor dem Hintergrund der demografischen schrumpft deutlich (Sächsische Staatskanz­ Entwicklung können gut ausgebildete Zu­ lei 2015). Zuwanderung kann diese Entwick­ wanderer dazu beitragen, die Zahl der lung nicht aufhalten, sie kann ihre Folgen Beitragszahler zumindest weitgehend jedoch abfedern. stabil zu halten. Da Migranten jünger und Daten des Zensus 2011 zeigen, dass in der häufiger im erwerbsfähigen Alter sind, sächsischen Bevölkerung mit Migrationshin­ werden sie auch noch länger in die Sozial­ tergrund der Anteil der Jüngeren deutlich kassen einzahlen.­ Aufgrund der günstigen höher und der Anteil der Älteren deutlich Altersstruktur könnten mehr als drei Viertel niedriger ist als in der sächsischen Bevölke­ der 2013 nach Sachsen Zugewanderten rung ohne Migrationshintergrund (Statisti­ im erwerbsfähigen­ Alter noch gut 20 Jahre in

86 Jahresbericht 2014 die Sozialkassen einzahlen, wenn sie im Deutschland gekommenen Zuwanderer, Land bleiben.27 insbesondere diejenigen aus EU-Staaten, Personen mit Migrationshintergrund bringen häufiger einen (akademischen) in Deutschland beziehen deutlich seltener Bildungsabschluss mit (SVR 2013: 101f.; beitragsfinanzierte Transferleistungen der Brücker 2013: 11 ff.). Das Land profitiert also Sozialversicherungssysteme (z. B. Arbeits­ auch zunehmend von Bildungsinvestitionen, losengeld I, Renten, Pensionen, Pflegegeld) die in anderen Ländern getätigt wurden. als Personen ohne Migrationshintergrund, wenngleich der Bezug von steuerfinanzier­ Zuwanderung trägt zur Sicherung ten Transferleistungen (z. B. Arbeitslosen­ der Fachkräftebasis bei geld II, Sozialhilfe, Wohngeld etc.) höher Durch den Aufschwung der sächsischen liegt (Brücker 2013: 29). Dennoch profitieren Wirtschaft ging die Arbeitslosenquote in Sozialsysteme und Arbeitsmarkt insgesamt Sachsen von 16,4 Prozent im Jahr 2007 von der Zuwanderung, was nicht nur auf die auf 9,4 Prozent im Jahr 2013 zurück günstige Altersstruktur der Zuwanderer, son­ (vgl. SLFS 2009: 186; 2014b: 207). Die günsti­ dern auch auf den Qualifikationsanstieg ge Konjunktur führt dazu, dass in einigen der Neuzuwanderer zurückzuführen ist: Bereichen bereits heute Fachkräfteengpässe Vor allem die in den letzten Jahren nach bestehen. So stellte die Bundesagentur für Arbeit (2014b) in ihrer Fachkräfteeng­ 27 Aktuell sind in Sachsen über 30.000 Ausländer passanalyse für Dezember 2014 fest, dass sozialversicherungspflichtig beschäftigt und zahlen entsprechend in die Rentenkasse ein (Bundesagentur zwar bei den Ingenieuren im Bereich »Ma­ für Arbeit 2014a). schinen- und Fahrzeugtechnik« die Zahl www.offenes-sachsen.de 87 der Arbeitslosen noch deutlich die Zahl der von Forschern und hochqualifizierten Spezi­ Stellen übersteigt. In den Bereichen »Mecha­ alisten aus dem Ausland angewiesen. Zum tronik, Automatisierung, Elektrotechnik« einen haben hochqualifizierte Einwanderer sowie »Informatik und Softwareentwick­ einen positiven Einfluss auf die Innovations­ lung« sind jedoch bereits heute Anzeichen fähigkeit von Unternehmen (Venturini/Sinha für Fachkräfteengpässe zu beobachten. 2012).28 Zudem müssen sich (auch mittel­ Drastischer ist die Lage sogar bei den nicht­ ständische) Unternehmen zunehmend akademischen Fachkräften in technischen global ausrichten, um auch international Berufen: In den Bereichen »Mechatronik, erfolgreich zu sein. Der Bedarf an interkultu­ Automatisierung, Energietechnik« sowie rellen Kompetenzen und internationalen »Klempnerei, Sanitär-, Heizungs-und Klima­ Netzwerken ihrer Mitarbeiter spielt dabei technik« besteht nicht nur in Sachsen, eine wichtige Rolle. Fachkräfte aus dem sondern bundesweit ein Fachkräfteengpass: Ausland können deutschen bzw. sächsi­ Auf 100 gemeldete Stellen kommen derzeit schen Unternehmen helfen, Geschäftskon­ nur 50 bis 60 Arbeitslose. Der Bedarf kann takte ins Ausland aufzubauen, die Unter­ also nicht mit den im Bundesgebiet vorhan­ nehmensreputation zu verbessern und denen Fachkräften gedeckt werden. Spezia­ neue Märkte zu erschließen.29 listen müssen folglich auch aus dem Aus­ Umgekehrt können Investitionen aus­ land rekrutiert werden. ländischer Unternehmen im Inland dazu Im Bereich der Altenpflege ist dies schon beitragen, die wirtschaftliche Entwicklung heute der Fall: Hier besteht ein bundeswei­ und die Beschäftigungssituation zu ver­ ter Fachkräftemangel und auf 100 gemeldete bessern. Eine Studie der bundeseigenen Stellen kommen im Schnitt nur 42 arbeitslo­ Gesellschaft für Außenwirtschaft und se Altenpflegekräfte; dringend zu besetzen­ Standortmarketing (GTAI) über Gründe de Stellen sind im Durchschnitt vier Monate ausländischer Unternehmen in Deutsch­- vakant. Vor dem Hintergrund einer altern­ land zu investieren, kommt zu dem den Gesellschaft wird sich der Bedarf an Schluss, dass mehr als 3 Millionen Men­ qualifiziertem Altenpflegepersonal in ­Zu schen in Deutschland ihren Arbeitsplatz kunft noch deutlich erhöhen. Damit pflege­ ausländischen Investitionen verdanken. bedürftige Menschen nicht monatelang auf Das entspricht rund zehn Prozent aller in eine ihren Bedürfnissen entsprechende Un­ Deutschland sozialversicherungspflichtig terstützung warten müssen, ist es dringend Beschäftigten (vgl. GTAI 2014). In der notwendig, Pflegekräfte aus dem Ausland Region Dresden beispielsweise ist das zu rekrutieren. auf Halbleiterfertigung spezialisierte und weltweit aktive Unternehmen Global­ Zuwanderung fördert das foundries einer der wichtigsten Arbeit­- wirtschaftliche Wachstum

Zuwanderung kann die Innovationskraft 28 Venturini und Sinha 2012 messen dies anhand der Zahl eines Landes positiv beeinflussen. Gerade von Patenten. der wirtschaftliche Erfolg von Branchen 29 Interkulturelle Kompetenzen der Mitarbeiter werden wie Maschinen- und Fahrzeugbau oder der immer wichtiger, gerade wenn es um internationale Ge­ schäftsbeziehungen geht. In einer empirischen Studie im Pharmaindustrie, in denen auch in Sachsen Auftrag eines weltweit aktiven Recruiting-Unternehmens viele Arbeitnehmer beschäftigt sind, hängt gaben im Jahr 2011 75,2 % der gefragten Entscheider an, stark von Innovationen ab. Sie sind daher dass sie Mitarbeiter international rekrutieren, weil die Bedeutung interkultureller Kompetenzen für die Geschäfts­ in besonderer Weise auf die Beschäftigung aktivität wichtig sind (Hays AG/IBE: 2011: 25).

88 Jahresbericht 2014 geber, der 3.600 hochqualifizierte Ingenieure, Syrern – momentan sehr hoch sind, sollte Techniker und Spezialisten beschäftigt.30 eher Anlass zur Zuversicht denn zur Sorge geben: Denn unter ihnen sind zahlreiche Junge und gut Gebildete, die unter der 4.3.4 Fazit: Sachsen braucht Voraussetzung zügiger Integration im Kon­ Zuwanderung text des demografischen Wandels und der Fachkräfteknappheit ein wichtiges Es gibt viele gute Argumente, warum ein Potenzial bilden. Land wie Sachsen Zuwanderung braucht. Um für qualifizierte Zuwanderung attrak­ Die demografische und wirtschaftliche Ent­ tiv zu sein, ist auch das Image eines Landes wicklung des Landes sind zentrale Aspekte, oder einer Region von zentraler Bedeutung. wenn auch nicht die einzigen. Um qualifi­ Der Umgang einer Gesellschaft mit Zuwan­ zierte Fachkräfte zu gewinnen, muss aktiv derern und Minderheiten allgemein hat um diese geworben werden. Neben Politik einen nicht zu unterschätzenden Einfluss und Wirtschaft übernehmen dabei auch die auf das Image eines Landes in der Welt. Hochschulen als »Migrationsmagneten und Vorurteile in Teilen der Bevölkerung oder Integrationsmotoren« (SVR 2013: 80) eine gar rechtsextremistische Tendenzen in eini­ zunehmend wichtigere Funktion. Studieren­ gen Regionen und Städten Sachsens scha­ de aus dem Ausland können dazu beitragen, den aber nicht nur dem Image des Landes, den wachsenden Bedarf an qualifizierten Ar­ sondern sind auch ein Hindernis gelingen­ beitskräften zu sichern. Ein in Deutschland der Integration. Entsprechend muss das Be­ bzw. Sachsen absolviertes Hochschulstudi­ kenntnis des Landes zu Weltoffenheit und um bietet den besten Einstieg in den Arbeits­ zu einer Willkommens- und Anerkennungs­ markt und das Land profitiert von den hier kultur dauerhaft unterstützt werden durch ausgebildeten Absolventen, nachdem es zu­ entsprechende Maßnahmen und nachhal­- vor in ihre Ausbildung investiert hat. Darü­ tige Projekte, die Offenheit, Toleranz und ber hinaus müssen auch die Potenziale von Demokratie fördern (etwa in den Bereichen Flüchtlingen viel stärker als bislang in den frühkindliche Bildung, Schule, politische Blick genommen werden, auch um diesen Bildung und interkulturelle Kontakte). schneller eine Möglichkeit zur eigenständi­ Deutschland hat im »Wettbewerb um die gen Sicherung des Lebensunterhalts und besten Köpfe« bereits Nachteile gegenüber somit zur chancengleichen Teilhabe am anderen Staaten, in denen die Weltsprache gesellschaftlichen Leben zu bieten. Denn Englisch gesprochen wird. Um attraktiv für in Zeiten weiter steigender Antragszahlen qualifizierte Zuwanderer zu sein, muss es wird Sachsen auch in Zukunft seiner huma­ ihnen attraktive Perspektiven bieten, sie nitären, im nationalen und europäischen offen aufnehmen und willkommen heißen. Recht verankerten Verantwortung gerecht Aufgabe der Politik ist es daher, den Bürgern werden und neue Asylbewerber aufnehmen. die Bedeutung von Zuwanderung und Inte­ Dass die Anerkennungsraten – gerade bei gration für die Zukunftsfähigkeit des Landes und damit nicht zuletzt für das Wohl seiner 30 Vgl. http://www.silicon-saxony.de/nc/members/liste- Bürger zu vermitteln. aller -mitglieder/mitglieder-foerderer-detail-information. html?tx_sisaxmembers_sisaxmembers[sisaxmember]= 128&tx_sisaxmembers_sisaxmembers[parentpage]= 6&tx_ Ein Literaturverzeichnis zu diesem Artikel sisaxmembers_sisaxmembers[action]=show&tx_sisax­ members_sisaxmembers[controller]=Sisaxmembers, finden Sie im Anhang! 08.03.2015. www.offenes-sachsen.de 89 Der Landtagspräsident gratuliert dem Sächsischen Ausländerbeauftragten zur Wahl 5. Ausblick »Wie geht es weiter« von Geert Mackenroth

Kein anderes Thema bewegt die Menschen zur Aufklärung über die tatsächliche Situati­ derzeit so sehr wie Flucht und Asyl. In den on beizutragen. Dazu werde ich mit allen täglichen Nachrichten sehen wir, warum Akteuren und Betroffenen in den Bereichen Menschen ihre Heimat verlassen. Die Gründe Integration und Migration in den Dialog sind vielschichtig und nachvollziehbar. Im­ treten und zusammenarbeiten. Diese Arbeit mer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutsch­ hat bereits begonnen. land und stellen Länder und Kommunen vor Herausforderungen, die klare Konzepte so­ wie effektives und konstruktives Handeln er­ »FÜR PARTEIPOLITISCHE PROFILIE- fordern. Bereits gegen Ende des Jahres 2014 RUNGEN ODER UNREFLEKTIERTES wurde zudem mehr als deutlich, dass sich BEIFALLKLATSCHEN BIN ICH IM AMT diese Entwicklungen zuspitzen. In dieser Zeit DES AUSLÄNDERBEAUFTRAGTEN NICHT ZU HABEN. UND DAS GILT stellte ich mich im Sächsischen Landtag zur IN ALLE RICHTUNGEN.« Wahl für das Amt des Sächsischen Ausländer­ beauftragten. Für die Anforderungen dieses Amtes und die vom Gesetzgeber festgelegten Aufgaben bringe ich meine Erfahrungen als Humanitäre Verpflichtungen sind langjähriger Richter, ehemaliger Staatsmi­ uneingeschränkt durchzusetzen nister der Justiz und als Abgeordneter eines Ausdrücklich bekenne ich mich zu der hu­ Wahlkreises ein. Auch die Arbeit als Vorsit­ manitären Verpflichtung, Menschen in Not zender des Weißen Ringes wird mir helfen, zu helfen und zu schützen. Dies geschieht die neuen Aufgaben zu bewältigen, die sich auf dem Boden unseres Grundgesetzes und zudem auch durch einen neuen Zuschnitt der Vereinbarungen der UN-Flüchtlingskon­ der Staatsregierung verändert haben: Petra vention. Flüchtlinge sind keine homogene Köpping, die Staatsministerin für Gleichstel­ Gruppe. Sie kommen aus unterschiedlichen lung und Integration, wird sich ebenfalls um Gründen und aus verschiedenen Regionen, diese Themen kümmern. Wir arbeiten be­ Kriegs- und Krisengebieten. Viele waren mo­ reits jetzt vertrauensvoll und gut zusammen. natelang oder gar jahrelang unterwegs und Mein Credo aus den Tagen der Wahl hat erlitten Erniedrigungen, Aggressionen und bis heute Bestand: Dialog und Sacharbeit Verletzungen auf ihren Wegen nach Europa. auf der festen Grundlage von Fakten! Mir ist Es ist für mich nachvollziehbar, dass auch eine sachliche Debatte in sämtlichen Berei­ wirtschaftliche Not, fehlende Perspektiven chen von Migration und Integration wichtig. für die eigene Entwicklung und die der Kin­ Und so sehe ich mich und mein Amt in der der oder Hunger Gründe zur Flucht sind. Pflicht, zur Versachlichung der Debatte und Aber nicht jeder nachvollziehbare Grund www.offenes-sachsen.de 91 kann nach unserem geltenden Recht auch Regelungen zu überwinden. Dazu gehört zum Bleiberecht in Deutschland führen. beispielsweise die sinnvolle Erweiterung von Ermessensspielräumen, um Bildungswege Zunächst: Ich sehe in der aktuellen Entwick­ durchlässiger zu machen. Bildung, Berufs­ lung im Sommer 2015 mehrere Schwerpunkte: bildung oder Anerkennung von Qualifikatio­ nen kommen unserem System zu Gute. • Kaum auszuhalten sind für viele Men­ Ich teile nicht die Position derer, die schen die Defizite auf europäischer Ebene: Flüchtlinge nach ihrem Nutzen oder ihrer Wo sind die Programme und Konzepte, Nützlichkeit beurteilen. Es wäre fatal, wenn die Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten sich unser System in der Frage der Hilfe für und den Schleppern ihr widerliches wirklich Schutzbedürftige an ökonomischen Handwerk legen? Wo bleibt die viel ge­ Erfordernissen ausrichtete. Anderes gilt für priesene europäische Solidarität? Auch den Bereich der gesteuerten Zuwanderung: wenn der Freistaat hier naturgemäß nur Hier fließen Fragen des gesamtgesellschaftli­ wenig selbst gestalten kann, sollten wir chen Bedarfs und der Wirtschaftskraft in die alles unternehmen, um die zuständigen Überlegungen mit ein. Die Achtung der Men­ Stellen zum Handeln zu bewegen. schenwürde ist in beiden Bereichen oberstes • Wir müssen durch Information, Verständ­ Prinzip jeglichen staatlichen Handelns. nis, Empathie und pragmatisches Han­ Daran orientieren sich unser Rechtssystem deln die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und unsere eingegangenen internationalen und Bürgern erhalten und fördern. Verpflichtungen. Aber auch die Arbeit an • Wir brauchen schnellere Entscheidungen prekären Einzelfällen und in der Sächsi­ über die Asylanträge durch das Bundes­ schen Härtefallkommission zähle ich dazu, amt für Migration und Flüchtlinge und ei­ wenn unser System offen und human sein ne zeitnahe und konsequente Umsetzung soll. Es bleibt jedenfalls Aufgabe der Politik, dieser Entscheidungen. dieses System weiter zu entwickeln. Das gilt • Die angemessene Unterbringung von Asyl­ für Humanität und Ordnungsstaatlichkeit, suchenden ist eine Solidaraufgabe. Des­ insbesondere für integrative, soziale und halb müssen Staat und Kommunen und wirtschaftliche Erfordernisse. die Kommunen untereinander eng und engagiert zusammenarbeiten. Alle Themen entwickeln • Als nächsten Schritt müssen wir Sprach­ Über die Asylthemen hinaus dürfen wir die kurse anbieten und Arbeitsmöglichkeiten anderen gesamtgesellschaftlichen Heraus­ schaffen: Die aktive Teilnahme am Ar­ forderungen, wie beispielsweise Zuwande­ beitsleben befreit aus der sozialen Isolati­ rung von Fachkräften oder auch die Integra­ on in den Einrichtungen und fördert die tion von bereits hier lebenden Migranten Integration. und deren Angehörigen, nicht außer Acht • Flüchtlinge haben in Sachsen oft nach meh­ lassen. Ich begrüße alle Initiativen, die sich reren Monaten das erste Mal das Gefühl, in für einen respektvollen Umgang miteinander Sicherheit zu sein. Sorgen wir dafür, dass einsetzen. Ein Umgang, der über Sonntags­ dieses Gefühl der Wirklichkeit entspricht. reden, Willkommensschilder in mehreren Sprachen und einmalige Begrüßungsfeiern Menschen, die etwas können, die sich integ­ hinausgehen muss: Er beginnt bei der Ein­ rieren wollen und die guten Willens sind, stellung, mit der Verwaltungsmitarbeiter sollten wir noch mehr helfen, scheinbar starre Menschen aus anderen Nationen begegnen.

92 Jahresbericht 2014 Er setzt sich in Lösungen für Familienan­ gehörige fort und endet nicht mit der Ein­ bürgerung. Respekt und Akzeptanz sind Gesamtmerkmale unserer Gesellschaft und »WIR MÜSSEN DIE WELT des Umgangs miteinander. IM BLICK HABEN, GLEICHZEITIG Auch hier ist Nützlichkeit nicht das erste ABER AUCH BEDENKEN, Maß, aber die Auswirkungen sind gleichwohl WIE DIE WELT SACHSEN SIEHT.« wichtig. Der Internetaufritt einer Behörde, der klar strukturiert und barrierefrei aufgebaut ist, hilft jedem Nutzer, ob mit oder ohne Mig­ Als Ausländerbeauftragter lege ich Wert dar­ rationshintergrund. Ein Behördenmitarbei­ auf, dass die vorhandene Akzeptanz in unse­ ter, der offen kommuniziert, ermöglicht einen rer Gesellschaft gegenüber Flüchtlingen und leichteren Einstieg in unsere Gesellschaft. Zuwanderern erhalten und ausgebaut wird. Schwindet die Akzeptanz für dieses System, Ehrenamt hat Mehrwert dann sind Asylrecht und Flüchtlingsschutz, Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass staat­ Zuwanderung und Integration insgesamt in liches Handeln auf die Unterstützung der Gefahr. Es ist mir wichtig, dass gegenteilige verschiedensten Gruppen angewiesen ist. Tendenzen und Handlungen durch die Mittel Ich danke allen Initiativen, die Raum für des Rechtsstaates und mit Transparenz be­ Diskussionen geboten, Flüchtlinge betreut kämpft werden. oder Patenschaften übernommen haben. Das sind die wertvollsten Pfunde, mit denen Neue Handlungsoptionen durch wir wuchern können. Der Staat ist in der Strukturänderungen Pflicht, die besten Rahmenbedingungen Nach der Landtagswahl im August 2014 für ehrenamtliche Tätigkeiten zu schaffen. haben die Themen Integration und Zuwan­ derung größeren Raum gewonnen. Das ist Die Welt im Blick, die Akzeptanz erhalten gut so und es ist nötig. Zur Zeit formieren Bereits in den ersten Wochen meiner Amts­ sich die Akteure neu und organisieren ihre zeit besuchte mich ein japanisches Fernseh­ Zusammenarbeit. Das Amt des Sächsischen team. Die Mitarbeiter des öffentlich-rechtli­ Ausländerbeauftragten wird sich zu dem chen Rundfunks wollten wissen, wie sich eines Ausländer- und Integrationsbeauftrag­ die Krisenherde am Rand Europas in Sach­ ten weiterentwickeln. Dabei werden wir die sen auswirken, was Sachsen für die Einwan­ Zuständigkeiten und die Kompetenzen des derung von Fachkräften tut, und sie wollten Ausländerbeauftragten in den Blick zu ihren Zuschauern das Phänomen Pegida nehmen und den veränderten Rahmenbe­ erläutern. Das Interesse an der gesellschaft­ dingungen anzupassen haben. Dies ist eine lichen Einstellung gegenüber Fremden in spannende Aufgabe für den Landesgesetzge­ Sachsen ist groß. Davon berichten auch ber, der sich dabei der konstruktiven Mitar­ sächsische Forscher, die mit ihren Kollegen beit aller Akteure versichern wird. Am Ende global vernetzt sind. Es reicht nicht aus, nur dieses Prozesses wird auch künftig ein Ge­ die regionale Sichtweise zu bedienen – froh setz stehen, das sowohl von dem Respekt zu sein, wenn eine erforderliche Gemein­ gegenüber denjenigen geprägt ist, die in schaftsunterkunft im Nachbarort entsteht den Freistaat kommen, als auch die sich oder zu hoffen, dass die eigene Firma noch durch Migration für den Freistaat und seine genügend Facharbeiter einstellen kann. Menschen bietenden Chancen nutzt. w w w.offenes­ sachsen.de 93

6. Die Sächsische Härtefallkommission 6.1 Bilanz 2014

Auch im zehnten Jahr ihres Bestehens trat der HFK unter dem Vorsitz von Martin Gillo die Sächsische Härtefallkommission (HFK) war am 12. Dezember 2014. Mit seinem Aus­ regelmäßig zusammen. Im Bundesvergleich scheiden aus dem Amt des Ausländerbeauf­ befassten sich die Mitglieder mit einer tragten schied er auch aus der Kommission geringen Anzahl von Anliegen. Insgesamt aus. wurden im Jahr 2014 elf Härtefallanträge Im Vergleich zum Vorjahr nahm die An­ für 19 Personen gestellt. Die Kommission zahl der Anträge ab. 2013 wurden für insge­ beschloss für alle 19 Personen, ein ent­ samt 22 Personen 16 Härtefallanträge ge­ sprechendes Ersuchen an das Sächsische stellt. Damals beschloss die Kommission in Staatsministerium des Innern zu richten. 13 Fällen (19 Personen) ein entsprechendes Für eine sechsköpfige Familie kam das Ersuchen an das Innenministerium zu Innenministerium dem Ersuchen nicht richten. Bei drei Fällen wurde auf Beschluss nach und ordnete die Erteilung der Auf­ der Kommission kein Ersuchen an das enthaltstitel nicht an. Die letzte Sitzung Ministerium gerichtet.

www.offenes-sachsen.de 95 6.2 Zehn Jahre Härtefallkommission

Im Oktober 2005 trat die Sächsische Härte­ Die anderen Anträge wurden zurückgenom­ fallkommission erstmals zur Beschlussfas­ men oder lösten sich anderweitig. sung zusammen. Sie bewirkte bislang die Insgesamt wurden für 82 Prozent der Anordnung der Erteilung von Aufenthaltser­ behandelten Anträge nach § 23a AufenthG laubnissen für 341 Personen nach § 23a des die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an­ Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Insgesamt geordnet. Das bedeutet, dass für 90 Prozent beriet die Kommission in 76 Sitzungen zu der betroffenen Personen eine Anordnung 178 Anliegen mit insgesamt 474 Personen nach § 23a AufenthG erfolgte. abschließend. Zu 139 Anliegen (378 Personen) wurden Härtefallersuchen an das Sächsische Staats­ 6.2.1 Zunehmend wird über die Fälle ministerium des Innern gerichtet. Dieses hat einzelner Personen beraten in 13 Fällen abgelehnt, dem Ersuchen zu ent­ sprechen. In 115 Fällen (341 Personen) kam Grundsätzlich kann aufgrund der geringen es zu einer Anordnung nach § 23a AufenthG. Fallzahlen in Sachsen keine Tendenz zu

96 Jahresbericht 2014 Schwerpunkten oder Personengruppen 6.2.3 Antragswege in die abgeleitet werden. Zudem handelt es sich Härtefallkommission oft um Fälle mit den unterschiedlichsten Konstellationen. Ersichtlich ist aber, dass in Oftmals werden die Mitglieder der Kommis­ den ersten Jahren mehr Familien – also Fälle sion damit konfrontiert, dass Asylsuchende mit mehreren betroffenen Personen – in der oder ihre Unterstützer den jeweiligen Fall HFK behandelt wurden. selbstständig in die Härtefallkommission einbringen wollen. Die HFK wird als oberste oder zumindest eine weitere Rechtsinstanz 6.2.2 Gut integrierte Jugendliche verkannt. Doch nur ein Mitglied der HFK profitieren vom neuen § 25a kann beantragen, sich mit dem Anliegen eines Ausländers zu beschäftigen (Selbst­ Der Gesetzgeber hat ab August 2013 den befassungsantrag). Der oder die Betreffende § 25a des Aufenthaltsgesetzes so geändert, (bzw. eine unterstützende Person) muss also dass gut integrierte Jugendliche vereinfacht ein Mitglied der HFK seiner Wahl dafür ein Recht auf Aufenthalt erhalten können. gewinnen, den Fall vor die Kommission Fälle, die bis dahin nur durch ein Ersuchen zu bringen. Ein Recht auf Befassung durch der HFK gelöst werden konnten, sind nun die HFK besteht nicht. Allerdings kann ein gesetzgeberisch abgedeckt. Der vollständige Mitglied der HFK auch von sich aus initiativ Text (§ 25a Aufenthaltsgewährung bei gut werden und einen Fall selbst einbringen integrierten Jugendlichen und Heranwach­ oder die Klienten auf diese Möglichkeit auf­ senden) ist unter dem folgenden Link einzu­ merksam machen. sehen: http://www.gesetze-im-internet.de/ bundesrecht/aufenthg_2004/gesamt.pdf.

www.offenes-sachsen.de 97 6.3 Öffentlichkeitsarbeit der Härtefallkommission – mehrsprachig und detailliert

Über die Arbeit der Kommission berichtet in 6.3.1 Aufmerksamkeit und Verständnis Sachsen der Sächsische Ausländerbeauftrag­ erzielen te in seinem Jahresbericht als Drucksache an das Parlament und publiziert diese als Im Jahr 2014 beschloss die Härtefallkommis­ Broschüre. Darüber hinaus werden Verände­ sion eine offensivere Informationsarbeit. rungen zur HFK (Kontakte, Mitglieder, Die möglichen Betroffenen sollten direkt Verordnungsänderungen oder gesetzliche auf die Arbeit und Chancen aufmerksam Änderungen) auch über den Newsletter gemacht werden. Daher publizierte der Aus­ des Beauftragten und seinen Internetauftritt länderbeauftragte ein Informationsfaltblatt publiziert. in sieben Sprachen sowie eine ausführliche Der Sächsische Ausländerbeauftragte Handreichung für Beratungsstellen. Außer­ informiert in öffentlichen Veranstaltungen, dem gab er eine Broschüre in einfacher bei Fachtreffen mit Vertretern von Bera­ Sprache heraus. Einfache Sprache ist eine tungsstellen, den kommunalen Ausländer- speziell geregelte Ausdrucksweise des Deut­ und Integrationsbeauftragten und Vereinen. schen. Zielgruppen sind neben Personen mit Alle Basisinformationen sind auf seiner kognitiven Einschränkungen auch ausdrück­ Homepage www.offenes-sachsen.de veröf­ lich Personen, deren Muttersprache nicht fentlicht. Deutsch ist.

www.offenes sachsen.de Kontakte René Burk Amtsleiter Ordnungsamt Sächsische Landkreis Bautzen, Verwaltungsstandort Kamenz Mitglieder der HFK Macherstraße 55 · 01917 Kamenz Härtefallkommission Tel.: 03578 787132000 Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig E-Mail: [email protected] Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt Sachsens Lukasstraße 6 · 01069 Dresden Prof. Dr. Martin Gillo MdL Menschlichkeit Tel.: 0351 4692120 Der Sächsische Ausländerbeauftragte E-Mail: [email protected] Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 · 01067 Dresden Tel.: 0351 4935171 Prälat Hellmut Puschmann E-Mail: [email protected] Rungestraße 44 · 01217 Dresden Tel.: 0351 4759752 Härtefall E-Mail: [email protected] Dieses Faltblatt soll über die HFK informieren. Es vermittelt Asyl Ali Moradi keine Rechte und ersetzt keine Rechtsberatung. Sächsischer Flüchtlingsrat e. V. Fetscherstraße 10 · 01307 Dresden Tel.: 0371 903133 Chance E-Mail: [email protected] Ausführliche Informationen sowie die geltende Rechtsgrundlage finden Sie unter: Integration Oberkirchenrat Christian Schönfeld www.offenes-sachsen.de Diakonisches Werk der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens e. V. Recht Obere Bergstraße 1 · 01445 Radebeul Tel.: 0351 8315100 E-Mail: [email protected] Empfehlung

Reinhard Boos Sächsisches Staatsministerium des Innern Aufenthalt Wilhelm-Buck-Straße 2 · 01097 Dresden Tel.: 0351 5643240 E-Mail: [email protected]

Karl Bey Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Albertstraße 10 · 01097 Dresden Tel.: 0351 5645743 Impressum E-Mail: [email protected] Chance auf Aufenthaltsrecht Der Sächsische Ausländerbeauftragte aus humanitären Gründen Sächsischer Landtag Detlef Sittel Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 · 01067 Dresden Zweiter Bürgermeister Tel.: 0351 4935171 · Fax: 0351 4935474 Landeshauptstadt Dresden E-Mail: [email protected] Dr.-Külz-Ring 19 · 010671 Dresden Titelbild: Magda Fischer, fotolia Gestaltung: Alexander Atanassow Tel.: 0351 4882261 Druck: Parlamentsdruckerei E-Mail: [email protected] Stand: Juni 2014

98 Jahresbericht 2014 www.offenes-sachsen.de Sächsische Härtefallkommission Alle Schriften liegen in gedruckter Form und als Onlineversion vor. Das Faltblatt ist über Menschlichkeit das Internetangebot www.offenes-sachsen.de Härtefall kostenfrei bestellbar. Zusätzlich wurde es in Asyl folgenden Sprachvarianten als Onlineversion Chance erstellt: Albanisch, Arabisch, Englisch, Fran­ Integration Recht zösisch, Mazedonisch, Russisch, Bosnisch, Empfehlung Türkisch, Vietnamesisch. Aufenthalt Auch das Sächsische Innenministerium informiert in seinem Internetauftritt – www.smi.sachsen.de – mit Links zur Chance auf Aufenthaltsrecht In Einfacher Sächsischen Härtefallkommission, zur Säch­ aus humanitären Gründen Sprache. sischen Härtefallkommissionsverordnung (SächsHfKVO) sowie zum Sächsischen Ausländerbeauftragten.

Was macht die Härtefallkommission? An wen können Sie sich wenden? Wann hat Ihr Anliegen keine Aussicht auf Erfolg? In bestimmten Konstellationen stellt es für Ausländerinnen Nur Mitglieder der HFK können entsprechende Fälle in das und Ausländer eine unzumutbare Härte dar, wenn Sie nicht in Gremium einbringen. Daher müssen Sie eines der auf der Deutschland bleiben dürfen. Solche dringenden humanitären Rückseite aufgeführten Mitglieder ansprechen. Bestimmte Umstände schließen eine Befassung der HFK oder persönlichen Gründe prüft die Sächsische Härtefallkom- aus bzw. lassen ein erfolgreiches Verfahren unwahrschein- mission (HFK). Sie sollten sich vorher umfassend informieren und persönlich lich erscheinen. Das ist insbesondere der Fall, wenn Sie beraten lassen, z. B. durch eine Migrationsberatungsstelle. Kommt die HFK zu dem Schluss, dass diese Gründe vorliegen, • ausschließlich Gründe anführen, die das Bundesamt ersucht sie das Sächsische Staatsministerium des Innern, die für Migration und Flüchtlinge zu prüfen hat Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis anzuordnen. • Ihren Lebensunterhalt (und den Ihrer Familienangehö- Solange sich die HFK mit dem Anliegen befasst, erfolgt keine rigen) auch in Zukunft nicht sichern können Abschiebung. Was sollten Sie beachten? • eine der im Katalog des § 3 der Sächsischen Härte- Vorsitzender der HFK ist der Sächsische Ausländerbeauftrag- fallkommissionsverordnung (SächsHFK) enthaltenen te. Alle Mitglieder der HFK sind allein ihrem Gewissen verant- Straftaten begangen haben oder wegen einer vorsätz- wortlich. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. lichen Straftat zu einer mehr als sechsmonatigen Frei- Es ist wichtig, die persönlichen und humanitären Gründe heitsstrafe oder entsprechenden Geldstrafe verurteilt vorzutragen, die für Ihren weiteren Aufenthalt sprechen. Sie Die HFK befindet ohne Anwesenheit der Betreffenden in nicht wurden sollten auch darstellen, wie Sie sich in die hiesige Gesellschaft öffentlicher Sitzung. integriert haben. • aktuell noch ein aufenthaltsrechtliches Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren betreiben. Das sind z. B. Angaben zu Es gibt weitere Ausschlussgründe. Diese finden Sie in § 3 • Ihren Einreisegründen SächsHFKVO. • Ihrem bisherigen Aufenthalt Sie können auf die HFK hoffen, wenn • Ihrer Familiensituation

• Sie in Sachsen wohnen, • Ihrem Gesundheitszustand

• Sie vollziehbar ausreisepflichtig sind, • Ihren wirtschaftlichen Verhältnissen

• dringende persönliche oder humanitäre Aufenthaltsgrün- • Ihrer Ausbildung/Ihrem Beruf de vorliegen und • Ihrer Religionszugehörigkeit • wenn für Sie eine positive Integrationsprognose getroffen werden kann. • Ihrem gesellschaftlichen Engagement

• Ihren Deutschkenntnissen

Sie sollten diese Aspekte z. B. durch Urkunden nachweisen.

www.offenes-sachsen.de 99 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an In Am Sayad Mahmood und Silvia Liersch 7. Veranstaltungen und Initiativen

Ein Jahr, in dem ein neuer Landtag gewählt Kontinuierliche Informations- und wird, hat eigene Rahmenbedingungen. Im Öffentlichkeitsarbeit Januar 2014 entschied sich der Sächsische Insgesamt informierte die Geschäftsstelle Ausländerbeauftragte Martin Gillo, nicht als mit 41 prall gefüllten Newslettern. Abonnen­ Kandidat zur Wahl des 6. Sächsischen Land­ ten des Newsletters sind insbesondere tags im August anzutreten. Da der Auslän­ Multiplikatoren, Mandatsträger, Vereine derbeauftragte in Sachsen aus der Mitte der und Fachdienste. Alle Informationen sind Landtagsabgeordneten gewählt wird, endet zusätzlich im Internetauftritt verfügbar. seine Amtszeit als Beauftragter mit der Neu­ Die Abrufzahlen des Internetangebotes spie­ wahl eines anderen Abgeordneten. Für die gelten vorrangig das Interesse an Newsletter­ Zeit zwischen der Konstituierung des neuen meldungen, Kontakten zu regionalen An­ Landtags am 29. September 2014 bis zur sprechpartnern und dem »Heim-TÜV« wider. Wahl von Geert Mackenroth am 17. Dezem­ Durch den bundesweit einmaligen ber 2014 nahm Martin Gillo das Amt als am­ »Heim-TÜV« wurde der Ausländerbeauftrag­ tierender Sächsischer Ausländerbeauftragter te zum gefragten Interviewpartner für alle wahr. Medien. Herausragende Beispiele sind Live­ Mit Rücksicht auf die Beschränkungen schaltungen im Sachsenspiegel, im heute- der Öffentlichkeitsarbeit für Mandatsträger Journal oder in anderen Leitmedien wie dem in einem Wahljahr entschieden sich die Deutschlandfunk. Alle führenden Zeitungen damalige Sächsische Staatsministerin für und Zeitschriften dieser Republik berichte­ Soziales und Verbraucherschutz, Christine ten über die Arbeit und die Anliegen des Clauß, und der Ausländerbeauftragte, Martin sächsischen Beauftragten. Zusätzlich infor­ Gillo, im Jahr 2014 keinen Sächsischen Inte­ mierten internationale Medien und zahlrei­ grationspreis auszuloben. Ausschreibung, che Onlineportale über die sächsischen Wettbewerb und Prämierung wären in die Maßstäbe und Ergebnisse des »Heim-TÜV«. Zeiten des Wahlkampfes, der Konstituierung Die Themen Asyl, Migration und Willkom­ und der Regierungsbildung gefallen. menskultur dominierten die Berichterstat­ Traditionell fand das Einbürgerungsfest tung der regionalen Medien zunehmend. im Plenarsaal des Landtags statt. Der Beauf­ Herausragend war das Interesse bei der tragte beteiligte sich am Tag der offenen Tür Vorstellung des »Heim-TÜV« 2013 im März. des Sächsischen Landtags und lud mehrfach Bundesweit stiegen die Nachfragen noch zum Netzwerktreffen NIMS (Netzwerk Integ­ einmal deutlich, nachdem Übergriffe von ration und Migration Sachsen) ein. Einzelne Bediensteten privater Wachschutzunterneh­ Berichte und weitere Aktivitäten sind die­ men in Nordrhein-Westfalen gegenüber sem Kapitel beigefügt. Heimbewohnern bekannt geworden waren.

www.offenes-sachsen.de 101 Gefragte Publikationen Im Dezember 2013 wurde die Broschüre »Ori­ entierungshilfe für Asylsuchende in Sachsen« durch den Ausländerbeauftragten gemein­ sam mit dem Sächsischen Innenministerium vorgestellt. Die Inhalte des Heftes wurden in einer Arbeitsgruppe unter Federführung der Geschäftsstelle erarbeitet, illustriert und publiziert. Das Interesse an diesem Heft – es dem Motiv COEXIST, die Handreichungen liegt zusätzlich in sechs Sprachen übersetzt zum Spracherwerb »Deutsch für alle« und vor – war so groß, dass es bereits im Jahr 2014 der Interkulturelle Wandkalender. nachgedruckt werden musste. Die Online­ Auf Bitten der Härtefallkommission (HFK) versionen in ebenfalls sieben Sprachen wur­ wurde durch die Geschäftsstelle ein Informa­ den im Internet zum Download angeboten. tionsblatt zur Arbeit der Kommission erstellt Kontinuierlich bestellten Besucher der und in zehn Sprachen übersetzt. Zusätzlich Internetangebote www.offenes-sachsen.de wurden die Informationen in einfacher Spra­ und Abonnenten des Newsletters Material che aufgelegt und eine detaillierte Handrei­ aus dem Informationsangebot des Beauftrag­ chung für Beratungsstellen herausgegeben. ten. Großen Absatz fanden Aufkleber mit Mehr dazu finden Sie im Kapitel der HFK.

Internetauftritt des Sächsischen Ausländerbeauftragten

102 Jahresbericht 2014 7.1 Interkulturelle Woche Sachsen

Eröffnung der IKW 2014 in Chemnitz

Die Interkulturelle Woche (IKW) findet ihren schen Mitbürgers und nach geraumer Zeit Ursprung im Tag des ausländischen Mitbür­ zur Interkulturellen Woche weiterentwickel­ gers, der 1975 auf Initiative der Kirchen in te, wurde von Anbeginn für bessere politi­ Deutschland ins Leben gerufen wurde. sche und rechtliche Rahmenbedingungen im Als ausländische Arbeitskräfte angeworben, Zusammenleben von Deutschen und Zuge­ fanden die Arbeiter und ihre Familien in wanderten geworben. Deutschland eine neue Heimat. Damit war Durch persönliche Begegnungen sollen die anfängliche Annahme, die Arbeitnehmer das Verständnis füreinander gefördert sowie würden sich nur vorübergehend in Deutsch­ Vorurteile und Grenzen abgebaut werden. land aufhalten, eine Fehleinschätzung mit Außerdem sollen Diskussionen angestoßen Folgen. Über die Jahre und Jahrzehnte ent­ und Informationen ausgetauscht werden. wickelte sich Deutschland immer mehr zu Die IKW bietet auch den Menschen verschie­ einem Einwanderungsland. dener Herkunft die Möglichkeit aktiv zu wer­ Mit dem Tag des ausländischen Mitbür­ den, sich vorzustellen und die Neugier auf gers, der sich später zur Woche des ausländi­ Diversität zu wecken.

www.offenes-sachsen.de 103 gen in mehr als 500 Städten wurde die IKW bundesweit lebendig und gab neue Impulse. Während der IKW wird auch der Tag des Flüchtlings begangen. Er fällt jährlich auf den 26. September und stand im vergange­ nen Jahr unter dem Motto: »Gemeinsam ge­ gen Rassismus«. An diesem Tag fanden bei­ spielsweise Veranstaltungen zur Aufklärung über Fluchtgründe statt.

7.1.2 IKW in Sachsen

IKW 2014 in Chemnitz In Sachsen standen die Veranstaltungen ganz im Zeichen der Vielfalt. Zum Beispiel Die Veranstaltungen vor Ort stellen ein wurde in Dresden ein buntes Straßenfest lebendiges Zeichen dar und machen die veranstaltet, der Interkulturelle Frauentreff Intentionen der IKW erst erfahrbar. organisierte ein Frühstück und Jugendliche tauschten sich zu ihren persönlichen Erfah­ rungen zum Thema Heimat aus. 7.1.1 Die Interkulturelle Woche 2014 – Abwechslungsreich ging es ebenfalls ein Plädoyer für Vielfalt bei der Eröffnung der IKW in Chemnitz zu. Von einem multinationalen Fußballspiel »Gemeinsamkeiten finden, Unterschiede für Kinder über einen interkulturellen Chor feiern« – unter diesem Motto fand die Inter­ bis zu Köstlichkeiten aus Indonesien gab es kulturelle Woche 2014 statt. Doch wer in dort viel zu entdecken. einem Online-Synonym-Wörterbuch nach In ihrer Eröffnungsrede hieß die Oberbür­ einem bedeutungsgleichen Wort für Gemein­ germeisterin Barbara Ludwig alle in Chem­ samkeit sucht, findet kein einziges. Auf nitz willkommen und betonte, dass die Stadt der Suche nach einem entsprechenden Wort Toleranz und eine Willkommenskultur leben für Unterschied werden hingegen 20 Worte wolle. Das wäre nicht immer einfach, aber vorgeschlagen. es lohne sich. Dieses kleine Beispiel zeigt eindrucksvoll, Die Ausländerbeauftragte der Stadt dass wir oft mehr Wert auf die Unterschiede Chemnitz, Etelka Kobuß, forderte zu mehr legen und nicht auf das schauen, was uns Begegnung auf, denn je mehr man Fremde verbindet. kennenlernt, desto weniger wird man sie ab­ Die IKW 2014 versuchte mit ihrem Motto lehnen. Während der IKW könne jeder spüren, diese Perspektive aufzubrechen und eine wie das Miteinander sein kann und wird. Alternative zu bieten, denn Unterschiede In seinem Grußwort ging Martin Gillo und Gemeinsamkeiten gehören zusammen. besonders auf das Motto der IKW ein. Leicht In diesem Sinne wurde die IKW am könne man aus den Augen verlieren, dass 19. September 2014 mit einem Ökumeni­ uns mehr verbinde als trenne. »Sind wir schen Gottesdienst in Stuttgart bundesweit nicht alle zuerst Menschen? Wollen wir nicht eröffnet. Im Fokus stand dabei die Situation alle ein glückliches Leben mit Familien, egal der Flüchtlinge. Durch 4.500 Veranstaltun­ wo wir herkommen?«, so Gillo in seiner An­

104 Jahresbericht 2014 sprache, denn beides werde benötigt. Diver­ Grußwort bekräftigte Oberbürgermeister sität ohne Gemeinsamkeit falle auseinander Stefan Skora, was er schon bei der Denkmal­ und Gemeinsinn ohne Vielfalt versumpfe. einweihung drei Tage zuvor gesagt hatte: Gillo forderte Einheit in Vielfalt, um die Ge­ Mit dem im Jahr 2014 neu eröffneten Asyl­ sellschaft insgesamt zu stärken. bewerberheim in Hoyerswerda stellt sich Auch während der Auftaktveranstaltung die Stadt der Verantwortung für die Schutz­ der IKW in Hoyerswerda standen Aufklärung suchenden und bezieht ihre Bürger aktiv und Diskussion im Vordergrund. In seinem mit ein.

Ein anthrazitfarbenes Basalttor mit einem und des Miteinander aller. Das gemeinsa­ bunten Regenbogen erinnert seit dem me Ziel sei eine weltoffene Stadt Hoyers­ 19. September 2014 in Hoyerswerda an die werda. ausländerfeindlichen Übergriffe im Jahr Das Amt des Sächsischen Ausländer­ 1991. Es soll Gastfreundschaft, Versöhnung beauftragten wurde in Konsequenz der und Hoffnung symbolisieren. Ausschreitungen in Hoyerswerda geschaffen. Zur Einweihung des Denkmals dankte Der erste Amtsinhaber wurde am 14. Mai Martin Gillo jenen, die sich vielfältig für ein 1992 vom Sächsischen Landtag gewählt. Denkmal eingesetzt hatten und betonte, dass so etwas wie die damaligen Übergriffe nie wieder passieren dürfe. Das Denkmal zeige, dass die sächsische Gesellschaft dazu ge­ lernt habe. »Unsere Notlage darf nicht da­ zu führen, dass wir Schwächere bedrohen oder vertreiben«, so Gillo. Hoyerswerda beweise mit dem heutigen Tag, dass alle Akteure der Stadt, trotz un­ terschiedlicher Perspektiven, zusammen arbeiten können. Das Denkmal »Offene Tür – offenes Tor« stehe neben der Erinnerung vor allem für die Gestaltung der Zukunft

Im Landkreis Bautzen wurden den Besu­ »Europa entsolidarisiert sich«, stellte Gillo chern durch Impulsvorträge die Asylpolitik fest und forderte die Aufnahme Asylsuchen­ in Europa, in Sachsen und im Landkreis vor­ der in allen europäischen Ländern sowie gestellt. An einer anschließenden Podiums­ einheitliche europäische Standards für die diskussion beteiligte sich neben Vertretern Unterbringung Asylsuchender. der Bündnisse »Bautzen bleibt bunt« und In ganz Sachsen gab es viele Möglich­ »Hoyerswerda hilft mit Herz« auch der Säch­ keiten, Wissen und neue Erfahrungen zu er­ sische Ausländerbeauftragte. Gillo forderte, werben, Bekanntschaften zu machen und dass der Spracherwerb ausgebaut werden Neugier zu wecken. Allein in Leipzig konn­ und die offene Gesellschaft stärker in den ten Besucher an 130 Veranstaltungen teil­ Fokus der Schule gerückt werden müsse. nehmen, die von 80 Veranstaltern, wie Diese Forderungen stießen bei den Beteilig­ Vereinen, Religionsgemeinschaften und ten und dem Publikum auf viel Zustimmung. städtischen Ämtern, ausgerichtet wurden. www.offenes-sachsen.de 105 7.2 Einbürgerung – »Sachsen als Herzensheimat«

Frohe Gesichter und festlich gekleidete 7.2.1 Vielfalt schafft neue Ideen, Menschen prägten am 14. Juni 2014 das Perspektiven und Möglichkeiten Bild des Sächsischen Landtags. Eingeladen hatten der Sächsische Staatsminister des Festredner war in diesem Jahr Jens Drews, Innern und der Sächsische Ausländerbeauf­ Director Communications and Government tragte zum traditionellen Einbürgerungsfest Relations von GLOBALFOUNDRIES Dresden. in den Plenarsaal. Das Fest ist ein Zeichen Die 3.600 Mitarbeiter des international tätigen der Wertschätzung für diejenigen Bürger Mikroelektronik-Unternehmens repräsentie­ in Sachsen, die im vergangenen Jahr die ren aktuell 54 Nationalitäten. Unter dem deutsche Staatsbürgerschaft erwarben. Titel »Vielfalt ist unsere Stärke« betonte Drews, Im Jahre 2013 waren dies 1.168 Menschen, wie wichtig Zuwanderung – und damit 74 mehr als im Jahr zuvor. Etwa 300 von unterschiedliche Perspektiven und Erfahrun­ ihnen folgten der Einladung und nahmen gen – für die sächsische Wirtschaft, Industrie am Festakt teil. und Forschung gerade in Anbetracht der Mit der Einbürgerung erhält man die demografischen Entwicklung und des inter­ deutsche Staatsangehörigkeit und wird be­ nationalen Wettbewerbs seien. Dabei appel­ wusst Bürger dieses Landes. Das bedeutet eine neue Heimat, Geduld im Vorfeld, einen neuen Pass und vor allem staatsbürgerliche Rechte und Pflichten. Gerade im Jahr 2014, in dem sowohl die Europa- als auch die Kommunal- und Landtagswahlen in Sachsen Jens Drews, GLOBAL FOUNDRIES stattfanden, konnten die Eingebürgerten mehrmals unmittelbar ihr neu erworbenes passives und aktives Wahlrecht wahrnehmen. Doch die Einbürgerung bringt noch mehr Vorteile mit sich: die Reisefreiheit innerhalb der Europäischen Union, den gleichberechtigten Schutz in den Systemen der sozialen Sicherung oder auch den freien Zugang zu allen Berufen. Davon profitieren auch viele sächsische Unternehmen. So stand dann auch das Thema »Öffnung der Wirtschaft für Zuwanderer« im Fokus des Einbürgerungsfestes 2014.

106 Jahresbericht 2014 lierte er jedoch auch an die Alteingesessenen, 7.2.2 Pluralität als Chance für Demokratie Migranten nicht nur auf ihre Arbeitskraft zu und Wirtschaft reduzieren, wie es bei den Gastarbeitern der Fall gewesen sei. Weltoffenheit und Respekt Auch der Präsident des Sächsischen Land­ bedeuteten Wertschätzung über das Arbeits­ tags, Dr. Matthias Rößler, appellierte in umfeld hinaus: Nach Feierabend und am seiner Begrüßung, das Potenzial, die Fähig­ Wochenende, bei den Behörden und den keiten und die Leistungsbereitschaft der Zu­ täglichen Besorgungen, im Kino und im Res­ gewanderten zu nutzen, um die erfolgreiche taurant. Nur eine Gesellschaft, die sich auf Entwicklung Sachsens als Technologie- neue Begegnungen und Erfahrungen freue, und Wirtschaftsstandort in Mitteleuropa ziehe Menschen aus anderen Ländern an. Doch es gehe nicht nur darum, Men­ schen herzuholen, sondern ihnen auch das Bleiben zu erleichtern. Denn nur, wer seiner Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler gesamten Familie ein gutes Leben in Sach­ begrüßt die Gäste sen ermöglichen könne, bleibe gerne. Dafür seien weitere Anstrengungen nötig – von der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft und vor allem von der gesamten Gesellschaft. Drews lobte auch die richtungsweisen­ den Initiativen der sächsischen Politik für mehr Zuwanderung. Von der Autoindust­ rie und dem Maschinenbau über die Bio­ technologie und den Software-Bereich bis hin zur Mikroelektronik und zu den vielen Stätten der Forschung und Lehre erkenne man vielfach ein neues weltoffenes Denken und Handeln. www.offenes-sachsen.de 107 zu unterstützen. Dies setze nicht nur die An­ erkennung ausländischer Qualifikationen der Erwachsenen voraus, sondern auch die Förderung ihrer Kinder. Während Diktaturen durch Uniformität gekennzeichnet seien, könne Demokratie nur in Pluralität existieren. Pluralität benöti­ ge staatliche Unterstützung, doch ermögli­ che sie Individualität, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung – Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration. Seit 1990 präge wachsende Vielfalt und zunehmende Einwanderung die Entwick­ lung der Demokratie im Freistaat. Zudem Staatsminister Markus Ulbig ermutigte Dr. Matthias Rößler alle Einge­ bürgerten, sich ihrer Staatsbürgerrechte zu bedienen und an den Landtagswahlen bemühen mussten, deutsche Staatsbürger zu beteiligen. zu werden. Die Einbürgerung sei ein großer Schritt und gleichzeitig das Ergebnis vieler kleiner Schritte. Die Annahme der deut­ 7.2.3 Einbürgerung als Bereicherung schen Staatsbürgerschaft sieht der Staatsmi­ nister als Bekenntnis zu der neuen Heimat Der Sächsische Staatsminister des Innern, Sachsen und Deutschland. Markus Ulbig, würdigte, dass sich die Zuge­ Ulbig betonte, dass Demokratie vom wanderten zum Teil seit sehr langer Zeit Mitmachen und die Gesellschaft vom Enga­ gement des Einzelnen lebten. Dabei würdig­ te er, dass viele der neuen Deutschen sich schon seit Jahren für die Gesellschaft enga­ gieren – in Vereinen, Religionsgemeinschaf­ ten oder in der Nachbarschaft –, und dass Sachsen ein weltoffenes Land ist. Deutscher Staatsbürger zu sein und die deutsche Spra­ che zu sprechen, bedeute demnach nicht, die eigenen Traditionen und die Mehrspra­ chigkeit nicht ausleben zu dürfen. Im Gegen­ teil, kulturelle Vielfalt tue auch unserer Gesellschaft gut und bringe Reichtum, Wissen und Wohlstand mit sich.

7.2.4 Migranten als Brückenbauer und Multiplikatoren

Für den Sächsischen Ausländerbeauftragten, Martin Gillo, war das Einbürgerungsfest

108 Jahresbericht 2014 Kulturen zu fördern. Dabei forderte er die Anwesenden auf, sich in die Gesellschaft einzubringen und auf andere zuzugehen. Abschließend wünschte Martin Gillo den Gästen, dass Deutschland und Sachsen nicht nur eine Heimat auf dem Papier ist, sondern vor allem eine Herzensheimat wird, in der sie ihr Lebensglück verwirklichen können. Neben den Appellen und Würdigungen durch die Redner stand auch ein buntes Rahmenprogramm auf der Tagesordnung: So begeisterte der Künstler Herr Arnold Sächsischer Ausländerbeauftragter Böswetter mit seinem Puppenspiel das Pub­ Prof. Dr. Martin Gillo likum, die Nationalhymne wurde gemein­ sam gesungen und die Gruppe »Akkordeon der erste öffentliche Auftritt nach schwerer Virtuosi« sorgte für die musikalische Beglei­ Krankheit. Doch die Teilnahme an diesem tung. Zudem konnten sich die Neueinge­ Fest war ihm ein ganz besonderes Anliegen. bürgerten mit dem Umriss von Sachsen foto­ Er betonte, dass die Eingebürgerten als Brü­ grafieren lassen und sich somit eine schöne ckenbauer zwischen den unterschiedlichen Erinnerung an diesem Tag sichern. Den Kulturen wirken sollten, um ein konstrukti­ Schlusspunkt des Festes setzte wieder ein ves und zukunftsorientiertes Zusammenle­ gemeinsames Ballonsteigen vor dem Land­ ben sowie gegenseitiges Verständnis von tagsgebäude.

www.offenes-sachsen.de 109 7.3 Tag der offenen Tür

Vielfältig und bunt präsentierte sich der die Möglichkeit für Gespräche. Für Martin Sächsische Landtag der Öffentlichkeit zum Gillo und sein Team war es auch eine gute Tag der offenen Tür am 3. Oktober 2014. Gelegenheit, auf Vorbehalte und Ängste der Bereits zum 20. Mal konnten die Besucher Bevölkerung einzugehen und durch sachli­ Landtagsluft schnuppern und sich über che Informationen Missverständnisse aufzu­ die Arbeit der Landtagsverwaltung und der decken und gängigen Vorurteilen zu begeg­ fünf im Landtag vertretenen Fraktionen in­ nen. Die Besucher stellten besonders Fragen formieren. Wenige Tage vorher hatte die zum Asylsystem im Freistaat Sachsen, zur konstituierende Sitzung des sechsten Land­ Zuwanderung oder zur Anerkennung auslän­ tags am 29.09.2014 stattgefunden. Interes­ discher Bildungsabschlüsse und standen sierte Bürger waren eingeladen, Fragen zu neuen Informationen aufgeschlossen gegen­ stellen, sich über die Politik im Freistaat zu über. Das Team stellte die Projekte des informieren und an einem bunten Rahmen­ Ausländerbeauftragten wie den aktuellen programm teilzunehmen. Etwa 5.500 Besu­ »Heim-TÜV« vor und gab Informationsmate­ cher lockte der Sächsische Landtag an die­ rialien und Statistiken heraus. Großen Ab­ sem Tag an. satz fand der Interkulturelle Kalender 2015. Die Geschäftsstelle des Sächsischen Er informiert über ausgewählte Feiertage der Ausländerbeauftragten war wieder mit ei­ größten religiösen und ethnischen Gruppen nem Stand vertreten. Viele Bürger nutzten sowie über Schulferien in Sachsen.

110 Jahresbericht 2014 Unter dem Motto »Kurz und bündig!« konn­ meländer von Flüchtlingen. Doch die Quiz­ ten die Besucher zudem ihr Wissen in einem teilnehmer waren sich richtigerweise einig, Quiz testen. Dabei wurde deutlich, dass dass Syrien 2014 das Hauptherkunftsland viele Bürger den Ausländeranteil in Sachsen der Flüchtlinge war. höher einschätzen als er tatsächlich ist. Teilnehmer des Quiz erhielten einen Nachholbedarf gab es auch beim Wissen Beutel mit der Aufschrift COEXIST. Das über die Schutzquote und die Hauptaufnah­ Wortsymbol COEXIST ist eine Darstellung der Solidarität der Vielen. Symbole des Islam, der Friedensbewegung, der Gleich­ berechtigung, des Judentums, des Buddhis­ mus und des Christentums formen gemein­ sam ein Wort.

www.offenes-sachsen.de 111 7.4 Beteiligung an ausgewählten Veranstaltungen 2014

20. Januar 28. März Preisverleihung »Unternehmen für Toleranz« Tagung zur Weiterbildung für Journalisten von Arbeit und Leben Sachsen e. V. des MDR

27. Januar 1. April Erfahrungsaustausch mit Eröffnung des Kompetenzzentrums dem Handelsverband Sachsen e. V. Sprachliche Bildung in der 101. Oberschule (2. Treffen am 26. Mai) Johannes Gutenberg Dresden

23. Januar 4. April Veranstaltung »Asyl für Sachsen« Tagung zur Flüchtlingspolitik in Kiel der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung für sächsische 7. April Schulleiterinnen­ und Schulleiter Tagung »Diversity Management« der Veran­ staltungsreihe »Fit für die Zukunft« 30. Januar Eröffnung Asylbewerberheim 14. April Hoyerswerda Fernsehsendung »Fakt ist …!« des MDR in Erfurt 5. Februar Jahresauftaktveranstaltung 14./15. Mai »Wir sind engagiert – wir machen Politik« Bundeskonferenz Integrations- und des Ausländerrates Dresden e. V. Ausländerbeauftragte des Bundes, der Länder und Kommunen in Hamburg 11. März Pressekonferenz zum »Heim-TÜV« 17. Mai 1. Partizipationsforum des Sächsischen 17. März Migrantenbeirats in Dresden Treffen Netzwerk für Integration und Migration Sachsen (NIMS) im 14. Juni Sächsischen Landtag Einbürgerungsfest im Sächsischen Landtag

112 Jahresbericht 2014 17. Juni 22. September Pressekonferenz zum Jahresbericht 2013 Auftaktveranstaltung der des Ausländerbeauftragten Interkulturellen Woche im Landkreis Bautzen in Hoyerswerda 23./25. Juni »Heim-TÜV« in einer Flüchtlingsunterkunft 27. September der Caritas in Südtirol Auftaktveranstaltung der Interkulturellen Woche in Chemnitz 27. Juni Treffen Netzwerk für Integration und 3. Oktober Migration Sachsen (NIMS) im Deutschen Tag der offenen Tür im Sächsischen Landtag Hygiene-Museum Dresden 8. Oktober 30. Juni Fachveranstaltung Migration und Treffen Integrations- und Ausländerbe­ Gesundheit: »Verstehen wir uns richtig?« auftragte der ostdeutschen Bundesländer im Deutschen Hygiene-Museum Dresden

10. Juli 16. Oktober Rede im Plenum zum veröffentlichten Aufnahmezeremonie START-Stipendiaten »Heim-TÜV«-Bericht in Dresden

14. Juli 10. November Antrittsbesuch der neuen Bundes­ Vorstellung »Heim-TÜV« Caritas Frankfurt a. M. beauftragten Aydan Özoğuz in Dresden 20./21.November 19. September Konferenz der Integrations- und Ausländer­ Einweihung Denkmal in Hoyerswerda beauftragten der Länder in Bremen

www.offenes-sachsen.de 113

8. Anhang

Kommunale Ausländer- und Landkreis Erzgebirge Integrationsbeauftragte Kirchliche Erwerbsloseninitiative Zschopau Integrationsbeauftragter Landkreis Bautzen Johannes Roscher Landratsamt Bautzen Johannisstraße 58 B Ausländerbeauftragte 09405 Zschopau Anna Pietak-Malinowska Tel. 03725 80522 Macherstraße 55 Fax 03725 342780 01917 Kamenz j.roscher@kez -zschopau.de Tel. 03578 787187700 Fax 03578 787087700 Landkreis Görlitz [email protected] Landratsamt Görlitz Ausländerbeauftragte Stadt Chemnitz Olga Schmidt Stadtverwaltung Chemnitz Bahnhofstraße 24 Ausländerbeauftragte 02826 Görlitz Etelka Kobuß Tel. 03581 6639007 Annaberger Straße 93 Fax 03581 66369007 09120 Chemnitz [email protected] Tel. 0371 4885047 Fax 0371 4885099 Stadt Leipzig auslaenderbeauftragte@stadt -chemnitz.de Stadt Leipzig Referat für Migration und Integration Landeshauptstadt Dresden Integrationsbeauftragter Stadtverwaltung Dresden Stojan Gugutschkow Integrations- und Ausländerbeauftragte Martin-Luther-Ring 4–6 Kristina Winkler (amtierend) 04109 Leipzig Dr.-Külz-Ring 19 Tel. 0341 1232690 01067 Dresden Fax 0341 1232695 Tel. 0351 4882376 [email protected] Fax 0351 4882709 [email protected]

www.offenes-sachsen.de 115 Landkreis Leipzig Landkreis Nordsachsen Landkreis Leipzig Landratsamt Nordsachsen Landratsamt Bereich Torgau-Oschatz Ausländerbeauftragte Ausländer- und Integrationsbeauftragte Gülnur Kunadt Sophie Jähnigen Karl-Marx-Straße 22 | 04668 Grimma Schlossstraße 27 | 04860 Torgau Tel. 03437 9844102 Tel. 03421 7586621 Fax 03437 98499712 Fax 03421 758856210 guelnur.kunadt@lk -l.de [email protected]

Landkreis Leipzig Landratsamt Nordsachsen Ausländerbeauftragter Bereich Delitzsch-Eilenburg Abdulhamid Othman Ausländer- und Integrationsbeauftragte Stauffenbergstraße 4 | 04552 Borna Carola Koch Tel. 03433 2414103 Richard -Wagner-Straße 7a | 04509 Delitzsch Handy 0174 7354999 (privat) Tel. 034202 9881070 abdulhamid.othman@lk -l.de Fax 034202 9881312 [email protected] Stadtverwaltung Markkleeberg Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte Stadtverwaltung Torgau Sabine Baldauf Ausländerbetreuung Rathausplatz 1 | 04416 Markkleeberg Christiane Sparsbrod Tel. 0341 3533206 Markt 1 | 04860 Torgau Fax 0341 3533294 Tel. 03421 9686200 [email protected] Fax 03421 9696007 Handy 0174 3409100 Landkreis Meißen [email protected] Ausländerbeauftragter Adolf Podhorsky Landkreis Sächsische Ossietzkystraße 1 b | 01662 Meißen Schweiz-Osterzgebirge Handy 0174 7147971 (privat) Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Landkreis Mittelsachsen Beauftragter für Integration und Migration Landratsamt Mittelsachsen Stephan Härtel Ausländerbeauftragte Schlosshof 2/4 | 01796 Annett Schrenk Tel. 03501 5151060 Frauensteiner Straße 43 | 09599 Freiberg Fax 03501 51581060 Tel. 03731 7993328 [email protected] Fax 03731 7993322 [email protected]

116 Jahresbericht 2014 Landkreis Vogtlandkreis Landratsamt Vogtlandkreis Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte Veronika Glitzner Neundorfer Straße 94/96 08523 Plauen Tel. 03741 3921060 Fax 03741 39241060 Handy 0171 7271971 [email protected]

Stadtverwaltung Plauen Ausländerbeauftragte Heidi Seeling Unterer Graben 1 | 08523 Plauen Tel. 03741 2911017 Fax 03741 29131017 [email protected]

Landkreis Zwickau Landratsamt Zwickau Ausländer- und Gleichstellungsbeauftragte Birgit Riedel Robert-Müller-Straße 4 – 8 | 08056 Zwickau Tel. 0375 440221051 Fax 0375 440221009 [email protected]

Stadtverwaltung Zwickau Gleichstellungs- und Ausländerbeauftragte Ulrike Lehmann Hauptmarkt 1 | 08056 Zwickau Tel. 0375 831834 Fax 0375 831831 [email protected]

www.offenes-sachsen.de 117 Mitglieder der Sächsisches Staatsministerium für Sächsischen Härtefallkommission Soziales und Verbraucherschutz Geschäftsbereich der Staatsministerin Evangelisch-Lutherische Landeskirche für Gleichstellung und Integration Sachsens Sebastian Vogel Oberlandeskirchenrat Klaus Schurig Albertstraße 10 | 01097 Dresden Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt Tel. 0351 5645903 Sachsens Fax 0351 5645850 Lukasstraße 6 | 01069 Dresden [email protected] Tel. 0351 4692120 Fax 0351 4692109 Sächsischer Städte- und Gemeindetag e. V. [email protected] Detlef Sittel Bürgermeister Bistum Dresden-Meißen Landeshauptstadt Dresden Prälat Hellmut Puschmann Dr.-Külz-Ring 19 | 01001 Dresden Rungestraße 44 | 01217 Dresden Tel. 0351 4882261 Tel. 0351 4759752 Fax 0351 4882392 [email protected] [email protected]

Sächsischer Flüchtlingsrat e. V. Sächsischer Landkreistag e. V. Ali Moradi René Burk Fetscherstraße 10 | 01307 Dresden Amtsleiter Ordnungsamt Tel. 0371 903133 Landkreis Bautzen Fax 0371 3552105 Verwaltungsstandort Kamenz [email protected] Macherstraße 55 | 01917 Kamenz Tel. 03591 525132000 Liga der Spitzenverbände der Freien Fax 03591 525032000 Wohlfahrtspflege in Sachsen [email protected] Oberkirchenrat Christian Schönfeld Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Der Sächsische Ausländerbeauftragte Landeskirche Sachsens e. V. Geert Mackenroth, MdL Obere Bergstraße 1 | 01445 Radebeul Staatsminister a. D. Tel. 0351 8315100 Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 Fax 0351 8315300 01067 Dresden [email protected] Tel. 0351 4935171 Fax 0351 4935474 Sächsisches Staatsministerium des Innern [email protected] Reinhard Boos Wilhelm-Buck-Straße 2 | 01097 Dresden Tel. 0351 5643240 Fax 0351 5643249 [email protected]

118 Jahresbericht 2014 Glossar Ausländer verfügen nicht über die inländi­ sche Staatsangehörigkeit. Sie haben entwe­ der eine andere Staatsangehörigkeit oder Abschiebungsverbot wird erteilt, wenn sind staatenlos. durch die Abschiebung eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Frei­ Ausländerbehörde ist zuständig für auf­ heit entsteht, etwa durch drohende Folter. enthalts- und passrechtliche Maßnahmen. Ein weiterer Grund können auch schwere, Es gibt sie in jedem Landkreis und jeder im Herkunftsland nicht oder nicht angemes­ Kreisfreien Stadt. Für das Asylverfahren sen behandelbare Krankheiten sein. ist allein das BAMF zuständig.

Asyl wird politischen Flüchtlingen nach Ausländerzentralregister (AZR) ist eine dem Grundgesetz gewährt (Art. 16a GG). bundesweite personenbezogene Datei, die Dieses unbefristete Aufenthaltsrecht in zentral vom BAMF geführt wird. Sie enthält Deutschland erhalten nur diejenigen, die Informationen über Ausländer, die sich in wegen politischer Verfolgung (und nicht z. B. Deutschland aufhalten oder aufgehalten aus wirtschaftlichen Gründen) ihre Heimat haben. Inhalt sind insbesondere die Perso­ verlassen haben. nalien des Ausländers, Lichtbild des Auslän­ ders (nur bei Drittstaatlern), Angaben zu Asylbewerber / Asylsuchende haben ihr seinem aufenthaltsrechtlichen Status sowie Heimatland verlassen und befinden sich zum Aufenthaltszweck. Nutzer des AZR sind im Asylverfahren. Sie müssen dem Bundes­ in erster Linie die Ausländerbehörden, das amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) BAMF, die deutschen Auslandsvertretungen schildern, wie und warum sie verfolgt werden. und die Grenzbehörden. Das BAMF beurteilt dann, ob ein Bewerber asylberechtigt ist, ob er den Flüchtlingssta­ BAMF ist die Abkürzung für das Bundesamt tus erhält, ob subsidiärer Schutz erteilt wird für Migration und Flüchtlinge. Es arbeitet in oder ob sein Antrag abgelehnt wird. den Bereichen Asyl, Migration, Integration, Rückkehrförderung und jüdische Zuwande­ Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) rer. Das Bundesamt führt die Asylverfahren regelt die Höhe und Form von Leistungen, durch. die Asylbewerber erhalten und dient zur Sicherung des Grundbedarfs. Es gilt für Blaue Karte EU ist ein Aufenthaltstitel für Asylbewerber, Ausreisepflichtige und für Akademiker aus Nicht-EU-Staaten zur Aus­ andere Ausländer, die sich vorübergehend übung einer hochqualifizierten Beschäfti­ in Deutschland aufhalten dürfen. gung. Neben einem Hochschulstudium ist ein Arbeitsvertrag mit einem bestimmten Aufenthaltsgesetz (AufenthG) regelt für Mindestgehalt erforderlich. Ausländer die Einreise, den Aufenthalt, die Niederlassung, die Erwerbstätigkeit, Drittstaatsangehörige besitzen nicht die die Aufenthaltsbeendigung und auch die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Integrationsförderung durch den Staat. Europäischen Union. Das Aufenthaltsgesetz gilt nicht für Bürger der Europäischen Union und Diplomaten.

www.offenes-sachsen.de 119 Dublin-Verfahren dient zur Feststellung, EU-Bürger haben die Staatsangehörigkeit welcher europäische Staat für die Prüfung eines EU-Mitgliedstaats und können sich eines Asylantrags zuständig ist. Damit soll laut Freizügigkeitsrecht im gesamten Gebiet sichergestellt werden, dass jeder Asylantrag, der Europäischen Union frei bewegen und der in der Europäischen Union, Norwegen, arbeiten. Island, der Schweiz und in Liechtenstein ge­ stellt wird, inhaltlich geprüft wird, und zwar Flüchtlinge sind gemäß Genfer Flüchtlings­ durch nur einen Staat. Es ist in der Regel der konvention nicht nur anerkannt politisch Staat zuständig, in dem der Asylsuchende Verfolgte, sondern auch Menschen, denen zuerst angekommen ist. Um festzustellen, aufgrund ihrer Rasse, Religion, Staatsange­ welcher das ist, werden in einer erkennungs­ hörigkeit, ihrer politischen Überzeugung dienstlichen Behandlung Fingerabdrücke oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten genommen und ein Passbild gemacht. Diese sozialen Gruppe in ihrem Heimatland Gefahr Daten werden dann in eine europaweite droht. Sie befinden sich außerhalb ihres Datenbank eingespeist. Heimatlandes. Anders als bei Asylberechtig­ ten muss diese Gefahr nicht vom Staat, Duldung berechtigt nicht zum dauerhaften sondern kann auch von Parteien oder Orga­ Aufenthalt. Die Abschiebung eines ausreise­ nisationen ausgehen. Der Flüchtlingsschutz pflichtigen Ausländers wird mit einer wird nach der Genfer Flüchtlingskonvention Duldung verschoben. Sie betrifft Menschen, gewährt. die keinen Aufenthaltstitel (mehr) haben. Die Duldung wird erteilt, solange die Ab­ Flughafenverfahren gelten für Asylbewerber schiebung aus tatsächlichen oder rechtli­ aus sicheren Herkunftsstaaten sowie für chen Gründen unmöglich ist, etwa weil ein ausweislose Asylbewerber, die über einen Abschiebungshindernis (Passlosigkeit oder Flughafen einreisen wollen und die Grenzbe­ fehlende Aufnahmebereitschaft des Ziel­ hörde um Asyl ersuchen. Hier wird das Asyl­ staats) besteht oder der Ausländer wegen verfahren vor der Einreise im Transitbereich einer Krankheit reiseunfähig ist. des Flughafens durchgeführt, soweit der Die oberste Landesbehörde kann die Ab­ Ausländer dort untergebracht werden kann. schiebung von bestimmten Ausländergruppen Für die Dauer des Verfahrens ist ein Verlas­ für die Dauer von sechs Monaten aussetzen, sen des Transitbereiches nicht möglich. um in besonderen Lagen humanitären Schutz zu bieten. Folgeantrag auf Asyl ist nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines frühe­ Erstaufnahmeeinrichtung von Sachsen ren Asylantrags möglich. Dieses neue Asyl­ befindet sich in Chemnitz. Dort werden alle verfahren wird nur dann durchgeführt, Asylsuchenden, die nach Sachsen kommen wenn sich die Sach- oder Rechtslage zuguns­ für maximal drei Monate untergebracht. ten des Asylbewerbers geändert hat oder Während dieser Zeit stellen sie ihren Asylan­ neue Beweismittel vorliegen. Der Folgean­ trag, ihre Daten werden erfasst und sie tragsteller muss von sich aus diese neuen werden gesundheitlich untersucht. Danach Tatsachen und Beweise angeben. werden sie auf die Landkreise und Kreisfrei­ en Städte verteilt.

120 Jahresbericht 2014 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) legt Landesinterne Verteilung der Asylbewerber klar fest, wer ein Flüchtling ist und welchen in Sachsen errechnet sich aus dem Anteil rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche der Wohnbevölkerung der Landkreise und sozialen Rechte sie oder er von den Unter­ Kreisfreien Städte an der sächsischen Ge­ zeichnerstaaten erhalten sollte. Sie definiert samtbevölkerung. Ausschlaggebend für die auch die Pflichten, die ein Flüchtling dem Berechnung ist der Bevölkerungsstand im Gastland gegenüber erfüllen muss, und Juni des Vorjahres. 2014 nahmen beispiels­ schließt bestimmte Gruppen – wie Kriegs­ weise Dresden und Leipzig jeweils 13 Prozent verbrecher – vom Flüchtlingsstatus aus. und der Vogtlandkreis 5,8 Prozent auf. Die Genfer Flüchtlingskonvention war zunächst darauf beschränkt, hauptsächlich Lenkungsausschuss Asyl wird von der europäische Flüchtlinge direkt nach dem Integrationsministerin und dem Innenminis­ Zweiten Weltkrieg zu schützen. Als das terium Sachsen geleitet. Der Ausschuss trat Problem der Vertreibung globale Ausmaße im November 2014 zum ersten Mal zusam­ erreichte, wurde der Wirkungsbereich der men. Im Ausschuss werden die anstehenden Konvention erweitert. Aufgaben bei der Unterbringung und Integ­ ration von Asylbewerbern gemeinsam auf JMD (Jugendmigrationsdienste) beraten der Länderebene und den Kommunen bear­ und begleiten neu zugewanderte Jugend­ beitet. Der Lenkungsausschuss tritt einmal liche und junge Erwachsene bis 27 Jahre. im Monat zusammen und besteht u. a. aus Vertretern der unterschiedlichen Ministerien, KAB/KAIB steht für kommunaler Ausländer­ dem Sächsischen Ausländerbeauftragten beauftragter und für kommunaler Integrati­ und dem BAMF. onsbeauftragter. MBE steht für »Migrationsberatung für Königsteiner Schlüssel legt fest, wie viele erwachsene Zuwanderer«. Sie berät und Asylsuchende jedes Bundesland aufnehmen begleitet erwachsene Zuwanderer, die neu muss. Er berechnet sich jährlich aus dem zugewandert sind. Träger sind beispiels­ Steueraufkommen und der Bevölkerungs­ weise Sozialdienste wie die Caritas. zahl der Länder. Auf diese Weise sollen die mit der Aufnahme verbundenen Lasten an­ Menschen mit Migrationshintergrund gemessen verteilt werden. Sachsen nimmt sind alle Personen, die nach 1949 auf von allen Asylbegehrenden in Deutschland das heutige Gebiet der Bundesrepublik 5,1 Prozent auf und steht damit an sechster Deutschland zugewandert sind, sowie alle Stelle. in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborene Kontingentflüchtlinge sind Flüchtlinge aus mit zumindest einem nach 1949 zugewan­ Krisenregionen, die im Rahmen humanitärer derten oder als Ausländer in Deutschland Hilfsaktionen aufgenommen werden. In geborenen Elternteil. Deutschland können das die obersten Lan­ desbehörden bzw. das Bundesministerium des Innern anordnen. Ein Beispiel sind die Aufnahmeprogramme für Syrer. Die Plätze wurden vom Bund und den Ländern ge­ schaffen. www.offenes-sachsen.de 121 Niederlassungserlaubnis ist unbefristet und rechtigten, die aus humanitären Gründen berechtigt zur Erwerbstätigkeit in Deutsch­ in Deutschland bleiben dürfen. land. Um eine Niederlassungserlaubnis zu Rechnet man die sonstigen Verfahrens­ erhalten, muss man in der Regel seit fünf erledigungen (Überstellung in ein anderes Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzen Land aufgrund des Dublin-Verfahrens, und weitere Voraussetzungen erfüllen – Rücknahme des Asylantrags etc.) aus den zum Beispiel seinen Lebensunterhalt und gestellten Anträgen heraus, dann spricht den seiner Familienangehörigen eigenständig man von der bereinigten Schutzquote, die sichern sowie über ausreichende Deutsch­ höher ausfällt als die Gesamtschutzquote. kenntnisse verfügen. Vorstrafen stehen dem Erhalt einer Niederlassungserlaubnis Sichere Herkunftsstaaten sind Staaten, bei im Wege. denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse vermutet wird, dass dort weder Positivliste wird von der Bundesagentur für politische Verfolgung noch unmenschliche Arbeit erstellt. Die Liste besteht aus Berufen, oder erniedrigende Bestrafung oder Behand­ die in Deutschland gebraucht werden und lung stattfinden. Diese Vermutung besteht, die mit entsprechend qualifizierten Drittstaa­ solange ein Ausländer aus einem solchen tenangehörigen besetzt werden können. Staat nicht glaubhaft Tatsachen vorträgt, die Die Positivliste ist strikt von der Blauen die Annahme begründen, dass er doch ver­ Karte EU zu unterscheiden, denn das Quali­ folgt wird. Sichere Herkunftsstaaten sind die fikationsniveau ist anders. Sie wird seit 2013 Mitgliedstaaten der EU sowie Bosnien und erstellt, um Engpässe nicht nur in Akademi­ Herzegowina, Ghana, Mazedonien, der Sene­ kerberufen, sondern auch in Mittelstandsbe­ gal und Serbien. rufen zu begrenzen. Subsidiärer Schutz gilt in Fällen, in denen Resettlement ist eine Neuansiedlung von das Asylrecht nicht greift, aber dennoch besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen. schwerwiegende Gefahren für Freiheit, Leib Die Flüchtlinge werden aus dem Staat, oder Leben drohen, etwa durch politische in dem sie zuerst Schutz gesucht haben Verfolgung. (Erstaufnahmestaat), in einen anderen Staat Berücksichtigt werden ausschließlich gebracht, der ihnen dauerhaft Schutz bieten solche Gefahren, die dem Antragsteller in kann. Sie haben in dem Erstaufnahmestaat dem Land drohen, in das er abgeschoben weder eine Rückkehrperspektive noch eine werden soll. Ob dieser behelfsmäßige Schutz positive Zukunftsperspektive. Deutschland gewährt wird, prüft das Bundesamt von sich nimmt seit 2012 jährlich 300 Flüchtlinge in­ aus, nachdem ein Asylantrag gestellt wurde. nerhalb dieser Neuansiedlung dauerhaft auf. Subsidiärer Schutz wird für mindestens ein Jahr dann gewährt, wenn ein Abschiebungs­ Schutzquote gibt den Anteil aller Anerken­ verbot vorliegt. nungen bezogen auf die Gesamtzahl der diesbezüglichen Entscheidungen im betref­ UNHCR ist das Flüchtlingshilfswerk der fenden Zeitraum an. Sie berechnet sich aus Vereinten Nationen und wurde 1950 von der dem Anteil der Asylberechtigten, die nach Vollversammlung der Vereinten Nationen ge­ Grundgesetz Art. 16a Schutz erhalten, den gründet, um Hilfe für die Flüchtlinge des Flüchtlingen, die nach der GFK schutzbe­ Zweiten Weltkriegs zu leisten. Auf Grundlage dürftig sind, und den subsidiär Schutzbe­ der Genfer Flüchtlingskonvention setzt es

122 Jahresbericht 2014 sich weltweit dafür ein, dass von Verfolgung behörde), welche für die Erstaufnahmeein­ bedrohte Menschen in anderen Staaten Asyl richtung und die landesinterne Verteilung erhalten. In vielen Ländern stellt der UNHCR zuständig ist, sowie Zuweisungsentschei­ materielle Hilfen für Flüchtlinge zur Verfü­ dungen fällt. Die unteren Unterbringungs­ gung, zum Beispiel Wasser, Unterkünfte und behörden sind die Landkreise und die Kreis­ medizinische Versorgung. Laut Mandat hat freien Städten. Sie sind zur Aufnahme und es auch die Aufgabe, dauerhafte Lösungen Unterbringung der zugewiesenen Asylbe­ für Flüchtlinge zu finden. werber verpflichtet.

Unterbringung erfolgt in den Landkreisen Zuwanderung bezeichnet alle Formen der und Kreisfreien Städten. Dort werden die grenzüberschreitenden Migration (lang- und Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften kurzfristig). Gemeint sind hier ausländische (zentral) oder in Wohnungen (dezentral) un­ Zuwanderer, die aus Deutschland oder dem tergebracht. Ausland nach Sachsen kommen.

Unterbringungsbehörden gliedern sich wie folgt: Die Oberste Unterbringungsbehörde ist das Sächsische Staatsministerium des Innern. Quelle: Das Glossar beruht zu Teilen auf Veröffent­ lichungen des Bundesministeriums des Innern, der Die Höhere Unterbringungsbehörde ist die Bundeszentrale für politische Bildung, des BAMF, Landesdirektion Sachsen (Zentrale Ausländer­ des UNHCR und des Mediendienstes Integration.

www.offenes-sachsen.de 123 Literaturliste des Sachverständigenrats Hays AG/IBE – Institut für Beschäftigung deutscher Stiftungen für Integration und und Employability 2011: HR-Report 2011. Migration* Schwerpunkt Mitarbeitergewinnung. Eine empirische Studie des Instituts für Beschäfti­ gung und Employability IBE im Auftrag Brücker, Herbert 2013: Auswirkungen der Hays AG, Mannheim/Zürich/Wien. der Einwanderung auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat: Neue Erkenntnisse und Schluss­ Sächsische Staatskanzlei 2015: folgerungen für die Einwanderungspolitik, Demografische Entwicklung. Entwicklungs­ Gütersloh. trends (http://www.demografie.sachsen. de/21742.htm#Entwicklungstrend5, Bundesagentur für Arbeit 2014a: Arbeits­ 08.03.2015). markt in Zahlen. Beschäftigungsstatistik, Daten nach einer Wartezeit von sechs Mona­ SMS – Sächsisches Staatsministerium für ten. Sozialversicherungspflichtig und Soziales und Verbraucherschutz 2012: geringfügig Beschäftigte nach ausgewählten Respekt, Toleranz, Achtung. Sächsisches Merkmalen. Sachsen. Zeitreihe, Nürnberg. Zuwanderungs- und Integrationskonzept, Dresden. Bundesagentur für Arbeit 2014b: Der Arbeitsmarkt in Deutschland – SLFS – Statistisches Landesamt des Fachkräfteengpassanalyse Dezember 2014, Freistaates Sachsen 2009: Statistisches Nürnberg. Jahrbuch Sachsen 2009, Kamenz.

GTAI – Trade and Invest – Gesell- SLFS – Statistisches Landesamt des schaft für Außenwirtschaft und Standortmar- Freistaates Sachsen 2013: Statistisches keting mbH 2014: Special: FDI-Geberländer Jahrbuch Sachsen 2013, Kamenz. im Vergleich. Weltweite Studie von Germany Trade and Invest (http://www.gtai.de/GTAI/ SLFS – Statistisches Landesamt des Navigation/DE/Invest/Business-location- Freistaates Sachsen 2014a: Sonder- germany/FDI/fdi-special-geberlaender.html, auswertung des Zensus 2011 für den 08.03.2015). SVR-Forschungsbereich, Kamenz.

*siehe Kapital 4.3

124 Jahresbericht 2014 SLFS – Statistisches Landesamt des Freistaa- tes Sachsen 2014b: Statistisches Jahrbuch Sachsen 2014, Kamenz.

Statistisches Bundesamt 2014a: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2013. Fachserie 1 Reihe 2.2, Wiesbaden.

Statistisches Bundesamt 2014b: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Vorläufige Wande­ rungsergebnisse 2013, Wiesbaden.

Statistisches Bundesamt 2014c: Personen nach Alter (11 Altersklassen) und Migrations­ hintergrund und -erfahrung für Sachsen (Bundesland). Hochrechnung aus der Haushaltsstichprobe. Zensusdatenbank des Zensus 2011, Wiesbaden.

SVR – Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2013: Erfolgsfall Europa? Folgen und Herausforde­ rungen der EU-Freizügigkeit für Deutschland. Jahresgutachten 2013 mit Migrationsbarometer, Berlin.

Venturini, Alessandra/Sinha, Neha 2012: Do Migrants Spur Innovation? Policy Brief, Migration Policy Centre, Florenz.

www.offenes-sachsen.de 125 Bildnachweis

Titelbild: Steffen Giersch

BAA/Simeon Johnke S. 50 Ute Enderlein S. 100, 104 Dietrich Flechtner S. 34 Steffen Giersch S. 3, 6, 11, 12, 13, 17, 23, 26, 27, 29, 36, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44, 68, 85, 87, 97, U4 (oben) Markus Guffler S. 10, 14, 18, 21, 25, 45, 49, 66, 70, 71, 73, 76 (oben), 77, 79, 80, 82, 83, 90, 94, 96, 110, 111 Clara Herrmann S. 105, U4 (Mitte) IB Zittau S. 15 Katholische Pfarrei Borna S. 55, 56, 75 Oliver Killig S. 5, 8, 106, 107, 108, 109, 114, U4 (unten) Sächsische Landeszentrale für politische Bildung S. 30, 31 Privat S. 58, 61, 63 Julia Rump S. 67 Stadtverwaltung Chemnitz/Claudia Borrmann S. 52 Stadtverwaltung Chemnitz/Astrid Gertig S. 53, 95 Frank Stegler S. 19 SVR/David Ausserhofer S. 84 Tom Teubner S. 74, 76 (unten) Detlef Ulbrich S. 47

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Beiträge von Gastautoren sind namentlich gekennzeichnet.

Redaktionsschluss: 22. April 2015

Realisierung: www.oe-grafik.de

Druck: Lausitzer Druckhaus GmbH, Bautzen

1. Auflage 2015, 1.300 Stück

126 Jahresbericht 2014

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