Dieunbekannte Front Krieg und Konflikt

Herausgegeben vonMartin Clauss, Marian Füssel, Oliver Janz, Sönke Neitzel und Oliver Stoll

Band 4

Gundula Gahlen, Dr.phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich NeuereGeschichte der FU Berlin. Deniza Petrova ist Doktorandin am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Oliver Stein, Dr.phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bayerischen Armee- museum in Ingolstadt. Gundula Gahlen, Deniza Petrova, Oliver Stein (Hg.) Dieunbekannte Front

DerErste Weltkrieg in Rumänien

Campus Verlag Frankfurt/New York Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und der Deutschen Forschungs­ gemeinschaft

ISBN 978-3-593-50961-7 Print ISBN 978-3-593-43987-7 E-Book (PDF)

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Vorwort...... 9

Der rumänischeKriegsschauplatz 1916 bis 1918 als Ortdisparater Erfahrungen GundulaGahlen, Deniza Petrova und Oliver Stein...... 11

I. Koalitionskriegführung

Die Haltung derpolitischenund kulturellenElitenRumäniens gegenüber denMittelmächten1914–1917 Gerald Volkmer...... 49

Die Mittelmächte und dieRumänienfrage,1914–1916 –Ein Beitrag zur Neubewertung desZweibundes im Ersten Weltkrieg JanVermeiren...... 85

Three Strikesata»Soft Underbelly« of the CentralPowers? – Gallipoli, Italy, andRomania in Comparison Daniel Marc Segesser...... 113

Asymmetrie –Diversität–Dysfunktionalität?–Dasdeutsche und dasbulgarische Militär zwischen Kooperation undKonflikt im Rumänienfeldzug 1916/17 Deniza Petrova ...... 133

Im Schatten desrumänischenFeldzugs –Die Mittelmächte und MakedonienimHerbst 1916 Bernhard Bachinger...... 157 6 I NHALT

The OttomanEmpire andthe WarwithRomania Mesut Uyar ...... 179

»… übersteigt alles,was wir im gesamten Krieg bisher erlebt haben«–DieKriegserfahrungen derSoldaten desWürttem- bergischen GebirgsbataillonsimRumänienfeldzug 1916/17 AxelBader ...... 195

Romanians at War–Soldiers’ Experience during the Military Campaign (1916–1918) Claudiu-LucianTopor ...... 223

Die Verbrüderungbulgarischer und russischer Truppenander rumänischen Front(1916–1918) OliverSchulz...... 249

Globalizing theWar –The Serbs in Dobrudjain1916 Danilo Šarenac ...... 263

II. Militär und Bevölkerung

Eine Schule der Gewalt? –Die Sichtder deutschen Kriegsteilnehmer auf dieZivilbevölkerung im Rumänienfeldzug1916/17 GundulaGahlen...... 289

Die Siebenbürgenfront 1916 in der Erfahrungder Siebenbürger Sachsen OliviaSpiridon...... 317

The Imageofthe Bulgarian»Occupier« in Romanian Society (1916–1918) Daniel Cain...... 347

Global Markets, Economic Warand theOccupationofRomania David Hamlin ...... 367 I NHALT 7

Perspektiven einerBesatzungsmacht –Österreich-Ungarn in der Walachei (1917–1918) Harald Heppner ...... 389

Der Rumänienfeldzug unddie Dobrudscha-Frage 1916–1918 im Kontext desVerhältnisses zwischen Bulgarienund dem Osmanischen Reich StefanMinkov ...... 405

III.Erinnerungskultur

Weichenstellung des Imaginären –Die unterdrückteErinnerung an dieNiederlage vonTurtucaia/ in derrumänischen Gesellschaft Romaniţa Constantinescu...... 433

RomanianPrisoners in German andAustro-Hungarian Camps (1916–1918) –Aspects of CaptivityReflectedinthe Collective Memory Mihai-OctavianGroza ...... 463

Der rumänischeKriegsschauplatz in deutschen Kriegsbüchern DieterStorz...... 479

Der Rumänienfeldzug in literarischerGestaltung–HansCarossas »Rumänisches Tagebuch« Ralf Gnosa...... 495

Bibliographie ...... 515

Englische Abstracts...... 531

Autorinnen undAutoren...... 541

Personenregister ...... 547

Ortsregister...... 555

Vorwort

Der vorliegende Sammelband basiert auf derinternationalenTagung»Der Rumänienfeldzug 1916/17 –Erfahrung undErinnerung«, die vom26. bis 28.September2016ander Hl.Kyrillund Method-UniversitätinVelikoTar- novo (Bulgarien)stattfand.Wir organisierten die Veranstaltung gemeinsam mit PD Dr. Stefan Minkov (Konstantin-Preslavski-Universität Schumen) zum Zentenariumund als Folgeeiner langjährigenKooperation im Rahmen des vonProf. Dr. Jürgen Angelowund Prof. Dr. Oliver Janz geleiteten DFG-Projekts»DerErste Weltkrieg auf demBalkan. DerRumänienfeldzug 1916/17–Kulturtransfer undkulturelle DominanzinMilitärkoalitionen«, das an der FreienUniversität Berlinangesiedelt war. DieTagung wurdevon der FritzThyssenStiftung,von derBeauftragten der Bundesregierung für Kultur undMedienund vonder bulgarischen Konstantin-Preslavski-Uni- versitätSchumen finanziell gefördert. Wir bedankenuns herzlich für diege- leistete Unterstützung. Danebengiltunser Dank PD Dr. Stefan Minkov,der federführenddie OrganisationinVelikoTarnovoübernahm, wie auchProf. Dr. Valentin Spiridonov (Hl. Kyrillund Method-UniversitätVeliko Tar- novo), welcher die Veranstaltung wohlwollendbegleitete. Unterstützt wur- den wir in Bulgarienzudem mitgroßem Engagement vonBiancaWeihrauch (Freie UniversitätBerlin) undDimoGeorgiev (Konstantin-Preslavski-Uni- versitätSchumen).Abschließendist die Leistung derdrei Sprachen abde- ckenden Simultanübersetzer aufder Tagung hervorzuheben. Ohne siewäre die KommunikationüberGrenzen hinweg nichtmöglich gewesen. Auchbei der Fertigstellung desSammelbandeshaben wir vielfältigeUn- terstützungerfahren, für diewir uns ganz herzlich bedanken möchten. Die FritzThyssen Stiftung gewährte einegroßzügige Druckkostenbeihilfe.Prof. Dr. Oliver Janz schlug den Band in der Schriftenreihe»Krieg und Konflikt« vor, lasTeile desManuskriptsund standuns beiorganisatorischenFragen mit Ratund Tatzur Seite.Empfehlungsschreibenstelltenuns Prof. Dr. Mar- tinClauss(Universität Chemnitz)und Prof.Dr. SönkeNeitzel (Universität 10 V ORWORT

Potsdam) aus. DieZusammenarbeit mitJürgenHotz(Campus Verlag Frankfurta.M.)gestaltete sich effizient, unkompliziertund äußerst ange- nehm. Da viele unserer Autorenkeine Muttersprachlersind, bedurften ihre Beiträge oft einer stärkerensprachlichen Überarbeitung.Hier wurden wir kompetentdurch MadeleineLaRue (Freie UniversitätBerlin),Oliver Glatz (Berlin)und Ralf Gnosa(Mönchengladbach)unterstützt, wobei Madeleine LaRuedie englischsprachigenBeiträgeund Ralf Gnosa diedeutschsprachi- genBeiträge lektorierte. Oliver Glatzübernahm das EndlektoratsamtRe- gister. Eine großeHilfewaren uns danebenArzu Celep (FreieUniversität Berlin),die die türkischsprachigen Titelins Englische übersetzte, und Dr. RomaniţaConstantinescu(UniversitätHeidelberg),welchedie rumänischen Begriffe kontrollierte. Die Gelder fürdas Lektorat stellten dieDeutsche For- schungsgemeinschaft unddie Beauftragte der Bundesregierung fürKultur und Medien zur Verfügung.Unsergrößter Dank gilt unseren Autorenaus Bulgarien, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Rumänien,der Schweiz,Serbien,der Türkei und denUSA,mit denendie Zusammenarbeit eine großeFreudewar.

Berlin, im Herbst2018

GundulaGahlen DenizaPetrova Oliver Stein Der rumänische Kriegsschauplatz 1916 bis1918 alsOrt disparater Erfahrungen

Gundula Gahlen,DenizaPetrova,Oliver Stein

Am Abend des 27.August1916 erklärte Rumänien Österreich-Ungarn den Krieg und rückte in Siebenbürgen ein. Als dieseNachricht am folgenden Tag vonden Zeitungeninaller Welt verkündetwurde, löstesie in denEn- tentestaaten großeHoffnungen aus. Beiden Angehörigender Mittelmächte hingegendominiertentiefgreifendeSorgen. Auf beiden Seitenglaubtennun viele, dassdas Ende desKriegeskurz bevorstehe. »I hope and prayitmay shorten this Horrible[sic] war« 1,schrieb die Ehefrau desbritischen Premi- erministers Asquith in ihrTagebuch, während zur gleichen Zeitein hoch- rangiger deutscherOffizier resigniertkonstatierte, »daß dasEnde füruns immer näher rückt[…].Wir geheneiner schweren Katastropheentgegen«.2 Diejenigen aufSeitender Mittelmächte, dienicht ganz so pessimistisch in die Zukunftblickten,befürchteten zwar keinebaldigeKriegsniederlage, je- doch immerhin eine weitereopferreiche Verlängerung desKrieges, bis –wie ein deutscher Generalstabsoffizierschrieb –»600.000 Rumänen noch ge- schlagen sind und dafür […]wieder unzählige deutsche Soldaten in’s Gras beißen«müssen.3 Wiederwar eine weitere Region Europasinden Strudel des Ersten Weltkriegeshineingezogen worden, doch dasbaldigeEndedes Weltkrieges sollte sich nichteinstellen. Stattdessenführtendie folgenden —————— 1Tagebucheintragvon Margot Asquithvom 29.08.1916, zitiert nach Margot Asquith's Great War Diary 1914–1916. TheViewfromDowningStreet,hrsg. von Michael Brockund Eleanor Brock, Oxford/NewYork2014, S. 279. 2Tagebucheinträge desVizeadmirals AlbertHopmann vom 28.und 29.08.1916,zitiert nach AlbertHopman, Das ereignisreiche Lebeneines »Wilhelminers«. Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen 1901–1920,hrsg. vonMichael Epkenhans,München 2004, S. 858, 860. 3Tagebucheintragvon Albrecht von Thaervom 28.08.1916,zitiert nach Albrecht von Thaer, Generalstabsdienst an derFront undinder OHL. AusBriefen undTagebuchaufzeichnungen 1915–1919,hrsg. von SiegfriedA.Kaehler unterMitarbeit vonHelmuthRönnefahrt,Göt- tingen 1958,S.86f. 12 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN

Kriegsereignisse in Siebenbürgen und in Rumänien innerhalb von nurweni- genMonaten zu einem»Siegeszug«der Mittelmächte.4 Mitder Eroberung des Großteils vonRumänien konnten sielebensnotwendigeRessourcen in Besitznehmen, dieihneneineweitere Fortführung desKrieges auf längere Sicht erst ermöglichten. DerErsteWeltkrieg aber sollte nochüberzweiwei- tere Jahredauern, bis er mitdem Sieg derEntente endete. Auchwenndie KriegsereignisseinRumänienletztlich denAusgang des Ersten Weltkrieges nichtentschieden, so lohnt es sich doch,ihnen eineweit größere Beachtung zuzuwenden, als diesbislang geschehen ist. Geradedie- ser Kriegsschauplatz bietetdie Chance, durcheinemultiperspektivische Un- tersuchung eine ganzeReihevon Phänomenen und Problemen herauszu- kristallisieren,die sowohl fürdie Geschichte des Ersten Weltkrieges als auch fürdie Geschichte derRegionvon wesentlicher Bedeutung sind.Was den Krieg in Rumänien so überausinteressant macht, ist diebesondereDiversi- tät, diediesesEreignis undseinRaumwiderspiegeln. Schondie Zeitgenos- sen haben erkannt,dassdiesemKrieg, wie GeneralleutnantErnst Kabisch bemerkte,»etwas Merkwürdiges«5 innewohnt. Dies beginntbereitsbei den unterschiedlichentopographischen undkli- matischen VerhältnissenimLand, diedazuführten,dassdie Kriegführung wechselnden Bedingungen unterlag und ganz verschiedene Formen an- nahm. Auf denGebirgskrieg folgte der Kampf in derEbene,auf denBewe- gungskrieg folgte derStellungskrieg.Von nochgrößerer Relevanz aber er- scheintdie Diversitätder in diesen Krieg involvierten Gruppen,seien es Kombattanten oder Nichtkombattanten: Wardie umkämpfte Region bereits starkmultiethnisch geprägt,sowurdendurch diebeiden Kriegsparteienzu- dem noch Truppenaus sieben Staateneingesetzt, die zumTeil selbstwiede- rumethnisch heterogen waren.6 Daher lassen sich im Rumänienfeldzug und —————— 4Die Begrifflichkeit »Siegeszug« hat sich unmittelbarnachdem Feldzugetabliert, wieso- gleich mehrerezeitgenössische Buchtitel deutlich machen:Vgl. Friedrich WillyFrerk, Der Siegeszug durchRumänien,Siegen/Leipzig 1917;Alfred von Olberg, DerSiegeszug durchRu- mänien.Auf denSpuren unserer Armee,Berlin1918;Erich vonFalkenhayn, Der Siegeszugdurch Siebenbürgen,Berlin1921; vgl. fernerauchErnstWiesner(Hrsg.), Adler, Doppelaarund Halb- mond. Deutschland, Österreich-Ungarn,Bulgarien und dieTürkei. DerVerbündetenSiegeszug durch Balkan und Orient,Hamburg o.J. Vgl.zur Ereignisgeschichte deneinleitendenAbrissim Beitragvon Mihai-Octavian GrozaindiesemBand. 5Ernst Kabisch, DerRumänienkrieg 1916,Berlin1938, S. 195. 6Sodienten z.B. Angehörigeder rumänischen Minderheit in derk.u.k.Armee undAnge- hörige derdeutschen, bulgarischenund türkischen Minderheit in derrumänischen Armee. Vgl. hierzu insbesondereLiviu Maior, in theHabsburgArmy. Forgotten Soldiers and Officers,Bucharest2004. D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 13 in der sich anschließendenZeitvon Besatzung undStellungskrieg ganz un- terschiedlicheFormenund Konstellationender Begegnung ermitteln, die teilweiseauch quer zu den vorgegebenen Freund-Feind-Schemata verlaufen. Auf einem verhältnismäßig gut überschaubarenRaumtrafenAkteureund Beteiligtezusammen, diesichsowohl in ihren kulturellen Prägungen und Identitäten undinihrenBildern vomjeweils »Anderen«als auch in ihren Interessen und Zielenunterschieden. Dies machtden rumänischen Kriegs- schauplatz zu einem Ballungsraum fürinterkulturelleBegegnungen im Krieg wie auch für Interessenkonflikte innerhalb derbeiden Kriegsbündnisse bzw. zwischen Besatzernund Besetzten. Geradezu paradigmatisch zeigensich hier dieSchwierigkeiten, mitdenen heterogen und asymmetrischzusam- mengesetzte Koalitionsarmeen im Ersten Weltkrieg zu kämpfen hatten. Zu denCharakteristika, die denRumänienfeldzug vonzahlreichen ande- ren Kriegsschauplätzen unterscheiden,zählt dasAusmaßanEntgrenzung der Gewalt,die sichvor alleminÜbergriffen gegen dieZivilbevölkerung und gegenKriegsgefangenemanifestierte. Die in der Region äußerst dyna- mischeGrenzziehung–der Grenzverlauf zwischen Rumänien undBulga- rien veränderte sich zwischen1913 und 1919 dreimal, biser1940endgültig geregelt wurde–führte zu stetigen Spannungenzwischen ethnischenIden- titäten, lokalen Interessenund politischen Loyalitäten.7

—————— 7Vgl.DenizaPetrova, Wahrnehmungund Darstellungvon Raum undGrenzen. Die Dobrudscha in bulgarischen literarischen Texten überden Ersten Weltkrieg, in:Olivia Spiridon (Hrsg.), Textfronten. Perspektiven aufden Ersten Weltkrieg im südöstlichen Europa,Stutt- gart2015, S. 93–107,hierS.96. 14 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN

Territoriale Entwicklung Rumäniens1861-1947, Urheber: Kryston, 2008 URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Romania-Territory.png.

Hinzukam eine in derRegionverankerteTraditionder Kriegführung zum Tragen, diekeine klare GrenzezwischenKombattantenund Nichtkombat- tanten zog.8 DieGewaltund ihre Motivationen verweisen aufdiese beson- derenVerhältnisse in der Region. Denn fürdie lokalenAkteure wardieser —————— 8Vgl. Immanuel Geiss, DerBalkan alshistorische Konfliktregion, in:JürgenEvert (Hrsg.), Balkan.Einehistorische Konfliktregion in Geschichteund Gegenwart,Stuttgart 1997,S.21–36,bes. S. 25f.;Jürgen Angelow,Die MittelmächteimRumänienfeldzugvon 1916/17. Kulturelle Transfersund Erinnerungskultur,in: MilitärgeschichtlicheZeitschrift 66 (2007), S. 132–144, hier S. 137f. ZurFrage vonÜbergriffen in derKriegführung südosteuropäischerArmeen vgl. RichardGeorg Plaschka, Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischerAuflehnung im 19.und 20.Jahrhundert,Wienu.a.2000, S. 96;BjörnOpfer, Im Schatten desKrieges.Besat- zungoderAnschluss–BefreiungoderUnterdrückung?EinekomparativeUntersuchungüberdie bulga- rische Herrschaft in Vardar-Makedonien 1915–1918 und1941–1944,Münster 2005,S.156– 162; Dardan Gashi/IngridSteiner, Albanien. Archaisch,orientalisch,europäisch,Wien1997, S. 133–144; Oswald Überegger,»Verbrannte Erde«und »baumelnde Gehenkte«.Zur euro- päischenDimensionmilitärischerNormübertretungen im Ersten Weltkrieg, in:Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hrsg.), Kriegsgreuel.Die Entgrenzung derGewaltinkriegerischenKon- flikten vomMittelalter bisins 20.Jahrhundert,Paderborn u.a. 2008,S.241–278,hierS.272f. D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 15

Kampf nichts anderes als eineFortführung derbeiden Balkankriege.Das erfolgreicheWerbender beidenKriegsparteien um weitere Bündnispartner auf demBalkanhat somitden bereits bestehenden, wenn auch unterbroche- nen regionalen Konfliktder südosteuropäischen Staaten in den Weltkrieg der Großmächte integriertund folglich globalisiert. In demdoppelten Cha- rakterdiesesKrieges, also der Gleichzeitigkeit seiner regionalen undgloba- len Funktion, liegtein wesentlicher Schlüsselzum Verständnisseiner Beson- derheiten. Die vielfältigen Erscheinungsformen des Krieges und dieethnische Diversitätder am Kriege Beteiligtenschlugensichnach demErstenWelt- krieg schließlich auch in denpersönlichen und kollektiven Erinnerungen nie- der. In denjeweiligen Gesellschaftenund Staatenbildetensich unterschied- liche Perspektiven auf das Ereignis heraus,welcheinden Erinne- rungskulturen bis heuteihren Niederschlag finden.Umsowichtiger er- scheintgeradebei einem derart komplexen Themaein multiperspektivischer und transnationaler Ansatz, wie ihnimvorliegendenBandHistorikeraus verschiedenen Ländern anwenden, um gemeinsamErkenntnisseüberden rumänischen Kriegsschauplatz undseineBedeutung fürden Ersten Welt- krieg und fürdie Geschichte des Balkanszugewinnen.

ZumForschungsstand

Ein Blick auf denForschungsstandmacht deutlich,dassder rumänische Kriegsschauplatz ungeachtet seiner Relevanz beiweitemnochnicht ausrei- chenduntersucht ist. In derwestlichenHistoriographie wardie Beschäfti- gung mit demErsten Weltkriegallzu langeauf dieFrontimWestenkon- zentriert. Noch währenddes Krieges sind in Deutschland populäre Kriegsbücher über denVormarsch in Rumänien entstanden,die eine propa- gandistische Absichtverfolgten.9 In der Zwischenkriegszeitfolgteneinige operationsgeschichtlich ausgerichtete Studien.10 Nach 1945 jedoch beschäf- tigte sich dieForschung kaum mehr mitdem Ersten Weltkrieg im Osten —————— 9Vgl. Franz Carl Endres, DerKrieg gegenRumänien. Einekurze zusammenfassende Übersicht,Mün- chen1917; AdolfKöster, Die Sturmschar Falkenhayns. Kriegsberichteaus Siebenbürgen undRu- mänien,München 1917. 10 Vgl. Frantz Rudolf, DerFeldzuggegen Rumänien, in: DergroßeKrieg 1914–1918,Bd. 2: Derdeutsche Landkrieg, T. 2, hrsg.von M. Schwarte,Leipzig 1923;Ernst Kabisch, Der 16 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN und Südosten. Zu sehr hatten die Ereignisse desZweiten Weltkrieges mit ihren fundamentalen Auswirkungen aufdiese Regionen dasInteresse am vorangegangenWeltkrieg in den Hintergrundgedrängt.11 Eine Ausnahme bilden lediglich dieStudien desUS-amerikanischenHistorikers Glenn Tor- rey, der seitden 1960er Jahren kontinuierlich politik- undoperationsge- schichtliche BeiträgeüberRumänienimErstenWeltkrieg publizierte.12 Auchführtedas Interesse derForschung an derKoalitionskriegführung Deutschlands undÖsterreich-Ungarns mitunter dazu, denBlick aufden Bal- kan13 zu richten, wo dieDifferenzen zwischen beidenMächtebesonders deutlich wurden.14 Danebenentstanden einigediplomatiegeschichtlicheAr- beiten über die Versuche derMittelmächte undder Entente, diezunächst neutralen Staaten Südosteuropas zumKriegseintrittzubewegen.15 Doch —————— Rumänienkrieg; DerWeltkrieg 1914–1918,bearb.imReichsarchiv,14Bde., Berlin [u.a.] 1925–1956, insb.Bd. 11:Die Kriegführung im Herbst 1916 und im Winter 1916/17, Ber- lin1938. Siehefür denbreiteren Kontext Markus Pöhlmann, Kriegsgeschichteund Geschichts- politik: derErste Weltkrieg.Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914–1956,München u.a. 2002,S.196. 11 Vgl. Gerhard P. Groß,Einleitung, S. 2, in:ders. (Hrsg.), Die vergessene Front–der Osten 1914/15. Ereignis, Wirkung,Nachwirkung,Paderborn u.a. 2006,S.1–9; Stig Förster, Einlei- tendeBemerkungen, in:ebd., S. 29–34, hier S. 29. 12 Viele seiner Studienfinden sich gesammeltinGlenn E. Torrey, andWorld WarI. ACollection of Studies,Iaşi1998. 13 Unterdem Begriff »Balkan« werdenhierall jene Gebieteund Staaten verstanden,die ihm im zeitgenössischenDiskurs desfrühen 20.Jahrhunderts zugerechnetwurden. Dazuge- hörteneben demsüdlich vonder Donau undSavegelegenenTeil Südosteuropasein- schließlich Dalmatiens zumeistauchRumänien.Vgl.zum Begriffund zurVerortung des Balkans insbesondere den Beitragvon HolmSundhaussen, derdafür plädiert, »jenseits deraffektiven stereotypen Merkmale [...] denBalkan als Raum suigeneriszuverstehen«. HolmSundhaussen, Europa balcanica.Der Balkan als historischer Raum Europas,in: Ge- schichteund Gesellschaft 25 (1999), S. 626–653, hier S. 628. DerBeitrag isteinedirekteAus- einandersetzungmit denThesen von Maria Todorova, Die Erfindung desBalkans. Europas bequemes Vorurteil,Darmstadt 1999.Vgl.daneben auch denArtikel zumBalkanimLexikon zurGeschichte Südosteuropas,indem derBalkan alsgeographischer Begriff, als histori- scher Raum,als Kulturlandschaftwie auchals »mental map« behandelt wird.Art.Balkan, in:HolmSundhaussen/Konrad Clewing(Hrsg.), Lexikon zur GeschichteSüdosteuropas,2. erw. und akt.Aufl., Wien u.a. 2016,S.110–120. 14 Vgl. v. a. Gerard E. Silberstein, TheTroubledAlliance. German-Austrian Relations 1914 to 1917, Lexington 1970,S.129–247;fernerauchGaryW.Shanafelt, TheSecret Enemy. Austria- Hungary andthe German Alliance,1914–1918,New York1985. Vgl. neuerdings auch Jan Vermeiren, TheFirst WorldWar andGermanNational Identity.The Dual AllianceatWar,Cam- bridge2016. 15 AnneChristine Holden, ’sEntry into theFirst WorldWar.ADiplomatic Study, 1913– 1915,Urbana/Ill. 1976; Wolfgang-Uwe Friedrich, Bulgarien unddie Mächte 1913–1915.Ein D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 17 blieb insgesamt gesehendas Forschungsinteresse der Historiker in Westeu- ropa undAmerika an diesemKriegsschauplatz weiterhineng begrenzt und die Tendenzder Marginalisierung und Ausblendung desBalkans aus dem Gesamtkontextdes ErstenWeltkriegs vorherrschend.16 Erst in jüngster Zeit hatdie verstärkte Beschäftigung mit der Ostfront dazu geführt, dass sichwestlicheHistoriker in zunehmendemMaßeauch

—————— Beitragzur Weltkriegs-und Imperialismusgeschichte,Stuttgart 1985;James M. Potts, TheLoss of Bulgaria,in: Alexander Dallinu.a.(Hrsg.), RussianDiplomacy and Eastern Europe1914– 1917,New York1963, S. 194–234; UdoHaupt, Die Rumänienpolitik Deutschlands undÖster- reich-Ungarnsvom Rücktritt Bismarcks bis zum Ausbruch deserstenBalkankrieges (1890–1912), Würzburg 1976.AuchinjüngsterZeiterschienen mehrerediplomatiegeschichtlich ausge- richtete Arbeiten:Jean-Noël Grandhomme, La Roumanie. De la Triplice àl'Entente 1914– 1919,Saint-Claud 2009; Alma Hannig,The Land of Contrastsand Contradiction.Percep- tionsofRomania amongthe Austro-HungarianDiplomatsonthe Eveofthe GreatWar, in:Claudiu-Lucian Topor/Daniel Cain/AlexandruIstrate (Hrsg.), Through theDiplomat's Eyes.Romanian Social Lifeinthe Late 19th andEarly20th Century,Kaiserslautern2016, S. 73– 96;MichaelJonas,Romanian Neutrality in Context: ComparativeRemarksonRomania and Swedenduringthe FirstWorld War, in:Claudiu-Lucian Topor/AlexanderRubel (Hrsg.), »The Unknown War« from Eastern Europe. Romania between Alliesand Enemies(1916– 1918),Konstanz 2017, S. 17–50. 16 Vgl. hierzu Bernd Hüppauf, Eine dritte Front–DerkulturelleDiskurszum Ersten Welt- krieg aufdem Balkan, in:Spiridon(Hrsg.), Textfronten,S.25–53;JürgenAngelow,Der ErsteWeltkrieg aufdem Balkan –NeueFragestellungen undErklärungen, in: Arnd Bau- erkämpfer/Elise Julian (Hrsg.), Durchhalten! Kriegund Gesellschaft im Vergleich 1914–1918, Göttingen2010, S. 178–194; ders.,Die MittelmächteimRumänienfeldzugvon 1916/17. KulturelleTransfers und Erinnerungskultur,in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), Nr. 1, S. 132–144; Edgar Hösch, Südosteuropa in derHistoriographie derBundesrepublik nach demZweitenWeltkrieg bisindie 1980er Jahre, in:Dittmar Dahlmann (Hrsg.), Hun- dert Jahre Osteuropäische Geschichte,Stuttgart2005, S. 107–119. 18 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN mit demKrieg auf demBalkan und speziell in Rumänien auseinanderset- zen.17 Dies geschieht unterganzverschiedenen Fragestellungen undMetho- den,was Ansätzeeiner modernenOperationsgeschichte18 ebenso ein- schließt wiedie Untersuchung von Kriegserfahrung19 und Besatzungs-

—————— 17 Bernhard Chiari/Gerhard P. Groß (Hrsg.), Am Rande Europas?Der Balkan –Raumund Bevölkerung alsWirkungsfeldermilitärischerGewalt,München 2009; Jürgen Angelow u.a. (Hrsg.), DerErsteWeltkrieg aufdem Balkan.Perspektiven derForschung,Berlin2011; Spiridon (Hrsg.), Textfronten;Angelow,Der Erste Weltkriegauf dem Balkan, S. 178–194. Ein Bei- spiel fürdie mittlerweile stärkere Berücksichtigung desrumänischen Kriegsschauplatzes sind auch dieimmerhin127 Treffer, welche unter dem Stichwort »Romania« in derOn- line-Enzyklopädie 1914–1918-online. International Encyclopediaofthe First WorldWar zu findensind. URL:http://encyclopedia.1914-1918-online.net. 18 Glenn E. Torrey, TheRomanian BattlefrontinWorld War I,Lawrence 2011;Michael B. Bar- rett, PreludetoBlitzkrieg. The 1916Austro-German Campaign in Romania,Bloomington 2013; Gerhard P. Groß,Ein Nebenkriegsschauplatz. Diedeutschen Operationen gegen Rumä- nien 1916,in: Jürgen Angelow u.a. (Hrsg.), DerErsteWeltkrieg aufdem Balkan. Perspektiven derForschung,Berlin2010, S. 143–158;Christian Stachelbeck, Militärische Effektivität im Ers- tenWeltkrieg.Die 11.Bayerische Infanteriedivision 1915–1918,Paderborn u.a. 2010. 19 Gundula Gahlen,Erfahrungshorizonte deutscher Soldaten im Rumänienfeldzug1916/17, in:Chiari/Groß (Hrsg.), Am Rande Europas?,S.137–158;dies.,German WarParticipants’ Spatial ExperiencesinRomania1916–1918, in:Topor/Rubel (Hrsg.), »The UnknownWar«, S. 173–190; Axel Bader, DerRumänienfeldzug1916. DerKriegsalltagund seine Bewälti- gung durch die deutschenSoldaten, in: Österreich in Geschichte undLiteratur 51 (2007),S. 194–209; MichaelKroner, Wiedeutsche ArmeeangehörigeimErstenWeltkrieg Rumä- nien erlebten,in: SüdostdeutscheVierteljahresblätter 45 (1996),S.305–316;CorneliaRauh- Kühne, »Gelegentlich wurdeauch geschossen.« ZumKriegserlebnis eines deutschenOf- fiziersauf demBalkanund in Finnland,in: GerhardHirschfeld u.a. (Hrsg.), Kriegserfahrun- gen. Studienzur Sozial- und Mentalitätsgeschichtedes ErstenWeltkrieges,Essen 1997,S.146–169; Bernhard Bachinger, HerausforderungBalkan.Erfahrungswelten deutschsprachiger Sol- datenander Saloniki-Front1915–1918,in: ders./WolframDornik(Hrsg.), Jenseits des Schützengrabens.Der ErsteWeltkrieg im Osten. Erfahrung –Wahrnehmung –Kontext,Inns- bruck/Wien/Bozen2013, S. 285–304;Jean-JacquesBecker, La guerre dans lesBalkans (1912–1919), in: Matériauxpourl'histoire de notre temps 71/1(2003), S. 4–16;David D. Ham- lin, »Wosindwir?« Orientalism, Gender andWar in theGermanEncounter with Roma- nia, in: German History 28 (2010), S. 424–452; Oliver Stein, »Werdas nicht mitgemacht hat, glaubt es nicht.« Erfahrungendeutscher Offizieremit denbulgarischenVerbündeten 1915–1918, in:Angelow u.a. (Hrsg.), DerErste Weltkrieg aufdem Balkan,S.271–287. D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 19 politik20 oder eine Annäherunganden Themenkomplex derentgrenzten Gewalt21,umnur einige derwichtigsten Bereicheherauszugreifen. Während der rumänische Kriegsschauplatz in der westlichenWeltkriegs- forschung somiterstseit wenigenJahren mitinnovativenAnsätzeneineein- gehendereBeachtung findet undnachwie vorhäufigbei derBeschäftigung mit demErstenWeltkrieg ausgeblendetwird,22 beschäftigen sich die rumä- nischeund bulgarische Historiographie schonseit Langem intensiv mitdie- sem Krieg, wobei auch hier klare Konjunkturphasen feststellbar sind. Nach dem Krieg wurden dort zahlreicheTagebücher undMemoirenpubliziert.23 —————— 20 David D. Hamlin, Germany's Empireinthe East.Germans and RomaniainanEra of Globaliza- tion andTotal War,Cambridge 2017;ders.,»Dummes Geld«. Money,Grain, and theOc- cupation of RomaniainWWI,in: CentralEuropeanHistory 42 (2009),S.451–471;Lisa May- erhofer, Zwischen Freund und Feind.DeutscheBesatzung in Rumänien 1916–1918,München 2010;dies., Making Friends andFoes. Occupiersand Occupied in FirstWorld WarRo- mania, 1916–1918, in:Heather Jones/Jennifer O'Brien/Christoph Schmidt-Supprian (Hrsg.), Untold War. New Perspectives in First WorldWar Studies,Leiden2008, S. 119–149; Tamara Scheer, ZwischenFront und Heimat. Österreich-UngarnsMilitärverwaltungen im Ersten Weltkrieg,Frankfurt a.M. u.a. 2009;Günther Klein, Die deutsche BesatzunginRumänien von1916bis 1918 im Lichteder Weltkriegsmemorialistik,in: Krista Zach (Hrsg.), Deutsche undRumänen in derErinnerungsliteratur. Memorialistik aus dem19. und 20.Jahrhundertals Ge- schichtsquelle,München2005, S. 145–160; HaraldHeppner, Im Schatten des»Großen Bru- ders«. Österreich-Ungarn als BesatzungsmachtinRumänien 1916–1918, in: Österreichische Militärische Zeitschrift 45 (2007),S.317–322;ders.,Occupation commeproblèmeorganisa- tionnel: L'Autriche-Hongrie en Roumanie 1917/18, in: Historical Yearbook () 6 (2009), S. 3–14;ders.,»System an seiner Grenze«oderZufall?Österreich-Ungarnals Be- satzungsmachtinRumänien 1916/18, in:Gerald Lamprecht (Hrsg.), Zonender Begrenzung. Aspektekulturellerund räumlicherGrenzeninder Moderne,Bielefeld 2012, S. 51–58;ders.,Nach- richtenzwischen denZeilen.Theorie undRealität derDeutschen Militärverwaltungin Rumänien 1916–1918, in: Alfred Ableitinger(Hrsg.), Licence to Detect.Festschrift fürSiegfried Beer zum65. Geburtstag,Graz 2013,S.202–211;Stefan Minkov,Der Status derNord- Dobrudscha im Kontext desdeutsch-bulgarischen Verhältnisses im Ersten Weltkrieg, in: Angelow u.a. (Hrsg.), DerErsteWeltkrieg auf demBalkan,S.241–255. 21 BjörnOpfer-Klinger,Ein unaufgearbeitetes Kapitel südosteuropäischer Nationalge- schichte.Bulgarische Kriegsgreuel 1912–1918, in:Daniel Hohrath/Sönke Neitzel(Hrsg.), Kriegsgreuel. DieEntgrenzung derGewaltinkriegerischenKonfliktenvom Mittelalterbis ins20. Jahr- hundert,Paderborn u.a. 2008,S.279–292. 22 Fürdiesen immernochexistierendenTrend istdie Sonderausstellung im Deutschen His- torischen Museum »1914–1918.Der ErsteWeltkrieg«,die vom29. Mai bis30. November 2014 anlässlich desZentenariumszusehen war, ein Beispiel. Diesehatte dasZiel, eine Vielzahl vonKriegsschauplätzenvorzustellen, ließ aber dierumänischeFront unbehan- delt. 23 Exemplarische rumänische Darstellungen derVorkriegsjahreaus derFeder militärischer Akteure: AlexandruLupascu-Stejar, Din războiul României in lumina adevărului [Der Krieg Rumäniens im Lichtder Wahrheit], Bucureşti1921; Constantin Kiriţescu, Istoria războiului 20 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN

Zugleich setzte sich die Historiographie intensiv mit demKrieg auseinan- der.24 Sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien wurdeder Krieg dabei als Kampf für das nationale Ideal der Vereinigung aller Volksangehörigen in einemStaat gedeutet. Nach derMachtübernahmedurchdie Kommunisten folgte ein über Jahrzehnteandauerndes Tabu, denErsten Weltkrieg in For- schung undKunst zu thematisieren. Nationale Perspektivenauf dennun als »imperialistisch« gedeutetenKrieg wichendem ideologisch postulierten in- ternationalen Diskurs.25 Erst in den 1970er Jahren wurden mitder instru- mentalisiertenWiederkehr einer nationalenPerspektiveerneut vorallem diplomatie-und operationsgeschichtliche Fragen des Krieges behandelt.Da- bei passtendie demEstablishment nahestehendenAutorenihre Forschun- genindas marxistische Dogmaein.26 Mitder politischenWende in den —————— pentru întregirea României: 1916–1919 [Geschichtedes Kriegeszur Vereinigung Rumäniens: 1916–1919], Bucureşti 1922;StereaCostescu, Din carnetul unuicăpitan.Însemnări şi amintiri din războiul pentru întregirea neamului(1august1916–1aprilie1917) [Aus demNotizbuch eines Hauptmanns.Rückblicke und Erinnerungenaus demKrieg fürdie Vereinigung derNa- tion (1.–1. April 1917)],Focşani 1927;GheorgheDabija, Armata română în războiul mondial 1916–1918 [Die rumänische ArmeeimWeltkrieg1916–1918], Bd.1, Bucureşti1936. 24 Füreine Übersicht derbulgarischenHistoriographiesiehe Stefan Minkov, Historiography 1918–Today:Bulgaria(SouthEastEurope), in: UteDaniel/PeterGatrell/Oliver Janz u.a. (Hrsg.), 1914–1918-online. InternationalEncyclopedia of the First WorldWar,issued by Freie UniversitätBerlin, Berlin 2014-10-08.DOI:http://dx.doi.org/10.15463/ie1418.10429. Vgl. zurrumänischen Forschungbis 1989 denÜberblickvon Radu Marza, World WarI as Reflected in theRomanian Historiography (1914–1989), in:AntonelloBiagini/Gio- vanna Motta (Hrsg.), TheFirst World War. Analysisand Interpretation,Bd. 1, Cambridge2014, S. 43–59; GlennTorrey, Some Recent Literature on Romania's Role in theFirst World War,in: EastEuropeanQuarterly 14 (1980),S.189–206;ders., Romanian Historiography on theFirst WorldWar,in: MilitaryAffairs 1(1982), S. 25–28; PatriceM.Dabrowski/Stefan Troebst, Geschichtspolitikund Erinnerungskulturen in Ostmittel- undSüdosteuropa (1791–1989), in:AgnieszkaGąsior/AgnieszkaHalemba/Stefan Troebst(Hrsg.), Ge- brochene Kontinuitäten.Transnationalität in denErinnerungskulturen Ostmitteleuropas im 20.Jahr- hundert,Kölnu.a.2014, S. 17–72. 25 Vgl. Maria Bucur, Heroes and Victims. RememberingWar in Twentieth-CenturyRomania, Bloomington 2009;DenizaPetrova, Der Rumänienfeldzug1916/17 in derbulgarischen Kriegserinnerungskultur, in:Angelowu.a.(Hrsg.), DerErsteWeltkrieg aufdem Balkan,S. 257–269; Claudia Weber, Aufder Suchenach derNation. Erinnerungskultur in Bulgarien von 1878 bis 1944,Berlin2006. 26 Exemplarisch vgl. Vasile Alexandrescu, Romania in World WarI.ASynopsis of MilitaryHis- tory,Bucharest 1985;IlieCeauşescu u.a. (Hrsg.), România în anii primului război mondial [Ru- mänien im Ersten Weltkrieg],Bd. 1, Bucureşti1987; Simeon Damjanov, Bălgarija ibal- kanskite strani po vreme na vojnite1912–1918 [Bulgarienund dieBalkanstaatenwährendder Kriege 1912–1918], Sofia 1986. D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 21

1990er Jahren ändertensichdie Verhältnisse, wenn auchsehrlangsam.In den letztenbeiden Jahrzehnten eignete sich die Geschichtsforschung in Bul- garien und Rumänien moderneAnsätze an undlegte ersteForschungen zum Ersten Weltkriegauf demBalkan vor, die frei vonpolitischverankerten Ta- bus waren.27 Dabei fälltallerdingsauf, dass auchinder aktuellenrumäni- schen undbulgarischenForschungebensowie in der Erinnerungskultur, die durch deneinhundertsten Jahrestageine besondere Konjunktur erfährt,28 nationalePerspektivenund nationalstaatliche Deutungsmuster stark präsent sind.29 Geradedie Kriegserfahrungen ethnischer Minderheiten und der —————— 27 Vgl. fürBulgarien: Georgi Markov, Goljamata vojnaibălgarskijatkljuch za evropejskijapogreb 1914–1916 [Der Große Kriegund der bulgarischeSchlüssel fürdie europäische Pulver- kammer1914–1916], Sofia 1995;ders., Goljamata vojnaibŭlgarskatastraža meždu Sredna Evropa iOrienta 1916–1919 [Der GroßeKrieg unddie bulgarische Wache zwischenMit- teleuropa unddem Orient 1916–1919],Sofia 2006;Petăr Bojčev/Volodja Milačkov (Hrsg.), Tutrakanskata epopejaivojnatanaSevernijafront1916–1918 godina [Das Epos von Tutrakan undder Kriegander Nordfront 1916–1918],Tutrakan2007; Petăr Bojčev (Hrsg.), PărvatasvetovnavojnaisăbitijatanaDobrudžanskija front [Der ErsteWeltkriegund die Ereignisseander Dobrudschaner Front],Tutrakan 2011;Stefan Minkov, Dobrudžanskijat văpros prez Părvata svetovna vojna: geopolitičeski, političeski ivoennostrategičeski obzor [Die Dobrud- scha-Fragewährenddes Ersten Weltkrieges: geopolitische,politische und militärstrategi- sche Übersicht],Shumen 2013.Vgl. fürRumänien z.B. Ioan Bolovan, PrimulRăzboiMon- dial şi realităţile demograficedin Transilvania. Familie, moralitateşiraporturidegen [Der Erste Weltkriegund diedemographischen Auswirkungen aufSiebenbürgen. FamiliäreStruktu- ren, Sterblichkeit, Geschlechterbeziehungen],Cluj-Napoca, 2015;Flavius Solo- mon/AndreiCuşco/Mihai Ştefan Ceauşu (Hrsg.), România şi statele vecine la începutulprimului război mondial. Viziuni,percepţii,interpretări [Rumänien und dieNachbarstaaten in der Frühphasedes Ersten Weltkriegs. Visionen, Wahrnehmungen, Interpretationen], Iaşi 2016;RaduTudorancea, Frontuldeacasă.Propagandă,atitudinişicurente de opinie în România PrimuluiRăzboiMondial [Die Heimatfront. Propaganda, Einstellungen undMeinungs- strängeinRumänienwährenddes Ersten Weltkriegs], Bucureşti2016. 28 Zumhundertjährigen Jubiläum wurden in Rumänien z.B. vieleGedenkorte entlang der Sereth-Front renoviert unddas Besucherkonzept »the Glory Road of theRomanian Army« entwickelt.Auf einer seit 2015 freigeschalteten Homepagewerden Reiserouten zur Besichtigung derGedenkortevorgeschlagen undüberdie einzelnen Gedenkorte infor- miert. Aufder Startseitefindetsichder Eintrag: »Dearguest,hereiswhereyou find the evidenceofthe bravery of Romanian Army in WWIfrom Mărăşti battlefield!«InBulga- rien wurden ebenfallsGedenkstättenwie die Militärfriedhöfe in Tutrakan und Dobrič re- noviert, neue Denkmäler undGedenktafelnerrichtet(Gedenktafelfür Todor Kantardžiev 24.09.2003 in Dobrič,ebendortDenkmal des Generals , 07.09.2016). DasHis- torische Museum in Tutrakan informiertauf seiner Internetseiteauch auf Englisch(Epic of Tutrakan) überdie Ereignisseund dieErinnerung um dieSchlachtbei Tutrakan 1916: URL: http://www.museumtutrakan.com/en/?cid=13. 29 Claudiu-Lucian Topordrückt dasNebeneinander traditionell-nationaler und moderner Zugängeinder aktuellen rumänischenWeltkriegshistoriographiewie folgtaus:»[...]the 22 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN

Komplex der Gewalt,die fürden Rumänienfeldzug1916/17 vonhoher Re- levanzsind, sind in dersüdosteuropäischen Forschung nach wievor nur unzureichenduntersucht. Demgegenüber istaber auch festzustellen,dass selbstinnovativeErgebnisseder südosteuropäischen Forschung zumErsten Weltkrieg vonder westlichen Fachliteraturnur in geringem Maße rezipiert werden.30

—————— historical literatureofthe past appears uneven. Different generations, traditionand inno- vation,overturnedhierarchies come togetherunder thesameumbrella.« Claudiu-Lucian Topor, »TheUnknown War«,in: Topor/Rubel (Hrsg.), »The Unknown War«,S.9–16, hier S. 11.SiehedanebenMarianaHausleitner, Nationalismus in derpostkommunistischen Geschichtsschreibung Rumäniens, derMoldaurepublik und , in:AndreiCorbea- Hoisie/RudolfJaworski/Monika Sommer (Hrsg.), Umbruch im östlichen Europa. Die nationale Wendeund daskollektive Gedächtnis,Innsbruck u.a. 2004,S.109–124;Markus Krzoska/Hans-Christian Maner, Einleitung,in: dies.(Hrsg.), Berufund Berufung.Geschichts- wissenschaft undNationsbildunginOstmittel-und Südosteuropaim19. und 20.Jahrhundert,Münster 2005,S.7–17. 30 Eine Ausnahmebildendie deutsch-, englisch- und französischsprachigenStudien bulga- rischerund rumänischer Wissenschaftler: Lucian Boia, Die Germanophilen.Die rumänische ElitezuBeginndes Ersten Weltkrieges,Berlin2014; Topor/Rubel (Hrsg.), »The UnknownWar«, Iaşi/Konstanz 2016;Topor/Cain/Istrate(Hrsg.), Through theDiplomat'sEyes;KurtW. Treptow (Hrsg.), Romania during theWorld War IEra,Iaşi/Oxford/Portland 1999;Dumitru Ivănescu/Sorin D. Ivănescu(Hrsg.), La RoumanieetlaGrande Guerre,Iaşi2005. Bisher sind nureinzelne Aufsätze bulgarischerHistorikeronline oder in Sammelbänden auf Deutsch oderEnglischerschienen, zum Rumänienfeldzug siehe StefanMinkov, DerStatus der Nord-Dobrudscha im Kontext des deutsch-bulgarischen Verhältnisses im Ersten Welt- krieg,in: Angelow u.a. (Hrsg.), DerErste Weltkrieg aufdem Balkan,S.241–255;Deniza Petrova,Der Rumänienfeldzug 1916/17 in der bulgarischen Kriegserinnerungskultur,in: ebd., S. 257–269; dies., »Not aCentral European TheatreofWar«: TheBalkans as aCul- turaland TravelExperienceinthe Notes andLettersofAugustvon Mackensen and Hans vonSeeckt1915–1918 (2015),URL: http://www.mwme.eu/essays/german- balkans/index.html;dies.,Wahrnehmung undDarstellung vonRaumund Grenzen, in: Spiridon (Hrsg.), Textfronten,S.93–107. Zurbulgarischen Sterbe-und Trauerkultur und Kriegsdenkmälerdes Ersten Weltkriegs vgl. Snežana Dimitrova, »Tamingthe Death«. The CultureofDeath (1915–18) and itsRememberingand Commemoratingthrough First World WarSoldier Monuments in Bulgaria (1917–1944), in: Social History 30 (2005),S. 175–194; dies., ForSocial Justice and Welfare: Hunger,Diseases,and Bulgarian »Women’s Revolts« (1916–1918), in:Wim vanMoers/Wolfgang Höpken (Hrsg.), DerErste Weltkrieg aufdem Balkan –GeschichtlichesEreignis,Erfahrung und Erinnerung,Berlin/München 2017,S. 105–150. D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 23

Zielsetzung diesesSammelbandes

Der vorliegende Sammelband verfolgt dasAnliegen, einenmultiperspektivi- schen undvergleichenden Blick auf denErstenWeltkrieg in Rumänienzu werfen. Hierfür bietetersowohl westlichen Historikern alsauchWissen- schaftlern aus densüdosteuropäischenLändern einForum, um dieErgeb- nisse ihrerjüngsten Forschungen zu präsentieren undzueinander in Bezie- hung zu setzen.Inhaltlich geht es vorallem darum, die auf denrumänischen Kriegsschauplatz bezogeneErfahrung31 und Erinnerung32 in allihrer Kom- plexität undDiversitätherauszuarbeiten und theoretischeund methodische Ansätze aufzuzeigen:IndiesemSinne richtendie hier vorgestelltenBeiträge den Blickauf unterschiedliche Gruppen.SowerdenPerzeption und Han- deln zunächstaus der übergreifendenSicht der beidengegnerischenBünd- nisse einander gegenübergestellt. Vorallemaber nähern sich dieBeiträge einer spezifisch rumänischen, russischen undserbischen Erfahrungwie auch einer solchenvon Bulgaren,Deutschen,Österreich-Ungarn und Türken. Neben der Politikund denunterschiedlichen Hierarchieebenen desMilitärs wird auch dieZivilbevölkerung in die Untersuchung einbezogen.Zudem werdensignifikanteTransferprozesse deutlich gemacht, die über dasEreig- nis und über staatliche Grenzenhinausgewirkt haben. Insgesamtsollendie —————— 31 Erfahrung wird dabeials Verarbeitungsprozessverstanden. Jedes Erlebnis wird erst zur Erfahrung aufder Basisvon gesellschaftlich vermittelten Wissensbeständen undimRah- meneines Erfahrungshorizontes, derWandelunterliegt. Insbesondere zumErstenWelt- krieg sind zu diesem Erfahrungsbegriff,der Überlegungen Reinhart Kosellecks sowieder WissenssoziologenPeter Berger, Thomas Luckmann und Alfred Schützzuden Vorbe- dingungen,dem Verlaufund denNachwirkungen vonErfahrungsprozessen aufgreift, mehrereprogrammatische Sammelbände entstanden:NikolausBuschmann/Horst Carl (Hrsg.), Die Erfahrung desKrieges.Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von derFranzösischenRe- volution bis zumZweitenWeltkrieg,Paderborn u.a. 2001, S. 11–26; Petra Ernst u.a. (Hrsg.), Aggressionund Katharsis.Der Erste Weltkrieg im Diskursder Moderne,Wien 2004;Klaus Große Kracht/Vera Ziegeldorf (Hrsg.), Wirkungen undWahrnehmungen des Ersten Weltkrieges,Berlin 2004;GerhardHirschfeld u.a. (Hrsg.), »Keiner fühltsichhier mehr alsMensch...« –Erlebnisund Wirkung desErsten Weltkriegs,Essen 1993;Gerhard Hirschfeldu.a.(Hrsg.), Kriegserfahrungen. Studienzur Sozial- und Mentalitätsgeschichtedes Ersten Weltkriegs,Essen 1997. 32 Erinnerung umfasst dasSpannungsfeld zwischen persönlicherErfahrungund offiziellem Gedenken. Vgl. zumBegriff undzur disziplinär weitverzweigtenForschung zu Erinne- rung und GedächtnisAleidaAssmann, Derlange Schatten derVergangenheit. Erinnerungskultur undGeschichtspolitik,2.Aufl.,München 2014.Siehe daneben direkt zum Ersten Weltkrieg u.a. JayM.Winter, SitesofMemory, SitesofMourning. The First World War in EuropeanCultural History,Cambridge 1995;Barbara Korte/SylviaPaletschek/WolfgangHochbruck(Hrsg.), DerErste Weltkrieg in derpopulären Erinnerungskultur,Essen2008. 24 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN vergleichendenAnalysenvon individuellen Deutungenund nationalen Nar- rativensowie vonlokalen undtransnationalenFragen einen multiperspekti- vischenZugriff ermöglichen, der demheterogenen Kriegsraum gerecht wird. In thematischer Hinsicht setzen sich dieindiesemSammelbandzusam- mengeführten Beiträgemit diplomatischen,strategischen undwirtschaftli- chen Fragen auseinander, untersuchen eingehenddas Erlebenvon Krieg, Besatzung undGefangenschaft und nähernsichauchder Erinnerung und ihrer Verarbeitung in Memorialistik undBelletristik an.Angesichtsdieser thematischenVielfalt und dererkenntnisleitendenInteressen werdendie Beiträge hier in drei Gliederungsebenen, diesichmitunterauch überschnei- den können, präsentiert:Dabei handeltessicherstens um denKomplex der Koalitionskriegführung. Diedortversammelten Beiträge fragen zunächst nachRumäniens Stellung im Gesamtkontextdes Ersten Weltkrieges, um so- dann dieFührungsebeneder jeweiligen Bündnisarmeenund die Fronterfah- rungen der Soldaten während desRumänienfeldzuges und an der Sereth- FrontimVergleichzuerörtern. Besondere Berücksichtigungfindet dabei die Fragenachden Auswirkungen kultureller undethnischer Diversität auf die Kriegführung. DerzweiteTeil blicktauf dasVerhältnisvon Militärund Be- völkerung. Hierbehandelndie Beiträge sowohl dieWahrnehmung derZi- vilbevölkerung durchdie Soldatenals auchdie Kriegserfahrung derZivilbe- völkerungund wenden sich ebenso denverschiedenen Gewalterfahrungen zu. Dazu gehört auch dieErfahrung der Besatzung, diesowohl aus der Per- spektiveder Besetztenals auch der Okkupantenbetrachtet wird. Ein dritter Teil widmetsichschließlichder Erinnerungskultur. Dort werdendie unter- schiedlichen Inhalteund Formen des Erinnerns unddie Frage der Sinnge- bung in derrumänischen unddeutschenGesellschaft untersucht,wobei auch dieliterarischeVerarbeitung der Erfahrung einbezogen wird. D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 25

ÜbersichtskarteSüd-Ost-Front Quelle: Herbstschlacht in Macedonien.Cernabogen 1916,bearb.von Georg Strutz(=Schlachten desWeltkrieges. In Einzeldarstellungenbearb.und hrsg. im Auftrage desReichsarchivs,Bd. 5), Oldenburgi.O./Berlin ²1926, Skizze 1. 26 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN

Koalitionskriegführung

Endedes 19. Jahrhunderts erschiendie außenpolitische Orientierungder Staaten in Südosteuropaklardefiniertzusein: WährendBulgarien zu Russ- land undauf deranderenSeite SerbienzuÖsterreich-Ungarn neigte,trat Rumänien1883dem im Vorjahr geschaffenen Dreibundbei.Seither befand sich dasLandineinem gemeinsamenDefensivbündnis mitDeutschland, Österreich-Ungarn undItalien.Als ein österreichisch-serbischer Konflikt mehrals dreiJahrzehnte später den ErstenWeltkrieg auslöste,erklärten sich Rumänienund Bulgarienzunächst neutral, bis sich Bulgarien im Oktober 1915 nach intensiven Verhandlungenmit beidenKriegsparteienfür den Kriegseintritt aufSeiten der Mittelmächteentschloss. Rumänien schließlich griff Ende August1916als Verbündeter derEntente in denKrieg ein.33 DieserEntscheidung waren sowohl ausgedehnte innerrumänische Dis- kussionen vorausgegangen als auchOffertender Ententefür einen rumäni- schen Kriegseintritt undintensive Bemühungen Deutschlands, dasLand weiterhinneutral zu halten. Rumänienwurde in Deutschlandund Öster- reich-Ungarn fortan vielfach als Verräter betrachtet,wenngleich nach wie vor dieHoffnung bestand,dass sich dasLand letztlichdochden Mittelmäch- tenanschließenwürde.Jedochhatte sich dasVerhältnis Rumäniens zu Ös- terreich-Ungarnschon früh wegen derrumänischenMinderheitinSieben- bürgen verschlechtert.Dassandererseits auch seine Beziehungenzu Russland wegen Bessarabien dauerhaftangespanntwaren, sorgte immerhin füreinen Ausgleich. Seit Kriegsausbruch neigtedie Stimmung derElitenund der Presse deutlichzur Entente. Dessen ungeachtet entschiedsichdie rumä- nischeStaatsführung zunächst fürdie Neutralität, während derer siesichvon beiden Seiten mitterritorialen Versprechungen umwerben ließ, wie Gerald Volkmer ausführt.34

—————— 33 ZurVorgeschichtedes Kriegseintrittes von Rumänien undBulgarienvgl. u.a. Richard C. Hall, Bulgaria’sRoadtothe First World War,New York1996; Grandhomme, La Roumanie. De la Tripliceàl’Entente1914–1919;Katrin Boeckh, Von denBalkankriegen zum ErstenWelt- krieg.Kleinstaatenpolitik undethnische Selbstbestimmung am Balkan,München 1996;Friedrich, Bulgarien unddie Mächte 1913–1915. 34 Vgl. den Beitragvon Gerald Volkmer, DieHaltung derpolitischen und kulturellen Eliten Rumäniens gegenüberden Mittelmächten 1914–1917. ZurVorgeschichte vgl.ders., Die Siebenbürgische Frage1878–1900. DerEinflussder rumänischenNationalbewegungauf die diploma- tischen BeziehungenzwischenÖsterreich-Ungarnund Rumänien,Köln2004; ders., Außenpoliti- sche Orientierungsmuster RumäniensimeuropäischenKontext 1866–1918, in: EddaBin- der-Iijima/Heinz-DietrichLöwe/Gerald Volkmer(Hrsg.), Die HohenzollerninRumänien D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 27

Unterdessendrängte dasDeutscheReichangesichtsder DistanzRumä- niens zu denMittelmächtenseinenhabsburgischen Verbündeten mitNach- druck dazu,Zugeständnisseandie in derungarischen Reichshälftelebenden Rumänenzumachenund densüdlichen,mehrheitlichvon Rumänenbe- wohntenTeilder österreichischen BukowinaanRumänienabzutreten. Je- doch gelang es demimmilitärischenBündnis stetsdominant auftretenden Deutschland nicht, Österreich-Ungarn zu einem solchen, deneigenen Inte- ressen widersprechenden Vorgehenzuveranlassen.Schon zuvor war Deutschland mitähnlichen Forderungen nach österreichisch-ungarischen Zugeständnissengegenüber Italien gescheitert.Die Donaumonarchiewar somit weit davonentfernt, als Vasall desDeutschen Reicheszuhandeln,wie JanVermeiren konstatiert.35 Aber auch beistärkeremEntgegenkommender Mittelmächte dürfte eineBeeinflussung derrumänischen Position nichtzu erwartengewesen sein.Ähnlich wie im FalleItaliens sahsich die Entente auch beiRumänieninder besseren Ausgangslage fürterritorialeVerspre- chungen. So konnte sieRumäniendie Befriedigung seiner territorialen An- sprücheauf Siebenbürgen, das unddie südlicheBukowinaauf Kosten Österreich-Ungarnszusagen,währenddie Mittelmächtelediglich das russi- scheBessarabien anbietenkonnten.Damit wurden die vorrangigen Territo- rialforderungen, diesichauf Siebenbürgen bezogen, nichterfüllt. Fürdie Entente reihte sich eineKriegsbeteiligung Rumäniens in ihre Strategie ein, angesichts derfestgefahrenen Frontendazu überzugehen,den Gegner durch einen raschenStoßinseine schwächste Stellezutreffenund den Weltkriegdamit nach einem kurzenFeldzug siegreich zu beenden. Eine entsprechende Analogie zieht sich nach Daniel Marc Segesser von der Lan- dungsunternehmung an denDardanellen im Frühjahr 1915über dennur wenige Wochen spätererfolgten KriegseintrittItaliens bishin zur rumäni- schen Kriegserklärung gegenÖsterreich-Ungarn mitder folgendenOffen- siveinSiebenbürgen.36 —————— 1866–1947. EinemonarchischeHerrschaftsordnung im europäischen Kontext,Kölnu.a.2010, S. 21–40. 35 Vgl. denBeitragvon Jan Vermeiren,Die Mittelmächteund dieRumänienfrage,1914– 1916 –Ein Beitrag zurNeubewertung desZweibundes im Ersten Weltkrieg. Siehedane- ben ders., TheFirst World Warand GermanNationalIdentity. The DualAlliance at War,Cam- bridge2016. 36 Vgl. den Beitragvon Daniel Marc Segesser, ThreeStrikes at a»Soft Underbelly« of the CentralPowers? –Gallipoli, Italy,and Romania in Comparison.Vgl. ferner u.a. auch Lothar Höbelt, DerBalkanund dieStrategie derEntente, in:Angelow u.a. (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg aufdem Balkan,S.57–73. 28 G UNDULA G AHLEN/DENIZA P ETROVA/OLIVER S TEIN

MitdieserOffensivebegannein Kampf, demdie Zeitgenosseneinehohe Bedeutungfür denweiterenKriegsverlauf zumaßen. Alle Kriegsparteiensa- hendortein Potenzial, denGegnerinbesonderer Weiseschwächen unddie strategische Gesamtlageentscheidend verändern zu können.37 Rumänien selbsterwartete die Annexionrumänisch besiedelter Gebiete Österreich- Ungarns. Die Entente erhoffte sich vomEintritt Rumäniensinden Krieg eine entscheidende Wendeund den Zusammenbruch Österreich-Ungarns. Währenddessen sahendie zunächstzögerlichen BulgarenimKrieg gegen RumänieneineGelegenheit zurRevanchefür denZweiten Balkankrieg und zur Wiedergewinnung derDobrudscha. Fürdie Mittelmächte gestaltetesich die Lagenachdem Kriegseintritt Rumänienszunächstsehrbedrohlich.Aus dieser besonderen Situation heraus konnten sogleich zweieinschneidende Veränderungen umgesetztwerden: Nur zweiTagenach demrumänischen Kriegseintritt wurde eine neue deutsche Oberste Heeresleitung unterPaul von Hindenburg undErich Ludendorff berufen. Demabgesetzten übertrug derKaiserdie Führung der9.Armee gegenRu- mänien. Von ebenfalls hoherBedeutung war, dassdie Bedrohung seiner Südostflanke Österreich-Ungarn Anfang September1916zur Aufgabesei- nes bisherigen Widerstandes gegeneine Gemeinsame Oberste Kriegsleitung veranlasste.38 Fortanbestimmte die deutsche Oberste Heeresleitung die Grundlagen der gemeinsamen Kriegführung. Hatte sich dieKoalitionskriegführung zwischen Deutschlandund Öster- reich-Ungarn in denbeiden vergangenen Jahren bereits als konfliktreich und problematischerwiesen, so zeigte sich im Rumänienfeldzug,dassauchzwi- schen dendeutschen und bulgarischen Verbündeten ein beträchtliches Kon- fliktpotenzial vorhanden war. Während unter derFührung Falkenhaynsvon Siebenbürgen aus deutsche und österreichisch-ungarische Truppen nach Rumänienvordrangen, setzte im Südendie Heeresgruppe Mackensenzum Stoß in dieDobrudscha an.Diesebestand ausTruppen aller vier verbünde- tenStaaten, der bulgarischen 3. Armee, deutschen und österreichischenEin- heiten sowie demosmanischen VI.Korps. DieFührung derHeeresgruppe lag in deutscherHand, aber dasGros der Truppen war bulgarisch. Diesich hier zeigendendeutsch-bulgarischenGegensätzewaren in erster Linieauf unterschiedliche Kriegszielegegründet.Nachdem dieDobrudschaerobert

—————— 37 Vgl. Oliver Janz, 14 –Der große Krieg,Frankfurt/M.2013, S. 112. 38 Vgl. Manfried Rauchensteiner, DerErste Weltkrieg und dasEndeder Habsburgermonarchie 1914–1918,Wien/Köln/Weimar2013, S. 565–574. D ER RUMÄNISCHE K RIEGSSCHAUPLATZ 1916 BIS 1918 29 war,verlor Bulgariendas Interesse an der Fortführung desFeldzuges,daes sein vorrangiges Kriegsziel bereits erreicht zu haben schien.

Übersichtdes Vormarsches der9.Armee undder HeeresgruppeMackensen 1916 Quelle: Otto vonMoser,Die Württemberger im Weltkriege,Stuttgart 1928, S. 61.

Daneben warenaber auchweitere Faktoren wirksam, welche dieZusam- menarbeit zwischen Deutschenund Bulgaren erschwerten, wie Deniza Pet- rova ausführt.39 In Gestaltdes deutschenund desbulgarischenHeeresstan- den sich zwei sehr verschiedeneMilitärkulturen mit ganz unterschiedlichen Prinzipienund Prägungengegenüber. Hinzu kamneben densprachlichen Schwierigkeitenauchdie Wirksamkeit vonStereotypen.Die deutscheSeite über-oder unterschätztehäufigdie Fähigkeitenund Möglichkeiten der Bul- garen. DieErwartung, in denBulgaren die»Preußendes Balkans« sehenzu

—————— 39 Vgl. denBeitragvon Deniza Petrova, Asymmetrie –Diversität–Dysfunktionalität?–Das deutscheund dasbulgarische Militärzwischen Kooperationund Konflikt im Rumänien- feldzug1916/17.Siehe daneben Oliver Stein,»Werdas nicht mitgemacht hat, glaubt es nicht.«