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UNIVERSITY PRESS

Stella Adorf, Jahrgang 1985, studierte an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg von 2005 bis 2009 Geschichte und Politische

Wissenschaft im Magisterstudiengang. 1 Teil Nach dem Magisterabschluss arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und am Zentrum für Angewandte Geschichte der FAU Erlangen, sowie als Dozentin im Fach Geschichte. Stella Adorf verbrachte drei Jahre in den USA, wo sie sowohl für ihre Dissertation im Fach Neueste Geschichte forschte als auch für eine Internationale Organisation tätig war. Seit Abschluss der Promotion in Erlangen 2015/16 lebt und arbeitet sie in Brüssel.

FAU Studien aus der Philosophischen Fakultät 6.1 A Fierce Battle for Democracy A Fierce

Stella Adorf

„A Fierce Battle for Democracy“

ISBN 978-3-96147-004-4 Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938

Teil 1 FAU UNIVERSITY PRESS 2016 FAU Stella Adorf

Stella Adorf

„A Fierce Battle for Democracy“ Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938

FAU Studien aus der Philosophischen Fakultät Band 6.

Herausgeber der Reihe: Prof. Dr. Michele Ferrari und Prof. Dr. Rainer Trinczek Stella Adorf

„A Fierce Battle for Democracy”

Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938

Teil 

Erlangen FAU University Press 2016 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Die Rechte an allen Inhalten liegen bei ihren jeweiligen Autoren. Sie sind nutzbar unter der Creative Commons Lizenz BY-NC-ND.

Der vollständige Inhalt des Buchs ist als PDF über den OPUS Server der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg abrufbar: https://opus4.kobv.de/opus4-fau/home

Umschlagfoto: ́‹†‡‘”Ž†Š‘–‘•ȀȀ‡†—šȀŽƒ‹ˆ

Verlag und Auslieferung: FAU University Press, Universitätsstraße 4, 91054 Erlangen

Druck: docupoint GmbH

ISBN: 978-3-96147-004-4 (Druckausgabe) eISBN: 978-3-96147-005-1 (Online-Ausgabe) ISSN: 2363-720X „ ‹‡” ‡ƒ––Ž‡ˆ‘”‡‘ ”ƒ ›. Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938”

ƒ†‡r Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologieder Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr. phil.

vorgelegt von

Stella Adorf, M.A. aus Castrop-Rauxel Als Dissertation genehmigt von der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Tag der mündlichen Prüfung: 5. Februar 2016

Vorsitzende des Promotionsorgans: Prof. Dr. Heike Paul Gutachter: Prof. Dr. Gregor Schöllgen Gutachter: Prof. Dr. Friedrich Kießling Meinem Vater, in ewiger Liebe

Danksagung

Der Weg zur Fertigstellung der vorliegenden Dissertation war ein langer und manchmal steiniger Pfad mit vielen Abzweigungen. Er führte mich an verschiedene Orte auf zwei Kontinenten, zu unzähligen Reisen, teils wahnwitzigen Erlebnissen und vielen neuen Freundschaften. Entspre- chend hatten neue und alte Freunde, Familie und Bekannte, Kollegen und Betreuer einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg dieses Promo- tionsstudiums. Mein Dank geht zunächst an meinen Doktorvater, Prof. Dr. Gregor Schöllgen, sowie an meinen Zweitgutachter Prof. Dr. Friedrich Kießling. Beide haben mein Studium, meine Schwerpunktlegung in der Magister- und der Doktorarbeit, meine ersten akademischen Gehversuche an der Universität Erlangen und in der Forschung sowie meinen weiteren beruflichen Werdegang maßgeblich beeinflusst. Ohne ihre allzeit her- ausragende, kompetente, zuverlässige und wohlwollende Betreuung und Geduld wäre das Projekt Dissertation nicht möglich gewesen. Ihre Motivation und Ratschläge waren ausschlaggebend in jeder Hinsicht. Ein besonderer Mentor war ebenso Dr. Herbert Sirois, der mich in meiner Themenwahl für die Magister- wie auch die Doktorarbeit und in den Jahren des Promotionsstudiums durch viele gute Gespräche, Ratschläge, Diskussionen und praktische Hilfe unterstützte und mir – zusammen mit seiner Familie - über so viele Jahre ein treuer Wegbegleiter und Freund war. Selbstverständlich sind meine Kommilitonen und Kondoktoranden, Bettina Fettich, Matthias Braun und Dimitrios Gounaris nicht zu vergessen. In unzähligen privaten wie universitären Treffen teilten wir unsere Sorgen und Hoffnungen bezüglich unserer Forschungen, ermu- tigten uns gegenseitig, führten akademische und persönliche Gespräche, die uns alle stets voranbrachten und in unser aller erfolgreichen Disser- tation mündeten. Ebenso am Lehrstuhl für Neueste Geschichte nicht wegzudenken und immer zur Hilfe oder einem freundlichen Gespräch bereit waren Angelika Frisch und Dr. Claus Schäfer, die nicht nur meine Dissertation, sondern auch die Studienjahre davor sowie meine Zeit als studentische Hilfskraft und Wissenschaftliche Mitarbeiterin begleiteten.

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Dank geht desweiteren an die beiden engagierten studentischen Hilfs- kräfte Bianca Siedenschnur und Yvonne Blomann, die meine Vorberei- tung auf die Disputatio vom Ausland aus ermöglichten. Ich hatte das Glück, in mehreren Archiven in Deutschland und den USA forschen zu dürfen. Ausnahmslos alle Archivare erwiesen sich dabei als äußerst freundlich und hilfreich bei meiner Suche nach dem geeigneten Forschungsmaterial. Mein besonderer Dank gilt Virginia und dem Archivarsteam der Franklin Roosevelt Presidential Library in Hyde Park, New York. Die Arbeit mit ihnen machte für mich meine Zeit am Hudson River zu meiner wohl besten in Hinblick auf meinen gesamten USA-Aufenthalt. Viele neue Freunde und Kollegen in Amerika begleiteten mein drei- jähriges Abenteuer auf dem neuen Kontinent, das mir über die Zeit in den Archiven und meine berufliche Tätigkeit hinaus für immer im Gedächtnis bleiben wird. Ganz besonders möchte ich Mette Prassé Hartov und Victor Hartov danken, die mich zu einer Zeit bei sich zuhause aufnahmen, in der ich als Neuankömmling in den USA die Balance zwischen Arbeit und Dissertation neu finden musste. Zusammen mit einigen weiteren Freunden machten sie meinen Amerikaaufenthalt zu einem unvergess- lichen Erlebnis, das mich zurück in Deutschland in den unendlichen, manchmal einsamen Stunden der finalen Schreibphase unzählige Male dazu ermutigte, die Dissertation fertigzustellen. Außergewöhnliche Wegbegleiter, über alle Höhen und Tiefen hinweg, waren mir Caterina Becker und Peter Jansen, die mir lange Monate hinweg die Archivarbeit und Bibliotheksaufenthalte an der Freien Univer- sität von Berlin durch ihre Gastfreundlichkeit, Herzlichkeit, Freundschaft und ihren Rat unermesslich leichter machten. Sie, wie einige weitere Menschen, die an dieser Stelle unbenannt aber nicht unvergessen bleiben, sprachen mir stets Mut zu und wurden freiwillig oder unfreiwillig zu maßgeblichen Faktoren für die Fertigstellung der Arbeit. Dies gilt insbesondere für meine Schwester Cora Melissa Adorf und meine Mutter Stephanie Katharina Adorf, die Stimmungsschwankungen und Schreibblockaden genauso wie Phasen der Euphorie über neue For- schungserkenntnisse mit der Gelassenheit hinnahmen, wie sie nur in einem besonders engen familiären Umfeld möglich sein kann. Meine Großmutter, Anneliese Adorf, die mit nunmehr fast 96 Jahren tatsächlich auch das erfolgreiche Ende der Dissertationsphase miterleben konnte, ließ mir wie in den Jahren zuvor im festen Glauben an meinen Erfolg

6 moralische Unterstützung und besonders die finanziellen Mittel für meine ersten Archivaufenthalte zukommen. Einige Male stand das Promotionsprojekt kurz vor dem Scheitern. Neben der beruflichen Belastungen in Amerika spielte dabei ein privates Ereignis eine entscheidende Rolle. Mein Vater, Pantelis Adorf, hat mein Leben, meine Persönlichkeit, meinen beruflichen Werdegang, meine Sicht auf die Welt und meine Dissertation wie kein anderer geprägt. Sein plötz- licher und vorzeitiger Tod wenige Monate vor Fertigstellung der Promotion wirkte mit seinen kurz- und langfristigen Konsequenzen auf die Grundfesten meiner Familie wie ein Erdbeben nie dagewesenen Aus- maßes ein. Der Gedanke an unser letztes Gespräch, in dem er mir riet, der Doktorarbeit und der Familie vor allen anderen Dingen Priorität einzuräumen, ermutigte mich dazu, über alle Hindernisse hinweg ein Jahr später die Doktorarbeit an der Universität Erlangen einzureichen. Ihm und nur ihm kann diese Arbeit gewidmet werden.

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English Abstract of “A Fierce Battle For Democracy: Ambassador William Edward Dodd and the U.S. Foreign Policy towards Germany, 1933 to 1938”

This study of U.S. Foreign Policy towards Germany in the 1930s focuses on the development of American perspectives on National Socialist Germany, in particular as they were influenced by reports and warnings written by the U.S. Ambassador to Germany from 1933 to 1937, William Edward Dodd. Two key hypotheses of this book state that the totality of National Socialist thought, politics, actions and claims, along with other totalitarian systems of that time, irreversibly influenced the American discussions on the future of their own and the global socio-economic and political system. The clash of different thought, of political and social ideas, of economic experiments and remedies for the domestic crisis led to the transformation of the of America to the democratic counterpart of all totalitarian regimes, to a globally active capitalist world power and eventually the superpower of the 20th century.

The book starts with a general view on the most important developments in both countries in the late 1920s and early 1930s, the impact of the Great Depression and the failure of the post- system of international peace as established by President on political, social, ideological and economic structures in Germany and the United States. It compares the different political and socio-economic approaches by the failing Republican and then newly elected Democratic Government in the United States of America as well as the National Socialist programme in Germany.

One early hypothesis of this dissertation assumes the broader global claim for domestic and international reform/revolution by both systems, Franklin Roosevelt´s New Deal and World Economics programme and National Socialist ambitions for totalitarian dominance by their ideology. Contrary to statements by some scholars that FDR´s New Deal mainly aimed at domestic reform and the stabilization of the American system

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and way of life, the President´s early attempts to influence world politics in a quickly deteriorating global economic and social situation indicate his deep interest in international affairs.

Influenced by representatives of the traditional Wilsonian progressive elements in his party such as Colonel Edward M. House, Franklin Roosevelt chose his ambassadors to Europe carefully and with an eye on potential long-term developments on the crisis-torn “old” continent. Among the most important posts was certainly the position of U.S. Ambassador to Germany for which Roosevelt selected the historian and progressive scholar William Edward Dodd. A Southerner born at the end of the , Dodd felt strongly about the fight against corruption, the power of party machines and what he called the “aristocratic” power of the few. He was well-known for his personal and professional affiliation to Thomas Jefferson´s and Woodrow Wilson´s political theories, both on foreign and domestic issues. Dodd studied in Imperial Germany and had gained a doctorate from the University of Leipzig as well as a deep cultural and political understanding of the country. His progressive ideals, his strong democratic convictions and his belief in democratically controlled reforms of the American System as a role model for the world made him an appealing candidate for Roosevelt to be sent to a new Germany which had fallen for the false promises of the National Socialists.

William E. Dodd was doomed to fail during his tenure as Ambassador – as the main body of this book describes his downfall as the senior representative to Germany. While his critics accused Dodd of personally being responsible for this failure, the actual reasons did mainly not lie with Dodd and his actions. His downfall was caused by the combined energies and joint efforts of his enemies on both sides of the Ocean.

His publicly stated criticism of the radical methods and totalitarian politics of the National Socialists and his continuous efforts to convince the American President to take a harder stance on Germany had resulted in a rapidly developing hatred of the National Socialist government and the remainders of civil servants of the traditional elites in the German authorities against him. His first year passed by with his on-going faith in the democratic elites of Germany to finally resist Hitler´s temptations. However, he soon came to realize that after President Paul von

10 Hindenburg´s death, the so-called “Röhm-Putsch” – an internal purge by Hitler against his former extremist comrade and against parts of the opposition – and after the establishment of a stable and unchallenged government with Hitler as the Chancellor, President, and -in- Chief, the German political system had changed into a totalitarian system.

On the other side of the Atlantic, resistance of conservative and isolationist personnel within the U.S. Administration and federal authorities grew against Dodd´s own interpretation of his role as Ambassador and advisor to President Roosevelt. His constant quarrels with senior State Department officials, including William Phillips and Sumner Welles, went beyond minor arguments about his way of reporting or his work ethics and unconventional ways to supervise his embassy staff. They rather stemmed from the clash of worldviews between him and his progressive tendencies towards an internationalist foreign policy and the more traditional approaches by the State Department when dealing with totalitarian regimes.

This observation, initially led by the assumption of the author of this dissertation that more must be behind the enormous efforts to get rid of William E. Dodd on both continents than simple criticism of his skills as a non-career diplomat or his alleged hatred against the Germans, was confirmed in the historical sources on Dodd and his time in Germany both in American and in German archives. Documents in the Library of Congress, the Roosevelt Presidential Library, and the German National Archives and Archives of the Foreign Office verified that William Dodd´s fate reflected a deeper evolution of American thought and intellectual, political and social discourse.

The destiny of Germany under National Socialist control, the further developments of its domestic and foreign policy, and in the center of these William Edward Dodd as one of the main sources for Franklin Roosevelt´s image of Germany, held the key to America´s future role in the world. Above all, it was William Dodd, a modest, but in his political convictions adamant North Carolinian who gave an in-depth insight into the cruelty, barbarism, and exclusiveness of the National Socialist ideology. Dodd contrasted the ideals of Hitler and his criminal clique, the goal of a merciless rule of what they called an “Aryan” race under the principles of a survival of the fittest and exploitation of all other

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populations, with American values and socio-economic ideas of a progress of civilization with the prospect of freedom of trade, thought and prosperity for everyone and every people as equals. He put these two systems also in relation to the Marxist-Leninist ideology and Stalin´s and warned of communist ideas as another wrong path to a better future. Nonetheless did he recommend that Roosevelt to include rather than isolate Russia in the international community in the near-term future in order to fight the most imminent threat, a National Socialist rule of the world.

The Ambassador to Germany did not merely draw a theoretical comparison of two ideological systems, he did not fantasize about ideologies and philosophical approaches to real world problems, as most of his critics constantly stated. Dodd explained and foresaw through his observations of National Socialist Germany, through his very dark picture of the European future and the strategic implications for a reformed and reinvigorated America surrounded by totalitarian regies the key linkage of the European and the American fate: The inseparable transatlantic ties in a modern world that Woodrow Wilson identified when he led the United States into the First World War in 1917. Dodd´s conclusions made his reports and analyses invaluable sources for the Roosevelt Administration to better understand the developments in Europe and their dangers, in particular in relation to the East Asian menace of a totalitarian Japan to the American influence in the Pacific region.

Followers of a more isolationist approach for American foreign policy in the federal government, authorities, the U.S. Congress and the Judiciary, who fiercely fought the progressive internationalists who were equally part of Roosevelt’s bipartisan Administration of the New Deal, learned to hate William Dodd for his influence on the President, the government and the public. Their ideas of an America untied to and free of the European turmoil strangely coincided with National Socialist efforts to keep the USA out of Europe and their business.

When William Dodd found himself mostly isolated in Berlin, deprived of any hope of a coup against Hitler and of allies among the other diplomats from democratic countries, he increased his reporting on the abominations in the new German political system along with criticism of the opposition against Roosevelt´s New Deal and a more progressive

12 foreign policy. Senior officials in the National Socialist government, the German Foreign Office and senior officials in the U.S. system finally teamed up to remove Dodd from his influential position. They succeeded, exploiting internal struggles within the Roosevelt Administration as well as Dodd´s isolated position in Germany, and caused his defeat.

However, this “failure” as Ambassador to Germany did not result in his defeat as a public voice against the German aggressions in Europe. His strenuous speech tour across the United States, bringing the dangers of a National Socialist rule in Europe and the world to the attention of millions of American citizens, helped prepare the grounds for Roosevelt´s more internationalist moves in the upcoming years. William Dodd´s relentless warnings and his descriptions of the brutal totalitarian regime in Germany awoke the U.S. public and boosted the internationalist elements in the Administration. Dodd´s late victory meant also his final downfall: the exhaustion of his health and his hope for a better future when the beginning of the Second World War came closer and closer. William Edward Dodd died in 1940, depleted and in despair, with a feeling of having failed his President and his country. The overwhelming sympathies of the public and senior government officials after his death along with the world developments that proved all his warnings right significantly changed Dodd’s image in America. They also indicated the changes that American thought had undergone during the years of a growing conflict with the totalitarian regimes across the Atlantic and the Pacific. Influenced by Franklin Roosevelt´s strong leadership and his efforts to improve the living conditions of millions of Americans, US- citizens started to find their faith again in the superiority of the U.S. ideas of freedom, prosperity and equality of all men over all alternative systems.

This discourse had been enabled by the pluralistic structures of the American society which allowed for many different opinions and convictions to struggle and evolve to new direction and guidance even in – or rather because of – times of major threats and challenges to the survival of its system. Roosevelt, Dodd and other progressive inter- nationalists in their “fierce fight for democracy” brought forward a new progressive elite which combined a strong internationalist idea with realpolitik. The future was set for an enduring entanglement in transatlantic and world affairs by a new superpower yet to be born.

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Inhaltsverzeichnis

Teil 1

1. Einleitung: Amerikanische Deutschlandpolitik der 1930er Jahre im Zentrum der politischen Transformation der Vereinigten Staaten von Amerika zur „Super-Macht“ 19

2. „Henceforth I Expect Criticism, Violent Criticism“. William Edward Dodds Leben und Wirken in Zeiten innen- und außenpolotrischer Reformen der USA 1869 bis 1932 51

2.1. Einführung und Schlüsselbegriffe der amerikanischen Innen- und Außenpolitik 51 2.2. Dodd und das Reformzeitalter: Reconstruction, Gilded Age, Progressive Era 60 2.3. Bittere Zeiten – Dodd und die Republican Restoration 105

3. 1933. Amtsantritt in Deutschland 113

3.1. „The President Calling”. Roosevelts Suche nach einem US- Repräsentanten im nationalsozialistischen Deutschland 114 3.1.1. Dodds Nominierung für den Botschafterposten in Berlin 114 3.1.2. Reaktionen auf Dodds Berufung in Deutschland und in den USA 135 3.1.3. Vorbereitungen und Ankunft in Berlin 145 3.2. „A Safe Haven“. Dodds soziales und politisches Netzwerk in Berlin 1933 156 3.2.1. Das gesellschaftliche Leben des Dodd-Haushaltes 156 3.2.2. Kontakte und Informanten in der Berliner Gesellschaft 161 3.2.3. Deutschlandreisen 173

3.3. „A Revelation of the Spirit and Temper of Official Germany – and the U.S.”. Dodds Rollen als Botschafter in Berlin 1933 174 3.3.1. Verhandlungsführer für Roosevelt 174 3.3.2. Berichterstatter für Roosevelt und das State Department 194 3.3.3. Dodds erweiterte Rolle als US-amerikanischer Repräsentant in Deutschland 208 3.3.4. Dodd als Leiter der US-Botschaft und seine Beziehungen zum State Department 1933 219 3.4. „A New Deal, and all the Consequences“. Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Neuausrichtung der US-amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik 1933 228

4. 1934. Tage des Terrors 255

4.1. „[T]he horrors of the last few days“. Terror und Gewalt des 30. Juni 1934 und Hindenburgs Tod 256 4.1.1. Die Tage und Wochen vor dem 30. Juni 1934: Dodds Vorahnung 256 4.1.2. Die Ereignisse des 30. Juni und ihre Folgen 261 4.1.3. Die Rolle und Berichterstattung Dodds bis zu Hindenburgs Tod 268 4.2. „We cannot surrender; burn us if you will!” Dodds soziales und politisches Netzwerk 1934 276 4.2.1. Das gesellschaftliche und politische Leben 276 4.2.2. Kontakte zur deutschen Bevölkerung und dem Bürgertum 285 4.2.3. Dodd und die Presse 289 4.3. „Dr. Dodd’s letter presents a rather dark picture”. Dodds Rollen als Botschafter in Berlin 1934 293 4.3.1. Verhandlungsführer für Roosevelt 293 4.3.2. Dodd als Leiter der US-Botschaft und seine Beziehungen zum State Department 1934 307 4.3.3. Berichterstatter für die Roosevelt-Administration und das State Department 313 4.4. „The Daily Grind of Reforming a World Power“. Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Schwerpunkte der US-amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik 1934 339

Inhaltsverzeichnis

Teil 2

5. 1935/1936. Konflikte in Berlin- und Washington 371

5.1. „Broadening Horizons”. Erweiterung der Perspektiven: Amerika zwischen weltpolitischer Selbstlähmung, Ideologisierung und aktiver Außenpolitik 1935/36 371 5.2. „Troubleshooting”. Störfaktor in Washington? Dodds Konflikt mit dem State Department zwischen isolationistischem „non-involvement“, Verfassungsstreit und Europäisierungsängsten 376 5.2.1. Das Senatsvotum zum Beitritt zum Ständigen Internationalen Gerichtshof und seine Folgen: Dodds Rolle im Streit isolationistischer und internationalistischer Strömungen in Washington 376 5.2.2. Dodd und der inneramerikanische Systemkonflikt als Ausdruck der Angst vor Europäisierung, Diktatur und Ideologien 388 5.2.3. Dodd und das State Department 1935/36: Zwischen Reformen, Rücktrittsüberlegungen und Intrigen 410 5.3. „Avoiding (To Become) Europe – In Any Circumstance?“ Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Schwerpunkte der US-Außen- und Deutschlandpolitik 1935/36 433

6. 1937. „High Tide“ – Auf beiden Seiten des Ozeans 461

6.1. „Can Democracy be preserved?“ William Dodds Rolle in Berlin und seine Berichterstattung deutschland- und weltpolitischer Ereignisse 1937: „Medienkrieg“, handelspolitischer Konflikt und Propaganda 465

6.2. „Open Conflict and New Alliances”. Dodd im transatlantischen Spannungsfeld der deutschen und der amerikanischen Außenpolitik 1937 512 6.2.1. Persona non grata. Dodds verschärfte Kritik am nationalsozialistischen Regime und die Reaktionen in Berlin 512 6.2.2. Höhepunkt des verfassungsrechtlichen Streites in Amerika und Dodds Warnung vor der „amerikanischen Diktatur“ 530 6.2.3. „Department Reshuffle – Dodd’s Temporary Defeat”. Neuorganisierung des State Departments, der Aufstieg Sumner Welles‘ und Dodds Abberufung 556 6.3. „Power Games and Ideology”. Fazit und Einordnung zu Dodds Rückberufung aufgrund innen- und außenpolitischer Faktoren in den USA und Deutschland 585

7. 1938. „A Fierce Battle for Democracy“. Der Kreuzzug beginnt 611

7.1. „Dodd’s Late Victory“. Beginn einer Kehrtwende der Deutschlandpolitik der Roosevelt-Administration 1937/38 612 7.2. „Crusade of Letters and Words“. Dodds Einflussnahme auf die öffentliche Meinung in den USA 1938 635 7.3. Exkurs: „Adviser in Bed“. Die letzten Monate des William Edward Dodd, 1939-1940 679 7.4. „All Eyes on Germany“. Fazit und Einordnung der Aufklärungskampagne William Dodds im Spiegel des Wandels der amerikanischen Europapolitik 1938 692

8. Zusammenfassung und Schlußgedanken: Die Bedeutung der Deutschlanderfahrungen William Dodds für den Wandel der US-Amerikanischen Deutschland- und Weltpolitik 713

9. Quellen- und Literaturverzeichnis 737

1. Einleitung: Amerikanische Deutschlandpolitik der 1930er Jahre im Zentrum der politischen Transformation der Vereinigten Staaten von Amerika zur „Super-Macht“

„I [William C. Bullitt] went to see [Hermann] Goering in his private residence. [...] After he had expressed to me his desire to have better relations with the United States he then said that he desired to say something to me which he hoped I would not resent. The matter was a delicate one. But he considered it simply disastrous that there should be no American Ambassador in Berlin. Neither he nor anyone else in the German Government could recognize [William Edward] Dodd as an American Ambassador. Dodd was too filled with venomous hatred of Germany to have any relations with members of the Government, and in fact did not exist. Most of my conversation with [Konstantin von] Neurath was taken up by Neurath´s remarks on the subject of Dodd which were far more violent than Goering´s. [...H]e felt he had a right to speak to me frankly about a matter which he felt was doing a great injury to German-American relations and indeed to the general world situation. […] Dodd was so consumed with hatred of the present regime in Germany that he never ceased in any conversation he might have with anyone to attack the German Government in any possible way. […B]efore I left Neurath again returned to it [the subject of Dodd] and said, ´I want to impress upon you once more that Dodd´s presence in Berlin is intolerable and if he should not be withdrawn, in the near future we will be compelled to ask for his withdrawal´”.1

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1 BULLITT, Orville H. (Hrsg.): For the President. Personal and Secret. Correspondence Between Franklin D. Roosevelt and William C. Bullitt. With an Introduction by George F. Kennan. Boston, MA, 1972. S. 232-235. William C. Bullitt, zu jenem Zeitpunkt US- Botschafter in Paris, schrieb US-Präsident Franklin Roosevelt diese Zeilen in einem persönlichen Brief vom 23. November 1937. Dies war der Zeitpunkt, an dem US- Botschafter William E. Dodd in Berlin bereits ein Telegramm des State Departments erhalten hatte, dass er zum Ende des Jahres 1937 nach Amerika zurückkehren müsse.

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Dieser kleine Ausschnitt eines langen Briefes William C. Bullitts, des US- amerikanischen Botschafters in Paris, an US-Präsident Franklin Delano Roosevelt wirft unmittelbar zahlreiche Fragen auf: Aus welchem Grund äußerte sich hier Hermann Göring als Repräsentant der nationalsozialis- tischen Führungsspitze genauso ungehalten wie Reichsaußenminister von Neurath als Vertreter der traditionellen Eliten in Deutschland – seit der Weimarer Republik in Regierungsfunktion – über den amerikanischen Botschafter William Edward Dodd in Berlin? Warum drängten sie beide William C. Bullitt auf seiner Durchreise durch Deutschland, für Dodds tatsächlichen Rücktritt zu garantieren? Was waren die wirklichen Gründe für die hier beschriebene Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Beziehungen? Und welche Bedeutung und Rolle kam William Dodd hierbei zu, dass die beiden deutschen Regierungsvertreter den US- Repräsentanten so dringlich loswerden wollten? Um die Ursachen und Hintergründe dieser Entwicklung besser zu verstehen, muss auf die Anfänge des zwischenstaatlichen Verhältnisses der Vereinigten Staaten von Amerika und des nationalsozialistischen Deutschlands nach Ende der Weimarer Republik zurückgeblickt werden: Zurück in das Jahr 1933, in dem die Nationalsozialisten an die Macht kamen, der Demokrat Franklin Roosevelt zum Präsidenten der USA gewählt wurde und der als deutschlandfreundlich bekannte William Edward Dodd zum US-Botschafter in Berlin berufen wurde. Ohne Zweifel kann das Jahr 1933 als außergewöhnlicher Wendepunkt gesehen werden, dessen Relevanz für die politische und gesellschaftliche Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg die Vorstellungskraft der meisten Zeitgenossen übertreffen musste. Keinesfalls jedoch nahm hier eine Entwicklung ihren Anfang, die im teleologischen Sinne nur in eine Richtung verlaufen und im Zweiten Weltkrieg enden konnte. 1933 war gewissermaßen der Anfang vom Ende der Nachkriegsära des „Großen Krieges“ und ein Resultat der Great Depression als „global event“,2 das Europa, Asien und den „neuen“ Kontinent jenseits des Atlantiks vor ein ganzes Konglomerat von Herausforderungen und Chancen zugleich stellte. Für Amerika begann mit der Wahl des demokratischen Prä- sidenten Franklin Delano Roosevelt im November 1932 „die längste, die

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2 STOLER, Mark A.: The Roosevelt Foreign Policy. Flawed, But Superior to the Competition. In: DOENECKE, Justus D./ STOLER, Mark A. (Hgg.): Debating Franklin D. Roosevelt’s Foreign Policies, 1933-1945. Lanham, MD, u.a. 2005. S. 113-183. S. 114.

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dramatischste Präsidentschaft der amerikanischen Geschichte”.3 Erfolge und Misserfolge der experimentierfreudigen Politik der Demokratischen Partei bestimmten eine neue Ära für das amerikanische System der Checks and Balances, in dessen permanentem Widerstreit von Zentral- regierung, Einzelstaaten, Bürgern und einer pluralistisch-demokratisch gebildeten öffentlichen Meinung sich die Ausrichtung und Ausprägung der amerikanischen Innen- und Außenpolitik entscheidend verschoben. Die Voraussetzungen hierfür, die spektakulären innenpolitischen, so- zialen und wirtschaftlichen Veränderungen – zusammengefasst als New Deal4 für Amerika – wurden maßgeblich zunächst von Präsident Roosevelt und einem großen Kreis von Politikern, Ministern, Beratern und Beamten getragen. Es ist erstaunlich mit welcher Zuversicht, Zielorientierung und welchem Selbstvertrauen Franklin Roosevelt nach seinem Amtsantritt im März 1933 mit der gegen sich und andere gerichteten Härte dieses Monumentalprojekt einleitete.5 Längst war die Great Depression, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Depression in Folge der Weltwirtschaftskrise von 1929, zum „most important factor in

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3 GERSTE, Ronald D.: Roosevelt und Hitler. Todfeindschaft und Totaler Krieg. Paderborn 2011. S. 42. 4 Vgl. für den gesamten New Deal (Alle amerikanischen Wörter und Begriffe, die in dieser Arbeit verwendet werden, werden in regulären Druckbuchstaben ohne Kursivdruck oder Anführungszeichen abgebildet. Alle englisch- und deutschsprachigen Zitate aus Quellen und Literatur werden kursiv und in Anführungszeichen gesetzt.) drei der bedeutendsten Werke zu Roosevelts Experimentierprogramm: LEUCHTENBURG, William E.: Franklin D. Roosevelt and the New Deal, 1932-1940. New York u.a. 1963; FREIDEL, Frank Burt: Franklin D. Roosevelt. Launching the New Deal. Boston, MA, Toronto 1973; SCHLESINGER, Arthur M.: The Age of Roosevelt. The Coming of the New Deal. Boston, MA, 1988. Vgl. zu Roosevelts Verständnis vom Krisenjahr 1933 und seiner Begründung für die erfolgten Maßnahmen auch seine „Introduction“ in The Public Papers and Addresses of Franklin Delano Roosevelt. New York 1938-1941. Vol. 2: The Year of Crises 1933 (1938). S. 3-10, sowie seine Amtsantrittsrede vom 4. März 1933. In: Ebenda. Dokument 1. S. 11-16. 5 Unzählige Biographien lokalisieren die Wurzeln dieses grundlegenden Optimismus, der Roosevelts gesamtes Wesen einnahm, in seiner überaus glücklichen Kindheit. Vgl. u.a. BLACK, Conrad: Franklin Delano Roosevelt. Champion of Freedom. New York 2003. S. 17- 26 und 267. Ein Großteil der humanistischen, liebevollen und strengen Erziehung oblag nach den ersten Jahren unter Obhut seiner Mutter, Sara Delano, dem Schulmeister der renommierten Schule von Groton, Endicott Peabody, mit dem Roosevelt sein Leben lang engen Kontakt behielt. Vgl. auch DALLEK, Robert: Franklin D. Roosevelt and American Foreign Policy, 1932-1945. New York 1979. S. 3-6. Vgl. zum politischen Aufstieg Roosevelts mit Schwerpunkt auf seinem Weg zur Präsidentschaftskandidatur als grundlegendes Werk FREIDEL, Frank Burt: Franklin D. Roosevelt. The Triumph. Boston, MA, Toronto 1956.

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American social and cultural life“ 6 geworden und sollte es bis 1939 bleiben. Entsprechend musste der neue Hoffnungsträger aus Dutchess County die Krise mit öffentlichkeitswirksamer Deutlichkeit und Priorität adressieren. Roosevelt sah sich gezwungen die günstige parlamentarische Situation einer stabilen Mehrheit im Kongress sowie die erwartungsvolle, positive Stimmung in der Gesellschaft ohne Verzug für die Umsetzung so zahlreicher Maßnahmen wie möglich zu nutzen.7 Angefangen mit einem Bankfeiertag und der Rehabilitierung der illiquiden amerikanischen Banken, um das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen zu können, bis hin zu einer Vielzahl (land-)wirtschaftlicher, industrieller und arbeits- marktpolitischer Maßnahmen stemmte die demokratische Administra- tion im Schulterschluss mit dem US-Kongress in den ersten hundert Tagen ein Mammutprojekt legislativer Tätigkeit und legte den Grundstein für weitere Maßnahmen auf dem Weg zu einem modernen Sozialstaat amerikanischer Art.8 Mit Gesetzen wie dem Agricultural Adjustment Act, dem National Industrial Recovery Act und der Tennessee Valley Authority griff Roosevelt ohne Scheu vor Auseinandersetzungen mit Skeptikern in seiner eigenen oder der gegnerischen Republikanischen Partei tief in die Trickkiste politischer Experimente zur Rettung eines Systems, das in seinen Augen unter der Laissez-faire-Politik der Präsidenten Harding, Coolidge und Hoover lange genug gelitten hatte.9

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6 BARCK, Oscar Theodore Jr./BLAKE, Nelson Manfred: Since 1900. A History of the United States in our Times. 5. Auflage. New York 1974. S. 383. Vgl. zu den weitreichenden Auswirkungen jener Krise auf die amerikanische Gesellschaft und Kultur SMITH, Jason Scott: A Concise History of the New Deal. Cambridge, MA, 2014. S. 99-123. 7 Vgl. ALTER, Jonathan: The Defining Moment. FDR’s Hundred Days and the Triumph of Hope. New York u.a. 2006. S. 319 und GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 46. Vgl. auch einen Brief des „Committee of Citizens Urging Support of the President“ an die Gouverneurs- konferenz vom 6. März 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 6. S. 22f. Der offene Brief zahlreicher Bürger, darunter renommierte Wortführer der Gesellschaft wie Rabbi Stephen Wise, George Kardinal Mundelein, der Präsident der Amerikanischen Handelskammer, H. G. Harriman, appellierten an die obersten Vertreter der Einzelstaaten, sich in der Krise hinter den Präsidenten zu stellen: „Beyond that we are convinced that there is throughout the Nation a spontaneous spiritual uprising of confidence and hope in our chosen leader”. 8 Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 46-49. Vgl. zu den ersten hundert Tagen auch BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 334; COLE, Wayne S.: Roosevelt & the Isolationists 1932-45. Lincoln, NE, London 1983. S. 37-50; ALTER: The Defining Moment. S. 212-308. 9 Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 16-62; COLE: Isolationists. S. 37-50; JONAS, Manfred: The United States and Germany. A Diplomatic History. Ithaca, NY, London 1984. S. 210. Vgl. auch JENKINS, Roy: Franklin Delano Roosevelt. The American Presidents

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In den 1930er Jahren mussten die Mitglieder der Roosevelt-Adminis- tration für die Umsetzung innenpolitischer Maßnahmen manchmal freiwillig, manchmal gezwungenermaßen Scheuklappen aufsetzen, um amerikaexterne Entwicklungen auszublenden. Ungeachtet der Tatsache, dass ausländische und manche US-amerikanische Stimmen dieses isolierte, auf Amerikas Wohl fixierte Vorgehen häufig kritisierten, und dass Rückschläge, die vor allem die Beseitigung der Massenarbeits- losigkeit bis 1939 betrafen, nicht ausblieben, enthielt diese forcierte Rückbesinnung auf die Vereinigten Staaten von Amerika eine besondere außenpolitische Komponente in Roosevelts politischem Programm. „None of Roosevelt’s foreign policies can be analyzed in isolation. Understanding and assessing them requires prior understanding of the domestic and international environments within which FDR operated […]”.10 Der Fokus auf die amerikanischen innenpolitischen Verhältnisse bestimmte nämlich nicht allein über das Schicksal Amerikas.11 Nach dem Verständnis der progressiven12 Regierung Roosevelts musste der neue Präsident durch eine Stabilisierung der inneren Verhältnisse beweisen, dass das eigene kapitalistische System und die Demokratie auch ohne die Anwendung radikaler oder undemokratischer Methoden gerettet werden konnten. Ein auf diese Weise erneuertes Amerika würde erst dadurch seinem seit der Gründungszeit der Union erhobenen Anspruch auf die Überlegenheit gegenüber allen feudalen, sozialistischen, faschistischen oder anderen Staatsformen als modernes „Super-System“ gerecht.13 In dieser Hinsicht entsprach Franklin Roosevelts Politik einer Fortführung der progressiven Methoden, die auf den politischen Ideen eines Manifest

______Series (keine Bandangabe). New York 2003. S. 66-93. Vgl. auch zu Hoovers Maßnahmen während der beginnenden Depression: WARREN, Harris G.: Herbert Hoover and the Great Depression. New York 1967 und LEUCHTENBURG, William E.: Herbert Hoover. New York 2009, sowie zu allen republikanischen Präsidenten der 1920er Jahre SIBLEY, Katherine A.S.: A Companion to Warren G. Harding, Calvin Coolidge, and Herbert Hoover. Malden, MA, u.a. 2014. 10 STOLER: Superior to the Competition. In: DOENECKE/STOLER: Debating. S. 114. 11 Dies widerspricht der Annahme Wehlers, imperialistische Politik werde durch innen- politische Notwendigkeiten oder den Druck zu Veränderungen induziert. Vgl. WEHLER, Hans-Ulrich: Sozialimperialismus. In: WEHLER, Hans-Ulrich (Hrsg.): Imperialismus. 3. Auflage. Köln 1976. S. 83-96. 12 Dieser Begriff aus der amerikanischen Innen- und Außenpolitik wird in Kapitel 2 eingehend erklärt. 13 Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 51f. und 55 und BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 394.

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Destiny und eines Exceptionalism14 Amerikas aufbauten. Entscheidend für eine erfolgreiche, transformatorische Modernisierung Amerikas als pluralistisch und demokratisch geordnetes Staatswesen des 20. Jahrhun- derts war vor allem die Wahrnehmung in allen Parteien und Gesell- schaftsgruppen bezüglich der Widerstandskraft und Krisenfestigkeit des eigenen Systems. Die seit den Anfängen des amerikanischen Staatswesens öffentlich aus- getragene Auseinandersetzung über innen- und außenpolitische Heran- gehensweisen entwickelte sich Anfang der 1930er Jahre weiter zu einer intensiven Debatte über die Zukunft des amerikanischen Systems, die bereits ihren Ausgang mit dem Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges und der Industrialisierung in den USA genommen hatte und nun im dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine neue Dynamik erhielt. Die vorhandene Kluft innerhalb der Gesellschaft und der Politik gleicher- maßen drohte schrittweise tiefer zu werden, je mehr Rückschläge die wirtschaftliche Erholung und die Friedensbemühungen für die erneut aufflammenden Krisenherde in Europa und Asien erleiden mussten. Deshalb engagierte sich Franklin Roosevelt 1933 als erstes für die Auf- gabe, das alte Selbstvertrauen und den Glauben der Bürger an die eigene Verheißung eines in Demokratie und Kapitalismus vereinten, auserwählten Volkes, wie es zuletzt Woodrow Wilson versucht hatte, 15 zu erneuern. 16 Roosevelt schuf aus diesem Grund ein neues politisches Leitmotiv, einen „New Deal for the American People”, der wörtlich genommen durch seine politischen und sozialen Neuerungen einen neuen „Gesellschaftsvertrag“ aller amerikanischen Bürger im

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14 Vgl. die genaue Einführung zu den Schlüsselbegriffen der amerikanischen Außenpolitik in Kapitel 2. Vgl. zu diesen politischen Vorstellungen Roosevelts, die in den 1930ern immer mehr den außenpolitischen Ideen Thomas Jeffersons zu ähneln begannen HARPER, John Lamberton: American Visions of Europe. Franklin D. Roosevelt, George F. Kennan, and Dean G. Acheson. Cambridge, MA, 1994. S. 64. 15 Vgl. Kapitel 2.2 und 2.3 zu Wilson und der Progressive Era sowie Wilsons Scheitern. 16 Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 44. Roosevelt bediente sich seit März 1933 des neuen Mediums, dem Radio, um in seinen als Fireside Chats bekannt gewordenen Ansprachen Millionen von Bürgern in ihren Wohnzimmern persönlich Mut und Vertrauen zuzusprechen. Vgl. den Text der Fireside Chats des Jahres 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 16. S. 61-66; Dokument 50. S. 160-168; Dokument 101. S. 295-303; Dokument 146. S. 420-429.

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Rousseau´schen Sinne darstellen sollte.17 Der New Deal, der vor allem in späteren Zeiten von vielen Forschern als in die Realität umgesetzte Theorie des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes zur staatlichen Steuerungspolitik interpretiert wurde, bot eine dritte, nicht-revolutionäre Alternative zum kapitalistischen Laissez-faire, zu demokratischem Sozialismus, Kommunismus oder Faschismus. Die „amerikanische“ Alternative musste sich allerdings angesichts der erfolgreichen Konkurrenz und der desaströsen Krise erst beweisen: Als eine freiheitliche Marktwirtschaft mit geringer staatlicher Steuerung durch eine gezielte, auf Kooperation und Common Sense aufbauende Wirtschafts- und Fiskalpolitik.18

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17 Vgl. ROUSSEAU, Jean-Jacques: Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrecht. Neu übersetzt und herausgegeben von Hans BROCKARD. Stuttgart 2003. Vgl. hierzu auch Kapitel 2.2. 18 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 394. In der Forschungsliteratur findet sich damals wie heute die rege Debatte um den Charakter des New Deal: War er eine Revolution oder nur Reform? Die vorliegende Arbeit möchte sich Detlef Junkers These anschließen, dass Roosevelt marktwirtschaftliche Prinzipien, das Konzept der Checks and Balances und der demokratischen Grundordnung unangetastet ließ und nur durch dieses beherzte, aber eingeschränkte reformatorische Eingreifen das US-System vor den revolutionären Ideen aus Europa wie aus Amerika selbst rettete, ohne dabei in einem pseudorevolutionären, verschleierten Konservatismus zu verfallen. Mit dem New Deal setzten sich nach Ansicht der Autorin längst überfällige Reformen der sozialen Verhältnisse durch, welche durch den Rugged Individualism und staatliche Laissez-faire-Politik der 1920er verhindert worden waren. Vgl. JUNKER, Detlef: Der unteilbare Weltmarkt. Das ökonomische Interesse in der Außenpolitik der USA 1933-1941. Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik, Band 8. Stuttgart 1975. S. 43-57, insbesondere S. 50f. Vgl. auch LEUCHTENBURG: New Deal. S. xv f. Vgl. auch GASSERT, Philipp: Amerika im Dritten Reich. Ideologie, Propaganda und Volksmeinung 1933-1945. Transatlantische Historische Studien, Band 7. Stuttgart 1997. S. 216. Gassert ergänzt, dass trotz des keynesianischen Einflusses auf die nationalsozialistische wie die amerikanische Wirtschaftspolitik der US-Präsident die staatliche Steuerung als Überbrückungsmaßnahme anwandte und auf einem niedrigen Level hielt. Die freie Marktwirtschaft blieb bestehen.

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Aus diesem Grund geht die vorliegende Arbeit von zwei zentralen Thesen aus: 1) Die Gesamtheit aller politischen Maßnahmen, der ideologische Anspruch und die Umsetzung innen- und außenpolitischer Ziele totalitärer19 Staaten und Herrschaftsformen jener Zeit, insbesondere der

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19 Im Zuge der Erstellung der vorliegenden Arbeit wurde von der Verfasserin anhand des Forschungsstandes abgewogen, ob in dieser Studie der Totalitarismus- oder der Faschismusbegriff für das nationalsozialistische System verwendet werden soll.Vgl. zu dieser Debatte zunächst den Überblick über den Forschungsstand und die Definition des Begriffs „Nationalsozialismus“ bei KERSHAW, Ian: Der NS-Staat. 4. Auflage. Reinbek bei Hamburg 2009. S. 39-79. Während Kershaw selbst den Faschismusbegriff zur Definition des Nationalsozialismus für am geeignetsten einstuft, betont der Historiker dennoch den Vorteil des Totalitarismusbegriffs, um den totalitären Herrschaftsanspruch inklusive seiner „neuen Formen plebiszitärer Massenmobilisierung mittels neuer Herr- schaftstechniken in Verbindung mit einer exklusiven dynamischen Ideologie und mono- polistischen Forderungen an die Gesellschaft“ (S. 78) zu verdeutlichen. Diese Einordnung entspricht auch der Entscheidung der Verfasserin der vorliegenden Dissertation, bei der Gegenüberstellung des liberal-demokratischen US-Systems sowie des Progressivismus als politischer Ideenbewegung mit dem Nationalsozialismus sich vor allem auf die totalitären Aspekte des Nationalsozialismus in Abgrenzung zu anderen Systemen zu fokussieren. Dieser Ansatz scheint sinnvoll auch durch Brachers Einordnung des 20. Jahrhunderts als das „Jahrhundert der Ideologien“ (S. 15), das den modernen Totalitarismus „als Folge der großen Labilität und Unsicherheit des aus bisherigen Bindungen gelösten modernen Menschen“ (S. 15) darstellt und damit den Gegensatz zur US-eigenen Identitätssuche nach einer inneren und äußeren Erneuerung auf Basis liberaler politischer Ideen deutlich macht (Vgl. hierzu VORLÄNDER, Hans: Hegemonialer Liberalismus. Politisches Denken und politische Kultur in den USA 1776-1920. Frankfurt a. M., New York 1997). Hierfür spricht ebenso Brachers These, die Entstehungszeit totalitärer Ideen in den 1870er und 1880er Jahren zu verorten (S. 18), die genau mit den Ursprüngen des Progressivismus als wirkungsmächtiger amerikanischer Weltanschauung zusammenfällt. Vgl. BRACHER, Karl Dietrich: Die totalitäre Erfahrung. München, Zürich 1987. Vgl. auch Wehlers besondere Definition des Nationalsozialismus als „Radikalnationalismus” (S. 4) zwischen Faschismus und Totalitarismus in WEHLER, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen 1919-1945. München 2009. S. VII-XI und 11-14. Vgl. weiterhin zu den verschiedenen Forschungsmeinungen zum Nationalsozialismus als totalitäres oder faschistisches Regime den Überblick über den Forschungsstand bei MÖLLER, Horst: Europa zwischen den Weltkriegen. Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 21. München 1998. S. 137-142. Da US-Botschafter William Edward Dodd in seinen Berichten immer wieder die Besonderheit des antisemitischen Hasses und Hitlers Vernich- tungswillens betont, spricht auch die Tatsache, dass der Faschismus an sich „keinen rassistischen Antisemitismus kannte und folglich auch keinen durch ihn motivierten massenmörderischen Vernichtungskrieg führte“ (Ebenda. S. 138) in Hinblick auf diese Arbeit für die Einordnung des Nationalsozialismus als totalitäres System. Innerhalb der Debatte um die Auslegung des Totalitarismusmodells zwischen willkürlicher bis chaotischer Polykratie und Hitlers monopolistischer Herrscherposition liegt für den

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Nationalsozialisten, beeinflussten kurz- und mittelfristig einen nicht zu unterschätzenden Teil des politischen und gesellschaftlichen Diskurses in Amerika; 2) Dieser Diskurs und seine Ergebnisse bewirkten langfristig die einsetzende, bis heute währende Transformation zur demokratisch- freiheitlichen und global-kapitalistischen Weltmacht und „Super-Macht“ Amerika.20 Es erscheint überraschend, dass Franklin Roosevelt und seine politischen Mitstreiter sich angesichts des gigantischen Ausmaßes des New Deal- Programmes und der katastrophalen Lage der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft 1933 überhaupt konkreten außenpolitischen Einzel- themen zu widmen vermochten. Dieser Einsatz für außenpolitische Sachverhalte, von internationaler Abrüstung über weltwirtschaftliche Fragen, kann sicherlich nicht mit dem in der Forschungslandschaft häufig proklamierten Primat der Innenpolitik oder der schrittweisen Ent- wicklung Roosevelts vom Isolationisten zum Internationalisten erklärt werden. 21 Vielmehr folgt diese Arbeit der Annahme, dass Franklin ______Ansatz der vorliegenden Analyse die Annahme nahe, von einer Monopolstellung Hitlers mit dem Ziel eines Rassekrieges auszugehen, dessen Planung durch die polykratischen Züge der Herrschaftsstrukturen befördert wurde. Auch William Dodd nahm Hitler als zentrale Führungsfigur wahr, der Joseph Goebbels und Hermann Göring diese Position letztlich nie streitig machen konnten. (Vgl. Ebenda. S. 139 zu dieser Diskussion). Vgl. zu diesen Grundproblemen der Forschung auch HILDEBRAND, Klaus: Das Dritte Reich. Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 17. 6., neubearbeitete Auflage. München 2003. S. 152-192. Vgl. Hildebrands Einstellung auch auf S. 64, „daß Hitlers Vorstellungen den gewiß vielschichtigen und oft widerspruchsvollen Verlauf des ´Dritten Reiches` jederzeit bestimmten”. 20 Bis zum heutigen Tag prägen die Auswirkungen des New Deal innenpolitische Diskussionen über die Macht des Federal Government, die Rolle des Individuums und der Bundesstaaten sowie die Freiheiten der Wirtschafts- und Geschäftswelt. Von vielen Seiten als mehr oder weniger effektives und als kurzfristiges Notstandsmaßnahmenpaket verschrien, den von der Great Depression heimgesuchten USA soziale und wirtschaftliche Linderung zu verschaffen, wurde der New Deal zu einem essentiellen Element der amerikanischen Gesellschaft und Politik. Vgl. COHEN, Adam: Nothing to Fear. FDR’s Inner Circle and the Hundred Days that Created Modern America. New York 2009. S. 318. 21 Vgl. zu dieser Debatte u.a. SCHRÖDER, Hans-Jürgen: Deutschland und die Vereinigten Staaten 1933-1939. Wirtschaft und Politik in der Entwicklung des Deutsch-Amerikanischen Gegensatzes. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Band 59. Wiesbaden 1970. S. 67. Schröder erklärt, dass man von einem Primat der Innenpolitik sprechen kann, da diese die internationalistische Außenpolitik wesentlich prägte. Vgl. auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 529-538 sowie LÜBKEN, Uwe: Bedrohliche Nähe. Die USA und die nationalsozialistische Herausforderung in Lateinamerika, 1937-1945. Transatlantische Historische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 26f. Lübken dagegen

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Roosevelt in der Gestaltung der US-Außenpolitik wie schon in seiner Zeit als Woodrow Wilsons Assistant Secretary of the progressiv- internationalistische Beweggründe antrieben.22 Dabei überließ er außen- politische Entscheidungen und Entwicklungen niemals freiwillig ihrer Eigendynamik und nur vordergründig anderen Akteuren, denn wer auch immer an einer Außenpolitikformulierung zu arbeiten schien, Roosevelt schmiedete stets alleine oder mit seinen loyalsten Beratern parallel zu diesen Bemühungen Pläne, zog die Fäden im Hintergrund und kalkulierte bei seinen Entscheidungen jeweils aktuelle innenpolitische Aktionen und Gegebenheiten ein. Dieser Umstand lässt damals wie heute die

______meint, die Lateinamerikapolitik Roosevelts zeige, dass ihn nicht nur die Sorge um die Sicherheit des südlichen Kontinents als Handelspartner, sondern auch die weitere ideologische Durchdringung antrieb, über dieses Einfallstor der amerikanischen Bevölkerung eine aktive Außenpolitik nahezubringen. Dass es Roosevelt in seiner Latein- amerikapolitik nicht lediglich um innenpolitische Vorteile eine weiteren Markt- erschließung ging, siehe GELLMAN, Irwin F.: Good Neighbor Diplomacy. United States Policies in Latin America. 1933-45. Baltimore, MD, u.a. 1979. U.a. S. 17f. Vgl. auch Roosevelts Amtsantrittsrede vom 4. März 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 1. S. 11-16. Vgl. außerdem auch hier für den Fall Roosevelt abzulehnende Thesen Wehlers zum Sozialimperialismus, laut welchen imperialistische Politik vor allem aufgrund innenpolitischen Druckes entstünde, WEHLER: Sozialimperialismus. S. 83-96. 22 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 72-84. Vgl. hierzu auch die frühe internationalistische Prägung Roosevelts durch die Europa-Reisen seiner Kindheit, durch seinen Vetter sowie seine eigenen Erfahrungen als Marinestaats- sekretär während des 1. Weltkrieges in HARPER: American Visions. S. 7-47. Vgl. Ebenda. S. 49. Harper zählt vier Komponenten der Vorstellungswelt Roosevelts für seine Europapolitik auf, die er zumindest tendenziell stets in seine Außenpolitik integrierte: „Hullian [i.e. Secretary of State Cordell Hull´s type of free trade] liberalism, protocontainment, Europhobic hemispherism, and finally activism of a Progressive Republican stamp”. Mit republikanischem Progressivismus in der Außenpolitik meint Harper die progressive-imperialistische Außenpolitik, die vor allem von den Republi- kanern William McKinley, Theodore Roosevelt und Howard Taft betrieben wurde und eine aktive machtpolitische Rolle der USA in der Welt verfolgte. Dies bestätigt auch Schröder in SCHRÖDER, Hans-Jürgen: Das Dritte Reich, die USA und Lateinamerika 1933-1941. In: FUNKE, Manfred (Hrsg.): Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches. Durchgesehener, um ein Register erweiterter Nachdruck des erstmals 1976 in den „Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte“ Band 12 erschienenen Werkes. Düsseldorf 1978. S. 352. Das liberal-internationalistische „Hullsche Außenwirtschaftsprogramm [war] nicht nur ein essentieller Bestandteil der Rooseveltschen Krisentherapie, sondern zugleich ein wichtiges Instrument der Washingtoner Außenpolitik vor dem Kriegsausbruch”.

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Außenpolitik der Roosevelt-Administration an mancher Stelle wider- sprüchlich oder willkürlich erscheinen.23 Roosevelts Außenpolitik war dennoch keineswegs willkürlich. Die folgen- den Kapitel werden zeigen, dass der demokratische Chef der Exekutive sehr selten handelte oder entschied, ohne ein genaues, wenn auch für viele seiner Mitstreiter nicht erkennbares Ziel vor Augen zu haben. Auch seine Entscheidung, den progressiv-liberalen Historiker William Edward Dodd in die für die Weltereignisse der damaligen Zeit vermutlich bedeutsamste Hauptstadt Europas, nach Berlin unter nationalsozialis- tischer Herrschaft, zu senden, legt das Kalkül des Präsidenten nahe, einen durchweg liberal gesinnten, überzeugten Demokraten als Beobachter eines ihm unbekannten Regimes einzusetzen, von dem er sich eine akkurate Lageanalyse verhoffte. Diese Wahl des Präsidenten regt zur weiteren Analyse seiner Einstellung zu William Dodd und dessen poli- tischer Gesinnung an, da Dodds intellektuelle Nähe zu den politischen Ideen der US-Präsidenten Woodrow Wilson und Thomas Jefferson diesem früh in seiner Karriere den Titel eines „Jeffersonian“ und „Wilsonian“ verliehen hatte, also eines Anhängers einer liberalen Bewegung für ein moralisch vorbildliches, freiheitliches und pluralistisches US- amerikanisches Politik- und Gesellschaftssystem mit weltweiter Strahl- kraft, das dem Tugendkatalog des protestantisch-demokratischen Werte- verständnisses der Gründerväter entsprach und ein internationales Engagement der USA nicht ausschloss. 24 Im Widerspruch zu dieser politisch interpretierbaren Ernennung Dodds zum Botschafter in Berlin erscheint bis heute Roosevelts Jonglieren25 politischer Maßnahmen und

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23 Vgl. auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. vii f. Dallek spricht von dem Gefühl, in ein Kaleidoskop zu blicken, wenn man sich mit Franklin Roosevelt und seinen Überzeugungen, Entscheidungen und Handlungen beschäftigt. Vgl. auch HARVISON HOOKER, Nancy (Hrsg.): The Moffat Papers. Selections from the Diplomatic Journals of Jay Pierrepont Moffat, 1919-1943. With a Foreword by Sumner Welles. Cambridge, MA, 1956. S. 94f. Der Beamte im State Department Pierrepont Moffat beschwerte sich zusammen mit Under Secretary of State William Phillips bitterlich über Roosevelts geheime Steuerung der Außenpolitik sowie seine unklaren Anweisungen an sämtliche Diplomaten und Delegationen. 24 Vgl. hierzu die näheren Ausführungen zu Wilsons und Jeffersons politischer Philosophie und ihrem Einfluss auf Dodds Denk- und Handlungsweise in Kapitel 2.2 und 2.3. 25 Dieser Ausdruck lehnt sich an Kimballs Buch an, der die Bezeichnung Roosevelts als „Jongleur“ treffend geprägt hat. Vgl. KIMBALL, Warren F.: The Juggler. Franklin Roosevelt as Wartime Statesman. Princeton, NJ, 1991.

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Entscheidungen, da sein eigenständiges Handeln viele Jahre lang eine der zentralen Fragen der 1930er Jahre unbeantwortet ließ, die vor allem die damaligen europäischen Zeitgenossen bewegte: Würden die USA jemals wieder in einen europäischen Konflikt eingreifen?26 „Diese Frage wurde zu einem entscheidenden Antriebs- und Destabilisierungsfaktor der europäischen Politik zwischen 1933 und 1939”.27 Die Antwort auf diese Frage sollte zunehmend zur Belastungsprobe für William Edward Dodd und sein Wirken als US-amerikanischer Bot- schafter im nationalsozialistischen Deutschland28 werden. Der progressive Südstaatler29 aus North Carolina, der die vergangenen zwanzig Jahre als Geschichtsprofessor und als politischer Anhänger der Demokratischen Partei verbracht hatte, war kein erfahrener Karrierediplomat, als er nach Berlin entsandt wurde. Vielmehr hatte sein Ruf als außerordentlich überzeugter Demokrat dank der Unterstützung durch politische Freunde aus dem ehemaligen Beraterkreis Woodrow Wilsons und der Franklin Roosevelt-Administration William Dodd 1933 zur Berufung in das Amt

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26 Vgl. SIROIS, Herbert: Zwischen Illusion und Krieg: Deutschland und die USA 1933-1941. Paderborn u.a. 2000. S. 68. 27 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 68. 28 In der vorliegenden Arbeit wird die Forschungsliteratur zum Nationalsozialismus und dem „Dritten Reich“ immer dann diskutiert werden, wenn dieser spezielle Aspekt für die Argumentation relevant ist. Insgesamt empfehlen sich hierfür die bekanntesten Werke zum Nationalsozialismus, wie zum Beispiel BRACHER: Die totalitäre Erfahrung; BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans-Adolf (Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993; BROSZAT, Martin: Der Nationalsozialismus. Welt- anschauung, Programm und Wirklichkeit. Stuttgart 1960; FEST, Joachim C.: Hitler. Eine Biographie. Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1979; FREI, Norbert: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945. 6., erweiterte und aktualisierte Neuauflage. München 2001; FRAENKEL, Ernst: Der Doppelstaat. Frankfurt am Main, Köln 1974; HILDEBRAND: Das Dritte Reich; KERSHAW: Der NS-Staat; KERSHAW, Ian: Hitlers Macht. Das Profil der NS-Herrschaft. München 1992 und unzählige weitere Studien, die im Fußnotenapparat je nach Schwerpunkt Erwähnung finden werden. 29 William Edward Dodd stammte aus den amerikanischen Südstaaten post-bellum, also der unmittelbaren Zeit nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Die Bezeichnung „Südstaatler“ bezieht sich für ihn in dieser Arbeit sowohl auf seine Herkunft, also auch auf seine intellektuellen Wurzeln als renommierter Historiker der Südstaatengeschichte und als Politiker und Meinungsbilder in den Südstaaten der amerikanischen Ostküste während der Zeit der Reformen, von der Reconstruction über die Progressive Era bis hin zum New Deal. Vgl. hierzu ausführlich die Darstellung in Kapitel 2.

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verholfen. Im bisherigen Forschungsstand wird seine Rolle für die deutsch-amerikanischen Beziehungen und die amerikanische Deutsch- landpolitik als begrenzt erachtet. Bis dato haben sich zwei US- amerikanische Historiker intensiv mit der Biographie William Edward Dodds auseinandergesetzt. Robert Dallek 30 verfasste Ende der 1960er Jahre eine umfassende Studie, die sich zu einem Drittel William Dodds Amtszeit als Botschafter widmet. Aufgrund Dodds ländlicher Herkunft und politisch-kultureller Prägung als Demokrat, der die politische Philo- sophie des Präsidenten Thomas Jefferson aus dem 18. Jahrhundert vertrat, wirft der renommierte Historiker dem Südstaatler Dodd vor, wegen seiner angeblich teils antiquierten Überzeugungen erhebliche Probleme mit der Beantwortung der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts entwickelt zu haben. Dennoch lenkt er ein in der Frage, ob Dodd als Botschafter gescheitert sei: Der Geschichtsprofessor trüge zu Unrecht dieses Stigma und seine Erlebnisse in Berlin offenbarten, wie und ob überhaupt effektive Diplomatie im nationalsozialistischen Deutschland möglich gewesen sei.31 Trotz seines intensiven Quellenstudiums und der Ausein- andersetzung mit der Persönlichkeit Dodds kann Dalleks Biographie in Bezug auf die Bedeutung des Botschafters und Intellektuellen nur als lückenhaft gelten. Dallek befasste sich in seiner Analyse nicht mit den Quellenbeständen aus deutschen Archiven, die Aufschluss über die Reaktion der Nationalsozialisten und der Beamten des Auswärtigen Amtes auf Dodds Amtszeit und Wirken sowie die Umstände um seine Abberufung geben. Damit bleibt Dalleks Analyse unvollständig und stellte offensichtlich auch nicht Martha Dodd, William Edward Dodds Tochter, und Dodds ehemalige Freunde wie William L. Shirer zufrieden, die sich beide in einem Briefwechsel beklagten, Dallek habe zu intensiv Dodds Depeschen an das State Department studiert, ohne den Überblick über seine weiteren Korrespondenzen, Kontakte und Erlebnisse zu bewahren.32

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30 Vgl. DALLEK, Robert: Democrat and Diplomat. The Life of William E. Dodd. New York 1968. 31 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. vii ff. Preface. Vgl. auch Dalleks Aufsatz zu Dodd und US-Generalkonsul George S. Messersmith, in dem er zu den gleichen Schlüssen kommt: DALLEK, Robert: Beyond Tradition. The Diplomatic Careers of William E. Dodd and George S. Messersmith, 1933-1938. In: South Atlantic Quarterly 66 (1967). S. 233-244. 32 Vgl. Martha Dodd an William L. Shirer, 7. Mai 1969. In: Martha E. Dodd Papers. Library of Congress Manuscript Reading Room Madison Building (im Folgenden zitiert als „LC“). Mappe „Martha E. Dodd Box 13, Mappe 22, Writings, Research materials, Winogradov,

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Ähnlich verhält es sich mit Fred Baileys33 Biographie über William Edward Dodd als Südstaatenintellektuellen. Weder stellt Bailey die Verbindung zwischen Dodds Zeit als Botschafter und den diffizilen innenpolitischen Entwicklungen der 1930er Jahre in Amerika her, an denen Dodd direkt teilhatte, noch verwendet der Historiker deutsche Quellenbestände und lässt so die genauen Hintergründe um Dodds Rückberufung nach Washington unbeantwortet. Des Weiteren vernachlässigt Bailey William Dodds Beziehungen zu Roosevelt und den progressiven Politikern seiner Administration und klammert sein Verhältnis zu den Beamten des Aus- wärtigen Amtes und anderen Vertretern des Diplomatischen Korps in Berlin aus. In Betonung seiner intellektuellen und sozialen Prägung durch den tiefen inneren Konflikt der Südstaaten über die Zeit der Reconstruction hinaus verlegt Bailey den Schwerpunkt seiner Analyse auf Dodds politisch-intellektuelle Vorstellungen und seine akademischen Leistungen – nur knapp 60 Seiten sind überhaupt seiner Zeit als Botschafter gewidmet. Er pauschalisiert und kategorisiert Dodds Vor- stellungswelt, indem er ihm vorwirft, sein im Südstaatenkonflikt geprägtes Klassendenken und seine anachronistische Abneigung gegen die jeweils herrschende Elite gleichsam auf amerikanische Plantagen- besitzer, preußische Junker, kapitalistische Großindustrielle und die Nationalsozialisten angewandt zu haben. 34 Diese Annahmen werden der fortlaufenden Veränderung William Dodds und seines Deutschland- bildes sowie seinen Rollen in Berlin und Washington kaum gerecht.

______Boris, 1957, 1969-71”. „P.S. Did you see the full length biography published last fall of my father by Robert Dallek (Oxford Univ. Press)? It’s one the whole a decent job, though a little absurd in places”. Vgl. die Antwort in William L. Shirer an Martha Dodd, 27. Mai 1969. In: Ebenda. „It [Dallek´s book] was pretty good but should have been better. The man got a little buried in the dispatches, I thought”. Vgl. Marthas Aufforderung an Shirer: Martha Dodd an William L. Shirer, 10. Juni 1969. In: Ebenda. „The Dallek book on Dodd was better than nothing. […] Why don’t YOU do something on my father, a short book, taking not much of your time?!” 33 Vgl. BAILEY, Fred Arthur: William Edward Dodd. The South’s Yeoman Scholar. Charlottesville, VA, London 1997. Vgl. auch Baileys Aufsätze über Dodd, die sich mit seiner Argumentation in der Biographie überschneiden: BAILEY, Fred Arthur: William Edward Dodd: The South’s Yeoman Historian. In: North Carolina Historical Review 66 (1989). S. 301-320 und BAILEY, Fred Arthur: A Virginia Scholar in Chancellor Hitler’s Court. The Tragic Ambassadorship of William Edward Dodd. In: Virginia Magazine of History and Biography. 100,3, The Home Front and Beyond: Virginians in the World War 2 Era (1992). S. 323-342. 34 Vgl. v.a. Baileys Vorwort in BAILEY: Yeoman Scholar. S. ix-xi.

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Eine besondere Auseinandersetzung mit William E. Dodd und seiner Tochter Martha als Hauptprotagonisten strebte der Journalist Erik Larson 2011 mit seinem Buch „In the Garden of Beasts“ an. Wenn auch kein Roman – Larson bezeichnet sein Werk als „nonfiction“35 und arbeitet ebenso mit amerikanischen Archivquellen – bleibt seine Darstellung eine romanhafte Erzählung aus Dodds, aber vor allem der Perspektive seiner Tochter, die die deutsche Gesellschaft der 1930er Jahre in all ihren Facetten kennenlernte. Larsons Hang zu „sensationellen“ Geschichten rund um Martha und ihre Liebschaften, sein Vermeiden einer Einordnung politischer Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland und den USA sowie das Fehlen deutscher Quellenbestände und die ausbleibende Analyse der Rollen Dodds und seiner Berichterstattung verleihen diesem Werk einen hohen populärwissenschaftlichen Unterhaltungswert, bieten aber kaum Zugang zu wissenschaftlicher Erkenntnis über den Intellektuellen und den Repräsentanten William Edward Dodd und seine Bedeutung für die US-amerikanische Deutschlandpolitik. Zudem fehlt in Larsons Buch eine Darstellung der bedeutungsvollen Jahre 1935 und 1936 sowie der genauen Umstände seiner Rückberufung und Dodds spätere Aktivitäten 1937/1938. Für Wendell Stephenson 36 gilt William Edward Dodd als einer der herausragendsten Historiker zur Geschichte der amerikanischen Südstaaten. Er beschäftigt sich in seiner Monographie in einem Kapitel zu Dodd folglich weniger mit seiner Zeit als Botschafter in Berlin als vielmehr mit Dodds intellektueller Einordnung als Südstaatenhistoriker. Dabei gesteht er dem progressiven Wilsonian zu, in der Tiefe seiner Persönlichkeit tatsächlich an die Ideale der Demokratie geglaubt und daran festgehalten zu haben, was ihn zum idealen Repräsentanten einer amerikanischen Mittelklasse gemacht habe.37 Franklin Ford bespricht in seinem Aufsatz zu den Botschaftern Sir Horace Rumbold, William Edward Dodd und André François-Poncet die Rolle Dodds als Botschafter in Berlin auch durch Hinzuziehen der Akten zur deutschen Auswärtigen

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35 LARSON, Erik: In the Garden of Beasts. Love, Terror, and an American Family in Hitler´s Berlin. New York 2011. S. xiv. 36 Vgl. STEPHENSON, Wendell H.: The South Lives in History. Southern Historians and Their Legacy. Reprint. New York 1969. S. 28-57. 37 Vgl. STEPHENSON: South Lives in History. S. 55f.

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Politik (ADAP). 38 Seine Darstellung bleibt aber auf wenige Seiten begrenzt. Ford sieht trotz seiner Sympathie für die Menschlichkeit und Aufrichtigkeit des Südstaatenhistorikers vor allem ein Versagen Dodds in Berlin. Von diesem Scheitern sei Dodd in Ermangelung eines Einflusses auf die innerdeutschen Entwicklungen selbst überzeugt gewesen. Für Ford scheiterte der Professor als Botschafter vor allem an sich selbst und seiner Einstellung: Er habe sich direkt zurückgezogen, sobald er bemerkte, dass er keinen direkten Einfluss ausüben konnte, und sich danach vor allem auf Informationsquellen verlassen, die ihm keinen Aufschluss über den Umfang des Einflusses der Nationalsozialisten und ihre Ziele boten. Dies habe sich auf die Qualität seiner Depeschen ausgewirkt. 39 Ford geht sogar so weit zu behaupten, Dodd habe historische Zusammenhänge Deutschlands nicht wirklich gekannt und deshalb die Besonderheit des Nationalsozialismus verkannt. Seine Begeisterung für Jeffersons politische Philosophie habe ihn dazu verleitet, hinter den Deutschen immer noch die Kulturnation zu erkennen, die er Jahre zuvor im wilhelminischen Kaiserreich erlebt hatte. Wie Bailey beschreibt Ford den Botschafter als nostalgischen Intellektuellen, der in seiner Faszination für eine Agrargesellschaft die Herausforderungen der Moderne ignorierte.40 Arnold Offner41 erklärt in seinem Aufsatz über die Zeit Dodds als Botschafter, dieser habe vor allem mit den Diplomaten des Auswärtigen Amtes verhandelt, weil diese traditionell die Vertreter der deutschen Außenpolitik seien und dies der einzig sinnvolle Weg gewesen sei, um die deutsch-amerikanischen Beziehungen aufrechtzuerhalten.42 Dodd sei über seine Abberufung erleichtert gewesen, als gebrochener Mann 1938 in die USA zurückgekehrt und danach nur einige wenige Male öffentlich aufgetreten.43 Dieser Meinung eines Scheiterns des Botschafters schließen sich mehrere Forscher an, die sich mit William Dodd nur am Rande ihrer Studien zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen oder

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38 Da sein Aufsatz 1953 erschien, konnte Ford nur auf die wenigen ADAP-Bände, die bis zu jenem Jahr erschienen waren, zurückgreifen. 39 Vgl. zu allen genannten Punkten FORD, Franklin L.: Three Observers in Berlin: Rumbold, Dodd, and François-Poncet. In: CRAIG, Gordon A./ GILBERT, Felix (Hgg.): The Diplomats 1919-1939. Princeton, NJ, 1953. S. 458. 40 Vgl. zu allen genannten Punkten FORD: Three Observers. S. 459f. 41 Vgl. OFFNER, Arnold A.: W.E. Dodd. Romantic Historian and Diplomatic Cassandra. In: Historian 24,4 (1962). S. 451-469. 42 Vgl. OFFNER: Romantic Historian. S. 457. 43 Vgl. OFFNER: Romantic Historian. S. 467f.

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dem „Dritten Reich“ beschäftigen. Herbert Sirois unterstellt William Dodd in seiner Dissertation einen „eklatante[n] Mangel an diplo- matischem Fingerspitzengefühl“ 44 und bezweifelt, ob der Historiker jemals das Ausmaß der nationalsozialistischen Diktatur verstanden habe.45 Dodd habe zwar im Umgang mit den Nationalsozialisten und ihrer Herrschaft richtig gehandelt, indem er das Regime kritisiert habe, dennoch aber gegen den „diplomatische[n] Ehrenkodex“ 46 verstoßen, meint Sylvia Taschka in ihrer Biographie zum deutschen Diplomaten Hans Heinrich Dieckhoff. Weiterhin habe Franklin Roosevelt William Dodd bewusst in dieser Schlüsselposition in Deutschland eingesetzt, weil dieser die liberalen Werte der Demokratie verteidigen und sich von der nationalsozialistischen Propaganda nicht blenden lassen würde.47 Lediglich Steven Casey erwähnt William Dodds direkten Einfluss auf Präsident Roosevelts Deutschlandbild.48 Dabei stellt es offensichtlich ein Desiderat der Forschung dar, die Bedeutung des amerikanischen Botschafters sowohl als progressiver Reformer als auch während seiner Amtszeit in Berlin zu betrachten – und damit nicht losgelöst von den inneren Entwicklungen in Amerika und in Deutschland. Bei der Interpretation der Quellen muss der vorliegende Stand der Forschungsdebatte zu den deutsch-amerikanischen Bezie- hungen und zu den Entwicklungen der amerikanischen Innen- und Außenpolitik49 reflektiert werden, um eine Neubewertung der Rolle und

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44 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 47. 45 Vgl. Ebenda. 46 TASCHKA, Sylvia: Diplomat ohne Eigenschaften? Die Karriere des Hans Heinrich Dieckhoff (1884 – 1952). Transatlantische Historische Studien, Band 25. Stuttgart 2006. S. 164. 47 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 166. 48 Vgl. CASEY, Steven: Cautious Crusade. Franklin D. Roosevelt, American Public Opinion, And the War against Nazi Germany. New York 2001. S. 94. 49 Vgl. aber schon hier die relevanten Monographien zur US-amerikanischen Außenpolitik der 1930er Jahre – alle Titel werden in den folgenden Kapiteln anhand der jeweiligen Forschungsaspekte genauer vorgestellt – als Auswahlbibliographie: ADLER, Selig: The Uncertain Giant 1921-1941. American Foreign Policy between the Wars. New York, London 1965; BEARD, Charles A.: American Foreign Policy in the Making, 1932-1940. A Study in Responsibilities. Press Reprint 1968; OFFNER, Arnold A.: The Origins of the Second World War. American Foreign Policy and World Politics, 1917-1941. New York 1975; DALLEK: Franklin D. Roosevelt; BAILEY, Thomas A.: A Diplomatic History of the American People. 10. Auflage. Englewood Cliffs, NJ, 1980; IRIYE, Akira: The Globalizing of America, 1913-1945. The Cambridge History of American Foreign Relations, Volume III.

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des Einflusses William Dodds vornehmen zu können. Diese Punkte werden aufgrund der unzähligen Studien zu diversen Aspekten der US- Politik der 1930er Jahre im Laufe der vorliegenden Arbeit im Einzelnen aufgegriffen. Dies ermöglicht die direkte und detaillierte Gegenüber- stellung der Forschermeinungen zur Neutralitätsgesetzgebung, zum New Deal, zur Rolle der öffentlichen Meinung und der Presse, zur Rolle Präsident Roosevelts und seines Kabinetts sowie des State Departments und den verschiedenen außenpolitischen Ideen im US- System, der Außenpolitik Deutschlands unter nationalsozialistischer Herrschaft und den deutsch-amerikanischen Beziehungen 50 mit den

______Cambridge, MA, 1993; LaFEBER, Walter: The American Age. U.S. Foreign Policy At Home and Abroad. Band 2. Since 1896. New York, London 1994; HANNIGAN, Robert E.: The New World Power. American Foreign Policy, 1898-1917. 2002; SCHMITZ, David F.: The Triumph of Internationalism. Franklin D. Roosevelt and a World in Crisis, 1933-1941. Washington, DC, 2007; HERRING, George C.: From Colony to Superpower. U.S. Foreign Relations since 1776. Oxford u.a. 2008; SCHWABE, Klaus: Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur Gegenwart. Eine Jahrhundertgeschichte. 3., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Paderborn u.a. 2011. Vgl. zur besonderen Frage des Isolationismus im Wettstreit mit internationalistischen Außenpolitiktendenzen neben den Ausführungen in Kapitel 2 auch APPLEMAN WILLIAMS, William: The Legend of Isolationism in the 1920s. In: Science and Society, 18,1 (1954). S. 1-20; ADLER, Selig: The Isolationist Impulse. Its Twentieth Century Reaction. London u.a. 1957; DeCONDE, Alexander/ ALLEN, William R. (Hgg.): Isolation and Security. Ideas and Interests in Twentieth Century American Foreign Policy. Durham, NC u.a. 1957; DIVINE, Robert A.: The Illusion of Neutrality. Chicago, IL, 1962; LANGER, William L./ GLEASON, S. Everett: The Challenge to Isolation. The World Crisis of 1937-1940 and American Foreign Policy. Volume I. New York u.a. 1964; JONAS, Manfred: Isolationism in America, 1935-1941. Ithaca, NY, 1966; WILTZ, John: From Isolation to War, 1931-1941. London 1969; SCHWABE, Klaus: Der Amerikanische Isolationismus im 20. Jahrhundert. Legende und Wirklichkeit. Frankfurter Historische Vorträge, Heft 1. Wiesbaden 1975; COLE: Isolationists; POWASKI, Ronald E.: Toward an Entangling Alliance. American, Isolationism, Internationalism, and Europe, 1901-1950. New York u.a. 1991. 50 Vgl. hierzu besonders als Auswahlbibliographie die folgenden Monographien: SIROIS: Illusion und Krieg, mit einer Gesamtdarstellung der deutsch-amerikanischen Beziehungen inklusive tiefgehender Analysen zum Amerikabild Hitlers, den „Weltherrschaftsplänen“ Hitlers sowie Roosevelts Deutschlandbildern. Vgl. besonders auch die jüngste Mono- graphie von Timothy Snyder: SNYDER, Timothy: Black Earth: The Holocaust as History and Warning. London 2015 zu Hitlers Vorstellungen von der globalen Vernichtung aller Juden, um eine neue Weltordnung zu begründen. Vgl. außerdem FRIEDLÄNDER, Saul: Prelude to Downfall. Hitler and the United States, 1939-1941. New York 1967. S. 15-30 zur deutschen Einschätzung Amerikas vor allem im Jahr 1939 sowie den Konfliktlinien in Südamerika. Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler, und GASSERT: Amerika im Dritten Reich, zu Hitlers Amerikabild. Vgl. zu Deutschlandbildern in den USA REUTHER,

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eigenen Forschungsergebnissen. Die vorliegende Arbeit geht – wie bereits erwähnt – davon aus, dass das „Dritte Reich“ und die Beziehungen der USA zu der totalitären Diktatur eine Schlüsselrolle für den Wandel der amerikanischen Weltpolitik einnahmen. Einen besonderen Schwerpunkt bezüglich der deutschen Außenpolitik, der in der Fragestellung eine eigene Ebene darstellt, bildet aufgrund William Dodds direkten Ver- handlungen mit den Diplomaten jener Behörde die Rolle des Auswärtigen Amtes bei der Außenpolitikformulierung des „Dritten Reiches”. Hierfür

______Thomas: Die ambivalente Normalisierung. Deutschlanddiskurs und Deutschlandbilder in den USA, 1941-1955. Transatlantische Historische Studien, Band 11. Stuttgart 2000. Vgl. zu den konkurrierenden wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands und der USA die relevanten Werke von SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten sowie JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt und JUNKER, Detlef: Kampf um die Weltmacht. Die USA und das Dritte Reich 1933-1945. Historisches Seminar Band 11. Düsseldorf 1988. [Anm. d. A.: Darstellender Teil S. 13-50 und Thesen der Forschung S. 165-172]. Vgl. aus der amerikanischsprachigen Forschungsliteratur unbedingt JONAS: The United States and Germany; COMPTON, James V.: Hitler und die USA. Die Amerikapolitik des Dritten Reiches und die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges. Oldenburg, Hamburg 1968. Compton erkennt kein konkretes Amerikabild Hitlers mit Relevanz für sein außenpolitisches Programm. Vgl. dagegen HILLGRUBER, Andreas: Der Faktor Amerika in Hitlers Strategie 1938-1941. In: MICHALKA, Wolfgang (Hrsg.): Nationalsozialistische Außenpolitik. Wege der Forschung, Band 297. Darmstadt 1978. S. 493-525 und HILDEBRAND, Klaus: Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919-1945. München 1969. Vgl. für die bedeutsame Frage der Rolle der Lateinamerikapolitik in den deutsch-amerika- nischen Beziehungen FRYE, Alton: Nazi Germany and the American Hemisphere 1933-1941. New Haven, CT, London 1967 und besonders auch das neuere Werk LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. Während Frye nach der tatsächlichen Bedrohung der westlichen Hemisphäre durch eine nationalsozialistische Durchdringung Lateinamerikas fragt, befasst sich Lübken mit der Bedrohungsperzeption in den USA und der Entwicklung des Hemisphere Defense-Konzeptes. Für Lübken war dieses lediglich ein Mittel Roosevelts für die Vorbereitung der Verteidigung der europäischen Westmächte (S. 279) und hing weniger mit einer realen Bedrohung der eigenen Hemisphäre zusammen. Zu einem ähnlichen Schluss kommt Gellman, der in Roosevelts Lateinamerikapolitik die einzige Möglichkeit für den Präsidenten erkennt, über isolationistische Vorbehalte hinweg ein späteres Vorgehen gegen Deutschland vorzubereiten. Vgl. GELLMAN: Good Neighbor Diplomacy. Vgl. hierzu auch HÖNICKE, Michaela: Das nationalsozialistische Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika (1933-1945). In: LARRES, Klaus/ OPPELLAND, Torsten (Hgg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert. Geschichte der politischen Beziehungen. Darmstadt 1997. S. 62-94. Werke der revisionistischen Geschichtsschreibung wie die von Bavendamm (BAVENDAMM, Dirk: Roosevelts Weg zum Krieg 1937-45 und das Rätsel von Pearl Harbor. München, Berlin 1993) oder von Tansill (TANSILL, Charles C.: Die Hintertür zum Krieg. Das Drama der internationalen Diplomatie von Versailles bis Pearl Harbor. Düsseldorf 1956) erscheinen für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess dieser Arbeit zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen weniger geeignet.

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relevant sind zahlreiche Monographien und Aufsätze, insbesondere die neuesten Erkenntnisse der Historikerkommission51 zur Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes im nationalsozialistischen Deutsch- land, die zu einer erneuten Forschungsdebatte 52 über die Rolle der Beamten und ihrer Beteiligung an Diskriminierung und Terror sowie der Vorbereitung und Durchführung des Vernichtungskrieges, aber auch

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51 Vgl. hierzu die Ergebnisse der Historikerkommission von 2010 in CONZE, Eckart/ FREI, Norbert/ HAYES, Peter/ ZIMMERMANN, Moshe: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München 2010. Vgl. auch die Zusammenfassung und Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnissen bei MAYER, Michael: Akteure, Verbrechen und Kontinuitäten. Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Eine Binnendifferenzierung. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59, 4 (2011). S. 509-532. Mayer stellt auf S. 509 in Ergänzung zu den Ergebnissen fest, dass alle seine Aussagen „vor dem Hintergrund der Tatsache verstanden werden, dass die alten Eliten zu jedem Zeitpunkt von den Verbrechen an den Juden wussten und an der Umsetzung des Holocaust beteiligt waren und so gut wie nichts dagegen taten”. Für Mayer bezieht sich dieser Kenntnisstand der Beamten auch auf die Arbeit der Sonderreferate des Auswärtigen Amtes. 52 Vgl. hierzu die umfassende Antwort auf die Ergebnisse bei SABROW, Martin/ MENTEL, Christian (Hgg.): Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte. Frankfurt am Main 2014. Insbesondere vgl. die Einleitung: MENTEL, Christian/ SABROW, Martin: Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit (= Einleitung). In: SABROW, Martin/ MENTEL, Christian (Hgg.): Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte. Frankfurt am Main 2014. S. 9-46. Die Kommission habe herausgestellt, dass die Diplomaten des Amtes während der nationalsozialistischen Diktatur Mitwisser und Mittäter waren, auch wenn das Auswärtige Amt in späteren Jahrzehnten diese Vergangenheit „ausgeblendet und umgedeutet, histo- rische Belastungen relativiert und minimiert habe” (S. 11). Dabei sei die Debatte in Reaktion auf die Kommissionsresultate, so Mentel und Sabrow, derart eskaliert, dass sie weit über die Bedeutung des Auswärtigen Amtes „in die Sphäre der politischen Kultur“ (S. 13) der Bundesrepublik Deutschland trug. Die erhitzten Gemüter zeigten, dass die Aufarbeitung der Mittäterschaft am Nationalsozialismus noch nicht beendet ist. Vgl. auch RECKER, Marie-Luise: Die Außenpolitik des Auswärtigen Amts. Ergebnisse, Probleme und Perspek- tiven der Forschung. In: HÜRTER, Johannes/ MAYER, Michael (Hgg.): Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 109. Berlin, München, Boston, MA, 2014. S. 79-91. Recker erkennt einen Wendepunkt im Jahr 1937 von der klassischen Revisionspolitik zur Einstellung der Außenpolitik auf die Lebensraumeroberung (S. 81). Die Diplomaten seien dabei von Anfang an nicht abgeneigt gewesen, sich dem Antisemitismus der neuen Herrscher anzupassen (S. 87). Ein Desiderat der Forschung bleibe die Frage nach den außenpolitischen Verhandlungsstilen der deutschen Außenpolitik im „Dritten Reich”. Die vorliegende Arbeit dürfte bei der Analyse der Verhandlungen Dodds mit den deutschen Vertretern zumindest peripher dazu Aufschluss geben.

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weiteren Fragen bezüglich des Widerstandswillens53 in Deutschland in den Jahren der Diktatur geführt haben.54 Die vorliegende Arbeit geht von

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53 Vgl. hierfür eine knappe und aktuelle Aufarbeitung bei BENZ, Wolfgang: Der deutsche Widerstand gegen Hitler. München 2014, sowie die hervorragende Darstellung bei GELLATELY, Robert: Backing Hitler. Consent and Coercion in Nazi Germany. New York 2001. Vgl. auch ältere Monographien wie MEHRINGER, Hartmut/ RÖDER, Werner: Gegner, Widerstand, Emigration. In: BROSZAT, Martin/ FREI, Norbert (Hgg.): PLOETZ. Das Dritte Reich. Ursprünge, Ereignisse, Wirkungen. Herausgegeben in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte, München. Freiburg, Würzburg 1983. S. 173-184; PLUM, Günter: Widerstand und Resistenz. In: BROSZAT, Martin/ MÖLLER, Horst (Hgg.): Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Geschichte. Vorträge aus dem Institut für Zeit- geschichte. München 1983. S. 248-273; GRAML, Hermann: Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten. Frankfurt am Main 1984; SCHMÄDEKE, Jürgen/ STEINBACH, Peter (Hrsg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. 3. Auflage, Neuausgabe. München u.a. 1994; MÜLLER, Klaus-Jürgen: Nationalkonservative Eliten zwischen Kooperation und Widerstand. In: SCHMÄDEKE, Jürgen/ STEINBACH, Peter (Hgg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. München, Zürich 1994. S. 24-49. 54 Weiterhin relevant für die außenpolitischen Entscheidungsprozesse und die Rolle des Auswärtigen Amtes im „Dritten Reich“ sind ältere Werke wie die folgende Auswahl: SEABURY, Paul: Die Wilhelmstraße. Die Geschichte der deutschen Diplomatie 1930-1945. Frankfurt am Main 1956; JACOBSEN, Hans-Adolf: Nationalsozialistische Außenpolitik 1933-1945. Frankfurt am Main, Berlin 1968; WEINBERG, Gerhard L.: The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Bd. 1. Diplomatic Revolution in Europe 1933-1936. Bd. 2. Starting World War II 1937-1939. London und Chicago, IL, 1970 bzw. 1980; BRACHER, Karl Dietrich: Das Anfangsstadium der Hitlerschen Außenpolitik. In: MICHALKA, Wolfgang (Hrsg.): Nationalsozialistische Außenpolitik. Wege der Forschung, Band 297. Darmstadt 1978. S. 201-219; DÜLFFER, Jost: Zum „decision-making-process” in der deutschen Außenpolitik 1933-1939. In: FUNKE, Manfred (Hrsg.): Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches. Durchgesehener, um ein Register erweiterter Nachdruck des erstmals 1976 in den „Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte“ Band 12 erschienenen Werkes. Düsseldorf 1978. S. 186-204; JACOBSEN, Hans-Adolf: Zur Struktur der NS-Außenpolitik 1933-1945. In: FUNKE, Manfred (Hrsg.): Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches. Durchgesehener, um ein Register erweiterter Nachdruck des erstmals 1976 in den „Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte“ Band 12 erschienenen Werkes. Düsseldorf 1978. S. 137-185; HILDEBRAND, Klaus: Deutsche Außenpolitik 1933-1945. Kalkül oder Dogma? 4. Auflage mit einem Nachwort: Die Geschichte der deutschen Außenpolitik (1933-1945) im Urteil der neueren Forschung: Ergebnisse, Kontroversen, Perspektiven. Stuttgart u.a. 1980; GRAML, Hermann: Grundzüge nationalsozialistischer Außenpolitik. In: BROSZAT, Martin/ MÖLLER, Horst (Hgg.): Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Geschichte. Vorträge aus dem Institut für Zeitgeschichte. München 1983. S. 104-126; JACOBSEN, Hans-Adolf: Zur Rolle der Diplomatie im Dritten Reich. SCHWABE, Klaus (Hrsg.): Das Diplomatische Korps 1871-1945. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1982,

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der These aus, dass sich in der Zeit vor Beginn des Krieges die meisten Beamten und Diplomaten des Auswärtigen Amtes mit Ausnahme des deutschen Botschafters in Washington, Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron, aufgrund einer scheinbaren Interessensparallelität bezüglich ihrer außenpolitischen Revisionsziele mit denen der Nationalsozialisten und aufgrund ihrer Präferenz für demokratisch gering kontrollierte bis hin zu autokratisch geordnete Strukturen als Voraussetzung für eine aggressive Revisionspolitik freiwillig der neuen Ordnung der national- sozialistischen Führung unterworfen haben. Ihr Umgang mit William Edward Dodd – und anderen Vertretern der Westmächte – wird zeigen, dass ihr anfänglicher Kooperationswille zur Erfüllung dieser Ziele wegen des schrittweisen Bedeutungsverlustes ihrer Behörde rasch in einen unfreundlicheren Ton, teils verzweifelte Ablenkungsversuche und letzt- endlich eine aggressive Einstellung gegen demokratische Vertreter wie Dodd umschlug. Niemals jedoch war ihr Gebaren von offensichtlichen Gewissensbissen aufgrund der Teilhabe an den nationalsozialistischen Machenschaften geprägt55 – ein moralisch äußerst bedenkliches Verhal- ten, das Demokraten wie Dodd unbegreiflich blieb. ______Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, Band 16. Boppard am Rhein 1985. S. 171-199; GRAML, Hermann: Wer bestimmte die Außenpolitik des Dritten Reiches? Ein Beitrag zur Kontroverse um Polykratie und Monokratie. In: FUNKE, Manfred u.a. (Hgg.): Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa. Festschrift für Karl Dietrich Bracher. Düsseldorf 1987. S. 223-236; DÖSCHER, Hans-Jürgen: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der „Endlösung”. Berlin 1987; MICHALKA, Wolfgang: „Vom Motor zum Getriebe”. Das Auswärtige Amt und die Degradierung einer Behörde 1933-1945. In: MICHALKA, Wolfgang (Hrsg.): Der Zweite Weltkrieg. Analysen – Grundzüge – Forschungsbilanz. Im Auftrag des Militärgeschicht- lichen Forschungsamtes. München 1989. S. 249-259; BLOCH, Charles: Das Dritte Reich und die Welt. Die deutsche Außenpolitik 1933-1945. Paderborn u.a. 1993. 55 Vgl. zu einzelnen Diplomaten des Auswärtigen Amtes, deren Rolle im Laufe der vorliegenden Arbeit im Detail analysiert wird, unter anderem folgende Auswahlbiblio- graphie: BROSZAT, Martin/ SCHWABE, Klaus (Hgg.): Die Deutschen Eliten und der Weg in den Zweiten Weltkrieg. München 1989; KRÜGER, Peter/ HAHN, Erich J. C.: Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow im Frühjahr 1933. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 20 (1972). S. 376-410; PRITTWITZ UND GAFFRON, Friedrich Wilhelm von: Zwischen St. Petersburg und Washington. Ein Diplomatenleben. München 1952; MOLTMANN, Günter: Ein Botschafter tritt zurück. Friedrich von Prittwitz und Gaffron, Washington, 6. März 1933. In: FINZSCH, Norbert/ WELLENREUTHER, Hermann (Hgg.): Liberalitas. Festschrift für Erich Angermann zum 65. Geburtstag. Transatlantische Historische Studien, Band 1. Stuttgart 1992. S. 367-386; WALA, Michael: Weimar und Amerika. Botschafter Friedrich von Prittwitz und Gaffron und die deutsch- amerikanischen Beziehungen von 1927 bis 1933. Transatlantische Studien, Band 12.

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Die entscheidenden Anfangsjahre der deutsch-amerikanischen Beziehun- gen nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und dem Amtsantritt Roosevelts fielen mit der Amtszeit des US-Botschafters William Edward Dodd in Berlin zusammen. Besonderes Interesse weckt deshalb die Frage, wie progressive Vorstellungswelten der regierenden liberalen Elite Amerikas – repräsentiert durch den progressiven Wilsonian Dodd in Berlin – dem ideologischen Anspruch und den Handlungsweisen im System des Nationalsozialismus begegneten. Wie prägten die Deutschlanderfahrungen William Dodds zunächst in seiner Zeit als Student in Leipzig im wilhelminischen Kaiserreich und dann ab 1933 im nationalsozialistischen Deutschland sein Deutschlandbild? Inwieweit gab

______Stuttgart 2001; WALA, Michael: Republikaner ohne Republik. Friedrich von Prittwitz und Gaffron und der Widerstand der Botschafter. In: SCHULTE, Jan Erik/ WALA, Michael (Hgg.): Widerstand und Auswärtiges Amt. Diplomaten gegen Hitler. München 2013. S. 21-33; HEINEMAN, John L.: Hitler’s First Foreign Minister. Constantin Freiherr von Neurath, Diplomat and Statesman. Berkeley, CA, u.a. 1979; RABERG, Frank: Das Aushängeschild der Hitler-Regierung. Konstantin Freiherr von Neurath, Außenminister des Deutschen Reiches (1932-1938). In: KISSENER, Michael/ SCHOLTYSECK, Joachim (Hgg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg. Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Band 2. 2. Auflage. Konstanz 1999. S. 503-538; MAYER: Akteure, Verbrechen und Kontinuitäten. S. 509-532; LINDNER, Rolf: Freiherr Ernst Heinrich von Weizsäcker, Staatssekretär Ribbentrops von 1938 bis 1943. Inaugural-Dissertation an der Universität Bielefeld. Darmstadt 1997; LÜDICKE, Lars: Offizier und Diplomat. Ernst von Weizsäcker in Kaiserreich, Weimarer Republik und „Drittem Reich“. In: SCHULTE, Jan Erik/ WALA, Michael (Hgg.): Widerstand und Auswärtiges Amt. Diplomaten gegen Hitler. München 2013. S. 225-249; PÖPPMANN, Dirk: „Im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten”. Ernst von Weizsäckers Opposition aus Sicht der US-Anklage. In: SCHULTE, Jan Erik/ WALA, Michael (Hgg.): Widerstand und Auswärtiges Amt. Diplomaten gegen Hitler. München 2013. S. 251-268; SCHULTE, Jan Erik/ WALA, Michael: Gegen den Strom. Diplomaten gegen Hitler. In: SCHULTE, Jan Erik/ WALA, Michael (Hgg.): Widerstand und Auswärtiges Amt. Diplomaten gegen Hitler. München 2013. S. 7-10; LÜDICKE, Lars: Die Personalpolitik der Minister Neurath und Ribbentrop. In: HÜRTER, Johannes/ MAYER, Michael (Hgg.): Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 109. Berlin, München, Boston, MA, 2014. S. 37-57; SCHMIDT-KLÜGMANN, Annette: Bernhard Wilhelm von Bülow, Hans Heinrich Dieckhoff, Friedrich Gaus. Die Leitung des Aus- wärtigen Amts zwischen Kontinuität und Anpassung 1933-1936. In: HÜRTER, Johannes/ MAYER, Michael (Hgg.): Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 109. Berlin, München, Boston, MA, 2014. S. 111-129; JONAS, Manfred: Prophet without Honor. Hans Heinrich Dieckhoff’s Reports from Washington. In: Mid-America 47 (1965). S. 222-233; KIMBALL, Warren F.: Dieckhoff and America. A German’s View of German-American Relations, 1937-1941. In: Historian 27,2 (1965). S. 218-243; TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften.

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seine Perzeption den Ausschlag für die sich wandelnde amerikanische Wahrnehmung Deutschlands und der potentiellen Konsequenzen nationalsozialistischer Herrschaft und Expansion für die Zukunft Amerikas? War William Dodd als Botschafter und vor allem Vertreter seines Landes als mächtigster Demokratie der Welt wirklich gescheitert, weil er zum Jahresende 1937 plötzlich abberufen wurde? Als Reflektion auf diese Fragen gliedert sich die Fragestellung dieser Studie in drei Analyseebenen und eine abstrahierende Ebene, die eine Verknüpfung der Einzelbetrachtungen herstellt und diese im großen Zusammenhang interpretiert, um Rückschlüsse auf die Weiterentwick- lung der US-Außen- und Deutschlandpolitik zu ermöglichen: 1. Welche Rolle(n)56 nahm der US-amerikanische Botschafter William Edward Dodd 1933-1938 in Berlin ein und welches Bild von Deutschland entwickelte er auf Grundlage seiner unmittelbaren Deutschlanderfahrungen? Wie reagierte er auf Weisungen seitens der US-Administration sowie auf innerdeutsche Vorgänge und wie berichtete er nach Washington? 2. Auf welche Weise und warum reagierten die nationalsozialistische Führung, die traditionellen Eliten und der bürokratische außenpoli- tische Apparat in Deutschland auf Dodd? Welche Konsequenzen zog dies für ihn und das deutsch-amerikanische Verhältnis nach sich? 3. In welchem Verhältnis standen Präsident Roosevelt, Außenminister Cordell Hull und das State Department zu ihrem Botschafter in Berlin und inwieweit stimmten ihre außen- und deutschlandpolitischen Ansichten mit ihm sowie untereinander überein? Welche Tendenzen und Widersprüche wies die amerikanische Außenpolitik 1933 bis 1938 auf und welche Konsequenzen hatte dies für die Deutschlandpolitik besonders mit Hinblick auf William Dodds Dienst als Vertreter seines Landes? 4. Welche amerikanische Deutschlandpolitik ergab sich aus den viel- schichtigen Ebenen der gegenseitigen Beobachtung, des Einflusses ______

56 Der Rollenbegriff wird in dieser Analyse neben dem beruflich bedingten, Dodd zugeordneten Funktionszusammenhang als „Botschafter“ und Repräsentant seines Landes im Ausland auch als Identitätsbegriff verwendet: William Edward Dodd identifizierte sich selbst mit bestimmten Werten, Ideen und Meinungen, die ihn in seinen Rollen beziehungsweise seinen Identitäten als Verhandlungsführer, als Kritiker des national- sozialistischen Regimes und als Vordenker einer Erneuerung des amerikanischen Systems prägten und die er in diesen Rollen auslebte.

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diverser außen- und innenpolitischer Akteure und des Aufein- anderprallens von Wertvorstellungen? Kann man von einer politisch- ideologischen Transformation der USA bereits in den 1930er Jahren ausgehen, die ihre Vollendung mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg und noch konkreter mit der Umsetzung neuer Welt- ordnungsideen nach Ende des Krieges erfuhr und den Weg zur „Super-Macht“ ebnete? Hierbei stellt sich die Frage, wie William Dodds Bedeutung für die komplexe, kritische Phase Amerikas der 1930er Jahre in Bezug auf Deutschland als Kern der amerikanischen Europapolitik methodisch anhand der Quellen am schlüssigsten nachgezeichnet werden könnte, ohne eine Biographie im klassischen Sinne zu verfassen. Aus Dodds Lebenslauf ergeben sich Hinweise, warum seine umstrittene Person eine vielfältige Projektionsfläche seiner Zeit bot. Er bestimmte als Intellektueller aus der besonderen Blüte- und Entwicklungszeit der progressiv-liberalen US-amerikanischen Außen- wie Innenpolitik über Jahrzehnte hinweg die parteipolitische, kulturelle und wissenschaftlich- intellektuelle Debatte innerhalb der USA mit und war ein Gelehrter mit einer bestimmten, streitfähigen Weltsicht, als er in das Amt des Botschafters berufen wurde. Seinen entscheidenden Lebens- und Wir- kungsphasen vor seinem Antritt als diplomatischer Vertreter in Deutsch- land wird deshalb ein einleitendes Kapitel gewidmet, das insbesondere auf seine Rolle als Mitglied der progressiven Reformbewegung und liberalem Intellektuellem mit vielen politischen und sozialen Kontakten sowie seine ersten Deutschlanderfahrungen vor 1933 fokussiert und seine Erlebnisse in die jeweilige Phase der amerikanischen Innen- und Außen- politik einordnet. Hierfür relevant sind Dodds private Korrespondenz und Aufzeichnungen aus dem Nachlass der William Edward Dodd Papers der Library of Congress57 sowie einige Dokumente aus der University Library

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57 Sämtliche Unterlagen, Aufzeichnungen, Briefe und Reden finden sich in William Dodds umfassendem Nachlass, den Martha Dodd Jahre nach seinem Tod der Library of Congress in Washington, D.C., zu seinem Gedenken 1945 zur Aufbewahrung überließ, über die Jahrzehnte hinweg um weitere Dokumente erweiterte und schließlich dem Archiv als Schenkung überließ. Vgl. Online-Findbuch der William E. Dodd Papers in der Library of Congress, URL: http://rs5.loc.gov/service/mss/eadxmlmss/eadpdfmss/2011/ms011001.pdf , Zugriff am 22. August 2015. Diese Quellen befinden sich immer noch in der Manuscript Division der Library of Congress und umfassen 22.000 Einzeldokumente bzw. knapp acht laufende Archivmeter/25,4 US linear feet.

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of Chicago58 und die umfangreichen biographischen Angaben der zwei Dodd-Biographen Dallek und Bailey. William E. Dodd gehörte als Botschafter mit einer bestimmten Handlungs- und Denkweise zu den Außenpolitikern der Roosevelt- Administration, die zueinander im Wettstreit um die Formulierung aus- wärtiger Politikprogramme standen. Die Analyse seiner Beziehungen zu Schlüsselfiguren der amerikanischen Außenpolitik, wie dem Präsidenten, dem Außenminister, dem Under Secretary of State und weiteren Spitzenbeamten und Politikern sowie ihrer Reaktionen auf Dodd und seine Berichterstattung erschließt einen neuen Blickwinkel auf das Netz- werk von Akteuren amerikanischer Deutschlandpolitik, wodurch sich ein konkreteres Bild außenpolitischer Haltungen und Entscheidungsfindung innerhalb der Roosevelt-Administration ergibt. Anders als in vielen bisherigen Studien mit diplomatie- und politikgeschichtlichem Bezug, welche Außenpolitik auf der Ebene sachbezogener Verhandlungen und politischen Kalküls verorten und Akteure als rein professionelle Indivi- duen betrachten, dient die Botschaftszeit Dodds als analytischer Ansatzpunkt für den Facettenreichtum amerikanischer Politikformu- lierung. Hierbei spielt für die Einordnung der Deutschlandpolitik in ein Gesamtkonzept amerikanischer Außenpolitik der 1930er Jahre die Beo- bachtung eine Rolle, dass sich Dodd in einem politischen „Cluster“ von verschiedenen kulturell-gesellschaftlich bedingten Ansichten und Moral- vorstellungen, Karrierewegen, Intrigen und einem Konkurrenzkampf um die Ideen und Ziele der Außen- wie Innenpolitik wiederfand, in dem Emotionen wie Frustration, Geltungssucht, Machtbesessenheit und das Streben nach der Gunst des Präsidenten eine genauso große Stellung einnahmen wie rein politisches Kalkül und realitäts- und situationsnahe Politiksteuerung. Dabei stellt in Abgrenzung bisheriger Studien zu Diplo- maten wie William Dodd das Narrativ dieser Arbeit eine Besonderheit dar: Denn die angewandte Methode spricht William Dodd vielfältige Rollen als Botschafter und Intellektuellem zu, die weder den alleinigen Schwerpunkt auf ihn als Individuum noch auf die allgemeinen politischen Verhältnisse und Entwicklungen legt, sondern auf das Wechselspiel zwischen Dodd und einer Vielzahl von Akteuren und Entwicklungen. Die

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58 William E. Dodd Papers, 1918-1924. University of Chicago Library (UCL), Special Collections Research Center, Chicago, IL. Dieser kleine Bestand umfasst zwei Akten- ordner.

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verschiedenen Ebenen eines auf das Individuum bezogenen, aber nicht exklusiv fokussierten methodischen Ansatzes, der Außenpolitikformu- lierung als Ergebnis eines horizontalen wie vertikalen Netzwerkes von Individuen, Interessensgemeinschaften und ihrer politischen Ideen versteht, sollen dieser Arbeit zur amerikanischen Deutschlandpolitik ihre innere argumentative Struktur verleihen. Damit kann die vorliegende Dissertation methodisch in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen eingeordnet werden, ohne den Fokus auf William Dodd und die US-amerikanische Außenpolitik zu verlieren: Sie bietet Einblick in die Geschichte der internationalen Beziehungen und Außenpolitikgeschichte Deutschlands und der USA zwischen den Weltkriegen; Darüber hin- aus sind William Dodds Interaktionen und Auseinandersetzungen mit anderen Diplomaten der damaligen Zeit für eine Interpretation der Kulturgeschichte der Diplomatie des frühen 20. Jahrhunderts interessant. Sie spiegeln sowohl den Alltag als auch die politischen, ethischen und sozialen Einstellungen, Prägungen und Ziele einiger der wichtigsten Repräsentanten der Zeit wider; Nicht zuletzt ergibt sich ein ideen- geschichtlicher Ansatz, wenn vor allem im Zusammenhang des inner- amerikanischen Diskurses um die Zukunft des US-Systems die zentralen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ideen und ihr Niederschlag in jenen Debatten mit direktem Einfluss auf politische Entscheidungs- findungen und die daraus resultierende amerikanische Weltpolitik dar- gestellt werden.

Um allen Ebenen der Fragestellung gerecht zu werden, wurden um- fassende Bestände nichtveröffentlichter Quellen in Archiven sowohl in Deutschland als auch den USA gesichtet, die die unterschiedlichen Rollen des Botschafters in Berlin und in Washington analysieren lassen. Im Gegensatz zu den bisherigen Studien über Dodd beinhaltet die Quellen- analyse und Interpretation zum einen bezüglich der amerikanischen Seite eine genaue Auseinandersetzung mit William Dodds eigenen Briefen, Aufzeichnungen und Reden, den Erinnerungen und dem Nachlass seiner Tochter, 59 den Korrespondenzen Franklin Roosevelts, 60 Cordell Hulls61

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59 Hierbei handelt es sich zum einen um Martha Dodds veröffentlichte Erinnerungen an die Berliner Zeit, die eine wertvolle Quelle zu Dodds persönlichem Umgang mit führenden Nationalsozialisten und anderen Personen seines Netzwerkes darstellen und einen Zugang zu seiner privaten und emotionalen Vorstellungswelt geben. Vgl. DODD, Martha: Through Embassy Eyes. New York 1939. Sicherlich sind Marthas Wertungen

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und Judge Moores62 mit Dodd und anderen führenden Politikern und Beamte.63 Darüber hinaus kommt den Berichten,64 die die amerikanische

______teilweise mit Vorsicht zu behandeln, da sie vor dem Hintergrund des ausgebrochenen Krieges und ihren möglichen antifaschistischen, eventuell sogar sowjetischen Verbin- dungen gesehen werden müssen. Martha Dodd Stern heiratete noch zu ihres Vaters Lebzeiten den New Yorker Anwalt Alfred K. Stern, mit dem sie aufgrund des Verdachtes der Spionage für die Sowjetunion zwischen 1957 und 1990 in Kuba und der Tschechoslowakei im Exil lebte. Vgl. zu Marthas Lebenslauf die biographische Skizze im Online-Findbuch der Martha Dodd Stern Papers. Marthas Nachlass befindet sich ebenso in der Manuscript Division der Library of Congress, vgl. das Online-Findbuch, URL: http://lcweb2.loc.gov/service/mss/eadxmlmss/eadpdfmss/1997/ms997005.pdf , Zugriff am 22. August 2015. Der Nachlass umfasst zwei laufende Meter/ 7,2 US linear feet. 60 Hierbei handelt es sich zum einen um die in Dodds Nachlass verwahrten Briefwechsel mit Franklin Roosevelt als auch um die Gegenstücke des jeweiligen Dokumentes in der Franklin Delano Roosevelt Library in Hyde Park, New York. Hierfür herangezogen wurden die Franklin D. Roosevelt Papers, insbesondere die President’s Offical File (OF) (1174 US linear feet) – Collection Description OF Online unter URL: http://www.fdrlibrary.marist.edu/archives/pdfs/findingaids/findingaid_of_description.pdf, Zugriff am 22. August 2015 – , die President’s Personal File (PPF) (608 US linear feet) – Collection Description PPF Online unter URL: http://www.fdrlibrary.marist.edu/archives/ pdfs/findingaids/ppf_description.pdf, Zugriff am 22. August 2015 - und die President’s Secretary’s File (PSF) (130 US linear feet), Findbuch PSF Online unter URL: http://www.fdrlibrary.marist.edu/archives/pdfs/findingaids/findingaid_roos_psf.pdf, Zugriff am 22. August 2015. 61 Hierbei handelt es sich zum einen um die in Dodds Nachlass verwahrten Briefwechsel mit Cordell Hull als auch um die Gegenstücke des jeweiligen Dokumentes in Cordell Hulls Nachlass in der Manuscript Division der Library of Congress, den Cordell Hull Papers. Diese umfassen ca. 30 laufende Meter, die meisten Dokumente sind auf 129 Mikro- filmrollen zu finden. Vgl. das Online-Findbuch, URL: http://rs5.loc.gov/service/mss/ eadxmlmss/eadpdfmss/2009/ms009275.pdf , Zugriff am 22. August 2015. 62 Hierbei handelt es sich zum einen um die in Dodds Nachlass verwahrten Briefwechsel mit R. Walton Moore als auch um die Gegenstücke des jeweiligen Dokumentes in den R. Walton Moore Papers (Umfang 13 US linear feet) innerhalb des Archivbestandes der Franklin Delano Roosevelt Library in Hyde Park, NY., Findbuch Online unter URL: http://www.fdrlibrary.marist.edu/archives/pdfs/findingaids/findingaid_moore.pdf , Zugriff am 22. August 2015. 63 Hierzu gehören die Sumner Welles Papers innerhalb des Archivbestandes der Franklin Delano Roosevelt Library in Hyde Park, NY (Umfang 100 US linear feet), Findbuch Online unter URL: http://www.fdrlibrary.marist.edu/archives/pdfs/findingaids/ findingaid_welles.pdf, Zugriff am 22. August 2015, sowie ebendort die Papers of Henry Morgenthau, Jr. (Umfang 510 US linear feet), Findbuch Online unter URL: http://www.fdrlibrary.marist.edu/archives/pdfs/findingaids/findingaid_morgenthaupaper s.pdf , Zugriff am 22. August 2015. Alle weitern Briefwechsel finden sich in William Dodds Nachlass in der Library of Congress.

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Botschaft unter Dodds Leitung dem State Department regelmäßig zukommen ließ, um die deutsche Lage darzustellen, eine bedeutende Rolle für die Analyse zu. Zum anderen umfasst der methodische Ansatz der vorliegenden Arbeit auch die Bestände und Nachlässe im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes 65 und des Bundesarchivs in Berlin- Lichterfelde66, um eine detaillierte Analyse der deutschen Reaktionen auf Dodd zu erlauben und somit das transatlantische Verhältnis von mehreren Seiten beleuchtet darzustellen. Einen Sonderfall stellt William Dodds Tagebuch dar, das erst nach seinem Tod durch seine beiden Kinder Martha und William Dodd Junior ediert und veröffentlicht wurde. 67

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64 Alle geschäftlichen Korrespondenzen sowie seine offiziellen Berichte an das State Department befinden sich in der National Archives & Records Administration (im Folgenden abgekürzt mit „NARA”), College Park, MD. Record Group 59: General Records of the Department of State. Vgl. einen Überblick über die Inhalte der Record Group 59 online unter URL: http://www.archives.gov/research/guide-fed-records/groups/059.html , Zugriff am 22. August 2015. 65 Im Folgenden abgekürzt als PAAA. Diese wurden für die vorliegende Arbeit ergänzt durch die Lektüre der veröffentlichten Aktenausgaben der Akten der deutschen auswärtigen Politik (ADAP). Serie C. Band I-VI. Göttingen 1971-1981 und Serie D. Band I-III. Baden-Baden 1950/51. 66 Im Folgenden abgekürzt als BA. Für diese Studie herangezogen wurde der Bestand des Außenpolitischen Amtes der NSDAP im Bundesarchiv Berlin Lichterfelde-Ost. 67 Vgl. DODD, William E., Jr./ DODD, Martha (Hgg.): Ambassador Dodd’s Diary 1933-1938. With an Introduction by Charles A. Beard. New York 1941. Robert Dallek verweist in seinen Endnoten auf Rezensionen von Arthur Schlesinger und Thomas Bailey zu Dodds Tagebuch, die die Authentizität und tatsächliche Existenz des von seinen Kindern Martha und Bill veröffentlichten Buches anzweifelten. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 373. Dallek geht jedoch fest davon aus, dass ein Tagebuch existierte und stützt diese Annahme auf Briefe Dodds an den Herausgeber des Collier´s Magazine William L. Chenery, in denen er von seinem „diary“ spricht. Dodds frühes Ableben hinderte den ehemaligen Botschafter vermutlich daran, es selbst zu redigieren und zu publizieren. Martha Dodd habe Dallek in einem Brief die Authentizität zudem persönlich bestätigt. Ihr Vater – schreibt sie dort – habe schwarze Notizbücher benutzt, in denen er jeden Abend seines Aufenthaltes in Berlin seine Gedanken festgehalten habe. Er habe es in seinen letzten Tagen seinen Kindern zur späteren Veröffentlichung überlassen. Abgesehen von der Entfernung der Namen einiger Deutscher, die potentiell durch ihre Identifizierung als Regimegegner gefährdet werden konnten, sei das Tagebuch weitgehend unverändert geblieben, sei mit über 1200 Seiten allerding überlang gewesen und wurde entsprechend gekürzt. Martha habe versichert, keinerlei Inhalt hinzugefügt zu haben (S. 374f.). Wie Dallek geht die Verfasserin dieser Dissertation, die ebenso die genannten Briefe in William Dodds Aufzeichnungen in der Library of Congress eingesehen hat, von der Korrektheit und Echtheit des Tagebuches in Übereinstimmung mit historischen Ereignissen, Fakten und anderen Quellen aus. Erstaunlich bleibt aber, warum die schwarzen, ledernen Notizbücher

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Mehrfach regten sich Zweifel, inwiefern Inhalte des Tagebuchs durch seine Kinder verändert worden waren und ob das Tagebuch als solches existierte oder nicht doch nur auf einigen separaten Notizen des Bot- schafters basierte. Diese Studie geht davon aus, dass das Tagebuch existierte, da sich in den Quellenbeständen in der Library of Congress Beweise für die Existenz finden ließen. Auch die Authentizität des Tagebuchs im Vergleich mit den privaten und beruflichen Korrespon- denzen Dodds, mit seinem Schreib- und Beobachtungsstil und seinen Gedankengängen, die sich in den William Dodd Papers wiederfinden, erscheint gesichert. Zahlreiche Zeitungsartikel der 1930er Jahre ergänzen das Bild von Dodd im Spiegel der amerikanischen und der deutschen Presse. Wie bereits erwähnt beginnt diese Studie mit einem einleitenden Kapitel über William Edward Dodds Biographie als progressivem Reformer und Intellektuellem aus den Südstaaten im Epizentrum eines Wandels der

______1980 nach Marthas Aussage nicht mehr existierten (Paul T. Heffron – Library of Congress – an Martha Dodd, 25. November 1980. LC. Martha Dodd Papers. Mappe Martha E. Dodd Box 7, Mappe 1, Correspondence, Library of Congress, 1970-89. „I was sorry to learn that your father’s notebooks are no longer extant [sic!] […]”. Vgl. außerdem den Brief eines der Mitarbeiter von Collier´s an Dodd vom 21. Februar 1938, in dem W. Davenport explizit von seinem Tagebuch spricht: W. Davenport an William E. Dodd, 21. Februar 1938. LC. William E. Dodd Papers. Mappe „FEB.-MARCH, 1938” A-G. „I wonder whether I may send Mr. Denver Lindley, one of our Associate Editors, to Washington to look at your diary, clippings, and pictures and select therefrom what we think would be the most desireable things to make your articles somewhat more dramatic?” Der Chefredakteur von Collier´s, Chenery, drängte William Dodd offensichtlich über Monate, sein Tagebuch bereits 1938 zu veröffentlichen (Chenery an Dodd, 6. April 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MARCH-APRIL, 1938” A-D. „When, as and if you are ready to open up the diary, Collier’s will be a good market”. Vgl. außerdem Claude Bowers, US-Botschafter in Spanien und ein enger Vertrauter Dodds der offensichtlich von der Existenz des Tagebuchs wusste, Brief an Martha Dodd, 21. Juli 1940. LC. Martha Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd General Correspondence 1940 B-S. „I am so glad the Diary is being published. It will be a monument to a real American”. Problematisch waren für Bowers, der sich zu jenem Zeitpunkt noch im aktiven Botschafterdienst befand, und für den Herausgeber des Tagebuches auch die Erwähnung amerikanischer Politiker und Beamter im Amt wie Sumner Welles. Vgl. Donald Brace von Harcourt, Brace and Company, Inc. NY an Martha Dodd, 26. September 1940. LC. Martha Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd General Correspondence 1940 B-S. „Page 890, line 13 – To insert Undersecretary Welles’ name without other change in the text would seem to me distinctly libelous because it is tantamount to a charge that Welles lied and by his lie deceived Roosevelt. We are in no position to fight this issue out with Welles if he should say that the charge was untrue”. Derartige Bedenken führten vermutlich zu den in Marthas Brief an Dallek erwähnten Kürzungen und Streichungen.

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amerikanischen Innen- und Außenpolitik nach Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges und mit seinen ersten Begegnungen mit Deutschland bis 1932. Der Hauptteil der Arbeit teilt sich in fünf Großkapitel auf, die die Botschafterjahre in Berlin chronologisch bearbeiten. Die Kapitel sind in sich allerdings nur teilweise chronologisch geordnet, da die verschiedenen Rollen Dodds als Verhandlungsführer, Leiter der US-Botschaft, Bericht- erstatter und weitere in den jeweiligen Sachzusammenhängen analysiert werden. Eine Ausnahme stellen die Jahre 1935 und 1936 dar, die wie zu Beginn jenes Kapitels erklärt, aus methodischen Gründen gemeinsam behandelt werden. Nicht auf alle in den quellenbasierten Korrespon- denzen oder Berichten erwähnten innen- oder außenpolitische Ereignisse wird im Fließtext im Detail eingegangen werden, da die Fragestellung keine vollumfängliche Auseinandersetzung mit den inneren Entwick- lungen des „Dritten Reiches”, allen Einzelheiten der amerikanischen Innen- und Außenpolitik oder allen genannten Akteuren erlaubt. Im Falle für diese Studie relevanter und kontrovers diskutierter Ereignisse, Persönlichkeiten und Entwicklungen gibt der Fußnotenapparat Hinweise auf weiterführende Literatur, Quellen oder den Verlauf des Forschungs- diskurses. Ein kleiner Exkurs am Ende des letzten Kapitels zum Jahr 1938 rundet die Darstellung durch den Hinweis auf die Lebensumstände der letzten Monate Dodds bis zu seinem Tod im Februar 1940 ab. Das Schlusskapitel dient der Zusammenfassung und Einordnung der For- schungsergebnisse und stellt diese in Bezug zur hier genannten Frage- stellung und den Thesen.

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2. „Henceforth I Expect Criticism, Violent Criticism“.68 William Edward Dodds Leben und Wirken in Zeiten innen- und außenpolotrischer Reformen der USA 1869 bis 1932

2.1. Einführung und Schlüsselbegriffe der amerikanischen Innen- und Außenpolitik Ohne seine direkten Erfahrungen mit Deutschland und ohne eine frühe und sehr persönliche Begegnung mit den reformpolitischen Debatten seiner Zeit wäre William Edward Dodd, geboren 1869 in North Carolina, vermutlich immer dem agrarrepublikanischen Ideal seines Vorbildes Prä- sident Thomas Jefferson treu geblieben.69 Sein Werdegang zeigt jedoch, dass der gebürtige Südstaatler wie viele seiner politisch interessierten Zeitgenossen aus dem Süden, Westen und Norden und aus allen sozialen Schichten der Vereinigten Staaten von Amerika aus seinem gewohnten sozio-ökonomischen Umfeld ausbrach, um an einer Transformation des amerikanischen Systems aktiv mitzuwirken. Dabei befand er sich un- mittelbar an mehreren Schnittstellen des amerikanischen Systems im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, in denen sich die USA nach dem Bürgerkrieg durch eine radikal umgesetzte Reconstruction, die Prosperität im Gilded Age, die Reformen der Progressive Era und eine spezielle amerikanische Art imperialistischer Politik rasant von einer Regionalmacht zur Hegemonial-, Groß- bis zur Weltmacht entwickelten.70 Diese Schlüsselbegriffe der amerikanischen Innen- und

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68 Dodd an Albert Burton Moore, 22. Januar 1922. University of Chicago Library, Special Collections Research Center (Im Folgenden abgekürzt als „University of Chicago Library“). William E. Dodd Papers, 1918-1924. Box 1, Mappe 1. 69 Die im Folgenden geschilderte Kurzbiographie Dodds wird zeigen, dass Dodds Welt-, Amerika- und Deutschlandbild bei weitem nicht so statisch war, wie Fred Bailey es in seiner sozialpsychologischen Analyse von Dodds Leben behauptet. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. ix f. 70 Vgl. eine Definition des Begriffs Imperialismus, in dieser Arbeit verwendet in Bezug auf die USA: Imperialism. In: Encyclopaedia Britannica. 2007 Deluxe Edition. Chicago, IL, 2008. Vgl. auch SCHÖLLGEN, Gregor/ KIESSLING, Friedrich (Hgg.): Das Zeitalter des

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Außenpolitik, die im Folgenden näher erläutert werden, prägten William Dodds Leben bis zu seinem Amtsantritt als Botschafter in Berlin 1933, wie auch er diese politischen, kulturellen und sozialen Paradigmenwechsel71 selbst aktiv beeinflusste: „William Edward Dodd was an important American whose life and many public activities influenced major American developments”.72 Als Teil einer aufsteigenden progressiv-liberalen Elite seines Landes, die sich aus verschiedenen sozialen Hintergründen kommend ab 1898 auch in der nationalen Regierung zusammenfand, erlebte William Dodd den Untergang großer Reiche wie Spanien, Großbritannien und des zaristi- schen Russlands und den Aufstieg neuer Weltmächte wie Japan und Deutschland. Sein Engagement auf Seiten der progressiven Demokraten ab 1896 setzte den jungen Akademiker den alles entscheidenden Fragen des amerikanischen Politikkurses seit Ende des 19. Jahrhunderts aus: Welche Zukunft hatte das amerikanische System angesichts dringend notwendiger Reformen? Welche Rolle ergab sich hieraus für Amerika in der eigenen westlichen Hemisphäre und welche in der Welt? Wie konnte das einzigartige demokratische System erhalten bleiben und sich auch im globalen Wettbewerb unter neuen weltpolitischen Rahmenbedingungen durchsetzen? William Dodd beschäftigte sich privat, wissenschaftlich und öffentlich mit diesen Fragen, wobei der Aufstieg der Großmacht Deutschland für ihn und die Progressivisten eine entscheidende Rolle spielte. In insgesamt drei unmittelbaren und mittelbaren Deutschlanderfahrungen entwickelte sich Dodds politische Haltung und Ideenwelt weiter, wovon zwei dieser Erfahrungen in der Zeit vor 1933 lagen und in diesem Kapitel behandelt werden: Sein Aufenthalt in Leipzig zum Erwerb seines deutschen

______Imperialismus. Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 15. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage. München 2009. Insbesondere die Seiten 1 bis 7 zur Begriffsklärung. 71 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 66ff. Vorländer definiert ein Para- digma nicht als soziale Handlungswirklichkeit, sondern als „verfestigtes alltags- oder deutungskulturelles Weltbild” (S. 66), das gewissen Handlungsalternativen Priorität gibt. Dodds Werdegang wird zeigen, dass William Dodds Definition von demokratischer Gesellschaft und progressiver Reform sowie seine Handlungsempfehlungen für die US- Außenpolitik klare Paradigmen vorgaben. Die Progressives beabsichtigten mit ihren Reformen die Deutungshoheit der Weltbilder der amerikanischen Öffentlichkeit und Gesellschaft zu erhalten (S. 67f.). 72 DALLEK: Democrat and Diplomat. S. vii.

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Doktortitels unmittelbar vor der Jahrhundertwende im wilhelminischen Kaiserreich und die dortige Auseinandersetzung mit europäischen politischen und sozio-ökonomischen Ideen entwickelte sein agrarisch geprägtes, auf die USA fokussiertes Demokratieideal gegen den Herrschaftsanspruch der Südstaatenpflanzer und der Großindustriellen weiter; nämlich zu einer gleichzeitigen Hinwendung zu den rück- wärtsgewandten politischen Werten eines republikanischen Liberalismus Thomas Jeffersons sowie zum modernen New Nationalism Theodore Roosevelts und der internationalistischen Progressives.73 Die Weiterent- wicklung der von Dodd in Leipzig miterlebten deutschen Nationa- lismusrhetorik zu einer konkreten Militärinitiative bei Ausbruch des „Großen Krieges“, wie der Erste Weltkrieg von den Zeitgenossen bezeichnet wurde, erweckte erneut William Dodds politisches Interesse und seine Hinwendung zu Woodrow Wilsons New Freedom-Konzept eines moralisch-interventionistischen Progressivismus. 74 Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit wird dann die gedankliche und politische Weiterentwicklung von William Dodds Deutschlandbild und seiner Rückschlüsse für die amerikanische Außenpolitik in der Ära Franklin Roosevelts analysieren, in der sich der Wilsonian und New Deal- Anhänger in Auseinandersetzung mit den totalitären Strukturen, Metho- den und Ideen der Nationalsozialisten schrittweise zu einem progressiv- internationalistischen Ideologen und Befürworter einer Supermachtrolle der USA entfaltete. Es ist korrekt zu behaupten, William Dodds Biographie weise zahlreiche Beispiele dafür auf, dass viele seiner Handlungs- und Denkmuster aus früheren Jahren sich in Berlin immer wieder wiederholten.75 Dies mag daran liegen, dass William Dodd vermutlich einer der konsequentesten

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73 Vgl. zu Präsident Theodore Roosevelts New Nationalism-Konzept und den Reformen der amerikanischen Progressives Kapitel 2.2. 74 Vgl. zu Woodrow Wilsons politischer Philosophie und dem New Freedom-Konzept die Ausführungen in Kapitel 2.2. 75 Vgl. hierzu v.a. Fred Bailey, der behauptet, dass Dodds Biographie durch seine Herkunft aus den Südstaaten bis ans Ende seiner Tage geprägt war und die Nachbürger- kriegserfahrungen sein politisches und soziales Denken maßgeblich prägten, vor allem bezüglich des kritischen Umgangs mit konservativen Eliten wie den quasi-aristokratisch herrschenden Pflanzerfamilien im Süden, den kapitalistischen Großindustriellen des Nordens, den Parteimaschinen oder den preußischen Junkern in Deutschland. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. ix f., 2f.

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und überzeugtesten Liberalen im Amerika der Jahrhundertwende war und ihn diese Tatsache unabhängig von der jeweiligen zeitlichen oder politischen Konstellation zu einem „idealen“ und „idealistischen“ Gegen- spieler für konservative Eliten in der Alten und der Neuen Welt avancieren ließ. William Edward Dodd schreckte zeit seines Lebens, ob im Konflikt mit den alten Eliten der Südstaaten, mit großindustriellen Korporationen der Nordstaaten, mit der traditionalistischen deutschen Führungselite oder mit konservativen Karrierebeamten im State Depart- ment, nie vor Auseinandersetzungen zurück und erwartete, begrüßte gar Kritik und heftige Debatten. Seine demokratiefähige Diskussionsfreude sollte erst an der Kompromisslosigkeit totalitärer Gedankengänge scheitern und seine liberalen Überzeugungen in pragmatischere Bahnen einer präventiven amerikanischen Deutschlandpolitik lenken. Sein Leben lang bewegte sich William Dodd im Spannungsfeld zwischen einem begründeten Isolationismus und einer internationalistischen Aus- richtung der US-Außenpolitik. Hierin ist eine weitere Konstante seines politischen Verhaltens zu identifizieren. An verschiedenen epochalen Wendepunkten entschied er sich stets für die internationalistische Option eines Eingreifens Amerikas in die Weltpolitik. Dabei darf diese nicht immer widerspruchsfreie Auseinandersetzung mit politischen Gegeben- heiten und Handlungsoptionen zumindest für die Zeit bis 1933 als durchaus mustergültig für viele seiner politisch aktiven, progressiven Zeitgenossen und Mitbürger gelten. Die zahlreichen Debatten und Kon- flikte der amerikanischen Liberalen über innen- und außenpolitische Weichenstellungen, Reformansätze und Ziele waren damals wie heute auf die Komplexität der amerikanischen Außenpolitikformulierung und der Deutungsvielfalt des Begriffes „Außenpolitik“ im US-System zurück- zuführen, die ihren Ausgang in den Anfängen der Union und darüber hinaus nahmen. Außenpolitik an sich war weder von den ersten Siedlern noch im republikanischen und utopischen Ideal der Revolutionäre von 1774 und der Gründerväter vorgesehen: Die Vereinigten Staaten von Amerika als außergewöhnliches Experiment der Menschheitsgeschichte, als der Beginn einer neuen, freien und egalitären Gesellschaft losgelöst von gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Vorbedingungen auf dem Alten Kontinent und als eine „Shining City upon a Hill“ benötigten und suchten keine langfristig angelegten Beziehungen zu einer

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Außenwelt, die von einem im Niedergang begriffenen Ancien Régime regiert wurde.76 Den systemimmanenten Sonderfall jeder amerikanischen Außenpolitik- formulierung, die fortan stets ad hoc zwischen den Extremen der Isolation und einem (limitierten) Internationalismus oszillieren sollte, hatten die Gründerväter um George Washington in der amerikanischen Ver- fassung und ihrer Checks and Balances der staatlichen Gewaltenteilung geradezu zementiert. Tatsächlich kann man von „Machtdiffusion“77 in der amerikanischen Demokratie sprechen, welche nicht der Exekutive als vollziehendem Organ, sondern dem Senat die besonderen außen- politischen Kompetenzen zuweist. Auch fehlte dem US-System bereits bei seiner Gründung das Element der Staatsräson, die sich nach Meinung der Gründerväter als Verursacher so zahlreicher Kriege in Europa ver- antwortlich gemacht hatte.78 Daraus ergab sich ein Spannungsverhältnis, das für die Regierenden den Umgang mit Außenpolitik und besonders die theoretische Begründung für imperialistische Politik erschwerte.79 Gleichsam wurden andersartige theoretische Ansatzpunkte geschaffen, die politische Debatten kontinuierlich prägten. Bis heute bezieht sich die US-amerikanische Außenpolitik nicht nur auf die zwischenstaatlichen Beziehungen, sondern auf die Frage nach Mensch und Gesellschaft insgesamt: Sie postuliert damit die Deutungshoheit für die Antworten auf diese Fragen und erhält dadurch einen unwillkürlich ideologischen und unilateralen Charakter.80 Diese amerikazentrischen Erklärungsmuster sind auf die Gründung der USA als gesellschaftlich-politischem Experi- ment auf Grundlage des Weltbildes der europäischen Aufklärung als Fundament zurückzuführen. Basierend auf den Ideen Montesquieus und Lockes Naturrechtsgedanken81 einer Limited Government standen die ______

76 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. xi-xv. 77 DITTGEN, Herbert: Amerikanische Demokratie und Weltpolitik. Außenpolitik in den Vereinigten Staaten. Paderborn u.a. 1998. S. 16. 78 Vgl. DITTGEN: Amerikanische Demokratie. S. 36. Vgl. zum ursprünglich fehlenden amerikanischen Nationalismus, der durch den sogenannten „Amerikanismus“ als „Verständigung von Prämissen der amerikanischen Gesellschaft“ (S. 36) in Form von amerikanischen Leitideen und Ordnungsprinzipien ersetzt wurde VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 27-44. 79 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 49-54. 80 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 37-42. 81 Vgl. LOCKE, John: Two Treatises of Government. Hrsg. von Peter LASLETT. ND. Cambridge u.a. 1988. Vgl. zum Naturzustand und den natürlichen Rechten der Menschen

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Vereinigten Staaten am Ausgang des 18. Jahrhunderts als erste moderne und stabile Demokratie allein auf weltpolitischer Flur. Einerseits war man also durch zwei Weltmeere getrennt von einem despotischen Europa und Asien, andererseits sahen sich bereits die ersten Siedler und dann die Gründungsväter als Vorreiter eines Staats- und Gesellschaftsmodells, das im eigenen Selbstverständnis Vorbildcharakter für die ehemalige Heimat in Europa besaß. Die durchaus gewollte Isolation wurde folglich seit den Ursprüngen begleitet von dem auf der calvinistisch-puritanischen Prädestinationslehre basierenden Glauben der puritanischen Siedler an den amerikanischen Exceptionalism, an eine weltweite Mission der amerikanischen Demokratie und an den unausweichlichen Kampf gegen Despoten und das meist auf Grundlage von Bibelzitaten definierte „Böse“ in der Welt überhaupt.82 Aus dieser Situation ergaben sich mehrfache Spannungsverhältnisse, die sich in der Außenpolitik niederschlugen: zwischen einem systemimmanenten Imperialismus, denn schließlich bestand die Entstehung der Nation aus nichts anderem als territorialer Expansion, und einem begründeten Isolationismus gegenüber Europa;83 zwischen Realismus und Moralismus; zwischen der legislativen Gewalt der Vielen, der Sonderrolle der Judikative und der exekutiven Gewalt des Einzelnen in der Außenpolitik sowie der oft entscheidenden Stimme des US-Senates als Repräsentant einzelstaatlicher Interessen, die nicht selten nur die Meinung einer Minderheit der Bevölkerung reflektierten.

______The Second Treatise, Kapitel II: Of the State of Nature (S. 269-278), zur Begrenzung der Regierungskräfte Kapitel XIII: Of the Subordination of the Powers of the Commonwealth (S. 366-374) und zu den Gefahren einer Tyrannei Kapitel XVIII, Of Tyranny (S. 398-405). Vgl. zum Rückgriff auf Lockes politisches Gedankengut auch VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 45-49. 82 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. xiii. Viele Amerikaner der Revolutionszeit glaubten, europäische Politik sei „rotten to the core“ und damit von Natur aus „böse”. Vgl. zur Bedeutung der protestantischen Ethik und des Puritanismus auf die amerikanische Politikformulierung und Theoriebildung VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 55ff. und vgl. WEBER, Max Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: WEBER, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band 1. ND der 1920 erschienenen Erstauflage. 6. Auflage. Tübingen 1972. S. 17-206. 83 Vgl. zu den frühen Begründungen einer Isolation, also Unabhängigkeit von Europa Thomas Paines „Common Sense“, der von Benjamin Franklin und den meisten Amerikanern der Revolutionszeit intensiv rezipiert wurde: PAINE, Thomas: Common Sense and Other Political Writings. Edited with an Introduction by Nelson F. ADKINS. The American Heritage Series, Band 5. New York 1953. Vgl. zum „frühen“ Isolationismus vom Unabhängigkeitskrieg bis 1901 POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. xi-xv.

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Einhellige Überzeugung herrschte schon bei den ersten Präsidenten darüber, dass den USA mit ihrem Vorbildcharakter durch das gerechtere System eine große Zukunft beschieden sei: „Looking forward with anxiety to their future destinies, I trust that, in their steady character unshaken by difficulties, in their love of liberty, obedience to law, and support of the public authorities, I see a sure guaranty of the permanence of our republic. […] I carry with me the consolation of a firm persuasion that Heaven has in store for our beloved country long ages to come of prosperity and happiness”,84 so Thomas Jefferson. Sendungsglauben und zugleich eine isolationistische Haltung drückte George Washington aus: „It will be worthy of a free, enlightened, and at no distant period, a great nation, to give to mankind the magnanimous and too novel example of a people always guided by an exalted justice and benevolence. […]Europe has a set of primary interests which to us have none or a very remote relation. Hence she must be engaged in frequent controversies, the causes of which are essentially foreign to our concerns. […] Why, by interweaving our destiny with that of any part of Europe, entangle our peace and prosperity in the toils of European ambition, rivalship, interest […]? It is our true policy to steer clear of permanent alliances with any portion of the foreign world, so far, I mean, as we are now at liberty to do it”.85 Stellte das Gebot der Isolation von europäischen Belangen den USA nicht frei, dass die sie auf eigene Weise Machtpolitik betreiben durften, nur ohne Allianzen eingehen zu müssen? Thomas Bailey vertritt die These, dass es nie einen echten amerikanischen Isolationismus gegeben hat und dass die USA seit der Gründung, spätestens seit dem Bürgerkrieg de facto eine Großmacht oder gar Weltmacht waren, eben weil die ersten US- Regierungen die Isolation von Europa zur eigenen Machterweiterung genutzt hatten.86 Der Begriff „Isolationismus“ war erstmals Ende des

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84 JEFFERSON, Thomas: Eighth Annual Message (November 08, 1808). In: MILLER CENTER OF PUBLIC AFFAIRS, UNIVERSITY OF VIRGINIA (Hrsg.): Presidential Speech Archive. URL: http://millercenter.org/scripps/archive/speeches/detail/3501, Zugriff am 03.07.2015. 85 WASHINGTON, George: Farewell Address (September 19, 1796). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/scripps/archive/speeches/detail/3462, Zugriff am 03.07.2015. 86 Vgl. BAILEY, Thomas A.: America’s Emergence as a World Power: The Myth and the Verity. In: Pacific Historical Review 30 (1961). S. 8, 10f. und 14f. Diese Debatte bezieht sich

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19. Jahrhunderts in der politischen Literatur erwähnt worden, so Ronald Powaski, und aktiv erst ab 1922 in Gebrauch:87 „[I]solationism can be defined generally as an attempt to avoid involvement in Europe’s political and military (but not economic) affairs. To be more specific, isolationism came to mean the refusal of the United States to commit force beyond the limits of the Western Hemisphere and to avoid military alliances with overseas powers. On the other hand, the expansion of America’s commercial ties with Europe was almost always considered vital to the economic prosperity of the United States, and thus exempted from the isolationist tradition”.88 Nicht nur der handelspolitische Aspekt mildere die extreme politische Haltung der Isolationisten ab, auch hätten Jefferson und Washington temporäre Allianzen auch für die Zukunft der Union nicht ausge- schlossen. 89 Eine erste offizielle Ergänzung der traditionellen Nicht- einmischungspolitik in umgekehrter Bedeutung, die sowohl handels- politische, als auch hegemonialpolitische Ziele verfolgte, stellte die Monroe-Doktrin des Präsidenten James Monroe dar. Dieser erklärte in seiner alljährlichen Botschaft an den US-Kongress 1823 unilateral das, was schon seit den Tagen George Washingtons in der Idee der zwei getrennten Hemisphären angedacht worden war: Nach dem Nichtkolonisationsprinzip dürfe Europa in keiner Weise seine Kolonisa-

______in der Forschung auf verschiedene Epochen amerikanischer Geschichte. Vgl. zu dieser Debatte auch SCHWABE: Der Amerikanische Isolationismus. Schwabe setzt sich kritisch mit William Appleman Williams‘ These auseinander, auch in den 1920er und 1930ern habe es keine wirkliche isolationistische Haltung im US-Kongress gegeben und widerlegt diese. Vgl. hierzu APPLEMAN WILLIAMS: The Legend of Isolationism in the 1920s. S. 1-20. Vgl. außerdem WEINBERG, Albert K.: The Historical Meaning of the Doctrine of Isolationism. In: American Political Science Review 34, 3 (1940). S. 539-547 sowie DeCONDE, Alexander: On Twentieth Century Isolationism. In: DeCONDE, Alexander (Hrsg.): Isolation and Security. Ideas and Interests in Twentieth Century American Foreign Policy. Durham, NC, 1957. S. 3-32. 87 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. ix. 88 POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. ix. Vgl. auch die Definition bei JONAS, Manfred: Isolationism. In: DeCONDE, Alexander (Hrsg.): Encylopedia of American Foreign Policy. New York 1978. S. 496-506. 89 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. xvi-xvii und 216. Vgl. auch APPLEMAN WILLIAMS, William: The Age of Mercantilism. An Interpretation of the American Political Economy, 1763-1828. In: William and Mary Quarterly, 3rd series, 15 (1958). S. 419-437. Williams begründet diese Ausnahme mit dem Streben der USA, zur handelspolitischen Großmacht aufzusteigen.

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tionsbestrebungen in den beiden Amerikas betreiben. Der republika- nische Präsident ging sogar so weit zu sagen, dass jeder Übergriff der monarchischen Mächte Europas in die amerikanische Hemisphäre als konkrete Gefahr für Frieden und Sicherheit begriffen werde. Die Kontrolle unabhängiger Gebiete durch europäische Mächte sähen die Vereinigten Staaten als unfreundlichen Akt gegen sich selbst an. 90 Die Monroe- Doktrin, die erst seit den 1850ern so genannt wurde, war ursprünglich zwar nur eine einfache, unilaterale Willenserklärung und keine völker- rechtlich anerkannte Regel gewesen; Ihre Gültigkeit wurde de facto von Englands Seestreitkräften in stillem Einvernehmen garantiert.91 Dennoch erhob Präsident Monroe durch ihr unilaterales, hegemoniales Postulat das amerikanische Regierungssystem und seine politische Kultur über alle europäischen Herrschaftsansprüche und machte die Trennung der zwei Interessens(hemi)sphären über alle Zweifel erhaben.92

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90 Vgl. Monroe Doctrine, December 2, 1823. In: THE AVALON PROJECT AT YALE LAW SCHOOL: Documents in Law, History and Diplomacy. New Haven 1996-2007. URL: http://avalon.law.yale.edu/19th_century/monroe.asp, Zugriff am 3.07.2015. Monroe postulierte „[…] that the American continents […] are henceforth not to be considered as subjects for future colonization by any European powers. […] we should consider any attempt on their part to extend their system to any portion of this hemisphere as dangerous to our peace and security […]”. Vgl. zur Monroe-Doktrin auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. xvii-xix. 91 Vgl. HEIDEKING, Jürgen/ MAUCH, Christof: Geschichte der USA. 5., ergänzte Auflage. Tübingen, Basel 2007. S. 90. Vgl. auch HANNIGAN, Robert E.: The New World Power. American Foreign Policy, 1898-1917. Philadelphia, PA, 2002. S. 187. 92 Vgl. Monroe Doctrine. In: AVALON PROJECT. „The political system of the allied powers is essentially different in this respect from that of America. This difference proceeds from that which exists in their respective Governments; and to the defense of our own […] matured by the wisdom of their most enlightened citizens […] It is impossible that the allied powers should extend their political system to any portion of either continent without endangering our peace and happiness […]”. Vgl. auch HEISS, Mary Ann: Bernath Lecture. The Evolution of the Imperial Idea and U.S. National Identity. In: Diplomatic History 26,4 (2002). S. 519. Heiss stellt korrekterweise fest, dass es bei der Monroe Doctrine nicht darum ging, welche tatsächliche Macht die USA ausübten, sondern welche internationale Machtstellung sie damit beanspruchten: „What mattered to U.S. foreign policy-makers then, and what should concern us as historians now, is what the Monroe Doctrine said about the nation that proclaimed it: to wit, that the United States considered itself the preeminent power in the Western Hemisphere”.

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2.2. Dodd und das Reformzeitalter: Reconstruction, Gilded Age, Progressive Era William Edward Dodds Geburt 1869 fiel in eine Zeit, in der merkantilistische und liberal-revolutionäre Träume der Präsidenten Monroe, Jefferson und Jackson einer fernen Vergangenheit angehörten. Das Zeitalter der Reconstruction (1865-1872) und des folgenden Gilded Age (circa 1870 bis 1896) einer teilindustrialisierten 93 amerikanischen Union und ihre sozio-kulturellen Problemlagen prägten die Kindheit und Jugend des Südstaatlers maßgeblich.94 1867 hatte sich der Kongress über ein Veto des Präsidenten Andrew Johnson hinweggesetzt und den Reconstruction Act erlassen, der eine „Radical Reconstruction“95 auf den Weg brachte, die an der Lage der afroamerikanischen Bevölkerung im Süden nichts änderte und die alten Südstaateneliten wenige Jahre später bis spätestens 1877 wieder in ihre Machtpositionen in der lokalen und regionalen Politik einsetzte.96 Für William Edward Dodds Familie wie für unzählige andere Farmer im Süden sollte sich als besonders tragisch erweisen, dass die faktische politische Kontrolle, die sich vorher auf die Großzahl der agrarischen Bevölkerung verteilt hatte,97 nun noch exklusiver durch eine kleine Wirtschaftselite aus Kaufleuten,

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93 Vgl. zur amerikanischen Industrialisierung BROWNLEE, W. Elliot: Dynamics of Ascent: A History of the American Economy. New York 1988. Vgl. auch KIRKLAND, Edward Chase: Industry Comes of Age. Business, Labor, and Public Policy, 1860-1897. Chicago, IL, 1962. 94 Vgl. zu diesem Zeitraum den großen Überblick bei HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 133-190. Arthur Link setzt den Beginn der Reconstruction bereits im Jahr 1861 an, als die Machtbefugnisse der nationalen Regierung in Washington maßgeblich erweitert wurden. Vgl. LINK, Arthur S.: American Epoch. A History of the United States Since the 1890’s. Third Edition. New York 1967. S. 3ff. Vgl. zur Außenpolitik der USA nach dem Bürgerkrieg und im Gilded Age HERRING: From Colony to Superpower. S. 265-298.Vgl. als großen Überblick über das Gilded Age CASHMAN, Sean Dennis: America in the Gilded Age: From the Death of Lincoln to the Rise of Theodore Roosevelt. New York u.a. 1993. 95 LINK: American Epoch. S. 4. 96 Vgl. HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 149-157. 97 Vgl. hierzu VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 139ff. Im Vorbürgerkriegs- süden hatte de facto keine feudale soziale Ordnung existiert, der Traum von einer solchen vorindustrialisierten Ordnung als Alternative zum liberalen Kapitalismus des Nordens beherrschte dennoch die Mentalitäten vieler Südstaatler weit über den Bürgerkrieg und die Reconstruction hinaus.

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Parteimaschinen und Großagrarier ausgeübt wurde und den amerika- nischen nichtindustrialisierten Süden entscheidend prägte. 98 In ganz Amerika kontrollierten Parteimaschinen und sogenannte „Bosse“ den Ausgang von Wahlen durch die Mobilisierung von Stimmen, nicht selten unter Duldung oder Anwendung illegaler Aktivitäten, und manifestierten ein Patronagesystem, Vetternwirtschaft, Korruption und Lobbyarbeit im amerikanischen politischen System.99 Im Gilded Age verloren die liberal- republikanischen Tugendvorstellungen der Gründerväter nach einem humanitär und ökonomisch desaströsen jahrelangen Schlachten im Bürgerkrieg ihre Wirkungskraft und wichen einer Laissez-faire-Politik industrieller Unternehmer als neue, optimistische Garanten des American Promise. 100 Unterstützt durch die konservative Rechtsprechung des Supreme Courts zugunsten der Konzentration der Wirtschaftsmacht und der sogenannten Trusts, den Zusammenschlüssen großer Korpora- tionen und Kartelle innerhalb eines Wirtschaftszweiges,101 formulierten amerikanische Intellektuelle wie Herbert Spencer, William Graham Sumner und John Fiske auch die Grundgedanken einer theoretischen Legitimierung dieser Entwicklungen. Sie verbanden sozialdarwinistische Ideen aus Europa mit den Herausforderungen der industrialisierten Gesellschaft und einer Politik des Laissez-faire. Nur wirtschaftliche Konzentration frei von staatlicher Intervention könne den sich rasant industrialisierenden Gesellschaften die nötige Balance und Ordnung in ihrem Existenzkampf garantieren und die private Anhäufung von Kapital und Wohlstand durch Mittelklassebürger ermöglichen. Für soziale Wohlfahrt konnten beziehungsweise mussten private, nicht staatliche ______

98 Vgl. LINK: American Epoch. S. 5. 99 Vgl. HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 176-190. Vgl. hier v.a. S. 177: Parteimaschinen waren lokale und überregionale Parteiorganisationen (oft mehrere innerhalb einer der beiden großen Parteien in den USA), die angeführt von einem „Boss“ bei Wahlen auf allen Ebenen Wählerstimmen mobilisierten. Über Patronagesysteme sowie teilweise illegale Geldbeschaffung (Prostitution, Wettbüros) übten sie erheblichen Einfluss auf den Ausgang von Wahlen auf allen staatlichen Ebenen sowie auf die lokalen und einzelstaatlichen Verwaltungen und die Präsidentschaftskandidaten aus und bildeten somit besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine de facto weitere Gewalt im Staat. 100 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 71f. 101 Vgl. hierzu direkt HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 172-176. Trusts bedeuteten eigentlich eine besondere Rechtsform, „die es erlaubte, mehrere Gesellschaften einem zentralen Management zu unterstellen”. Vgl. zur Entwicklung des „Big Business“ PORTER, Glenn: The Rise of Big Business, 1860-1920. Second Edition. Arlington Heights, IL, Davidson 1992.

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Institutionen einstehen.102 Während der 1870er bis frühen 1890er Jahre beherrschte damit besonders im Süden eine neue wirtschaftliche und politische Elite, die die Souveränität der repräsentativen Regierungen auf staatlicher und nationaler Ebene untergruben, unter anderem auf der Basis ihrer Monopolstellung im aufkommenden Öl- und Eisenbahn- geschäft die sozio-ökonomischen Geschicke der USA. Viele kleine Landwirte waren somit gezwungen, aufgrund der durch die Eisenbahn- monopolisten drastisch erhöhten Transportkosten für ihre Güter Kredite mit ungünstigen Zinsraten aufzunehmen und sich so bei lokalen Gläubigern zu verschulden. Der Bürgerkrieg hatte ein Ende der unab- hängigen Yeoman Farmer und den ökonomischen Zusammenbruch des alten Systems der Südstaaten herbeigeführt.103 In Auflehnung gegen diese Strukturen und wachsenden Missstände entstanden in den 1880er Jahren zwei Protestbewegungen, die um die Jahrhundertwende in die sogenannte Progressive Era führten: die Populisten, vor allem Farmer und Kleinkapitalisten mit dem rückwärts- gewandten Ideal Jeffersons für eine agrarische und frühindustrialisierte, egalitäre Gesellschaft sowie sozial engagierte Protestanten, Akademiker und besonders Ökonomen, die aus den einzelnen Maßnahmen und Deklarationen der christlich induzierten Social Gospel-Bewegung eine nationale Forderung nach der Lösung der sozialen Frage in Amerika fernab marxistischer, sozialistischer oder revolutionärer europäischer Denkmuster ableiteten. Besonders die Populisten, die ab den 1870ern aus der Greenback-Bewegung für eine inflationäre Währung zugunsten der

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102 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 141-149. Vgl. auch LINK: American Epoch. S. 13ff. Vgl. zu seiner Rezeption von Darwins Theorie FISKE, John: The Destiny of Man Viewed in the Light of His Origin. 7. Auflage. Boston u.a. 1885. Insbesondere das Kapitel „Man’s Place in Nature, as affected by Darwinism“ S. 18-25. Vgl. SPENCER, Herbert: The Principles of Sociology. 3 Bände. New York 1876-1897. Vgl. SPENCER, Herbert: The Study of Sociology. The International Scientific Series 5. Fifteenth Edition. London 1889. Vgl. SPENCER, Herbert: The Man Versus the State. With Four Essays on Politics and Society. Edited with an Introduction by Donald MACRAE. Harmondsworth 1969. Vor allem die Seiten 195-233 zu Spencers Verständnis eines „Social Organism”. Vgl. SUMNER, William Graham: Social Darwinism. Selected Essays. With an Introduction by Stow PERSONS. Englewood Cliffs, NJ, 1963. 103 Vgl. LINK: American Epoch. S. 5ff. und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 5. Vgl. generell zu politischen und sozio-ökonomischen Problemlagen im Amerika des ausgehen- den 19. Jahrhunderts FINK, Leon: Major Problems in the Gilded Age and Progressive Era. Documents and Essays. Lexington, MA, u.a. 1993.

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Farmer entstanden waren, organisierten sich erfolgreich parteipolitisch als People’s Party mit ihrem liberalen Spitzenkandidaten William Jennings Bryan,104 dem späteren Außenminister Woodrow Wilsons. Ihre Forderungen richteten sich direkt gegen die Macht der Parteimaschinen und setzten sich für die Wiederherstellung des Silberstandards für eine inflationäre Doppelwährung, eine Erhöhung der Produzentenpreise, eine Regulierung der Eisenbahnmonopolisten sowie die direkte Volkswahl der Senatoren und das Frauenwahlrecht ein.105 Die Social Gospel-Bewegung blieb ebenso wenig auf eine Randerscheinung puritanisch-religiöser Gruppierungen limitiert, sie entfaltete sich in der Weiterentwicklung ihrer sozialen christlichen Ethik ohne Sozialismus zu einer Neufor- mulierung einer staatlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik, die von neuen ökonomischen Denkern wie Richard T. Ely und Henry Carter Adams postuliert wurde. Ely und Adams im Speziellen rezipierten europäische Gedanken zu einem zentralistisch gesteuerten Sozialismus und zur Sozialdemokratie und lehnten diese kategorisch für das amerikanische System ab. Bemerkenswerterweise verbanden bereits die Social Gospel-Anhänger das amerikanisch-kapitalistische Liberalis- musideal mit einer ethischen Ökonomie und sozialpolitischen Aktivitäten des Staates fern einer Identifikation mit der Arbeiterbewegung; 106 Ihre Vorstellungen und Ideen injizierten Ely als Lehrer von Dodds größtem Vorbild Woodrow Wilsons und des progressiven Wisconsin- Reformers Robert LaFollette107 sowie Samuel N. Patten als Ausbilder des späteren New Dealers/Brain Trusters Rexford G. Tugwell direkt in die

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104 Vgl. zu Bryan KAZIN, Michael: A Godly Hero. The Life of William Jennings Bryan. New York 2007. Insbesondere S. 45-79 für den Wahlkampf 1895/96 und S. 215-242 für seine Zeit als Wilsons Außenminister. 105 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 149-155. Vgl. auch HEIDEKING/ MAUCH: Geschichte. S. 187-190. Vgl. auch LINK: American Epoch. S. 7-13. Vgl. auch NUGENT, Walter: Progressivism. A Very Short Introduction. New York u.a. 2010. S. 19-27. Vgl. speziell zu den Populists GOODWYN, Lawrence: The Populist Movement: Short History of the Agrarian Revolt in America. New York, Oxford 1978 und POSTEL, Charles: The Populist Vision. Oxford u.a. 2009. 106 Vgl. hierzu direkt VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 163ff. 107 Vgl. zu Robert LaFollette und seiner ganzen Familie progressiver Reformer WEISBERGER, Bernard A.: The La Follettes of Wisconsin. Love and Politics in Progressive America. Madison, WI, 1994. Vgl. außerdem THELEN, David P.: Robert M. La Follette and the Insurgent Spirit. Edited by Oscar HANDLIN. Madison, WI, 1976. Für seine Zeit als Reformer im Gilded Age und in der Progressive Era bis 1919 die Seiten 1-154.

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neuentstehenden progressiven politischen Eliten in beiden großen Parteien.108 Auch William Edward Dodd als Mitglied dieser neuen Eliten des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde hiervon maßgeblich geprägt. Seine Familie war angelsächsischer Herkunft und Mitte des 18. Jahrhunderts in den amerikanischen Süden ausgewandert.109 Sein Großvater, John Dodd, hatte vor Ausbruch des Bürgerkrieges dank Landbesitz, Sklavenbesitz und einer eigenen Baumwollfarm als typischer freier Yeoman der weißen Mittelschicht in guten Verhältnissen gelebt. Der Krieg brachte für seine Vorfahren die entscheidende Wende und ließ die Familie Dodd wie so viele kleine Farmer in die Verarmung gleiten.110 Nachdem sein Vater, John D. Dodd Evelyn Creech geheiratet hatte, für die durch ihre beiden reichen Onkel diese Verbindung einen sozialen Abstieg bedeutete, kam William Edward Dodd am 21. Oktober 1869 als erstes von sieben Kindern in Clayton, North Carolina, zur Welt.111 Clayton, eine ärmliche Gemeinde zwanzig Meilen südlich von Raleigh, führte dem jungen William Edward rasch die auf Herkunft basierende Ungleichheit und die komplexen Klassenunterschiede vor Augen, die in der Nachbürgerkriegsepoche herrschten. Eine kleine Elite von Kaufleuten, Plantagenbesitzern, Ärzten und Anwälten hatte ihren Herrschaftsanspruch über die Kriegswirren

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108 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 155-165. Vgl. zu diesen Ursprüngen der Progressive Movement auch HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 206f. Vgl. zu Wirtschaftsprofessor Elys Biographie, politisch-sozialen Vorstellungen und seinem Wirken HANDY, Robert Theodore (Hrsg.): The Social Gospel in America. 1870-1920. Gladden, Ely, Rauschenbusch. New York 1966. S. 171-250.Vgl. als sozialismuskritische Schrift z.B. ELY, Richard Theodore: The Strength and Weakness of Socialism. Cleveland, OH, u.a. 1899. Vgl. weiter zu Elys progressiven Schriften ELY, Richard Theodore: Monopolies and Trusts. New York u.a. 1900. Vgl. zu den transatlantischen Rezeptionen der Lösungsansätze der sozialen Frage SCHÄFER, Axel R.: American Progressives and German Social Reform, 1875-1920. Social Ethics, Moral Control, and the Regulatory State in a Transatlantic Context. Stuttgart 2000. Vgl. auch JAEGER, Friedrich: Amerikanischer Liberalismus und zivile Gesellschaft: Perspektiven sozialer Reform zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Band 19. Göttingen 2001. Zum Einfluss der Intellektuellen auf die liberale Transformation und die Reformbewegungen insbesondere S. 35-74 sowie S. 108-151. Vgl. weiterhin zu den Wurzeln der Reformbewegungen SANDERS, Elizabeth: Roots of Reform. Farmers, Workers, and the American State, 1877-1917. Chicago, IL, u.a. 1999. 109 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 3. 110 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 4. 111 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 8f.

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hinwegretten können und kontrollierte die lokale und einzelstaatliche Regierung ohne Durchlässigkeit für soziale, wirtschaftliche oder politische Aufsteiger aus den unteren Klassen.112 Dodd wuchs deshalb mit einer durchaus widersprüchlichen Sozialisation auf: einerseits erlebte er den harten Alltag des Farmlebens seiner Eltern, die ihn zu einem Leben ohne Luxus erzogen;113 andererseits begegnete er den ihm durchaus wohlwollenden Eliten in Person seiner Großonkel Samuel und Ashley Horne, den beiden reichsten Kaufleuten der Region, bei denen sich sein Vater zum Erhalt seiner Farm wie so viele seiner Berufsgenossen über Kredite hoch verschuldet hatte.114 Benajah Horne, den Großvater seiner Mutter Evelyn, erlebte Dodd in den 1870er Jahren als Clanpatriarchen mit besonderem Familiensinn, der die Großfamilie über den Krieg und die Reconstruction hinweg zusammenhielt und sich auch während des Bürgerkrieges durch soziale Wohlfahrt hervorgetan hatte.115 Sam und Ashley Horne, die beide exzellente Verbindungen zu den Politikern der Parteimaschine in North Carolina genossen, retteten Vater Johns Farm als William Edward elf Jahre alt war und erlaubten ihm, durch eine Hypothek seinen Besitz zu behalten. 116 Sie prägten somit früh William Edward Dodds Bild einer elitären Minderheit, die sich Thomas Jeffersons Tugendideal der agrarisch geprägten Demokratie und der „natürlichen“ Aristokratie bzw. Bildungselite117 verschrieben hatten und

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112 Vgl. Dodds „Brief Note 1933“ mit einer autobiographischen Niederschrift seines Lebens bis zur Veröffentlichung seines Buches „Nathaniel Macon“. Library of Congress (Im Folgenden abgekürzt als „LC“). William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Dodd schrieb hier über seine Heimat: „Nor was the economic picture engaging. Every year of my boyhood the price of cotton, the one market commodity of the county, fell lower and lower [...]. There was little wealth of any sort”. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 3ff. 113 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 8. 114 Vgl. hierzu Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Dodd schrieb ausführlich über seine beiden Großonkel und seine persönlich sehr gute Beziehung zu ihnen. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 5ff. 115 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 9. 116 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 6. 117 Vgl. hierzu VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 85. Jefferson ging davon aus, dass eine demokratisch geordnete Gesellschaft über tugendhafte Erziehung und Aufklärung der Bürger ihre eigene Bildungselite, eine sogenannte „natürliche Aristokratie“

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den Interessen der Allgemeinheit dienten. Allerdings zeigte ihm das private Beispiel seiner Eltern, dass die Eliten der hart arbeitenden Landbevölkerung ihre Unabhängigkeit nehmen konnten.118 Seine Eltern hatten hierbei einen entscheidenden Einfluss auf die egalitären, demokratischen Überzeugungen ihres Sohnes. Vater Dodd glaubte an eine „white democracy“119 und das gleiche Wahlrecht für alle weißen Männer ohne Rücksicht auf Klassen- und Berufszugehörigkeit.120 Mutter Evelyn bläute ihren Kindern ein, dass zwar auch ihre Familie Sklaven besessen hatte, der Süden jedoch durch seine quasifeudalen Strukturen das Unheil über sich selbst und damit auch die Armut über ihre Familie gebracht hatte. Sie schilderte ihrem Sohn unablässig die Brutalität des konföderierten Generals Sherman in den letzten Tagen des Bürgerkrieges und pflanzte in ihrem Sohn die Ablehnung gegen die großen Plantagenbesitzer sowie die soziale Ungleichheit, die sich trotz der Reconstruction im System etabliert gehalten hatte.121 Besonders die kritische Analysefähigkeit und Erziehung seiner Mutter ließ William Edward Dodd nicht wie andere Spielkameraden seine Vorbilder in den großen Persönlichkeiten der Konföderation suchen, sondern ermutigte ihn, die soziale Kluft ante- und post-bellum zu vergessen und den gesellschaftlichen Aufstieg über eine ordentliche Schulbildung anzustreben.122 Aufgrund seines rasch erkennbaren Talents im Dorfschul- unterricht ermöglichte Vater John seinem Sohn den Besuch der besten Schule in Clayton, des „Utopia Institute“ und nur wenige Jahre später, im

______hervorbringen könne, die feudale Strukturen obsolet mache und das Regierungssystem stärke. 118 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 6f. 119 DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 5. 120 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 5. 121 Vgl. Dodds „Brief Note 1933“ mit einer autobiographischen Niederschrift seines Lebens bis zur Veröffentlichung seines Buches „Nathaniel Macon“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Dodd schreibt hier, die Geschichten über Sherman und die Gräueltaten des Bürgerkrieges habe er von seinen Eltern ständig gehört: „It was a terrible story of war which I heard every week or two throughout my early life”. Seine Mutter „always spoke of slavery as a terrible thing. She even said the slaveholders were wholly to blame for the great civil conflict”. 122 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 10f.

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Alter von neunzehn, trat William Edward in die Rolle des Schulleiters123 von Januar bis Juni 1889 ein, um sich von dort für die renommierte Militärakademie West Point zu bewerben. Trotz seiner niederen Herkunft unterstützten sein Großonkel Ashley Horne, zwei Senatoren des Bundesstaates, ein Sheriff sowie der progressive Zeitungsherausgeber , der spätere Secretary of the Navy unter Woodrow Wilson, den jungen William E. Dodd energisch in seiner Bewerbung.124 Obwohl Dodd auf Platz zwei der Bewerberliste in West Point nicht genommen wurde, hatte ihn dieser Versuch zum ersten Mal einem Reformer der konservativ geprägten Demokratischen Partei im Süden näher gebracht: „What particularly attracted William was Daniels‘ willingness to be a reformer in the Democratic camp”.125 Tief beeindruckt von Daniels‘ Engagement bewarb sich William Edward kurz darauf erfolgreich am Oak Ridge Military Institute zur Vorbereitung auf das College, während er sich durch seine Lehre an Schulen auf dem Land das Geld für die nächsthöhere Ausbildungsstufe verdiente. Trotz des militärischen Drills am Oak Ridge hatte der junge Südstaatler sein Talent in den Geisteswissenschaften entfalten können und studierte ab 1891 am renommierten Virginia Polytechnic Institute (VPI) in Blacksburg, Virginia. Aufgrund seiner offensichtlichen Begabung und auch seines sozialen Engagements als Präsident der dortigen Young Men’s Christian Association, die jedoch eher seine fortan eindeutige Ablehnung gegen formale Religion und die Kirche bewirkt hatte, wurde sein Englischprofessor Edward E. Sheib auf den jungen Dodd aufmerksam. Nach dessen Bachelorabschluss im Juni 1985 ermutigte Sheib diesen, als ______

123 In der Zeit nach dem Bürgerkrieg war es in ländlichen Gegenden der Südstaaten üblich, dass gut ausgebildete ältere Schüler, wie William Dodd es war, vor allem im Sommer jüngere Kinder unterrichteten. Für William Dodd war dies eine willkommene Einnahmequelle sowie die Möglichkeit, erste Gehversuche im Lehrberuf zu machen. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 10-13. 124 Vgl. Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Über soziale Aufstiegsmöglichkeiten und seine Arbeit bis zum College schrieb Dodd „It was a rare thing for a youngster to go to college and when one was so lucky as to be able to manage it, his father borrowed money or he worked his way through. [...] I travelled alone to Oak Ridge Institute near Greensboro, North Carolina, to prepare for college and see if I could really keep the pace”. Über seine Onkel schrieb Dodd viel Gutes, v.a. über Sam Horne: „Although I was but a grandnephew, he always treated me as a favorite of the family [...]”. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 12f. 125 DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 11. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 13.

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Lehrer für allgemeine Geschichte an das VPI zurückzukehren, dort seinen Masterabschluss zu verfolgen und privaten Unterricht durch Sheib in Deutsch, Französisch und englischer Literatur zu erhalten. Professor Sheib hatte selbst seinen Doktortitel an der Universität Leipzig in Deutschland erworben und drängte seinen Schüler immer stärker dazu, selbst eine Dissertation im Kaiserreich anzustreben.126 Doch zunächst kam William Edward Dodd, wie so viele weitere Male in seinem Leben, sein politisches Engagement der wissenschaftlichen Beschäftigung zuvor. Fasziniert von William Jennings Bryan und den Populisten, deren Forderungen nach Meinung des jungen Dodd dem Ideal einer egalitären Demokratie in Auflehnung gegen die Wirtschafts- monopolisten und politischen, korrupten Eliten des Gilded Age am nächsten lagen, unterstützte William Edward 1895/96 Bryans Wahlkampf in Blacksburg.127 Josephus Daniels hatte ihn hierin maßgeblich beeinflusst und Loyalität gegenüber einer sich neu formierenden Demokratischen Partei gelehrt, die nach Bryans Wahlniederlage im Herbst 1896 zu einem „Sammelbecken von Reformgruppen, die eine bessere Gesellschaft und ein stärker an moralischen Werten ausgerichtete Politik befürworteten“128, wurde. Daniels‘ Zeitungen, der Raleigh State Chronicle und der Raleigh North Carolinian, hatten die Anhänger der populistischen Allianz erstmals eng mit der Demokratischen Partei verbunden und aus Dodd bis an sein Lebensende einen loyalen Democrat gemacht.129 Auch wenn der Wahlsieg der Republikaner unter William McKinley zu einer Über- windung der „politische[n] Passivität und de[s] Immobilismus des Gilded Age“130 geführt hatte, blieb William Edward Dodd in dem Glauben zurück, dass die Interessen der Großindustrie ein weiteres Mal gesiegt hatten.131

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126 Vgl. hierzu Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Dodd schrieb hier über Sheib „I shall never forget the toilsome hours spent there [...] – a famous Edward E. Sheib, a doctor of philosophy from the University of Leipsig [sic!], being the most stimulating of all the instructors”. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 14ff. und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 9-13. 127 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 16. Vgl. zum Wahlkampf Bryans McGERR, Michael: A Fierce Discontent. The Rise and Fall of the Progressive Movement in America. New York u.a. 2003. S. 3f. Vgl. auch NUGENT: Progressivism. S. 27-30. 128 HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 190. 129 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 11. 130 HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 191. 131 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 16.

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Der Student zog sich deshalb wieder von seinen ersten politischen Gehversuchen zurück und brachte sein Master-Studium am VPI 1897 zu einem sehr erfolgreichen Abschluss. Professor Sheibs Drängen war nicht aussichtslos geblieben: Mit Hilfe eines offenen Kredites durch seinen Verwandten Sam Horne begann William Edward Dodd mit der Planung eines Deutschlandaufenthaltes an der Universität Leipzig zur Erlangung eines Doktorgrades in Geschichte. Für drei Jahre sollte der junge Süd- staatler von den Wirren um Reform und Industrialisierung in Amerika isoliert sein und ein anderes politisches und sozio-kulturelles System jenseits des Ozeans kennenlernen. Als er am 7. Juni 1897 von New York aus Richtung Europa reiste, wusste William Edward Dodd noch nicht, dass ihn Deutschland mehr als nur einmal politisch und ideologisch zutiefst prägen sollte.132 William Edward Dodds schlechtes Gewissen, dass er auf Grundlage eines Kredites seine Familie in Clayton in ärmsten Verhältnissen zurückge- lassen hatte, wich bald einem Enthusiasmus, einer regelrechten Öffnung des schüchternen Südstaatlers in seinen Erlebnissen mit der kulturellen Andersartigkeit Europas. Der Unterstützung seiner Familie, besonders auch durch seinen Cousin Herman Horne, der einen regen Briefwechsel mit ihm pflegte und ihn der großen Hoffnungen und Sympathien der restlichen Familienmitglieder für Dodds weitere Entwicklung versicherte, wirkte das kulturelle und bildungspolitische Zentrum Leipzig wie eine Befreiung von den sozialen Einschränkungen seiner Heimat. 133 Nach ______

132 Vgl. hierzu Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Dodd schildert hier seine Vorbereitungen sowie den großzügigen Horne-Kredit - „He would accept my promise to pay without endorsements!“ – für sein Leipzig-Abenteuer. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 17 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 13-15. 133 Vgl. zu Dodds Schilderung seiner Erlebnisse in Leipzig Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Auto- biographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 17 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 16. Vgl. zum Briefwechsel mit Herman Horne und weiteren Familienmitgliedern in Briefen in LC. William Dodd Papers. Mappe „1900-1901” H-Z und Mappe „1900-1901” A-G. Vgl. auch OLESKO, Kathryn M./ STRUPP, Christoph: Education: Universities and Research. In: MAUCH, Christof/PATEL, Kiran Klaus (Hgg.): The United States and Germany during the Twentieth Century. Competition and Convergence. Washington, DC, 2010. S. 212. Olesko und Strupp erklären, dass dieser entspannte soziale Austausch an den deutschen Universitäten zwischen jungen Amerikanern und Deutschen besonders zum Jahrhundertwechsel für die Studenten intensive und positive Erfahrungen bedeutete und eine geradezu familiäre Bindung schuf.

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wenigen anfänglichen Rückschlägen baute sich William Edward Dodd ein dichtes Netz aus Freunden und Unterstützern auf, genoss trotz seiner puritanischen Herkunft die Geselligkeit und den Alkohol auf Bierabenden mit Kommilitonen und Professoren, erweiterte sein Wissen über Deutschland und Europa durch Radtouren und Fernreisen und sprach in kurzer Zeit, basierend auf seinem Vorwissen dank Professor Sheib, fließend Deutsch.134 Diese Tatsache ermöglichte es ihm, den kom- plexen Vorlesungen zweier Professoren zu folgen, die seine geschichts- wissenschaftliche Prägung maßgeblich beeinflussen sollten und ihn überdies sehr schätzten als „einen liebenswürdigen, durchaus fleissigen [sic!] ernsthaften Mann, bescheiden und freundlich und ehrenhaft. Wir haben alle das beste Vertrauen zu ihm gewonnen“135: Professor Erich Marcks´ und Professor Karl Lamprechts136 kulturgeschichtliche Methode, ihre Einbindung kollektiver und sozialpsychologischer Faktoren in ihr Quellenstudium hatten mit den parallelen neuen historischen Methoden der „New History“ von Charles A. Beard, und anderen amerikanischen Historikern in der Neuen Welt, die nach deterministischen Faktoren suchten, die die Vergangenheit und den gegenwärtigen innenpolitischen Reformbedarf des US-Systems ver- binden sollten, wenig gemeinsam und faszinierten den wissbegierigen Doktoranden.137 William Dodd erkannte in jenem kulturgeschichtlichen methodischen Ansatz die Möglichkeit, auch die Geschichte des Südens nicht als Erzählung seiner Eliten, sondern aller Klassen unter Ein- beziehung verschiedener sozialer, politischer, psychologischer, ökono- mischer und kultureller Faktoren neu zu schreiben.138 Begeistert entschied ______Vgl. auch WALA, Michael: „Gegen eine Vereinzelung Deutschlands“: Deutsche Kulturpolitik und akademischer Austausch mit den Vereinigten Staaten von Amerika in der Zwischenkriegszeit. In: BERG, Manfred/ GASSERT, Philipp (Hgg.): Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker. Transatlantische Historische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 303-315. 134 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 17 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 17. 135 Empfehlungsschreiben von Erich Marcks, 13. November 1899. LC. William Dodd Papers. Mappe „1900-1901“ H-Z. 136 Mit Lamprecht und Marcks verband Dodd nach Beendigung seiner Dissertation eine langjährige Brieffreundschaft, vgl. hierzu auch die Briefwechsel mit Lamprecht und Marcks in LC. William Dodd Papers. Mappe „1900-1901“ H-Z sowie in Mappe „1902-3 and 1904”. 137 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 18 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 18f. 138 Vgl. hierzu Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and

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er sich für die deutschsprachige Dissertation über den Republikaner Thomas Jefferson und seine Herausforderung der Federalists unter Präsident John Adams und Alexander Hamilton im Jahr 1796, durch die er 1800 zum nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, weil ihm die Lösung des Verhältnisses zum napoleonisch regierten Frankreich und der daraus folgenden politischen Querelen in Amerika sowie die Überwindung der Kluft zwischen Süd- und Nordstaaten und damit der entscheidende Sieg über die Federalists zugunsten der Republik gelungen war.139 In seiner Auseinandersetzung mit Jeffersons Kampf gegen die Un- gleichheit im postrevolutionären Amerika schärfte sich William Edward Dodds Blick jedoch auch für die autokratischen Aspekte des deutschen Kaiserreichs nach Bismarck. In den preußischen Junkern erkannte er eine ähnlich starke und unfair agierende Elite wie in den Südstaaten, glaubte auf Basis seiner Deutschlandreisen allerdings, dass die deutschen Bürger und vor allem die Bauern die undemokratische Einstellung der Junker und der Regierung nicht teilten.140 Mit einer starken Abneigung lauschte er nationalistischen und militaristischen Äußerungen seiner Professoren und Kommilitonen, erlebte antibritische Parolen im Hörsaal, die englische Austauschstudenten in die Flucht trieben, und die Nieder- lage eines amerikanischen Theologieprofessors, Professor Gregory, bei dessen Kandidatur für den Reichstag.141 Nicht alle Deutschen konnten

______undated. Dodd schildert hier seine Bewunderung für Marcks und Lamprecht. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 18f. 139 Vgl. DODD, William Edward: Thomas Jefferson Rückkehr zur Politik 1796. Leipzig Univ. Dissertation 1899. Vgl. HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 73-79. Vgl. auch CUNNINGHAM, Noble E.: Jefferson vs. Hamilton. Confrontations that Shaped a Nation. Boston, MA, u.a. 2000. Vgl. auch ELKINS, Stanley/ McKITRICK, Eric: The Age of Federalism. New York u.a. 1993 und KETCHAM, Ralph L.: Presidents Above Party. The First American Presidency, 1789-1829. ND. Chapel Hill, NC, 2000 sowie WOOD, Gordon S.: Empire of Liberty. A History of the Early Republic, 1789-1815. Oxford u.a. 2009. 140 Vgl. hierzu Dodds Schilderungen seiner Erlebnisse bei seinen Deutschlandrundreisen Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. 141 Vgl. hierzu Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Dodd schrieb hier über Professor Gregory „Gregory died at seventy years of age in the German trenches on the Western front! Though I never met him, his reputation

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Dodds Meinung nach einen Krieg befürworten, das Volk, dessen kul- turelle Höhepunkte er selbst studiert und erlebt hatte, und doch legten selbst Akademiker seines Umfeldes nicht selten eine Begeisterung für Militär und Krieg an den Tag. Mit gemischten Gefühlen also erhielt Dodd im Frühjahr 1900 seinen deutschen Doktortitel und entschied sich für eine Zukunft zurück in seiner Heimat.142 Sein Aufenthalt im kaiserlichen Deutschland, wenn er auch wissenschaftlich und persönlich gesehen eine große Bereicherung für ihn bedeutet hatte, hatte auch aufgrund der Schwächen des Bismarckschen Systems, seines Demokratiemangels trotz industrialisierter Modernisierung, des Einflusses der preußischen Min- derheit und des übersteigerten Nationalismus William Edward Dodd in seinen freiheitlich-liberalen Überzeugungen und seine Begeisterung für das über alle Zweifel erhabene amerikanische Alternativmodel eines Jeffersonischen Republikanismus und einer reformerischen Vorwärtsge- wandtheit gefestigt.143 Seine erste direkte Deutschlanderfahrung prägte Dodd für seine weitere politische und wissenschaftliche Entwicklung: Zurück in Amerika sollte er mit den Reformforderungen der Progressive Movement, einem daraus entstandenen ganz eigenen amerikanischen Nationalismus und dem Beginn einer imperialistischen Politik der USA konfrontiert werden, die ihn mit dem deutschen Beispiel in Erinnerung rasch eindeutig ein politisches Lager beziehen ließen.

______and defeat in Leipzig created a deep impression on my mind”. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 18-20. 142 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 21f. 143 Wenig später sollte Dodd schreiben: „The average American has ever been opposed to armies and to the ruthlessness which inevitably accompanies them. […] Here was a vast, efficient and buoyant military state which defied the cumbersome and corrupt systems of the rest of western civilization […]. I have shown that the then President also represented the ancient idealism which has underlain the morale of the United States from 1776 till 1914. This morale was never so clearly evident to the world as it was in 1918. It was a composite of the teaching of that element of the famous Puritan revolt of the seventeenth century which summed up in John Milton; it included the philosophy of the moderate French revolutionists of 1789; it embraced that instinctive love of liberty so handsomely revealed in the great German liberal movement of 1848; and it avowed to the world its championship of the cause of submerged nationalities. […] It was the irresistible force of these ideas championed by the most powerful, fresh, and vigorous nation of modern times which utterly disarmed the military portion of the German empire […]”. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, UNDATED „Lessons of the Great War”.

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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich die verschiedenen Reform- bewegungen des Social Gospel, der Populisten und Farmer und andere politische und gesellschaftliche Akteure zu einer neuen Bewegung, der Progressive Movement,144 weiterentwickelt.145 Typisch für den „Amalgam- Charakter der amerikanischen politischen Kultur“146 entsprach diese neue Form von Public Action von unten nicht dem europäischen Ansatz der utilitaristischen und staatlich gelenkten Sorge um das Gemeinwohl: „Im Gegenteil, der Rückgriff auf kommunitäre und ethisch-moralische Traditionselemente hat erst zu einer Transformation des Lockeanismus zu einem reformistischen Sozialliberalismus geführt“ 147 und verband folglich auf ganz eigentümlich amerikanische Art christliche Ethik und Soziallehre, kapitalistisches Profitstreben und Individualismus mit dem Tugendkatalog aus republikanischen Frühzeiten und der gemeinschaft- lichen Lebensweise der ersten Siedler, um die soziale Frage innerhalb der Gesellschaft und nicht „von oben“ oktroyiert zu lösen.148 Auslöser für diesen erneuten Reformschub waren die beiden mittelschweren Kon- junkturkrisen zwischen 1873 und 1893 gewesen, die dem „Goldenen Zeitalter“ ein jähes Ende bereitet hatten, wobei die Krise von 1893 als „the worst economic turndown before the Great Depression“ 149 gewertet werden kann, weil sie die soziale Lage sowohl in den Ballungsräumen als auch auf dem Land drastisch verschlechterte. Dabei setzten sich die Progressives aus einer solchen Vielzahl von Akteuren auf lokaler, regionaler und bald auch nationaler Ebene zusammen, dass die Refor- mer kaum einer einzelnen, homogenen Bewegung zugeordnet werden können. „Progressivism can be defined as a multifaceted effort of reformers to first identify and then to remedy the problems inherent in an industrializing and increasingly urban society”.150 In Großstädten wie Chicago deckten die sogenannten Muckrakers, investigative Journalisten

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144 Vgl. PASTORELLO, Karen: The Progressives. Activism and Reform in American Society, 1893-1917. Chichester, NH, 2014. S. 12. Die eigentliche Bezeichnung als „Progressives“ stammte von Berichterstattern über die Kongresswahlen 1910, die die Reformanhänger so bezeichneten. 145 Vgl. zu den vielfältigen Ursprungsquellen des Progressivismus PASTORELLO: The Progressives. S. 13-55. 146 VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 59. 147 VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 59. 148 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 54-59. 149 PASTORELLO: The Progressives. S. 6. 150 PASTORELLO: The Progressives. S. 7.

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mit Hilfe von spektakulärem Bildmaterial die Folgen der rapiden Verstädterung, Armut vor allem unter den Einwanderern, Kinderarbeit, inhumane Arbeitsbedingungen der Industriearbeiter und Korruptions- skandale der örtlichen Verwaltung auf und erregten dabei das Interesse junger Politiker wie Theodore Roosevelt, Charles Evans Hughes und Robert LaFollette, die diese sozialen Missstände zunehmend als Reform- punkte in ihre Wahlprogramme der Republikanischen und der Demo- kratischen Partei aufnahmen. 151 Wie die Bewegung selbst, die neben Journalisten auch unzählige individuell oder im Zusammenschluss agierende Sozialarbeiter wie Jane Addams152 in den Städten und Farmer, christliche Wohlfahrtsaktivisten und Wirtschaftsvertreter in ländlichen Gegenden prägten,153 reflektierten auch die Lösungsansätze und Reform- bemühungen ein großes Spektrum an Überlegungen und Gesinnungen ihrer Akteure. Der Progressivismus war letztlich „the sum of a variety of reform efforts”,154 zu denen die Forderung nach demokratisch gesteuerter staatlicher Intervention und Wohlfahrtsprogrammen, nach Professiona- lisierung der bundesstaatlichen und föderalen Administration, der Auf- lösung der Trusts und Monopolstellungen großer Konzerne aber auch nach einem Interventionismus der Bürger als Privatpersonen in gesell- schaftliche Belange sowie der Glaube an den Fortschritt der Menschheit und der Zivilisation zur Lösung der Folgen der Industrialisierung gehörten.155 Bemerkenswert am Progressivismus war die Eigenschaft der Reformbewegung, dass sie zum größten Teil von unten, von einem lokalen Wohlfahrtssystem ausging und damit ein ganz eigenes amerika- nisches Konzept staatlicher Wohlfahrt begründete. Progressive Denker und Intellektuelle wie Charles und Mary Beard, Vernon Parrington156 und weitere sahen hierin die konkrete Antwort liberal-demokratischer,

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151 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 185ff. Vgl. PASTORELLO: The Progressives. S. 57. 152 Vgl. zur Biographie von Jane Addams, einer engen Freundin William Edward Dodds: KNIGHT, Louise D.: Citizen. Jane Addams and the Struggle for Democracy. Chicago, IL, u.a. 2005. 153 Vgl. zu den verschiedenen Vertretern des Progressivismus PASTORELLO: The Progressives. S. 56-105. 154 PASTORELLO: The Progressives. S. 10. 155 Vgl. NUGENT: Progressivism. S. 1-5. Vgl. LINK, Arthur S./ McCORMICK, Richard L.: Progressivism. Arlington Heights, IL, 1983. S. 21f. und 36. 156 Vgl. zu beiden Intellektuellen HOFSTADTER, Richard: The Progressive Historians. Turner, Beard, Parrington. London 1969.

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egalitärer Ideen Thomas Jeffersons und Andrew Jacksons auf die moderne Industrialisierung und ihre sozio-ökonomischen Folgen. 157 Farmer, Arbeiter, kleine Geschäftsleute eroberten friedlich und auf basisdemo- kratischem Wege die Macht aus der Hand von großen Korporationen und Parteibossen zurück, um Staat und Gesellschaft mit (rand)sozialen Themen zu konfrontieren, staatliche, soziale und private Veränderungen herbeizuführen und so den Sinn und das Wesen der US-Demokratie neu zu definieren, ohne das Gesamtsystem in Frage zu stellen.158 Michael McGerr betont diesen außergewöhnlichen Charakter der sozialen Bewe- gung, die mit keiner europäischen oder sonstigen außeramerikanischen zu vergleichen sei: „Progressives wanted not only to use the state to regulate the economy; strikingly, they intended nothing less than to transform other Americans, to remake the nation’s feuding, polyglot population in their own middle-class image”.159 Die Progressives beant- worteten also die grundsätzlichen Fragen nach dem Individuum, dem Staat und der Rollen von Frau, Mann, Familie, Arbeit und Kindern vollkommen neu.160 William Edward Dodds frühe Biographie, ähnlich wie die eines Josephus Daniels, einer Jane Addams und vieler anderer Progressives, zählten zu exakt dieser Generation von „Victorians”,161 wie McGerr sie nennt, die mit den Extremen von Wohlstand und Armut, dem Einfluss fremder Kulturen und neuer Vergnügungen und den Antago- nismen ihrer Zeit nicht zufrieden waren, ohne Rebellion gegen ihre Eltern ihre eigenen sozialen Verhältnisse verließen, um an den großen und kleinen Zahnrädern des Systems Veränderungen vorzunehmen. Sie wollten ihre Umgebung für sich und ihre Kinder sicherer machen, jedoch

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157 Vgl. PASTORELLO: The Progressives. S. 198. 158 Vgl. hierzu ausführlich vor allem DeWITT, Benjamin Park: The Progressive Movement. A Nonpartisan, Comprehensive Discussion of Current Tendencies in American Politics. Seattle, WA, u.a. 1968. DeWitt weist auf diesen Charakterzug einer Evolution von unten direkt hin. Vgl. auch FLANAGAN, Maureen A.: America Reformed. Progressives and Progressivism, 1890s – 1920s. New York u.a. 2007. Hier vor allem das Preface und die Seiten 33-76. Flanagan betont den demokratischen Erneuerungscharakter der Bewegung von unten. Vgl. auch McGERR: A Fierce Discontent. Vor allem die Seiten xiv f. McGerr sieht in vielen Progressives die Vertreter eines radikalen Mittelstandes, die die USA nach ihren Utopievorstellungen verändern wollten, ohne sich von ihrem eigenen Standesbewusstsein entmutigen zu lassen. 159 McGERR: A Fierce Discontent. S. xiv. 160 Vgl. McGERR: A Fierce Discontent. S. xiv. 161 Vgl. McGERR: A Fierce Discontent. S. xiv.

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ohne die Grundsätze der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und des individuellen Privateigentums anzutasten.162 „I believe progressivism was a radical movement, though not by the common measures of economic and political radicalism. […] Instead, progressives were radical in their conviction that other social classes must be transformed and in their boldness in going about the business of that transformation. As they themselves had been changed, so others should be changed, too”,163 schreibt McGerr in seinem Vorwort zum Zeitalter des Progressivismus. Einer der Professoren für Geschichte an der Universität von Chicago beschrieb folgende Eigenschaften Dodds viele Jahre später in einem Nachruf und reflektierte dabei auch zentrale Merkmale der Denkweisen einer ganzen Generation von progressiv-liberalen Reformern: „He [Dodd] studied history not only to discover ideas that might be helpful in solving present and future problems, to make the world a better place to live in, but also for the purpose of deciding what ideas and institutions were unsuited to a new environment and a new age. With an intensely idealistic outlook on life and a belief in the capacity of mankind to make progress towards a better civilization, he criticized many of our current ideas and institutions. He was a citizen in the republic of letters who deemed it his duty to work for a new national and world order. […] His belief that ideas and institutions are inseparably connected with a particular environment and stage of civilization, led him to vigorously

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162 Vgl. McGERR: A Fierce Discontent. S. xv und 28-42. McGerr betont das Schicksal vieler Farmerkinder, die das Farmleben ihrer Eltern in Frage stellten und nicht für ihre eigene Zukunft wählten, obwohl sie mit der Sehnsucht nach dem eigenen Land Zeit ihres Leben haderten. Sie rebellierten nicht gegen ihre eigenen Eltern und wollten dennoch nicht deren Leben führen. Zwischen Selbstdisziplin und Selbstverleugnung (S. 42) wollten sie die Brüche ihrer eigenen Situation und der Gesellschaft überwinden. Vgl. hierzu auch Dodds eigene Aussagen in Vgl. hierzu Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Dodd schrieb hier über sein Vorhaben, für seine Dissertation nach Deutschland zu gehen und alles hinter sich zu lassen „However, my purpose was fixed and family doubts did not deter me”. 163 McGERR: A Fierce Discontent. S. xv. Vgl. hierzu auch NUGENT: Progressivism. S. 4. Nugent betont, der Progressivismus sei eine Reformbewegung und nicht radikal gewesen. Vgl. auch LINK/McCORMICK: Progressivism. S. 21. Link und McCormick dagegen schreiben den Progressives eine starke Emotionalität, eine Wut über die Folgen der Industrialisierung zu.

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criticize our constitution. However suitable it was, he said, for a nation of farmers, it did not meet the needs of our twentieth century civilization”.164 William Dodd hatte sich vom einfachen Farmerjungen zum international ausgebildeten und national angesehenen Akademiker hochgearbeitet, der eine außergewöhnliche Sensibilität für die eigenen Möglichkeiten der Talententfaltung und für seine Umgebung an den Tag legte. Die Progressives waren Überzeugungstäter, jedoch keine radikalen Ideologen, so bestätigt auch Martha Dodd viele Jahre später rückblickend diese Charaktereigenschaften ihres Vaters, die zwischen politisch-moralischer Überzeugung, auf dem eigenen Standesbewusstsein beruhender Beschei- denheit und Naivität, eiserner Disziplin und Toleranz oszillierten: „Though not gregarious he was sincerely and sympathetically interested in people. His capacity to arouse love and respect from others was extraordinary, and his loyalty to his family, friends and beliefs was unswerving. His candor, of such a disarming quality that it was often mistaken for naiveté which he also possessed, and his simplicity concealed an almost peasant shrewdness. […] His early religious bent […] left him […] an almost Biblical feeling about the sacredness of labor and an exceptionally pure and incorruptible character. His personal philosophy was liberal. He prided himself on his immense and pleasantly ironic tolerance of the opinions and habits of others so long as their conduct did not injure the common good […]”.165 Dodd und seine Generation standen an der Wende eines Jahrhunderts und einer Gesellschaft, die in ihren alten und neuen Ideen nach Lösungen für die eigene Gegenwart und Zukunft suchten und so nicht selten widersprüchlich in ihren Taten und Meinungen erschienen: „It is in the relationships of these generations that we can most clearly see how the stresses of industrializing America fractured old ideologies and created new ones, including progressivism”.166 An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, inwiefern der Progressivismus eine Ideologie war und warum die amerikanische Generation nach dem Bürgerkrieg sich nicht für einen

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164 „As Historian: Address of Marcus W. Jernegan, Prof. Emerit. of History”. In: The University of Chicago Magazine, eine Reihe von Artikeln über Dodds Leben und Werk. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd Printed Matter. 165 Profile of my Father by Martha Dodd (1962). LC. Martha E. Dodd Papers. Mappe Martha E. Dodd Box 12, Mappe 3, Writings, Books, Ambassador Dodd’s Diary, Later editions, Changes Made, 1960-61. 166 Vgl. McGERR: A Fierce Discontent. S. xv.

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Sozialismus europäischer Art entscheiden wollte. McGerr betont den ideologischen Charakter der progressiven Ideen, die dennoch kaum in klassische Ideologien eingeordnet werden können: Der Progressivismus beinhaltete zwar die typischen Zweideutigkeiten und Widersprüche von Ideologien, die zahlreichen Akteure der Progressives selbst gaben jedoch nie der Idee Vorrang vor der humanitären Praxis, verloren sich nicht in ideologischen Debatten, sondern kümmerten sich gleichzeitig und ergänzend um verschiedene Probleme in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft: „[I]t was an ideology of the center, in a society seemingly torn between ‚two nations‘ or between individualism and socialism”.167 Der berühmte Historiker und progressive Denker Charles Beard stellte Marx‘ Ideologie, die er für zu formalistisch und nicht umsetzbar hielt, seine eigene Auffassung einer Zivilisationsidee entgegen, die statt einem kommunistischen Umsturz sozialpolitische Experimente im Rahmen des demokratischen Systems bevorzugte.168 Brüche in der Gesellschaft sollten geschlossen, nicht neue, ideologisch begründete verursacht werden. Hans Vorländer stellt den besonderen Charakter des amerikanischen Umgangs mit Ideologien heraus: Amerika erfinde sich immer wieder neu, erlebe einen Fortschritt mit Hilfe von eigenen Ideologien, die „einen Ausschnitt der Wirklichkeit als relevant fest[legen] und […] dem sozialen Hand- lungsraum Struktur“169 geben, doch das Muster der Erfindung bleibe immer ähnlich: neue „Erfindungen“ – um im amerikanischen System erfolgreich zu sein – müssen narrativ durch große Persönlichkeiten oder die Topoi der eigenen Geschichte transportiert werden und dennoch den liberalen Kern des Amerikanismus und Republikanismus aufrecht- erhalten.170

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167 McGERR: A Fierce Discontent. S. 73. Vgl. auch die Seiten 64f. und 71ff. Vgl. hierzu auch STROMQUIST, Howard Shelton: Reinventing ‚The People‘: The Progressive Movement, the Class Problem, and the Origins of Modern Liberalism. Urbana, IL, u.a. 2006. Vgl. zu den progressiven Intellektuellen Charles Beard, John Dewey und William James und ihrer Verbindung von Progressivismus und Pragmatismus für eine soziale „Evolution“ MARCELL, David W.: Progress and Pragmatism. James, Dewey, Beard, and the American Idea of Progress. Contributions in American Studies, Number 9. Westport, CT, London 1974. Besonders S. xi, S. 99f. und 110. 168 Vgl. MARCELL: Progress and Pragmatism. S. 321 sowie 258-320 zu Beards Philosophie generell. 169 VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 37. 170 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 37-44.

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Aus genau diesem Grund entsagten die progressiven Vordenker jeder Verbindung zu europäischen Ideologien wie den sozialistischen Ideen und Utopien und gaben der Bewegung ihre ganz eigene theoretische und praktische Legitimierung. Hierfür fanden sie sicher auch einen geeigne- teren Nährboden, um liberale Reformideen salonfähig zu machen als ihre europäischen Pendants. Anders als die politischen Kräfte zum Beispiel im kaiserlichen Deutschland sahen sich die liberalen Kräfte in Amerika nicht zu Allianzen mit den Konservativen gezwungen, die eine geschlossene Frontstellung zur Arbeiterschaft hervorriefen. Liberalismus, so betont Hartz, diffundierte durch alle Schichten der amerikanischen Gesellschaft. 171 Bereits die Vordenker der Social Gospel-Bewegung, Richard Ely, und andere hatten europäische Vorstellungen eines Klassen- kampfes und auch weniger revolutionäre Formen der Sozialdemokratie abgelehnt und durch die Verbindung ökonomisch-wissenschaftlicher und soziologischer Erkenntnisse und christlich-ethischer Überzeugungen eigene Methoden des Umgangs mit der sozialen Frage entwickelt. 172 Um im breiten Spektrum der engagierten Akteure aus allen Schichten erfolgreich zu bleiben, war eine Identifikation mit der Arbeiterbewegung in den USA für die meisten Reformer nicht ratsam. 173 Die Socialist Party, die 1901 aus der Social Democratic Party von Victor Berger und Eugene V. Debs174 sowie Job Harrimans Socialist Labor Party hervor- gegangen war, konnte sich selbst bei den Wahlen 1912 nicht als Drittpartei in der amerikanischen Parteienlandschaft etablieren und ging wenig später getrennte Wege von der mächtigsten Gewerkschaft, der American Federation of Labor.175 Familiäre und lokale soziale Sicherungsnetzwerk, die ständige Einwanderung billiger Arbeitskräfte, die Möglichkeit politischer Partizipation durch das allgemeine Wahlrecht, aber auch die Ideologie vom amerikanischen Traum und das Ausbleiben eines einheitlichen Klassenbewusstseins der ethnokulturell unterschiedlichen

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171 Vgl. u.a HARTZ, Louis: The Rise of the Democratic Idea. In: SCHLESINGER, Arthur M., Jr./ WHITE, Morton (Hgg.): Paths of American Thought. Boston, MA, 1963. S. 37-51. Vgl. auch HARTZ, Louis: The Liberal Tradition in America. An Interpretation of American Political Thought Since the Revolution. New York u.a. 1955. Hier S. 259. 172 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 150 und 155-159. 173 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 163ff. 174 Vgl. zur Person und dem Politiker Debs u.a. SALVATORE, Nick: Eugene V. Debs. Citizen and Socialist. Second Edition. Urbana, IL, u.a. 2007. 175 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 175-180. Vgl. zur Wahl 1912 auch PASTORELLO: The Progressives. S. 178-186.

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Arbeiter schlossen einen Sozialismus amerikanischer Art geradezu aus.176 Desweiteren gelang es vor allem der Demokratischen Partei, viele überzeugte bis radikale Reformer der Populists nach der Wahlniederlage von 1896 in ihre eigene Wählerschaft zu absorbieren und sich zu ihrer bis heute bestehenden Reputation als massentauglicher, liberaler Reformpartei aufzuschwingen.177 Außerdem gelang den Progressives die Neudefinition und Formulierung eines amerikanischen Nationalismus, der die regionale Hegemonialmacht nach dem Sieg über Spanien 1898178 als erfolgreiche Groß- und Weltmacht auf die weltpolitische Bühne des Zeitalters des Imperialismus führte: Mit dem Republikaner William McKinley, spätestens mit Theodore Roosevelt als Präsident der Ver- einigten Staaten hatte eine progressive und imperialistische Elite um Roosevelt, Henry Cabot Lodge und Elihu Root in beiden großen Parteien Zugang zur innen- und außenpolitischen Ausrichtung des Landes erhalten.179 Mit Theodore Roosevelts Wahl zum Präsidenten erhielt jene progressive Elite zu der Zeit, in der William Dodd aus Leipzig nach Amerika zurückkehrte, den direkten Zugriff auf die Regierung. Der Republikaner Theodore Roosevelt verband auf besondere Art und Weise sein Kon- zept von republikanischem Progressivismus – die Berichterstattung der

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176 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 175-180 und SOMBART, Werner: Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus? Unveränderter, reprografischer Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1906. Darmstadt 1969. Vor allem S. 124-129. 177 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 150ff. und 180-183. Vgl. auch HOFSTADTER, Richard: The Age of Reform. From Bryan to F.D.R. New York 1955. Die Aufnahme der Populists und Progressives führte innerhalb der Demokratischen Partei jedoch vor allem in den 1920ern zu Konflikten zwischen den alten Bryan-Wählern – vor allem aus ländlichen Gegenden – und Anhängern Al Smiths, der die urbane Parteimaschine repräsentierte. S. 296-300. Vgl. zur besonderen Entwicklung des amerikanischen Nationalstaats im Vergleich zu den europäischen IRIYE: Globalizing of America. S. 9-18. 178 Vgl. u.a. GOULD, Lewis L.: The Spanish-American War and President McKinley. Lawrence, KS, 1982. Vgl. auch OFFNER, John L.: An Unwanted War. The Diplomacy of the United States and Spain over Cuba, 1895-1898. Chapel Hill, NC, London 1992. Vgl. auch SCHOONOVER, Thomas: Uncle Sam’s War of 1898 and the Origins of Globalization. Lexington, KY, 2003. 179 Vgl. HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 194. Vgl. auch HANNIGAN: World Power. S. 20. Vgl. zur Außenpolitik der USA ab 1898 bis zu Theodore Roosevelts Amtsantritt HERRING: From Colony to Superpower. S. 299-336.

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Muckrakers zu den Missständen in den Großstädten hatte ihn früh beeinflusst – mit einer neuen Definition von Nationalismus, seinem „New Nationalism“ und einer imperialistischen Machtpolitik der Großmacht USA.180 Als charismatische Führungspersönlichkeit gelang ihm so die Überführung der Grass Root-Bewegung des Progressivismus in die Politik der nationalen Regierung und er etablierte einen neuen Typus effizienter Administration und Machtausweitung der Exekutive.181 Hierbei ließ er sich von Denkern und Meinungsbildern wie Herbert Croly inspirieren, dessen „Promise of American Life“182 zur Begründung eines neuen nationalistischen Credos der USA gereichte und die Verbin- dung von Jeffersons Demokratieglauben und dem nationalintegrativen Hamiltonismus einforderte, den Roosevelt in die Praxis umsetzte:183 Die Machtmittel des Federalists Alexander Hamilton, und zwar eine starke nationale Regierung, sollten individualliberale Ziele des Republikaners Thomas Jefferson erreichbar machen und damit nicht nur das System reformieren, sondern auch diesen alten Gegensatz aus Gründerzeiten in Wohlgefallen auflösen. 184 Starke Einzelpersönlichkeiten wie Robert LaFollette in Wisconsin und Gouverneur Hiram Johnson in Kalifornien unterstützten diesen Kurs durch die Durchführung von für andere Einzelstaaten mustergültigen Reformen in ihren Bundesstaaten, wie LaFollettes „Wisconsin Idea“185 unter Zurückdrängen der Eisenbahnmo- nopolisten beeindruckend bewiesen hatte.186

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180 Vgl. zu seiner und Howard Tafts Außenpolitik bis 1913 HERRING: From Colony to Superpower. S. 337-377. 181 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 187ff. Vgl. außerdem LINK/ McCORMICK: Progressivism. S. 34-47. 182 Vgl. CROLY, Herbert David: The Promise of American Life. Hrsg. von Arthur M. SCHLESINGER. ND. Cambridge 1965. 183 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 209. Vgl. zu „Teddy“ Roosevelts progressiver Reformpolitik NUGENT: Progressivism. S. 35-73. Vgl. auch LINK/ McCORMICK: Progressivism. S. 34-47. Vgl. auch EKIRCH, Arthur A.: Progressivism in America. A Study of the Era from Theodore Roosevelt to Woodrow Wilson. New York 1974. 184 Vgl. VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 213. Vgl. auch ebenda. S. 74-80 zum Diskurs der Federalists mit den Anti-Federalists. 185 NUGENT: Progressivism. S. 64. 186 Vgl. NUGENT: Progressivism. S. 63ff. und 69f.

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Wie Croly und John Fiske187 „deutete[n] [Roosevelt und seine Berater] amerikanische Geschichte als einen Prozess fortschreitender Verwirk- lichung freiheitlicher Prinzipien“188, nach innen wie auch nach außen.189 Crolys Thesen, der amerikanische Staat sei erst nach dem Bürgerkrieg zur echten Nation geworden190 und benötige die Verschmelzung von politischen und ökonomischen Ideen sowie eine Erneuerung der Demo- kratie um als industrialisierte Gesellschaft im internationalen Wettbewerb überleben zu können, formten einen neuartigen Nationalismus.191 Die Demokratie, das wichtigste Element des US-amerikanischen Staates, erhielt bei Croly eine weitere Funktion: Sie selbst mache eine Mission der USA aus, nämlich in die Welt getragen zu werden.192 Die Progressives sollten seiner Ansicht nach nicht nur nach innen, sondern verstärkt nach außen reformieren, damit die autokratischen Kräfte in der Welt nicht

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187 Vgl. zu Fiske vor allem FISKE: Destiny of Man. S. 18-25, 94f. und 118. Fiske mischte die Vorstellungen der Gründerväter und ersten Siedler, dass die USA einem manifest destiny folgten, mit der Idee des Anglo-Saxonism, der Vorherrschaft der angelsächsischen Völker, deren Auftrag es sei, alle unzivilisierten Populationen zu missioniere und zu erziehen. 188 HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 195. 189 Jenen Ansatz zur aktiven Problemlösung im Inneren und Äußeren findet man in Roosevelts Reden vor dem Kongress wieder, z.B.: „There are many problems for us to face at the outset of the twentieth century – grave problems abroad and still graver at home; but we know that we can solve them”. ROOSEVELT, Theodore: First Annual Message (December 03, 1901). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/scripps/archive/speeches/detail/3773, Zugriff am 05.07.2015. 190 Vgl. CROLY: Promise. S. 269. „The unionist democracy conquered, and as the result of that conquest a new balance was reached between the various ingredients of American national life”. Auch Brooks Adams verfolgte diese These, sah allerdings im Bürgerkrieg bereits „den Übergang der Vereinigten Staaten aus der formlosen oder kolonialen Periode in die imperialistische Daseinsphase“. Vgl. ADAMS, Brooks: Das Herz der Welt (= „The New Empire”, übersetzt von Julius SACHS). Wien, Leipzig 1908. S. XXXIII. 191 Vgl. LaFEBER, Walter: The American Search for Opportunity, 1865-1913. The Cambridge History of American Foreign Relations, Volume II. Cambridge, MA, u.a. 1993. S. 211 und CROLY: Promise. Zur Begründung eines amerikanischen Nationalismus aufgrund der „Auserwähltheit“ der USA und des „amerikanischen Versprechens“ vgl. S. 2f. 192 Vgl. CROLY: Promise. S. 289 und 308. „[…T]he will to play that part [in the world] for all it is worth will constitute a beneficial and a necessary stimulus to the better realization of the Promise of our domestic life” (S. 289). „A genuinely national foreign policy for the American democracy is not exhausted by the Monroe Doctrine […] The validity of colonial expansion even for a democracy is a manifest deduction from the foregoing political principles” (S. 308).

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siegten.193 Mit der Verbindung politischer und ökonomischer Macht in der Außenpolitik könne die vollendete amerikanische Nation sich nach innen einen und nach außen durchsetzen.194 Croly hatte damit, unter Vereinigung mehrerer außenpolitischer Linien, gedanklich die erste Verbindung von politischem und wirtschaftlichem Imperialismus mit demokratischem Nationalismus hergestellt.195 Mit diesen Gedankengängen bauten Croly und Roosevelt auf Ideen des progressiven Historikers und späteren Kollegen und Freundes William Edward Dodds auf: Frederick Jackson Turners „Frontierthese”. 196 „Im Grund war die Geschichte der Nation immer eine Geschichte der konti- nuierlichen Ausdehnung gewesen”. 197 Denn neben der ökonomischen Rechtfertigung eines Ausgreifens des industrialisierten Nordamerikas fand der Historiker Frederick Jackson Turner198 das seit den Revolu- tionstagen existierende amerikanische Sendungsbewusstsein als neue und alte Begründung für eine expansive Außenpolitik. Die Frontier im Westen der USA sei ein „entscheidende[r] Faktor im Wachstum der amerikanischen Demokratie“ 199 gewesen. Diese zu erobernde Grenze

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193 Vgl. CROLY: Promise. S. 291. „The European system, based as it was upon royalist legitimacy and privileges, […] was declared to be inimical in spirit […] to the American democratic state”. 194 Vgl. CROLY: Promise. S. 299. „The American nation would testify to its sincere democracy by its positive promotion of a peaceful international system in the two Americas”. 195 Vgl. CROLY: Promise. S. 209 und 300-307. Croly wurde im Vergleich zu früheren Denkern in Sachen Umsetzung absolut konkret: Großbritannien solle endlich vom kanadischen Nachbarn abgekoppelt werden und die lateinamerikanischen Staaten aus ihrer Schuldenfalle gerettet und damit für die Demokratie vorbereitet werden. Vgl. LaFEBER: American Search. S. 213. 196 Vgl. HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 157ff. Vgl. zum Einfluss progressiver Historiker und Akademiker auf die Regierung und politischen Eliten HOFSTADTER, Richard: The Progressive Historians. 197 SAUTTER, Udo: Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. 4., erweiterte Auflage. Stuttgart 1991. S. 306. 198 Zu Turners biographischem Hintergrund vgl. BECK, Roland H.: Die Frontiertheorie von Frederick Jackson Turner 1861-1932. Darlegung und Kritik von Turners Interpretation der amerikanischen Geschichte. Zürich 1955. S. 11-13. 199 BECK: Frontiertheorie. S. 25 und vgl. TURNER, Frederick Jackson: The Frontier in American History. ND. New York u.a. 1962. „American social development has been continually beginning over again on the frontier” (S. 2). „The economic and social characteristics of the frontier worked against sectionalism” (S. 27). „It was this nationalizing tendency of the West that transformed the democracy of Jefferson into the national

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stelle eine Herausforderung für die amerikanischen Siedler dar und rege den fortgesetzten Idealismus sowie den Fortschrittsglauben an.200 Die Suche nach „neuen“ Grenzen alleine könne das Manifest Destiny der USA aufrechterhalten.201 Da die amerikanischen Westfrontier bis zum Pazifik weitgehend erobert war und damit de facto nicht mehr existierte, wodurch Turner im schlimmsten Fall einen Klassenkampf bevorstehen sah, 202 nahmen die amerikanischen Imperialisten wie Lodge und Roosevelt um die Jahrhundertwende Turners Ideen zum Anreiz, sich neue Grenzen zur politischen und kommerziellen Expansion zu suchen und diese vornehmlich im Westen jenseits des Ozeans also in Ostasien zu finden. 203 Einige Autoren wie Ronald Powaski werten diese imperia- listische Außenpolitik der USA als Fortführung des Isolationismus mit der Bedeutung einer Abgrenzung von Europa.204 Tatsächlich aber revidierte er sein Urteil in Hinblick auf langfristige Entwicklungen der amerikanischen Außenpolitik: „As a result of territorial acquisitions beyond its continental boundaries, the United States would find it increasingly difficult to remain isolated from the political affairs of other nations, particularly those of Europe”.205 Theodore Roosevelt zeigte sich fasziniert von den

______republicanism of Monroe and the democracy of Andrew Jackson” (S. 29). „The West is the most American part of America” (S. 206) und Kapitel IX, Contributions of the West to American Democracy, S. 242-268. 200 Hierin besteht eine Verbindung zu , siehe Adams’ Theorie des verheißenen Landes im Westen, zitiert bei BECK: Frontiertheorie. S. 26f. Vgl. TURNER: Frontier. S. 4. „Little by little [the settler] transforms the wilderness, but the outcome is not the old Europe, not simply the development of Germanic germs […]. The fact is, that here is a new product that is American” (S. 4). „Movement has been its dominant fact, and, unless this training has no effect upon a people, the American energy will continually demand a wider field for its exercise” (S. 37). 201 Vgl. TURNER: Frontier. „The Western man believed in the manifest destiny of his country”. (S. 213). „This extension of power […] this entry into the sisterhood of worldstates, was no isolated event. It was, indeed, in some respects the logical outcome of the nations’s march to the Pacific” (S. 315). 202 Vgl. BECK: Frontiertheorie. S. 27 und TURNER: Frontier. S. 279-281. Turner sieht die Anwendung der Pionierideale auf die Suche nach einer neuen Frontier voraus. 203 Sie beriefen sich dabei auf die von Turner genannten Ideale der Pioniere. Vgl. TURNER: Frontier. „The first ideal of the pioneer was that of conquest”. (S. 269). „Of discovery, the pioneer had the ideal of personal development” (S. 271). „Democracy became almost the religion of the pioneer. He held with passionate devotion the idea that he was building under freedom a new society […]” (S. 275). 204 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. xix ff. 205 POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. xxi.

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Ideen des (see-)strategischen Experten Alfred Thayer Mahan206, der die Notwendigkeit zur außenpolitischen Umorientierung der Handelsmacht USA erkannte und den Ausbau zur England ebenbürtigen Seemacht propagierte.207 Expansion gestaltete sich somit für Roosevelt als Zeichen einer materiellen und inneren moralischen und ideellen Robustheit, um nationale Interessen durchzusetzen – wenn nötig militärisch. Für „Teddy“ Roosevelt musste das amerikanische Experiment nach außen ausgreifen, um weiteren Wohlstand zu garantieren, und er verknüpfte den amerika- nischen Wohlstand, hier ein erster weltpolitischer Ansatz, mit dem Wohlstand der gesamten Welt.208 Eldon Eisenach fasst diese theoretische und praktische Weiterentwicklung des Progressivismus ab spätestens Roosevelts Amtszeit in einem prägnanten Satz zusammen, wenn auch bei weitem nicht alle progressive Politiker einer imperialistischen Politik gegenüber unkritisch oder befürwortend gegenüberstanden: 209 „Progressive internationalism is an integral part of Progressive nationalism in that the Progressive view of the future of America as a

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206 , später Admiral Alfred Thayer Mahan ist der herausragendste amerikanische Seerechtstheoretiker, der auch heute noch in der Naval Academy in Annapolis rezipiert wird. Er lehrte am damals neuen in Newport, Rhode Island, in den späten 1880ern. Vgl. HANNIGAN: World Power. S. 19 und MAHAN, Alfred Thayer: The Interest of America in Sea Power, Present and Future. ND. New York 1970. 207 Vgl. auch COLLIN, Richard H.: Theodore Roosevelt, Culture, Diplomacy, and Expansion. A New View of . Baton Rouge, LA, London 1985. U.a. S. 99 und MAHAN: Interest of America. S. 138. Roosevelt empfahl in seiner Jahresbotschaft 1906 den Bürgern aktiv die Lektüre von Mahans Büchern: Roosevelt, Theodore: Sixth Annual Message (December 3, 1906). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/roosevelt/speeches/speech-3778, Zugriff am 05.07.2015. „ For this purpose nothing could be more instructive than a rational study of the , as it is told, for instance, by Captain Mahan”. 208 Vgl. ROOSEVELT, Theodore: Inaugural Address (March, 1905). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/roosevelt/speeches/speech-3564, Zugriff am 05.07.2015. „Upon the success of our experiment much depends, not only as regards our own welfare, but as regards the welfare of mankind”. 209 Vgl. hierzu EISENACH, Eldon J.: Progressive Internationalism. In: MILKIS, Sidney M./ MILEUR, Jerome M. (Hgg.): Progressivism and the New Democracy. Amherst, MA, 1999. S. 239. Vgl. dagegen McGERR: A Fierce Discontent. S. 281 „[P]rogressive ideology produced no particular vision of the nation’s international interests”. Die eigentliche Ausein- andersetzung der Progressives über die Verbindung zwischen Progressivismus und Imperialismus erfolgte erst während der Verhandlungen der Versailler Verträge 1919 und in den Folgejahren.

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national community is inseparablefrom its view of America as the dominant force for justice in the world community”.210 Diese Erklärungen zu den amerikanischen innen- und außenpolitischen Reformen seit William McKinley sind deshalb von zentraler Bedeutung, weil William Edward Dodd nach seiner Rückkehr aus Deutschland nicht nur eine wissenschaftliche Karriere anstrebte, sondern unmittelbar danach die Reformpolitik der Progressives unterstützte, sich in der Kommunal- und Bundesstaatspolitik Virginias politisch engagierte und hierbei in direkten persönlichen Kontakt mit zentralen Akteuren der US- Politik wie Präsident Theodore Roosevelt kam. Für das Gedankegut der Progressives, wie vorher der Populists, war der junge Südstaatler nach seinem Deutschlandaufenthalt besonders empfänglich: Die autokrati- schen Machtstrukturen und der mangelnde Liberalismus im kaiserlichen Deutschland hatten ihn noch intensiver die Frage nach einer Lösung sozialer und demokratiedefizitärer Probleme fern der europäischen Lösungsansätze stellen lassen.211 Hierfür gab es auch private Gründe. Während seiner Studienzeit hatten seine Großonkel Sam und Ashley Horne Vater John dazu gedrängt, aufgrund seiner enormen Schulden seine Farm zu verkaufen und ein kleineres Stück Ackerland in Wake Forest fern von Familie und Freunden zu erstehen. Mutter Evelyn litt dabei besonders unter der sozialen und ökonomischen Veränderung und glitt zunehmend in eine Depression ab, die den Druck auf Sohn William Edward, umgehend eine einträgliche Stellung als Juniorprofessor für Geschichte zu erhalten, enorm erhöhte.212 Während seiner Suche nach einer Festanstellung, bei der ihm vor allem der progressive Demokrat Josephus Daniels half, der den jungen Wissenschaftler zwei Artikel über den deutschen Militarismus im November 1899 in seinen Zeitungen veröffentlichen ließ, begann Dodd auch sein neues Schreibprojekt: eine Biographie über Nathaniel Macon, ein Südstaatenaristokrat aus North

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210 EISENACH: Progressive Internationalism. In: MILKIS/MILEUR: New Democracy. S. 226. Vgl. hierzu auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 1-26 und zur Großmachtpolitik ab 1898 HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 190-206. 211 Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. ix. 212 Vgl. zu diesen Entwicklungen seiner familiären Verhältnisse BAILEY: Yeoman Scholar. S. 22f. Vgl. hierzu Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898- 1932 and undated. „However there was no prospect of employment. [...M]y kinsfolk wondered how I would repay it [Horne`s loan]”.

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Carolina, der getrieben von seinem Glauben an die egalitäre Demokratie Thomas Jefferson in seinem Kampf gegen Alexander Hamiltons eliten- fördernden Zentralismus unterstützt hatte.213 Die finanzielle Grundlage zur Fortführung dieses Vorhabens lieferte ihm sein Erfolg bei der Arbeitsplatzsuche: Ab September 1900 lehrte William Edward Dodd als Professor für Geschichte an einer Eliteuniversität für den Nachwuchs von Virginias besten Familien, am Randolph-Macon- College in Ashland, Virginia. Dodd, der seinen schlichten Lebensstil über seine Zeit in Leipzig hinweg gerettet hatte, wurde besonders von den Eltern seiner Studenten als Fremdkörper wahrgenommen.214 Sein äußerst schlanker und dennoch muskulöser Körperbau, den er der harten Farmarbeit in seiner Kindheit und Jugend verdankte, sowie seine altmodische Kleidung trugen ihm bald den Titel „´Monk´“215 Dodd ein. Dabei geriet Dodd nicht nur mit seinem nach außen getragenen bescheidenen Lebensstil in die Kritik der wohlhabenden Familien seiner Studenten: Zusammen mit weiteren progressiven Historikern wie John Spencer Bassett216 hatte sich Dodd vorgenommen, die Lehre und das Studium der Geistes-, vor allem der Geschichtswissenschaften im Süden zu professionalisieren. Die Kritik der beiden Wissenschaftler an der vorherrschenden Geschichtsdeutungshoheit durch die südstaatliche Aristokratie, die sie auch zum Gegenstand hitziger Debatten innerhalb der American Historical Association machten, verschärfte sich, als sich die Fälle häuften, bei denen zu kritische Hochschullehrer im Süden auf

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213 Vgl. zu Dodds Beweggründen, sich mit Macon wissenschaftlich zu beschäftigen Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 22 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 23f. Daniels ermutigte Dodd immerwieder zu einer schonungslosen Abrechnung mit der Geschichte der Südstaaten. So schrieb er bezüglich Dodds Macon-Biographie in einem Brief von 1901 an Dodd: „The same influences that put North Carolina in the whig column after Macon had passed away, are working now to make the democratic party a virtual whig party. [...] The best way to secure one is to invoke his spirit by letting the people know all about him”. Daniels an Dodd, 1901. LC. William Dodd Papers. Mappe „1900-1901“ A-G. Vgl. auch Daniels Briefe an reiche Geschäftsleute in Raleigh mit Bitte um finanzieller Unterstützung für Dodds Macon-Projekt in Mappe „1902-3 and 1904”. 214 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 23f. 215 DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 29. 216 Vgl. zu John Spencer Bassett STEPHENSON, Wendell H.: Southern History in the Making. Pioneer Historians of the South. Baton Rouge, LA, 1964. S. 93-131.

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Drängen der einflussreichsten Familien aus ihrem Dienst entlassen und zudem John Fiskes Buch zur US-Geschichte aus dem Lehrplan des Randolph-Macon-Colleges verbannt wurden.217 Dodd hatte es sich mehr und mehr zur Aufgabe gemacht, die korrupten Strukturen der Süd- staatengesellschaft aufzudecken und er verband diesen Kampf gegen den Einfluss der Wohlhabenden an seinem College mit seinem Einsatz, über die Region hinaus für die Wahrung der Redefreiheit, Bildungsfreiheit und progressive Reformen einzutreten.218 Hierbei intensivierte er den Kontakt zu Josephus Daniels, den er häufig in dessen Büro in Raleigh besuchte,219 sowie zu anderen progressiven Historikern wie Frederick Jackson Turner, dessen „New History“-Ansatz den jungen Nachwuchswissenschaftler zur Entwicklung einer eigenen historischen Methode, die die in Deutschland erlernten Verfahrensweisen mit progressiven Methoden verband, inspi- rierte.220 Für Dodd avancierten sein Macon-Werk wie auch zukünftige Projekte nunmehr stärker dazu, eine „historical literature tinged with social commentary“221 zu sein als die Schilderung des Gewesenen unter Berücksichtigung kultureller, sozialer, ökonomischer und politischer Umstände. 222 Dodd erkannte die Pflicht eines Historikers, politische

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217 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 24f. und 35-38 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 31. Diese Auseinandersetzungen bewegten Dodd offensichtlich zu dem vergeblichen Versuch, sich auf andere Universitätsstellen in Kansas, Arkansas und Lexington, VA, zu bewerben. Vgl. die Briefkorrespondenz mit diesen Universitäten 1902 und 1903 in LC. William Dodd Papers. Mappe „1902-3“ A-H. Wieder war es Daniels, der Dodd guten Mut zusprach. Daniels an Dodd, Oktober 1900. LC. William Dodd Papers. Mappe „1900-1901“ A- G. „The great danger in the America of today is, that our colleges are getting under the influence of money worshippers”. 218 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 38-41. 219 Vgl. zu Dodds Bewunderung für Daniels und seine Arbeit für die liberale Sache Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 27. Vgl. zu seinen frühen Briefwechseln mit Daniels, der ihn stets ermutigte, mit seiner wissenschaftlichen und politischen Arbeit fortzufahren, z.B. die Briefe von 1901 in LC. William Dodd Papers. Mappe „1902-3“ A-H. 220 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 42f. 221 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 42. 222 Dies führte offensichtlich auch dazu, dass konservativ eingestellte Verlagshäuser den Druck seines Macon-Buches ablehnten. Vgl. Seinen Briefwechsel im September 1902 mit dem Herausgeber der Houghton Mifflin & Company in LC. William Dodd Papers. Mappe „1902-3“ A-H. Das Verlagshaus schrieb am 13. September 1902: „We cannot help fearing on general grounds that the book will prove to belong to that growing class of biographies interesting to a limited circle of readers [...]”. Vgl. zu allen schriftlichen Publikationen

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Entwicklungen offen zu kritisieren: „Much as one dislikes to criticize the conduct of one`s country, it is the business of the historian to tell the truth”.223 Das Leid seiner eigenen Familie, das Bild von einer sich militarisierenden deutschen Gesellschaft224 und der Einfluss der anti- demokratischen Eliten in den Südstaaten und der mit diesen verbündeten institutionalisierten Kirchen225 auf die sozialen und politischen Verhält- nisse in Amerika führten ihn zu einer neuen Betonung des Politischen, in seinem privaten Denken, seinen beruflichen Auseinandersetzungen und seiner wissenschaftlichen Arbeit: „Dodd substituted the pragmatics of politics for the metaphysics of religion. Initially his passion for statecraft served as handmaiden to his history vocation, but in the course of a lifetime it first competed with and then overwhelmed his scholarship”.226 Geschichtswissenschaft war für Dodd wichtig, allerdings nur dann, wenn sie politische Ziele wie eine Reform des Bildungswesens und der Gesellschaft im demokratischen Sinne beförderte: Was sei Geschichte selbst denn wert, wenn die Demokratie und ein idealistisches Leben verloren seien, fragte er sich in jenen Jahren rhetorisch selbst.227 Hin- und hergerissen zwischen den modernen Forderungen der Progressives und Thomas Jeffersons egalitärem Republikanismusideal bezeichnete sich William Edward Dodd in jenen Tagen als Jeffersonian und als Anhänger Jean-Jacques Rousseaus.228 Sein dank Daniels 1903 erschienenes Buch über Nathaniel Macon reflektierte diese Gesinnung und Dodds Ziel, die Geschichte des Südens fern der Ideologie der dortigen Eliten und ihres Herrschaftsanspruches neu zu schreiben und so die Masse der Agrarier zu

______Dodds den Überblick bei WILLIAMS, Jack K.: A Bibliography of the Printed Writings of William Edward Dodd. In: North Carolina Historical Review 30 (1953). S. 72-85. 223 Dodds Rede „The Greatest Blunder in Modern History“ von 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd Speech, Article, Book File „Greatest Blunder in Modern History“ 1933. 224 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. 51. 225 Vgl. Dodds Vorlesung „The Old South (1763-1833)”, handschriftliche Aufzeichnungen des Studenten J. Duncan Brite, Spring Quarter 1924. University of Chicago Library. William E. Dodd Papers. Box 1, Mappe 1. Dodd erklärte seinen Studenten in seinen Vorlesungen, dass die Kirchen sich in der Zeit des Alten Südens auf die Seite der Plantagenbesitzer geschlagen und somit dazu beigetragen hatten, die demokratische Partizipation der Farmer zu unterdrücken. 226 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 50. 227 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. 50. 228 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. 51.

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einem aktiven demokratischen Engagement zu ermutigen.229 Vor diesem Problem hatte nach seiner Meinung bereits Jefferson gestanden, als sich dieser zum Ziel gesetzt hatte, die breite Masse der weißen Bevöl- kerung aufzuklären und zu mündigen Bürgern zu erziehen, die ihren agrarisch-idyllischen Lebensstil so gegen die Interessen der merkantilis- tischen Federalists und dauerhaft gegen die Regierung der wohlhabenden Familien alleine verteidigen könnten.230 Wie sein großes Vorbild fand sich auch Dodd selbst als Kind von Farmern und als gebildetes Mitglied einer neuen progressiven Elite zwischen dem Wunsch nach Rückkehr zu einer harmonischer erscheinenden, egalitären Vergangenheit der Siedler und dem Drang zum Neuen und dem Führungsanspruch der Progressives als neue „natürliche Aristokratie“231 gefangen.232 Vermutlich aus diesem Grund schilderte er später in autobiographischen Skizzen, die bisweilen widersprüchliche Politik der Progressives bei ihrer Regierungsarbeit habe ihn abgestoßen, weil sie nicht selten fern ihrer und seiner eigenen Ideale lagen.233 Dabei folgte die Geschichte des amerikanischen Südens seiner ______

229 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 33f. und BAILEY: Yeoman Scholar. S. 43ff. für eine Zusammenfassung seines Werkes. Vgl. DODD, William Edward: The Life of Nathaniel Macon. Raleigh, NC, 1903. 230 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 25. Vgl. zu Jeffersons Bildungsideal und seinen Einflüssen auf den Bildungskanon der neuen amerikanischen Nation HELLENBRAND, Harold: The Unfinished Revolution. Education and Politics in the Thought of Thomas Jefferson. Newark, DE, u.a. 1990. Insbesondere S. 16, 41 und 43. Wie Dodd später, nahm Jefferson an, seine Studenten könnten durch eine tugendhafte Erziehung zur Teilnahme an den Regierungsgeschäften ermutigt werden, um sich für das öffentliche Wohl einzusetzen (S. 41). „[H]e viewed private education as a means for social advancement”. So auch Dodd, der erst durch seine akademische Ausbildung den Zugang zu den regierenden Eliten erhalten konnte, vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 51. Dabei plante Jefferson außerdem, die Regierungsmacht der Wohlhabenden schrittweise auf eine professionelle neue Elite von verantwortungsbewussten Akademikern zu übertragen. Vgl. hierzu HELLENBRAND: Unfinished Revolution. S. 16. 231 Vgl. hierzu VORLÄNDER: Hegemonialer Liberalismus. S. 85. Jefferson glaubte, in der Bevölkerung der Bürger fänden sich von Natur aus begabte Führungspersönlichkeiten, die die Republik tugendhaft lenken sollten. 232 Vgl. zu Jefferson privaten und professionellen Widersprüchen, die die „Grund- spannungen“ (S. 77) der Revolutionsepoche widerspiegelten HEIDEKING/MAUCH: Geschichte S. 75-86. Vgl. zu Dodds Überzeugungen, dass die Bürger v.a. in den Südstaaten seine Aufklärungsarbeit über ihre wahre Geschichte schätzen und sich deshalb wieder politisch engagieren würden BAILEY: Yeoman Scholar. S. 47ff. 233 Vgl. Dodds „Brief Note 1933“. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Autobiographical MSS (2) + Biographical Material 1898-1932 and undated. „It was the year of McKinley`s second campaign for the presidency and I was more

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Vorstellung nach einer zyklischen Entwicklung: Die demokratische Mehrheit der Revolutionszeit sei durch Jeffersons Sozialphilosophie vor den Federalists gerettet worden, um durch den Aufstieg der Baum- wollindustrie und der damit verbundenen Machtausweitung der Sklaven- besitzer wieder zurückgedrängt zu werden. Ein langer und verlustreicher Kampf im Bürgerkrieg gegen die Institution der Sklaverei als Sinnbild der Vorherrschaft der Südstaatenaristokraten habe die kurzzeitige Freiheit der Kleinagrarier ermöglicht, nur um von den Parteibossen und ihren korrupten Parteimaschinen sowie von den Interessen der kapitalistischen Großindustriellen wieder in ihrer demokratischen Partizipation einge- schränkt zu werden.234 „The first principle of democracy is a wide-based if not universal suffrage”,235 wiederholte William Edward Dodd Jahre später im Zusammenhang mit den Folgen des Versailler Vertrages sein basisdemokratisches Verständnis. Die Souveränität des Volkes und die daraus entstehenden Gesetze der repräsentativ-demokratischen Legisla- tive durfte weder durch die Mindermeinung elitärer Richter des Supreme Courts noch durch das Diktat einflussreicher Unternehmer oder von Wahlen losgelöster Politiker wie den Parteibossen gefährdet werden.236 Dabei berücksichtigte der progressive Historiker in seinen politischen Konzepten stets die Regeln der amerikanischen Verfassung mit ihrem kapitalistisch-individualistischen Grundgedanken und stellte diese nicht in Frage: „I am not one who denounces corporations as I am not one of the historians who damns negro slavery as the blackest of all crimes”.237 Dodds Relativismus rettete ihn in vielerlei Hinsicht vor dem Abdriften in

______than a little interested in voting against him; but disgusted at William J. Bryan`s having recommended the annexation of the Philippines in 1898 and in 1900 campaigning vigorously against imperialism! But inconsistencies often mark the conduct of statesmen, not to mention politicians”. 234 Vgl. hierzu Dodds Rede „A Farmer to Lawyers. COMMENCEMENT ADDRESS OF WILLIAM E. DODD, LL.D., TO THE GRADUATING CLASS OF THE JOHN MARSHALL LAW SCHOOL, June 16, 1927“. University of Chicago Library. William E. Dodd Papers. Box 1, Mappe 1. Dodd begriff sich selbst als Intellektuellen und Farmer, der in dieser Rede über das Schicksal seiner Berufsgenossen in den USA referierte. 235 Dodds Aufzeichnung „The Dillemma of American Democracy“ (kein Datum, Erwähnung des Versailler Vertrages, vermutlich 1920er Jahre). University of Chicago Library. William E. Dodd Papers. Box 1, Mappe 1. 236 Vgl. „The Dilemma of American Democracy“. University of Chicago Library. William E. Dodd Papers. Box 1, Mappe 1. 237 „The Dilemma of American Democracy“. University of Chicago Library. William E. Dodd Papers. Box 1, Mappe 1.

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radikale Gedankenmuster. Nicht zuletzt dürfte hierbei Martha Johns, der klugen und maßvollen Tochter eines ehemals reichen Landbesitzers in Clayton, mit der er seit Leipzig in regem Briefwechsel gestanden hatte, eine besondere Rolle in seiner weiteren Karriere und in seinem Leben zugekommen sein. Er ehelichte Martha „Mattie“ Johns wenige Zeit nach seinem Antritt am Randolph-Macon-College, als sich seine finanzielle Situation durch die regelmäßigen Gehaltszahlungen stabilisiert hatte.238 Dodds Bezug zur praktischen Politik brachte ihn ebenfalls von rein utopischen progressiven Ideen ab. Denn seit seiner Rückkehr in die USA fand der junge Historiker Gefallen an Crolys und Turners Thesen und war nach einem ersten Treffen mit Theodore Roosevelt von dessen Reformansatz im Inneren wie Äußeren hellauf begeistert. Es folgte nach einem Besuch im Weißen Haus im Jahr 1906 ein intensiver Briefaustausch mit dem Präsidenten, der den Reformgeist und das neueste Werk des jungen Historikers, eine Biographie über den Konföderiertenpräsidenten Jefferson Davis, 239 sehr schätzte. Als bekannt wurde, dass Roosevelt ein Bewunderer der Leistungen Alexander Hamiltons und dessen Regie- rungsmethoden nicht abgeneigt war, wandte sich Dodd auf seiner „search for a living Jefferson“ 240 enttäuscht neuen Vorbildern zu. 241 Während er ab 1908 William Jennings Bryans erneuten Wahlkampf für die Demokraten unterstützte, galt sein Fokus vor allem den poli- tischen Verhältnissen in seiner neuen Heimat Virginia. Hier regierte die Parteimaschine des demokratischen Senators Thomas S. Martin seit den 1890er Jahren und hielt Martins Einfluss auf die politischen und sozio-ökonomischen Strukturen und Entwicklungen in Virginia dank der Direktunterstützung der Eisenbahnunternehmer und der reichsten Familien des Staates aufrecht. 1906 hatte William Edward Dodd neben dem Präsidenten auch den progressiven Andrew Jackson Montague

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238 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 27f. Vgl. auch Dodds Lebenslauf, den er in einem Brief an den Präsidenten der Washington and Lee University, Lexington, VA, am 24. Mai 1902 gesandt hatte: Er habe Miss Johns im Dezember 1901 geehelicht. LC. William Dodd Papers. Mappe „1902-3“ K-Z. Vgl. auch zahlreiche „Liebesbriefe“ zwischen Dodd und Mattie in Mappe „1902-3 and 1904“. 239 Vgl. Dodds Werk: DODD, William Edward: Jefferson Davis. Ausgabe 1907. New York 1966. Vgl. die Zusammenfassung bei DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 49 und 37f. und BAILEY: Yeoman Scholar. S. 46-49. 240 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 51. 241 Vgl. zum Kontakt mit Teddy Roosevelt BAILEY: Yeoman Scholar. S. 51ff.

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kennengelernt, den demokratisch gesinnten Sprössling einer reichen Familie aus Virginia, der sich einer liberalen Reformpolitik für seinen Heimatstaat verschrieben hatte. Montague war der erste Politiker seit Jahrzehnten, der eine offene Konfrontation mit Martin wagte. Mit Begeisterung unterstützte Dodd öffentlich Montagues Reformpolitik, die nach seiner Wahl zum Gouverneur von Virginia die Bekämpfung der Korruption auf allen Regierungsebenen, die Abschaffung der Kinderarbeit und die Einführung von Unfallversicherungen für Arbeitnehmer beinhal- tete. Dodds Engagement galt Montague ebenso, als dieser 1904 die direkte Herausforderung um Martins Senatssitz suchte – und verlor.242 Enttäuscht vom Ausgang dieser Schlacht zwischen Virginias Politikgi- ganten und von den Unwegsamkeiten der Politik – „I am a democrat and prefer bad government by the people to good government by a great master”,243 sollte er wenige Jahre später urteilen – entschied sich der progressive Historiker für eine neue Weichenstellung. Sein Ruf als exzellenter Lehrer der Geschichte eilte ihm durch seine Mitgliedschaft und sein Engagement in der American Historical Association landesweit voraus, weshalb er zahlreiche attraktive Angebote für einen Universitäts- wechsel mit entsprechend höherer Vergütung und fester Professur immer ernsthafter in Erwägung zog. Sein ehemaliger Professor Sheib sowie sein Kollege von der unter- stützten sein Bestreben mit entsprechenden Empfehlungsschreiben, die einen Einblick in Dodds Charakter und Potential bieten. Sheib schrieb begeistert: „Industrious and upright in his search for truth, he is a man of very different qualifications. [...] Of younger men whom I have met of late years, there is not one who seems to give greater promise”.244 Außergewöhnlich enthusiastisch prophezeite Bushnell Hart Dodd eine große Zukunft: „Professor Dodd is one of the historical scholars in the country of whose future I have most expectation. [...] I am not in the habit of writing letters ______

242 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 52f. und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 53 und S. 39-42. 243 Dodd an Julian S. Mason, 31. Oktober 1912. LC. William Dodd Papers. Mappe „1912“ H-Z. 244 Empfehlungsschreiben E.E. Sheib, Professor of Philosophy and Pedagogy, Tulane University, vom 1. Mai 1901. LC. William Dodd Papers. Mappe „1902-3“ K-Z.

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of recommendation pitched on quite so high a key as this; but I have greatly enjoyed meeting and knowing Professor Dodd, and have predicted a broader field for him”.245 1908 entschied sich William Edward Dodd für das Angebot bezüglich des Aufbaus seines eigenen Lehrstuhls für die Geschichte der Südstaaten an der Universität von Chicago und schlug andere Vorschläge der University of Wisconsin und der University of California in Berkeley konsequent aus.246 Die „Windy City“ sollte für die junge Familie Dodd – Sohn William „Bill“ Junior und Tochter Martha waren kurz zuvor zu Welt gekommen – die größte Herausforderung und gleichzeitig Chance für ein Leben in einem der politischen Zentren Amerikas fern ihrer ländlichen Herkunft bedeuten. Zunächst haderten die Dodds mit der dunklen Atmosphäre Chicagos und mit den ihnen bis dato unbekannten Zuständen in einer amerikanischen Großstadt voll Armut, politischer Korruption und un- endlich erscheinenden Zuströmen von Immigranten.247 Die Stadt, deren Witterungsbedingungen Dodds Gesundheit vor allem in den Winter- monaten stark belasteten, erschütterte und bestätigte einige von Dodds Vorurteilen bezüglich des amerikanischen „Nordens“, in dem er zuvor niemals gelebt hatte.248 Mit Disziplin und Elan gelang es dem Professor der Geschichte in kurzer Zeit dennoch, die Stadt in Illinois zur eigent- lichen Heimat der Familie zu machen. An der Universität, fern von allen Querelen um seine Herkunft, dem politischen und sozialen Erbe des Bürgerkrieges und den Reformen der Südstaaten, konnte Dodd sich und seine Geschichtsschreibung entscheidend weiterentwickeln. 249 In insgesamt 24 Jahren bildete Dodd ein umfangreiches soziales Netzwerk und zählte Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftlern und Politiker dort und in ganz Amerika zu seinen engsten Kontakten. Der gedankliche Austausch mit den Historikern und Intellektuellen Carl Becker, Charles Beard, Frederick Jackson Turner, Albert Beveridge, Carl Sandburg und vielen anderen prägte seine an den New History-Ansatz angelehnte Methode, Geschichte als Fortschritt und ewigen Kampf um die Demo- kratie zu verstehen und entsprechend Werke zu verfassen, die neuen

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245 Empfehlungsschreiben Albert Bushnell Hart, Professor of History, Harvard University, vom 19. April 1902. LC. William Dodd Papers. Mappe „1902-3“ K-Z. 246 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 56ff. und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 55-58. 247 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 62. 248 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 61. 249 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 60ff.

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Mut für das Politische geben, über die wahren politischen und sozio- ökonomischen Verhältnisse der Vergangenheit und Gegenwart aufklären und der „growing impersonalization of American life“250 entgegenwirken sollten.251 Dodds besondere Begabung in Lehre und Forschung begeisterte bald seine Studenten wie wissenschaftliche Größen wie Charles Beard gleichermaßen, weshalb er Beard und andere Wissenschaftler auch bei der Weiterentwicklung ihres Werkes beraten durfte. 252 Damit wurde William Edward Dodd zum ersten Historiker, der die Machtstrukturen der Südstaaten ante und post bellum intellektuell erfasste und zur Entmystifizierung der Südstaatenglorie beitrug.253 Sicherlich dauerte es auch in dieser Stellung als Professor an der renommierten Chicagoer Universität nicht lange, bis der progressive Historiker Gegenwind ver- spürte. Die American Historical Association stritt in jenen 1910ern vor allem um die mutmaßliche Bevorzugung von Professoren aus dem Mittleren Westen und dem Nordosten bei der Besetzung neuer Stellen. Dodd versuchte neutral zu bleiben, geriet allerdings immer wieder zwischen die Fronten zumal er in seinen Vorlesungen und öffentlichen Äußerungen seine Kritik an den Südstaatenpatrizierfamilien in direkte Verbindung mit den nordöstlichen Eliten der Banker und Großin- dustriellen und ihrem landesweiten Einfluss brachte.254 Dodd gelang es, sich aus einigen der Querelen zurückzuziehen, indem er 1913 abermals mit Hilfe eines Kredites seines Onkels Ashley Horne eine Farm in Round Hill, Virginia, kaufte und dort die Sommermonate mit seiner Forschung und Ackerbau verbrachte, um von den Strapazen und Herausforderungen des Großstadtlebens Abstand zu gewinnen. Das Stückchen Land avancierte zu seinem persönlichen Rückzugsort, an dem der Professor Kraft tankte und sich auf seine eigenen ländlichen Wurzeln besann.255 Der Rückzug aus dem Politischen hing auch direkt damit zusammen, dass sich weit und breit kein demokratischer Anführer als Nachfolger Jeffersons finden lassen wollte, dem Dodd gerne als Berater zur Seite gestanden hätte.256 Erstaunlicherweise zeigte sich William Edward Dodd

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250 DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 154. 251 Vgl. zu seinen Kontakten DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 147-154. 252 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 148, 151 und BAILEY: Yeoman Scholar. S. 70. 253 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 84. 254 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 74-77, 80 und 85. 255 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 65f. 256 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 87.

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von Bryans und Theodore Roosevelts progressivem Kontrahenten, dem Gouverneur von New Jersey und Südstaatler Woodrow Wilson, zu Anfang nur eingeschränkt begeistert.257 Nach einem spektakulären Wahlkampf 1911/12, als Theodore Roosevelt mit einer eigens gegründeten Progressive Party mit der Republikanischen und der Demokratischen Partei kon- kurrierte, war der progressive Politikwissenschaftler und Jurist Woodrow Wilson für die Demokratische Partei als Sieger hervorgegangen.258 Dodd plante nicht, Wilson durch die Bekleidung eines Amtes in seiner Administration zu unterstützen: „My idea in taking a part in public affairs is that one must always fight evil, though perhaps in different manners at different times. [...] About what you say as to me personally is gratifying as coming from and old (or young) student, but I have no idea of ever holding any other office than that of teacher of history. Woodrow Wilson represents my idea of an almost perfect public leader, but his trying time is just beginning”.259 Anders als Josephus Daniels, der Wilsons Wahlkampagne von Beginn an unterstützt hatte und deshalb den Posten als Secretary of the Navy im neuen Kabinett erhielt, blieb Dodd von Washington fern und beschränkte sein Engagement auf Briefe an die neuen Regierenden, in denen er zur Stellenbesetzung in der Administration mit besonders progressiv eingestellten Demokraten riet.260 Er erwartete und begrüßte Konflikte innerhalb der Demokratischen Partei um eine progressive Ausrichtung: „[...T]here is likely to be a great conflict in the Democratic Party if Wilson is elected; but I want that conflict. [...] It will bring Bryan and Wilson closer together as workers for the common good”.261 Selbst als Wilson William Jennings Bryan zu seinem neuen Außenminister262 kürte und mit ihm gemeinsam begann, die Dollar Diplomacy263 seines Vorgängers

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257 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 91 und 95. 258 Vgl. NUGENT: Progressivism. S. 92f und 94-99. Vgl. auch LINK, Arthur S.: Woodrow Wilson and the Progressive Era, 1910-1917. New York 1954. S. 1-24. 259 Dodd schrieb diese Worte in einem Brief an seinen Studenten namens „Henry“ vom 14. Dezember 1912. LC. William Dodd Papers. Mappe „1912“ A-G. 260 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 93ff. 261 Dodd an Julian S. Mason, 31. Oktober 1912. LC. William Dodd Papers. Mappe „1912“ H-Z. 262 Vgl. BAILEY: Diplomatic History. S. 544. 263 Dieser Begriff wird in Bezug auf William Howard Tafts spezielle Außenpolitik verwendet, die „eine wechselseitige Unterstützung von US-Regierung und im Ausland tätigen amerikanischen Konzernen“ (S. 203) besonders in Lateinamerika und in zur

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Howard Taft umzukehren,264 sowie aktiv für eine Senkung der Handels- zölle, Anti-Trustgesetzgebung265 und stärkere staatliche Kontrolle der Spekulationsgeschäfte von Großbanken wie J.P. Morgan eintrat266 und damit erstmals eine vollständige soziale und politische „reconstruction“267 umsetzte und obwohl Wilson ihm in persönlichen Briefen immer wieder für sein Engagement in der progressiven Sache dankte,268 blieb Dodd zurückhaltend. Erst mit den einsetzenden Erfolgen der innenpolitischen Maßnahmen der Wilson-Administration, aber ganz besonders mit der Zuspitzung der Lage der Westmächte während des 1. Weltkrieges 1916 erfolgte ein bemer- kenswerter Umschwung in der Einstellung William Edward Dodds gegenüber seinem Präsidenten.269 Einen der Wendepunkte bedeutete die sogenannte Preparedness-Debatte. Mitglieder des Kongresses, besonders

______informellen Ausübung imperialistischer Macht in jenen Regionen anwandte. Vgl. HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 203. 264 Vgl. zu Wilsons außenpolitischen Erfolgen COOPER, John Milton Jr.: Making a Case for Wilson. In: COOPER, John Milton Jr. (Hrsg.): Reconsidering Woodrow Wilson. Progressivism, Internationalism, War, and Peace. Washington, DC, 2008. S. 9-23. Vgl. im Besonderen zu seiner Lateinamerikapolitik GILDERHUS, Mark T.: Revolution, War, and Expansion: Woodrow Wilson in Latin America. In: COOPER, John Milton Jr. (Hrsg.): Reconsidering Woodrow Wilson. Progressivism, Internationalism, War, and Peace. Washington, DC, 2008. S. 165-188. 265 Vgl. zur Anti-Trust-Gesetzgebung und ihrer Bedeutung im Wahlkampf 1912 EKIRCH: Progressivism in America. S. 138-152 und 162-172. 266 Vgl. NUGENT: Progressivism. S. 94. Vgl. zu Wilsons Bank- und Wirtschaftsreformen BROWNLEE, W. Elliot: Wilson’s Reform of Economic Structure: Progressive Liberalism and the Corporation. In: COOPER, John Milton Jr. (Hrsg.): Reconsidering Woodrow Wilson. Progressivism, Internationalism, War, and Peace. Washington, DC, 2008. S. 57-92. 267 Vgl. hierzu direkt sowie zum Einfluss der politischen Ideen Wilsons auf seine politischen Maßnahmen THRONTVEIT, Trygve: ‚Common Counsel‘: Woodrow Wilson’s Pragmatic Progressivism, 1885-1913. In: COOPER, John Milton Jr. (Hrsg.): Reconsidering Woodrow Wilson. Progressivism, Internationalism, War, and Peace. Washington, DC, 2008.S. 25-56. 268 Vgl. Wilson an Dodd, 1. April 1912. LC. William Dodd Papers. Mappe „1912“ H-Z. „I wish you to know how sincerely I appreciate your kindness and how much I enjoyed the dignified character of your address”. 269 Vgl. zu Wilsons Rolle während des 1. Weltkrieges und den Debatten innerhalb der USA als Überblick PORTO, Victor John: Woodrow Wilson, the War, and the Interpretations: 1917-1970. In: Social Studies 63 (1972). S. 22-31. Außerdem sämtliche Werke Arthur Links, z.B. LINK: Progressive Era; LINK, Arthur S.: Woodrow Wilson. Revolution, War, and Peace. Arlington Heights, IL, 1979 und LINK, Arthur S.: Woodrow Wilson and a Revolutionary World. 1913-1921. Chapel Hill, NC, 1982.

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die republikanischen Wortführer Henry Cabot Lodge und Theodore Roosevelt, stießen eine Debatte an, die als Preparedness Controversy bekannt geworden ist. Unterstützt wurde diese Bewegung, die vor allem die Angst vor einer Invasion der USA durch die von Deutschland angeführten Mittelmächte schürte und eine militärische und psycholo- gische Bereitschaft Amerikas einforderte, maßgeblich von den Medien.270 Wilson, der bis dahin Aufrüstungsforderungen negativ begegnet war,271 befürchtete eine Stärkung der Republikaner zu Ungunsten einer ange- sichts des Weltkonfliktes schwach wirkenden demokratischen Regierung und bat nach dem Untergang des Passagierschiffes Lusitania 1915 selbst den Kongress um eine Aufstockung des Militärbudgets, um eine stärkere Vermittlerposition bei den geplanten Friedensverhandlungen mit den europäischen Hauptstädten einnehmen zu können. Mit der Ablehnung vieler Progressives, vor allem im Mittleren Westen und im Südwesten der USA, konfrontiert milderte Wilson seine Forderungen ab: Die Aufrüstung diene lediglich der Verteidigung des Landes und der Begründung der Moral Leadership der USA. 272 William Edward Dodd verteidigte die ursprüngliche Anti-Preparedness-Einstellung des Präsidenten und nahm ihn auch öffentlich gegen die Angriffe aus der alten Parteimaschine in Virginia, gegen die Kritik aus den Reihen der Supreme Court-Richter und einiger republikanischer und progressiver Parteivorstände, vor allem um Senator William Borah aus Idaho, in Schutz.273 Zwar betitelte Dodd den Aggressor Deutschland als Feind der Menschheit, der – durch die preußischen Junker verleitet – nun Krieg gegen die gesamte Welt führe, und schämte sich für seine eigene wissenschaftliche Ausbildung im

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270 Vgl. für die Ursprünge und Akteure der Preparedness-Bewegung LINK: Progressive Era. S. 176-179 und LaFEBER: American Age. S. 290. 271 Vgl. WILSON, Woodrow: Second Annual Message (December 8, 1914). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/wilson/speeches/speech-3793, Zugriff am 10.07.2015. 272 Vgl. WILSON, Woodrow: Third Annual Message (December 7, 1915). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/wilson/speeches/speech-3794, Zugriff am 10.07.2015. „[...] preparation for defense [...against the] creatures of passion, disloyalty, and anarchy”. Vgl. generell zu den US-Debatten bis 1917 HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 218-222 und IRIYE: Globalizing America. S. 19-38 sowie OFFNER: Origins. S. 3-20. Vgl. auch BAILEY: Diplomatic History. S. 590. 273 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 97 und 115f. und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 83f.

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Kaiserreich.274 Dennoch teilte er William Jennings Bryans Befürchtungen eines Zusammengehens der Wirtschaftseliten Amerikas mit der Militär- führung und riet Daniels aktiv ab, eine größere Flotte bauen zu lassen, um so vermeintlich die Sicherheit der USA zu garantieren, die vielmehr von innen her durch einen Zusammenschluss konservativer Kräfte gefähr- det sei. Nach Wilsons Meinungsumschwung blieb Dodd weitgehend neutral. 275 Erst ein intensives Gespräch mit dem US-Präsidenten im Sommer 1916 überzeugte William Dodd, dass Woodrow Wilson mit seinem New Freedom-Konzept die Wiederherstellung des Friedens und der Sicherheit in der Welt und der gleichzeitige Erhalt der Demokratie innerhalb der USA gelingen konnte.276 Was genau konnte William Edward Dodds Umdenken verursacht haben, dass ihn fortan an Wilson als ver- körperte Wiedergeburt Thomas Jeffersons glauben ließ?277 Woodrow Wilsons politische Ideenwelt entsprach in vielerlei Hinsicht William Edward Dodds Vorstellungen von progressiver Reform sowie einer Weiterentwicklung des Jeffersonschen Demokratieideals in Ver- schmelzung mit pragmatischen Aspekten von Theodore Roosevelts neuem Nationalismus und Imperialismus.278 Dem Präsidenten gelang es, den Historiker davon zu überzeugen, dass auch sein außenpolitisches Konzept gegen die autokratischen Mächte Erfolg versprach, ohne das amerikanische System zu gefährden. Zentral an Wilsons New Freedom war seine Definition von Freiheit: Eine ökonomische Globalisierung sowie die Ablehnung jeder Form von Sozialismus und Bolschewismus sollte Amerikas universelle Prinzipien von individueller Freiheit und Gleichheit in die Welt tragen und damit die Welt vor allem für die USA und für die Demokratie sicherer machen. Damit versöhnte Wilsons liberaler Internationalismus die zahlreichen isolationistischen Bedenken vor einer

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274 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 96. 275 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 96 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 83-87. 276 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 89. 277 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 98f. 278 Vgl. hierzu THRONTVEIT: Common Counsel. In: COOPER: Reconsidering Woodrow Wilson. S. 25-56. Wilsons Progressivismus war allerdings weniger „radikal“ als Theodore Roosevelts, vgl. NUGENT: Progressivism. S. 93f. Vgl. auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 5-26. Vgl. auch AMBROSIUS, Lloyd: Wilsonian Statecraft. Theory and Practice of Liberal Internationalism during World War I. Wilmington, NC, 1991. S. 3f.

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amerikanischen Intervention insbesondere in Europa. 279 Wilsons Ver- bindung von (christlich-puritanischer) Moral mit einer Verrechtlichung der internationalen Beziehungen überzeugte nicht nur den progressiven Historiker Dodd, sondern auch viele der progressiven Isolationisten in beiden großen Parteien.280 Auch Wilson war in den Südstaaten groß geworden, hatte das Demokratiedefizit des Südens miterlebt und stammte aus einem christlich-puritanisch geprägten Haushalt. 281 Wie Jefferson glaubte Wilson an eine Erziehbarkeit des Menschen, weil er von der grundlegend guten Natur der Menschen überzeugt war: Alle Völker seien deshalb zur Selbstbestimmung befähigt und zur Demokratie erziehbar.282 Dies wiederum ermöglichte einen selbst für amerikanische nationale Interessen akzeptablen Frieden aller mit allen, einen Gesellschaftsvertrag im Sinne Rousseaus, dessen politische Philosophie William Dodd seit seinen wissenschaftlichen Anfängen bewundert hatte.283 Wilsons Imperialismus, der anders als Teddy Roosevelt nicht den „Big Stick“284 einer realistischen Machtpolitik schwang, sondern Amerikas moralische Führungsrolle zur Wiederherstellung des Friedens und Ver- breitung humanistischer Werte betonte, universalisierte die Monroe- Doktrin auf eine Weise, die über alle isolationistischen Zweifel erhaben sein musste: Die Sicherheit der amerikanischen Hemisphäre hing von der kollektiven Sicherheit der Welt ab und musste entsprechend gegen ______

279 Vgl. hierzu AMBROSIUS, Lloyd E.: Democracy, Peace, and World Order. In: COOPER, John Milton Jr. (Hrsg.): Reconsidering Woodrow Wilson. Progressivism, Internationalism, War, and Peace. Washington, DC, 2008. S. 227f. und 241. 280 Vgl. AMBROSIUS: Statecraft. S. 1. Vgl. auch LINK, Arthur S.: Portrait of the President. In: LATHAM, Earl (Hrsg.): The Philosophy and Policies of Woodrow Wilson. Chicago, IL, 1958. S. 6. 281 Vgl. zu Wilsons Biographie u.a. THOMPSON, John A.: Woodrow Wilson. Profiles in Power (ohne Bandangabe). London u.a. 2002. S. 15-42. 282 Vgl. WILSON, Woodrow: „Opinion of the World“ Speech (October 20, 1914). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/wilson/speeches/speech-3792, Zugriff am 10.07.2015. Wilson spricht in dieser Rede über seinen „belief in the essential beauty of the human spirit and the belief that the human spirit could be translated into action and into ordinance”. Vgl. auch LaFEBER: American Age. S. 272. 283 Vgl. die entsprechenden Kapitel in ROUSSEAU: Gesellschaftsvertrag. V.a. die Seiten 6ff, 16 und 18 zum Naturzustand und der Perfektibilität des Menschen. 284 Dieser Begriff stammte von Theodore Roosevelts Ausspruch, die USA müssten eine sanfte Diplomatie führen, allerdings den „Big Stick“ – womit er eine starke Überseeflotte meinte – in der Hand halten, falls machtpolitische Maßnahmen angesichts der zahlreichen weltpolitischen Krisen notwendig wurden. Vgl. HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 201.

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Ruhestörer und die Intervention fremder Mächte, in diesem Fall die autokratischen Kriegstreiber, verteidigt werden, sobald amerikanische Leben und der eigene Wohlstand und Fortschritt gefährdet waren.285 Wie im Falle Dodds war auch Woodrow Wilsons Vorstellungswelt ursprünglich von innenpolitischen Befindlichkeiten und Reformdrang geprägt worden, die ihre Wurzeln in der breiten Bewegung des Pro- gressivismus hatte. Wilsons teleologische Utopie einer weiter entwickel- baren amerikanischen Gesellschaft, der Erziehbarkeit seiner Bürger zur Demokratie und einer Stärkung des amerikanischen Systems war durch Deutschlands aggressives Vorgehen in Europa brutal auf den Boden der Tatsachen geholt worden: Eine freie amerikanische Entwicklung war nur möglich, wenn Frieden in Europa herrschte und die Autokratie als Teil der „Alten“ Welt besiegt war.286 Aus dieser Situation entstand für Dodd und Wilson gleichermaßen die göttliche, moralische Verpflichtung, in die weltpolitischen Geschicke auch militärisch einzugreifen, wenn dies die Ordnung wiederherstellte, die amerikanischen Werte in die Welt hinein universalisierte und die Demokratie in Amerika dauerhaft stärkte.287 Für den progressiven Professor in Chicago stand fest, dass eine erfolgreiche Beendigung des Krieges vor allem von fortgeführten liberalen Reformen

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285 Vgl. hierzu Herbert Crolys Gedanken zu einer Verbindung der Weltsicherheit mit den nationalen Interessen der USA bei AMBROSIUS: Statecraft. S. 19. Vgl. auch KRAKAU, Knud: Missionsbewußtsein und Völkerrechtsdoktrin in den Vereinigten Staaten von Amerika. Abhandlungen der Forschungssstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg, Band 14. Frankfurt am Main, Berlin 1967. S. 198. Vgl. auch Wilsons Rede WILSON, Woodrow: Speech of Acceptance (September 2, 1916). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/wilson/ speeches/speech-3795, Zugriff am 12.7.2015. „These are the new foundations the world must build for itself, and we must play our part in the reconstruction. [...] One of the contributions we must make to the world`s peace is this: [...] make the rule of the United States mean the same thing everywhere. [...] [T]he day[s] of Little Americanism [...] are past and gone and that day of enterprise has at last dawned for the United States whose field is the wide world”. 286 Vgl. zu Wilsons Glauben an eine „organische“, nichtrevolutionäre Weiterentwicklung der USA AMBROSIUS: Statecraft. S. 9. Vgl. auch Wilsons Rede WILSON, Woodrow: Third Annual Message (December 7, 1915). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/ president/wilson/speeches/speech-3794, Zugriff am 12.7.2015. Die USA seien die „heralds and prophets of a new age”. 287 Vgl. LINK: Progressive Era. S. 81. Vgl. zu diesem Sendungsbewusstein auch KRAKAU: Missionsbewußtsein. S. 194 und 198. Vgl. zu Dodd DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 79 und 81; BAILEY: Yeoman Scholar. S. 96.

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in den USA abhing. 288 Beide Progressives gleichermaßen hatte das aggressive Gebaren des kaiserlichen Deutschlands in der Hinsicht ver- ändert, dass ein dauerhafter Frieden ein anhaltendes Engagement der USA als Mitglied einer neuen rechtlichen Struktur, eines Forums zur Streitschlichtung und Wahrung der kollektiven Sicherheit notwendig machte. William Edward Dodd verlegte mit dem Ausgang des Krieges289 fast seine gesamte Aufmerksamkeit auf Wilsons Bestreben, die USA zum Teil der Nachkriegsordnung und vor allem eines Völkerbundes zu machen.290 Ab Januar 1919 bereitete Dodd als Vorsitzender des Komitees der Political Equality League für den Völkerbund den Regionalkongress der League to Enforce Peace in Chicago vor.291 Mit öffentlichen Reden, veröffentlichten Artikeln auf Basis weiterer Interviews mit Wilson und in Funktion als Professor und Departmentleiter seiner Universität richtete sich Dodd direkt an die amerikanische Öffentlichkeit und insbesondere an die US-Senatoren, die die letzte Entscheidung bezüglich der Rolle Amerikas in der Nachkriegszeit treffen sollten.292 Mit Henry Cabot Lodge nahm er persönlich Kontakt auf und warb um eine fortgeführte britisch- amerikanische Kooperationspolitik.293 Gleichzeitig entwarf er auf die Bitte von Wilsons engstem Berater und Verhandlungsführer, Colonel Edward M. House, hin Positionspapiere für die Friedensverhandlungen. Dabei beschäftigte er sich intensiv mit der zukünftige Ausrichtung der US- Außenwirtschaftspolitik, der Neudefinition der Monroe-Doktrin und der Open Door-Politik im Fernen Osten.294 House und er teilten die Meinung, dass die amerikanische Öffentlichkeit und die Politiker von einer durch konservative Kräfte gelenkten Presse – angeführt durch den Medienmogul William Randolph Hearst – desinformiert wurden und sich somit

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288 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 107. 289 Vgl. zum Eintritt der USA in den Krieg und ihre Kriegführung IRIYE: Globalizing of America. S. 39-57. Vgl. auch OFFNER: Origins. S. 3-20. 290 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 99. Bailey geht soweit zu behaupten, ab 1916 hätten Woodrow Wilson und seine Kriegs- und Nachkriegspolitik Dodds Leben und Denken fortan dominiert. 291 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 109f. 292 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 112f. 293 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 109f. 294 Vgl. zum Begriff und dem Wirtschaftskonzept der Open Door in der US-ameri- kanischen Außenpolitik VEVIER, Charles: The Open Door: An Idea in Action, 1906-1913. In: Pacific Historical Review 24,1 (1955). S. 49-62.Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 104ff.

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kein Bild der Realität und von den notwendigen Konsequenzen für die US-Außenpolitik machen konnten.295 Seit 1917 bereits arbeitete Dodd fieberhaft an einer Biographie über Wilson296 und sein Lebenswerk, das rechtzeitig zu Wilsons „Wahlkampf“ für seine Nachkriegsordnung erscheinen sollte.297 Fred Bailey argumen- tiert, dass William Edward Dodd mit diesem Buch einen Großteil seiner wissenschaftlichen Objektivität einbüßte, sich mit seinem Idol vollständig identifizierte und deshalb zu einem „radical proponent of democracy“298 und ideologisch denkenden Berater des Staatsmannes avancierte. 299 Tatsächlich erscheint es sehr viel schlüssiger, dass William Edward Dodd sich durch die Erfüllung seines Albtraumes eines militarisierten Deutschlands aus seinen Leipziger Tagen sowie aus Furcht vor einer ähnlichen Situation in Amerika durch den Sieg konservativer über liberal- progressive Kräfte endgültig für das Lager der internationalistischen Progressives entschied und die zukünftige Weltmachtrolle und Verant- wortung Amerikas direkt mit dem Schicksal Europas als demokratischem „Juniorpartner“ verbunden sah. Erst die unmittelbare und mittelbare Erfahrung mit Deutschland im Frieden und im Krieg und den potentiellen und tatsächlichen Gefahren eines autokratischen Systems hatten ihn zu dieser Erkenntnis geführt. Wilsons politisches Scheitern beim Aufbau dauerhafter Strukturen der kollektiven Sicherheit, dem ein gesundheit- licher Zusammenbruch aufgrund von Wilsons unnachgiebiger Redetour durch die USA für den Versailler Frieden vorausging, stellte für Dodd deshalb ein persönliches und berufliches Desaster dar. 300 Ab 1920 trat er selbst in Illinois und den Nachbarstaaten mit progressiven Reden im Sinne Wilsons auf, verteilte sein Buch über Wilson in den Washingtoner Regierungskreisen, warnte vor einer möglichen Aus- weitung der bolschewistischen Revolution sowie vor einer Herrschaft

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295 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 115 und BAILEY: Yeoman Scholar. S. 111. Vgl. zu Hearsts Rolle während des 1. Weltkrieges NASAW, David: Chief: The Life of William Randolph Hearst. Boston, MA, New York 2000. S. 241-274. 296 Vgl. DODD, William Edward: Woodrow Wilson and His Work. New and revised edition. New York 1932. 297 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 112. 298 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 2. 299 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 2 und 110ff. 300 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 112. Vgl. zu Wilsons Verhandlungen und Auftritten in den USA OFFNER: Origins. S. 21-43 sowie HEIDEKING/MAUCH: Geschichte. S. 222-230.

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der Minderheit auch in den USA durch die Wirtschaftseliten und ihre falschen Versprechen von Laissez-faire und Isolation.301 „It was one of the curious cases where minority groups, individual attitudes and pure accident determined the outcome”,302 urteilte er Jahre später in einer Rede über Wilsons Friedensverhandlungen und Scheitern am US-Kongress. Dabei sah Dodd ein, dass die demokratischen Parteifreunde Wilsons selbst den US-Beitritt zu den Versailler Verträgen blockiert hatten: „But the treaty was not adopted in the senate, rather because three Democratic members of backward intelligence fought their own Democratic mandate to the bitter end – the end of the first stage of another tragic era”.303 Spätestens mit Wilsons Kollaps zeigte sich die Demokratische Partei tatsächlich gespalten und blieb es bis zum Aufstieg Franklin Delano Roosevelts als neuem demokratischen Hoffnungsträger ein Jahrzehnt später. Auch die parteiübergreifenden Progressives, erschüttert in ihrem Glauben an eine erfolgreiche Mission Amerikas in der Welt, erfuhren mit Wilsons Scheitern eine entscheidende Spaltung in Internationalisten, denen sich Dodd anschloss, und Isolationisten. Bei Kriegseintritt waren die liberalen Reformer noch geschlossen aufgetreten, der Ablauf des Krieges sowie seine desaströsen Folgen und die europäischen Reaktionen jedoch hatten die meisten von ihnen desillusioniert.304 Alle vier großen Führungsfiguren des Progressivismus verschwanden zum Jahreswechsel 1919/20: Theodore Roosevelt starb 1919 an den Folgen einer tropischen Krankheit; Woodrow Wilson blieb nach einem Schlaganfall regierungs- und handlungsunfähig; William Jennings Bryan hatte sich über die Preparedness-Kampagne mit Wilson überworfen und konnte sich inner- halb der Demokratischen Partei nicht mehr etablieren; und Robert LaFollette blieb zwar Senatsmitglied, verlor seine Führungsrolle aber an

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301 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 119-122 sowie BAILEY: Yeoman Scholar. S. 119-122. 302 Dodd Rede „The Greatest Blunder in Modern History“ von 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd Speech, Article, Book File „Greatest Blunder in Modern History“ 1933. 303 Ebenda. 304 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 120. Vgl. auch McGERR: A Fierce Discontent. S. 281ff. Vgl. zu den Entwicklungen des Progressivismus während des 1. Weltkrieges NUGENT: Progressivism. S. 108-119 und 125f.

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den konservativen Republikaner Calvin Coolidge, der Präsident Harding wenige Jahre später ins Amt folgen sollte.305

2.3. Bittere Zeiten – Dodd und die Republican Restoration Als sich William Edward Dodd und der mit dem Tod ringende Woodrow Wilson Ende 1923 ein letztes Mal vor Wilsons Ableben trafen, waren beide zutiefst über das Scheitern ihrer Friedens- und Nachkriegsordnungsidee verbittert. Einer seiner Studenten schrieb, dass Wilsons Tod am 3. Februar 1924 seinen Professor der Geschichte fast umgebracht hätte.306 Dodd blieb eng mit der Familie Wilsons befreundet und avancierte zusammen mit Colonel House, Josephus Daniels, dem Journalisten und Historiker Claude Bowers, dem politischen Aktivisten Daniel Roper307 und dem Secretary of War Newton D. Baker zum größten Verfechter von Wilsons Erbe während der Zeit der Republican Restoration. 308 Dodd fasste mit seiner Suche nach einem würdigen progressiv-demokratischen Nachfolger Woodrow Wilsons neuen Mut: „He was encouraged by a small circle of friends who shared with him both a reverence for Wilson and a southern orientation”.309 Die Zeit der „Goldenen Zwanziger“ hatte für die Progressives damit eine ganz andere Bedeutung als für die Anhänger ihrer nicht-progressiven, vor allem republikanisch-konservativen Kon trahenten, die mit US-Präsident Warren G. Harding für über ein Jahrzehnt die amerikanischen Geschicke vom Weißen Haus aus lenken konnten.310 Viele progressive Politiker und Reformer waren nicht nur durch die außenpolitische Debatte um Wilsons Nachkriegskonzept von ihren Überzeugungen abgekommen, bei einigen von ihnen hatte die

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305 Vgl. NUGENT: Progressivism. S. 116. Vgl. zu LaFollettes weiterem Wirken THELEN: Insurgent Spirit. S. 155-194. 306 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 100. 307 Vgl. Ropers Memoiren ROPER, Daniel C.: Fifty Years of Public Life. In Collaboration with Frank H. LOVETTE. Durham, NC, 1941. 308 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 101f. Vgl. zum Begriff und Bedeutung der Republican Restoration BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 204-231 für die republikanische Innenpolitik und S. 249-289 für gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen in Amerika sowie S. 232-248 für die Außenpolitik der republikanischen Administrationen bis 1929. 309 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 101. 310 Vgl. zur abgeschwächten progressiven Bewegung 1919-1921 NUGENT: Progressivism. S. 120-127.

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republikanische Herrschaft einen Hang zu „conformity, hyperpatriotism, and righteousness“311 ausgelöst, der sicherlich auch mit der allgemein desillusionierten Nachkriegsstimmung zusammenhing. Walter Nugent behauptet, der irisch-katholische Progressive Al Smith habe mit seiner liberalen Politik in New York City den Progressivismus die 1920er überleben lassen und gar „the years and the mentalities between Progressivism and the New Deal“312 Franklin Roosevelts überbrückt und verbunden. Doch nur ein Teil der Progressives sollte sich am Ende der 1920er Jahre tatsächlich zu New Dealers wandeln.313 William Edward Dodd lehnte Al Smith als Person und Politiker kategorisch ab. 314 Zunächst unterstützte er im Wahlkampf 1920 die demokratische Kandidatur von James M. Cox mit seinem Vizeprä- sidentschaftskandidaten Franklin Delano Roosevelt gegen das Harding- Coolidge-Ticket. Während Roper, Bowers, Daniels und der Tennessee- Politiker Cordell Hull Dodd und seinen Kampf für Wilsons Erbe in der Demokratischen Partei förderten, sich mit ihm über die politische Zukunft der Partei beratschlagten und viele seiner öffentlichen Auftritte im Sinne der Fortsetzung von Wilsons Programm arrangierten, trat Präsidentschaftskandidat Cox selbst 1920 an Dodd mit der Bitte heran, für Wilsons außenpolitisches Programm und vor allem den Völker- bundsbeitritt zu werben.315 Ähnlich wie in den 1930er Jahren, als William Dodd die Schuld an der angespannten internationalen Lage konservativen US-Politikern anlastete, die an ihrem Isolationismuskurs in Unkenntnis der weltpolitischen Realitäten festhielten, glaubte der progressive Histo- riker auch Anfang der 20er Jahre, dass die europäischen Probleme durch ein Umdenken amerikanischer Politiker bezüglich einer dauerhaften Einbindung der USA leicht gelöst werden konnten. Wie andere Liberale seiner Zeit erkannte er auch nach Cox herber Niederlage im November 1920 nicht, dass die Haltung der Kongressabgeordneten einer allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung entsprach, die sich nach dem Weltkrieg nach nichts mehr sehnte als nach Abgeschiedenheit und Ruhe von den europäischen Querelen. Cox´ Scheitern hatte die progressive Süd-West-

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311 NUGENT: Progressivism. S. 123. 312 NUGENT: Progressivism. S. 126. 313 Vgl. NUGENT: Progressivism. S. 127. 314 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 126. 315 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 122f. und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 123-126.

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Allianz der Vorkriegsjahre, die Wilsons Politik im Kongress gestützt hatte, auseinanderbrechen lassen.316 William Edward Dodd blieb dennoch den demokratischen Progressives treu, selbst als Robert LaFollette und William Borah in Erwägung zogen, eine eigene progressive Partei gründeten.317 Zusammen mit Henry Morgenthau, der ihn von Woodrow Wilsons Schwiegersohn William McAdoos Kandidatur gegen Coolidge überzeugte, mit Bernard Baruch318 und Daniel Roper, die beide McAdoos Wahlkampf durch eine politisch-intellektuelle Neuorientierung der Partei dank eines gedanklichen Austauschs mit progressiven Akademi- kern unterstützten, wirkte der Professor in Chicago auf den Erhalt des liberalen Gedankenguts innerhalb der Demokratischen Partei über die 20er Jahre hinweg hin und widmete den größten Teil seiner Zeit und Kraft weniger der Wissenschaft und seiner Lehre in Chicago als jemals zuvor.319 Umso stärker litt er deshalb wie seine Mitstreiter immer wieder unter den wiederholten Niederlagen ihrer Kandidaten gegen die über- mächtigen Republikaner sowie unter den politischen Skandalen, von denen auch demokratische Spitzenpolitiker nicht gefeit waren.320 Diese Kluft der Demokraten zwischen Anspruch und Realität, pro- gressiver Utopie und Parteipolitik spiegelte sich besonders nach dem Börsencrash im Herbst 1929 in ihren Reaktionen wieder. Robert Dallek wirft William Edward Dodd und seinen progressiven Kollegen vor, selbst nach Eintreten der Wirtschaftskrise von 1929/30 ihre rückwärtsgewandte proagrarische und industriefeindliche Haltung eingenommen zu haben und damit die Einzigartigkeit der Probleme der amerikanischen Wirt- schaft der frühen 30er Jahre, die sich von den Verteilungsproblemen der Jahrhundertwende unterschieden, verkannt zu haben. 321 Dies gilt allerdings nur für die Frühzeit der Krise, in der Dodd wie viele andere Liberale in dem Demokraten Franklin Delano Roosevelt nur ein Produkt der Tammany Hall, der New Yorker Parteimaschine, und damit Al Smiths

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316 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 124-127. 317 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 133. 318 Vgl. GRANT, James: Bernard M. Baruch. The Adventures of a Wall Street Legend. New York u.a. 1997. 319 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 130-137. 320 Vgl. u.a. zum sogenannten „Teapot Dome“-Skandal, in den McAdoo verwickelt war und ihn letztlich die demokratische Kandidatur kostete DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 136f. und BAILEY: Yeoman Scholar. S. 124f. 321 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 171-174.

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Zögling erkennen wollten und seinen New Deal als Fortsetzung der schwachen Reformideen seiner Vorgänger verkannten. William Dodd glaubte angesichts des Wall Street-Zusammenbruchs, die Macht der Wirtschafts- und Finanzeliten sowie die urbane Konzentration hätten ein Proletariat der Städte hervorgebracht, das nur durch eine Stärkung der ländlichen Gegenden und der Farmer von potentiell aufrührerischem Verhalten oder gar einer Revolution abgehalten werden konnte. 322 Roosevelts großindustrielle Förderer, sein familiärer Hintergrund aus einer der reichsten Familien im Nordosten der USA und sein Meinungs- umschwung bezüglich des Völkerbundes führten dazu, dass William Edward Dodd bis 1932 Franklin Roosevelts Kampagne nicht offen unterstützte, gar seine Einladung zu einer politischen Diskussion mit anderen führenden Akademikern des Landes ablehnte.323 Wie zwanzig Jahre zuvor sollte es Colonel Edward House, der Roosevelt wie Wilson als enger Berater zur Seite stand, sein, der Dodd dem Präsidentschafts- kandidaten annäherte.324 In einem langen Briefwechsel tauschten der Politiker aus Dutchess County und der Chicagoer Professor ihre Gedanken zur Lösung der Wirtschaftskrise aus und ließen Dodd mit positivem Eindruck von Roosevelts politischem Konzept und seiner optimistischen Persönlichkeit zurück. Offensichtlich ging es diesem Kandidaten tatsächlich um das Wohl der Bürger Amerikas und er be- absichtigte, viele progressive Politiker in die höchsten Ämter in Kabinett und Administration zu bringen, darunter Dodds politische und persön- liche Freunde Dan Roper, Cordell Hull und Josephus Daniels.325 Dennoch spielte William Edward Dodd im Wahlkampf Franklin Delano Roosevelts 1932 nur eine kleine Rolle und setzte sich für den demo- kratischen Präsidentschaftsanwärter lediglich im engeren Kreise seiner Chicagoer Bekanntschaften und im persönlichen Freundeskreis ein.326 Vermutlich lag diese Zurückhaltung an Dodds Zweifeln, inwieweit

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322 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 128f. und 136 und DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 173 und 176. 323 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 181. 324 Vgl. zur Rolle von House und seinen Einfluss auf Roosevelt DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 184f. und BAILEY: Yeoman Scholar. S. 137f. 325 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 177 und 180 sowie BAILEY: Yeoman Scholar. S. 136f. 326 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 182.

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Franklin Roosevelt tatsächlich der Great Depression und ihren sozio- ökonomischen Folgen die Stirn bieten konnte und ob er tatsächlich genügend Progressives in sein Kabinett aufnahm.327 Roosevelts spektaku- lärer Wahlsieg kam vor allem deshalb zustande, weil er die Progressives des Mittleren Westen und Westens sowie im Süden von seinem New Deal überzeugen konnte, die die Wortführer eines „New Isolationism“328 waren und nicht davor zurückschrecken würden, den Demokraten hieran im Rahmen jeder außenpolitischen Entscheidung zu erinnern. Zwar zeigte dieser Isolationismus der 1930er Jahre andere Merkmale als seine Vorgänger-Bewegungen vor Woodrow Wilsons Amtszeit auf: Die Durchsetzung und Garantie einer Open Door für amerikanische Wirt- schaftsaktivitäten weltweit sollte Vorrang haben, nicht jedoch eine dauerhafte Anbindung an Europa durch Bündnisse, einen Völkerbunds- beitritt oder die Mitgliedschaft im Weltschiedsgericht.329 Doch wurde er getragen von einer breiten, vielleicht der breitesten Zustimmung in der Bevölkerung in der Geschichte der USA für eine vollständige Konzentration auf die eigene wirtschaftliche Erholung fern aller Konflikte in Fernost und Europa. Die Isolationisten waren eine große, heterogene Bewegung mit Anhängern aus allen Schichten, allen Parteien und nahezu allen Medien. Die meisten von ihnen unterstützten Roosevelts New Deal- Politik für eine soziale und wirtschaftliche Verbesserung der Verhält- nisse.330 Bezeichnend für die Spaltung der alten Progressives ist,331 dass sich selbst liberale Historiker wie Charles Beard zu öffentlichkeitswirksam publizierenden Isolationisten wandelten, die mit neuen intellektuellen Grundlagenargumenten für diese zurückhaltende Außenpolitik der USA ______

327 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 184. 328 POWASKI: Toward an Entanging Alliance. S. 27. Vgl. zu dieser Definition eines neuen Isolationismus ab den 1920er Jahren ADLER: Isolationist Impulse. S. 137-161. Vgl. auch BEARD, Charles A.: American Foreign Policy in the Making, 1932-1940. New Haven, CN, 1946. U. a. S. 17. 329 Vgl. POWASKI: Toward an Entanging Alliance. S. 28 und BEARD: American Foreign Policy. S. 17. Vgl. vor allem auch das Kapitel „The Isolationism of the Thirties“ S. 1-31 in JONAS: Isolationism in America.Vgl. auch hier die Debatte zu Legende oder Existenz des Isolationismus der 20er und 30er Jahre bei SCHWABE: Der Amerikanische Isolationismus. V.a. S. 5-17 und WILLIAMS: The Legend of Isolationism. S. 1-20. Schwabe hält daran fest, dass Woodrow Wilsons Außenpolitik „den Ausgangspunkt des modernen amerikanischen Isolationismus“ (S. 5) gebildet habe. Vgl. auch COOPER, John Milton, Jr.: The Vanity of Power. American Isolationism and the First World War, 1914-1917. Westport, CN, 1969. 330 Vgl. JONAS: Isolationism in America. S. viii, S. 3f., 18 und 21f. 331 Vgl. JONAS: Isolationism in America. S. 98f.

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Roosevelt eine frühzeitige Reform der amerikanischen auswärtigen Beziehungen erschwerten.332 Dieses Umstandes gewiss brachte Franklin Roosevelt, ein „Pragmatic Internationalist”,333 der aus Wilsons Fehlern und politischen Schwierigkeiten gelernt hatte, ein besonderes Gefühl für Machtpolitik und Diplomatie in sein Amt, das ihn jedoch von Beginn an wie in den Folgejahren immer wieder seinen progressiven – in den 30er Jahren bürgerte sich stattdessen der Begriff liberal ein334 – Kabinetts- und Administrationsmitgliedern entfremdete, sobald er aus nicht immer erkennbaren Gründen den isolationistischen Forderungen entgegenkam.335 Aus diesem Grund blieb William Dodd skeptisch, obwohl Roosevelt seit seiner Zeit als Wilsons Assistant Secretary of the Navy als Bewun- derer seines Verwandten Theodore Roosevelt galt und sich offen als Internationalist bekennend an eine Führungsrolle der USA in der Welt glaubte.336 Roosevelts Eigenschaft als „juggler“337 sollte die Grundlagen seines New Deal über zwölf Jahre Amtszeit und einen weiteren Weltkrieg hinweg im amerikanischen System etablieren, doch nicht ohne einen „bitter political and ideological struggle”,338 in den William Edward Dodd

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332 Vgl. JONAS: Isolationism in America. S. 4, 72-77 und 140. 333 POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 58. 334 Vgl. HAMBY, Alonzo L.: Progressivism. A Century of Change and Rebirth. In: MILKIS, Sidney M./ MILEUR, Jerome M. (Hgg.): Progressivism and the New Democracy. Amherst, MA, 1999. S. 56. 335 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 59 und Powaskis Beispiele für isolationistische Hindernisse für Roosevelts Politik auf den Seiten 59-88. Vgl. auch McGERR: A Fierce Discontent. S. 317. Laut McGerr war sich Roosevelt aller Fehler und Fehleinschätzungen der „old progressives“ bewusst und gestaltete deshalb seinen New Deal flexibler als vorherige progressive Reformkonzepte. 336 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 58f. Vgl. auch BURNS, James McGregor: Roosevelt. The Lion and The Fox. New York 1956. S. 55-78 zu Roosevelts Zeit als Assistant Secretary unter Wilson und für seine Überzeugung von der Weltmachtrolle der USA und seine Bewunderung Roosevelts DALLEK: Franklin Delano Roosevelt. S. 6ff. und S. 20. 337 KIMBALL: Juggler. S. 7. Kimball zitiert hier eine Aussage Roosevelts vom 15. Mai 1942 über sich selbst. 338 JONAS: Isolationism in America. S. 2. Vgl. auch McWILLIAMS, Wilson Carey: Standing at Armageddon. Morality and Religion in Progressive Thought. In: MILKIS, Sidney M./ MILEUR, Jerome M. (Hgg.): Progressivism and the New Democracy. Amherst, MA, 1999. S. 114 zu den ideologischen, bisweilen „proto-totalitären“ („proto-totalitarian claims“) Forderungen der Progressives.

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nur allzu bald hineingezogen werden sollte. Ein höchst ungewöhnliches Zusammentreffen politischer, militärischer, ökonomischer und ideolo- gischer Faktoren führte in den 1930er Jahren der USA zu einer Debatte zwischen Internationalisten und Isolationisten um die Zukunft des Landes. 339 Dieser ideologische Kampf war für Amerika und für den progressiven Südstaatler nicht auf die inneramerikanischen Debatten der 30er Jahre begrenzt. Die Auseinandersetzung setzte auf der inter- nationalen Bühne aufgrund von Roosevelts fortgesetztem Streben für eine neue nationale und internationale Wirtschaftsordnung340 im Sinne von Wilsons politischem Vermächtnis ein und brachte die deutsch- amerikanischen Beziehungen nach Hitlers „Machtergreifung“ in eine rasch einsetzende und zunächst unerwartete Konfrontationsstellung, an deren Front der überzeugte progressive Demokrat und Wilsonian William Edward Dodd eine zentrale Rolle einnehmen sollte. Gleichsam begannen ein weiteres Mal die Entwicklungen in und Erfahrungen mit einem weiteren Kapitel deutscher Geschichte, William Dodds politische und persönliche Gesinnung wie auch die Ausrichtung der amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik seiner Regierung langsam zu transformieren.

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339 Vgl. JONAS: Isolationism in America. S. 24. 340 Vgl. hierzu vor allem ROSENBERG, Emily S.: Progressive Internationalism and Reformed Capitalism: New Freedom to New Deal. In: COOPER, John Milton Jr. (Hrsg.): Reconsidering Woodrow Wilson. Progressivism, Internationalism, War, and Peace. Washington, DC, 2008. S. 254f und 270f. und Rosenbergs Vergleich der internatio- nalistischen (ökonomischen) Implikationen des New Freedom mit dem New Deal. Vgl. für einen größeren Zusammenhang progressiv-liberaler Gesetzgebung mit der Weiterent- wicklung des amerikanischen (Verfassungs-) Systems MORENO, Paul D.: The American State from the Civil War to the New Deal. The Twilight of Constitutionalism and the Triumph of Progressivism. New York 2013.

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3. 1933. Amtsantritt in Deutschland

Dieses vorliegende Großkapitel zum Jahr 1933 befasst sich mit drei Perspektiven auf William Edward Dodds Antritt als US-Botschafter in Berlin. Das erste Kapitel schildert die ersten Ansätze einer Neu- ausrichtung der deutschen Außenpolitik gegenüber Deutschland unter nationalsozialistischer Herrschaft und die Reaktionen in Berlin auf Franklin Roosevelts Wahl zum neuen demokratischen Präsidenten in Amerika. Thema dieses Abschnittes sind außerdem die Umstände um Dodds Berufung durch den Präsidenten und die zentralen Akteure, die die Entscheidung Roosevelts beeinflussten. Dodds Wahl rief darüber hinaus verschiedene Reaktionen in Berlin und Washington hervor, die auch seine Vorbereitungen für Berlin prägten. Ein zweites Kapitel ana- lysiert das soziale und politische Netzwerk des Botschafters und seiner Familie nach ihrer Ankunft in Berlin im Juli 1933 und ihre ersten Erlebnisse mit den Umwälzungen innerhalb der deutschen Gesellschaft nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten. Das folgende Kapitel erklärt die verschiedenen Rollen William Dodds als Verhandlungsführer und Berichterstatter für seine Regierung, als US-Repräsentant in direkter Auseinandersetzung mit der deutschen Führung und den innerdeutschen Entwicklungen sowie seine Amtsausübung als Leiter der amerikanischen Botschaft. Entscheidend für das Jahr 1933 ist die Diskrepanz zwischen William Dodds Beobachtungen und Erfahrungen im nationalsozialis- tischen Deutschland und der Neuausrichtung der amerikanischen Außen- politik durch Franklin Roosevelt, die stärker als in allen folgenden Jahren von der inneren Wirtschaftskrise und ihren Folgen geprägt war und deshalb – so wird das anschließende Fazit und die Einordnung von Dodds Tätigkeit in die amerikanische Politik- und Gesellschaftsentwicklung zeigen – vielmehr von einer neuen Distanz innerhalb der deutsch- amerikanischen Beziehungen statt einer aktiven US-amerikanischen Deutschlandpolitik zeugte. Auffällig ist dennoch, dass die Ernennung William Dodds – neben anderen neuen Botschaftern mit liberal-pro- gressiver Gesinnung in den Hauptstädten Europas – durch Roosevelt nicht willkürlich erscheint und im Einklang mit der Beobachtung steht, dass 1933 das deutsch-amerikanische Sonderverhältnis der 1920er Jahre endgültig und bewusst seitens der US-Regierung beendet wurde.

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3.1. „The President Calling”. Roosevelts Suche nach einem US- Repräsentanten im nationalsozialistischen Deutschland

3.1.1. Dodds Nominierung für den Botschafterposten in Berlin In Berlin führte der spektakuläre Wahlsieg des Demokraten Franklin Delano Roosevelt zu einer intensiven Beschäftigung mit den innen- und außenpolitischen Konsequenzen dieser Neuerung in Washington.341 Karl Maximilian Friedrich-Wilhelm von Prittwitz und Gaffron342, deutscher Botschafter in Washington, District of Columbia, von 1927 bis 1933 berichtete dem Auswärtigen Amt am 28. November 1932 ausführlich von der potentiellen Zusammensetzung des Kabinetts durch verschiedene

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341 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 41f. Diese Beschäftigung schlug sich jedoch nicht in der Presse (Frankfurter Zeitung, Deutsche Allgemeine Zeitung usw.) der letzten Monate der Weimarer Republik und auch nicht in der staatlich gelenkten deutschen Presse im Nationalsozialismus nieder. Auf den spektakulären Wahlsieg Roosevelts erfolgte so gut wie keine Reaktion in den deutschen Medien. Sirois begründet dies mit der Ablenkung durch die eigene instabile politische Situation sowie mit den mangelnden Kenntnissen über Roosevelts Hintergrund und Programm. Die Grundtendenz der Berichterstattung war allerdings positiv. Vgl. zu den Beobachtungen Amerikas in der Wilhelmstraße 1933 und in den Folgejahren auch COMPTON: Hitler und die USA. S. 53-64 sowie auf den Seiten 96-113 die Beobachtungen durch Militär- und Luftwaffenattaché General Friedrich von Boetticher. 342 Vgl. WALA: Republikaner ohne Republik. In: SCHULTE/WALA: Widerstand und Auswärtiges Amt. S. 21-33. Prittwitz war nach seiner Rückkehr nach Deutschland aufgrund seiner offenen Äußerungen gegen den Nationalsozialismus nicht sicher. [Vgl. zum Beispiel einen amerikafreundlichen Vortrag von Prittwitz und Gaffrons von 1934. Dok. 31 in POMMERIN, Reiner/ FRÖHLICH, Michael (Hgg.): Quellen zu den deutsch- amerikanischen Beziehungen 1917-1963 (= Quellen zu den Beziehungen Deutschlands zu seinen Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Band II). Darmstadt 1996. S. 121-130]. So berichtete William Dodd im September 1933 über seine mögliche Verhaftung. Sollte er weiterhin auf Empfängen erscheinen, drohten ihm ernste Konsequenzen. Prittwitz war am 18. Juli 1933 in dauerhaften Ruhestand versetzt worden. (Siehe S. 27). Weder Staatssekretär Bernhard von Bülow (seit Juni 1930 Staatssekretär), noch Herbert von Dirksen – deutscher Botschafter in Moskau - oder Leopold von Hoesch – deutscher Botschafter in London - konnten sich dazu durchringen, Prittwitz‘ Vorbild zu folgen, obwohl tief von ihm beeeindruckt – von Bülows Rücktrittsschreiben vom Sommer 1933 wurde nie abgesandt (S. 31f.). Vgl. auch KRÜGER/HAHN: Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow. S. 376-410. Vgl. auch WALA: Weimar und Amerika. Vor allem S. 271-294 zu den Chancen der deutsch- amerikanischen Beziehungen zur Amtszeit des Botschafters.

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Beraterkreise.343 Drei verschiedene Gruppierungen um den Präsidenten seien dabei zu unterscheiden: Die Wahlkampfmanager um James Aloysius Farley und Senator William Gibbs McAdoo, ehemaliger Finanzminister und Wahlkampforganisator Woodrow Wilsons, die „in erster Linie egoistische Motive als Leitmotiv“344 antrieben. Immer stärker wachsen- den Einfluss auf Roosevelt schrieb der Botschafter dem zweiten Kreis um Colonel Edward House 345 und den früheren Botschafter Henry Morgenthau junior346 zu: „Dieser Kreis ist der Kreis der alten Wilsonianer, die bei der künftigen Administration ihren verlorenen Einfluss auf die Politik, namentlich auf die Aussenpolitik der Vereinigten Staaten zurück- gewinnen wollen”.347 Die Demokraten aus der amerikanischen Geschäfts- welt um Owen D. Young348, Newton Baker349 und John W. Davis 350 bildeten den dritten Kreis, welcher mit den ersten zwei genannten in

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343 Vgl. Friedrich von Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 28. November 1932. PAAA. Abteilung III, Akten betreffend: Innere Politik, Parlaments- und Parteiweisen in den Vereinigten Staaten von Amerika, vom 1. November 1932 bis April 1936. Politik 5 Vereinigte Staaten von Amerika. Band 6 (Best.: R 80224). 344 Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 28. November 1932. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). S. 2. 345 Vgl. zu Edward Mandell House’ Biographie unter anderem HODGSON, Godfrey: Woodrow Wilson’s Right Hand. The Life of Colonel Edward M. House. New Haven, CT, London 2006. Zu Einfluss auf und Beziehung zu Roosevelt vgl. S. 266-271. House‘ Beraterstatus stellte ein wesentliches Element der progressiven Bewegung dar, welches Woodrow Wilsons Erbe mit Roosevelt und der Demokratischen Partei der 1930er Jahre verknüpfte. 346 Vgl. LEVY, Herbert: Henry Morgenthau, Jr. The Remarkable Life of FDR’s Secretary of the Treasury. New York 2010. Vgl. auch WALLANCE, Gregory J.: America’s Soul in the Balance. The Holocaust, FDR’s State Department, and the Moral Disgrace of an American Aristocracy. Austin, TX, 2012. S. 192-210 zu Morgenthaus Rolle in Roosevelts Kabinett. 347 Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 28. November 1932. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 348 Vgl. CASE, Josephine Young/ CASE, Everett Needham: Owen D. Yong and American Enterprise. A Biography. Boston 1982. 349 Vgl. CRAIG: Progressives at War. S. 116, 353, 384f. Vgl. zu Newton Diehl Baker auch CRAMER, C.H.: Newton D. Baker. A Biography. Reprint. New York, London 1979. Baker stand in regem brieflichen Kontakt mit William Dodd (S. 21, S. 84f.).Vgl. auch BEAVER, Daniel Roy: Newton D. Baker and the American War Effort, 1917-1918. Lincoln, NE, 1966 zu Bakers Rolle als Kriegsminister und jüngstem Kabinettsmitglied Wilsons. 350 Vgl. HARBAUGH, William H.: Lawyer’s Lawyer. The Life of John W. Davis. New York 1973. Siehe S. 341f. Zum Briefwechsel mit Dodd zum Thema New Deal und Jeffersons Erbe siehe S. 335. Vgl. auch DAVIS, Julia/ FLEMING, Dolores A. (Hgg.): The Ambassadorial Diary of John W. Davis. The Court of St. James’s 1918-1921. Morgantown, WV, 1993.

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den kommenden Monaten um den entscheidenden Einfluss auf die neue Regierung kämpfen werde.351 Der deutsche Botschafter maß ausdrücklich dieser Rivalität größte Bedeutung bei, denn wem Roosevelt „seine Gunst schenken wird, wird ausschlaggebend sein für die Politik der Admi- nistration“352 und damit auch für die Gestaltung der Beziehungen zu Deutschland.353 Im Januar 1933 korrigierte Prittwitz und Gaffron deshalb sein erstes Urteil und wies das Auswärtige Amt darauf hin, dass Roosevelt um eine Regierung ausbalancierter Interessen bemüht sei und diese „weder aus- gesprochen konservativ noch rein progressiv-liberal“ gestalten wolle, um „die beiden Extreme auszugleichen”.354 Als erste Vermutung stellte von Prittwitz und Gaffron an, dass junge Juristen wie Breckinridge Long355 oder Robert W. Bingham356 Botschafterposten erhalten dürften – unter

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351 Vgl. Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 28. November 1932. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 352 Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 28. November 1932. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 353 John W. Davis, einer der berühmtesten Anwälte des damaligen Amerika, Solicitor General Woodrow Wilsons, ein vehementer Vertreter der Wahlrechte von Afroameri- kanern, US-Botschafter in London von 1918 bis 1921 und progressiver Spitzenpolitiker der Demokraten, verfügte zwar – als Kurator der Rockefeller-Stiftung – über ausgezeichnete Geschäftsbeziehungen, war allerdings entgegen Prittwitz und Gaffrons Einschätzung vor allen Dingen als Staranwalt und progressiver Politiker der Wilson-Administration bekannt. Auch Newton Baker, US-Kriegsminister unter Wilson 1916 bis 1921, galt als Progressivist. Mit diesem Versuch, die verschiedenen Einflussgruppen auf Roosevelt zu differenzieren, entging dem deutschen Botschafter offensichtlich die Tatsache, dass die meisten Protagonisten der drei genannten Personengruppen alle selbst in das progressive Parteilager, vor allem zur Administration Wilsons gehörten. 354 Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 30. Januar 1933. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 355 Breckinridge Long bekleidete von 1917 bis 1920 das Amt des Assistant Secretary of State im State Department. Als langjähriger Freund Roosevelts und Unterstützer seiner Präsidentschaftskampagne wurde Long vom Präsidenten Roosevelt 1933 als Botschafter nach Italien gesandt, wo er in dieser Position bis 1936 verbleiben sollte. . Vgl. GOODWIN, Doris Kearns: No Ordinary Time. Franklin & Eleanor Roosevelt: The Home Front in World War II. New York u.a. 1994. S. 100, 173f. und 515f. Vgl. auch Rolde, Neil: Breckinridge Long. American Eichmann??? An Enquiry into the Character of the Man who Denied Visas to the Jews. Solon, ME, 2013. Vgl. auch WALLANCE: America’s Soul in the Balance. S. 75 mit einem kurzen biographischen Hintergrund zu Long. 356 Robert Worth Bingham, Botschafter in London ab 1933, war ein entschiedener Gegner des nationalsozialistischen Deutschland und Befürworter enger britisch-amerikanischer Beziehungen im Kampf gegen den Faschismus. Vgl. ELLIS, William E.: Robert Worth

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anderem den des US-Repräsentanten in Deutschland. 357 Sollten die älteren Wilsonianer nicht ins Kabinett einziehen, so bedeute dies nicht, dass ihr Einfluss schwinden werde: Colonel Edward House, welcher „zweifellos auf die Gestaltung der Aussenpolitik einen gewissen Einfluss behalten“358 werde, sei ein Beispiel hierfür genauso wie Bernhard M. Baruch359, Henry Morgenthau junior und Alexander Mitchell Palmer360 in der Innenpolitik361 sowie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.362

Nachdem der demokratisch gesinnte deutsche Botschafter am 15. April 1933 als Konsequenz der nationalsozialistischen Machtergreifung seinen Posten freiwillig geräumt hatte, übernahm Hans Luther, ehemaliger Reichskanzler und Reichsbankpräsident der Weimarer Republik, die diplomatische Aufgabe, dem Auswärtigen Amt aus der amerikanischen Hauptstadt zu berichten.363 Er sollte dieses Amt bis Mai 1937 bekleiden,

______Bingham and the Southern Mystique. From the Old South to the New South and Beyond. Kent, OH, London 1997. 357 Vgl. Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 30. Januar 1933. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 358 Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 30. Januar 1933. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 359 Vgl. GRANT: Bernard M. Baruch. Für Bernard Mannes Baruchs Zeit als Berater Roosevelts siehe insbesondere S. 240-262. 360 A. Mitchell Palmer diente 1919 bis 1921 als Wilsons Attorney General of the United States. Besonders beförderte er in dieser Stellung die progressive Gesetzgebung des Präsidenten. Er war einer der Mitgestalter des Demokratischen Wahlprogramms. Vgl. COBEN, Stanley: A. Mitchell Palmer: Politician. New York, London 1963. S. 73-154 für Palmers Rolle während der Administration Wilsons. Vgl. zu seiner Zeit als Attorney General und der Umsetzung progressiver Ziele S. 155-195. Zur Rolle Palmers in Roosevelts Wahlkampf 1932 siehe S. 263-265. 361 Vgl. Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 30. Januar 1933. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 362 Vgl. FRYE: Nazi Germany. S. 35. Frye stellt die These auf, Luther sei nach Washington gesandt worden, damit die Berliner Zentrale ihn als politischen Faktor in Deutschland loswerden konnte. Vgl. Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 30. Januar 1933. PAAA. Abteilung III, Band 6 (Best.: R 80224). 363 Vgl. hierzu das offizielle Rücktrittsschreiben des deutschen Botschafters in Washington in Dok. 8, Friedrich Wilhelm v. Prittwitz und Gaffron an Konstantin v. Neurath, Brief vom 11. März 1933 in KIESSLING, Friedrich (Hrsg.): Quellen zur deutschen Außenpolitik 1933- 1939 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein – Gedächtnisausgabe, Band XXXIV). Darmstadt 2000. S. 35f. Der Botschafter argumentierte hier, er habe seinem Vaterland immer treu gedient. Die neue Reichsregierung mache dies

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um es dann an den Amerika-Experten des Auswärtigen Amtes, Hans Heinrich Dieckhoff364, zu übergeben. Am 4. Juni 1933 stellte Luther in einem Telegramm an Dieckhoff, zu diesem Zeitpunkt Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, fest, dass immer noch eine Reihe umstrittener Posten der Roosevelt-Administration unbesetzt geblieben seien. Eine

______jedoch nicht mehr möglich, denn er erklärte (S. 35): „Allerdings habe ich während meiner hiesigen Tätigkeit, die mich häufig gezwungen hat, auch in der Öffentlichkeit das Wort zu ergreifen, niemals einen Hehl aus meiner allgemein-politischen Einstellung gemacht, die in dem Boden einer freiheitlichen Staatsauffassung und den Grundprinzipien des republikanischen Deutschlands wurzelt”. Vgl. CLINGAN, C. Edmund: The Lives of Hans Luther, 1879-1962. German Chancellor, Reichsbank President, and Hitler’s Ambassador. Lanham u.a. 2010. Für Luthers Zeit als Reichsbankpräsident siehe S. 85-110. Vgl. zu den Beweggründen hinter Luthers Ernennung zum Botschafter auch CONZE/FREI/HAYES/ ZIMMERMANN: Das Amt und die Vergangenheit. S. 57. Luther gehörte zusammen mit zu den wenigen „Außenseitern“ im Auswärtigen Amt nach der „Machtergreifung“. Vgl. auch COMPTON: Hitler und die USA. S. 45f. Mehrfach hatte der scheidende deutsche Botschafter die Zentrale in Berlin gewarnt, dass insbesondere die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung die deutsch-amerikanischen Beziehungen dauerhaft schädigen würden. Vgl. U.S. Department of State, Papers Relating to the Foreign Relations of the United States/ Foreign Relations of the United States (im Folgenden abgekürzt als „FRUS” plus Jahresangabe für den jeweiligen Band). Diplomatic Papers, 1933, Volume II, The British Commonwealth, Europe, and Africa. Washington D.C. 1949 (Government Printing Office). S. 187. Von Prittwitz äußert hier vertraulich seine Bedenken zum neuen deutschen Regime gegenüber US-Under Secretary of State William Castle. Vgl. auch PRITTWITZ UND GAFFRON: Zwischen St. Petersburg und Washington. S. 225. Von Prittwitz und Gaffron distanzierte sich öffentlich, unter anderem mit einem Artikel in der New York Times, „Farewell to Diplomacy“, vom Nationalsozialismus. Vgl. auch MOLTMANN: Ein Botschafter tritt zurück. In: FINZSCH/WELLENREUTHER: Liberalitas. S. 367-386. 364 Hans Heinrich Dieckhoff wechselte im März 1937 von seinem Posten als Staatssekretär im Auswärtigen Amt in das Amt des deutschen Botschafters als Luthers Nachfolger. Neuer Staatssekretär wurde Hans Georg von Mackensen. Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. Zur Biographie bis 1930 S. 24-109. Für Dieckhoff ergaben sich in Berlin, nunmehr als Ministerialdirektor, neue Karrieremöglichkeiten (S. 108f.). Taschka vermutet, dass Dieckhoff 1933 im Amt blieb, weil auch von Neurath und von Bülow sich hierzu entschlossen hatten, weiterhin ihre Pflicht auszuüben (S. 133). Dieckhoff war zwar Antisemit, doch nicht in einer nationalsozialistischen Ausprägung (S. 134). Vgl. auch KIMBALL: Dieckhoff and America. S. 218-243. Vgl. auch COMPTON: Hitler und die USA. S. 46-50. Compton beschreibt Dieckhoff als fähigen, an das „Dritte Reich“ angepassten Diplomaten (S. 50). Vgl. zu Dieckhoff außerdem SCHMIDT-KLÜGMANN: Bernhard Wilhelm von Bülow, Hans Heinrich Dieckhoff, Friedrich Gaus In: HÜRTER/MAYER, Michael: Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. S. 111-129 und JONAS: Prophet without Honor. S. 222-233.

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Entscheidung stünde bald an, aus innenpolitischen Gründen und besonders wegen der vorteilhaften Stimmung im US-Senat für politische Ernennungen durch die Regierung, und deshalb halte er „gegenwärtig [einen] besonderen Schritt in dieser Angelegenheit nicht für empfehlens- wert”.365 Welchen konkreten Schritt der deutsche Botschafter meinte, führte er in diesem Brief nicht näher aus, vermutlich ging es um einen möglichen offiziellen Protest seitens der nationalsozialistischen Regierung, dass die Vereinigten Staaten ein halbes Jahr nach der Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten immer noch keinen offiziellen Vertreter entsandt hatten – eine Tatsache, die durchaus als Affront gegenüber dem neuen deutschen Regime ausgelegt werden konnte. Aller- dings habe Luther aus zuverlässiger Quelle gehört, dass der Washingtoner Rechtsanwalt Colonel Arthur O’Brien, welcher Deutschland freundlich gegenüberstehe, als Kandidat für den Posten in Berlin in Frage komme.366 „Wenn die Wahl auf ihn fallen sollte, könnten wir, glaube ich, zufrieden sein”,367 so Luther an Dieckhoff.

Richtungsweisend für die Einschätzung der ersten Regierungsjahre der Rooseveltschen Außenpolitik mit besonderem Bezug auf deutsche Belange durch das Auswärtige Amt müssen Hans Luthers folgende Ausführungen gewesen sein. Ungefähr zwanzig Tage nach seinem Brief an Dieckhoff schrieb Luther an das Auswärtige Amt, dass die Außenpolitik Roosevelts sich auf jeder Ebene von der seiner Innenpolitik unterscheide. Während der US-Kongress in innenpolitischen Fragen Roosevelts Ansa- gen gefolgt sei, scheine er sich in Sachen Außenpolitik den Vorschlägen des Präsidenten zu widersetzen.368 Unklar sei, ob Roosevelt überhaupt ein selbstständiges außenpolitisches Ziel habe. Roosevelts Außenpolitik trete immer stärker hinter der Innenpolitik zurück – ein Teil der Realität des sich nun in konkreter Umsetzung befindlichen New Deal-Programmes,

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365 Botschafter Hans Luther an Ministerialdirektor Hans Heinrich Dieckhoff, 4. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, USA, Politik 9. Band 2 (Best.: R 80236). 366 Vgl. Luther an Dieckhoff, 4. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 367 Luther an Dieckhoff, 4. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 368 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington, Akten betreffend Allgemeine auswärtige Politik der USA, vom 1. Januar 1933 bis 29. Februar 1936, Politik 2b. Band 4. (Best.: Washington 967).

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welches originär den Anschein einer „Kursänderung“ 369 in Richtung stärkerer Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft erweckt hatte.370 An der Weltwirtschaftskonferenz und Abrüstungskonferenz sei die Regierung des demokratischen Präsidenten nur interessiert, weil man auf positive Wirkungen für die eigene Wirtschaftslage hoffe und beide Themengebiete „mit innerpolitischen Problemen verquickt“ 371 seien. Darüber hinaus sei jede Andeutung einer Zusammenarbeit mit dem Völkerbund nur ein Hinweis auf ein intendiertes Abwälzen weltpoli- tischer Probleme auf diese Institution selbst.372 Ein Beitritt zum Welt- gerichtshof erscheine wenig wahrscheinlich obwohl dies entgegen den ursprünglichen Vorstellungen der Wilsonianer verlaufe. 373 Einen poli- tischen Ausweg nach dem Scheitern der Weltwirtschaftskonferenz habe sich Franklin Roosevelt selbst eröffnet, indem er statt auf politische Bevormundung auf eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Staaten der Panamerikanischen Union hinwirke. „Gerade hier scheint sich der beachtlichste Umschwung, man könne sagen: eine innere Umwand- lung der Monroe Doktrin, zu vollziehen”.374 Alle Zeichen, so Luther, stünden auf Passivität und Rückzug der Vereinigten Staaten, selbst oder gerade wenn die großen Konferenzen scheitern sollten. Als Schachzug habe Roosevelt deshalb die „Umkehr zur Isolierung“ 375 gewählt, um keinen frühen außen- und innenpolitischen Gesichtsverlust seiner Administration zu riskieren, nachdem die Demokraten in früheren

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369 Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). 370 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). 371 Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). 372 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). 373 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). 374 Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). Vgl. hierzu auch Roosevelts Rede vor der Leitung der Panamerikanischen Union in Washington am 12. April 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 37. S. 129-133. 375 Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967).

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Äußerungen noch offiziell auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt gesetzt hatten.376

Jene ausführlichen Beschreibungen und Interpretationen durch den Botschafter Luther sind deshalb von großer Bedeutung, weil sie offensichtlich machen, dass Franklin Roosevelt mit seinem Primat der Innenpolitik in den Anfangsjahren seiner Präsidentschaft nicht nur innere isolationistische und republikanische Gegner seiner Politik, sondern auch Berlin, das Auswärtige Amt und die nationalsozialistische Führung, über seine mittel- bis langfristigen außenpolitischen Ziele und Konzepte hinwegtäuschte. Einen ersten Hinweis auf Roosevelts versteckte demokratisch-progressive Ziele der Außenpolitik geben die Ernennungen besonders progressiv-liberaler Persönlichkeiten auf außen- politischen Posten von strategischer Bedeutung als Gegengewicht zum Wirken republikanisch-konservativer Kreise in den amerikanischen Ministerien. Luthers und von Prittwitz und Gaffrons Beobachtungen weisen darauf hin, dass Roosevelts erste politische Maßnahmen auf Berlin so wirkten, als ob seine Administration weitgehend außenpolitisch passiv bleiben würde.

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376 Vielleicht um dieses klare Urteil zu untermauern und mit einer weiteren Perspektive zu unterfüttern, findet sich am Ende des Luther-Telegramms ein alter Text von Prittwitz und Gaffrons ans Auswärtige Amt vom 4. Januar 1933. Roosevelt werde sich, so der damalige deutsche Botschafter, weder dem Extrem der Isolierung noch dem Internationalismus Wilsons ergeben, auch wenn sich „Wilsons ideale Gedanken und Prinzipien, zumal Roosevelt [sic!] selbst noch stark unter ihrem Einfluß steht, noch hier und da […] bemerkbar machen werden”. (Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). Text Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 4. Januar 1933.) Deshalb werde Roosevelts Außenpolitik keine „grundsätzliche Änderung von jener der Hooverschen Administration aufweisen”. (Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). Text Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 4. Januar 1933.) Der Völkerbund sei entgegen seiner ursprünglichen Haltung durch den neuen Präsidenten zu einer „Institution zur Verhandlung von strikt europäischen Angelegenheiten“ (Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Botschaft Washington. Band 4. (Best.: Washington 967). Text Prittwitz und Gaffron an das Auswärtige Amt, 4. Januar 1933.) degradiert worden.

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Für die deutschen Diplomaten, weniger für Hitler und die Parteispitze selbst, dürfte dies auch bedeutet haben, dass man nicht mit den Vereinigten Staaten als aktivem Mit- bzw. Gegenspieler377 in politischen

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377 Vgl. hierzu die Forschungskontroverse über den Umfang von Hitlers wahren Weltmachtambitionen bis hin zur Weltherrschaft, vor allem bei HILLGRUBER, Andreas: Hitlers Strategie. Politik und Kriegführung 1940-1941. 2. Auflage. Bonn 1982. V.a. S. 13-24. Vgl. auch HILLGRUBER, Andreas: Die Zerstörung Europas. Beiträge zur Weltkriegsepoche 1914 bis 1945. Berlin 1988. V.a. S. 186-202. Vgl. insbesondere auch HILLGRUBER: Der Faktor Amerika. In: MICHALKA: Nationalsozialistische Außenpolitik. S. 493-525. Hillgruber geht davon aus, dass die USA Hitler erst langfristig als „Endgegner“ galten, aber erst nach Erfüllung seines kontinentalen Stufenplans für Europa. Bis dahin sollten die USA aus europäischen Belangen ferngehalten werden. Vgl. dagegen JUNKER, Detlef: Hitler´s Perception of Franklin D. Roosevelt and the United States of America. In: VAN MINNEN, Cornelis A./ SEARS, John F.: FDR and His Contemporaries. Foreign Perceptions of an American President. London 1992. S. 143-155. Junker geht davon aus, dass für Hitler klar niemals mehr als Europa das Ziel seiner Expansionspläne gewesen sei. Vgl. auch HILDEBRAND: Kalkül oder Dogma? S. 19-29. Hildebrand erklärt, dass das Verhalten Englands nicht Hitlers Kalkulationen entsprach und damit „seinen ursprünglich über weite Zeiträume sich erstreckenden Stufen-Plan so komprimierte, daß wir aus seinen Planungen [...] bereits die zweite, die überseeisch-atlantische Stufe auf dem Wege zur Welt- machtstellung erkennen können [...]” (S. 28). Vgl. auch JÄCKEL, Eberhard: Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft. 3. Auflage. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe. Stuttgart 1986. V.a. die Seiten 97-119.. Vgl auch FUNKE, Manfred: Großmachtpolitik und Weltmachtstreben. In: BROSZAT, Martin/FREI, Norbert (Hgg.): PLOETZ. Das Dritte Reich. Ursprünge, Ereignisse, Wirkungen. Herausgegeben in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte, München. Freiburg, Würzburg 1983. S. 196-204. In Anlehnung an Hildebrands Unterscheidung zwischen Kalkül und Dogma postuliert Funke, Hitler habe seinen Lebensraumkrieg und die Idee einer Weltherrschaft „unter den Primat des Dogmas” gestellt. Die Idee der Weltherrschaft sei „für Hitler mehr visionaries Kraftzentrum den politisch gestaltbarer Endzweck” (beide S. 204) gewesen. Vgl. auch KERSHAW: Der NS-Staat. S. 207-245. Vgl. auch Hitlers „Mein Kampf“, Auszug (S. 52f.) und Hitlers „Zweites Buch“ Auszug (S. 54-61) in: JUNKER: Kampf um die Weltmacht.Vgl. zu Hitlers Amerikabild auch COMPTON: Hitler und die USA. S. 9-27. Vgl. auch Dok. 5, Curt Liebmann, Aufzeichnung über eine Rede Hitlers vor der Reichs- wehrführung vom 3. Februar 1933 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 31f. Hitler teilte in dieser Rede kurz nach der „Machtergreifung“ seine unmittelbaren Politikziele der Reichswehrführung mit. Amerika findet hier keinerlei Erwähnung. Vgl. darüber hinaus das neueste Werk von Timothy Snyder. Snyder argumentiert, Hitlers besonderes Ziel – und das unterscheide ihn von anderen antisemitischen und nationalistischen Herrschern – sei die Vernichtung aller Juden und alles „Jüdischen“ weltweit gewesen, selbst, wenn dies in einem letzten Endkampf auch das Ende Deutschlands bedeutete. Aus diesen Thesen ergibt sich in Hinblick auf Amerika und andere Kontinente, dass Hitler mit dieser angestrebten revolutionären Umwälzung der überkommenen staatlichen und internationalen Ordnungssysteme im Falle einer

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und militärischen Europafragen rechnen musste, solange eine Verhaltens- änderung nicht aktiv provoziert wurde.378 Dies dürfte den kurzfristigen Umschwung der deutschen Führung im Bereich der Auslandspropaganda im März 1933 erklären: Berlin wies – angesichts der sich drastisch verschlechternden öffentlichen Meinung in den USA nach Hitlers Machtergreifung – alle Auslandspropagandazellen innerhalb der USA an, sich aufzulösen. 379 In Bezug auf den neuen US-amerikanischen Botschafter in Berlin, dem progressiven „Wilsonianer“ William Edward Dodd, von dessen Ernennung weiter unten im Text zu lesen sein wird, kann diese Haltung nur zur Konsequenz gehabt haben, dass die nationalsozialistische Führung und die Behörden zunächst darum bemüht sein mussten, von sich ein entsprechend moderates Bild der deutschen Politik zu zeichnen. Ziel dieser Politik war dabei, Amerika weiterhin auf isolationistischem und damit nicht-europäischem Kurs zu halten. Die oben genannten Dokumente geben den Hinweis darauf, dass als Schlussfolgerung für die deutsche Führung und die Behörden ein Kurs am geeignetsten erscheinen musste: nämlich der, den US- Botschafter derart bezüglich deutscher Intentionen in Sicherheit zu wie- gen, dass Roosevelt nicht von seinem innenpolitischen Fokus abweichen und unerwünschte Aufmerksamkeit auf die nationalsozialistische Politik richten konnte.380 Ein Erfolg dieser Vertuschungs- und Täuschungspolitik ______Überlegenheit Deutschlands auch die Weltherrschaft anstrebte. Vgl. SNYDER: Black Earth. V.a. die Kapitel Introduction „Hitler´s World“ und Kapitel 1 „Living Space“ auch zu Hitlers Sicht auf Amerika als Weltmacht. 378 Vgl. hierzu auch COMPTON: Hitler und die USA. S. 227f. Für die deutschen Diplomaten, anders als für Hitler, spielten die USA immer eine wichtige Rolle mit Auswirkungen für Deutschland und seine Entwicklung. Vgl. auch TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 142. 379 Vgl. FRYE: Nazi Germany. S. 33. Vgl. auch HARVISON HOOKER, Nancy (Hrsg.): The Moffat Papers. Selections from the Diplomatic Journals of Jay Pierrepont Moffat, 1919-1943. With a Foreword by Sumner Welles. Cambridge, MA, 1956. S. 109f. Für diese Entscheidung standen die Erfolgsaussichten 1933 wie 1934 sehr gut. Hochrangige Diplomaten wie Pierrepont Moffat, William Phillips und andere zeigten sich von der Beweisführung zu der vorgeblichen und vielumschriebenen nationalsozialistischen Verschwörung und Propagandatätigkeiten gegen beide Amerikas, womit sich das sogenannte „Dickstein Committee“ des New Yorker Kongressabgeordneten Samuel Dickstein in jenen Jahren beschäftigte, ohnehin wenig überzeugt. Vgl. als Gesamtdarstellung zu den deutschen Propagandabemühungen in Amerika KIPPHAN, Klaus: Deutsche Propaganda in den Vereinigten Staaten 1933-1941. Heidelberg 1971. 380 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 196. Auch Dallek beschreibt, dass Dodd anfangs „a government outwardly eager to satisfy American demands” vorfand. Die

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bezüglich nationalsozialistischer radikaler innen- wie außenpolitischer Zielsetzungen hing dann sicherlich auch von einer gewissen Koope- rationsbereitschaft des neuen amerikanischen Botschafters ab. 381 Dass William Dodd bereits kurz nach seinem Amtsantritt an einer vermeint- lichen Harmlosigkeit der Nationalsozialisten Zweifel hegte, konnte folg- lich nur einen Konfrontationskurs mit dem neuen deutschen Regime bedeuten und Dodd zu einem perzipierten Unruhefaktor der deutsch- amerikanischen Beziehungen avancieren lassen. Wie inkorrekt das Auswärtige Amt die Ziele der amerikanischen Außen- politik der neuen demokratischen Präsidentschaft auf lange Sicht hin interpretierte, zeigt sich bereits in der Tatsache, in welchem zeitlichen Rahmen und mit welcher genauen Abwägung Franklin Delano Roosevelt die neu zu vergebenden Posten besetzte. Die Suche nach dem geeigneten Kandidaten für Berlin – in Nachfolge Botschafter Frederic M. Sacketts382 – muss auf beiden Seiten des Ozeans für einige Verwirrung gesorgt haben. Von Prittwitz und Gaffron berichtete noch am 8. März 1933 in einem Telegramm an Reichsaußenminister Konstantin von Neurath von der möglichen Wahl des Demokraten James M. Cox, dem ehemaligen Gouverneur von Ohio und früheren Präsidentschaftskandidaten.383 Mit dem Hinweis auf US-Außenminister Cordell Hull als Informationsquelle für diese Vermutung fügte der deutsche Botschafter hinzu: „Gegen Cox können meines Erachtens schon aus dem Grunde, daß es sich um früheren [sic!] Präsidentschaftskandidaten regierender Partei handelt,

______deutsche Regierung schien bemüht, die Beziehungen zu Amerika auf eine neue solide Basis zu stellen. 381 Vgl. auch HILDEBRAND: Kalkül oder Dogma? S. 30-42 zur vorsichtigen, ihre wahren Ziele verschleiernden Außenpolitik des „Dritten Reiches“ in Kontinuität traditioneller Revisionsforderungen der Weimarer Republik. 382 Vgl. zur Biographie Sacketts BURKE, Bernard V.: Ambassador Frederick Sackett and the Collapse of the Weimar Republic, 1930-1933. The United States and Hitler´s Rise to Power. Cambridge u.a. 1994. Vgl. zu Sacketts Berichterstattung zum neuen Regime FRUS 1933, Vol. II, u.a. S. 187-193, S. 199-214, S. 483-485 und weitere. Sackett schilderte dem State Department präzise alle Ereignisse sei der Bildung des Kabinetts Hitler sowie alle Maßnahmen und Aktionen der Nationalsozialisten bis zu seiner Rückkehr in die USA. Ab Ende April 1933 übernahm diese Aufgabe Botschaftsrat George A. Gordon, vgl. FRUS 1933, Vol. II, u.a. S. 214-222, S. 229-247, S. 342-356 und weitere. 383 Vgl. Prittwitz und Gaffron an Reichsminister Konstantin von Neurath, 8. März 1933. PAAA. Büro des Reichsministers, Akten betreffend Vereinigte Staaten von Nordamerika, 3. März 1933 bis 24. Oktober 1935. Band 12 (Best.: R 28498).

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keinerlei Einwendungen gemacht werden”.384 Tatsächlich war Cox im Präsidentschaftswahlkampf 1920 mit Franklin Roosevelt als Vizepräsident- schaftskandidaten angetreten und hatte sich über seine gesamte Karriere hinweg für Woodrow Wilsons internationalistische Politik, insbesondere für eine aktive Rolle der USA im Völkerbund eingesetzt. 385 Franklin Roosevelt spielte jedoch auch mit den Gedanken der Ernennung anderer Kandidaten, wie beispielsweise Newton Diehl Baker junior386, einem Vertreter der Progressive Movement und ehemaligen US-Kriegsminister, sowie Bürgermeister von Cleveland.387 Das Problem der Stellenbesetzung blieb bis Ende Mai ungelöst, vielleicht auch, weil der demokratische Präsident – obwohl dies eine schnell umsetzbare Alternative geboten hätte – auf keinen Fall einen Karrierediplomaten ernennen wollte. Die Beamten im State Department und ihre festgefahrenen und aus republikanischen Zeiten stammenden außenpolitischen Linien empfand er als Opposition zu seiner liberalen Innen- wie Außenpolitik.388 William Phillips, Karrierediplomat des State Department und Under Secretary of State 1922 bis 1924 sowie 1933 bis 1936, versuchte deshalb, die Überlegungen des Präsidenten in eine andere Richtung zu drängen. Mithilfe einer Liste von Namen für den Posten des US-Botschafters in Berlin erinnerte er Roosevelt an vier mögliche Kandidaten: William Mather Lewis, der vor dem Weltkrieg in Deutschland studiert hatte und über ein großes Privatvermögen verfügte; Harry Emerson Fosdick, ein US-amerikanischer Pastor und Baptist; Glenn Frank, der jüdischer Abstammung sei und aus diesem Grund bisher für Hull nicht in Frage

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384 Prittwitz und Gaffron an Neurath, 8. März 1933. PAAA. Büro Reichsminister, Band 12 (Best.: R 28498). 385 Vgl. CEBULA, James E.: James M. Cox. Journalist and Politician. New York, London 1985. S. 134. Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 187. In einem Brief an Cox betonte Roosevelt die Bedeutung von Berlin, neben London und Paris, für die zukünftige amerikanische Außenpolitik. 386 Vgl. Unter anderem zeichnete Newton Baker für die Ausarbeitung der nationalen Wehrpflicht zur Zeit des 1. Weltkrieges verantwortlich. CRAIG: Progressives at War; Vgl. auch CRAMER: Newton D. Baker. 387 Vgl. Franklin Roosevelt Memo an Hull, 20. April 1933. Franklin D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY (im Folgenden abgekürzt als „Roosevelt Library”). Papers as President. The Official File (OF). OF 198 Germany. Mappe OF 198b Germany Endorsements for Ambassador. „What would you think of our asking Newton Baker to go as Ambassador to Germany?”; Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 188. 388 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 188.

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komme; und Ernest Hopkins, der ehemalige Assistant Secretary of War for Industrial Relations während des 1. Weltkrieges.389 Präsident Roosevelt schienen diese Kandidaten nicht zu beeindrucken, denn er entschied sich anders. Bemerkenswerterweise erlaubte sich der Chef der Exekutive nicht einmal 24 Stunden Bedenkzeit, nachdem ihn Dan Roper auf William Dodd aufmerksam gemacht hatte.390 Sicherlich stand Roosevelt mittler- weile unter dem Druck, einen Botschafter nach Berlin zu entsenden und die diplomatischen Beziehungen aufrecht zu erhalten, wenn auch Karrierediplomaten des State Departments für ihn weiterhin nicht in Frage kamen. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass Roosevelt William Dodd nicht ernannt hätte, wenn er Zweifel bezüglich Dodds Kompetenzen oder politischer Einstellung gehegt hätte, zumal er den Posten in Berlin, wie er Cox anvertraut hatte, als zentralen Knotenpunkt für die zukünftige amerikanische Außenpolitikformulierung erachtete.391 In Hinblick auf die Absagen des Internationalisten James Cox und anderer Kandidaten392 war William Edward Dodd zwar nicht Roosevelts erste Wahl. Doch war seine Ernennung richtungsweisend für Roosevelts Außenpolitik im Herzen Europas: William Edward Dodds Bekanntheit rührte nämlich nicht nur von seinem exzellentem Ruf als einem der außerordentlichsten Historiker in den Vereinigten Staaten des frühen 20. Jahrhunderts in den gelehrten Kreisen um Charles Beard393 und Carl Sandburg394, sondern auch von seiner öffentlichen und tiefüberzeugten Unterstützung der Wilson-Administration und ihrer progressiven Ziele sowie für Franklin Roosevelts Wahlkampf.395

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389 Vgl. William Phillips an Roosevelt, 18. Mai 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). OF 198 Germany. Mappe OF 198b Germany Endorsements for Ambassador. 390 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 189. 391 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 187 392 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 187. 393 Vgl. auch HOFSTADTER: The Progressive Historians. S. 167-346. Beard gehörte zu den progressive Denkern, die sich im Laufe der 1930er Jahre gegen Roosevelts Variante progressiver Politik offensiv äußerten (S. 318-346). 394 Vgl. NIVEN, Penelope: Carl Sandburg. A Biography. New York u.a. 1991. Sandburg gehörte zum engeren Freundeskreis der Familie Dodd. 395 Vgl. zu den Beweggründen Roosevelts bei seiner Ernennung Dodds DALLEK: Beyond Tradition. S. 234. Vgl. auch BERDING, Andrew Henry Thomas/ HULL, Cordell (Hgg.): The Memoirs of Cordell Hull. In Two Volumes. Volume I. New York 1948. S. 182. Cordell Hull zeigte sich ebenso überzeugt von Dodds Fähigkeiten, da er ihn als einen außergewöhnlich enthusiastischen Befürworter des Völkerbundes erinnerte und ihn als persönlichen Freund

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William Edward Dodd begegnete zunächst der Idee, einen Posten in der neuen Administration anzunehmen, keineswegs aufgeschlossen. Obwohl er in Franklin Roosevelt den Retter des amerikanischen Systems erkennen wollte, der das erste Kabinett seit Beginn des 19. Jahrhunderts gegründet habe, welches „constructed on the principle of agreement in social philosophy”396, und damit wirklich demokratisch sei, lehnte er erste Vorschläge für Positionen seitens Roosevelts Kabinettsmitglieder ab. William Dodd hatte, wie Dallek bemerkt, eine kleine Rolle in Roosevelts Präsidentschaftskampagne gespielt und war vor allem als Kontaktmann zu Roper, House und einigen anderen progressiven Demokraten in Erscheinung getreten. Auf ihre Anfragen hin informierte er sie über die Haltung progressiver Republikaner in und um Chicago und in anderen ihm bekannten Wahlkreisen sowie über ihre Einstellung gegenüber dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten.397 Sehr viel aktiver brachte sich der progressive Südstaatler in die Politik der Demokratischen Partei nach dem Wahlsieg im November 1932 ein. Da er auf eine Besetzung der Finanz- und Außenministerstellen mit liberalen Politikern hoffte, hatte er Roosevelt mit Daniel Calhoun Ropers und Colonel Edward M. House‘ Hilfe eine Liste mit namhaften Progressivisten als Kandidaten für den National Advisory Council zukommen lassen.398 Die aktuellen Berater des Brain Trust-Zirkels, angeführt von Raymond Moley, schienen dem Chicagoer Professor genauso suspekt wie seinen progressiven Mitstreitern in Washington. Obwohl Dodd den wachsenden Einfluss der „Braintruster“ und den schwindenden der alten Wilsonians gefürchtet hatte, setzten sich Roper, Cordell Hull und Josephus Daniels durch, den neugewählten Präsidenten auf einen zumindest personell gesehen progressiven Kurs zu verpflichten. Erst mit der Wahl Ropers und Hulls in das Kabinett Roosevelts wuchsen deshalb die Chancen William Dodds, in der neuen

______bezeichnete: „I was exceedingly fond of Dodd and was his personal friend”. Für Hull war es laut seiner Memoiren besonders wichtig gewesen, die diplomatischen Posten nur zu 50 Prozent mit Karrierediplomaten zu besetzen und rannte in dieser Hinsicht bei Präsident Roosevelt offene Türen ein (S. 181). 396 Dodd an Colonel House, 25. Februar 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. 397 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 182f. 398 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 183.

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Administration eine Position zu bekleiden.399 Der gealterte Wilsonian Colonel House, der immer noch die Fäden auf progressiver Seite in der Administration zog, hatte erwirkt, dass Franklin Roosevelt Daniel Calhoun Roper für die prominente Stelle als Secretary of Commerce auswählte. 400 Dies sei fast eine zwingende Notwendigkeit gewesen, beobachtete Dodd die Entwicklungen zugunsten der Progressiven, da Roper für Roosevelts Präsidentschaftsnominierung eine zentrale Rolle gespielt hatte.401 Dennoch war Dodd zunächst nicht von der Idee getrieben, tatsächlich einen Posten in der Regierung zu besetzen. 402 In seinem Notizbuch vermerkte William Dodd, dass Daniel C. Roper, der seit Jahren mit ihm befreundete Handelsminister Roosevelts, gefragt habe, ob er nicht in beratender Funktion einen Posten im State Department annehmen wolle. „I told him there was no place I would care to fill […]. I am not qualified ______

399 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 184. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 146. Vgl. auch ICKES, Harold L.: The Secret Diary of Harold L. Ickes. The First Thousand Days, 1933-1936. New York 1954. S. 109f. Harold Ickes, progressiver Innenminister Roosevelts, erwähnte in seinem Tagebuch am 18. Oktober 1933, dass eine enge politische Kooperation im Kabinett zwischen ihm und House, Roper und Hull bestünde, die auf Colonel House‘ Betreiben zurückzuführen sei. Roosevelt nahm diesen Einfluss der Progressiven offensichtlich bereitwillig entgegen: Auf gewohnt kryptische Art und Weise erklärte House an jenem Tag Ickes gegenüber, der Präsident habe über ihn, Ickes, in den höchsten Tönen gesprochen und habe gemeint „that he had great plans for the future in which I and one or two other Cabinet members figured. […] He [House] told me that he had suggested Hull to the President for Secretary of State. Later in the afternoon when I called up Secretary Roper on another matter, he told me that Colonel House was with him”. Vgl. zu Hulls Biographie bis zu Roosevelts Amtsantritt PRATT, Julius W.: Cordell Hull 1933-44. In Two Volumes. Volume I. The American Secretaries of State and Their Diplomacy, Volume XII. New York 1964. S. 1-12. Hull war seit Beginn seiner Karriere ein internationalistisch, progress-liberaler Politiker mit hervorragenden Beziehungen im Kongress, die Roosevelts Umsetzung seines Politikprogrammes zu Gute kamen. 400 Vgl. zu Ropers Erinnerungen an seine Zeit als Handelsminister bis zu seinem Rücktritt 1938 ROPER: Fifty Years of Public Life. S. 273-350. 401 Vgl. Dodd Notizbucheintrag, 16. April 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe Memoranda for 1929-30 and for 1932. „[T]he appointment of Roper, dominating figure in nominating Roosevelt, was almost obligatory. Colonel Edw. M. House urged it”. 402 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 185. Dallek behauptet, Dodd habe nach Hulls und Ropers Ernennung im Februar 1933 begonnen, mit dem Gedanken zu spielen, einen Posten in der neuen Administration anzunehmen. Die Briefwechsel mit Roper und House im März 1933 jedoch zeigen, dass dies eigentlich noch nicht der Fall war, wenn er auch allgemein von einer gelegentlich beratenden Funktion, vor allem aber generell von der Notwendigkeit, auch Akademiker in die Regierung miteinzubeziehen, sprach.

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for the technical diplomatic work”, 403 so Dodds klares Urteil. Auch Colonel Edward House verkündete William Dodd, dass er ihm zwar für das Angebot danke, seinen Namen bei Roosevelt zu erwähnen, er aber keine Position als geeignet anerkennen könne. Seine prioritäre Aufgabe sei die Vollendung seines Buches „The Old South“ zur Geschichte des amerikanischen Südens.404 Zweifelsohne ließen Dodd dennoch die Gedanken und Sorgen rund um die zu bewältigenden Aufgaben der Roosevelt-Administration, ganz besonders die internationalen Probleme, nicht los. Dodd äußerte House gegenüber seine Meinung, die neue Regierung benötige vor allem Akademiker aus der Universitätswelt, die vor offenen Worten vor antidemokratischem Publikum nicht zurückschreckten. Deshalb kam für ihn selbst aber höchstens eine beratende, externe Funktion in Frage.405 Ohne dass er es ausdrücklich erwähnte, kann dieses in Dodds Perspek- tive notwendige Einwirken sowohl auf „anti-demokratische“ Bürger im eigenen Land wie auch im Ausland bezogen werden, die im Wilsonschen Sinne und Reformgeist „erzogen“ werden sollten. In einem Briefwechsel mit dem neuen Secretary of State, Cordell Hull aus Tennessee, formulierte Dodd seine Abneigung einem festen Posten in der Administration gegenüber etwas weniger scharf und bot seine Beraterdienste für die dringlichsten Fragen der Formulierung außenpolitischer Konzepte an.406 Zwar sei er im Großen und Ganzen zufrieden mit Hulls außenpolitischem Programm, doch müsse dem Völkerbund, der Schuldenfrage sowie einer Anerkennung der Sowjetunion viel größere Bedeutung zukommen, als bisher angenommen. Amerika könne nicht Lateinamerika dominieren, aber gleichzeitig Japan eine Monroe-Doktrin des Ostens verweigern.

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403 Dodd Notizbucheintrag, 2. März 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe Memoranda for 1929-30 and for 1932. 404 Vgl. Dodd an Colonel House, 4. März 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. „I certainly appreciate your kindly suggestion to the President-elect; but there is no place in the group into which I would fit. […] Any appointment in Washington would carry obligations too serious to allow the finishing of my prior task”. 405 Vgl. Dodd an Colonel House, 4. März 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. 406 Vgl. Dodd an Hull, 11. März 1933. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence Mar.4 – Apr.15, 1933 (Reel 9 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „Of course I am at your service if there is anything I can or to forward the pressing work of the present Administration. […] I can think of no appointment to which I would be competent”.

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Überhaupt seien für Lateinamerika geeignete Diplomaten zu finden, die nicht, wie es Woodrow Wilson widerfahren sei, die eigentlichen politischen Ziele verraten würden. 407 Hull drängte den progressiven Professor der Universität Chicago weiter zur Annahme eines diploma- tischen Postens in Holland oder Belgien. Doch Dodd lehnte wiederholt ab.408 Es ist kaum anzunehmen, dass Dodd, als renommierter Professor für Wirtschaft und Geschichte, nicht fachlich – wie er selbst glaubte – für einen Posten innerhalb der Administration geeignet war. Die mehrfachen Angebote und das Drängen von progressiver Seite, unter anderem von Hull, House und Roper, sprechen für eine Eignung Dodds nach ihrer professionellen und politischen Meinung, die Außenpolitik Roosevelts gebührend vertreten zu können.409 Angesichts der gigantischen Wahl- kampagne Roosevelts und des Umfanges der demokratischen Partei- maschine in den Dreißiger Jahren ist von einem Mangel an potentiellen Kandidaten nicht auszugehen. 410 Die Quellen sprechen dafür, dass

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407 Vgl. Dodd an Hull, 25. März 1933. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence Mar.4 – Apr.15, 1933 (Reel 9 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „[Y]ou have set off on the right step in foreign policy: a little reticent as to the League of Nations, on the debt issue and on the recognition of Russia. […] we can not with a good countenance try to domineer Latin America and at the same time say ‘No’ to Japan for a Monore [sic!] doctrine of the East.[…] When I was working through State Department papers for the Wilson [unterstrichen im Original] book, I was surprised to find many if not most of the country’s representatives in Latin America opposed to Wilson’s philosophy. That is a problem”. 408 Vgl. Dodd Notizbucheintrag, 15. März 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe Memoranda for 1929-30 and for 1932. „Went to Washington to see Cordell Hull, secretary of State, about my accepting an appointment to Belgium or Holland as minister – an idea which was suggested last December or January. […] After considerable study of the situation I told Hull I could not take such a position”. 409 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 186. Dallek behauptet, House, Roper und Hull hätten Dodd nicht wirklich zur Annahme eines Postens motiviert. Tatsächlich jedoch setzten sich besonders Roper und House weiterhin für Dodd, insbesondere während Roosevelts Auswahlverfahrens für den strategisch wichtigen Botschafterposten in Deutschland, ein. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 138f. Für Bailey steht fest, dass Roper und House Dodd unbedingt zu einem Teil der Administration machen wollten. 410 Vgl. zum personellen wie organisatorischen Umfang der Demokratischen Partei- maschine und den Parteibossen der „Tammany Hall“ 1932 sowie zu den wichtigsten Persönlichkeiten auf dem „Roosevelt-Ticket“ LEUCHTENBURG: New Deal. S. 1-17 und BLACK: Champion of Freedom. S. 225-267. Vgl. zu Roosevelts Umgang mit Tammany

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besonders Cordell Hull, zum ersten Mal auf der höchsten Entschei- dungsebene in der amerikanischen Außenpolitik agierend, ihm selbst treue Beobachter des Weltgeschehens einsetzen wollte um nicht die Außenpolitik von den konservativen und traditionellen Linien folgenden Kreisen der Karrierediplomaten im State Department alleine beherrschen zu lassen.411 Dass Europa in Hulls außenpolitischen Zielsetzungen ange- sichts des Primates 412 seiner Lateinamerikapolitik keine Rolle spielte, ist nicht anzunehmen. In Hulls archivierten Unterlagen finden sich Vorträge von Wirtschaftsexperten zur außerordentlichen Bedeutung des europäischen Absatzmarktes für amerikanische Produkte im kurz-, mittel- und langfristigen Planungsrahmen. Europa, so ein Experte gegenüber Hull, sei auch in Krisenzeiten ein verlässlicher Kunde ameri- kanischer Waren und eine Belebung des Welthandels, vorzugsweise durch Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips, sei nur durch eine Belebung des Handels mit Europa möglich.413 Für den Außenminister war Europa von Bedeutung, und damit auch diejenigen, die Amerika in Europa in den kommenden Jahren vertreten würden. Wie Bailey es

______Hall auch SAVAGE, Sean J.: Roosevelt. The Party Leader 1932-1945. Lexington, KY, 1991. S. 48-79. 411 Vgl. GELLMAN, Irwin F.: Secret Affairs. Franklin Roosevelt, Cordell Hull, and Sumner Welles. Baltimore, MD, London 1995. S. 34. Hull plante, eine noch größere Zahl loyaler Demokraten in Schlüsselpositionen des State Departments und anderer Behörden einzuschleusen. Laut Gellman verhinderte der zwischen verschiedenen politischen Interessen jonglierende Roosevelt diesen Schachzug. Vgl. zu Hulls schwierigem Verhältnis zu den Beamten seiner Behörde PRATT: Hull. S. 13-31. 412 Vgl. zu diesem Primat und dem Konkurrenzverhältnis der USA mit dem „Dritten Reich“ auf den lateinamerikanischen Märkten u.a. POMMERIN, Reiner: Das Dritte Reich und Lateinamerika. Die deutsche Politik gegenüber Süd- und Mittelamerika 1939-1942. Düsseldorf 1977. LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 26f., 44, 266 und 381. Für Lübken hatte Hulls und Roosevelts Lateinamerikaprimat auch weitgehende militärisch-politische und ideologische Konsequenzen für den Mythos einer „Hemisphere Defense“ (S. 282), die das Lateinamerikaprimat letztlich mit dem Fokus auf Europa und Deutschland insbesondere verbinden sollte. Dass es Roosevelt in seiner Lateinamerikapolitik nicht lediglich um innenpolitische Vorteile eine weiteren Markterschließung ging, siehe GELLMAN: Good Neighbor Diplomacy. U.a. S. 17f. Vgl. auch KATZ, Friedrich: Einige Grundzüge der Politik des deutschen Imperialismus in Lateinamerika von 1898 bis 1941. In: GAGGERMEIER, Hansjörg (Hrsg.): Der deutsche Faschismus in Lateinamerika 1933-1943. Berlin 1966. S.9-69. 413 Vgl. Dr. J. Anthony Schwarzmann Präsentation. Schwarzmann informiert Hull am 29. März 1933 über die Wirtschaftslage. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence Mar.4 – Apr.15, 1933 (Reel 9 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160).

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treffend formuliert, nahm Europa, insbesondere Berlin, einen außer- gewöhnlichen Stellenwert für Franklin Roosevelts Außenpolitik ein: „[…] Germany required more than a party loyalist or a wealthy dilettante”.414 Die unkonventionelle Persönlichkeit und der berufliche wie politische Hintergrund William Edward Dodds versprachen einen kritischen und von konventionellen Denkweisen losgelösten Zugang zu den euro- päischen Verhältnissen, der dem Präsidenten neue Perspektiven eröffnen konnte: „Roosevelt needed to have a representative in Germany who was skilled in analysis and reporting, someone familiar with the German psyche and capable of placing current events in their historical context”.415 Die spezielle Herausforderung dieses Postens blieb dem Historiker aus den Südstaaten von Beginn an nicht verborgen. Als William Dodd erfuhr, dass Roper auf Dodds Ernennung zum US-Botschafter in Berlin drängte, quälten ihn Zweifel um eine potentielle berufliche Zukunft im neuen Deutschland; Zweifel, ob überhaupt irgendeine Diplomatie im neuen Deutschland Amerika Vorteile einbringen konnte. Nur ungern würde er jemanden wie treffen und mit ihm sprechen, sinnierte der Historiker. Nur falls etwas entscheidend Gutes aus seinem Dienst in Deutschland erwartet werden könne, wollte er akzeptieren.416 Der Chicagoer Professor aus den Südstaaten wusste offensichtlich genau, mit welchem Regime er verhandeln müsste, würde Roosevelt ihn tatsächlich nach Berlin entsenden. Am 8. Juni 1933 erfolgte um zwölf Uhr mittags Roosevelts persönlicher offizieller Anruf an William Edward Dodd, der sich gerade in seinem Büro an der Universität von Chicago befand. Dodd gibt in seinem Tagebuch dessen Worte in wörtlicher Rede wieder: „This is Franklin Roosevelt; I want to know if you will render the government a distinct service. I want you to go to Germany as Ambassador”.417 Roosevelt war also von Roper, Hull und House überzeugt worden, dass William Edward Dodd der

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414 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 143. 415 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 144. 416 Vgl. Dodd Notizbucheintrag. 16. April 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe Memoranda for 1929-30 and for 1932. „I had grave doubts about possibility of any real benefits from any diplomacy in Germany. I would greatly dislike to meet or converse with Hitler. If however any good can be reasonably expected, I might accept”. 417 DODD/ DODD: Dodd’s Diary. S. 3.

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richtige Mann für den mutmaßlich schwierigen Posten im national- sozialistischen Berlin war. Noch während des Telefonates brachte Dodd seine Zweifel an, ob die deutsche Regierung nicht ein Problem in der Veröffentlichung seines Buches über Woodrow Wilson sähe. Roosevelt verneinte, denn für ihn seien gerade Dodds Leistungen als Liberaler und als Wissenschaftler ausschlaggebend für die Ernennung. Seine mit dem Studium in Deutschland erworbenen Landes- und Sprachkenntnisse seien ein weiterer Grund: „It is a difficult post and you have cultural approaches that would help. I want an American liberal in Germany as a standing example”. 418 Ob dies tatsächlich die wörtlichen Aussagen Roosevelts waren oder nicht – Roosevelt hatte sich für Dodd sicherlich auch wegen seiner Deutsch- und Deutschlandkenntnisse entschieden. Vor allem aber muss das Argument der progressiv-liberalen Berater des Präsidenten Wirkung gezeigt haben, dass William Edward Dodd landesweit als ein überzeugter und standhafter Demokrat und gleichzeitig moderater und toleranter Gelehrter in hohem Ansehen stand und den Präsidentschafts- wahlkampf entsprechend öffentlich unterstützt hatte.419 Dodd rief den US-amerikanischen Präsidenten erst zurück, nachdem er den Karriereschritt mit seiner Familie besprochen hatte. Seine Tochter Martha Dodd, die die Familienbande wiederholt als sehr eng beschreibt, reflektiert in ihrem Tagebuch die Erwägungen ihres Vaters in den Stunden nach Roosevelts Anruf. Ihr eigener erster Zweifel galt Dodds neuer Aufgabe. Sie konnte sich ihren freidenkenden Vater nicht in der beklemmenden und einschränkenden Atmosphäre einer Diktatur vor- stellen.420 Und doch verstand sie, warum ihr Vater annehmen wollte: Weil er seinem Land einen Dienst erweisen würde, ohne Rücksicht auf private Belange.421 Die Bedingung, die ihr Vater dem Präsidenten gestellt hatte, so

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418 DODD/ DODD: Dodd’s Diary. S. 3. 419 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 9-11. 420 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 10. „I remembered Hitler as a clown who looked like Charlie Chaplin, who burned books and against all the prophesies of mature and trained people had set up a dictatorship. […] I couldn’t quite place, in my mind’s eye, my father in such an atmosphere”. 421 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 10. „Yet I knew that if my father thought he could render a service to his country, he would do it at no matter what cost to his personal life”. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 190. Dodds Zusage kann nicht als Flucht aus Chicago und von anderen Verpflichtungen angesehen werden, so Dallek.

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Martha, war, dass es möglich sein musste, dass die Familie auf Basis ihres eigenen bescheidenen Gehaltes den Berliner Haushalt mitsamt allen sozialen Verpflichtungen bestreiten konnte. 422 William Dodd erwähnt außerdem, dass ihm der Präsident in Aussicht gestellt habe, wenn die Universität ihn dringend brauche, werde seine Verwendung im Winter 1934 enden.423 Es lassen sich keine weiteren Hinweise darauf finden, ob Roosevelt tatsächlich dieses Versprechen mit einem klaren Zeithorizont gegeben hatte. In Marthas Beschreibungen spielten bei Dodds Erwägun- gen auch seine ausgesprochen guten Erfahrungen mit dem Deutschland des Kaiserreiches eine große Rolle: Er habe immer davon geträumt, nach Deutschland zurückzukehren und glaube, dass trotz der autoritären Herrschaft des Kaisers das deutsche Volk grundsätzlich demokratisch gesinnt, hoch gebildet und freiheitsliebend sei. Deshalb habe er Deut- schland auch nach dem großen Krieg verteidigt. Allerdings sei eine gewisse Nostalgie nicht von der Hand zu weisen, denn das Land habe dem jungen Studenten Dodd damals außergewöhnliche neue kulturelle Horizonte eröffnet.424 Dodd nahm also Präsident Roosevelts Angebot an. Weder im Kabinett um Roosevelt – so hatte es ihm sein Freund Dan Roper berichtet – regte sich Widerstand gegen seine Ernennung, noch später im Senat. Die offizielle Nominierung wurde lediglich durch den deutschen Botschafter in Washington, Hans Luther, verzögert, bis die deutsche Seite ihr positives Votum bekanntgab. 425 Grund hierfür waren die intensiven Recherchen, die man im Auswärtigen Amt nach Bekanntgabe der Berufung anstellen sollte. Am 15. Juni übersandte Under Secretary Phillips Dodd das offizielle Anschreiben mit der Bestätigung seiner Berufung durch den Präsiden- ten und den Senat zum „Appointed Ambassador Extraordinary and

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422 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 11. 423 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 3. 424 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 12. „He admitted shyly that as a young student he had dreamed of going back to the Germany he loved, as a Consul or minor diplomatic official, to represent his own country. […] He had defended Germany after the War […]the country that had opened up the tremendous cultural horizons to him” 425 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 4. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 144. Laut Ropers Bericht zeigten sich besonders Innenminister Harold Ickes und Secretary of the Navy Claude Swanson besonders begeistert von Dodds Nominierung.

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Plenipotentiary of the United States to Germany”.426 Phillips warnte ihn davor, dass er seine Mission nach herkömmlicher Praxis offiziell nicht aufnehmen könne, bis ihm das entsprechende Annahmeschreiben durch den Reichspräsidenten übergeben worden sei. Im Falle einer möglichen Verzögerung dieses formalen Empfangs könne der deutsche Außen- minister jedoch den Vorgang der diplomatischen Geschäfte mit dem neuen amerikanischen Repräsentanten anderweitig arrangieren, womit die Amtsgeschäfte des Botschafters unmittelbar aufgenommen werden könnten.427

3.1.2. Reaktionen auf Dodds Berufung in Deutschland und in den USA Doch vor der Auseinandersetzung mit protokollarischen Herausforde- rungen dieser Art in Deutschland musste sich der erwählte Botschafter William Edward Dodd noch in den USA der öffentlichen Reaktion auf seine Ernennung stellen. Diese fiel durchweg positiv, wenn nicht sogar enthusiastisch aus. Franklin Roosevelt erreichten über seinen Sekretär und engsten Berater Louis Howe428 begeisterte Briefe in Folge seiner Entscheidung für Dodd. Zu ihnen gehörte auch Reverend Richard J. Oosting von der Grace Baptist Church in New York City, der am 29. Juni an Präsident Roosevelt ausrichten ließ: „I am one of a considerable number of Americans who has been prepared to appreciate the magnitude of Roosevelt thru [sic!] the influence of Dodd”.429 Für Carl ______

426 William Phillips an Dodd, 15. Juni 1933. National Archives II, College Park, MD (im Folgenden abgekürzt als „NARA“) State Department Central Decimal Files (CDF) 1930-39, Record Group (RG) 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/31. Das Gehalt belief sich auf $17.500 pro Jahr, sowie $720 pro Jahr für die Unterkunft. 427 Vgl. Phillips an Dodd, 15. Juni 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/31. Dies bezieht sich auf parallele Briefwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und dem State Department bezüglich einer offiziellen Annahme des Botschafters durch Präsident Hindenburg, der vermutlich bis zum Hoch- sommer nicht in Berlin weilen würde, und den entsprechenden Folgen für den offiziellen Titel und die Aufnahme der diplomatischen Geschäfte durch Dodd. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 381-385. 428 Vgl. zur Beziehung zwischen Roosevelt und Howe und der Bedeutung des Beraters für Roosevelts Wahlkampf und erste Amtszeit ROLLINS, Alfred B., Jr.: Roosevelt and Howe. New York 1962. 429 Dankesbriefe an Roosevelt, hier: Reverend Richard J. Oosting an Louis Howe, Secretary to the President, 29. Juni 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943.

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Sandburg war Dodds Berufung Anlass genug, ein kleines Gedicht zu Ehren des Historikers zu veröffentlichen. Die Progressivistin und Refor- merin des amerikanischen Sozialsystems Jane Addams hielt dies für den genialsten Streich des neuen Präsidenten. 430 Dodd selbst zeigte sich überrascht über die ausgesprochen positiven Reaktionen sowie die öffent- liche Aufmerksamkeit, die er in einem Brief an Colonel House als „the greatest surprise of my life“431 beschreibt. Tatsächlich erhielt der neue Botschafter eine solch überwältigende Zahl an Glückwunschtelegrammen und Briefen voller Begeisterung und Dankbarkeit für seine zur Verfügung gestellten Dienste432, dass sich sein Sekretär in Chicago gezwungen sah, ob Dodds zeitnaher Abreise die Beantwortung zu übernehmen.433 Auch Roosevelts Kabinett, vor allen Dingen die progressiven Politiker, zeigten sich überaus glücklich und erleichtert über die Entscheidung des Präsidenten. Eine weitere Ernennung stellte der als progressiv geltende und seit vielen Jahren mit Dodd befreundete Josephus Daniels dar. Ab 1933 bemühte er sich als US-Botschafter in Mexiko434 um die äußerst schwierigen Beziehungen zu jenem Nachbarland der Vereinigten Staaten.435 Daniels versicherte Dodd in einem ausführlichen Brief seine ______

430 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 141. 431 Dodd an Colonel House, 23. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (3. Mappe „H”). „The public reaction to my appointment has been the greatest surprise of my life”. 432 Vgl. zum Beispiel Jane Addams, Friedensnobelpreisträgerin 1931 für den Briand-Kellogg- Pakt, aus Chicago an Dodd, 16. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence, 1933-A. „The situation there [in Germany] is so difficult that I can think of no other American so well equipped as you are, with both historic perspective and human understanding, to deal with its problems. It is one of the President’s most brilliant strokes”. 433 Vgl. Antwortschreiben des Secretary an Dodd, 26. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-A. 434 Vgl. zu Daniels Amtszeit in Mexiko CRAIG, Lee A.: Josephus Daniels. His Life and Times. Chapel Hill, NC, 2013. S. 397-415. 435 Vgl. CRAIG: Josephus Daniels. S. 415. Daniels gehörte als Journalist zu der neuen Generation progressiver Berichterstatter, die erstmals eine Konkurrenz zum republika- nisch beeinflussten Pressemonopol der Mediengiganten Hearst und Pulitzer zu Gunsten der Demokraten und Roosevelts bildeten. Zum Erbe und den Folgen von Wilsons Mexikopolitik vgl. LINK: Progressive Era. S. 107-144. Vgl. auch CLEMENTS, Kendrick A.: Woodrow Wilson’s Mexican Policy, 1913-15. In: Diplomatic History 4,2 (1980). S. 113-136; GILDERHUS, Mark T.: Wilson, Carranza, and the Monroe Doctrine: A Question in Regional Organization. In: Diplomatic History 7 (1983). S. 103-115 und DEVLIN, Patrick: Too Proud to Fight. Woodrow Wilson’s Neutrality. New York, London 1975. S. 120ff.

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Begeisterung für Roosevelts Ernennung von Männern mit den politisch richtigen Ansichten und Prinzipien, die nicht nur der Privilegien- und Vorteilsnahme im amerikanischen Elitensystem nach der langen re- publikanischen Herrschaft ein Ende bereiten würden, sondern wüssten, welche drastischen Reformschritte nötig seien, um das Land zurück unter Thomas Jeffersons und Andrew Jacksons Demokratiedoktrin zu bringen.436 In diesem Brief zeigte Daniels deshalb auch auf, dass sich Dodd und andere progressive Vertreter der Roosevelt-Administration über ihre reine Amtsfunktion hinaus als universale Schicksals- gemeinschaft mit der Mission verstanden, die USA und ihre Rolle in der Welt zurück zu den unter den Präsidenten Thomas Jefferson und Andrew Jackson herrschenden Prinzipien der Demokratie zu führen und grundlegend – sogar mittels drastischer Reformen – zu verändern. Auffälligerweise verbanden Jeffersonians wie Daniels und Dodd hierbei nostalgisch motivierte Elemente einer früheren „Idealform“ der USA und ihrer Demokratie mit einem enthusiastischen Reformeifer und eine Aufbruchsstimmung in eine neue Ära der Vereinigten Staaten und glaubten, diese zwei Aufgaben trotz Widersprüchlichkeiten harmonisie- ren zu können.437 In einem praxisorientierten, aber nicht weniger enthusiastischen Ton schrieb Außenminister Cordell Hull von der Londoner Weltwirtschafts- konferenz aus, dass er Dodds Dienst für nützlich und wertvoll halte. Ob der chaotischen Verhältnisse in Europa bat er Dodd, ihn jederzeit über

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436 Vgl. Josephus Daniels an Dodd, 12. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-D (2. Mappe „D”). 437 Vgl. zum Beispiel CROLY: Promise. Herbert Croly, welcher in wechselseitiger Wirkung die innen- wie außenpolitischen Ideen Theodore Roosevelts beeinflusst hatte, lieferte in diesem Werk die Grundlagen einer Verbindung progressiver Nationalismen mit Internationalismen der amerikanischen Politik des 20. Jahrhunderts. Vgl. besonders Schlesingers Vorwort auf den Seiten v-xxvii. Im Zentrum von Crolys Denken stand dabei, die verschiedenen politischen Schulen und Strömungen – Nationalismus, Individualismus, Mission, Demokratie – zu versöhnen, indem nationalistische bzw. offensiv reformerische Mittel im Sinne des Gründervaters Hamilton angewandt werden sollten, um demokra- tische Ideale eines Präsidenten Jefferson und damit das amerikanische Versprechen, den amerikanischen Traum von Freiheit, zu erreichen. S. xiv ff. Siehe auch Kapitel 2. Vgl. auch HARPER: American Visions. S. 42-47. Daniels und Dodd, aber auch andere progressive Botschafter Claude Bowers in Madrid propagierten seit Mitte der 1920er Jahre die Rückkehr „eines Jefferson”, der das amerikanische System in eine demokratische Moderne führen würde.

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potentielle Aktionen und Reaktionen, sowie Lösungsmöglichkeiten für die europäische Frage zu beraten.438 Sicherlich bezog sich der Secretary of State hierbei auf Dodds Qualifikationen im Bereich Wirtschafts- geschichte und Wirtschaftspolitik und sprach ihm für die erfolgreiche Bewältigung der neuen Aufgaben sein vollstes Vertrauen aus. Wäre er mit Roosevelts Entscheidung nicht zufrieden gewesen, hätte Dodds Vorgesetzter sich vermutlich in weniger herzlicher und vertrauensvoller Form an den neuen Botschafter gewendet. Die Presse in den Vereinigten Staaten zeigte von vornherein großes Interesse an Person und Mission des William Edward Dodd. Zwar bezeichnete Dodd selbst viele der kursierenden Geschichten und Bericht- erstattungen als lächerlich439, doch erhielt er größtenteils von Seiten der Medien positiven Zuspruch. William L. Chenery, Herausgeber des reformorientierten und investigativen US-Magazins Collier’s: The National Weekly, gehörte zu Dodds Gratulanten und war überzeugt, dass nun die Vereinigten Staaten in Berlin durch einen Mann mit klaren Ansichten und tiefer Sympathie für die Dinge, die die USA so einzigartig machten, vertreten sein würden.440 Sicherlich können nicht alle Erlebnisse des Chicagoer Professors mit den Medien angenehmer Natur gewesen sein. So gesteht beispielsweise Tochter Martha in ihrem Tagebuch ein, dass die Familie kaum mit dem Medienrummel zurechtkam und möglicherweise viele Fehler im Umgang mit der Presse beging, was jedoch die positive Stimmung generell nicht trübte.441 Dem deutschen Interesse an freundschaftlich geprägten deutsch-ameri- kanischen Beziehungen entsprechend fielen deutsche Presseartikel über

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438 Vgl. Hull an Dodd, 23. Juli 1933. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence Mar.4 – Apr.15, 1933 (Reel 9 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Vgl. zu Hulls Rolle auf der Konferenz PRATT: Hull. S. 32-70. 439 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 4. „All kinds of stories and pictures, silly and otherwise, appeared in newspapers all over the country. I never dreamed of such publicity”. 440 Vgl. William L. Chenery an Dodd, 4. August 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-C (2. Mappe „C”). „I am very glad that the United States is now being represented in Berlin by a man of your clear perceptions and profound sympathy of the things which fundamentally have made America different from all other countries”. 441 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 15. „We didn’t know how to handle the newspapermen or what to do about their desire for special scoops and stories.”

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den US-Repräsentanten in Berlin positiv aus.442 Nach ihrer Ankunft in Berlin wurden in der deutschen Publizistik besonders die Versuche der Dodd-Familie wertgeschätzt, sich rasch in ihre neue Rolle einzufinden. Die Begeisterung der Presse ebbte zumindest 1933 bis zum Herbst kaum ab.443 So wusste das 1934 verstaatlichte Wolff’s Telegraphisches Büro schon im Juni 1933 höchst optimistisch über Dodd zu berichten: „Er spricht gut deutsch und ist bekannt für sein stets korrektes und sachliches Urteil in allen außenpolitischen Fragen. Unter den von Roosevelt bisher ernannten Diplomaten gilt er als der hervorragendste. Seine Berufung bedeutet nach hiesiger Auffassung ein Zeichen ehrlicher Freundschaft Roosevelts für Deutschland und den Beweis seines ernsten Bemühens, nach Berlin einen Mann zu senden, der für Deutschland sympathisches Verständnis hat und dessen Urteil in Washington bei Regierung und Kongreß von wichtigem Einfluß sein dürfte, da er nicht zu den Berufspolitikern gehört oder von einer Finanzklique abhängig ist”.444 Dass sich diese Beurteilung durch die Presse in ersten Analysen des Auswärtigen Amtes widerspiegelt, beweisen die umfangreichen Recher- chen seitens des Amtes mit weitestgehend positivem Fazit, wenn auch zu Vorsicht in Bezug auf Dodds Vergangenheit als Anhänger Woodrow Wilsons gemahnt wurde. Für Botschafter Hans Luther kam die Auswahl Dodds zwar äußerst überraschend. Seine Berufung sei jedoch von der US-Presse mehr als freundlich aufgenommen worden. 445 Dodd gelte weithin als „der richtige Mann für den Posten“446 und zugleich unter ______

442 Vgl. zur Rolle der deutschen Medien für die deutsche Perzeption Amerikas GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 104-115. 443 Vgl. zum Beispiel den Artikel „Der neue amerikanische Botschafter in Berlin“, Berliner Zeitschrift Die Dame, 2. Oktoberheft, Heft 27, 60. Jahrgang, 1933. Mattie Dodd wird als „eine auffallend kluge Frau mit warmherzigem Ausdruck, die jetzt mit ihren Kindern voller Eifer die schwere! [sic!] deutsche Sprache erlernt“ beschrieben. Vgl. auch FERBER, Christian (Hrsg.): Die Dame. Ein deutsches Journal für den verwöhnten Geschmack 1912 bis 1943. Berlin 1980. 444 Wolff’s Telegraphisches Büro, 84. Jahrgang, Nr. 1403, vom 11. Juni 1933. Vgl. auch GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 112f. Wolff’s Telegraphenbüro und die Telegraphen- Union wurden zwangsweise zum Deutschen Nachrichtenbüro (DNB) fusioniert und dienten danach als Hauptquelle für Nachrichten aus den USA. 445 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 15. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 446 Luther an das Auswärtige Amt, 15. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236).

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Roosevelts Diplomaten „als die hervorstechendste Persönlichkeit und in seiner Eigenschaft als Gelehrter als würdiger Nachfolger“447 der bis- herigen US-Repräsentanten in Berlin. Es schien Luther zu freuen, dass Dodds Einstellung gegenüber Deutschland, auch im und nach dem großen Krieg, nie direkt deutschlandfeindlich gewesen sei und er sogar in der Frage der Alleinschuld Deutschlands am Krieg konziliant argumentiert habe.448 In der Wiedergabe der Biographie Dodds wies Luther auf seine enge Beraterrolle für Präsident Wilson, wie auch Roosevelt, sowie seine Funktion in den Wahlkampagnen und der Demokratischen Partei hin und erkannte damit Dodds Praxiserfahrung auf dem Felde der Politik an.449 Der deutsche Botschafter ging so weit, von Dodd trotz seiner Eigenschaft als liberalem Jeffersonian als „Freund und Bewunderer Deutschlands“450 zu schwärmen. In den Akten der Abteilung III, USA, des Auswärtigen Amtes, finden sich weitere Dokumente, die Dodds Beobachtung und Einschätzung seiner Person dienten. Darunter ist auch ein Aufsatz seines Amtsnachfolgers an der Universität von Chicago, Professor Avery O. Craven, der am 30. August 1933 für die Zeitschrift Amerika-Post über seinen Vorgänger als Dekan schrieb, Dodds Ernennung als Gelehrter zum Botschafter sei eine Innovation der neuen Roosevelt-Regierung.451 Dodd qualifiziere sich als Kenner wirtschaftlicher und landwirtschaftlicher Problemstellungen und ihres Zusammenhanges mit Fragen der nationalen Sicherheit. 452 Eine

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447 Luther an das Auswärtige Amt, 15. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 448 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 15. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). „Seine Einstellung zu Deutschland war immer korrekt, auch während des Krieges war er nicht direkt deutschfeindlich, sondern stets zurückhaltend. Er gehört jedenfalls zu den ersten unter den amerikanischen Historikern, die gegen die Alleinschuld Deutschlands im Weltkrieg an die Öffentlichkeit getreten sind”. 449 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 15. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 450 Luther an das Auswärtige Amt, 15. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 451 Vgl. Aufsatz des Amtsnachfolgers von Botschafter Dodd, Professor Craven – Chicago, über den Botschafter, für die Zeitschrift Amerika-Post, 30. August 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). „The appointment of William Edward Dodd as Ambassador to Germany is something of an innovation.” 452 Vgl. Aufsatz des Amtsnachfolgers von Botschafter Dodd, Professor Craven – Chicago, über den Botschafter, für die Zeitschrift Amerika-Post, 30. August 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236).

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entscheidende Information für das Auswärtige Amt muss die Feststellung gewesen sein, dass William Dodd jede Form von Einfluss durch Lobbies und sonstige gesellschaftliche Gruppierungen erfolgreich abzuwehren wusste und so moderat sowie tolerant für absolute Meinungsfreiheit einstand.453 Für weitere entscheidende Beobachtungen setzte das Aus- wärtige Amt Generalkonsul Dr. H.F. Simon in Chicago ein, um Dodds Verabschiedung an der Universität von Chicago sowie in den politischen Kreisen der Stadt an Ort und Stelle zu analysieren. Auf einem Dinner- bankett an der Universität Chicago am 21. Juni 1933454 verabschiedete sich Dodd von seinen Kollegen, bei denen sich der Professor größter Beliebtheit erfreute. Während das Abendessen ohne spektakuläre Wen- dungen ablief, entging es Dr. Simon dennoch nicht, dass einer der Professoren, Bernadotte Schmitt, die Meinung äußerte, „Dodd stelle in seiner ganzen politischen Einstellung das volle Gegenteil derjenigen der gegenwärtigen Regierung Deutschland’s [sic!] dar”.455 Auf dem Papier des Originaldokuments wurden im deutschen Außenministerium Dr. Simons Aussagen zu Dodds kompromissloser Überzeugung von der Freiheit der wissenschaftlichen Lehre mehrfach unterstrichen und markiert.456 Weiterhin bemerkte erstmals der deutsche Generalkonsul – zukunfts- weisend für spätere Reden Dodds in Deutschland –, dass Dodd auf geschickte Weise historische Vergleiche anstelle, um seine eigentliche Meinung zu präsentieren: Auf dem Abschiedsessen, das vom Citizens Committee der Stadt Chicago zu Dodds Ehren gegeben wurde und auf welchem führende Bürger und Politiker der Stadt erschienen,457 habe Dodd in einer einstündigen Rede über historische Bezüge hervorgehoben, dass wirtschaftliche Zustände in der Vergangenheit wie in der Gegenwart nur über eine Belebung des internationalen Handels verbessert werden ______

453 Vgl. Aufsatz des Amtsnachfolgers von Botschafter Dodd, Professor Craven – Chicago, über den Botschafter, für die Zeitschrift Amerika-Post, 30. August 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). „He [Dodd] would enable the teacher to speak his mind freely in criticism or praise of public policy”. 454 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 7. 455 Dt. Generalkonsulat Chicago, Dr. H.F. Simon, an das Auswärtige Amt, 3. Juli 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 456 Vgl. Dr. H.F. Simon an das Auswärtige Amt, 3. Juli 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 457 Vgl. eine Beschreibung des Essens auch im Brief des Chairman des Committee, Mrs. George E. Sevey, and Louis Howe, 26. Juni 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943.

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könnten.458 Dies wurde auch durch weitere Informationen des Auswär- tigen Amtes bestätigt, die mit Hilfe von Dodds Nachbarn und Freund William A. Nitze erworben worden waren. Dieser warnte ausdrücklich vor Dodds eindeutiger internationalistischer Tendenz im Sinne Wilsons, vor allem in Bezug auf den Völkerbund.459 Für weitere Beunruhigung sorgte wohl zunächst die Frage, ob Dodd gar ein Kommunist sei. 460 Dr. Simon schmetterte diese Vermutung sogleich am 17. Juni ab, indem er sich auf die Informationen berief, dass Dodd Mitglied des Chicago Civil Liberty’s Committee sei, dieses aber keineswegs als kommunistisch bezeichnet werden könne, nur weil eine Privatperson dies behauptet habe.461 Zweifelsohne folgte der deut- sche Botschafter Hans Luther dieser Einschätzung Dr. Simons oder kam zur gleichen Schlussfolgerung durch seine eigenen Recherchen, dass das sogenannte Fish Committee, welches dem Chicago Civil Liberty’s Committee kommunistische Tendenzen vorwarf, falsch gelegen haben müsse, da es in „Verkennung der tatsächlich recht unbedeutenden kommunistischen Bestrebungen in den Vereinigten Staaten“462 stets zu Übertreibungen in seinen Analysen geneigt habe. Um weitere Einblicke in Dodds Persönlichkeit zu vermitteln, fügte Hans Luther seinem Bericht einen Briefwechsel des deutschen Industriechemi- kers, Inkunabeln- und Büchersammlers und späteren Propagandisten

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458 Vgl. Dr. H.F. Simon an das Auswärtige Amt, 3. Juli 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 459 Vgl. William A. Nitze an Mr. Stadtlaender, 19. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). „Dodd is an ardent Wilsonian […] his tendency will be to carry out and make fruitful the Wilsonian ideal of the League. Doubtless this is well-known in Germany, but it would do no harm to make the fact abundantly clear”. 460 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 7. Tatsächlich war Dodd dem Kommunismus stark abgeneigt. Seine Tochter Martha berichtet, dass nach seiner Aussage die Politik der Bolschewiki und damit der Kommunismus die Freiheit nur unterdrücke. Sie zitiert ihn wörtlich: „There may be some good points in the system you mention […] but I can’t believe that any form of government which oppresses the freedom and initiative of the individual can be anything but dangerous to the human soul in the long run”. 461 Vgl. Dr. H.F. Simon an die Deutsche Botschaft Washington, 17. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). Dodds politische Einstellung ist vielmehr „liberal im Jefferson’schen Sinne, d.h. konservativ-liberal mit historisch-traditioneller Gebundenheit”. 462 Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236).

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für die Nationalsozialisten in Amerika, Dr. Otto H. F. Vollbehr,463 mit Dodd Anfang der Dreißiger Jahre an. In jenem mehrjährigen und mehrere Briefe umfassenden Austausch hatte Vollbehr 1931 Dodd gebeten, seine Gedanken zu Vollbehrs Memorandum zur deutschen Lage mitzuteilen. Alle behandelten Themen dieses Meinungsaustausches waren von ent- scheidender Bedeutung für die deutsche Seite und ihre Einschätzung des neuen amerikanischen Botschafters: Revision des Versailler Vertrages, deutsche Kriegsschuld, Internationalismus versus Nationalismus sowie Propaganda. Zeigte sich William Dodd in einem Brief vom 28. Oktober 1931 zwar wenig kulant und sprach von einer besonderen Schuld der Deutschen aufgrund einzigartiger Propaganda durch die Hohenzollern und die deutsche Führung, so gab er dennoch zu, dass der Versailler Vertrag einer gewissen Revision bedurfte. Dies sei allerdings nicht die wichtigste Frage, sondern vielmehr die Verhinderung eines weiteren Krieges.464 Dr. Vollbehr hatte den Vorwurf der Propaganda in seinem Memorandum entschieden von sich gewiesen,465 doch Dodd beharrte auf seiner generellen Haltung zur zerstörerischen Kraft von Kriegspro- paganda, obgleich er Vollbehr propagandistische Aktivitäten nicht direkt vorwarf.466 Der Chicagoer Professor lenkte in einem Brief vom 2. Juni 1933 ein und versicherte, die amerikanische Meinung von Deutschland sei keine ungerechte und die USA müssten sich selbst zunächst ihrem Nachbarn Lateinamerika widmen und eigene imperialistische Tendenzen der amerikanischen Außenpolitik überwinden.467

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463 Vgl. FRYE: Nazi Germany. S. 41f. Vollbehr agierte für mehrere Jahre in Amerika als Agent der Nationalsozialisten und stand in engem Kontakt zu mehreren einflussreichen Amerikanern in Wirtschaft und Politik. In seinen ausführlichen Berichten informierte er das deutsche Propagandaministerium über die wachsende feindliche Gesinnung in den USA gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland. 464 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). Angehängter Briefwechsel Dodd mit Otto H.F. Vollbehr, 28. Oktober 1931. „[T]he time has passed for nationalists. […I]t is now the day of international cooperation – otherwise catastrophe. […] To demand that the Treaty of Versailles be revised is natural. […] Stop fighting about who caused the war, and see if they can do something to prevent another”. 465 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). Angehängter Briefwechsel Dodd mit Otto H.F. Vollbehr, 30. Oktober 1931. 466 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). Angehängter Briefwechsel Dodd mit Otto H.F. Vollbehr, 6. November 1931. 467 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 23. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). Angehängter Briefwechsel Dodd mit Otto H.F. Vollbehr, 2. Juni 1933.

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Somit war eine starke Ablehnung des deutschen Regimes durch den in Kürze eintreffenden Botschafter nicht zu erwarten. Nur „auf dem Gebiet des Antisemitismus dürfte er […] sich ablehnend verhalten”,468 stellte Generalkonsul Dr. Simon fest. Über diese Fragen zu ideologischen Differenzen seiner Einstellung mit derjenigen der deutschen Führung mache sich Dodd Sorgen, so Simon. Dodds Gutherzigkeit werde diese Fragen, besonders die bezüglich seiner politische Gesinnungn, jedoch in Wohlgefallen auflösen, denn das Verantwortungsbewusstsein des neuen Botschafters sowie seine umfassende Bildung und Aufrichtigkeit galten Dr. Simon in seinen Analysen als charakterliche Stärken Dodds. Neben Bedenken zu kontroversen politischen Einstellungen mache der Dodd-Familie vor allem die Frage der Finanzierung des Haushaltes inklusive aller Verpflichtungen in Berlin zu schaffen. Dies sei typisch für Dodd, berichtete der deutsche Diplomat weiter. 469 Interessanter- weise zweifelte der Generalkonsul an der Beständigkeit der Freundschaft zwischen Dr. Dodd und Franklin Roosevelt und sah entsprechende Ein- flussmöglichkeiten des Botschafters auf den Präsidenten zu deutschen Gunsten in Gefahr.470 Als Ergebnis der Betrachtung der Recherchen auf deutscher Seite kann festgestellt werden, dass das Auswärtige Amt den Eindruck gewonnen haben muss, dass William Edward Dodd zwar ein überzeugter liberaler Wilsonian und Jeffersonian mit dezidierten Ansichten zur Presse- und Wissenschaftsfreiheit war.471 Allerdings stand er auch Deutschland positiv

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468 Dr. H.F. Simon, an die Deutsche Botschaft Washington, 12. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 469 Vgl. Dr. H.F. Simon, an Dieckhoff, 29. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). „Mr. Dodd macht sich auch große Sorgen wegen seiner zur deutschen völlig verschiedenen politischen Einstellung”. 470 Vgl. Dr. H.F. Simon, an Dieckhoff, 29. Juni 1933. PAAA. Abteilung III, Band 2 (Best.: R 80236). 471 Dodds Einstellung gegenüber der Pressefreiheit war deshalb von Bedeutung, da die deutsche Presse bei seiner Ankunft 1933 im Inbegriff war, umfassend gleichgeschaltet zu werden. Vgl. ABEL, Karl-Dietrich: Presselenkung im NS-Staat. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik in der nationalsozialistischen Zeit. Berlin 1968; Vgl. auch FREI, Norbert/ SCHMITZ, Johannes: Journalismus im Dritten Reich. München 1989 und FREI, Norbert: Nationalsozialistische Presse und Propaganda. In: BROSZAT, Martin/ MÖLLER, Horst (Hgg.): Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Geschichte. Vorträge aus dem Institut für Zeitgeschichte. München 1983. S. 152-175. Vgl. auch HAGEMANN, Jürgen: Die Presselenkung im Dritten Reich. Bonn 1970. Vgl. auch direkt das „Schriftleitergesetz“ vom

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gegenüber und war sicher kein Kommunist. Ihm musste definitiv an einer Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen gelegen sein. Dennoch sorgten zweifelsohne seine Aussagen zu Propaganda und Kriegsschuld für Beunruhigung in Berlin und mahnten zumindest zur Vorsicht. Doch schien es sowohl Roosevelts auch sein Interesse zu sein – wie aus dem Vollbehrschen Briefwechsel hervorging –, dass sich die Vereinigten Staaten zunächst selbst reformierten und auf die eigene Hemisphäre konzentrierten. Vielleicht verfügte William Dodd ohnehin nicht über allzu großen direkten Einfluss auf den amerikanischen Präsidenten, wie der deutsche Generalkonsul in Chicago vermutete, da er sich grundsätzlich Sorgen um die Zielsetzungen seiner diplomatischen Mission und die Finanzierung des Haushaltes machte. Deshalb avancierte der Versuch einer entsprechenden proaktiven Beeinflussung Dodds in Hinblick auf seine ohnehin deutschlandfreundliche Haltung und auf eventuelle Rückwirkungen auf Roosevelts Außenpolitik zur Priorität für die deutsche Führung.472 Hieraus erklärt sich, warum „Dodd […] von der deutschen Presse und dem Auswärtigen Amt […] wie kaum ein anderer Diplomat“473 hofiert wurde. Entsprechend galt William Dodd mit seiner moderaten Haltung und toleranten Ausstrahlung dem Auswärtigen Amt und der nationalsozialistischen Führung im Sommer 1933 als „machbarer“ Fall für ihre außenpolitischen Ziele. Sie sollten sich irren.

3.1.3. Vorbereitungen und Ankunft in Berlin „Frankly I am not so sure that the thing was wise. At the same time I am willing, as you know, to render whatever service I am capable of. It is one of the most difficult posts in Europe, and I am not much of a diplomat”.474 Diese knappen Worte drücken wahrscheinlich am genauesten William

______4. Oktober 1933 in HÜRTEN, Heinz (Hrsg.): Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Band 9. Weimarer Republik und Drittes Reich 1918-1945. Stuttgart 1995. S. 215-221. 472 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 43ff. Dieser Umstand wird auch darin deutlich, dass das Propagandaministerium in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft die gelenkte Presse anwies, von (S. 43:) „direkte[n] Angriffe[n] auf politische Entscheidungen oder Persönlichkeiten“ der US-Administration abzusehen. 473 GERSTE: Roosevelt und Hitler. S.44. 474 Dodd an Colonel House, 12. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (3. Mappe „H”).

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Edward Dodds Zweifel im Juni 1933 aus, ob die Annahme des Botschaf- terpostens in Berlin die richtige Entscheidung gewesen war. Von diesen Worten vermutlich alarmiert traf Colonel House seinen Freund Anfang Juli persönlich, um ihn von seiner Mission und ihrer Bedeutung für Roosevelts Ziele zu überzeugen. Er habe zwar Roosevelt auch den Namen Nicholas Murray Butlers, Friedensaktivist und Friedensnobelpreisträger für die Arbeit am Briand-Kellogg-Pakt, als möglichen Kandidaten für den Posten genannt, doch Dodd sei der richtige Mann für diese Stelle. House glaubte, Dodd werde eine sicherlich sehr vernünftige Herange- hensweise an das deutsche Problem wählen. Wilsons und Roosevelts Berater riet dem zukünftigen Botschafter vor allem, das Leid der jüdischen Bevölkerung zu verringern, allerdings mit der Einschränkung, dass deutsche Juden in Zukunft die ökonomischen oder intellektuellen Geschicke Berlins nicht mehr lenken sollten. 475 Doch Dodds Zweifel blieben. Er hatte eigentlich einen Posten in Holland oder einem anderen europäischen Land vorgezogen, vor allen Dingen, weil ihm die Hitlerbewegung höchst unsympathisch war und er fürchtete, sich in Berlin einem enormen, gesundheitlich belastenden Druck aussetzen zu müssen.476 Dodds Bekannter John McBryde hatte ihn eindrücklich vor den physischen Belastungen der diplomatischen Arbeit mit ihrem vollen Terminkalender gewarnt. 477 Wohl deshalb versicherte William Dodd wiederholt seiner Familie gegenüber, dass die Mission nicht länger als ein Jahr dauern würde.478 Martha vermutete, dass ihr Vater zu jenem Zeit- punkt davon ausging, dass das nationalsozialistische Regime entweder „besänftigt“ und seine Politik abgemildert werden könnte, oder dass sich alternativ sehr rasch ein eindeutiger Misserfolg der diplomatischen Mission einstellen und eine Rückkehr des Botschafters in die USA ermöglichen würde. 479 Tatsächlich könnten Roosevelts Weisungen an Dodd am 16. Juni und bei den Folgetreffen diesen Eindruck verursacht

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475 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 10. 476 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 10. „I had declared positively that I did not wish to go to Berlin where the whole Hitler movement was most disagreeable to me and where I would be under constant pressure, too much for my temperament”. 477 Vgl. John McBryde an Dodd, 20. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-M. 478 Aufgrund der kurzen Dauer des Aufenthaltes in Deutschland planten die Dodds sogar ihre Möbel und Einrichtungsgegenstände in den Vereinigten Staaten zurücklassen. Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 15 f. 479 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 15 f.

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haben. Der Präsident warnte den künftigen amerikanischen Vertreter in Deutschland vor der Arroganz der Deutschen, allen voran in der Person des Reichsbankpräsidenten Dr. Hjalmar Horace Greeley Schachts480, und vor einem möglichen Schuldenmoratorium, welches Dodd auf jeden Fall verhindern sollte.481 Zwar gab Roosevelt die eindeutige Weisung, deutsche Schuldenzahlungen auch indirekt durch umfangreicheren Import deutscher Güter zu erlauben, indem man der deutschen Regie- rung von amerikanischer Seite spezielle Arrangements für bestimmte Produkte anbot. Doch angesichts der Ereignisse auf der Londoner Wirtschaftskonferenz und der allgemeinen Tendenz zu ökonomischem Nationalismus müsse Amerika bereit sein, eine wechselseitig vorteilhafte Handelspolitik mit Kanada und Lateinamerika zu etablieren, für den Fall, dass die Europäer den Abbau von Zollbarrieren verweigerten. Zum Thema Abrüstung drängte Roosevelt seinen Botschafter, sich mit Norman Davis, dem Leiter der amerikanischen Delegation auf der Abrüstungskonferenz in Genf, in Verbindung zu setzen.482 Oberste Aufgabe sei außerdem der Schutz amerikanischer Bürger im Deutschen Reich, den es auch durch persönlichen und inoffiziellen Einfluss durchzusetzen galt. Die Behand- lung der jüdischen Bevölkerung durch das deutsche Regime war nach Roosevelts Meinung schändlich, aber gleichzeitig keine offizielle Ange- legenheit für die amerikanische Regierung.483 Dodd sollte hierbei seinen

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480 Schacht ersetzte ab 16. März 1933 Hans Luther als Reichsbankpräsidenten. Vgl. PENTZLIN, Heinz: Hjalmar Schacht. Leben und Wirken einer umstrittenen Persönlichkeit. Frankfurt am Main, Wien 1980. Vgl. zu Schachts Biographie auch WEITZ, John: Hitlers Bankier - Hjalmar Schacht. München, Wien 1998. Vgl. auch KOPPER, Christopher: Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier. München 2010. Vgl. auch Schachts Autobiographie SCHACHT, Hjalmar: 76 Jahre meines Lebens. Bad Wörishofen 1953. 481 Vgl. zum Treffen Schachts mit Hull und Roosevelt und seiner Version des Gespräches, das Weitz als für Schacht typische „journalistische Manipulation“ (S. 204) enttarnt WEITZ: Hitlers Bankier. S. 201-205. Vgl. zur Finanzpolitik des „Dritten Reiches“, die vor allem von Schacht mitgeprägt wurde BOELCKE, Willi A.: Die Finanzpolitik des Dritten Reiches. Eine Darstellung in Grundzügen. In: BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans-Adolf (Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993. S. 95-117. 482 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 6. Vgl. COLE: Isolationists. S. 65f. für Davis’ biographischen Hintergrund und Karriere. 483 Vgl. zur Haltung der amerikanischen Regierung 1933 zur Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland die umfassende Monographie von STEWART, Barbara

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persönlichen und inoffiziellen Einfluss einsetzen. Der Präsident riet seinem Botschafter, sich in Hinblick auf die wirtschaftliche Lage der USA abgesehen von zwei oder drei Abendessen nicht auf die Ausrichtung kostspieliger sozialer Veranstaltungen einzulassen. Sein besonderer Fokus solle dem Kontakt zu Amerikanern in Berlin sowie einigen an den Beziehungen zu Amerika interessierten Deutschen gelten.484 Grundsätzlich unterschieden sich diese Aussagen nicht von den Beobach- tungen, die das Auswärtige Amt bereits Ende 1932 angestellt hatte: Der neue amerikanische Präsident schien nicht an „Konfliktsituationen“ in und mit Europa interessiert, und hatte sogar einige Alternativen erdacht, um die amerikanische Wirtschaftserholung zur Not auch ohne europäische Hilfe zu garantieren. Weder schien dem amerikanischen Regierungschef an besonderem politischen Einfluss auf die Regierung in Berlin gelegen zu sein – die Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung interessierte nur insoweit, als die Verfolgten in einigen Fällen amerika- nische Bürger waren – noch gingen die wirtschaftlichen Forderungen an Deutschland über die Schuldenfrage und verbesserte Handelsbeziehun- gen hinaus. Für William Dodd müssen die Weisungen eine Beruhigung gewesen sein: Der Präsident wollte somit gar nicht, dass er sich mit den Nationalsozialisten direkt auseinandersetzte. Vielmehr kam ihm die Aufgabe zu, seinen vorbildlichen Lebensstil in Zeiten der Krise mit Symbolkraft fortzuführen, auf offiziellem und inoffiziellem Wege Infor- mationen einzuholen, amerikanische Bürger zu schützen und Kontakt zu liberalen Deutschen zu pflegen. Es scheint plausibel, dass der amerikanische Chef der Exekutive tatsächlich zunächst diese vorsichtige Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland einnahm, um über Dodd an aussagekräftigere Informationen zur inneren Lage des Landes zu gelangen und die Außenpolitik entsprechend anzupassen oder

______McDonald: United States Government Policy on Refugees from Nazism 1933-1940. New York, London 1982. S. 28-122. 484 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 5. „I want you to do all you can to prevent a moratorium. It would tend to retard recovery […] The German authorities are treating the Jews shamefully and the Jews in this country are greatly excited. But this is also not a governmental affair. We can do nothing except for American citizens who happen to be made victims. We must protect them, and whatever we can do to moderate the general persecution by unofficial and personal influence ought to be done. […] Try to give fair attention to Americans in Berlin and occasional dinners to Germans who are interested in American relations”.

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zu revidieren. Dies ist umso wahrscheinlicher, als Roosevelts oberstes Ziel 1933 die wirtschaftliche Erholung Amerikas sein musste.485 Sicherlich hatte Dodd diese Weisungen verstanden und in seinem Tagebuch korrekt wiedergegeben. Für Dodd ging Roosevelts Ansatz aber nicht weit genug: Soziale und wirtschaftliche Verbesserungen im System der USA machten seiner Meinung nach auch ein aktiveres internationales Engagement nötig.486 Darüber hinaus dürften die Frage des Antisemi- tismus487 und die Widerstandslosigkeit der deutschen Bevölkerung nicht ignoriert werden. 488 Weiterhin hielt der demokratische Historiker an seinen Zweifeln bezüglich des wahren Ausmaßes der deutschen Lage fest, die er Anfang Juni Colonel House gegenüber wiederholt hatte. Mit Hilfe der Berichte489 des amerikanischen Generalkonsuls in Berlin,

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485 Vgl. dagegen DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 193. 486 Vgl. Dodd an Colonel House, 7. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. 487 Vgl. Dodd an Professor E.C. Becker, University of Texas, 1. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-B. 488 Vgl. Messersmith an Hull, 10. Juli 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-M (3. Mappe „M”). Vgl. zum deutschen Widerstand, seinen Chancen und seinen Akteuren u.a. GRAML: Widerstand im Dritten Reich, und SCHMÄDEKE/STEINBACH: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Vgl. auch MEHRINGER/RÖDER: Gegner, Widerstand, Emigration. In: BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 173-184. Vgl. auch PLUM: Widerstand und Resistenz. In: BROSZAT/MÖLLER: Das Dritte Reich. S. 248-273. Vgl. auch die Diskussion über den Widerstandsbegriff mit besonderem Bezug auf die deutsche Gesellschaft und Geschichte bei BRACHER: Die totalitäre Erfahrung. S. 138-152. Vgl. hierzu auch WEHLER: Nationalsozialismus. S. 242-252. Vgl. auch KERSHAW: Der NS-Staat. S. 279-328. Kershaw resümiert, es habe dem Widerstand in Deutschland an einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung immer gefehlt (S. 326). Vgl. auch die höchst kontrovers diskutierten Werke von Götz Aly und Daniel Jonah Goldhagen: ALY, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe, Band 487. Lizenz- ausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2007. Aly geht von einer „Gefälligkeitsdiktatur“ (S. 36) aus, die ständig um Gunst und Zufriedenheit der Bevölkerung buhlte und sich diese erkaufte. Vgl. GOLDHAGEN, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996. Goldhagens These folgt der Annahme, dass die deutsche Bevölkerung in ihrem antisemitischen Wahn den Tod aller Juden forderte und dies den Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Regimes erst ermöglicht hatte. Vgl. zur Goldhagen-Debatte KERSHAW: Der NS-Staat. S. 376-403. 489 Vgl. zur Bedeutung der Berichte der amerikanischen Konsulate und Generalkonsulate in Deutschland für das amerikanische Verständnis vom „Dritten Reich“ STRUPP, Christoph: Beobachtungen in der Diktatur. Amerikanische Konsulatsberichte aus dem

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George S. Messersmith,490 und weiterer diplomatischer Depeschen aus der US-Botschaft in Berlin wurde Dodd in Kenntnis gesetzt, dass vermut- lich nur die moderateren Zirkel der nationalsozialistischen Führung beeinflusst werden konnten. 491 Vor seiner Abreise studierte Dodd eingehend alle Arten von Depeschen und Schriftstücken aus den Botschaften sowie dem State Department.492 Dallek bezeichnet bereits die ersten Begegnungen Dodds mit den Karrierediplomaten und Beamten des State Departments, allen voran Jay Pierrepont Moffats, dem Leiter der Division of Western European Affairs, sowie Assistant Secretary of State Raymond Moley als wenig herzlich. 493 Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Sicherlich blieb Dodd als politische Ernennung Roosevelts für viele der traditionalistischen Beamten des amerikanischen Außenministeriums ein wenig durchschaubarer oder beeinflussbarer Akademiker mit einem gefestigten Werteverständnis und ohne diploma- tische Ausbildung. 494 Neben den Vorbereitungen mit Hilfe Präsident Roosevelts und des State Departments nutzte der neue Botschafter die Gelegenheit, in Anwesenheit Moleys und anderer Beamter mit Vertretern der amerikanischen Wirtschafts- und Geschäftswelt Kontakt aufzunehmen, die ihn dazu ermahnten, alles zu tun um einen deutschen Schuldenverzug zu verhindern. 495 Den Bankern und ihren Anliegen

______„Dritten Reich”. In: BAJOHR, Frank/ STRUPP, Christoph (Hgg.): Fremde Blicke auf das „Dritte Reich”. Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945. Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Band 49. S. 70-137. 490 George S. Messersmith diente als amerikanischer Generalkonsul in Beriln von 1930 bis 1934. Vgl. STILLER, Jesse H.: George S. Messersmith. Diplomat of Democracy. Chapel Hill, NC, London 1987. Für seine Zeit in Berlin vgl. S. 26-55. Vgl. auch MOSS, Kenneth: George S. Messersmith and Nazi Germany: The Diplomacy of Limits in Central Europe. In: JONES, Kenneth (Hrsg.): U.S. Diplomats in Europe, 1919-1941. 2. Auflage. Santa Barbara, CA, Oxford 1983. S. 113-126. Vgl. auch MOSS, Kenneth: George S. Messersmith. An American Diplomat and Nazi Germany. In: Delaware History 17,4 (1977). S. 236-249 und SHAFIR, Shlomo: George S. Messersmith. An Anti-Nazi Diplomat’s View of the German-Jewish Crisis. In: Jewish Social Studies 35,1 (1973). S. 32-41 sowie DALLEK: Beyond Tradition. S. 233-244. 491 Vgl. Gordon, Bericht über Deutschland, 23. März 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence Germany. 492 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 7. Vgl. auch DODD: Through Embassy Eyes. S. 17. 493 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 193f. Vgl. zu Moffats Biographie bis 1933 HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 1-4. 494 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 141ff. 495 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 8f.

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begegnete Dodd mit Vorsicht und mit vielen kritischen Nachfragen, da er befürchtete, die Presse könnte seine Verbindungen zu jüdischen Geschäftsmännern nutzen, um ihm Voreingenommenheit vorwerfen und damit seine Stellung in Berlin vorab zu kompromittieren. Pierrepont Moffat legte die beobachtete Haltung des Professors im Umgang mit den Geschäftsleuten als Desinteresse an Finanzfragen aus.496 Vielleicht sollte bereits diese Episode von Dodds kritischer Einstellung im Juli 1933 als der Auslöser und Beginn einer Vielzahl späterer Missverständnisse und konfligierender Ansichten mit dem State Department verstanden werden. Gleichzeitig sah sich William Dodd dem Drängen führender amerikanischer Intellektueller wie Felix Warburg, Richter Irwing Lehman, Rabbi Stephen S. Wise und anderer ausgesetzt, die deutschen Verbrechen und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung durch Druck seitens der amerikanischen Regierung aufzuhalten.497 Auch innerhalb der Familie Dodd wuchs gegen Ende Juni 1933 der Druck. William Dodd drängte seine Familie zur raschen Anpassung in Berlin und in die deutsche Gesellschaft, wozu für ihn auch das Erlernen der deutschen Sprache gehörte.498 Vermutlich ist es Ehefrau Matties sorgenvollem Drängen zuzuschreiben, dass sich Tochter Martha trotz ihrer festen Stelle als Journalistin bei der Zeitung Chicago Tribune und Sohn William Dodd, Jr., für die Begleitung ihrer Eltern nach Berlin entschieden, um ihrer Mutter beim Bestreiten des Diplomatenhaushaltes unter die Arme zu greifen.499 Während Martha vor allem die Sorge trieb, ob Berlin genügend soziale Abwechslung bot,500 erkundigte sich William Edward Dodd für die Familie über möblierte Wohnmöglichkeiten in Berlin. Der deutsche Generalkonsul Dr. Simon hatte Dodds Charakter korrekt eingeschätzt: Der Professor hatte die Einladungen501 des Hotels Adlon sowie des Hotels Esplanade für die Unterbringung in einer

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496 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 194. 497 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 9. 498 So wurde tatsächlich bald nach Ankunft in Berlin ein Privatlehrer für Ehefrau Mattie und die zwei erwachsenen Kinder Martha und William Junior, die ihre Eltern nach Berlin begleiten sollten, angestellt. Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 18 und 35. 499 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 13. 500 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 15ff. 501 Vgl. Einladungsschreiben von Louis Adlon an Dodd, 11. Juni 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-A; Antwortschreiben Dodds auf Adlons Brief, 23. Juni 1933.

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luxuriösen Unterkunft für die gesamte Familie mit dem Hinweis auf sein bescheidenes Gehalt und Lebensstil entschieden abgelehnt. Dement- sprechend gelang es ihm nicht mehr, vor der Abreise eine Unterkunft von Amerika aus sicherzustellen. Von New York aus begaben sich die Dodds am 5. Juli 1933 an Bord der Washington auf die Überfahrt in Richtung Hamburg. William Dodd hatte bereits am Pier in New York Probleme mit dem für ihn ungewohnten und unangenehmen Presserummel umzugehen. Noch Tage später wirkte er auf seine Familie ernst und nervös.502 Er sah sich außerdem auf der Washington gezwungen, ein Arrangement für die beste Suite auf dem Schiff, welches Norman Davis unmittelbar nach ihrem Treffen in New York freundlicherweise organisiert hatte, aufzulösen, um in einfache Kabinen zu ziehen, in denen die gesamte Familie Platz fand.503 Damit brach der Südstaatler William Dodd mit jahrhundertelangen diploma- tischen Traditionen, wie der Historiker Fred Bailey treffend formuliert: „The Jeffersonian Dodd had stepped into a Federal citadel where precedence, appearance, and decorum counted much in determining the status of men and nations. A clash was inevitable, not with the German civilization […] but with his own diplomatic family, whose customs were alien to him”.504 Ein angespanntes Verhältnis zwischen Dodd und den Karrierediplomaten des State Departments hatte sich in Washington, spätestens an Bord der Washington aufgebaut und würde sich bis zu seinem Tod 1940 nicht mehr lösen. Nach Ankunft am Hamburger Hafen wurden die Dodds von einem in Marthas Erinnerung schlecht gelaunten Counselor der Botschaft, George A. Gordon, empfangen, der sich als strikter Anhänger des Protokolls über einige improvisierte Planungen der Dodds entsetzt zeigte.505 Unmittelbar nachdem die Familie von Bord gegangen war, wurde der neue Botschafter unverzüglich von Journalisten der deutschen Presse bestürmt. Ein Reporter einer jüdischen Zeitung, dem Hamburger

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502 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 18. 503 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 12. 504 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 148. 505 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 20f. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 197f. Dallek beschreibt Gordon als Absolventen der Harvard und der und als von protokollarischen Vorschriften besessenen Karriere- diplomaten.

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Israelitischen Familienblatt, stellte dem Amerikaner besonderes eindring- liche Fragen und brachte sogleich eine aufsehenerregende Eilmeldung heraus, Dodds Priorität gelte der Lösung des Problems der Judenver- folgung.506 Counselor Gordon gönnte dem vom Medienrummel über- wältigten Botschafter keine Pause. Auf der Zugfahrt nach Berlin erklärte er dem Professor für Geschichte, dass die neue Funktion als hoher Diplomat eine Änderung seines Lebensstils erforderlich machte. Für den bescheiden lebenden und prinzipientreuen Chicagoer Akademiker kam eine solche Veränderung in seinem fast erreichten Seniorenalter nicht in Frage, was er Gordon und weitere Botschaftsbeamte unmittelbar spüren ließ.507 William Dodd sah sich in den folgenden Tagen mit einem prall gefüllten Terminkalender konfrontiert. Nachdem Botschafter Dodd amerikanische Korrespondenten in der Botschaft getroffen und ihnen verkündet hatte, dass seine Mission vor allem darauf abzielte, Kontakt mit den traditionellen kulturellen Kreisen Deutschlands, sprich den liberalen intellektuellen Eliten, aufzunehmen, 508 musste er sich Vertretern der deutschen Presse gegenüber bezüglich seiner angeblichen Äußerungen in der jüdischen Hamburger Zeitung rechtfertigen und korrigieren.509 Eine andere Interessengruppe, die US-amerikanischen Gläubiger des hochverschuldeten deutschen Staates, meldete sich bei William Dodd beinahe täglich, per Telefon oder persönlich, da die deutsche Regierung unter Verhandlungsführung Hjalmar Schachts jener Tage die teilweise Tilgung der deutschen Schulden, und damit keine volle Rückzahlung mit Zinsen an amerikanische Gläubiger, forderte.510 In allen Fällen musste

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506 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 20. 507 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 21. Martha schreibt: „I didn’t realize how futile all admonitions were, and I am sure my father was as supremely indifferent to them as he was to be later when great pressure from all sources was applied to effect the desired transformation”. Nach eigener Aussage schämte sich Dodd geradezu für die riesige Suite im Hotel Esplanade, in der die amerikanische Botschaft auf Generalkonsul George S. Messersmiths Betreiben hin die Dodd-Familie für einen äußerst günstigen Zimmerpreis unterbrachte. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 12. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 149. 508 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 12. 509 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 13. 510 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 13. Z.B. die Irving Trust Company New York bezüglich eines deutschen 100 Millionen Dollar Kredites. Vgl. zu Schachts finanz- politischen Schritten 1933 WEITZ: Hitlers Bankier. S. 210-216.

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Dodd eine direkte Verantwortlichkeit der amerikanischen Regierung für die Lösung dieser Kreditfragen negieren und auf inoffizielle Einfluss- möglichkeiten seinerseits auf die deutschen Behörden hinweisen, ohne konkrete Versprechen geben zu können. Nicht selten führten diese Aussagen des amerikanischen Botschafters, die seinen Weisungen aus Washington und der politischen Realität entsprachen, zu großer Verärgerung auf Seiten der US-Gläubiger.511 Angenehmer verlief das erste Treffen mit dem deutschen Außenminister, Konstantin Freiherr von Neurath512 am 15. Juli 1933. Dank dieses offiziellen Empfangs wurde es Dodd ermöglicht, seine diplomatischen Geschäfte aufzunehmen, bevor ihm Reichspräsident Paul von Hindenburg, der zu jener Zeit krank im ostpreußischen Neudeck weilte, die protokollarisch erforderlichen Ehren erweisen konnte. Dodd empfand nicht nur von Neurath als angenehmen Zeitgenossen, sondern war über die informelle Aufnahme seiner Tätigkeit ohne großes Zeremoniell erleichtert. Im Allgemeinen beschrieb er dennoch die Stimmung und Atmosphäre seit seiner Ankunft als angespannt.513 In Hintergrundgesprächen hatte sich das State Department mit der deutschen Seite geeinigt, dass nach dem Empfang durch von Neurath Dodd als „appointed Ambassador“ voll geschäftsfähig sein würde.514 Der offizielle Empfang Dodds als Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika durch den Reichspräsidenten konnte nicht früher als für den 30. August desselben Jahres organisiert werden. Nach der Aushändigung des Beglaubigungsschreibens durch Präsident Hindenburg hielt William Dodd seine offizielle Antrittsrede als Botschafter, die aufgrund ihres deutschlandfreundlichen Inhaltes ein negatives Echo bei vielen ameri-

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511 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 14. 512 Vgl. zu Konstantin Freiherr von Neuraths Rolle im „Dritten Reich“ und als Außenminister im Auswärtigen Amt SEABURY: Wilhelmstraße. S. 52-56, 77f., 88, 109ff., 118 und 242. Vgl. auch RABERG: Das Aushängeschild der Hitler-Regierung. In: KISSENER/SCHOLTYSECK: Die Führer der Provinz. S. 503-538. Vgl. außerdem seine Biographie in HEINEMAN: Hitler’s First Foreign Minister. 513 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 13. „I talked with Freiherr Konstantin von Neurath […] and found him most agreeable”. 514 Vgl. George A. Gordon an Hull, 1. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM EDWARD/24; und Jay Pierrepont Moffat (Division of Western European Affairs) an Phillips, 1. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./33.

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kanischen Bürgern hervorrief. Dodd sprach von Völkerverständigung, die besonders von den jungen Menschen beider Länder getragen werde,515 sowie über seine tiefe Verehrung für die deutschen Leistungen auf dem Gebiet der Kultur. Er betonte die wechselseitige Abhängigkeit der modernen Zivilisationen.516 Bewusst hatte sich Dodd für die Erwähnung des deutschen Volkes als Zielobjekt seiner Mission in freundschaftlicher Absicht entschieden und die Bedeutung des deutschen kulturellen und intellektuellen Lebens für Amerika hervorgehoben. 517 William Dodd schlussfolgerte aus den Reaktionen auf diese Rede, dass Hindenburg keine Einwände hatte, denn der anschließende Empfang und die Gespräche mit dem Präsidenten im Beisein von Neuraths und weiterer Spitzenbeamter des Auswärtigen Amtes verliefen sehr freundlich. Dodd glaubte, aus den Worten des Reichspräsidenten Kritik am national- sozialistischen Regime herauszuhören, als jener seine starken Zweifel am Erfolg eines ökonomischen Nationalismus als Lösung für das Arbeitslosigkeitsproblem äußerte.518 Das kurze Treffen führte zu seiner generellen Einschätzung, dass der Reichspräsident Hitler gegenüber skeptisch eingestellt und trotz seiner Vergangenheit als Führungsspitze der Obersten Heeresleitung im Großen Krieg als Liberaler einzuordnen war. 519 Doch bezüglich der tatsächlichen Vorbehalte der traditionell- konservativen Elemente in Deutschland gegenüber den Nationalsozia- listen und ihrer potentiellen „Beeinflussbarkeit“ sollte sich der Botschafter entscheidend irren.

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515 Vgl. Zeitungsartikel „Empfang des amerikanischen Botschafters beim Reichspräsi- denten“, in Wolff’s Telegraphisches Büro, Erste Nachmittags-Ausgabe, 84. Jahrgang, Nr. 2078, vom 30. August 1933. 516 Vgl. Dodd Rede, 29. August 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-D (2. Mappe „D”). 517 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 30. 518 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 30. Tatsächlich hatte Paul von Hindenburg die Nationalsozialisten zumindest anfänglich vor allem für Sozialisten gehalten und das Auftreten der vor allem jungen Leute abgelehnt. Vgl. RAUSCHER, Walter: Hindenburg. Feldmarschall und Reichspräsident. Wien 1997. S. 271. 519 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 36. „But my father was impressed with the old gentleman and came away with the feeling that he was hostile to Hitler and was a fairly learned and liberal person”. Es ist anzunehmen, dass Dodd von der Mehrheitsfähigkeit Hindenburgs in Deutschland und seiner Wählerschaft im bürgerlichen Milieu erfahren hatte und deshalb Hindenburg eine stabilisierende Rolle zuschrieb.

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3.2. „A Safe Haven“. Dodds soziales und politisches Netzwerk in Berlin 1933

3.2.1. Das gesellschaftliche Leben des Dodd-Haushaltes Die Kontakte William Edward Dodds und seiner Familie zur Berliner Gesellschaft sind für diese Studie von großer Bedeutung, weil zu den prioritären Aufgaben des Botschafters zwar Verhandlungen mit den Vertretern des Auswärtigen Amtes, die Leitung seiner Botschaft und die Versendung von Deutschlandberichten nach Washington gehörten, sein Deutschlandbild und seine Deutschlanderfahrungen aber auch maßgeblich von privaten und offiziellen Begegnungen mit deutschen Politikern, Nationalsozialisten, Intellektuellen, Ausländern, Journalisten, Privatleuten, Amerikanern in Berlin und den traditionellen Eliten geprägt wurden. Kaum ein anderer Ort diente in geeigneterer Weise als sozialer Treffpunkt als das Haus der Dodds in Berlin, welches die Familie nach längerer Suche für einen akzeptablen Preis von einer reichen, durch die Politik der Nationalsozialisten in Bedrängnis geratenen jüdischen Familie mieten konnte520 und das sich nur einen Spaziergang vom Tiergarten sowie der amerikanischen Botschaft entfernt befand. Da William Edward Dodd offizielle Abendessen und Empfänge aufgrund ihres in seinen Augen belanglosen Gesprächsstoffes und strengen Protokolls unerträglich

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520 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 32ff. Martha beschreibt, dass viele jüdische Familien aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten sowie die Konfiskation von Eigentum gerne an Diplomaten vermieteten, weil sie sich durch sie einen gewissen Schutz vor Übergriffen erhofften, oder weil sie bereits planten, Deutschland zu verlassen. Im Falle des Hauses der Dodds wohnte der Vermieter eine Zeit lang im selben Haus. Siehe auch: Dodd an Roosevelt, 12. August 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. S. 1. „We have one of the best residences in Berlin at $150 a month – due to the fact that the owner is a wealthy Jew, most willing to let us have it”. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 150. Bailey kritisiert, dass Dodds ausgesprochen günstiger Mietvertrag aufgrund der prekären Lage des Vermieters Panofsky und seiner Familie dem Botschafter einen falschen Eindruck von den Lebenshaltungskosten in Berlin vermittelte. Dies habe dann seine Verachtung über den protzigen Lebensstil seiner Kollegen und seines Personals zu Unrecht verstärkt. Vgl. auch BENZ, Wolfgang (Hrsg.): Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter national- sozialistischer Herrschaft. 3. Auflage. München 1993. Vgl. besonders PLUM, Günter: Wirtschaft und Erwerbsleben. S. 268-313 in diesem Band von Wolfgang Benz.

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fand,521 avancierte die Doddsche Residenz bald zu einer Art „offenem“522 Haus für eine Vielzahl von Besuchern. Inoffizielle Hausherrin und Gastgeberin wurde Tochter Martha, die entgegen ihrer ursprünglichen Sorge begeistert von der Vielfältigkeit des Berliner Gesellschaftslebens war 523 und gerne auch im privaten Kreise Gäste unterschiedlichster Couleur empfing sowie oftmals auf derselben Veranstaltung überzeugte Nationalsozialisten, deutsche Intellektuelle, Konservative, jüdische Schriftsteller und Angehörige der nationalsozialistischen Führungsriege in erstaunlich friedlichem Rahmen versammelte. Dodd selbst, der eher ein zurückgezogener Mensch war und selten auf sozialen Veranstaltungen im Mittelpunkt stehen mochte,524 profitierte von der Kontaktfreudigkeit seiner Tochter. War ein Gast für den Botschafter beruflich interessant oder versprach er sich von ihm exklusive Erkenntnisse über einen bestimmten Sachverhalt oder Hintergründe zu Ereignissen, so ermög- lichten Marthas Einladungen, dass er sich mit dieser Person in seinem eigenen Hause inoffiziell und ungezwungen unterhalten konnte. 525 Auch bezüglich anderer Fragen, darauf weist Martha in ihrem Tagebuch mehrmals hin, konnte er über seine Tochter auf indirektem Wege wertvolle Informationen einholen, zum Beispiel über den Einfluss bestimmter Nationalsozialisten, die Stimmung in den verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen und die Haltung von Deutschen unterschied- licher Altersklassen zum Regime. Marthas große Geburtstagsfeier im

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521 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 41. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 33. Dodd hasste es, teure offizielle Empfänge zu geben. Sie erschienen im als „show“, die reine Zeitverschwendung aufgrund der langweiligen und belanglosen Tischgespräche waren. 522 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 46. „Our house was always full of people; young Germans, students, Foreign Office attachés, Government officials, newspapermen, and officers in the S.A., or S.S., or Reichswehr”. 523 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 24. Martha erzählt, dass sie weniger an Politik und Wirtschaft als vielmehr an verschiedenen Menschen interessiert war und „the ‚feel‘ of the people“ bekommen wollte. Dieses Gefühl fürs Soziale muss für William Dodd eine nützliche Quelle für Informationen gewesen sein. 524 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 40. 525 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 110f. Bei nicht wenigen Gelegenheiten, so berichtet Martha, lud ihr Vater den Journalisten William Shirer, welcher gerne zu später Stunde auf Besuch zu kommen pflegte, kurzerhand zu sich und seiner Frau in ihr Schlafzimmer ein, um dort von möglicher Überwachung durch die deutschen Hausangestellten ungestört aktuelle Entwicklungen zu diskutieren. Vgl. auch Shirers Monographie zum „Dritten Reich“: SHIRER, William L.: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Köln, Berlin 1961.

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Oktober 1933 bereitete den Anfang der regen sozialen Einbindung der Tochter und der gesamten Familie Dodd in die Berliner Gesellschaft. Die hohe Prominenz und Zahl der Gäste lässt sich aus dem Umstand erklären, dass es als interessantes Novum in der konservativen deutschen Gesell- schaft galt, wenn eine junge Dame die Freiheit genoss, anstelle ihrer Eltern selbstständig große Feiern auszurichten und die Gästeliste zusammenzustellen. Auf der Gästeliste ihrer Geburtstagsfeier standen Namen von hochadeligen Gästen wie dem jungen Hohenzollernprinz Friedrich, genauso wie von Mitgliedern der Sturmabteilung (SA), hoch- rangigen Nationalsozialisten und Angehörigen der Reichswehr. Der „Showauftritt“ des Auslandspresse-Chefs der NSDAP, Ernst „Putzi“ Hanfstaengls,526 zu später Stunde, den Martha als eher erheiternd denn als störend empfand, war einer der fragwürdigen Höhepunkte des Festes, das die Absurdität und Widersprüchlichkeit des sozialen Lebens im nationalsozialistischen Berlin zwischen Feierlust und der Alltäglichkeit von Gewalt und Verfolgung zur Schau stellte.527 An dieser Stelle sind einige weitere Sätze der Rolle Martha Dodds zu widmen, weil sie wie erwähnt einen erheblichen Einfluss auf die Kontakte ihres Vaters ausübte. Martha war nach eigenen Aussagen nie zuvor in ihrem Leben in den USA antisemitischen Äußerungen oder Propaganda im Allgemeinen ausgesetzt gewesen. 528 Inwieweit dies verifiziert werden kann – sicherlich wuchs sie in einem sehr behüteten, liberalen Milieu auf – und inwiefern dies eine Entschuldigung für ihre intensiven privaten Kontakte zur nationalsozialistischen Führungsriege sein sollte, bleibt eine offene Frage. Fest steht, Martha war einigen

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526 Hanfstaengl wurde zu einem der engeren Bekanntschaften Marthas in Berlin. Der Münchener war nicht nur enger Vertrauter Hitlers seit dem Putsch von 1923, sondern auch Harvard-Kommilitone von Franklin Roosevelt und Rivale von Joseph Goebbels. Vgl. auch CONRADI, Peter: Hitlers Klavierspieler. : Vertrauter Hitlers, Verbündeter Roosevelts. Frankfurt am Main 2007. Zur Rolle Hanfstaengls in der national- sozialistischen Propagandatätigkeit in den USA über seine hervorragenden Kontakte zu Journalisten und Auslandskorrespondenten vgl. auch FRYE: Nazi Germany. S. 19f. 527 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 43ff. „Whatever you thought of him in your most secret heart of hearts, Hanfstaengl was at least someone you could remember in the end-/ less pallid days of innocuous diplomats and their parties.” (S. 44/45). Vgl. zu dieser Gleichzeitigkeit „von Lockung und Zwang, Verführung und Verbrechen, Angeboten zur Integration und Drohung mit Terror“ (S. 209) und der Faszination und Anziehungskraft des neuen Regimes auch FREI: Führerstaat. S. 209-215. 528 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 5.

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Nationalsozialisten, unter ihnen Ernst Hanfstaengl, dem damaligen Chef der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) ,529 über ihn Hermann Göring und zahlreichen SA- und Schutzstaffel (SS) -Männern530 für einige Zeit privat nahegestanden. William Dodd als Vater und Repräsentanten des demokratischen Amerika konnte dies nur wenig gefallen haben, denn wann immer Martha abwegige Entschuldigungen für bekannt gewordene nationalsozialistische Exzesse und Gewalttaten vorbrachte, bezeichnete er sie sowohl im privaten Kreise als auch in der Öffentlichkeit als „Jungnazi“. 531 Die Tochter des amerikanischen Botschafters in Berlin wurde zur Besichtigung eines „Arbeitslagers”, nicht aber eines Konzen- trationslagers, eingeladen, um sich ein Bild von den Zuständen zu machen. In ihrer anfänglichen Begeisterung für das Regime vermochte sie hier keine Hinweise auf Verbrechen oder sonstige bedenkliche Vorkommnisse erkennen. 532 Hanfstaengl ermöglichte ihr sogar eine Audienz mit Hitler, bei der er sie im Scherz gar mit Hitler zu verkuppeln versuchte. William Dodd äußerte seinen Unmut über Marthas Begegnung ______

529 Vgl. zur Biographie Diels’ und seiner jungen Karriere am Ende der Weimarer Republik in Carl Severings (SPD) preußischem Innenministerium WALLBAUM, Klaus: Der Über- läufer. Rudolf Diels (1900-1957). Der erste Gestapo-Chef des Hitler-Regimes. Frankfurt am Main u.a. 2010. Für Wallbaum war Diels (S. 38) „weder Demokrat noch Monarchist, /[S. 39:] weder Nationalist noch Sozialist – und er war zu jeder Zeit von jedem davon etwas”. Vgl. zum Geheimen Staatspolizeiamt unter Diels GRAF, Christoph: Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur. Die Entwicklung der preußischen Politischen Polizei vom Staatsschutzorgan der Weimarer Republik zum Geheimen Staatspolizeiamt des Dritten Reiches. Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 36. Berlin 1983. S. 108-313. Anders als Wallbaum sieht Graf Diels wenn auch nicht als National- sozialisten, so doch als Gegner der Demokratie. Vgl. auch Grafs Kurzbiographie zu Diels in jener Monographie auf den Seiten 317-329. 530 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 47f. Martha berichtet von einer intensiven Freundschaft mit einem jungen SA-Mann, über welchen sie glaubte, die Stimmung in der jungen Bevölkerung der deutschen Mittelschicht besser verstehen zu können. 531 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 36. Ihr Vater bezeichnete Martha für einige Zeit im Privaten wie in der Öffentlichkeite als „a young Nazi”. Die Abneigung beruhte bei Ernst Hanfstaengl und William Edward Dodd auf Gegenseitigkeit. Hanfstaengl hielt Dodd für eine Fehlbesetzung in Berlin, wünschte sich einen harten Geschäftsmann als Verhand- lungspartner für Berlin. Vgl. CONRADI: Klavierspieler. S. 164f. Hanfstaengls bizarrer Verkuppelungsversuch zwischen Martha und Adolf Hitler scheiterte. Egon Hanfstaengl, „Putzis“ Sohn, jedoch behauptet, sein Vater habe eine Affäre mit der Tochter des amerikanischen Botschafters gehabt. Vgl. CONRADI: Klavierspieler. S. 166ff. 532 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 37. „Everything seemed very nice and orderly and there were no military parades and exercises, as I had been told by my ´venomous´ friends”.

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mit dem „Führer“, der ihm nach ihren Beobachtungen als schüchtern, bescheiden, charmant, gehemmt und ausdruckslos beschrieben wurde.533 Marthas ungeklärte Beziehung wiederum zu Rudolf Diels war eine Ver- bindung, die auf ihre Zeitgenossen irritierend gewirkt haben muss – es ist kaum vorstellbar, dass der liberale William Dodd eine Liebesbeziehung seiner Tochter mit einem der undurchschaubarsten Akteure des National- sozialismus der Anfangsjahre gutgeheißen hätte, selbst wenn sie durch den Kontakt offensichtlich tiefste Einblicke in den inneren Kreis der nationalsozialistischen Führung erhielt. Marthas Beschreibungen weisen jedenfalls darauf hin, dass die Beziehung nicht nur platonischer Natur war.534 Ihren Aussagen nach zeigte sich Diels an einer aktiven Besänf- tigung der aufgrund der nationalsozialistischen Maßnahmen besorgten amerikanischen Öffentlichkeit interessiert und „kooperierte“ aus ver- mutlich opportunistischen Gründen bei zahlreichen Gelegenheiten mit dem amerikanischen Konsulat und der Botschaft.535 Nicht nur leitete Diels eines der furchteinflößendsten politischen Gefängnisse im Herzen Berlins, sein Auftritt auf jeder öffentlichen Veranstaltung ließ nach

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533 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 64f. „I was thinking of the meeting with Hitler. It was hard to believe that this man was one of the most powerful men in Europe. […] He seemed modest, middle class, rather dull and self-conscious – yet with his strange tenderness and appealing helplessness”. 534 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 53. „I was intrigued and fascinated by his human monster of sensitive face and cruel, broken beauty. We went out quite a lot, dancing and driving”. Die Beziehung ging vermutlich nicht so weit, wie Diels sie in seiner Autobiographie beschreibt. Er erzählt, dass Martha, „eine amerikanische Freundin“, ihm Mitte Oktober 1933 nach Erlass eines Haftbefehls durch Göring gegen seine Person nicht nur zur Flucht nach Karlsbad verholfen, sondern ihn dorthin auch für mehr als zwei Wochen begleitet hatte. Vgl. DIELS, Rudolf: Lucifer ante portas. …es spricht der erste Chef der Gestapo…Stuttgart 1950. S. 330-336. Dies kann nicht der Wahrheit entsprechen, weil nicht nur William Dodd Diels‘ Flucht im November, nicht aber diese angebliche Abwesenheit Marthas erwähnt, vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 65. „Late in November, Consul General Messersmith reported that he, Diels, felt his life in danger and he wished I might help him in some way. […] It think it was all a ruse, perhaps to intimidate Diels because he possesses damaging information”.; und Martha selbst für jenen Zeitraum ausführlich ihre Geburtstagsfeier in Berlin beschreibt. Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 43ff. Vgl. WALLBAUM: Überläufer. S. 131-134. Wallbaum behauptet, Diels hatte Hitler seine rasche Rückkehr von Karlsbad nach Berlin zu verdanken. Vgl. IRVING, David: Göring. 2. Auflage. München, Hamburg 1987. S. 180. Die Abhörprotokolle von Görings „Forschungsamt der Luftwaffe“ weisen Marthas Affäre mit Diels nach. 535 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 51.

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Marthas Worten die Stimmung schlagartig zu einer Atmosphäre der Angst erfrieren. Er misstraute allen Menschen, wie sie ihm, erinnert sich Martha Dodd – mit Ausnahme ihrer selbst, schließt man von seiner Offenheit ihr gegenüber auf die Natur ihres Verhältnisses. Ausgehend von ihren Beobachtungen der beiden Männer kam Martha zu dem Schluss, dass selbst Hermann Göring Diels fürchtete. 536 Diels war es auch, welcher der Tochter des Botschafters anvertraute, dass Berlin und ganz Deutschland ein dichtes Netz aus Terror und Spionage rivalisierender Parteiorgane umspannte.537 Die beklemmende Atmosphäre aus Gewalt, Propaganda, Intrigen, einer offensichtlichen Auflösung des Rechtsstaates und der aufgesetzten Feierstimmung des im Untergang begriffenen kulturellen Lebens im Berlin der Dreißiger Jahre wirkte nicht nur auf Dodd als Botschafter, sondern auf das gesamte Privat- leben seiner Familie ein, und vereinnahmte zunehmend ihre Gefühls- und Gedankenwelt.

3.2.2.Kontakte und Informanten in der Berliner Gesellschaft Selbstverständlich gehörte es zu den Aufgaben des ranghöchsten Diplo- maten Amerikas in Deutschland, auf offiziellen Empfängen zu erscheinen und Einladungen im Gastland anzunehmen. Aufgrund seines Amtes sah sich William Edward Dodd hierzu regelrecht gezwungen. Dennoch ist es eine Untertreibung, dass ihm die meisten Veranstaltungen keine Freude bereiteten. Über die wenigen Anlässe, bei denen er Nationalsozialisten direkt begegnen musste, konnte er kaum ein gutes Wort verlieren. Im August 1933 war er bei einer Feier zu Gast, auf der er vor allem deutsche Gelehrte und Wissenschaftler erwartet hatte. Trotz der zahlreichen nationalsozialistischen Funktionäre, die entgegen seiner Erwartung eben- falls erschienen waren, äußerte er sich frei über Präsident Roosevelts Methoden zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung unter Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. Von den Reaktionen der anwesenden National- sozialisten ist aus den Quellen nichts bekannt. Allerdings dürften Dodds

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536 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 52f. 537 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 53. „[A] vast and complicated network of espionage, terror, sadism, and hate, from which no one, official or private, could escape”. Diels bestätigt die Überwachung durch die moderne Abhörtechnik in Görings „Forschungsamt der Luftwaffe“ (S. 230) gegen „meinen ganzen großen Bekanntenkreis“ (S. 231) in seiner Autobiographie. DIELS: Lucifer. S. 230f. Vgl. zu diesem Abhörorgan Görings IRVING: Göring. S. 174-181. Auch Martha wurde abgehört (S. 180).

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Anspielungen auf verfassungs- und rechtstaatswidrige Maßnahmen in Deutschland ihre Sichtweise auf den amerikanischen Botschafter negativ beeinflusst haben. William Dodd schien es nicht zu behagen, wenn sich überzeugte Nationalsozialisten im Raum aufhielten, denn bereits 1933 beschlich ihn das Gefühl, dass sich all seine Meinungsäußerungen gegen ihn, den Botschafter, wenden konnten – und würden.538 Zur Eröffnung des neuen Staatsrates, der das preußische Oberhaus ersetzte, im September 1933 entschied sich der Botschafter nur zu erscheinen, weil dies seiner Meinung nach ein rein offizieller Anlass war. Die Aufmärsche der SA-Braunhemden sowie der in seinen Augen „lächerlich aussehende, übergewichtige“ Hermann Göring erinnerten Dodd jetzt kaum mehr an den preußischen Staat, den er als junger Mann erlebt hatte.539 Die Denunzierung des Parlamentarismus durch Göring, während das nationalsozialistische Regime zeitgleich damit beginnen wollte, die angeblichen Brandstifter des Reichstags wegen Hochverrates anzuklagen, machte für Dodd die Farce perfekt und das Schauspiel unerträglich.540 Erlebnisse auf Veranstaltungen wie diesen, die, selbst wenn als „staatliche“ Veranstaltung deklariert, propagandistische Dar- stellungen parteilicher Macht waren, führten bereits 1933 zu Dodds Fernbleiben, sofern es das Protokoll erlaubte.541 Überhaupt versuchte der liberale Amerikaner, jeder Form von öffentlichem nationalsozialis-

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538 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 31. 539 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 37f. S. 38: „Hermann Goering, a fat ridiculous- looking man according to my taste”. 540 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 38. 541 Einladungen, die von vorneherein eine klare Parteifärbung vermuten ließen, wie zum Beispiel diejenige zu einer Rede des Stabschefs der SA, Ernst Röhm, vor dem diplomatischen Korps und Vertretern der ausländischen Presse im Hotel Adlon am 7. Dezember 1933, beantwortete der Botschafter deshalb mit klaren Absagen. Vgl. Rede RM Stabschef der SA Ernst Röhm vor dem Diplomatischen Korps und Vertretern der ausländischen Presse, 7. Dezember 1933. Bundesarchiv (Im Folgenden abgekürzt mit „BA“). Abteilung R - Deutsches Reich 1495-1945, Zivile Behörden und Einrichtungen des Deutschen Reiches (1867-1945); NSDAP; Auswärtiges, Kolonial-und Besatzungsverwaltung; NSDAP; Außenpolitisches Amt der NSDAP. NS 43/155, S. 8. Siehe Unterlagen des Außenpolitischen Amtes zu Anwesenheitslisten und Zusagen bzw. Absagen auf S. 8. Vgl. zur Rolle des Außenpolitischen Amtes der NSDAP und Rosenbergs Pressearbeit auch HERZER, Martin: Auslandskorrespondenten und auswärtige Pressepolitik im Dritten Reich. Medien in Geschichte und Gegenwart, Band 27. Köln, Weimar, Wien 2012. S. 45-48.

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tischem Machtgebaren und Aufmärschen, die er als peinlich betitelte, auszuweichen.542 Die gesellschaftlichen Treffen mit Angehörigen des weiteren Kreises der nationalsozialistischen Regierung und der Ministerien, zuvorderst dem Auswärtigen Amt, vermochten es kaum, den Botschafter in irgendeiner Weise optimistischer zu stimmen. Fast schon apathisch wirkte er bei großen Veranstaltungen, sprach kaum ein Wort, um nichts Verfängliches sagen zu müssen und verließ die Gesellschaft oft geradezu überstürzt und entgegen protokollarischer Regeln und Sitten.543 Ähnlich erging es dem amerikanischen Repräsentanten auch auf einer Abendeinladung bei Familie von Bülow, bei welcher zwei Prinzen des alten Regimes offen das Hakenkreuz am Ärmel trugen, wie der amerikanische Professor entgeistert bemerkte.544 Weder Vertreter der früheren kaiserlichen oder der Weimarer Regierung noch andere traditionell-konservative Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft offenbarten dem Botschafter eine andere Gedankenwelt als eine, die sich trotz ihrer liberaler Gesinnungen ent- weder mit dem Hitler-Regime abfand oder dieses sogar aktiv unterstützte. Kaum positive Urteile konnte William Dodd sich über Persönlichkeiten wie den Vizekanzler Franz von Papen,545 Industrielle wie Fritz Thyssen,

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542 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 53. Am 29. Oktober 1933 - erstaunlich, dass Dodd diesen Vorfall so genau erwähnt – floh der Botschafter in den Tiergarten, als sich eine Prozession von Braunhemden näherte, „to avoid embarrassment”. 543 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 25. 544 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 57. 545 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 53 und 59. Auf einem Empfang des türkischen Botschafters in Berlin meidet Dodd von Papen absichtlich: „I saw Von Papen, of unenviable American record, but I avoided a meeting” (S. 53). Vermutlich spielt Dodd hier auf Papens Vergangenheit als deutscher Spion während des 1. Weltkrieges an. Wegen seiner Spionagetätigkeit in den USA war bereits die Wahl Franz von Papens zum Reichskanzler und dann Vizekanzler in der amerikanischen Öffentlichkeit äußerst negativ aufgenommen worden. Vgl. DOERRIES, Reinhard R.: Transatlantic Intelligence in Krieg und Frieden: Die Rolle von Nachrichtendiensten in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. In: BERG, Manfred/ GASSERT, Philipp (Hgg.): Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker. Transatlantische Histo- rische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 291f. Vgl. zu von Papens Funktion als „Steigbügelhalter“ für Hitler und die NSDAP 1932/33 GRAML, Hermann: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 83. München 2001. S. 206-228. Vgl. auch PETZOLD, Joachim: Franz von Papen. Ein deutsches

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Herbert von Gütschow und August Diehn546 oder Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht bilden.547 Letzterer äußerte dem Botschafter gegenüber immer wieder seine Begeisterung für Dodds Reden in Deutschland und bestätigte ihre positive Wirkung. Doch obwohl Dodd ihn grundsätzlich als liberal einschätzte, blieb Schacht ein Akteur der Führungsspitze des Regimes.548 Die erste Begegnung mit anderen diplomatischen Vertretern, insbeson- dere jenen aus europäischen Ländern, lief ganz im Rahmen des unter Botschaftern üblichen Kennenlernens ab. Der spanische Repräsentant Luis Zulueta beeindruckte seinen amerikanischen Kollegen durch seine Bildung und eine ähnliche berufliche Laufbahn,549 während der fran- zösische Botschafter André François-Poncet die Familie Dodd mit einer prunkvollen Residenz und protzigen Empfängen im Sinne Napoleon Bonapartes abschreckte.550 Der Franzose warnte seinen amerikanischen Kollegen im Herbst 1933 als erster vor den deutschen Kriegsplanungen und der Machtlosigkeit von Neuraths und Hindenburgs, sollten sich England und die USA nicht eindeutiger zu engagieren wissen.551 Bei einem

______Verhängnis. München 1995. Zu Papens Rolle als Wegbereiter Hitlers insbesondere die Seiten 119 bis 162. 546 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 60f. „[…] [They are] entirely reconciled to the Hitler system” (S. 60). 547 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 222. Laut Jonas führten weder die „Machtergreifung“ und Integration der Industrie in den nationalsozialistischen Partei- und Staatsapparat noch die schwächer werdenden deutsch-amerikanischen Beziehungen zu einem Ende der Beziehungen zwischen deutschen und amerikanischen Industriellen und Firmen. General Motors war über seinen Opel-Zweig direkt mit der deutschen Panzerproduktion verbunden, ebenso industrielle Schwergewichte wie Ford, Standard Oil, Alcoa, Dupont und weitere. Vgl. auch zu den Beweggründen der US-Konzerne sowie der nationalsozialistischen Führung für eine Weiterführung der Kooperationen nach 1933 GASSERT, Philipp: Keine rein geschäftliche Angelegenheit: Die „Feindvermögensfrage“ und die Auseinandersetzung um die amerikanischen Investitionen im Dritten Reich. In: BERG, Manfred/ GASSERT, Philipp (Hgg.): Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker. Historische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 339-363. 548 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 55. 549 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 33. 550 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 54f. 551 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 34f. Vgl. die vollumfängliche Analyse der Tätigkeit François-Poncets als Botschafter in Berlin und seines Deutschlandbildes bei SCHÄFER, Claus W.: André François-Poncet als Botschafter in Berlin (1931-1938). Pariser Historische Studien, Band 64. München 2004 und DREYFUS, Jean-Marc: „[...] und dann wählen sie

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ersten Treffen verstand sich Dodd mit Sir Eric Phipps, dem englischen Repräsentanten in Deutschland, auf Anhieb sehr gut552 und beratschlagte sich mit ihm entsprechend der Rooseveltschen Weisung im Winter mehrfach bezüglich der deutschen Abrüstungsfrage.553 Der sowjetische Botschafter wiederum war laut Dodd kein radikaler Kommunist und erwies sich als umgänglich und offen. Er hatte ebenso seine Doktor- arbeit im Berlin des Kaiserreiches abgeschlossen und offenbarte dem Amerikaner, dass eine amerikanische Anerkennung der Sowjetunion vor allem im sowjetisch-japanischen Konflikt um die Mandschurei positive Auswirkungen haben würde.554 Dies sollte William Dodds erster Eindruck von seinen Kollegen im Herbst und Winter 1933 sein: Sie alle schienen ihm nach eigener Aussage annehmbar und intelligent.555 Wie und ob er mit ihnen zusammenarbeiten konnte, sollte sich erst später herausstellen. Eine entscheidende Rolle für den Botschafter spielten seine Kontakte zur Presse, insbesondere zu britischen und amerikanischen Journalisten, die oft bereits viele Jahre in Berlin gelebt hatten und eine besondere Schnittstelle zwischen gesellschaftlichem und politischem Leben und der nationalsozialistischen Führung darstellten. 556 In den ersten Jahren ______Männer wie Hitler zum Werkzeug ihrer Katastrophe aus”. Die Berichterstattung Botschafter André François-Poncets und der französischen Konsuln aus dem Deutschen Reich bis 1939. In: BAJOHR, Frank/ STRUPP, Christoph (Hgg.): Fremde Blicke auf das „Dritte Reich”. Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945. Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Band 49. S. 138-162. Vgl. auch François-Poncets Erinnerungen in FRANÇOIS-PONCET, André: Von Versailles bis Potsdam. Frankreich und das deutsche Problem der Gegenwart. Mainz, Berlin 1949. Vgl. auch FORD, Franklin L.: Three Observers in Berlin: Rumbold, Dodd, and François-Poncet. In: CRAIG, Gordon A./ GILBERT, Felix (Hgg.): The Diplomats 1919-1939. Princeton, NJ, 1953. S. 437-476. 552 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 52f. Vgl. zur Tätigkeit Sir Eric Phipps´als britischer Botschafter in Berlin und seine Erfahrungen und Berichterstattung aus Deutschland OTT, Johann: Botschafter Sir Eric Phipps und die deutsch-englischen Beziehungen. Studien zur britischen Außenpolitik gegenüber dem Dritten Reich. Inaugural-Dissertation an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg 1967. 553 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 63. Gespräch mit Sir Eric Phipps am 9. Dezember über Hitlers neues Abrüstungsangebot. 554 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 58. 555 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 33. Dodd traf auf die ungarischen und irischen Vertreter in Berlin und meinte über den Ungarn: „But he was very agreeable and intelligent, as most of them seem [kursiv im Original] to be”. 556 Amerikanische und britische Journalisten waren seit dem Ende der Weimarer Republik, dem politischen Umschwung während der Präsidialkabinette und der „Machtergreifung“

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nach der „Machtergreifung“ fand noch ein reger Austausch zwischen Nationalsozialisten und ausländischen Journalisten statt. 557 William Dodd lernte viele Medienleute über seine Tochter Martha und ihren Bekanntenkreis kennen und die angelsächsische Presse avancierte für die Dodd-Familie zu einer regen Quelle an Informationen, Sichtweisen und Freundschaften.558 Informanten aus den Medien waren für William Dodd eine, wenn nicht die wichtigste Informationsquelle, mit Hilfe welcher er seine Deutschlandberichte mit Beobachtungen füllen und nach Washington senden konnte. 559 Dem konservativen Botschaftspersonal aber, ganz besonders dem Counselor, George Gordon, gefiel dieser unkonventionelle Ansatz zur Informationsbeschaffung und der soziale Umgang aus verschiedenen Gründen keineswegs. Kurze Zeit nach Dodds Ankunft in Berlin unternahm Gordon deshalb wiederholt den Versuch, ihn von engen Pressekontakten abzubringen. Dies allerdings so erfolglos wie bereits bei Dodds Vorgänger im Amt, der Berichten aus Washington zufolge so verärgert über Gordons Interventionen gewesen war, dass er engagiert für dessen Versetzung gekämpft hatte.560 Die Pressekontakte William Dodds waren und blieben dennoch eng und vielfältig. Obwohl er ihren konservativ gesinnten Arbeitgeber, den Medienmogul Randolph

______maßgeblich daran beteiligt, die Stimmung in Amerika durch ihre Berichterstattung über das nationalsozialistische Deutschland zu beeinflussen. Dies hatte bis März 1933 allerdings in eine „beschönigende“, optimistische Tendenz, die den chaotischen Verhältnissen in Deutschland nicht gerecht wurde (S. iii und 83). Vgl. HERRMANN, George Bernard: American Journalistic Perceptions of the Death of Weimar Germany: January 1932-March 1933. Carnegie Mellon University, Diss. Ann Arbor, MI, 1979. S. 64-83 für die Phase bis zur Ernennung Schleichers, S. 134-164 für Schleichers Kanzlerschaft bis Ende 1932 und S. 165- 202 für die Phase der „Machtergreifung“ und die Folgemonate. Vgl. auch HERZER: Auslandskorrespondenten. S. 21-33 für die Endphase der Weimarer Republik und S. 34-163 für das Verhältnis von Auslandskorrespondenten zum „Dritten Reich“ bis 1939. Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 77f. Für Gerste ist offensichtlich, dass Journalisten wie Dorothy Thompson, William Shirer und weitere Bekanntschaften Dodds einen maß- geblichen Einfluss auf das Hitler- und Deutschlandbild der amerikanischen Bevölkerung nahmen. 557 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 117. 558 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 96. 559 Vgl. zu den Arten und Quellen der Informationsbeschaffung durch die Journalisten anhand von „umfassende[n] Informationsnetze[n]“ (S. 143) HERZER: Auslandskorres- pondenten. S. 135-163. 560 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 96f. S. 96.

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William Hearst,561 nicht leiden konnte, verkehrte Dodd doch häufig mit Vertretern der Hearst-Presse: mit Karl von Wiegand, mit Quentin Reynolds, einem Freund Marthas und Begleiter der Familie auf ihrer ersten Deutschlandreise, und mit William „Bill“ Shirer. Shirer und Ralph Barnese vom Herald Tribune galten William Dodd, der stets gewissenhaft früh zu Bett zu gehen pflegte, als derart wertvolle Informanten, dass er sie laut Martha sogar eines Nachts – sie erschienen oft gegen Mitternacht – beide hoch in sein Schlafzimmer einlud, um zusammen mit Mattie die neuesten Nachrichten aus Politik und Gesellschaft zu erfahren.562 William Dodd beschreibt von Wiegand als Mann mit exzellenten Beziehungen zum exilierten deutschen Kaiser, Führungspersönlichkeiten der Weimarer Republik und dem Reichspräsidenten, „the sort of man well enough informed to consult on occasion”.563 Tatsächlich ließ von Wiegand dem Botschafter immer wieder signifikante Informationen zukommen, so zum Beispiel über nationalsozialistische Putschversuche in Österreich im August 1933, den angeblichen Inhalt von Hindenburgs Testament 1934,564 aber auch Pläne des Kabinetts in England zu einer britischen gegen Deutschland im Falle eines Krieges Mitte September 1933.565 vom Chicago Tribune, bald eine enge Freundin der Familie, gehörte zu den ersten Bekanntschaften der Dodds und den wenigen offenen Regimekritikern, die nicht in den Folgejahren des Landes

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561 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 129. „Hearst, of course, made regular visits for a time and was the honored guest of the Nazis on several occasions. Naturally we had no contact with him. […] These were the days when rumors were thick and fast that Hearst was a devoted admirer of Hitler and that there had even been a financial deal between them”. Vgl. zu William Randolph Hearsts Rolle als Meinungsbilder und Medienmogul in den 1930er Jahren und seiner Beziehung zu Roosevelt, dem New Deal und dem nationalsozialistischen Deutschland NASAW: Chief. S. 469-555. Nasaw stellt die These auf, Hearst habe sich Hitler und Mussolini gegenüber offen und in seinen Zeitungen wohl- gesonnen gezeigt, um positiven Einfluss auf die Diktatoren auszuüben und den direkten Zugang zu ihnen aufrechtzuerhalten. 562 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 110f. „My father simply invited him, / [S. 111] and on one occasion Bill Shirer who accompanied him, upstairs to his bedroom, to discuss the matter they were so eagerly pursuing. My mother, always intensely interested in everything that went on, threw on her dressing robe and went to my father’s room, anxious not to miss the latest development, no matter what it was or on what subject”. 563 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 19. 564 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 29. 565 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 39.

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verwiesen wurden.566 Häufiger Kontakt bestand auch mit Louis Lochner, einem Sozialdemokraten und Monarchisten der Associated Press, und mit dem konservativen Reporter Fred Oechsner von der United Press.567 Walter Duranty, New York Times-Korrespondent in Moskau, der seit Beginn der Revolution in Russland gelebt hatte, informierte Dodd zuverlässig über Entwicklungen in der Sowjetunion und Osteuropa und war ein häufiger Gast in der Dodd-Residenz. 568 Seine Informanten ermöglichten dem amerikanischen Botschafter eine steile „Lernkurve“ im Studium der deutschen Lage 1933.569 Die Informationsquellen der Journalisten, mit denen Dodd verkehrte, waren vielfältiger Natur. In der „Taverne“, einem italienischen Restaurant in Berlin, fand ein reger Informationsaustausch zwischen den Auslands- korrespondenten statt, oft auch im Beisein von Nationalsozialisten wie Dietrich, Hanfstaengl und Diels, SA-Männern sowie Angehörigen diverser Botschaften.570 Wenn auch jene Treffen laut Martha Dodd friedlicher Natur waren, so darf dies keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass ausländischen Journalisten keine ernsten Konsequenzen drohten, wenn sie regimekritisch berichteten.571 Hierzu zählen die Fälle Edgar Ansel Mowrer und Norman Ebbutt, in die Dodd unmittelbar verwickelt war. So hatte Edgar Mowrer, Journalist der Chicago Daily News, Pulitzer-Preis- gewinner für seine Berichterstattung zum Aufstieg Hitlers in Deutschland und Präsident der Foreign Press Association, mehrfach kritische Berichte zur deutschen inneren Lage und Judenverfolgung veröffentlicht. 572

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566 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 98. 567 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 98. 568 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 125f. 569 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 24. 570 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 100. Vgl. zur Rolle Hanfstaengls seit 1931 als Auslandspressechef der NSDAP und seinen Beziehungen zu den Korrespondenten HERZER: Auslandskorrespondenten. S. 29-32. 571 Vgl. FRYE: Nazi Germany. S. 25. Goebbels beobachtete besonders die Aktivitäten der Associated Press und untersagte deutschen Agenten den Kontakt mit Vertretern dieser Pressegruppe. Zudem fütterte das Propagandaministerium ausländische Pressedienste mit Falschinformationen, um ihre Glaubwürdigkeit zu kompromittieren. Vgl. zu den nationalsozialistischen Methoden der Kontrolle und Überwachung von Auslands- korrespondenten HERZER: Auslandskorrespondenten. S. 60-73 und für Methoden der Repression S. 73-106. 572 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 215. Mowrer war maßgeblich an der Berichterstattung über die Einrichtung von Konzentrationslagern, die Bücherver-

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Der Journalist sah sich 1933 offen bedroht, da die deutsche Regierung ihn hatte verstehen lassen, dass sie keine Verantwortung für die „nicht zu bändigenden“ SA-Truppen übernehmen würde, wenn sie ihrem Hass auf Mowrer freien Lauf lassen sollten. Mowrer, der William Dodd um Hilfe bat, um eine baldige Ausreise zu vermeiden, zeigte sich enttäuscht, als der Botschafter ihm riet, das Land zu verlassen.573 Aus Dodds Sicht war Mowrer, der vor allem über die brutale Reaktion der Nationalsozialisten auf Ausländer, die nicht den Hitlergruß gaben, Bericht erstattet hatte, ähnlich vehement in seinen Ansichten wie die Nationalsozialisten selbst.574 Vermutlich riet Dodd Mowrer zur Abreise, weil er keinen Präze- denzfall wünschte, bei dem Mowrer potentiell zu Schaden kommen und wofür Dodd verantwortlich gemacht werden konnte. Ministerialdirektor Dieckhoff hatte am 22. August 1933 bei Dodd persönlich um Mithilfe im Fall gebeten, um Mowrers Sicherheit bis zum 1. September gewährleisten zu können.575 Interessanterweise erhielt Mowrer auch aus dem State Department keine Unterstützung, möglicherweise weil er selbst zu den schärfsten Kritikern der konservativen Karrierebeamten in der amerika- nischen Behörde gehörte.576 Wie tragisch und zerstörerisch sich nationalsozialistische Maßnahmen gegen ausländische Korrespondenten und Kritiker auswirkten, zeigt das Beispiel des britischen Korrespondenten Norman Ebbutt der London Times, mit dem Botschafter Dodd in späteren Jahren ein erstaunlich ähnliches Schicksal teilen sollte und der ein Freund der Familie war. Mit seinem enormen Wissen über das Regime galt er lange Zeit nicht nur als

______brennungen sowie die Gleichschaltung von Kunst und Künstlern beteiligt gewesen. Vgl. hierzu auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 73. 573 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 39. Vgl. zum Fall Mowrer die Korrespondenz innerhalb und mit dem State Department FRUS 1933, Vol. II, S. 403-406, sowie Messersmiths Berichte zur Diskriminierung amerikanischer Journalisten aufgrund der deutschen Pressezensur S. 398-402. 574 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 24. Vgl. FRUS 1933, Vol. II, S. 406. Pierrepont Moffat erinnert sich, dass Botschaftsrat Dr. Leitner ihm zugetragen habe, Mowrer habe in kürzester Zeit auch William Dodd in Berlin verärgert. Vgl. zum Fall Mowrer auch HERZER: Auslandskorrespondenten. S. 120-123. 575 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 26. 576 Vgl. WALLANCE: America’s Soul in the Balance. S. 67. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 403-406. Vgl. hierzu auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 73-76.. Vgl. auch LIPSTADT, Deborah E.: Beyond Belief. The American Press and the Coming of the Holocaust 1933-1945. New York, London 1986. S. 278.

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offenster Gegner des nationalsozialistischen Deutschlands, sondern auch als eine Hauptinformationsquelle für das britische Foreign Office, ganz besonders für den Premierminister und Sir Eric Phipps. Laut Martha Dodd geschah es vor allem durch Joachim von Ribbentrops Intervention, dass sowohl Ebbutt als auch später der britische Botschafter in Berlin Sir Eric Phipps ihrer Positionen in Deutschland enthoben wurden. Als progressiver Demokrat war Ebbutt nicht nur in das Fadenkreuz der Nationalsozialisten, sondern angeblich auch der konservativen Mitglieder der britischen Regierung geraten. Als die Nationalsozialisten aufgrund mutmaßlicher Spionagetätigkeiten seine Rückkehr nach England forder- ten, untersagte ihm ebenso sein Arbeitgeber, die Times, jede Unter- stützung. Ebbutt erhielt fortan unbedeutende Stellen bei der Zeitung in London bis er durch einen Schlaganfall gelähmt wurde.577 Kontakt mit dem liberalen Deutschland und der Einfluss auf liberale Politiker, Schriftsteller, Wissenschaftler und andere Bürger, die offiziell nicht von ihren demokratisch-pluralistischen Vorstellungen abrücken wollten, waren für William Dodd – gemäß der präsidentiellen Weisung – besonders wichtig. Viele von ihnen lernte er auf Tochter Marthas Feiern kennen, unter anderem auf ihren „Literaturparties“, die sie seit 1933 ausrichtete. Namhafte Persönlichkeiten wie Ernst Rowohlt und Hans Fallada gehörten zu den Bekanntschaften der Dodds. 578 Die meisten Schriftsteller und Poeten Deutschlands gaben, erinnert sich Martha, bereits kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ein trauriges Bild ab: Arm, unterernährt, nervös und ängstlich präsentierten sie sich auf ihren Literaturfeiern. Obwohl sie sich sehr interessiert an allem, was in der amerikanischen Gesellschaft geschah, zeigten, wirkten sie mental ausgehungert und frustriert ob des Entzugs der freien Meinungsäußerung. Martha nannte sie „gebrochene Seelen”. 579 Nach einigen Versuchen wollte Martha jene geselligen Abende, die sich als alles andere als gesellig herausstellten, nicht mehr veranstalten: „They revealed the avidity of the mentally starved. A few Jewish writers and critics looked uncomfortable and self-conscious. […] In any case, this was the party at which I hoped to hear amusing conversation, some

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577 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 101-105. Vgl. zum Fall Ebbutt auch HERZER: Auslandskorrespondenten. S. 102f. 578 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 81-84. 579 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 86: „broken spirits”.

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exchange of stimulating views, at least conversation on a higher plane than one is accustomed to in diplomatic society. But this party was so full of frustration and misery; of the strain laid upon the last scraps of minds and opinions of any freedom, by the ferreting-out conducted by the Secret Police; of tension, broken spirits, doomed courage or tragic and hated cowardice, that I vowed never to have such a group again in my house”.580 Welchen Eindruck dies auf William Dodd machte ist leicht nach- vollziehbar: Dieser Teil der deutschen Intellektuellen war, ohne Aussicht auf jedwede Veränderung, bereits 1933 erfolgreich mundtot gemacht oder umgehend in eines der Lager oder politischen Gefängnisse deportiert worden.581 Ähnlich schlecht stand es um einen Großteil der alten Universitätseliten. Bei einem Abendessen mit Edgar Mowrer im Juli 1933 bereits bemerkte der amerikanische Botschafter, dass sich Universitätsgelehrte, sofern sie nicht jüdischer Abstammung waren wie der Berliner Professor Otto Hoetzsch, aufgrund ihrer Angst vor Arbeitslosigkeit und Verfolgung bewusst still verhielten. 582 Doch weckten vertrauliche Gespräche mit den liberalen Gelehrten bei William Dodd die geringe Hoffnung, dass diese bald nach Möglichkeiten zur Rückkehr in eine freie Universitäts- welt suchen würden und dazu ermuntert werden konnten.583 Von der- artigen Absichten ermutigt, setzte sich der amerikanische Repräsentant in Berlin deshalb nicht nur mit seiner versteckten Kritik in Reden vor interessiertem deutschen Publikum für den liberalen Geist Deutschlands ein, sondern versuchte auch, ihnen weitere finanzielle Unterstützung aus dem Ausland zu sichern. Auf Anfragen beunruhigter Finanziers von wissenschaftlichen Austauschprogrammen, Stipendien und sonstigen Fördermöglichkeiten wie dem Oberlaender Trust und der Rockefeller ______

580 DODD: Through Embassy Eyes. S. 86. 581 Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 71f. 582 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 16. „So far nearly all university men seem to acquiesce in their own intimidation, but one sees that it is fear of unemployed status rather than a willing surrender”. 583 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 21. Vgl. hiergegen die rasch einsetzende Gleich- schaltung der Bildungsinstitutionen und Wissenschaft in Deutschland wie beschrieben bei TENORTH, H.-Elmar: Bildung und Wissenschaft im „Dritten Reich”. In: BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans-Adolf (Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993. S. 240-255.

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Foundation, die ihre Projekte ob der deutschen Entwicklungen gefährdet sahen, antwortete Dodd, dass dies der beste Zeitpunkt für junge Amerikaner sei, deutsche Verhältnisse und Politik zu studieren,584 bezie- hungsweise dass deutsche Freigeister gerade jetzt im Moment der Bedrohung am dringendsten Unterstützung für ihre Arbeit benötigten.585 Unzählige jüdische Wissenschaftler und Forscher wandten sich an den Demokraten mit der Bitte um Hilfe trotz ihrer nicht amerikanischen Staatsbürgerschaft. So auch der berühmte deutsche Chemiker Fritz Haber, der sich nach den Quotenregelungen für deutsche Staatsbürger, die in die USA emigrieren wollten, erkundigte und dem Dodd zu seinem eigenen tiefen Bedauern aufgrund der strengen Einwanderungsregeln wenig entgegenkommen konnte. 586 Für eine jüdische Professorin in Berlin, die bereits eine Zeit lang im Gefängnis verbracht hatte, setzte sich der Botschafter inoffiziell und mit Hilfe George Messersmiths ein und stellte eine Verbindung zwischen dem Fürsprecher der Professorin, Professor R.G. Harrison der Yale University, und Rudolf Diels her.587 Schon damit lehnte sich der amerikanische Botschafter weit aus dem Fenster. Die Fälle häuften sich hundertfach und bereits im September 1933 gestand er sich nach einem weiteren frustrierenden Gespräch mit dem Sohn eines verfolgten ehemaligen preußischen Justizministers mit jüdischen Vorfahren ein: „I repeated what I had said a hundred times since July 14: I have no authority at all to approach any German official about such a matter”.588

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584 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 18f. 585 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 59f. Während der 1920er und 1930er Jahre herrschte von beiden Staaten ausgehend ein großes Interesse am akademischen und kulturellen Austausch. Nach 1933 setzte sich jedoch nicht nur William Dodd für eine Fortführung des Austausches ein. Für Propaganda- und Forschungszwecke hielt auch die nationalsozialistische Führung an dieser Art der kulturellen Zusammenarbeit fest. Vgl. WALA, Michael: „Gegen eine Vereinzelung Deutschlands“: Deutsche Kulturpolitik und akademischer Austausch mit den Vereinigten Staaten von Amerika in der Zwischen- kriegszeit. In: BERG, Manfred/ GASSERT, Philipp (Hgg.): Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker. Trans- atlantische Historische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 303-315. 586 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 17. 587 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 20. 588 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 39.

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3.2.3.Deutschlandreisen Wie schon als junger Student im kaiserlichen Deutschland unternahm William Edward Dodd auch als Botschafter der Vereinigten Staaten inoffizielle Reisen durch verschiedene Regionen Deutschlands, um sein kulturelles Wissen zu erweitern, nun aber auch, damit seine Familie das Land kennenlernte und bei mancher Gelegenheit mit der Bevölkerung fern der Großstadt ins Gespräch kommen konnte. Bereits im August 1933 fuhren die Dodds mit dem Auto Richtung Süden, unter anderem in die Lutherstadt Wittenberg und Dodds ehemalige Universitätsstadt Leipzig. Die Reise sollte zu einer großen Enttäuschung werden: Für den Botschafter, weil es den Nationalsozialisten gelang, alle kulturellen Errungenschaften von Goethe bis zum Völkerschlachtdenkmal in ihrem Sinne zu ideologisieren und Besucher entsprechend zu beeinflussen;589 aber auch für die Kinder Martha und William – „Bill“ – , die in Begleitung des jungen Hearst-Journalisten Quentin Reynolds weiter nach München reisten. Auf einem Zwischenstopp in Nürnberg gerieten die drei jungen Amerikaner in ein furchtbares Spektakel: Junge Männer misshandelten auf offener Straße eine junge kahlgeschorene Frau, die ein Schild, das sie mit der Aufschrift „I Have Offered Myself to a Jew“590 diffamierte, um den Hals trug. Martha, Bill und Quentin Reynolds entflohen entsetzt der Szene. Martha drängte den Hearst-Reporter, den Vorfall nicht als Zeitungsartikel zu veröffentlichen, um ihren Vater nicht indirekt in die Schlagzeilen zu bringen.591 Aus unersichtlichem Grund gelangte die Geschichte dennoch durch einen anderen Journalisten in die Presse, inklusive der Meldung, dass die Kinder des Botschafters Zeugen der Tat gewesen waren.592 Das Auswärtige Amt entschuldigte den Vorfall im Nachhinein zerknirscht als seltenen, „isolierten Fall von Brutalität“.593 Bereits der halbjährige Aufenthalt 1933 hinterließ tiefe Spuren hinsicht- lich des Deutschlandbildes des amerikanischen Botschafters und seiner Familie. Martha Dodd, die eigentliche Hausherrin und Gastgeberin, wenn

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589 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 22f. 590 DODD: Through Embassy Eyes. S. 28. 591 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 28f. 592 Es bleibt ungeklärt, ob Reynolds den Bericht selbst veröffentlicht hatte. Über diesen Vorfall überwarf er sich jedoch mit Ernst Hanfstaengl. Vgl. CONRADI: Klavierspieler. S. 174f. 593 DODD: Through Embassy Eyes. S. 32.

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es um die soziale Einbindung der Dodds in Berlin ging, geriet nach eigener Aussage, trotz ihrer teilweise fortdauernden Faszination für den Nationalsozialismus, in kürzester Zeit in einen nervösen, fast schon hysterischen Zustand und wurde nachts von Alpträumen geplagt, in denen deutsche Freunde aufgrund ihrer Verbindung mit Diels den Tod fanden.594 Das Gefühl, überall und ohne Unterbrechung abgehört zu werden, lastete schwer auf den Familienmitgliedern, die nie in ihrem Leben zuvor etwas anderes als eine demokratische, pluralistische und freie Gesellschaft erlebt hatten. William Dodd kehrte nach Beschreibung seiner Tochter fast jeden Tag zum Mittagessen nach Hause zurück, sichtlich frustriert über den mangelnden Schutz, den er amerikanischen Bürgern vor der Brutalität der SA-Truppen bieten konnte.595 So zeichnen die Quellen schon unmittelbar nach ihrer Ankunft ein Bild großer seelischer Belastung für William Dodd und seine Familie. Das national- sozialistische Berlin 1933 präsentierte sich der liberalen Familie als schwindelerregende Spirale aus Pomp und Ausschweifungen, einem engen sozialen Netz von Intrigen, Angst, tragischen Schicksalen, offenem und verdecktem Terror, Spionage, Unrechtstaatlichkeit und Gewaltaus- brüchen. In dieser Atmosphäre widmete sich William Dodd seinen zentralen Aufgaben, und zwar als Verhandlungsführer, Berichterstatter und Chef der Botschaft für den demokratischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt und das State Department, die jenseits des Ozeans mit Herausforderungen gänzlich anderer Natur zu kämpfen hatten.

3.3. „A Revelation of the Spirit and Temper of Official Germany596 – and the U.S.”. Dodds Rollen als Botschafter in Berlin 1933

3.3.1. Verhandlungsführer für Roosevelt

Gespräche mit dem Auswärtigen Amt zur Behandlung der jüdischen Bevölkerung und von US-Bürgern in Deutschland

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594 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 54. 595 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 36. 596 Vgl. Dodd an Roosevelt, 12. August 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. „I have no objection to submitting to anything the Germans (except the Jews) submit to; but I cite this as a revelation of the spirit and temper of official Germany”.

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Bereits 1933 führte William Edward Dodd unzählige Gespräche mit dem Auswärtigen Amt, meistens mit dem Außenminister von Neurath und dem Staatssekretär von Bülow 597 , bezüglich der Behandlung amerikanischer Staatsbürger in Deutschland.598 Zunächst ist festzuhalten, dass Dodds Beziehung zu beiden Herren zu Beginn seiner Amtszeit als freundlich und vertrauensvoll zu bezeichnen ist.599 Vielleicht aufgrund jener vertrauensvollen Beziehung besprach Dodd einen der ersten Fälle von Misshandlung amerikanischer Bürger in Deut- schland mit von Bülow. Ein amerikanischer Arzt, Dr. Daniel Mulvihill, hatte an einer großen Berliner Straße nicht gegenüber vorbeimarschie- renden SA-Männern salutiert, woraufhin diese ihn niedergeschlagen und verschleppt hatten. 600 Dies führte zum sofortigen Protest durch Generalkonsul Messersmith.601 In Reaktion hierauf sandte Rudolf Diels, wie in anderen Fällen um Ausgleich bemüht, SA-Gruppenführer Karl Ernst zu Dodd, um sich persönlich zu entschuldigen. Dodd ermahnte den jungen Mann vor allem aufgrund seines schlechten Beispiels für seine Kameraden und sprach Messersmith seine Hoffnung aus, dass der Fall damit erledigt sei. Messersmith, dem solche Fälle bereits mehrfach

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597 Vgl. SCHMIDT-KLÜGMANN: Bernhard Wilhelm von Bülow, Hans Heinrich Dieckhoff, Friedrich Gaus. In: HÜRTER/MAYER: Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. S. 111-129. Vgl. auch KRÜGER/HAHN: Der Loyalitätskonflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow. S. 376-410. Vgl. auch MAYER, Michael: Akteure, Verbrechen und Kontinui- täten. Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Eine Binnendifferenzierung. In: Vierteljahrs- hefte für Zeitgeschichte 59, 4 (2011). S. 509-532. Vgl. zu von Bülows Rolle im Auswärtigen Amt auch SEABURY: Wilhelmstraße. Vor allem S. 52-56. 598 Dodd erhielt hierzu klare Weisung aus dem State Department, vgl. FRUS 1933, Vol. II, S. 385f. 599 Mit Vergnügen sprach Dodd mit von Bülow – einem intellektuell ansprechenden Gesprächspartner – auch über die erschienenen Bücher des Onkels des Staatssekretärs (der ehemalige Reichskanzler von Bülow) über deutsche Politik zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Vgl. Dodd an Bülow, 4. November 1933. PAAA. Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend: Briefe des Herrn Staatssekretärs von Bülow in pol. Angelegenheiten, vom 1. Juni 1932 bis 21. Juni 1936. Band 6, s. Bd. 7. (Best.: R 29470). 600 Vgl. FRUS 1933, Vol. II, S. 386ff. Liste des State Departments über Angriffe gegen amerikanische Staatsbürger in Deutschland März bis August 1933 für Präsident Roosevelt. 601 Vgl. zum Einsatz Konsul Messersmiths und seiner Amtsnachfolger in Berlin bezüglich der Hilfe für jüdische Bürger ZUCKER, Bat-Ami: In Search of Refuge. Jews and US Consuls in Nazi Germany 1933-1941. London, Portland, OR 2001.

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bekannt geworden waren, verneinte entschieden.602 Sicherlich half der Chef der Gestapo, Diels, in jenen Fällen, in denen SA-Männer sich der Übergriffe schuldig gemacht hatten, gerne persönlich, da die Aktivi- täten und Aufgabenbereiche der SA mit seinen in direkter Konkurrenz standen. 603 Der amerikanische Botschafter sah sich gezwungen, von Bülow den Fall nochmals eindringlich zu schildern. Anders als Counselor Gordon, der nach eigenen Angaben als „Persona non grata“ im Auswärtigen Amt, insbesondere bei von Bülow galt604 und Dodd vor möglichen Verzögerungen warnte, wurde der amerikanische Botschafter umgehend empfangen. Von Bülow versprach sehr höflich, die Polizei- direktion zu drängen, dass derartige Übergriffe eingestellt wurden, wies jedoch darauf hin, dass besonders die Feindseligkeiten amerikanischer Juden in den USA die Beziehungen zwischen den beiden Ländern be- lasteten. Der Staatssekretär, der vermutlich Dodds Argwohn gegenüber den vielen marschierenden Uniformierten in Berlin bemerkt hatte, versuchte sogleich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.605 Tatsächlich handelte dieses Gespräch nicht nur vom Fall Mulvihill, sondern auch von zahlreichen erfolgten illegalen Durchsuchungen von Dodds Chevrolet mit Diplomatenkennzeichen durch SA-Männer. Von Bülow berichtete nämlich dem Außenminister, dass sich Dodd hier- über ebenso beschwert hätte, aber „keinerlei Anstoß in der Hoffnung [annähme…], daß sie [die Vorkommnisse] sich nicht zu häufig wieder-

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602 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 26f. Vgl. auch verschiedene Fälle von Interventionen der US-Botschaft Berlin gegen die Misshandlung von Amerikanern, z.B. die Fälle Dakin, Sattler, Wolf und Schüssler im Jahr 1933. Ins Auge fällt die offensichtlich erfolgte Mithilfe der Aufklärung dieser Fälle durch Rudolf Diels. Konsul Geist dankt Ministerialrat Dr. Diels in einem Brief vom 18. Januar 1934 bezüglich des Falles Max Schüssler und der raschen Verurteilung des Täters, SA-Mann Friedel: „Ihre äußerst schnelle und energische Handlungsweise in diesem Falle wird entsprechend gewürdigt, und ich weiß, daß ich hiermit auch die Meinung des Herrn Botschafters zum Ausdruck bringe”. Geist an Diels, 18. Januar 1934. PAAA. Referat Deutschland. Inland II A/B. Akten betreffend: Interventionen: USA (Vereinigte Staaten von Nordamerika) vom 1. Januar 1934 bis 31. Dezember 1936. Band 2. MF 100265-3 und 100265-4. (Best.: R 100265). 603 Vgl. DIELS: Lucifer. S. 213. Für die SA empfand Diels eine persönliche Abneigung und sah ihre Mitglieder und ihre Aktivitäten gegen Anhänger der kommunistischen Partei als direkte Konkurrenz an. Karl Ernst gehörte zu seinen Kontrahenten (S. 219). 604 Vgl. FRUS 1933, Vol. II, S. 444. Gordon beschwerte sich u.a. im Juni 1933 darüber, dass von Bülow ihm wegen angeblicher Arbeitsüberlastung ein Treffen versagt hatte. 605 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 27.

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holten”.606 Dodd wiederum berichtete seinem Präsidenten, erkenntnis- reich sei an dem Fall vor allem die Offenbarung der Einstellung der deutschen Beamten.607 Für die obersten Repräsentanten des Auswärtigen Amtes war offen- sichtlich die Erkenntnis von größter Bedeutung, dass der Botschafter generell kooperierte und selbst dann nicht vehement protestierte, wenn ihm – beispielsweise in Form einer Missachtung der diplomatischen Immunität – Unrecht geschah. Darüber hinaus bestand seinerseits kein Interesse daran, der jüdischen Bevölkerung öffentlich zur Seite zu stehen, solange keine amerikanischen Bürger angegriffen wurden. Ähnliche Inhalte prägten die Gespräche William Dodds mit Reichs- außenminister von Neurath. Mitte September erklärte Dodd eindringlich, dass Fälle wie Mulvihill, aber auch Samuel Brennan Brossard und H.V. Kaltenborn, 608 zwar zu einer Entschuldigung des SA-Gruppenführers, aber sonst zu keinerlei Konsequenzen geführt hätten. Er habe bereits absichtlich einige Fälle der Presse vorenthalten, damit sich die Stimmung in den USA nicht noch mehr aufheize. Der Außenminister zeigte sich besorgt, dass die Vorkommnisse eventuell zu einer Reisewarnung des State Departments führen könnten. Seiner Aussage nach hatte er bereits mit Göring, dem Polizeichef und Ministerpräsidenten Preußens, als auch dem Reichskanzler gesprochen, die eine strikte Durchsetzung des Verbotes derartiger Übergriffe versprachen. Der Minister stellte darüber hinaus fest, dass die kommunistischen Elemente innerhalb der SA die eigentlich renitenten seien. Neurath versprach ein Ende der Übergriffe.609 Bei diesem Treffen wurde auch das Thema des gewalttätigen Vorgehens gegen Juden angesprochen. Hier reagierte von Neurath ausweichend und wies auf angebliche „Juden-Probleme“ in den USA hin. Dodd widersprach vehement und stellte fest, dass öffentliche Äußerungen der national- sozialistischen Führung, dass alle Juden vernichtet werden sollten, in keinster Weise besänftigend auf die Weltöffentlichkeit wirken konnten.

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606 Bülow an Neurath, 23. August 1933. PAAA. Büro Reichsminister, Akten betreffend Vereinigte Staaten von Nordamerika, 3. März 1933 bis 24. Oktober 1935. Band 12. (Best.: R 28498). 607 Vgl. Dodd an Roosevelt, 12. August 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 608 Vgl. FRUS 1933, Vol. II, S. 388f. 609 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 36. Vgl. FRUS 1933, Vol. II, S. 390 und 394f.

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Von Neurath zeigte sich peinlich berührt, versprach aber keine Kon- sequenzen seitens der deutschen Führung.610 Da er den Außenminister argumentativ in die Ecke gedrängt hatte, nutzte der amerikanische Repräsentant in Deutschland die Gelegenheit und schloss das Gespräch mit der Frage, ob es Krieg geben werde. Wie zu erwarten bestritt der Außenminister dies und versuchte, den Botschafter von seiner geplanten Unterstützung der amerikanischen Forderungen auf der Genfer Ab- rüstungskonferenz zu überzeugen. Dodd ging aus der Unterredung mit dem schlechten Gewissen, ob er zu offen gesprochen hatte, obwohl der Tenor des Gespräches mit dem Minister durchweg freundlich geblieben war.611 Interessanterweise gibt von Neurath den Gesprächsverlauf leicht verändert wieder: In seinem Memorandum vom 14. September 1933 erwähnte er, dass Dodd alles tue, „um solche Zwischenfälle nicht an die Öffentlichkeit gelangen und durch Verbreitung in der Presse vergrößern zu lassen”.612 Außerdem habe Dodd versichert – eine unwahrscheinliche Aussage, wenn man Dodds Gesprächsinhalte und Artikulation in allen anderen von ihm wiedergegebenen Gesprächen analysiert und bedenkt, dass der Boykott deutscher Güter in den USA nicht von der jüdisch- gläubigen Bevölkerung ausging – , „daß der jüdische Boykott dank der Bemühungen seiner Freunde in Amerika abflaue bezw. [sic!] ganz aufhöre”.613 Darüber hinaus habe er eingestanden, dass keine Übergriffe auf amerikanische Bürger seit Anfang September stattgefunden hätten.614

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610 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 37. 611 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 37. „Is there to be war? He replied: ‘No, absolutely no.’ “ 612 Memorandum von Neurath (R.M. 1297), 14. September 1933. PAAA. Büro Reichs- minister, Band 12. (Best.: R 28498). 613 Memorandum von Neurath (R.M. 1297), 14. September 1933. PAAA. Büro Reichs- minister, Band 12. (Best.: R 28498). Vgl. auch GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 68. Dodd konnte ein solches Abflauen des Protestes vieler amerikanischer Bürger gegen das nationalsozialistische Regime gar nicht versprechen, der sich seit Anfang 1933 zu einer breiten Protestbewegung ausgeweitet hatte. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 358f. zu Hulls Auseinandersetzung mit dem deutschen Botschafter in Washington zum amerikanischen Boykott. Vgl. auch den Aufruf zum Boykott aller jüdischen Betriebe vom 31. März 1933 in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 168f. Vgl. auch die Forschungsergebnisse in CONZE/ FREI/ HAYES/ ZIMMERMANN: Das Amt und die Vergangenheit. S. 29. 614 Memorandum von Neurath (R.M. 1297), 14. September 1933. PAAA. Büro Reichs- minister, Band 12. (Best.: R 28498). Tatsächlich erwähnt Dodd dies in seinem Tagebuch- eintrag vom 11. Oktober 1933: seit dem 1. September habe es keinen ihm bekannt

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In den Aufzeichnungen des Außenministers erfolgte also keine Erwäh- nung von Dodds Fragen bezüglich eines möglichen Kriegsausbruchs, von seiner Anmerkung über eine direkte Verbindung zwischen der Diskriminierung der deutschen Juden und der antideutschen Haltung in Amerika oder von Neuraths Zusagen bezüglich Genf. Umso frustrierter blieb der amerikanische Botschafter zurück, als er nach einem erneuten Übergriff gegen einen amerikanischen Staatsbürger bei von Neurath Mitte Oktober protestiert und sogar einen Bericht über etwaige Folgen für die Angreifer angefordert hatte. Obgleich er keine durchgreifenden Konsequenzen erwartete, weder von Seiten der national- sozialistischen Führung noch vom Außenminister: „Von Neurath has been strangely evasive on this and even more important international discussions”.615 In Absprache mit dem niederländischen Gesandten Graf von Limburg-Stirum sowie dem spanischen Botschafter zog Dodd in Erwägung, seine Regierung von einer Reisewarnung für amerikanische Bürger zu überzeugen,616 für den Fall, dass sich die SA tatsächlich als so unkontrollierbar erwies, wie von Neurath es darstellte. Für den Niederländer war der Fall eindeutig: Das Auswärtige Amt sei machtlos, Hitler werde keinerlei Einhalt gebieten und selbst der Tod Hindenburgs werde keine Veränderung bringen.617 Von Neurath distanzierte sich vom amerikanischen Botschafter, als Dodd wiederholt um ein Gespräch mit dem Außenminister bat, nachdem seine Anfrage bezüglich der erfolgten Bestrafung für die Angreifer in verschiedenen Fällen ignoriert worden war. Tatsächlich ließ der Reichsaußenminister zweimal den in Aussicht gestellten Termin für ein Treffen verschieben und machte Göring hierfür verantwortlich, der von Neurath angeblich einen Bericht versprochen hatte. Den amerikanischen Botschafter beschlich nach jenem Gespräch das Gefühl, dass Organisation und Verlauf des Treffens mit Neurath in

______gewordenen Fall von Übergriffen auf Amerikaner gegeben: DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 44. 615 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 44. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 395f. Am 15. Oktober erfuhr Dodd von Reichsminister von Neurath, Mulvihils Angreifer sei im August festgenommen und in ein Konzentrationslager gebracht worden. 616 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 44. 617 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 44f. „The Foreign Office has no authority and Hitler gives no orders to the Nazis in such matters. […] [S. 45:] The Minister is very angry but says the present regime is here to stay. He said, ‘Even the death of the Old Man, Hindenburg, would bring no real change.’”

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Zusammenhang mit seiner kritischen Rede vor der American Chamber of Commerce am Vortag stand.618 Der versprochene Bericht erreichte Dodd dann doch am folgenden Tag, demzufolge nur ein einziger von Mulvihills Angreifern in ein Konzentrationslager gebracht worden sei. 619 Nach Dodds Meinung eine „lame conclusion“620 der Vorfälle.

Gespräche mit dem Auswärtigen Amt zu Abrüstung und Völkerbund Neben dieser sehr konkreten, alltäglichen Arbeit zum Wohle amerika- nischer Bürger in Deutschland beschäftigten den neu akkreditieren Botschafter in Berlin vor allen Dingen aber zwei Themen, die den Kern amerikanischer Deutschlandpolitik im Jahr 1933 ausmachten: Die Frage einer allgemeinen Abrüstung und die Lösung der wirtschaft- lichen Katastrophenlage weltweit. Seit den Anfängen der Weimarer Republik war der deutsche Abrüstungsdiskurs in mehreren Parteien und Interessensgruppen davon geprägt gewesen, dass wenn die Alliierten, wie es der Versailler Vertrag in Teil V vorsah, nicht allgemein abrüsten wollten oder konnten, daraus natürlicherweise ein Recht Deutschlands entstünde, entsprechend paritätisch aufzurüsten. Konkrete Pläne für diesen Fall existierten spätestens seit Reichskanzler Brüning, der im Zusammenschluss mit Reichswehrminister Groener und General von Schleicher 1932 eine Neuorganisation der Reichswehr anvisiert hatte.621 Mit dem Beginn der Internationalen Abrüstungskonferenz am 2. Februar 1932 in Genf konnte sich die damalige deutsche Regierung auf die distanzierte Haltung Präsident Herbert Hoovers und seines Außen- ministers Henry L. Stimson zum französischen System der kollektiven Sicherheit stützen, die eine vorsichtige Veränderung des Status Quo in Europa unter Wiedereingliederung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft und unter Zurückdrängen französischer Hegemonial- interessen vorsah.622 Obwohl Frankreich sich unter dem politischen wie

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618 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 47. „I came away fairly, not completely, satisfied, having a lingering suspicion that Hitler had compelled Von Neurath to postpone the interview as a sort of rebuke for my speech of yesterday”. 619 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 47. 620 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 47. 621 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 52f. Vgl. auch LINK, Werner: Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland 1921-32. Düsseldorf 1970. S. 547. 622 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 53. Vgl. auch LINK: Stabilisierungspolitik. S. 489-522. Hoovers Moratorium und seine deutschlandfreundliche Politik hingen mit bestimmten

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wirtschaftlichen Druck Amerikas mit seiner „Fünf-Mächte-Erklärung“ vom 11. Dezember 1932 beugen musste und eine prinzipielle Gleich- berechtigung Deutschlands anerkannte, gerieten die Verhandlungen bis zum Beginn der Zweiten Genfer Abrüstungskonferenz im Februar 1933 ins Stocken.623 Auf Roosevelts eindringlichen Appell an die Regierungs- chefs der Konferenz vom 16. Mai 1933 folgte Hitlers entgegenkommende Rede vom 17. Mai, die die Akzeptanz des britischen MacDonald-Plans, der Raum für Kompromisse ließ, als Grundlage für weitere Verhandlungen durch die deutsche Delegation zur Folge hatte und damit den Gesprächen neues Leben einhauchte.624 Präsident Roosevelt ließ sich wie William Dodd dabei zunächst von der deutschen Kompromissbereitschaft blen- den, denn für Adolf Hitler zählte 1933, wie in allen Jahren davor und danach, die bedingungslose Aufrüstung Deutschlands zu den bedeu- tenden Zwischenzielen einer langfristig angelegten Expansions- und Lebensraumpolitik. 625 Gespräche über die Chancen und Grenzen der

______Abwägungen zur Bedeutung Deutschlands unter Brüning u.a. für amerikanische Finanz- interessen sowie die Abwehr kommunistischer Expansionstendenzen zusammen. Die Beziehungen zu Frankreich konnten hierfür notfalls beschädigt werden, vgl. besonders S. 501f., 504 und 512; Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 314ff. zur Vorgeschichte und Umsetzung des Hoover-Moratoriums. Vgl. auch zum französisch-amerikanischen Ver- hältnis LEFFLER, Melvyn P.: The Elusive Quest. America’s Pursuit of European Stability and French Security, 1919-1933. Chapel Hill, NC, 1979, insbesondere zur Politik Hoovers und den Änderungen unter Roosevelt S. 194-361. 623 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 53. Vgl. auch Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945 (im Folgenden abgekürzt durch ADAP) : Serie C: 30.1.1933-14.11.1937, Band I,1 30. Januar bis 15. Mai 1933. Göttingen 1971 (dieser und alle weiteren verwendeten Bände werden im Folgenden durch diese Formel abgekürzt: ADAP, Serie C, Bd. I,1). Anmerkung der Herausgeber: Rückblick auf die wichtigsten Phasen der Genfer Abrüstungskonferenz 1932-1933 (S. 18f.), v.a. Wortlaut der Fünf-Mächte-Erklärung vom 11. Dezember 1932 (S. 19). 624 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 55 und GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 58. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. I,2, Dok. 246 (S. 445-450). Diese Aufzeichnung ohne Unterschrift vom 17. Mai 1933 enthält Vorschläge für Hitlers Rede als Antwort auf Roosevelt. Siehe auch den Abdruck von Hitlers Rede vor dem Reichstag (S. 446-450). Vgl. COLE: Isolationists. S. 65-69 für Roosevelts und Norman Davis‘ Vorschlag einer allgemeinen Abrüstung. Vgl. Roosevelts Appell vom 16. Mai 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 56. S. 185-191. 625 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 210. Vgl. zu Hitlers Plänen, wie sie sich Ende 1937 in seiner Rede vor verschiedenen Führungskräften offenbarten, die ein Wehrmachtsadjutant, Oberst Hoßbach, in seinem Protokoll festhielt Friedrich Hoßbach, Aufzeichnung (Auszug), vom 10. November 1937, Besprechung in der Reichskanzlei vom 5. November 1937, „Hoßbach-Protokoll“, Dok. 58 in KIESSLING: Quellen zur deutschen

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Genfer Abrüstungskonferenz mit Norman Davis, dem Chefunterhändler der amerikanischen Delegation in Genf, noch vor seiner Abreise nach Deutschland hatten William Dodd motiviert, dieses Thema auch in Berlin im Sinne von Davis‘ Arbeit voranzutreiben. Der amerikanische Botschafter hatte zudem am 13. September 1933 den ausdrücklichen Befehl des Präsidenten erhalten, jeden möglichen Einfluss in Berlin geltend zu machen, damit Frankreich und England Deutschland auf der Konferenz selbstbewusst entgegentraten und im Sinne der Bestimmungen des Versailler Vertrages Farbe bekannten. Das Kernproblem der Diskussion, so der Präsident, sei die Frage der internationalen Inspektionen, doch durch die Einrichtung von Untersuchungskommissionen für sowohl französische als auch deutsche Rüstungsbewegungen könnte dieses gelöst werden.626 Zu jenem Zeitpunkt konnte die amerikanische Administration jedoch nicht ahnen, dass sich der deutsche Verhandlungsführer Rudolf Nadolny entsprechend der Weisungen aus dem Amt seit Frühjahr 1933 entschieden hatte, einen vorzeitigen Abbruch der Verhandlungen in Kauf zu nehmen, um nicht durch eine frühzeitige Einigung die Hegemonialstellung Deutschlands dauerhaft zu verhindern oder Deut- schland als Hauptverursacher des Scheiterns der Konferenz erkennbar werden zu lassen. Die Überwachung einer Vereinbarung durch Völ- kerbundsbeobachter galt es auf alle Fälle zu vermeiden, weshalb die Koppelung der Abrüstungsfrage an den Fortbestand der deutschen Völkerbundsmitgliedschaft zur obersten Prämisse deutscher Außenpolitik avancierte.627 Diese internen deutschen Beschlüsse, die von der nationalsozialistischen Führungsriege genauso getragen wurden wie von den Beamten des Auswärtigen Amtes, blieben dem frisch eingetroffenen amerikanischen Botschafter wie auch dem Delegationsleiter Norman Davis verborgen.628

______Außenpolitik. S. 164-171. Vgl. zu den Hintergründen des Protokolls und Hitlers Entscheidungen auch BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 213ff. 626 Vgl. Roosevelt an Dodd, 13. September 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 627 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 68f. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. I,1, Dok. 20 (S. 42f.). Reichsminister von Neurath wies Nadolny an, dass eine Zwischenlösung, wie sie Davis vorgeschlagen hatte, für Deutschland nicht annehmbar sei. 628 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 70. Vgl. auch DÖSCHER: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. S. 67-77. Dies galt auch für Außenminister Hull, vgl. zu seiner Rolle bezüglich der Abrüstungskonferenz PRATT: Hull. S. 71-106.

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Dodd, der in Kontakt mit dem US-Botschafter in London, Robert Bingham, stand, erhielt von diesem eine weitere Ermutigung, die britische Seite entsprechend zu beeinflussen: Die Frage von Krieg oder Frieden in Europa, so Bingham, werde nämlich essentiell von den amerikanisch- britischen Beziehungen bestimmt. Alles hänge vom Erfolg der Abrüs- tungskonferenz ab, deren Scheitern oder Gelingen maßgeblich durch die deutsche, nicht die französische Haltung entschieden werde. Eine internationale Kommission müsse beaufsichtigen, dass Frankreich mit der parallelen Zusicherung einer Abrüstung auf deutscher Seite abrüste.629 Lord Astor, mit dem Dodd einen ständigen Briefwechsel pflegte, bestä- tigte seinem Freund die Notwendigkeit einer amerikanisch-britischen Kooperation und weitete sie über Europa hinaus auf Fernost und die ganze Welt aus: „I agree entirely with you that the U.S.A. and Britain should cooperate – but I would not limit this cooperation to Central Europe but extend it to the Far East and in fact everywhere where there is conflict and disturbance. I go so far as to say that unless there is genuine cooperation catastrophe seems inevitable. Sentiment in England is ready for a good working understanding”.630 Der Ferne Osten wurde in Gesprächen des Botschafters immer wieder in Bezug mit einer notwendigen amerikanisch-britischen Kooperation und der Abrüstungsfrage gebracht, so auch mit von Neurath631 und Dodds engem Freund und Vertrauten im State Department, Assistant Secretary of State R. Walton Moore.632 Alles Räsonieren und Reflektieren zu den Grenzen und Chancen von genereller Abrüstungspolitik scheiterte am 14. Oktober 1933 am Abzug der deutschen Delegation – ein schwerer Schlag für die Roosevelt- Administration in ihrem ersten Vorstoß internationalistischer Friedens-

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629 Vgl. Bingham an Dodd, 22. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-B. „In my opinion, the question of war or peace in Europe is fundamentally involved in the attitude towards each other of Great Britain and the United States”. 630 Lord Astor an Dodd, 27. August 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-A. 631 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 64. 632 Vgl. Moore an Dodd, 26. Dezember 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-M (2. Mappe „M”).

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politik.633 Eigentlich hätten die Abwägungen der deutschen Regierung den anderen Teilnehmern in Genf nun offensichtlich werden müssen: Die Verhandlungen scheiterten nämlich nicht zu einem Zeitpunkt einer Sackgasse der inhaltlichen Diskussionen, sondern an einem obstruktiven Festhalten an deutschen Maximalforderungen, und dies kurz vor den anberaumten Novemberwahlen in Deutschland, die Hitlers Macht und seine Revisionspolitik ultimativ festigen sollten.634 Doch dieser klare Sieg, den der deutsche Reichskanzler als solchen verbuchen und wenig später nach den Wahlen politisch auskosten konnte, vermochte die beteiligten Protagonisten in Genf und in den Hauptstädten kaum von ihren eigenen internen Auseinandersetzungen über die richtige außenpolitische Linie abzulenken. Interessanterweise stellte nämlich Staatssekretär von Bülow die Beobachtung an, dass William Dodd – statt sich über die deutschen Erwägungen, die zum Austritt aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz geführt hatten, Gedanken zu machen – ohnehin nicht an einen Erfolg von Norman Davis geglaubt hatte und nun selbst die Initiative ergriff.635 So verwundert es nicht, dass William Dodd in Verhandlungen mit Sir Eric Phipps trat, der ihm am 9. Dezember Hitlers von Genf unabhängiges Angebot für Abrüstung vorstellte. Es handelte sich um den gleichen Vorschlag wie im Oktober, allerdings inklusive eines auf zehn Jahre angelegten Nichtangriffspaktes und der Erlaubnis einer internationalen Kommission für Inspektionen auch der SA- und SS-Truppen.636 Voller ______

633 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 55. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. I,2, Dok. 479 (S. 872). Staatssekretär von Bülow erinnert sich in dieser Aufzeichnung vom 4. Oktober 1933 an eine Unterredung mit Hitler und General von Blomberg, dass der britische Konventionsentwurf abzulehnen und das Verlassen der Konferenz nun unmittelbar zu erklären sei. Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 407f. für den Ablauf der Genfer Konferenz aus amerikanischer Sicht. Vgl. auch HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 108. Beamte des State Departments wie Pierrepont Moffat wollten in einer Weiterführung von Konferenzen wie dieser lediglich Verbindlichkeiten, keine Vorteile für Amerika mehr erkennen. Er stellte fest: „[…] [B]y no means [do I] feel that we should take a leading role in fighting for its [the conference’s] survival unless Europe itself wishes its continuance”. 634 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 69f. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. I,2, Dok. 499 (S. 905-909). Hitler schlägt laut Oberregierungsrat Thomsen (Reichskanzlei) am 13./14. Oktober 1933 das gleichzeitige Verlassen von Völkerbund und Abrüstungskonferenz vor und eröffnet seinen Plan zu Reichstagswahlen im November. 635 Vgl. Bülow an Neurath, 23. August 1933. PAAA. Büro Reichsminister. Band 12. (Best.: R 28498). 636 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 63.

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Enthusiasmus wollte Dodd den deutsch-britischen Vorschlag unter- stützen und knüpfte sogar weitere Punkte an. Angesichts der Möglichkeit eines japanischen Angriffes auf die Sowjetunion im folgenden Frühjahr stellte er seinem britischen Kollegen die direkte Frage, ob Britannien im Falle einer amerikanischen Unterstützung für das deutsch-britische Angebot auch moralische Unterstützung für eine amerikanische Opposi- tion gegen japanische Aggressionen bieten würde. Außerdem brachte er an, ob nicht ein britisch-deutsch-französischer Pakt zur Abrüstung erfolgversprechender klang.637 An Roosevelt richtete der amerikanische Botschafter die Bitte, die Sowjetunion nicht zu isolieren, sondern bei Abrüstungsfragen miteinzubeziehen, nicht nur zum Erhalt des Friedens in Fernost, sondern auch um der weiteren Verbreitung des Faschismus entgegenzuwirken.638 Ein breiterer Ansatz internationaler Kooperation sei angesichts der überregionalen Kriegsbedrohung notwendig: „You are the one President since Jefferson who can bring large majority of congressmen into co-operative attitude [… ,] but half the recovery of our broken economic order depends upon international co-operation; all of it will be lost if another great war starts”.639 Mit dieser neuartigen Verbindung der amerikanischen Außenpolitik mit der europäischen Abrüstungspolitik, mit der Fernostpolitik und insbesondere einer antijapanischen Außenpolitik, mit der Anerkennung und Einbindung der Sowjetunion, mit einer dauerhaften Kooperation mit Großbritannien und einer globalen Eindämmungsstrategie gegen den Faschismus war William Dodd allerdings zu weit gegangen. Weder die Administration, noch der Kongress oder die amerikanische Öffentlichkeit waren 1933 bereit für drastische Veränderungen der Außenpolitik und das wusste Franklin Roosevelt. 640 Bei den obersten Beamten des State

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637 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 63. 638 Vgl. Dodd an Roosevelt, 22. Dezember 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-R. „If Russia could co-operate it would greatly influence Far East and also lessen the chances of further spread of Fascist power”. 639 Dodd an Roosevelt, 22. Dezember 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-R. 640 Vgl. auch PHILLIPS, William: Ventures in Diplomacy. Boston, MA, 1953. S. 160f. Under Secretary of State Phillips äußert sich in seinen Memoiren über Gespräche mit Colonel House, in welchen sie beide die amerikafeindliche Haltung der britischen Regierung feststellten und deshalb 1933 eine Kooperation mit dem alten Kolonialmutterland weitgehend ausschlossen.

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Departments konnten angesichts des traditionelleren diplomatischen Ansatzes der Behörde bei den Verhandlungen in Genf Dodds Feder- führung in der bedeutenden Abrüstungsfrage und seine eigenmächtige Variation der US-Außenpolitik keinen Anklang finden.641 So erinnert sich Jay Pierrepont Moffat in seinem Tagebuch, dass ihm Under Secretary Phillips Dodds Telegramm gezeigt hatte, in dem der Botschafter drängte, die Franzosen zur Annahme des Hitler-Vorschlages zu bewegen, weil es das beste sei, was seit seiner Ankunft in Deutschland passiert war. Moffat erinnerte sich an Phillips‘ Reaktion: „Before I arrived, Bill Phillips had telephoned the President who was very much upset over Dodd’s reference to the Orient as he had made a particular point when the Russians were here of doing nothing that would offend Japanese susceptibilities or implying a support of Russia against Japan. […] Bill Phillips then wrote down a number of points and endeavored to get hold of Norman Davis in New York. […] He agreed with our answer but placed the emphasis on getting negotiations away from Dodd and Phipps and directly between Britain and the United States”.642

Gespräche mit dem Auswärtigen Amt zu Handelsbeziehungen und der Schuldenfrage Nicht erst nach den enttäuschenden Ergebnissen der Ersten und Zweiten Genfer Abrüstungskonferenz sowie in Ermangelung weiterer Handlungs- alternativen, sondern spätestens nach dem Rückzug der deutschen Delegation aus Genf unterstützte Präsident Franklin Roosevelt die inter- nationalen Bestrebungen seit 1932, für das Jahr 1933 eine Weltwirt- schaftskonferenz einzuberufen, um im Sinne seiner New Deal-Ziele über ökonomische Zusammenarbeit eine politische Stabilisierung in Europa und Amerika zu erreichen.643 Noch vor Amtsantritt William Dodds in ______

641 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 217f. Dallek kommt zu demselben Schluss. Dodd stellte mit seiner Forderung nach einer amerikanisch-britischen Kooperation in Fernost und Europa zugleich die zentralen außenpolitischen Überzeugungen des Departments in Frage: Nichteinbindung und Passivität. Besonders die Far Eastern Division des State Departments arbeitete auf Hochtouren an einem Plan, jede Provokation Japans zu vermeiden. 642 Moffat Diary, 9./10. Dezember 1933. Roosevelt Library. The Papers of Sumner Welles (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 01, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933. 643 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 56. Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinig- ten Staaten. S. 48-56. Schröder erklärt schlüssig, dass die Initiative der Amerikaner für eine

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Berlin hatte sich die deutsche Reichsregierung unter Adolf Hitler im März 1933 bereit erklärt, an der Londoner Weltwirtschaftskonferenz teilzunehmen, vermutlich auch, um Sorgen der US-Regierung um eine deutsche Autarkiepolitik zu zerstreuen.644 Besonders negativ jedoch ver- lief ein erster Besuch Hjalmar Schachts in Washington, nachdem der Reichsbankpräsident feststellen musste, dass die Amerikaner vor allen Dingen an einer Verbindung der wirtschaftspolitischen Frage mit der- jenigen nach Abrüstung und Judenbehandlung interessiert seien. 645 International setzte der Verlust des gegenseitigen Vertrauens auf beiden Seiten ein Zeichen, als nämlich auf der Weltwirtschaftskonferenz, die am 12. Juni 1933 eröffnet wurde, Secretary of State Cordell Hull von einem Abbau aller Handelshemmnisse sprach, der Leiter der deutschen Delegation Reichsaußenminister von Neurath dagegen nur vom Ziel nationaler Maßnahmenpakete ausging. 646 Als symbolisch für die dia- metral verlaufenden Einstellungen innerhalb Europas und in Amerika kann der erfolglose Ausgang der Konferenz gelten, der nicht maßgeblich durch den deutsch-amerikanischen wirtschaftspolitischen Gegensatz, sondern durch Zerwürfnisse innerhalb der amerikanischen Delegation ausgelöst wurde.647 So verwundert es kaum, dass William Edward Dodd

______Weltwirtschaftskonferenz daraus hervorging, dass eine Wiederherstellung der eigenen Wirtschaftsmacht nur durch dauerhafte ökonomische Kooperation und das friedliche Erschließen neuer Exportmärkte, v.a. in Europa, zu erreichen war. Vgl. auch Roosevelts Einladung an Ramsay MacDonald nach Amerika vom 6. April 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 34. S. 116-ff. Vgl. auch Roosevelts Erklärung, die Wirtschaftskonferenz müsse sich auf größere Angelegenheiten als nur Währungsstabi- lisierung konzentrieren, ebenda. Dokument 87. S. 264ff. 644 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 56f. Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 71-91. 645 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 57; Vgl. auch WEINBERG, Gerhard L.: Schachts Besuch in den USA im Jahre 1933. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 11 (1963). S. 170- 182. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. I,1, Dok. 217 (S. 392), Dok. 233 (S. 418f.), Dok. 222 (S. 399f.); Bd. I,2, Dok. 294 (S. 532-533). Vgl. auch JONAS: The United States and Germany. S. 214. Vgl. auch CLINGAN: The Lives of Hans Luther. S. 115f. Vgl. auch HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 96. 646 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 58. 647 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 58. Vgl. auch Roosevelts „bombshell message“. In The Public Papers and Addresses,Vol. 2, 1933. S. 267-270. Vgl. zu den Abwägungen auf Seiten Roosevelts zu Dollarabwertung oder intensiverem Handel BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 342-344 sowie 399-401.Vgl. auch COLE: Isolationists. S. 51, 54-62 und IRIYE: Globalizing of America. S. 141f. Vgl. auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 57-63.

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auch bezüglich der dritten durch Roosevelt gestellten Aufgabe, die Verbesserung der deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen und Vorbereitung einer Lösung der Schuldenfrage648 jenseits der Weltwirt- schaftskonferenz vor Ort in Berlin, seinen Präsidenten enttäuschen musste. Kompromisslos wand sich das Auswärtige Amt aus jedweder Verantwortung einer Zusage oder gar einem klaren Bekenntnis hinsicht- lich der eigentlichen Zielsetzung der deutschen Wirtschaftspolitik. 649 Kaum eine Form ernsthafter bilateraler Verhandlungen schien Ende 1933 noch möglich, weder für Dodd, noch für das State Department. Präsident Roosevelt hatte sich Anfang August sehr zufrieden gezeigt mit einem Bericht Dodds zu möglichen Lösungsansätzen der Wirtschafts- und Schuldenfrage, basierend auf Gesprächen mit den Deutschen. Über Colonel House ließ er seinem Vertreter in Berlin seine Wertschätzung übermitteln und plante, Dodds Vorschläge offiziell zu machen.650 Noch im Juli 1933 hatte Dodd Hans Luther, den deutschen Botschafter in Washington, vor dessen Rückreise in die USA getroffen, der den Nutzen gesenkter Zölle für die Erholung von Industrie und Wirtschaft in den USA und Deutschland bestätigte. Luther brachte auch die Möglichkeit an, deutschen Arbeitslosen unterentwickelte Gebiete in Brasilien und Afrika für die Besiedelung zu erschließen.651 Besonders beeindruckt zeigte sich der amerikanische Botschafter, dass die deutsche Regierung am 9. Juni ein Transfermoratorium für Zahlungen ausländischer Schulden erklärte, Rückzahlungen amerikanischer Darlehen jedoch nicht eingestellt hatte. Hjalmar Schacht und Staatssekretär von Bülow hatten ihn überzeugt, Deutschland wolle amerikanische Gläubiger nicht diskriminieren oder

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648 Vgl. zur deutschen Schuldenfrage und der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Finanzpolitik bis 1936 BARKAI, Avraham: Nazi Economics. Ideology, Theory, and Policy. Oxford u.a.1990. S. 158-224. Vgl. zur Debatte in den USA zur Frage der Kriegsschulden generell COLE: Isolationists. S. 80-94. 649 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 36-47. Zunächst stand die wirtschaftspolitische Ausrichtung des „Dritten Reiches“ tatsächlich noch nicht fest. Nach einigen Experimenten ging Hitler mit seinen ersten gesetzgeberischen Maßnahmen und dem Vier-Jahres-Plan dazu über, die Einfuhr von Rohstoffen zum Primärziel für eine deutsche Autarkiepolitik zu erklären. 650 Vgl. House an Dodd, 10. August 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (2. Mappe „H”). 651 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 14.

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durch Druck in der Schuldenfrage Handelsvorteile bewirken.652 Im August gab sich William Dodd seinem Präsidenten gegenüber optimistisch: Die deutschen Behörden zeigten sich konzilianter, besonders bezüglich der Pflege einer freundschaftlicheren Einstellung gegenüber den Vereinigten Staaten. Hierfür könne er drei offizielle Entscheidungen der letzten zehn bis zwölf Tage als Beweis heranziehen, die er sich zum einen mit dem generellen Verhalten revolutionärer Bewegungen, sobald sie sich in ihrer Macht stabilisiert hatten, erklärte, zum anderen mit der Tatsache, dass Deutschland steigende Exportzahlen benötigte, um einer Wirtschafts- katastrophe zu entgehen:653 „[T]hey listen and even reverse themselves in some cases”.654 Aus diesem Grund schlug William Dodd eine weitere Weltwirtschaftskonferenz für das kommende Jahr vor, mit den zentralen Elementen reziproker Handelszugeständnisse sowie einer Revision der Einwanderungsbarrieren, um europäischen Arbeitslosen die Ansiedlung in weniger entwickelte Regionen zu ermöglichen. Er versah diese Empfehlung an Roosevelt mit dem Hinweis auf mögliche weitere Erläuterungen durch Hans Luther.655 Jedoch sollte diese optimistische Stimmung auf beiden Seiten des Ozeans nicht lange währen. Im September zeigte sich Reichsaußenminister von Neurath besorgt über die US-amerikanischen Pläne einer Annäherung mit Lateinamerika und die Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft, sollte

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652 Vgl. ADAP, Serie C, Bd. I,1, Dok. 217 (S. 392). Schacht warnte das Auswärtige Amt während seines Besuches in Washington am 9. Mai 1933 eindringlich, das Transfermo- ratorium nicht zu verkünden, da die Stimmung in den USA komplett umgeschlagen sei. Hiermit legte er das richtige Gespür für die äußerst verhaltene Stimmung in der Administration gegenüber diesen unilateralen Schritten Deutschlands an den Tag, wie Dodds positive Reaktion noch Monate später zeigte.Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 199. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. I,2, Dok. 294 (S. 532f.).Vgl. zur Perspektive der amerikanischen Seite auf Schachts Besuch und das Transfer-Moratorium FRUS 1933, Vol. II, S. 439-445. 653 Vgl. Dodd an Roosevelt, 12. August 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 654 Dodd an Roosevelt, 12. August 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. Vgl. auch SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 41-46. Mit steigender Binnenkonjunktur durch erste gesetzgeberische Maßnahmen im Bereich Wirtschaftspolitik war tatsächlich der Export- eifer deutscher Unternehmer gesunken. Dies zeichnete sich bereits 1933 ab und hatte negative Konsequenzen für die deutschen Handelsbilanzen. 655 Vgl. Dodd an Roosevelt, 12. August 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943.

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es keine weitere Wirtschaftskonferenz mit der Aufgabenstellung der Londoner Konferenz geben.656 Nach dem Gespräch hielt von Neurath in seinem Memorandum fest, dass der amerikanische Botschafter ihm versichert habe, dass die „panamerikanische[...] Wirtschaftsfront“657 keine „antieuropäische Kampffront“ 658 bilde, wie es Außenminister Cordell Hull klargestellt haben wollte. Die Lateinamerikapolitik der Amerikaner beunruhigte die deutsche Führung zutiefst und Nachfragen dieser Art zeigen den Grad der Besorgnis, dass Mittel- und Südamerika für deutsche Wirtschaftsambitionen für immer verloren gehen könnten. Im Oktober 1933 warnte Dodd den amerikanischen Außenminister, dass der Balkan, Lateinamerika und die Märkte in Fernost im Fokus der Nationalsozia- listen lägen.659 Umgekehrt versetzte die amerikanische Regierung das Quotensystem in Sorge, das in Europa gegen amerikanische Interessen eingesetzt wurde und gegen das Prinzip der Meistbegünstigung verstieß. William Dodd sah sich deshalb gezwungen, hiergegen auf Weisung des State Departments Ende September bei von Bülow zu protestieren, war doch Jugoslawien ein niedrigerer Zollsatz auf Pflaumenimporte gewährt worden als den USA. Laut Dodd existierte ein sehr viel umfangreicheres und für das amerikanische Außenministerium relevantes Handelsvo- lumen für dieses Lebensmittel als allgemein bekannt war.660 Von Bülow,

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656 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 35f. 657 Memorandum von Neurath, 14. September 1933. PAAA. Büro Reichsminister. Band 12. (Best.: R 28498). 658 Memorandum von Neurath, 14. September 1933. PAAA. Büro Reichsminister. Band 12. (Best.: R 28498). 659 Vgl. Dodd an Hull, 19. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (2. Mappe „H“). Vgl. auch SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 204-208 und 212f. Im Gegensatz zu nationalsozialistischen Zielsetzungen der propagandistischen, machtpolitischen und wirtschaftlichen Durch- dringung Lateinamerikas vollzog sich ab 1933 ein Wechsel von machtpolitisch gelenkter Realpolitik und Dollar Diplomacy der USA in Lateinamerika hin zu einer Good Neighbor Policy, die – vertreten durch Persönlichkeiten wie US-Botschafter und Dodd-Freund Josephus Daniels in Mexiko – ein ernstgemeinter Versuch war, die Beziehungen auf ein neues, freundschaftliches Fundament zu stellen.Vgl. auch SCHRÖDER: Das Dritte Reich, die USA und Lateinamerika. In: FUNKE: Hitler, Deutschland und die Mächte. S. 359f. zu den Beweggründen der nationalsozialistischen Regierung, den Handel mit Lateinamerika zu intensivieren.Vgl. zur Lateinamerikapolitik Hoovers und der Republikanischen Administrationen BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 316-320 und für Roosevelts erste Schritte seiner Lateinamerikapolitik 1933 S. 405f. 660 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 265-283. Dies ist vielleicht deshalb der Fall, weil die bilateralen Begünstigungen einzelner südost-

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von Dodds Protest nicht beeindruckt, legte wenig Kooperations- bereitschaft an den Tag, zumal der niedrigere Satz den Jugoslawen für acht Monate garantiert worden sei und man unkompliziertere Handelsbeziehungen für alle Vertragsparteien im vergangenen Sommer in London hätte erreichen können. Für den Botschafter eine wenig zufriedenstellende Antwort, zumal das Gespräch ihm und den anwe- senden Botschaftsrat Gordon sowie dem First Secretary of the Embassy, Joseph Flack, keinen Hinweis auf die echten Beweggründe hinter der deutschen Handelspolitik gab. 661 In der deutschen Niederschrift des Gespräches heißt es, dass von Bülow den Verstoß gegen das Meist- begünstigungsprinzip von sich gewiesen habe. Die Gewährung eines „egalen Zollkontingents“662 wie im Falle Jugoslawiens sei nicht wider- sprüchlich zu dem Prinzip der Meistbegünstigung. Auf den Vorwurf des amerikanischen Botschafters, dass diese Einschränkung „ein Symptom für eine allgemeine Verringerung des beiderseitigen Handelsvolumens sei”,663 obwohl die Vereinigten Staaten eine Vergrößerung wünschten, habe von Bülow dezidiert geantwortet, „dass eine Festlegung der deutschen Handelspolitik in bestimmter Richtung solange nicht möglich sei, als nicht Pfund und Dollar stabilisiert seien”.664 Der Schlagabtausch über die

______europäischer Länder durch die deutsche Regierung der Startschuss für einen langfristig angelegten wirtschaftspolitischen Ausschluss Amerikas aus dem gesamten Balkan-Donau- Raum waren, der mit dem Vertrag u.a. mit Jugoslawien fiel. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 478-481. Vgl. auch HILLGRUBER: Zerstörung Europas. S. 137-146 zur deutschen Außenpolitik im Donauraum 1930 bis 1939. 661 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 41f. „We came away at 7:30, just as wise or not wise as to German policy as before. But the State Department request had been met in full”. (S. 42). Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 209. Dallek stellt die Behauptung auf, dass Dodd die deutschen Handelsdiskriminierungen gegen die USA angesichts der unfairen amerikanischen Zollbestimmungen und der Abwesenheit der USA im Völkerbund für gerechtfertigt ansah. Die Quellen zu Dodds Verhandlungen mit Neurath und Schacht legen diese Erklärung nicht nahe, denn sie verknüpfen zwei Beobachtungen Dodds, die nicht notwendigerweise verbunden werden sollten: Dodds Einsicht in die teilweise unfaire US-Handelspolitik der 20er Jahre und in die schwierige politische und wirtschaftliche Lage Deutschlands nach dem 1. Weltkrieg. 662 GR Ulrich über von Bülows Empfang von Gordon und Dodd, 29. September 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter, Minist.dir, betreffend: Amerika, vom Sept. 1930 bis Januar 1934. Band 6. (Best.: R 105564). 663 Ulrich über von Bülows Empfang von Gordon und Dodd, 29. September 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter. Band 6. (Best.: R 105564). 664 Ulrich über von Bülows Empfang von Gordon und Dodd, 29. September 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter. Band 6. (Best.: R 105564).

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Stoßrichtung der neuen deutschen Außenwirtschaftspolitik intensivierte sich, als Dodd im Oktober von Neurath vorwarf, dass die Absprachen des deutsch-jugoslawischen Abkommens gegen Paragraph 2 und 4 des Artikels VII des Deutsch-Amerikanischen Handelsvertrages von 1923 ver- stießen. Darüber hinaus nehme die amerikanische Regierung zunehmend eine deutsche Haltung wahr, die keine Tür für sinnvolle Diskussionen beider Seiten bezüglich dieses Problems von vitalem Interesse für aktive Handelsbeziehungen offenhalte.665 Der deutsche Außenminister spielte den Ball – mit großer zeitlicher Verzögerung – in einem fünfseitigen Brief zurück: Für ihn handelte es sich nicht um ein Einfuhr- sondern ein Zollkontingent, welches nicht gegen den Handelsvertrag verstoße. 666 Überhaupt habe sich die Lage geändert und deutsche Waren seien von prohibitiven Zollerhöhungen von amerikanischer Seite betroffen, die weit über die Bedeutung des Handelsvolumens von Pflaumen hinausgehe.667 Er stellte den Vorwurf in den Raum, dass ganz im Gegenteil die amerikanische Regierung keine offenen Zollverhandlungen zulasse,668 was aber Deutschland dennoch nicht in die Richtung bewertet habe, „dass dadurch die herzlichen und freundschaftlichen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Staaten berührt werden”.669 Die deutsche Regierung, insbesondere die nationalsozialistische Führung, wollte sich keinesfalls vom Autarkiekurs eines ökonomischen Nationalismus, der sich gegen Ende 1933 auch auf spezielle Transferarrangements mit den Niederlanden und der Schweiz ausweitete,670 durch amerikanische Freihandelsforde-

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665 Vgl. Dodd an Neurath, 10. Oktober 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter. Band 6. (Best.: R 105564). 666 Vgl. Neurath an Dodd, 1. Dezember 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter. Band 6. (Best.: R 105564). 667 Vgl. Neurath an Dodd, 1. Dezember 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter. Band 6. (Best.: R 105564). 668 Vgl. Neurath an Dodd, 1. Dezember 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter. Band 6. (Best.: R 105564). 669 Neurath an Dodd, 1. Dezember 1933. PAAA. Ha.Pol Handakten Ritter. Band 6. (Best.: R 105564). 670 Vgl. ADAP, Serie C, Bd. II,1, Dok. 151 (S. 273-276). Das Reichsbankdirektorium unter Führung Schachts hatte Reichswirtschaftsminister Schmitt (Kurt Schmitt trat am 27. Juni 1933 Alfred Hugenbergs Nachfolge als Wirtschaftsminister an) am 27. Dezember 1933 entsprechend gewarnt, dass Transfer-Sonderverträge mit den Niederlanden und der Schweiz Probleme bei der Lösung der Schuldenfrage, zu welcher nur die USA entscheidend beitragen konnten, verursachen würden. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 454ff. Dodd berichtete am 25. Oktober, das Auswärtige Amt verweigere die Übergabe einer

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rungen abbringen lassen, konnte aber in jenem Jahr zumindest rhetorisch die bisherige amerikanische Zoll- und Währungspolitik zum Sündenbock des Scheiterns der Zollverhandlungen machen und damit von eigenen langfristigen Zielsetzungen ablenken. Umgekehrt argumentierte der Botschafter in Hinblick auf den amerikanischen Boykott in den USA gegen deutsche Güter, dass die anhaltende Judenverfolgung durch das nationalsozialistische Regime sowie die brutalen Überfälle auf amerikanische Staatsbürger ein Ende des Boykotts unwahrscheinlich machten.671 Gegen Ende des Jahres eskalierte der bis dahin weitgehend sachlich diskutierte Konflikt. Als die deutsche Regierung am 18. Dezember verkündete, die deutschen Schuldenzahlungen an Amerika von einem reduzierten Wert von 75% auf 65% weiter zu senken, waren es die Beamten des State Departments, die den amerikanischen Botschafter in Berlin zu schärfstem Protest anhielten.672 Nach dem Scheitern in London befanden sich die deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen Ende 1933, das hatte William Dodd nun auch vor Ort in Berlin für den amerikanischen Präsidenten in Erfahrung bringen können, in einer generellen Blockadesituation durch ein Konglomerat prinzipieller Differenzen, die jedoch noch nicht in eine großpolitische Erscheinung traten, weil die deutsche Seite weiterhin den Anschein aufrecht erhielt, an einer Kontinuität ihrer früheren (Außen-)Wirtschaftspolitik festzu- halten.673 Prinzipiell an einer Verbesserung der Beziehungen interessiert,

______Abschrift des deutsch-schweizerischen Abkommens an alle diplomatischen Vertretungen, auch die amerikanische Botschaft. Vgl. auch S. 457f. Vgl. auch CLINGAN: The Lives of Hans Luther. S. 116f. 671 Dies galt als sicher, obwohl Institutionen wie das Board of Trade for German-American Commerce im Oktober den Druck auf Roosevelt und Hull erhöhten. Vgl. Board of Trade for German-American Commerce, Inc. an Roosevelt, 18. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 6 Commerce, Customs Administration, Commercial Relations, Treaties and Conventions, Commercial and Trade Agreements). File 611.6212/20, sowie: Board of Trade for German-American Commerce, Inc. an Hull, 19. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 6). File 611.6212/17. 672 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 220f. 673 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 86-91. Anhand Raymond Moleys Eingreifen auf der Konferenz musste Cordell Hull erkennen, „daß Roosevelt im Juni nicht mehr gewillt war, im Kongreß eine Generalvollmacht für Zollsenkungen durchzu- setzen, um andere gesetzgeberische Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur nicht zu gefährden”.

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riet der amerikanische Botschafter Cordell Hull deshalb dazu, zwar in neue handelspolitische Verhandlungen mit Deutschland zu treten, diese jedoch von einem ganzen Katalog amerikanischer Forderungen abhängig zu machen, um finanz- und wirtschaftspolitische Tricks der deutschen Führung in ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik zu verhindern.674 Die Diskussionen und Vorfälle von Juli bis Dezember 1933 hatten dem Botschafter und der Administration in Washington einige Aspekte der unmittelbaren Konsequenzen nationalsozialistischer Zielsetzungen offenbart. Kühner als in der Frage der Behandlung amerikanischer Staatsbürger und der jüdischen Bevölkerung ging die deutsche Führung in kleineren und konkreten handelspolitischen Aspekten und Nachfragen auf Konfrontationskurs und hatte jeden Protest mit Hinweis auf angeb- liches Fehlverhalten der anderen Parteien abgeschmettert, während man sich auf den großen Konferenzen wie in London konziliant gab. Damit konnte Franklin Roosevelt sich mit Dodds Hilfe selbst durch „marginale“ Auseinandersetzungen über das Freihandelsprinzip ein klareres Bild von deutschen Interessenslagen und nationalsozialistischen Methoden machen, die erst in den Folgejahren in vollem Ausmaß ans Tageslicht befördert werden sollten.675

3.3.2.Berichterstatter für Roosevelt und das State Department Die Berichte, die William Dodd als Botschafter an Präsident Roosevelt, Außenminister Hull und das State Department in Form von offiziellen Depeschen und persönlichen Briefen sandte, hatten im Jahr 1933 676

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674 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 223f. 675 Vgl. JUNKER: Kampf um die Weltmacht. S. 18f. Für Junker steht fest, dass Roosevelt und Hitler bereits 1933 mit dem Scheitern der Abrüstungs- und Weltwirtschaftskonferenz die deutsch-amerikanische Kooperation aktiv beendet hatten. 676 Vgl. den Überblick der Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland unter nationalsozialistischer Herrschaft für das Jahr 1933 in BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 90-103. Vgl. auch PLUM, Günter: Übernahme und Sicherung der Macht 1933/34. In: BROSZAT, Martin/ FREI, Norbert (Hgg.): PLOETZ. Das Dritte Reich. Ursprünge, Ereignisse, Wirkungen. Herausgegeben in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte, München. Freiburg, Würzburg 1983. S. 28-44. Vgl. zu den außenpolitischen Schritten des NS- Regimes 1933 HILDEBRAND: Kalkül oder Dogma? S. 30-37. Vgl. zur Außenpolitik des „Dritten Reiches“ 1933 WEINBERG: The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Bd. 1. S. 25-129, 133-148 und 159-172. Vgl. auch FEST: Hitler. Für die Zeit der „Machtergreifung“ und das Jahr 1933 v.a. S. 533-618. Vgl. zur Aufbauphase des Regimes WEHLER: Nationalsozialismus. S. 52-91, Wehler bezieht den „Röhm-Putsch“ ebenfalls in diese Stabilisierungsphase mit

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klare Themenschwerpunkte: die Veränderungen der staatsbürgerlichen Rechte in Deutschland und die nationalsozialistische Gesetzgebung; die Behandlung von politischen Gefangenen und der jüdischen Bevölkerung; Entwicklungen innerhalb der nationalsozialistischen Führung; und die gesellschaftliche und politische Gleichschaltung sowie die November- wahlen.677 In den ersten Berichten im Juli 1933 standen Beobachtungen zu der sich ändernden Rechtslage sowie der neuen Gesetzgebung der nationalsozia- listischen Regierung im Mittelpunkt.678 Die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung als deutsche Staatsbürger zweiter Klasse bedeutete für William Dodd einen Rückschritt in „mittelalterliche“ Verhältnisse. Die rassistische Unterteilung von Bürgern desselben Staates in verschiedene Kategorien widersprach seiner Meinung nach dem geradezu sakrosankten demokratischen Prinzip der Gleichheit aller Menschen. 679 Außerdem berichtete der Botschafter von der Modifizierung des Reichswehrgesetzes von 1921, nach dem die Hitler unmittelbar verantwortlichen Staathalter im

______ein. Vgl. auch FREI: Führerstaat. S. 43-96. Frei spricht von der eigentlich konsolidierten Phase als etabliertem Regime ab 1935 (S. 96f.). 677 In diesem Kapitel erfolgt die Analyse einer Auswahl der bedeutendsten Depeschen, Telegramme und Briefe Dodd an das State Department sowie Roosevelt und einige Kabinettsmitglieder und weitere Korrespondenzen aus den Akten der National Archives and Records Administration II, College Park, MD. Vgl. in Ergänzung zu den Akten der National Archives II für Dodds Depeschen von Juli bis Dezember 1933 auch FRUS 1933, Vol. II, S. 248-270, u.a. S. 277-280, S. 301f., S. 305-312, S. 388-398, S. 404f., S. 412f., S. 416f., S. 445-448, S. 450-460, S. 463-468, S. 479-483. 678 Vgl. hierzu auch GRUCHMANN, Lothar: Rechtssystem und nationalsozialistische Justizpolitik. In: BROSZAT, Martin/ MÖLLER, Horst (Hgg.): Das Dritte Reich. Herrschafts- struktur und Geschichte. Vorträge aus dem Institut für Zeitgeschichte. München 1983. S. 83-103. Gruchmann kommt zu dem Schluss, dass die deutsche Justiz „qualitativ [kursiv im Original] zum Instrument des Unrechtsstaats geworden war”. (S. 102). Vgl. auch ANGERMUND, Ralph: „Recht ist, was dem Volke nutzt”. Zum Niedergang von Recht und Justiz im Dritten Reich. In: BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans- Adolf (Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993. S. 57-75. 679 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 18), 21. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.012/62. „[T]he effect of the contemplated citizenship law would be to reduce the German Jews, as Germans of ‘alien’ blood in the eyes of the Nazis, to the position of ignominy to which they were subjected during the Middle Ages”. Vgl. auch Dodd an Secretary of State, 12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./ 141.

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Falle eines Notstands die Reichswehr zur Hilfe rufen konnten680 sowie vom neuen Volksentscheidsgesetz, dank dessen die nationalsozialistische Regierung Volksreferenden einberufen konnte.681 Die bedrückende Lage mangelnder Rechtssicherheit im nationalsozialistischen Staat spiegelte sich in der Zahl der politischen Gefangenen wider, von denen sich laut der ausländischen Presse mittlerweile einhunderttausend in Konzentrations- lagern befänden. Dies dürfte als eine realistische Zahl ob der seit dem Reichstagsbrand andauernden Säuberungswelle gelten, wenngleich die offiziellen deutschen Zahlen stark divergierten.682 Unter dramatischen Haftbedingungen würden die Häftlinge sogar von ihren Bewachern zu Fluchtversuchen ermutigt, die eine kompromisslose Erschießung des Flüchtigen zur Folge hatten. 683 Oft würden Familienmitglieder von Emigranten oder von flüchtigen ehemaligen Regierungs- und Reichstags- mitgliedern wie Philipp Scheidemann an ihrer statt als Geiseln in Konzentrationslagern festgehalten.684 In Württemberg, dem Zentrum des Widerstandes der Länder gegen die Gleichschaltung, sei die größte Zahl politischer Häftlinge lokalisierbar.685

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680 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99 P.R./140 GC. 681 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. 682 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. Die deutschen Zahlen beliefen sich auf angebliche 18.000. Vgl. Hierzu BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 93. Die „Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe” vom 21. März 1933 ermöglichte die Inhaftierung von Bürgern bereits nach mündlich geäußerter Kritik am Regime. Hierauf folgte ein sehr rascher Ausbau der Konzentrationslager, bis Ende Oktober 1933 circa 100.000 Inhaftierungen. 683 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. Außerdem hatte Hermann Göring das Strafvollzugsgesetz geändert und die Haftbedingungen weiter verschärft. Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 66), 12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 B./316. Und: Dodd an Secretary of State (Report No. 36), 12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./141. 684 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. 685 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. Vgl. auch Dodd an Secretary of State (Report No. 36), 12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./141. Zur Opposition in Württemberg gehörten Liberale, aber auch Nationalisten, Kriegsveteranen und Armeeoffiziere. Vgl. auch Dodd an Secretary of State (Report No. 36),

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Der Widerstand der Bevölkerung in vielen Regionen Deutschlands hing dabei auch mit der Tatsache zusammen, dass im Widerspruch zu den Darstellungen der Nationalsozialisten die Arbeitslosenzahlen nicht dramatisch gesunken waren: Eine „invisible army“686 von Arbeitslosen, hierunter auch Nationalsozialisten der alten Garde, suchte aufgrund der schleppenden Wirtschaftsleistung dringend Arbeit.687 Hitlers Autobahn- bauprojekt, der propagierte Coup der Nationalsozialisten in Hinblick auf arbeitsbeschaffende Maßnahmen, habe laut Dodd nicht einmal begonnen, stecke zudem in großen Finanzierungs- und Organisationsschwierig- keiten und könne derzeit kaum mehr als 13.000 Männern Arbeit bieten.688 Während der amerikanische Botschafter seinem Außenminister gegen- über ein sehr düsteres Bild zeichnete, zog er doch Ende Juli vor dem Präsidenten ein optimistischeres Fazit: „It is impossible as yet to say whether the new regime here is going to take a more liberal or a more ruthless direction”.689 Von Neurath und Luther hätten ihm versichert, dass ein moderaterer Kurs auch aus Sorge um die amerikanischen Reaktionen auf die Judenverfolgungen angestrebt werde.690 Noch wollte William Dodd also an die Ehrenhaftigkeit des deutschen Außenministers, dass Besserung in Sicht sei und Hitler positiv beeinflusst werden könnte, glauben, obwohl die reale Lage in Deutschland für ihn ersichtlich in eine andere Entwicklungsrichtung deutete.691

______12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./141. Zur Opposition in Württemberg gehörten Liberale, aber auch Nationalisten, Kriegsveteranen und Armeeoffiziere. Vgl. auch BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 95. Am 31. März war ein vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich erlassen worden. Vgl. das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933 in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 166ff. Das Zweite Gesetz folgte am 7. April 1933 vgl. hierzu HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 174f. 686 Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. 687 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. 688 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. 689 Dodd an Roosevelt, 30. Juli 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 690 Vgl. Dodd an Roosevelt, 30. Juli 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 691 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 200.

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Vielleicht rührte dieser anhaltende vorsichtige Optimismus auch von Dodds herzlichem Empfang durch Reichspräsident Hindenburg, der großes Interesse an Präsident Roosevelts Politik zeigte und seine Sympathie für die amerikanischen Friedensbemühungen ausdrückte.692 Bemerkenswert war die Tatsache, dass von Hindenburg auf der großen Jubiläumsfeier zur Tannenbergschlacht nicht die nationalsozialistischen, sondern die hohenzollernschen Verdienste ohne jede Erwähnung des „Dritten Reiches“ in den Vordergrund gestellt hatte.693 Viele US-Bürger bemängelten in langen Briefen an den Botschafter, dass dieser selbst in seiner Rede vor Hindenburg am 30. August entsprechend hätte einen Schritt weitergehen und das Regime direkt kritisieren sollen.694 Dodd wurde so der Eindruck vermittelt, dass seitens der amerikanischen Mitbürger eine standhafte demokratische Position ihres diplomatischen Vertreters in Deutschland erwünscht war und dass diese Taktik in Kombination mit dem Druck „liberaler“ deutscher Bürger und Eliten das Regime letztlich auf moderatere Wege zwingen konnte. Für Dodd maßgeblich war die Tatsache, dass ohne namhaften Widerstand durch die alten und liberalen Eliten die innenpolitischen Maßnahmen bald nicht mehr auf Deutschland alleine beschränkt bleiben könnten. Der Nationalsozialismus gelte anders als Mussolinis Faschismus der national- sozialistischen Führung als Exportprodukt:695 Ähnlich den marxistisch- leninistischen Vorstellungen von einer proletarischen Weltrevolution verlautbarten unter anderem Hitler und Goebbels die Mission des Natio- nalsozialismus, die nationalsozialistische Macht zunächst im deutschen Staat zu verewigen und danach die Revolution in Deutschland zu einer

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692 Vgl. Dodd an Roosevelt, 1. September 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 693 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 108), 28. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./142. 694 Hierzu zählten mehrere Briefe, die Dodd von US-Bürgern wie dem New Yorker John Bass erhielt: Vgl. John Bass an Dodd, 1. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-B. „The newspaper quotes you as saying that the American people entertain now a feeling of sympathetic friendship for the German people. I, as an American citizen and a large taxpayer, would like to tell you however, that in so doing you did not express my personal feelings [also not of millions of other Americans…] who are outraged by the barbaric and medieval measures taken by the German Government”. 695 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 36), 12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./141. „Mussolini once said that Italian Fascism is not an article of export. Nazi leaders contend that Hitlerism is capable of export”.

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europäischen und anschließenden Weltrevolution weiterzuentwickeln.696 Obwohl der Botschafter selbst Parteiveranstaltungen fernblieb, war er gut über die Ziele der Partei informiert und schloss folglich: „Brown Imperialism is doubtless a factor to be reckoned with”.697 Eine Chance für den Widerstand ergebe sich, so hatte es Dodd erkannt, daraus, dass die nationalsozialistischen Revolutionäre keine homogene Gruppe bildeten. Erste Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP zeigten sich ob der neu erlassenen Vorschriften zum sozialen Verhalten und öffentlichen Auftreten deutscher Frauen, gegen die SA-Chef Ernst Röhm, selbst unter vorgehaltener Hand bekannt für seine homosexuellen Neigungen, protestiert hatte.698 Nach Meinung William Dodds war das Schicksal Deutschlands somit noch nicht besiegelt. Der Journalist Karl von Wiegand hatte ihm Hinweise auf den Inhalt des bereits existierenden Hindenburg-Testaments gegeben, in dem der alte Präsident das parlamentarische System sowie einen Teil der Herrschaftsgewalt der Hohenzollern wiederherzustellen wünschte.699 Darüber hinaus hatte sich der Reichspräsident erfolgreich für von Neuraths Verbleib in seinem Amt als Reichsaußenminister eingesetzt.700 Zu den größten Gefahren für eine moderatere Entwicklung Deutschlands und die zielführende Fortsetzung der Abrüstungsverhandlungen gehörten die Maßnahmen von Joseph

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696 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 36), 12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./141. „Many Nazis believe that the present changed order in Germany will result in a world revolution, just as Lenin and Trotzky believed in a world proletarian revolution”. 697 Dodd an Secretary of State (Report No. 36), 12. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./141. 698 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 172), 29. September 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./144. Röhm „who has acquired considerable notoriety because of his homosexual proclivities”. Zur SA und der von ihr auf Hitler ausgehenden Gefahr (kontrolliert durch Goebbels, wie Dodd annahm) vgl. Dodd an Norman Davis, 27. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-D (2. Mappe „D“).„[H]e [Goebbels] controls the ‘s.a.’ [sic!] 600,000 uniformed men […] who threaten Hitler himself”. 699 Vgl. Dodd Bericht, 29. August 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-D. 700 Vgl. Dodd an Norman Davis, 27. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-D (2. Mappe „D“). Erste Gerüchte um von Neuraths drohender Entlassung vernahm Dodd im Juli, vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 14.

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Goebbels und seinem Propagandaministerium, warnte Dodd den US- Unterhändler in Genf Norman Davis.701 In Bezug auf die Genfer Konferenz revidierte William Dodd wenig später sein Urteil in Hinblick auf Goebbels Aktivitäten. Die Schuld am deutschen Rückzug aus der Genfer Abrüstungskonferenz im Oktober 1933 traf vielmehr die deutsche Rüstungsindustrie: Fritz Thyssen hatte laut Dodds Informationsquellen seinen Einfluss hierauf selbst zugegeben. 702 Das Ende der deutschen Teilnahme am Abrüstungsregime bedeutete für den Botschafter den größten Schock seit seiner Ankunft und galt ihm als Indiz seines Misserfolgs: „Now I am here, sixty-four years old, and engaged ten to fifteen hours a day! Getting nowhere. Yet, if I resigned, that fact would complicate matters”,703 vertraute er seinem Freund Colonel House an. Dodd hatte zuvor Norman Davis vergeblich über die Stimmungslage in Deutschland sowie den Hintergrund der deutschen Vertreter in Genf informiert, um ihn auf die komplexen Zusammenhänge der deutschen Innen- und Außenpolitik aufmerksam zu machen.704 Insbesondere der doppelte Rückzug aus Genf und dem Völkerbund war nach Dodds Meinung nicht zwingend notwendig gewesen, zumal immerhin eine kleine Minderheit im deutschen Kabinett den Rückzug aus Genf, aber eine fortgesetzte Mitgliedschaft im Völkerbund präferiert hatte.705 Letzten Endes spielte dieser Doppelschlag Hitler für den Ausgang seiner Novemberwahlen in die Hände. Der Reichskanzler betonte auf seiner „Wahlkampf“-Rede im Berliner Sportpalast am 24. Oktober die Not- wendigkeit der Entscheidung, sich aus Genf zurückzuziehen, um den

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701 Dodd an Norman Davis, 27. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-D (2. Mappe „D“). 702 Vgl. Dodd an Roosevelt, 28. Oktober 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. S. 1. Dodd hat dies von Senator Robert J. Bulkley aus Ohio erfahren, welcher einen niederländischen Freund zitierte, der mit Thyssen diniert hatte. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 51. 703 Dodd an Colonel House, 31. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (2. Mappe „H“). 704Vgl. Dodd an Colonel House, 31. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (2. Mappe „H“). 705 Vgl. Dodd an Hull, 19. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (2. Mappe „H“).

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„Unterdrückern“ Deutschlands eine undurchlässige Front entgegenzu- setzen.706 Überhaupt galten diese Wahlen in Form eines Volksentscheids ohne Opposition707 und mit absehbarem Wahlausgang als Farce.708 In diesem Zusammenhang stand nach Dodds Interpretation auch die zeitgleiche Erweiterung der Konzentrationslager, einem administrativ gelenkten Mittel politischer Repression außerhalb der Gerichtsbarkeit, weshalb die im „Wahlkampf“ versprochene Amnestie letztlich nur für die wenigen vor Sondergerichten verhandelten Fälle wirksam werden konnte. 709 Angesichts der Tatsache, dass Hermann Göring trotz der Gerüchte um ein Zerwürfnis mit Hitler am Wahlkampf tatkräftig teilnahm, 710 Dr. Hugenberg mit seiner großen nationalkonservativen Anhängerschaft die Kampagne der Nationalsozialisten direkt unter- stützte711 und das liberale und intellektuelle Bürgertum stillhielt,712 war weder innere noch äußere Opposition von bedeutungsvollem Ausmaß zu erwarten. Um dennoch den restlichen Widerstand in der Bevölkerung niederzuzwingen, stellten am Wahltag, dem 12. November 1933,713 SA und Anhänger des Stahlhelms714 die Abgabe der Wahlzettel gewaltsam sicher, wie US-Generalkonsul Simmons dem amerikanischen Botschafter von

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706 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 225), 26. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./146. Vgl. Hitlers Rede in DOMARUS, Max: Hitler, Reden und Proklamationen 1932-1945, kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen. I. Band Triumph (1932-1938). Würzburg 1962. S. 323f. 707 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 209), 16. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./145. Der Reichsinnenminister hatte die Neubildung von Parteien bereits verboten. 708 Vgl. Dodd an Roosevelt, 28. Oktober 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „I am hoping against hope. The election here is a farce”. 709 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 225), 26. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./146. 710 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 225), 26. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./146. 711 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 225), 26. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./146. 712 Vgl. Dodd an Roosevelt, 28. Oktober 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. 713 Vgl. zu den Wahlergebnissen BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 103. 714 Arbeitsminister Franz Seldtes Stahlhelm wurde von Hitler am 1./2. Juli 1933 der obersten SA-Führung unterstellt. Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 100.

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Köln aus bestätigt hatte.715 Deshalb verzeichneten Botschafter Dodd und sein neuer Counselor of the Embassy, John Campbell White, nach den Wahlen im November und Dezember eine weitere Konsolidierungsphase des Regimes. Selbst der geringste Protest in der Bevölkerung bezüglich der Wahlen wurde mit ungewöhnlich langen Gefängnisstrafen geahndet und die Repressionen gegen alle übrigen „Gegner“ wie Schriftsteller, politische Oppositionelle und andere angebliche „Vaterlandsverräter“ wurden verschärft.716 Die einzige organisierte Opposition bestand aus der „Vereinigung christ- lich-deutscher Bürger nicht-arischer Abstammung”, die ursprünglich das nationalsozialistische Regime unterstützt hatte und angeblich bis zu drei Millionen Staatsbürger als Mitglieder zählte. Offen protestierte die Vereinigung gegen den „Arierparagraphen“ und seine Konsequenzen für einen Großteil ihrer Anhänger.717 Auch in Kirchenangelegenheiten regte sich weiterhin ein Widerstand gegen die Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten. Als Folge von Kirchenwahlen hatten die „Deutschen Christen“ nun zwar die fast vollständige Kontrolle der Evangelischen Kirche und planten die Wahl des Pfarrers Müller zum Reichsbischof.718 ______

715 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 292), 24. November 1933. NARA. State Department. Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 4. File 862.00/3158 GC. 716 Vgl. John Campbell White an Secretary of State (Report No. 270), 16. November 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./147. 717 Vgl. John Campbell White an Secretary of State (Report No. 270), 16. November 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./147. Vgl. zum „Arierparagraphen”, eigentlich „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 96. Vgl. auch den Wortlaut des Gesetzes in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 176ff. 718 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 35), 28. Juli 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.99. P.R./140 GC. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 301f. und 305ff. zur Lage der Evangelischen Kirche, S. 303f. und 308-312 der Evangelischen und der Katholischen Kirche in Deutschland. Vgl. die Einschätzung des Nutzens des Konkordates mit dem Vatikan durch die nationalsozialistische Regierung Dok. 15, Reichskabinett, Protokoll (Auszug) vom 14. Juli 1933 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 58ff. Das Reichskonkordat war am 20. Juli 1933 mit dem Vatikan abgeschlossen worden, vgl. hierzu BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 101 und ausführlich VOLK, Ludwig: Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung vom 10. September 1933. Mainz 1972. Vgl. den Wortlaut des Reichskonkordats in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 193-204.Vgl. zum „Kirchenkampf“, die Gesamtheit der Auseinandersetzungen zwischen katholischer und evangelische Kirche mit dem nationalsozialistischen Regime, u.a. CONWAY, John S.: Die

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Doch weil sich die Auseinandersetzung zwischen den „Deutschen Christen“ und den anderen innerkirchlichen Gruppen innerhalb der protestantischen Kirchen bedeutend zuspitzte, hatte Hitler persönlich aus machtpolitischer Kalkulation jedwede offizielle Intervention von außen verboten. 719 Vor einer intensivierten politisch-administrativen Gleichschaltung machten die Nationalsozialisten jedoch keinen Halt mehr. Der amerikanische Botschafter erörterte in seinem letzten Bericht vor Weihnachten 1933 die geplante Territorialreform, die mit ihrer Einführung von Statthaltern und der Auflösung der Landtage die deutschen Länder endgültig zerschlagen sollte. 720 Die Loyalität der Beamten und der Angehörigen der Reichswehr wurde bereits seit

______nationalsozialistische Kirchenpolitik 1933-1945. Ihre Ziele, Widersprüche und Fehlschläge. München 1969. Vgl. auch ERICKSEN, Robert P.: Complicity in the Holocaust. Churches and Universities in Nazi Germany. Cambridge, MA, u.a. 2012; Vgl. auch GRUBER, Hubert: Katholische Kirche und Nationalsozialismus, 1930-1945. Ein Bericht in Quellen. Paderborn u.a. 2006 mit einer Sammlung relevanter Quellen zum Verhältnis der Katholischen Kirche zum Nationalsozialismus; Vgl. hier auch SPICER, Kevin P.: „Tu ich unrecht, … ein guter Priester und ein guter Nationalsozialist zu sein?“ Zum Verhältnis zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus. In: GAILUS, Manfred/ NOLZEN, Armin (Hgg.): Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus. Göttingen 2011. S. 66-95. Vgl. im Gesamtüberblick GAILUS, Manfred/ NOLZEN, Armin (Hgg.): Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. Glaube, Konfession und Religion im National- sozialismus. Göttingen 2011. Hierin zur Rolle der deutschen Protestanten insbesondere GAILUS, Manfred: Keine gute Performance. Die deutschen Protestanten im „Dritten Reich”. In: GAILUS, Manfred/ NOLZEN, Armin (Hgg.): Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus. Göttingen 2011. S. 96-121. Vgl. außerdem, vor allem bezüglich Dodds positivem Kirchenbild, auch Darstellungen wie GAILUS, Manfred: Kirchliche Amtshilfe: Die Kirche und die Judenverfolgung im „Dritten Reich”. Göttingen 2008 und GRIECH-POLELLE, Beth A.: Der Nationalsozialismus und das Konzept der „politischen Religion”. In: GAILUS, Manfred/ NOLZEN, Armin (Hgg.): Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus. Göttingen 2011. S. 204-226. 719 Vgl. John Campbell White an Secretary of State (Report No. 312), 4. Dezember 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./148. Vgl. zur Gründung des„Pfarrernotbundes” am 11. September 1933 und dem Beginn des evangelischen Kirchenkampfes BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 101. 720 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 382), 23. Dezember 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.01/106. Vgl. hierzu BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 96. Am 7. April 1933 war das „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder” mit dem Reich erlassen worden. (Vgl. nochmal HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 174f.) In den Folgemonaten erfolgte die Annahme in den Länderparlamenten, am 8. Juni auch in Württemberg.

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Dezember nur noch mit einem Amtsschwur auf Volk und Vaterland statt auf die Verfassung vereidigt.721 Adolf Hitler, Hermann Göring und Joseph Goebbels spielten 1933 in William Dodds Berichten die zentrale Rolle für die ungebremste Umsetzung nationalsozialistischer Ziele trotz vereinzelter Widerstände. Für den amerikanischen Präsidenten Roosevelt muss Dodds Charakte- risierung des „Triumvirates“ von Hitler, Goebbels und Göring, drei laut Dodd „unerfahrenen, äußerst dogmatischen Persönlichkeiten mit krimi- neller Vergangenheit”, 722 von besonderer Bedeutung für das bessere Verständnis der deutschen Lage gewesen sein. So wurde Joseph Goebbels als „past master“723 der Rhetorik bezeichnet, der die Stimmung aufheizte und alle Medien in einen einzigen parteigesteuerten Propagandaapparat gezwungen hatte. 724 „He is far cleverer than Hitler, much more belligerent, and, I am told, always refuses to have contacts with foreigners”.725 Herman Göring dagegen repräsentierte in Dodds Sicht- weise das aristokratische und preußische Element, dessen Anhänger er im Sinne des Regimes mobilisieren und sich dabei auf die Geschäftswelt und die Industriellen stützen konnte.726 Der „romantisierende, halbin- formierte Mussolini-Nachahmer“ Hitler sei zwar kriegsbegeistert, doch könnten seine Aussagen zu seinem Friedens- und Verhandlungswunsch

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721 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 347), 13. Dezember 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.011/27. Vgl. auch SIROIS: Illusion und Krieg. S. 72. 722 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. November 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. Vgl. zu Biographie und Persönlichkeit Hitlers die großen Werke wie FEST: Hitler. Vgl. zu Hitlers Persönlichkeit S. 697-741. Vgl. auch die beiden herausragenden Bände von Ian Kershaw: KERSHAW, Ian: Hitler. 1889-1936: Hubris. London u.a. 2001 und KERSHAW, Ian: Hitler. 1936-1945: Nemesis. London u.a. 2001. 723 Dodd an Roosevelt, 27. November 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. 724 Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 268f. 725 Dodd an Roosevelt, 27. November 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. 726 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. November 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35.

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mit Frankreich ernst genommen werden, obschon die generelle Vor- stellung einer gewaltsamen Bezwingung Europas durch Deutschland stets zu seinen außenpolitischen Zielen gehören werde.727 Ein maßgeblicher Teil von Dodds Hitlerbild wurde durch sein persönliches Treffen mit dem Reichskanzler am 17. Oktober, das er insgesamt als sehr unangenehm empfand, geprägt.728 Thematisch befassten sich der Diktator und der Botschafter in jenem Deutschsprachigen Gespräch in Anwesenheit von Hans Thomsen und Konstantin von Neurath mit der Frage der gewaltsamen Diskriminierung von Amerikanern in Deutschland729 sowie mit den Forderungen amerikanischer Gläubiger. Auch hier erhielt der amerikanische Botschafter die üblichen Antworten und Versprechen, die er bereits durch von Neurath und Schacht in Erfahrung gebracht hatte.730 Auf die spezifische Frage, warum Deutschland sich aus dem Völkerbund zurückgezogen hatte, antwortete Hitler lediglich mit verbalen Angriffen auf das Versailler System und auf dessen angebliche Ungerechtigkeit gegen Deutschland. Zwar versicherte Hitler, im Falle von Zwischenfällen an der französischen, österreichischen oder polnischen Grenze werde er nicht mit Krieg antworten, er schloss aber nicht aus, dass das deutsche Volk zu einer geringeren Friedfertigkeit neigen und sich damit durchsetzen könnte. Fünfundvierzig Minuten genügten, um den amerikanischen Botschafter von Hitlers Kriegsbereitschaft und seinem übersteigerten Selbstbewusstsein zu überzeugen.731 Dennoch regte sich bei Dodd die kleine Hoffnung, dass versöhnliche Vorschläge zur

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727 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. November 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. „He is romantic- minded, half-informed […and was] for a number of years a strict imitator of Mussolini. […] His influence is and has been wholly belligerent. The last six or eight months he has made many, many announcements of peaceful purpose, and at the time being, and [sic!] I think he is perfectly sincere and is consequently willing to negotiate with France. However, in the back of his mind is the old German idea of dominating Europe through warfare”. 728 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 38. Dodd wollte daheim kaum über das Treffen sprechen, klang niedergeschlagen, „very reserved and curiously quiet”. 729 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 38. „The assaults on Americans were getting so violent and so numerous that my father had finally to protest to Hitler himself”. 730 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 49. Der Reichskanzler versicherte Dodd, dass per Dekret jeder Angriff auf amerikanische Bürger hart bestraft werden würde. Vgl. auch DODD: Through Embassy Eyes. S. 39. Laut Martha gab es tatsächlich keine weiteren Zwischenfälle von Angriffen auf Amerikaner nach dem Interview. 731 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 50.

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deutschen Situation seitens Europas oder Amerikas auf offene Ohren stoßen könnten.732 Insgesamt ergibt sich ein durchaus widersprüchliches Hitlerbild des amerikanischen Botschafters für das Jahr 1933. William Dodd blieb höchst skeptisch und erkannte die Persönlichkeit Hitlers und das Ausmaß nationalsozialistischer Gewalt- und Terrorbereitschaft, aber zumindest in außenpolitischen Fragen glaubte er, dass mit einer etwas versöhnlicheren Haltung aller Seiten, vor allem seitens Frankreichs, möglicher Schaden abgewendet werden und der deutschen Anti-Versailles-Rhetorik der Wind aus den Segeln genommen werden konnte. Hitler schien zumindest in einigen wenigen Punkten verhandlungsbereit – eine anfängliche Fehl- einschätzung des Botschafters, die viele Zeitgenossen bis zum Ausbruch des Krieges teilten. Franklin Roosevelt lobte in für ihn typischen knappen Antworten seinen Botschafter das gesamte Jahr über für seine hervorragende, informative Berichterstattung und seine kritische Haltung und Offenheit: „I am glad you have been frank with certain people. I think that is a good thing”.733 Der amerikanische Präsident bat seinen Repräsentanten stets um weitere Informationen, die er offensichtlich für wertvoll und aufschlussreich hielt.734 Es ist anzunehmen, dass Roosevelt wusste beziehungsweise durch die Berichte Dodds und anderer Diplomaten wie George Messersmith erkannt hatte, dass durch Verhandlungen in verschiedenen Punkten mit den Nationalsozialisten nicht viel zu erreichen war. Größere Verhand- lungserfolge hätten entsprechend enorme Einsätze erfordert, über die der Präsident 1933 angesichts der innenpolitischen Lage nicht verfügte oder verfügen wollte. Der Sohn des ehemaligen Präsidenten Teddy Roosevelt, Theodore Roosevelt, schrieb Dodd in einem herzlichen Brief von seiner

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732 Vgl. Dodd an Lord Astor, 18. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-A. 733 Roosevelt an Dodd, 13. November 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-R. Vgl. Roosevelt an Dodd, 9. November 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. Im November lobte der Präsident Dodd überschwänglich: „Your loyal and intelligent cooperation with us in Washington has made these recent months of our association a source of great satisfaction and encouragement to me in this important period of our country’s development”. 734 Vgl. Roosevelt an Dodd, 14. August 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. „Let me have any news”.

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eigenen Begeisterung und der Zustimmung des aktuellen Präsidenten für Dodds politische und administrative Arbeit in Berlin.735 Laut Colonel House war der Botschafter für die Administration in Washington „the right man in the right place”.736 House warf allerdings ein, dass sich im State Department Unmut gegen Dodd regte, weil er der Behörde angeblich nicht ausreichend umfangreiche Informationen zukommen ließ. 737 Diese Aussage verwundert insbesondere angesichts der Fülle und des inhaltlichen Umfangs der Berichte, Depeschen und sonstigen Korrespondenz in den Primärquellen, die der Botschafter alleine im Jahr 1933 an das State Department versandt hatte.738 House beruhigte Dodd sogleich und versicherte ihm nicht nur Roosevelts überdurchschnittliche Zufriedenheit, sondern auch Handelsminister Dan Ropers,739 nicht ohne dessen wachsenden Einfluss auf den Präsidenten zu erwähnen: „It was delightful to hear the President say that he was pleased beyond measure with the work you are doing in Berlin. […] I had talks with most of the members of the Cabinet, and with our mutual friend Dan Roper in particular. He, of course, feels toward you as the President and I do. There is no one higher in the President’s confidence than Dan and his influence grows day by day”.740

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735 Vgl. Theodore Roosevelt an Dodd , 16. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-R. „The day after my return I went to Washington and told the President himself just what I felt about you, your administration, and the problems which you had been facing. He was very sympathetic and agreed that you had handled it in absolutely correct fashion”. 736 Colonel House an Dodd , 26. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). „It is a joy to hear such complimentary reports of your work in Berlin. Everyone seems to feel that you are the right man in the right place”. 737 Vgl. Colonel House an Dodd , 21. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). „I spent some time at the State Department. In the strictest confidence, they did not speak of you with the same enthusiasm as the President. I insisted on something concrete and all that I could get was that you did not keep them well informed. I am telling you this so you may be guided in the future”. 738 Vgl. Dodds Berichte in FRUS 1933, Vol. II. 739 Vgl. hierzu auch Daniel C. Roper an Dodd, 17. August 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. 740 Colonel House an Dodd , 21. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”).

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Es scheint, dass die Episode um den amerikanischen Richtungsstreit bezüglich der Abrüstungsverhandlungen, Dodds progressive Haltung, seine zunehmende Kritik und in einem der nächsten Kapitel Erwähnung findenden Verbesserungsvorschläge für den diplomatischen Dienst und den Konsularservice einige Funktionäre im State Department unruhig werden ließ. Colonel House hatte hiermit seinen Freund gewarnt und sollte ihn weiterhin über interne Entwicklungen in der Administration und den Behörden informieren.

3.3.3.Dodds erweiterte Rolle als US-amerikanischer Repräsentant in Deutschland

Reden und kritische Äußerungen Die skeptische Haltung im State Department gegenüber William Edward Dodd hing mit seiner eigenen, unkonventionellen Interpretation seiner Rolle als US-amerikanischem Repräsentanten in Deutschland zusammen. Sein Verhalten war dabei nicht untypisch für viele amerikanische Botschafter, die als politische Besetzungen durch den Präsidenten ihre Karriere nicht zuvor innerhalb des Departments gemacht hatten. 741 Präsident Roosevelt, der mit Dodd einen progressiv-liberalen Demokraten als Vertreter in Berlin ernannt hatte, hatte ihn zu einer unkonventionellen Herangehensweise an sein Amt mit einem Fokus auf eine Annäherung an das liberale Bürgertum in Deutschland durchaus motiviert. Für Dodd bezog sich die Erfüllung des präsidentiellen Wunsches auf drei Aufga- benbereiche: Zum ersten musste er als Repräsentant einer Demokratie die Vorzüge eines freiheitlich-demokratischen Systems auch öffentlich vertreten,742 was in der Konsequenz unausweichlich Kritik am national- sozialistischen System bedeutete. Zum zweiten lehnte es William Dodd als demokratischer Vertreter ab, auf reinen Partei- und Propaganda- veranstaltungen zu erscheinen. Dies betraf ganz besonders die Nürnber- ger Reichsparteitage der NSDAP, deren propagandistische Inszenierung alle anderen nationalsozialistischen Spektakel in den Schatten stellte. Und zum dritten sah sich der Botschafter bereits 1933 gezwungen, im ______

741 Hierzu gehörten zahlreiche Botschafter, die für Roosevelt ab 1933 die Vereinigten Staaten von Amerika repräsentierten, z.B. Josephus Daniels in Mexiko, Claude Bowers in Spanien, Breckinridge Long in Italien und weitere. 742 Vgl. Dodd an Phillips, 17. November 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/60. S. 2.

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Sinne einer freien Meinungsäußerung und der strikten Aufrechterhaltung der diplomatischen Immunität gegen das Öffnen seiner Briefe sowie Abhörattacken durch die deutschen Behörden auf das Schärfste zu protestieren. Seiner ersten Aufgabe wandte sich William Dodd im Oktober 1933 zu, nachdem er gegenüber der Friedensnobelpreisträgerin Jane Addams festgestellt hatte: „The masses of intellectual Germany are very uneasy, and, if I am any judge at all of environmental evidence, silences and indirect statements, they are opposed to all this belligerency – especially the withdrawal from the League of Nations. The minority is once more in the saddle as before 1914 when, by a curious balloting system, the military-economic masters ruled. […] but 65,000,000 people governed by two or three millions is to me a social crime”.743 Für den amerikanischen Botschafter stellte sich folglich der National- sozialismus nie als deutsche Massenbewegung dar, sondern als unrecht- mäßige Herrschaft, als „soziales Verbrechen“ einer Minorität gegen die Mehrheit der Bevölkerung – ein Topos der amerikanischen liberalen Politik seit der Gründerväterzeit und Inbegriff einer ungerechten und unrechtmäßigen (Gewalt-) Herrschaft. Entsprechend seiner Auffassung von einer „Erziehbarkeit“ der Bürger im Rousseauschen744 und progressiven Reformsinn glaubte der Botschafter die deutschen Bürger, insbesondere die liberalen und intellektuellen unter ihnen, durch öffentliche Auftritte über die politischen Missstände und die dramatischen Folgen ihrer Untätigkeit und Unmündigkeit aufzuklären.745 Auch die akademischen Eliten Deutschlands selbst hätten

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743 Dodd an Jane Addams, 16. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-A. 744 Vgl. Kapitel 2. 745 Vgl. Dodd an Hull, 4. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/56. „On the subject of the lectures, […] [t]he President told me that he thought these contacts with intellectual Germany would be about the best approaches to the body of people”. Siehe auch: Dodd an Hull , 4.Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. „My understanding of the President’s conversation before I accepted and after, of which I have record, was that my best service was apt to be in the form of occasional lectures in German before university groups. My conviction is now stronger than when I talked with him”.

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ihn um diesen Gefallen gebeten, versicherte der Botschafter seinem vorgesetzten Außenminister.746 Cordell Hull genehmigte Dodds Rede- tätigkeit, allerdings mit der Auflage, keine Vergütungen für seine Auf- tritte entgegenzunehmen.747 Im Anschluss an seine Ansprache vor dem American Club Berlin sandte Dodd dem Secretary of State eine Zusammenfassung der wichtigsten inhaltlichen Punkte zu.748 In jener Rede kann in der Tat noch wenig versteckte Kritik am spezifisch national- sozialistischen oder generell totalitären System identifiziert werden. William Dodd hatte im Hotel Esplanade am 5. Oktober zum Thema „The Dilemma of the United States“ gesprochen. In einer enthusiastischen Darstellung der USA als Sonderfall unter den Industrienationen schilderte Dodd die Geschichte einer sich ausdehnenden Westgrenze des Landes, die für Jahrzehnte den Wohlstand der Nation gesichert hatte. Mit dem Ende dieser Expansion im Sinne Frederick Turners749 sowie aufgrund der einwanderungsfeindlichen Interessen organisierter Arbeit und der Profitgier der Geschäftswelt sei nunmehr dieses Wohlstandswachstum ausgebremst worden. 750 Nachdem Woodrow Wilson mit seiner Idee eines „cooperative economic life“ 751 an der Opposition, sprich den amerikanischen Isolationisten, gescheitert war, vermochte Franklin Roosevelt nun in Ausdehnung seiner präsidentiellen Exekutivmacht zum

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746 Vgl. Dodd an Hull , 4.Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. 747 Vgl. Hull an Dodd, 5.Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (2. Mappe „H”). „From your report it would seem that you have handled this conversation [mit von Neurath] exceedingly well and have presented certain viewpoints with the frankness which is certainly warranted in the circumstances. I am sorry to have felt obliged to reply as I did to your inquiry in regard to the lectures at the University of Munich. But after careful consideration it seemed to me wise to forego remuneration in order to avoid any possible criticism”. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 204f. Dallek stellt die Beobachtung an, dass Dodd Hulls Antwort als Beweis auslegte, dass er unter dem Einfluss einiger Karrierediplomaten und Beamten im State Department stand. 748 Vgl. Dodd an Hull (Despatch No. 186), 6. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/53. 749 Vgl. zu Turners progressiver Philosophie einer fortschreitenden Westexpansion der USA HOFSTADTER: The Progressive Historians. S. 47-164. 750 Vgl. Dodd an Hull (Despatch No. 186), 6. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/53. 751 Dodd an Hull (Despatch No. 186), 6. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/53.

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Wohle der Union in einer „kriegsähnlichen“752 Situation, die Wirtschaft neu zu ordnen und diese mit dem Vorschlag eines internationalen Freihandels auf ein stabile Basis zu stellen, ohne eine Revolution zu entfachen: „[T]he cause of democracy and personal liberty may survive the onslaughts of our times”.753 Sicherlich konnte die nationalsozialis- tische Führung Gründe finden, eine solche Rede als Propaganda im Sinne der amerikanischen Krisenpolitik auszulegen. Doch nur bei sehr genauer Lektüre der Ansprache drängen sich Lesarten auf, die einen propagandistischen Diskurs offenlegen könnten: Der New Deal bekomme die Wirtschaftskrise ohne (nationalsozialistische) Revolution unter Kon- trolle; Ein internationaler Freihandel und eine kooperative Wirtschaft machten eine Autarkiepolitik obsolet; Die Einwanderung motivierter Arbeiter aus aller Welt stand diametral gegen die Auffassung einer Lebensraum- und Volksgemeinschaftsidee. Die legale Erweiterung der Exekutivmacht innerhalb des demokratischen Systems wurde einer illegalen Errichtung eines neuen Systems gegenübergestellt. Ungeachtet dieser genauen Interpretation galt Dodds Priorität bei seinem Auftritt vor dem American Club, sprich der amerikanischen Gemeinde in Berlin,754 die verfassungsrechtliche Diskussion in Amerika um die Erweiterung der präsidentiellen Macht im Rahmen einer progressiven Argumentation anzuregen. Anders verhielt es sich mit der Rede des amerikanischen Botschafters vor der American Chamber of Commerce in Berlin am 12. Oktober. Counselor Gordon hatte laut Dodd die Rede Korrektur gelesen und jeden Satz gebilligt. Unter den Zuhörern saßen auch Dr. Schacht, Vertreter des Auswärtigen Amtes, Joseph Goebbels‘ Mitarbeiter aus dem Propaganda- ministerium sowie zahlreiche Journalisten. Dodd konnte bereits vor

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752 Dodd an Hull (Despatch No. 186), 6. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/53. „Might men interpret the events of March 1933 as warlike? In the chaotic situation, with banks closing their doors everywhere, President Roosevelt acted as if he were in a state of war”. 753 Dodd an Hull (Despatch No. 186), 6. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/53. „It was not revolution as men are prone to say. It was a popular expansion of governmental powers beyond all constitutional grants; and nearly all men everywhere hope the President [Roosevelt] may succeed. […] the cause of democracy and personal liberty may survive the onslaughts of our times”. 754 Zum Ablauf der Abendveranstaltung, bei welcher auch das Auswärtige Amt repräsentiert durch Dr. Fuehr anwesend war, vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 43.

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Beginn seiner Rede eine unangenehme Spannung im Raum wahrneh- men. 755 Auch den Inhalt jenes Vortrages mit dem Titel „Economic Nationalism“ übersandte Dodd seinem Vorgesetzten, dem Außenminis- ter, in voller Länge.756 In einer historischen Vergleichsstudie erzählte der Botschafter von Episoden der römischen Geschichte, als egoistische Gruppeninteressen den gesamten Staat an den Rand der Katastrophe gebracht hatten.757 Für die Darstellung der Nachteile von ökonomischem Nationalismus, ausgeführt von schlecht ausgebildeten Staatsmännern758 nach autokratischer Methode759, wählte der Professor Beispiele aus der spanischen, englischen, französischen und amerikanischen Geschichte.760 Spektakulär schloss der Botschafter seine Ausführungen mit den folgen- den Worten, die zum Verbot der Veröffentlichung der vollständigen Ansprache in den deutschen Medien durch Joseph Goebbels führten:761 „In conclusion one may say safely that it would be no sin if statesmen learned enough of history to realize that no system which implies control of society by privilege seekers has ever ended in any other way than collapse. The wisest of all American statesmen insisted all his life that the way to develop the ideal social order was to leave every man the utmost freedom of initiative and action and always to forbid any man or group of men to profiteer at the expense of others. […] [I]f western civilization is to survive, they [statesmen of today] must find a way to avoid the crime and the terrific disasters of war; they must learn how to develop in a friendly spirit the resources of undeveloped regions of the world; they must lower, not raise, the barriers against the migration of surplus populations”.762

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755 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 46. 756 Vgl. Dodd an Hull (Despatch No. 205), 13. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/51. 757 Vgl. Dodd an Hull (Despatch No. 205), 13. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/51. 758 Vgl. Dodd an Hull (Despatch No. 205), 13. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/51. „Half-educated statesmen today swing violently away from the ideal purpose of the first Gracchus”. 759 Vgl. Dodd an Hull (Despatch No. 205), 13. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/51. „[…] economic nationalism, applied by autocratic methods”. 760 Vgl. Dodd an Hull (Despatch No. 205), 13. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/51. 761 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 47. 762 Dodd an Hull (Despatch No. 205), 13. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/51.

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Zweifelsohne hatte sich der amerikanische Botschafter auch ohne die Nennung bestimmter Regierungen oder Personen gegen die Herrschaft einer Clique, die eingeschränkte Handlungsfreiheit und Meinungsäuße- rung des Bürgers, gegen Krieg als Mittel zur Durchsetzung außen- politischer Ziele, gegen die politische und wirtschaftliche Ausbeutung anderer Regionen und für eine liberale Einwanderungsgesetzgebung ausgesprochen. Diese Äußerungen fielen mit einem Zeitpunkt zusammen als die Nationalsozialisten damit begonnen hatten, Staatsbürger zu unterdrücken, sie in ihren Freiheiten zu beschränken, sie zu verfolgen und mit dem sogenannten „Arierparagraphen“ die Zahl der (vollen) Staatsbürger drastisch zu reduzieren. Alle Punkte in Dodds Rede spiegelten einen Widerspruch zum Programm der NSDAP, zu Hitlers selbstgesteckten Zielen und Äußerungen sowie zur Realität der deutschen Außen- wie Innenpolitik seit der „Machtergreifung“ wider. Die leitenden Beamten des State Departments konnten die Bedeutung dieser Rede für die Nationalsozialisten korrekt einordnen: „Versed in the intricate gamesmanship of international relations, American foreign-service professionals fully appreciated the calculated insult. Washington officials were livid with Dodd, but to their consternation Roosevelt was amused”.763 Obwohl viele der anwesenden deutschen Zuhörer auch aus den Behörden Dodds Ansprache Beifall zollten und positive Resonanz zusicherten,764 bemerkte der amerikanische Botschafter im Gespräch mit von Neurath am folgenden Tag eine Veränderung im Verhalten des deutschen Außenministers.765 In Kombination mit seinem Fernbleiben vom Reichs- parteitag, mit seinen Protesten gegen die Übergriffe auf amerikanische Bürger und mit seinem Einsatz für faire Handelsbeziehungen bewirkte

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763 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 153. 764 Vgl. Dodd an Jane Addams, 16.Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-A. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 46f. Vgl. auch Dodd an Hull, 19.Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). Der Direktor der Deutschen Disconto Bank habe Dodd sogar angerufen: „Silent, but anxious Germany […] is entirely with you”. 765 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 47.

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die Rede vom 12. Oktober einen eindeutig wahrnehmbaren Umschwung der Stimmung der deutschen Führung.766 Für Resonanz sorgte die Rede auch in den US-amerikanischen Medien. Der amerikanische Botschafter hatte, so der Chicago Tribune, Diktaturen direkt angegriffen und Krieg und Chaos vorhergesagt. Im Zentrum seiner Kritik stünde der Wirtschaftsnationalismus.767 Für die Newark Evening News musste der Botschafter klar nach Anweisung des State Departments gehandelt haben, zumal seine Worte der politischen Philosophie der Roosevelt-Administration entsprächen. William Dodd erscheine als per- fekt geeigneter Vertreter der neuen Regierung, um die weltpolitische Lage in die richtige Perspektive zu setzen. 768 Bemerkenswerterweise handelte Dodd als Botschafter nach Meinung vieler Vertreter der US- Medien im Interesse der liberalen amerikanischen Regierung und ihren Zielsetzungen und überschritt somit nicht, wie es ihm später von Seiten des State Department und den konservativen Medienkreisen vorgewor- fen wurde, seine Befugnisse als Vertreter der USA in Deutschland. Dabei ging William Dodd vorsichtig vor und versuchte höflich von konser- vativeren Karrierediplomaten wie Under Secretary Phillips durch einen offenen Informationsaustausch ihre Zustimmung und Rückendeckung zu gewinnen. William Phillips zeigte sich hiervon wenig beeindruckt. Er verwehrte in dieser Angelegenheit und im Bezug auf die Reichspartei- tagseinladung letztlich durch seine Unverbindlichkeit seine Unter- stützung.769 Durch stark verzögerte – und deshalb für Dodd oft wenig

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766 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 48. „It is evident some dislike of me is arising here now in official circles. I believe it is simply Nazi opposition. My refusal to go to Nürnberg was the beginning. […] The pressure for ceasing street beatings and fair commercial treatment and now my speech of October 12 begin to look critical to them”. 767 Vgl. Chicago Tribune vom 12. Oktober 1933. „Dodd Denounces Dictatorship in Berlin Talk. Envoy Sees More War and Chaos Unless Leaders Learn”. 768 Vgl. Newark Evening News vom 17. Oktober 1933. „[P]robably he is the best equipped member of the administration to set the present state of world affairs in its proper perspective”. 769 Vgl. Dodd an Phillips, 17. November 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/60. „My opinion is that a representative of the United States in Berlin should on proper occasion indicate, without possible local offense, what the matured views and convictions of his countrymen are. […] I do not mean that any man in my position should speak often or venture to discuss current issues, unless invited to do so by a representative of the Government to which he is accredited (as I have been). […] You need not become uneasy; but I would be glad to have your frank, personal view”.

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nützliche – Antworten machte William Phillips den Botschafter darauf aufmerksam, dass sich eine im Gastland als Kritik auslegbare Tätigkeit im Sinne der eigenen (progressiven) Gesinnung einem Repräsentanten der USA nicht geziemte.770 Kritisch äußerte sich die sogenannte Hearst-Presse, um deren Roosevelt- feindlichen Einfluss auf die amerikanische öffentliche Meinung sich Dodd generell sorgte und deren negative Kommentare zu seinen Äußerungen den Botschafter zu einer Stellungnahme gegenüber Roosevelt bewegten. Dodd schrieb dem amerikanischen Präsidenten, dass er nie mehr Zustimmung, allen voran Hjalmar Schachts, erlebt habe wie nach jener Rede. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung sei im Herzen liberal, schloss er zuversichtlich.771 Unter Vorwegnahme möglicher Beschwerden seitens des State Departments versicherte Dodd dem Präsidenten seine Moti- vation das amerikanische Demokratieideal in Deutschland vor allem unter den Bürgern aktiv zu verbreiten.772 Dallek schließt aus Dodds Verhalten im Nachgang seiner Rede, er habe das liberale Wesen der deutschen Intellektuellen und Eliten absichtlich überzeichnet dargestellt; weniger aus Überzeugung von ihrer liberalen Gesinnung als vielmehr um seine Kritiker im Department zum Schweigen zu bringen. Während- dessen konnten wenig demokratisch gesinnte deutsche Politiker wie von Neurath und Schacht diese Einstellung Dodds nutzen und das

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770 Vgl. Phillips an Dodd, 27. November 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. Phillips gab nun Dodd Ratschläge bezüglich der Aufgabe eines Botschafters, sich im Gastland öffentlich zu äußern: „I was in doubt whether any words from me could be of help or guidance to you who are living in a world so wholly different from that in which most ambassadors find themselves. […] I doubt whether much can be accomplished in international relations by saying anything which could be reasonably interpreted by Germans as a criticism of their own governmental and social systems. […]It is not good policy, in my opinion, to make any public addresses because there is always the danger of being regarded as a propagandist. And it is wise to refrain from discussing in public questions […] for an Ambassador is a representative of the whole country and not merely a party representative”. 771 Vgl. Dodd an Roosevelt, 13. Oktober 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. „My interpretation of this is that all liberal Germany is with us and more than half of Germany is a[t] heart liberal”. 772 Vgl. Dodd an Roosevelt, 13. Oktober 1933. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35.

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Trugbild ihrer Liberalitas in der Hoffnung auf bessere Handelskon- ditionen mit den USA aufrechterhalten.773 Der letzte Teil der Erklärung scheint durchaus plausibel, denn Politiker wie von Neurath vermochten lange Jahre einen demokratischen Anschein gegenüber ausländischen Repräsentanten zu bewahren. Allerdings muss zwischen Dodds Wahr- nehmung der Eliten in den deutschen Behörden, denen er durchaus kritisch begegnete, und den gebildeten Bürgern in nichtpolitischen oder geringen politischen Funktionen unterschieden werden. Es entspricht Dodds progressiver Überzeugung an eine Erziehbarkeit von Bürgern, die über ein Jahrzehnt Weimarer Demokratie erlebt hatten, zu glauben. Seine politisch-philosophischen Überzeugungen, wie auch der folgende Fall zeigt, dürfen nicht unterschätzt werden.774

Reichsparteitag 1933 Obgleich andere diplomatische Vertreter wie der französische und der spanische Botschafter dem Nürnberger Reichsparteitag 1933 fernblieben, fiel William Dodds Ablehnung seiner Einladung für die deutsche Führung angesichts ihrer Zielsetzung freundschaftlicher deutsch-amerikanischer Beziehungen vermutlich besonders schwer ins Gewicht. Dodd hatte Cordell Hull um genaue Weisung gebeten, ob er der Einladung zu dieser Veranstaltung folgen sollte. Seinem Bericht nach herrschte im diploma- tischen Korps große Verwirrung, zumal einige von ihnen wie er selbst zu jenem Zeitpunkt noch immer nicht von Reichspräsident von Hindenburg akkreditiert worden waren.775 Nachdem William Dodd das Wort „Partei“ mehrfach im Einladungstext gelesen hatte, identifizierte er wohl den

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773 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 212f. und 214. Dallek widerlegt sich eigentlich selbst, indem er auf S. 214 erklärt, dass Dodds Deutschlandberichte nach seine Rede „as competent and balanced as before“ ausfielen. Vgl. zur Rolle deutscher Universitäten, liberaler Eliten und Akademiker auch ERICKSEN: Complicity in the Holocaust. Insbesondere S. 61-93 und S. 139-166. 774 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 154. Vgl. zur Rolle des Bürgertums als Wähler Hitlers vor allem die Darstellung von FALTER, Jürgen W.: Hitlers Wähler. München 1991. Sowie die neuere Monographie GELLATELY: Backing Hitler. 775 Vgl. Dodd an Secretary of State (Telegram No. 129), 18. August 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 1, Administration, United States Government, 123: Personal Records of commissioned diplomatic and foreign service officers). 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/44.

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Reichsparteitag als reine innerdeutsche Parteiveranstaltung,776 die proto- kollarisch gesehen seine Anwesenheit als Botschafter nicht notwendig machte. Mit Hilfe Counselor Gordons ließ er Informationen über die französische Haltung hierzu einholen und erwog, während er auf eine Antwort der Franzosen wartete, bereits sein Fernbleiben unabhängig von der Entscheidung der anderen Nationen.777 Die Entscheidung wurde dem Botschafter erleichtert, als er vom State Department lediglich die unverbindliche Antwort erhielt, in diesem Fall nach seinem Gutdünken handeln zu dürfen.778 In der Überzeugung, dass es sich um propagan- distisch ausgeschlachtete Feierlichkeiten der NSDAP handelte,779 lehnte der amerikanische Botschafter, aus Angst einen gefährlichen Präzedenz- fall 780 zu schaffen, mit Hinweis auf seine Arbeitsbelastung ab. Dem Außenminister gegenüber erklärte Dodd im Nachhinein, dass ihn die Verlautbarungen der NSDAP auf dem Reichsparteitag bezüglich weiterer Verfolgungswellen gegen Oppositionelle in seiner Absage bestätigt hätten.781 In einem Brief nach dem Parteitag entschuldigte sich Under

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776 Vgl. diesbezüglich die eindeutigen Aussagen in Hitlers Rede über die Bedeutung der „Rasse“ für Partei und Staat auf dem Reichsparteitag am 3. September 1933 in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 205-208. 777 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 25. Unklar ist, inwiefern sich Dodd in dieser Entscheidung auch von Journalisten und ihrer Einschätzung der Reichsparteitage beeinflussen ließ. Vgl. zu den internationalen Pressereaktionen KIESSLING, Friedrich/ SCHÖLLGEN, Gregor (Hgg.): Bilder für die Welt. Die Reichsparteitage der NSDAP im Spiegel der ausländischen Presse. Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Heft 61. Köln, Weimar, Wien 2006. 778 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 26. Vgl. auch FRUS 1933, Vol. II, S. 258. Phillips schrieb Dodd am 20. August 1933 als Acting Secretary of State: „[…] I continue to feel that this Government should not take the lead in this matter. […] In leaving the matter to your discretion, we are of course prepared to support you in any decision you may make”. Zur Sichtweise der obersten Beamten des State Departments zu diesem Fall vgl. HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 97f. Offensichtlich fanden angesichts der Frage einer Teilnahme am Reichsparteitag auch intern zahlreiche Debatten im Department statt, die letztlich zur offenen Weisung an Dodd führten. 779 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 28. Vgl. auch Dodds Antwort an Phillips vom 23. August, FRUS 1933, Vol. II, S. 259. „I yesterday declined the invitation on the ground that I could not absent myself from Berlin […] and I understand that the French and British will not go to Nuremberg”. 780 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 202. 781 Vgl. Dodd an Hull, 19.Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H (2. Mappe „H”). Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 202f. Staatssekretär von Bülow hatte Dodd gegenüber seine eigenen Zweifel

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Secretary Phillips Dodd gegenüber für die Unannehmlichkeiten aufgrund der ausgebliebenen Weisung durch das State Department.782 William Dodd hatte in diesem Fall persönlich dem Herrschaftsanspruch der NSDAP im deutschen Staat eine rote Linie aufgezeigt, indem er als Repräsentant eines demokratisch organisierten Systems dem Reichspar- teitag als seiner Definition nach nichtstaatlichen Veranstaltung nicht beizuwohnen wünschte.

Im Visier deutscher Spionage Zweifelsohne muss dieses Verhalten dem amerikanischen Botschafter seitens der nationalsozialistischen Führung mit ihrer totalitären Staats- auffassung als Affront ausgelegt worden sein. Ob William Dodd und seine Familie den Nationalsozialisten ab 1933 als „Regimegegner“ galten oder lediglich genauso wie andere Ausländer Zielobjekt von Lauschangriffen und Spionage wurden, ist nicht geklärt. Sicher ist, dass sich William Dodd in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher fühlte und bereits 1933 versuchte, mit selbstgebastelten Installationen nicht abhörsichere Telefone vor Lauschangriffen zu schützen,783 dass er und seine Familie den eigenen Bediensteten im Haushalt nicht mehr trauten784 und dass er wichtige Telefonate kurz und inhaltlich belanglos hielt.785 Während Dodd vor allem das Propagandaministerium hinter dieser Form von Spionage vermutete, bezichtigte Martha Dodd Rudolf Diels, der ihr selbst von der Bespitzelung erzählt hatte, der Abhörmaßnahmen, die vermutlich die Diplomaten in Berlin verunsichern sollten.786 Dodd war sich der Lauschangriffe sowie der Öffnung seiner Briefe und sogar der diploma- tischen Depeschen der Botschaft in Spezialversiegelung bewusst.787 In Folge dieser letztgenannten Vorfälle protestierte Dodd bei Außenminister

______offenbart, ob kriegstreiberische Äußerungen auf dem Parteitag die deutsch-amerika- nischen Beziehungen nicht unnötig belasten könnten. 782 Vgl. Phillips an Dodd, 26. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. „ I thoroughly appreciated your embarrassment and was exceedingly sorry for you, but we felt that we could not wisely become involved in the matter”. 783 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 55. 784 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 56. 785 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 48. 786 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 55. 787 Vgl. Lord Astor an Dodd, 2. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-A.

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von Neurath, der sich verlegen zeigte, weil ein Brief des Botschafters an Leo Wormser, einem jüdisch-amerikanischen Freund in Chicago, mit offiziellem Stempel und Siegel der Vereinigten Staaten von den deutschen Behörden geöffnet worden war.788 In einem anderen Fall sah sich Staatssekretär von Bülow zu einer unglaubwürdigen Entschuldigung genötigt: Nicht jeder deutsche Beamte könne vermutlich das amerika- nische offizielle Siegel als solches identifizieren.789 Der amerikanische Botschafter konnte folglich nicht mehr davon ausgehen, dass Gespräche in seinem eigenen Haushalt, in seiner Botschaft sowie in Briefkorres- pondenzen und Telefonaten vor dem deutschen Regime geheim bleiben würden. Diese Tatsache erschwerte vermutlich nicht nur den Umgang mit sozialen, politischen und journalistischen Kontakten in Deutschland und den USA, sondern auch innerhalb der Botschaft mit dem Bot- schaftspersonal.

3.3.4.Dodd als Leiter der US-Botschaft und seine Beziehungen zum State Department 1933

Kritik am State Department und dem Botschaftspersonal „[95 % of the career diplomats and personnel in the foreign service are] rabidly Republicans. I seriously doubt if many of them are or can be in sympathy with Roosevelt’s policies in reference to tariffs etc. I could tell you a lot from my observations here […]. I am confident from my conversations with Roosevelt and Hull that it is the intention to negotiate these commercial treaties but there are forces among the ‘career men’ in subordinate positions in the Department who have been trained […] for twelve years in the school of Harding-Coolidge- Hoover that are operating to thwart that intention. This is of course confidential”.790

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788 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 56f. S. 56: „Jewish leader of Chicago”. 789 Vgl. Gesprächsnotiz Bülows zu Gespräch mit Dodd, 13. Dezember 1933. PAAA. Büro Staatssekretär, Akten betreffend: Aufzeichnungen St.S. von Bülow über Diplomaten- besuche A-K, vom 1. November 1933 bis 31.Oktober 1934. Band 6, s. Bd. 7. (Best.: R 29454). Von Bülow gab Dodd eine Siegelmarke des Auswärtigen Amtes zum Vergleich mit. 790 Claude Bowers an Dodd, 25. Juli 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-B.

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Von Anfang an war William Dodd von progressiven Kollegen wie Claude Bowers791 gewarnt worden, dass ein Großteil der Karrierediplomaten – meistens Söhne aus den reichsten oder einflussreichsten Elternhäusern Amerikas – seit der Zeit der Republikanischen Administrationen Dienst tat, in jener Zeit die Karriere begonnen oder aufgebaut hatte und entsprechend einen einflussreichen, konservativen Kern von Beamten im Außenministerium und dem diplomatischen Dienst bildete. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass William Dodd als sozialer Aufsteiger und liberaler Demokrat ähnlich wie andere progressiv-demokratische Kollegen auf verschiedenen Ebenen in Kontroversen mit dem Depart- ment, niemals aber mit dem progressiven Außenminister Hull geriet. Eine dieser Auseinandersetzungen bezog sich auf seine Stellung als Leiter der amerikanischen Botschaft in Berlin im Umgang mit dem Botschafts- und Konsularpersonal und deren nach Dodds Meinung verbesserungs- würdigen Leistungen in Hinblick auf Effizienz und Arbeitsdisziplin. William Dodd stellte, wie Bailey argumentiert, den „prototype of the new ambassador, an expert comfortable with the German tongue and the nation’s heritage“ 792 dar. Dieses unkonventionelle Rollenverständnis von einem Chefdiplomaten in einer europäischen Hauptstadt stand in Gegensatz zum traditionellen Protokoll und zum auf sozialen Ver- pflichtungen gestützten diplomatischen Residieren und Repräsentieren.793 Von Beginn an erachtete es William Dodd, der selbst aus sehr einfachen Verhältnissen stammte, als unlogisch und kontraproduktiv, den Konsular- dienst und den diplomatischen Dienst, also den höheren und den gehobenen Dienst, und deren Personal beruflich wie gesellschaftlich zu

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791 Vgl. zu Bowers und seiner Biographie BOWERS, Claude Gernade: My Life. The Memoirs of Claude Bowers. New York 1962. Für seine Zeit als Botschafter in Spanien insbesondere S. 265-303. Vgl. auch LITTLE, Douglas: Claude Bowers and His Mission to Spain: The Diplomacy of a Jeffersonian Democrat. In: JONES, Kenneth Paul: U.S. Diplomats in Europe, 1919-1941. Reprint Edition with new introduction by the editor. Santa Barbara, CA, Oxford 1981/1983. S. 129-148 sowie SEHLINGER, Peter J./ HAMILTON, Holman: Spokesman for Democracy. Claude G. Bowers 1878-1958. With a Foreword by Arthur SCHLESINGER, Jr. Indianapolis, IN, 2000. 792 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 150. 793 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 151. Dodd monierte in einer Vielzahl seiner Briefe an Moore, Roosevelt und Hull das Gehabe vieler Diplomaten im Stile Ludwigs XIV. oder Königin Victorias von England.

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trennen, 794 zumal sich Konsularbeamte wie Generalkonsul George S. Messersmith795 als hervorragende Beobachter der deutschen Lage mit exzellenten Beziehungen auszeichneten. Messersmiths Erfolg missfiel so zum Beispiel dem „protokollaffinen“ und standesbewussten Counselor der Botschaft Gordon, der eine enge Koordination mit den Konsularbeamten verweigerte.796 Kurz nach seiner Ankunft in Berlin kritisierte der neue amerikanische Botschafter die Duplikation von Aufgaben und Themen- schwerpunkten im Konsular- und diplomatischen Dienst mit erheblichen finanziellen Konsequenzen für den ohnehin belasteten amerikanischen Haushalt.797 Weil sie in dieser Angelegenheit unterschiedlicher Meinung waren, ist es unklar, ob William Dodd seinen Counselor Gordon absicht- lich für eine Beförderung vorschlug, um sich seines Einflusses zu entledigen. Gegenüber Cordell Hull lobte Dodd die Leistungen seines Botschaftsrates und empfahl ihn für eine Beförderung, erwähnte aber auch dessen tadelnswerte intolerante Einstellung gegenüber Problem- stellungen und Eigenarten der Bevölkerung des Gastlandes, dem er zugeordnet worden war.798 In einem Brief an den Präsidenten spielte Dodd auf Counselor Gordons zerrüttetes Verhältnis zu Vertretern des

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794 Vgl. zur Geschichte und Struktur des Konsulatswesens der USA STRUPP: Beobachtungen. In: BAJOHR/STRUPP: Fremde Blicke auf das „Dritte Reich”. S. 71f. 795 Vgl. Dodd an Hull, 22. Juli 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. William Dodd verpasste keine Gelegenheit, den Generalkonsul entsprechend bei den obersten Vorgesetzten lobend zu erwähnen. 796 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 97. Martha beschreibt, dass Dodd von Counselor Gordon anfangs gezwungen wurde, Generalkonsul Messersmith zu seinem ersten diplomatischen Empfang einzuladen, ein Umstand, der Dodd ob Messersmiths Leistungen höchst peinlich war. Martha beobachtete weiter: „And my father was the first Ambassador to establish the new precedent of co-operation, both professional and social, of these two formerly rival groups”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 17. Dodd schrieb auch Daniel Roper einen ausführlichen Brief zur Rivalität von Counselor und Generalkonsul, sowie der falschen Auffassung vieler Diplomaten über ihre eigentlichen Aufgaben. 797 Vgl. Dodd an Roosevelt, 30. Juli 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 798 Vgl. Dodd an Hull, 22. Juli 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. Vgl. auch Dodd an Hull, 6. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). Gordon sei ein guter Mann, aber launisch („temperamental”) und zu sehr auf „liquors that flow too freely here“ bezogen. Für den kaum Alkohol konsumierenden Dodd ein abzulehnendes Verhalten.

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Auswärtigen Amtes an.799 Das State Department sandte Anfang Novem- ber 1933 tatsächlich einen neuen Counselor, John Campbell White, Sohn von Henry White, einem Republikanischen Mitglied in Woodrow Wilsons Delegation in Versailles, sowie Orme Wilson, einem Verwandten Pierrepont Moffats, als Second Secretary of the Embassy nach Berlin zum Dienstantritt in der amerikanischen Botschaft.800 Dieser Schritt wurde vom Auswärtigen Amt als ein willkommener Neuanfang für die Beziehungen zur amerikanischen Botschaft gewertet.801 William Dodds Kritik am Botschafts- und Konsulatspersonal bezog sich insbesondere auf den Lebens- und Arbeitsstil der Beamten. Bei Cordell Hull beschwerte er sich über ihre verschwenderische Lebensweise und spätabendliche Teilnahme an Empfängen, die ein dauerhaft verspätetes Erscheinen an ihrem Arbeitsplatz am nächsten Morgen zur Folge hatte. Insgesamt werde, so Dodd, zwar eine umfassende Korrespondenz für das Department produziert, aber eine Kürzung der Telegramme von Konsulat und Botschaft auf die wichtigsten Aspekte sei absolut angemessen und notwendig.802 Nachdem Counselor White und Second Secretary Wilson ihre Arbeit aufgenommen hatten, äußerte Dodd gegenüber Under Secretary Phillips, dass ihre Aufgabenbereiche klarer abgegrenzt werden sollten. In seinen Augen genüge es, wenn nur Dodd als Botschafter seine persönliche Einschätzung der deutschen Lage in ihre vorgefertigten Berichte einfügte.803 Vielleicht wollte der progressive Historiker damit

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799 Vgl. Dodd an Roosevelt, 1. September 1933. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 800 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 55. 801 Vgl. Dieckhoff Memorandum über neuen amerikanischen Botschaftsrat, 6. September 1933. PAAA. Abteilung III, Politik 9, Band 2 (Diplomatische und konsularische Verkehrungen der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland, vom 1. April 1926 bis Sept. 1933). (Best.: R 80236). White „sei etwa 49 Jahre alt, geschulter Diplomat, liebenswürdige Persönlichkeit. […] Mr. Wilson […] [a]uch er soll ein sympathischer Mann und bewährter Diplomat sein […] ist mit einer Astor verheiratet”. 802 Vgl. Dodd an Hull, 19. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). Vgl. auch Dodd an Hull, 6. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). Vgl. Dodd an Phillips, 11. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. 803 Vgl. Dodd an Phillips, 6. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P.

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auch seine Deutungshoheit über die deutschen Verhältnisse im Widerstreit mit den Karrierebeamten wahren und die Kontrolle über alles, was aus Berlin an die Zentrale in Washington gemeldet wurde, sicherstellen. Dem amerikanischen Botschafter ging es angesichts der in den USA immer noch anhaltenden Wirtschaftskrise in den USA auch um die Steigerung der Effizienz von Botschaft und Konsulat und vor allen Dingen um Einsparungen der laufenden Ausgaben, nicht aber der Gehälter: „I think tradition and social protocol have greatly reduced efficiency”,804 beklagte er sich bei Phillips über die Ursachen des Effizienzmangels. William Phillips holte diesbezüglich kurzerhand Rat an anderer Stelle des Außenministeriums ein, allerdings auf andere Weise als es sich der Botschafter erhofft hatte: Das Department of State Division of Communications and Records teilte dem Under Secretary of State auf seine Anfrage hin mit, dass seit Botschafter Dodds Antritt die Zahl der Berichte und Mitteilungen der Botschaft in Berlin stark gesunken sei.805 Ohne Rücksicht auf die Frage der Priorität von Quantität oder Qualität machte Phillips Dodd auf diese Feststellung der Kommunikations- abteilung des Departments aufmerksam.806 Selbstverständlich sah sich der Botschafter zu einer Rechtfertigung gegenüber dem höchsten Beamten des Amtes gezwungen. Alle Depeschen und Telegramme seien mit Sorgfalt und großem Umfang vorbereitet worden. Hätte Phillips alle Berichte von Messersmith gelesen, dann wüsste er, dass selbst Hitler nicht einmal seinen Hut in einem Flugzeug vergessen konnte, ohne dass dies in den Berichten Erwähnung finden würde, erwiderte Dodd nicht

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804 Dodd an Phillips, 11. Oktober 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. 805 Vgl. Mr. Salmon, Department of State Division of Communications and Records (D.A.S.), an Phillips, 1. November 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. „Referring to your request for a statement of the telegraphic business from the Embassy at Berlin since Ambassador Dodd took charge on July 14, I find upon examination that we have received, up to and including October 31, 62 messages, totaling 3933 groups”. Im Vergleich zur Botschaft in Mexiko mit 65 messages und 5086 groups. „It would seem that in view of the acute situation existing in Germany the telegraphing from the American Embassy at Berlin had been very light since Ambassador Dodd assumed charge”. 806 Vgl. Phillips an Dodd, 4. November 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P.

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ohne ironischen Unterton.807 Besonders die Berichte des Generalkonsuls seien akkurat, könnten aber ohne Auswirkungen auf die Verständlichkeit und Vollständigkeit der Informationen um die Hälfte gekürzt werden.808 Zuspruch erhielt Dodd durch seinen Unterstützer Colonel House, der ihn in seiner Frustration zu beruhigen versuchte: „[I]t is almost hopeless to break through traditions and red tape. If I were the President I would ask you to remain another year and then I would find some way of utilizing your knowledge in Washington”. 809 Der amerikanische Bot- schafter erfreute sich noch weiterer Fürsprecher, die seine Arbeit als Repräsentant in Berlin nicht nur wertschätzten, sondern ihren Wert den Funktionären des State Departments nahelegten. George Messersmith lobte Dodd bei Under Secretary Phillips für seine Unbestechlichkeit, seinen geschickten Umgang mit den Deutschen und seine exzellente und rasche Einarbeitung in die komplizierte Lage vor Ort. Besonders seine bedachte Vorgehensweise mit der nationalsozialistischen Führung, ohne in ihre „Propagandafalle“ zu geraten, galt Messersmith als außerordent- lich bemerkenswert und machte Dodd in seinen Augen zu einem Aus- nahmetalent als Diplomat: „He has shown a cleverness and a resource which are highly admirable and extremely useful. […] I am sure that the Ambassador has in an extraordinarily short time reached a comprehensive and objective viewpoint of the situation here, and his appointment I consider one of the wisest that could have been made”. 810

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807 Vgl. Dodd an Phillips, 17. November 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/60. S. 4. 808 Vgl. Dodd an Phillips, 17. November 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/60. S. 4. 809 Colonel House an Dodd, 21. November 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). 810 Messersmith an Phillips, 28. Oktober 1933. NARA. State Department. Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 4. File 862.00/3128 GC. „The Ambassador has been splendid. He has been feted as much as he has allowed it, and every effort is made to force him into positions to say things favorable about Germany, which can be used here and abroad. He has absolutely refused to allow himself to be used in this way and has turned everyone of these occasions into one of drawing historical parallels, which cannot be offensive, but which is very effective. He has shown a cleverness and a resource which are highly admirable and extremely useful. An intelligent and highly placed German who has kept himself aloof from the party, told me a few days ago that the Ambassador’s speeches had been exceedingly

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Angesichts derartiger Lobeshymnen von fast allen Seiten und der offensichtlichen Unterstützung Hulls und Roosevelts für ihren Bot- schafter in Berlin sah sich William Phillips gezwungen, mit Dodd einen Burgfrieden zu schließen und ihm nichts anderes als ein Lob für seine geleistete Arbeit zukommen zu lassen.811 Der Under Secretary sprach in einer seiner verspäteten Antworten auf die Oktoberbriefe des Botschafters versöhnlich seinen Respekt für Dodds geschickt formulierte Reden aus und bestätigte seine Hoffnung auf eine weiterhin tatkräftige Reform- tätigkeit bezüglich der Abläufe und Schwerpunktsetzungen in der Arbeit seiner Botschaft.812 Dodds Auseinandersetzungen mit dem State Department rissen nicht ab. Verärgert, dass er wochenlang keine Antwort auf seine und des ehemaligen Counselors Gordon sorgfältig zusammengestellten Beurtei- lungen über die geleistete Arbeit von Mitgliedern des Auswärtigen Dienstes erhalten hatte,813 entwickelte der Botschafter darüber hinaus in den letzten Monaten des Jahres 1933 die Vermutung, dass es im State Department eine undichte Stelle gab, wodurch falsche Behauptungen über ihn an die US-Presse gelangt waren. Der Chicago Tribune hatte über Dodds Terminprobleme mit Außenminister Neurath berichtet und seine Abberufung in Aussicht gestellt. Hieraufhin stellte William Dodd in einem Brief an William Phillips die Situation klar: Weder sei er von Neurath versetzt worden, noch pflege er eine problematische Beziehung zu den Vertretern des Auswärtigen Amtes. Der Präsident erachte seine Arbeit, insbesondere seine Reden, ausdrücklich als für die Zukunft des europäischen Friedens förderlich.814 Trotz der Versuche des

______helpful to thinking Germans and had reached a much wider audience than we might think. I am sure that the Ambassador has in an extraordinarily short time reached a comprehensive and objective viewpoint of the situation here, and his appointment I consider one of the wisest that could have been made”. 811 Vgl. DALLEK: Beyond Tradition. S. 235f. und 240. 812 Vgl. Phillips an Dodd, 27. November 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. 813 Vgl. Gordon an Dodd, 20. Dezember 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-G. Gordon war ebenso erbost und schrieb Dodd: „ [I]n response to all that you have already pointed out as to the unwisdom of the order in question there has been no response from the Dept., some one [sic!] at home will be found to have adopted a very tenacious if fallacious position in the premises”. 814 Vgl. Dodd an Phillips, 4. Dezember 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P.

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Under Secretary, einzulenken und Dodd von seiner Überzeugung bezüglich undichter Stellen im Außenministerium abzubringen,815 blieb der mitschwingende negative Unterton in den Meinungsverschieden- heiten und in den beiderseitigen Vorwürfe zwischen dem amerikanischen Botschafter und dem State Department im letzten Drittel des Jahres 1933 bestehen und wirkte über den Jahreswechsel hinaus auf beiden Seiten nach. Es ist denkbar, dass der Gegendruck, den William Dodd als Leiter der Botschaft seitens der konservativen Mitarbeiter des State Departments wahrnahm, in direktem Zusammenhang mit dem wachsenden Einfluss und Druck der Wilsonians um Colonel House auf die Administration stand.816 Nicht nur kundschaftete Colonel House innerhalb der Behörden, besonders des State Departments Stimmungen und Meinungen aus,817 auch hielt er Dodd auf dem aktuellen Stand zu inneren Entwicklungen

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815 Vgl. Phillips an Dodd, 22. Dezember 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-P. 816 Vgl. hierzu auch CRANE, Katharine: Mr. Carr of State. Forty-Seven Years in the Department of State. New York 1960. S. 313f. Carr beschwerte sich im Oktober 1933 bitter, Cordell Hull unternehme nichts oder nicht genug, um die personellen Änderungen im Department zu verhindern, die auf Streben der neuen progressiven Regierung vorangetrieben wurden. Die Neubesetzungen auf allen Ebenen berührten Besitzstände der traditionell im State Department verankerten konservativen Beamten, was Carrs Verärgerung über die „politisch gewollten“ Ernennungen erklären kann. Hinzu kamen die massiven finanziellen Einbußen bezüglich der Gehälter in Folge von nationalen Sparmaßnahmen (S. 315). Vgl. auch ICKES: Secret Diary. First Thousand Days. S. 154ff. In seinem Tagebucheintrag vom 21. März 1934 vertraute Harold Ickes dem Präsidenten an, er fühle, dass eine Verschwörung gegen ihn im Gange sei. Erstaunlicherweise bestätigte Roosevelt eine größer angelegte Aktion gegen die gesamte progressive Administration (S. 155): „The President said that what I was being subjected to was in line with some other things that were going on. He told me about anonymous letters attacking a member of his own household which he had been unable to trace. […] The President sent for Chief Moran, of the Secret Service, […] and told him that he believed that someone was financing this whole attempt to make it difficult for the Administration”. 817 Vgl. Colonel House an Dodd, 30. August 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). House wollte zum Beispiel Edward C. Wynne, einen seiner Freunde, treffen, um mehr über dessen Freund Wilbur Carr im State Department zu erfahren: „I do not know how friendly he will be to your ideas but I will test it out through Wynne”. Vgl. zur Biographie und Karriere Wilbur Carrs im State Department CRANE: Mr. Carr.

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wie dem Rauswurf des unbeliebten Ray Moley auf Zutun des Außen- ministers818 und suchte den Einfluss der Wilsonians als Berater Roosevelts zu verstärken. 819 Darüber hinaus berichtete Edward House seinem Kollegen, dass sich immer mehr Kritik an der angeblichen Führungs- losigkeit Roosevelts im Bereich der Außenpolitik regte, selbst von prominenten Unterstützern der Administration wie Jesse Isidor Straus, US-Botschafter in Paris bis 1936.820 Dies kann als weiterer Beweis dafür dienen, dass Roosevelt 1933 noch keine eindeutige außenpolitische Linie offiziell machte – oder machen konnte – und deshalb weiterhin seitens der Konservativen und der Progressiven ihre Einflussmöglichkeiten auf die Politik der Administration austariert wurden. Dies gewährte wiede- rum Botschaftern wie Straus, Dodd, Bowers in Spanien oder William C. Bullitt821 in Moskau eine gewisse Flexibilität in der Auslegung und den Schwerpunkten ihres Amtes. Gleichzeitig wurde dem amerikani- schen Präsidenten vorgeworfen, mehrere Ressorts zu kontrollieren. Dies geschah auch zum Leidweisen des State Departments, dessen Beamte sich vermutlich angesichts Dodds eigener Interpretation seiner Funk- tion als Botschafter sowie der freien Hand, die er vom Präsidenten in Ausübung seines Amtes gewährt bekam, noch weiter im eigenen Gestaltungsraum eingeschränkt fühlten.822 Dass die Progressiven auf dem Vormarsch waren, das schien Colonel House eindeutig, als er William Dodd versprach: „Write me freely and make any suggestions you like

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818 Vgl. Colonel House an Dodd, 11. September 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). 819 Vgl. Colonel House an Dodd, 6. Dezember 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). 820 Vgl. Colonel House an Dodd, 14. December 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). 821 Vgl. BROWNELL, Will/ BILLINGS, Richard N.: So Close To Greatness. A Biography of William C. Bullitt. New York, London 1987. Zu Bullitts Jugend, Ausbildungsjahren und Tätigkeit als Journalist vgl. die Seiten 1-70. Für seine Zeit als Botschafter in Moskau 1933 bis 1936 die Seiten 139-186. Vgl. auch KAUFMANN, William W.: Two American Ambassadors: Bullitt and Kennedy. In: CRAIG, Gordon A./ GILBERT, Felix (Hgg.): The Diplomats 1919- 1939. Princeton, NJ, 1953. S. 649-681. 822 Vgl. Colonel House an Dodd, 14. December 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). „Again in confidence let me say that there is a good deal of criticism of the President because it is said that he is running every department of the Government himself. This is particularly true of the State Department, the Treasury and Agriculture”.

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and I will try and help put them through. You are one of the few that know what it is all about, and it is a joy to work with you”.823 Selbst das überschwängliche Lob und die optimistischen Aussichten für die Zukunft Dodds und der Progressivisten lenkten den Botschafter nicht von der Tatsache ab, dass er sich Ende 1933 ausgebrannt und müde fühlte. Das deutsche Winterwetter, aber auch sein schlechtes Gewissen bezüglich seiner vernachlässigten Arbeit als Professor in Chicago sowie sein Schreibprojekt zu „The Old South“ zwangen Dodd, den Außen- minister um eine Beurlaubung für Februar 1934 zu bitten, die dieser ihm unter dem Vorbehalt einer sofortigen Rückkehr im Falle drastischer Veränderungen der deutschen Verhältnisse gewährte: 824 „With the sudden turn of events in Germany it is difficult to foresee what may happen during the next few months”.825 Aus schwierigen Monaten sollten schwierige Jahre werden. 1933 sollte erst den Anfang einer steilen Talfahrt der deutsch-amerikanischen Beziehungen bedeuten, die William Dodd und seine Familie in den Folgejahren unter dem Einfluss großer persönlicher wie beruflicher Belastungen miterlebten.

3.4. „A New Deal, and all the Consequences“. Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Neuausrichtung der US-amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik 1933 Wie bereits in der Einleitung zur vorliegenden Arbeit erwähnt können die Deutschlanderfahrungen von amerikanischen Repräsentanten wie William Edward Dodd nicht losgelöst von den innenpolitischen,

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823 Colonel House an Dodd, 14. December 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). 824 Vgl. Dodd an Hull, 4. Oktober 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, William Edward/56. „I wonder whether the Department would grant me leave to return to the United States the end next February? And whether at the end of the term permissible at that time I might remain a month or two longer without salary? The reasons for the inquiry are, first, that in view of effect of damp atmosphere on my neuritic tendency, I shall be much in need of a time in a dryer atmosphere and, second, the University of Chicago is in process of reorganization […]”. Vgl. Hull an Dodd, 16. October 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”). 825 Hull an Dodd, 16. October 1933. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1933-H. (2. Mappe „H”).

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außenpolitischen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen in den USA der 1930er betrachtet werden. Mehr als alles andere prägte jene Zeit die öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung in Medien, Gesellschaft und Politik der Vereinigten Staaten über innen- und außenpolitische Herangehensweisen und eine intensive Debatte über die zukünftige Rolle des Landes und die Zukunft des amerikanischen Systems. Jedoch war generell, so meinen Barck und Blake, ein Infragestellen des ameri- kanischen Systems ab 1933 in der Bevölkerung – abgesehen von Splitter- gruppen und Sonderinteressen bestimmter Individuen und Bewegungen – nicht weit verbreitet. Auch in jener Krisenzeit beruhte der amerikanische Patriotismus auf der Besinnung auf die nationale Geschichte eines Kampfes für religiöse und demokratische Freiheit, für Egalität und für Unabhängigkeit von Europa und vom Kolonialismus und auf den Aufstieg zur bedeutendsten Wirtschafts- und Handelsmacht der Welt.826 Ungeachtet dieser Übereinstimmung in den Wertvorstellungen herrschte unter der Bevölkerung und ihren Volksvertretern Uneinigkeit über die konkreten Methoden, die angesichts der Krise den Weltmachtstatus erhalten sollten, wie der deutsche Botschafter Hans Luther korrekt festgestellt hatte. An dieser Stelle sollen vier Gründe genannt werden, die zu einer passiv erscheinenden, wenig durchsetzungsfähigen oder konkreten Deutsch- landpolitik Amerikas gegenüber den Nationalsozialisten im vielleicht alles entscheidenden Jahr 1933 führten und deshalb zunächst eine vor- dergründige Ignoranz gegenüber Dodds Warnungen in Washington zur Folge hatten: 1) Die trotz des zeit- und kräfteintensiven Jahrhundertpro- jekts des New Deal fix gesetzten Schwerpunkte amerikanischer Außen- politik; 2) eine nicht zu unterschätzende, anhaltend starke Tradition isolationistischen Denkens quer durch alle Parteien und Gesellschafts- schichten;827 3) eine interne Auseinandersetzung in Kabinett und State Department über die prioritären Linien der Außenpolitik, die Roosevelt zumindest zu einem Teil in von ihm gewünschte Bahnen zu lenken

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826 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 390 und 394. Vgl. auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 72. 827 Vgl. REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 66. Dies betraf ganz besonders die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber Deutschland, und zwar sowohl für die Weimarer Republik als auch das „Dritte Reich“.

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vermochte; und 4) die Aufkündigung einer zehnjährigen, auf der Grund- lage einer kompromissbereiten, hilfsbedürftigen und demokratischen Weimarer Republik beruhenden deutsch-amerikanischen Kooperation,828 die zu einem von beiden Seiten nicht unerwünschten Stillstand und einer abwartenden Haltung in den bilateralen Beziehungen führte. Die zunächst vorsichtige und freundliche Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland entsprang den Bedingungen des erstgenannten Grundes, der Schwerpunktsetzung der Außenpolitik Roosevelts. Generell vertrat der amerikanische Präsident ein grundlegend anderes außenpolitisches Verständnis als seine republikanischen Vor- gänger, interpretierte jedoch auch das Verständnis seines progressiven Vorbildes Woodrow Wilson von einem nationalen Selbstbestimmungs- recht in abgewandelter Form neu.829 In Anbetracht der revolutionären Veränderungen des Status Quo in Europa seit 1917 „identifizierte [er] sich mit Wilsons Vermächtnis, allerdings interpretierte er es auf andere Weise. Im Unterschied zu Wilson, der versucht hatte, Demokratie in anderen Staaten mit Hilfe militärischer Intervention zu fördern, betonte Roosevelt die staatliche Souveränität. […] Stärker als Wilson akzeptierte er ausländische Oberhäupter souveräner Staaten, ob sie nun demokratisch waren oder nicht”.830 Das mit innenpolitischen Herausforderungen beschäftigte amerikanische Staatsoberhaupt beschloss, sich nicht in innere Angelegenheiten einzu- mischen so lange vom neuen Deutschland keine wahrnehmbare Gefahr für amerikanische Interessen ausging. Roosevelt war zwar ein Inter- nationalist, als Interventionisten kann man den pragmatisch orientierten Progressivisten jedoch nicht bezeichnen. 831 Jene Haltung offenbarte sich 1933 unter anderem in seiner Neuordnung des Verhältnisses zu Mittel- und Lateinamerika, der Karibik wie auch zur stalinistischen

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828 Vgl hierzu Werner Links umfassende Monographie: LINK: Stabilisierungspolitik. 829 Vgl. AMBROSIUS, Lloyd E.: Nationale Selbstbestimmung im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Eine Vergleichsstudie von Wilson bis Roosevelt. In: BERG, Manfred/ GASSERT, Philipp (Hgg.): Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker. Transatlantische Historische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 242f. und 253. 830 AMBROSIUS: Nationale Selbstbestimmung. In: BERG/GASSERT: Deutschland und die USA. S. 253. 831 Vgl. hierzu ADLER: Uncertain Giant. S. 150.

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Sowjetunion.832 Das Streben nach neuen Verhältnissen zu jenen Regionen enthielt nicht nur einen Eigenwert stabilerer, nützlicher und damit kontrollierbarerer Beziehungen, sondern es schuf die Grundlangen für eine langfristige Flexibilität und Sicherheit gegenüber potentiellen Gefahren aus Europa oder Asien. Durchaus angemessen angesichts der angespannten Vorgeschichte 833 der Beziehungen der regionalen Übermacht USA zu ihren Nachbarn im Süden seit 1898 erschien die neue Ausrichtung der US-Außenpolitik in Lateinamerika, die als Good Neighbor Policy einen besonderen Stellenwert durch die Roosevelt-Administration eingeräumt bekam. 1933 wechselte Washington von den machtpolitischen Konzepten der Dollar Diplomacy und des traditionellen Interventionismus in dieser Region zu einem ernstgemeinten Versuch, mit Hilfe ihm loyaler und politisch nahestehender Persönlichkeiten wie Cordell Hull, US-Botschaf- ter Josephus Daniels und Handelsminister Dan Roper, den Beziehungen ein freundschaftliches Fundament zu schenken. 834 Dieser Ansatz, das bloße Vorhaben engerer Beziehungen zum Süden, stand bereits in direktem Gegensatz zu den nationalsozialistischen Zielsetzungen einer propagandistischen und wirtschaftlichen Durchdringung Südamerikas.835 Nirgendwo anders als in Lateinamerika – und hierin widerspricht Hans- Jürgen Schröder, der 1933 noch keinen ideologischen Unterschied in der Wirtschaftspolitik zwischen Deutschland und Amerika erkennen möchte, seinen eigenen Ausführungen836 – wird der Unterschied der Methoden eines demokratischen und eines totalitären Systems und potentieller Kon- fliktlinien so frühzeitig deutlich: Sollte Lateinamerika eine kooperative Wirtschaftszone mit Selbstbestimmung und freier Entwicklung werden

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832 Vgl. AMBROSIUS: Nationale Selbstbestimmung. In: BERG/GASSERT: Deutschland und die USA. S. 242 und 253f. 833 Vgl. zu den Beziehungen zum südlichen Subkontinent seit 1917 BAILEY: Diplomatic History. S. 676-682. 834 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 204-209. 835 Vgl. als Literatur zur nationalsozialistischen Lateinamerikapolitik u.a. FRYE: Nazi Germany. Für die spätere Lateinamerikapolitik des „Dritten Reiches“ vgl. POMMERIN: Das Dritte Reich und Lateinamerika. Vgl. auch LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 26f. Vgl. auch GELLMAN: Good Neighbor Diplomacy. Siehe u.a. S. 17f. 836 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 95, 121-143 und 212.

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oder Teil eines bilateralen, quotenbasierten, ideologisch begründeten wirtschaftlichen Autarkiesystems mit ausbeuterischer Zielsetzung?837 Wie alle Schritte und Entscheidungen Franklin Roosevelts darf auch die Good Neighbor Policy nicht mit dem pauschalen Argument einer reinen Befriedigung marktwirtschaftlicher Expansionsbedürfnisse mit friedlichen Mitteln oder einer indirekten Herrschaftsausübung herabgewertet und auf regionale Zielsetzungen reduziert werden. Vielmehr entsprach sie Roosevelts Grand Design einer global ausgerichteten Politik Amerikas, die der Sicherheit der in freundschaftlichen Beziehungen geeinten west- lichen Hemisphäre enorme Bedeutung beimaß. 838 Der demokratische Präsident war keinesfalls von der Sicherheit Nord- und Südamerikas durch die Weite zweier Ozeane überzeugt, besonders nicht angesichts des Aufbaus von Luftstreitkräften und modernen Waffensystemen in zahlreichen Industrienationen.839 In diesen Annahmen ist David F. Schmitz beizupflichten, der Franklin Roosevelt als global denkenden Internationalisten bezeichnet, der im Rahmen einer isolationistisch geprägten Politiklandschaft und öffentlichen Meinung seine Außenpolitik nicht ähnlichen Experimenten wie seine Innenpolitik aussetzen konnte. Vielmehr nutzte er die ihm verfügbare Zeit und Mittel zum näheren Kennenlernen der Maßnahmen und Absichten der neuen Diktatoren, um langfristig die Frage klären zu können, welche Gefahr wirklich von faschistischen, nationalsozialistischen und kommunistischen Systemen für Amerika ausging. Hieraus erklärt sich, weshalb er am Anfang seiner Amtszeit weder Stalin noch Hitler oder Mussolini direkt verbal angriff, sondern sich auf den Aufbau der USA zur freundlichen Führungsmacht in ihrer eigenen Hemisphäre konzentrierte. Dies geschah im für den humanistisch erzogenen und politisch aufgeklärten Roosevelt typischen,

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837 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 209. Progressiven Internationalisten wie Roosevelt, Hull, Daniels und Roper kann keinesfalls unterstellt werden, nicht wirklich eine auf freundschaftlichen Beziehungen basierende gute Nachbarschaftspolitik zu beiderseitigem Nutzen beabsichtigt zu haben. Sumner Welles, Roosevelts Chefarchitekt seiner Lateinamerikapolitik, sprach bisweilen davon, die Nachbarschaftspolitik nicht mit einem „empire within another sovereign state“ zu verwechseln. Vgl. WELLES, Sumner: The Time for Decision. First Reprint Edition. Cleveland, OH, New York 1945. S. 240. Vgl. LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 13. 838 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. xx. 839 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 23.

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gleichsam realpolitischen wie progressiv-idealistischen Glauben daran, dass an Amerikas Stärke die Welt gedeihen würde.840 Ein erster Testfall für den guten nachbarschaftlichen Willen ergab sich auf der Karibikinsel Kuba.841 Entgegen der Empfehlung seines Assistant Secretary of State for Latin American Affairs und Botschafters in Kuba, Sumner Welles, entschied sich der US-Präsident im Frühjahr 1933 gegen eine Intervention auf der Karibikinsel, erkannte das neue Regime Batistas an, schloss einen neuen Handelsvertrag ab und schwor dem inter- ventionistischen Platt Amendment bis 1934 vertraglich geregelt ab.842 Jener Präzedenzfall dient ebenso als Beispiel für Roosevelts außer- gewöhnlichen Führungsstil in seiner Außenpolitik, der für William Dodds Karriere in den Folgejahren entscheidend werden sollte. Obwohl er Sumner Welles‘ Rat nicht gefolgt war, hielt der Präsident an dessen diplomatischen Qualitäten fest und machte ihn bis spätestens 1937 zu einem der einflussreichsten Außenpolitiker seiner Administration.843 Zum einen hatte er Welles, der später zu Judge Moores, William Bullitts und William Edward Dodds Gegenspieler im State Department werden sollte,

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840 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. xx, 18-20. Vgl. auch BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 194f. Cordell Hull bestätigt in seinen Memoiren diese von außenpolitischen Kenntnissen geprägte, internationalistisch-progressive Einstellung seines Präsidenten. 841 Die Insel Kuba, 1898 von spanischer Herrschaft befreit und nach zahlreichen Unruhen durch das Platt-Amendment des US-Kongresses 1903 zu einem Ziel direkten amerikanischen Einflusses in der Karibik erklärt – ganze vier Mal hatten die USA seitdem interveniert – war ebenso wie der große Nachbar im Norden von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen worden.Vgl. u.a. SCHMITZ: Triumph. S. 26-29. BAILEY: Diplomatic History. S. 683ff. Vgl. auch GELLMAN, Irwin F.: Roosevelt and Batista. Good Neighbor Diplomacy in Cuba, 1933-1945. Albuquerque, NM, 1973. 842 Vgl. BAILEY: Diplomatic History. S. 683. SCHMITZ: Triumph. S. 28f. Sicherlich entsprach jene Entscheidung dem allgemeinen Trend der Roosevelt-Administration, rechtsgerichtete Diktaturen in Lateinamerika als Bollwerk gegen kommunistische Propagandaaktivitäten zu unterstützen und entgegen Woodrow Wilsons politischer Linie anzuerkennen. Vgl. auch Roosevelts Erklärung zur Good Neighbor Policy in Kuba vom 13. August 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 114. S. 322ff. Das Platt-Amendment, benannt nach dem republikanischen Senator Orville Platt aus Connecticut, aberkannte 1901 nach dem amerikanischen Sieg über Spanien im Spanisch- Amerikanischen Krieg von 1898 weitgehend die Souveränität des Inselstaates, indem sich die USA ein Interventionsrecht vorbehielten. Vgl. LaFEBER: American Age. S. 210. 843 GELLMAN: Secret Affairs. S. 56.

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als jungen Absolventen von Groton und Harvard selbst in eine erfolg- reiche diplomatische Karriere katapultiert.844 Zum anderen entsprachen Welles‘ realpolitische Einstellung, sein dem Präsidenten stets loyales Verhalten und sein Talent, die Ideen Roosevelts in die Tat umzusetzen, vielmehr den Vorstellungen des amerikanischen Regierungschefs von einer zielführenden Außenpolitikformulierung als die konventionellen Methoden, die die Mehrheit der Diplomaten im State Department aus republikanischen Zeiten mit ihrer unterschwelligen Kritik am New Deal pflegten. 845 Mit der Kuba-Episode hatte Roosevelt dem jungen Diplomaten Welles zu einem direkten Zugang zum Weißen Haus unter Umgehung des State Departments, aber auch Cordell Hulls verholfen, den Welles zum strategischen Nachteil für viele andere außenpolitische Akteure im US-System bis zu seinem Rücktritt erfolgreich ausnutzen sollte.846 Mit dieser Entscheidung schuf Roosevelt einen würdigen Konkurrenten für Außenminister Hull mit seinen Aktivitäten in Washingtons Latein- amerikapolitik.847 Gleichsam erfüllte Cordell Hull eine eigene Funktion in Franklin Roosevelts Neuausrichtung der Außenpolitik und seiner Kom- petenzen und Einflussmöglichkeiten im Kongress wollte der Präsident unter keinen Umständen verlustig werden.848 Trotz mehrerer schwelender Grenzkonflikte in Südamerika sandte er deshalb den Secretary of State auf die Interamerikanische Konferenz in Montevideo, Uruguay, um seinen Worten zur Good Neighbor Policy Nachdruck zu verleihen und dem

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844 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 60. 845 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 61, 69 und 88. 846 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 69 und 86. Vgl. auch BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 191. Es ist aus diesem Grund zu bezweifeln, ob das Verhältnis zwischen Präsident und Außenminister so harmonisch und kooperativ war, wie Hull es in seinen Memoiren schildert. 847 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 62. Welles verstand es, Personen im State Department, die mit seinen Plänen und Vorstellungen nicht übereinstimmten, zu umgehen, aus ihrem Amt zu entfernen oder lediglich zu ignorieren. Vgl. auch BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 200. Hull schätzte diese Aktionen und den direkten Kontakt mehrerer Diplomaten und Beamter zum Präsidenten über seinen Kopf hinweg überhaupt nicht. S. 313: Hull gesteht die direkte Auseinandersetzung mit Welles in seinen Memoiren direkt ein. Vgl. zu Hulls Rolle in Roosevelts Lateinamerikapolitik PRATT: Hull. S. 139-179. 848 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 96.

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Minister die Möglichkeit zu geben, seine Freihandelsideen zu um- werben.849 Dabei spielte die Inklusion Lateinamerikas in ein reziprokes Freihandelsprogramm auf Basis der Meistbegünstigung eine entscheiden- de Rolle für die Ziele des Präsidenten: Mit zunehmender Handelsexpan- sion unter dem bilateralen Quotensystem der nationalsozialistischen Führung reduzierte sich die Zahl jener vor allem europäischen Staaten, die Handelspartner Amerikas bleiben sollten oder werden konnten.850 Welles und Hull erfüllten hierbei beide schon 1933 eine besondere Rolle für die internationalistische Ausrichtung ihrer Administration. Einen weiteren Schwerpunkt amerikanischer Außenpolitik 1933 stellte die Fernostpolitik mit besonderem Fokus auf die japanische Expansion in China seit 1931 dar. Präsident Roosevelt entschied sich hier – entgegen der Empfehlungen seines Brain Trusts und des State Departments – für Kontinuität und eine Fortführung der Politik Präsident Hoovers und Außenminister Stimsons, deren Hoover-Stimson-Doktrin vom Januar 1932 die Beziehungen zu Japan eindeutig festgelegt hatte: Keine der Eroberungen Japans in der chinesischen Mandschurei sollte anerkannt werden.851 Ohne eine direkte Konfrontation mit oder Provokation der ______

849 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 65f. GELLMAN: Secret Affairs. S. 49-54. Erst jedoch als Hull sich selbst mit schwierigen Verhandlungspartnern wie dem argentinischen Außenminister Carlos Saavedra Lamas auf neue Handelsbeziehungen zwischen Norden und Süden einigen konnte, zeigte Roosevelt Begeisterung für die Qualitäten seines Außenministers. Vgl. auch die Presseerklärung des Weißen Hauses vom 9. November 1933 zur Konferenz in Montevideo in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 156. S. 459-464. 850 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 121-143. Vgl. Hulls spezielle Rolle im Aufbau des Freihandelsprogramms für die USA bei PRATT: Hull. S. 107-138. 851 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 117-162. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 75ff. BAILEY: Diplomatic History. S. 686-699. Jene Nichtanerkennungsdoktrin wurde dabei in direkte Verbindung zum Kellogg-Briand-Pakt, der Ächtung jedes Angriffskrieges von 1928, gesetzt. Vgl. OFFNER: Origins. S. 133ff. Roosevelt hielt an Stimsons Doktrin gegenüber Fernost fest: Um traditionelle (Handels-) Interessen in der Region, insbesondere das Prinzip der Open Door, zu bewahren, sollten sich die USA weder in die unzähligen Probleme der chinesischen Zentralregierung unter Chiang Kai-sheks einbinden lassen, noch ein bilaterales Übereinkommen Großbritanniens mit Japan zulassen. Alle Regeln und Vertragssysteme mussten aufrechterhalten werden. Mit diesem Festhalten an Stimsons Doktrin unter gleichzeitig maximaler Flexibilität der Handlungsoptionen [SCHMITZ: Triumph. S. 30f.:] reagierte Roosevelt vermutlich auf die Warnungen seines Botschafters in Tokio, Joseph Grew. Vgl. zu Joseph Grew auch HEINRICHS, Waldo H.: American Ambassaor. Joseph C. Grew and the Development of the United States Diplomatic

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fernöstlichen Macht heraufzubeschwören, entschied sich Roosevelt nach Japans Austritt aus dem Völkerbund infolge des japankritischen Lytton- Berichtes zur Invasion in der Mandschurei im Frühjahr 1933 zum Ausbau der amerikanischen Marine, um sich der erlaubten Maximalrüstungshöhe des Washington Naval Treaty, auch bekannt als Fünf-Mächte-Vertrag, von 1922 anzunähern und so indirekt Druck auf die japanischen Machthaber auszuüben.852 Über die traditionelle Außenpolitiklinie des State Departments und seines demokratischen Vorgängers Woodrow Wilsons setzte sich Franklin Roosevelt mit seiner Politik der Anerkennung und der Aufnahme von Beziehungen zum sowjetischen Russland hinweg.853 Für die Vorbereitung dieser Neuausrichtung der Außenpolitik – eine Kooperation der demo- kratischen Westmächte mit der Sowjetunion sollte William Dodd von Berlin aus immer wieder postulieren – engagierte der Präsident seinen engen Vertrauten William C. Bullitt – ein Gegenspieler des sowjet- kritischen Under Secretary of State William Phillips und William Dodds, sowie ein Verbündeter R. Walton Moores und Cordell Hulls im State Department. Als Special Assistant to the Secretary of State sollte Bullitt die Annäherung an die Sowjets ermöglichen.854 Indem Roosevelt

______Tradition. Reprint. New York, London 1979. Vgl. auch den Gesamtüberblick über die amerikanische Fernostpolitik bei BORG, Dorothy: The United States and the Far Eastern Crisis of 1933-1938. From the Manchurian Incident through the Initial Stage of the Undeclared Sino-Japanese War. Cambridge, MA, 1964. 852 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 31. Vgl. Roosevelts Executive Order zum Ausbau der Marine vom 16. Juni 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 80. S. 249ff. Außenminister Hull unterstützte diesen Japankurs seines Präsidenten, vgl. PRATT: Hull. S. 232-269. 853 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 25. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 78-81. BAILEY: Diplomatic History. S. 671. Under Secretary of State William Phillips brachte besondere Bedenken bezüglich der Weigerung der Sowjets an, für Kriegsschulden des abgesetzten russischen Zaren gerade zu stehen sowie Religions- und Eigentumsfreiheit von Amerikanern in der Sowjetunion zu gewährleisten. Vgl. zur Sowjetpolitik Wilsons und insbesondere Bullitts Rolle bei den Verhandlungen: BROWNELL/BILLINGS: So Close To Greatness. S. 73-99 sowie APPLEMAN WILLIAMS, William: American-Russian Relations, 1781-1947. New York u.a. 1952. S. 157-175. 854 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 48. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 80f. Nach Vorverhandlungen durch Henry Morgenthau und Bullitt führte Roosevelt selbst die Gespräche mit dem sowjetischen Kommissar für Auswärtiges, Maxim Litvinov. Vgl. PHILLIPS: Ventures in Diplomacy. S. 156ff. Vgl. auch BULLITT: For the President. S. 38-53.

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William Bullitt Ende 1933 zum ersten US-Botschafter in der Sowjetunion ernannte, machte der Chef der amerikanischen Exekutive sein Ver- ständnis von Außenpolitik deutlich: Die diplomatische, wirtschaftliche und politische Anerkennung der Sowjetregierung wertete den kommunis- tischen Staat eindeutig gegenüber dem autokratischen Japan und dem nationalsozialistischen Deutschland auf und errichtete eine Pufferzone zwischen der asiatischen und der europäischen Interessenssphäre. Der freundschaftliche Umgang mit Maxim Litvinov musste die faschistisch- nationalsozialistischen beziehungsweise diktatorischen Machthaber in Italien, Deutschland und Japan angesichts ihrer weniger freundlich verlaufenden Gespräche mit den Amerikanern über Schulden und Wirt- schaftsinteressen verärgern.855 Die Interessen konservativer, antisowje- tischer Kreise im State Department wurden dabei offensiv übergangen und die Position der progressiven Internationalisten, die sich für eine Kooperation mit der Sowjetunion gegen die expansionistischen faschis- tischen beziehungsweise nationalsozialistischen Mächte aussprachen, wie Hull, Bullitt, Dodd und Moore, gestärkt. Gleichzeitig setzte der Präsident mit Bullitt eine weitere einflussreiche, ihm loyale Persönlichkeit in eine Schaltstelle seiner Außenpolitik ein, die sowohl innerhalb des konservativ-isolationistischen als auch des progressiv-internationalis- tischen Lagers der Außenpolitiker starke Konkurrenten und Verbündete vorfand. Zwei weitere Gründe, die beide eng miteinander verwoben waren, führten zu einer zunächst eher zurückhaltenden Deutschlandpolitik der Roosevelt-Administration im Jahr 1933: die starke isolationistische Grundeinstellung vieler alter wie neuer Außenpolitiker im amerika- nischen System sowie die interne Auseinandersetzung in Administration und Behörden über die Linien der neuen Außenpolitik.856 Zunächst sah sich der Präsident nicht mit per se isolationistischen Argumenten konfrontiert, sondern mit einem generellen Desinteresse der US-Bevöl- kerung und vieler Politiker an der Außenwelt, das sicherlich auf die

______Vgl. auch BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 297. Vgl. zu Bullitts Rolle auch BROWNELL/BILLINGS: So Close To Greatness. S. 123-138. 855 Vgl. zu den deutsch-sojwetischen Beziehungen 1933 bis 1936 u.a. MacMURRY, Dean S.: Deutschland und die Sowjetunion 1933-1936. Ideologie, Machtpolitik und Wirtschafts- beziehungen. Köln und Wien 1979. 856 Vgl. JUNKER: Kampf um die Weltmacht. S. 34-37.

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innere Krise zurückzuführen war.857 Ein Großteil der außenpolitischen Debatte blieb damit zunächst auf das Kabinett, die Behörden und den Kongress, besonders den US-Senat, begrenzt.858 Roosevelt selbst konnte beruhend auf seiner international geprägten, humanistischen Erziehung nicht an eine Isolation der USA von allen externen Gefahren und Ein- flüssen glauben. Mit seiner Wilsonschen Überzeugung von Amerika als „Kraft des Guten in der Welt“ stellte er sich in die klassische Tradition progressiver Internationalisten, die an die fortschrittliche Weiterentwick- lung des amerikanischen Systems in einer verbesserungswürdigen und – werten Welt glaubten.859 Doch auch ein Franklin Delano Roosevelt, der die Zügel der amerikanischen Politik gerne in der Hand behielt, verfügte eben nicht über diktatorische Befugnisse und wünschte sie sich auch nicht. So wurden seine Berater und andere außenpolitische Akteure wie die US-Senatoren und die Beamten des State Departments niemals zu Marionetten, die von ihm vollständig kontrolliert wurden, sondern sie vermochten in ihren Auseinandersetzungen, die der Präsident durchaus bewusst förderte, immer wieder eigene Akzente zu setzen.860 Ein Beispiel ist die oben beschriebene Abrüstungskonferenz in Genf, ein Kernpunkt demokratischer US-Deutschlandpolitik im Sinne der Förderung des Weltfriedens und damit wirtschaftlicher Erholung, für die Roosevelt auch gegen innenpolitische Widerstände bereit war, weit zu gehen. Dem Präsidenten waren allerdings durch die Embargogesetzgebung

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857 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 78. Vgl. auch GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 61: Erst 1934 förderten die Ergebnisse des Nye-Committees mit seinen Ergebnissen zu den „merchants of death“, den Kriegsprofiteuren auf politischer und wirtschaftlicher Seite in den USA während des Ersten Weltkrieges, für ein neues Anheizen der öffentlichen Isolationismusdebatte. 858 Vgl. zur internen Isolationismusdebatte in den USA und ihren Konsequenzen für Roosevelts Politik: DIVINE: Illusion of Neutrality; LANGER/GLEASON: Challenge to Isolation. S. 18-153. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. Besonders S. 58-88. 859 Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 61. Vgl. auch DOENECKE, Justus D.: The Roosevelt Foreign Policy. An Ambiguous Legacy. In: DOENECKE, Justus D./ STOLER, Mark A. (Hgg.): Debating Franklin D. Roosevelt’s Foreign Policies, 1933-1945. Lanham, MD, u.a. 2005. S. 7. Siehe auch S. 9f. Vgl. zu Wilsons politischer Philosophie auch Kapitel 2.2. 860 Vgl. hierzu insbesondere die Rolle von Kabinettsmitgliedern wie Cordell Hull in FENNO, Richard F., Jr.: The President’s Cabinet. An Analysis in the Period From Wilson to Eisenhower. Cambridge, MA, 1959. S. 172-178 sowie PLISCHKE, Elmer: U.S. Department of State. A Reference History. Westport, CT, London 1999. S. 277f.

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des Kongresses die Hände gebunden.861 Konservative Beamte wie Jay Pierrepont Moffat und Hugh R. Wilson rieten ihm erfolgreich von einer offenen Auseinandersetzung mit dem isolationistischen Senatorenkreis um den republikanischen progressiven Isolationisten Senator Hiram Johnson aus Kalifornien ab, um den Rückhalt progressiver Republikaner für die New Deal-Gesetzgebung nicht zu verlieren. 862 Zweifelsohne

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861 Die Weisung an den Internationalisten Norman Davis, den anwesenden Staaten in Genf mitzuteilen, die USA seien bereit, selbst massiv abzurüsten, so bei kollektiven Bemühungen in Form von Sanktionen nach Art. XVI der Völkerbundsakte zu kooperieren oder zumindest nicht zu unterminieren, kollidierte mit den Vorstellungen mehrerer Personengruppen. Zum einen riskierte Roosevelt eine offene Auseinandersetzung mit General Douglas MacArthur, der von einer auf 140.000 Mann reduzierten amerikanischen Armee nichts anzufangen wusste. Zum anderen nahm die amerikanische Delegation mit dieser Entscheidung Abstand von den traditionellen amerikanischen Neutralitätsrechten, sich von kollektiven Sanktionen wie Aggressoren fernzuhalten. In einem Zusatz zu einer neuen Gesetzesvorlage, dem Johnson-Amendment, wollte Roosevelt akzeptieren, dass er als Chef der Exekutive zwar seine Entscheidung nicht von kollektiven Sanktionen anderer Staaten oder des Völkerbundes abhängig machen, sehr wohl aber Waffenlieferungen nach eigenem Gutdünken erlauben durfte. Vgl. COLE: Isolationists. S. 65-75. OFFNER: Origins. S. 112f. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 35f., 47-50 und 66-69. Vgl. zur Einstellung General MacArthurs bezüglich Roosevelts Abrüstungsplänen auch HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 90ff. Sowie zu Roosevelts Einstellung gegenüber dem MacDonald- Plan ebenda, S. 92f. Vgl. auch die Fragen der Presse an Roosevelt zu Norman Davis‘ Vorschlag und der Frage nach einer „gezwungenen“ Kooperation in Form von obligatorischer Beratung mit dem Völkerbund auf der 9. Pressekonferenz vom 10. Mai 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 52. S. 169-174. 862 Selbst als Präsident Roosevelt im Dezember 1933 mit seiner Rede vor der Woodrow Wilson Foundation einen Vorstoß wagte, sich vorsichtig für den Völkerbund und seine Bedeutung für den Frieden in der Welt auszusprechen, offenbarte sich seine geschwächte Position in der Tatsache, dass die Entscheidung über den Beitritt der USA zum Weltgerichtshof durch eine kleine, aber einflussreiche Gruppe von Senatoren um progressive Republikaner wie William Borah aus Idaho, Bronson Cutting aus New Mexico, Gerald Nye aus North Dakota, Hiram Johnson aus Kalifornien und Robert LaFollette aus Wisconsin über zwei Jahre hinausgezögert und dann in einem knappen negativen Votum fiel, obwohl eine breite Öffentlichkeit in beiden Parteien, dem House of Representatives, einer Mehrzahl der Medien, Gewerkschaften, Kirchen und bundesstaatlichen Legislativen einen Beitritt zur Förderung des internationalen Friedens und der Gerechtigkeit befürworteten. Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 69ff. Vgl. Roosevelts Rede vor der Woodrow Wilson Foundation vom 28. Dezember 1933 in The Public Papers and Addresses, Vol. 2, 1933. Dokument 192. S. 544-549. Vgl. zum politischen Einfluss Senator Gerald Nyes und der Midwestern Agrarians auf die Isolationismusdebatte: COLE, Wayne S.: Senator Gerald P. Nye and American Foreign Relations. Reprint of the edition published by the University of Minnesota Press, Minneapolis in 1962. Westport, CT, 1980. Besonders die

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hatte jene langwierigen Auseinandersetzung in Kongress, Kabinett und Administration sowie in den Behörden gemäß isolationistischer, internationalistischer und nationalistischer Erwägungen eine weitere Eskalationsstufe in Deutschland ermöglicht: Mit dem Austritt aus dem Völkerbund und der Genfer Abrüstungskonferenz gelang Hitler am 14. Oktober 1933 der Coup, dem die amerikanische Administration nichts entgegensetzte: Der deutsche Diktator schmetterte seiner Bevölkerung und seinen politischen Gegnern im In- und Ausland einen ersten außenpolitischen Erfolg entgegen, der das von Amerika mit aufgebaute Versailler System nicht mehr nur revidierte, sondern endgültig aus- höhlte.863 In einer weiteren essentiellen Weichenstellung der amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik der 30er Jahre standen sich zwei Fraktionen der Roosevelt-Administration gegenüber: die ökonomischen Nationalisten um die Brain Truster Raymond Moley, Adolf Berle und Rexford Tugwell sowie die ökonomischen Internationalisten um Cordell Hull und Daniel Roper. Jene Auseinandersetzung verlief entlang ver- schiedener Leitlinien, unter anderem die Frage betreffend, welche Rolle eine Belebung der Weltwirtschaft generell für die US-Wirtschaft hatte, ob Freihandel und/oder Zollsenkungen eine Lösung für die schwache Wirtschaft und Industrie sein konnten oder ob nur bilaterale Verträge die Überschussproduktion der amerikanischen Landwirtschaft auffangen konnten.864 Der Konflikt eskalierte auf der oben beschriebenen Londoner Weltwirtschaftskonferenz, resultierte überraschenderweise jedoch im Rücktritt des Nationalisten Moley langfristig zu Gunsten Cordell Hulls und der amerikanischen Umsetzung seiner Idee eines freien Welthandels

______Seiten 79-149. Vgl. zu Borah McKENNA, Marian C.: Borah. Ann Arbor, MI, 1961. Zu seinem Einfluss während Roosevelts Administration die Seiten 287-368. 863 Vgl. OFFNER: Origins. S. 114. Vgl. auch FREIDEL: Launching the New Deal. S. 406f. 864 Einige der Konfliktlinien verliefen dabei zwischen State Department und Department of Commerce, deren Minister Hull und Roper eigentlich beide einer Ausweitung des Handels im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips zustimmten, jedoch für sich die Führungsrolle auf diesem Politikfeld beanspruchten. Dodd und Messersmith kritisierten in ihren Berichten häufig, dass die Handelsattachés in ihren diplomatischen Vertretungen zu zahlreich und überflüssig seien. Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 50-55. COLE: Isolationists. S. 51ff. Zur Vorgeschichte der Konferenz seit Hoover vgl. auch BAILEY: Diplomatic History. S. 655-667.

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auf Basis des Meistbegünstigungsprinzipes. 865 Hodgson nennt starke Argumente dafür, dass es Colonel House‘ Einfluss war, der Roosevelt in jenen Tagen dazu bewog, den progressiven amerikanischen Außen- minister und sein Vorgehen in London zu unterstützen.866 Folglich ist aus diesen Auseinandersetzungen der Schluss zu ziehen, dass sich letzten Endes bereits 1933 die Durchsetzungsfähigkeit der Internationalisten im Kabinett auf zahlreichen Ebenen andeutete, was nicht zuletzt auf die langfristigen Zielsetzungen Roosevelts zurückzuführen war. Natio- nalistisch-isolationistische Überzeugungen außenpolitisch relevanter Per- sönlichkeiten und Personengruppen blieben dabei dennoch bis 1941 ein kontinuierlicher Faktor, mit dem der Präsident zu rechnen und womit er umzugehen hatte. Wie stand der Präsident zu Hitlers Deutschland und zu einer direkten Deutschlandpolitik nach der „Machtergreifung“? Warum bestimmte dieser vierte Grund die letztlich fortgeführte Passivität der neuen deutsch-amerikanischen Beziehungen obwohl William Edward Dodd erschütternde Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in Berlin sammelte und diese der Hauptstadtzentrale meldete? „Die stufenweise Vereinnahmung der politischen Macht wie auch der gesellschaftlichen Ordnung in Deutschland durch die Nationalsozialisten forcierte eine stetige Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Zunächst war es dabei nicht die Auflösung der ohnehin schon immer problematischen Interessenparallelität zwischen Washington

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865 Es ist Junker [JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 57-63] zuzustimmen, für den feststeht, dass der Präsident die Konferenz absichtlich scheitern ließ, um seinem First things first-Credo gerecht zu werden und eigene Projekte in ihrer empfindlichen Anfangsphase nicht grund- und ergebnislos zu gefährden. Eine Lösung für die mannigfaltigen, tiefgreifenden Probleme der Weltwirtschaft auf jener teilweise chaoti- schen Konferenz in London stand ohnehin außer Frage. Die Tatsache, dass Raymond Moley nach seiner Rückkehr im Beraterkreis des demokratischen Präsidenten nie mehr Fuß fassen sollte, spricht für die Thesen zu einer absichtlichen Verschleierung von Roosevelts langfristig internationalistischer Planung eines reziproken Freihandelskon- zeptes, die auf jener Veranstaltung niemals einen Platz hätte finden können. Die Brain Truster – für Roosevelt wertvolle Berater während seiner ersten hundert Tage der New Deal-Einführung – hatten mit ihrer nationalistischen Haltung ihren Einfluss auf die zukünftige Außenpolitik verwirkt. Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 37-58. COLE: Isolationists. S. 54-94. GELLMAN: Secret Affairs. S. 38-41 und 93-96. COHEN: Nothing to Fear. S. 289-298. 866 Vgl. HODGSON: House. S. 269.

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und Berlin in Europa, die die Vorzeichen für das gegenseitige Verhältnis zunehmend auf Sturm stellte, sondern vielmehr die innenpolitischen Vorgänge in Deutschland”.867 Die Grundlagen für die sich abzeichnende, aber noch nicht ganz durchsetzende Verschlechterung des deutsch-amerikanischen Verhält- nisses lagen unter anderem in der Haltung der bedeutendsten Außen- politiker der neuen Roosevelt-Administration in Washington. Den Präsidenten selbst, Franklin Roosevelt, prägte seine Abneigung gegen den preußischen Militarismus, mit dessen todbringenden Ausmaßen er als junger Marinestaatssekretär konfrontiert worden war. Roosevelt entwickelte im Laufe des Jahres 1933 rasch intensive Abscheu vor dem Nationalsozialismus, seiner Ideologie und seinen Methoden.868 Die hier zugrundeliegenden Beweggründe waren weniger in einer allgemeinen prosemitischen Haltung als vielmehr in Roosevelts humanistisch- klassischer, weltoffener Erziehung zu suchen, die ihn den Respekt für Fairplay, Anstand, Menschlichkeit und Schutz für Minderheiten gelehrt hatte.869 Außenminister Cordell Hull, den eine generell anti- deutsche Einstellung prägte, entschloss sich nur deshalb für eine äußerst zurückhaltende Rolle in der amerikanischen Immigrationspolitik in Bezug auf jüdische Flüchtlinge aus Europa, weil seine Frau Frances väterlicherseits von österreichischen Juden stammte und der Secretary sich und seine Familie aus diesem Grund nicht dem Vorwurf der prosemitischen Befangenheit aussetzen wollte.870 Ausgebremst wurden

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867 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 38. 868 Vgl. hierzu BLACK: Champion of Freedom. S. 290. Vgl. ausführlich KINSELLA, William E. Jr.: The Prescience of a Statesman: FDR´s Assessment of Adolf Hitler before the World War, 1933-1941. In: ROSENBAUM, Herbert D./ BARTELME, Elizabeth (Hgg.): Franklin D. Roosevelt. The Man, the Myth, the Era, 1882-1945. Contributions in Political Science, Number 189. New York, Westport, CT, London 1987. S. 73-84. 869 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 8 und 16f. Vgl. auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 75. 870 Vgl. hierzu z.B. Hulls Schreiben an Louis Howe: Cordell Hull, Secretary of State, to Louis M. Howe, Personal Secretary to the President, September 6, 1933. In: NIXON: Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs. Volume I. S. 388f. Hull bittet Howe hier, Roosevelt davon abzuhalten, Samuel Untermeyer für eine Abendveranstaltung ein offizielles Grußwort des US-Präsidenten zu schicken, da jener den Boykott deutscher Güter befürworte. Ein weiteres Anheizen der Stimmung gefährde die Situation der Juden in Deutschland noch mehr. Vgl. zur Gesamtheit der amerikanischen Immigrationspolitik bezüglich jüdischen Flüchtlingen STEWART: United States Government Policy. Vgl. auch insgesamt die Darstellung bei WALLANCE: America’s Soul in the Balance.

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Roosevelt und seine progressiven Berater in Hinblick auf eine härtere Gangart gegen Deutschland durch konservative Politiker im Kongress und Beamte in den Behörden. Antisemitische Einstellungen waren zur damaligen Zeit vor allem bei konservativen Funktionären wie Wilbur Carr und William Phillips im State Department, im Kongress und in den Gewerkschaften in nicht geringem Umfang vorzufinden.871 Die zuletzt genannten Karrierebeamten des Departments setzten sich darüber hinaus dafür ein, dass die Einwanderungsquoten trotz einiger verzweifelter Versuche von Arbeitsministerin Frances Perkins, Juden aus humanitären Gründen die Einreise in die USA und den Zugriff auf den dortigen Arbeitsmarkt zu gewähren, nicht gelockert wurden.872 Der progressive Isolationist R. Walton „Judge“ Moore, auf dessen Hilfe sich Roosevelt in den Folgejahren für die Erarbeitung neuer, mit den Interessen des US-Kongresses konform gehender Gesetzesentwürfe zur Neutralität verlassen musste, arbeitete besonders in Hinblick auf zukünftige Wahl- kampfkampagnen Roosevelts gegen Visaänderungen zugunsten europäi- scher Flüchtlinge, um konservative und deutsch-amerikanische Wähler dauerhaft zu binden.873 Die Verschärfung der Lage deutscher Juden nach

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871 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 97-100. Vgl. auch CRANE: Mr. Carr. S. 309-330 für Wilbur Carrs Tätigkeit und Einfluss im State Department 1932 bis 1937. Der demokratische Präsident verstand es, auch konservative Beamte für seine Zwecke einzuspannen. Roosevelt schätzte Wilbur Carr, den er noch aus seiner Zeit als Assistant Secretary of the Navy kannte, besonders für seine Fähigkeit, in Krisensituationen zu improvisieren (S. 307). William Phillips gehörte zu den persönlichen Freunden Roosevelts (S. 310). Vgl. zum verborgenen und offenen Antisemitismus der amerikanischen Gesellschaft der 1930er Jahre auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 75. 872 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 103. Vgl. BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 172ff, 176 und 207. Hull beschwert sich in seinen Memoiren über Henry Morgenthaus eigenmächtigen Versuche, den Präsidenten über die Befugnisse des State Departments hinweg zu einer aggressiveren Politik gegenüber der deutschen Judenpolitik zu überzeugen. Es bleibt ungeklärt, ob Hull diese Äußerungen explizit in seinen Erinnerungen macht, um sich eines Vorwurfes der eigenen Befangenheit in dieser Frage zu entledigen. Vgl. zu Perkins´ Einstellung auch ICKES: Secret Diary. First Thousand Days. S. 111f. 873 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 104. Vgl. auch Messersmiths Berichte an das State Department in FRUS 1933, Vol. II, S. 323-326, 338-341 über die Behandlung der jüdischen Bevölkerung, S. 390f. über Angriffe auf US-Bürger, S. 398-402 zu Schwierigkeiten amerikanischer Journalisten aufgrund der Pressezensur und S. 418-439 zur Diskrimi- nierung gegen US-Firmen und Geschäftsinteressen.

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dem März 1933 wurde dadurch „zur besonderen Hypothek“874 der Bezie- hungen. Mit den Argumenten der Skeptiker in den bedeutenden Schaltstellen im Department und in der Administration konfrontiert, die keine härtere Linie gegen Deutschland für notwendig hielten, vermochten George Messersmiths und William Dodds Berichte 1933 wenig an der konkreten amerikanischen Linie gegenüber Deutschland zu verändern, obschon ihre aufrüttelnde Berichterstattung in Washington mit Interesse verfolgt wurde. Die deutschen Ereignisse ließen auch viele aufmerksame Beobachter im US-Senat nicht unbeeindruckt und bewegten den Mehr- heitsführer Senator Joseph E. Robinson aus Arkansas zu einer offenen Warnung vor der nationalsozialistischen Brutalität und ihren Konse- quenzen für die Zivilisation.875 Auch Cordell Hull musste von Dodds und Messersmiths Berichten früh direkt beeinflusst worden sein, denn er zitiert einige der von Dodd ausführlich beschriebenen Entwicklungen bezüglich Aufrüstung und dem militärischen Drill in Deutschland in seinen Memoiren: Es habe so viele entmutigende Tendenzen in Europa gegeben, „but the most troubling was Hitler’s Germany”.876 Die binnen- politische Bedeutung jener öffentlichen Reaktionen auf die Grausamkeit der deutschen innenpolitischen Maßnahmen erwies sich als bei weitem geringer als ihre Auswirkungen auf das Verhältnis beider Staaten zueinander. Dies lag unter anderem darin begründet, dass die Vehemenz der Kritik am nationalsozialistischen Regime von geographischen und gesellschaftsspezifischen Gesichtspunkten abhing. Im Nordosten und in den Metropolregionen war sie besonders stark und vernehmbar, nicht aber in der Weite des Landes im Mittleren Westen und Westen.877 Diese Kluft innerhalb der amerikanischen öffentlichen Meinung zwang Prä- sident Roosevelt mit Beginn seines Amtsantrittes zu eine Betonung innenpolitischer Ziele, was von der nationalsozialistischen Führung nicht nur generell begrüßt wurde, sondern als „‘Feigenblatt‘ für eigene natio- nalegoistische Tendenzen“878 genutzt wurde. Vergleiche zwischen der deutschen Autarkiepolitik und der Wirtschaftspolitik des New Deal, ______

874 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 38. Vgl. auch zu den Reaktionen in der amerikanischen Presse die gesamte Monographie von LIPSTADT: Beyond Belief. 875 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 215. 876 BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 234. 877 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 40f. 878 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 43.

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an deren Spitze zwei charismatische Führungspersönlichkeiten standen, die mit dem hehren Ziel brillieren wollten, ihre Bevölkerung aus der Depression zu führen, waren unter den – vor allem deutschen – Zeitgenossen nicht selten.879 Obwohl ein negatives Amerikabild bei den deutschen Eliten und Intellektuellen wie schon zuvor in der Weimarer Republik keine Seltenheit war 880 – William Dodd unterschätzte den Einfluss dieser antiamerikanischen und antidemokratischen Haltung innerhalb des Bürgertums und den Eliten maßlos881 – , setzte die neue deutsche Regierung auf eine vorsichtige und positive Berichterstattung über die amerikanischen Verhältnisse seit Amtsantritt Roosevelts. Um weder handelspolitische Gegensätze zum eigenen Nachteil zu verschärfen noch die USA unnötig zu provozieren, 882 war diese Haltung Hitlers vermutlich nur ein weiterer „gewichtiger Baustein in der Vorbereitung und Verwirklichung der ersten kontinentaleuropäischen Etappe seines ‚Stufenprogramms‘“.883 Hieraus resultierten ebenso die freundliche Auf- nahme William Dodds in Berlin im Juli 1933 und das anfängliche Vorhaben auf deutscher Seite, den neuen Botschafter zu umschmeicheln und für eigene Zwecke als freundlich gesinnten Berichterstatter einzu- spannen, solange er – das hatten die Recherchen der Beamten des Auswärtigen Amtes gezeigt – nur kein überzeugter Kommunist war. Trotz des Widerstandes in konservativ-isolationistischen Kreisen des State Departments und seiner Administration gelang es Franklin Roosevelt dennoch, zwar nicht in konkreten Politikfeldern wie der Ein- wanderungspolitik, sehr wohl jedoch in der großen Ausrichtung seiner

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879 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 35 zur Dependenz von innerer und äußerer Politik in der deutschen und amerikanischen Wirtschaftspolitik. Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 41-46 zu den (durchaus positiven) Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf Franklin Roosevelts Wahlsieg und Amtsantritt. 880 Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 98f. 881 Vgl. hierzu auch BROSZAT, Martin: Grundzüge der gesellschaftlichen Verfassung des Dritten Reiches. In: BROSZAT, Martin/ MÖLLER, Horst (Hgg.): Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Geschichte. Vorträge aus dem Institut für Zeitgeschichte. München 1983. S. 38-63. Broszat schildert die Mobilisierung und Transformation der deutschen Gesellschaft unter nationalsozialistischer Herrschaft. Die Möglichkeit der „Machtergreifung“ hatte sich aus der „ideologischen Radikalisierung sozial-moralischer Normen des Mittelstandes” (S. 39) ergeben. 882 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 41-46. 883 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 45. Vgl. zu der Theorie von Hitlers Stufenprogramm HILLGRUBER: Hitlers Strategie. S. 13-24 und 317-397.

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Deutschlandstrategie an einigen Zahnrädern zu drehen: Eine signifikante und rasch einsetzende Verschlechterung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses war die Folge, die bis zum Ende des Jahres 1933 als Zwischenstufe eine misstrauische Zurückhaltung zwischen beiden Staaten erreichte. Nachdem Präsident Herbert Hoover und sein Außenminister Henry Stimson an der Stabilisierungspolitik ihrer republikanischen Vorgänger gegenüber Deutschland festgehalten hatten, brach Franklin Roosevelt mit genau dieser einvernehmlichen Politik. Statt Hitlers aggressive Revisionsforderungen zu unterstützen oder im national- sozialistischen Deutschland ein Bollwerk gegen den Bolschewismus zu erkennen, setzte der demokratische Präsident auf eine Annäherung an Frankreich und die Sowjetunion und beendete so die Sonderstellung, die ein demokratisches Deutschland in den 20er Jahren für die ehe- maligen republikanischen Administrationen eingenommen hatte.884 Der deutsche Botschafter in Washington Hans Luther, der als ausgewiesener Wirtschaftsexperte der amerikanischen Regierung anfangs noch als durchaus vernünftig und zugänglich erschienen, war die Schuldenfrage kompetent diskutieren zu können, fiel besonders bei Roosevelt und Hull bald in Ungnade und wurde zunehmend ins Abseits gestellt, weil er im Ruf stand, die Wirtschaftspolitik seiner Obrigkeit in Berlin kritiklos zu verteidigen.885 Es ist anzunehmen, dass die im Vergleich zu seinem Vorgänger Frederic Sackett 886 sehr viel negativer ausgefallene, mit zahlreichen anschaulichen Beispielen für den Charakter der national- sozialistischen Herrschaft bestückte Berichterstattung William Dodds den Chef der US-Exekutive rasch erkennen ließ,887 dass das national- sozialistische Deutschland eines auf keinen Fall mehr war: Ein Partner für amerikanische Ziele und Interessen, ganz besonders in Hinblick auf eine friedliche und gemeinschaftliche Lösung der Weltwirtschaftskrise. Viel zu dominant mussten damals bereits Hitlers Revisionsziele auf den Präsidenten wirken, die die Veränderung des Status Quo zum einzigen

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884 Vgl. zur Deutschlandpolitik der Republikanischen Administrationen LINK: Sta- bilisierungspolitik. 885 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 49f. 886 Vgl. BURKE: Ambassador Frederick Sackett. 887 Vgl. Link: Stabilisierungspolitik. S. 489-522.

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und alleinigen Ziel Deutschlands machten und jede Interessenparallelität implizit in Frage stellten.888 Hitlers Absichten wurden mit den Ergebnissen der bereits mehrfach erwähnten Genfer Abrüstungskonferenz genauso deutlich wie mit dem Verlauf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz. Die Resultate dieser Konferenzen deckten sich mit dem Eindruck von den Grundzügen der neuen deutschen Politik, den Dodd bei seinen Verhandlungen in Berlin parallel dazu gewonnen und nach Washington berichtet hatte. Die Fragen der Abrüstung und der Außenwirtschaftspolitik galten der deutschen und der amerikanischen Regierung als miteinander eng verbunden, allerdings mit jeweils vollkommen unterschiedlicher Zielsetzung: Die amerikanische Regierung wollte mit diesen Mitteln einer weltweiten Abrüstung und zeitgleichen wirtschaftlichen Stabilisierung den Frieden auf der Welt bewahren und amerikanische Wirtschaftsinteressen in ein multi- laterales Freihandelssystem eingliedern; Hitler plante einen expansiven Vernichtungskrieg, den er durch eine massive deutsche Aufrüstung und ein autarkes Wirtschaftssystem ermöglichen wollte. Das Scheitern der Genfer Konferenz durch den Austritt Deutschlands verschaffte Hitler zwar einen kurzfristigen außenpolitischen Erfolg, verspielte aber zugleich das dauerhafte Vertrauen und die Unterstützung Amerikas.889 Diese Situation stellte die Washingtoner Zentrale bereits 1933 vor eine grundlegende Entscheidung, die sie bis auf weiteres hinauszögerte: Sollte gegen das nationalsozialistische Deutschland bereits frühzeitig und präventiv vorgegangen werden? Noch wollte sich die Regierung mit den Tatsachen des zerrütteten deutsch-amerikanischen Verhältnisses nicht konfrontiert sehen.890 William Dodd hatte sich in Übereinstimmung mit Roosevelts ursprünglichem Auftrag von Berlin aus mit der Abrüstungsfrage aktiv beschäftigt. Er war zu dem Schluss gekommen, dass eine britisch-amerikanischen Kooperation der japa- nischen und der deutschen Gefahr für den Status Quo in Europa und

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888 Vgl. LINK: Stabilisierungspolitik. S. 545-555. Vgl. auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 67f. Die Annahme, dass nur ein wirtschaftlich starkes Deutschland demokratisch werden könne und nur ein demokratisches Deutschland keine Angriffs- kriege mehr führen werde, beeinflusste bis in die 1930er Jahre hinein die Deutschland- bilder der amerikanischen Öffentlichkeit und weiter Teile der politischen Elite. 889 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 55. 890 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 56.

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Fernost Einhalt gebieten konnte, bevor es zu einem weiteren Krieg kam. Für sein proaktives Engagement in Gesprächen mit Norman Davis und britischen Repräsentanten und für sein Drängen auf eine anglo- amerikanische Zusammenarbeit wurde er allerdings unmittelbar von konservativen Diplomaten wie Moffat und Phillips gerügt. Washington machte dem Repräsentanten in Berlin klar, dass eine aktive Deutsch- landpolitik seitens des Departments nicht ins Auge gefasst wurde. Ausgebremst wurde William Dodd auch durch Präsident Roosevelts Entscheidungen selbst. William Dodds Empfehlungen, erste Eindrücke und Warnungen 1933 verpufften unter anderem deshalb, weil Roosevelt in seiner konkreten Außen- und Deutschlandpolitik trotz einiger zukunftsweisender Tendenzen für das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht denselben Raum für Experimente wie in der Innenpolitik zugestehen konnte und wollte. Das nationalistisch kalkulierende Ein- schreiten Roosevelts auf der Weltwirtschaftskonferenz in London wurde von der bewusst zurückhaltenden deutschen Delegation fälschlicherweise als Zeichen eines langfristig wirksamen Isolationismus ausgelegt. Wie bereits Luthers Korrespondenz mit dem Auswärtigen Amt zur Neuaus- richtung der US-Außenpolitik gezeigt hatte, rechnete man in Berlin mit einem innenpolitischen Primat der demokratischen Administration und wollte diese Entwicklung durch die Unterbindung provokanter Propa- gandaaktivitäten auf dem neuen Kontinent sowie die Reduzierung von Angriffen auf US-Bürger in Deutschland unterstützen.891 Den sich dennoch verschärfenden Ton in Berlin bezüglich der Wirt- schaftspolitik nahm Dodd wahr und berichtete hiervon nach Washington. Er resultierte aus dem widersprüchlichen Versuch der Deutschen, mit ihren Autarkieplänen Amerika nicht direkt zu provozieren und zugleich nicht das volle Ausmaß ihrer Pläne offenlegen zu müssen. Insgesamt hatte William Dodd zu den deutsch-amerikanischen Bezie- hungen bemerkt, dass auf beiden Seiten eine „abnehmende Bereitschaft [bestand], beim Prozeß der staatlichen Prioritätensetzung auf den jeweils

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891 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 86f und 89ff. Vgl. zur Vorsicht der Nationalsozialisten bei der Formulierung außenpolitischer Ziele in der Anfangsphase des Regimes als vor allem in Hinblick auf die ausländische Wahrnehmung „verwirrendes Lavieren zwischen Kontinuität und Neueinsatz“ (S. 206) BRACHER: Anfangsstadium der Hitlerschen Außenpolitik. In: MICHALKA: Nationalsozialistische Außenpolitik. S. 201-219. Dies entspricht auch den Reflexionen in der deutschen Presse auf Roosevelts Entscheidung in London, vgl. GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 184f.

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anderen Rücksicht zu nehmen”.892 „Im Jahre 1933 fällten Roosevelt und Hitler je eine spektakuläre Entscheidung, durch die die Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland in Fragen der Weltwirtschaft und Abrüstung gleichsam offiziell beendet wurde”.893 Diese Entwicklung sowie die politische Großwetterlage engten den Handlungsrahmen des amerika- nischen Botschafters in Berlin schon 1933 immens ein. Das komplizierte Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Frankreich, dessen Bedenken in Amerika kaum mehr Gehör zu finden schienen, sowie zu den anderen demokratischen Westmächten erschwerte Dodds Zusammenarbeit mit Botschafter François-Poncet oder Sir Eric Phipps als demokratisch gesinnte Verbündete in Berlin.894 Nichtsdestotrotz stellten das lange Austarieren über die Besetzung des amerikanischen Botschafterpostens sowie die Wahl des progressiven Internationalisten Dodd eine dieser richtungsweisende Tendenz der Roosevelt-Administration bezüglich Deutschland dar und dürfen keines- falls als Willkür oder Zufall abgetan werden. Die in diesem Kapitel genannten außenpolitischen Entscheidungen und Methoden des ameri- kanischen Präsidenten weisen darauf hin, dass Franklin Delano Roosevelt Personal nach eigenem Wunsch einsetzte, entsandte und abberief, so- lange ihm der jeweilige Amtsinhaber in einem bestimmten Zeitrahmen von Nutzen war. Dass William Dodd 1933 entsandt und erst zum Ende 1937 abberufen wurde, spricht dafür, dass der Progressivist von Roosevelt und weiteren einflussreichen Internationalisten wie Hull, Moore, Colonel House, Roper und Daniels, die auf seine Ernennung gedrängt hatten, direkt unterstützt und dass seine Ansichten von ihnen perzipiert und geteilt wurden. Die Gratulationswelle, die über dem amerikanischen Professor nach seiner Ernennung hereinbrach, weist auf eine ähnliche Haltung in der liberalen US-Presse und vieler Bürger hin, die dem neuen nationalsozialistischen Regime wegen der Bücherverbrennungen, der Verfolgungswellen, der Abschaffung der Grundfreiheiten und der weiteren Terrorakte größte Vorbehalte entgegenbrachte und in Dodd

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892 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 25. 893 JUNKER: Kampf um die Weltmacht. S. 18. 894 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 71.

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einen liberalen Demokraten erkannte, der in Berlin Standhaftigkeit an den Tag legen würde.895 William Dodd nahm seine Aufgabenstellung und Mission, für ameri- kanische liberale Werte und Tugenden einzustehen und die politisch- gesellschaftliche Alternative des Westens zu radikalen Revolutionen zu propagieren, sehr ernst.896 Dieses Pflichtbewusstsein veranlasste ihn, trotz seiner frühzeitigen Bedenken ob eines längeren Verbleibs im nationalsozialistischen Berlin Roosevelts Politik auch aktiv und unter schwierigen Umständen zu vertreten und zu verteidigen. Zu einem Verbleib im nationalsozialistischen Berlin bewegte Dodd sicherlich auch sein Auftrag, amerikanische Bürger vor Übergriffen in Schutz zu nehmen sowie seine positive Erinnerung an die deutsche Bevölkerung, die er bis Ende Dezember 1933 eindeutig von ihren Gewaltherrschern zu unterscheiden wusste und mit direkten Appellen zu warnen versuchte. Dieser prodeutsche Ansatz aufgrund seiner positiven Jugenderfahrungen in Leipzig veranlasste die gesamte Familie Dodds dazu, zunächst alle Seiten kennenlernen zu wollen und in ihrem offenen Haus verschiedene Gesellschaftsgruppen zu empfangen und Gedanken auszutauschen. 897 Damit gestalteten sich selbstverständlicherweise Dodds Erfahrungen in Deutschland viel intensiver und direkter als dies den Regierenden in Washington möglich war. Dodds Offenheit erfuhr nicht selten herbe Enttäuschungen. Die ehema- lige Führungsspitze um Reichsaußenminister von Neurath und Präsident von Hindenburg schien dem amerikanischen Botschafter zwar nicht zufrieden mit ihrer neuen revolutionären Regierung, aber auch wenig motiviert, an den gegebenen Zuständen etwas zu ändern. Einige Funk- tionäre aus dem alten Beamtentum, unter ihnen Rudolf Diels, erwiesen sich im Falle der Angriffe auf US-Bürger und der Bestrafung der nationalsozialistischen Täter als durchaus hilfreich. Die Umstände des ______

895 Vgl. zur Stimmung in der amerikanischen Öffentlichkeit, die sich wenige Monate nach der „Machtergreifung“ in einem landesweiten Boykott gegen deutsche Güter entlud und nicht von der jüdisch-amerikanischen Bevölkerung, sondern einer Vielzahl von engagierten Bürgern und Institutionen, besonders verschiedenen Kirchen, ausging: SIROIS: Illusion und Krieg. S. 38-41 und JUNKER: Kampf um die Weltmacht. S. 19f. 896 Vgl. DALLEK: Beyond Tradition. S. 234. 897 Vgl. REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 67f. Hierin teilte William Dodd ein positives Deutschlandbild, wie es sich in weiten Teilen der amerikanischen Eliten nach Ende des Ersten Weltkrieges manifestiert hatte.

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Reichstagsbrandprozesses und weitere Intrigen veranlassten, dass sich der progressive Amerikaner rasch vom engeren und weiteren Kreis der nationalsozialistischen Führung abwendete. Die Akten des Bundes- archivs haben bewiesen, dass sich William Dodd in kürzester Zeit von allen parteipolitischen und rein nationalsozialistischen Veranstaltungen zurückzog, soweit ihm das Protokoll dies erlaubte, das er in mancher Situation zu brechen gewillt war. Der nationalsozialistischen Führungs- spitze, der er psychopathische Charakterzüge zuschrieb, wich er bis auf wenige notwendige Treffen schon 1933 aus und empfand den National- sozialismus mit seinem Militarismus, seiner Gigantomanie und brutalen Rhetorik als archaisch, martialisch und furchterregend. Untermalt von Erlebnissen auf Deutschlandreisen, die die Familie Dodd inkognito unternahm, bot sich dem liberalen Wissenschaftler ein trauriges Bild von der Kultur, die er als junger Mann kennen und schätzen gelernt hatte. Das liberale Bürgertum war übergelaufen, eingeschüchtert, gleichgeschaltet, bedroht, inhaftiert oder halb verhungert – wie Martha Dodd nach einer ihrer Abendeinladungen schockiert festgestellt hatte – und hatte sich dem Regime unterworfen, wenn das Regime es nicht bereits vereinnahmt hatte. Dennoch hielt William Dodd auch Ende 1933 an seiner Einstellung fest, dass das deutsche Bürgertum im Herzen demokratisch und der Liberalismus in Deutschland lebendig sei – eine Fehleinschätzung in Hinblick auf die bereits zur Zeit der Weimarer Republik einsetzende Entliberalisierung weiter Teile des Bürgertums.898 Mit Recht, wie Manfred Jonas schreibt, empfand Dodd allerdings eine tiefe Abneigung für einige Wirtschaftsfunktionäre in den USA und in Deutschland, die aus den neuen Verhältnissen und dem Primat der Wirtschaftspolitik Profit schla- gen wollten, auch wenn dies ein schrittweises Aufrüsten Deutschlands und das Ende der Demokratie bedeutete.899

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898 Vgl. zur Entwicklung des Bürgertums in der Weimarer Republik unter vielen anderen Titeln WINKLER, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Erster Band. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik. München 2000. S. 378-551 sowie die vorausgehenden Kapitel zur Entwicklung im Kaiserreich. 899 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 222. Jonas beschreibt die Geschäfts- verbindungen u.a. von Dupont, Standard Oil, Ford, Alcoa, General Motors und weiteren US-Konzernen mit der deutschen Industrie.Vgl. auch GASSERT, Philipp: Keine rein geschäftliche Angelegenheit: Die „Feindvermögensfrage“ und die Auseinandersetzung um die amerikanischen Investitionen im Dritten Reich. In: BERG, Manfred/ GASSERT, Philipp (Hgg.): Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

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Schwerer tat sich der demokratisch denkende Amerikaner mit Vertretern der alten und neuen deutschen Regierung wie Hjalmar Schacht und einer Einschätzung ihrer Beweggründe. Fragen wie sie Schacht-Biograph John Weitz aufwirft, was nun wirklich „bekannte Industrielle, Großgrund- besitzer, Bankiers, Anwälte, Ärzte und Professoren dazu [trieb], sich einer Clique aus primitiven Krawallmachern der Unterschicht und verbitterten Außenseitern aus der Oberschicht anzuschließen”, 900 brachten auch William Dodd an die Grenzen seiner Vorstellungskraft. In Reaktion auf das Gesehene und Erlebte, und in Ermangelung konkreterer Weisungen aus Washington, wählte der Botschafter konventionelle und weniger konventionelle Rollen für seine Amtszeit. Hierzu gehörte die schonungslose, aber noch hoffnungsvolle Berichterstattung über die deutschen Entwicklungen und Ziele, wie er sie verstand, wobei er auf zahlreiche Quellen wie namhafte Journalisten, andere Diplomaten und seine konsularischen Kollegen zurückgreifen konnte. Die ausländischen Korrespondenten erlaubten ihm nicht nur eine hervorragende Sammlung von Informationen und Einblicke in die deutsche Gesellschaft und den nationalsozialistischen Politikbetrieb. Indirekt konnte er mit ihrer Hilfe Einfluss auf die amerikanische öffentliche Meinung gewinnen, die der Präsident mit seinen ersten Radioansprachen, den Fireside chats, seit März 1933 direkt adressierte.901 Hoffnungsvoll gestaltete sich seine Berichterstattung 1933 deshalb, weil Dodd in den liberalen Bürgern Deutschlands die Hoffnung auf eine mögliche Umwälzung der deutschen Verhältnisse erkennen wollte. Dieser Glaube war stark genug, ihn zu einer in Berlin wie Washington kritisierten Redetätigkeit zu bewegen. Das Auswärtige Amt und die deutsche Führung widmeten Dodd von Beginn an große Aufmerksamkeit und zeigten sich äußerst empfindlich bezüglich seiner Kritik. Bizarrer- weise machte Ernst Hanfstaengl viele Jahre später vor allem die Amtsführung William Dodds dafür verantwortlich, dass die USA Hitler gegenüber keine strengere Linie gefahren und ihm Einhalt geboten hatten, obgleich die deutschen Quellen zeigen, dass gerade Dodds ______Festschrift für Detlef Junker. Transatlantische Historische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 339-363. 900 WEITZ: Hitlers Bankier. S. 11. 901 Vgl. GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 77f. Gerste beschreibt Dodds Kontakt zu journalistischen Koryphäen wie William Shirer, die in den USA und europaweit großen Einfluss auf die öffentliche Meinung genossen.

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harsche Kritik und offensiverer Kurs in der Wilhelmstraße für Kopf- zerbrechen sorgten. Der amerikanische Botschafter kooperierte entgegen den Plänen des Auswärtigen Amtes für eine erfolgreiche deutsche Amerikapolitik mit den Machthabern in Berlin zu keiner Zeit, weshalb sich der Wunsch der deutschen Außenpolitiker nach einer Kooperation mit dem neuen Amtsinhaber in der US-Botschaft bereits 1933 in eine unmittelbare Abneigung gegen Dodd und sein Amtsverständnis wandelte.902 William Dodd bekam die Konsequenzen für die Wahl seiner Rollen als Kritiker des deutschen Regimes, als Fürsprecher liberaler Werte vor deutschem Publikum und seine Ablehnung einer Politik der Verstän- digung spätestens nach seinem Fernbleiben vom Reichsparteitag zu spüren: Der Botschafter und seine Familie erlebten zum ersten Mal in ihrem Leben das bedrückende Ausmaß von Überwachung, Spionage und Terror gegen sich und ihr soziales Umfeld. Dodds Funktionen als Ratgeber für Reformen der amerikanischen Behörden und für die Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik sowie sein direkter Draht zu Präsident Roosevelt und den höchsten Politikern seiner Administration missfielen nicht wenigen konservativen Karrierediplo- maten in seiner Heimat und den Machthabern in Berlin. In kurzer Zeit war somit für Dodds Zukunft der Grundstein für zahlreiche Konflikte gelegt.

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902 Vgl. CONRADI: Klavierspieler. S. 394f.

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4. 1934. Tage des Terrors

Das Jahr 1934 war geprägt von zwei Ereignissen, die William Edward Dodd in vielerlei Hinsicht zu einer veränderten Einschätzung über die Zukunft des Hitler-Regimes und Deutschlands veranlassten: Der „Röhm-Putsch“, eine diktatorische Säuberungsaktion Hitlers gegen Par- teigenossen, Mitglieder der SA und andere mutmaßliche Konkurrenten und Kontrahenten am 30. Juni 1934 und den Folgetagen, sowie der Tod des deutschen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 2. August 1934. Im vorliegenden Kapitel sollen die Gedanken, Berichte und Hand- lungen des Botschafters in Hinblick auf diese Vorkommnisse untersucht werden. Die Aspekte der Veränderungen in seiner Berichterstattung an das State Department, an andere Regierungsmitglieder und den Präsidenten und der Rolle, die Dodd und seine Familie während und nach den Ereignissen spielten, sind Teil dieser Analyse des zweiten Jahres seiner Botschafterzeit in Berlin. In den knapp fünf Jahren des Aufenthaltes in Berlin findet hier, Mitte 1934, eine frühe, entscheidende Zäsur903 für Dodd als Botschafter, als Berichterstatter und als Privatperson im nationalsozialistischen Deutschland statt. Persönlich wird ihn die eigene Erkenntnis prägen, dass die Deutschen – dies waren nach Dodds Definition die Bevölkerungsschichten und Bürger, die kein offizielles Amt in der NSDAP und dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem ausübten – mit diesen Ereignissen die Möglichkeit eines erfolgreichen Widerstandes oder einer demokratischen Revolution weitestgehend ver- loren hatten beziehungsweise verloren gehen ließen und sich ihrem Schicksal fügten. Mag auch an mancher Stelle der Eindruck in der Berichterstattung entstehen, dass Dodd vordergründig hoffte, in Deut- schland positiven und konstruktiven Einfluss ausüben zu können, so weisen seine private Korrespondenz, sein Tagebuch und der Austausch mit dem Präsidenten und den progressiven Mitgliedern der Administra- tion darauf hin, dass die Ereignisse 1934 und vor allen Dingen ihre Folgen und die Reaktionen aller Seiten ihn zutiefst in diesem Glauben erschüttert hatten. Dies bewirkte den Beginn einer inneren Resignation, wie sie sich

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903 Vgl. zur ersten Regimephase und ihrem Umbruch im Juni 1934 auch MANVELL, Roger/ FRAENKEL, Heinrich: The Hundred Days to Hitler. London 1974.

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bis 1937 in seinen Beobachtungen und seiner Tätigkeit vertiefen, 1934 aber noch nur geringfügig sichtbar werden sollte.

4.1. „[T]he horrors of the last few days“904. Terror und Gewalt des 30. Juni 1934 und Hindenburgs Tod

4.1.1. Die Tage und Wochen vor dem 30. Juni 1934: Dodds Vorahnung Zunächst ist es für die Argumentation dieser Entwicklung sinnvoll, die Zäsur selbst, also die unmittelbare Vorgeschichte, den Ablauf und die Folgen des 30. Juni aus Sicht des amerikanischen Botschafters und seiner Familie als Bezugsgröße in Augenschein zu nehmen. Bereits im Januar 1934 zeigte sich der amerikanische Botschafter besorgt um eine Unheil verheißende Atmosphäre, die sich Anfang des Jahres noch auf das Nachbarland Österreich zu beschränken schien: Der amerikanische Gesandte in Wien, George Earle, hatte ihm aufgelöst bei einem Abendessen in der Dodd-Residenz in Berlin von Mordanschlägen und Morddrohungen ihn selbst betreffend berichtet, unter anderem in dem Zusammenhang, dass sich die Situation für die den Nationalsozialisten verhasste österreichische Dollfuss-Regierung langsam zuspitzte. Dass Dodd diese Bedrohung für die Unverletzlichkeit der Immunität eines amerikanischen Diplomaten sehr ernst nahm, lässt sich daran erkennen, dass der Botschafter darauf bestand, Earle nur im Schutze seines eigenen Dienstwagens zum Berliner Bahnhof aufbrechen zu lassen.905 Als Dodd nach einem mehrwöchigen USA-Aufenthalt und seiner Rück sprache mit Roosevelt und dem State Department am 17. Mai nach Berlin zurückkehrte,906 stellte er eine unangenehm angespannte Atmosphäre

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904 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 118. 905 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 71f. Dies berichtet Dodd in seinem Tage bucheintrag vom 16. Januar 1934. Im November 1933 hatte Earle noch berichtet, es bestünde keine Gefahr für Dollfuß oder einen österreichischen Putsch. Vgl. FRUS 1934, Vol. II, S. 1f. Earle hatte Pierrepont Moffat am 21. November 1933 anvertraut, der europäische Frieden hinge direkt von Österreichs Unabhängigkeit ab. Der neue amerikanische Gesandte in Wien und Nachfolger Earles identifizierte als Mörder eindeutig das deutsche nationalsozialistische Regime. Vgl. FRUS 1934, Vol. II, S. 32f. 906 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 233. Dallek gibt Dodds Gespräch mit Roosevelt im Wortlaut wieder: Dodd fühle sich von der deutschen Führung, National sozialisten wie konservativen Politikern, über den Tisch gezogen, welche alle nicht das

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fest, ohne diese weiter spezifizieren zu können.907 Martha Dodd führt diesen Eindruck in ihren Erinnerungen auf verschiedene Faktoren zurück: Die Lebensbedingungen in Deutschland hatten sich im Frühjahr 1934 nicht verbessert, sondern verschlechtert, und es hielten sich hartnäckige Gerüchte um einen Sturz des Hitler-Regimes zugunsten einer Rückkehr der Hohenzollernmonarchie.908 Zweifelsohne grassierte Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung, auch weil bekannt war, wie uneins und unstimmig sich die nationalsozialistischen Parteiorgane, die Partei- führung und weitere Institutionen wirklich waren. 909 Jeder in ihrem Umfeld, so Martha, fühlte, dass etwas in der Luft lag, vermochte aber die Ursache für diese Wahrnehmung noch nicht zu ergründen.910 Wie bei anderen Anlässen diente Rudolf Diels, Chef der Geheimen Staats- polizei unter Hermann Göring, der Dodd-Familie als seismographisch genauer Indikator für Veränderungen im nationalsozialistischen Staat. Martha stellte eine extrem ausgeprägte Nervosität ihres engen Bekannten fest, die Diels unter anderem zu einem längeren Sanatoriumsaufenthalt in der Schweiz im Frühjahr 1934 zwang. Wenn Diels sonst auch mit seiner erfolgreichen Errichtung eines nahtlosen Spionagenetzwerkes für die nationalsozialistische Regierung geprahlt hatte, so überwog in jenen Tagen seine unverhohlene Angst vor der Tatsache, dass er zu viel über das nationalsozialistische System und seine Machenschaften „wüsste”.911

______taten, was sie vorgaben oder versprachen. Damit habe Dodd bereits vor Juni 1934 dem Präsidenten keine Aussicht auf Mäßigung des Regimes mehr bieten können. 907 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 100. Vgl. zur Krise des Regimes, die den Morden vom 30. Juni vorausging, BLOCH: Die SA. S. 67-95. Vgl. zur angespannten Stimmung ab Frühjahr 1934 auch GRASS, Karl Martin: Edgar Jung, Papenkreis und Röhmkrise 1933/34. Heidelberg 1966. S. 171-246. 908 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 133. Vgl. hierzu auch LUCAS: Hindenburg. S. 132f. 909 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 133. Vgl. hierzu MANVELL, Roger/ FRAENKEL, Heinrich: The Hundred Days to Hitler. London 1974. S. 153-168. Hitler sah sich 1934 einer Vielzahl konkurrierender Strukturen gegenüber, die seine Herrschaft und weitere Gleichschaltungsschritte gefährden konnten. Manvell und Fraenkel zählen mehrere aus- schlaggebende Faktoren auf, u.a. die Reichswehr, alte Kameraden Hitlers wie Röhm, paramilitärische Machtelemente wie die SA, anarchistische Elemente wie Stahlhelm- angehörige sowie konservativ-monarchistische Elemente um Papen und Schleicher, die Hitler zu einer lang überlegten und gezielten Aktion Mitte des Jahres 1934 bewogen. 910 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 134. „Everyone felt there was something in the air but didn’t know what it was”. 911 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 134f.

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Eindringlich bestand der Gestapo-Chef deshalb darauf, dass die Tochter des Botschafters in jenen Tagen oft in der Öffentlichkeit an seiner Seite gesehen wurde. Dieses Verhalten impliziert, dass Martha Diels im Sinne eines auf ihn erweiterten Schutzes der amerikanischen Immunität als menschliches Schutzschild dienen sollte.912 Interessanterweise ging dieser freiwillig gewährte Schutz nicht nur von Dodds Tochter, sondern auch vom amerikanischen Generalkonsul George Messersmith aus, der, laut Marthas Aussagen, Diels für einen der „rationalsten Nationalsozialisten“ der Führungsriege und damit für einen wertvollen Verhandlungspartner hielt. Diels wagte es deshalb auch, den Generalkonsul um Fürsprache bei der nationalsozialistischen Regierung zu bitten.913 Damit schloss sich angesichts eines immer offener zu Tage tretenden internen deutschen Konfliktes zwischen alten und neuen Mitgliedern des deutschen Staats- apparates die Schlinge um den Hals eines weiteren amerikanischen Diplomaten enger. Ohne auf Details einzugehen, riet William Dodd, der durch diesen persönlichen Einsatz für Diels um Messersmiths Leben fürchtete, Anfang Januar 1934 dem Präsidenten zur sofortigen Versetzung Messersmiths, den er für einen höchst fähigen Generalkonsul hielt.914 Auch die Kluft innerhalb der Partei, insbesondere die Auseinandersetzung bezüglich den tatsächlich erfolgten Regierungsmaßnahmen und der Er- füllung des ursprünglichen Programms, wurde offensichtlich größer.915 Die Unstimmigkeit zwischen den traditionellen staatlichen Einrich- tungen, wie der Reichswehr und den deutschen Behörden sowie den paramilitärischen SA-Gruppen aus der nationalsozialistischen Kampf- zeit wurde bis Anfang Juni so groß, dass Dodd in einem Brief an den amerikanischen Verhandlungsführer auf der Abrüstungskonferenz, Norman Davis, vom Zerfall der absoluten Machtstellung von Hitler, Göring und Goebbels durch diese Konflikte im nationalsozialistischen

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912 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 135f. 913 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 138f. 914 Dodd schätzte Messersmiths Arbeit und Kooperation sehr, wie er auch im Januar 1934 an Judge Moore berichtet: Dodd an R. Walton Moore, 18. Januar 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „One reason I recommended Messersmith [for the post in Vienna] was his ability to sense things accurately”. Vgl. Dodd an Roosevelt, 2. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R“). „[T]here are peculiar reasons why Berlin is not best post [sic!] for him any longer”. 915 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 131.

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Herrschaftssystem sprach.916 Dabei schloss der amerikanische Botschafter ein Zusammengehen der Reichswehr mit dem scheinbar am stärksten mit den traditionellen Eliten verbundenen Hermann Göring nicht aus. Ein Putsch konnte nach Dodds Ansicht jederzeit stattfinden. Kaum schien einem solchen Unterfangen aber Erfolg beschieden zu sein.917 Spätestens mit Vizekanzler Franz von Papens durch den Reichspräsi- denten gebilligter Rede in Marburg am 17. Juni 1934 konkretisierten sich für Dodd alle Zeichen einer Revolte der früheren Herrschaftseliten um die Monarchisten und traditionellen Militäreliten gegen Hitler.918 Die Quellen zeichnen das Bild eines nervlich stark angespannten Botschafters Dodd in einer Unheil versprechenden Atmosphäre, über die er in jenen Wochen fast täglich in seinem Tagebuch und seinen Briefen nach Washington schrieb.919 Dass die Ereignisse des 30. Juni Washington unvorbereitet trafen, weil Dodd vorab gar nicht oder nur wenig zur Lage berichtet hatte, wie sich später Pierrepont Moffat aus dem State Department in seinem Tagebuch beschweren sollte,920 kann angesichts der genannten Warnungen nicht

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916 Vgl. Dodd an Norman Davis, 13. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-D. „[T]he conflict between old military element, Reichswehr and Stahlhelm, on the one side and the new S.A. forces on the other, is certainly sharp. […T]he absolutism of the governing trio, Hitler, Goebbels and Göring, is certainly losing its former moral grip”. 917 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 110. Vgl. auch Immo von Fallois‘ Analyse zu den Beziehungen zwischen Hitler und Reichswehr sowie SA und Reichswehr vor 1933 sowie in den Jahren 1933/34: FALLOIS, Immo von: Kalkül und Illusion. Der Machtkampf zwischen Reichswehr und SA während der Röhm-Krise 1934. Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Band 75. Berlin 1994. S. 20-46, S. 73-112 und insbesondere S. 112-116 zur Möglichkeit eines konservativen Staatsstreiches. Vgl. auch FEST: Hitler. S. 617-635 zu Hitlers Verhältnis zu Reichswehr und SA und seinen Vorbereitungen des Coups. 918 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 114. „All guards of the leaders are said to be showing signs of revolt”. Dodd verblieb bis zum 30. Juni und Papens Arrest in dem Glauben, dass nicht nur Hindenburg, sondern auch Hitler von Papens umgehende Hinrichtung verhindert hatte. Vgl. zur Marburg-Rede und Edgar Jungs Gedanken, die Papen maß- geblich beeinflussten, auch PETZOLD: Franz von Papen. S. 206-222 und GRASS: Edgar Jung. S. 213-246. Vgl. zu Hitlers Reaktion auf Papens Marburg-Rede FEST: Hitler. S. 631ff. Vgl. den Text der Rede in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 237ff. 919 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 115f. 920 Vgl. Moffat Diary, 1. Juli 1934. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 01, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933. Vgl. auch Moffat Diary, 2. Juli 1934. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941).

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der Wahrheit entsprechen. Als sich die Lage täglich zuspitzte, war der Botschafter, folgt man seinen Aussagen und denen seiner Tochter, fast rund um die Uhr mit einer intensiven Sammlung aussagekräftiger Informationen zur deutschen Lage beschäftigt. Besondere Aufmerksam- keit schenkte er der SA, deren Führer sich zunehmend offen über den Einfluss von Hitlers Führungsriege beklagten. Es mehrten sich Gerüchte, dass SA-Führer Ernst Röhm die Gunst seines Duz-Freundes und Kampf- kameraden aus alten Zeiten Hitler verloren zu haben schien.921 Ende Juni kondensierten nun alle Konfliktlinien auf politischer, (para)mi- litärischer und gesellschaftlicher Ebene der vergangenen Monate zu einer handfesten Bedrohungslage, die viele Zeitgenossen in Martha Dodds Umfeld zu düsteren Vorahnungen bewegte.922 Beispielhaft hierfür war der Ablauf eines Dinners bei den Dodds in den letzten Stunden vor der Säuberungsaktion am 29. Juni 1934. Auf dieser Abendveranstaltung, zu der auch die Frau des italienischen Botschafters, Madame Cerrutti, sowie der deutsche Botschafter in Washington, Hans Luther, und ein sehr reserviert wirkender Franz von Papen geladen waren, herrschte eine merkwürdige Spannung, besonders zwischen Luther und Papen, die dann aber in demselben Fahrzeug – wie William Dodd bemerkte – die Veranstaltung verließen. Luther, dessen Verhalten der amerikanische Botschafter an jenem Abend am eindringlichsten beobachtete, wurde in Washington insbesondere seitens des Departments und Secretary Hulls nicht über den Weg getraut.923 William Dodd war nicht der einzige an jenem Abend, der die Gäste, ihre Äußerungen und ihr Verhalten

______Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 02, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1934- 1935. Moffat beschwert sich in zwei aufeinanderfolgenden Tagebucheinträgen über Dodds Nachlässigkeit in seiner Berichterstattung und hofft, dass dieser Mangel auch die Auf- merksamkeit der höchsten Beamten im Department erlangen werde. Vgl. hiergegen neben der Vielzahl der Berichte Dodds auch die Argumentation bei STRUPP: Beobachtungen. In: BAJOHR/STRUPP: Fremde Blicke auf das „Dritte Reich”. S. 87f. Seit Frühjahr 1934 wurde aus der US-Botschaft und den Konsulaten in Deutschland intensiv über die gesellschaft- liche und politische Unruhe berichtet. 921 Vgl. für den gesamten Abschnitt DODD: Through Embassy Eyes. S. 139. Rudolf Hess hatte Röhm am 22. Januar 1934 sogar öffentlich vor weiteren revolutionären Maßnahmen gewarnt. Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 103. 922 Vgl. zur Zunahme der Spannung mit der Sturmabteilung FALLOIS: Kalkül und Illusion. S. 117-139. 923 Vgl. für dieses Abendessen und Dodds Kommentare bezüglich Hulls Weisung DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 116f.

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aufmerksam studierte. Martha Dodd hatte den gesamten Abend Madame Cerrutti beobachtet, eine ungarische Jüdin, die sich von Hitlers Ideologie öffentlich distanziert hatte. Madame Cerrutti hatte die Veranstaltung im offensichtlichen Zustand eines bevorstehenden Nervenzusammenbruchs verbracht.924 Ihr abschließender Kommentar legte nicht nur auf einen höchst kuriosen Abend einen dunklen Schleier, als sie sich zum wieder- holten Male in diesen Stunden mit gesenkter Stimme an William Dodd gewandt hatte: „Mr. Ambassador, something terrible is going to happen in Germany. I feel it in the air”.925

4.1.2.Die Ereignisse des 30. Juni und ihre Folgen Der 30. Juni 1934 war in der Erinnerung Martha Dodds, ein warmer Sommertag, den sie in der Seelandschaft der Berliner Vorstadt verbracht hatte. Als die Tochter des Botschafters am frühen Abend nach Berlin zurückkehrte, wich der Eindruck einer frühsommerlichen Idylle schlag- artig dem einer beklemmenden Atmosphäre innerhalb der Stadt. Es befanden sich ihren Schilderungen zufolge angesichts des guten Wetters erstaunlich wenige Menschen auf der Straße und eine auffällig große Zahl von schwerbewaffneten SS-Männern,926 aber keine der üblicherweise omnipräsenten SA-Truppen patroullierten durch das Stadtzentrum. Bei ihrer Ankunft in der Residenz der Dodds in der Tiergartenstraße bestätigte sich ihr Eindruck: Martha Dodd fand ihre Familie in einem höchst verstörten und verunsicherten Zustand vor. Aufgeregt berichteten ihr die Familienmitglieder von einem Ausnahmezustand, von Straßen- sperren und der mutmaßlichen Ermordung des ehemaligen Reichs- kanzlers Kurt von Schleicher.927 Bill Dodd, der in engem Kontakt mit Journalisten und jungen Diplomaten in Berlin stand, gab im grünen Empfangszimmer vor seiner Familie unter Ausschluss der deutschen Dienerschaft wieder, was er tagsüber in Erfahrung gebracht hatte: Schleicher und seine Frau seien hinterrücks von Görings Polizeikräften erschossen worden. Ernst Röhm, der angeblich einen Putsch gegen

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924 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 141. 925 DODD: Through Embassy Eyes. S. 141. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 116. 926 Vgl. GALLO, Max: The Night of Long Knives. New York u.a. 1972. S. 233f. Görings Gestapo hatte die Straßen insbesondere um den Tiergarten von mit Maschinengewehren bewaffneter Polizei seit den frühen Morgenstunden absperren lassen. 927 Vgl. zur Biographie von Schleichers u.a. VOGELSANG, Thilo: Kurt von Schleicher. Ein General als Politiker. Göttingen u.a. 1965.

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Hitlers Herrschaft für Samstagmorgen geplant hatte, sei von Hitler persönlich in seinem Schlafgemach aufgesucht und verhaftet worden.928 In diesem Zusammenhang erinnerte sich William Edward Dodd, dass er erst am Vortag einen Brief Röhms mit einer Absage zu einer Dinnereinladung Anfang Juli bei den Dodds mit der Begründung eines Kuraufenthaltes erhalten hatte.929 Während der Botschafter sich zurück- zog, um in den verbliebenen Abendstunden des 30. Juni Berichte für das State Department vorzubereiten, diskutierte die restliche Familie über weitere Gerüchte, die Bill von befreundeten Pressevertretern gehört hatte: Göring habe die Gelegenheit nutzen wollen, Goebbels zu beseitigen. Goebbels habe aber frühzeitig Schutzmaßnahmen ergriffen und weiche nun Hitler bei den weiteren Säuberungsaktionen in Bayern nicht mehr von der Seite.930 Im Fokus der Berliner Gerüchteküche stand die Frage nach einem bevorstehenden Umsturz oder gar Bürgerkrieg in Folge der Ereignisse.931 Drei Tage später, am 3. Juli, fanden sich am Abend bei den Dodds mehrere Gäste ein, um gemeinsam eine angekündigte Radioansprache932 von Propagandaminister Goebbels zu den Ereignissen zu verfolgen. ______

928 Vgl. für den Verlauf dieser Geschehnisse und Schilderungen DODD: Through Embassy Eyes. S. 141-145. Vgl. auch die Schilderungen bei SHIRER: Aufstieg und Fall. S. 210-223. Vgl. für den Ablauf der Säuberungsaktion auch MANVELL/FRAENKEL: Hundred Days. S. 169- 180; GALLO: Long Knives, im Stil eines Stundenprotokolls und BLOCH: Die SA. S. 96-116. Vgl. auch BENNECKE, Heinrich: Die Reichswehr und der „Röhm-Putsch”. Beiheft 2 der Zweimonatsschrift Politische Studien. München, Wien 1964.Vgl. zu Hintergründen, Verlauf und Folgen des „Putsches“ FREI: Führerstaat. S. 9-41. 929 Vgl. Röhm an Dodd, 29. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R. (2. Mappe „R“). 930 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 145f. Vgl. für Dodds Berichte FRUS 1934, Vol. II, S. 229-239. Vgl. zu den Opfern auch BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 104. Unter den Opfern befanden sich konservative Oppositionelle wie Edgar Jung, Nationalsozialisten wie Gregor Straßer und frühere Gegner, neben Schleicher auch von Kahr und Ferdinand von Bredow. 931 Vgl. GALLO: Long Knives. S. 3. Gallo bestätigt in seiner Analyse der Ereignisse des 30. Juni und der Folgetage die zum Zerreißen gespannte Atmosphäre und Gerüchteküche um Opferzahlen, weitere Aktionen, Schuldige und andere offene Fragen. 932 Vgl. auch den Bericht des Völkischen Beobachters vom 5. Juli 1934 in BENNECKE: Röhm-Putsch. S. 91. Anlage 7. Der Reichsjustizminister, Dr. Gürtner, habe neben der Billigung der Aktionen durch das Reichskabinett erklärt, „daß die vor dem unmittelbaren Ausbruch einer landesverräterischen Aktion ergriffenen Notmaßnahmen nicht nur als Recht, sondern als staatsmännische Pflicht zu gelten haben”. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. III,1, Dok. 55 (S. 114-117), die Niederschrift von Ministerialrat Thomsen zu Reichskanzler Hitlers Erklärungen zu den Ereignissen des 30. Juni 1934.

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Unter ihnen waren Hans Thomsen aus der Reichskanzlei, mehrere Botschaftssekretäre sowie ein junger Mitarbeiter des französischen Bot- schafters François-Poncets, Armand Bérard,933 und diverse Journalisten, die auch am Abendessen in der Dodd-Residenz teilnahmen. In den Tischgesprächen vor der Radiosendung hielten sich die Anwesenden kaum mit ihrer Meinung und Spekulationen über die Geschehnisse zurück. William Dodd und seine Frau befanden sich laut Marthas Erzählung immer noch in einem offensichtlichen Schockzustand.934 Vermutlich keiner der Anwesenden schenkte Goebbels‘ Ausführungen zu Röhms angeblichen Putschplänen in gemeinsamer Sache mit dem französischen Botschafter935 und General von Schleicher Glauben.936 Die Theorie jener Tage, der die meisten Diplomaten – auch William Dodd – , Beobachter, Journalisten und selbst moderate Nationalsozialisten folgten, lautete, dass Röhms Sturmabteilung mit der tatsächlichen politischen Umsetzung nationalsozialistischer Ziele durch die Hitler-Regierung unzufrieden und Röhm selbst eifersüchtig auf die neuen Günstlinge des Diktators gewesen sei. Soweit Martha gehört hatte, hätte Hitlers Führungsspitze diesen vor Röhm gewarnt, ihn gegen seinen alten Kameraden aufgewiegelt und gleichzeitig die angebliche Gefahr, die von Schleicher, der innerhalb der Armee immer noch großen Einfluss genoss, und anderen potentiellen Konkurrenten ausging, zur Sprache gebracht. So wurden vor allen Dingen die Personen Opfer der Gewaltaktion, die in tatsächlicher oder potentieller Rivalität zu Hitlers einflussreichen Beratern standen.937 Diese Theorie wurde auch von Dodds Beobachtungen der Vormonate bestätigt, dass die Nationalsozialisten die verbliebenen

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933 Vgl. zu den Reaktionen im Ausland auf die Ermordungen BLOCH: Die SA. S. 117-129. 934 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 147f. Vgl. auch GALLO: Long Knives. S. 4. Vgl. Moore an Dodd, 30. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-M. „You must not think of resigning. You are needed, and now have an opportunity of making history, instead of writing it”. Nur mit Mühe war es Moore gelungen, Dodd von der sofortigen Kündigung abzuhalten. 935 Vgl. zu François-Poncets Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt zu diesen Anschuldigungen ADAP, Serie C, Bd. III,1, Dok. 110 (S. 212f.) sowie Dok. 64 (S. 129f.). 936 Vgl. zu Marthas Einschätzung über Röhm DODD: Through Embassy Eyes. S. 151. Vgl. GALLO: Long Knives. S. 5. Vgl. ebenda. S. 8ff. zu Hitlers offizieller Rede zu den Ereignissen vor dem Reichstag am 13. Juli 1934. Vgl. Hitlers Rede auch in DOMARUS: Hitler, Reden und Proklamationen. S. 409-425. 937 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 166ff.

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unabhängigen monarchischen, militärischen und konservativen politi- schen Elemente der Weimarer Republik gleich- oder auszuschalten versuchten, als Gerüchte über die Rückkehr der Hohenzollernmonarchie und vernehmbare Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufkamen. Jener präventiven „Gegen-Revolution“ gelang es zugleich, alle still oppo- nierenden Bürger zu verängstigen oder aus dem Wege räumen zu können, bevor Hitlers Autokratie tiefere Risse aufweisen konnte. Offensichtlich unterschätzte der amerikanische Botschafter wie viele seiner Zeitgenossen die tatkräftige Rolle der Reichswehr und ihrer Führung, die sich von ihrer Schützenhilfe für Hitler besondere Vorteile im Machtkampf mit der SA zu sichern glaubte.938 Die deutsche Armee ermöglichte dem Diktator das schnelle und überraschende Vorgehen gegen eine Vielzahl der von ihm als Gegner eingestuften Organisationen und Personen.939 Zu den Opfern jener Tage gehörten nicht nur Straßenschläger wie SA- Gruppenführer Karl Ernst, den Dodd 1933 wiederholt wegen seiner Angriffe auf amerikanische Bürger in den Straßen Berlins gerügt hatte und der zudem nach dessen eigenen Aussagen ein Erzfeind und Gegen- spieler Diels gewesen war,940 sondern auch Vizekanzler Franz von Papens in ihren Büros ermordete Mitarbeiter, während von Papen selbst mit seiner Familie im eigenen Haus festgehalten wurde.941 Reichspräsident von Hindenburg hatte laut Gerüchten die Exekution seines Schützlings verhindert, wenn auch von Hindenburg offiziell keine Stellungnahme zu den Vorkommnissen bekannt machte.942 Dabei blieb unklar, ob sich ______

938 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 168. Vgl. auch Fallois’ Schlüsse zu den Folgen der Röhm-Krise: FALLOIS: Kalkül und Illusion. S. 150-176. Immo von Fallois bezeichnet die „Auswirkungen des Machtkampfes [als…] enorm”. (S. 176). Die kalkülierte Rolle der Reichswehr bei der Terroraktion gegen die Angehörigen der SA ist jedoch nicht zu unterschätzen, die Reichswehr erfüllte die Rolle des konservativen Opfers wie Täters zugleich: „Das Kalkül der Reichswehrführung, durch verstärkte Loyalität zu Hitler im Machtkampf mit der SA noch größere Vorteile zu erreichen, beinhaltete auch Konzessionen im rassenpolitischen Bereich des Nationalsozialismus”. (S. 175). 939 Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 105. Die Reichswehr unterstützte das Vorgehen durch „technische Hilfe (Transportraum und Waffen)”. 940 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 152. Vgl. auch DIELS: Lucifer. S. 367f. 941 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 150. Vgl. zu von Papens Situation am und nach dem 30. Juni und den Folgen für seine weitere Karriere PETZOLD: Franz von Papen. S. 222-239. Vgl. auch GRASS: Edgar Jung. S. 271-303, insbesondere aber die Seiten 292-303 (Zusammenfassung). 942 Vgl. zur Rolle Hindenburgs in den letzten Monaten der Weimarer Republik 1932/1933 und sein Verhältnis zu Papen sowie sein Zerwürfnis mit Kurt von Schleicher MOMMSEN,

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Hindenburg auch wegen seines Gesundheitszustandes bedeckt hielt.943 Auch Reichswirtschaftsminister Schmitt 944 und Reichsfinanzminister von Schwerin-Krosigk945 befanden sich in jenen Tagen in unmittelbarer Lebensgefahr. Ähnlich wie von Neurath wollten oder durften sie aber laut Dodds Beschreibungen angeblich nicht ihren Rücktritt einreichen.946 Es ist bekannt, dass Hitler nicht alle, aber einen Großteil der konser- vativen Funktionäre weiterhin in seinen Staatsapparat integriert und eingespannt wissen wollte. 947 Hitlers Einschüchterungsmaßnahmen sollten die Staatsbeamten dazu zwingen, in ihrem Amt zu bleiben. Bei den Hunderten948 von Erschießungen in den Folgetagen, die man in der stillen Berliner Nacht auch aus der Ferne vernehmen konnte, waren Dodds Informationsquellen zufolge auch gezwungenermaßen junge Attachés des Auswärtigen Amtes zugegen. 949 Besonders unter

______Hans: Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar: 1918-1933. Überarbeitete und aktualisierte Auflage. Berlin 1998. S. 593-644. Hindenburg deckte offiziell die begangenen Verbrechen der Juni- und Julimorde, indem er Hitler die Darstellung der Aktion als Maßnahme gegen einen Putsch erlaubte. Vgl. LUCAS: Hindenburg. S. 133f. Vgl. auch MANVELL/ FRAENKEL: Hundred Days. S. 177f.. 943 William Dodd hatte bei einem Treffen mit dem Reichspräsidenten wenige Zeit zuvor dem alten Staatsoberhaupt eine stabile Gesundheit attestiert. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 79. Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 159. 944 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 118f. 945 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 128. 946 Vgl. Memorandum Dodds zu Gespräch mit Neurath, 6. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd Miscellaneous Mss. „He said: Every instinct urges me to withdraw from my present office, but I think I had better try to endure the ordeal for a while for the sake of the country”. 947 Vgl. DÖSCHER: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. S. 85. Vgl. dazu auch SCHÖLLGEN, Gregor: Jenseits von Hitler. Die Deutschen in der Weltpolitik von Bismarck bis heute. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe, Band 490. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2005. S. 165. 948 Vgl. BENNECKE: Röhm-Putsch. S. 87f. Anlage 5 aus dem Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München. Amtliche Totenliste vom 30. Juni 1934. Diese Liste zählt für den 30. Juni und den 1. Juli 1934 83 Ermordungen auf. Die Erschießungen der Folgetage sind hier offensichtlich nicht erfasst. Vgl. hierzu auch BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 104. 949 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 153f. Vgl. GALLO: Long Knives. S. 228f. und 267. Dass die Erschießungen nachts durch ganz Berlin hörbar waren, wie Martha beschreibt, ist durchaus denkbar. Die meisten der Gefangenen, die nicht sofort getötet wurden, brachten SS-Angehörige unter Görings und Himmlers Aufsicht in die Kadetten- schule im Berliner Stadtteil Lichterfelde in der dortigen Kadettenanstalt, wo in den Folgetagen die Erschießungen durchgeführt wurden. Vgl. auch SHIRER: Aufstieg und Fall.

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jungen Menschen war in den Straßen Berlins der Slogan „Lebst du noch?“ zu einem Ausdruck des scherzhaften Umgangs vieler Bürger mit der schockierenden Atmosphäre jener Tage unmittelbar nach den Säuberun- gen des 30. Juni 1934 geworden.950 Während die Reichswehr in jenen Wochen nach dem 30. Juni keine klare Stellung bezog, wenn sich auch Gerüchte hartnäckig hielten, dass weiterhin die Gefahr einer Revolte zur Wiederherstellung der Hohen- zollernmonarchie bestand, 951 kehrten viele Angehörige der deutschen Eliten in ihren Dienst zurück. Franz von Papen sollte nach seiner Rückkehr aus dem tagelangen Arrest im eigenen Heim für Hitler eine neue Aufgabe übernehmen und in gewohnt devoter Manier erfüllen: Nämlich das weitere Umwerben Österreichs, nachdem ein Putschver- such952 im Juli gescheitert war. Zweifelsohne war von Papen für Hitler mit seiner opportunistischen Einstellung als Vertreter des Konservatismus lebendig nützlicher als tot. 953 Dodd erkannte eine klare Kausalkette zwischen den Ereignissen des 30. Juni, die die Stimmung in Deutschland gegenüber den Herrschenden wenig überraschenderweise drastisch ver- schlechtert hatte, und dem umgehenden Versuch eines von Deutschland ______S. 219. Shirer spricht von allein 150 SA-Männern, die zur Erschießung nach Lichterfelde gebracht wurden, diese Zählung bezieht Schleicher, Jung und andere nicht ein. 950 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 151. 951 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 132. Vgl. auch FRUS 1934, Vol. II, S. 230f. 952 Vgl. BAUER, Kurt: Hitler und der Juliputsch 1934 in Österreich. Eine Fallstudie zur nationalsozialistischen Außenpolitik in der Frühphase des Regimes. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59,2 (2011). S. 193-227. Vgl. hierzu auch Dok. 28, Bernhard v. Bülow, Aktennotiz vom 26. Juli 1934 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 84-88 über die Ereignisse des nationalsozialistischen Putsches in Österreich. Vgl. zur national- sozialistischen Österreichpolitik auch SCHAUSBERGER, Norbert: Österreich und die nationalsozialistische Anschlußpolitik. In: FUNKE, Manfred (Hrsg.): Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches. Durchgesehener, um ein Register erweiterter Nachdruck des erstmals 1976 in den „Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte“ Band 12 erschienenen Werkes. Düsseldorf 1978. S. 728-756.Vgl auch HILLGRUBER: Zerstörung Europas. S. 121-136 zu den deutschen Anschluss-Plänen seit 1918. 953 Der Putschversuch vom 25. Juli 1934 hatte Österreichs Bundeskanzler Engelberg Dollfuß das Leben gekostet und Mussolini zur Entsendung von Truppen an den Brenner veranlasst. Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 105. Vgl. Messersmith an Dodd, 31. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-D. „I do not believe that the appointment of Papen means that he has given up these ambitions, but merely hopes to still accomplish his ends in a more devious way”. Vgl. zu von Papens Ernennung zum Gesandten nach Österreich und seinem Einfluss dort PETZOLD: Franz von Papen. S. 239-258.

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aus initiierten Putsches in Österreich gegen die Dollfuss-Regierung mit anschließender Annexion.954 Der Putsch scheiterte und beschädigte das internationale Ansehen Deutschlands weit über die angespannten deutsch-italienischen Beziehungen hinaus.955 Dennoch stabilisierte sich die Lage, wie Botschafter Dodd fasziniert feststellen musste, innerhalb der folgenden Monate rasch. Konservative Beamte standen ohne Anzeichen von Widerstand an Hitlers Seite, der Einfluss der Hohenzollern schien rasant zu schwinden956 und bereits Ende Juli,957 sicher aber im August 1934 wurde die Stimmung in Deutschland sogar von einem amerika- nischen Professor auf der Durchreise958 als allgemein gut bezeichnet, da Hitler selbst mit den Ereignissen um den 30. Juni kaum in Verbindung gebracht wurde: „Hitler’s popularity and the belief in his sincerity and idealism are still so general that little of the growing criticism was directed against him personally”.959

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954 Vgl. Dodd an Messersmith, 29. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-N. 955 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 133f. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. III,1, Dok. 115 (S. 228-232) zu Bülows Maßnahmen nach dem gescheiterten Putsch Ende Juli 1934. Hitler begründet die Entsendung von Papens nach Wien selbigem gegenüber mit eben jenem beschädigten Ansehen Deutschlands, welches Dollfuss‘ Tod sehr bedauere. Vgl. ADAP, Serie C, Bd. III,1, Dok. 123 (S. 245). Vgl. deshalb auch von Papens Leitsätze für die zukünftige Österreichpolitik in Dok. 29, Franz v. Papen an Bernhard v. Bülow, Brief (Anlage 2) vom 19. August 1934 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 88f. Vgl. zu den deutsch-italienischen Beziehungen ab 1933 den Gesamtüberblick bei PETERSEN, Jens: Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom. 1933-1936. Tübingen 1973. 956 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 165. 957 Vgl. US-Konsul in Leipzig, Ralph C. Busser, an Dodd, 19. Juli 1934. NARA. State Department. Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 5. File 862.00/3355 FP. 958 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 150f. 959 Busser an Dodd, 19. Juli 1934. NARA. State Department. Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 5. File 862.00/3355 FP. Vgl. auch Charles Blochs Über- legungen zu Gewinnern und Verlierern des „Röhm-Putsches“. Seiner Meinung nach zählte die Reichswehr genauso zu den langfristigen Verlierern wie die Arbeiterschaft, der Mittelstand und das Kleinbürgertum. Wenn diese Niederlage auch nicht bewusst wahrgenommen wurde, so stellte sie sich doch faktisch ab 1934 ein und festigte Hitlers Regime. Vgl. BLOCH: Die SA. S. 151-164.

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Die Ereignisse des 30. Juni bedeuteten für die Dodd-Familie persönlich, dass von nun an kein normales Familienleben frei von Sorgen um Spionage, Verrat und Terror gegen viele ihrer Gäste und Kontakte mehr möglich war.960 Besonders Mattie Dodd hatte unter der mörderischen Atmosphäre des Sommers 1934 psychisch stark gelitten.961 Als Madame Cerrutti den amerikanischen Botschafter im September an ihre Worte des Vorabends des 30. Juni erinnerte, fragte sich Dodd insgeheim, ob eine Rückberufung durch Washington angesichts der nicht absehbaren Veränderungen in Deutschland nicht erstrebenswert wäre. Er, so gestand er sich ein, war bereit zu gehen.962

4.1.3.Die Rolle und Berichterstattung Dodds bis zu Hindenburgs Tod „In our house, because of my mother and father, people felt more free and human than they did anywhere else in Berlin, except among their most intimate friends and family”.963 In der Zeit um und nach den Ereignissen des 30. Juni 1934 nahmen William Dodd und seine Familie eine besondere Rolle in Berlin ein. Auch andere ausländische Botschaften hatten sich engagiert, Opfern der Säuberungsaktion in Form von Interventionen an höchster Stelle der deutschen Führung beizustehen, erwirkten gar die Flucht von Personen in unmittelbarer Lebensgefahr, ohne deutsche Behörden zu informieren.964 Doch keine private Residenz dürfte dieselbe Rolle gespielt haben, die das Doddsche Heim spielte, als selbst SS- Männer, hohe Beamte der Reichskanzlei und regimekritische Personen zusammen bei den Dodds dinierten und damit diesen Ort zu einem „safe haven“ im nationalsozialistischen Berlin werden ließen. Martha schreibt den größten Verdienst hieran ihrer Mutter, Mattie Dodd, zu, der es stets

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960 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 277. Vgl. auch die Seiten 274 bis 278. Martha schildert, dass Dodd selbst auf seinen Spaziergängen im Tiergarten nicht mehr sicher von Beobachtern war, dass die Familie den deutschen Bediensteten im Hause nicht über den Weg trauen konnten, private und diplomatische Post geöffnet wurde und ganz besonders Mattie die Angst um ihre Gäste und Kontakte sorgte. 961 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 204. 962 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 165. „I wonder whether the United States should not recall me. I would be willing to go”. 963 DODD: Through Embassy Eyes. S. 366. 964 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 165.

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gelang, mit ihrem Charme eine für alle Gäste angenehme Atmosphäre zu schaffen.965 Umso mehr galt dies für die Folgetage des 30. Juni. Tatsächlich erhielten sowohl Martha als auch Mattie zahlreiche Hilferufe, denen sie ohne Aufsehen zu erregen, aber engagiert nachkamen. Ein Beispiel war die Bitte eines reichen Berliner Bankiers, Dr. Regendanz, der in Kontakt mit Schleicher gestanden hatte, einen Brief an seine Frau und seine Kinder in Dahlem vertraulich weiterzuleiten, da sein Sohn bereits in Gestapo- Haft sei. 966 Martha Dodd stand zudem in engem Kontakt mit von Papens Sohn „Franzie“. Dieser zeigte sich besonders dankbar dafür, dass William Dodd beschlossen hatte, obwohl er sich von Papens opportu- nistischer Haltung abgestoßen fühlte,967 als Zeichen seiner Solidarität und des Protestes gegen die Brutalität des Regimes am 1. Juli am Haus der Papens mit seinem Dienstwagen vorbeizufahren, um eine Karte mit Beistandsbekundungen im Briefkasten der zu jener Zeit unter Hausarrest stehenden Familie zu hinterlassen. Franzie sprach Martha später seinen tiefen Dank der Familie für diese Geste aus.968 Die Tatsache, dass Bürger ohne Gerichtsverfahren und legale Schuldzuweisung ermordet oder festgehalten wurden, war für Marthas demokratisch gesinnte Eltern ein Schock, den sie nie überwinden sollten.969 Dem Botschafter war es kaum recht, als ihn von Papen und Sohn am 15. Juli unangemeldet in seinem Büro aufsuchten, um ihm zu berichten, dass Hitler von Papen den Rücktritt verwehrt hatte.970 Dodd schätzte diese Aufdringlichkeit und offensichtliche Instrumentalisierung seiner Stellung nicht, weil er vermutete, dass der ehemalige Reichskanzler damit der nationalsozialistischen Führung beweisen wollte, welchen besonderen Schutz der Amerikaner er genoss. Dodd war sich dessen bewusst, dass

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965 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 366. 966 Vgl. Dr. Regendanz an Mattie Dodd, 3. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R. 967 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 155. Dodd schätzte Papen aufgrund seiner bisherigen Rolle in der deutschen Politik nicht, insbesondere wegen des Vorwurfes von Spionage und Sabotage in den USA während des 1. Weltkrieges, wollte diese Karte jedoch als Zeichen seiner Verachtung für die Brutalität der Nationalsozialisten hinterlassen. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 117. 968 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 154f. und 162. 969 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 155. 970 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 128f.

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sein Kontakt zu vielen Deutschen und anderen ausländischen Vertretern einige Gefahren barg. 971 Auf der von den Ereignissen überschatteten Feier zum amerikanischen Unabhängigkeitstag bei den Dodds am 4. Juli trat der Botschafter deshalb sehr gefasst auf. Im Gespräch mit den zahlreich anwesenden Journalisten bestätigte er, dass alle Gefahren einer Revolution gebannt seien.972 In Folge der Ereignisse wollte Dodd keine Kritik oder Parteinahme öffentlich machen und lehnte unmittelbar angebotene Auftritte an der Universität Berlin sowie bei der Carl-Schurz- Stiftung ab. An der Universität wollte er die liberalen Universitätspro- fessoren nicht durch regimekritische Worte in Gefahr bringen, bei der konservativen Carl-Schurz-Stiftung missfiel ihm der Gedanke, sich über von Hindenburg und die alten Eliten äußern zu müssen, der die Gewaltausbrüche stillschweigend gebilligt hatte.973 Doch handelte der Botschafter nicht in jedem Fall so umsichtig und nutzte durchaus Chancen, indirekt Protest einzulegen und die US- Stimmung zu beeinflussen: Professor Morsbach, ein deutscher Professor, der amerikanische Hochschullehrer und Studenten zu einer Studienreise durch Deutschland eingeladen hatte, saß bei deren Ankunft inzwischen ohne Gerichtsverfahren und Anklage in einem Konzentrationslager ein, was zu Empörung bei den geladenen amerikanischen Professoren geführt hatte. Spontan hatte Morsbach in Anwesenheit der KZ-Aufseher dem amerikanischen Konsul Raymond Geist, der ihn dort besuchte, ausdrück- lich seinen Dank an den amerikanischen Botschafter ausgesprochen.974 Offensichtlich übte sich der amerikanische Botschafter in weniger Zurückhaltung, wenn das Schicksal bestimmter deutscher Bürger auch im Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit lag. Dodd erklärte von Bülow, dass er nur mühevoll verhindern konnte, dass der Fall durch die schockierten US-Professoren an die Presse gelangte, und rechtfertigte damit sein Interesse an dem Fall.975 In vertraulichen Gesprächen, aber besonders gegenüber Amerikanern, die an der Situation in Deutschland

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971 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 156. Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 162f. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 239. 972 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 157f. 973 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 119 und 122. 974 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 124f. 975 Vgl. von Bülows Gesprächsmemorandum mit Dodd, 11. Juli 1934. PAAA. Büro Reichsminister, Akten betreffend Vereinigte Staaten von Nordamerika, 3. März 1933 bis 24. Oktober 1935. Band 12 (Best.: R 28498).

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interessiert waren, hielt sich der Botschafter kaum zurück und erklärte offen die Geschehnisse der vergangenen Tage und ihre Konsequenzen, ohne Angst vor den Folgen einer Veröffentlichung seiner Äußerungen.976 Für sich selbst hatte der Demokrat aus den Ereignissen Konsequenzen für seine sozialen Verpflichtungen in Berlin gezogen: Nie mehr wollte er fern von offiziellen Anlässen freiwillig Hitler treffen oder Göring privat einladen.977 Diese persönlichen Konsequenzen und seine schonungslose Berichterstattung der deutschen Lage für die Roosevelt-Administration machten auch in Washington Eindruck und hinterließen offensichtlich ihre Spuren bei den Regierenden: Harry Hopkins, ab 1938 US-Handels- minister und 1934 einer der engsten New Deal-Berater Franklin Roosevelts, zeigte sich auf seinem Berlin-Besuch Dodd gegenüber im Juli 1934 erleichtert, dass ein Treffen mit dem deutschen Reichskanzler nicht zustande gekommen war und er der „Schande entging, einem Mörder die Hand zu schütteln”. 978 Die Abneigung hoher Vertreter der Roosevelt-Administration gegen die Ereignisse in Deutschland war offenkundig und basierte wohl auf einer Reflexion der Berichte aus Deutschland. Ob solche amerikanischen Reaktionen durch die deutsche Führung direkt auf Dodds Berichterstattung zurückgeführt wurden, lässt sich nur schwer nachweisen, und doch bemerkte der Botschafter in jenen Tagen selbst: „I have not felt myself in danger, though I know the leaders here cannot like me: my whole philosophy of life is so different and they must know it”.979 Weitere Konsequenzen zogen die Vertreter der amerikanischen Adminis- tration allerdings nicht nur in ihrem persönlichen Verhalten gegenüber den Repräsentanten der deutschen Regierung. Der 30. Juni hatte eine besondere Zurückhaltung bezüglich weiterer Verhandlungen mit der deutschen Führung bewirkt. Vor Hindenburgs Tod hatte Dodd dem

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976 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 126. 977 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 121 und 126, sowie DODD: Through Embassy Eyes. S. 140. 978 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 129. Dies ist umso bemerkenswerter, als Harry Hopkins ein „zweiter“ Colonel House mit immensem Einfluss auf Roosevelt zu werden schien. Vgl. zu Hopkins‘ Rolle in Roosevelts Kabinett DOENECKE: Ambiguous Legacy. In: DOENECKE/ STOLER: Debating. S. 13: „All this time FDR’s chief relief administrator, Harry Hopkins, was becoming the president’s alter ego, occupying in some ways the role played during World War I by Wilson’s confidant Col. E. M. House”. 979 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 127.

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State Department noch dazu geraten, dass ein indirektes amerikanisches Signal an das liberale deutsche Bürgertum in Form von neuen Wirt- schaftsverhandlungen mit Dr. Schmitt eine positive Wirkung auf den Widerstandswillen zeigen könnte.980 Tatsächlich aber lagen die deutsch- amerikanischen Beziehungen längst auf Eis. Francis B. Sayre, Assistant Secretary of State, erteilte Dodds Bitte eine klare Abfuhr: Verhandlungen kämen für Washington schon deshalb nicht in Erwägung, weil man nicht wisse, wie sich die deutsche Situation noch entwickeln werde.981 Die Entwicklung der deutschen Lage fand ihren Höhepunkt 1934 im Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 2. August 1934. William Dodd hatte Hindenburg noch Anfang des Jahres bei einem kurzen Treffen in guter gesundheitlicher Verfassung vorgefunden.982 Laut William Dodd hatte der Einfluss Hindenburgs auf die Reichsregierung neben seines sich rasch verschlechternden Zustandes im Laufe des Jahres auch deshalb nachgelassen, weil kaum eine Person, nicht einmal sein Schützling Franz von Papen, zu ihm ans Krankenbett vorgelassen worden war, mit Ausnahme von Neuraths – dies mag den von Dodd beobachteten Hass Papens auf Neurath erklären – und des japanischen Botschafters in Berlin.983 Erst durch das Ableben des deutschen Staatsoberhauptes im Sommer aber konnte die nationalsozialistische Regierung den letzten Schritt zur Aushöhlung der Weimarer Verfassung wagen. Für Hitler war die öffentlichkeitswirksame Inszenierung einer Machtübergabe vom Kaiserreich auf seine Herrschaft mit dem Tod Hindenburgs als letztem Vertreter der Monarchie perfekt. Die vorhergehende Isolierung des alten Präsidenten war deshalb schon frühzeitig von der Beschlagnahmung und

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980 Vgl. Dodd an Sayre, 9. Juli 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-S. 981 Vgl. Sayre an Dodd, 13. Juli 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-S. „For reasons which are obvious, it seems impossible at this time to contemplate negotiations with Germany”. 982 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 79. Die Gebrechen des Reichspräsidenten verschlechterten sich ab Mai 1934, vgl. ZAUN: Hindenburg. S. 536. 983 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 137. Dodd erfuhr dies erstaunt vom japanischen Botschafter selbst. Außer von Neurath und dem Japaner war kein Kabinettsmitglied seit dem 11. Juli zu Hindenburg vorgelassen worden. Vgl. auch ZAUN: Hindenburg. S. 547. Auch von Neurath zählte zu Hindenburgs politischen Zöglingen. Vgl. zu Papens verwehr- tem Besuch bei Hindenburg auch PETZOLD: Franz von Papen. S. 223f. Vgl. zu den Schilderungen über die Umstände von Hindenburgs Tod auch SHIRER: Aufstieg und Fall. S. 223-227.

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Fälschung seines Testaments begleitet worden, das Dodds journalis- tischen Informationsquellen zufolge im Original den Wunsch nach einer Restauration der Monarchie zum Inhalt gehabt hatte.984 Am Begräbnis, das außerhalb der Stadtgrenzen Berlins bei Tannenberg 985 stattfand, nahm auch der amerikanische Botschafter teil.986 Dodd fühlte sich auf der Grabfeier, die weniger den dahingeschiedenen Reichspräsidenten als vielmehr die nationalsozialistische Regierung in den Fokus der Feier- lichkeiten rückte, von den in großer Zahl angestellten Kellnern, aber auch den anwesendenden Beamten des Auswärtigen Amtes beobachtet.987 Die

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984 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 207f. Martha Dodd schreibt, dass Staatssekretär von Meissner das Testament von Neudeck nach Berlin transportiert und in die Hände von Goebbels gegeben hatte. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 143. John White bestätigt dem angeblichen Testament eine blumige, wage Sprache, welche für Hindenburg untypisch war: Vgl. John C. White, Counselor of Embassy, an Secretary of State, 21. August 1934 (Report No. 1191). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.001 H58/59. „The late President in his public utterances and official documents was given to a direct and simple style. It is obvious that this document is flowery and vague”. Die Veröffentlichung des Dokumentes 4 Tage vor der Wahl sei eine „convenient form of propaganda for the Führer [sic!]”. Dodds Quelle war der Hearst-Journalist Karl von Wiegand. Vgl. Dodds Bericht, 29. August 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-D. Laut Dodds Bericht an das State Department war Meissner in einen Skandal um Veruntreuung von Geldern aus der Reichspräsidentschaftskampagne verwickelt gewesen und deshalb durch Hitler leicht erpressbar. Vgl. FRUS 1934, Vol. II, S. 243. Vgl. zur Frage der Echtheit des Testamentes auch LUCAS: Hindenburg. S. 134ff. Lucas geht davon aus, dass Hindenburg die Wiedereinführung der Monarchie zwar tatsächlich wünschte, diesen Wunsch aber nur Hitler persönlich, nicht aber der Öffentlichkeit mitteilen wollte. Deshalb könne es sich beim veröffentlichten Testament, in welchem er die Zukunft Deutschlands mit gutem Gewissen Adolf Hitler anvertraut, durchaus um das Original handeln. Vgl. auf den Seiten 135f. den Auszug des Testamentes zur Rolle Hitlers, dessen Echtheit von Papen nachträglich bestritt. Vgl. zur Diskussion über die Testa- mentfrage auch KALISCHER, Wolfgang: Hindenburg und das Reichspräsidentenamt im „Nationalen Umbruch“ (1932-1934). Berlin 1957. S. 288ff. 985 Vgl. zu Hindenburgs Rolle im 1. Weltkrieg und als (S. 28:) „Sieger von Tannenberg“ [kursiv im Original] vgl. RAUSCHER, Walter: Hindenburg. Feldmarschall und Reichspräsident. Wien 1997. S. 28-208. Vgl. auch GOLTZ: Hindenburg. S. 187f. 986 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 143. Tatsächlich blieb Hindenburg auch nach der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten ein „beliebter“ Reichspräsident. Vgl. GOLTZ: Hindenburg. S. 186. Trotz Repressalien, Terror und Einschüchterungsversuchen erhielt Hitler nach Übernahme der neuen Machtbefugnisse lediglich 89,9% Zustimmung in der Bevölkerung – und das in einem unfreien Plebiszit. Vgl. GOLTZ: Hindenburg. S. 188. 987 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 143 und vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 204.

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pompöse Inszenierung, in Marthas Erinnerung ein regelrechter Zirkus,988 der Hitler als den legitimen Nachfolger des Kaisers darstellte, bestätigte William Dodd zum wiederholten Male in seinen Bedenken gegen den Nationalsozialismus.989 Sie führte ihm vor Augen, wie es Hitler gelungen war, die Reichswehr als letzten Faktor für eine potentielle, institutionell organisierte Rückkehr zu einer autokratischen Militärdiktatur oder Monarchie zu umschmeicheln. Mit dem Eid der Reichswehr auf Adolf Hitler, 990 der in einem illegalen Akt der Machtübernahme das Amt des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers in Personalunion in sich vereinte, bestätigte sich Dodds Vermutung vom 1. August, dass Hitler heimlich geplant hatte, sich die Befugnisse des Staatsoberhauptes zu eigen zu machen.991 Der Schwur der Reichswehr sollte das Schicksal Deutschlands besiegeln: „This completes the autocracy which is far more concentrated than anything outside of Russia. […] All rumors that come to us are to the effect that popular opinion is not easy and that Reichswehr officers say there is no hope for German betterment as long as Hitler is in power but present outcome was inevitable and men must endure what they cannot help”. 992 Wie auch der Botschaftsrat der amerikanischen Botschaft in Berlin, John C. White, an das State Department meldete, hatte Hindenburg lange Zeit bis zu seinem Tod als Vertreter eines moderaten Einflusses

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988 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 204. Vgl. auch RAUSCHER: Hindenburg. S. 321. Vgl. auch HOEGEN: Held von Tannenberg. S. 406ff. Das Begräbnis und das Testament Hindenburgs ermöglichten den Nationalsozialisten das Spannen eines mythischen (S. 406:) „Bogens“ als Übergang vom „Zweiten“ zum „Dritten Reich”. 989 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 141f. sowie die Seiten 142 bis 144 für die Begräbnisfeierlichkeiten. Vgl. auch GOLTZ: Hindenburg. S. 182-186. 990 Vgl. John C. White, Counselor of Embassy, an Secretary of State, 3. August 1934 (Report No. 1123). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.001 H58/54 FP [862.001/4]. Vgl. den Wortlaut des „Gesetzes über die Vereidigung der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht” vom 20. August 1934 in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 242. Dieser Eid betraf natürlich auch die Beamten des Auswärtigen Amtes. Vgl. CONZE/ FREI/ HAYES/ ZIMMERMANN: Das Amt und die Vergangenheit. S. 87f. 991 Vgl. Dodd an Secretary of State, 1. August 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.001/1. Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 105. Das „Gesetz über das Ober- haupt des Deutschen Reiches“ war bereits am Vortag des Todes, am 1. August, erlassen worden. Vgl. den Text des Gesetzes in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 241. 992 Dodd an Secretary of State, 2. August 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.001/2.

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auf Hitler gegolten. 993 Angesichts der Vergangenheit und früheren Karriere des alten Reichspräsidenten als preußischer Offizier und Chef der Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg dürfte Paul von Hindenburg im Gegensatz zu dieser amerikanischen Einschätzung kaum als Liberaler einzuordnen sein. Sein tatsächlicher Einfluss auf Hitler, so Martha Dodd in späteren Jahren, war zu jeder Zeit als höchstens minimal einzustufen.994 Paul von Hindenburg hatte die Entstehung der Weimarer Republik zu verhindern versucht, mit den Präsidialkabinetten ihr Ende eingeleitet und vollendete posthum diese Entwicklung der Zerstörung der Republik.995 Hindenburg, so schildert es Martha Dodd,996 war für Hitler im richtigen Moment gestorben, um diesem das letzte fehlende Instrument der Macht im deutschen Staat zu überlassen: die auf den Reichspräsidenten eingeschworene Reichswehr. Nach dem Tod des Reichspräsidenten am 2. August 1934 verzichtete William Dodd auf weitere Ermutigungen Washingtons liberale Bürger aktiv anzusprechen. Dem amerikanischen Außenminister berichtete er von der vollständigen Etablierung eines Terrorregimes, weshalb es aussichtslos sei, mit diesem Handelsverträge abzuschließen oder auf Schuldenrückzahlungen zu bestehen.997 Ähnlich resümierte er gegenüber Daniel Roper, seit 1933 US-Handelsminister und ein enger Freund des Botschafters: Auch Hindenburgs Tod habe nicht den gewünschten Umsturz in Deutschland gebracht. Im Gegenteil zu William Phillips‘ Einschätzung, der fälschlicherweise neue Eruptionen in Deutschland erwartete und die Durchsetzungskraft des nationalsozialistischen

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993 Vgl. John C. White, Counselor of Embassy, an Secretary of State, 3. August 1934 (Report No. 1123). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.001 H58/54 FP [862.001/4]. 994 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 207. Vgl. hierzu auch die Diskussion über die „Schuld“ Hindenburgs am Zerfall der Weimarer Republik und des Parlamentarismus in LUCAS: Hindenburg. S. 101ff. Vgl. auch ZAUN: Hindenburg. S. 227-234. Vgl. auch PYTA, Wolfram: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. München 2007. „Hindenburg verkörpert einen besonderen Typus von Herrschaft, die aufs engste verwoben ist mit der politisch-kulturellen Befindlichkeit der Deutschen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts” (S. 871). 995 Vgl. LUCAS: Hindenburg. S. 106ff. 996 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 207. 997 Vgl. Dodd an Hull, 2. August 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 11 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160).

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Regimes unterschätzte,998 musste sich William Dodd spätestens nach dem Tod Hindenburgs eingestehen, dass die Stabilisierung Deutschlands unter der gesicherten Herrschaft Hitlers unumkehrbar schien und deshalb eine Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen unmöglich machte.999

4.2. „We cannot surrender; burn us if you will!”1000 Dodds soziales und politisches Netzwerk 1934

4.2.1.Das gesellschaftliche und politische Leben William Edward Dodds direkter Kontakt zu Hitler und der national- sozialistischen Führung existierte bereits Anfang 1934 in keinem nennens- werten Umfang mehr. Die Ereignisse des 30. Juni 1934 und der Tod Hindenburgs führten zu einem klaren Bruch in seiner Relation zur nationalsozialistischen Führungsriege, die fortan am besten als „Nicht- Beziehung“ beschrieben werden kann. An Hindenburgs letzter Geburts- tagsfeier am 1. Januar 1934 war der amerikanische Botschafter eines der letzten Male vor dem „Röhm-Putsch“ dem deutschen Reichskanzler kurz begegnet – ohne in Ermangelung an gemeinsamen Gesprächsthemen eine wirkliche Konversation beginnen zu können.1001 Ob dies auf Dodds regelmäßigen Kontakt zu SA-Chef Ernst Röhm zurückzuführen war, dessen Bierabenden er ab und zu beiwohnte,1002 lässt sich nicht feststellen. Generell vermerkte der Botschafter noch im

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998 Vgl. Phillips an Dodd, 16. August 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. 999 Vgl. Dodd an Roper, 14. August 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”). „My hope had been that when Hindenburg passed away there would be a change in the direction of more rational international relations. On the contrary, everything tends the other way. […] So one can hardly see how American-German exchanges can improve […]”. 1000 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 70. Mit diesem abgewandelten Zitat Martin Luthers drückte Dodd 1934 die schwindende Hoffnung auf einen aktiven Widerstand der Deutschen aus. 1001 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 68. „[H]e [Hitler] passed on, leaving the impression that he had never had contacts with the people I knew and respected. He showed no such interest as the President [Hindenburg] showed; I am afraid he thought I was trying to embarrass him a little. I was not. There was, however, no diplomatic or political subject we could mention these touchy times”. 1002 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 75.

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Februar, dass die Nationalsozialisten sich ihm selbst gegenüber höflich benähmen.1003 Dass mit Hitler tatsächlich kein Gespräch zu führen war, das einer rationalen Argumentation oder Logik folgte und damit ziel- führend erschien, stellte der amerikanische Botschafter im März fest, als er mit ihm die Frage der deutschen Propaganda in den USA besprechen wollte; Unverzüglich schweifte Hitler in einer seiner antijüdischen Hasstiraden ab. 1004 Von den Eindrücken dieses Gesprächs geprägt vertraute Dodd seinem Tagebuch eine Charakterisierung Hitlers als politisch wenig gebildeten Imitator Mussolinis an, der es vermochte, die unzufriedene Nachkriegsbevölkerung durch pauschale Versprechen zu mobilisieren. Er sei immernoch von der Idee besessen, Europa durch Krieg zu dominieren. 1005 Den größten Einfluss 1006 auf Hitler schrieb William Dodd Hermann Göring zu. Göring sei kompromisslos, eng mit den Polizeikräften, der Aristokratie und dem altem Preußentum verbandelt und habe durch seine Unterstützer aus der deutschen Wirtschaftselite eine enorme Hausmacht mit in die Regierung Hitlers gebracht.1007 Göring sei es gewesen, der die Vertreter der Kirchen direkt bedroht hatte, als Hitler – zumindest vorerst und aus taktischen Gründen – eingelenkt hatte.1008 Darüber hinaus genoss Göring die Unterstützung vieler Bürger. 1009 Die überdrehten und befremdlichen Inszenierungen des ehemaligen Fliegers auf seinem Jagdschlösschen, mit denen er seine Gäste wie William Dodd zu unterhalten und beeindrucken glaubte, jagten dem amerikanischen Demokraten nicht nur wegen der niedrigen

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1003 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 81. 1004 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 88f. Vgl. auch Dodds „Memorandum of a conversation with Chancellor Hitler“, 7. März 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd Miscellaneous Mss. 1005 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 90. 1006 Vgl. Black: Champion of Freedom. S. 360. Black wirft Dodd vor, Hitlers Allein- herrschaft nicht in ihrem vollen Umfang verstanden und Göring, Goebbels sowie anderen nationalsozialistischen Führern einen zu großen Einfluss zugeschrieben zu haben. Diese Frage ist auch in der Forschungsdiskussion immer noch strittig. Vgl. hierzu FRAENKEL: Der Doppelstaat..Vgl. auch HILDEBRAND, Klaus: Monokratie oder Polykratie? Hitlers Herrschaft und das Dritte Reich. In: HIRSCHFELD, Gerhard/ KETTENACKER, Lothar (Hgg.): Der „Führerstaat”. Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches. Mit einer Einleitung von Wolfgang J. MOMMSEN. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Band 8). Stuttgart 1981. S. 73-97. 1007 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 91. 1008 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 73. 1009 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 223.

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Temperaturen auf dem Schlossgelände Schauer über den Rücken. 1010 Standen die klaren Fronten einer wechselseitigen Ablehnung zwischen Dodd und Göring bereits vor den Juni-Morden fest, so beschreibt Martha die Beziehung ihres Vaters zu Joseph Goebbels, als gebildetem Sprachrohr der nationalsozialistischen Führungsspitze, 1011 als ein Sonderverhältnis William Dodds zu einem Nationalsozialisten. Die beiden Männer lieferten sich als Tischnachbarn bei öffentlichen Anlässen intellektuelle Wortgefechte, die von beiden als angenehme Abwechslung zu den protokollarisch gehaltenen, oberflächlichen Konversationen solcher Ver- anstaltungen empfunden wurden. 1012 Dodd lernte Goebbels‘ Intellekt, den er in Kombination mit seiner gigantischen Propagandamaschinerie als größte Gefahr für die Durchsetzungsfähigkeit der Wertvorstellungen des liberalen Bürgertums einstufte, und das Ausmaß seines Einflusses auf die nationalsozialistische Systempropaganda auf diese Weise direkt kennen.1013 Wie bereits zuvor erwähnt, hatte William Dodd nach den Vorkomm- nissen des 30. Juni klar Göring als Hauptverantwortlichen für die Verfolgungen und Tötungen identifiziert1014 und sich selbst geschworen, jeden Kontakt zu ihm abzubrechen. Mit wenigen Ausnahmen wohnte William Dodd ab 1934 keinen Veranstaltungen mehr bei, auf denen Göring als Gast oder Redner zu erwarten war. 1015 Der Konflikt mit

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1010 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 222. 1011 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 228. 1012 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 233f. „Though my father knew only too well the part that Goebbels played in Nazi politics he, too, often said he was one of the few men with a sense of humor in Germany. […Dodd] always reported an amusing exchange / [S. 234:] of irony between the two of them – Goebbels catching every shadow of meaning and insinuation in my father’s humorous sarcasm […]. There were several pictures taken of my father and Goebbels and, in each, the two face each other with broad smiles on their faces”. Erstaunlicherweise berichtet Johann Ott über Sir Eric Phipps, eine ähnliche Beziehung zu Goebbels gehabt zu haben. „Dr. Goebbels sei der einzige Nationalsozialist gewesen, dessen Gesellschaft er in angenehmer Erinnerung habe; der schlagfertige, intelligente Mann, der nach Phipps´Auffassung noch dazu Sinn für Humor gehabt habe, hatte allem Anschein nach ein ähnliches Vergnügen an der Gesellschaft des britischen Botschafters empfunden”. Vgl. OTT: Botschafter Sir Eric Phipps. S. 73. 1013 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 90f. 1014 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 190. 1015 Zu den Ausnahmen gehörten Görings Rede vor der Akademie der deutschen Justiz. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 189f. Außerdem sah sich der amerikanische Botschafter durch das diplomatische Protokoll gezwungen, bei der Staatsfeier und dem ersten

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Goebbels erreichte einen neuen Höhepunkt, als Generalkonsul Jenkins, der Nachfolger George S. Messersmiths, Opfer einer Propagandaattacke wurde, nachdem ein von ihm verfasstes, nur in geringem Maße vertrauliches und, wie Dodd beschrieb, harmloses Dokument zur Arbeitslosigkeitsbekämpfung in Deutschland vom Schreibtisch des Bot- schafters verschwunden und auf ungeklärte Weise in den Besitz des Propagandaministeriums gelangt war.1016 Die Säuberungswelle des 30. Juni hatte bewirkt, dass Dodds vorsichtige Haltung gegenüber der national- sozialistischen Führungsspitze in ein Gefühl der Feindseligkeit über- gegangen war. Von diesem Zeitpunkt an vermied er konfliktträchtige Begegnungen bis zu seiner Rückkehr in die USA. Mit den Vertretern des Auswärtigen Amtes und anderer Behörden verkehrten William Dodd und seine Familie auf regulärer, meist täglicher Basis. Ob bei einer Einladung bei Kurt Schmitt 1017 oder bei einem Bierabend bei Franz von Papen,1018 Dodd und seine Familienmitglieder waren auch 1934 sehr häufige, gern gesehene Gäste und luden oft selbst in ihr Haus ein. Konstantin Freiherr von Neurath war dabei sicher nicht William Dodds Wunschverhandlungspartner, er erschien ihm aber dennoch als das kleinere Übel im Vergleich mit dem außenpolitischen Laien Joachim von Ribbentrop, der zunehmend die Gunst Hitlers gewann.1019 Wie andere Vertreter des diplomatischen Korps in Berlin traute William Dodd dem deutschen Außenminister trotz seiner auf- gesetzten Höflichkeit im Laufe seiner Amtszeit nur noch bedingt, weil er mit seiner bekanntlich nationalistischen, antirepublikanischen Haltung und seiner Zurückhaltung Hitlers außenpolitischer Neuausrichtung immer weniger entgegensetzte, berichtete Martha Dodd. Anders als viele Zeitgenossen hatten die Dodds bis zum Ende ihrer Zeit in Berlin erkannt, dass der Freiherr entgegen ihrer Hoffnungen keinen wirklich mildernden Einfluss auf das nationalsozialistische Programm hatte.1020 In den unzähligen Gesprächen, die Dodd mit von Neurath 1934 führte,

______Empfang Hitlers als selbstgekröntem Staatsoberhaupt anwesend zu sein. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 162f. 1016 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 190. 1017 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 76f. 1018 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 87. 1019 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 244. Laut Martha drohte ihr Vater sogar damit, sofort zu kündigen, sollte Ribbentrop Neurath als Außenminister ersetzen. 1020 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 246-249.

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hoffte Dodd weiterhin, dass der Reichsaußenminister aktiver im Sinne der amerikanischen Proteste gegen die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung und Handelspolitik werden könnte, nur um am Ende des Gespräches oder aufgrund der ausbleibenden Änderungen der deutschen Politik doch enttäuscht zu werden.1021 Anfang Juni noch identifizierte Dodd Dr. Schmitt und von Neurath als die traditionellen Eliten, die mit den Zielen der amerikanischen Wirtschaftspolitik insgeheim über- einstimmten und eine „independence of mind“1022 an den Tag legten. Der amerikanische Botschafter zog Diskussionen mit dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Bernhard Wilhelm von Bülow, den er für einen vernünftigen Staatsmann hielt, bis zu dessen Tod 1936 den unange- nehmen Gesprächen mit von Neurath vor. 1023 Anders wandelte sich die Beziehung zu Hans Heinrich Dieckhoff, der noch besonders vor der Mitte des Jahres 1934 ein persönlicher Freund1024 gewesen zu sein schien. Die Morde des 30. Juni verwandelten Dieckhoff in einen devoten, vorsichtigen und sehr defensiv arbeitenden Unterstaatssekretär. 1025 Anders als ihr Vater traute die Familie Dodd laut Martha Dieckhoff nicht über den Weg.1026 Auch Reichsbankpräsident und „wizard of finance“1027 Hjalmar Schacht war ein häufiger Gast bei den Dodds, so häufig, dass die Familie sogar

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1021 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 103. Von Neurath hielt hier am 28. Mai 1934 Dodd zurück, um mit ihm näher die Frage der Diskriminierung gegen die jüdische Bevölkerung zu diskutieren. Die Quelle erweckt den Eindruck, dass Neurath letztlich Dodd nur aushorchen, ihm von vorneherein nicht entgegenkommen wollte, wenn auch Dodd im Laufe des Gesprächs den Eindruck hatte, oder erweckt bekam, dass Neurath seiner Meinung war, ihm dies aber nicht offen zeigen konnte. 1022 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 105. 1023 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 249. 1024 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 250. „Dr. Hans Dieckhoff was long a personal friend of my father’s”. 1025 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 251. Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 139-145. 1026 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 252f. „[S. 252:] He came often to our dinners and receptions, and pretended to be a close and loyal friend of my father’s, though my mother, brother and I never trusted him. He pretended to agree with us on any subject, including the Nazis […]. […] I personally think there is little difference between Dieckhoff and Ribbentrop […] Dieckhoff is a [S. 253:] better actor perhaps […]. [T]he sum of his diplomatic record both here and in Germany is of flawless subservience”. 1027 DODD: Through Embassy Eyes. S. 236.

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über seine Dauerpräsenz zu scherzen pflegte.1028 Dabei schätzten sich der amerikanische Botschafter und der deutsche Finanzexperte gegen- seitig und waren im Umgang stets sehr offen miteinander, da sie beide die intellektuelle Herausforderung ihrer Konversationen schätzten, so Martha. 1029 Dennoch gehörte Schacht zu jenem Personenkreis der Weimarer Republik, der nach Dodds Meinung Ende der 1920er Jahre den Nationalsozialisten zur Machtübernahme verholfen hatte. 1030 In den ebenso zahlreichen Gesprächen, wie sie Dodd mit dem deutschen Außenminister führte, lassen sich in den Quellen 1934 gewisse Ermü- dungserscheinungen auf Seiten des Botschafters im Umgang mit Schacht erkennen. Zwar freute sich Dodd über Schachts Offenheit, doch ergaben dessen Beteuerungen, von der deutschen Autarkiepolitik selbst nicht überzeugt zu sein,1031 keinerlei messbare Konsequenzen auf Seiten der deutschen Wirtschaftspolitik, für deren unangefochtenen Lenker Dodd den Finanzexperten auch 1934 hielt.1032 Dodds Hoffnungen, die er auf die traditionelle Führungsschicht in Deutschland setzte, weisen 1934 besonders auffällig darauf hin, dass der Botschafter weiterhin dazu geneigt war, die Beteuerungen der konservativen Nationalisten wie Schacht, von Neurath und anderer mit ihrem vermeintlichen Widerstandswillen gegen das nationalsozialistische Regime zu verwechseln. Es entsprach Dodds positivem Deutschlandbild, dass der amerikanische Botschafter den Deutschen, die offensichtlich willfährig als Sprachrohr einer radikalen Regierung dienten, ihr Verhalten nicht persönlich anlastete. Es zeigt sich, dass William Dodd bei den Beamten des Auswärtigen Amtes nicht in Ungnade fallen wollte, weshalb er zum Beispiel am 28. Juli jüdischen Boykottvertretern riet, das

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1028 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 236. 1029 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 236. 1030 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 237. 1031 Vgl. zum Beispiel DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 174ff. Auf S. 175 sagte Schacht gegenüber Dodd „The system of closed national barriers is suicidal and we must all collapse here and the standard of living everywhere be reduced”. 1032 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 239. „Schacht was for several years considered the real dictator of Germany, and my father would often tease him about holding the destiny of his country in his hands and surpassing the Leader in potential power. […] Hitler put absolute trust in him […]”. Am 30. Juli 1934 löste Schacht Kurt Schmitt als Reichswirtschaftsminister ab und behielt außerdem sein Amt als Reichsbankpräsident. Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 105.

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Auswärtige Amt nicht unter zu starken Druck zu setzen, um sein eigenes vertrauensvolles Verhältnis zu den Beamten nicht zu beschädigen.1033 Auch zeigte er Verständnis für die noch prekärere Lage von Neuraths,1034 Luthers 1035 und weiterer Diplomaten, die dem nationalsozialistischen System scheinbar hilflos ausgeliefert waren. Dieckhoff gegenüber, dessen Wertschätzung ihm wichtig zu sein schien, entschuldigte er sein Fern- bleiben von zahlreichen (Partei-)Veranstaltungen mit der Arbeit an einem Buch zum alten amerikanischen Süden.1036 Den Großteil der nationalsozialistischen Funktionäre wie Alfred Rosenberg hielt William Dodd für gefährlich und weitgehend ungebildet,

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1033 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 134f. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 200f. Dallek bestätigt, Dodd habe den deutschen konservativen Eliten die Chance einräumen wollen, ihren Einfluss auf das Regime und/oder die Ereignisse in Deutschland unter Beweis zu stellen. Darüber hinaus habe er gehofft, und diesen Wunsch auch Roosevelt gegenüber geäußert, dass der außenpolitische Druck von Deutschlands Nachbarn nicht vergrößert werde, damit jene Elemente im deutschen Staat eine Möglichkeit finden konnten, die aggressive nationalsozialistische Propaganda über Deutschlands vermeintliche Opferrolle auszuhebeln und ihren eigenen demokratischen Weg zu finden. Diese Behauptung geht – angesichts der Quellen – zumindest für das Jahr 1934 zu weit. Dodds Misstrauen gegenüber Schacht, Neurath und weiteren Spitzenpolitikern wuchs im Laufe des Jahres, wenn er sie auch nicht für die Lage Deutschlands verantwortlich machte. Vgl. auch REUTHER: Die ambivalente Normali- sierung. S. 76. Reuther stellt dar, wie selbst jüdische Organisationen und Intellektuelle in den ersten Jahren nach der „Machtergreifung“ Zurückhaltung in ihrer offenen Deutschlandkritik übten. Er begründet dies mit den Weltkriegserfahrungen im kollektiven Gedächtnis der amerikanischen Öffentlichkeit sowie einem weit verbreiteten Antisemi- tismus der amerikanischen Gesellschaft. 1034 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 198f. Mit Bedauern stellte Dodd fest, dass von Neurath auf dem ausländischen Presseball von den Nationalsozialisten absichtlich durch einen Protokollbruch in der Sitzverteilung gedemütigt wurde. 1035 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 136. Am 1. August 1934 schreibt Dodd: „Although Luther is very unpopular in Washington, he shows me every time I see him an appealing trait: frank, intelligent mental attitudes which few German officials here venture to show. […] I am sure he has no sympathy with the Hitler brutality […]”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 200. 1036 Vgl. Dodd an Dieckhoff, 21. September 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-D. Dodd entschuldigt, soviele Einladungen ablehnen zu müssen: „When I accepted the appointment here, the President was of the opinion that I might get extended Urlaub occasionally in order to carry forward my work. […] I hope you will regard this as entirely personal and confidential except when the question arises in the Foreign Office about what my seem to be lack of appreciation on my part. It certainly is not lack of appreciation”.

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weshalb er diese 1934 schon vor dem „Röhm-Putsch“ weitgehend mied.1037 Zu einem Vortrag, den Innenminister Dr. Frick hielt, wollte Dodd nicht gehen. 1038 Genauso wenig Interessantes versprach er sich von einer Veranstaltung mit ideologischen Ausführungen Darrés.1039 Doch Justiz- kommissar Dr. Franks Vortrag zu seinem ideologisch interpretierten „Neuen Deutschen Recht“ hatte Dodds Aufmerksamkeit, oder zumindest sein Pflichtgefühl zur Teilnahme, geweckt.1040 Die Geschehnisse des 30. Juni 1934 stellten für Dodd und seine Kollegen im diplomatischen Korps offensichtlich eine Zäsur dar, denn Außen- minister von Neurath warnte am 18. Juli Rudolf Heß, dass von einer Einladung der ausländischen Vertreter zum Reichsparteitag in Nürnberg besser abgesehen werden sollte: „Seit einiger Zeit habe ich die Beobachtung gemacht, daß die Einstellung der hiesigen fremden Vertreter zu Regierung und Bewegung sich eher ungünstig entwickelt hat. […] Wie ich schon dem Führer mündlich berichtet habe, bin ich auch heute noch der Ansicht, daß eine Einladung

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1037 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 190f. Auf der Vortragsveranstaltung von Bildungsminister Rust am 15. November 1934, auf welcher es auch zu der unangenehmen Begegnung mit Gastgeber Rosenberg kommen sollte, bescheinigte Dodd Rust, wie Rosenberg, mangelnden Intellekt: „It was all just another revelation of the type of thought or absence of thought that prevails here. Will intellectual Germany submit?“ Propagan- daveranstaltungen jeder Art, besonders jene des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, die gezielt das diplomatische Korps umwarben, schien William Dodd schon vor dem 30. Juni zu meiden, jedoch einige wenige für ihn aufschlussreiche aufzusuchen. So wohnte er einem Bierabend Alfred Rosenbergs bei (Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 76. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 190. Dodd versuchte Rosenberg auf anderen öffentlichenVeranstaltungen aus dem Weg zu gehen, was ihm nicht immer gelang), sagte aber die Teilnahme an weiteren Veranstaltungen des Jahres bei Rosenberg ab [Vgl. ein handschriftliches Schreiben Dodds vom 8. Februar 1934 in Bundesarchiv (im Folgenden abgekürzt mit „BA“). Abteilung R - Deutsches Reich 1495-1945, Zivile Behörden und Einrichtungen des Deutschen Reiches (1867-1945); NSDAP; Auswärtiges, Kolonial- und Besatzungsverwaltung; NSDAP; Außenpolitisches Amt der NSDAP. NS 43/205. Wobei unklar ist, ob die Abendveranstaltung bei den Dodds vor oder nach Erhalt des Ein- ladungsschreibens geplant worden war]. 1038 Vgl. Gästeliste für den Vortrag Dr. Fricks im Hotel Adlon. BA. Abteilung R. Außenpolitisches Amt der NSDAP. NS 43/205. 1039 Vgl. Unterlagen und Zeitungsartikel (Hamburger Nachrichten vom 17. April 1934) zu Dodds Abwesenheit bei Reichsminister Darrés Vortrag vor dem diplomatischen Korps in BA. Abteilung. Außenpolitisches Amt der NSDAP. NS 43/458. 1040 Vgl. Gästeliste mit Zusage Dodds zum Vortrag Dr. Franks am 3. Januar 1934 in BA. Abteilung R. Außenpolitisches Amt der NSDAP. NS 43/205.

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der fremden Diplomaten zum diesjährigen Parteitag am besten unterbleiben sollte, überlasse es aber Ihrem Ermessen […]”.1041 Als trotz von Neuraths Warnung die Einladungen an die diplomatischen Vertreter versandt wurden, sah sich Dodd – abermals wie im Vorjahr in Rücksprache mit dem spanischen, britischen und französischen Vertreter – gezwungen, seine Teilnahme an der Parteiveranstaltung zu ver- weigern.1042 Auch gegenüber Cordell Hull fühlte sich der Botschafter zunehmend in Erklärungsnot für seine mangelnde Anwesenheit bei den großen sozialen Ereignissen im nationalsozialistischen Berlin, die für ihn immer unangenehmer und schwieriger zu bewältigen waren.1043 Ende November 1934 vertraute Dodd seinem Tagebuch an, dass er bei Dinnerveranstaltungen so zurückhaltend wie nur möglich in Erscheinung trat, 1044 sich vom Propagandaministerium und anderen Behörden be- spitzelt fühlte1045 und deshalb oft seine kontaktfreudige Tochter als Gast zurückließ, damit sie die weitergeführten Gespräche verfolgen konnte, ohne dass er sich selbst der Gefahr aussetzte, unbeabsichtigt offene Kritik zu äußern. 1046 Bis Ende 1934 hatte William Dodd sein soziales und politisches Netzwerk in Berlin insoweit verkleinert, dass die Familie die nationalsozialistische Führung betreffend lediglich ihren protokol- larischen Pflichten nachkam. Dodds Abneigung fokussierte sich gezielt

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1041 Vgl. Neurath an Stellvertreter des Führers, Reichsminister Heß, 18. Juli 1934. PAAA. Büro Reichsminister, Akten betreffend Reichsparteitag der NSDAP, 1933-1935 (Best.: R 28818). 1042 Vgl. Dieckhoff an die deutsche Botschaft Washington, 10. September 1934. PAAA. Abteilung III, Diplomatische und konsularische Verkehrungen der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland, vom 1. April 1926 bis Sept. 1933. Politik 9. Band 2 (Best.: R 80236). 1043 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 168. 1044 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 184. Dodd formuliert in seinem Tagebuch am 2. November 1934: „My thought has always been to say something or not speak at all, though I endeavor never, in this atmosphere, to say anything that can be quoted as applying directly to the existing regime”. 1045 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 110. Dodd vermutete am 15. Juni 1934, dass Ribbentrop ihn aushorchte. Vgl. S. 131. 1046 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 188. Dodd erinnert sich an ein Mittagessen bei Professor Sering. Neben Graf von Bernstorff, der sich offen über die deutsche Autarkiepolitik beschwerte, war ein NSDAP-Parteimann anwesend: „[…He] seemed to be preparing a report to the Propaganda Ministry of what he heard at our table. He got nothing from me. […] When all were gone, Martha reported that Von Bernstorff had said so much in the presence of the Nazi leader that she feared he would be reported”.

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auf die Nationalsozialisten und nur in sehr geringem Maße auf die traditionellen staatlichen Eliten, die jedoch – wie ihm nicht entgangen war – spätestens mit der vollständigen Machtübernahme Hitlers im August 1934 immer willfähriger dem nationalsozialistischen Staat zuarbeiteten.

4.2.2.Kontakte zur deutschen Bevölkerung und dem Bürgertum Nichtsdestotrotz änderten sich nach dem 30. Juni auch Dodds Kontakte zum liberalen Bildungsbürgertum fern der Regierungskreise. War William Edward Dodd 1933 und Anfang 1934 bezüglich des freiheitlichen Strebens des von ihm hochgeschätzten liberalen Bürgertums Deutschlands in die fast euphorisch geprägte Hoffnung versetzt worden, dass Hitlers Regime nicht lange währen konnte, so zerschlug sich sein Optimismus mit den Juni-Ereignissen. Ende Juli stellte er nur noch sehr zaghafte Proteste der deutschen Professorenschaft fest.1047 Der Botschafter weigerte sich, in den Universitätsstädten offiziell aufzutreten, weil er befürchtete, bei diesen Anlässen die deutsche Ehrendoktorwürde angeboten zu bekommen, die er von den zunehmend gleichgeschalteten Bildungseinrichtungen nicht annehmen wollte.1048 Nur noch auf sehr wenige ihm persönlich nahestehende Intellektuelle wie seinen alten Professor aus Leipziger Zeiten, Erich Marcks, versuchte er Einfluss auszuüben. So schrieb Dodd ihm umsichtig und indirekt kritisierend von der negativen Einstellung der US-Bevölkerung gegenüber den neuesten deutschen Entwicklungen, ohne aber eine ausführliche und ehrliche Antwort oder Reaktion zu erwarten.1049 Aufmerksam hatte er den Widerstand der Kirchen, allen

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1047 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 130f. Vgl. zu diesem Umschwung in Dodds Meinung zum Demokratiewillen der deutschen Bevölkerung 1934 auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 158. 1048 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 297. „My father was so shocked and sickened at what had happened to culture and civilization he used to know as a young student in Leipzig, he dreaded even passing through a university town. Several times, before speaking at universities throughout Germany […] he made it known as indirectly and subtly as possible that no honorary degree must be offered him. I am sure that nothing would have pleased him more, had conditions be different, […] but he would have been compelled to refuse a university degree awarded while Hitler was in power”. 1049 Vgl. Dodd an Prof. Erich Marcks, 15. November 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-M. „[W]e everywhere in America hate the very idea of war. We will not allow our children to play militarism […]. Nobody thinks that war is a solution for any great problem”. Bailey setzt Dodds endgültige Resignation

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voran der protestantischen Gemeinden und Kirchenführung, gegen die Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten verfolgt. Die Kirchenfrage in Deutschland war für ihn keine religiöse, sondern eine höchst politische, für Deutschlands Zukunft entscheidende Angelegenheit.1050 Anfang des Jahres fragte er sich noch, ob die Kirchen tatsächlichen Widerstand leisten könnten, glaubte aber schon kaum an echte Erfolgsaussichten.1051 Nach dem 30. Juni rechnete er mit keinem zielführenden Widerstand und ging deshalb nicht auf Hjalmar Schachts Drängen, sich in die Kirchenfrage einzumischen, da diese dem deutschen Ansehen angeblich mehr schade als die Frage der Behandlung der jüdischen Bevölkerung, ein.1052 Die Religionspolitik der Nationalsozialisten, die er auch in seinen Deutschlandberichten an das State Department eingehend behandelte, wies eine unmissverständliche Tendenz auf, der auch ein eher un- wahrscheinliches Zusammenrücken von Katholiken und Protestanten nicht mehr Einhalt gebieten konnte.1053 Der amerikanische Vertreter in Deutschland war überzeugt, dass angesichts Rosenbergs ideologisch motiviertem „Religionskrieg“1054 das Schicksal des Kirchenkampfes und damit auch die Entscheidung über die Zukunft aller liberalen Strukturen und Wertvorstellungen so gut wie besiegelt waren.1055 Trotz einer gestiegenen Zahl von Monarchisten und Angehörigen des Großbürgertums und der Wirtschaftseliten, die Hitlers Politik ablehnten, hatte nach den Junimorden eine Rückkehr zur Monarchie durch einen

______bezüglich des Engagements der akademischen Welt zeitlich für das Jahr 1936 an. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 161. Seine Korrespondenz 1934 zeigt jedoch, dass hier bereits kaum mehr Hoffnung bestand. 1050 Vgl. Dodd an Messersmith, 7. Dezember 1934, LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-N. 1051 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 70. Dodd stellte am 5. Januar 1934 fest: „I wonder whether the Germans of 1934 have the courage of Luther and will simply say: ‘We cannot surrender; burn us if you will!’ If Lutherans say this, Catholics are apt to support them”. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 78. Nach einem Gespräch mit Journalist Louis Lochner der Associated Press am 3. Februar 1934 resümiert Dodd: „A peculiar religious unity is prevailing here but I believe the Lutherans will surrender; the incomes of their clergy come from the government”. 1052 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 180. 1053 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 138. 1054 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 200. 1055 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 185. Vgl. zum Kirchenkampf ab 1934 BESIER, Gerhard: Die Kirchen und das Dritte Reich. Spaltungen und Abwehrkämpfe 1934-1937. Berlin 2001.

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Putsch keine Aussicht mehr auf Erfolg. 1056 Sein Austausch mit dem amerikanischen Geschäftsmann Ivy Lee, der enge Beziehungen zur nationalsozialistischen Führung und der deutschen Wirtschaft pflegte, hatte ihm aufgezeigt, wie gespalten das Großbürgertum Deutschlands wirklich war und auch dem liberalen amerikanischen Botschafter feind- selig begegnete. Laut Lee hatte ein Großindustrieller der IG Farben den US-Repräsentanten sogar als „Anti-Nazi“ bezeichnet und damit die profitgesteuerte Vereinnahmung dieser Eliten durch die National- sozialisten offenbart.1057 Jenes Unternehmen hatte Dodds Aufmerksamkeit erregt, als er im August 1934 von ihren Geschäftsbeziehungen mit der japanischen Führung bezüglich Lieferungen kriegsrelevanter Güter erfahren hatte, was Dodd dazu veranlasste den Kontakt zum Groß- bürgertum und den Wirtschafts- und Finanzeliten in Deutschland zu meiden.1058

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1056 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 131. Bei einem Dinner bei den Ribbentrops am 24. Juli, obwohl Dodd absichtlich mit überzeugten Nazis an einen Tisch gesetzt wurde, entging ihm nicht die offene Kritik mehrerer Gäste an den Geschehnissen des 30. Juni.Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 105f. Dodd erinnert sich an ein Treffen mit dem deutschen Kronprinzen und seiner Gemahlin bei Potsdam. Bei den Gesprächen fiel ihm auf, dass die glänzenden Tage der Hohenzollernmonarchie für die traditionellen Eliten nichts als traurige Erinnerung waren. Einen ähnlichen Eindruck erhielt er auch im Anschluss an seine Rede vor der konservativen Steuben-Gesellschaft Vgl. Dodds Rede „Remarks made by Ambassador William E. Dodd at Banquet for Steuben Delegation at Kroll Oper, Berlin”, 24. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd Speech, Article, Book File Speech 7-24-35-Berlin UNTITLED. Dodd schildert in jener Rede das Problem der mangelnden Informationen für die Bürger zu Gräueln und Folgen eines Krieges wie des Ersten Weltkrieges. Er benennt nur allgemein „rulers“, die wieder mit Krieg drohen. 1057 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 154f. Auf Seite 155 gibt Dodd Lees Worte vom 23. August wieder: „He then said: ‚Ilgner of the Carl Schurz Foundation here said you were an anti-Nazi […].’ […] [Max] Ilgner is head of the great I.G. Farben corporation in Germany”. Vgl. zu Ivy Lees Aktivitäten auch FRYE: Nazi Germany. S. 51f. 1058 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 156. Dr. Max Ilgner suchte Dodd wenige Tage später persönlich auf, am 28. August, und erzählte ihm von einer angeblich harmlosen Geschäftsreise in die Mandschurei. „I suspect he is on a mission to exchange poison gases and explosives for Japanese products”. Vgl. zur Rolle der IG Farben im national- sozialistischen Deutschland HAYES, Peter: Industry and Ideology. IG Farben in the Nazi Era. Cambridge, MA, u.a. 1989. Für die Jahre 1933 bis 1936 die Seiten 69 bis 161. Janis Schmelzers jüngstes Quellenstudium zur Geschichte der IG Farben widerlegt die vor- gebliche „Opferrolle“ des Konzerns und weist ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach. Vgl. SCHMELZER, Janis: IG Farben – vom „Rat der Götter”.

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Auch auf seinen Deutschlandreisen, die William Dodd ähnlich wie 1933 ohne Preisgabe seiner Identität unternahm, um sich ein genaueres Bild von der Stimmung in der Bevölkerung zu machen, konnte der Amerikaner keine aufmunternden Erkenntnisse gewinnen. Nachdem Anfang des Jahres die Zustimmung gegenüber den Nationalsozialisten wegen der Gleichschaltung von Kirchen und Universitäten stagniert hatte,1059 stellte Dodd auf seiner Sommerreise im August und auch auf späteren Reisen des Jahres fest, dass die nationalsozialistische Propaganda allgegenwärtig war: Ob in Gesprächen einfacher Bürger im Zugabteil, 1060 bei den Passionsspielen in Oberammergau1061 oder in Restaurants in Kleinstädten. Traditionelle und religiöse Wertvorstellungen schienen durch eine neue Pseudoreligion, Annexionspropaganda und den Gedanken der Volks- gemeinschaft ersetzt worden zu sein. 1062 Besondere Aufmerksamkeit erregten bunte Plakate, die an der Wand in einer kleinen Gaststätte in Hechingen angebracht waren, wo Dodd und sein Sohn im Oktober Zwischenstopp eingelegt hatten. Auf einer topographischen Karte wurde die Annexion von Gebieten in Frankreich und Osteuropa propagiert sowie den Aufruf an alle Deutschen erteilt, den Flugschein zu machen und sich in der Luftwaffe zu engagieren.1063 Der Eindruck einer generellen Mobilmachung verschärfte sich, als William und Bill Dodd im Oktober

______Aufstieg und Fall. Stuttgart 2006. U.a. S. 11. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. III,1, Dok. 172 (S. 341f.). 1059 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 75. 1060 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 160f. Dodd saß am 8. September im Zug nach Bremen für seine Rede vor der YMCA und wurde unfreiwillig Zeuge propagandistischer Äußerungen eines Zugfahrgastes im selben Abteil. 1061 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 153f. 1062 Vgl. zum Nationalsozialismus mit seinem Anspruch, eine Ersatzreligion zu sein BRACHER: Die totalitäre Erfahrung. S. 23f. Vgl. auch HOCKERTS, Hans Günter: War der Nationalsozialismus eine politische Religion? Über Chancen und Grenzen eines Erklärungsmodells. In: HILDEBRAND, Klaus (Hrsg.): Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus. Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 59. München 2003. S. 45-71. Bailey behauptet, Dodd habe das volle Ausmaß von Hitlers Personenkult erst 1936 durchschaut. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 160. Dodds detaillierten Berichte hierzu nach seinen Deutschlandreisen 1934 deuten allerdings darauf hin, dass er die Auswirkungen neuer pseudoreligiöser Aspekte der deutschen Gesellschaft klar verstanden hatte. 1063 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 181f. Ein Poster, herausgegeben von Görings Luftfahrtministerium, rief alle Deutschen dazu auf, eine Fliegerausbildung zu absolvieren. Es zeigte außerdem Gebiete im Baltikum, Frankreich, Dänemark und Polen, welche annektiert werden sollten.

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eine große industrielle Aktivität, insbesondere in der Schwerindustrie und in den Gasfabriken in den Produktionszentren Deutschlands ver- zeichneten.1064 Dodds Beobachtungen 1934 straften alle Aussagen Hitlers und seines Kabinettes hinsichtlich der angeblichen Friedensabsicht Deutschlands Lügen. Der Botschafter scheute sich auch nicht, seinem Präsidenten handfeste Beweise für den Inhalt seiner Berichte zu liefern: Roosevelt erhielt postalisch sein eigenes Exemplar der Hechinger Plakate.1065

4.2.3.Dodd und die Presse Auch 1934 stand William Edward Dodd als Botschafter und als Privatperson in engem Kontakt mit ausländischen, besonders den angelsächsischen Korrespondenten in Berlin. Die bereits beschriebenen mannigfaltigen Beziehungen der Familie Dodd zu den Journalisten, die viele Jahre in Berlin lebten und arbeiteten, wurden durchweg auf- rechterhalten. Neben den erwähnten Informationsquellen wie Karl von Wiegand1066 von der Hearst-Presse und Louis Lochner von der Associated Press, waren es vor allem der konservative Reporter der United Press, Frederick Oechsner, und der Londoner Vertreter von United Press, Webb Miller, die den amerikanischen Botschafter Ende des Jahres über die gegen Ausländer angewandten Abhörmethoden der deutschen Geheim- polizei aufklärten.1067 Im November schilderte Oechsner wie auch die ausländische Presse in Berlin zunehmend unter Druck geriet das ______

1064 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 182. Auf der Reise im Oktober 1934 von Dodd und seinem Sohn Bill von Berlin nach Konstanz, die durch Württemberg, Sachsen, Bayern und Thüringen führte, beobachteten die beiden Männer große industrielle Aktivität besonders im Thüringischen und in Sachsen: alle Fabriken liefen auf Hochtouren, besonders Munitionsfabriken, Schwerindustrie und Giftgasfabriken. In allen Regionen war eine scharfe anti-jüdische Propaganda allgegenwärtig. 1065 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 159. 1066 Wolfram Pyta beschreibt Wiegand als vertrauensvollen Verbündeten Franz von Papens, welcher nicht selten für den Vizekanzler aktiv Informationen an William Dodd und den französischen Botschafter weiterleitete. Pyta wirft auch ein, dass Dodd und François-Poncet sich offensichtlich bewusst oder unbewusst nicht auf eine Weitergabe jener Informationen an ihre Außenministerien und Regierungen verpflichtet fühlten und ein entsprechender von Papen gesteuerter Informationsfluss ins Ausland hieran ins- besondere im Frühjahr 1934 scheiterte. Vgl. PYTA: Hindenburg. S. 858f. 1067 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 162. Oechsner berichtete am 11. September, dass eine speziell eingerichtete Einheit die Meinungsäußerungen von Ausländern in Hotels und über Telefone einfing.

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Hitlerregime in der Berichterstattung positiv zu bewerten. 1068 Die Journalisten blieben für Dodd 1934 eine der essentiellsten Quellen für seine Berichterstattung sowie seinen persönlichen Eindruck von den Geschehnissen und Entwicklungen in Berlin und Deutschland. Dieses vertrauensvolle Verhältnis spiegelte sich auch in der amerika- nischen Pressemeinung über Dodds Botschaftertätigkeit wider. Ganz besonders durch die liberale US-Presse wurde Dodd 1934 für seine Leis- tungen als diplomatischer Vertreter und sein würdevolles, intellektuelles und unkonventionelles Auftreten in Berlin sehr lobend erwähnt. Die New York Times berichtete im April, dass Dodds hervorragende Kenntnisse von Deutschland und seiner Geschichte es ihm ermöglichten, in aus- gewogenen Reden brisante Themen anzusprechen, ohne einen Skandal zu verursachen. Ohne seine Zeit mit ausführlichen Verhandlungen zu verschwenden, arbeite der Botschafter auf handfeste Ergebnisse hin, indem er direkt mit der höchsten Autorität, nämlich Hitler, verhandle. Seiner Offenheit sei es zuzuschreiben, dass die Angriffe auf amerikanische Staatsbürger in Deutschland ein Ende gefunden hätten. 1069 Im Juni zeigte sich die New York Times beeindruckt von Dodds Unterstützung für Norman Davis bei der Durchführung der Abrüstungskonferenz.1070 Als Botschafter des New Deal1071 erweise sich Dodd als flexibler und unkonventionell aktiver Verhandlungsführer, der trotz seines forschen Auftretens für seine Kenntnis der deutschen Mentalität, seine Freund- lichkeit, Bescheidenheit und seine besondere Haltung zu seinem Beruf auch von den Deutschen geschätzt werde. Der Repräsentant setze neue Maßstäbe auch für die Anforderungen an zukünftige amerikanische

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1068 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 184. Druck erhielt Oechsner hierbei auch direkt aus seiner Zentrale in New York. Viele Lokalreporter in Deutschland, so Oechsner, sympathisierten zusätzlich mit dem deutschen Regime und verfälschten so die Berichte von Journalisten wie Oechsner absichtlich. Vgl. auch NASAW: Chief. S. 499. Hearst persönlich hatte seinen Deutschlandkorrespondenten Karl von Wiegand in Schutz genommen und hatte der Forderung der deutschen Regierung, seinen kritischen Journa- listen abzuziehen, nicht Folge geleistet. 1069 Vgl. New York Times vom 15. April 1934, „History Aids Dodd in his Berlin Task”. 1070 Vgl. New York Times vom 15. Juni 1934, „Dodd’s Quiet Way Pleases Germans”. 1071 New York Times vom 15. Juni 1934, „Dodd’s Quiet Way Pleases Germans”. „[A] product of the New Deal”.

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Diplomaten.1072 Die allgemeine Euphorie gegenüber den ersten Erfolgen des New Deal-Programmes des Präsidenten Franklin Roosevelt schien sich in der Bewertung von William Dodds diplomatischer Tätigkeit zu reflektieren. Die depressionsmüde amerikanische Bevölkerung erwartete neue, unkonventionelle Methoden von ihren Vertretern. Das wenige Monate nach dem Börsenkrach von 1929 gegründete Fortune Magazine,1073 ein gesellschaftskritisches nationales Wirtschaftsmagazin, setzte sich mit William Dodd als Botschafter in Berlin im Zusammenhang mit dem New Deal kritischer auseinander und deckte seine angeblichen Fehler auf. Im Bestand des Auswärtigen Amtes findet sich jener Artikel wieder, was auf eine genaue Rezeption der Berichte über Dodd in der Wilhelm- straße hinweist.1074 Laut des Fortune Magazine habe Dodds Redetätigkeit und sein Auftreten in Berlin für einige Kritik gesorgt. 1075 Überhaupt repräsentiere er eine neue Art US-Botschafter, den „New Deal Type“1076, und er sei der einzige der 16 neuen amerikanischen Vertreter, der mangels Privatvermögen und diplomatischer Ausbildung mit mehreren Traditionen des diplomatischen Dienstes gleichzeitig breche. 1077 Die Journalisten des Fortune Magazine warfen die Frage auf, als wie erfolg- reich sich ein nicht ausgebildeter Diplomat in einer solch wichtigen Position erweisen könne.1078 Dodd sei zwar nicht die schlechteste Wahl gewesen, er sei ein offener, liberaler Intellektueller, der das Deutschland

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1072 Vgl. New York Times vom 15. Juni 1934, “Dodd’s Quiet Way Pleases Germans”. „[…] It may also become a fact, in the not too distant future, that the foreign diplomatic service of the United States will adopt Mr. Dodd’s principles and scale of living”. 1073 Das Fortune Magazine ist eine Veröffentlichung von Time Inc., die später mit Time, Life und Sports Illustrated zu Time Warner fusionierte. Vgl. URL: http://money.cnn.com/magazines/fortune/ Zugriff am 2. Mai 2014. Vgl. auch ein For- schungsprogramm der University of Virginia zum Fortune Magazine in der Gründungszeit der 1930er Jahre, URL: http://xroads.virginia.edu/~1930s/Print/fortune/index.html , Zugriff am 2. Mai 2014. 1074 Vgl. Artikel des Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934 „Their Excellencies, Our Ambassadors. There are sixteen of them. Who, what, where, and why?”. PAAA. Abteilung III, Diplomatische und konsularische Verkehrungen der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland, vom 1. April 1926 bis Sept. 1933. Politik 9. Band 2 (Best.: R 80236). 1075 Vgl. Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934 „Their Excellencies, Our Ambassadors. There are sixteen of them. Who, what, where, and why?” Siehe Bildunterschrift unter Foto zu Dodd neben einem Berliner Korrespondenten der Associated Press. S. 108. 1076 Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934. S. 108. 1077 Vgl. Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934. S. 108. 1078 Vgl. Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934. S. 122.

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schätzte, an das er sich aus Jugendzeiten erinnerte. Sein nichtdiplo- matischer Hintergrund, seine für diplomatische Verhältnisse geringen privaten finanziellen Mittel, sein akademischer Werdegang, seine idealis- tische Überzeugung und seine an Taktlosigkeit reichenden, öffentlichen Auftritte seien im Auswärtigen Amt negativ aufgefallen. 1079 Obwohl seine Antrittsrede die denkbar beste eines Botschafters gewesen sei, fehle ihm das diplomatische Fingerspitzengefühl. Die Nationalsozialisten könnten seine subtilen Parabeln nicht verstehen. Deshalb scheitere er mit seinen Protesten gegen die Behandlung amerikanischer Gläubiger.1080 Mitte des Jahres 1934 hatten sich die Beziehungen der Roosevelt- Administration zur amerikanischen Geschäftswelt aufgrund ihrer experi- mentierfreudigen Reformen kaum verbessert. Der gesamte Fortune- Artikel erweckt deshalb den Eindruck, als Sprachrohr für die kritische Haltung der Wirtschaftsfunktionäre zu fungieren; Er zweifelt dabei weniger an Dodds Arbeitsleistung, sondern attackiert vielmehr Roosevelts Personalentscheidungen, die staatlichen Eingriffe ins Finanz- und Wirt- schaftsgeschehen und Roosevelts idealistischen New Deal. Denn in der Gesamtschau bewertete das Magazin Dodds Berichterstattung und bedachte Art für das deutsch-amerikanische Verhältnis durchaus auch positiv.1081 Darüber hinaus versuchte William Dodd seinen Einfluss auf die liberale Presse in den USA – einige seiner ehemaligen Studenten waren Redak- teure in leitender Funktion großer Tageszeitungen und Zeitschriften – zu nutzen, um die Haltung der Medien gegenüber dem Präsidenten zu verbessern. Auf seiner USA-Reise März bis Mai 1934 traf er sich mit mehreren Journalisten in New York, die ihm die generelle Zustimmung der US-Bevölkerung zu Roosevelts Reformen bestätigten.1082 Bei dieser Gelegenheit drängte der amerikanische Botschafter die Vertreter der Presse zu einer befürwortenden Berichterstattung über das politische ______

1079 Vgl. Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934. S. 115. 1080 Vgl. Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934. S. 116. „[… ] Mr. Dodd’s speech was not only courageous and humane but the best sort of opening speech a U.S. Ambassador to Germany would have made. Mr. Dodd’s misfortune (which was no fault of his) was a lack of that glassy smoothness of tact which men of Straus’s experience can approach […]”. 1081 Fortune Magazine, April-Ausgabe 1934. S. 116. „In such situations, a wily and oily man, or a direct, overbearing man, might get somewhere. But Dodd is really neither. Dodd is probably the best in any U.S. Embassy”. 1082 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 98f.

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Programm Roosevelts.1083 William Edward Dodds Kontakte zur angel- sächsisch-amerikanischen Presse können damit für das Jahr 1934 all- gemein als eng, vertraut, positiv und von wechselseitiger Einflussnahme geprägt bewertet werden.

4.3. „Dr. Dodd’s letter presents a rather dark picture”.1084 Dodds Rollen als Botschafter in Berlin 1934

4.3.1.Verhandlungsführer für Roosevelt Mehrere Sachthemen prägten 1934 William Dodds von Washington angewiesene Verhandlungsführung mit den deutschen Behörden. Im Falle des amerikanischen Botschafters kann eine gedankliche und erkenntnisrelevante Entwicklung hinsichtlich einer Verbindung der zu- nächst getrennt verstandenen Sachverhalte seiner Verhandlungen zu einem vielschichtigen Problemkomplex der „Deutschlandfrage“ für die amerikanische Außenpolitikformulierung festgestellt werden.1085 Hierzu gehörten: a) Die allgemeine Frage der deutsch-amerikanischen Handelsbeziehun- gen, aufs Engste verbunden mit der Rückzahlung der Schulden an

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1083 Vgl. Dodd an R. Walton Moore, 15. Mai 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „The hearty support of the President was made clear at the beginning, even by the Tribune [im Original unterstrichen] represent- tatives. […] I closed by stressing value of their service if, on occasion, they would give editorial support to the ideas the represented”. 1084 Moore an Roosevelt, 20. November 1934. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. 1085 Dallek behauptet, Dodd habe die von Washington durchaus offensiv geplante Eintreibung der Schulden dahingehend mit weniger Engagement in Deutschland durch- gesetzt als von seinen Vorgesetzten gewünscht, weil er zum Schutze national-partikularer Interessen der USA generell eine Gefährdung der internationalen Kooperation nicht in Kauf nehmen wollte. Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 220f. Dies ist zum einen richtig, denn Dodd lehnte ökonomischen Nationalismus auch von Seiten seines eigenen Landes ab, zum anderen jedoch sah der Botschafter die Schuldenfrage – wie die folgenden Seiten zeigen werden – als Teil einer komplexen Deutschlandfrage, welche ebenso komplexe Lösungsansätze erforderlich machte. Seine zunehmende Verärgerung über Schachts und von Bülows ausweichende Antworten zeigt, dass er die Dringlichkeit der amerikanischen Schuldenrückzahlungen unabhängig von seinen persönlichen Ansichten zum amerikanischen Wirtschaftssystem und den Geschäftsinteressen ernst nahm.

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amerikanische und andere europäische Gläubiger, mit dem deutschen Export-Importgeschäft sowie mit der Anwendung der Meistbegünsti- gungsklausel im Sinne der Hullschen Freihandelspolitik; b) die Auswirkungen des amerikanischen Boykotts deutscher Güter auf- grund der zunehmenden Diskriminierung gegen die deutsch-jüdische Bevölkerung auf das deutsche Handelsgeschäft und auf die wirt- schaftspolitischen Ziele der New-Deal-Politik; c) die sich negativ entwickelnde öffentliche Meinung in den USA gegen- über den Resultaten des New Deal nach den ersten hundert Tagen der Roosevelt-Administration und gegenüber den innerdeutschen Entwicklungen; d) die Ausrichtung der nationalsozialistischen Wirtschafts-, Finanz- und Außenpolitik und die nationalsozialistische Propaganda gegen die freie Meinungsbildung innerhalb der USA; e) die Frage von Abrüstung, Aufrüstung und internationalen Waffen- verkäufen als Mittel zur gesamtwirtschaftlichen Erholung und die weitere Rolle des Völkerbundes als Instrument internationaler Streit- schlichtung. Jenes Konglomerat hochkomplexer Sachfragen der ersten Hälfte der 1930er Jahre kann an dieser Stelle nicht in vollem Umfang behandelt werden. Deshalb ist an dieser Stelle mit Verweis auf die entsprechenden Quellen 1086 zusammenfassend zu Dodds Gesprächen mit dem Aus- wärtigen Amt über den deutsch-amerikanischen Handelsvertrag, die deutsche Schuldenfrage und das Transfermoratorium für Deutschland festzuhalten, dass der amerikanische Botschafter eine einseitige Diskri- minierung amerikanischer Gläubiger und Freihandelskonzepte durch die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik feststellen musste. Diese Beobachtungen bestätigten frühzeitig die entsprechenden Einschätzun- gen in Washington, die ein Neuverhandeln eines deutsch-amerikanischen Handelsvertrages fortan ausschlossen – eine Entwicklung, die die Diplomaten des Auswärtigen Amtes fälschlicherweise Dodds direktem Einfluss anlasteten.1087 Vielmehr hatte sich die amerikanische Führung ______

1086 Vgl. zu den Verhandlungen u.a. PAAA. Büro Staatssekretär, Akten betreffend: Aufzeichnungen St.S. von Bülow über Diplomatenbesuche A-K, vom 1. November 1933 bis 31. Oktober 1934. Band 6, s. Bd. 7 (Best.: R 29454). Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 69f., 73f., 80f., 107, 112f., 119, 122, 130, 151, 160. 1087 Vgl. auch Moffat Diary, 16. Mai 1934. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe

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auch ohne Dodds Bestätigung dazu entschlossen, dem deutschen Vor- gehen zumindest handels- und schuldenpolitisch Einhalt zu gebieten. Cordell Hull hatte sich nach der einseitigen Aufkündigung des Meist- begünstigungsprinzipes durch Deutschland, die sein globales Handels- konzept sabotierte, darüber hinaus auch dazu gezwungen gesehen, Dodd anzuweisen, scharfen Protest gegen das von deutscher Seite unilateral beschlossene Transfermoratorium einzureichen. Wenn Deutschland seinen Rückzahlungen nicht nachkommen könne, so hatte der amerika- nische Außenminister sich seinem Präsidenten gegenüber gerechtfertigt, dann sollten die Deutschen, anstatt einseitig die Zahlungen einzustellen, konstruktive Vorschläge zur Zinssenkung und damit zur finanzpolitischen Entlastung Deutschlands vorbringen. 1088 Die Weigerung der national- sozialistischen Führung, von ihrem Wirtschafts- und Finanzkurs abzu- weichen, hatte bereits 1934 ihre Wirkung auf die internationalen

______02, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1934-1935. Moffat sprach bereits im Mai von der Unmöglichkeit eines neuen Handelsabkommens mit Deutschland. Vgl. zu Dodds Gesprächen mit Vertretern des Auswärtigen Amtes und Hjalmar Schacht DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 87f., 109-112, 157, 175, 203, 205f. Vgl. zu den Beobachtungen im Auswärtigen Amt über Dodds kritischen Äußerungen über Deutschland mit angeblichem Einfluss auf die amerikanische Deutschlandpolitik: Deutsche Botschaft an das Auswärtige Amt „Inhalt: Amerikanische Presseaeusserungen zu den Vorgaengen in Deutschland“, 14. Juli 1934. PAAA. Abteilung III, Akten betreffend: Politische Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Deutschland, vom 1. August 1934 bis 31. Juli 1935. Politik 2, Vereinigte Staaten von Amerika. Band 27, fortf. Bd. 28 (Best.: R 80162). „Seit der Machtergreifung durch die nationalsozialistische Partei ist die amerikanische Presse den Ereignissen in Deutschland stets mit stark kritischer Aufmerksamkeit gefolgt. […] Ein Vortrag, den Botschafter Dodd vor der amerikanischen Schule in Berlin ueber die Vorzuege der Demokratie gehalten hat, erregte Aufsehen”. Vgl. Kopie der „Address to be delivered by the American Ambassador on the 100th anniversary of the founding of the Bremen YMCA „A Troubled World”, 5. September 1934. PAAA. Abteilung III, USA, Politik 9. Band 2 (Best.: R 80236). Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. III,2, Dok. 389 (S. 716f.). Dieckhoff zeichnete das Gespräch mit Dodd vom 11. Dezember 1934 ebenso auf: Der Botschafter habe klargemacht, dass die Ereignisse des 30. Juni die amerikanische Öffentlichkeit wie auch den Präsidenten negativ beeinflusst haben und diese politische Lage die Lösung wirtschaftlicher Fragen erschwere. 1088 Vgl. Hull an Roosevelt, 16. Juni 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 11 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Hull leitet hier ein Telegramm an Dodd direkt an Roosevelt zur Kenntnisnahme weiter. Dodd solle energisch und formal gegen die einseitige Diskriminierung protestieren. Die Akten des Auswärtigen Amtes zeigen jedoch, dass von Bülow und das Auswärtige Amt der Wieder- aufrüstung in jeder Hinsicht Priorität einräumten. Vgl. ADAP, Bd. III,1, Dok. 109 (S. 207- 212) und Bd. III,2, Dok. 351 (S. 649-652).

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politischen und wirtschaftlichen Beziehungen entfaltet, auch auf die Frage der globalen Abrüstung. In einem Brief des US-Botschafters in Polen, John Cudahy, an William Dodd bestätigte jener seinem Kollegen, dass aufgrund des internationalen Prestigeverlustes der USA eine Ver- bindung von Schuldenfrage und Abrüstung unmöglich geworden sei.1089 Dabei ließ er außer Acht, dass sich, wie Cudahy festhielt, hinter der deutschen Weigerung ein tieferer, nichtökonomisch motivierter Beweggrund, nämlich derjenige der Abkoppelung von jedwedem inter- nationalen Abkommen hin zu einer bedingungslosen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung verbarg. William Dodd hatte aufgrund dieser Entwicklungen damit begonnen, die deutschen Waffenkäufe in einen Zusammenhang mit der deutschen Autarkie- und Schuldenpolitik zu bringen und amerikanischen Investoren von neuen Verpflichtungen in Deutschland frühzeitig abzuraten.1090 Die Hoffnungen Roosevelts, über eine Lösung der Schuldenfrage und freieren Handel Einfluss auf die Abrüstung Deutschlands zu gewinnen, zerschlugen sich somit bis Ende des Jahres 1934.

Gespräche mit dem Auswärtigen Amt zur Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung: US-Warenboykott, Schauprozesse, NS-Propaganda und öffentliche Meinung Die Entwicklungen in der deutsch-amerikanischen Handelsfrage und der Wirtschaftsbeziehungen hingen schon vor den Junimorden 1934 sehr eng mit der Frage der Behandlung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland zusammen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte dabei die Reaktion der amerikanischen Bevölkerung auf die fortschrei- tende Diskriminierung sowie auf deutsche Propagandaattacken, die

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1089 Der Prestigeverlust hatte sicherlich mit Roosevelts Zögern 1933 auf der Wirtschafts- und Abrüstungskonferenz zu tun, welches mit einem scheinbar endgültigen Rückzug der USA aus dem europäischen Geschehen gleichgesetzt worden war. Vgl. Cudahy an Dodd, 11. Dezember 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-C. „There is not the remotest logical connection between the two, and even if the United States could connect a policy of disarmament with a remission or partial cancellation of the debts, it is impossible for me to say how an agreement to disarm could be enforced. […] American prestige in European Chancellories [sic!] has suffered too much already from proposals not sufficiently considered from every angle”. 1090 Hierbei hatte der Botschafter offensichtlich durchschaut, dass Hitler keineswegs an einer Lösung der Abrüstungsfrage interessiert war. Vgl. auch ADAP, Serie C, Bd. II,2, Dok. 487 (S. 863).

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schon 1933 in einem folgenreichen Boykott deutscher Waren und Güter resultiert hatte. Die Familie des amerikanischen Botschafters in Berlin war selbst seit ihrer Ankunft Zeuge unzähliger Diskriminierungen und Angriffe auf jüdische Bürger – viele davon Freunde der Familie –, sei es durch die Gesetzgebung und die Befehle von höchster Stelle, die Gestapo oder brutale SS- und SA-Einheiten, geworden.1091 Durch den Flüchtlings- beauftragten des Völkerbundes, James McDonald, bekam William Dodd zusätzlich ein genaues und erschütterndes Lagebild der humanitären Situation der jüdischen Bevölkerung in Deutschland vermittelt.1092 Per- sönlich hielt Dodd die Proteste in den USA, die nicht nur von ameri- kanischen Juden, sondern einem Großteil der Bevölkerung – Katholiken und Protestanten, Liberalen und den Gewerkschaften – getragen wurden, für mehr als rechtens, gar die bürgerliche Pflicht eines jeden liberal denkenden Menschens: „There can be no objection to Jews in the United States making earnest protests against the treatment applied here. Any liberal-minded person must do that”.1093 ______

1091 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 307ff. 1092 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 78f. Besonders erschütternd war die Tatsache, dass weder England noch die USA die große Zahl der Flüchtlinge, McDonald sprach von 50.000 (S. 79), aufnehmen wollten. Vgl. zur amerikanischen Aufnahmepolitik und der Rolle des Völkerbundes in den Jahren 1934/35 STEWART: United States Government Policy. S. 123-223. 1093 Dodd an Arthur Garfield Hays, 25. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. Vgl. auch Dodd an Hull, 17. Juli 1934 (Report No. 1043). NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 6 Commerce, Customs Administration, Commercial Relations, Treaties and Conventions, Commercial and Trade Agreements). File 611.6212/50. Dodd berichtet Hull hier von der Vorgeschichte des Boykotts. Der Boykott hatte im April 1933 begonnen, beeinflusst durch die Berichterstattung amerikanischer Zeitungen aus Deutschland und getragen von Einzelpersonen. In Boston und dem Mittleren Westen wurde er von der katholischen Bevölkerung, dann wenig später den Gewerkschaften initiiert. Der Protest der Gewerkschaften richtete sich vor allem gegen die Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten Anfang Mai. Viele Juden, darunter auch das American Jewish Committee, hatten den Boykott als falsche Maßnahme verurteilt, denn er erhöhe die Gefahr für die deutschen Juden. Die „non-sectarian Anti-Nazi League to Champion Human Rights” bestand zur Hälfte aus nichtjüdischen Mitgliedern, auch Colonel Theodore Roosevelt, New York Citys Bürger- meister Fiorello LaGuardia, dem ehemaligen US-Botschafter in Deutschland, Gerard, und einigen Supreme Court-Richtern. Die Anfrage des amerikanischen Generalstaatsanwaltes an die deutsch-amerikanische Handelskammer zu konkreten Zahlen des entstandenen Schadens für den deutschen Exporthandel wurde in Deutschland als offizieller Schritt der US-Regierung gegen den Boykott gewertet. Der Boykott ging, so Dodd ausdrücklich, nicht von den jüdischen Kaufhäusern, sondern denen anderer amerikanischer Bürger aus.

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Nachdem er auch Staatssekretär von Bülow gegenüber seine Sorge um die humanitäre Lage und das Schicksal jüdischer Bürger geäußert hatte,1094 ergriff der Botschafter zusammen mit Roosevelt-Berater Colonel Edward House die Initiative.1095 House und Dodd standen in engem Kontakt mit amerikanisch-jüdischen Vertretern und weiteren Wort- führern, die über der Frage des Nutzens des Boykotts deutscher Waren zerstritten waren.1096 Gemeinsam übten Dodd und House vor dem 30. Juni Druck auf die Befürworter des Boykottes in den USA aus, diese Maßnahme sowie die in New York wie auch in anderen Städten geplanten „Schauprozesse“ gegen Hitler auszusetzen. Sicherlich verbargen sich hinter ihrem Vorhaben noch weitergehende Kalkulationen Dodds und House‘: Würde der amerikanische Boykott zurückgefahren, hätte die deutsche Führung weniger Argumente zur Verfügung, warum sie ihre Schulden an die USA nicht zurückzahlen konnte. Die Aussicht auf eine erneute Aufnahme der handelspolitischen Verhandlungen sollte dabei als ein verlockendes Angebot für die deutsche Regierung dienen. 1097 Hierbei setzte Dodd vergeblich auf die Hilfe von Neuraths, um eine

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1094 Vgl. Gesprächsaufzeichnung von Bülows mit Dodd, 10. Juli 1934. PAAA. Büro Staats- sekretär, Band 6 (Best.: R 29454). Von Bülow erinnert sich dabei vor allem an die Bedenken der amerikanischen Regierung bezüglich der Kosten der Fürsorge für die Flüchtlinge, was kaum der gesamte Gesprächsinhalt mit Dodd gewesen sein kann. 1095 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 106. Wortführer des Boykotts, Sam Untermeyer, hatte House davon überzeugt, dass Dodd persönlich und informell Hitlers Haltung abschwächen sollte. House berichtet hierüber in einem Brief an Dodd vom 4. Juni. 1096 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 100. Dodds Gespräch am 9. Mai mit Richter Julian Mack, der den Botschafter fragte, ob der Boykott abgemildert werden sollte. Vgl. auch House an Dodd, 25. Mai 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. Dodd, House und Samuel Untermeyer wollten gemeinsam in Europa die Verhandlungen führen. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 145f. Max Warburg, Hamburger Banker, Bruder von Felix Warburg aus New York, suchte Dodd am 9. August auf. Seine Beschwerde lautete, dass Rabbi Wise und Sam Untermeyer mit ihrem Boykott den Juden in Deutschland nur schadeten, während sie selbst nur auf die öffent- liche Aufmerksamkeit aus waren. 1097 Vgl. Gesprächsaufzeichnung von Neuraths mit Dodd, 4. Juni 1934. PAAA. Büro Reichsminister, Band 12. (Best.: R 28498). Dodd hatte von Neurath berichtet, dass Colonel House in den USA mäßigend auf die Wortführer des Boykottes, Rabbi Wise und Sam Untermeyer, einwirken wollte, wenn dafür die deutschen Maßnahmen gegen deutsche Juden eingestellt wurden. „Der Letztere [House] habe noch hinzugefügt, daß eine wirtschaftliche Wiederannäherung zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland nur dann Aussicht auf Erfolg haben könne, wenn vorher das Feld durch Beseitigung der Judenfrage gereinigt worden wäre”.

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„Verhandlungslösung“ zu finden und um die ohnehin bedrohten deut- schen Juden wegen des Boykottes nicht noch mehr Racheakten durch die SA, die SS und weiterer Parteiorgane auszusetzen.1098 Die beiden progressiven Demokraten versuchten zudem zu verhindern, dass inner- halb der USA eine stärkere antisemitische Stimmung entstand, sollten jüdische Vertreter des Boykottes weiterhin medienwirksam und laut vernehmlich auftreten.1099 Der Hintergrund hierfür war die zunehmende Missgunst der Geschäftswelt, der Banker und der Bevölkerung gegenüber Franklin Roosevelts Ernennung einiger weniger amerikanischer Juden in hohe Ämter der Administration Anfang 1934.1100 Dodd schloss, nachdem er zuvor wiederholt hiergegen Protest eingelegt hatte, aus dem vorübergehenden Ausbleiben von Angriffen auf Ameri- kaner in Deutschland seit Anfang 1934, dass eine Verhandlungslösung mit Deutschland vielleicht möglich war. 1101 Nach den Ereignissen des 30. Juni und Hindenburgs Tod jedoch musste der amerikanische Botschafter resigniert feststellen, dass die Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung unvermindert weitergingen. 1102 Als Hjalmar Schacht ihm gegenüber von einer in Aussicht stehenden Lösung der Judenfrage

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1098 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 106. Dodd hatte Neurath House’ Brief vorgelesen und jener hatte versprochen, zusammen mit Schacht und Schmitt auf Hitler Einfluss zu nehmen. Vgl. hiergegen ADAP, Serie C, Bd. III,2, Dok. 467 (S. 863f.). Insbesondere Fußnote 2. Neurath habe sich bereits im Oktober 1934 positiv zu einer kompromisslosen Handhabung der Judenfrage offiziell geäußert und dem Referat Deutschland so klare Weisung gegeben. 1099 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 145f. Selbst die beiden Warburg-Brüder hatten Dodd gegenüber geäußert, dass sie Colonel House‘ Initiative, die Zahl der jüdisch- amerikanischen Bürger in hohen Positionen innerhalb der Administration zu reduzieren, begrüßten! 1100 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 106. „The cause of this move [House telling Dodd he should personally negotiate to ease off the boycott] was the growing anti-Semitism in the United States of which Judge Julian Mack spoke on May 9 in New York. It has provoked opposition even to Roosevelt because of his few Jewish appointments”. 1101 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 148. Dies stellte Dodd fest, als er am 14. August einem Lehrbeauftragten der Universität Chicago, Albert Lepawsky, der einen leichten Angriff durch nationalsozialistische Uniformierte erlitten hatte, von öffentlicher Bekannt- machung des Falles abriet. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 227. 1102 Vgl. Dodd an House, 1. September 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. Dodd hatte vom internen Parteibefehl erfahren, wie Juden zu behandeln seien, und erwartete neue, heftige Attacken auf die hilflose jüdische Bevölkerung.

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sprach, wusste Dodd zu jenem Zeitpunkt bereits, dass dies eine Lüge sein musste.1103 Schacht insbesondere war in jener Frage nicht mehr über den Weg zu trauen, denn wie Dodd erfuhr hatte er sich geweigert, den Flüchtlingsbeauftragten McDonald auch nur zu empfangen, um mit ihm über die Behandlung jüdischen Eigentums zu sprechen.1104 Hitlers und Goebbels‘ Reden, die fortlaufend gegen die jüdische Bevölkerung gerichtete Gesetzgebung und weitere Angriffe zeugten von einer anderen Realität für die deutsch-jüdischen Bürger.1105 Zudem wurden alle mündlichen Beteuerungen seitens der national- sozialistischen Führung und des Auswärtigen Amtes durch gezielte Angriffe auf die amerikanischen Grundrechte wie die Rede- und Presse- freiheit, die Versammlungsfreiheit und die freie Meinungsbildung kon- terkariert. In der ersten Hälfte des Jahres hatte William Dodd von Ivy Lee dank dessen enger Kontakte zum Propagandaministerium erfahren, dass Dr. Schmitt und Hans Heinrich Dieckhoff planten, ausländische Journalisten auszuweisen. Ein direkter Affront gegen die amerikanische Pressefreiheit.1106 Obwohl Lee nach eigenen Angaben Goebbels vor einer offensiven Propagandatätigkeit in Amerika gewarnt hatte1107 und Außen- minister Hull seinem Botschafter in Berlin die eindeutige Weisung gegeben hatte, auch persönlich bei Hitler gegen solche Propaganda- versuche zu protestieren,1108 musste Dodd feststellen, dass offensichtlich

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1103 Vgl. Dodd an Hull, 19. September 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-D. John Weitz schreibt, dass Schacht spätestens ab seiner Ernennung zum Reichswirtschaftsminister als Nachfolger Dr. Schmitts im Juli 1934 bedrängten Juden vor allem deshalb half, um „seine selbstdefinierte Stellung als internationaler Hüter der deutschen Finanzen nicht zu gefährden”. WEITZ: Hitlers Bankier. S. 228. 1104 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 188. McDonald beschwerte sich hierüber am 11. November bei Dodd. 1105 Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 103-106. 1106 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 75f. 1107 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 75. Vgl. HAYES: Industry and Ideology. Peter Hayes schreibt Ivy Lee eine eigene Propaganda- und „Doppelagenten“-Rolle zu. Max Ilgner von der IG Farben habe Ivy Lee persönlich dafür rekrutiert, das Image Hitlers in den USA durch entsprechende Propaganda zu verbessern, um Ansehen und Umsatz der Firma nicht weiter durch die nationalsozialistische Rassepolitik gefährdet zu sehen (S. 105). 1108 Vgl. Hull an Dodd, 6. Februar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „I suggest that, in the course of your discussion [with Hitler], you bring up the topic of foreign propaganda in the United States. […] In your remarks, you may point out the popular disposition in the United States to resent and be

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für die nationalsozialistische Führung die Auslandspropaganda einen essentiellen Schwerpunkt ihres langfristig angelegten außenpolitischen Programmes darstellte und Goebbels am längeren Hebel saß.1109 1934 hatten sich über 20.000 Bürger New York Citys, darunter auch Prominente wie New Yorks Bürgermeister, Fiorello LaGuardia,1110 AFL- Vizepräsident Matthew Woll, Richter Samuel Seabury, der ehemalige Under Secretary of State, Raymond Moley, und andere bekannte Persön- lichkeiten auf die Initiative des American Jewish Congress und mehrerer Gewerkschaftsorganisationen hin am 7. März 1934 im Madison Square Garden versammelt, um einen Schauprozess mit dem Verfahrenstitel „Zivilisation gegen Hitler“ 1111 abzuhalten. Der deutsche Botschafter in Washington, Hans Luther, verurteilte diesen angeblich beleidigenden Angriff auf die neue deutsche Regierung unter vehementen Protesten gegenüber Außenminister Hull. Auch das Auswärtige Amt versuchte, den Druck auf Dodd und weitere Mitglieder der Roosevelt-Administration und Behörden zu erhöhen, wurde aber energisch mit dem Verweis auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in den USA zurückgewiesen.1112

______critical of any policy that suggests an artificial or unusual effort to influence public opinion from abroad”. 1109 Vgl. Dodd an Hull, 21. Februar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. 1110 Vgl. zu Bürgermeister LaGuardias Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Regime als einer der schärfsten Kritiker innerhalb der USA ESPOSITO, David M./ ESPOSITO, Jackie R.: LaGuardia and the Nazis, 1933-1938. In: American Jewish History 78,1 (1988). S. 38-53. 1111 Vgl. ANTHES, Louis: Publicly Deliberative Drama: The 1934 Mock Trial of Adolf Hitler for ‘Crimes against Civilization’ ”. In: American Journal of Legal History 42, 4 (1998). S. 391- 410. Vgl. auch LEUCHTENBURG: New Deal. S. 210f. Selbst überzeugte Pazifisten zeigten auf dieser Veranstaltung, dass sie lieber die Prinzipien kollektiver Sicherheit unterstützten als Opfer und Täter als Gleichberechtigte zu behandeln. Ein entscheidender Schritt in der Entwicklung der Bewegung in den 1930er Jahren auch für Roosevelts Einfluss auf die öffentliche Meinung. 1112 Vgl. Gesprächsaufzeichnung von Neuraths mit Dodd, 5. März 1934. PAAA. Büro Reichsminister, Band 12. (Best.: R 28498). Neurath beschwerte sich mit dem Hinweis darauf, dass unter diesen Umständen die „Aufrechterhaltung der freundschaftlichen Beziehungen der beiden Regierungen unmöglich“ sei. Vgl. auch Memorandum Hulls zu Gespräch mit Hans Luther, 13. März 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949. Subject File Germany 1933-38 (memoranda of conversations with representatives of other countries) (Reel 29 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Hull verwies Luther auf die Versammlungsfreiheit von Bürgern auch für solche

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Martha Dodd erinnerte sich, dass der sonst als phlegmatisch bekannte deutsche Außenminister nie verärgerter aufgetreten sei als in seinem Pro- test gegen das „mock trial“, auf das die US-Regierung in strikter Aner- kennung der amerikanischen Grundfreiheiten keinerlei Einflussnehmen wollte.1113 Zweifelsohne hatte William Dodd in seinen Verhandlungen erlebt, wie festgefahren die deutsch-amerikanischen Fronten in Bezug auf die Schuldenfrage, die Handelsfrage, die anti-jüdische Hetze, die expansive nationalsozialistische Propaganda und das diametral unter- schiedliche Verständnis von menschlichen und bürgerlichen Grundfrei- heiten bereits 1934 wirklich waren.

Verhandlungen und Austausch mit anderen Vertretern des Diplomatischen Korps Als amerikanischer Botschafter stand William Edward Dodd in ständigem Kontakt zu seinen ausländischen Kollegen in Berlin. Vier Diplomaten prägten in den Anfangsjahren seine berufliche und private Situation in Deutschland auf besondere Art und Weise: Der französische Botschaf- ter André François-Poncet, der englische Botschafter Sir Eric Phipps, der niederländische Gesandte Johan Paul van Limburg-Stirum (Graf von Limburg-Stirum) und der spanische Botschafter Luis de Zulueta y Escolano. Das Verhältnis des amerikanischen Vertreters zu diesen diplo- matischen Vertretern wies unterschiedliche Grade der Vertrautheit auf, wenn er sich auch meist mit allen vieren bezüglich ihres Auftretens gegenüber den Nationalsozialisten abstimmte. Folgt man dem Inhalt der Gespräche Dodds mit François-Poncet, so bestätigt sich der Eindruck Martha Dodds, dass ihr Vater dem Franzosen nie wirklich traute, dieser jedoch dem amerikanischen Amtskollegen sein Vertrauen schenkte.1114 François-Poncet sei zwar kein Faschist,1115 hielt jedoch Dodds frühe pessi- mistische Warnung vor einem Ausgreifen Deutschlands auf Süd- und Osteuropa und Italiens auf das Mittelmeer und Spanien für übertrieben.1116 Besonders ärgerte Dodd die starre französische Haltung, die die

______Veranstaltungen, die nicht die offizielle Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten repräsentierten. Vgl. auch ADAP, Serie C, Band II,2, Dok. 302 (S. 551). 1113 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 247. Vgl. auch ADAP, Serie C, Band II,2, Dok. 297 (S. 542). 1114 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 327f. 1115 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 329. 1116 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 328.

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britischen Abrüstungsvorschläge zum Scheitern gebracht hatte.1117 Aller- dings änderte sich dies mit den Ereignissen des 30. Juni 1934, als François- Poncet in propagandistischer Weise von Goebbels und der restlichen nationalsozialistischen Führung als Hauptdrahtzieher des angeblichen Putschversuches angeklagt wurde. Seit jenem Sommer fühlte sich der Franzose persönlich in Berlin nicht mehr sicher, wie er Dodd verstört anvertraute, und stellte jedweden Kontakt zur Führung des national- sozialistischen Regimes, ganz besonders dem Propagandaminister, ein.1118 Zusammen mit ihm und Sir Eric hatte William Dodd im August in Erwägung gezogen, gemeinsam den Rücktritt von ihren Posten einzu- reichen.1119 Schon im Juli hatten die Vertreter der Westmächte Pläne geschmiedet deutschen Beamten und Regierungsmitgliedern den Zugang zu ihrem Privathaushalt zu verwehren, woran sich vor allen Dingen Graf von Limburg-Stirum strikt hielt.1120 François-Poncet, wie auch der junge französische Diplomat Armand Bérard, zu dem die Dodd-Familie privat eine enge Beziehung aufbaute, befürchteten in der zweiten Hälfte des Jahres einen Krieg um das Saarland und wiederholten immer wieder, welche Gefahr von den deutschen Annexionsplänen ausging.1121 Die Beziehung William Dodds zu Sir Eric Phipps, ganz besonders zwischen ihren beiden Familien, kann als sehr herzlich bezeichnet werden.1122 Die britische Reserviertheit des Adligen täuschte nicht dar- über hinweg, dass der Botschafter offen gegen das nationalsozialistische Regime und erste Appeasementtendenzen opponierte und die franzö- sisch-britische Kooperation zu stärken versuchte.1123 Laut Martha Dodd

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1117 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 84. 1118 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 127 und 198. 1119 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 152. Hitler hatte den französischen Botschafter wissen lassen, dass er ihn nie wieder sehen wollte. Dodd hatte den Vorschlag des gemeinsamen Rücktrittes gemacht, an welchen sich François-Poncet jedoch nicht binden wollte. 1120 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 130. Diese Initiative am 17. Juli ging von Phipps aus. Dodd schlug vor, keine deutschen Beamten und Vertreter abgesehen von großen Dinners und Empfängen einzuladen. 1121 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 148f. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 177 und 202f. Vgl. zur französischen Außenpolitik 1934, insbesondere gegenüber Deutschland und der Sowjetunion, BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 98-103. 1122 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 332f. 1123 Vgl. zum Begriff „Appeasement” u.a. FREIDEL, Frank Burt: Franklin D. Roosevelt. A Rendezvous with Destiny. Boston, MA, u.a. 1990. S. 258f. Freidel definiert

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vermuteten damals viele, dass er aufgrund seiner kritischen Haltung durch Joachim von Ribbentrops Zutun 1937 aus Berlin abberufen wurde.1124 Anders als sein amerikanischer Kollege schenkte Phipps den Worten des deutschen Außenministers von Neurath von Beginn seiner Amtszeit an keinen Glauben und vertraute Dodd an, dass er sich eine rechtzeitige Isolierung und Einkreisung des nationalsozialistischen Deutschlands erhoffte, um einen Krieg zu verhindern.1125 Obgleich Sir Eric in der Öffentlichkeit geradezu passiv erschien, vor allem bei abendlichen Empfängen und Einladungen,1126 traf er im Hintergrund Absprachen mit seinen diplomatischen Kollegen, die er auch einhielt. Hierzu zählten die Vereinbarungen, den Nürnberger Reichsparteitagen konsequent fernzu- bleiben, sowie von Einladungen an das nationalsozialistische Führungs- personal Abstand zu nehmen. Distanzierter stellte sich das Verhältnis zu Phipps dann in der zweiten Hälfte des Jahres 1934 dar. Auf Dodds

______Appeasementpolitik als „effort to obtain a settlement with the aggressors” (S. 258). Dabei hatte der Begriff in jener Zeit keine per se negative Konnotation (S. 258:) „To a large part of the establishment in the western democracies, appeasement seemed a corollary to / [S. 259:] rearmament and planning for collective action. If indeed, as Hitler emphatically claimed, Germany had been wronged by the Treaty of Versailles, because it ran counter to Wilson’s pledges in the earlier Fourteen Points, then, the argument went, an overall rectification would remove the causes of war”. Appeasementpolitik sollte folglich durch Konzessionen an Deutschland (und Italien), die durch den Versailler Vertrag Gebiete abgetreten hatten, territoriale Forderungen auf dem Verhandlungsweg erlauben und diese Mächte damit „besänftigen”. Hauptkritikpunkt an dieser Form der Verhandlungsführung war schon zu jener Zeit, dass die Gebietsabtretungen ohne oder durch eine erzwungene Zustimmung der souveränen Nation, die aufgrund geltender völkerrechtlicher Verträge jene Gebiete zu ihrem staatlichen Territorium zählte, erfolgten. 1124 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 331. Auch Charles Bloch schreibt über eine generell zu einer prodeutschen Haltung tendierende britische Politik 1933/34, die auch durch die Ereignisse des 30. Juni 1934 keiner Veränderung unterzogen wurde. Vgl. BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 103. Vgl. zu Phipps`Abberufung und den auf mysteriöse Weise parallelen Umständen zu Dodds späterer Abberufung OTT: Botschafter Sir Eric Phipps. S. 77-86. Ott stellt die These auf, Joachim von Ribbentrop habe zusammen mit einem Kreis einflussreicher konservativer Briten Einfluss auf die britische Regierung ausgeübt und damit Phipps´Abberufung erwirkt, weil dieser nach Meinung der National- sozialisten eine kritische Haltung gegenüber dem deutschen Regime offenbart hatte. 1125 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 139. Dodd berichtet über ein Gespräch mit Phipps am 3. August: „He [Phipps] thinks […] that all Europe must keep united against Germany […]. […] Now, as Sir Eric says, all Europe must watch Germany day and night, living under an encirclement system which may even bring economic collapse”. 1126 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 81. Vgl. auch DODD: Through Embassy Eyes. S. 331.

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Nachfragen hin leugnete der Brite jedes Wissen über britische Waffen- lieferungen an Deutschland sowie einen britisch-niederländischen Pakt zur Verteidigung der niederländischen Ostgrenzen gegen Deutschland.1127 Ungeachtet jenes von Dodd als merkwürdig empfundenen Verhaltens, verschleierte der britische Vertreter niemals seine starke Abneigung gegen Hitler, dessen Regime und die fortschreitende Aufrüstung Deutsch- lands. Das berufliche und private Verhältnis wiederum zwischen Graf von Limburg-Stirum, obwohl er kein überzeugter Demokrat war, und William Dodd entwickelte sich zu einer sehr vertrauten Freundschaft.Mit ihm konnte der amerikanische Botschafter Informationen und Eindrücke in absolutem Vertrauen austauschen.1128 Thematisiert wurden von den beiden Diplomaten nicht nur die Bevorzugung der niederländischen Gläubiger bei den deutschen Schuldenrückzahlungen, sondern auch die Gefahren für die niederländischen Besitzungen in Fernost1129 und die britisch-niederländische Einigung bezüglich der Rheingrenze als gemeinsam zu verteidigende Westgrenze Europas gegen das nationalso- zialistische Deutschland, die Limburg-Stirum Dodd gegenüber indirekt bestätigt hatte.1130

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1127 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 167. Dodd traf am 19. September Phipps, der vorgab, über den deutschen Einkauf von Flugzeugen aus den Vereinigten Staaten nichts zu wissen. Vgl. auch Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 176f. Phipps tat am 19. Oktober überrascht, dass die US-Firma Curtiss-Wright ähnliche Geschäfte mit Deutschland abzu- schließen gedachte wie jene der britischen Firma Armstrong-Vickers, einem britischen Rüstungskonzern, der Verkauf von kriegsrelevantem Material verhandelte kurz bevor die britische Regierung mit Schacht einen Zahlungsplan für kurzfristige Schulden aushandeln wollte. Vgl. hiergegen HERZSTEIN, Robert Edwin: Roosevelt & Hitler. Prelude to War. New York 1989. S. 89 zum Verkauf amerikanischer Produkte und Bauteile durch United Aircraft, Sperry Gyroscope, Bendix und andere US-Firmen, die den Bau von bis zu 100 deutschen Flugzeugen pro Monat ermöglichten. 1128 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 326. 1129 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 70f. 1130 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 135. Vgl. ADAP, Serie C, Bd. III,1, Dok. 47 (S. 101ff.). Der deutsche Botschafter in London, Hoesch, jedoch berichtete am 30. Juni dem Auswärtigen Amt, der britische Außenminister habe ihm gegenüber eine Einbindung Belgiens und Hollands in das britische Verteidigungssystem dementiert.

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Neben Limburg-Stirum traute William Dodd nur einem Diplomaten bedingungslos, nämlich Botschafter Zulueta.1131 Als Zulueta aufgrund der zunehmenden Kontrolle Spaniens durch General Francisco Franco im Oktober 1934 nach Madrid zurückberufen wurde, kam dies für den amerikanischen Demokraten einem privaten wie beruflichen Rückschlag gleich.1132 Damit war Spanien als nächstes Opfer der außenpolitischen Ziele der totalitären Mächte zu beklagen. Zulueta entfiel nach der Zäsur des 30. Juni als engster Vertrauter in Berlin und als Dodds Rückhalt im privaten wie professionellen Umfeld. In einem bewegten Abschieds- brief klagte William Dodd: „From the day we first talked together, I have felt that you and I were in agreement about most things of importance. […] Hence I have felt that you were worth so much here”.1133 Alle diese vier Diplomaten, mit denen sich William Dodd austauschte, verhandelte und inoffiziell gegen die nationalsozialistische Führung zusammenschloss, prägten seine Berichterstattung nach Washington. Sie bestätigten ihm mit ihrem Bild vom Nachkriegseuropa seine zuneh- mende Überzeugung, dass das Fernbleiben der USA vom Völkerbund untragbar und eine Kooperation mit Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden, beginnend mit dem Fernen Osten, unabdingbar wurde. Appeasement, eine Politik die zu jenem Zeitpunkt noch alle demokratisch-liberalen Vertreter strikt ablehnten, konnte in seinen Augen noch verhindert werden, wenn die amerikanischen und euro- päischen Nationen gemeinsam Waffenlieferungen an Deutschland und damit die Aufrüstung Deutschlands unterbanden und als Gläubiger- und

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1131 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 324. „He was the only man for whom my father revealed real warmth in these years, and his distress and sadness were apparent when Zuleta [sic!] was recalled and later when his government was overthrown”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 172. 1132 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 171. Dodd schreibt am 6. Oktober: „The newspapers indicate the emergence of a Fascist regime in Spain. I shall almost weep for my Spanish friend if it turns out that way. He is a genuine democrat with a fine mind and much learning”. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 172. Am 9. Oktober: „Luis Zulueta […] the one personal friend I have here in the diplomatic corps, a real personal friend, came to the office today to inform me that he had resigned and was going back to Madrid where he resumes his work as a professor of philosophy. […] I am distressed to lose my only friend here”. 1133 Dodd an Luis de Zulueta, 11. Oktober 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-XYZ.

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Siegermächte geschlossener verhandelten und auftraten. 1134 Mochten einige Botschafter in Berlin den langfristigen Nutzen einer harten Linie 1934 offensichtlich schon erkannt haben, entsprach die letztlich umgesetzte präventiv-passive Außenpolitik ihrer Regierungen, um des Friedens Willen von konzertiertem Druck auf Deutschland abzusehen, der innen- wie außenpolitischen Realitäten ihrer Heimatländer.

4.3.2.Dodd als Leiter der US-Botschaft und seine Beziehungen zum State Department 1934 Im Jahre 1934 spitzte sich der Konflikt des amerikanischen Botschafters in Berlin, William Edward Dodd, mit einigen Vertretern des amerikani- schen State Departments weiter zu. Schon zu Beginn des Jahres kritisierte Dodd gegenüber Präsident Roosevelt die Position des Under Secretary William Phillips im State Department, mit dem er im Vorjahr mehrere Auseinandersetzungen ausgefochten hatte: Ohne dessen Einfluss sei eine günstigere Umstrukturierung des Departments im Sinne von Roosevelts und Hulls außenpolitischem Programm möglich, beschwor er den Prä- sidenten. 1135 Tatsächlich verliefen zum damaligen Zeitpunkt mehrere Konfliktlinien bezüglich der Neuausrichtung der Regierungspolitik und der Zuständigkeiten innerhalb der Exekutive quer durch die Ministerien und Behörden.1136 Aus diesem Grund bat der amerikanische Vertreter in Deutschland um einen längeren Aufenthalt in den USA, um unter anderem Personalfragen zu besprechen. Das State Department ließ sich jedoch mit einer Bewilligung der für März geplanten Reise Zeit. 1137

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1134 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 152. Dodd resümiert am 19. August: „I am beginning to feel that we [the Ambassadors in Berlin] ought to sound out our governments on the subject of a concerted withdrawal. It might temporarily prevent war if done properly”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 198. 1135 Vgl. Dodd an Roosevelt, 3. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”). 1136 Vgl. Raymond H. Geist an Dodd, 10. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-G. In diesem Brief geht es um Streitigkeiten zwischen dem Handelsministerium Daniel Ropers und dem Konsularservice bezüglich der Verteilung und Ausführung von Aufgaben bezüglich Briefen zu Handels- fragen und weiteren. Vgl. hierzu auch CRANE: Mr. Carr. S. 317f. Roosevelt löste den Konflikt zu Gunsten des State Departments. Handelsattachés mussten fortan unter Kon- trolle der offiziellen Repräsentanten Amerikas im Ausland stehen. 1137 Vgl. Dodd an R. Walton Moore, 18. Januar 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. Vgl. auch Dodd an R. Walton Moore, 8.

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Überdies bedrückten den Botschafter zu jenem Zeitpunkt einige seiner Sicht nach fatale Fehlbesetzungen auf Schlüsselposten in Europa, unter anderem in Polen und Österreich. 1138 Generell vermutete der selbst bescheiden lebende Demokrat, dass amerikanische Diplomaten, die aus wohlhabenden Familien stammten, den oftmals besser qualifizierten Landsleuten ohne enges soziales Netzwerk für viele Posten vorgezogen würden.1139 Martha Dodd berichtet rückblickend, dass ihr Vater davon ausging, dass die konservative Mehrheit der Karrierebeamten im State Department zudem durch die Besetzung möglichst vieler Stellen mit konservativem Diplomatennachwuchs die politisch motivierten Beset- zungen der Botschafterposten durch die New Deal-Administration aus- gleichen wollten.1140 Dodds Kritikpunkte fielen 1934 bei Präsident Roosevelt und seinem Außenminister auf fruchtbaren Boden, denn ähnlich hatten sich Bot- schafter Cudahy in Polen über mangelhafte Informationspolitik aus dem Department, 1141 andere Botschafter wie Bowers in Spanien, Konsul

______Februar 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. 1138 Vgl. Dodd an R. Walton Moore, 18. Januar 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „He [Minister Earle], like Cudahy in Warsaw, is unfamiliar with the history of his position”. 1139 Vgl. Dodd an R. Walton Moore, 18. Januar 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „I have had some correspondence with Mr. Phillips about a ruling some one in Department made to give precedence here to new appointee over an older one. In my judgment it was a part of a habit to prefer certain wealthy or kinsfolk over less pretentious but excellent people”. 1140 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 319ff. Martha fällt ein sehr hartes Urteil über die Karrierediplomaten der Roosevelt-Zeit: „AMONG [großgeschrieben im Original] our own staff there were men and women who loyally served the American Government […]. There were also others who were not so scrupulously faithful to democratic ideals – career men who made no secret of their loathing of President Roosevelt and sympathized with Hitler in his attempt to rescue capitalism from the people’s regulation. […]”. (S. 320: ) „For the first time in a generation we have a President whose policies are uncompromisingly liberal and constructive. […] There are plenty of them [anti-Roosevelt diplomats], and increasingly the American people realize that the fault lies at home both in the early selective processes and in the known and suspected political attitudes of State Department officials”. 1141 Vgl. John Cudahy an Dodd, 13. März 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-C. „For some reason we in the Eastern European Division are denied the confidential letters sent out from Paris from what is known as the ‘European Information Center.’ […] No one in the State Department seems to have time to answer direct communications. Only the President is able to find time”.

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Messersmith in Deutschland und Botschafter Daniels in Mexiko über einige unpassende Besetzungen sowie die Prioritätensetzung und den verschwenderischen Lebensstil mehrerer Diplomaten und Botschafts- angestellten beschwert.1142 William Dodds Vortrag vor dem Personalrat des Außenministeriums zu den Missständen im diplomatischen Dienst wurde, wenig überraschend, von vielen alteingesessenen Karrieristen im Department als Affront, von der auf Effizienz fokussierten neuen Regierung jedoch positiv aufgenommen. Dem Botschafter war bewusst, dass er sich mit diesem Engagement keine Freunde in der Behörde machte. 1143 Besonders William Phillips intensivierte seine abweisende Haltung gegenüber dem progressiven Botschafter, als dieser sich darüber beschwerte, dass das Außenministerium die Botschafter und Botschafts- angestellten durch mangelnde Qualitätskontrolle ihrer Arbeitsleistung zu undiszipliniertem Verhalten geradezu ermutige. Immer noch drangen vertrauliche Informationen über ihn aus dem Department an die Öffent- lichkeit.1144 Auf Colonel House und zunehmend Assistant Secretary of State R. Walton „Judge“ Moore konnte der Südstaatler als treueste Verbündete in den Behörden vertrauen, die seine – und ihre eigenen – Konkurrenzkämpfe hinter den Kulissen weiterführten. 1145 Moore, der

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1142 Vgl. z.B. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 100 und Hull an Moore, 4. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 230f. Vgl. darüber hinaus LEUCHTENBURG: New Deal. S. 209. Botschafter Josephus Daniels in Mexiko spielte des öfteren die Karte seiner langjährigen Freundschaft mit Roosevelt gegen das State Department aus. Er verweigerte dem Department die Befolgung der Anweisung, amerikanische Ölinteressen im südlichen Nachbarland zu vertreten vehement und konsequent. 1143 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 92ff. Dodd erinnert sich am 23. März (S. 93: )„House gave me valuable information about unfriendly officials in the State Department with whom I would have to deal”. 1144 Vgl. Phillips an Dodd, 3. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. Phillips wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, jemand im Department ermutige Botschaftsangestellte zu undiszipliniertem Verhalten. Vgl. auch Dodd an Phillips, 4. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. Dodd beschwert sich, dass nur jemand aus dem Department die Information herausgegeben haben konnte, dass Dodd ein einfaches Quartier in Berlin präferierte. Die Antwort folgte in: Phillips an Dodd, 6. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. Diese Informationen waren nur Gerüchte, die durch die Presse verbreitet und dann schnell vergessen wurden. 1145 Vgl. House an Dodd, 11. April 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934 (keine Mappenaufschrift). House war es, der Dodd half,

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Dodds aktives Einbringen in das Qualitätsmanagement des Departments offen begrüßte und dessen Vorschläge den Regierungsmitgliedern wohl- wollend weiterleitete, versuchte selbst, Lösungen für jene offenkundigen Probleme von Disziplin, Sparsamkeit und Qualifikation im diploma- tischen Korps zu finden. 1146 Vielleicht als direkte Konsequenz aus Dodds Beschwerde über eine folgenreiche Vetternwirtschaft – wie im Falle der Ernennung Orme Wilsons, eines Neffen von Phillips, zum First Secretary der amerikanischen Botschaft Berlin1147 – hatte der amerika- nische Präsident umgehend beschlossen, junge Diplomaten in den arbeitslastigeren Alltag des Konsulardienstes zu transferieren und sie so zu mehr Disziplin innerhalb und außerhalb ihrer Dienstzeiten zu zwingen.1148 Moore lobte, vermutlich im Auftrag Hulls, der mit der festen, aus republikanischen Regierungszeiten stammenden Besatzung seines Ministeriums zu kämpfen hatte, nicht nur Dodds Einsparungsvorschläge, sondern ermutigte ihn zur weiteren Reflexion über mögliche Reformen im Department. Hull hatte Moore gegenüber unmissverständlich den Wert von Dodds Aussagen festgestellt: „I have no doubt whatever that very much and perhaps all of his [Dodd’s] criticism of the way Embassy work in Berlin is carried on is justified. It is perhaps similar criticism that has led the President to the opinion, which he expressed to me casually the other day, that it would be a good thing to transfer some of the young men now serving in the embassies to the harder work of consular positions. Perhaps you will think it desirable to let the

______Kontakt mit dem Director of the Budget bezüglich seiner Einsparungsvorschläge aufzunehmen. House‘ immenses Netzwerk erlaubte es ihm, Dodd auch rechtzeitig vor Widerstand aus den Reihen des Departments zu warnen. Vgl. auch CRANE: Mr. Carr. S. 324-327. Judge Moore gelang es, über seinen persönlichen Kontakt zum Präsidenten, welchen auch Welles, Phillips und andere hohe Beamte des Departments pflegten, Wilbur Carr in seinem Einfluss auszustechen. Carr war 1935 bereits 65 Jahre alt und fühlte, dass der Konkurrenzkampf im Außenministerium „unerträglich“ wurde (S. 325). Als der Konflikt zwischen Moore und Sumner Welles 1936 um das Amt des Under Secretary of State eskalierte, beschloss Carr, das Department für einen Auslandsposten zu verlassen (S. 327f.). 1146 Vgl. R. Walton Moore an Dodd, 23. Mai 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. 1147 Vgl. Dodd an Moore, 15. Mai 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. 1148 Vgl. Hull an Moore, 4. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. Vgl. hierzu auch CRANE: Mr. Carr. S. 318f.

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President see Doctor Dodd’s letters. […] There are too many rich young men and too much time given to social activities”.1149 Hieraus resultierten Dodds Vorschläge für Personalveränderungen in der ineffizienten Berliner Botschaft und die Feststellung von über- flüssigen Tätigkeiten oder sich überschneidenden Kompetenzen vieler amerikanischer Konsulate in Deutschland in Folge der sich verändernden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen des Landes. 1150 Festzuhalten ist, dass Dodd in seiner Kritik, mit der er ungeachtet der Feindschaft seitens vieler Mitarbeiter des Departments nicht sparte, auf keine unnötigen Veränderungen pochte.1151 Wie im Falle der Konsularbeamten schätzte er deren Arbeit wert und begegnete ihnen mit Fairness.1152 Es spricht für seinen Einfluss in der Administration, dass alle Empfeh- lungen William Dodds, insbesondere die vorgeschlagenen Personal- transfers, noch 1934 bewilligt und vollzogen wurden. 1153 Wenn auch nicht Phillips und andere Beamte des Außenministeriums mit seiner unkonventionellen, mitunter unbeabsichtigt provokanten Art einverstan- den waren, gehörte dem Botschafter offensichtlich dennoch das volle Vertrauen des Präsidenten und seines progressiven Beraterkreises. 1154

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1149 Hull an Moore, 4. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. 1150 Vgl. Dodd an Hull, 18. September 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 2 of 2. 1151 Vgl. Dodd an Moore, 5. Oktober 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 2 of 2. Vgl. Moore an Dodd, 3. Oktober 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 2 of 2. Moore hielt Dodds Bericht zur Konsularsituation für ein höchst hilfreiches Dokument für die Einsparungs- pläne der Regierung angesichts der Wirtschaftslage. 1152 Dodd sah zum Beispiel von einem frühzeitigen Transfer – selbst wenn dieser aus arbeitstechnischen oder anderen Gründen sinnvoll wäre – ab, wenn ein Diplomat im Gastland schulpflichtige Kinder hatte. Vgl. Dodd an Moore, 18. September 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 2 of 2. „Besides Armstrong has two children in German school here and it would be well not to shift them until end of academic year”. 1153 Vgl. Dodd an Hull, 15. August 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 2 of 2. Hierbei handelte es sich unter anderem um die Empfehlungen, neben Messersmith auch First Secretary Orme Wilson, Counselor John White und Second Secretary Armstrong zu versetzen. 1154 Vgl. Moore an Dodd, 19. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „I have had several conversations with the President, and can

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Trotz der Reformfortschritte und Umsetzung vieler seiner Vorschläge bewirkten mehrere Faktoren die zunehmende Resignation Dodds: Die trotz der Transfers weiterhin zu bemängelnde Disziplin des Botschafts- personals;1155 die Kritik des Departments an seiner Rede vor der YMCA in Bremen1156 sowie an seinen persönlichen Verhandlungen mit Secretary of the Navy Department, Claude A. Swanson, und General Douglas MacArthur über den Nutzen der zahlreichen amerikanischen Militär- attachés in Deutschland.1157 Eine beachtliche Rolle nahmen hier auch Informationen ein, die ihm sein progressiver Freund Claude Bowers, Botschafter in Madrid, zuspielte, denen zufolge mehr und mehr Karriere- diplomaten im Ausland offen ihren Präsidenten kritisierten und wenig Loyalität zeigten.1158 Andere Quellen bestätigten ihm, dass sich Wider- stand innerhalb der Behörden, in deren Geschäftsablauf und Zuständig- keitsbereich der New Deal am stärksten eingriff und Veränderungen hervorrief, gegen Hull, Wallace und andere Progressive regte.1159 Diese Beobachtungen paarten sich mit Dodds Gefühl, dass das Department ihn direkt kontrollieren wollte. Zu jenem Zwecke glaubte er, seien Orme Wilson und Counselor White ursprünglich nach Berlin entsandt worden: „[…] I learned that Orme Wilson was to come with the Whites […]. This was clearly intended to supplement my want of millions of dollars. Furthermore, I saw that Jay Pierrepont Moffat, brother-in-law of White,

______assure you that he is deeply impressed with the importance of carrying out in its full spirit the theory that the Foreign Service is a unit […]. With reference to the Berlin situation, and the possibility of making certain transfers from there to the consular work, the President yesterday requested the Secretary and myself to take up the matter […]. […] [Y]our communications have been exceedingly helpful […and] the credit for that [improvement of the Service] will be largely due to your clear conception of what the conditions now are, and […] what can be made”. 1155 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 183. 1156 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 159f. 1157 Vgl. Dodd an Claude Swanson, 27. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-S. Dodd beschwerte sich, dass man Marineattachés in Deutschland beschäftige, obwohl Deutschland keine Marine hatte. Vgl. auch Moffat Diary, 17. September 1934. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 01, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933. 1158 Vgl. Bowers an Dodd, 9. Dezember 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-B. 1159 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 191.

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and Phillips, uncle of Wilson, both in high positions in the State Department, intended to have White and Wilson manage the Embassy”.1160 Ein Großteil seiner Verbitterung entstand im Laufe des Jahres über die nur sehr langsam eintretenden Veränderungen in der Botschaft und das Ausbleiben eines Umdenkens im Außenministerium, obwohl die Wirtschaftskrise in den USA Wirkung entfaltete. Der verschwenderische Lebensstil und die damit verbundenen hohen finanziellen Belastungen für den öffentlichen Dienst durch die Karrierediplomaten stießen ihn persönlich ab, weil sie sich in seinen Augen eines gebildeten, verant- wortungsbewussten Staatsvertreters nicht ziemten. Das State Department galt dem Professor als elitäre, konservative Behörde, die grundsätzlich den reformerischen Geist des New Deals ablehnte und ihm selbst mit vehementem Widerstand gegen seine Interventionen und seine Arbeit in Berlin begegnete. Zweifelsohne ist die zunehmende Resignation William Dodds gegen Ende des Jahres in direkten Zusammenhang mit der allgemeinen Frustration über die vergeblichen Verhandlungen mit der deutschen Führung und mit der schwindenden Hoffnung auf Widerstand innerhalb der deutschen Bevölkerung als Folge des 30. Juni zu bringen. William Dodd sah vor seinen Augen all jene Aufgabenbereiche in die Bedeutungslosigkeit schwinden, die er als Botschafter und Repräsentant der Vereinigten Staaten in Deutschland wahrnehmen sollte und wollte.

4.3.3.Berichterstatter für die Roosevelt-Administration und das State Department In der Berichterstattung an die ihm vorgesetzte Behörde, das State Department, verwandte der amerikanische Botschafter in Berlin auch 1934 größte Sorgfalt.1161 Täglich verbrachte William Dodd, der an sich selbst wie an sein Personal hohe Ansprüche hinsichtlich Arbeitsdisziplin und Einhaltung der Arbeitszeiten stellte, zahlreiche Stunden damit, Berichte aus den amerikanischen Konsulaten in Deutschland und von ausländischen Journalisten sowie zahlreiche andere Quellen auszuwerten ______

1160 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 195. 1161 Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 245. Vgl. zu den Ereignissen und Entwicklungen in Deutschland unter nationalsozialistischer Herrschaft 1934 im Überblick BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 103-106. Vgl zu den außenpolitischen Schritten des nationalsozialistischen Regimes 1934 HILDEBRAND: Kalkül oder Dogma? S. 37-40. Vgl. auch FEST: Hitler. Für das Jahr 1934 v.a. S. 619-660. Vgl. auch WEINBERG: Diplomatic Revolution. S. 96-107, 129-131, 148ff., 172-179, 180-190.

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und in seine Beurteilung der Situation in Deutschland einfließen zu lassen.1162 Entsprechend ihrer Dokumentengattung erscheinen die Lage- berichte des Jahres 1934 wie im Vorjahr und mit wenigen stilistischen Unterschieden zwischen Dodds Berichten und jenen seines Chargé d’Affaires ad interim, Counselor John C. White, eher neutral und fakten- orientiert.1163 Die Wertung und Bewertung der gesammelten Informa- tionen ließ der Botschafter sehr viel eindringlicher und ausführlicher in die persönliche Berichterstattung an den Präsidenten, an den Außen- minister, an Judge Moore, Colonel House und einige andere, ausnahmslos progressive Politiker und Funktionäre einfließen. Handlungsempfeh- lungen für die Außenpolitikformulierung pflegte Dodd damit – mit Ausnahme seiner Korrespondenz mit William Phillips – vor allen Dingen indirekt über seine persönlichen Kontakte zur Administration einzubringen. Dies könnte erklären, warum die obersten Beamten des State Departments ab 1934 desöfteren intern wegen Dodds lückenhafter Berichterstattung Klage erhoben.1164 Im Gegensatz zu diesen Anschul- digungen erscheint seine Lagebeurteilung weniger lückenhaft, als viel- mehr auf die seiner Meinung nach wichtigsten Tendenzen fokussiert, strukturiert und ergänzt durch die Berichte der Generalkonsuln. Zu den Generalkonsuln, zunächst George Messersmith, der auch nach seiner Versetzung nach Österreich umfangreiche Dokumente zur deutschen Lage vorlegte,1165 zu seinem Nachfolger ab 1934 Raymond Geist und später in jenem Jahr zu Douglas Jenkins pflegte Dodd ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis und schätzte ihre Arbeit sehr.1166 Tatsächlich fanden die Mitglieder der Administration, ihnen voran der Secretary of State selbst, nur lobende Worte für Dodds ausgewogene Berichterstattung. Weder House noch Moore, die Politiker, die in ihrer Privatkorrespondenz mit dem Botschafter stets einen sehr offenen, ehrlichen Ton pflegten, wiesen ihn je darauf hin, seinen Lagebeurteilungen mangele es an Inhalt, Substanz, Struktur, Faktennähe oder Ausgewogenheit. ______

1162 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 171. 1163 Einige wenige Berichte wurden von First Secretary Orme Wilson verfasst. 1164 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 270. Vor allem Pierrepont Moffat hatte dies bemängelt. 1165 Vgl. zu Messersmiths Erlebnissen in Wien und seiner Berichterstattung in den Jahren 1934 bis 1937 STILLER: Messersmith. S. 56-95. 1166 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. 245 und 288f. Auch Dallek bestätigt, Dodd habe 1934 sehr umfangreich berichterstattet und darüber hinaus qualitativ hochwertige Lageberichte erfasst.

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Vor dem 30. Juni 1934 lag der Schwerpunkt der Deutschlandberichte Dodds, mit Unterbrechung durch seine Reisetätigkeit und in Unter- stützung durch Counselor White, auf vier Entwicklungen, die zusammen betrachtet und in der Rückschau auf ein Ereignis wie den 30. Juni hindeuteten: Der anhaltende Widerstand der Kirchen;1167 die zunehmende Divergenz der SA zum Rest der nationalsozialistischen Partei sowie zur nationalsozialistischen Führungsspitze;1168 die fortschreitende Gleich- schaltung auf allen Ebenen von Staat und Gesellschaft ohne erkennbaren Widerstandswillen in der Bevölkerung;1169 und die offensichtliche Angst der Nationalsozialisten vor einem Aufbegehren der konservativen Eliten, besonders der Monarchisten und Einzelpersonen wie von Papen sowie die entsprechenden ersten Gegenmaßnahmen. 1170 Bereits im Februar 1934 musste Dodd feststellen, dass ihm keine Formen organisierten Wider- stands seitens der deutschen Bevölkerung oder staatlicher Institutionen wie der Reichswehr bekannt waren1171 und der wahrnehmbare Obrig- keitsgehorsam der Bürger die herausragende Basis für den Herrschafts- anspruch der NSDAP bildete. 1172 Diese Tendenz war wohlgemerkt trotz der kontinuierlich hohen Arbeitslosenzahlen, die sich durch die prognostizierten geburtenstarken Jahrgänge noch erhöhen sollten. 1173

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1167 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 459), 24. Januar 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.01/110. 1168 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 599), 7. März 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00B/329. Bis zu 25 Prozent der Mitglieder der SA bestünden seinen Informationen zufolge aus ehemaligen Kommunisten, so Dodd. 1169 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 496), 1. Februar 1934. NARA. State Department. Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 4. File 862.00/3187. 1170 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 459), 24. Januar 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.01/110. Vgl. auch FRUS 1934, Vol. II, S. 216f. 1171 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 496), 1. Februar 1934. NARA. State Department. Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 4. File 862.00/3187. Vgl. auch FRUS 1934, Vol. II, S. 215f. 1172 Vgl. Dodd an Secretary of State (Report No. 604), 12. März 1934. NARA. State Department. Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 4. File 862.00/3216. 1173 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 436), 15. Januar 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./150. Dodd

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Während Goebbels die Zerschlagung der freien Presseorgane, der Unterhaltungs- und der Informationsindustrie erfolgreich vorantrieb,1174 Arbeitnehmer/-geber unter Androhung von Gewalt in eine einheitliche Arbeitsfront überführt wurden1175 und sich der Rechtsstaat zunehmend in seiner Auflösung zugunsten eines Pseudorechtes befand,1176 machten Dodd und White einige entscheidende, über einzelne Ereignisse hinaus- gehende Beobachtungen: Der Widerstand der Länder war zwar durch diktatorisch verfügte Verfassungsänderungen gebrochen worden.1177 Viele traditionalistische und politisch organisierte Anhänger des kaiserlichen und des Weimarer Staates jedoch stellten immer noch eine perzipierte Gefahr für die nationalsozialistische Herrschaft dar. Hierzu gehörten Verbände wie der „Stahlhelm“ und andere monarchistisch geprägte Organisationen, die laut Dodd durch den Kirchenwiderstand Auftrieb erfahren hatten und denen die nationalsozialistische Führung nun kompromisslos mit ihrer Auflösung oder ihrer Überführung in entsprechende NSDAP-Organe begegnete. 1178 Zurückgedrängt wurden ______stellt hier die Verlässlichkeit der deutschen Statistiken in Frage. Auch andere ausländische politische Beobachter hielten die positiven Zahlen für gefälscht. Vgl. auch Dodd an Secretary of State (Despatch No. 597), 7. März 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./152. Die ungewöhnlich große Zahl an Schulabgängern 1934 wegen der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge alleine könne schon keine Erholung der Lage zulassen. 1174 Vgl. J.C. White an Secretary of State (Despatch No. 666), 28. März 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./153. Vgl.auch J.C. White an Secretary of State (Despatch No. 732), 18. April 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./154. Vgl. hierzu auch das „Reichskulturkammer-Gesetz” vom 22. September 1933 und das „Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 102f. 1175 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 597), 7. März 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./152. Vgl. das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit” vom 30. Januar 1934 BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 103. 1176 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 869), 24. Mai 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./156. Vgl. zur Errichtung des Volksgerichtshofes am 24. April 1934 BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 104. 1177 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 487), 31. Januar 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.01/109. Vgl. zum Reichstags- „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches” vom 20. Januar 1934 BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 103. 1178 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 459), 24. Januar 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.01/110. Vgl. auch Dodd an Secretary of State (Despatch No. 481), 30. Januar 1934. NARA. State Department.

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die traditionellen Eliten weiterhin durch die Vergabe von vakant gewordenen Beamtenstellen an SA- und SS-Angehörige ungeachtet ihrer Qualifikationen.1179 Bedeutsam war der Personalwechsel an der Spitze der Gestapo, einem der bedeutendsten Elemente nationalsozialistischer Herrschaft: Diels, den vermutlich die nationalsozialistische Führung des potentiellen Verrates verdächtigte – seine vergangene Karriere als Beamter im preußischen Innenministerium unter Severing war bekannt – , wurde als Regierungspräsident nach Köln versetzt, fern des politischen Zentrums Berlin. Möglicherweise war er durch diese frühzeitige Ver- setzung durch Görings Zutun am 30. Juni verschont worden. Ihn ersetzte Heinrich Himmler als Chef der Geheimen Staatspolizei. 1180 Was der US-Botschafter Dodd und sein Botschaftsrat White zu jenem Zeitpunkt nicht erfassen konnten war die Tatsache, dass dieser Schritt den Beginn des Aufstieges der SS zum entscheidenden Instrument der persönlichen Machtstellung Hitlers und des nationalsozialistischen Terrorregimes sowie für den späteren Vernichtungskrieg bedeutete.1181 ______Confidential US State Department Central Files: Germany, Internal Affairs, 1930-1941. RG 59. Microfilm, Publication Group LM193, Reel 4. File 862.00/3184. Dodd berichtete, der Stahlhelm werde aufgelöst und gehe in der SA auf. Vgl. auch FRUS 1934, Vol. II, S. 221f. Vgl. zudem Dodd an Secretary of State (Despatch No. 510), 7. Februar 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./151. Laut Dodd wurden nun alle monarchistischen Verbände aufgelöst. In diesem Zuge wurde außerdem ein entscheidender Personalwechsel vorgenommen: Der Chef der Heeres- leitung, der Monarchist General Kurt Freiherr von Hammerstein, wurde durch den „neutralen“ Werner Freiherr von Fritsch ersetzt. Vgl. zu diesem Personalwechsel in der Reichswehr BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 103. 1179 Vgl. J.C. White an Secretary of State (Despatch No. 803),7. Mai 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./155. 1180 Vgl. J.C. White an Secretary of State (Despatch No. 749), 25. April 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.105/53. Die Versetzung sei provoziert worden durch Diels zunehmenden Konflikt mit der SA. Andere Versionen jedoch besagten, dass Diels bereits unter Reichskanzler Schleicher mit den Nationalsozialisten gegen die eigene Regierung konspiriert hatte, was nun zu Misstrauen ihm gegenüber geführt hatte. Vgl. zum Reichstags- „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches” vom 20. Januar 1934 BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 94. Ministerpräsident Göring ernannte Himmler am 20. April 1934 zum Inspekteur der Gestapo, Heydrich wurde am 22. April 1934 Leiter der Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapa) in Berlin. 1181 Vgl. zur Entwicklung der SS, des SD und der zentralen Sicherheitspolizei in Deutschland 1925 bis 1945 den Überblick bei BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 94f. Vgl. zur Systematisierung des Terrorapparates bis zum Kriegsbeginn auch FREI: Führerstaat. S. 136- 147. Vgl. auch PETTER, Wolfgang: SA und SS als Instrumente nationalsozialistischer Herrschaft. In: BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans-Adolf

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William Dodd musste, als er vier Tage vor den Junimorden über die Überlebenschancen des totalitären Regimes räsonierte, ahnen, dass mit dem Juni 1934 ein Zusammentreffen vieler Konfliktlinien und ein Entscheidungspunkt in der Machtkalkulation und Perzeption der Nationalsozialisten erreicht war: Sich nämlich tatsächlicher oder poten- tieller Opposition zu entledigen und zugleich die Verfassungsfrage um die Stellung des Reichspräsidenten im nationalsozialistischen Staat einer Lösung entgegenzuführen. Die gezielte Erfassung der Jugend1182 durch die Nationalsozialisten, ein Fakt, das sich Dodd auch auf seinen Deutschland- reisen eröffnet hatte, spielte für die Stabilisierung des Regimes eine Schlüsselrolle. Der Nationalsozialismus bekämpfte nicht nur kurzfristig konkurrierende Mitglieder der alten politischen Eliten, 1183 sondern er wollte langfristig neue Eliten sowie eine neue Weltordnung erschaffen, in der die ausschließlich nationalsozialistisch erzogene Jugend Deutschlands eine zentrale Rolle spielte. Von diesen Gedanken in jenen Tagen bewegt, beschwor der Botschafter deshalb in einem mit historischen Beispielen untermauerten Appell vor Schülern der amerikanischen Schule in Berlin eine neue Ära der Demokratie als soziale Ordnung und antagonistisches Weltprogramm zu totalitären Strukturen herauf: „[W]e shall have a new era of democracy – a country to which all eyes will turn again with admiration. You will also be the better [sic!] able to fit yourselves into the social order of the future. […] [H]ard working young folk can perform miracles even in our realistic day”.1184

______(Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993. S. 76-94. 1182 Vgl. hierzu BROSZAT/ FREI: Ploetz. S. 99. Baldur von Schirach erhielt am 17. Juni 1933 als „Jugendführer des Deutschen Reiches” die Kontrolle über alle Jugendverbände. 1183 Vgl. FRUS 1934, Vol. II, S. 224f. Dodd berichtete am 20. Juni 1934, dass sich Gerüchte eines Putsches und einer Revolution mehrten. Unklar sei, ob diese von rechts oder links geschehen konnte. Für die Stabilität Deutschlands nehme Hindenburgs Überleben eine zentrale Rolle ein. 1184 Rede Dodds vor der American School Berlin, 26. Juni 1934, deren Originaltext Dodd am Folgetag an Hull übermittelt. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 976), 28. Juni 1933. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./94. Vgl. zu Dodds Berichterstattung über die nationalsozialistische Gleichschaltung aller Bildungseinrichtungen FRUS 1934, Vol. II, S. 280-290.

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Die für das nationalsozialistische Regime prägenden Tage und Wochen vor und nach dem „Röhm-Putsch“ wurden bereits zu Anfang des Kapitels behandelt. Betrachtet man nun die generelle Berichterstattung des amerikanischen Vertreters in Berlin an das State Department nach jenem Großereignis, so ergibt sich der Eindruck einer raschen Erkenntnis der neuen, gefestigteren Verhältnisse des deutschen Staates. 1185 Nüchtern erklärte Dodd, dass ein neu eingerichteter Volksgerichtshof über das Schicksal der letzten mutmaßlichen Aufständischen und Oppositionellen entscheiden werde. 1186 Die staatstragende Beamtenschaft, zumindest jene Beamte, die sich klar zum Nationalsozialismus bekannt hatten, ihm nicht gefährlich werden konnten oder sich durch ihren Opportunismus verdient gemacht hatten, waren weitgehend verschont und widerstands- los integriert worden.1187 Problematisch blieb weiterhin der Gegensatz in den politischen Zielen und Methoden der alteingesessenen Behörden zu denen der nationalsozialistischen Führung und ihrem Programm, ohne dass deswegen die Staatseliten einen effektiven Widerstand erwarten ließen.1188 Die Frage der Behandlung der jüdischen Bevölkerung bildete den Kern einer Diskrepanz der Meinungen zwischen traditionellen Behörden, Parteiorganen und Führung.1189

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1185 Vgl. FRUS 1934, Vol. II, S. 233-237. 1186 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 998), 6. Juli 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00B/336. 1187 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 1082), 25. Juli 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./159. Dodd berichtet hier, dass Beamte, die vor der neuen Gesetzgebung einen jüdischen Ehepartner hatten, deshalb nicht zur Scheidung gezwungen würden und auch sonst von jener Gesetzgebung unbehelligt blieben. 1188 Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 1299), 20. September 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./161. Rosenberg habe in seiner Ansprache am 15. September in Münster nicht nur Ausländer, Marxisten und Katholiken kritisiert, sondern mit seinen Aussagen auch auf von Papen und die Zentrumsangehörigen angespielt. 1189 Vgl. Dodd an Phillips, 1. September 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. Dieckhoffs Aussagen, das Auswärtige Amt habe Hitler überzeugt, die Angriffe auf die jüdische Bevölkerung abzumildern, stünden, so Dodd, im Gegensatz zu parteiinternen Dokumenten. „Although high officials here are authorized to make promises as to the outside world, the leaders of the Partei [unterstrichen im Original] go right on with their programme. […] It is a little hard for one to understand such a complex”.

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Zweifelsohne wurde die Gleichschaltung in konstantem Tempo fort- geführt; nun hatte sie auch die hitlerfreundliche konservative Presse um die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) Alfred Hugenbergs erfasst.1190 Die Personen, die Hitler vor dem 30. Januar 1933 zur Macht verholfen hatten, waren ermordet, verhaftet, vereinnahmt oder mundtot gemacht worden. Wie erwähnt galt der Tod des Reichspräsidenten und die von allen Seiten gewaltfreie Akzeptanz der vollumfänglichen Macht- übernahme Hitlers, der die Reichswehr, die Beamtenschaft, die Univer- sitäten, die Bevölkerung und auch die Bewohner des Saarlandes auf seine Person eingeschworen hatte, als zentrales Ereignis hierfür.1191 Aus der stetig anwachsenden Zahl konfessionsloser Bürger in Deutschland musste Dodd schließen, dass auch die Gleichschaltung der Kirchen in großen Schritten voranging1192 und überhaupt eine „Biologisierung“ und „Pseudoverwissenschaftlichung“ vieler politischer und gesellschaftlicher Aspekte vonstattenging.1193 Trotz dieser Durchsetzung der Nationalsozia-

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1190 Vgl. J.C. White an Secretary of State (Despatch No. 1620), 29. Dezember 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./167. 1191 Für die Infiltrierung der Universitätslandschaft vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 1481), 17. November 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./165. Zum Saarland vgl. u.a. Dodd an Phillips, 5. Dezember 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. Sobald das Saarland für Deutschland gewonnen sei, so Dodd, werde auch die Gleichschaltung der Kirchen voranschreiten. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 179f. Hier schreibt Dodd am 24. Oktober von der willfährigen Unter- werfung der Reichswehr und der Kabinettsmitglieder unter Hitler. Vgl. auch FRUS 1934, Vol. II, S. 248-251. 1192 Vgl. Dodd an Phillips, 5. Dezember 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. Vgl. auch J.C. White an Secretary of State (Despatch No. 1411), 22. Oktober 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./163. Vgl. für Dodds Berichterstattung zur Gleichschaltung und Unterdrückung der Kirchen auch FRUS 1934, Vol. II, S. 265-280. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 247. 1193 Vgl. Orme Wilson an Secretary of State (Despatch No. 1244), 31. August 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./160. In diesem Bericht wird unter anderem der geplante „biologische“ Zensus thematisiert. Vgl. auch Dodd an Secretary of State (Despatch No. 1299), 20. September 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./161. Dodd erörtert Rosenbergs Rassewissenschaft sowie die Frage der Zwangssterilisierung. Vgl. Dodd an Secretary of State (Despatch No. 1481), 17. November 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00 P.R./165. Hierzu gehörte auch der Entzug der Staatsbürgerschaft für Oppositionelle (im Einklang mit der

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listen auf fast allen Gebieten hatte die Furcht vor der „kommunistischen Gefahr“ die Nationalsozialisten fest im Griff, was weitere Repressalien gegen angebliche linksgesinnte Gegner des Regimes vermuten ließ.1194 Als Höhepunkt seiner Berichterstattung kann ein persönlicher Brief Dodds an William Phillips gewertet werden. Das Dokument beinhaltete mehrere Beobachtungen: Vor allem hatte Hitler durch die gelungene Säuberungsaktion und die Übernahme der präsidentiellen Vollmachten eine stabilere, berechenbarere deutsche Lage und damit den ausschlag- gebendsten Faktor, nämlich Zeit, gewonnen. Der Botschafter warnte den Staatssekretär eindringlich vor möglichen außenpolitischen Konsequen- zen dieser innenpolitischen Konsolidierung, nämlich einem deutsch- sowjetischen Pakt, gegen den sich Hitler vor dem 30. Juni noch vorsätzlich oder nicht gewehrt hatte,1195 einem deutsch-japanischen sowie einem deutsch-italienischen Pakt – die später Wirklichkeit gewordene Achsenkonstellation – , falls sich die USA und Großbritannien nicht gemeinsam engagierten.1196 Seinem Tagebuch vertraute William Dodd im Oktober seine schlimmste Befürchtung an: „I think its [the regime’s] end not near, and if the economic situation does not become impossible, the regime is apt to go on for years”.1197 Madame Cerruttis unheilvolles Orakel schien Ende 1934 vom progressiven Demokraten Besitz ergriffen zu

______Definition von Staatsangehörigkeit „deutschen Blutes“ des Programmes der NSDAP vom 25. Februar 1920, Dok. 1 in WOLLSTEIN, Günter (Hrsg.): Das „Dritte Reich“ 1933-1945 (= Quellen zum Politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Band IX). Darmstadt 2013. S. 69ff.). 1194 Vgl. J.C. White an Secretary of State (Despatch No. 1586), 14. Dezember 1934. NARA. State Department CDF. RG 59. (Class 8 Internal Affairs of States). File 862.00B/345. Vgl. auch Dodds Berichte über die weitere Gleichschaltung der Arbeiterschaft in FRUS 1934, Vol. II, S. 256-265. 1195 Vgl. Dodd an Breckinridge Long, 18. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-L. 1196 Vgl. Dodd an Phillips, 5. Dezember 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-P. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 187. Am 9. November beschwerte sich Dodd in seinem Tagebuch über die Unfähigkeit William Bullitts, als Botschafter in Moskau die Schuldenfrage auszuhandeln. Die deutsch-sowjetische Annäherung resultiere unter anderem hieraus und ermögliche die Isolierung Frankreichs. Vgl. zu Bullitts Verhandlungen zur Schuldenfrage in Moskau BROWNELL/BILLINGS: So Close To Greatness. S. 160-169. Vgl. zum deutsch-italienischen Verhältnis – auch in Bezug auf Österreich – 1934 BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 104-107. 1197 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 180.

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haben. Im realpolitisch kalkulierenden State Department konnten diese Vorhersagen zu jenem Zeitpunkt kaum einen Beamten beeindrucken. Als aussagekräftiger und ausschlaggebender, verglichen mit William Dodds Berichten an das amerikanische State Department, erweist sich für die Analyse seines Deutschlandbildes und seiner außenpolitischen Handlungsempfehlungen die Korrespondenz des Botschafters mit den progressiven Mitgliedern der Roosevelt-Administration: dem Präsidenten, Cordell Hull, Colonel Edward House und Assistant Secretary of State Judge Moore. Von ihnen, die sich in Schlüsselpositionen der New Deal- Politik befanden, glaubte William Dodd, die volle Unterstützung seiner Unternehmungen in Berlin zu erfahren, weshalb er seiner Tochter verriet: „I know Hull, Moore, Roper, Douglas and others are with me to the limit”.1198 Im Vertrauen zeichnete er ihnen nicht nur ein detailliertes Deutschlandbild, sondern machte auch deutlich, auf welche Weise mit Deutschland und der Weltpolitik weiterhin zu verfahren sei. Zunächst einige generelle Bemerkungen zu Dodds idealistisch geprägter Haltung gegenüber Deutschland im Jahr 1934. Bemerkenswerterweise riet Dodd schon vor dem 30. Juni in einer Analyse der „deutschen Psychologie“ eindringlich von jeglichen Konzessionen oder einer Appeasementpolitik gegenüber Deutschland ab, da sich diese Strategie als wenig zielführend, wenn nicht kontraproduktiv für die Interessen der Vereinigten Staaten erweisen werde: „The German character presents a number of outstanding contrasts, highly developed maturity and singular immaturity, overbearing harshness and tame submissiveness to control. […] It is in the field of democratic self- government and international relations, however, that their weaker side comes to the surface. Success in these two spheres depends to a great extent on the ability to understand and conciliate one’s opponent, if necessary by conceding certain points of a program. Germany’s defeat […] may be ascribed in a great measure to a failure to follow these tactics. The realization of this fault, whether openly acknowledged or not, has produced a certain lack of self-confidence and a feeling of insecurity which […] shows itself at times by a querulous or aggressive demeanor. […] It seems probable in this connection that the Aryan propaganda and the

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1198 Dodd an Martha Dodd, 25. April 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern, Sept. 29, 1926 – July 25, 1937.

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wave of anti-Semitism which has poured over Germany can to a certain extent be ascribed to a violent reaction from this feeling of inferiority. […] The fourteen years of a democratic form of government were insufficient to erradicate [sic!] from the German his tame submissiveness to officialdom, especially when that authority appears clothed in uniform and accompanied by pomp and ceremony. […] The uniforms and discipline of the S.A. and the S.S. formations, and the spectacular meetings of the Nazis, have doubtless been most useful in stabilizing their control […although] these theatrical measures are beginning to lose their initial effect. […] Much of this, however, is but a screen to conceal certain inherent defects in the German character and should not deter others from maintaining an absolutely firm, although just, attitude towards the German Government. This should elicit more effect from the latter than a policy of concession which might well be interpreted by the German mind as an indication of weakness”.1199 Zahlreiche Stellen dieses Quellenauszuges erinnern an Nachkriegsdo- kumente und Propagandafilme der US-Regierung, die eine politische Unreife der deutschen Bevölkerung, ihre naive Einstellung gegen- über uniformierten Autoritäten und generell die Notwendigkeit von Erziehungsmaßnahmen zu demokratischem Denken und Regieren suggerierten. In Dodds moralisierender Idealvorstellung einer demokra- tischen Weltordnung mit einem starken, intervenierenden Amerika, „maintaining an absolutely firm, although just, attitude“ kann an dieser Stelle ein erster Übergang von Wilsonschen Ideen der eher passiven Erziehung durch das amerikanische Vorbild zu den ideologisch gepräg- ten, realpolitisch umgesetzten Erziehungsmaßnahmen (Verurteilung der

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1199 „An Analysis of German Psychology in its Relations to International Affairs”, 11. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd Miscellaneous Mss. Vgl. zum Phänomen dieser Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung auch WEHLER: National- sozialismus. S. 4-13. Wehler schreibt auf S. 5: Alle Ereignisse und Krisen vor allem nach 1918 verschärften „die Auswirkungen dieses Syndroms traumatischer Erfahrungen”. Zwei „Varianten dieses deutschen Nationalismus in der Weimarer Republik“ waren wirkmächtig, der „konventionelle […] Nationalismus“ und der „neue integrale, radikalisierte Nationalismus”. Im Rückgriff auf Max Webers Gedanken zur charismatischen Führungspersönlichkeit räsoniert Wehler auf S. 16 zur Wechselwirkung zwischen Volk und Machthaber: „Charismatische Herrschaft ist legitime Herrschaft, nicht etwa nackte Diktatur insofern, als die Gefolgschaft des Machthabers an sein Talent und das Werk, das er zu tun verspricht und tut, inbrünstig glaubt”.

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Kriegsverbrecher, Denazifizierung, dauerhafte Besatzung) der Truman- Administration und ihren Nachfolgern offengelegt werden.1200 Solche Empfehlungen richteten sich gegen jede Art von autoritärer, totalitärer Staatsform. Der Kommunismus wurde von William Dodd ähnlich drastisch wie der Nationalsozialismus eingeschätzt. Dem Redak- teur der Chattanooga News gegenüber eröffnete Dodd seine Vorstellung vom richtigen Umgang mit den Massenphänomenen des 20. Jahrhun- derts, die nur ein demokratischer, partizipatorischer Staatsaufbau statt eine diktatorische Lenkung durch nationalsozialistische oder kommunis- tische Führerfiguren unter Kontrolle bekommen konnte: „It is not an American problem, but rather a problem of modern civilization. I am tremendously concerned, but fear that the education of modern peoples has been such in the last thirty years that they will not submit to the necessary measures for rearticulating our economic and social life. I do not believe for a moment in the Spengler thesis about authority, nor do I believe in the similarly perverse theory of Communism”.1201 Bereits im Jahr 1934 resümierte der progressive Südstaatler in Briefen an seinen langjährigen Freund Dan Roper, dass es eigentlich keine Zukunft für die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf freundschaft- licher Basis mehr gebe, da sich seit seiner Ankunft nicht nur keine Verhandlungserfolge eingestellt hätten, sondern fast alle seine Tätig- keit und Beobachtungen betreffenden Bereiche Tendenzen zum Nega- tiven aufwiesen.1202 Prägend für Dodds Schlussfolgerungen aus diesen

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1200 Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 229. Dodd sprach in persönlichen Briefen an seine Frau Mattie von einer Rolle der USA als politischer und moralischer Garantiemacht für den Frieden in Fernost und Europa, als Rettung vor einem öko- nomischen Nationalismus, vor einem Nationalsozialismus amerikanischer Fasson und vor einem Rückfall in mittelalterliche Barbarei. 1201 Dodd an George F. Milton (The Chattanooga News), 13. Oktober 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-M. 1202 Vgl. Dodd an Roper, 14. August 1934. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. „Since my arrival here, however, every move has been in the other direction – intentional or otherwise. I could not have imagined the outbreak against the Jews when everybody was suffering, one way or another, from declining commerce. Nor could one have imagined that such a terroristic performance as that of June 30 would have been permitted in modern times”. Vgl. auch Dodd an Roper, 14. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”).. Deshalb müssten die USA über Engagement im

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Deutschlanderfahrungen war seine eigene politische Gesinnung. Die politisch-geistige Bewegung des amerikanischen Progressivismus war gewiss seit ihren Anfängen von internationalistischen und isolationis- tischen Vertretern geprägt gewesen. William Dodd verkehrte mit pro- minenten Repräsentanten beider Ausprägungen und seine Einschätzung und Resignation bezüglich der deutschen Lage hätte somit ohne Umschweife zu einer isolationistischen Haltung seinerseits führen können. Vielmehr resultierten die sich aufstauende Frustration über erfolglose Verhandlungen mit den Deutschen auf allen Gebieten und die zunehmende Ernüchterung bezüglich des Verhältnisses von Eliten und Bevölkerung zur nationalsozialistischen Führung und dem Staat – denn hier war und blieb Dodd ein internationalistisch-progressiver Wilsonian – in der Erkenntnis, dass nur ein frühes Eingreifen der USA den Lauf der Dinge verändern konnte. 1203 Hierbei ging es für Dodd nicht um real- oder machtpolitische Notwendigkeiten, sondern letztlich um einen alles entscheidenden Endkampf zwischen Demokratie und Totalitarismus: Ein deutsch-japanisches Zusammengehen, das die Krisen- herde Europas und des Fernen Ostens ultimativ verbinden würde, gepaart mit ökonomischem Nationalismus musste final zur Zerstörung der modernen Zivilisation führen, die die USA selbst seit 1776 mitaufgebaut hatten.1204 Schon Dodds Vorträge wie der Auftritt vor den amerikanischen Schülern 1934 hatten seinen philosophisch-politischen Ansatz erkennbar werden lassen, der eine Auseinandersetzung der Ideologien nahelegte: Die Ära der Demokratie und eine neue soziale Ordnung müsse von den USA und besonders von ihrer Jugend getragen werden. Nur die

______Völkerbund in Kooperation mit anderen Mächten Druck auf Deutschland ausüben anstatt mit Deutschland direkt zu verhandeln. 1203 Vgl. Dodd an Senator Borah, 10. Januar 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. Dodd führt in jenem Brief an eine der schillerndsten Persönlichkeiten progressiv-isolationistischer Politik, Senator William Borah, als Antwort auf dessen Rede zum amerikanischen Isolationismus vom 8. Januar 1934 aus, dass seit Gründung der USA, die auf der Hilfe Frankreichs beruhte, die USA viele Male Teil des Weltgeschehens waren und sein mussten, um die eigene Nation und den Wohlstand zu retten. 1204 Dodd an Roper, 14. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”). „One thing is certain: continued economic nationalism and political stubbornness will delay, if not destroy, progressive civilization which we have done so much to advance since 1776”.

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Demokratie als die in seinen Augen perfekte Staats- und Gesellschafts- form konnte der Zerstörung der Zivilisation zuvorkommen. So konkret wie gegenüber Roper wurde der Botschafter in seiner Korres- pondenz mit Secretary Hull und dem Präsidenten noch nicht. Doch der Austausch mit führenden Regierungsmitgliedern muss als direkter Einflussversuch auf die außenpolitische Formulierung in Washington gewertet werden. Eindeutig war 1934 ein Abwärtstrend in seiner Ein- schätzung Deutschlands zu verzeichnen, der die Kontinuität deutsch- landpolitischer Linien des State Departments konterkarierte. Dodds Aussagen in Bezug auf Deutschland, aber auch die Lage in Fernost, wurden pessimistischer, drastischer und wiesen eindringlich darauf hin, dass sich die Vereinigten Staaten mittelfristig einem Eingreifen in Europa und Asien nicht entziehen konnten. Zwei progressiv-internationalistische Persönlichkeiten in höchsten poli- tischen Positionen verhalfen dem amerikanischen Botschafter in Berlin während seiner Amtszeit und darüber hinaus dazu, über ihre Person den Kabinettsmitgliedern und dem Präsidenten auf indirektem Wege Informationen zu übermitteln, die William Dodd kraft seines Amtes nicht selbst überbringen wollte oder konnte: Colonel Edward Mandell House und Robert Walton „Judge“ Moore. In vielerlei Hinsicht spielten die beiden Politiker eine entscheidende Rolle im Leben des Südstaatlers. Zunächst waren es Daniel Roper und Colonel House gewesen, die dem Präsidenten den progressiven Historiker William Edward Dodd vor- geschlagen hatten, als Roosevelt 1933 nach einem geeigneten Kandidaten für Berlin suchte. House stellte aber auch das Bindeglied zwischen dem Erbe des verstorbenen Demokraten Woodrow Wilson und dem neuen New Deal-Programm dar und galt über Jahrzehnte hinweg als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der amerikanischen Außenpolitik mit einem exzellenten Netzwerk in allen US-Behörden sowie zur Geschäftswelt, zu Bankern, Akademikern, Politikern und Journalisten auf dem alten und dem neuen Kontinent.1205 Nicht selten war er es, der in den ersten Jahren Dodd eindringlich und rechtzeitig vor bestimmten Funktionären aus Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft und ihrer Kritik an seiner Botschaftertätigkeit warnte. Seit Antritt auf seinem Posten in

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1205 Vgl. zu House´ Biographie HODGSON: House.

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Berlin zählte Colonel House zu Präsident Roosevelts, aber auch William Dodds engsten Beratern. Es liegt in der Natur der Sache, dass House als Wilsonian Dodd in politisch-philosophischer Hinsicht sehr nahe stand, ihn zu Beginn seiner Zeit in Berlin mit seinem enormen außenpolitischen Wissen anleitete und so manches Mal auf die innenpolitischen Dis- kussionen und Hürden für eine aktivere Außenpolitik aufmerksam machte. Über ihn erfuhr Dodd von Roosevelts Zufriedenheit mit seiner Arbeit in Berlin.1206 Die Akkumulation eines jahrzehntelangen Wissens um die amerikanische Innen- wie Außenpolitik hatte House zu einem exakten Seismographen hinsichtlich Stimmungslagen und Tendenzen in der amerikanischen Welt gemacht. Sein politisches Engagement, in das er Dodd eingebunden hatte, für ein Ende der drastischsten Ausmaße der amerikanischen Boykottbewegung gegen den Import deutscher Güter rührte weniger von seinem Interesse am Schicksal der jüdischen Bevölkerung, als von dem Ziel, alle Hindernisse für eine Durchsetzung des Rooseveltschen Programmes aus dem Weg zu räumen.1207 Dodd galt er auch als Ansprechpartner für die Frage einer amerikanisch-britischen Kooperation, auf die der Botschafter drängte, um Japans Dominanz aufzubrechen und eine Allianz mit Deutschland rechtzeitig zu ver- hindern.1208 House, der unter Wilson auf zahlreichen Europareisen mit den Regierungschefs der europäischen Staaten verhandelt hatte, erkannte wie Dodd den Fehler einer unilateralen Monroedoktrin und die Not- wendigkeit einer Zusammenarbeit mit Großbritannien, vor allem

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1206 Vgl. unter anderem House an Dodd, 23. September 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934 (keine Mappenaufschrift). „I had a delightful visit with the President at Hyde Park yesterday, and it gratified me beyond measure to hear him speak of you in such high terms”. 1207 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 106. Der Boykott hatte den Antisemitismus in den USA befördert sowie Opposition gegen Roosevelt wegen einiger Ernennungen jüdisch- gläubiger Amerikaner in hohe Ämter hervorgerufen. 1208 Vgl. Dodd an House, 27. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. Eindringlich bat Dodd, nach positiv verlaufenen Gesprächen mit Sir Eric Einfluss auf Entscheidungsträger zu nehmen und die britisch- amerikanische Kooperation in Fernost zu befördern: „One thing is certain: We all lose all the benefits of your and Wilson’s endeavors unless Japanese domination of the Far East can be worked into an international cooperation; and there are just two powers that can lead this. […] You know most of the leaders who are able to accomplish things. If you can press the point, it would be a public service”.

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aufgrund der japanischen Bedrohung an.1209 1934 musste er jedoch Dodd die Hoffnung auf eine solche Kooperation im gleichen Jahr nehmen. Auch wenn Sir Eric Phipps eine ähnliche Meinung wie sein amerikanischer Kollege vertreten hatte,1210 die Zeichen im englischen Mutterland standen nicht gut für ein gemeinsames Vorgehen in Fernost.1211 Ein Friedens- konzept für den Fernen Osten galt Dodd als weniger komplex und damit leichter umsetzbar als eines für den vielschichtigen europäischen Konflikt. Wiederholt wies er Colonel House darauf hin, dass ein Enga- gement der USA hier einen Präzedenzfall für Europa schaffen und als Konsequenz Frieden auch dort möglich machen konnte.1212 Doch in dieser Hinsicht hielt House weniger an einem idealistischen, als vielmehr an einem pragmatischen Ansatz fest: Solange Roosevelt keine großen Erfolge seines New Deals feiern konnte, und diese Bemühungen waren 1934 noch in vollem Gang und erforderten die volle Konzentration aller Kabinettsmitglieder, 1213 konnte sich die US-Regierung außenpolitisch nicht eindeutig positionieren wie zuletzt Woodrow Wilson, um die Unterstützer des New Deals nicht zu verlieren: Isolation, so House, sei dennoch langfristig unmöglich.1214 Diese Einschätzung musste in William

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1209 Vgl. House an Dodd, 7. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „The menace, at the moment, seems to me to be in the Far East”. 1210 Vgl. Dodd an House, 7. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934 (keine Mappenaufschrift). Sir Eric und der US-Botschafter in London, Bingham, dienten als wichtigste nichtjournalistische Quellen für Dodd. Vgl. auch Korrespondenz Dodds mit Bingham, z.B. Vgl. Dodd an Bingham, 22. Oktober 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-B. 1211 Vgl. House an Dodd, 7. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „The trouble is that the English Government is not functioning properly. MacDonald has little or no influence and Sir John Simons has even less”. Vgl. auch House an Dodd, 19. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „My information, not alone from Bingham but from Englishmen, is that the governing class in Great Britain consider Germany more a menace to the peace of the world than Japan”. 1212 Vgl. Dodd an House, 28. Juli 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. 1213 Vgl. House an Dodd, 8. Oktober 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934 (keine Mappenaufschrift). House sorgte sich in jenen Tagen besonders um eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Geschäftswelt und US-Regierung, um den New Deal weiter zu befördern. 1214 Vgl. House an Dodd, 27. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H.

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Dodds Ohren enttäuschend klingen, doch entsprach sie den Realitäten amerikanischer Politik im Jahre 1934. Schmerzlich hatten House und Wilson, die Begründer der Preparedness-Kampagne, zwischen 1914 und 1917 lernen müssen, wann der richtige Zeitpunkt für ein amerikanisches internationales Engagement gekommen war. Diese Lektion saß tief in House‘ Gedächtnis und von ihr wollte der alte Berater auch seinen Zögling Dodd profitieren lassen: Deutschland spielte (noch) nicht die große Rolle, um Amerika aus seiner isolationistischen Haltung zu lösen. Besonders in den Jahren vor House‘ Tod 1938, als dieser sich zunehmend ins Private zurückzog, manifestierte sich R. Walton Moore, Assistant Secretary of State, ein progressiver Jurist aus Virginia und enger Freund Cordell Hulls, als William Dodds Stütze innerhalb des Departments. Judge Moore erfreute sich zwar ebenso wie House eines höheren Lebens- alters, bildete aber weniger die Verbindung zur Wilson-Administration als zu den neuen Entscheidungsträgern um Franklin Roosevelt. Sein direkter Draht zu Cordell Hull war für William Dodd von größtem Wert und Nutzen, um dem Außenminister mittelbar Empfehlungen auszusprechen. Moore diente als Anlaufstelle und Filter für zahlreiche Kritikpunkte, die Dodd in jenen Jahren bezüglich des Departments, des diplomatischen Dienstes wie auch der Außenpolitik generell anbrachte und die Moore auf seine kühl taktierende Art und Weise geschickt abzumildern oder verstärken wusste, ohne Dodd als Person oder seinem Amt Schaden zuzufügen.1215 Des öfteren sah er sich gezwungen, den energischen Professor zu einem vorsichtigen Umgang mit seinen Äußerungen zu ermahnen, ermunterte ihn aber stets, an seiner Ein- stellung nichts grundsätzlich zu ändern. 1216 Wie Hull schätzte der Präsident, so bestätigte es Judge Moore nicht nur einmal, wenn Dodd Zweifel bezüglich der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit für Washington plagten, Dodds Engagement, Berichte und Empfehlungen sehr. 1217

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1215 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 42-45. 1216 Vgl. Moore an Dodd, 16. April 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. 1217 Vgl. Moore an Dodd, 30. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „You must not think of resigning. You are needed […]. There are going to be improvements in several directions. The President takes a strong common sense view of the entire situation”. Vgl. auch Moore an Dodd, 17. September 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 2 of 2. „I was at

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So gelang es Moore, Dodd zum Ausharren auf seinem Posten in schwie- rigsten Zeiten zu ermutigen, seine Stellung konstruktiv zu nutzen und ihn durch frühzeitige Inkenntnissetzung von Interna vor Intrigen zu schützen. 1218 Roosevelts und Hulls Festhalten an William Dodd als US-Repräsentant in Berlin über vier Jahre ist demnach vermutlich auf Moores direkten Einfluss zurückzuführen. Der amerikanische Botschafter wandte sich an Moore in fast allen Fragen rund um sein Amt, von seiner Sorge um die Professionalität des diplomatischen Dienstes, über undichte Stellen im Department,1219 bis zur Frage des richtigen Umganges mit Deutschland unter nationalsozialistischer Herrschaft. Es lässt sich aus den Quellen nicht erschließen, wie viel Informationen genau Moore über Dodds sich verdüsternde Prognose zur deutschen Lage nach dem 30. Juni 1934 an die amerikanische Führung weiterleitete.1220 Sicher ist, dass Moore anders als viele Karrierediplomaten im Außenministerium Dodds Beobachtungen und Empfehlungen ernst nahm, denn seine Begegnungen mit Vertretern Deutschlands, wie dem deutschen Bot- schafter in Washington, Hans Luther, hatten ihm ein ähnliches Bild der Doppelzüngigkeit und Kriegsbereitschaft Deutschlands 1934 vor Augen geführt.1221

______Hyde Park last Thursday […]. He [the President] frequently speaks of you with unreserved esteem and admiration”. 1218 Vgl. Moore an Dodd, 5. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. 1219 Vgl. Dodd an Moore, 8. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. Besonders ärgerte Dodd der bereits erwähnte Artikel im Fortune Magazine, welcher seinen bescheidenen Lebensstil als großen Aufhänger einer Story über Dodds Stellung als New Deal-Botschafter nutzte, ein Fakt, welches nur über das State Department in die Presse gelangt sein konnte, so Dodd. 1220 Moore an Roosevelt, 20. November 1934. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. Ohne auf dem genauen Inhalt einzugehen, erwähnte Moore Roosevelt gegenüber nur, dass Dodd ein sehr düsteres Bild von Deutschland zeichnete: „Dr. Dodd’s letter presents a rather dark picture of what is going on in Germany. His proposed historical address points out, as he is much in the habit of doing, what a hard task it has been from ancient times until now to assure the mass of people a fair measure of the good things of life”. 1221 Vgl. Moore an Dodd, 16. November 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-M (2. Mappe „M”). Bailey stellt die These auf, selbst Moore und Hull sei Dodds „Schwarzmalerei“ insbesondere 1934 zuviel geworden. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 161. Es lassen sich in den Korrespondenzen zwischen Hull, Moore und Roosevelt jedoch keine Hinweise darauf finden, diese drei Politiker hätten

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Die Analyse von William Dodds Korrespondenz mit seinem Vorgesetzten, Außenminister Cordell Hull, zeigt, dass diese überschaubar und bei weitem nicht so eng, herzlich oder vertraulich wie mit Assistant Secretary Judge Moore und dem Präsidenten erscheint. 1222 Doch Hull blieb zumindest hinter den Kulissen – verfolgt man Moores Aussagen – sehr offen für Dodds Empfehlungen, vor allen Dingen solche, die seine Hauptprojekte, wie die Umsetzung seiner Freihandelsidee oder die Personalpolitik im State Department betrafen. Dodd, der sich selbst nicht zu den sogenannten Braintrustern der ersten Rooseveltjahre zählte, aber oft in seinen vertraulichen Ratschlägen an Roosevelts Führungs- personal wie einer ihrer Vertreter agierte, gab sich Hull gegenüber in der Öffentlichkeit wie privat loyal.1223 Mit Sicherheit galt dies für die neue Lateinamerikapolitik auf freundschaftlicher Basis – in der Nachbar- schaftspolitik der Vorgängerregierungen verortete Dodd entscheidende Fehler – und für den Freihandel. Auf seiner Amerikareise im März 1934 tauschte sich der Botschafter mit dem Secretary of State intensiv aus und ließ es sich nicht nehmen, Hull gegenüber persönlich von undichten Stellen im Department zu erzählen und Verbesserungsvorschläge für eine gesteigerte Effizienz des diplomatischen Dienstes zu geben. 1224 In seiner Korrespondenz plädierte Dodd mehrfach bei Hull für eine stärkere Einbindung der Sowjetunion, das unbedingt Mitglied einer

______Dodds Warnungen deshalb weniger ernst genommen oder die deutsche Lage als nicht bedenklich eingestuft, siehe auch das Fazitkapitel zur US-Außenpolitik des Jahres 1934. 1222 Vgl. Hull an Dodd, 6. Oktober 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. Oft beschränkten sich Hulls Antworten auf einige wenige lobende und dankende Zeilen: „With thanks for your vigilance and splendid cooperation”. 1223 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 181. Dodd wertschätzte freie Diskussion im Kabinett, statt gezielte Einzelgespräche zwischen Roosevelt und Spezialisten eines Sachgebietes, wie er im Gespräch mit Rexford G. Tugwell, einem der Braintruster, am 27. Oktober äußerte. Dem Botschafter gefiel nicht die offene Abneigung jener Experten gegen Hull, Roper und Wallace. Tugwell stand offen gegen Hull, welchen Dodd für „one of the most competent men in the government” hielt. 1224 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 93.Vgl. auch Dodd an Hull, 17. April 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „This is the third or fourth time entirely confidential information I have given has been treated as gossip – or made gossip. […] I shall not resign, however, in silence, if this sort of thing continues. […] The United States is now, whether we wish it or not, the first country in the world. […] American ideals and interests are international in a sense that no party of group can truthfully deny. […] Therefore we must have a foreign service of the highest possible capacity”.

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Weltorganisation wie dem Völkerbund werden müsse und zusammen mit Amerika den Eintritt vieler weiterer Staaten bewirken könne.1225 Er setzte sich für ein rigoroses Eingreifen der USA im Völkerbund – oder gar die Neugründung einer effektiveren Allianz1226 – ein und sah die Vereinigten Staaten, zumindest vor den Junimorden, als für einen Teil der Misere in Europa verantwortlich, weshalb ein wiederbelebter Handel und Schuldenrückzahlungen sich weiter verzögerten.1227 Einige der Doddschen Empfehlungen lassen unwillkürlich an die amerikanische Außenpolitik und machtpolitische Konstellationen nach dem Zweiten Weltkrieg denken: Vor allem an die Gründung der Vereinten Nationen mit einem vetoberechtigten Weltsicherheitsrat, dominiert von den beiden Super- mächten USA und Sowjetunion, die tatsächlich bis auf einige Blockfreie die Staatenwelt in den Vereinten Nationen dominieren würden, sowie an das Bretton Woods-System und andere Bestandteile der Nachkriegs- ordnung. Bemerkenswert sind auch die Warnungen des Botschafters an den Außenminister, dieser werde von den deutschen Behörden und der nationalsozialistischen Führungsriege genau beobachtet und analysiert und gelte als zentrale progressive Figur der Rooseveltschen Außenpolitik: „You have the misfortune to be classed with me when it comes to ideals and unbroken faith in democracy. They know we are committed to a change of policy in the United States”. 1228 Unklar bleibt, ob Dodd mit diesen Aussagen Hull schmeicheln oder ihn tatsächlich vor allem darauf einstimmen wollte, auf welch instabilem Fundament und ideologischem Gegensatz die deutsch-amerikanischen Beziehungen wirklich ruhten. Bereits 1934 attestierte William Dodd eine feindlich gesonnene deutsche Einstellung, als er ein Eindringen der deutschen Wirtschaftsbestrebungen ______

1225 Vgl. Dodd an Hull, 26. April 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 11 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). 1226 Vgl. Dodd an Hull, 19. Juni 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 11 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „It [the U.S.] should endeavor to restore the League of Nations’ prestige or substitute a better league”. 1227 Vgl. Dodd an Hull, 16. Juni 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „The United States is in part to blame for European [sic!] disastrous situation”. Vgl. auch Dodd an Hull, 19. Juni 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 11 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Dodd spricht hier von amerikanischer „tariff piracy”. 1228 Dodd an Hull, 19. Juni 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 11 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160).

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in den fernöstlichen und den südamerikanischen Markt auf Basis bilate- raler Vereinbarungen feststellte, ein offensichtlicher Schlag gegen Hulls auf dem Meistbegünstigungsprinzip beruhende Freihandels- und Latein- amerikapolitik. Dodd ging sogar soweit zu behaupten, dass ein amerika- nischer Wirtschaftsaufschwung auf lange Sicht nicht ohne eine Klärung der Deutschlandfrage möglich sei. 1229 Doch diese Deutschlandfrage entwickele sich gerade eher negativ: Aktiv halte Deutschland, so Dodd, die Sowjetunion aus dem Völkerbund, dem es selbst nicht mehr ange- hörte.1230 Schacht habe ihm sogar bestätigt, dass das nationalsozialistische Deutschland mit dem Ziel eines Krieges aufrüste.1231 Diese unmissver- ständlichen Warnungen mussten die Aufmerksamkeit des Außenminis- ters auf sich ziehen, denn eine deutsche Aufrüstungspolitik lief direkt der Abrüstungskonferenz in Genf zuwider, die ein gewichtiges Projekt der Außenpolitik Hulls darstellte. Den größten Eindruck bei seinem Vorgesetzten dürfte Dodds Resümee im Oktober hinterlassen haben: Deutschland werde und wolle das Freihandelsprinzip unter keinen Bedingungen akzeptieren.1232 In den Augen Cordell Hulls musste dieses

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1229 Vgl. Dodd an Hull, 30. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „For example the autarchie [sic!] here attacks the United States nearly every day (Schacht today) as the cause of all its economic troubles: refusal to buy goods and the unstable dollar. […] Just now German business concerns, aircraft and chemicals (war supplies), are effecting vast exchanges with Far East, taking a million tons of soy beans to raise fats on here. At same time, negotiations are going on with Egypt, Brazil, Chile and other Latin American countries for exchanges against cotton. Hitherto Germany has taken two million bales of cotton a year. […] Your immediate task is domestic, but true as that is, there is no permanent recovery so long as great nations move toward war and others acquiesce”. 1230 Vgl. Dodd an Hull, 30. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H. „[…] Germany is doing everything possible to keep Russia out of the League […]”. Vgl. hierzu auch Dok. 23, Konstantin v. Neurath an die Botschaft in Moskau, Erlass vom 17. Januar 1934 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 74ff. Der deutsche Außenminister hielt in diesem Erlass die Diplomaten in Moskau dazu an, weiterhin nicht auf eine Verbessrung der deutsch-sowjetischen Beziehungen hinzu- arbeiten. 1231 Vgl. Dodd an Hull, 27. September 1934. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 11 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „Dr. Schacht positively acknowledged to me that the German people are aiming at war. […] I am quite sure, as formerly stated, that the leaders here wish to delay for a year or two in order to be absolutely ready”. 1232 Vgl. Dodd an Hull, 16. Oktober 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-H.

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Fazit für seine weitere Außenpolitik gegenüber Deutschland als endgültig richtungsweisend erscheinen: Vielleicht war dies der Grund, warum der Außenminister sich ungeachtet der kontinuierlichen Anfragen aus dem Auswärtigen Amt gegen die Fortsetzung von Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit Deutschland ausgesprochen hatte. Für William Edward Dodd versinnbildlichte Franklin Roosevelt den offiziellen demokratischen Erben der großen Präsidentschaft Woodrow Wilsons. Als „Jeffersonian“ hatte Roosevelt eine entscheidende Her- ausforderung für die Vereinigten Staaten von Amerika zu bewältigen: Die Rettung der amerikanischen Union durch die Bekämpfung der dramatischen Folgen der Wirtschaftskrise innerhalb und außerhalb des Landes.1233 Zum Jahrestag des Amtsantrittes im März 1934 sinnierte Dodd in seinem Tagebuch über die Gefahr einer Diktatur in den USA, die angesichts der sozialen Zerwürfnisse im Falle eines Scheitern Roosevelts drohen konnte und faktisch das Ende der demokratischen Union bedeu- tete.1234 Die Vision einer drohenden Diktatur in den USA begleitete Dodd bis weit nach seiner Zeit als Botschafter in Berlin und bereitete den Boden für massive Kritik an seinen Aussagen in konservativen Kreisen der USA gegen Ende seiner Amtszeit. Für sein Weltbild entscheidend erweist sich seine Auffassung, dass den Herausforderungen des 19. und 20. Jahrhunderts und ihren sozialen und politischen Massenphänomenen, potenziert durch die Konsequenzen der Wirtschaftskrise, das demokra- tische System die einzig richtige Antwort entgegenhalten konnte. Die demokratisch kontrollierte, staatlich verordnete Unterordnung des indivi- duellen und gruppenspezifischen Strebens nach Bereicherung – anders als das gewalttätig erzwungene staatlich erwirkte Zurücktreten des Individuums hinter die ideologisch propagierte Schicksalsgemeinschaft im nationalsozialistischen und bolschewistischen Programm – sollte die eigentliche individuelle Freiheit und soziale Gleichheit wieder ermög- lichen und so die Demokratie wiederbeleben: „[…] [M]odern society must now act through government to subordinate individual and corporate aggrandizement, and use social control so that individual independence, equality and initiative may once more prevail […]. Roosevelt sees this in spite of the fact that his training at Groton and Harvard was faulty, even vicious, and the wealth of his family burdensome. ______

1233 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 84f. 1234 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 84f.

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The task which he must perform is quite as difficult as Jefferson’s effort to abolish slavery. […] [S. 85:] In case Roosevelt does not succeed, or if he should die before the greater part of his work is accepted, there will be a dictatorship, which would be ruinous to the United States. My hope is that he carries on until 1941 […] thus showing Big Business and European autocrats that leadership through democratic processes is still possible in a world of mechanics and intervention”.1235 Dodd beschreibt hier ein progressiv beeinflusstes, liberal-demokratisch amerikanisches, ideologisches Gegenmodell zu zwei der einflussreichsten Massenideologien des europäischen Kontinentes. Franklin Roosevelt sollte die Durchsetzung eines „neuen Systems“1236 – trotz seiner von der wohlhabenden Elite beeinflussten Ausbildung – bewerkstelligen: „You have what Jefferson had: perfect confidence of the masses”.1237 In einem Brief an Judge Moore prophezeite Dodd seinem Unterstützer, dass der Präsident zwölf Jahre regieren werde – eine erstaunlich genaue Vorher- sage seiner tatsächlichen Amtszeit – wenn er auch diese Aussage genau genommen in Bezug auf die erforderliche Zeit, alle Probleme meistern zu können, und nicht seine Lebenserwartung tätigte.1238 1934 sah sich Präsident Roosevelt zunehmender Kritik an seinem New Deal-Programm ausgesetzt, das nur schleppend die realwirtschaftlichen Folgeprobleme der Wirtschafts- und Finanzkrise eindämmte. Dieser ersten Krise des New Deal wurde Botschafter Dodd auf seiner Märzreise gewahr und stellte dennoch erstaunt fest, dass Roosevelt entgegen aller Widerstände erfolgreich blieb.1239

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1235 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 84f. 1236 Dodd an R. Walton Moore, 8. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „My idea would be to gather all needful facts and, after next November election, begin to apply a new system”. 1237 Dodd an Roosevelt, 8. Februar 1934. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. 1238 Vgl. Dodd an R. Walton Moore, 8. Juni 1934. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1934) 1 of 2. „It is my judgement that Roosevelt regime [sic!] will go on eight, perhaps 12 years. Therefore, I believe you and Secretary Hull will be free to make rulings and changes of policy that will have far-reaching and beneficial effects”. 1239 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 96f. Vgl. auch Dodd an Professor William F. Ogburn (University of Chicago), 19. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William

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Dodd sprach nicht nur vor anderen in höchsten Tönen vom demokra- tischen Nachfolger Wilsons, auch in seiner Korrespondenz mit Roosevelt drückte er unverhohlen seine Bewunderung und Wertschätzung aus.1240 Dodd zögerte nicht, dem Präsidenten mitzuteilen, dass seine – 1933/34 seltenen – mündlichen und schriftlichen Interventionen Einfluss auf Deutschland und dessen Verhalten ausübten. 1241 Dies war tatsächlich nicht immer der Fall: Roosevelts Antwort auf Hitlers Lippenbekenntnis zum Frieden kann kaum als außenpolitischer Erfolg der Eindämmung des nationalsozialistischen Regimes gewertet werden, doch gewinnt man den Eindruck, Dodd wollte den Präsidenten mit Lob für solch zögerliche oder verhaltene Äußerungen zu umfangreicheren Maßnahmen motivieren. In zahlreichen Quellen findet sich der ernstgemeinte Appell an Roosevelt, eine Führungsrolle der USA in der Welt auf dem Fundament einer fairen wirtschaftlichen Ordnung anzunehmen.1242 Durchaus suggestiv schilderte der Botschafter die Gefahren, die insbesondere von der neuen Handels- politik Deutschlands für den Fortschritt der Menschheit ausgingen.1243 Im August erzählte er von Hitlers gebrochenen Versprechen, nachdem sich Dodd und House sogar persönlich dafür eingesetzt hatten, den Boykott deutscher Güter abzuschwächen, um eine Erholung der Wirtschafts- beziehungen beider Länder zu bewirken. Hitler und das Auswärtige Amt hatten eine Lösung der Frage der Behandlung der jüdischen Bevölkerung in Aussicht gestellt, und dieses Versprechen faktisch gebrochen. 1244

______E. Dodd General Correspondence 1934-O. „In view of this unprecedented complexity of the President’s position in Washington, I am surprised that he makes as much of a success as he does. […]”. 1240 Vgl. zum Beispiel Dodd an Roosevelt, 8. Februar 1934. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. 1241 Vgl. Dodd an Roosevelt, 3. Januar 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”). 1242 Vgl. Dodd an Roosevelt, 8. Februar 1934. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. „The United States must stabilize on fair economic basis; it must then become a world leader. […] If you can […] show Europe how to stop barbarism of war, you will have won gratitude of the ages”. 1243 Vgl. Dodd an Roosevelt, 8. Februar 1934. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. 1244 Vgl. Dodd an Roosevelt, 15. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”). „[…] I explained to you how, on the

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Die deutsche Regierung, resümierte Dodd, sei nicht vertrauenswürdig, sondern im Gegenteil vertragsbrüchig geworden, wofür auch der versuchte Österreich-Putsch spreche.1245 Roosevelt, ein kluger Taktiker und langfristig denkender Stratege, der seine Pläne und Gedanken selbst seinen engsten Beratern selten anver- traute, nahm die Warnungen seines Botschafters ernst und verwarf wertvolle Informationen nicht, wenn er sie auch nicht unmittelbar außenpolitisch einzusetzen pflegte. Dodd gegenüber äußerte sich Roosevelt gewohnt herzlich und auf seine persönliche, manchmal kryp- tisch anmutende Weise, dass er seine Befürchtungen bestätigt sehe – laut Dodd brachte der Präsident Hitler großes Misstrauen entgegen1246 – und nach Möglichkeiten eines Eingreifens suche, wenn auch gerade vor allen Dingen die innenpolitische Situation kaum kreative Initiativen zulasse: „I am glad indeed to have your letter […]. It confirms my fear that the drift in Germany, and perhaps in other countries in Europe, is definitely downward and that something must break within the next six months or a year. Harry Hopkins is back today and he is equally pessimistic. […] I too am downhearted about Europe but I watch for any ray of hope or opening to give me an opportunity to lend a helping hand. There is nothing in sight at present. Take care of yourself and keep on letting me have an occasional line”.1247 Im Dezember 1934 ging der amerikanische Botschafter in Berlin sogar soweit, dem Präsidenten in einem persönlichen Gespräch mitzuteilen, dass nur ein aktives Fernhalten Japans aus Europa, und im Speziellen von Deutschland, einen Krieg verhindern könne. Mit diesem Hinweis auf eine direkte Verbindung des europäischen und fernöstlichen Konfliktes konnte William Dodd den Präsidenten aus seinem innenpolitischen

______assumption that these promises would be kept, I managed to prevent a Hitler mock-trial in Chicago and otherwise persuaded American-Jews to restrain themselves. But on the 12th of May I read excerpt […] from a speech of Goebbels which declared that ‘Jews were the syphilis of all European peoples.’ […] I have reviewed these points because I think we can not depend on the promises of the highest authority when we have such facts before us”. 1245 Vgl. Dodd an Roosevelt, 15. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”). 1246 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 98. 1247 Vgl. Roosevelt an Dodd, 25. August 1934. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1934-R (2. Mappe „R”).

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Fokus lösen. Bei einem Mittagessen der beiden Demokraten schenkte Franklin Roosevelt, wie Dodd sich erinnert, den Empfehlungen des Bot- schafters seine volle Aufmerksamkeit, ohne diesen zu widersprechen. Unter Auslassung der Deutschlandfrage bestätigte Roosevelt seine Beden- ken über die Lage in Fernost und sein Vorhaben, eine größere Flotte zu bauen, sowie einen ständigen US-Botschafter nach Genf zu entsenden. Dieses Gespräch zeigte, dass Roosevelt bereits Eindämmungsgedanken gegen die Diktaturen in Erwägung zog.1248 Wie im vorherigen Kapitel gezeigt wurde waren auch Dodds Kritikpunkte bezüglich der Perso- nalpolitik in der Berliner Botschaft, der Effizienz des diplomatischen Dienstes und der mangelhaften Sparmaßnahmen nicht im leeren Raum verhallt. Diese Vorschläge fanden beim Präsidenten 1934 offenes Gehör und keine laut Quellen auffindbare Kritik. Ein solches Grundvertrauen in die Fähigkeiten Dodds war bezeichnend für die direkte Beziehung des amerikanischen Präsidenten zu seinem Botschafter. Dies war sicher ein weiterer Umstand, der der traditionellen außenpolitischen Behörde, dem State Department, mit ihren eigenen Vorstellungen von Außenpolitik- formulierung nicht unbedingt gefallen musste.

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1248 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 207ff. Bei einem Mittagessen am 29. Dezember sprach Dodd zum erneuten Mal von der Notwendigkeit, mit England und den Nieder- landen in Fernost zu kooperieren und dann Deutschland wie Italien zur Abrüstung zu zwingen. Der Präsident sagte laut Dodd im Wortlaut: „‘I agree as to the Far East and think we must do something in that region. Japan is annexing parts of China and plans to annex more and control all of Asia including India. We shall spend a billion dollars building warships, and all of them will be antiquated in ten years. […] I have asked the Senate to approve our joining the World Court and later I shall ask for authority to send an ambassador to Geneva’ “. Diese Haltung stellt eine Fortführung der Politik des jungen Franklin Roosevelt als Assistant Secretary of the Navy während des Großen Krieges unter Wilson dar. Vgl. für Roosevelts Zeit während der Wilson-Regierung RENSHAW, Patrick: Franklin D. Roosevelt. Profiles in Power (ohne Bandangabe). Harlow, ND, u.a. 2004. S. 28-33 und MORGAN, Ted: FDR. A Biography. London u.a. 1986. S. 146-183. Vgl. auch GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 61. GELLMAN: Secret Affairs. S. 18. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 131-145. DOENECKE: Ambiguous Legacy. In: DOENECKE/ STOLER: Debating. S. 9.

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4.4. „The Daily Grind of Reforming a World Power“. Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Schwerpunkte der US-amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik 1934 Auch im Jahr 1934 basierte Franklin Roosevelts Politik auf der demo- kratisch legitimierten Umsetzung seines wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischen Rettungspaketes. Der Facettenreichtum und die Komplexität der lebendigen amerikanischen Demokratie forderten den amerikanischen Präsidenten und sein Kabinett entgegen den Vorwürfen einer angeblich diktatorischen Regierungsweise1249 dabei oft heraus, mehr als nur einen Kompromiss zu schließen, um seine Regierung an der Macht und das System selbst in Balance zu halten. 1934 stellten sich Erfolge und Misserfolge seines New Deal-Programmes ein und es bildeten sich Allianzen und Koalitionen aus radikalen und konservativen Kräften, die der Demokratischen Partei Ende des Jahres bei den Kongresswahlen die Mehrheit und damit eine weiterhin effektive Regierungsfähigkeit zwar nicht nehmen konnten, zugleich jedoch eine „ewige“ Wahlkampfphase für Roosevelts Partei und Programm einläuteten. Den Wahlsieg im Herbst 1934 verdankte die Demokratische Partei vor allem der Persönlichkeit ihres Präsidenten und seinen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Erfolgen. Zum Jahreswechsel 1933/34 war die Bankenkrise überstanden und die Wirtschaft zeigte erste Anzeichen einer Erholung. Die Arbeitslosenzahlen blieben zwar auf einem hohen Stand, fielen aber insgesamt von fünfzehn auf elf Millionen.1250 Von den restlichen Bürgern ohne Arbeit fanden über sechs Millionen vorüber- gehende Beschäftigungsverhältnisse über die neuen Arbeitsprogramme.1251 Diese ersten positiven Entwicklungen nach vier Jahren Depression beschloss der Präsident zu nutzen, um weitere Reformen ins Leben zu

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1249 Vgl. zu den Stimmen seiner Kritiker Vgl. DENTON, Sally: The Plots Against the President. FDR, a Nation in Crisis, and the Rise of the American Right. New York u.a. 2012. S. 134-140. Vgl. auch Roosevelts geschickten Umgang mit diesen Vorwürfen: The First „Fireside Chat“ of 1934 – „Are You Better Off Than You Were Last Year?” In The Public Papers and Addresses, Vol. 3: The Advance of Recovery and Reform 1934 (1938). Dokument 114. S. 312-318. 1250 Vgl. JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 85. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 322-325. 1251 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 324.

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rufen, die zugleich Regulierungen auf nationalstaatlicher und bundes- staatlicher Ebene intensivierten und die Industrie und die Gewerkschaf- ten kooperativ einbezogen. In allen diesen drei letztgenannten Punkten warfen Gegner jeglicher politischer Couleur dem demokratischen Staatsoberhaupt je nach eigener politischer Ausrichtung zu weitgehende Maßnahmen vor, die entweder angeblich die Checks and Balances des amerikanischen Systems, die Freiheit der Industrie, die Freiheit des Individuums, die Freiheit der Einzelstaaten oder die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Vereinigten Staaten gefährdeten.1252 Bereits zu Beginn des Jahres bildeten sich mehrere neue Koalitionen von Rooseveltgegnern, deren tatsächliche Einflussmöglichkeiten und Macht- position im US-System bis heute in der Forschung diskutiert werden.1253 Hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit waren sie über das gesamte politische Spektrum verteilt: Senator Huey Long aus Louisiana, ein stark pola- risierender, zu radikalen Methoden neigender Regionalpolitiker, hatte Franklin Roosevelt im Wahlkampf 1932 tatkräftig unterstützt und sich seit Roosevelts Amtsantritt zu einem Ernstzunehmenden Gegner des New Deal gewandelt. Sein vorzeitiger Tod durch ein Attentat 1935 in Baton Rouge, Louisiana, sicherte dem Präsidenten 1936 vermutlich viele sonst durch Longs Kandidatur verlorengegangene Stimmen. 1254 Father Charles Coughlin, ein irisch-katholischer Priester aus Detroit, Michigan, ebenfalls ein ehemaliger Unterstützer, betrieb auf zahlreichen Radio- stationen im ganzen Land eine demagogische Hetze gegen die Politik des Präsidenten.1255 Während Coughlin zwar ein Ärgernis, nicht aber

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1252 Vgl. zu diesen innenpolitischen Entwicklungen, den Reformen und Kritikpunkten BLACK: Champion of Freedom. S. 317-342. 1253 Vgl. zu dieser Diskussion LEUCHTENBURG: New Deal. S. 67-124; BLACK: Champion of Freedom. S. 325-334; JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 85ff.; LINK: American Epoch. S. 408f. Vgl. SCHLESINGER, Arthur M. Jr.: The Age of Roosevelt. The Politics of Upheaval. Boston, MA, 1960. 1-207. Hier v.a. das Kapitel „Prologue to Stalemate” (S. 1-11). Vgl. DENTON: Plots Against the President. Insbesondere die Kapitel zu „Umsturzversuchen“ gegen Roosevelt, S. 192-203 und 218-221. Vgl. auch SCHLESINGER: Coming of the New Deal. S. 446-507 zur Bildung der Koalitionen und temporären Allianzen gegen Roosevelts Reformpolitik. Vgl. zu dieser Diskussion und der Übergangsphase des ersten zum zweiten New Deal RAUCH, Basil: The History of the New Deal 1933-1938. Second Edition. New York 1980. S. 111-139. 1254 Vgl. SCHLESINGER: Politics of Upheaval. Insbesondere das Kapitel „The Messiah of the Rednecks” (S. 42-68). 1255 Vgl. SCHLESINGER: Politics of Upheaval. Insbesondere das Kapitel„The Rise of the Demagogues“ (S. 15-28).

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eine ernstzunehmende Gefahr darstellte, forderte Dr. Francis Townsend, ein Arzt aus Kalifornien, mit seinem Versprechen einer hohen Pension für alle über 60 Jahre alten Bürger im Land den Kern der Rooseveltschen Sozialpolitik heraus.1256 Weitere Einzelpersonen zerklüfteten die politi- sche Landschaft der 30er Jahre und erschwerten Roosevelt eine kon- sequente, effiziente Politik und Umsetzung seiner Ziele, hierunter der Evangelikale Gerald L.K. Smith, Colonel McCormick, Charles A. Lindbergh und der Generalstabschef der US-Armee, General Douglas MacArthur. Hierzu gesellten sich verschiedene Parteien und Organisa- tionen, wie John Raskobs konservative Liberty League 1257 , die neugegründete Farmerpartei der LaFollette-Brüder sowie eindeutig faschistische Aktivitäten wie William Dudley Pelleys Silver Legion,1258 der Deutsch-Amerika-Bund 1259 und die linksextreme Bewegung um Sozialistenführer Norman Thomas und den Kommunisten Earl Browder. Alle diese genannten Personen und Institutionen stellten Roosevelts Regierung niemals mehrheitsfähig in Frage, doch zogen ihre Aktivitäten und Angriffe oft die Aufmerksamkeit der Roosevelt-Administration auf sich und banden so wichtige Energien in den entscheidenden Anfangsjahren.1260 Die Relevanz extremer Parteien und Parteiungen im amerikanischen System 1934 kann als gering bewertet werden, „there was no witch hunt and few witches to hunt”.1261 Dennoch ist festzuhalten,

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1256 Vgl. zu diesen Persönlichkeiten der Politik der 1930er Jahre JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 85ff., LINK: American Epoch. S. 410f. und BLACK: Champion of Freedom. S. 321f. Zu Townsend vgl. u.a. SCHLESINGER: Politics of Upheaval. Insbesondere das Kapitel „The Old Folks’ Crusade” (S. 29-41). 1257 Vgl. auch LINK: American Epoch. S. 410. Vgl. zur League und ihrer Gründung auch BURNS, James McGregor/ DUNN, Susan: The Three Roosevelts. Patrician Leaders Who Transformed America. New York 2001. S. 290. 1258 Vgl. DENTON: Plots Against the President. S. 159. 1259 Auch bekannt als „German-American Bund”, vgl. hierzu GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 73-76. Vgl. zu den nationalsozialistischen, organisierten und aus Deutschland gesteuerten Aktivitäten in Amerika FRYE: Nazi Germany. S. 15-31. Vgl. auch DIAMOND, Sander A.: The Nazi Movement in the United States 1924-1941. Ithaca, NY, London 1974; Vgl. auch KIPPHAN, Klaus: Deutsche Propaganda in den Vereinigten Staaten 1933-1941. Heidelberg 1971. 1260 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 321-333. Vgl. zu den faschistischen und radikalen Kräften, ihrer Organisation und ihrem Einfluss SCHLESINGER: Politics of Upheaval. Insbesondere das Kapitel „The Dream of Fascism” (S. 69-95) sowie die Seiten 96-207. 1261 BLACK: Champion of Freedom. S. 331.

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dass es nur an Roosevelts kooperationwilliger Politik und an den gut vernetzten, stark positionierten Mitgliedern seiner Administration lag, dass sich alle konkurrierenden Politiker und Bewegungen nicht zu ernstzunehmenden Gefahren für die Fortführung seines politischen Programmes entwickeln konnten. Angesichts der Tragweite der Wirt- schaftskrise seit 1929 ist es bemerkenswert, dass der Präsident eine Lösung der Krise und die Überwindung aller politischen Hindernisse nicht durch Repressalien oder Verfolgung, sondern den demokratischen Prozess der Meinungsbildung, Wahlen sowie nicht zuletzt Roosevelts tatsächlich erfolgreiche Politik des Krisenmanagements und des Wieder- aufbaus erreichte: „If Roosevelt had not been making substantial progress with the Depression, such people could have been more of a threat to him”.1262 Dodd hatte mit seiner Prognose durchaus Recht behalten, dass, Roosevelt und die Demokraten dem amerikanischen Demokratiesystem durch ihre progressive, moderate und kooperative Politik das Überleben in Zeiten des Aufstiegs totalitärer Regime und des Vormarschs der Extremisten sichern konnten.1263 Die Kooperationspolitik fiel einem dynamischen Politiker wie Roosevelt, genauso wenig wie den anderen am politischen Prozess beteiligten Kräften, sicherlich nicht immer leicht. Im Jahr 1934 kämpfte der Präsident zunehmend mit den Vertretern einer sich erholenden Wirtschafts- und Finanzwelt, die durch ihr zurückgewonnenes Selbstbewusstsein eine harte Verhandlungsposition einnahmen und mit ihren Forderungen Roosevelt und die Interessen der Arbeiterschaft und Arbeitnehmer vor neue Herausforderungen stellten. Der New Deal zielte darauf ab, dass nur mit Industrie und Arbeitnehmern eine dauerhafte wirtschaftliche Erholung gelingen konnte. Streiks mit gewalttätigen Ausschreitungen unter Gewerkschaftsführer Lewis Douglas, mit deren Fortführung der Präsident auch in jenem Jahr rechnen musste, prägten immer noch den Arbeitsalltag in Amerika. Die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite warfen den Demokraten vor, die jeweils gegnerische Position durch fixierte Preise oder ein expandiertes Arbeitnehmerrecht zu stärken. Die Verhandlungsführer der Gewerkschaften und der Unternehmer stellten

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1262 BLACK: Champion of Freedom. S. 331. 1263 Vgl. zur Perzeption Roosevelts und der Mitglieder seiner Administration bezüglich der Gefahren innerstaatlicher Demagogen und Radikaler DENTON: Plots Against the President. S. 55.

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damit die Zukunft von Roosevelts Reformvorhaben in Frage und drohten, die Wirtschaft zurück in den „Rugged Individualism“ 1264 der 1920er Jahre zu katapultieren. 1265 Eben weil seine „mild paranoia and hard vindictiveness“ 1266 den Präsidenten vor einem möglichen Scheitern warnten – die Arbeitskämpfe gefährdeten sein Programm weit mehr, als es einem Huey Long oder den amerikanischen Faschisten je gelungen wäre – gab sich der Demokrat 1934 kompromissbereiter und kooperativer denn je, um der eigenen Partei die Wahlen 1934 und 1936 zu sichern. Nicht zuletzt riskierte er damit sicherlich dauerhaft wichtige Koalitionen mit den konservativen Vertretern seiner und der Republikanischen Partei.1267 Roosevelts Taktieren unter Aufrechterhaltung seiner Kooperations- bereitschaft war von unmittelbarem Erfolg gekrönt: Niemand anderes als der charismatische Roosevelt und seine Partei konnten im Herbst 1934 die Mid-Term-Wahlen für sich entscheiden. Eine eindeutige Bestätigung für den Regierungskurs waren die Wahlen 1934 gewiss. Zehn weitere Senatorensitze konnten mit Demokratischen Kandidaten belegt werden, insgesamt sicherten 322 Demokraten zu 103 Republikanern die Mehrheit im House of Representatives und 69 zu 27 im Senat. Darüber hinaus gehörten zu den gewählten Republikanern auch zahlreiche Progressive wie Robert LaFollette und George Norris, die Roosevelts Programm unterstützten. 1268 Dieses bahnbrechende Wahlergebnis sicherte dem Präsidenten nicht nur ungewohnt wohlwollende Worte des sonst kritischen Medienmoguls Randolph Hearst, es erlaubte ihm auch, den Brain Trust de facto aufzulösen, ein sehr stabiles, progressives Kabinett zusammenzustellen und seinem engsten Berater und Freund Harry Hopkins die Initiative für einen zweiten New Deal zu ermöglichen, der ______

1264 Vgl. „The Philosophy of Rugged Individualism” Speech by Herbert Hoover, New York City, October 22, 1928. In: STEELE COMMAGER, Henry (Hrsg.): Documents of American History. Volume II: Since 1898. 7. Auflage. New York 1963. S. 222-225. Vgl. zu Hoovers Rugged Individualism – Politik LEUCHTENBURG: Herbert Hoover, und WARREN.: Herbert Hoover and the Great Depression. 1265 Vgl. BURNS/DUNN: Three Roosevelts. S. 290f. Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 319-325 und 334. Vgl. auch LEUCHTENBURG: New Deal. S. 115ff.; BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 350; LINK: American Epoch. S. 408. 1266 BLACK: Champion of Freedom. S. 334. 1267 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 61. 1268 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 335. Vgl. auch JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 85 und GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 55.

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sich der Umsetzung einer Sozialversicherung und der Arbeitszeit- und Lohnreformen annehmen und damit linken Konkurrenten wie Townsend und Long endgültig ihr politisches Erfolgsmomentum nehmen sollte.1269 Tatsächlich mussten die Demokraten nach ihrem erschöpfenden Wahl- kampf und einer Politik der umfangreichen Kompromisse bald darauf einen hohen Preis für den Beginn der zweiten Welle des New Deal zahlen. Mit dem Rekordwahlsieg stieg natürlicherweise auch die Zahl der Gegner des Reformprogramms,1270 unter ihnen Repräsentanten der wirtschaft- lichen und gesellschaftlichen Eliten, die Roosevelt als „Klassenverräter“1271 betitelten. Rechte Kräfte im Land beschuldigten den Liberalen aus Dutchess County mit Juden gemeinsame Sache zu machen, da der Supreme Court-Richter Felix Frankfurter zusammen mit den Zionisten um Ben Cohen und Rabbi Stephen Wise engeren Kontakt zum Präsidenten pflegte. Von seinen Gegnern verschwiegen wurde jedoch die Tatsache, dass Frankfurter ein überzeugter Liberaler war, der sich durch seine politische Loyalität zu Roosevelts Politik auszeichnete und wie andere progressive Mitglieder der Regierung – Ickes, Morgenthau, Perkins, Hull und auch Dodd und Moore – aufgrund dieser Eigenschaft bis zu Roosevelts Tod im Amt blieb.1272 Eine weitere Hypothek der Wahl war die Tatsache, dass fortan der Präsident damit beschäftigt bleiben musste, sich an der politischen Mitte und dem Prinzip der Überpar- teilichkeit zu orientieren, das heißt, zwischen Radikalen, zwischen den linken Progressiven in beiden Parteien und den Konservativen um die Raskob-Smith-Demokraten permanent auszugleichen.1273

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1269 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 335-342. Durch die Ernennung des Braintrusters Rex Tugwell zum Gouverneur von und Adolf Berles zum Botschafter in Brasilien entfernten sich jene Berater der ersten Tage des New Deal nicht nur geo- graphisch von Washington und dem Präsidenten (S. 338). 1270 Vgl. hierzu auch SMITH: A Concise History of the New Deal. S. 62-82. 1271 JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 85 und BURNS/DUNN: The Three Roosevelts. S. 313. 1272 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 339f. Vgl. hierzu auch BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 345 und STOLER: Superior to the Competition. In: DOENECKE/STOLER: Debating. S. 165. Vgl. auch BURNS/DUNN: Three Roosevelts. S. 313. 1273 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 341.Vgl. COLE: Isolationists. S. 190f. Nicht selten hatte diese ausgleichende Politik unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer schnellen Reformpolitik des New Deal-Programmes drastische Auswirkungen. Bei den Wahlen 1934 und 1936 sah sich Roosevelt des öfteren gezwungen, progressive republikanische Kandi- daten gegen ihre demokratischen konservativen Kontrahenten zu unterstützen. 1934

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Außenpolitisch relevant waren in jenem Kreis der divergierenden poli- tischen Kräfte in den Vereinigten Staaten von Amerika die Isolationisten, die in beiden großen Parteien erheblichen Einfluss ausübten. Die Diskrepanz zwischen Woodrow Wilsons Erwartungshorizont sowie seinen Versprechungen und den tatsächlichen Ergebnissen nach Been- digung des Großen Krieges hatten diese Gruppierung massiv gestärkt.1274 Die sich weiter destabilisierende Lage in Europa und Asien führte 1934 anders, als vielleicht zu erwarten gewesen wäre, nicht zu einem Aufbrechen, sondern einer Stärkung dieser isolationistischen Tendenz in der amerikanischen Außenpolitik. Ohne im Detail auf alle Ausprägungen und Beweggründe der Isolationisten an dieser Stelle einzugehen, sind doch drei Charakterisierungspunkte dieser politischen Einstellung im amerikanischen System der 1930er Jahre festzuhalten: a) Den Isolationisten der 1930er Jahre ging es nicht um eine Abschottungs- oder Autarkiepolitik – schon gar nicht im überzeichnet nationalistischen Sinne wie im nationalsozialistischen Deutschland – sondern sie waren sich einig jegliche Verstrickung des Landes in eine Großmachtpolitik auf anderen Kontinenten verhindern zu müssen. Der Johnson Act von 1934, der die Kreditvergabe an Länder, die sich in Schuldenrückzahlungsverzug befanden, unterband sowie die Neutralitätsgesetzgebung der Folgejahre stehen sinnbildlich für jene politische Gesinnung. b) Nicht alle Isolationisten waren auch Konservative im amerikanischen Sinne; viele außenpolitisch Konservative gehörten zum progressiven Lager; alle Anhänger der verschiedenen politischen Gesinnungen, ob internationalistisch-progressiv, nationalistisch-progressiv, isolationis- tisch-progressiv und weitere, waren in beiden großen Parteien zu finden, was Roosevelt kaum eine parteipolitisch einheitliche Linie über die gesamten 30er Jahre ermöglichte. c) In der Debatte, die die Fraktionen der Isolationisten und der Inter- nationalisten führten, ging es um die eine große Frage, „ob es aus US-amerikanischem Interesse notwendig war, [Staaten in Übersee] zu

______entschied sich der Präsident sogar dazu, nicht auf einer Feierlichkeit zu Ehren des demokratischen Präsidenten Thomas Jefferson zu erscheinen, um seine Überparteilichkeit nicht zu gefährden. Vgl. zu Roosevelts innerparteilichen Auseinandersetzungen mit den (konservativen) Demokraten SAVAGE: The Party Leader. S. 1-16 und 103-128. 1274 Vgl. LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 259.

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unterstützen”.1275 Die Isolationisten konnten keinen Zusammenhang zwischen der nationalen Sicherheit der USA und einer militärischen Niederlage ehemalig alliierter Nationen erkennen.1276 Eine Aussage des isolationistisch geprägten Nachfolgers Dodds in Berlin, Hugh R. Wilson, in einem Brief vom 20. Juni 1938 an Sumner Welles macht jenen Gegensatz zur Haltung des progressiven Internationalisten Dodd deutlich: In Europa hätten die Vereinigten Staaten nichts zu gewinnen, nur alles zu verlieren.1277 Um Gewinne und Verluste ging es auch in zwei Beispielen innen- politischer Debatten 1934, die erhebliche außenpolitische Konsequenzen hatten: Die Ergebnisse des Nye-Committees und die Diskussion um Neutralität und Embargogesetzgebung. Die Initialzündung für Erstere ging weniger von den Kongressmitgliedern als vielmehr von der amerika- nischen Öffentlichkeit selbst aus. Inspiriert von Veröffentlichungen wie Helmuth C. Engelbrechts und Frank C. Hanighens „Merchants of Death: A Study of the International Armaments Industry“ stieg der Druck vieler Bürger – getragen von Studenten und den Kirchen – auf den Senat in Form von Petitionen und Kampagnen, die Geschäfte der US- Waffenhändler und Produzenten im Ersten Weltkrieg aufzudecken.1278

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1275 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 260. 1276 Vgl. für alle drei Punkte LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 259f. Vgl. auch allgemein DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 57-80. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 1-88. Vgl. auch DOENECKE: Ambiguous Legacy. In: DOENECKE/ STOLER: Debating. S. 19 und REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 78. Vgl. DENTON: Plots Against the President. S. 55. Beide Bewegungen erkannten jedoch einen Zusammenhang zwischen radikalen Kräften innerhalb Amerikas und der nationalen Sicherheit. Vgl. auch hier den Gesamtüberblick über die Isolationisten der 1930er in den Darstellungen von SCHWABE: Der amerikanische Isolationismus; JONAS: Isolationism in America,, und COLE: Isolationists. 1277 Vgl. LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 260. Lübken zitiert aus einem Brief Hugh R. Wilsons an Sumner Welles vom 20. Juni 1938, zu finden in der Roosevelt Library, Sumner Welles Papers, Mappe „Wilson, Hugh R., 1938”. Vgl. den Inhalt des Briefes in WILSON, Hugh R., Jr.: A Career Diplomat. The Third Chapter: The Third Reich. Reprint. Westport, CT, 1973. S. 38f. 1278 Vgl. OFFNER: Origins. S. 104. Vgl. auch GERSTE: Roosevelt und Hitler. S. 61f., DALLEK: Franklin. D. Roosevelt. S. 85, LINK: American Epoch. S. 470f. und ADLER: Uncertain Giant. S. 160. Nye hatte keine Autorisierung für eine Analyse der aktuellen oder einer möglichen neuen Neutralitätsgesetzgebung, durfte aber die Gesetzgebung und Gesetzes- lage bezüglich Waffenhandel generell prüfen. Vgl. hierzu COLE: Isolationists. S. 167. Diese isolationistische Welle wurde besonders von Intellektuellen wie dem späteren

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Senator Gerald Nye aus North Dakota, selbst ein Veteran des Krieges, zeichnete sich hierbei als der rechte Mann zur rechten Zeit für die isolationistischen Mitglieder der zweiten Legislativkammer aus. 1279 Während Roosevelt sich in den Frühlingsmonaten für internationale Lösungen der Rüstungsproblematik aussprach und eine Billigung der Genfer Konvention von 1925 zur nationalen Lizenzierung von Waffen- händlern und zur Veröffentlichung aller Waffenkäufe und Verkäufe durch den Senat befürwortete,1280 setzte der US-Senat lieber sein Vertrauen auf Nye und eine neugegründete Untersuchungskommission. Diese erhielt den Auftrag, die Verwicklungen der US-Industrie und der damaligen Wilson-Regierung – einer demokratischen Regierung – in Kriegsprofite und Waffenhandel im Weltkrieg aufzudecken.1281 Auffällig ist, dass das Komitee aus einer Überzahl an Repräsentanten aus isolationistisch geprägten Landesteilen, vor allem ländlichen Gegenden des Westens und Mittleren Westens, bestand und die Unterstützung aus Roosevelts Administration für dieses Vorhaben entsprechend halbherzig ausfiel.1282 Der Kommission gelang es nicht, so Selig Adler, eine echte Verbindung zwischen Woodrow Wilson, seiner Administration und den Waffenproduzenten und Bankern als Kriegsgewinnlern herzustellen, obschon einige Ergebnisse schockierend, viele allerdings eine über- triebene Überzeichnung der Realität darstellten. Völlig außer Acht ließen Senator Nye und seine Kollegen, dass Wilson trotz des unein- geschränkten U-Boot-Krieges und der Verletzungen der amerikanischen Neutralität durch das Kaiserreich eine langfristige Verwicklung in den Krieg zwar vermeiden wollte, dies aber ab einem gewissen Zeitpunkt – ideologisch-moralische Abwägungen hin oder her – nicht mehr dulden konnte, ohne amerikanischen Interessen direkt Schaden zuzufügen.1283 ______Dodd-Gegner Charles Tansill und von der amerikanischen Jugend getragen. Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 410. Es verwundert deshalb nicht, dass Dodd in seiner Rede 1934 besonders jene adressierte und vor der nationalsozialistischen Erfassung der Jugend warnte. Vgl. auch DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 57f. und 63f. 1279 Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 63f. 1280 Vgl. COLE: Isolationists. S. 167 und DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 86. 1281 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 86. Vgl. auch LEUCHTENBURG: New Deal. S. 217 und SIROIS: Illusion und Krieg. S. 60. 1282 Vgl. ADLER: Uncertain Giant. S. 161f. Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 67. 1283 Vgl. ADLER: Uncertain Giant. S. 163f. Vgl. zu den Argumenten von einigen Pro- gressives, Pazifisten und Sozialisten 1917 zu Wilsons Gründen des Kriegseintrittes, die das Nye-Committee wiederholte, LINK: Progressive Era. S. 278-282.

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Wohl aber gelang es dem Nye-Committee, den Isolationisten der kommenden Jahre das argumentative Material zur Verfügung zu stellen, das diese in ihrem Kampf gegen die außenpolitischen Ziele der Inter- nationalisten und Interventionisten öffentlichkeitswirksam anführen konnten. Jener historische Revisionismus bereitete erst das Klima für eine Öffentlichkeit, die in weiten Teilen eine neue, starke Neutralitäts- gesetzgebung befürworten sollte.1284 „Das Jahr 1934 wurde [damit] in der amerikanischen Öffentlichkeit zum Jahr der Diskussion um die Form und Möglichkeiten einer isola- tionistischen Außenpolitik“, 1285 ob dies einem internationalistischen Präsidenten, Außenminister oder amerikanischen Botschafter gefiel und den politischen Realitäten in Europa und Asien entsprach oder nicht. Dabei galt es auf Seiten der Administration, vor allem der Tatsache Tribut zu zollen, dass die 1934 ausbleibenden deutschen Schuldenrück- zahlungen und die Angst vor Deutschlands innerem Terror und äußerer Bedrohung des Friedens eine isolationistische Rückbesinnung der ameri- kanischen Bevölkerung und der öffentlichen Meinung bestärkten.1286 Dies geschah unabhängig von den Reaktionen auf die Nye-Ergebnisse oder vom wachsenden Einfluss der Gruppe aus circa 20 Senatoren um William Borah aus Idaho, Hiram Johnson aus Kalifornien, Robert LaFollette Junior aus Wisconsin und weiteren, die sich zu Repräsentanten dieser Stimmungslage aufschwangen. 1287 Jene Politiker gerieten ab 1935 mit ihren isolationistischen Äußerungen auch in den Fokus von Dodds Aufmerksamkeit für interne außenpolitische Debatten der US-Politik. Für Roosevelt jedoch gehörten sie nicht zur Opposition. Viele jener progressiven Republikanischen wie Demokratischen Senatoren unter- stützten das innenpolitische Programm des Präsidenten zum Teil aus voller Überzeugung.1288 Generell wurde die Zusammenarbeit Roosevelts mit der in sich gespaltenen, teilweise sehr doktrinären Gruppe der Progressiven zunehmend erschwert und kann für 1934 als weniger vertrauensvoll bezeichnet werden. Diese Spaltung wurde durch die

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1284 Vgl. ADLER: Uncertain Giant. S. 164ff. 1285 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 59. 1286 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 60f. Vgl. auch JONAS: The United States and Germany. S. 217ff. und LaFEBER: American Age. S. 382ff. Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 69ff. 1287 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 70. 1288 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 71. Vgl. auch COLE: Isolationists. S. 187.

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politische Arbeit vieler Progressiver in verschiedenen Kommissionen und Komitees sowie durch das nationale Parteiensystem begünstigt. 1289 Hiervon ausgenommen waren Einzelpersönlichkeiten – wie im Falle Senator von Joseph Robinson – , die dem Präsidenten nicht selten einen wohlwollenden Rat in außenpolitischen Angelegenheiten geben konnten.1290 Ein Beispiel hierfür war Roosevelts Plan, ein den angrei- fenden und den angegriffenen Staat unterscheidendes, den Aggressor diskriminierendes Waffenembargogesetz durch beide Häuser der Legis- lative zu bringen und als Präsident selbst größere Entscheidungs- befugnisse für derartige Fälle zu erhalten. Nicht zuletzt als eine internationale Einigung auf Abrüstungsregularien, die Voraussetzung für eine revidierte Embargogesetzgebung, auch 1934 ausblieb, warnten Experten wie Norman Davis und Joseph C. Green, Experte für inter- nationalen Waffenhandel im State Department, vor einer Revision der bestehenden Gesetze. Judge Moore, der Raymond Moley im Sommer 1933 als Assistant Secretary of State ersetzt hatte, drängte auf eine allgemeingültige Embargoregelung ohne Diskriminierung, während sich der Rest des Außenministeriums wie des Senates ausschwieg. Eine Revision im Sinne einer diskriminierenden Embargoregelung kam für beide Institutionen nicht in Frage, wie Roosevelt über mehrere politische Quellen vorab erfahren hatte. Der Chef der Administration ruderte rechtzeitig zurück und ließ eine Abstimmung, die höchstwahr- scheinlich negativ geendet hätte, entfallen.1291 Jenes politische Lavieren und Abwägen darf nicht mit Roosevelts eigentlichen Zielen und Über- legungen zu einer effektiven US-Außenpolitik verwechselt werden. „Die Isolationismusströmung in der amerikanischen Öffentlichkeit zwang Roosevelt immer wieder zu Konzessionen, war aber nicht Ausdruck einer von seiner Regierung angestrebten Politik”. 1292 Dessen war sich auch William Edward Dodd bewusst, der in jener Zeit noch mehr als im Jahr seiner Ankunft in Berlin weiterhin auf Aufklärung – des Präsidenten, der Administration, der Legislativmitglieder und der amerikanischen Öffentlichkeit – bezüglich der kritischen Lage in Europa setzte, seine

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1289 Vgl. COLE: Isolationists. S. 188. 1290 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 71. 1291 Vgl. für diese Entwicklungen und Debatten in Kongress und Administration DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 71f. sowie ADLER: Uncertain Giant. S. 167 und DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 58ff. und 69-74. 1292 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 61.

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eigene Berichterstattung in Abstimmung mit der investigativen Arbeit befreundeter angelsächsischen Journalisten intensivierte und auf einen baldigen Stimmungsumschwung in Amerika hoffte. Doch 1934 war klar, dass Amerika von einem solchen Umschwung weit entfernt blieb;1293 Zum einen galt dies für die Japan- und Fernostpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika 1933 und 1934.1294 Aufgrund der Einflussmöglichkeiten einer starken pazifistischen Bewegung musste sich Roosevelt – trotz seiner Durchsetzung des Naval Parity Acts von 19341295 für eine massive Marineaufrüstung – dauerhaft auf einen „moralistic isolationism“ 1296 einstellen. Der Silver Purchase Act von 1934 1297 zum direkten Nachteil der chinesischen Wirtschaftskraft, der Tydings- McDuffie Act von 1934 1298 zur Unabhängigkeit der Philippinen, eine ausbleibende Kooperation mit Großbritannien1299 und den Niederlanden und der Zusammenbruch des Washingtoner Systems des internationalen Kräfteverhältnisses der Seestreitkräfte1300 zum Ende des Jahre 1934 hin markierten einen ersten Höhepunkt einer für Franklin Delano Roosevelt

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1293 Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 79f. 1294 Vgl. hier generell DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 75-78 und 87ff. GELLMAN: Secret Affairs. S. 17f. SCHMITZ: Triumph. S. 32f. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 117-162. OFFNER: Origins. S. 138-144. Vgl. zur Rolle des State Departments JABLON, Howard: Crossroads of Decision. The State Department and Foreign Policy, 1933-37. Lexington, KY, 1983. S. 52-65. Jablon wirft Hull und dem State Department vor, statt einer Entscheidung zwischen Appeasement oder offenem Konflikt mit Japan sich für eine passive Haltung entschieden und damit die Außenpolitik in eine Sackgasse geführt zu haben. 1295 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 75. Vgl. auch OFFNER: Origins. S. 142. 1296 LEUCHTENBURG: New Deal. S. 215. 1297 Vgl. IRIYE: Globalizing of America. S. 142f. und OFFNER: Origins. S. 139. 1298 Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 215 und JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 131- 145. 1299 Vgl. OFFNER: Origins. S. 143. Laut Offner schloss Neville Chamberlain im März 1934 eine engere amerikanisch-englische Kooperation aus, um eine weitere Isolation Japans zu vermeiden. Dahinter versteckte sich die Furcht, die Vereinigten Staaten könnten durch unentschlossenes Handeln zwar eine Nichtanerkennungspolitik für die japanischen Eroberungen proklamieren, nicht aber umsetzten – zum Schaden britischer Interessen. Vgl. auch Moffat Diary, 1. Februar 1934. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 02, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1934-1935. Moffat beschreibt in seinem Tagebuch, dass über die Möglichkeiten einer Kooperation mit England auch innerhalb des Departments 1934 heftig diskutiert wurde, insbesondere zwischen William Phillips und Norman Davis, sowie Davis und William Bullitt. 1300 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 65.

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und seine progressiv-liberalen Mitstreiter unausweichlichen Isolationis- muspolitik gegenüber Japan. Dies erstaunt umso mehr, als dass laut Junker der Systemantagonismus zu Japan viel früher offensichtlich wurde als zu Deutschland.1301 Zum anderen betraf dies die Nachbarschaftspolitik der Vereinigten Staaten während der ersten Jahre der Roosevelt-Regierung. Selbst in Bezug auf die Good Neighbor Policy und die eigene Hemisphärenpolitik, dem „größten gemeinsame[n] Nenner zwischen der Regierung Roosevelt und den Opponenten ihrer Außenpolitik“1302 mit dem Ziel der Sicherheit der westlichen Hemisphäre vor nichtamerikanischen Eingriffen im Sinne der Monroe-Doktrin, wurde in jenem Jahr ein neuer Tiefststand des direkten US-amerikanischen Einflusses erreicht.1303 Als 1934 amerika- nische Truppen aus Haiti abgezogen wurden, verblieben erstmals seit Jahrzehnten nur noch Truppen in der Panamakanalzone als alleinige US-Militärpräsenz in der Hemisphäre außerhalb des amerikanischen Territoriums. „For the first time since the turn of the century, the United States would not take upon itself the task of ensuring political or economical stability in the Caribbean. It would not again intervene in the domestic affairs of another American state”.1304 Die Good Neighbor Policy jener Jahre, so Lübken, zeigte vor allem, dass von einem pan- amerikanischen Bund oder einer Wertegemeinschaft noch keine Rede sein konnte und eine „nach außen so oft proklamierte Einheit der amerikanischen Staaten weder in politischer noch in kultureller oder militärischer Hinsicht“1305 bestand. Der intensiver werdende Warenaus- tausch mit Lateinamerika, ab 1934 geregelt durch reziproke Handels- abkommen, war zunächst weniger Ausdruck einer globalen Handelsidee des Internationalisten Cordell Hull, als vielmehr der Versuch einer extremen isolationistischen Ausprägung amerikanischer Politik, die eigene Hemisphäre von Asien und Europa abzuschotten, den Dollar kompetitiver zu machen und durch das Prinzip der bedingungslosen Meistbegünstigung ab Mitte des Jahres einen Gegenpol zur deutschen

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1301 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 117-121 und 147. 1302 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 266. 1303 Vgl. LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 260f. Vgl. auch RAUCH: History of the New Deal. S. 142-146. 1304 IRIYE: Globalizing of America. S. 147. Vgl. auch BAILEY: Diplomatic History. S. 683f. 1305 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 267.

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Wirtschafts- und Autarkiepolitik zu bilden.1306 Während ein Teil der Forschungsmeinung die Good Neighbor Policy als reinen Ausdruck hegemonialen Strebens der USA in der Hemisphäre wertet, 1307 zur Abschottung oder im Kampf gegen die Achsenmächte, 1308 und die Isolationisten 1934 sicherlich Hulls ursprünglich internationalistischen Plänen einer offenen Handelspolitik in Bezug auf Lateinamerika eine eigene Stoßrichtung geben konnten, so änderte sich dennoch nichts an der Tatsache, dass sich Hull ab 1934 langfristig in signifikanten handelspolitischen Entscheidungsprozessen seiner Administration durch- setzen konnte.1309 Cordell Hull, ein Demokrat aus ärmlichen Verhältnissen in Tennessee, der oft wegen seines leichten Sprachfehlers unterschätzt wurde, galt laut Leuchtenburg als „Galahad of internationalism in a nationalist administration”.1310 Dies gilt sicherlich ganz besonders für seinen Einsatz bezüglich der Internationalisierung der amerikanischen Handelsfrage in Einklang mit dem New Deal, aber auch für sein generelles Durchsetzungsvermögen in der Frühphase der Roosevelt-Administration, die 1933/34 auch einige ökonomisch und politisch nationalistisch geprägte Mitglieder umfasste.1311 Nach Hulls Ansicht behinderte der Hawley-Smoot Tariff von 1930,1312 eine hohe gesetzliche Zollbarriere für Einfuhren nach

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1306 Vgl. LaFEBER: American Age. S. 373ff. 1307 Vgl. LaFEBER: American Age. S. 379. Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 143. 1308 Vgl. LaFEBER: American Age. S. 379 zu Ängsten in Teilen der Roosevelt- Administration vor einem deutsch-japanischen Einfall in Mexiko versus LÜBKEN: Bedroh- liche Nähe. S. 148, der die Handelsverträge und Good Neighbor Policy der ersten Roosevelt-Jahre vor allen Dingen als Ausdruck eines Festungs- und Abschottungswillens amerikanischer Politiker gegenüber den Kontinenten Asien und Europa wertete. Vgl. auch LINK: American Epoch. S. 465. Link geht davon aus, dass Roosevelt und seine Administration bereit waren, selbst unter ökonomischen Verlusten oder Einbußen ihrer hegemonialen Vormachtstellung die gesamte westliche Hemisphäre durch diese Nachbarschaftspolitik zu stärken, da die Sicherheit und freundschaftliche Haltung Lateinamerikas als Schlüssel zur amerikanischen Sicherheit gewertet wurde. 1309 Vgl. LaFEBER: American Age. S. 373 und GELLMAN: Secret Affairs. S. 95. Cordell Hull setzte sich hierbei sogar gegen Roosevelts Willen weitgehend durch, so LaFeber. 1310 LEUCHTENBURG: New Deal. S. 203. 1311 Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 203. Vgl. zur Rolle ökonomischer Nationalisten in der Administration, allen voran des Foreign Trade Advisors George Peek, GELLMAN: Secret Affairs. S. 92 und 96. Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 84. 1312 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 13.

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Amerika, den internationalen Handelsverkehr und stand somit gleich mehreren Zielen des progressiv-internationalistischen Programms im Wege: Der Förderung des internationalen Wohlstandes, der Stabilisierung aller Währungen, der Zahlungsfähigkeit der europäischen Schuldner- staaten und nicht zuletzt der Erschließung neuer Märkte für die amerikanische (Land-)Wirtschaft. 1313 Auf überzeugende Weise verband der Außenminister nationale amerikanische Interessen der 1930er Jahre mit dem Freihandelsliberalismus des 19. Jahrhunderts: Das Open Door- Prinzip frei zugänglicher Märkte sollte erhalten bleiben. Hull ging von einer Unteilbarkeit der Weltmärkte und einer globalen wirtschaftlichen Interdependenz im 20. Jahrhundert aus, die für alle Mächte unvermeidbar sei.1314 Die Senkung von Zollbarrieren und die Förderung von reziprok vorteilhaftem Handel galt ihm deshalb als „aufgeklärtes Interesse“1315 der USA, das heißt als nationales Interesse, das aus den Fehlern des vergangenen republikanischen Protektionismus gelernt hatte.1316 Hierzu sind zwei Beobachtungen anzustellen: Hull konnte einige Gegner dieser Politik in Administration und Opposition vermelden, denen Roosevelt nach kurzem Zögern und anfänglicher Neugier für ihre Posi- tion und ihre Argumente die Unterstützung versagte und Hull den Weg für eine internationalistische Ausrichtung der Handelspolitik ebnete; der Außenminister und sein Konzept einer Internationalisierung der amerikanischen Außenwirtschaftspolitik wurden von einer ganzen Gruppe handelspolitisch internationalistisch denkender Politiker und Beamter, zu denen auch Dodd gehörte, unterstützt, die die reibungslose Umsetzung der neuen Gesetzgebung kontrollierten und beschleunigten. Dieser Umstand ermöglichte Roosevelt bei Verhandlungen sowohl multi- als auch bilateraler Handelsverträge eine größtmögliche Flexibilität, ohne gravierende Proteste der Isolationisten und Handelsnationalisten zu provozieren. 1317 Auf diese Weise gelang es den Internationalisten

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1313 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 402. 1314 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 93f. Siehe auch Titel von Junkers Werk und S. 173ff. und 200. Vgl. auch SIROIS: Illusion und Krieg. S. 90. 1315 JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 73. 1316 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 73f. 1317 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 96. Gellman beobachtet, dass Roosevelt, wann immer es um Personalfragen – auch die eigene Position – ging, seinem Außenminister nachgab, selbst im Fall seines persönlichen Außenhandelsberaters George Peeks. Vgl. auch SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 151-159. Vgl. auch JUNKER:

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der Administration, den Beginn einer modernen amerikanischen Außen- handelspolitik einzuläuten, die sich in Bretton Woods 1944 und dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) 1947 fortsetzen sollte.1318 Präsident Roosevelt hatte seine Meinung 1934 vor allen Dingen deshalb geändert, da binnenwirtschaftliche Maßnahmen alleine nicht mehr eine Expansion des amerikanischen Handels und Absatzmarktes zu ver- sprechen schienen. 1319 Neuartig an Hulls Handelskonzept und der gesetzlichen Formulierung durch den US-Kongress 1934 war, dass ein Großteil der Bestandteile der Zollpolitik neu und innovativ formuliert wurden. 1320 Das Handelsvertragsgesetz erlaubte dem Präsidenten, die nach dem Hawley-Smoot Act gültigen Zollsätze um bis zu 50 Prozent herabzusenken, bilaterale Verträge mit Exklusivrechten und multilaterale, reziproke Handelsverträge abzuschließen und ein höchst flexibles Berechnungs- und Verhandlungssystem nach Produkt- und Rohstoff- kategorien sowie Wirtschaftsbereichen anzuwenden.1321 Im Kern stand jedoch der Einsatz einer unbedingten Meistbegünstigungsklausel, die den zollfreien Handel zwischen Amerika und seinen Vertragspartnern und darüber hinaus auch Drittstaaten erlaubte.1322 Der amerikanische Präsident hatte erneut das richtige Gespür für die effektive Umsetzung seiner politischen Ziele bewiesen. Eine „multilaterale Außenhandels- konzeption“1323 erwies sich schon alleine deshalb als kluge Entscheidung,

______Unteilbarer Weltmarkt. S. 67f. Zu den „Multiplikatoren eines Handelsvertragsprogrammes“ (S. 68) gehörten Woodrow Wilsons Schwiegersohn und Dodd-Vertrauter Francis B. Sayre, Under Secretary of State William Phillips, State Department Abteilungsleiter Herbert Feis und (S. 70-73:) der Republikaner Henry L. Stimson, der gestützt von der liberalen Presse in dieser Frage eine offen progressiv-internationalistische Haltung einnahm. Vgl. auch STOLER: Superior to the Competition. In: DOENECKE/STOLER: Debating. S. 120. Stoler entdeckt hinter Roosevelts Unterstützung für Hulls Pläne dessen eigene internationalis- tische Haltung, die Wilsons Ideen teilte, aber 1934 weitestgehend verborgen bleiben sollte. 1318 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 63f. 1319 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 64ff. Vgl. auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 85. Vgl. auch 1320 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 75. 1321 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 84f. Vgl. auch BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 403. Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 211 und JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 76. 1322 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 74f. 1323 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 92.

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weil mit der Handelspolitik langfristige Erfolge des New Deal standen oder fielen.1324 Auffällig für eine schleichende Internationalisierung der Rooseveltschen Außenpolitik war, dass mit Abschluss der ersten reziproken Handels- verträge 1934 mit Kuba, Belgien und Kanada, in späteren Jahren Großbritannien und vielen lateinamerikanischen Staaten, Hulls Vor- stellung von den Verträgen als Vorstufe einer politischen Kooperation offensichtlich wurde.1325 Diese Art von Politik konnte für das deutsch- amerikanische Verhältnis nicht folgenlos bleiben. Sowohl Schröder als auch Sirois diskutieren den deutsch-amerikanischen Gegensatz, der nach Sicht beider Autoren 1934 anhand ökonomischer Faktoren immer deutlicher wurde und in Bezug auf das Handelsgesetz der USA und den nationalsozialistischen „Neuen Plan“ jenes Jahres gar zum „Ausdruck einer sich entgegengesetzt verstehenden politischen Systemdefinition“1326 gereichte.1327 Dreh- und Angelpunkt aus Sicht beider Staaten stellte das Scheitern der Londoner Weltwirtschaftskonferenz dar. Der Ausgang jener Zu- sammenkunft im Sommer 1933 veranlasste die nationalsozialistische Führung zu einer antizyklischen Konjunkturpolitik, um die Binnenwirt- schaft zu stabilisieren und so die Voraussetzungen für eine aggressive Expansionspolitik zu schaffen.1328 Ohne auf zum Teil bereits in diesem Großkapitel genannte Details jener Wirtschafts- und Handelspolitik des „Dritten Reiches“ einzugehen, seien hier einige Maßnahmen aufgezählt, die diametral verschieden zur neuen amerikanischen Handelspoli- tik standen: Bilaterale Absprachen/Kompensationsvereinbarungen und Tauschgeschäfte; der Bruch mit dem Prinzip der Meistbegünstigung; eine

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1324 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 92. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Handelspolitik und New Deal ROSEN, Elliot A.: Roosevelt, the Great Depression, and the Economics of Recovery. Charlottesville, VA, London 2005. S. 132-150. 1325 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 403f. Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 141-143. Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 93. 1326 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 89. 1327 Vgl. zu dieser Diskussion SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 121- 168 und SIROIS: Illusion und Krieg. S. 89-93. Vgl. zu Schachts „Neuem Plan“ und den neuen Grundsätzen der Außenwirtschaftspolitik Dok. 30, Karl Ritter, Runderlass zur Außenwirtschaftspolitik (Auszug) vom 25. August 1934 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 90f. 1328 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 123-135.

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staatliche Reglementierung aller wirtschaftlichen Sektoren und ein staatliches Außenhandelsmonopol; handelspolitische Geheimabsprachen, die Drittländer eindeutig diskriminierten oder unlautere Vorteile ver- schafften; eine Devisenzwangswirtschaft; die Einstellung von Zins- transfers für private Auslandsschulden; Import- und Exportsteuerung.1329 Entscheidend ist – und das zeigten auch Dodds Verhandlungen in Berlin – dass für beide Seiten ihre Position und handelspolitischen Maßnahmen schon 1934 faktisch nicht mehr verhandelbar waren. Nicht nur kündigte Deutschland zum erstmöglichen Zeitpunkt, im Oktober 1934, für das Folgejahr den deutsch-amerikanischen Handelsvertrag auf, auch blieben die von beiden Parteien halbherzig geführten Gespräche zu einem deutsch-amerikanischen Tauschabkommen bis Frühjahr 1935 ergebnis- los.1330 Die Gründe für die starren Positionen lagen in einer auf beiden Seiten des Ozeans spätestens zum Jahreswechsel 1933/34 festgelegten, weitestgehend ideologisch verwurzelten Langzeitstrategie. Für die Nationalsozialisten, daran konnte selbst ein Finanzexperte wie Schacht nichts mehr ändern, stellte ihre Wirtschaftspolitik nur ein Mittel zum Zweck dar, über die Befreiung aus einem „entarteten Liberalismus“1331 und durch eine Autarkiepolitik der Realisierung einer voll hergestellten nationalen Souveränität und einer darauf folgenden Expansionspolitik einen Schritt näher zu kommen. Jene Bilateralisierung der deutschen Außenpolitik offenbarte sich 1934 in der fortwährenden Abwesenheit im Völkerbund, im Nichtangriffspakt mit Polen,1332 in der Expansion des

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1329 Vgl. zu den Details nationalsozialistischer Außenwirtschafts- und Wirtschafts- /Finanzpolitik SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 121-135 und 142f. Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 211f. Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 94-101. Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 89-91. Vgl. allgemein BARKAI: Nazi Economics. Vgl. auch den prägnanten Aufsatz von RITSCHL, Albrecht: Wirtschaftspolitik im Dritten Reich – Ein Überblick. In: BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans-Adolf (Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur national- sozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993. S. 118-134. 1330 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 211f. und SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 148-159. 1331 KÖHLER, R.: Durch starke Nationalwirtschaften zu einem neuen Welthandel. In: Weltwirtschaft 22 (1934). S. 21. Zitiert nach SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 134. 1332 Vgl. zu diesem Nichtangriffs- und Verständigungsabkommen zwischen Deutschland und Polen den Originaltext in Dok. 24, Deutsch-polnische Erklärung vom 26. Januar 1934

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Handels mit Südosteuropa und Lateinamerika und eben in der vorteilsheischenden Suche nach den geeigneten Handelspartnern für die eigenen Exportbedürfnisse.1333 Auch Amerikas neue Regierung verknüpfte die Fortdauer seines gesell- schaftlichen Systems mit einer geeigneten Außenhandelspolitik. Junker ist zwar überzeugt, dass Roosevelt 1934 handelspolitische Maßnahmen in erster Linie mit dem Ziel der Überwindung der Depression und der Linderung des menschlichen Elends in seinem Land einsetzte, während Hitlers Ziele weit weniger realpolitischer und ökonomisch räsonierender Natur waren.1334 Das heißt jedoch nicht, dass amerikanische Intentionen hinter einer neuen Trade Agreement Policy nicht auch ein gesteigertes internationalistisches Selbstverständnis und die Durchsetzung ökono- mischer und politischer globaler Ansprüche umfassten.1335 Ab Mitte der 1930er Jahre kann für beide Länder von einer „Ideologisierung der Handelspolitik“1336 gesprochen werden. Doch bedeutete ein barrierefreier Handel für Hull, Roosevelt, Assistant Secretary of State Sayre, Phillips, Moore und Dodd mehr als die Erfüllung nationaler Wünsche. Die US- Außenpolitik der 1930er rückte tendenziell von einer extremen Souveräni- tätsvorstellung ab und räumte der fortschreitenden ökonomischen und politischen Verflechtung zwischen den Nationen einen größeren Raum ein als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte.1337 Anders als die Nationalsozialisten arbeitete die Roosevelt-Administration hierbei eng mit den Wirtschaftszweigen des Landes auf Arbeitnehmer- und Arbeit- geberseite zusammen.1338 Hulls Handelsprogramm in seiner Umsetzung kann als proamerikanisch, generell aber weit weniger nationalistisch als die Handelspolitik anderer Nationen jener Zeit bewertet werden.1339 Nicht zuletzt verbesserte sich das Problem landwirtschaftlicher Überschüsse

______in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 76f. Vgl. zu den deutsch- polnischen Beziehungen 1933 bis 1939 HILLGRUBER: Zerstörung Europas. S. 147-168. 1333 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 133ff. Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 211. Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 89ff. 1334 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 94-104. 1335 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 92. 1336 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 92. 1337 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 93 und SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 142. 1338 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 138. 1339 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 93.

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und ungleicher Handelsbilanzen realwirtschaftlich gesehen durch das Handelsgesetz weniger als dies in der Perzeption der amerikanischen Zeitgenossen wahrgenommen wurde.1340 Dies lässt auf die fern des innen- politischen New Deal liegenden langfristigen, progressiv-idealistischen Beweggründe Roosevelts und seiner Berater hinter jenen außenwirt- schaftspolitischen Maßnahmen schließen. Die reziproken Handelsangebote an wirtschaftlich schwächere Nationen wurden zu Recht von allen Seiten als klares politisches Zeichen entweder einer zu erwartenden egalitär angelegten Kooperation oder alternativ wie im Falle Deutschlands einer Konfrontation gewertet. Während die deutsche Regierung die Aufkündigung des Handelsvertrags vermutlich nicht als Provokation oder endgültige Beendigung der friedlichen Handelsbeziehungen geplant hatte, nahm das sowohl konservative als auch progressive Beamte umfassende State Department diesen Schritt als Herausforderung auf: 1341 die Konsequenz aus einer folgenreichen Fehleinschätzung der amerikanischen Absichten durch die Führung in Berlin. William Edward Dodd hatte sich dessen als Botschafter persönlich in seinen Verhandlungen mit Neurath, Schacht, Dieckhoff und Bülow und anhand der Weisungen aus Washington überzeugen können. Die ökonomischen Auseinandersetzungen „signalisierten […] ein weit über diesen Bereich hinausgehendes, tiefgreifendes Auseinanderdriften der politischen Werte sowie auch der ideologischen Grundhaltung”.1342

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1340 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 80f. 1341 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 145-168. Besonders die Seiten 160-165. Vgl. auch die deutschen Akten, zum Beispiel ADAP, Serie C, Bd. II,2, Dok. 457 (S. 813ff.). Vor allem Dieckhoff betont gegenüber der Botschaft Washington über das Jahr verteilt wiederholt und nachdrücklich, die Handelsbeziehungen müssten bald möglichst geklärt und deshalb müsse der amerikanischen Regierung gegenüber auf direkte Verhandlungen gedrängt werden. Vgl. auch Moffat Diary, 18. Januar 1934. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 02, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1934- 1935. Moffat beschreibt, wie den Präsidenten, die öffentliche Meinung und ihn selbst die deutschen Handelsdiskriminierungen verärgerten, und dies schon im Januar 1934. Er schreibt, dass dies die denkbar unklügste Politik sei, die die deutsche Regierung verfolgen könne: „The President is becoming more and more worked up about the German discrimination against us and is planning to adopt the very strongest form of protest ”. Vgl. auch Moffat Diary, 6. Juni 1934. Ebenda. Moffat stellte fest, dass Hull und die Entscheider im State Department einig in ihrer Ablehnung gegenüber deutschen Vorschlägen zu Tauschgeschäften waren. 1342 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 93.

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Diese Grundhaltung auf Seiten der amerikanischen Administration war im Jahre 1934 besonders durch fünf Persönlichkeiten weiterentwickelt worden, die sich in ständiger Auseinandersetzung mit den verschiedenen politischen Strömungen in den drei staatlichen Gewalten sowie in der öffentlichen Meinung befanden: Franklin Roosevelt, Colonel House, Judge Moore, Cordell Hull und William Phillips. Neben Colonel House‘ direktem Einfluss1343 innerhalb der Administration und in seinen alten Netzwerken in Europa sowie neben Cordell Hulls 1344 überzeugender Politik in Handel und Außenwirtschaft mit entscheidenden Konsequen- zen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, spielten der Präsident und seine Staatssekretäre im State Department, Moore und Phillips, auch 1934 eine wesentliche Rolle für die amerikanische Deutschlandpolitik. R. Walton Moore, dessen Ruf als unabhängiger Demokrat eine fast hindernisfreie Karriere ermöglicht hatte, formte innerhalb der Demokra- tischen Partei eine politische Allianz der progressiven Internationalisten mit Hull und Colonel House. Für Roosevelt spielte er eine wesentliche Rolle als Verbindungsmann zum Kongress und damit für die Weiter- entwicklung der Neutralitätsgesetzgebung. Nicht wenige Male hatte Moore seinen Vorgesetzten Hull gegen Angriffe aus der kritischen Presse um Hearst und andere verteidigt.1345 William Phillips‘ Rolle – wenn auch nicht zu den direkten Verbündeten dieser Politiker und noch viel weniger William Dodds zählend – muss als entscheidend für die problemlose Routine innerhalb des State Departments anerkannt werden. Ungeachtet der mangelnden Erfahrung des Außenministers, einen büro- kratischen Apparat wie diesen administrativ und finanziell zu verwalten, sorgte Phillips für die Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen, zu wenigen Abweichungen neigenden außenpolitischen Linie in der All- tagsarbeit der Diplomaten.1346 Keine Persönlichkeit beeinflusste die amerikanische Deutschlandpolitik so meisterhaft wie Franklin Delano Roosevelt. Als außergewöhnlich bezeichnet Casey Roosevelts Talent, Einfluss auf die amerikanische öffentliche Meinung und verschiedene Teile der Bevölkerung auszuüben,

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1343 Vgl. HODGSON: House. S. 271. 1344 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 102. 1345 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 42-45 und 104f. 1346 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 102f.

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ohne massiven Druck anzuwenden oder Unwahrheiten zu verbreiten.1347 Casey führt dies auf die Tatsache zurück, dass der amerikanische Präsident besonders gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland eine sehr differenzierte Sichtweise an den Tag legte. „In fact, he continually focused only on the ideological threat posed by Nazism and persistently refused to indict the entire German nation even after he became privately convinced that the mass of Germans were little better than their Nazi masters”.1348 In dieser moderaten Haltung stimmte er mit seinem Botschafter in Berlin überein. Casey begründet diese Unterscheidung zwischen Nationalsozialisten und Deutschen mit dem Einfluss der Botschafterberichte auf den Präsidenten. Wie William Dodd verachtete er die antidemokratischen und gewalttätigen Exzesse der Nationalsozialisten, ihre finanzpolitischen Tricks, die Propaganda- maschinerie und ihre Brutalität. Die Rolle der deutschen Bevölkerung hierbei ließ er in seinem negativen Urteil außen vor. Aus diesem Grund teilte Roosevelt mit Dodd und den großen Meinungsbildern und Deutschlandberichterstattern wie Edgar Mowrer, William Shirer und Frederick T. Birchall den Glauben, die Amerikaner eines spezifischeren Deutschlandbildes belehren zu können.1349 „Roosevelt constantly worried that much of the population did not truly understand the extent of the danger”.1350 Sein bewundernswerter Umgang mit der Presse, die Fireside Chats und die später von ihm entwickelte „Germany First-Strategie“

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1347 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. xix, xxif, xxv. 1348 CASEY: Cautious Crusade. S. xxi. 1349 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 6f. und 20. Vgl. auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 72. Um Shirer, Lochner und Mowrer entstand Anfang der 1930er Jahre „eine ungewöhnlich kompetente Generation amerikanischer Korrespondenten aus Berlin […, die] vor einer radikalisierten Mittelschicht […und] einem um sich greifenden Antisemitismus in Deutschland“ warnten. Dies, so Reuther, führte bereits wenige Monate nach der „Machtergreifung“ zu einer entscheidenden Beeinflussung der amerikanischen öffent- lichen Meinung. Vgl. eine Zusammenstellung der Deutschland-Berichte der angelsäch- sischen Pressevertreter, die auf Dodds Berichterstattung und die amerikanische Öffent- lichkeit einen wesentlichen Einfluss ausübten in FISCHER, Heinz-Dietrich (Hrsg.): Outstanding International Press Reporting. Pulitzer Price Winning Articles in Foreign Correspondence. Bd. 1: 1928-1945. From the Consequences of World War I to the End of World War II. Berlin, New York 1984. 1350 CASEY: Cautious Crusade. S. 4. Vgl. zu Roosevelts durch seinen Lehrer in Groton, Endicott Peabody, beeinflusste Haltung zur Pflicht eines Präsidenten, wie ein Lehrer die Öffentlichkeit über die wahren Verhältnisse aufzuklären und zu erziehen, um eine bessere Gesellschaft zu erzielen SCHLESINGER: Coming of the New Deal. S. 557ff.

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beweisen, dass Roosevelt den Tendenzen der öffentlichen Meinung seines Landes meist einen Schritt voraus war und er besonders mit seinem von ihn gezeichneten Deutschlandbild mehr und mehr den maßgeblichen Einfluss auf seine Wahlbevölkerung ausübte. Umgekehrt, so Casey, ließ sich Roosevelt nie direkt von der außenpolitischen Meinung der Bürger in seinen Entscheidungen beeinflussen.1351 Das nationalsozialistische Deutschland stellte über handels- und finanz- politische Erwägungen hinaus einen Sonderfall für Amerikas außenpoli- tische Beziehungen dar. Viele Isolationisten waren durchaus von der kriminellen Energie der neuen deutschen Führungsspitze überzeugt.1352 Nur wenige Bürger zeigten in den Anfangsjahren der Roosevelt- Administration Interesse an einer Konzessionspolitik gegenüber Hitlers Forderungen.1353 Groß, wenn auch mit wenig Einfluss auf die konkret umgesetzte Politik 1934, war die Zahl jener, die sich für eine aktive Rolle der USA gegen das nationalsozialistische Deutschland stark machten: Senator Millard E. Tydings aus , der sich für eine Resolution zur Wiederherstellung der Rechte von Juden in Deutschland einsetzte, Representative Samuel Dickstein aus New York, der erfolgreich die ______

1351 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 31f., 213-218. Vgl. zur Diskussion um die amerikanische öffentliche Meinung und Deutschlandbilder zwischen den und während der Weltkriege REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 32f. Besonders in Krisenzeiten tendiere die Öffentlichkeit dazu, der Linie des Präsidenten loyal zu folgen. Reuther definiert diese Öffentlichkeit und ihre „opinion makers“ (kursiv im Original auf S. 32) wie folgt (S. 32:) „An der Spitze der Pyramide steht eine zahlenmäßig kleine Gruppe von Politikern, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Nachrichtenredakteuren und Journalisten. Sie formen die öffentliche Meinung durch Auftritte, Reden, Kampagnen, Berichte und Kommentare”. Reuther bemerkt darüber hinaus (S. 33:) „In der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik finden sich jedoch nur wenige Fälle, in denen ein amerikanischer Präsident eine seinen eigenen politischen Konzepten widersprechende Politik mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung vorangetrieben hat”. Vgl. auch Reuthers Kapitel zu den Trägern und Produzenten der öffentlichen Meinung in den USA auf den Seiten 45-54. Vgl. auch Roosevelts ersten Fireside Chat 1934, in welchem er die Zuhörer direkt anspricht und fragt, ob sie eine Verbesserung ihrer Verhältnisse erlebt hätten. The First „Fireside Chat“ of 1934 – „Are You Better Off Than You Were Last Year?” In The Public Papers and Addresses Vol. 3: The Advance of Recovery and Reform 1934. New York 1938. Dokument 114. S. 312-318. 1352 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 24. Vgl. hierzu auch REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 75. Reuther räumt jedoch ein, dass viele Isolationisten dazu neigten, die Terrorherrschaft im „Dritten Reich“ zu unterschätzen, da ein Vorgehen gegen selbiges ihren eigenen Argumentationslinien widersprochen hätte. 1353 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 214.

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Gründung eines House Special Committee on Un-American Activities1354 zur Untersuchung nationalsozialistischer Aktivitäten in Amerika voran- trieb, oder die 20.000 Bürger, die im Madison Square Garden in New York ein Scheinverfahren gegen Hitlers Verbrechen durchführten, sind nur einige wenige Beispiele für zahlreiche engagierte Amerikaner im Jahr 1934. Deutschland stand demnach im Kern der Diskussionen zwischen Isolationisten und Internationalisten, die die gemeinsame Sorge um den Erhalt des Friedens teilten.1355 Diese Fakten zeigen, dass William Edward Dodds Überzeugung, die amerikanische Öffentlichkeit bezüglich der langfristigen Gefahren eines sich aggressiv gebärdenden nationalsozialis- tischen Deutschlands von ihrer isolationistischen Vorstellung abbringen zu können, keine abwegige oder gar aussichtslose war. Der Nährboden für eine fortgeführte Debatte zwischen Isolationisten und Internationalisten existierte bereits, und es war das Verdienst von Dodd, Hull, Roosevelt und weiteren Politikern der Administration wie Hopkins, Morgenthau und Ickes, dass die Internationalisten am Ende der 1930er Jahre die ausgefeilteren Argumente bereit halten konnten. Im Jahr 1934 war hierfür aber noch nicht der Zeitpunkt gekommen. Roosevelt scheiterte mit seinem Plan, die Vereinigten Staaten dem Ständigen Internationalen Gerichtshof beitreten zu lassen, an seinem Entgegenkommen und dem trotzdem entstehenden Gegenwind von Seiten der Isolationisten in Politik, Bevölkerung und Medien.1356 Mit dem Zusammenbruch des Marinerüstungsregimes der Washingtoner Verträge hatte sich in der zweiten Hälfte 1934 eine Abwärtsspirale für inter- nationale Kooperation in Gang gesetzt,1357 die kaum mehr aufzuhalten war und das internationale System und seine Mechanismen „beyond repair“1358 zerbrechen ließ. Es waren nicht nur die Ereignisse des 30. Juni 1934, die Hitlers Regime in jenem Jahr gefestigt hatten. Washingtons Zurückhaltung und Politik des „non-involvement“ 1359 , wie auch die der anderen Hauptstädte, hatte zu einer äußeren Stabilisierung des

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1354 Vgl. zu den Investigationen DENTON: Plots Against the President. S. 204-213. 1355 Vgl. zu diesen Beispielen und zu Jonas‘ These, dass Deutschland sich im Kern der außenpolitischen Diskussion der Vereinigten Staaten befand JONAS: The United States and Germany. S. 216f. 1356 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 70f. und ADLER: Uncertain Giant. S. 158f. 1357 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 91. 1358 IRIYE: Globalizing of America. S. 145. 1359 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 73.

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deutschen Regimes geführt.1360 Dodds Briefe und Berichte zeugen davon, dass sich der Botschafter dieser Diskrepanz zwischen der aktuellen Wirklichkeit der amerikanischen Außenpolitikformulierung gegenüber Deutschland und der prognostizierten Entwicklung der deutschen Lage immer bewusster wurde, die eigentlichen Beweggründe für die zurück- haltende Politik der Westmächte einschließlich Amerikas aber in ihrer tatsächlichen tiefen Verwurzelung unterschätzte. Die Ereignisse des Sommers 1934 hatten für den amerikanischen Botschafter zu einem deutlichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Gestalt und des Wesen des Regimes und der Einflussmöglichkeiten der alten Eliten geführt. Letzteren lastete er erstaunlicherweise keine persönliche Schuld an, wobei ihn ihre Ausreden und Floskeln zunehmend ungeduldiger und verärgerter werden ließen.1361 Die Erkenntnis, dass wie im Falle George Messersmiths und George Earles selbst US-Diplomaten nicht wirklich sicher waren, sowie die Ungewissheit vor und nach den Juni- und Julimonaten verstärkten den von der gesamten Dodd-Familie empfundenen Druck und Stress. Zum Rücktritt konnte sich der progressive Demokrat zu diesem Zeitpunkt dennoch nicht durchringen. Sicherlich nicht ohne Grund hatte ihn Judge Moore aufgrund seiner Leistungen zum Bleiben bewegt. Keinen Rücktritt, jedoch einen Rückzug trat der Botschafter aber insofern an, indem er seine Kontakte zur nationalsozialistischen Führung fast vollständig abbrach und sein soziales Netzwerk auf ver- trauenswürdige Freunde und Informationsquellen reduzierte. Darüber hinaus verfestigte sich die Erkenntnis, dass das Bürgertum in Deutschland doch vielleicht nicht so liberal war, wie der Präsident und William Dodd gehofft hatten. Die stille Zustimmung oder Fügung der Bevölkerung, der Beginn eines Personenkultes um Adolf Hitler und ein offensichtlich werdender Militarismus hinterließen ihre Spuren in Dodds Deutschlandbild und veranlassten ihn zu einem negativ aus- fallenden „Psychogramm“ der deutschen Seele, auch wenn er in seiner

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1360 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 63 und 72f. 1361 Vgl. zur Rolle der Eliten vor und nach den Junimorden, hier am Beispiel Hans Heinrich Dieckhoffs, TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 136-145. Taschka bezeichnet den 30. Juni 1934 als „Wendepunkt für die konservativen Kräfte in Deutschland” (S. 144). Vgl. auch WEITZ: Hitlers Bankier. S. 228, 239 und 241-245 zu Dodds berechtigten Zweifeln an Hjalmar Schachts Vertrauenswürdigkeit sowie der Diskussion um Schachts Rolle und Schuld in Bezug auf die nationalsozialistische Finanz- und Wirtschafts- sowie Verfolgungspolitik.

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Berichterstattung weiterhin zwischen Nationalsozialisten und Bevölke- rung unterschied. Sein Bild der Deutschen, eben weil er selten konkret bei einem einzelnen Individuum den Grad der Angepasstheit ausmachen konnte, blieb hoffnungsvoll bis positiv. Sein vorsichtiges Verhalten nach dem 30. Juni rührte stärker von der Absicht, keinen Deutschen durch engen Kontakt in Gefahr zu bringen, als von einer Abneigung oder der Angst, instrumentalisiert zu werden.1362 Dies führte vermutlich auch dazu, dass der Chicagoer Professor die Rolle der Reichswehr1363 sowie Hindenburgs1364 bis zu ihrem Ende unterschätzte. Mit seiner Meinung zu den nationalsozialistischen Führern und mit seiner Art der Berichterstattung fand sich Dodd jedoch in Berlin nicht allein. Die Beziehung zu den britischen, französischen, spanischen und niederländischen Repräsentanten und ihre geheimen Absprachen prägten seine Berichterstattung: Eine Kooperation der USA mit diesen Nationen war möglich! Doch die eigentliche Tiefe der Kluft zwischen den Haltungen der Regierung, der Bevölkerung und der diplomatischen Vertretern unterschätzte der Botschafter genauso wie die tiefen Gräben, die mittlerweile in der außenpolitischen Debatte innerhalb des State Departments, des US-Kongresses und der Administration entstanden waren. Für William Dodd stand 1934 fest, dass die nationalsozialistischen Pläne für eine neue Elite, eine deutsche Weltordnung und bedenkliche Maßnahmen, die die „biologisierenden“ Postulate der nationalsozialis- tischen Rassenideologie in die Realität umsetzten, eine dunkle Seite des deutschen Wesens offenbarten: Ein von einer explosiven Mischung aus Minderwertigkeitskomplexen, Antisemitismus, Terror und Obrig- keitsgläubigkeit zunehmend zerrissenes Volk, von dessen Führung keinerlei Konzessionen zu erwarten waren. Den korrekten Umgang mit dieser Problematik bezeichnete der progressive Denker als eine Heraus- forderung für die gesamte moderne Zivilisation. Diese Erkenntnis erhob

______

1362 Dies entspricht weiterhin Dodds stark durch seine Erfahrungen im Wilhelminischen Reich geprägtem Deutschlandbild, wie es viele Mitglieder der amerikanischen Eliten weit in die 1930er Jahre hinein teilten. Vgl. REUTHER: Die ambivalente Normalisierung. S. 61 und 67f. 1363 Vgl. BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 111. Bloch definiert an dieser Stelle die Rolle der Reichswehrführung für das Jahr 1934. 1364 Vgl. LUCAS: Hindenburg. S. 142. Lucas rechnet Hindenburgs Taten zu einer historischen Schuld auf, die „sein Wirken als Reichspräsident unter die wesentlichen Ursachen für das Zustandekommen des ‚Dritten Reiches‘“ fallen lässt.

364

die Deutschlandfrage zur globalen Frage, die William Edward Dodd schon 1934 nur mit einer neu eingeforderten, moralisch-ideologischen und praktischen Führungsrolle der demokratischen Vereinigten Staaten von Amerika in der Welt gelöst sehen wollte.1365

______

1365 Diese Ansicht teilte auch Franklin Roosevelt. Ohne auf die Details der umfangreichen Forschungsdiskussion zu Roosevelts Welt- und Amerikabild einzugehen, sei an dieser Stelle Mark Stoler zitiert: „Consequently FDR is often considered a synthesis of those Wilsonian beliefs and the more power-oriented beliefs of his cousin Theodore […]”. STOLER: Superior to the Competition. In: DOENECKE/STOLER: Debating. S. 117.

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UNIVERSITY PRESS

Stella Adorf, Jahrgang 1985, studierte an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg von 2005 bis 2009 Geschichte und Politische

Wissenschaft im Magisterstudiengang. 2 Teil Nach dem Magisterabschluss arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und am Zentrum für Angewandte Geschichte der FAU Erlangen, sowie als Dozentin im Fach Geschichte. Stella Adorf verbrachte drei Jahre in den USA, wo sie sowohl für ihre Dissertation im Fach Neueste Geschichte forschte als auch für eine Internationale Organisation tätig war. Seit Abschluss der Promotion in Erlangen 2015/16 lebt und arbeitet sie in Brüssel.

FAU Studien aus der Philosophischen Fakultät 6.2 A Fierce Battle for Democracy A Fierce

Stella Adorf

„A Fierce Battle for Democracy“

ISBN 978-3-96147-004-4 Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938

Teil 2 FAU UNIVERSITY PRESS 2016 FAU Stella Adorf

Stella Adorf

„A Fierce Battle for Democracy“ Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938

FAU Studien aus der Philosophischen Fakultät Band 6.2

Herausgeber der Reihe: Prof. Dr. Michele Ferrari und Prof. Dr. Rainer Trinczek

Stella Adorf

„A Fierce Battle for Democracy”

Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938

Teil 2

Erlangen FAU University Press 2016

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Verlag und Auslieferung: FAU University Press, Universitätsstraße 4, 91054 Erlangen

Druck: docupoint GmbH

ISBN: 978-3-96147-004-4 (Druckausgabe) eISBN: 978-3-96147-005-1 (Online-Ausgabe) ISSN: 2363-720X Inhaltsverzeichnis

Teil 1

1. Einleitung: Amerikanische Deutschlandpolitik der 1930er Jahre im Zentrum der politischen Transformation der Vereinigten Staaten von Amerika zur „Super-Macht“ 19

2. „Henceforth I Expect Criticism, Violent Criticism“. William Edward Dodds Leben und Wirken in Zeiten innen- und außenpolotrischer Reformen der USA 1869 bis 1932 51

2.1. Einführung und Schlüsselbegriffe der amerikanischen Innen- und Außenpolitik 51 2.2. Dodd und das Reformzeitalter: Reconstruction, Gilded Age, Progressive Era 60 2.3. Bittere Zeiten – Dodd und die Republican Restoration 105

3. 1933. Amtsantritt in Deutschland 113

3.1. „The President Calling”. Roosevelts Suche nach einem US- Repräsentanten im nationalsozialistischen Deutschland 114 3.1.1. Dodds Nominierung für den Botschafterposten in Berlin 114 3.1.2. Reaktionen auf Dodds Berufung in Deutschland und in den USA 135 3.1.3. Vorbereitungen und Ankunft in Berlin 145 3.2. „A Safe Haven“. Dodds soziales und politisches Netzwerk in Berlin 1933 156 3.2.1. Das gesellschaftliche Leben des Dodd-Haushaltes 156 3.2.2. Kontakte und Informanten in der Berliner Gesellschaft 161 3.2.3. Deutschlandreisen 173

3.3. „A Revelation of the Spirit and Temper of Official Germany – and the U.S.”. Dodds Rollen als Botschafter in Berlin 1933 174 3.3.1. Verhandlungsführer für Roosevelt 174 3.3.2. Berichterstatter für Roosevelt und das State Department 194 3.3.3. Dodds erweiterte Rolle als US-amerikanischer Repräsentant in Deutschland 208 3.3.4. Dodd als Leiter der US-Botschaft und seine Beziehungen zum State Department 1933 219 3.4. „A New Deal, and all the Consequences“. Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Neuausrichtung der US-amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik 1933 228

4. 1934. Tage des Terrors 255

4.1. „[T]he horrors of the last few days“. Terror und Gewalt des 30. Juni 1934 und Hindenburgs Tod 256 4.1.1. Die Tage und Wochen vor dem 30. Juni 1934: Dodds Vorahnung 256 4.1.2. Die Ereignisse des 30. Juni und ihre Folgen 261 4.1.3. Die Rolle und Berichterstattung Dodds bis zu Hindenburgs Tod 268 4.2. „We cannot surrender; burn us if you will!” Dodds soziales und politisches Netzwerk 1934 276 4.2.1. Das gesellschaftliche und politische Leben 276 4.2.2. Kontakte zur deutschen Bevölkerung und dem Bürgertum 285 4.2.3. Dodd und die Presse 289 4.3. „Dr. Dodd’s letter presents a rather dark picture”. Dodds Rollen als Botschafter in Berlin 1934 293 4.3.1. Verhandlungsführer für Roosevelt 293 4.3.2. Dodd als Leiter der US-Botschaft und seine Beziehungen zum State Department 1934 307 4.3.3. Berichterstatter für die Roosevelt-Administration und das State Department 313 4.4. „The Daily Grind of Reforming a World Power“. Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Schwerpunkte der US-amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik 1934 339

Inhaltsverzeichnis

Teil 2

5. 1935/1936. Konflikte in Berlin- und Washington 371

5.1. „Broadening Horizons”. Erweiterung der Perspektiven: Amerika zwischen weltpolitischer Selbstlähmung, Ideologisierung und aktiver Außenpolitik 1935/36 371 5.2. „Troubleshooting”. Störfaktor in Washington? Dodds Konflikt mit dem State Department zwischen isolationistischem „non-involvement“, Verfassungsstreit und Europäisierungsängsten 376 5.2.1. Das Senatsvotum zum Beitritt zum Ständigen Internationalen Gerichtshof und seine Folgen: Dodds Rolle im Streit isolationistischer und internationalistischer Strömungen in Washington 376 5.2.2. Dodd und der inneramerikanische Systemkonflikt als Ausdruck der Angst vor Europäisierung, Diktatur und Ideologien 388 5.2.3. Dodd und das State Department 1935/36: Zwischen Reformen, Rücktrittsüberlegungen und Intrigen 410 5.3. „Avoiding (To Become) Europe – In Any Circumstance?“ Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Schwerpunkte der US-Außen- und Deutschlandpolitik 1935/36 433

6. 1937. „High Tide“ – Auf beiden Seiten des Ozeans 461

6.1. „Can Democracy be preserved?“ William Dodds Rolle in Berlin und seine Berichterstattung deutschland- und weltpolitischer Ereignisse 1937: „Medienkrieg“, handelspolitischer Konflikt und Propaganda 465

6.2. „Open Conflict and New Alliances”. Dodd im transatlantischen Spannungsfeld der deutschen und der amerikanischen Außenpolitik 1937 512 6.2.1. Persona non grata. Dodds verschärfte Kritik am nationalsozialistischen Regime und die Reaktionen in Berlin 512 6.2.2. Höhepunkt des verfassungsrechtlichen Streites in Amerika und Dodds Warnung vor der „amerikanischen Diktatur“ 530 6.2.3. „Department Reshuffle – Dodd’s Temporary Defeat”. Neuorganisierung des State Departments, der Aufstieg Sumner Welles‘ und Dodds Abberufung 556 6.3. „Power Games and Ideology”. Fazit und Einordnung zu Dodds Rückberufung aufgrund innen- und außenpolitischer Faktoren in den USA und Deutschland 585

7. 1938. „A Fierce Battle for Democracy“. Der Kreuzzug beginnt 611

7.1. „Dodd’s Late Victory“. Beginn einer Kehrtwende der Deutschlandpolitik der Roosevelt-Administration 1937/38 612 7.2. „Crusade of Letters and Words“. Dodds Einflussnahme auf die öffentliche Meinung in den USA 1938 635 7.3. Exkurs: „Adviser in Bed“. Die letzten Monate des William Edward Dodd, 1939-1940 679 7.4. „All Eyes on Germany“. Fazit und Einordnung der Aufklärungskampagne William Dodds im Spiegel des Wandels der amerikanischen Europapolitik 1938 692

8. Zusammenfassung und Schlußgedanken: Die Bedeutung der Deutschlanderfahrungen William Dodds für den Wandel der US-Amerikanischen Deutschland- und Weltpolitik 713

9. Quellen- und Literaturverzeichnis 737

5. 1935/1936. Konflikte in Berlin- und Washington

5.1. „Broadening Horizons”. Erweiterung der Perspektiven: Amerika zwischen weltpolitischer Selbstlähmung, Ideologisierung und aktiver Außenpolitik 1935/36 Die Jahre 1935 und 1936 waren von zahlreichen Besonderheiten geprägt, welche die methodische Vorgehensweise in Bezug auf das vorliegende Kapitel und Dodds Rollen als Botschafter und Politiker bestimmen: Für die Vereinigten Staaten von Amerika entschied sich der erste große Schlagabtausch im internen Machtkampf zwischen Isolationisten und Internationalisten mit dem Votum im US-Senat gegen einen Beitritt zum Ständigen Internationalen Gerichtshof und mit der Neutralitäts- gesetzgebung zugunsten isolationistischer Kräfte sowie traditionalis- tischer Elemente der Roosevelt-Administration. Sie bedeutete für die amerikanischen Internationalisten eine endgültige Niederlage im Kampf um Woodrow Wilsons Idee einer amerikanischen Schlüsselposition bei der Verrechtlichung der Internationalen Beziehungen. Dies blieb nicht ohne Konsequenzen für die Innenpolitik – Roosevelts New Deal geriet nach ersten Erfolgen in eine politische und eine verfassungsrechtliche Falle, für deren „Zuschnappen“ der konservative Supreme Court sowie zahlreiche Abgeordnete des US-Kongresses und Vertreter der Öffent- lichkeit maßgeblich waren – sowie für die Kräfteverhältnisse bei der Formulierung amerikanischer Außen- beziehungsweise speziell in der Deutschlandpolitik. Zweifelsohne hatten diese Entwicklungen einen massiven Einfluss auf den Handlungsrahmen der progressiven Internationalisten in der Admi- nistration und die Durchsetzungsfähigkeit ihrer Ideen im eigenen System. Keinesfalls dürfen erfolgte oder nicht erfolgte Maßnahmen im Bereich der Außenpolitik mit den langfristigen Intentionen und Zielsetzungen der progressiven Regierungsmitglieder verwechselt werden, die in jenen Jahren nur selten in Form konkreter Politikformulierung zu Tage

371

traten.1366 Für William Dodds Perzeption und Berichterstattung bewirk- ten die welt- und europapolitischen Entwicklungen eine Erweiterung und eine neue Fokussierung der Perspektiven in zweierlei Hinsicht. Zum einen, aufgrund der Ereignisse 1935 und 1936, die eine Verschärfung des europäischen wie fernöstlichen Konfliktes darstellten, richtete sich Dodds Augenmerk nicht mehr nur auf die innerdeutschen Entwick- lungen, von welchen er selbstverständlich weiterhin berichtete, sondern zunehmend auf die Rolle des nationalsozialistischen Deutschland in allen europäischen Fragen und Richtungswechseln der Weltpolitik. Deutschland, genauer gesagt die nationalsozialistische Regierung, stand im Zentrum europa- und weltpolitischer Veränderungen, die der amerikanische Botschafter ohne den Blick für innenpolitische Details zu verlieren in seinen Depeschen und Briefen intensiv reflektierte. Dementsprechend kann Dodds Berichterstattung in die großen außen- politischen Entwicklungslinien jener Jahre eingeordnet werden, wird im vorliegenden Kapitel allerdings nicht im Detail behandelt. Zum anderen, angeschlossen an diese Adjustierung hin zu einer er- weiterten Perspektive auf die europäischen und außereuropäischen Verwicklungen, schweifte William Dodds Blick in verstärktem Maße zurück auf seinen Heimatkontinent. Die vermeintliche Aussichtslosigkeit der eigenen Lage vor Ort in Berlin greift als Erklärung zu kurz. So lassen sich mehrere Gründe identifizieren, weshalb Dodd einen zweiten Schwerpunkt seiner politisch-repräsentativen Tätigkeit aktiv in die USA verlagerte. Aus gesundheitlichen Gründen verbrachte Dodd in jenen zwei Jahren zahlreiche Monate in Virginia, sowohl auf seiner Farm, als auch in Washington, nicht nur um sich mit dem Präsidenten Franklin Roosevelt und weiteren Mitgliedern seiner Regierung persönlich austauschen und so die Administration beeinflussen zu können, sondern auch um Roosevelts Kampagne zur Wiederwahl in das Amt des

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1366 Vgl. zu den unzähligen verschiedenen politischen Erwägungen, die Roosevelt und seine Kabinettsmitglieder in den Jahren 1935/36 anstellen mussten, um die Regierungs- fähigkeit ihrer Administration sowie ihren Machterhalt jenseits der anstehenden Präsidentschaftswahlen aufrechtzuerhaten u.a. MORGAN: FDR. Das Kapitel „Stumbling in the Right Direction“ S. 412-441 sowie BLACK: Champion of Freedom. S. 343-403. Vgl außerdem DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 251. Roosevelt, so Dallek, habe durchaus weitere internationalistische Pläne vor allem angesichts der japanischen und deutschen Gefahr im Auge gehabt, diese aber spätestens mit dem Negativvotum des Kongresses bezüglich des Beitrittes zum Internationalen Schiedsgericht vorerst verwerfen müssen.

372

Präsidenten vor Ort zu unterstützen. Im Fokus standen für Dodd Gespräche mit liberalen, progressiven Kollegen hinsichtlich der Chancen eines erneuten Wahlsieges und der Formulierung innenpolitischer und außenpolitischer Prämissen. Auch der aufklärende Einfluss auf die amerikanische öffentliche Meinung war ein besonderes Anliegen Dodds, ein weiterer Grund, weshalb er in seiner Heimat einer verstärkten Rede- und Lehrtätigkeit nachging. Zweifelsohne verstand er „Aufklärung“ als notwendige Maßnahme gegenüber den amerikanischen Senatoren, die ihr politisches Gewicht gegen eine internationalistische Ausrichtung Amerikas, für eine starke Neutralitätsgesetzgebung und vereinzelt auch gegen Franklin Roosevelts New Deal in die Waagschale des Checks and Balance-Systems geworfen hatten. Mit einem klaren Bild vom nationalsozialistischen Deutschland vor Augen – die Ereignisse 1933 und 1934 hatten tiefe Spuren in Dodds Deutschlandbild hinterlassen – hatte sich William Dodd vorgenommen, den amerikanischen Mitbürgern die deutsche und die europäische Situation ungeschönt zu schildern und so ein Umdenken zu bewirken. Hierbei verfolgte er das Ziel der Wiederwahl Roosevelts und besonders eines möglichen Umschwenkens auf eine internationalistisch ausgerichtete Politik der Eindämmung Deutschlands, Japans und Italiens: Auch dieser Beweggrund lenkte seine Blickrichtung zurück in die Heimat. Die drei genannten Länder bildeten für den amerikanischen Progressiven wie für einige seiner Kollegen 1367 in jenen zwei Jahren bereits eine ideologisch perzipierte „Achse“ expansionistischer Mächte, bevor von einer solchen offiziellen Zusammenarbeit die Rede sein konnte. Ihren Macht- und Einflussbereich brachte Dodd in seinen Briefen, Reden und Äußerungen spätestens 1936 in direkte Verbindung mit der Sicherheit der westlichen Hemisphäre und dem Erfolg oder Scheitern der wirt- schaftlichen und politischen Erholung der Vereinigten Staaten. Mit diesen Ansichten fand sich William Dodd nicht alleine wieder. Vielen,

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1367 Vgl. z.B. George S. Messersmiths Einschätzungen über das nationalsozialistische Deutschland 1935/36, DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 264f. Vgl. SCHMITZ, David F.: The United States and Fascist Italy, 1922-1940. Chapel Hill, NC, London 1988. S. 178f. Messersmith gehörte zu den überzeugtesten und frühesten Gegnern einer Appeasement- politik. Seine Warnungen vor den Achsenmächten und Mahnung zum Erhalt einer kollektiven Sicherheit führten zu direktem Widerstand im State Department und Skepsis innerhalb der Roosevelt-Administration. Vgl. auch Junkers Ausführungen zur Haltung der progressiven Internationalisten in JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 173ff.

373

sogar seinem Unterstützter im State Department, Judge Moore, galt der amerikanische Botschafter in Berlin zwar als „Panikmacher“1368 was die weitere europäische Entwicklung betraf, doch nicht wenige teilten seine Sorgen um die Zukunft Amerikas in einer destabilisierten Welt. Die folgenden Seiten dieses Großkapitels werden anhand der Quellen und Literatur zeigen, wie stark in den Vereinigten Staaten von Amerika Regierung und Opposition in ihren Entscheidungen von Ängsten und Unsicherheiten gelenkt wurden, die nur mit der in jener Zeit vor- herrschenden allgemeinen Verunsicherung und Krisenwahrnehmung erklärt werden können. Wie sollte man auf die sich immer aggressiver gebärdenden Diktaturen adäquat reagieren ohne das eigene System in Frage zu stellen oder zu gefährden? Diese Identitätskrise, die sich in den USA der 1930er in den innenpolitischen Debatten besonders auffällig bemerkbar machte, bewirkte eine schrittweise Ideologisierung in der Auseinandersetzung mit den großen politisch-gesellschaftlichen Welt- anschauungen der damaligen Zeit. Folgt man dieser allgemeinen, ersten These des Kapitels, so wurde in jenen Jahren der Grundstein für eine permanente externe und interne Gefahrenperzeption und einen lang- fristigen Wandel in der Politik gelegt, für welche Dodd wie kein anderer exemplarisch steht. Sicherlich waren Roosevelt und seine Berater von zahlreichen realpolitischen Überlegungen und Zwängen gelenkt. Dennoch standen soziale und verfassungsrechtliche Fragestellungen um Prosperität, Freihandel, Pressefreiheit und umfassende Reformen für die New Dealer um Roosevelt im Mittelpunkt und stellten besonders für die progressiv gesinnten unter ihnen einen Entscheidungspunkt des amerikanischen Systems zwischen Diktatur und Regierung der Minder- heit und demokratisch eingerahmter Reform im Sinne der Gründerväter dar. Die Tatsache, dass diese im Grunde genommen inneramerikanischen Herausforderungen von Dodd, Roosevelt und weiteren Mitgliedern der Regierung in direkten Zusammenhang mit der Ausbreitung des Faschis- mus und Nationalsozialismus in Europa und Fernost gebracht wurden, spricht für eine ideologische, nicht rein real- und machtpolitische

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1368 Vgl. Moore an Roosevelt, 11. November 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „The [Dodd’s] first letter of November 1st is extremely pessimistic with reference to the future of the Democratic principle and world peace. I now and then tell Dr. Dodd that he is inexcusably hopeless”.

374

Auffassung des Handlungsrahmens amerikanischer Außenpolitik und Perzeption der Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Eine zweite, spezifischere These zum Umbruch jener Jahre 1935 und 1936 im amerikanischen System bezieht sich auf den Stillstand der deutsch- amerikanischen Beziehungen, der bereits Mitte 1934 – wie im vorherigen Kapitel gezeigt - begonnen hatte und sich in jenen Jahren festigte. Ohne in diesem Großkapitel im Detail auf die deutschen innen- und außenpolitischen Entwicklungen und Dodds fortwährend negative Berichterstattung hierzu einzugehen ist festzuhalten, dass das Zu- sammenspiel aus innenpolitischen Maßnahmen und Ereignissen in den USA und in Deutschland sowie der neuen Kräfteverhältnisse in Europa vom Laval-Mussolini-Pakt bis zum Antikominternpakt die Zerstörung des Versailler Systems kollektiver Sicherheit bedeutete und zunächst ein faktisches non-involvement der amerikanischen Seite ergab, welches auf einen ersten, unspezifischen Blick als temporär abhängig von außen- politischen Entscheidungen gewertet werden könnte. Tatsächlich aber wurde eine auf ideologischen Gegensätzen beruhende Sackgasse der deutsch-amerikanischen Beziehungen auf allen Ebenen erreicht. Schon 1935/36 war das deutsch-amerikanische Verhältnis in Ermangelung von Handlungsspielräumen quasi eingefroren. Methodisch ergibt sich aus der Erweiterung auf den globalen Rahmen und zeitgleich widersprüchlichen Verengung amerikanischer Perspek- tiven auf das Sicherheitsbedürfnis des eigenen (Sub-)Kontinents die Frage der Herangehensweise an eine angemessene Schilderung von Dodds Rollen in diesen zwei entscheidenden Jahren. Eine Zweiteilung des Kapitels bietet sich hierbei an, um Dodds Funktion als Leiter der amerikanischen Botschaft, insbesondere seinen Konflikt mit dem State Department und anderen konservativen Vertretern aus Administration und Opposition sowie seine Rolle in den inneramerikanischen Debatten und Auseinandersetzungen um Neutralität, Reform, Handelspolitik und kulturell-politische Dominanz darstellen zu können. Im Mittelpunkt stehen deshalb Dodds Haltung zu den innen- und außenpolitischen Debatten in den Vereinigten Staaten, seine Gefahrenperzeption und Ratschläge an die Administration, sowie die sich verschärfende Ausein- andersetzung mit konservativen Beamten im State Department. Dieses Kapitel stellt die These auf, dass Dodds Konflikt mit den traditionalis- tischen, außenpolitisch konservativen Eliten in Amerika die tiefer wer- dende Kluft innerhalb der amerikanischen Innenpolitik der 1930er Jahre

375

widerspiegelte, die zu jenem Zeitpunkt in Gestalt von Neutralitäts- gesetzen, isolationistisch geprägten Kongressabstimmungen und weiteren Punkten immer deutlicher zu Tage trat. Die größte Rolle sowohl für Isolationisten und Internationalisten, Progressive und Konservative im Ressort der Außenpolitik spielte hierbei der Richtungsstreit über zwei Problemstellungen: 1) über die psychologischen und politischen Folgen einer Beobachtung Europas und Asiens am Abgrund eines neuen großen Krieges; und 2) über die perzipierte und die tatsächliche Gefahr einer „Europäisierung“ der amerikanischen Politik in Hinblick auf einen ver- mehrten Einfluss europäischer Ideologien auf die öffentliche Meinung und gar eine diktatorisch ausgeübte Kontrolle der Massen durch eine Minderheit von Politikern, sollte das amerikanische System in seinem verfassungsrechtlichen Rahmen, zerrieben zwischen der Macht der Senatoren, der Exekutive und des Obersten Verfassungsgerichtes, weiter geschwächt werden. Jener Richtungsstreit bewirkte eine „Internalisie- rung“ originär außenpolitisch relevanter Fragen und eine selbstverordnete Beschäftigungstherapie mit den Problemen des eigenen Systems bis über das Ende der 1930er Jahre hinaus.

5.2. „Troubleshooting”. Störfaktor in Washington? Dodds Konflikt mit dem State Department zwischen isolationistischem „non-involvement“, Verfassungsstreit und Europäisierungsängsten

5.2.1. Das Senatsvotum zum Beitritt zum Ständigen Internationalen Gerichtshof und seine Folgen: Dodds Rolle im Streit isolationistischer und internationalistischer Strömungen in Washington „We have undertaken a new order of things; yet we progress to it under the framework and in the spirit and intent of the American Constitution. […] Throughout the world change is the order of the day. In every Nation economic problems, long in the making, have brought crises of many kinds for which the masters of old practice and theory were unprepared”.1369

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1369„Annual Message to the Congress”, January 4, 1935, in The Public Papers and Addresses, Vol. 4: The Court Disapproves 1935 (1938). Dokument 1. S. 15. Vgl. zu dieser Rede und ihren Auswirkungen auch BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 286f.

376

Präsident Franklin Delano Roosevelt konfrontierte in dieser „State of the Union Address“ am 4. Januar 1935 bewusst seine Wähler und die Bürger des Landes mit einer eindeutigen Aussage zum Verhältnis zwischen Fortschritt und Reform und der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Er vollzog 1935 einen „lurch to the left“1370 in die progressive Richtung, die nicht allen politischen Kräften im Land gefiel. Denn im Kern der hochkomplexen, politischen und gesellschaftlichen Aus- einandersetzungen der USA in der Mitte der 1930er Jahre befand sich die seit Gründung der Vereinigten Staaten von Präsidenten und Politikern des Landes ständig wiederholte Frage nach der Verfassungskonformität politischer Neuausrichtungen und Maßnahmen im amerikanischen System. Keineswegs kann diese Debatte losgelöst von der Gesamtheit politischer Fragestellungen betrachtet werden; vielmehr gehört sie zu einem Konglomerat politischer und sozialer Ideen, wie sie seit der Jahrhundertwende von Politikern und Denkern in Bezug auf die Be- schaffenheit, Unabhängigkeit und Zukunft des amerikanischen Systems debattiert wurden. Vertretern aller politischer Gesinnungen und Denk- richtungen – oft sind diese nicht leicht zu kategorisieren und aus- einanderzuhalten – teilten den „Metus Americanus“, die Furcht vor Fremdbestimmung in der ehemaligen britischen Kolonie und die damit zusammenhängende Frage nach der richtigen Balance der Gewalten in der Verfassung, um die Unabhängigkeit zu bewahren ohne eine Starre des Systems zu bewirken. Für seine Anhänger stellte Franklin Roosevelts Politik mit ihrem Bekenntnis zum Fortschritt – Progress – den richtigen Weg auf der Grundlage der US-Verfassung dar, um die wirtschaftliche Krise unter Bewahrung der Unabhängigkeit zu meistern und um Veränderungen die richtige Stoßrichtung zu einer „new order of things“ zu geben.1371 Seinen Wählern galten konservative

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1370 BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 278. Zitat in Anführungsstrichen im Original. Die Autoren bringen diesen Linksruck mit Roosevelts Vorhaben in Einklang, linken Kräften wie Long und Townsend Wählerstimmen abspenstig zu machen. 1371 Vgl. SCHLESINGER: Politics of Upheaval. S. 601-625. Schlesinger erklärt in diesem Kapitel, wie der Kampf um die Wiederwahl Roosevelts essentiell in den politischen und gesellschaftlichen Debatten sich um die Rettung des „American Way of Life“ drehte. Vgl. auch BURNS: The Lion and The Fox. S. 264-288 zu Roosevelts erfolgreichen Versuchen, die bestehenden Koalitionen, die ihn an die Macht gebracht hatten, trotz aller Zerwürfnisse und Gegensätze für die Wiederwahl 1936 zusammenzuhalten. Für die unterschiedlichen Themengebiete der Debatten um den New Deal und seine Verfassungs- konformität beziehungsweise um die Zukunft des amerikanischen Systems siehe Fußnote

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Oppositionelle als die Kräfte, die durch ihre Blockade der Reformen und des Kompetenzzugewinns der Exekutive dem Einfluss fremder Mächte langfristig ein Einfallstor in das durch die Great Depression geschwächte amerikanische System eröffneten. Seine Gegner, hierunter viele Politiker, die sich jenseits des progressiv-konservativen Gegensatzes vor allem für ein starres Checks and Balances-System aussprachen, sahen Amerika und seine Verfassung ganz besonders durch die einseitigen Eingriffe der Exekutive in zahlreiche Bereiche der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft gefährdet und generell in Frage gestellt. Interessensgegensätze und mannigfaltige politische Überzeugungen ma- nifestierten sich im Laufe der 30er Jahre in zwei großen politischen Gruppierungen, die in sich ebenso widersprüchlich wie vielseitig waren. 1372 Sie fulminierten 1935 in der Auseinandersetzung zwischen Isolationisten und Internationalisten, die letztlich die Frage nach Unab- hängigkeit und Weiterentwicklung des amerikanischen Systems mit der Verortung desselbigen in der Welt verbanden. Welche weltpolitische Rolle sollten die Vereinigten Staaten von Amerika wählen und welche Gewalt innerhalb und außerhalb der USA durfte hierauf Einfluss ausüben? Wenige Tage vor der wegweisenden Entscheidung des amerikanischen Senates über den Beitritt der USA zum Ständigen Internationalen Gerichtshof,1373 einer 1922 auf Basis von Artikel 14 der

______43 in Kapitel 5.2.2 zum NEW DEAL 1935/36. Vgl. zur Beziehung der Progressive Movement zum Supreme Court seit ihren Anfängen BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 360f. 1372 Vgl. MORGAN: FDR. S. 414. Morgan erklärt, dass in vielerlei Hinsicht die politischen Gegensätze im amerikanischen System Mitte der 1930er Jahre die Parteigrenzen sprengten: „But the isolationist reflex was stronger than party loyalty”. Vgl. zu den Auseinander- setzungen, auch und v.a. im progressiven Lager, COLE: Isolationists. S. 187-208. Vgl. auch HERZSTEIN: Roosevelt & Hitler. S. 86. „A strange ‚isolationist‘ alliance began to emerge […]”. Vgl. auch S. 87f. Vgl. auch LaFEBER: American Age. S. 383. Einige Isolationisten sprachen sich zwar gegen eine Intervention in Europa aus, befürworteten aber ein aktives Eingreifen auf Seiten Chinas gegen die japanische Aggression. Die Internationalisten neigten zu einer Vielzahl von Begründungen für ihre politische Einstellung, die von technologisch-wissenschaftlichen Argumenten (Ausbau des Flugverkehrs, schwindende Sicherheit durch die anliegenden Ozeane) über religiös-ethnische (Nähe weißer Protestanten zu Großbritannien) zu politologisch-theoretischen (Vernetzung der Welt) reichten. 1373 Vgl. zur Vorgeschichte und Debatte um einen Beitritt zum Ständigen Gerichtshof BAILEY: Diplomatic History. S. 631f. Vgl. auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 64. Vgl. eine sehr Roosevelt-kritsche Haltung bei KAHN, Gilbert N.: Presidential Passivity on a Nonsalient Issue: President Franklin D. Roosevelt and the 1935 World Court

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Völkerbundssatzung gegründeten Institution zur weiteren Verrecht- lichung und friedlichen Lösung globaler Konflikte im Sinne von Woodrow Wilsons „Making the world safe for democracy“-Konzept,1374 stand jene Auseinandersetzung zwischen Roosevelt-Unterstützern und Gegnern, zwischen Isolationisten, Internationalisten, Progressiven, Konservativen, vor einer weiteren entscheidenden Schlacht. Colonel House, Berater von Wilson und Roosevelt, stimmte mit William Edward Dodd, dem progressiven Botschafter der USA in Berlin, darin überein, dass diese Tage dem Präsidenten die letzte Chance bieten konnten, in der Innen- wie Außenpolitik eine Weichenstellung vorzunehmen. 1375 Allerdings war diese Hoffnung der Liberalen mit der Angst verbunden, das Gremium des US-Senates, also eine repräsentative Minderheit, könnte eine Mehrheit der amerikanischen Politik und Bevölkerung überstimmen – eine amerikanische Urangst seit der Gründerzeit und eine konzep- tionelle Fragestellung in Jean-Jacques Rousseaus Ausführungen zum staatsrechtlichen Vertrag aller mit allen und seiner republikanischen Umsetzung.1376 William Dodd verlieh seinen Befürchtungen in einem Briefwechsel mit Senator Robinson im Januar 1935 Ausdruck, in dem er vor den Gefahren einer falschen Beeinflussung durch die Presse, insbesondere der Hearst-Presse, die laut diverser Quellen in engem Kontakt mit den europäischen Diktatoren stand, warnte. Dies bedeutete im schlimmsten Falle nicht nur eine Fehlinformierung der Senatoren und der amerikanischen Öffentlichkeit; Indirekt bediente diese Vermu- tung die zweite älteste Furcht amerikanischer Politiker: die direkte

______Fight. In: Diplomatic History 4,2 (1980). S. 137-159. Für Kahn steht fest, dass Roosevelt in diesem sehr einfach zu gewinnenden Kampf mit der Opposition einfach zu passiv geblieben und damit die Initiativen von Hearst und Father Coughlin geradezu herausgefordert hätte. Diese passive Haltung habe ihm langfristig vor allem Nachteile für seine weitere Gesetzgebung und vor allem Außenpolitik eingebracht. 1374 Siehe Kapitel 2.2 zu Woodrow Wilsons außenpolitischem Konzept. 1375 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 210. „As to President Roosevelt’s attitude, we agreed that he looks upon the world dilemma much as we do, but that he fears violent opposition to any progressive move that he might take. […] Roosevelt must act this year or surrender in matters of American relations to distraught Europe”. Vgl. zu Roosevelts Appell an die Senatoren „A Recommendation for Adherence to the World Court”, January 16, 1935, in The Public Papers and Addresses, Vol. 4, 1935. Dokument 4. S. 40f. 1376 Vgl. ROUSSEAU: Gesellschaftsvertrag. Vgl. zum Topos der Angst vor dem Umsturz oder Zusammenbruch der Checks and Balances und den vorherrschenden Ängsten und Sorgen innerhalb der amerikanischen Politik auch BURNS/DUNN: Three Roosevelts. S. 313.

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und indirekte Beeinflussung und Steuerung amerikanischer Geschicke durch europäische Machenschaften.1377 Die volle Bedeutung des Senatsvotums gegen den Beitritt war William Dodd bekannt: Ein Fernbleiben der USA aus der Gesamtheit der Versailler Strukturen der Nachkriegsordnung konnte in seinen Augen für alle Seiten nur Nachteile mit sich bringen und musste die weitere Isolierung Englands sowie höhere Handelsbarrieren bedeuten.1378 Am schwersten wog, wie sich in den Folgemonaten herausstellen sollte, dass der Rückzug der Vereinigten Staaten aus jeder Form von aktivem Engagement die Formulierung einer geeigneten Außenpolitik und einer einheitlichen Front gegenüber Italien und Deutschland durch die demokratischen Staaten Europas noch schwieriger machen würde. 1379 Obwohl, oder gerade weil Dodd im Februar und im März 1935 in Washington, D.C. und Virginia weilte und die Debatten vor Ort miterlebte, um sich mit Ver- tretern der Regierung und anderen Politikern zu treffen, verschlechterte sich mit jener Nachricht, die den Isolationismus für die amerikanische Politik der Folgejahre festschrieb, Dodds Gesundheitszustand deutlich:

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1377 Vgl. Dodd an Senator Robinson, 30. Januar 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). „This is to say that I am asking the Department of State whether I ought not to resign in protest at the inistence [sic!] for ten years of a minority of the Senate on their right to govern the country. The one thing that rubs me the most in Europe is the absolutism of hopeless minorities. […] Europe is now threatened from Rome to Tokyo by a system which heads straight for medievalism. […] Hearst is an ally of dictatorship and has given large sums to Mussolini. He wants to see England and France smashed. Now Messrs Borah and Johnson fall for Hearst at home”. Auch Roosevelt ließ den Senatoren in Folge der Abstimmung Briefe zukommen und beschuldigte die- jenigen, die gegen einen Beitritt gestimmt hatten, indirekt, die Wahrscheinlichkeit von Krieg erhöht hatten. Vgl. FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 182. Vgl. auch CASEY: Cautious Crusade. S. 16. Casey postuliert, Roosevelt sei sich des negativen Einflusses der radikalen und der konservativen Presse – Hearst kontrollierte immerhin dreizehn Prozent aller US-Tageszeitungen inklusive Radiostationen, Filmfabriken und Zeitschriften; Colonel Robert McCormick den einflussreichen Chicago Daily Tribune – absolut bewusst gewesen. Seiner Meinung nach übten jene Zeitungsmogule einen schädigenden Einfluss auf die amerikanische Öffentlichkeit und störten so aktiv seine Reformpolitik. 1378 Vgl. Dodd an Roosevelt, 30. Januar 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. 1379 Vgl. Dodd an Nicholas Murray Butler, 1. März 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-B. Vgl. auch SIROIS: Illusion und Krieg. S. 68. Sirois bestätigt, dass der Rückzug der USA aus dem Weltgeschehen 1935/36 zu einem „entscheidenden Antriebs- und Destabilisierungsfaktor der europäischen Politik“ wurde.

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Sorgen, Müdigkeit und Anspannung bemächtigten sich des Botschafters, so sein Arzt Dr. Thomas Brown.1380 Sicherlich war dies auch eine Folge der bedrückenden Atmosphäre in Berlin in den Folgemonaten nach den Terroraktionen der Nationalsozialisten am 30. Juni 1934. Doch bewegten auch Kündigungsgedanken den amerikanischen Vertreter Anfang Februar 1935 als direkte Folge des negativen Ergebnisses der Senatsabstimmung und der Zerstörung von Wilsons Erbe.1381 Sowohl Assistant Secretary of State R. Walton Moore als auch Außen- minister Hull sprachen sich eindeutig gegen seinen Rücktrittswunsch aus: Der langfristige Zusammenhalt als politische Gruppe gelte mehr als kurzfristige politische Rückschläge.1382 Vielleicht, so Moore, war Roosevelt von seinem Beraterkreis, dem Brain Trust überrumpelt worden,1383 oder waren seine Berater generell die falschen, wie der Progressive Colonel Edward House vermutete. 1384 Letzterer versuchte auch im Jahre 1935 immer wieder, Dodd davon zu überzeugen, dass dieser in der Hauptstadt leicht einen Posten in der Administration erhalten konnte, der seinen Talenten und Erfahrungen entsprach und in dessen Rahmen Dodd der Regierung nützliche Dienste erweisen konnte.1385 Tatsächlich zeigte sich sogar der Präsident persönlich daran interessiert, was William Dodd mit den Senatoren und Abgeordneten im Auswärtigen

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1380 Vgl. Dr. Thomas R. Brown an Dodd, 9. Februar 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-B. 1381 Vgl. Dodd an Senator Robinson, 30. Januar 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935); sowie DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 211. 1382 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 211. „I saw Judge Walton Moore, and he advised against resignation. He said, ‘We must all fight our cause out to the end and stick together.’ He said that was Secretary Hull’s position too”. Es ist bemerkenswert, dass Hull an Dodd festhielt, selbst wenn er in Berlin aus Eigenperzeption oder tatsächlich nichts ausrichten konnte; S. 213: „Hull said: ‘ I hope you won’t resign even if you can do nothing now in Berlin. We also are helpless´ ”. 1383 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 211. 1384 Vgl. Colonel House an Dodd, 17. Februar 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. House befürchtete, dass es zum Bruch zwischen Cordell Hull und Roosevelt kommen könnte: „If he does [ - Cordell Hull resigns - ] God only knows who will go in his place, for some of the advisers of the President are urging him to do all the things of which we disapprove”. 1385 Vgl. Colonel House an Dodd, 17. Februar 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. „I wish you might be in closer touch for we need someone like you on the ground here to help”.

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Ausschuss des Kongresses im Februar besprochen hatte.1386 Dem Ab- geordneten Lewis hatte der progressive Dodd bereits erklärt, dass es vermutlich direkte Verbindungen zwischen dem US-Medienmogul Hearst und den Diktatoren Mussolini und Hitler gab; Persönlichkeiten, denen an nichts mehr lag, als Amerika aus der europäischen Politik fernzuhalten. 1387 Im Anschluss an die Gespräche im Foreign Affairs Committee des Senates mit den einflussreichen Senatoren Johnson, Robinson, George, Bulklely war Dodd der festen Überzeugung, dass die Aufklärung der Volksvertreter über die europäischen Verhältnisse und die Folgen eines negativen Votums zu einem früheren Zeitpunkt ein ganz anderes Abstimmungsergebnis bewirkt hätte, 1388 während einige Senatoren hoffnungslos im isolationistischen Denken verhaftet seien, wie er auf einem Dinner bei Assistant Secretary of Agriculture Rexford G. Tugwell Anfang Februar feststellen musste. 1389 Einigen Senatoren und Presseleuten warf Dodd eine eindeutig faschistische Gesinnung vor, eine Ansicht, die sich für ihn unter anderem bestätigte, als er später im Juli mit Henry Haskell, Herausgeber des Kansas City Star, zum Tee eingeladen war und über die Zukunft des Präsidenten diskutierte. Politiker wie Roosevelt, so argumentierte der Journalist der liberalen Zeitung, hätten bald keine andere Wahl mehr als sich mit „amerikani- schen Faschisten“ zusammenzutun, um langfristig an der Macht bleiben zu können.1390 Zweifelsohne führte Dodd diese Feststellung auf das gescheiterte Votum zum Ständigen Internationalen Gerichtshof zurück. Nicholas Murray

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1386 Vgl. Dodd an Moore, 24. Februar 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. 1387 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 211f. S. 212. 1388 Vgl. Dodd an Moore, 24. Februar 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. „Members of the Committee told me that two Senators who had voted against the World Court were surprised at the outcome, and that they said that they would have changed their votes had they realized what was going to happen and especially what it meant”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 214f. 1389 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 212f. Einer der anwesenden Senatoren bei diesem Dinner am 1. Februar 1935 spreche (S. 212:) „like a National Socialist. He would stop trade with Europe. He advocated German domination of all Europe, our domination of the Americas, and Japanese domination of the Far East”. 1390 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 261.

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Butler, einer der großen liberal-progressiven Unterstützer von Roosevelts Wahlkampf 1932, bestätigte ihm, dass nicht nur jene Abstimmung für die gesamte Administration in Erbnachfolge Wilsons peinlich gewesen sei, sondern dass ihr Ergebnis nationalistischen oder radikalen Denkern wie Randolph Hearst und Father Coughlin eine große Angriffsfläche geboten habe.1391 Hearst galt auch Roosevelt als permanenter Unruhe- stifter und Anstachler der öffentlichen Meinung gegen seiner Reformen zur Milderung der Krise.1392 Die von Dodd an Moore und Roosevelt weitergeleitete Berichterstattung des deutsch-amerikanischen Journalis- ten Karl von Wiegand, laut derer Hearst in direkter finanzieller und ideeller Verbindung mit Mussolini, Hitler und dem deutschen Propa- gandaministerium stand, 1393 hatte sich laut Judge Moores Quellen bestätigt. 1394 Hearsts Presseberichte waren für einigen Unmut in der amerikanischen Öffentlichkeit bezüglich Roosevelts internationalistischer Vorstöße, wie dem Beitritt zum Gerichtshof, verantwortlich, und wenn

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1391 Vgl. Nicholas Murray Butler an Dodd, 9. März 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-B. 1392 Vgl. BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 313. Die Hearst-Presse hatte eine Pressekampagne gestartet, laut welcher Roosevelts Regierung einen kommunistischen Umsturz in Amerika plante. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 343. Roosevelt war sich laut Black genauso wie Dodd sicher, dass eine Koalition radikaler Kräfte den Beitritt zum Weltgerichtshof verhindert hatte: „This was a cautionary episode to Roosevelt, who had been ambushed by the enlargement of the coalition of irresponsible radical forces whose emergence he had long foreseen”. 1393 Vgl. Dodd an Roosevelt, 20. März 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Hull, Cordell: 1933-37. Laut von Wiegands Bericht an Dodd hatte Goebbels versucht, Wiegands Kündigung bei Hearst zu erreichen, da er sich verweigert hatte, nur positiv über das nationalsozialistische Deutschland zu berichten. Ein Vertreter der Reichswehr habe Wiegands Kündigung verhindert. Seit dem sei Wiegand in Paris, dürfe nach Berlin nur noch mit besonderer Erlaubnis einreisen. Hearst wurde laut Wiegand fürstlich für die Kooperation mit dem deutschen Propagandaministerium belohnt und übte unmittelbar Druck auf seine Angestellten aus: „For this service Hearst was to receive $200,000 a year, and he at once began to bring pressure to bear on his correspondents to give only friendly accounts of what happened in Germany”. Dodd schloss daraus: „Under these circumstances, it would seem to me that Hearst’s influence in the United States ought not to be so great. […] Yet, as you know, great masses of the people were herded into propaganda attitudes the last week in January, and he [Hearst] thus gave the appearance of representing the majority opinion in the United States”. 1394 Vgl. Moore an Roosevelt, 10. April 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Hull, Cordell: 1933-37.

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Wiegands Recherchen der Wahrheit entsprachen, dann hatten euro- päische Diktatoren hierbei einen gewissen Einfluss auf die amerikanische Politik ausgeübt. Nicht nur intensivierte Wiegands Bericht Roosevelts Sorgen um die Stabilität der Stresa-Front und sein Gefühl der Hilflosig- keit in außenpolitischen Belangen gegenüber den Diktatoren, auch ließ der Präsident sich zu einer seiner sonst seltenen schriftlich festgehal- tenen Aussagen hinreißen, dass er Hearst als gesellschaftsgefährdend erachtete.1395 Sowohl Roosevelt als auch viele seiner progressiven Mit- glieder verorteten Hearst und andere konservative Oppositionelle als von externen Einflüssen gelenkt oder zumindest mit ihnen verbunden, während diese politischen Kräfte jedoch vielmehr aus der konflikt- trächtigen Disposition der amerikanischen Gesellschaft Anfang der 1930er Jahre selbst hervorgegangen waren.1396 Die aus progressiver Perspektive gefährdet erscheinende amerikanische Gesellschaft war bereits in sich gespalten. Viele amerikanische Bürger hatten nicht ohne Grund Franklin

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1395 Vgl. Roosevelt an Dodd, 16. April 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Hull, Cordell: 1933-37. „That is an extraordinarily interesting letter of yours of March twentieth. The gentleman who gave you the story I have always regarded as an extremely fair-minded, thorough-going newspaperman. […] [T]he particular employer for whom he has worked is, in many ways, a thoroughly dangerous member of society”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 220-222. Vgl. auch ICKES: Secret Diary. First Thousand Days. S. 472. Ickes erklärt in seinem Tagebuch am 15. November 1935, Roosevelt habe sich mit Hearst selbst auf Joe Kennedys Drängen hin nicht versöhnen wollen: „The President told me that he said to Kennedy that in his opinion there was no man in the whole United States who was as vicious an influence as Hearst. Kennedy remarked that it didn’t look as if there was much chance to get the two together in view of the President’s opinion, and the President said that there wasn’t; that he had never had very much of an opinion of Hearst”. 1396 Vgl. hierzu Roosevelts Einschätzung der politischen Lage vor den Wahlen in seiner „Introduction”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5: The People Approve 1936 (1938). S. 3. „About 85 percent of the press of the Nation supported the opposition”. Vgl. zudem seine „Annual Message to the Congress”. January 3, 1936, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 1. S. 12. „Within our borders, as in the world at large, popular opinion is at war with a power-seeking minority”. Vgl. auch Roosevelts „Campaign Address at Boston, Mass. ‘In a World Which in Many Places Has Gone Undemocratic We Have Gone More Democratic.’ “ October 21, 1936, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 190. S. 518. „In a world which in many places has gone undemocratic, we have gone more democratic. […]. Two weeks from today, the day after the election, the American air will be cleaner and American democracy will be safer”, hoffte der Präsident auf ein Ende des reaktionären und autokratischen Einflusses auf die Mehrheit der US- Bevölkerung.

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Roosevelt zu ihrem Präsidenten gewählt, wurden aber dennoch weiterhin von den verheerenden Folgen der Great Depression heimgesucht. Aus Sicht der Progressiven aber wurden ihre Wünsche durch einige ihrer Volksvertreter lediglich schlecht repräsentiert. Bei seinen zahlreichen Auftritten in Amerika, stellte William Dodd gegenüber Cordell Hull zuversichtlich fest, sei deutlich geworden, dass die noch nicht von Hearst vergiftete amerikanische Öffentlichkeit gut über die Ereignisse in Europa und im Fernen Osten informiert sei und viele Bürger sich erhofften, dass der Präsident den Druck auf Japan und Deutschland erhöhen werde.1397 Es kriselte auch innerhalb der Regierung, die bezüglich der Opposition und ihren Vorwürfen und Blockademaßnahmen um eine offensive und geeinigte Reaktion verlegen blieb. Hull und Roosevelt, so teilte House seinem Freund Dodd mit, stünden in einer sehr schwierigen Beziehung zueinander. 1398 Noch mehr betrübte Dodd jedoch die Tatsache, dass Roosevelt sich bei einem Treffen Anfang Februar optimistisch und wenig erschüttert ob des Senatsvotums gezeigt hatte. Vielmehr ging Roosevelt auf die Gefahr einer Diktatur in den USA und einer vorausgehenden Spaltung der Progressiven ein, die durch einige Senatoren betrieben wurde; eine Sorge, die Dodd durchaus teilte.1399 Während dieses Gespräch

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1397 Vgl. Dodd an Hull, 4. Februar 1935. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 12 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). 1398 Vgl. Colonel House an Dodd, 17. Februar 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. „Just between us and the angels, I am afraid if the President does not give him [Hull] more cordial support he will make some excuse and resign”. Und vgl. Colonel House an Dodd, 18. März 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. Vgl. auch DAVIS, Kenneth S.: FDR. The New Deal Years 1933-1937. A History. New York 1986. S. 578. Auch zwischen Harold Ickes und Roosevelt kam es 1935 zu großen Spannungen. Vgl. auch BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 288f. Die beiden Autoren beschreiben Roosevelt Anfang 1935 als ruhelos, unentschieden und unsicher über die Zukunft. Vgl. auch JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 88. Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 154. Freidel bringt diese Unsicherheit direkt mit der Niederlage bezüglich des Beitrittes zum Ständigen Gerichtshof in Verbindung. 1399 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 213f. Dodd traf den Präsidenten zum Mittagessen am 6. Februar 1935. S. 213: „He [the President] was far more cheerful and optimistic than I or anyone in the State Department had been. I repeated in confidence the senator’s statement at Mr. Tugwell’s on February 1: that he had actually persuaded Senator Long to vote against the World Court resolution, and that he had talked of our coming ‘shooting- up game.’ […] Roosevelt at once said: ‘It sounds like Senator X-.’ […] The President went on: Long plans to be a candidate of the Hitler type for the presidency in 1936. […] Then he will set up as an independent with Southern and mid-western Progressives, Senator X –

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Dodd für einige Zeit Grund zum Nachdenken gegeben hatte,1400 bewirkten Moores Worte Mitte März ein Aufatmen des amerikanischen Professors. Er genoss, so Judge Moore, das vollste Vertrauen des Präsidenten, der wie Moore um weitere Ideen zu angemessenen Personaländerungen der US-Botschaft in Berlin bat. Der Einfluss von Oppositionellen wie Father Coughlin, Randolph Hearst und anderer extremer Persönlichkeiten der amerikanischen Politik verringere sich bereits drastisch, beruhigte Moore seinen Freund in Berlin.1401 Es erweist sich als schwierig, quantitativ und qualitativ festzustellen, inwiefern die perzipierten Ängste1402 vieler Progressiver wie Dodd vor der Gefahr einer Diktatur und Terrorherrschaft einer Minderheit in Amerika durch einen Zusammenschluss von konservativen Demokraten und Republikanern, Geschäftsleuten und Radikalen mit realen Bedro- hungen 1935/36 übereinstimmten oder auseinanderfielen. Fest steht, dass Franklin Roosevelts Wiederwahl in jenen Jahren nie wirklich gefährdet war und sich deshalb dieses überzeitliche progressive Schreckensmotiv 1935 vermutlich stärker von ideologisch aufgeladenen Ängsten als von Tatsachen nährte: „But there were more fundamental factors at work,

______and others […S. 214:]. That would bring the country to such a state by 1940 that Long thinks he would be made a dictator. There are in fact some Southerners looking that way, and some Progressives are drifting that way. […] [With regard to the German situation] Roosevelt agreed but did not seem too regretful about the Senate vote. I had the feeling that he had not pressed the case strongly”. 1400 Dodd war mit jenen Fragen 1935 so beschäftigt, dass er die Fertigstellung seines Fachbuches zum alten amerikanischen Süden gefährdet sah. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 216. „I am not happy. I feel the constant risk of never finishing my Old South [kursiv im Original]”. 1401 Vgl. Moore an Dodd, 14. März 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). „It would have cheered you to hear the President’s praise of you when I talked with him yesterday. He was most earnest in expressing his great personal regard for you and his entire faith in your ability and the value of your service”. 1402 Vgl. zu diesen politisch-ideologischen Ängsten der verschiedenen Parteien und Gewalten im amerikanischen System BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 313. Vgl. auch Roosevelts Fireside Chat 1935, in welchem er der Bevölkerung gegenüber suggestiv vom wiederhergestellten Vertrauen zur demokratischen Regierungsform spricht. The First „Fireside Chat“ of 1935 – „Fear is Vanishing, Confidence is Growing…Faith Is Being Renewed in the Democratic Form of Government”, April 28, 1935, in The Public Papers and Addresses, Vol. 4, 1935. Dokument 48. S. 132-140. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 281. Für Dallek steht fest, dass Dodd mit seinen Ängsten vor einer Diktatur in den USA keinesfalls alleinestand, sondern dies Ausdruck einer viel weitreichenderen Befürchtung liberaler Kreise in Amerika war.

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forces of ideology and emotion”.1403 Ein Kernproblem, mit dem Roosevelt und seine Berater vor allen Dingen zu kämpfen hatten, war die regional und gesellschaftlich gespaltene Öffentlichkeit, die im Falle Coughlins und Huey Longs Oppositionellen eine Wählerschaft einbrachte und durch Personen wie Hearst ein Sprachrohr gefunden hatte. 1404 Von außen betrachtet lassen sich der inneramerikanische Konflikt und die dazugehörigen Ängste möglicherweise besser einordnen. Der deutsche Botschafter Hans Luther stellte intensive Beobachtungen zu den Ent- wicklungen in den USA im September 1935 an und traf damit den Kern der Auseinandersetzung: Die amerikanische Öffentlichkeit erstrebe nichts als einen äußeren und einen inneren Frieden, nur über die Methoden, diese Zustände zu erreichen, streite man sich weiter.1405 Die an Deutschland ausgesandten Signale, wie die verzögerte Abstimmung des Senates über eine internationale Konferenz, erschienen der deutschen Führung eindeutig.1406 Die aufgrund dieser Konstellationen gerade im Bereich der Außenpolitik oft wenig konkret ausfallenden Ergebnisse der Roosevelt-Administration bewirkten allerdings auch ein Missverständnis

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1403 BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 317. 1404 Vgl. HERZSTEIN: Roosevelt & Hitler. S. 77. Nicht ohne Grund hatte Hearst vor der Abstimmung über den Beitritt zum Gerichtshof eineinhalb Millionen Unterschriften von US-Bürgern gegen den Beitritt sammeln können. Vgl. auch Roosevelt to Breckinridge Long, Ambassador to Italy, Rome, March 9, 1935. In: NIXON: Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs. Volume II: March 1934 – August 1935. Cambridge, MA, 1969. S. 437f. Roosevelt selbst bezeichnete Longs und Coughlins Einfluss 1935 als „a bad case of Huey Long and Father Coughlin influenza – the whole country aching in every bone” (S. 437). 1405 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 20. September 1935. PAAA. Botschaft Washington, Akten betreffend Allgemeine auswärtige Politik der USA, vom 1. Januar 1933 bis 29. Februar 1936, Politik 2b. Band 4. (Best.: Washington 967). Die US-Presselage zeige, „daß die amerikanische Öffentlichkeit zwar einstimmig den Frieden wünscht, sich aber über die einzuschlagende Methode wenig im klaren ist. Es zeigt sich, wie Frank H. Simonds im ‚Washington Sunday Star‘ vom 8. September richtig betont, der alte Widerstreit zwischen den ‚Internationalisten‘ und den ‚Isolationisten‘ “. Vgl. auch DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 160. Diese Beobachtung ist korrekt. Divine erläutert, dass in den Jahren 1935/36, wie in den Debatten um den Völkerbundsbeitritt 1919, eine klare Mehrheit für eine neue Grundlagengesetzgebung war, die Auseinandersetzung über die Methoden jedoch zum Sieg der politischen Minderheit führte. 1935/36 handelte es sich um den Streit darüber, ob diskriminierende oder generelle Handelsrestriktionen das richtige Mittel zur Eindämmung von Kriegen waren. 1406 Vgl. Dodd an Schacht, 1. Juni 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-S. Dodd signalisierte Schacht in jenem Brief, dass der US- Senat in sämtlichen außenpolitischen Entscheidungen, die ein Engagement der USA nötig machten, vermutlich hinauszögern würde.

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im Ausland über die langfristigen Ziele der progressiven Regierung. Die Fehleinschätzung der amerikanischen Politik seitens Deutschlands lag darin, interne Abwägungen, die auf multiplen emotionalen und rationalen Ebenen stattfanden, sowie Gefahrenperzeptionen in den USA, die für Außenstehende nicht immer offenkundig und logisch nachvollziehbar waren, nicht ernst genug zu nehmen oder ihre langfristige, politische Gestaltungskraft zu unterschätzen.

5.2.2. Dodd und der inneramerikanische Systemkonflikt als Ausdruck der Angst vor Europäisierung, Diktatur und Ideologien Das Ergebnis der außenpolitischen Debatten im Januar 1935 manifestierte sich im Laufe des Jahres weiter hin zu einem inneren, partei- und lagerübergreifenden Systemkonflikt, einer „ ‘crisis in thought‘ “1407, die die Umsetzung des New Deal maßgeblich erschweren sollte. 1408 Ein Vertrauensmann des Auswärtigen Amtes in Washington wusste der deutschen Behörde im März 1935 zu melden, dass Roosevelts Regierung in eine Zwickmühle geraten war. Weder Roosevelt noch sein Außen- minister konnten ihre internationalistischen Vorstellungen, in erster Linie die Idee einer generellen Abrüstung, durchsetzen. Flottenverhandlungen und andere Details würde man gezwungenermaßen den Engländern überlassen: „Die Regierung selber befindet sich in einer Zwickmühle. Die persönliche Einstellung Roosevelts und Hulls kann infolge der allgemeinen Landes- meinung und wegen der inneren Schwierigkeiten nicht zum Durchbruch kommen. […] Wichtiger als das Interesse Amerikas an der Heiligkeit zweiseitiger Verträge ist für Amerika die Abrüstung. […] Man verkennt hier freilich nicht, dass eine Marinerüstung Deutschlands England zu

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1407 DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 253. Dallek schildert, wie diese Krise auch das progressive Lager selbst, Beard und Dodd hierfür die besten Beispiele, spaltete und Roosevelts Reformpolitik behinderte. 1408 Vgl. zu den Auseinandersetzungen um neue New Deal-Gesetze 1935/36 innerhalb des amerikanischen Systems BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 302-307. Vgl. auch BURNS: The Lion and The Fox. S. 209-246. Vgl. zur New Deal-Politik 1935/36 allgemein FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 154-170 und S. 185-208. Vgl. auch SMITH: A Concise History of the New Deal. S. 62-98. Vgl. auch RAUCH: History of the New Deal. S. 156-190. Vgl. auch RENSHAW: Profiles in Power. S. 110-125. Vgl. auch DAVIS: New Deal Years. S. 493- 598 für Roosevelts Innenpolitik 1935. Vgl. zur Verfassungskrise SCHLESINGER: Politics of Upheaval. S. 447-496.

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verstärkten Anstrengungen auf dem Wasser verleiten könnte […]. Aber man ist vorerst entschlossen, die Einzelheiten dieses Flottenhandels England zu überlassen”.1409 Cordell Hulls Beziehung zu seinem Präsidenten, das bestätigte Colonel House in einem Brief an Dodd, blieb angespannt, wenn auch die Lage im District of Columbia sich langsam beruhigte.1410 Während Charles Beard, einer der progressiven Isolationisten und Historikerkollegen Dodds, Roosevelt vorwarf, nicht vehement genug gegen radikale poli- tische Kräfte wie Father Coughlin vorgegangen zu sein, um den Beitritt zum Ständigen Internationalen Gerichtshof zu garantieren, 1411 stellte Judge Moore im April und im September resignierend fest, dass Isolation und Ruhe bezüglich des verfassungsinternen Konfliktes vielleicht vorerst die beste Lösung seien, um Roosevelt im Amt zu halten.1412 Es sei von Nachteil für den Präsidenten gewesen, dass seine Berater ihn in der Öffentlichkeit als desinteressiert an dem Thema dargestellt hätten, was nicht der Wahrheit entspreche. Doch gebe es, so Moore, nun viel größere Herausforderungen als die Entscheidung eines nur unvollständig über die internationale Lage aufgeklärten Senates zu meistern.1413

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1409 Vgl. „Bericht unseres Vertrauensmannes in Washington“, Betreff: „Die Haltung der amerikanischen Regierung gegenüber Deutschland“ (vermutlich Luther an das Auswärtige Amt), 25. März 1935. PAAA. Abteilung III, USA, Politik 2. Band 27 (Best.: R 80162). Darüber hinaus gibt der V-Mann an, dass man in den USA nicht an einen Krieg glaube, da Deutschland hierfür der Willen sowie das Geld fehlten, auch weil „Deutschland eine zu starke Rechtsstellung“ habe. 1410 Vgl. Colonel House an Dodd, 18. März 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. 1411 Vgl. Charles A. Beard an Dodd, 12. April 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-B. Vgl. auch BEARD: American Foreign Policy in the Making. S. 163ff. 1412 Vgl. Moore an Dodd, 22. April 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-M. Vgl. auch Moore an Dodd, 30. September 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-M. 1413 Vgl. Moore an Dodd, 10. Juni 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). „This has not been an entirely happy year for the Administration. […] How far the acute controversy between Congress and the Supreme Court, for that really describes what the situation is, may go or how widespread will be the agitation in favor of amending the Constitution will progress no one can predict”.

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Von einer ruhigeren Phase im amerikanischen System konnte entgegen Judge Moores Hoffnungen keine Rede sein.1414 Eine weitere Institution der amerikanischen Gewaltenteilung, die Judikative, stellte sich 1935 als Gegengewicht der Rooseveltschen Politik heraus und bewirkte die „akute Kontroverse“1415 um die Verfassung, von welcher Moore gesprochen hatte. Besetzt mit mehreren konservativen Richtern auf Lebenszeit, die noch unter republikanischer Administration ins Amt berufen worden waren, erschwerte der US-Supreme Court die Umsetzung vieler Maßnahmen des New Deal, indem es sie als nicht verfassungskonform verurteilte.1416 Die Auseinandersetzung über die Entscheidungsgewalt des Obersten Verfassungsgerichtes im amerikanischen Regierungssystem, eine Frage so alt wie die amerikanische Demokratie selbst, bezog sich nicht nur auf das Arbeitsbeschaffungsprogramm des Präsidenten. Sie avancierte zum Politikum, das Roosevelts Aussichten auf eine Wiederwahl gefährlicher als alle anderen Oppositionskräfte werden konnte.1417

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1414 Vgl. zur umfangreichen Gesetzgebungstätigkeit der Roosevelt-Administration 1935 BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 296f. 1415 Vgl. Moore an Dodd, 10. Juni 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). 1416 Vgl. zu Roosevelts „Court Packing”-Aktion und den Gründen ihres Scheiterns MORGAN: FDR. S. 468-480. Vgl. auch COLE: Isolationists. S. 211-222. Vgl. BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 295 zum Fall Schechter v. United States im Mai 1935, dessen Urteil den NRA für verfassungswidrig erklärte. Vgl. zur Beziehung zwischen Court und New Deal und der Rolle des Court Packing BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 362-369. Vgl. zum Court Packing auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 221-239. Vgl. auch RAUCH: History of the New Deal. S. 191-222. Vgl. auch BURNS: The Lion and The Fox. S. 291-315. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 351-354. 1417 Vgl. Moore an Dodd, 14. Juni 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). „It is almost certain that the question as to whether the authority of the Court should be curtailed will become a political issue”. Vgl. hierzu auch Roosevelts Gedanken in der Rückschau zum negativen Einfluss des Supreme Courts als Repräsentant einer Minderheit in der amerikanischen Gesellschaft auf das gesamte amerikanische System in Roosevelts „Introduction”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6: The Constitution Prevails 1937 (1941). S. XLVII-LXXII. Vgl. besonders S. XLVII: „[If the kind of government which the people of the United States had voted for] had not been permitted [by the Supreme Court] to function as a democracy, it is my reasoned opinion that there would have been great danger that ultimately it might have been compelled to give way to some alien type of government […]”. Versöhnlicher schrieb er auf S. LXIII: „I knew that the Constitution was not to blame, and that the Supreme Court as an institution was not to blame. The only trouble was with some of the human beings then on the Court”.

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Ein weiterer Schlag für die Exekutive war die Durchsetzung der zweiten Gewalt, der Legislative, in der Neutralitätsgesetzgebung.1418 Das Neutrali- tätsgesetz von 1935, das eine Einbindung der USA in außeramerikanische Konflikte, wie zum Beispiel die Teilnahme an einem großen Krieg, unmöglich machen sollte, band Roosevelt in Hinblick auf mögliche Reaktionen auf alte und neue Konflikte in Übersee die Hände und erlaubte keine Unterscheidung zwischen Angreifer- und Opferstaaten. In gewohnt optimistischer Manier schrieb der Präsident Dodd im Dezember 1935, die Neutralitätsgesetze seien nicht dramatisch, nur die Frage der Entscheidungsgewalt des Präsidenten müsse befriedigender gelöst wer- den. Im Zentrum seines Interesses stünde die Unterstützung Südamerikas gegen ein europäisches Vordringen, wofür er einen neuen Gesetzes- entwurf im Januar des Folgejahres wagen wollte. Alles, was die USA nun tun könnten, sei ihre Aufgabe, den Nationen in Übersee zu helfen, sich selbst zu retten, „to make people think”.1419 Dieser Gedanke war nicht neu in der amerikanischen Außenpolitik. Schon Woodrow Wilson hatte an einen Einfluss auf die Erziehung der Weltöffentlichkeit geglaubt. Dodd teilte diese Meinung: Es sei nur eine Frage der historischen Erziehung ______

1418 Vgl. zur Vorgeschichte des Neutralitätsgesetzes von 1935, insbesondere den internen Debatten in Administration und Kongress – auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen des Nye-Committees DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 68-80. Vgl. ebenda S. 81-117 zu den ersten Gesetzesentwürfen und der Rolle des State Departments und der Roosevelt- Regierung. Vgl. ebenda S. 117-121 zu den Reaktionen in der amerikanischen Öffentlichkeit auf den Neutrality Act. Vgl. auch COLE: Isolationists. S. 168-183 und DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 101-116 und COLE: Senator Gerald P. Nye. S. 97-123. Vgl. zum Zusammenhang zwischen dem Neutralitätsgesetz von 1935 und dem Angriff Italiens auf Abessinien BURNS: The Lion and The Fox. S. 256ff. Zur Rolle des State Departments in der Neutralitätsgesetzgebung(sdebatte) vgl. JABLON: Crossroads of Decision. S. 80-96 bis zum italienischen Angriff auf Abessinien. 1419 Roosevelt an Dodd, 2. Dezember 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1933-35. „I wish I could talk with you at length in regard to the Neutrality situation. […] The crux of the matter lies in the deep question of allowing some discretion to the Chief Executive. […] I hope that next January I can get an even stronger law, leaving, however, some authority to the President. I do not know that the United States can save civilization but at least by our example we can make people think and give them the opportunity of saving themselves”. Vgl. auch BURNS: The Lion and The Fox. S. 259f. Roosevelt selbst setzte diesen Glauben an die Erziehbarkeit der Bürger bezüglich einer effektiveren Neutralitätsgesetzgebung jedoch noch nicht um. Die Internationalisten, so Burns, verloren deshalb 1935/36 wertvolle Zeit und diverse Möglichkeiten, die Gesetzgebung entsprechend zu beeinflussen, um einen großen Krieg zu vermeiden.

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und Bildung, dann könnte das demokratische System in spätestens zehn Jahren die Vorherrschaft gewinnen, schrieb er an seinen progressiven Kollegen Claude Bowers in Madrid. 1420 Dieser idealistisch-progressive Ansatz, die Bürger erziehen, aufklären oder zumindest beeinflussen zu können, sollte sich in den Folgejahren zu einem Aspekt des pro- pagandistischen Kampfes mit den totalitären Systemen und ihrem universalen „Aufklärungs- und Erziehungsanspruch“ weiterentwickeln. Doch zunächst stand die Umsetzung der Neutralitätspolitik im Fokus der Außenpolitik, eine Aufgabe, der die Beamten des State Departments gewissenhaft nachgingen. Amerikanische Neutralität barg durchaus einige Schattenseiten, dessen waren sich viele Politiker bewusst. Judge Moore, der sich eine aktivere Rolle der USA an Englands Seite wünschte, gab Dodd zu verstehen, dass Deutschland mit Hilfe Großbritanniens ver- suchen werde, afrikanische Kolonien zu erwerben. Es sei durchaus realistisch, dass die nationalsozialistische Führung im Zuge einer Politik, die Moore noch nicht als „Appeasement“ bezeichnete, bei der Akquisition von Kolonien erfolgreich sein werde. 1421 Gerade jene „Appeasement“- Politik, der sich traditionelle Kreise der amerikanischen Behörden prinzipiell nicht abgeneigt zeigten, um europäische Probleme aus der Distanz vermeintlich zu lösen, wünschten weder Dodd noch sein Präsident. Das Jahr 1936 bot neue Chancen, eine solche Strategie von amerikanischer Seite aus zu vermeiden, nicht nur, weil sich 1936 endgültig Cordell Hulls multilaterales Außenhandelssystem, eine entscheidende „System- determinante“ 1422 für die progressive Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik, gegen die konservativeren Ideen George N. Peeks und seines Office of the Special Advisor to the President on Foreign Trade durchgesetzt hatte. 1423 Roosevelts „State of the Union Address” am

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1420 Vgl. Dodd an Claude Bowers, 12. Dezember 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-B. 1421 Vgl. Moore an Dodd, 9. Dezember 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-M (2. Mappe „M”). „[…] Generally speaking, I am pretty well satisfied that the European nations, and particularly Great Britain […] are able, if willing to do so, to afford an outlet there [in Africa] to the pent-in nations of Europe […] and thus give some guarantee of a tranquil Europe for several decades to come”. 1422 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 88. 1423 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 94. Vgl. auch ICKES: Secret Diary. First Thousand Days. S. 360. In seinem Eintrag vom 10. Mai 1935 erinnert sich Ickes: „We had a more than interesting Cabinet meeting today. There was quite some discussion about George Peek and

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3. Januar 1936 bezog eindeutiger Stellung als zuvor, zumal der Präsident nun nicht nur die Verantwortung der Regierungen, sondern auch die der Staatsbürger der jeweiligen Nationen hervorhob, den Frieden zu halten. Zweifelsohne klingt an dieser Stelle ein Ton an, der an die einige Monate später gehaltene Quarantänerede Roosevelts erinnert und Gedanken- gänge und Argumentationen jener Rede vorgreift: „Since the summer of that same year of 1933, the temper and the purposes of the rulers of many of the great populations in Europe and in Asia have not pointed the way either to peace or to good-will among men. […] [B]ut a point has been reached where the people of the Americas must take cognizance of growing ill-will, of marked trends toward aggression, of increasing armaments, of shortening tempers — a situation which has in it many of the elements that lead to the tragedy of general war. […]It might be true that the masses of the people in those Nations would change the policies of their Governments if they could be allowed full freedom and full access to the processes of democratic government as we understand them. But they do not have that access; lacking it they follow blindly and fervently the lead of those who seek autocratic power. […] The evidence before us clearly proves that autocracy in world affairs endangers peace and that such threats do not spring from those Nations devoted to the democratic ideal. “1424 Der Inhalt dieser Rede sowie ein neuer Gesetzesentwurf im US-Kongress, dem Chef der Exekutive im Rahmen des Neutralitätsgesetzes mehr Entscheidungsfreiheit einzuräumen, stießen in der deutschen Presse erwartungsgemäß auf heftigste Kritik. 1425 In William Dodd riefen sie

______his place in the Administration. Everyone seems to want to get rid of him”. Vgl. Peeks´ eigene Zusammenfassung seiner divergierenden Ansichten bezüglich der außen- wirtschaftlichen Ausrichtung der USA in Gesprächen mit Hull: George N. Peek, Special Adviser to the President on Foreign Trade, to Roosevelt, December 12, 1934. In: NIXON: Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs. Volume II. S. 314f. 1424 „Annual Message to the Congress”, January 3, 1936, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 1. S. 9f. Vgl. Roosevelts Quarantänerede „’The Will for Peace on the Part of Peace-Loving Nations Must Express Itself to the End that Nations that May Be Tempted to Violate Their Agreements and the Rights of Others Will Desist from Such a Course.’ Address at Chicago”. October 5, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 406-411 sowie die Analyse zu dieser sogenannten „Quarantänerede“ in Kapitel 7.1. 1425 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 100. Ein Umschwung der Haltung weiter Teile der amerikanischen Medien erfolgte ebenso 1936 und kann als wechselseitig bedingte Reaktion auf die Verschärfung des Tones seitens deutscher Medien gewertet werden. Vgl.

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Begeisterung hervor ob Roosevelts gewagter Offenheit trotz der komplizierten Situation rund um die Diskussionen über eine neue Neutralitätsgesetzgebung.1426 Der amerikanische Präsident selbst wollte sogar noch weiter gehen. Obwohl die deutsche Bevölkerung aufgrund der engmaschigen nationalsozialistischen Propaganda für fremde Ein- flüsse kaum zugänglich schien, erbat Roosevelt – seinem eigenen Appell an die Bevölkerungen der Diktaturen folgend - von Dodd an jenen Tagen im Januar 1936 Informationen darüber, ob Frieden noch möglich sei, und in welcher Art und Weise er das deutsche Volk erreichen könnte.1427 Ermutigend für das präsidentielle Vorhaben konnten auch William Bullitts Aussagen - der Botschafter wechselte im Oktober 1936 seinen Posten von Moskau nach Paris1428 - gewirkt haben, nach denen Franklin Roosevelt in der amerikanischen Bevölkerung auf Rückhalt und die Wahlstimmen sogar schwer erschließbarer Wählergruppen hoffen konnte. 1429 Nicht, dass Dodd William Bullitts Einschätzungen traute; dessen Einmischung in die französisch-sowjetischen Verhandlungen über Darlehen an die Sowjetunion, wovon der Botschafter in Berlin erfahren hatte und die er für gefährlich hielt, da sie eines der tragenden Bündnisse zur Einkreisung Hitlers gefährdete, hatte William Dodd als untragbar kommentiert – vermutlich nicht frei von Neid auf Bullitts freundschaftlich geprägten Einfluss auf den Präsidenten.1430

______ebenda. S. 43. Ein Umschwung der Haltung der deutschen Medien in ihrer Bericht- erstattung über die USA und ihr System erfolgte 1936. 1426 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 293. „[Roosevelt’s speech] is a marvelous but very shrewd indictment of all dictatorships […] No German official can read this address without serious concern. […]”. 1427 Roosevelt an Dodd, 6. Januar 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „I tried to bring out that in the countries you and I are thinking about the theory of Woodrow Wilson that one can appeal to the citizens over the head of their governments is no longer tenable, for the reason that the dissemination of news […] is no longer possible. I shall be glad to have your report on how far the German people receive real information as to what I said about autocracies. […] [A]t least enough of the thought behind what I said may seep through to make peace a slightly greater probability during the coming year”. 1428 Vgl. DAVIS: New Deal Years. S. 651. Vgl. BULLIT: For the President. S. 167. Für die politische Situation in Frankreich zum Amtsantritt Bullitts vgl. ebenda. S. 170. 1429 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 308f. Dodd hatte Bullitt am 12. Februar 1936 angetroffen, als jener auf dem Weg zurück in die Sowjetunion war. 1430 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 309. „Bullitt sounds like an emotional friend of the President but not one whose judgment can be relied on. […] Learning that France was

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Durch Roosevelts Äußerungen motiviert entschloss sich der progressive Historiker in Berlin, sich zu Gunsten seines Präsidenten aktiv in die innenpolitische Debatte einzubringen. In einem weiteren Vorstoß zur Einflussnahme auf den US-Senat schrieb Dodd den für die Neutrali- tätsgesetzgebung maßgeblichen Senatoren, ein rechtzeitiges Eingreifen der USA durch eine starke Rolle des Präsidenten und des State Departments gegen Mussolini werde als richtiges Signal und Warnung an die nationalsozialistische Führung, aber auch als Mahnung an Frankreich dienen und klare Vorteile in Hinblick auf die Lage in Fernost erringen. Die Senatoren trügen, so Dodd, größte Verantwortung auch über die USA hinaus, wenn es darum ging, die Unterjochung der gesamten Welt unter einer Diktatur zu verhindern.1431 Dem Senator J. Hamilton Lewis versuchte Dodd im März klar zu machen, dass auch die USA Schuld an der europäischen Situation trügen: das Fernbleiben aus dem Völkerbund sowie eine protektionistische Politik hätten das britische und das französische Fehlverhalten provoziert und drastische Konsequenzen hervorgerufen. Da auch die amerikanische Bevölkerung für Sanktionen gegen Mussolini einstehe, könne das Zufallbringen der

______about to loan her old Russian ally of 1914 one billion francs, it is reported that Bullitt went to a strategic person in the French Government and convinced him that Russia would not repay the loan. Thus he had defeated the Russian negotiations”. Vgl. zur langjährigen Freundschaft zwischen Roosevelt und Bullitt auch BROWNELL/BILLINGS: So Close To Greatness. S. 18 und 247f. Vgl. zum wahrlich engen Verhältnis zwischen Bullitt und Roosevelt ihre persönlichen Briefwechsel, zum Beispiel Roosevelts Brief an schwer viruserkrankten Bullitt vom 6. Febrar 1935, „If this second attempt [of medication] fails I shall turn you over to the Army Medical Corpse – Best of luck and give m a ring“ (S. 102) und Bullitts Antwort vom 9. Februar 1935: „It was like no one but your own self to take the trouble to telephone as you did this morning. […] You are an angel as well as a President […]”. (S. 102) in BULLITT: For the President. S. 102f. Vgl. auch Bullitts negative Haltung gegenüber der Sowjetunion und ihren Absichten bezüglich des Paktes mit Frankreich, z.B. im Brief Bullitts an Moore vom 7. April 1935 in BULLITT: For the President. S. 106ff. „My own feeling is that the Soviet Government will make the mutual assistance pact with the French and then begin to flirt with Germany as well as France […] and that the only country which will derive any real benefit from the present maneuvers will be the Soviet Union” (S. 107). 1431 Vgl. Dodd an Senator Tydings, 13. Januar 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 1 of 3. „ [A] real defeat of Mussolini would be regarded here by high officials as a serious warning to them […]”.

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italienischen Diktatur einen großen Schritt in Richtung Frieden bedeuten.1432 Die fortschreitende Konfliktträchtigkeit der europäischen Politik nach dem deutschen Einmarsch am 7. März 1936 in das entmilitarisierte Rheinland1433 bestätigte Dodds Aussagen zur bisherigen inkonsequenten Deutschlandpolitik der Amerikaner. „The Rhineland crisis was the most serious step to war so far but was over so quickly that it confirmed Roosevelt in his detached approach”.1434 Wie die Senatoren hatte sich jedoch auch das State Department, mit Ausnahme Hulls und Moores, von Dodds Warnungen und Berichten kaum beeindrucken lassen. Das State Department überprüfte die deutsche Wiedereingliederung des Rheinlandes – de jure und de facto ein Bruch mit den Bestimmungen des Versailler Vertrages – und kam zu dem Ergebnis, dass keine Verletzung der vertraglichen Bestandteile des deutsch-amerikanischen Friedens- vertrages vom 21. August 1921 vorläge.1435 Offensichtlich ließen sich die Beamten des amerikanischen Außenministeriums auch nicht von der starken antideutschen Protestbewegung in den USA instrumenttalisieren. Auf Anfragen des American Jewish Congress an US-Konsuln zu Statistiken

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1432 Vgl. Dodd an Senator Lewis, 2. März 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-L. 1433 Vgl. Hitlers Ausführungen zu und Ankündigung dieser Besetzung in der Minister- besprechung vom 6. März in ADAP, Serie C, Bd. V,1, Dok. 9 (S. 24f.). Hitler begründet diesen Schritt mit dem Pakt zwischen Frankreich und der Sowjetunion als Verstoß gegen den Locarnovertrag. Vgl. zu den Hintergründen und Bedingungen der Remilitarisierung des Rheinlandes BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 124-129. Vgl. zur britischen Reaktion Dok. 43, Anthony Eden, Memorandum (Auszug) vom 8. März 1936 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 126-132. Vgl. auch Dok. 44, Joseph Goebbels, Tagebuch (Auszug) vom 15. März 1936 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 133f. zu Goebbels‘ Einschätzung der Reaktionen im Ausland. Vgl. die Gesamtdarstellung der Rheinlandkrise bei EMMERSON, James T.: The Rhineland Crisis 7 March 1936. A Study in Multilateral Diplomacy. London 1977. 1434 RENSHAW: Profiles in Power. S. 156. 1435 Vgl. Sirois: Illusion und Krieg. S. 86. Vgl. hierzu vor allem ADAP, Serie C, Bd. V,1, Dok. 42 (S. 61). Botschafter Luther berichtet hier von einer weiterhin freundlichen Haltung des Secretary of State und des State Departments gegenüber Deutschland, „da es sich doch schließlich [beim Rheinland] um deutsches Land handele […]”. Diese Haltung finde sich auch in weiten Teilen des Kongresses wieder, der an seinem Fernhalten von europäischen Angelegenheiten festhalte. Vgl. auch Luthers Ausführungen in ADAP, Serie C, Bd. V,1, Dok. 125 (S. 152). Vgl. auch OFFNER: Origins. S. 115. Das State Department versandte nicht einmal eine Protestnote gegen den Einmarsch und die deutsche Aufrüstung.

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des Handels mit Deutschland, die in Augen des Departments angeblich nur Propagandazwecken dienten, reagierten die Beamten empfindlich und wenig sensibel für die aktuelle Situation der jüdischen Bevölkerung in Deutschland.1436 Dass selbst Roosevelt den sogenannten Experten in den Ministerien nicht mehr über den Weg traute, die in seinen Augen bereits 1914 falsch gelegen hätten, vertraute dieser seinem Botschafter Dodd im März 1936 an, und bat ihn um sofortige Benachrichtigung, wenn seiner Einschätzung nach irgendeine konkrete Maßnahme, ein Angebot oder eine öffentliche Stellungnahme seitens Washingtons tatsächlich Frieden bringen könnte: „All the experts here, there and the other place say ‘there will be no war.’ They said the same thing all through July, 1914, when I was in the Navy Department. In those days I believed the experts. Today I have my tongue in my cheek. […] [A]s President I have to be ready just like a Fire Department! If in the days to come the absolutely unpredictable events should by chance get to the point where a gesture, an offer or a formal statement by me would, in your judgment, make for peace, be sure to send me immediate word”.1437 Als ehemaliger stellvertretender Marineminister hatte Roosevelt den Beginn eines Weltkrieges erlebt und musste sich – die Hände durch Gesetzgebung und politische Stimmungslagen gebunden – dennoch offensichtlich in Zurückhaltung üben, um nicht vermeintliche Experten- meinungen über die Chancen des Ausbruchs eines weiteren großen Krieges mit seiner Sicht auf die Realität zu konfrontieren; auch wenn diese in seiner und Dodds Sicht noch so falsch lagen. Zurückhaltung bedeutete für Roosevelt jedoch nicht Indifferenz. Einen weiteren Vorstoß, in Hinblick auf die Wahlen Bevölkerung und Politiker hinter sich zu einen, wagte der demokratische Präsident mit seiner „Rendezvous with Destiny“-Rede vor dem demokratischen National- konvent in Philadelphia am 27. Juni 1936:

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1436 Vgl. Generalkonsul Walter A. Foote an Hull, 17. April 1936 (Report No. 412). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 6. File 611.6212/111. Der Generalkonsul in Batavia, Java, beschwerte sich bei Hull darüber, dass der American Jewish Congress ihm, wie anderen US-Diplomaten, Fragebögen geschickt habe, in welchen Import-, Export- und andere Statistiken und Informationen zum Handel mit Deutschland erbeten wurden. 1437 Roosevelt an Dodd, 16. März 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38.

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„We do not see faith, hope, and charity as unattainable ideals, but we use them as stout supports of a nation fighting the fight for freedom in a modern civilization. Faith - in the soundness of democracy in the midst of dictatorships. Hope - renewed because we know so well the progress we have made. Charity - in the true spirit of that grand old word. For charity literally translated from the original means love, the love that understands, that does not merely share the wealth of the giver, but in true sympathy and wisdom helps men to help themselves. […] Better the occasional faults of a government that lives in a spirit of charity than the consistent omissions of a government frozen in the ice of its own indifference. There is a mysterious cycle in human events. To some generations much is given. Of other generations much is expected. This generation of Americans has a rendezvous with destiny. […] They begin to know that here in America we are waging a great and successful war. It is not alone a war against want and destitution and economic demoralization. It is more than that; it is a war for the survival of democracy. We are fighting to save a great and precious form of government for ourselves and for the world. ”1438 Den Kampf um die Demokratie im Inneren wie im Äußeren, den schon Wilson propagiert hatte, führte Franklin Roosevelt hier mit Wortgewalt fort. Der Chef der Exekutive appellierte an alle Kräfte und alle Parteiungen im Land, Differenzen und Indifferenzen zu überwinden und die gemeinsamen Ideale wie den Glauben an das eigene System, die Hoffnung auf Fortschritt und Barmherzigkeit im Sinne der Unterstützung anderer, sich selbst zu helfen, aufrechtzuerhalten. Während jene Rede häufig auf ihren innenpolitischen Inhalt hin interpretiert wurde,1439 weist sie einige durchaus nicht zufällige Parallelen zu Fragestellungen der amerikanischen Außenpolitik auf. Die drei Ideale, von denen Roosevelt spricht, der Kampf um die Demokratie, „for ourselves and for the world“, und die häufige Betonung des Wortes „Krieg“ können eindeutig der Bedrohungsperzeption durch Mussolinis faschistisches Italien, Japans Militärdiktatur und das nationalsozialistische Deutschland zugeordnet werden. Eine überparteiliche Front, „put[ting] partisanship aside“, das

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1438 Dokument „We are Fighting to Save a Great and Precious Form of Government for Ourselves and the World. Acceptance of the Renomination for the Presidency, Philadelphia, Pa”, June 27, 1936, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 79. S. 230f., 234ff. 1439 Vgl. BURNS/DUNN: Three Roosevelts. S. 325f. Vgl. auch RAUCH: History of the New Deal. S. 233ff.

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„rendezvous with destiny“ einer gesamten amerikanischen Generation und der „mysterious cycle in human events“ sind zentrale Aussagen von Roosevelts progressiv-internationalistischem Denken, demzufolge sich Amerika dem innen- wie außenpolitischen Schicksal stellen musste und Isolationismus in diesem Krieg um die Zukunft des Systems nicht angebracht sein konnte. So jubelte William Edward Dodd im Juli: Überall seien Roosevelts Aussagen mit Begeisterung aufgenommen worden, an den amerika- nischen Universitäten, sogar bei den Journalisten und an der konser- vativen amerikanischen Handelskammer.1440 Doch der Präsident blieb vorsichtig bezüglich der Prognosen seiner Wiederwahl, gab in Briefen an Dodd seiner Furcht Ausdruck, dass ein Sieg der Republikaner eine weitere Einschränkung der Pressefreiheit schlimmer als unter Hearsts bestehendem Einfluss bedeuten konnte, und verglich einen solchen Wahlsieg gar mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland: „The election this year has, in a sense, a German parallel. If the Republicans should win or make enormous gains, it would prove that an 85% control of the Press and a very definite campaign of misinformation can be effective here just as it was in the early days of the Hitler rise to power. Democracy is verily on trial”.1441 Auch den Präsidenten ließen folglich progressiv-internationalistische Sorgen um eine Europäisierung der amerikanischen Politik und Gesell- schaft, die Kontrolle der Öffentlichkeit durch eine gelenkte Presse und mögliche Parallelen in der Denkweise der Republikaner zu euro- päischen Radikalen nicht in Ruhe. In jenem Schreiben vom 5. August 1936 bat der Präsident seinen Botschafter um einen weiteren Gefallen: Er solle in Erfahrung bringen, ob Hitler seine Ziele für die nächsten zehn

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1440 Vgl. Dodd an Roosevelt, 28. Juli 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1441 Roosevelt an Dodd, 5. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. Vgl. hierzu auch ICKES: Secret Diary. First Thousand Days. S. 519 und 532f. In diesen Tagebucheinträgen vom 18. Januar 1936 und 4. Februar 1936 erinnert sich Ickes, dass die Administration noch bestimmter gegen Hearsts Einfluss vorgehen wollte (S. 519). Roosevelt wollte sogar den ruhigen Dan Roper auf diese Aufgabe ansetzen (S. 532f.), welchen Ickes als ungeeignet hierfür einschätzte.

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Jahre preisgeben und einen allgemeinen Abrüstungsvorschlag annehmen könnte, um Frieden zu garantieren.1442 Diese Bitte Roosevelts darf keines- wegs als naiver Vorstoß aus einer verzweifelten Lage heraus gewertet werden, zumal Dodd auf keinen Fall während seiner Investigationen durchklingen lassen durfte, die amerikanische Regierung habe eine solche Maßnahme tatsächlich konkret in Betracht gezogen. Vermutlich beabsichtigte der Realpolitiker Roosevelt, indirekt auszutesten, ob Hitler jemals zu Konzessionen bereit war, ob eine Appeasement-Politik irgend- einen Sinn und Aussicht auf Erfolg haben könnte und Verhandlungen möglich waren. Würde der deutsche Reichskanzler eine Zusammenarbeit verweigern, konnten die Amerikaner davon ausgehen, dass er mit gutem Grund außenpolitische Ziele zu verbergen hatte, also so radikal war, wie man seit 1933 in der Administration angenommen hatte.1443 Während Dodd versuchte, im Auftrag Roosevelts Hitlers Absichten zu eruieren, musste er dem Präsidenten im Sommer und Herbst 1936 einige schlechte Nachrichten hinsichtlich etwaiger Friedenspläne überbringen. So herrsche in Europa kaum Interesse an einer Weltkonferenz; auch Deutschland wolle nur auf einer neuen Locarno-Konferenz erscheinen, wenn eine sowjetische Teilnahme ausgeschlossen sei. Eine Wirtschafts- konferenz mit Beteiligung echter Experten sei besonders wichtig, so Dodd, da vieles nur noch auf der Sachverständigenebene, weniger

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1442 Vgl. Roosevelt an Dodd, 5. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „Drop me a line soon after your return. I should like to have your slant, in the utmost confidence, as to what would happen if Hitler were personally and secretly asked by me to outline the limit of German foreign objectives during, let us say a ten year period, and to state whether or not he would have any sympathy with a general limitation of armaments’ proposal. 1443 Vgl. Roosevelt an Dodd, 5. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „You cannot, of course, ask any questions regarding this in such a way as to let any inference be drawn that we were even thinking of such a thing”. Vgl. hiergegen HERZSTEIN: Roosevelt & Hitler. S. 81. Herzstein kritisiert Roosevelts Vorstoß als „an impractical, idealistic concept predicated upon the return of Germany, Italy, and Japan to liberal political principles”. Eine solche von der Realität losgelöste Taktik entspricht nicht Roosevelts sonstigem klugen Taktieren. Ein letzter Versuch, die Diktatoren an den Verhandlungstisch zu bringen, ohne ihnen direkt Zugeständnisse zu machen, darf in der Rückschau nicht als naiv oder sinnlos gewertet werden, sondern als breit angelegte Suche nach konkreten politischen Alter- nativen zu einem Kriegsausbruch.

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zwischen den politischen Führungen der Hauptstädte verhandelt werden könne. Viel schwerer für die Berichterstattung wog ein weiterer Skandal: Die britische Presse unter Lord Beaverbrook und die amerikanische von Hearst hatten sich gegen Roosevelt aufgrund gemeinsamer Geschäfts- interessen zusammengeschlossen.1444 Diese Aussagen Dodds wurden von Judge Moore gegenüber dem Präsidenten gestützt: Eine von London aus finanzierte Kampagne wolle den amerikanischen Wahlkampf empfindlich stören.1445 Diese internationale Intrige gegen den amerikanischen Prä- sidenten, so schlussfolgerte Dodd aus diesen Entwicklungen, erhöhe die Gefahr eines aufkommenden Faschismus auch in den USA, denn nicht nur das nationalsozialistische Deutschland wolle die Wiederwahl Roosevelts verhindern, auch einige Angehörige des State Departments bezichtigte der Botschafter faschistischer Gesinnung zu sein oder Sym- pathien für derartiges Ideengut zu hegen: „Moreover, there is increasing activity from London, as in Berlin, against the re-election of President Roosevelt. […] All of these activities, among many others already given public attention, point to the possibility of Fascism in our country. […] In conclusion I ought to say that our service people, diplomatic and consular, have indicated their Fascist favor toward German-Italien domination of Spain; they have even indicated their opposition to their President”. 1446

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1444 Vgl. Dodd an Moore, 28. August 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. Vgl. zur indirekten Absage Ministerialdirektor Dieckhoffs auf Dodds Anfrage zum Interesse Deutschlands an einer (Abrüstungs-)Kon- ferenz vom 17. September 1936 auch ADAP, Serie C, Bd. V,2, Dok. 544 (S. 909). „Ich erwiderte dem Botschafter, daß es natürlich unmöglich sei, heute die Haltung der deutschen Regierung für einen hypothetischen Fall der Zukunft [eine Konferenz im Jahr 1937] festzulegen […]”. 1445 Vgl. Moore an Roosevelt, 15. September 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Moore, R. Walton: 1934-36. „[…] Dr. Dodd indicates that there may be European propaganda against you […]. […] London financiers, during your Administration, have invested about $3,000,000.000 here […]. The investors have become apprehensive and are now exerting all the influence they can command to accomplish your defeat. Lord Beaverbrook and Hearst are identified with this effort. […] [T]he supposed propagandist scheme […] is said to have its origin in London […]”. 1446 Dodd an Moore, 31. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38.

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Für eine zunehmend dramatische Lage im Laufe des Jahres 1936 sprachen weitere Faktoren, die Dodd Judge Moore, und damit indirekt Roosevelt, benannte. Die Mehrheit in Deutschland sei zwar für Hitler, nicht jedoch für Krieg, doch die deutsche Propagandatätigkeit bewirke ihr Übriges. Beamte des Auswärtigen Amtes hätten über Roosevelts Idee einer Welt- konferenz nur lachen können und es werde, so Dodd, keinen Friedens- vertrag geben, ohne dass vorher ganz Europa faschistisch geworden sei und die Bedingungen diktiere; selbst der französische Botschafter Poncet sei ein halber Faschist, während Hjalmar Schacht zusätzlich beständig auf die Franzosen einredete, doch eine faschistische Politiklinie anzunehmen. Die Tatsache, dass auch von London aus Propaganda gegen Roosevelt betrieben wurde, die eine amerikanisch-britische Kooperation so gut wie ausschloss, sowie die Beobachtung, dass die lateinamerikanischen diplomatischen Vertreter bereit waren, sich der deutschen Propaganda auf dem Reichsparteitag 1936 freiwillig auszusetzen und zuletzt der per- zipierte Druck des Faschismus von allen Seiten auf die USA einzuwirken schien,1447 erweckte bei Progressivisten wie Dodd die Angst vor einer Abwahl Roosevelts zu Gunsten eines vielleicht faschistischen oder kommunistischen, auf jeden Fall aber weniger demokratischen amerika- nischen Systems.1448 Je weiter der Wahlkampf1449 voranschritt, umso mehr Grund zur Beruhi- gung gab Moore Dodd in seinen Briefen nach Berlin. Alfred Landon, der republikanische Präsidentschaftskandidat, sei ein schwacher Gegner, und

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1447 Vgl. für all diese Aussagen Dodds: Dodd an Moore, 31. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1448 Vgl. Moore an Dodd, 17. September 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. „To me the strangest feature of the situation is that property owners fail to realize that a return to the reaction basis of conducting government would inevitably lead to the substitution for our system of some other system whether called fascism, communism or socialism”. 1449 Vgl. zur Präsidentschaftskampagne 1935/36 BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 324- 329. Vgl. auch SCHLESINGER: Politics of Upheaval. S. 499-657. Vgl. auch RAUCH: History of the New Deal. S. 223-264. Vgl. auch DAVIS: New Deal Years. S. 603-648. Vgl. auch BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 357ff. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 379-391. Laut Black erhielt Roosevelt besonders viele Stimmen aus der jüdischen, afroamerika- nischen und katholischen und protestantisch-südstaatlichen Bevölkerung. Der Mittlere Westen blieb dem Demokraten so gut wie vollständig verschlossen (S. 391). Vgl. auch SAVAGE: The Party Leader. S. 113-128.

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auch von der Liberty League könne man kaum befürchten, dass sie mit ihren finanziellen Mitteln Roosevelt das Land „wegkaufen“ werde. Um einen frühen Krieg mit Japan zu verhindern müssten jedoch die Philippinen zu neutralem Boden werden, wofür die Erklärung der Teilautonomie 1935 ein erster Schritt gewesen sei. Dies habe in Moores Augen bereits ein Wiedererstarken Englands und damit nach dem Wahl- sieg ein Besinnen der Amerikaner auf die eigenen innenpolitischen Herausforderungen ermöglicht. 1450 William Dodd dagegen hielt fest an seinen negativen Prognosen und Ängsten um den Fortbestand der amerikanischen Demokratie. Unverständlich waren ihm die vor- herrschenden Überzeugungen und Ergebnisse der Arbeit einer US- Kommission zur Aufklärung deutscher Spionage- und Sabotagetätigkeiten während des Ersten Weltkrieges. Unmissverständlich wurde er durch das State Department darauf hingewiesen, dass Nachforschungen seiner- seits, auch bei den deutschen Behörden, unerwünscht waren. 1451 Die deutsche Führung – in Augen des Botschafters die Regierung mit dem weitreichendsten Einfluss – betrieb offensichtlich auch die effektivste Pro- paganda, mit der Konsequenz, dass für Dodd die Festigung von Hitlers Macht das Ende aller Demokratien bedeutete. Zunehmend schrieb Dodd von der möglichen Bildung eines Proletariats in den Vereinigten Staaten. Er traute den durch die Krise verarmten Massen amerikanischer Bürger zu, gelenkt durch europäische Propaganda und amerikanische Parti- kularinteressen einen Klassenkampf auch auf dem eigenen Kontinent auszurufen.1452 An dieser negativen Prognose konnte Roosevelts Wahlsieg am 3. Novem- ber 1936 kaum etwas ändern. Dabei war die Wiederwahl des demo- kratischen Präsidenten seitens des Auswärtigen Amtes als definitiv bezeichnet worden. Hans Luthers Bericht an das Amt muss als besondere

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1450 Vgl. Moore an Dodd, 16. October 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. 1451 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 357f. S. 358: „I wired Washington to know whether I should open the question with the German authorities. The reply was: Do or say nothing”. 1452 Vgl. Dodd an Moore, 29. Oktober 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-M (2. Mappe „M”). „Big Business leaders […] mean to rule the nation against majorities and if present evolution of vast proletariats continue either a communistic or fascist effort will be made […]. […] Germany now [is] far the most powerful of all dictatorships. […] If the ‘holy’ Führer succeeds another two years there will be no hope for western democracies”.

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Quelle für die sich verändernde deutsche Sicht auf die USA und ihre weltpolitische wie ideologische Einordnung 1936 angeführt werden. Laut Luther sei der New Deal nur bedingt radikal in seinen Maßnahmen, Roosevelt als idealistischer, reformerischer Demokrat strebe die Evolu- tion, keine Revolution sowie die Nähe zu Großbritannien und Frankreich an. Er sei sich bewusst, wie unentbehrlich Deutschland für Frieden in Europa sei. Als die entscheidende Erkenntnis in Luthers Ausführungen muss herausgestellt werden, dass sowohl Landon als auch Roosevelt, demnach also alle Parteien in den USA eine verfassungskonforme Evolu- tion des politischen Systems und die eigene demokratische Tradition systemfremden Mechanismen und Weltanschauungen generell und selbst in Krisensituationen vorzögen. Auch die deutschen Beamten mussten an dieser Stelle erkennen, dass sich die USA ideologisch quer durch das gesamte politisch-gesellschaftliche Spektrum zum Kontrahenten für Deutschland entwickelten, nicht zuletzt, weil Roosevelts idealistisch- reformerischer Geist eine neue, starke politische Gesinnung bildete: „Wieder gilt es aber, auch in dieser Hinsicht vor einem leicht zu begehenden Irrtum nachdrücklich zu warnen. Die Wahl Roosevelts ist, wie gesagt, ein Bekenntnis zu seiner Führerpersönlichkeit. Sie ist nicht ein Bekenntnis zu einem Führerprinzip. Roosevelt wie Landon konnten sich im Wahlkampf kaum genug darin tun, immer wieder zu versichern, daß sie fest auf dem Boden der Verfassung zu stehen gewillt sind […] und daß sie den Kampf gegen alle fremden ‚unamerikanischen‘ ‚ismen‘ entschlossen führen wollten, es möge sich um Kommunismus, Faschismus oder Nationalsozialismus in den Vereinigten Staaten handeln. […] Unter solchen Gesichtspunkten muß der Wahlausgang, und zwar inso- weit unter Zusammenaddierung der Rooseveltschen und Landonschen Stimmen als ein erneutes Bekenntnis der Vereinigten Staaten zum demo- kratischen Prinzip gewertet werden. […] [Bei Roosevelts Programm] handelt es sich um den stark idealistischen, puritanisch-presbyteria- nischen und bürgerlich-reformerischen Geist […]. […] Neu und radikal sind seine Ideen indes im Grunde nur für die Vereinigten Staaten selbst. […] Die überwiegende Zahl der amerikanischen Wähler hat sich zu solchem New Deal Roosevelts aber auch deshalb bekannt, weil sie in seinen Grundsätzen die Vermeidung einer Revolution und ein Heraufführen neuer Zeiten

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durch Evolution erblickte. […Dies alles] sind Meilensteine einer neuen amerikanischen politisch-geistigen Gesinnungsbildung”.1453 Von einer proletarischen Revolution konnte 1936 folglich keine Rede sein, doch die Angst der Progressiven blieb. Kurz vor seiner Reise nach Buenos Aires, um die Good Neighbor-Policy gegenüber den latein- amerikanischen Nachbarn in eine neue Phase überzuleiten, schrieb Roosevelt noch im Freudestaumel über den begeisterten Empfang auf dem südlichen Subkontinent, dass er Dodds lange Berichte sehr schätze, und dass er hoffe, seine Wiederwahl und die Bestärkung der amerikanischen Demokratie könnten Neid, aber auch Hoffnung bei der europäischen Bevölkerung wecken.1454 Roosevelts Wortwahl in seinem Abschlussplädoyer in Buenos Aires ist bemerkenswert, denn seine pro- gressiv-internationalistische Einschätzung deckte sich größtenteils mit der seines diplomatischen Repräsentanten in Berlin; nämlich dass Demokratie, freie Marktwirtschaft und fairer Handel die Grundlage für ein alternatives, auf Frieden basierendes amerikanisches System einer modernen Massengesellschaft bildeten und damit präventiv einer dikta- torischen Kontrolle der Massen und neuen Kriegen Einhalt geboten. Der ideologische Krieg der Systeme hatte offensichtlich längst begonnen. Unverhohlen spielte der amerikanische Präsident auf die europäischen Zustände und die deutschen Entwicklungen unter nationalsozialistischer ______

1453 Luther an das Auswärtige Amt, Inhalt: Die Präsidentenwahl, 24. November 1936. PAAA. Pol. IX USA 73. Po5 USA: Innere Politik, Parlaments- und Parteiwesen, 3. August 1937 bis 29. Juni 1937. Band 2 (Best.: R 104995). 1454 Vgl. Roosevelt an Dodd, 9. November 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „I like your ‘long story’ […]. […] That visit [to Buenos Aires] will have little practical or immediate effect in Europe but at least the forces of example will help if the knowledge of it can be spread down to the masses of the people in Germany and Italy. Incidentally, I think the results last Tuesday [of the elections] may have made the German and Italian populace a little envious of democratic methods”. Vgl. zu Roosevelts Reise zur Konferenz in Buenos Aires BAILEY: Diplomatic History. S. 684f. Vgl. auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 132ff. Vgl. zur Einladung Roosevelts zu jener Konferenz das Dokument „The President Suggests to All the American Republics and Inter-American Conference at Buenos Aires to Advance the Cause of American and World Peace”, January 30, 1936 in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 17. S. 72-75. Vgl. ebenda Dokument 35. S. 124f. Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 408f. Die beiden Autoren betonen das Ergebnis der Konferenz: Die Multilateralisierung der Monroe-Doktrin. Die im Folgenden beschriebenen Worte Roosevelts deuten jedoch auf einen zumindest ideell sehr viel weitergehendes Postulat der US-Außenpolitik hin.

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Herrschaft an, ohne diese namentlich zu nennen, und verknüpfte den Wohlstand und die Sicherheit beider amerikanischer Subkontinente mit dem Schicksal beliebiger Nationen in Übersee: „Beyond the ocean we see continents rent asunder by old hatreds and new fanaticisms. We hear the demand that injustice and inequality be corrected by resorting to the sword […]. We hear the cry that new markets can be achieved only through conquest. […] We know, too, that vast armaments are rising on every side and that the work of creating them employs men and women by the millions. It is natural, however, for us to conclude that such employment is false employment […]. In either case, even though the Americas become involved in no war, we must suffer too. The madness of a great war in other parts of the world affect us and threaten our good in a hundred ways. Can we, the Republics of the New World, help the Old World to avert the catastrophe which impends? Yes; I am confident that we can. First, it is our duty by every honorable means to prevent any future war among ourselves. […] Secondly, and in addition to the perfecting of the mechanism of peace, we can strive even more strongly than in the past to prevent the creation of those conditions which give rise to war. […] Through democratic processes we can strive to achieve for the Americas the highest possible standard of living conditions for all our people. […] Democracy is still the hope of the world. If we in our generation can continue its successful application in the Americas, it will spread and supersede other methods by which men are governed and which seem to most of us to run counter to our ideals of human liberty and human progress”.1455 Oberstes Leitprinzip und Ziel der freien Demokratie bleibe, und müsse immer sein, die „freedom and security of the individual, which has become the foundation of our peace”.1456 Eine klarere Absage an das Welt- und Menschenbild der Kommunisten, Faschisten und National- sozialisten, an Hitlers und Stalins Glauben an die Selbstaufopferung des Einzelnen für die Gemeinschaft konnte der Chef der amerikanischen Exekutive nicht äußern. William Dodd brachte Roosevelts Ausführungen zur Rolle Amerikas in einer von totalitären Wirtschafts-, Denk- und Politikstrukturen bedrohten Welt auf den Punkt. Er schrieb Moore

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1455 Dokument „Our Purpose, under Happy Auspices, Is to Assure the Continuance of the Blessings of Peace. Address before the Inter-American Conference for the Maintenance of Peace, Buenos Aires, Argentina”, December 1, 1936, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 224. S. 605-609. 1456 Address at Buenos Aires, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. S. 608.

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von der Lösung für das amerikanische Dilemma, welche moralisch und wirtschaftlich in der Kooperation mit Lateinamerika zu suchen sei, doch besonders die wirtschaftliche Lage der USA sei weitaus komplexer als 1914. Zum wiederholten Male verknüpften der amerikanische Botschafter in Berlin wie auch sein Präsident die soziale Frage in Amerika mit der wirtschaftlichen Erholung, der Stabilität des eigenen Systems und der weltweit gefährdeten Demokratie. Die arbeitslosen Massen dieser Dreißiger Jahre könnten leicht durch die Banker und Großindustriellen manipuliert werden, und sich dann in einem Befreiungskampf zu Anarchie oder Diktatur im Sinne der europäischen Ideologien Faschismus und Kommunismus bekennen. 1457 In einem Brief an Lord Cecil im November beschwerte er sich abermals, dass Roosevelt aufgrund der Isolationisten die Hände gebunden seien, um diese Massen unter Kontrolle zu bringen. Die soziale Frage sei in Demokratien nicht einfach durch Aufrüstung, Expansion oder Arbeitslosengeld lösbar.1458 Diese Worte machen deutlich, wie der progressive Botschafter das amerikanische Dilemma zwischen Verfassungstreue und Reform sowie die soziale Frage des 19. und frühen 20. Jahrhunderts direkt in einen Zusammenhang mit einem aus seiner Sicht notwendigen Sieg der Demo- kratie über die europäischen Ideologien brachte und das amerikanische

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1457 Vgl. Dodd an Moore, 9. November 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 3 of 3. „ If Big Business goes on and continues to control our economic life, the masses are going to be almost as helpless. […] If the Supreme Court continues to veto every important method of business regulation, anarchy will come when another real depression comes from speculation and then perhaps a dictatorship”. Vgl. hierzu Roosevelts „Annual Message to the Congress. January 3, 1936, in: The Public Papers and Addresses Vol. 5, 1936. Dokument 1. S. 16. Bezogen auf eine mögliche Nutzung des seit 1933 erweiterten politischen Handlungsrahmens der Exekutive nach einem Wahlsieg durch die reaktionären Gruppen in Amerika, die nicht mehr nur zu einem wirtschaftlichen Laissez-faire zurückkehren, sondern zu einer ökonomischen Autokratie werden wollten, meinte Roosevelt: „But in the hands of political puppets of an economic autocracy such power would provide shackles for the liberties of the people. Give them their way and they will take the course of every autocracy of the past – power for themselves, enslavement for the public”. 1458 Vgl. Dodd an Lord Cecil, 16. November 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-C. „ […] This [the depression] has given us twenty or thirty million proletarians […]. Similar proletariats in Russia, Italy and Germany gave opportunities for the dictatorships that show how completely dependent and unemployed masses can be made. […] There are two great tasks before democracies. The first is real escape from depressions and unemployment”.

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Wohlergehen, die Zukunft des eigenen Systems, uneingeschränkt mit dem Schicksal Europas verband. Die Isolationisten eröffneten radikalen Bestrebungen, wenn sie diese nicht schon selbst hatten, Tür und Tor, um das amerikanische System von innen heraus zu zerstören. Unkon- trollierte Massen von Bürgern ohne Zukunftsperspektiven stellten dabei ein gefährliches Instrument in den Händen politischer Akteure dar. Dies könne im Falle eines Aufstandes gegen eine Diktatur der Minderheit rasch zu einer Revolution der Massen nach sowjetischem Vorbild oder zu einer faschistischen Diktatur führen. Die Europäisierung des amerika- nischen Systems, damit die Zerstörung des Experiments durch nun nicht mehr reaktionäre Kräfte (der Groß- und Kolonialmächte), sondern revolutionäre Ideologien, die theoretische wie praktische Alternativen zum demokratischen System sowie eine radikale Lösung der sozialen Frage boten, bildete einen Topos für amerikanische Progressivisten und Liberale, der den Weg in das Blockdenken des Kalten Krieges frei machte und den auf beiden Seiten des Ozeans perzipierten Krieg der Systeme auf eine neue, ideologisch begründete Metaebene hob.1459 William Dodd als Beobachter der anderen ideologischen Systeme vor Ort in Europa stellte dabei keine Minderheit bei den Progressiven dar. Die Aussagekraft der bereits angeführten Briefe, Reden und Aussagen ______

1459 Vgl. hierzu auch Roosevelts Rede „‘Our Purpose, under Happy Auspices, Is to Assure the Continuance of the Blessings of Peace.’ Address before the Inter-American Conference for the Maintenance of Peace, Buenos Aires, Argentina. December 1, 1936, in: The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 224. S. 605. „The men, women, and children of the Americas know that warfare in this day and age means more than the mere clash of armies: […] they foresee that children and grandchildren, if they survive, will stagger for long years not only under the burden of poverty but also amid the threat of broken society and the destruction of constitutional government. [….S. 609:] Finally , in expressing our faith of the , let us affirm: That we maintain and defend the democratic form of constitutional representative government. That through such government we can more greatly provide a wider distribution of culture, of education, of thought, and of free expression. […S. 610:] The faith of the Americas, therefore, lies in the spirit. The system, the sisterhood, of the Americas is impregnable so long as her Nations maintain that spirit [of a belief and a trust in God]”. Mit diesen letzten Worten, dem Bekenntnis zu Gott, stellte Roosevelt das amerikanische System in direkte Konkurrenz zu den atheistisch begründeten Systemen des Kommunismus und Faschismus/Nationalsozialismus. Vgl. zur Lösung sozialer Probleme durch das demokratische System Roosevelts Rede in Montevideo: Dokument „We Are Seeking … to Use the Processes of Democratic Government in Solving the New Problems. Address at Montevideo, Uruguay”, December 3, 1936 in The Public Papers and Addresses Vol. 5, 1936. Dokument 226. S. 612. „[…] [W]e are seeking to […] use the processes of democratic government in solving the new problems”.

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Roosevelts zeugen hiervon. Josephus Daniels, Roosevelts Botschafter in Mexiko und Wilsons ehemaliger Marineminister, sah zwar weniger die Gefahr einer Beeinflussung des Präsidenten durch die Finanzwelt, dafür sei er ein zu herausragender Staatsmann, doch der konservative Flügel der demokratischen Partei um die Politiker Becker, George und Glass werde aktiv von einigen Printmedien gegen den New Deal unterstützt. Siegte dieser Flügel innerhalb der Partei, könne sich ein Teil der Mit- glieder mit linker Tendenz als Arbeiterpartei abspalten, um eine Politik auf Basis eines Klassendenkens zu betreiben. 1460 Das Vordringen des Faschismus, Nationalsozialismus, und Kommunismus musste Amerika beschäftigen, denn die Diktaturen selbst, allen voran das national- sozialistische Deutschland als in Amerika am intensivsten perzipierte Gewaltherrschaft, stellten Amerikas politisch-kulturellen und mora- lischen Führungsanspruch im Kern in Frage. Dabei ist festzuhalten, dass auch Konservative, Isolationisten, tradi- tionelle Außenpolitiker über Parteigrenzen hinweg diese Ängste teilten und sich oft nur methodisch, nicht aber in der Zielsetzung, von den Progressiven unterschieden: Amerika abzuschotten bedeutete, fremde Ideologien, fremde Propaganda, fremde Politiktechniken aus dem Land fernzuhalten, um das eigene Experiment von 1776 in den Wirren des anfänglichen 20. Jahrhunderts zu retten. Aus diesem Grund urteilten auch gemäßigtere Progressive wie R. Walton Moore, dass die Neutrali- tätsgesetzgebung einen irreführenden Namen trug: Nicht um Neutralität konnte es hier gehen, sondern nur noch um Friedensgesetzgebung, damit die richtigen Debatten im Land geführt und partikulare Interessen in

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1460 Vgl. Josephus Daniels an Dodd, 10. Dezember 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-D. „Some of his [Roosevelt’s] supporters who do not know him very well fear that he will be beguiled by the blandishments of Big Business. I do not at all entertain that opinion. […] He is a better politician than either of them [Monroe, Cleveland and Wilson]. […] However, […] there is a considerable element in the Democratic Party, made up of men like Glass and Newton Baker and lesser men like George of Georgia and Bailey of North Carolina, which has oppoed all the really vital New Deal policies of Roosevelt. These conservative forces, with the subversive aid of most of the widely circulated newspapers, will try to turn Roosevelt toward what they call conservatism and sanity. […] If the Democratic Party should become more conservative […] you are quite right in saying that there will be born a powerful farm-labor party. […] I should regret to see a party formed that would be based on class”.

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der Gesellschaft ausgesöhnt – die Union also wieder vereint – werden konnten.1461

5.2.3. Dodd und das State Department 1935/36: Zwischen Reformen, Rücktrittsüberlegungen und Intrigen In Ausübung seiner verschiedenen Rollen spitzte sich für Botschafter William Dodd entlang innen- und außenpolitischer Konfliktlinien auch die Situation bezüglich seiner Tätigkeit als Mitglied des State Departments zu. Zum einen ging es hierbei um die Interpretation der notwendigen Fähigkeiten und des Engagements eines amerikanischen Repräsentanten im Ausland. Um eine klare, starke amerikanische Außen- politik formulieren zu können, war das Vorhandensein von geeignetem Personal im diplomatischen Dienst der Vereinigten Staaten in William Dodds Augen unabdingbar. Für den Chicagoer Professor, selber wie erwähnt kein Karrierediplomat, bezogen sich die notwendigen Fähig- keiten nicht nur auf das Beherrschen rein diplomatischer Handfer- tigkeiten, sondern auf eine umfassende historische, politische und moralische Bildung der Vertreter des Landes im Ausland. Botschafter dienten für ihn im Sinne eines Jeffersonischen Konzeptes der „city shining upon a hill“ und dem Modellcharakter des amerikanischen Systems als moralische Vorbilder. 1462 Diese Auffassung hatte zwei Konsequenzen für Dodd: Zum einen konnte er als Vertreter der amerikanischen Demokratie in Berlin keinesfalls aktive Beziehungen zur nationalsozia- listischen Führung aufrechterhalten. Diese Haltung beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit, denn schon 1935 waren unter den Anwesenden auf Dodds Empfängen und Gastmählern kaum deutsche, und schon gar keine nationalsozialistischen Funktionäre mehr zu finden.1463 Zum anderen beruhte diese Einstellung auf der Grundlage einer tiefen Ab- neigung Dodds gegenüber vielen anderen Botschaftern, besonders aber den Karrierediplomaten und Beamten des State Departments, die

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1461 Vgl. Moore an Roosevelt, 15. Dezember 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Moore, R. Walton: 1934-36. 1462 Vgl. Dodd Confidential Memorandum, 7. Februar 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-D. 1463 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 226f. Dies war spätestens Frühjahr 1935 der Fall: die meisten deutschen Offiziellen und Beamte entschuldigten sich, wenn immer ein- geladen zu offiziellen Veranstaltungen Dodds.

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aufgrund des Eliten- und Bildungssystems oft in Folge ihrer Herkunft oder besonders durch ihren Reichtum Einzug in jene hohen Ämter erhalten hatten. Der amerikanische Auswärtige Dienst gehörte in Augen Dodds rundum reformiert, um Effizienz, Präzision, und generell Qualität der Außenpolitikformulierung und Umsetzung zu gewährleisten.1464 Mit dieser Meinung stand der Demokrat nicht alleine: Judge Moore, selbst einer der höchsten Beamten im Department, ermutigte ihn auch im Namen des Präsidenten, in seinen Briefen ausführlich von den konkreten Missständen, insbesondere in den Konsulaten und Botschaften in den europäischen Hauptstädten, zu berichten und Verbesserungsvorschläge anzubringen. Moore forderte eine offene Bestrafung für mangelnde Disziplin oder Effizienz von Botschaftsmitarbeitern. 1465 Auch Moore kritisierte die Verschwendungssucht und den pompösen Lebensstil vieler Diplomaten. 1466 Dodd stieß sich besonders an den dürftigen intellektuellen Fähigkeiten sowie an mangelhafter Beobachtungsgabe beziehungsweise Realitätssinn und an defizitären sprachlichen Qualifi- kationen. Am schwersten wog für Dodd, dass viele der Diplomaten ihre Arbeit nicht wirklich ernst nahmen.1467 William Dodd konnte sich R. Walton Moores persönlicher Unterstützung auf diesem Sachgebiet und darüber hinaus sicher sein. Einige Briefe Moores an Roosevelt zeugen davon, dass der Counselor des State Departments tatsächlich alle relevanten Briefe Dodds an den Außen- minister sowie an den amerikanischen Präsidenten weiterleitete und damit einen direkten Einfluss des Botschafters über seine direkten

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1464 Vgl. Dodd an Moore, 18. Februar 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 1 of 3. 1465 Vgl. Moore an Dodd, 18. Februar 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 1 of 3. „[…] I think you should have no hesitation whatever in expressing in the most frankly definite manner to any of your subordinate your views as to how they should carry on”. Vgl. auch Moore an Dodd, 29. März 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). „I read all of your despatches and telegrams […] and am always glad to receive your personal letters, which I make a point of showing to the Secretary and ordinarily the President. You cannot too fully, from this time on, give us your views as to what is in prospect”. 1466 Vgl. Moore an Dodd, 29. August 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 255f. 1467 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 300f. Dodd beschwert sich Anfang 1936 in seinem Tagebuch über die Länge von verfassten Telegrammen, über die Masse an sinnlosen Berichten, die nach Washington gesendet wurden – inklusive der entstehenden unnötigen Kosten – sowie die Unfähigkeit seines Sekretärs.

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Korrespondenzen hinaus gewährleistete und unterstützte.1468 Während Colonel House seinen Schützling lieber in Washington, im Kreise weiterer progressiver Politiker um Roosevelt gesehen hätte,1469 ermutigte Moore seinen Freund ohne Unterlass, auf dem Posten in Berlin zu verharren. Nicht nur setzte er sich aktiv für dessen Urlaubspläne beziehungsweise Bitten um Auszeiten aus gesundheitlichen Gründen ein – aufgrund dessen konnte Dodd vom 18. April 1936 bis zum 24. Juli 1936 einen weiteren längeren Amerikaaufenthalt und die Teilnahme am Wahlkampf antre- ten 1470 – auch Dodds Reformvorschläge konnten dank Moore zum Präsidenten vordringen. Im Juni schrieb Dodd seiner Frau Mattie, der Präsident wolle nach seiner Wiederwahl eine Reform des Auswärtigen Dienstes vornehmen, dessen desaströse Zustände er erkannt habe; darüber hinaus wünschten er und Moore Dodds Verbleib für weitere vier Jahre in Berlin. 1471 Das häufige Lob, das Moore seinem Freund vom Präsidenten ausrichten ließ, die ausführlichen Korrespondenzen, die konkrete Umsetzung von Dodds Reformvorschlägen, alle jene Punkte sprechen für ein bewusstes Festhalten Roosevelts an seinem Botschafter 1935 und 1936 aufgrund seiner hervorragenden Arbeit als Leiter der Botschaft, als Beobachter der deutschen Politik sowie aufgrund seiner Vorschläge für eine gesteigerte Effizienz und Qualität umgesetzter Außenpolitik durch die Beamten und Diplomaten des State Departments.

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1468 Vgl. Moore an Marguerite LeHand (Personal Secretary to the President), 21. Februar 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „Dr. Dodd understands that I am at liberty to show his confidential letters to the President and Secretary Hull”. 1469 Vgl. House an Dodd, 14. Juli 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. „It may be that another position could be offered you that would be more congenial than the one you now have”. 1470 Vgl. Moore an Dodd, 18. Februar 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 1 of 3. Moore hatte am 18. Februar 1936 direkt mit Mr. Wilson im State Department gesprochen, der wusste, dass Roosevelt Dodd längere Abwesenheiten genehmigte, und stellte umgehend und unbürokratisch fest: „[…W]e can say that plan is approved”. 1471 Vgl. Dodd an Mattie Dodd, 3. Juni 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern, Sept. 29, 1926 – July 25, 1937. „Moore said he wished me in same position here next four years – very confidential”. Dies ist vermutlich mit der Tatsache zu erklären, dass Dodds Botschaft sich geradezu zu einem Modell effizienter diplomatischer Arbeit entwickelt hatte. Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 256.

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Dennoch wuchs die Zahl der Gegner. Es erstaunt deshalb nicht, dass ein direkter Konkurrent des progressiven Professors im Dunstkreis Roosevelts in den Jahren 1935 und 1936 aktiv wurde und es sollte nicht der einzige bleiben. So war zum Beispiel William Bullitt, ein enger Freund Roosevelts und dessen Vertrauter bis Anfang der 40er Jahre, in Dodds Augen nicht nur ein Verräter an Wilsons Politik gewesen, auch hatte er als Botschafter in Moskau versagt, sich unehrenhaft in die französisch- sowjetischen Verhandlungen über eine politische Annäherung einge- mischt, eine generell antisowjetische Politik der USA angeregt1472 und

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1472 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 277f.: Dodd stellte am 25. November 1935 fest, dass sich Bullitts Einstellung zur Sowjetunion völlig gedreht hatte. Mittlerweile vertrat er eine stark antisowjetische Haltung. S. 290f.: Am 22. Dezember 1935 kommentierte Dodd, der amerikanische Counselor der Botschaft Paris, Marriner, habe von Bullitts Ein- mischungen in die französische Politik gegenüber der Sowjetunion erfahren, und Dodd direkt hiervon berichtet. S. 370f.: Am 13. Dezember 1936 erinnerte sich der US-Botschafter in Berlin, dass Bullitt schon einmal als Wilsons Gesandter nach Moskau in Bezug auf die amerikanische Sowjetpolitik fehlgeleitet gewesen war: Als Wilson seinen Vorschlag zur Sowjetpolitik nicht annahm, attackierte er im Spätsommer 1919 den Präsidenten durch diffamierende Aussagen vor dem Senate Committee on Foreign Relations. Vgl. MADDUX, Thomas R.: Years of Estrangement. American Relations with the Soviet Union, 1933-1941. Tallahassee, FL, u.a. 1980. S. 50. Maddux bestätigt Dodds Annahme, Bullitt habe Paris von diesem Pakt mit der Sowjetunion aktiv abbringen und eine Annäherung zwischen Paris und Berlin angeregt. Vgl. zu Bullitts Rolle in Wilsons Sowjetpolitik BROWNELL/ BILLINGS: So Close To Greatness. S. 71-99. Vgl. zu Bullitts Zeit als Botschafter in Moskau FARNSWORTH, Beatrice: William C. Bullitt and the Soviet Union. Bloomington, IN, u.a. 1967. Vgl. die allgemeine Schilderung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen 1933 bis zum amerikanischen Kriegseintritt in MADDUX: Years of Estrangement. Vgl. zu antibolschewistischen Tendenzen der amerikanischen Außenpolitik LITTLE, Douglas: Antibolshevism and American Foreign Policy, 1919-1939. The Diplomacy of Self-Delusion. In: American Quarterly 35,4 (1983). S. 376-390. Little argumentiert, dass Antibolsche- wismus besonders im State Department nicht erst seit den 1940ern, sondern seit der Russischen Revolution tief verwurzelt war: „Yet what most observers fail to realize is that during the 1920s and the 1930s antibolshevism shaped United States relations with Latin America and southern Europe as well”. (S. 376). Vgl. auch DeSANTIS, Hugh: The Diplomacy of Silence. The American Foreign Service, the Soviet Union, and the Cold War, 1933-1947. Chicago, IL, London 1980. Insbesondere das Kapitel „The Soviet Connection”, S. 27-44. DeSantis sieht im Jahr 1936 einen entscheidenden Wendepunkt. Sowjetische Unterstützung für die spanische Regierung und parteiinterne Säuberungen durch Stalin führten zu einer Vertiefung der antibolschewistischen Haltung der meisten Beamten des Foreign Service. Vgl. zur Haltung des State Departments insbesondere zur diplomatischen Anerkennung der Sowjetunion JABLON: Crossroads of Decision. S. 20-37. Vgl. zu den antibolschewistischen Strömungen im State Department auch MADDUX, Thomas R.:

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die Lage in Europa fehleingeschätzt. Bei den Treffen und in den Brief- wechseln der beiden Botschafter, wenn auch nie in direkt ausgetragenem Konflikt, gingen ihre Einschätzungen der europäischen Situation sowie des weiteren amerikanischen Vorgehens weit auseinander. Anders als Bullitt sah Dodd kein Wohlstandszeitalter mit klarer Führungsrolle der Briten bevorstehen, die die „paar verrückten“ Ideen – gemeint waren Hitlers und Mussolinis außenpolitische Forderungen – sicherlich schnell wieder unter Kontrolle bringen würden.1473 Die Sowjetunion spielte für Dodd, im Gegensatz zum nach wenigen Monaten in Moskau ernüchterten Botschafter Bullitt, eine entscheidende Rolle für eine Friedensgarantie in Europa.1474 Die Abneigung der beiden Männer beruhte dabei auf Gegen- seitigkeit: So beschwerte sich Dodd in seinen Briefen nach Washington kontinuierlich über Bullitts Rolle in Europa, während William Bullitt 1937 maßgeblich an Dodds vorzeitiger Abberufung in die USA beteiligt sein sollte.1475

______Watching Stalin Maneuver Between Hitler and the West: American Diplomats and Soviet Diplomacy, 1934-1939. In: Diplomatic History 1,2 (1977). S. 140-154. 1473 Vgl. Bullitt an Dodd, 8. Oktober 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-B. „I confess that I am not nearly so pessimistic as you are. […] I am convinced that we are now entering a period of general economic prosperity. England is already in that period and most of the British Empire is entering it. […] [T]he British Empire will be so great that men will begin again, in spite of lunatic ideas which are prevalent in many quarters, to behave as reasonable human beings”. Vgl. zu Bullitts Einschätzung der Lage in Europa auch DAVIS: New Deal Years. S. 651-654 und BULLITT: For the President. S. 106. 1474 Vgl. zu Bullitts negativen Erlebnissen gegen Ende seiner Botschafterzeit in Moskau insbesondere BROWNELL/BILLINGS: So Close To Greatness. S. 169-186. Vgl. ausführlich FARNSWORTH: William C. Bullitt and the Soviet Union. Vgl. zu Bullitts Beobachtungen eingeordnet in die Haltung verschiedener amerikanischer Diplomaten gegenüber der Sowjetunion MADDUX: Watching Stalin Maneuver Between Hitler and the West. S. 140- 154. 1475 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 313. Dodd vermutete am 20. Februar 1936, dass sein Bericht über den angeblich schlechten Gesundheitszustand Hitlers an das State Department entweder von dort, oder über die Pariser Botschaft, nach Deutschland weitergeleitet worden war. Unklar ist, ob Dodd direkt Bullitt in Paris verdächtigte oder nicht. Vgl. BULLITT: For the President. S. 106. Bullitt riet dem Präsidenten im Gegensatz zu Dodd zu einer Politik des „To say nothing, do nothing, and carry a large cannon”. Vgl. ebenda. S. 181. Am 8. November 1936 riet er Roosevelt konkret, Dodd durch Hugh R. Wilson zu ersetzen: „Dodd has many admirable and likeable qualities, but he is almost ideally ill equipped [sic!] for his present job. He hates the Nazis too much to be able to do anything with them or get anything out of them”.

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Nicht nur aufgrund seines reformerischen Aktionismus war Dodd im State Department nicht beliebt. Jemand, der direkten Zugang zum Außenminister, Präsidenten und Counselor des Departments hatte, der erfolgreich Umwälzungen in althergebrachten behördlichen Strukturen mit etablierten Eliten anregte, der selbstständig eine Rolle für sich als Botschafter in Deutschland wie auch in Amerika definierte und wahrnahm, der, was seine Loyalität und seine Meinung betraf, eine unbeugsame Haltung einnahm, musste im Außenministerium polari- sieren. Deshalb ist anzunehmen, dass Dodds Beschwerden über mögliche Indiskretionen im Department selbst, wodurch vertrauliche private und berufliche Details hinsichtlich seines Postens in Berlin an die Presse gelangten, gerechtfertigt waren. Ein solcher Fall ereignete sich im März 1935, als sich William Dodd bei Handelsminister Daniel Roper beschwerte, ein Bericht seines Handels- experten Douglas Miller an das Department of Commerce sei in die Hände eines französischen Wirtschaftsmagazins gelangt.1476 Dodd ereifer- te sich über das skandalöse Verhalten einzelner Personen im Department, die offensichtlich wenig Vernunft bezüglich des Umgangs mit geheimen Daten an den Tag legten. Zu den verbreiteten Informationen gehörten auch Telegramme Dodds an den Außenminister Hull und vertrauliche Gespräche, die Dodd mit deutschen Vertretern geführt hatte. So gelangten Berichte, die das Department von Dodd aus Berlin erhalten hatten, eventuell direkt von der amerikanischen Behörde aus zurück nach Deutschland.1477 Dabei konnte die undichte Stelle durchaus ein

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1476 Vgl. Dodd an Daniel C. Roper, 25. März 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-R. „All the evidence I can get leads to the view that some one [sic!] in Washington gave a journalist a look into the document and mis- reported its contents. It happens that no copy of the Miller document was sent to the State Department”. 1477 Vgl. Dodd an Moore, 16. Oktober 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-M (2. Mappe „M”). „I have written more than one confidential account of the state of things here to the Secretary and never learned whether they were delivered. […] Newspaper people bring me stories all the time. They have extraordinary means of acquiring information; but I never lend their reports unless I can find other evidence. Do not consider this unfriendly criticism of our press”. Dieser Brief ist handschriftlich mit „not sent” markiert worden. Selbst wenn Dodd diesen Brief an Moore nicht abgesandt hatte, ist dieses Dokument aussagekräftig für seine Haltung zur Presse. Vgl. auch Dodd an Moore, 17. Oktober 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. Dodd hatte den Miller-Report selbst nicht geschrieben, aber sein Entstehen beaufsichtigt. Auch ein weiteres Telegramm, Hitlers

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Bote oder ein Sekretär, nicht zwangsweise ein hoher Beamter sein, wie der amerikanische Botschafter Moore versicherte.1478 Roper, der helfen wollte und im Mai den Bericht im Department lokalisieren konnte, äußerte seine Bedenken, warum der Bericht erst so spät in der Öffent- lichkeit gelandet war.1479 Besonders ärgerte sich Dodd über die erstaunte, in seinen Augen scheinheilige Reaktion William Phillips‘ während seines Besuches in der Botschaft in Berlin im Dezember 1935 auf die hervor- ragende Qualität und Ausführlichkeit der Depeschen und Briefe nach Washington. Dodd war sich nicht sicher, ob Phillips sie je wirklich gelesen hatte.1480 Während Henry Morgenthau sich mit dem Inhalt der Informationen, die er über Dodd bezog, höchst zufrieden zeigte,1481 drängte Phillips

______Befehl an alle deutschen Offiziellen, keiner Propagandatätigkeit in den USA nachzugehen, sei im Original verloren gegangen und Phillips habe dieses nicht mehr finden können. „These facts lead me to the feeling that what one writes here gets out, perhaps comes back here. That was my main point”. 1478 Vgl. Dodd an Moore, 17. November 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. „There was never a thought in my mind that you or any of the high officials of the State Department ever handed out information that was confidential. It was only the conviction that some clerk or messenger boy does the thing for compensation”. 1479 Vgl. Daniel C. Roper an Dodd, 9. Mai 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-R. „It appears that a copy was sent to the State Department, contrary to your belief, and is now in the possession of that Department”. Roper habe den Zeitungsartikel der Havas News Agency mit dem Miller-Report verglichen und stelle eine Ähnlichkeit fest: „It is quite odd, however, that the information should have been utilized so long after the report was received in Washington”. Anm. d. A.: Unklar bleibt, ob der Bericht tatsächlich durchgängig im State Department vorlag oder erst nachträglich an den Zielort gebracht worden war. 1480 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 291f. Under Secretary of State Phillips war Ende Dezember 1935 in der Berliner Botschaft zugegen. Dort erhielt er von den verschiedenen Botschaftsmitgliedern, wie den Militärattachés, dem Handelsattaché und natürlich Dodd einen Überblick über die deutsche Lage. S. 292: „Mr. Phillips was amazed and distressed, although all this information has been going to the Department for two whole years”. 1481 Vgl. Henry Morgenthau, Jr. an Hull, 31. Dezember 1935. Roosevelt Library. Henry Morgenthau, Jr. Papers. Morgenthau Correspondence: 1933-45, State Department General [1940] – State Department, Hull & Phillips [1935]. Mappe Henry Morgenthau, Jr. Correspondence State Dept. Hull and Phillips July 1935-Dec 1935. „Would you be so good as to thank the Ambassador to Germany by letter for sending me this most helpful information?” In jenem Dokument ging es um ein Telegramm der US-Botschaft in Berlin zum Besuch eines Dr. Hans Hartenstein sowie des Reichsbankdirektors Emil Puhl in den USA.

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den Präsidenten 1936, Dodd als Botschafter abzuziehen.1482 Hiergegen avancierte der Liberale R. Walton Moore, Sumner Welles´ Konkurrent bezüglich der Nachfolge auf Phillips´ Posten, zur größten Vertrauens- person Dodds im Department, der die nicht erlaubte Herausgabe vertraulicher Informationen aufzuklären versuchte und Dodd in seinem Posten immer wieder bestätigte. 1483 Dies wusste der amerikanische Botschafter zu schätzen, schrieb er doch seinem Freund Moore an manchen Tagen gleich mehrere Briefe.1484 Bis zu Dodds Tod sollte Moore eine zentrale Rolle im Leben des amerikanischen Professors spielen und sich für ihn über seine Amtszeit als Botschafter hinaus in freundschaftlicher Verbundenheit engagieren. Mehrfach war es Judge Moore, der seinem Freund William Edward Dodd in den Jahren 1935 und 1936 Schützenhilfe leistete, als dessen Gesund- heitszustand sich periodisch verschlechterte. Im State Department wurden Abwesenheitszeiten von Botschaftern auf europäischen Schlüssel- posten mit Argwohn beobachtet. So warnte Moore Dodd davor, dass sich unwillkürlich Kritik im Department regen würde, sollte Dodd längere Fehlzeiten beantragen, wollte aber sowohl in Dodds Sinne bezüglich seines Urlaubsantrages beim Präsidenten vorsprechen sowie seine Wünsche bezüglich eines Personalwechsels in der Botschaft im Sommer 1935 unterstützen.1485 Der Botschafter litt zwar unter der an- gespannten Atmosphäre in Berlin, die er als gesundheitsschädigend bezeichnete, sowie unter den neuesten Entwicklungen der deutschen

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1482 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 274. 1483 Vgl. Moore an Dodd, 25. Oktober 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. Nachdem Moore vergeblich Nachforschungen angestellt hatte, wer den Philadelphia-Artikel herausgegeben haben könnte, bekräftigte er Dodd gegenüber, Inhalt wie Umfang seiner Schreiben überaus zu schätzen: „I would be very much hurt should you have any thought that I have intended to complain of any lack of information from you”. Baileys Behauptung, auch Moore habe wie Phillips Dodds Berichte und ihren knappen Stil kritisiert, ließ sich in den entsprechenden Quellen nicht bestätigen. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 161. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 251. Dallek erklärt, es sei Moore gewesen, der Dodd immer wieder von einer Kündigung abgebracht hatte. Diese Tatsache widerspricht Baileys These von Moores inhaltlicher und formaler Kritik an Dodds Ausübung seiner Botschaftertätigkeit. 1484 Vgl. Dodd an Moore, 10. Februar 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 1 of 3. Vgl. auch Dodd an Moore, 28. Juli 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. 1485 Vgl. Moore an Dodd, 19. August 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2.

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Innenpolitik und den ersten Schmähartikeln in der US-Presse, die sich abfällig über seine Leistung als amerikanischer Repräsentant in Berlin äußerten, doch schien ihm ein Urlaub oder eine Auszeit zumindest vorübergehend die vorzuziehende Alternative zum Rücktritt. 1486 Mit Rücktrittsgedanken hatte sich William Dodd immer wieder herum- getragen, besonders intensiv jedoch nach dem gescheiterten Senatsvotum des Januar 1935, im Sommer und Herbst jenes Jahres. Colonel Edward House hatte ihm nahegelegt, vielleicht schon im Oktober in die USA zurückzukehren, doch da Dodd nicht aufgeben wollte und er auch keinen Gefallen an einem alternativen Posten in Washington finden konnte, verschoben sich weitere Gedanken an eine Kündigung auf den Oktober, die durchaus als Nachklang und Reaktion auf einen äußerst kritischen Zeitungsartikel gewertet werden können.1487 Am 18. August 1935 war ein Zeitungsartikel im Philadelphia Record erschienen, der – darin waren sich Moore und Dodd einig – unwahre Aussagen über die Qualität der Arbeit des Botschaftspersonals um Dodd beinhaltete. Wenn sich der amerikanische Botschafter auch einige Male über die mangelnde Disziplin seiner Mitarbeiter geärgert hatte, eine solche Verurteilung durch die Presse verdienten die Botschaftskollegen seiner Ansicht nach nicht, denn ihre Arbeit hatte sich unter seiner Führung durchweg verbessert. Einige der Aussagen führte Dodd auf die Herausgabe vertraulicher Informationen durch mögliche Intriganten im State Department selbst zurück.1488 Roosevelt gab Judge Moore im

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1486 Vgl. Dodd an Moore, 3. September 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. „This means that a prolonged activity here, where the atmosphere has always been somewhat troublesome to one’s nerves, has brought me to the point where I think it would be unwise, if not even dangerous, for me to stay here too long. […] However, I do not like to resign if any embarrassments are likely to be involved”. Es ist aus den Quellen nicht ersichtlich, warum Frank Lee, einer der Secretaries der Botschaft, am 23. August 1935 Dodd schrieb, dass es ja unsicher sei, ob er von seinem Kuraufenthalt in Konstanz, geplant vom 6. bis 26. August, zurückkehren würde. Dieser Aufenthalt war von vorneherein nur als Erholungsurlaub, nicht als erster Schritt zum Rücktritt beantragt worden. Vgl. Frank C. Lee an Dodd, 23. August 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-L. 1487 Vgl. Dodd an House, 25. Juli 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. „[…I]t will be very hard for Roosevelt or anybody else to do what his three greatest predecessors failed to do. […] If this analysis of things is correct, you can see how little service I could render to anybody”. 1488 Vgl. Dodd an Moore, 7. September 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-M. „I can hardly see how anyone could write this story

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September 1935 die klare Anweisung, dass Dodd in Berlin gebraucht wurde und ein Rücktritt nicht in Frage kam: „In any event, we most certainly do not want him to consider resigning. I need him in Berlin”.1489 Der Präsident ging in Folge dieser Einschätzung von Dodds Leistungen sogar so weit, sich über Cordell Hulls Weisungen hinwegzusetzen und dem Professor der Geschichte einen erneuten Urlaubsantrag für April bis Juli 1936 zu bewilligen. 1490 Hinter dieser Entscheidung stand vermutlich Roosevelts Annahme, dass sich Dodd im Kampf um die Wiederwahl 1936 zu seinen Gunsten einbringen und soziale Netzwerke in Chicago und darüber hinaus aktivieren würde. Dodd bemühte sich um Verschwiegenheit seitens des Departments und des Auswärtigen Amtes bezüglich seiner Abwesenheit.1491 Dass Dodds Bitte um Zeit für

______without having had confidential information on certain points from the State Department itself […]. […W]hat is said about me is rather nasty […] but the remarks made about members of the staff here are almost all false”. 1489 Roosevelt an Moore, 11. September 1935. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. Vgl. auch Roosevelts Worte in einem Brief an Botschafter Breckinridge Long in Rom, den Fred Bailey aus der Originalquelle in der Roosevelt Library, PSF, zitiert: „You and Dodd have been far more accurate in your pessimism … than any other of my friends in Europe”. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 155, zitiert nach Roosevelt an Long, 19. September 1935. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. 1490 Moore hatte dem Präsidenten geschrieben, dass Cordell Hull Dodds erneuten Urlaubsantrag für April bis Juli 1936 nicht guthieß, da er sich an der Universität Chicago zu kritischen Aussagen über Deutschland und Europa hinreißen lassen könnte, wenn auch seine Arbeit sonst hervorragend sei, und erbat sich eine klare Anweisung, nicht jedoch, ohne Dodds außerordentliche Arbeitsleistung zu bestätigen. Vgl. Moore an Roosevelt, 10. September 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. „I may say that the work at Berlin appears to be carried on very satisfactorily and you may conclude that his detachment from it for a rather long time might not be detrimental unless there should be an unexpected explosion in Europe”. Da sich Dodd auf seinen alten Counselor White, sowie den neuen Counselor Mayer, wenn er auch zu sehr unabhängigem Handeln neigte, nach dessen Ankunft im Dezember verlassen konnte und Dodd versichert hatte, dass die Vorlesungen im Sommersemester in Chicago unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden würden, bewilligte Franklin Roosevelt gerne jenen längeren Amerikaaufenthalt.Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 282. Mayer aus Indianapolis sei am 2. Dezember 1935 in der Botschaft seinen Posten angetreten, nachdem er drei Jahre in Genf gearbeitet hatte. Vgl. Dodd an Moore, 26. September 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. 1491 Vgl. Dodd an Moore, 31. März 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 1 of 3. Vgl. auch Bülow an Reichsaußenminister, 16. April 1936. PAAA. Büro Staatssekretär, Akten betreffend: Aufzeichnungen St.S. von Bülow über Diplomatenbesuche A-K, vom 1. Oktober 1935 bis 21. Juni 1936. Band 10, AD

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gesundheitliche Erholung und Unterstützung im Wahlkampf den Präsi- denten und seine progressiven Berater keineswegs verärgert hatte oder gar von einer Unfähigkeit als Botschafter zeugte, beweist die Tatsache, dass Roosevelts Begeisterung für Dodd laut Moore ungetrübt war und sich der Chef der Exekutive unmittelbar nach Ankunft Dodds in Amerika mit seinem Botschafter treffen wollte.1492 William Dodds Abwesenheit sollte dennoch zu Konsequenzen führen, die langfristig seine Rückbe- rufung 1937 beschleunigten. William Edward Dodd nahm seine Heimat zunehmend als einen Ort wahr, an dem er seinem Land am besten dienen und seine politischen Überzeugungen umsetzen konnte, um faschistische Tendenzen in den USA einzudämmen. Selbst dem Präsidenten gegenüber erwähnte Dodd, dass er es bereute, nicht gekündigt zu haben, was direkt mit der sich abzeichnenden deutsch-japanischen Verbindung und der entsprechen- den Frustration Dodds bezüglich dieses Zustandes zusammenhängen musste.1493 Dass Verhandlungen mit positivem Resultat in Deutschland unmöglich waren, gestand er sich in seinem Tagebuch in einem Eintrag aus dem November 1935 ein: Seit den Terrorakten 1934 hatte der Bot- schafter Amerikas mit keinem der drei führenden Nationalsozialisten, Hitler, Goebbels und Göring, je gesprochen: „It is rather difficult to remain in my position here and never have any of the triumvirate with us socially. […] But it is so humiliating to me to shake hands with known and confessed murderers”.1494 Dodds Frustration über die nach seiner

______(Best.: R 29458). „Ich sagte zu ihm, daß Herr Aschmann dafür sorgen würde, daß unsere Presse nichts über den Urlaub und die Abreise des Botschafters Dodd bringen werde. Für die fremde Presse könnten wir natürlich keinerlei Garantie übernehmen”. 1492 Vgl. Moore an Dodd, 6. Mai 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 1 of 3. „I wish you to know how extremely kind and commendatory were the things he said about you”. 1493 Vgl. Dodd an Moore, 29. Oktober 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935) 2 of 2. „I wonder if I can not serve our people better at home than here where no attention is every paid to anything we say – except by poor University folk”. Vgl. Dodd an Roosevelt, 31. Oktober 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-R. „The Russian Ambassador says he is fairly certain of German-Japanese alliance. […] If offered my resignation as a protest against minority dictation in our country. Judge Moore and the Secretary thought such a protest would be unwise, so the matter never came to your attention. […B]ut I still think I made a mistake in not simply handing you my protest resignation”. 1494 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 276. Mit Hitler habe er seit dem 6. Februar 1934 nicht mehr gesprochen, erinnert sich Dodd am 13. November 1935, mit Göring und Goebbels seit

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Sicht eingeschränkten Handlungsspielräume in Berlin und Deutschland generell darf jedoch nicht als Ausgangspunkt einer möglichen Unzu- friedenheit der Roosevelt-Administration über seine Arbeit als Leiter der Botschaft sowie als Berichterstatter des Präsidenten und des Außen- ministers gesehen werden. Weder seine frühen kritischen Äußerungen zum nationalsozialistischen Regime, noch seine Reformanstöße bezüglich des amerikanischen Auswärtigen Dienstes, noch seine Verhandlungs- führung 1933 und 1934 hatten zur Erwägung eine Rückberufung Dodds durch Präsident Roosevelt oder Cordell Hull geführt. Der eigentliche Konflikt, der sich 1936 bis 1937 unaufhaltsam verschärfte, bezog sich nicht auf Dodds tatsächliche Fähigkeiten als Botschafter, sondern seine politischen Ansichten und moralisierende Verhaltensweise, mit denen er in direkter Konkurrenz zu traditionellen Linien des State Departments, der konservativen US-Presse sowie dem Auswärtigen Amt als zunehmend marginalisiertem, verlängerten Arm der Außenpolitik der NSDAP geraten war. Tatsächlich ereigneten sich während Dodds Abwesenheit 1936 in Berlin einige Begebenheiten, die offenlegen, dass auch von deutscher Seite nicht mehr mit Dodd gerechnet wurde und man seinen Rücktritt erhoffte, beziehungsweise sogar darauf hinarbeitete. Drei Ereignisse deuten hierauf hin, wovon eines erst 1937 offen zu Tage trat. Zum einen besuchte der ehemalige amerikanische Botschafter, Jacob Gould Schurman, 1495 im August 1936 Deutschland, um als offizieller Gast bei Adolf Hitler hofiert zu werden. Es kann als diplomatischer Affront gewertet werden, dass Schurman sogleich von Außenminister von Neurath empfangen wurde, während Dodd als akkreditierter Botschafter vor Neuraths Büro längere Zeit auf ein Gespräch mit dem Minister warten musste.1496 Mit seinen

______Juni 1934 nicht mehr. Dodd dachte deshalb über seinen möglichen Rücktritt im Mai 1936 nach. 1495 Vgl. die biographischen Angaben zu Schurman bei BAILEY: Yeoman Scholar. S. 178f. 1496 Vgl. Dodd an Moore, 13. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. Vgl. auch Dodd an Moore, 17. August 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. „I may add that he [Schurman] is leaving today and that he paid farewell visits to the Foreign Office as if he were in official status. It so happened that I was to see von Neurath at 12:30 on the 14th. […] Contrary to protocol proceedure [sic!] I was kept waiting twenty minutes. […At 1 o’clock] [t]he door was quickly opened and Schurman was leaving.

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Vermutungen hinsichtlich einer möglichen Intrige rund um Luthers Rückberufung und Schurmans neuer Rolle könnte Dodd nicht falsch gelegen haben. Er vermutete einen Vorstoß der Außenministerien auf beiden Seiten des Ozeans: „This and other facts tend to convince me that something has been schemed here, perhaps Luther’s recall and indirect requests at home for Schurman’s appointment here”.1497 Nicht nur kamen Dodd Gerüchte über Schurmans Absichten zu Ohren, dass dieser erneut einen Botschafterposten in Berlin anstrebte, auch sollte er mutmaßlich in deutsche Propagandatätigkeiten in Amerika verwickelt sein.1498 Für Dodd war das Maß voll. Eindringlich schrieb er Judge Moore, dass Roosevelt von diesem Skandal erfahren musste, zumal Schurman auch als offizieller Gast auf dem Reichsparteitag 1936 erschien, eine Veranstaltung, die Dodd seit 1933 entschieden boykottiert hatte. 1499 Derartige Signale von amerikanischer Seite spielten Goebbels‘ Propagandamaschine nur in die Hände und untergruben des Botschafters Autorität und Einfluss in Deutschland, beschwerte sich Dodd. Moore versuchte seinen Freund zu beruhigen.1500 Ein Brief Roosevelts vom 8. September 1936 an Moore legte offen, dass Roosevelt mit Schurmans Einmischung nicht einverstanden war und ein klares Signal an die deutsche Regierung gesetzt werden müsse.1501 So bestätigte Moore, obwohl er wiederholt seine Überlastung

______Von Neurath apologized but did not give reasons for seeing an ex-Ambassador nearly an hour during his official duties”. 1497 Vgl. Dodd an Moore, 13. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1498 Vgl. Dodd an Roosevelt, 19. August 1936. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. Dodd berichtet dem Präsidenten, der niederländische Vertreter in Berlin habe ihn darüber aufgeklärt, dass die deutsche Parteiführung Schurman gerüchteweise für sich gewonnen habe: „and he added: Schurman is being used to stimulate Republican opposition among Germans in America with the expectation of his being returned here as Ambassador”. 1499 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 356f. Meissner, Hindenburgs und Hitlers Privatsekretär, habe Dodd am 15. Oktober 1936 von Schurmans Anwesenheit am Reichsparteitag berichtet. 1500 Vgl. Moore an Dodd, 31. August 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. 1501 Vgl. Roosevelt an Moore, Memorandum, 8. September 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. „I wish you would speak with Cordell about this Schurman matter. I am inclined to think that the German government should know of our disapproval”.

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durch die Übernahme einer Vielzahl an Projekten nach William Phillips‘ Ausscheiden beklagte, Dodd noch am selben Tag, dass man in Washington der deutschen Regierung nicht traue und weitere Beweise zu Schurmans nationalsozialistischen Verbindungen und seiner Propa- gandatätigkeit sammeln werde.1502 Bei einer weiteren Begebenheit musste William Dodd erfahren, dass während seiner Abwesenheit in Amerika Counselor Mayer eigenmächtig Hermann Göring aufgesucht hatte, um mit ihm bezüglich eines neuen Handelsvertrages zu sprechen. Auch wenn Cordell Hull diesen Verhand- lungsversuch unmittelbar unterbunden hatte, musste Göring durch dieses Vorgehen den Eindruck vermittelt bekommen haben, dass Dodd entweder nicht nach Berlin zurückkehrte, oder die eigene Regierung seinen Fähigkeiten als Botschafter nicht traute. Dodd vermutete eine weitgehende Verschwörung konservativer Beamter im Department, die sich gegen ihn und gegen Roosevelts Wiederwahl im November 1936 richtete. Zeitgleich nämlich hatte das State Department zwei Gesandte nach München geschickt, die mit Görings Agenten über mögliche Verträge diskutiert hatten. Darüber hinaus hatten zwei Senatoren, Burton Wheeler aus Montana und Alben Barkley aus Kentucky, der spätere Vizepräsident Harry Trumans, ihren Aufenthalt in Berlin dafür genutzt, gegenüber Counselor Mayer dessen Vorgesetzten zu denunzieren; Dodd sei ganz und gar unbeliebt in Amerika.1503 Vermutlich handelte es sich hierbei um eine persönliche Racheaktion der Senatoren für Dodds Engagement bezüglich der Senatsabstimmungen im Jahr zuvor, denn eigentlich waren beide progressiven Senatoren für ihre Unterstützung für Roosevelts New Deal-Politik bekannt.1504 Erstaunt zeigte sich Dodd, dass während seiner Abwesenheit auch der Generalkonsul in Wien, George Messersmith, sowie US-Botschafter in Polen, John Cudahy, nach Berlin gereist waren um dort ein persönliches Stimmungsbild einzuholen

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1502 Moore an Dodd, 8. September 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. 1503 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 341f. Dodd berichtet am 15. August 1936 in seinem Tagebuch, ein Botschaftsmitarbeiter habe ihm von Mayers Aktivitäten erzählt. Secretary Hull habe Mayers Vorhaben gestoppt. 1504 Vgl. zur Beziehung Senator Wheelers und anderer Progressiver zu Roosevelt BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 295.

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oder, wie er glaubte, sich gar Chancen auf den Posten als Botschafter auszurechnen.1505 Wegweisend für die weitere Karriere Dodds wurde eine letzte Bege- benheit, der Stellenwechsel des höchsten Beamten im State Department: William Phillips, Under Secretary of State, wurde von Roosevelt 1936 zum Botschafter in Rom gewählt.1506 Aufgrund der Vakanz seines Postens entwickelte sich 1936/37 ein interner Kampf um jene einflussreiche Position zwischen Dodds Freund und Vertrauten R. Walton Moore und dem Karrierediplomaten Sumner Welles. Welles, der in engstem Kontakt zu Roosevelt stand und dessen neuer Lateinamerikastrategie auf Kuba den ersten entscheidenden Anstoß gegeben hatte, sollte den Kon- kurrenzkampf mit Moore um die Stelle als Under Secretary de facto gewinnen und damit auch Dodds Position in Berlin schwächen.1507 Fest steht, dass Dodd im Dezember 1936 vor allem aufgrund dieser internen Machtkämpfe weiter resignierte und Moore gegenüber Vorschläge für mögliche Nachfolger äußerte. Vier Jahre Dienst waren genug in seinen Augen, zumal das Auswärtige Amt, sein zentraler Ansprechpartner, auf eine repräsentative Funktion degradiert worden war und damit kaum mehr als Akteur der deutschen Außenpolitikformulierung gelten konnte. Die engen Kontakte einiger Journalisten zu Beamten des State Departments, insbesondere der Kontakt zwischen Andrew Russell „Drew“

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1505 Vgl. Dodd an Moore, 17. August 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. 1506 Vgl. Moore an Dodd, 31. August 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. Mr. Phillips´ Ausscheiden erhöhte die Arbeitsbelastung Moores nach eigenen Angaben beträchtlich, was ihm jedoch nicht zu ungelegen kommen konnte, da er sich sicherlich dem Präsidenten und dem Außen- minister gegenüber als verlässlichen Beamten für Phillips‘ Posten beweisen wollte. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 371f. Black stellt die interessante These auf, dass Roosevelt den Mussolinifreundlichen Breckinridge Long durch Phillips in Rom ersetzen wollte, weil sein kritischer Ansatz demjenigen Dodds ähnelte. Hierfür konnte in den Quellenbeständen kein konkreter Nachweis gefunden werden. Dies dürfte sich bestätigen durch folgendes Schreiben Louis Howes an den Präsidenten: Louis M. Howe, Personal Secretary to the President, to Roosevelt, Aboard the U.S.S. Houston, 18 October 1935. In: NIXON: Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs. Volume III: September 1935 – January 1937. Cambridge, MA, 1969. S. 28. „Long has been hypnotized by Mussolini. Is sending five or six cables a day little short of absolute Italian propaganda. […] Knowing Long as we do think you can see danger if this goes unchecked”. 1507 Zu dieser alles entscheidenden Entwicklung wird das Kapitel zum Jahr 1937 Aufklärungsarbeit leisten.

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Pearson – Kolumnenschreiber des berühmten „Washington Merry-Go- Round“1508 im Washington Herald, in der er berühmte Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Politik verbal attackierte, darunter nicht geringere als Cordell Hull, Franklin Roosevelt, General Douglas MacArthur, Senator Joseph MacCarthy und viele weitere – und Sumner Welles machten den Botschafter misstrauisch, ob mögliche Indiskretionen nicht doch auf höherer Ebene zu vermuten waren: „I have intended to ask to be relieved of this position July 1, 1937. No man who represents the people of the United States can do anything very positive with a Foreign Office absolutely ignored on vital matters […] and I have concluded that four years of service is enough. However, the recent newspaper attacks which seem to have been given out by a man who has close contacts with Department officials are embarrassing. If one resigns, the fact would at once be advertised as a confession of failure […]”.1509 William Edward Dodd resignierte Ende 1936 nicht kampflos, sondern nach einer Reihe von Versuchen, Einfluss auf die deutsche Bevölkerung gewinnen zu können.1510 Die Deutschen, stellte Dodd in seinem Tagebuch fest, schienen ihm eindeutig große Bedenken bis hin zur Angst vor Hitlers Kriegsprogramm zu haben. Doch darüber hinaus war es dank Propaganda und Gleichschaltung nunmehr so gut wie unmöglich einen direkten Zugang zu deutschen Bürgern zu erhalten.1511 Ein im Juli 1935 gehaltener Dinnervortrag vor der Steuben-Gesellschaft, die Dodd als klar pronationalsozialistisch einstufte, wurde zum Desaster. Obwohl die Gesellschaft bereits andere Botschaftsmitglieder wie Generalkonsul

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1508 Für Drew Pearsons Kolumne siehe die Archivseite der American University Library, URL: http://www.aladin0.wrlc.org/gsdl/collect/pearson/pearson.shtml , Zugriff am 11. Juli 2014. 1509 Dodd an Moore, 26. Dezember 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 3 of 3. 1510 Im Juni 1935 thematisierte er zum Beispiel in einer Rede vor der Carl-Schurz- Vereinigung das Problem der überstimmten Mehrheiten und spielte auf die Sinnlosigkeit von Hitlers Expansions- und Lebensraumpolitik an, indem er das Instrument des Krieges allgemein als wenig geeignet bezeichnete, ökonomische Probleme zu lösen. Vgl. Dodd an Secretary of State, 18. Juni 1935 (Despatch No. 2059). NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./130. In Dodds Rede zu „Abraham Lincoln and his Problem, 1861” mit den Sektionen I und II, in welchen Dodd zeigen wollte „how majority attitudes were repeatedly overruled”. 1511 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 252.

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Jenkins sowie den Assistant Military Attaché mit ihren nationalsozialis- tischen Parolen in eine peinliche Lage gebracht hatte,1512 erhoffte sich Dodd von der Abendveranstaltung zumindest mit dem anwesenden deutschen Botschafter Hans Luther in Kontakt treten zu können. Das Gespräch mit Luther gestaltete sich jedoch als schwierig. Beide Männer fanden füreinander nur wenige Worte, weil sie offene Kritik an der anderen Seite vermeiden wollten, und so schloss Dodd frustriert in seinem Tagebuch, dass Luther konservativ und deshalb generell ein angenehmer Zeitgenosse sei, sie beide jedoch am besten zurücktreten sollten, da sie sich, wie die Staaten, die sie vertraten, schon 1935 nichts mehr zu sagen hatten. 1513 Theo H. Hoffmann, der Vorsitzende der Steuben-Gesellschaft, griff zu Dodds Entsetzen in seiner Rede offen Präsident Wilson und dessen Politik an, während Dodds eigene Rede zur Pressefreiheit in dieser Atmosphäre auf ein offensichtliches Desinteresse der Zuhörer stieß – ein Affront für die anwesenden amerikanischen Gäste.1514 Dem State Department riet der Botschafter deshalb, in Zukunft die Vergabe von US-Geldern, zum Beispiel organisiert im Oberlaender Trust, zugunsten derartiger Gesellschaften zu unterbinden.1515 Im April 1936 konfrontierte William Dodd ein deutsch-amerikanisches Publikum in der American Chamber of Commerce in Berlin mit einer Rede über die Vorzüge des Freihandels und Aufforderung des Volkes zu eigenständigem Denken und verantwortungsvollem staatsbürgerlichem Handeln. Nicht nur griff er indirekt alle radikalen Revolutionsgedanken und Taten an, die nicht auf dem liberalen Fundament der aufklärerischen Sozialphilosophen des 17. und 18. Jahrhunderts aufbauten, auch beschrieb Dodd, wie freier Handel den Wohlstand aller gesellschaftlichen Schichten bedeuten konnte – in Ablehnung einer Autarkiepolitik und in anachronistischer Übertragung der sozialen Frage des 19. und 20. Jahrhunderts auf das 18. Jahrhundert – und warnte zudem vor einer politischen Cliquen- bildung. Mit diesen Worten addressierte er zugleich das Verhalten des

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1512 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 261. Vgl. auch Dodd an Secretary of State, 26. Juli 1935. (Despatch No. 2178). NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./131. Hoffmann hatte sich unter Verwendung von Bezeichnungen wie „dirty and slimy“ despektierlich über die antideutsche Propaganda in den USA geäußert. 1513 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 262. 1514 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 262f. S. 263: „It was the most disagreeable meeting I have attended since I came here in 1933”. 1515 Vgl. Dodd an Secretary of State, 26. Juli 1935. (Despatch No. 2178). NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./131.

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US-Senates wie des nationalsozialistischen Führungskreises: „These facts illustrate the dangerous performances of minority leaders who think more of personal and group interests than people’s interetests. The most difficult thing Jefferson tried to do was to show the world how foolish war is”.1516 Aufgrund der Aussichtslosigkeit seines Appells an die bürgerliche Zivil- courage in Deutschland verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Chicagoer Professors im April 1936.1517 Erschwerend kam hinzu, dass die Presse auf beiden Seiten des Ozeans den Botschafter unablässig attackierte. Ein Artikel vom September 1935 in Julius Streichers Der Stürmer hatte Dodds Ehefrau diffamiert, angeblich eine Beobachterin des Vorfalls im August 1933 in Nürnberg gewesen zu sein, an dem in Wirklichkeit ihre Tochter, Martha Dodd, – und dies unfreiwillig – beteiligt gewesen war. 1518 Berichte wie diese schlugen Wellen in Deutschland. Aber auch in Amerika wurde der Ton schärfer: Nach einer Rede am 30. Juni über die Vorzüge des Freihandels und Woodrow Wilsons Politik im Weltkrieg veröffentlichte der Tribune angebliche Behauptungen über Wilson, die nach Dodds Ansicht nicht mit seiner

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1516 Dodd an Secretary of State, 17. April 1936. (Despatch No. 2767). NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./139. In seiner „Thomas Jefferson“-Rede vom 16. April 1936 machte Dodd zahlreiche Anspielungen auf das nationalsozialistische Regime, indem er Jeffersons Politik in klarem Gegensatz zum nationalsozialistischen System lobpreiste, so erklärte er z.B.: „Jefferson was not an extremist or a revolutionist […] but an ardent advocate of the logical philosophy of John Locke, the greatest of English social thinkers. […] Jefferson was opposed to war as a solution of any international problem […]”. 1517 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 335. Am 22. Juni 1936 erfuhr Dodd von Bülows Tod. Er bezeichnete ihn in seinem Tagebuch als „Freund“ , als „one of the noble figures in the sad complex in Berlin. He took a cold a few days ago and the cold drifted into pneumonia and he could not rally against it – one of the things I fear will happen to me […]”. 1518 Vgl. Dodd an Dieckhoff, 17. September 1935. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-D. Vgl. auch Dodd an Dieckhoff, 17. September 1935. PAAA. Abteilung III, USA, Politik 9. Band 2 (Best.: R 80236). Im angehängten Zeitungsartikel Der Stürmer Nr. 37, „Am Pranger“ wurde falsch behauptet: „Nur eines war da und dort geschehen: auf der Tat erwischte jüdische Rasseschänder wurden an der Seite artvergessener deutscher Mädchen zur öffentlichen Warnung durch die Straßen geführt. Die Frau eines gewesenen amerikanischen Botschafters will solch ein Geschehen auch in Nürnberg gesehen haben. Sie meldete ihr Entsetzen einer aufhorchenden Welt und jüdische und judenknechtische Zeitungsschreiber schrieben ellenlange Artikel über den ‚Nazi- Barbarismus‘ und deutsche ‚Kulturschande‘“.

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Originalrede übereinstimmten.1519 Nur ermutigende Briefe von Colonel House und Judge Moore hielten den Botschafter, der von der offen- kundigen Kritik im Department und in der Presse an ihm und dem Präsidenten überzeugt war, weiter im Amt.1520 Gegen Ende des Jahres 1936 spitzte sich jedoch die Kritik an Dodd zu. Schon im Oktober 1936 hatte Dodd auf provokante Weise die Dring- lichkeit einer „unparteiischen“ Presse für den Erfolg der Rooseveltschen Politik in einer Radioansprache an die amerikanische Bevölkerung und in seinen Berichten an das State Department betont: „Is it not possible for our free press and vast radio systems to carry information on such grave subjects to the homes of the people? Shall we permit another of our Presidents who labors to save civilization from ruinous warfare and who tries his utmost to save our natural resources to be misjudged and accused of being u democratic [sic!]? An unpartisan press might now render an unparalleled service to modern civilization”.1521 Der Hintergrund hierfür war, dass konservative Journalisten und Vor- denker den Präsidenten und seine progressiven Berater, darunter auch Dodd, 1936 immer intensiver ins Kreuzfeuer nahmen. Geschichtsprofessor Charles Callas Tansill, 1522 der 1957 in seinem Buch „Die Hintertür zum Kriege“1523 in der Rückschau Franklin Roosevelt als Kriegstreiber bezeichnen sollte, sagte schon im November 1936 dem progressiven

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1519 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 336. Dieser Artikel erschien am 1. Juli 1936, mit ähnlichem Inhalt in den Daily News vom selben Tag. Die Hearst-Presse hatte zu Dodds Verdruss seine Rede kaum erwähnt. 1520 Vgl. House an Dodd, 21. Juli 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1935-H. „You are one of the few Americans who understand the situation throughout the world and realize the seriousness of it”. Vgl. Dodd an Moore, 26. Juli 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. Vgl. zur heftigen Kritik in Opposition und Teilen der Presse gegen Roosevelt 1936 BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. Kapitel „They Hate Roosevelt“ S. 307-324. 1521 Vgl. Dodd an Moore, 26. Juli 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 2 of 3. Ein berühmter Vertreter der amerikanischen Presse hatte Dodd davon erzählt, wie sehr die Pressefreiheit in Bedrängnis geraten sei und wie notwendig ihre Restaurierung sei. Vgl. auch Dodd an Secretary of State, 8. Oktober 1936. (Despatch No. 3090). NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./152. Dodd sandte Hull seine Radioansprache vom 6. Oktober 1936, in der er die amerikanische Bevölkerung addressiert hatte. 1522 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 179. Tansill galt allgemein als Gegner von Wilsons Idealismus und Dodd im Speziellen. 1523 Vgl. TANSILL: Die Hintertür zum Krieg.

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Dodd den Kampf an: In der Washington Post ließ der Historiker verlautbaren, dass das nationalsozialistische Deutschland ein starkes Bollwerk gegen den Kommunismus bilde und William Dodd mit seiner unverhohlenen Kritik am Regime in Deutschland diesen Vorteil sowie die deutsch-amerikanischen Beziehungen aktiv gefährde. Seine Beo- bachtungen, so Tansill, deckten sich ganz und gar nicht mit Dodds Berichterstattung: Das nationalsozialistische Deutschland habe durch Hitler seinen Platz in der Welt gefunden.1524 Eine offizielle Stellungnahme des State Departments zur Entlastung des Botschafters hinsichtlich dieser Anschuldigungen blieb trotz der Aufforderung seitens Dodds Unterstützern aus. Es hatte vermutlich politische Gründe, weshalb das Außenministerium keine Reaktion zeigte, um seinen Botschafter in Schutz zu nehmen: Sicherlich spiegelte die pronationalsozialistische Meinung Tansills nicht die Haltung aller amerikanischen Isolationisten wider, doch goss sie sicherlich Öl ins Feuer in der Auseinandersetzung mit den Internationalisten. Wahrscheinlich wollte Roosevelt diese Debatte nicht allein aufgrund des Tansill-Artikels weiter anheizen, mit der Konsequenz, dass sich Tansill bestätigt und Dodd vermutlich

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1524 Vgl. Frederic William Wile an Moore, 17. November 1936; Dodd an Wile, 11. Dezember 1936; Presseclippings Washington Post vom 17. November 1936: Artikel „Germany Now Strongest Bulwark in Europe Against Communism and War, Tansill Says”; Leserbrief Wiles in Washington Star vom 23. November 1936; Leserbrief Tansills in Washington Star vom 27. November 1936; alle in: LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-W. Wile erkundigte sich am 17. November bei Moore, wie es zu Tansills Anschuldigungen gegen seinen Freund William Dodd kommen konnte, „whether there is in fact any foundation for Dr. Tansill’s charges“. Seiner Meinung nach müsse dagegen seitens des State Departments vorgegangen werden. Tansill hatte in seinem Artikel in der Washington Post argumentiert, dass Deutschland ein sicheres Bollwerk gegen den Kommunismus darstellte: „‘Her [Germany’s] strong army is a kind of peace insurance in Europe because it will keep other countries from waging war on her. […] I consider Hitler one of the ablest orators of the modern age […]. He has a fine, resonant voice and a compelling personality. His power as a convincing public speaker has done much to strengthen his position in the country which under his leadership has regained law, order, hope and self-respect.’ Dr. Tansill said the feeling is prevalent in Germany that America’s attitude toward the Nazi government is not friendly. ‘The principal reason for this feeling is that the American Ambassador to Germany has openly denounced the government and continues to be very unsympathetic toward it’ ”. Dodd verteidigte seine Haltung Wile gegenüber am 11. Dezember: „The fact that I did not attend the Nuremberg demonstrations […] does not mean that I dislike the German people. […] You must see why I think such men as Dr. Tansill do not quite understand the situation here”.

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gedemütigt fühlte. 1525 Ein Freund des Botschafters, Frederic William Wile, verteidigte Dodd in einem Leserbrief im Washington Star vom 23. November 1936, vermutlich durch Moore hierzu ermutigt, und äußerte sich zu Dodds unangefochtener Position als Botschafter sowie Tansills zweifelhaftem Ruf: „At any rate, no one connected with the Roosevelt administration has found any cause to complain of Ambassador Dodd’s attitude and activities in Berlin. […] Dr. Tansill recently visited Germany […] to talk with Hitler and was one of the 14 American honor guests at the recent Nazi party congress in Nuremberg”.1526 Belastender wirkte für Dodd hingegen ein Artikel des Journalisten Drew Pearson. In einer Ausgabe der berüchtigten Kolumne behauptete Pearson im Dezember 1936, der Präsident und das State Department würden bald William Bullitt, einen fähigeren Diplomaten, für Verhandlungen mit den Nationalsozialisten nach Berlin schicken. Für Dodd bot dies ausreichend Anlass, sich in seinem Tagebuch erneut über Bullitts mutmaßlichen Wandel zum „Faschisten“ auszulassen und Moore gegenüber von Rück- tritt zu sprechen. Er beklagte sich bitter, eine solche Kündigung falle ihm nun noch schwerer, denn sie könnte in der Öffentlichkeit einem Eingeständnis seiner angeblichen Inkompetenz als Diplomat gleich- kommen.1527 Wütend schrieb Dodd in einem Brief an Moore:

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1525 Vgl. zu Roosevelts Zögern, auf Kritik direkt zu reagieren, sogar im Falle von harscher Kritik an seiner Person und an Ehefrau Eleanor: BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 320f. Vgl. auch MORGAN: FDR. S. 428. Laut Morgan fand sich Roosevelt vermutlich nie derartig vehementen, persönlichen Angriffen ausgesetzt wie Mitte der 30er Jahre und trotz massiver Erfolge seiner New Deal-Politik. 1526 Leserbrief Frederic William Wiles in Washington Star vom 23. November 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-W. 1527 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 371f. S. 371: „Yesterday [12 December] I saw a clipping from the front page of a Washington paper attacking me violently as a complete failure here and pretending that the President is of the same opinion. This is news to me. The man who wrote the article on the foreign service situation pretends that the Department has given him the information […]. The story asserts that the President and the Department are planning to have Ambassador Bullitt sent here to deal with the Nazis because he favors their policies”. Bullitt, nachdem er Wilsons Sache verraten habe, sei auch in der Sowjetunion schon nach einem Jahr so frustriert gewesen, dass er der Sowjetunion gegenüber eine feindliche Haltung entwickelte. Dodd stellte fest, dass er nun nicht zurücktreten konnte, dies „would put me [Dodd] in a defensive and positively false position at home“.

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„For months I have been trying to decide when it will be best for me to ask to be allowed to retire. […] The German people seemed to me the most agreeable and friendly in Europe. I think the majority has not changed. […] [The President] has never suggested a change of attitudes on my part, nor suggested that I resign”.1528 Nur schwer gelang es Judge Moore seinen Freund in einem kurzen Weihnachtstelegramm zu beschwichtigen.1529 Besagte Journalisten seien unglaubwürdig, beruhigte er Dodd dann in einem längeren Brief, sie hätten ihn selbst, Hull und andere Mitglieder der Regierung bereits mehrfach grundlos attackiert. Das Department sei mit Dodds Arbeit höchst zufrieden und deshalb solle er an eine Kündigung nicht vor Sommer 1937 denken. In den Augen des Präsidenten habe er nichts besser machen können: „I have just talked with the President this morning. He had heard that you have some thought of retiring next year, but says he is not asking you to do so, and that you must feel free to postpone your retirement until after next summer. I can tell you that he holds you in the highest esteem, and has the greatest confidence in you. He feels toward you precisely as I do, and you of course know how I feel. In the Department I hear no complaint of the work of your staff, and I am glad to have my impression confirmed that it is working most effectively. Neither the President nor I believe that anything could have been gained by more intimate contacts with Hitler and some of the other officials. We both believe that you have had a most desirable influence in the relations you have maintained with some of the intellectual people whose views are more nearly in accord with your own”.1530 Das Faktum, dass die stagnierenden deutsch-amerikanischen Bezie- hungen 1936 in eine Sackgasse geraten waren, wurde damit größtenteils von einer ideologischen Auseinandersetzung innerhalb Amerikas her- beigeführt, die auch von amerikanischer Seite – nachdem sich die

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1528 Dodd an Moore, 14. Dezember 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 3 of 3. 1529 Vgl. Moore an Dodd, 24. Dezember 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 3 of 3. 1530 Moore an Dodd, 26. Dezember 1936. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 3 of 3. „The columnists […] are regarded as both truthless and ruthless. They often severely criticize Secretary Hull and many others, and have more than once thrown off on me. […]”.

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Administration vom mangelnden Verhandlungswillen der Nationalso- zialisten und der Brutalität ihres Systems mit totalitärem Anspruch überzeugt hatte - bewusst provoziert worden war. William Dodd hatte in seiner Analyse Deutschlands, den Beobachtungen der innenpolitischen Entwicklungen und des Widerstandspotentials der deutschen Eliten und Bevölkerung für Roosevelt somit eine entscheidende Rolle gespielt, die ihn nicht grundlos zunehmend der Kritik seitens des Auswärtigen Amtes, der nationalsozialistischen Führungsriege, der konservativen US- Presse und des State Departments aussetzte. Ein wahrhaft inkompetenter Botschafter hätte leicht instrumentalisiert werden und in seiner Rolle marginalisiert werden können. Vielmehr aber hatte sich der Botschafter gerade deshalb zahlreiche starke Feinde gemacht, weil Kompetenz oft Konkurrenz und Widerstand hervorruft. William Dodd hatte mit seinen Reformvorschlägen die Karrierebeamten des Departments, mit seiner progressiven Haltung die isolationistische Presse sowie viele einfluss- reiche Konservative und mit seiner anhaltenden Kritik die deutsche Führung gegen sich aufgebracht, eben weil er den verschiedenen Ziel- setzungen dieser Akteure gefährlich werden konnte, nicht weil es ihm an diplomatischem Talent, Fingerspitzengefühl oder Durchsetzungskraft mangelte. Als Lord Cecil Ende Dezember 1936 dem amerikanischen Botschafter von seinem eigenen Engagement in der International Peace Campaign vorschwärmte, 1531 erwachte nach Monaten der Frustration womöglich dessen tieferes Bedürfnis, seine Talente andernorts einzubringen. Der englische Lord bat seinen Brieffreund, US-Sponsoren für die Kampagne zu finden 1532 und weckte damit Dodds Interesse, die amerikanische Öffentlichkeit mit Hilfe seiner Erfahrungen und Beobachtungen in Europa persönlich aufzuklären und die Sache der Internationalisten

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1531 Vgl. Lord Cecil an Dodd, 23. Dezember 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-C. In dieser Kampagne brachte sich Dodds Sohn Bill bereits seit Monaten aktiv ein. 1532 Vgl. Lord Cecil an Dodd, 23. Dezember 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-C. „We must have a determined international programme of economic collaboration […] in order to extend the total production of wealth and ensure its proper distribution among those who are now in penury and want. […We need] a real collective security among the Members of the League […].So far we have failed to find [rich people in your country who would be ready to invest a sum of money in our effort…]. I wonder whether you could help us and make any suggestions as to how we should try?”

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um Roosevelt an der Stelle zu unterstützen, wo sie immer wieder zu scheitern drohte: im öffentlichen Diskurs.

5.3. „Avoiding (To Become) Europe – In Any Circumstance?“ Fazit und Einordnung: Dodds Deutschlanderfahrungen und die Schwerpunkte der US-Außen- und Deutschlandpolitik 1935/36 Die Isolationismusdebatte in Amerika und die Angst der amerikanischen Öffentlichkeit vor fremden Einflüssen auf die eigenen Geschicke hatte 1935 einen Höhepunkt erreicht, dessen Niveau in den Jahren danach bis zum Kriegseintritt der USA kaum mehr übertroffen wurde. Der Weg zu einer aktiveren, gestalterischen Entfaltung der US-Außenpolitik, den Roosevelt und seine progressiv-internationalistischen Berater gegen Ende des Jahres 1936 einzuschlagen begannen, konnte gerade aufgrund der vorangegangen und anhaltenden Diskussionen um die Rolle Amerikas in einer von Krieg bedrohten Welt kein geradliniger sein. Er war von zahlreichen Personen, Ideen, Fehleinschätzungen und (außen-)poli- tischen Fehlern, Widersprüchen, Strategieansätzen und politischen Dynamiken wie Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Administration geprägt, was zum Teil fatale, langfristige Folgen nach sich zog, die auch eine Neuorientierung der Außenpolitik nicht rasch beheben konnte. Für genau jene Neuorientierung kämpfte William Edward Dodd auch 1935 und 1936. Trotz seiner zunehmenden Frustration über die Einfluss- möglichkeiten vor Ort in Berlin sowie ungeachtet seines Perspek- tivenwechsel in Richtung amerikanische Politikformulierung nahm der amerikanische Botschafter in Berlin seine Position weiterhin ernst und begann darüber hinaus, seine Rolle zu erweitern und umzudefinieren. Die Effizienz der Arbeit seiner Botschaftsmitglieder sowie des diplo- matischen und konsularischen Dienstes der Amerikaner generell waren dem Repräsentanten weiterhin ein dringendes Anliegen. Effiziente Administration und Berichterstattung sowie politisches Denken und Wirken galten Dodd wohl zum ersten Mal in seiner Karriere mehr als die Arbeit für die Wissenschaft. Die Tatsache, dass im November 1936 sein langersehnter Traum der Veröffentlichung seines ersten umfäng- lichen Werkes zum Alten Süden im 17. Jahrhundert, „The Old South: Struggles for Democracy“, wahr wurde, die Monographie nach seinen eigenen Angaben jedoch zu hastig zusammengeschrieben und demnach nur mäßig rezensiert worden war, spricht dafür, dass die Aufmerksamkeit

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des Geschichtswissenschaftlers vor allen Dingen auf die aktuelle Politik gerichtet war und es auch bleiben sollte.1533 Seine Reisen in die USA erfüllten nicht mehr den Zweck, wissenschaftliche Forschung zu betrei- ben, sondern Einfluss auf die Mitglieder der Roosevelt-Administration und der zentralen Instanzen der Verfassung auszuüben.

Diese eigene Umorientierung fand ihre Ursachen nicht nur in Dodds Wunsch, die demokratische Präsidentschaftskampagne für die Wahlen 1936 aktiv zu unterstützen. Auch hatten sich die Perspektiven seiner Arbeit als Botschafter in Berlin selbst gewandelt. Dies lag zum einen daran, dass die Informationsquellen, auf die er sich nach 1934 vor- nehmlich stützen musste, angelsächsische, vorwiegend amerikanische Journalisten und Reporter waren und seinen Fokus auf amerikanische Perspektiven umstellten. Dodds Gespräche mit seinen Kollegen aus dem diplomatischen Korps in Berlin hatten an Gehalt verloren, sobald gleichgesinnte Repräsentanten wie Zulueta, Phipps und Cerrutti mit Wunschkandidaten ihrer faschistischen oder im Falle Englands konservativen Regierungen ersetzt worden waren. Dodd trieben ernste Zweifel an, ob der französische Botschafter François-Poncet wirklich demokratischer Gesinnung war und ob er auf dessen Kooperation hoffen konnte. 1534 Der Kontakt zur deutschen Öffentlichkeit, den der US- Vertreter auf seinen Deutschlandreisen ganz unmittelbar gepflegt hatte, wurde bis 1936 aufgrund der fortgesetzten, in vielen Bereichen sehr weit fortgeschrittenen Gleichschaltung der nunmehr totalitär regierten deutschen Gesellschaft so gut wie unmöglich gemacht. Es finden sich in den Quellen kaum mehr Hinweise auf derartige Kontakte, weshalb diese im vorliegenden Kapitel nicht mehr Teil der Analyse sind. Ebenso verhält es sich mit dem folgenden Punkt: Die Enttäuschung William Dodds über das Widerstandspotential der Intellektuellen, alten Eliten und auch der Kirchen hatte im Juni 1934 einen Höhepunkt erlebt, den er in den Folgejahren angesichts der innerdeutschen und außenpolitischen Ereignisse nicht mehr zu überwinden vermochte. Der Botschafter hatte es aufgegeben, an eigene Initiativen der deutschen Akademiker und Intellektuellen zu glauben, die eine Mäßigung des Systems bewirken könnten. Freundschaftliche Verbindungen mit Vertretern der alten Eliten

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1533 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 175 und 177. 1534 Vgl. hierzu nochmals DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 347f.

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und „liberalen“ Intellektuellen beruhten auf wenigen persönlichen Be- kanntschaften wie mit dem Kronprinzen der Hohenzollern, Louis Ferdinand, den Dodd und seine Familie gerne weiterhin zum eher unpolitischen Nachmittagstee trafen.1535

Fred Arthur Bailey stellt in seiner Biographie zu William Edward Dodd die These auf, dass der Botschafter bis 1936 das Phänomen des Hitler- Kultes in Deutschland nicht begriffen habe.1536 Im Gegensatz dazu ist jedoch festzuhalten, dass der amerikanische Repräsentant in Berlin ab 1934, spätestens 1935 erkannt hatte, dass eine zunehmende Margina- lisierung der Funktionäre des Auswärtigen Amtes sowie anderer deutscher Führungspersönlichkeiten wie Hjalmar Schacht ihren Anfang genommen hatte und auf eine Zentralisierung der außenpolitisch relevanten Schaltstellen und der Außenpolitikformulierung innerhalb des engeren Kreises der nationalsozialistischen Führung hinwies. 1537 Einen Beweis liefert ein Beispiel aus Dodds Berichterstattung aus diesen Jahren, das den Höhepunkt seiner Kritik am nationalsozialistischen Regime bis hin zur konkreten Zeichnung eines Feindbildes darstellte und seine Berichte der Jahre 1935 und 1936 zusammenfasste. William Dodd hatte Ende November 1936 eine Studie 1538 zum nationalsozia- listischen Regime angelegt und war zu erschreckenden Ergebnissen gelangt: Hitlers bisherige Schritte seien keine wirkliche Überraschung, wenn man sein Buch „Mein Kampf“ aufmerksam gelesen hatte, so Dodd. Unvor- hersehbar seien nur der Zeitpunkt und die Art und Weise, wie seine Ziele umgesetzt wurden. Jede neue Entwicklung habe es sehr wahrscheinlich gemacht, dass die nationalsozialistische Führung tatsächlich in ihrer Außen- wie Innenpolitik nur diesen älteren Ausführungen des Diktators und ihrem Parteiprogramm folgt. Frankreich, als „natürlicher Feind“ werde als solcher zwar momentan nicht bekämpft, dies sei aber nur

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1535 Vgl. DODD/DODD: Dodd‘s Diary. S. 382. 1536 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 160. 1537 Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 295. 1538 Vgl. Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „A Survey of the German National Socialist Foreign Policy and Its Development”.

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vorübergehend der Fall: „The persistency with which all other MEIN KAMPF [sic!] policies are being pursued, however, makes one reluctant to accept this change at face value over any long period”.1539 Es könnten keine Abweichungen von dem festgeschriebenen Politikprogramm in Zukunft erwartet werden, jeder Schritt sei von langer Hand geplant und konzipiert worden. Der größte Fehler sei, anzunehmen, Hitler und Mussolini blufften nur. Hitlers Friedensreden und seine scheinbar widersprüchliche Handlungen seien nur „taktische“ Schritte und jedes Versprechen „could later be broken when convenient”.1540 Ein neues diplomatisches Vorgehen und eine das Auswärtige Amt zur rein formalistischen Behörde degradierende Außenpolitik seien rasch etabliert worden. Ziel dieser Außenpolitik sei die ökonomische und territoriale Expansion. Eine Schlüsselrolle dabei spiele „das Judentum“ und dessen „Produkt“, der Bolschewismus, als „natürlicher“ Feind Deutschlands. Die Annäherung an England sei ebenso einer der fun- damentalen Bestandteile von Hitlers Doktrin. Die Aushebelung aller rechtlichen Regime in Europa, Dodd zählt die außenpolitischen Schritte vom Austritt aus dem Völkerbund, über Stresa, den Abessinienkrieg und weitere in der Retrospektive ausführlich auf, sei dabei zentral: „The bungling on the part of the League resulting in antagonizing Italy, was importantly instrumental in bringing about the present ‘parallelism‘ of Fascism with National Socialism after a period of vociferous hostility”.1541 Hitlers genialisches Taktieren und Täuschen aller beteiligten Parteien werde gekrönt von seiner Verbindung der weit verbreiteten Angst vor dem Bolschewismus mit seinem nationalsozialistischen, ideologischen Feindbild, der Erfindung eines absoluten Bösen, eines ultimativen Feindes für ganz Europa: „A master stroke of Nazi tactics was the identification of one with the other [Jews and Bolshevism]. […] [T]he identification of Communism and

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1539 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1540 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1541 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38.

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Jewry is proving increasingly useful, particularly as a means of propaganda appealing to the instinctive, wide-spread fear of Bolshevism and thus finding fertile soil in at least parts of the population of practically every European country today”.1542 Geradezu als weltpolitische Konkurrenz zur von ihm mehrfach for- mulierten Rolle der USA als Retter der Zivilisation stellte Dodd das nationalsozialistische Deutschland mit dessen Anspruch einer deutschen Rolle als „champion of Western civilization as opposed to Eastern barbarism“1543 dar. Dabei verfolge Deutschland generell eine Blockpolitik – „bloc-politique“1544 – , vor allem, um die Sowjetunion zu schwächen und Großbritannien an sich zu binden. Ein erster Testfall für die beiden quasi bereits entstandenen kommunistischen und faschistischen Blöcke in Europa sei der Spanische Bürgerkrieg, „a proving ground for the domination in Europe of one or the other faction”.1545 Um die Blockpolitik zu Deutschlands Gunsten zu bestimmen, seien Italien und England, wie schon in Hitlers Buch formuliert, die beiden begehrtesten Partner. Weitaus radikaler als diese realpolitischen Elemente der Außenpolitik seien nationalsozialistische Träume eines „Pan-Germanism“, 1546 eines „Deutschtums“, dessen Interessen sich auch auf Lateinamerika bezögen. Basis einer solchen kulturell-ideologischen Expansion seien koloniale Forderungen. Anders als die Vertreter des Auswärtigen Amtes diese Kolonien beschrieben, stünde für Hitler seit „Mein Kampf“ fest, diese „Kolonien“ müssten in milden Klimazonen – also nicht in Übersee oder Afrika – und in unmittelbarer Nähe zu Deutschland liegen. Für den Botschafter stand fest, damit sei eine Expansion ostwärts zum Nachteil

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1542 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1543 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1544 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1545 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1546 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38.

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der Sowjetunion im Sinne einer „Blut und Boden“-Politik gemeint. Die aggressive Politik gegenüber der Sowjetunion schloss aber auch zu Deutschlands Nachteil vorteilhafte temporäre Verbindungen mit der Sowjetunion, zum Beispiel zum Schaden Polens und des Baltikums, in naher Zukunft aus, womit William Dodd spätere taktische Erwägungen Hitlers mit dem Ergebnis des Hitler-Stalin-Paktes vorwegnahm.1547 „Germany cannot be dealt with on any acceptable basis“,1548 schloss Dodd und meinte, auch Großbritannien als deutscher Wunschpartner habe dies langsam begriffen. Doch gebe es keine Macht, oder Kombination von Mächten, die Hitler zu jenem Zeitpunkt Einhalt gebieten könnte. Dennoch hinge Deutschland massiv von der fortwährenden Neutralität Englands ab und sei selbst finanziell und wirtschaftlich noch nicht genügend abgesichert. Das Verhältnis zu Italien sei für Deutschland nicht verlässlich und Rivalitäten währten fort. Der letzte Schritt zum Erfolg für Deutschland liege in der Vernichtung des Bolschewismus: „Bolshevism as a major menace in Europe must be either kept as such or totally exterminated by Germany’s efforts in order to give her the impetus she requires”.1549 Mit dieser Studie legte William Dodd den Grundstein für ein amerikanisches Verständnis des „wahren“ Wesens des National- sozialismus. Während seine Erklärungen für realpolitische Erwägungen Hitlers, den er als „an instinctively adroit opportunist“1550 bezeichnete, korrekt sind und Hitlers Täuschungsmanöver, Taktiken, Kriegsabsicht und falsche Versprechen entlarven, mangelt es jenem Bericht an Erkenntnis zu den radikal-ideologischen Zielen der nationalsozialis- tischen Außenpolitik in Verbindung mit dieser Realpolitik, wie sie ______

1547 Vgl. Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „Because of the latter’s [Germany’s] basic enmity towards Russia she also forgoes the possible advantages of arrangements whereby a freer hand might be given her [Germany] in recovering Memel and the Corridor, or in expanding in the Baltics”. 1548 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1549 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1550 Dodd an Hull, 28. November 1936 (Despatch No. 3165). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38.

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sich im späteren Vernichtungskrieg im Osten offenbaren sollten. Die „Irrationalität“ des Nationalsozialismus mit seiner radikalen Zielsetzung einer Auslöschung des Judentums, einer totalen Vernichtung zugunsten einer Lebensraumpolitik und der rassenideologischen Schaffung eines „neuen“ Menschen in einem „Endkampf“ bis zum Tode bleiben hier für die Außenpolitik mit Ausnahme des Hinweises auf die Vernichtung des Bolschewismus unerwähnt, wenn auch der amerikanische Botschafter in zahlreichen anderen Depeschen an Cordell Hull diese totalitären Elemente im Innenpolitischen – die spezielle Rolle der SS, die Erfassung und Militarisierung der Jugend, rassepolitische Schritte und Selektion – aufführte. Mit seinen Schilderungen über das neue nationalsozialistische Erzie- hungsprogramm, das das „Heranzüchten“ neuer „Führer“ für eine teu- tonische Weltordnung zum Ziel hatte, gab Dodd einen ersten Hinweis auf die außenpolitische Dimension der innenpolitischen Entwicklungen.1551 Diese Warnungen zur Gefahr der Diktaturen auch für das amerikanische System und die westliche Hemisphäre mussten den US-Präsidenten und seine Berater aufmerken lassen: Vom nationalsozialistischen Deutschland ging nicht nur eine wirtschaftliche, kulturelle und politische Gefahr aus, sondern es stellte mit seiner realpolitischen Blockbildung und dem totalitären Anspruch nach innen und außen den angelsächsischen, spezifisch den amerikanischen Weltmachtanspruch in Frage und drohte, zumindest in Perzeption der progressiven amerikanischen Eliten, das amerikanische System in Idee und Praxis aufzulösen. Es erstaunt deshalb nicht, dass der progressive amerikanische Präsident im selben Monat Dezember 1936 in seiner Rede in Montevideo den amerikanischen Führungsanspruch offen proklamierte und von einer „new American

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1551 Vgl. Dodds Bericht „NATIONAL SOCIALIST CONTROL OF EDUCATION. A Memorandum Based Upon Reports from American Consulates throughout Germany”. Dezember 1936. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1936-D. „As in the case of all parties aspiring to authoritarian leadership, the capture of the youth has always been one of the primary objectives of the National Socialists. […] All this is in line with the Nazi policy, which looks upon intellectualism as a danger to the régime. The university student […] is being replaced by a new paragon, or by the young man who is being educated to be a future leader and member of a sort of new Nazi Teutonic Order in one of the many regional national-political training institutions run by the Party itself”. Vgl. zu Dodds Berichten und Berichten der Botschaft Berlin zur zunehmenden staatlichen Kontrolle des Bildungs- und Erziehungssystems in Deutschland 1935 FRUS 1935, Vol. II, S. 376-390. Für 1936 vgl. FRUS 1936, Vol. II, S. 178-192.

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era“1552 sprach, die es einzuleiten gelte. Die Zweideutigkeit dieses Aus- spruches angesichts der außenpolitischen Erfolge der Diktaturen Europas in jenem Jahr und der gleichzeitigen US-amerikanischen Bemühungen um den Aufbau einer defensiv geeinten westlichen Hemisphäre verleiht vor allem in Anknüpfung an weitere Reden des Präsidenten in Süd- amerika diesen Worten eine besondere Aussagekraft. Ebenso faszinierend aufschlussreich präsentieren sich vor jenem Hintergrund von Dodds Berichterstattung Roosevelts Worte zur amerikanischen Jugend in einer Wahlkampfrede. Bereitete der amerikanische Präsident ebenso die Jugend seines Landes auf einen Kampf um Moral, Demokratie und gegen Un- gerechtigkeit vor, in dem es schlussendlich um Alles oder Nichts und das Überleben des eigenen Systems ging? „But many things we have saved – things worth saving. We have saved our morale. We have preserved our belief in American institutions. In this world of ours where some Nations have taken perilous detours, we have faced our problems and met them with a democracy. Within that democracy we are determined to keep on solving them. We have saved above all our faith in the future – a faith under which America has only begun to march. In that march America will have to be led in the days to come by the youth of today. […] You will find that your fight against selfishness and injustice […] will take you into a man-sized struggle. […] Our fight – yours and mine – is to keep our democracy safe by keeping it moving forward. […] To the young people of America I say: Join with us; ours is the real struggle to continue and preserve democracy in America”.1553 Waren diese Berichte der Grund dafür, dass Roosevelt 1937 von den tota- litären Regimen wie von einer einzudämmenden Krankheit sprechen sollte? Die Entwicklungen, die 1937 zur Abberufung William Dodds aus Berlin führten, sollten darauf hinweisen, dass nicht nur der wieder- gewählte amerikanische Präsident mit seinen Friedensappellen und einer aktiven Lateinamerika- und Handelspolitik die nationalsozialistischen Pläne empfindlich störte. Roosevelts Botschafter in Deutschland selbst

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1552 Dokument „We Are Seeking … to Use the Processes of Democratic Government in Solving the New Problems. Address at Montevideo, Uruguay”, December 3, 1936 in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 226. S. 612. 1553 Vgl. Dokument „Campaign Address at Kansas City, Mo. America Will Have to Be Led in the Days to Come by the Youth of Today”, October 13, 1936 in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. Dokument 170. S. 472f.

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sollte zur Zielscheibe für die Nationalsozialisten werden, um die kritische Haltung Amerikas vor Ort zum Schweigen zu bringen. Bereits 1936 wurde der Botschafter mehrmals darauf hingewiesen, dass seine Berichte nach Washington über bestimmte Kanäle an das deutsche Propaganda- ministerium weitergeleitet wurden. Sollte dies – was ungeachtet der amerikanischen oder deutschen Identität der Spione wahrscheinlich ist – zutreffen, so musste sein schonungsloser Bericht zur nationalsozialis- tischen Herrschaft und ihren außenpolitischen Zielen der deutschen Führung vor Augen geführt haben, dass William Dodd ihre Beweggründe zumindest zu einem Großteil „enttarnt“ hatte. Er stellte deshalb einen gefährlichen Faktor für das weitere Verhältnis zu den bis dato isolatio- nistischen Vereinigten Staaten dar, der aus der ohnehin problematischen Gleichung der deutsch-amerikanischen Beziehungen eliminiert werden musste. Die Intensität und Bestimmtheit des Vorgehens gegen William Dodd wird beweisen, dass dabei der deutschen Führung alle Mittel recht waren – auch ein inoffizielles Zusammenspiel mit konservativen Kräften auf der anderen Seite des Ozeans. Für diese Entwicklung der Reaktionen in der deutschen Führung sprechen Dodds Erfahrungen in Gesprächen mit Neurath, Schacht, Dieckhoff und weiteren Funktionären sowie mit den Ereignissen um und nach dem „Röhmputsch.“ Diese hatten zu einer Kultur der „Sprach- losigkeit“ des Botschafters im Umgang mit der deutschen Führung geführt. Mit Nationalsozialisten wie Hitler, Goebbels, Göring und weiteren konnten keine vernünftigen Konversationen gehalten werden, so Dodds Erkenntnis, und nach den Säuberungen 1934 wollte William Dodd auch auf keinen Fall mehr einen weiteren Versuch in diese Rich- tung wagen. Diese Sprachlosigkeit zwischen Dodd und der deutschen Führung kann als symptomatisch für die Beziehungen der beiden repräsentierten Länder angesehen würden und bot einen letzten Grund, um die Aufzählung in der Einleitung dieses Kapitels aufzugreifen, warum der amerikanische Demokrat seine Aufgaben von Berlin mehr und mehr in Richtung Washington verlagerte. Denn gleichsam gestalteten sich die Unterhaltungen mit den Vertretern des Auswärtigen Amtes – es findet sich nicht eine einzige Quelle über ein Gespräch zwischen Dodd und von Ribbentrop! – zunehmend sinn-, ziel- und inhaltslos sowie von Misstrauen und Ungeduld geprägt. Sie kreisten 1935 und 1936 periodisch um die Themen Handelsbeziehungen, die Behandlung (jüdisch-) amerikanischer Bürger oder die Möglichkeiten einer Friedenskonferenz, niemals aber kamen sie zu einem für eine oder beide Seiten zufrie- denstellenden Abschluss. Dies lag sicherlich daran, dass signifikante

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deutsche (außen-)politische Entscheidungen, wie das deutsch-englische Flottenabkommen, der Vierjahres-Plan und weitere, fernab der tradi- tionellen Behörden beschlossen, verhandelt und umgesetzt wurden.1554 Dodds Rolle als Verhandlungsführer für Präsident Roosevelt und das State Department fiel deshalb de facto weg. Dodd erwähnte in seinem Tagebuch und den Korrespondenzen immer wieder Schachts oder von Neuraths verzweifeltes, weil offensichtlich aussichts- und erfolgloses Vortragen deutscher Anliegen, während dagegen von Neurath die Aus- sagen des Botschafters als konfus oder von Regierungsweisungen losgelöst kritisierte. Beide Seiten wirken in den in den Quellen festgehaltenen Gesprächen angespannt, gehemmt und misstrauisch. Es ist folglich davon auszugehen, dass sowohl der amerikanische Vertreter als auch seine Gesprächspartner aus den traditionellen Eliten sich der Tatsache bewusst waren, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf Eis lagen. Außer Kritik konnten beide Seiten – das hatten auch Dodds Gespräche mit Hans Luther gezeigt – angesichts ihrer diametral gegen- sätzlichen wirtschaftlichen, handelspolitischen, kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Auffassungen kaum mehr verwertbare Informa- tionen austauschen, ohne ein konkretes Zerwürfnis zu provozieren.

Diese Vorsicht galt nicht bezüglich Dodds Person selbst. Durch die Versuche, den amerikanischen Botschafter, der vorgeblich nicht im Sinne seiner Regierung handelte, als unfähig zu bezeichnen und der aktiven Sabotage der deutsch-amerikanischen Beziehungen zu bezichtigen, dis- kreditierte die deutsche Führung den Demokraten auf subtilere Weise als im Falle kritischer Journalisten, derer man sich sehr viel einfacher entledigen konnte – wie der Fall Mowrer gezeigt hatte. Die Aufmerk- samkeit, die die deutsche Führung dem ehemaligen US-Botschafter Schurman schenkte, sowie Verhandlungen Görings mit US-Vertretern in Abwesenheit William Dodds lassen offensichtlich werden, welche Abneigung gegen den Wilson-Anhänger, aber auch Furcht vor seinem Einfluss Funktionäre im Auswärtigen Amt sowie der nationalsozialis- tischen Spitze verspürten. Es erstaunt wenig, dass das nationalsozialis- tische, ideologisch argumentierende Spitzenpersonal keinesfalls gewillt war, sich mit dem progressiven, in Bezug auf Zugeständnisse an Deutschland kompromisslosen Amerikaner auseinanderzusetzen. Dodds ______

1554 Vgl. auch BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 149.

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Tagebuchaufzeichnungen beweisen, dass die nationalsozialistischen „Führer“ ihn schlechthin ignorierten soweit es das Protokoll offizieller Veranstaltungen erlaubte. 1555 Selbst der nationalsozialistischen Spitze mussten Dodds Anfragen, Proteste und Aussagen von Regierungsan- weisungen aus Washington losgelöst erscheinen.1556 Die entschiedene, fast aggressive Vorgehensweise aber von Diplomaten wie Hans Georg von Mackensen1557 und Dieckhoff, den amerikanischen Botschafter aus Berlin zu entfernen, wie in den Kapiteln zu den Jahren 1937 und 1938 genauer analysiert wird, lässt in Hinblick auf die Beamten des Auswärtigen Amtes auf eine emotionale Komponente der Abneigung schließen: Im Bewusstsein um die eigene Marginalisierung im deutschen System wirkte der sich offen demokratisch bekennende, in seinen Überzeugungen standhafte Botschafter Amerikas als rotes Tuch für die seit 1934 in soziale, moralisch-argumentative und politische Bedrängnis geratene ehemalige Elite Deutschlands. Darüber hinaus verhinderten seine Argumentationslinien in Augen der deutschen Diplomaten die Möglichkeit einer Stabilisierung der deutsch-amerikanischen Beziehun- gen und damit zumindest einen nachweisbaren Erfolg ihres traditionellen Arbeitsfeldes. Nur wenige, wie der deutsche Botschafter und Konservative Hans Luther, wussten den wahren Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen und die Gründe hierfür korrekt einzuordnen. In einem Brief vom 2. Oktober 1936 an Schacht, der an Ministerialdirektor Ritter weitergeleitet wurde, fasste Luther zusammen, warum er glaube, dass es nur noch wenige Möglichkeiten für eine handelspolitische Verständigung zwischen beiden Ländern gebe. In Gesprächen mit Politikern und Wirtschaftsexperten in Amerika habe er zwei Gesichtspunkte immer wieder vernommen:

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1555 Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 178. Bailey vermutet, Dodds Fernbleiben vom Reichsparteitag habe Hitler derart erzürnt, dass er dem ehemaligen Botschafter Schurman besonders viel Aufmerksamkeit schenkte, um Dodd bloßzustellen. 1556 Vgl. hierzu GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 186. Für die deutsche Führung waren amerikanische Reaktionen wie die Dodds auf die Verletzungen der Menschenrechte im Dritten Reich nichts anderes als Propaganda amerikanischer Juden. Diese Reaktionen wurden „nicht als in Faktor der offiziellen amerikanischen Regierungspolitik angesehen”. 1557 Vgl. zu Hans Georg von Mackensen, als Nachfolger von Bülows bzw. Dieckhoffs Staatssekretär im Auswärtigen Amt 1937 bis 1938 und Schwiegersohn von Neuraths, und seiner Rolle im Amt SEABURY: Wilhelmstraße. S. 71, 98, 101. Vgl. auch CONZE/ FREI/ HAYES/ ZIMMERMANN: Das Amt und die Vergangenheit. S. 65f.

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„Der eine Gesichtspunkt ist, daß unsere antijüdische Politik eine Ver- ständigung mit Amerika unmöglich mache. […] Der andere Gesichtspunkt ist, daß unsere nationalsozialistische Staatsform von jeder amerikanischen Regierung grundsätzlich und so entschieden ab- / [S. 950:] gelehnt wird, daß zumindest das Hinzukommen dieses Gesichtspunktes zu jenem ersten weitere Verständigungsversuche von unserer Seite hoffnungslos erscheinen lassen”.1558 In diesen wenigen Zeilen wird deutlich, was Dodd in persönlichen Gesprächen vermittelt bekommen hatte: Die zunehmende Hoffnungs- losigkeit traditioneller deutscher Funktionäre, den Systemunterschied zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem demokra- tischen Amerika im Sinne klassischer Diplomatiebemühungen überwin- den zu können. Noch ein weiterer, sehr aufschlussreicher Punkt ist zu benennen: Luther hatte erkannt, dass – ohne ihn namentlich zu nennen – nicht Dodd für die Schieflage der diplomatischen Beziehungen ver- antwortlich zu machen war, sondern dass vielmehr jede amerikanische Regierung, also auch eine republikanisch geführte, die nationalsozialis- tische Staatsform ablehnte und ablehnen würde. Diese Beobachtung macht einen Aspekt der Isolationismusdebatte deutlich und erklärt die zweite spezifische These, die – zu Beginn dieses Großkapitels genannt – postulierte, eine ideologische Sackgasse der deutsch-amerikanischen Beziehungen sei 1935/36 erreicht worden: Mit Ausnahme weniger radi- kaler Kräfte im amerikanischen System und ungeachtet der progressivis- tischen Ängste vor einer Diktatur in Amerika infolge des Einflusses auf konservative Gruppierungen durch das Ausland waren sich die Parteien und fast alle Politiker der USA einig, dass vom nationalsozialistischen Deutschland eine Gefahr für das eigene System ausging.1559 Vor allem über geeignete Schutzmaßnahmen und Reaktionen wurde, wie es sich in den Neutralitätsgesetzen niederschlug, emotional und kontrovers diskutiert.

Jedoch hatte die zunehmende Kritik an William Edward Dodd als Bot- schafter der Vereinigten Staaten in Deutschland auf beiden Seiten des Ozeans eine Komponente gemeinsam: Dodd bezog klar Stellung und bekannte sich in den laufenden politischen Debatten zu seinen demo- kratischen, progressiv-internationalistischen Überzeugungen und seiner

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1558 ADAP, Serie C, Bd. V,2, Dok. 567 (S. 949f.). 1559 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 214.

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Loyalität zu Präsident Roosevelt. Durch sein Aktivwerden im Wahlkampf, in den Diskussionen um den Beitritt Amerikas zum Weltgerichtshof sowie zu Konflikten wie dem Spanischen Bürgerkrieg oder Mussolinis Abessinienkrieg1560 und besonders durch die dadurch entstandene Er- weiterung seiner Aufgaben als Botschafter machte er sich angreifbar. Dallek bestätigt, dass Dodd trotz der Beschäftigung mit politischen Fragen in Amerika dank seiner exzellenten Verbindungen zu Journalisten und einer effizienten Gruppe von Botschaftsmitarbeitern eine qualitativ hochwertige Berichterstattung gewährleisten konnte. 1561 Die Ausführ- lichkeit und Genauigkeit seiner Depeschen dienen hierfür als Beweis. Auch wenn Beamte wie William Phillips Dodds Straffung mancher Berichte sowie die Kondensierung und Sammlung von Informationen kritisierten, Grund zu eigentlicher Sorge in konservativen Teilen des Departments um die Wahrung diplomatischer Neutralität gereichten vermutlich vielmehr Dodds öffentlichkeitswirksame Interventionen im amerikanischen Diskurs. Auch im beginnenden internen Systemkonflikt um ein weltpolitisches Engagement, den New Deal und dessen Ver- fassungskonformität gehörte William Edward Dodd zu den wenigen Progressiven, die keine „crisis in thought“ 1562 durchlitten. Dodd war und blieb Wilsonian und Jeffersonian. Dies machte ihn angreifbar für reaktionäre und zum Teil konservative politische und mediale Kräfte, die weder an Franklin Roosevelts Reformpolitik noch an einem aktiven Weltengagement der USA Gefallen fanden.1563

Wie Dodds Interpretation der Bedeutung des nationalsozialistischen Programmes unter Einschluss der Aussagen Hitlers in „Mein Kampf“ sowie seine Berichterstattung 1935/36 bewiesen haben, hielt der US- Botschafter in Berlin ab 1935 den expansionistischen und totalitären Charakter des deutschen Regimes für so bedenklich, dass ein Krieg

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1560 Dodds explizite Berichterstattung zu diesen Themenkomplexen ist nicht Bestandteil dieser Arbeit. 1561 Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 288f. 1562 DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 253. 1563 Vgl. hierzu auch Roosevelts Hinweis auf die zahlreichen sehr persönlichen Attacken seitens der Presse, Lobbyisten und konservativer Politiker auf Mitglieder seiner Adminis- tration in Roosevelts „Introduction“, in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. S. 3.

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mit direkten Folgen für Amerika unausweichlich schien. Seine Beo- bachtungen der innerdeutschen und weltpolitischen Ereignisse und ihrer Konsequenzen lieferten die machtpolitische und ideologische Begründung, warum normale diplomatische Beziehungen zu diesem Deutschland, an denen die Beamten des State Departments weitgehend festhielten, nicht mehr im Bereich des Möglichen liegen konnten. Entscheidend ist hierbei, dass William Edward Dodd die Europäisie- rungsängste und die Furcht vor einem Umsturz der Verhältnisse in den USA hin zu einer Diktatur sowie vor einer unfreiwilligen Teilnahme Amerikas an einem weiteren großen Krieg mit Internationalisten wie Isolationisten teilte. Bezugnehmend auf die erste, zu Beginn aufgestellte These für das vorliegende Kapitel zur Gefahrenperzeption und zu den Rückschlüssen auf die potentiellen Konsequenzen für Amerika hat sich bestätigt: Durch seine unmittelbaren Erfahrungen in Deutschland und Europa verarbeitete und kanalisierte Dodd genauso wie seine Kollegen auf ähnlichen Posten in Diktaturen – Claude Bowers in Spanien, Joseph Grew1564 in Japan und weitere – diese Betrachtungen zunächst anders als einige Mitglieder des US-Kongresses, der Administration, des State Departments und der amerikanischen Öffentlichkeit, die den Entwick- lungen „hinterherliefen”. Nachdem Botschafter Dodd die Hoffnungen Roosevelts bezüglich einer Friedensinitiative 1935/36 kurzfristig geteilt hatte, appellierte er mit zunehmender Ausweitung des deutschen und italienischen Engagements in kriegerischen Auseinandersetzungen gerade aufgrund jener Ängste nicht gegen, sondern für eine aktive Rolle der Vereinigten Staaten in einer möglichen Kooperation mit der Sowjetunion gegen die diktatorischen Mächte und schloss Zugeständnisse an die Dik- tatoren kategorisch aus. Die Lösung, die William Dodd seinem Freund Moore in einem Brief eröffnet hatte, lag außerdem in der Kombination einer englischsprachigen Entente mit einer Einbindung der USA in den Völkerbund sowie einer offensiven Außenhandelspolitik.1565

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1564 Vgl. zu Grews Einschätzungen zu den Gefahren der japanischen Aggressionspolitik SCHMITZ: Triumph. S. 33f. Vgl. auch HEINRICHS: American Ambassador. S. 165-254. Zur US-Fernostpolitik jener Jahre u.a. OFFNER: Origins. S. 145ff. 1565 Vgl. Dodd an Moore, 9. Mai 1935. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). „But a real campagin [sic!] about world commerce and our co- operation with League, if managed like the President usually manages a campaign would be a powerful move in peace and prosperity direction”.

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Entsprechend der anfänglich aufgestellten These zu Dodds Konflikten mit den amerikanischen Konservativen in Politik, Gesellschaft und Medien hat sich herausgestellt: Seine Überzeugungen und Schlüsse aus seinen Deutschlanderfahrungen setzten William Edward Dodd und seine Tätigkeit als Repräsentant in Berlin der direkten Kritik durch die kon- servative Presse, besonders die Medien in Besitz von Randolph Hearst aus.1566 Dabei erging es dem progressiven Botschafter genauso wie seinem vorgesetzten Präsidenten. Mit Fortschreiten des Wahlkampfes, selbst auf dem Höhepunkt des Sieges in der Präsidentschaftswahl 1936 war Roosevelt ein „visible target”.1567 Seine klaren Worte zur deutschen Gefahr nach seinem Wahlsieg brachten dem demokratischen Präsidenten eine Verschärfung des Tones sowohl in der deutschen als auch der konser- vativen amerikanischen Presse ein.1568 Aufgrund dieser beiden Männern gemeinsamen Problematik ihrer politischen Positionen erscheint es des- halb weniger erstaunlich, dass Franklin Delano Roosevelt in den Jahren 1935 und 1936 aktiv an seinem Botschafter in Berlin festhielt.1569 Der amerikanische Chef der Exekutive teilte nicht nur die progressiv-inter- nationalistische Linie, sondern auch Dodds starke Ablehnung Hitlers und seine Sorge um den Weltfrieden. 1570 William Dodds intensive

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1566 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 182. William Dodd hatte bereits während des Ersten Weltkrieges Hearst beschuldigt, ein Agent der deutschen Propaganda zu sein. Die Kritik an Dodd in den 1930ern erscheint aus diesem Grund häufig als Racheakt seitens des Medienmoguls. Bailey hat jedoch nicht Recht in der Annahme, Dodds Anschuldigungen bezüglich Hearsts Kooperation mit Hitler hätten Roosevelt zu seiner Voreingenommenheit gegen Hearst gebracht. Vgl. hierzu insbesondere ICKES: Secret Diary. First Thousand Days. S. 519 und 532f. Vgl. auch BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 389. 1567 MORGAN: FDR. S. 428. 1568 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 355. Vgl. HERZSTEIN: Roosevelt & Hitler. S. 83 und 85. Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 43 und 46. Vgl. auch GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 189. Gassert zählt hier die Gründe auf, warum Roosevelt im Speziellen und Amerika generell von der deutschen gelenkten Presse bis Mitte der 1930er nicht offen angegriffen worden waren. 1569 Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 296. Roosevelt hielt aus den genannten Gründen sicherlich nicht nur an Dodd fest, weil er lediglich keinen anderen Diplomaten fand, der den Posten in Berlin übernehmen wollte, wie Dallek hier behauptet. 1570 Roosevelts Brief an Breckinridge Long hatte bewiesen, dass der Präsident seinen Botschafter in Berlin nicht für zu pessimistisch hielt. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 155. Vgl. hierzu auch ICKES: Secret Diary. First Thousand Days. S. 494. In seinem Tage- bucheintrag vom 27. Dezember 1935 hielt Ickes fest, der Präsident habe Dodds Briefinhalt zwar für den pessimistischsten gehalten, den er je gelesen habe. „The President remarked

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Berichterstattung seit 1933, seine Ermutigung Roosevelts zu möglichen Friedensinitiativen, seine Betonung der Sinnlosigkeit eines Friedens auf Basis von Zugeständnissen an die Diktatoren, bestätigte und beeinflusste teilweise direkt Roosevelts Bild von Deutschland und der Zukunft Amerikas und der Welt.1571 Dies beweisen die Überschneidungen in den Quellen zu Dodds Einschätzungen und Äußerungen mit Roosevelts eigenen Aussagen wie sie in den Quellen und der Sekundärliteratur zu finden sind.1572 In einem ersten Schritt folgerte Franklin Roosevelt 1936, dass ein durch Appeasement-Politik erwirkter Frieden nicht viel wert sein oder Bestand haben konnte.1573 In einem zweiten erkannte er nach der Offenlegung ihrer Ziele im Vierjahresplan, dass die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik vollständig inkompatibel mit amerikanischen Prin- zipien eines freien, nicht diskriminierenden und kooperativ angelegten Handels war.1574 In einem dritten wurde ihm klar, dass das gescheiterte

______that, of course, some allowance should be made for Dodd’s intense prejudice against Hitler, but there seems to be no question that the international situation is very grave indeed”. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 360. „Roosevelt was convinced that Hitler was pathologically and barbarously aggressive […]. He was well in advance of any noteworthy statesman, including Winston Churchill, in the conviction that Hitler would have to be got rid of if there was to be any assured peace in Europe”. 1571 Vgl. auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 130f. Dallek stellt die These auf, Roosevelt habe 1936 deshalb keinen aktiven Weltfriedensplan verfolgt, weil Dodd ihm erklärt hatte, dass ein Frieden auf Basis von Appeasement keinen Wert hatte. Vgl. zum Deutschlandbild Roosevelts und seinen Ursprüngen auch HÖNICKE, Michaela: Das nationalsozialistische Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika (1933-1945). In: LARRES, Klaus/ OPPELLAND, Torsten (Hgg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert. Geschichte der politischen Beziehungen. Darmstadt 1997. S. 62-94. Insbesondere auch ebenda Fußnote 23. 1572 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 164. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 275: „In short, though the President may have found Dodd a bit too idealistic, he appears to have considered him a more than adequate representative who fully understood the drift of German and European affairs”. 1573 Vgl. FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 184. Roosevelt gefiel beispielsweise Dodds Idee zu einem Zusammenschluss Großbritanniens, Frankreichs und Italiens mit einer kleinen Entente aus osteuropäischen Nachbarn gegen Deutschland. 1574 Hitler löste durch die Verkündung des Vierjahresplans einen lange schwelenden Richtungsstreit zur konkreten Umsetzung nationalsozialistischer Wirtschaftsziele. Vgl. GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 215f. Gassert erklärt hier die anfänglichen Probleme zwischen der theoretischen – basierend auf „autarker Großraumwirtschaft, […] Antiliberalismus, [… und] Recht auf Arbeit“ (S. 215) – und der praktischen national- sozialistischen Wirtschaftspolitik vor der „Machtergreifung“ und in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Herrschaft.

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Votum eines Beitrittes der USA zum Ständigen Internationalen Gerichts- hof, zum Völkerbund sowie die Neutralitätsgesetzgebung langfristige negative Folgen für Amerika haben würden, die seinen Handlungsrahmen kurz- und langfristig einschränkten. 1575 In einem vierten entschied sich der amerikanische Präsident, im Sinne Woodrow Wilsons die amerikanische Bevölkerung auf lange Sicht „einem Aufklärungs- und Erziehungsprozeß zu unterziehen“, 1576 um den eigenen politischen Handlungsrahmen bezüglich der Außenpolitikformulierung wieder zu erweitern. Conrad Black und Fred Bailey schließen aus Roosevelts Ver- hältnis zu Dodd, dass der Präsident den Wilsonian für unabkömmlich in Berlin hielt – „I need him in Berlin“1577 –, und dass er vielleicht sogar durch weitere überzeugte Progressivisten wie Dodd auf den Botschafter- posten in London und Paris einen Krieg hätte aktiv verhindern können.1578 Während diese letzte Schlussfolgerung eher in den Bereich des Speku- lativen gehört, ist daran festzuhalten, dass Roosevelt von William Dodds Engagement, vor allem Liberale auf die Seite des Präsidenten zu ziehen, in seinem Wahlkampf und langfristig für seine innen- und außenpolitische Reformpolitik profitierte.1579 Fernab der Warnungen seines progressiven Botschafters und der internen Machtkämpfe um die Zukunft des amerikanischen Systems wusste Franklin Roosevelt jedoch besser als Dodd, welche macht- und realpolitischen Schritte notwendig waren, um die außenpolitischen Weichen Amerikas langfristig tatsächlich auf eine

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1575 Vgl. RENSHAW: Profiles in Power. S. 155. Roosevelt wurde insbesondere 1935 bewusst, dass mit der Desintegration des Völkerbundes die USA außenpolitisch noch machtloser wurden. 1576 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 63. 1577 Roosevelt an Moore, 11. September 1935. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. 1578 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 361. „He [Dodd] was a prescient, if somewhat dogmatic ambassador, and everything he reported to Roosevelt confirmed the President’s preexisting suspicions”. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 164ff. Für Bailey stand Roosevelt mit jener Einschätzung von Dodd, umgeben von isolationistisch geprägten Bera- tern, alleine da. Diese Aussage ist anfechtbar, betrachtet man die Unterstützung Moores, Hulls, und weiterer Progressiver für Dodd. Vgl. auch MORGAN: FDR. S. 439. Roosevelt wünschte sich durchaus ein loyaleres außenpolitisches Personal, denn er misstraute den Beamten des State Departments weiterhin. Er empfand die traditionalistische Arbeit der Diplomaten als innovationshemmend für seine Außenpolitik und zeigte sich verärgert über die häufige Herausgabe vertraulicher Informationen an die Presse. 1579 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 283.

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internationalistische Schiene zu stellen. Dies erklärt Roosevelts Zuge- ständnisse in der Neutralitätsgesetzgebung, die seine Entscheidungs- gewalt ab 1936 einschränkten, sein Vermeiden der Wiederholung von Fehlern, die Woodrow Wilson in seinem Beharren auf dem Völkerbund begangen hatte und die Widersprüchlichkeiten der Außenpolitikformu- lierung der Administration und des State Departments in der Reaktion auf den Abessinien- und den Spanienkrieg.1580

Was Dodds unmittelbarem Einfluss auf Franklin Roosevelts außenpoli- tisches Handeln – anders als im Falle seines Deutschlandbildes – zum Verhängnis wurde, war dessen Gespür für die multiple Komplexität der amerikanischen Außenpolitik.1581 Selig Adler unterscheidet für die Jahre 1935 und 1936 drei Gruppen mit Einfluss auf die US-Außenpolitikfor- mulierung: Die wenigen Vertreter der kollektiven Sicherheit, zu denen

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1580 Vgl. den Forschungsstand zum Spanischen Bürgerkrieg, seinem Verlauf und den Hintergründen allgemein: BEEVOR, Antony: The Spanish Civil War. London 1982. PAYNE, Stanley G.: The Franco Regime 1936-1975. Madison, WI, 1987. ALPERT, Michael: A New International History of the Spanish Civil War. London 1994. ESENWEIN, George R.: The Spanish Civil War: A Modern Tragedy. New York 2005. BERNECKER, Walther L.: Krieg in Spanien 1936-1939. 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Darmstadt 2005. RAU, Peter: Der Spanienkrieg 1936-39. Köln 2012. PAYNE, Stanley G.: The Spanish Civil War. Cambridge, MA, u.a. 2012. Vgl. zu Spanien unter Francos Einfluss und Diktatur FUSI, Juan Pablo: Franco. Spanien unter der Diktatur 1936-1975. München 1992. Vgl. zu den Hintergründen um den Beginn des Spanischen Bürgerkrieges im konkreten Zusammen- hang mit amerikanischer Außenpolitik TIERNEY, Dominic: FDR and The Spanish Civil War. Neutrality and Commitment in the Struggle That Divided America. Durham, NC, London 2007. S. 15-23. Vgl. auch LITTLE, Douglas: Malevolent Neutrality. The United States, Great Britain and the Origins of the Spanish Civil War. Ithaca, NY, 1985. Vgl. auch DeSANTIS: Diplomacy of Silence. S. 70-74. Vgl. auch TRAINA, Richard P.: American Diplomacy and the Spanish Civil War. Bloomington, IN, London 1968. Vgl. auch ADLER: Uncertain Giant. S. 176-181. Vgl. das Standardwerk zu den verschiedenen Reaktionen und der Parteinahme in amerikanischen gesellschaftlichen Gruppen in Bezug auf den Bürger- krieg GUTTMANN, Allen: The Wound in the Heart. America and the Spanish Civil War. New York 1962.Vgl. das neueste Werk zur Rolle des nationalsozialistischen Deutschlands in Spanien BARBIERI, Pierpaolo: Hitler’s Shadow Empire. The Nazis and the Spanish Civil War. Cambridge, MA, 2015. 1581 Vgl. u.a. BURNS/ DUNN: Three Roosevelts. S. 321: „Yet the president now [1936] had a strategy that transcended interest-group politics. He planned to shape a grand coalition not only of interests but als of ideologies, regional leaders, and religious groups, comprising a spectrum of centrists, liberals, and radicals”. Diese Kooperation dürfte dem überzeugten Demokraten William Dodd weniger gefallen haben.

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Dodd, Hull, Roosevelt, Ickes und weitere progressive Internationalisten gehörten.1582 Die Traditionalisten wie Senator Borah und Senator Jonson, die sich für eine klassische Neutralität entschieden. Und die „neutralistic innovators“, unter anderem William Phillips, Judge Moore und Pierrepont Moffat, die die Neutralitätsgesetzgebung modernisieren wollten.1583 Die Konfliktlinien dieser Gruppen prägten die Partei und die Regierung des Präsidenten wie auch die Opposition. 1584 Dies führte zum einen zu Roosevelts „merkwürdigem” Kurs aus privatem Internationalismus und öffentlichem Isolationismus und erklärt eine weitere These der Einleitung zu diesem Großkapitel, die amerikanische Regierung sei zwischen einer Politik des „non-involvement” und den zunehmenden Europäisierungs- ängsten gefangen gewesen: „He was perhaps aware, too, that simply following a line of policy lying at the mean between two extremes would not necessarily lead to the wisest course”. 1585 Dass dieses Lavieren zwischen mehreren außenpolitischen Leitlinien nicht immer klug war, bewiesen die beiden Konflikte um Abessinien und Spanien – mit dras- tischen Konsequenzen für alle Beteiligten. Besonders widersprüchlich gestaltete sich die amerikanische Antwort auf Italiens Angriff auf das äthiopische Territorium. Während sich Roosevelt und Hull zunächst für ein moralisches Embargo und eine Zusammenarbeit mit dem Völker- bund einsetzten, arbeiteten Judge Moore und Pierrepont Moffat an einer Erneuerung der Neutralitätsgesetzgebung, die die Entscheidungsgewalt des Präsidenten nicht derart erweiterte, dass ihm die Umsetzung seiner Pläne gegen Italien gelingen konnte. William Phillips meldete besondere Bedenken bezüglich einer Ausweitung des Konfliktes an, sollten sich die USA an der Seite der Völkerbundmitglieder engagieren. Franklin Roosevelt lenkte ein: Die Verhinderung einer italienischen Herrschaft über ein afrikanisches Land war es ihm nicht wert, den innenpolitischen Bruch zu wagen. 1586 Ohne an dieser Stelle auf die Einzelheiten der

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1582 Vgl. auch OFFNER: Origins. S. 109. Offner zählt die Minister Ickes und Morgenthau zu den progressiven, offen deutschlandkritischen politischen Kräften, die sich zunehmend gegen die Deutschlandpolitik des State Departments zur Wehr setzten. Vgl. zu Hulls Rolle insbesondere in der Neutralitätsdebatte PRATT: Hull. S. 212-231. 1583 Vgl. ADLER: Uncertain Giant. S. 171f. 1584 Vgl. BURNS: The Lion and the Fox. S. 263. 1585 BURNS: The Lion and the Fox. S. 262. 1586 Vgl. hierzu u.a. SCHMITZ: Triumph. S. 34ff. Vgl. auch DAVIS: New Deal Years. S. 589. Vgl. auch JABLON: Crossroads of Decision. S. 111f. Vgl. PHILLIPS: Ventures in Diplomacy. S. 166f. und 169.

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amerikanischen Entscheidungen in jenem Konflikt einzugehen, wie es der Komplexität dieses Sachverhaltes eigentlich gebührt, seien hier zwei direkte Resultate der widersprüchlichen Außenpolitiklinie zu benennen: „The most significant result of the Ethiopian War for the United States was the way in which it underlined the basic prob- / [S. 134:] lems of neutrality”.1587 Der Roosevelt-Administration gelang es aufgrund der erfolgten Entscheidungen nicht, die Frage der Neutralität langfristig zu klären und dies wiederum ließ lediglich Zwischenlösungen in Form eines Neutralitätsgesetzes zu, das jährlich erneuert werden musste. Kurz- fristig wurde den italienischen Aggressionen auch von amerikanischer Seite Erfolg beschieden, da trotz eines amerikanischen „Moral Embargo“ 1936 die amerikanischen Öllieferungen an das faschistische Land sogar anstiegen.1588

Sehr ähnlich verhielt sich diese Widersprüchlichkeit in Bezug auf deutsche außenpolitische Schritte wie das deutsch-englische Flottenab- kommen, den Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland und die deutsche Autarkiepolitik.1589 Sie spiegelte auch die zweigeteilte amerika- nische öffentliche Meinung wieder, die Roosevelt eine einheitliche For- mulierung der Außenpolitik erschwerte: „Most Americans disliked the Nazis, when they thought about them at all. Yet they detested the

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1587 DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 133f. 1588 Vgl. zum Versuch eines kurzfristigen „economic appeasement“ der USA gegenüber Italien die Ausführungen in SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 153f. Vgl. ebenda. S. 169. Roosevelt habe die Verbindung zwischen Mussolini und Hitler als nicht von langer Dauer angesehen und deshalb entsprechend gehandelt. Vgl. hierzu JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 104-116. Langfristig stieß Roosevelt jedoch die Idee an, Italien handelspolitisch den Krieg zu erklären, was in den Folgejahren gelingen sollte. 1589 Während das State Department kurz- und mittelfristig keine Gefahr im Flotten- abkommen erkannte, den Einmarsch ins Rheinland als vertragskonform einstufte und in den täglichen Handelsbeziehungen weiterhin intensiven Handel zwischen amerikanischen Firmen und Deutschland duldete, erkannte die Behörde, wie die Roosevelt-Administra- tion, die langfristige Gefahr, die von den Nationalsozialisten für die amerikanische Prosperität und Sicherheit ausging. DeSantis beschuldigt das State Department, zu reaktiv bzw. ignorant mit den neuen Bedrohungen umgegangen zu sein: „[T]he department tended to ignore Germany, Italy, and Japan, or at best to avoid them”. DeSANTIS: Diplomacy of Silence. S. 76. Vgl. zur Haltung des State Departments zum Flottenabkommen OFFNER: Origins. S. 116 sowie SIROIS: Illusion und Krieg. S. 79. Vgl. zur widersprüchlichen Handelspolitik mit Deutschland SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 165f. und JONAS: The United States and Germany. S. 222.

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thought of another intervention in a European war even more”.1590 Dies bewirkte umso mehr eine „durch einen binnenpolitisch motivierten Amerikazentrismus verursachte […] Unfähigkeit der USA”, 1591 auf die Ereignisse 1935/36 adäquat zu reagieren.

Bei Weitem drastischer stellte sich diese unentschlossene Politik im Falle des Spanischen Bürgerkrieges dar. Auch hier können nur einige wenige Beispiele genannt werden, die den zahlreichen Aspekten dieses Krieges und der amerikanischen Reaktionen an dieser Stelle nicht gerecht werden können.1592 Zu einem zentralen Dreh- und Angelpunkt wurde hierbei die amerikanische Sowjetpolitik. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zum Lande Stalins und nach William C. Bullitts negativen Erfahrungen im täglichen diplomatischen Umgang mit den Sowjets setzte sich die traditionelle antibolschewistische Linie des State Departments besonders in Bezug auf die Reaktionen auf das sowjetische Engagement in Spanien durch.1593 Eine Zusammenarbeit mit den Sowjets war, das musste sich auch Roosevelt eingestehen, in der öffentlichen Meinung Amerikas wie in weiten politischen Kreisen nicht populär. 1594 Trotz Claude Bowers und William Dodds Warnungen vor Francisco Franco und den Ermahnungen zu einer Kooperation mit der Sowjetunion zirkulierten Roosevelts Gedanken weiterhin um die Optionen, ohne Stalins Hilfe Deutschland, Japan und Italien einzudämmen. 1595 Die Gefahr einer europaweiten „Volksfront“ schreckte ihn wie viele Beamte des State Departments vor einem Eingreifen auf Seiten der republikanischen Truppen in Spanien ab. 1596 Wenn auch der amerikanische Präsident in dieser Frage der politischen und öffentlichen Mehrheitsmeinung folgte, wirft die Mehrheit der heutigen Forschung dem Staatsoberhaupt ______

1590 HERZSTEIN: Roosevelt & Hitler. S. 82. 1591 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 82. 1592 Vgl. u.a. SCHMITZ: Triumph. S. 36ff. Vgl. TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 5-8. Vgl. JABLON, Howard: Franklin D. Roosevelt and the Spanish Civil War. In: Social Studies 56,2 (1965). S. 59-69. Vgl. BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 475-492. 1593 Vgl. LITTLE, Douglas: Antibolshevism and American Foreign Policy, 1919-1939. The Diplomacy of Self-Delusion. In: American Quarterly 35,4 (1983). S. 376-390. Vgl. auch TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 41. 1594 Vgl. TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 5 und SCHMITZ: Triumph. S. 38. 1595 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 38. 1596 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 36.

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diese Neutralitätsentscheidung als einen seiner größten und folgen- schwersten Fehler vor.1597 Cordell Hull begründet in seinen Memoiren die Entscheidung mit den folgenden Worten: „At the State Department, while recognizing that what Bowers had to say about Germany and Italy was true, we had to pursue a broader course which recognized the grave danger that the Civil War in Spain might erupt into a European war”.1598 Progressive Internationalisten wie Dodd und Bowers dagegen glaubten in einem weiteren Sieg der Faschisten in Europa noch viel gravierendere Gefahren zu erkennen: Den Beginn des Untergangs des amerikanischen Systems der Demokratie. Zumindest in einem Aspekt sollten sie Recht behalten, denn wie Tierney verbanden sie das Schicksal Spaniens mit der weiteren Schlagkraft Amerikas: Roosevelts Entscheidung vermittelte Amerika und der Welt den Eindruck, er halte an einem isolationistischen Kurs fest. Dies hatte konkrete Folgen für den eigenen Reformkurs und für die Internationalisten in seinem Land, denen er damit den Wind aus den Segeln genommen hatte. Roosevelts kon- sensorientierte Taktik schien 1936/37 nicht aufzugehen: Parteiinterne Machtkämpfe, der Konflikt um das Court Packing, eine einsetzende Rezession und ein ins Stocken geratener New Deal erschwerten in den folgenden zwei Jahren die Formulierung einer geradlinigeren Außen- politik gegenüber Deutschland. 1599 Von einem Vermeiden außenpoli- tischer Weichenstellungen durch Roosevelts kann generell angesichts dieser Konfrontationslinien dennoch keine Rede sein. Wieder entschied sich der langfristig denkende Stratege Roosevelt für den indirekten Weg. „The evolution of the ‘Good Neighbor‘ Policy reflected FDR‘s worries about Axis subversion in Latin America”1600 und gleichzeitig konnte er sich sicher sein, dass Entscheidungen über Schutzmaßnahmen für die

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1597 Vgl. hierzu u.a. JABLON: Franklin D. Roosevelt and the Spanish Civil War. S. 59-69. Vgl. JABLON: Crossroads of Decision. S. 130. Vgl. ADLER: Uncertain Giant. S. 179. 1598 BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 485. Vgl. auch POWASKI: Towards an Entangling Alliance. S. 70 zu Phillips’ ähnlicher Argumentation. 1599 Vgl. TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 14. Vgl. dagegen GUTTMANN: The Wound in the Heart. S. 210. Guttmann argumentiert, dass gerade der weitere Erfolg liberalen Denkens und freier Diskussion in Amerika über das außenpolitische Engagement paradoxer Weise davon abhing, für welchen Kurs sich die Mehrheit in Amerika entschied und welchen Roosevelt letztlich umsetzen sollte: Er entschied sich gemäß der Mehrheits- meinung in diesem Diskurs für eine Neutralität im spanischen Konflikt, die langfristig liberalen Argumenten einen Vorteil verschaffte. 1600 HERZSTEIN: Roosevelt & Hitler. S. 92.

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westliche Hemisphäre vom State Department und weiten Teilen der politischen Opposition im Sinne isolationistischer Zielsetzungen mitge- tragen würden.1601 Der Präsident wusste, dass Lateinamerika langfristig besonders „vulnerable to the future ventures of Hitler“1602 sein würde. Mit dieser vorgeblich „harmlosen“ Nachbarschaftspolitik leistete Franklin Roosevelt somit einen weiteren Vorschub des deutsch-amerikanischen ideologischen Gegensatzes, der den Diplomaten des Auswärtigen Amtes nicht verborgen blieb. Die „Panamerikanische Isolierung würde ebenso wie [die] Anbahnung antideutscher-panamerikanischer Front unseren Interessen zuwiderlaufen”, 1603 räsonierte Freiherr von Weizsäcker 1604 in einer Nachricht an die deutsche Botschaft in Buenos Aires am 30. November 1936. Für ihn stand fest, dass Roosevelt sich hier ein außenpolitisches Instrument, das er gegen die Mächte des Antikomin- ternpaktes einsetzen konnte, geschaffen hatte, ohne sich direkt in die europäischen oder asiatischen Geschicke einzumischen. 1605 Harrison bemerkt hierzu ergänzend, dass eine Politik mit Großbritannien auf kooperativer Basis schon ab Mitte der 1930er Jahre ein Kernanliegen

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1601 Vgl. FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 209ff. 1602 FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 209. 1603 ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 67 (S. 132). Vgl. auch Vortragender Legationsrat Leitner am 16. November 1936 zur Bildung dieser Front von Amerika, Mexiko und Kanada gegen Deutschland in ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 37 (S. 66f.). 1604 Vgl. zu Ernst von Weizsäcker und seiner Rolle im Auswärtigen Amt SEABURY: Wilhelmstraße. S. 58, 98f., 103, 121, 149,f., 249. Von Weizsäcker war seit April 1937 Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes gewesen und folgte Hans Georg von Mackensen 1938 in das Amt des Staatssekretärs. Nach eigener Aussage rechtfertigte er seine Tätigkeit für das Hitler-Regime mit der Unterscheidung zwischen dem „Dienst am deutschen Volk“ und dem Dienst am Regime (S. 121). Vgl. auch LINDNER: Freiherr Ernst Heinrich von Weizsäcker. Vgl. auch LÜDICKE: Offizier und Diplomat. Ernst von Weizsäcker. In: SCHULTE/WALA: Widerstand und Auswärtiges Amt. S. 225-249. Vgl. auch PÖPPMANN: „Im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten”. In: SCHULTE/WALA: Widerstand und Auswärtiges Amt. S. 251-268. Vgl. auch CONZE/ FREI/ HAYES/ ZIMMERMANN: Das Amt und die Vergangenheit. S. 126ff. Von Weizsäckers Karriere profitierte maßgeblich von dem Revirement 1938 und dem Wechsel von Neurath zu Ribbentrop. Von Weizsäcker glaubte fälschlicher Weise, von Ribbentrop beeinflussen zu können. 1605 Vgl. ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 67 (S. 132). Dies bestätigt auch Freidel. Roosevelt habe Ende 1936 mit der Idee einer direkten Blockade gegen Deutschland und Japan gespielt. Das Konzept der Hemisphärenverteidigung spielte hierbei eine immer bedeutendere Rolle für seine außenpolitischen Entscheidungen. Vgl. FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 184.

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Roosevelts darstellte, um kurz- und langfristig eine kollektive Verteidi- gung des Friedens gegen Veränderungen des Status Quo zu gewährleis- ten.1606 Cordell Hull erwähnt diesen Punkt auch in seinen Erinnerungen, obwohl die amerikanisch-britische Kooperation 1935/36 und in den Folgejahren aufgrund vielfacher Faktoren nicht das Ausmaß erreichte, das sich William Edward Dodd erhofft hatte.1607

Dies und die Tatsache, dass das Neutralitätsgesetz von 1936 einen weite- ren Tiefpunkt des Einflusses auf die kurzfristige Außenpolitikformu- lierung durch den Präsidenten in einem vor allem mit sich selbst beschäftigten amerikanischen System Mitte der 1930er Jahre markierte,1608 darf nicht zu dem Schluss führen, Roosevelt habe den Kampf um die progressiv-internationalistische Kontrolle der Außenpolitik aufgege- ben.1609 Die Jahre 1935/36 waren von einem „distinct break point in

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1606 Vgl. zu Roosevelts Versuchen, über persönliche Beziehungen Einfluss auf die britische Politik zu gewinnen HARRISON, Richard: A Presidential Démarche: Franklin D. Roosevelt’s Personal Diplomacy and Great Britain, 1936-37. In: Diplomatic History 5,3 (1981). S. 245-272. Laut Harrison wäre eine sehr viel konkretere Präsentation der amerika- nischen Haltung gegenüber Chamberlain nötig gewesen, um einen europäischen Krieg gemeinsam verhindern zu können. Roosevelt habe bis Sommer 1937 verstanden, dass Chamberlains Politik von seinen Ansichten meilenweit entfernt war (S. 270). Vgl. allgemein zur Haltung der britischen Parteien gegenüber Roosevelt und seinem New Deal DIZIKES, John: Britain, Roosevelt and the New Deal. British Opinion, 1932-1938. New York, London 1979. Vgl. auch HAIGHT, John McVickar, Jr.: Franklin D. Roosevelt and a Naval Quarantine of Japan. In: Pacific Historical Review 40,2 (1971). S. 203-226. Vgl. auch TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 37. Tierney stellt die These auf, dass Roosevelts Erfahrungen mit dem Spanischen Bürgerkrieg seinen Wunsch nach einer Kooperation mit England anstelle von der sowjetischen Option bestärkt hatten. 1607 Vgl. BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 385. Hull schreibt hier: „Throughout my career at the State Department, I felt that good relations with Great Britain were more important to us than good relations with any other country. […] Though we often differed we never really quarreled”. 1608 Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 160f. Vgl. auch ADLER: Uncertain Giant. S. 175. 1609 Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 221. Leuchtenburg stellt diese Behauptung auf. Vgl. auch BARRON, Gloria J.: Leadership in Crisis. FDR and The Path To Intervention. Port Washington, NY, London 1973. Barron argumentiert, Roosevelt habe aus sehr konkreten politischen Gründen die Neutralitätsgesetzgebung bis 1937 generell begrüßt, weil sie garantierte, dass Waffenproduzenten und Bankiers in der Außenpolitik der USA nicht mehr die Rolle spielen konnten, die sie vor und während des 1. Weltkrieges wahrgenommen hatten. Derartige, seltener diskutierte Erwägungen Roosevelts spielten

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Roosevelt’s attitude and strategy“1610 geprägt, zu dem William Edward Dodds Deutschlandbild und Berichterstattung beigetragen hatten. Gellman spitzt diese Beobachtung zu, indem er erklärt, dass der ameri- kanische Chef der Exekutive gewillt war, den Preis der Neutralitäts- gesetzgebung zu zahlen, um nach einem weiteren Wahlsieg die „trends in American diplomacy“ 1611 langfristig in Richtung kollektiver Sicher- heitsbestrebungen setzen zu können. Wie viele andere seiner Berater nutzte Roosevelt Dodd als „processor of ideas”, 1612 die er dann zum selbigen oder einem späteren Zeitpunkt umsetzte, wie es der politischen Situation angemessen war. Die Mithilfe durch Cordell Hull, der die Mitglieder des Brain Trusts dauerhaft aus außenpolitischen Entschei- dungsgremien fernzuhalten wusste,1613 und durch den Architekten seiner Lateinamerikapolitik, Sumner Welles,1614 ermöglichte es dem amerika- nischen Präsidenten, seinen immer entscheidenderen Einfluss auf die Außenpolitikformulierung zu sichern. Hierzu gehörte auch seine William Dodds Ansichten sicher zusprechende Taktik, Isolationisten wie Gerald P. Nye, Burton K. Wheeler oder Charles Lindbergh1615 öffentlichkeits- wirksam in einen direkten Zusammenhang mit Pro-Hitler-Extremisten wie Father Coughlin oder dem Deutschen Amerikabund zu bringen.1616 Roosevelts proaktive Einflussnahme auf die amerikanische Öffentlichkeit, die er nach seinem bahnbrechenden Sieg 1936 noch direkter und inten- siver addressierte, offenbarte die Möglichkeiten des Staatsoberhauptes, anhand der von Berlin aus transferierten Schilderungen der deutschen und europäischen Ereignisse das Deutschlandbild der Bevölkerung und

______sicherlich eine tragende Rolle für seinen Umgang mit Kongress, Opposition und der Formulierung der Neutralitätsgesetze. 1610 JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 89. 1611 GELLMAN: Secret Affairs. S. 92. Das State Department setzte diese sicherlich nicht, so Tierney. Vgl. TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 159. „The bureaucracy was more important in implementing key decisions than in making them”. Vgl. auch DeSANTIS: Diplomacy of Silence. S. 76. 1612 BURNS/DUNN: Thre Roosevelts. S. 293. 1613 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 93-96. 1614 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 105. 1615 Vgl. zur Rolle Lindberghs insbesondere für die isolationistische Bewegung in den USA und zu seinem Einfluss in den Monaten vor der Münchener Konferenz COLE: Isolationists. S. 279-290. 1616 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 24. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 361.

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der Medien gleichermaßen in andere Richtungen zu lenken. 1617 1936 bereits fand sich in der US-Presse eine „vorherrschende Gegenüber- stellung von Faschismus und Demokratie als um Vormacht ringende Prinzipien”.1618 Wie die Analyse der US-Deutschlandpolitik und Dodds

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1617 Vgl. hierzu CASEY: Cautious Crusade. S. 216ff. Casey schildert, dass die öffentliche Meinung in den USA nie Einfluss auf Roosevelts Deutschlandbild gewinnen konnte, vielmehr er selbst das Bild in der Öffentlichkeit durch seine Pressestatements und Reden beeinflusste. Vgl. auch BURNS/DUNN: Three Roosevelts. S. 293. „But FDR was not the puppet of ideological forces”. Roosevelt ließ sich niemals von den verschiedenen Strömungen in der öffentlichen Meinung aufreiben. Vgl. auch die durch Dallek gegenüber- gestellten Positionen von Beard und Langer bzw. Gleason zu Roosevelts aktiver Steuerung der amerikanischen Öffentlichkeit hin zur Akzeptanz eines aktiven Interventionismus der USA: BEARD, Charles A.: Roosevelt Deceived the Public. In: DALLEK, Robert: The Roosevelt Diplomacy and World War II. New York u.a. 1970. S. 9-15 und LANGER, William L./ GLEASON S. Everett: Roosevelt Respected Public Opinion. In: DALLEK, Robert: The Roosevelt Diplomacy and World War II. New York u.a. 1970. S. 16-25. Die historische Wahrheit, wenn sie überhaupt jemals vollumfänglich erfasst werden kann, liegt vermut- lich zwischen diesen extremen Positionen von Roosevelts Respekt für oder Manipulation der amerikanischen Öffentlichkeit. Sein Einfluss auf die US-Gesellschaft war stets begleitet von unzähligen weiteren Einflussquellen aus Politik, Wirtschaft, Presse und Gesellschaft, die er qua seines Amtes in einem liberalen, demokratischen System niemals kontrollieren oder unterbinden wollte oder konnte. Vgl. auch insbesondere Betty Houchin Winfields umfängliche Studie zu Roosevelts wechselseitigen Beziehungen zur US-Presse und Journa- listen sowie seinen Taktiken, die Zusammenstellung und Informationssammlung von Nachrichten zu beeinflussen: HOUCHIN WINFIELD, Betty: FDR and the News Media. Urbana, Chicago, IL, 1990. Houchin Winfield betont, dass Roosevelts Einfluss stets inner- halb der Rahmenbedingungen einer freiheitlichen Demokratie blieb. Er folgte hierbei den Prinzipien John Lockes und Thomas Jeffersons: Eine stabilie Demokratie konnte nur auf Basis einer informierten und gebildeten Öffentlichkeit fortbestehen (S. 2). Die ver- schiedenen Rollen (Vgl. S. 235f.) einer freien Presse im demokratischen System sowie die Herausforderungen verschiedener Krisen während seinen Amtszeiten stellten den Präsidenten vor die Frage, wie er die öffentliche Meinung addressieren sollte. Er entschied sich für den offensten und proaktiven Weg, der ihn durchaus in Konkurrenz zu einigen Presseorganen treten ließ (S. 6f., 234, 239). Vgl. zur besonderen Krisenhaftigkeit seines Verhältnisses zur (konservativen) Presse ab Mitte der 1930er Jahre die Seiten 127-153. Vgl. S. 232: Bemerkenswert ist Houchin Winfields Erkenntnis, dass viele von der allgemeinen Krise erfasste Medien für viele Jahre aus Geldnot zu der Praxis übergegangen waren, Informationen und Nachrichten der großen Zeitungen wie denjenigen im Besitz von Hearst unkritisch zu übernehmen. Vgl. außerdem STEELE, Richard W.: Propaganda in an Open Society. The Roosevelt Administration and the Media, 1933-1941. Westport, CT, 1985; WHITE, Graham J.: FDR and the Press. Chicago, IL, 1979. 1618 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 100. Es ist bemerkenswert, dass auch die gelenkte deutsche Presse die gegensätzliche Politik beider Länder zunehmend unterstrich, hierzu gehörten auch die seit 1935 einsetzende Kritik am Programm des New Deal und seinen vorgeblichen Erfolgen, Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen. Die Person des

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Tätigkeit als Botschafter und Meinungsbilder in den Jahren 1937 und 1938 zeigen wird, unterschätzten selbst Amerikaexperten wie Hans Heinrich Dieckhoff den dynamischen Ansatz der progressiven Interna- tionalisten, die Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt zu Ungunsten der nationalsozialistischen Herrschaft neu zu definieren.1619

______Präsidenten selbst wurde aber weitgehend von dieser Kritik ausgenommen. Vgl. hierzu GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 225. 1619 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 67. Vgl. auch SCHWABE, Klaus: Die Regierung Roosevelt und die Expansionspolitik Hitlers vor dem Zweiten Weltkrieg. Appeasement als Folge eines „Primats der Innenpolitik“? In: ROHE, Karl (Hrsg.): Die Westmächte und das Dritte Reich, 1933-1939. Klassische Großmachtrivalität oder Kampf zwischen Demokratie und Diktatur? Paderborn 1982. S. 103-132. Schwabes These, die amerikanische Appease- mentpolitik sei eine Folge des Primates der Innenpolitik, greift zu kurz. Der Widerstreit außenpolitischer Ideen im amerikanischen System zeugt von einer intensiven Auseinan- dersetzung mit außenpolitischen Fragestellungen. Die amerikanische Zurückhaltung ab Mitte der 1930er darf nicht mit der eigentlichen Politik der Zugeständnisse seitens der europäischen Westmächte verwechselt werden. Vgl. auch HÖNICKE: NS-Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika. S. 73. Hönicke setzt den Beginn ders eigentlichen „Erosionsproze[sses] der isolationistischen Mehrheit in der Gesellschaft“ für 1940 an. Bis zu jenem Zeitpunkt stellten die Ideen und Zielsetzungen Roosevelts und anderer progressiver Politiker eine Mindermeinung dar.

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6. 1937. „High Tide“ – Auf beiden Seiten des Ozeans

In den Monaten vor William Edward Dodds Abberufung von seinem Posten als amerikanischer Botschafter in Berlin zum Jahresende 1937 nahm er weiterhin die Rollen wahr, die er seit seinem Amtsantritt zuge- wiesen bekommen oder selbst gewählt hatte. Eine fokussierte Beobach- tung deutscher Maßnahmen im Bereich Handels- und Finanzpolitik mit möglichen Konsequenzen für das amerikanische Handelsprogramm in Lateinamerika, im Fernen Osten und in Europa gehörte weiterhin zu William Dodds Aufgaben. Mit Nachdruck warnte er Washington vor drohenden Gefahren für die amerikanische Prosperität und interna- tionale Handelsoptionen angesichts der nationalsozialistischen bilateral ausgerichteten Handels- und Autarkiepolitik sowie des Eindringens in amerikanische Absatzmärkte, hier reflektiert im ersten Kapitel zur Analyse des Jahres 1937. Als Beobachter der deutschen Politik und der deutsch-amerikanischen Beziehungen vor Ort in Berlin diente er in diesem Jahr zunehmend als Sprachrohr Franklin Roosevelts und Cordell Hulls in der deutsch-amerikanischen Auseinandersetzung auf Ebene der medialen Berichterstattung, die zu einem regelrechten „Medienkrieg“ beider Länder führte und gegen Ende des Jahres in den intensiven Reaktionen auf beiden Seiten des Ozeans auf Roosevelts sogenannte „Quarantänerede“1620 in Chicago gipfelte. Die bedeutendsten Fälle dieses medial ausgetragenen Konfliktes werden in diesem ersten Kapitel ge- schildert werden. Ebenso in jenem Kapitel beleuchtet wird Dodds Berichterstattung und Analyse der innerdeutschen Entwicklungen für das State Department, den Secretary of State und den Präsidenten. Bezüglich der deutschen Außen- und Bündnispolitik geriet er in eine immer antagonistischere Position zu seinen aus den europäischen Hauptstädten nach Berlin entsandten Kollegen, die die Appeasementpolitik ihrer Regierungen

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1620 Vgl. Roosevelts Quarantänerede „’The Will for Peace on the Part of Peace-Loving Nations Must Express Itself to the End that Nations that May Be Tempted to Violate Their Agreements and the Rights of Others Will Desist from Such a Course.’ Address at Chicago”. October 5, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 406-411 sowie die Analyse zu dieser sogenannten „Quarantänerede“ in Kapitel 7.1.

461 gegenüber der nationalsozialistischen Herrschaft vertraten und die deutschen Entwicklungen im Sinne ihrer nationalen Interessen pragma- tisch nutzen wollten – soweit dies möglich war, ohne in Konflikt mit dem nationalsozialistischen Regime zu geraten.1621 Im Gegensatz zu einigen seiner bekannten und einigen neuen Amtskollegen, wie zum Beispiel der britische Botschafter Sir Nevile Henderson, der Sir Eric Phipps in seinem Amt nachfolgte, beobachtete William Dodd besonders die deutsche Spanienpolitik1622 und Bündnispolitik mit Italien und Japan mit großer Sorge und warnte Roosevelt eingehend vor der Lateinamerikapolitik des Regimes sowie den Folgen eines Erstarken Japans, das für Dodd in seinen Analysen eine immer gewichtigere Rolle in Hinblick auf die Wahrung amerikanischer Interessen und nationaler Sicherheit spielen sollte. Die Regionen Fernost und Südamerika bildeten für den US- Repräsentanten die Ansatzpunkte einer konkreten totalitären Gefahr für vitale US-Interessen und den fortwährenden Einfluss des amerika- nischen Systems der freiheitlichen Demokratie. Mit dieser Einschätzung riskierte der Botschafter Kritik von mehreren Seiten, die letztlich in seinem vorzeitigen und unfreiwilligen Rücktritt resultieren sollte. Insgesamt ergeben sich aus dem Studium und der Analyse der Quellen drei Perspektivebenen, die Aufschluss über die Hintergründe von Dodds Rückberufung Ende 1937 geben. Die Perspektiven des Auswärtigen Amtes – zunehmend marginalisiert durch die aufgewertete Rolle des Chefs der nationalsozialistischen Auslandsorganisation, Bohle, und Hitlers Reise- diplomaten, Joachim von Ribbentrop1623 – auf Amerika und auf dessen

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1621 Vgl. zu den Beziehungen Deutschlands zu den europäischen Westmächten Ende 1937 bis inklusive Januar 1938, die von den Bemühungen um eine Verständigung mit Frankreich und Großbritannien geprägt waren, vor allem ADAP, Serie D, Bd. I Von Neurath zu Ribbentrop. S. 3-159. Vgl. zur Haltung des französischen und des britischen Botschafters in Berlin und ihrer Berichterstattung FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 260 und SCHÄFER: André François-Poncet. S. 274-279 zu den Beobachtungen und dem Verhalten François-Poncets 1937. Vgl. auch besonders S. 317: François-Poncet war unter Lavals Regierung 1935 wieder zum Versuch einer Verständigungspolitik mit Deutschland zurückgekehrt. Vermutlich hatte sich dieses Verhalten auf Dodds Meinung von François- Poncet negativ ausgewirkt und ihn zur Annahme verleitet, der französische Botschafter sei profaschistisch eingestellt. 1622 Vgl. zur deutschen Spanienpolitik ab 1936 im Spiegel der Dokumente des Auswärtigen Amtes ADAP, Serie D, Bd. III Deutschland und der Spanische Bürgerkrieg. 1623 Vgl. hierzu ADAP, Serie C, Bd. VI,2, Dok. 567 (S. 1152f.). In dieser Aufzeichnung des neuen Staatssekretärs von Mackensen über ein Gespräch mit von Ribbentrop vom 6. Oktober 1937 wird offensichtlich, welche Machtbefugnisse Ribbentrops Dienststelle in

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diplomatischen Repräsentanten in Berlin vollzogen einen Wandel, der in einem nachfolgenden Kapitel erläutert wird. William Dodds indirekte Kritik am deutschen Regime, der Inhalt seiner vertraulichen Briefe an Cordell Hull, die ohne Dodds Einverständnis veröffentlicht wurden, und seine weiterhin ablehnende Haltung der deutschen Führung und dem gesamten nationalsozialistischen System gegenüber führten zu Über- legungen und Abwägungen im Auswärtigen Amt, wie dem Botschafter Amerikas weiterhin zu begegnen sei. Als Initiatoren dieses Aktivwerdens können Hans Heinrich Dieckhoff, in jenem Jahr zum deutschen Bot- schafter in Washington, DC, ernannt, Staatssekretär von Mackensen und Botschaftsrat Dr. Thomsen identifiziert werden. Ihre Gespräche kreisten um die Frage, wie man sich des Botschafters ohne weiteres Risiko für die deutsche außenpolitische Lage und die ohnehin angespannten Bezie- hungen zu Amerika entledigen könnte. 1937 erwies sich als ein politisch äußerst schwieriges Jahr für die Roosevelt-Administration, wovon ein darauffolgendes Kapitel handelt. Nach der Wiederwahl des Präsidenten galt es, das komplexe New Deal-Programm mit vielen Einschnitten und Veränderungen im starren amerikanischen System der Checks and Balances in die Tat umzu- setzen. 1624 Franklin Roosevelts Plan, den Supreme Court mit seinen betagten, in republikanischen Regierungszeiten ernannten Richtern neu zu besetzen, hatte für hitzige Debatten und eine Blockadepolitik seitens

______der Außenpolitikformulierung durch Hitler erhalten hatte. Entgegen einer Anweisung durch von Neurath wurde von Mackensen durch von Ribbentrop aufgefordert alle seine Telegramme an die Dienststelle weiterzuleiten, weil Hitler „wünsche, daß Herr von Ribbentrop über sämtliche politische Vorgänge fortlaufend von uns unterrichtet werde”. Derartige Weisungen mussten von den deutschen Diplomaten als Demütigung und mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit gewertet werden. 1624 Vgl. zur Reorganisation der Regierung und zur Gesetzgebungstätigkeit der Roosevelt- Administration 1937 BLACK: Champion of Freedom. S. 400f. und 419ff., LEUCHTENBURG: New Deal. S. 277-280 und BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 373-382. Vgl. ausführlich zur Reorganisation auch BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 369f. und RAUCH: History of the New Deal. S. 285ff. Roosevelt hatte wie Theodore Roosevelt die Notwendigkeit einer strafferen Bürokratie und daraus erforderlichen Reorganisation der Exekutive erkannt. Die Maß- nahmen zur neuen Strukturierung und Subsumierung von Hunderten von unabhängigen Behörden unter einige wenige Ministerien und die Entscheidung zur Ernennung einer Gruppe nichtpolitischer Verwaltungsassistenten des Präsidenten als Bindeglieder für alle Behörden der Exekutive stießen auf große Ablehnung im US-Senat. Vgl. zum politischen Klima in Administration und Kongress und der Gesetzgebung 1937 BURNS: The Lion and The Fox. S. 337-352. Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 273-280.

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vieler Senatoren, auch ehemaliger Roosevelt-Unterstützer, gesorgt. 1625 Diese systeminternen Konflikte stellen eine weitere Perspektive auf die Umstände von Dodds Rückberufung dar: Angesichts des sich verschärfenden verfassungsrechtlichen Konfliktes um die Kompetenzen der drei Gewalten im amerikanischen Regierungssystem meldete sich der progressive Dodd in loyaler Haltung zu seinem demokratischen Präsidenten deutlich vernehmbar zu Wort. Wieder tat er dies nicht in aller Öffentlichkeit, doch seine vertraulichen Briefe an mehrere wort- führende Senatoren gerieten an die Presse und lösten eine weitere erhitzte öffentliche Debatte um Roosevelts Court Packing sowie Dodds Anschuldigungen gegen republikanische und demokratische konservative Senatoren aus. Auch wenn niemals offene Kritik des State Departments an Dodd, der in Augen vieler Beamter seine eigenen Kompetenzen als Botschafter überschritten hatte, verlautbart wurde, wuchs die Zahl seiner Gegner unter den Berufsdiplomaten und Beamten des Departments. Als sich das amerikanische Außenministerium im Zuge von Roosevelts Reformwünschen organisatorisch und personell neu strukturierte – so dargestellt in einem finalen Kapitel – eröffnete sich für das neue Führungspersonal in der Behörde die Möglichkeit, Dodd und andere progressive Kollegen aus dem Wege zu räumen und damit eine dritte Perspektivebene zu Dodds Rückberufung. Diese Dynamiken standen am Ende einer Entwicklung, die teils den Konkurrenzkämpfen, die Roosevelt

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1625 Vgl. zu Roosevelts Versuchen einer gesetzlich induzierten Veränderung der Zusammensetzung des Supreme Courts, worüber ab Februar 1937 eine neue hitzige und mehrmonatige Debatte ausbrach BLACK: Champion of Freedom. S. 404-419, RAUCH: History of the New Deal. S. 265-298, COLE: Isolationists. S. 211-222 und LEUCHTENBURG: New Deal. S. 232-238. Vgl. auch BURNS: The Lion and The Fox. S. 291-315. Burns urteilt: „The fatal weakness of Roosevelt’s plan lay partly in its content and partly in the way it was proposed”. (S. 314). Die Grand Coalition, die zu seinem Wahlsieg 1936 geführt hatte, sei an diesen Debatten zerbrochen (S. 315). Vgl. auch SMITH: A Concise History of the New Deal. S. 126-131. Smith betont die negativen Auswirkungen auf die Einstellung der US- Bevölkerung zu ihrem Präsidenten und dem New Deal (S. 131). Vgl. zur Vorgeschichte der Auseinandersetzungen zwischen dem Supreme Court und progressiven Politikern seit Theodore Roosevelt BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 360ff. Vgl. zur Vorgeschichte der Konflikte des Supreme Courts mit den New Deal-Maßnahmen bis 1936 BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 362f. Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 239. Freidel argumentiert, der „Court Fight“ habe zwar ein politische Niederlage für Roosevelt, aber eine Lösung des Verfassungsstreites für Dekaden bedeutet. Vgl. zum Court Fight und Roosevelts Beweggründen vor allem ab 1937 HUDSPETH, Harvey G.: Losing Battles and Winning Wars. Franklin Roosevelt and the Fight to Transform the Supreme Court, 1937- 1941. In: Essays in Economic and Business History 17 (1999). S. 163-179.

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aufgrund seiner Skepsis für die Arbeit der außenpolitischen Behörde gefördert hatte, teils Hulls wenig entscheidungsfreudigem Handeln in seinem eigenen Ministerium, aber auch William Dodds unvorsichtigen Äußerungen durchaus berechtigter Kritikpunkte geschuldet war. Auf- grund Roosevelts und Hulls fortwährend eigenständiger Außenpolitik- formulierung blieb diese interne Aktion jedoch ohne Folgen für die amerikanische Deutschlandpolitik und führte sogar – im Sinne von William Dodds Warnungen und Beobachtungen – zu einer Verschärfung des politischen Tones gegenüber dem nationalsozialistischen Deutsch- land 1937/1938.

6.1. „Can Democracy be preserved?“1626 William Dodds Rolle in Berlin und seine Berichterstattung deutschland- und weltpolitischer Ereignisse 1937: „Medienkrieg“, handelspolitischer Konflikt und Propaganda Die ersten Monate der deutsch-amerikanischen Beziehungen im Jahr 19371627 standen im Zeichen eines immer offenkundiger zu Tage treten- den und ausgetragenen Konfliktes der Handelsinteressen und der Han- delspolitik beider Staaten. Dabei stellte die panamerikanische Konferenz in Buenos Aires einen Wendepunkt dar. Zunächst begann das Jahr für William Edward Dodd, Botschafter Amerikas in Berlin, mit einigen negativen und enttäuschenden Nach- richten, die er aus den Vereinigten Staaten von Amerika empfangen musste. Zum einen verkauften amerikanische Flugzeugbauer im Januar erfolgreich dank der bestehenden Bestimmungen der Neutralitäts- gesetzgebung unter Umgehung der amerikanischen Behörden ihre Pro- dukte an Deutschland;1628 Ein Fakt, das den Botschafter angesichts des

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1626 Dodd Rede „Can Democracy be preserved?“ vom 3. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File , Speech: 9-3-37 (Williamstown). 1627 Vgl. den Überblick über Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland unter national- sozialistischer Herrschaft bei BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 113ff. Vgl. zur Außenpolitik des „Dritten Reiches“ im Jahr 1937 HILDEBRAND: Kalkül oder Dogma? S. 52-63. 1628 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 378. Dodd schrieb am 5. Januar 1937: „The American airplane sale, which the State Department could not prevent under the 1935 neutrality law, involved $2,700,000 worth of airplanes. As these planes were to be sold by a private business firm to one of the parties in a civil war, there was nothing to do”. Vgl.

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fortwährenden Kampfes auch deutscher Truppen und Flugzeuge im Spanischen Bürgerkrieg aufhorchen ließ. 1629 Zum anderen schienen Mitgliedern der US-Administration, mit beiden Augen fest auf die Good Neighbor Policy mit Lateinamerika gerichtet, Anfang des Jahres europäische Probleme besonders fern.1630 Während Präsident Roosevelt Dodd in einem euphorischen Brief verkünden konnte, dass er unmittelbar nach seiner Anreise nach Südamerika von der dortigen Bevölkerung und den Staatsoberhäuptern äußerst herzlich willkommen geheißen worden sei und dass diese Nachbarregion offensichtlich das amerika- nische System faschistischem und kommunistischem Gedankengut und Strukturen vorziehe,1631 musste er sich eine Niederlage in Hinblick auf die europäischen Ereignisse eingestehen: Die Aussichten auf eine seit dem Vorjahr angedachte Weltkonferenz zur multilateralen Lösung aller politischen und ökonomischen Probleme zu diesem Zeitpunkt erschienen ihm denkbar schlecht. 1632 Außerdem zeigten sich Beamte

______DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 135. Die Flugzeugverkäufe erfolgten auch an die spanische Republik, es regte sich in diesem Fall aber eine weitaus deutlichere Reaktion aus der US-Administration: Roosevelt und Moore sahen sich angesichts des moralischen Embargos verpflichtet, eine Firma aus New Jersey öffentlich für diesen zwar legalen, aber „unpatriotischen“ Akt zu rügen, der dem moralischen Embargo für alle Kriegsparteien des Bürgerkrieges zuwiderlief. 1629 Vgl. zum deutschen Engagement im Spanischen Bürgerkrieg WEINBERG: The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Bd. 2. S. 142-166. 1630 Dies lag vermutlich nicht daran, dass auch Dodds Briefe an den Präsidenten zeit- verzögert oder gar nicht den Adressaten erreichten, wie Roosevelt monierte.Vgl. Roosevelt an Dodd, 9. Januar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1631 Vgl. zu Roosevelts Erlebnissen und Begegnungen auf dieser Südamerikareise DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 132ff. Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 216-219. Freidel stellt fest, dass Roosevelts Reise dramatische Konsequenzen für die Zukunft der westlichen Hemisphäre hatte (S. 217): „He [Roosevelt] became a living symbol of the Good Neighbor program. […S. 218:] His hosts explained to him, he later told Ickes, that the people regarded him as the defender of democracy as opposed to fascism or communism […]”. 1632 Vgl. Roosevelt an Dodd, 9. Januar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „I am glad to have your letter of December eighth. It did not reach me until the twenty-eighth. Something must be wrong with the mails or the courier. […] From a practical point of view, the type of conference is an impossibility unless, as in the case of B.A. [Buenos Aires], there are one or two simple principles on which all will agree beforehand. […] I wish you could have seen those South American crowds. Their great shout as I passed was ‘viva la democracia.’ Those

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des State Departments wie Assistant Secretary of State R. Walton „Judge“ Moore hinsichtlich eines bevorstehenden großen Krieges keinesfalls so überzeugt wie der Botschafter in Berlin.1633 Europäische und insbesondere deutsche Entwicklungen erschienen den Mitglieder der US-Administra- tion und Behörden ferner denn je. Schon gegen Ende Januar jedoch änderte sich diese Sicht, als Washington während und vor allem nach der Konferenz in Buenos Aires mit dem Ziel einer verbesserten wirtschaftlichen Zusammenarbeit aller europäischen und amerikanischen Teilnehmerstaaten realisieren musste, wie aktiv Deutschland tatsächlich Propaganda auf dem Subkontinent betrieb.1634 Cordell Hull war der erste, der Botschafter Dodd hiervon in Kenntnis setzte.1635 Dodd bestätigte seinem Vorgesetzten, dass er auch in Berlin Einsicht in die fortgeführte Propagandatätigkeit der Deutschen in beiden Amerikas erhalten habe und dass Hjalmar Schacht, deutscher Finanz- experte und Hitlers wirtschaftspolitischer Berater, mit seinen aus- weichenden Antworten diesbezüglich offensichtlich kein ehrliches Spiel treibe. 1636 Der Chef der nationalsozialistischen Auslandsorganisation,

______people down there were for me for the simple reason that they believe I have made democracy function and keep abreast of the times and that as a system of government it is, therefore, to be preferred to Fascism or Communism”. 1633 Vgl. Moore an Miss LeHand (für Roosevelt), 25. Januar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 20 Dept. of State Jan-May 1937. „The President may like to read the enclosed letter from Doctor Dodd. Although I am devoted to Dodd, I cannot share his gloomy midnight belief that the world is now on the verge of another great war”. 1634 Vgl. zur deutschen Propaganda im Ausland auch BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 174-193. Bloch macht die Feststellung, dass der Erfolg der nationalsozialistischen Propaganda im Ausland insbesondere durch den Einsatz von „Agenten“ überschätzt wird und wurde. „Wichtiger für das Reich war die Hilfe von einflußreichen konservativen Kreisen, die in ihm ein kleineres Übel gegenüber dem Bolschewismus oder anderen Kräften der Linken sahen” (S. 193). 1635 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 381. In seinem Eintrag vom 27. Januar schildert Dodd den Inhalt eines Briefes Hulls an ihn vom 25. Januar 1937. Besonders der schon einmal erwähnte Herr Ilgner von der I.G. Farben, Präsident der Carl Schurz-Vereinigung, habe aktiv Propaganda gegen Hulls Ideen in Buenos Aires betrieben. 1636 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 381. Dodd habe Hull Schachts wahre Einstellung und Motive beschrieben. Ilgner hatte sich in Buenos Aires als Schachts Repräsentant ausgegeben. In mehreren Tagebucheinträgen und Briefen Dodds 1937 wird offensichtlich, dass der US-Botschafter in der Sowjetunion, Joe Davies, auf Schachts Versprechen und Schilderungen hereinfiel und die Stellung Schachts im nationalsozialistischen System überschätzte. Vgl. auch Dodd an Hull, 29. Januar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe

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Bohle, habe sich zum bedeutendsten Mann im Auswärtigen Amt nach Neurath entwickelt, ganz entgegen Hitlers früheren Beteuerungen, nationalsozialistische Propaganda werde künftig vor allem in den USA unterlassen.1637 Die Propagandaaktivitäten in den USA könnten jedoch, so berichtete Dodd Judge Moore ergänzend, von Berlin aus nur schwer in ihrem Umfang eingeschätzt werden.1638 Die deutsche Führung unterließ weiterhin nicht propagandistisch wirksame, offizielle Spitzen gegenüber den Vereinigten Staaten. Der deutsche Diktator hatte in einem propagandistischen Interview mit Hearst-Journalist Karl von Wiegand die antideutsche Kampagne der US-Presse beschuldigt, die deutsch- amerikanischen ökonomischen Beziehungen unnötig zu belasten, 1639 obwohl, warf Dodd ein, die Nationalsozialisten mittlerweile jedes Politikfeld kontrollierten und aufgrund ihres konträren Wirtschaftspro- grammes die Wiederaufnahme handelspolitischer Gespräche mit den USA ausschlossen.1640 Es seien darüber hinaus auch private britische und

______William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „What we have learned about Ilgner’s activity in Latin America last autumn and the purposes of other Schacht appointees to Argentine last November raises doubts as to any real concessions about freer trade”. 1637 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. Februar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „[…] Boehle [sic!], chief of Foreign Propaganda organization, is now the most important official in the Foreign Office after von Neurath. There are secret agents of Boehle [sic!] in all the German diplomatic offices”. 1638 Vgl. Dodd an Moore, 10. März 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „There is no way here to learn what the Foreign Propaganda Chief, now in Foreign Office, does in our country. I hope the Government can be able to expose this business”. 1639 Vgl. Dodd an Secretary of State, 18. Februar 1937 (Despatch No. 3315). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.014/216. Dieses Interview von Wiegands mit Hitler durfte nicht veröffentlicht werden. Von Wiegand sei in schwieriger Position in Deutschland, und vielleicht deshalb, vermutete Dodd, hatte Hitler die Veröffentlichung nicht genehmigt. 1640 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. Februar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. Auf die Einladung des State Departments, Delegierte zu einer Wirtschaftskonferenz nach Washington im April zu senden, habe man eine Ablehnung vom Auswärtigen Amt erhalten. „The reply was that the Economics and Labor ministries objected – i.e., Nazi officials”. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 386. Angeblich bereute Dieckhoff die Entscheidung, das State Department derart lange auf eine Antwort zu einer möglichen Wirtschaftskonferenz- teilnahme warten zu lassen. Im Gespräch mit Dodd am 23. Februar 1937 beschuldigte

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französische Geschäftsleute, die in besonderem Maße die Vorschläge von Buenos Aires zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den USA ablehnten, 1641 was der bilateralen Handels- und Finanzpolitik der Nationalsozialisten weiter in die Hände spielte. Dennoch herrschte Unruhe im Auswärtigen Amt darüber, dass Großbritannien und Frankreich näheren Kontakt zu Washington suchten.1642 Auch die Konversationen zwischen dem deutschen Wirtschaftsexperten Schacht und dem amerikanischen Botschafter hatten eine ungewohnte Schärfe in ihrem Ton entwickelt. Hjalmar Schacht hatte sich in Gesprächen mit Dodd äußerst verärgert darüber gezeigt, dass die amerikanische Presse über die tatsächliche deutsche Schuldenhöhe berichtet hatte und somit neue Kreditvergaberunden unwahrscheinlicher machte. 1643 Ohne hierauf einzugehen lenkte der amerikanische Bot- schafter sogleich das Gespräch auf die Tatsache, dass einige deutsche Repräsentanten in Buenos Aires aufgetreten waren, die in Schachts

______Dieckhoff allerdings nicht von Neurath, sondern Schacht sowie die offiziellen Beamten im Arbeits- und Wirtschaftsministerium, dies verursacht zu haben; Diese Tatsachen bedeuteten jedoch nicht, dass sich die nationalsozialistische Führung nicht hinter den Kulissen dort Vorteile sicherte, wo es ihr im privatwirtschaftlichen Bereich ermöglicht wurde. Dodd berichtete Washington von Gerüchten um die Vergabe großer Privatkredite seitens der Westmächte an Deutschland und Italien und bezichtigte den amerikanischen Finanzmagnaten J.P. Morgan sowie den Botschaftskollegen William Bullitt in Paris, hinter diesen Finanzaktivitäten zu stecken: Vgl. Dodd an Hull, 29. Januar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „There are repeated rumors here of trade and loan agreements between the democratic people of the west and the two dictatorships. […] A Morgan official has just landed in Europe. Our Ambassador in Paris is reported to be pressing in that direction […]”. Vgl. zu Bullitts Amtszeit als Botschafter in Paris von 1936 bis 1940 BROWNELL/ BILLINGS: So Close To Greatness. S. 187-262. 1641 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. Februar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „You know how much opposition English and French businessmen made to the Buenos Aires proposals – almost as much as Italy and Germany made through secret propaganda before and while you were in Latin America”. 1642 Vgl. Dodd an Hull, 29. Januar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „A conversation I had with a Foreign Office official on January 20 revealed anxiety about English and French activity in Washington […]”. Vgl. hierzu auch ROCK, William R.: Chamberlain and Roosevelt. British Foreign Policy and the United States, 1937-1940. Columbus, OH,1988. S. 26-50 zur Annäherung Chamberlains und Roosevelts im Jahr 1937. 1643 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 388. Dieses Gespräch führte Dodd am 4. März 1937.

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Namen alle Bemühungen der Konferenz boykottierten. 1644 Seinerseits Dodds Aussagen ignorierend bot der deutsche Politiker an, gerne nach Washington für Gespräche mit Hull zu einer Weltwirtschafts- oder Friedenskonferenz reisen zu wollen.1645 Es zeugt von der zunehmenden Frustration des amerikanischen Botschafters, dass er entgegen seiner direkten Art nur vorgeblich versprach diese Idee nach Washington zu melden, wohlwissend, dass sein Vertrauter im Department, Moore, ihm mitgeteilt hatte, dass Roosevelt angesichts der innenpolitischen Streitigkeiten mit dem US-amerikanischen Supreme Court und einigen Senatoren zu abgelenkt war, um an die Vorbereitung eine solchen Konferenz denken zu können.1646 Nicht nur Schachts Aktivitäten hatte William Dodd weitgehend als Unterstützungsarbeit für nationalsozialistische Ziele entlarvt. Auch bezüglich der Ehrlichkeit mancher lateinamerikanischer Bekenntnisse zu Demokratie und freiem Handel hegte er Zweifel. Eingehend warnte Dodd, dass viele lateinamerikanische Diplomaten in Berlin enge Be- ziehungen zu Goebbels und Göring pflegten, ihre Regierungen also kaum so demokratisch sein und denken konnten, wie Roosevelt sie auf den Lateinamerikareisen erlebt hatte.1647 Wiederholt lenkte William Dodd Roosevelts und Hulls Augenmerk auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht nur in Lateinamerika, sondern eines weiteren

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1644 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 388. Dodd nannte nicht Ilgners Namen, hatte aber den Eindruck, Schacht wüsste genau, von wem er sprach. 1645 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 388. 1646 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 388; Vgl. auch Moore an Dodd, 20. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). „With the judiciary fight on his hands, and his concern about domestic problems to which the outcome of the Court fight will relate, I have no reason to believe that the President thinks at this time of instigating or encouraging a conference with European nations for any purposes whatever”. Vgl. zu den zahlreichen Herausforderungen für Roosevelt durch den Streit mit dem Supreme Court, durch die wirtschaftliche Lage und die großen Streikbewegungen LEUCHTENBURG: New Deal. S. 250. 1647 Vgl. Dodd an Roosevelt, 13. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „[…] [T]he Argentine, the Brazilian and the Colombian Ministers announce themselves on every occasion as supporters of Franco and fascism in Spain; and they are more intimate with Göring and Goebbels here than anybody, except the Japanese representative. […I]t seems to mean their continued devotion to dictatorships in Latin America”.

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Zieles nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik: Den Donau- bzw. Bal- kanraum.1648 Die Balkanstaaten hofften, die Vereinigten Staaten könnten vertiefte wirtschaftliche Beziehungen zu ihnen wie mit den südamerika- nischen Nachbarn suchen.1649 Die USA könnten, um weitere Absatz- märkte für ihre geschwächte Wirtschaft zu erschließen, zusammen mit Großbritannien niedrigere Handelsbarrieren für den Donauraum festlegen und so Deutschland und Italien indirekt schwächen, deren Volkswirtschaften ohnehin nicht stabil seien.1650 Besonders die Lebens- mittelknappheit dürfte deutsche und italienische Kriegsplanungen, die Dodd als Fakt ansah, bis auf das Jahr 1939 verschieben.1651 Die Briefe,

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1648 Vgl. Dodd an Hull, 5. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. Dodd versuchte, Hull den Donauraum als potentiellen Handelspartner schmackhaft zu machen, indem er das Interesse der dortigen Ländern an engeren Beziehungen zu den USA offenbarte: „Our country has a great influence in the Danube zone, especially Austria and Czechoslovakia. But I do not know the best way to bring American pressure to bear, perhaps favorable commercial treaties […]”. Vgl. zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik auf dem Balkan BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 158. 1649 Vgl. Dodd an Roosevelt, 13. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „The Danube zone is approaching economic cooperation and some sort of mutual resistance against Italian or German domination. […] They express the hope that our country can give them assistance similar to that given Latin America”. Vgl. hierzu auch SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 257f. Schröder diskutiert die Fehleinschätzungen der amerikanischen Wirtschaftsexperten, dass sich Deutschland mit einer Expansion auf dem südosteuropäischen Markt begnügen könnte. William Dodds Aussagen standen offensichtlich in diametralem Gegensatz zu diesen Hoffnungen seitens der US-Wirtschaftseliten: Nicht nur würde sich Deutschland nicht mit Südosteuropa alleine begnügen, auch müssten die USA selbst auf diesem europäischen Markt in direkte Konkurrenz zur deutschen bilateralen Handelspolitik treten. 1650 Vgl. Dodd an Hull, 26. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „If you can do anything for world peace, it seems to me the only possibility is to bring democratic countries into real low-tariff cooperation and lend assistance in economic matters to the Balkan states. Economic conditions here [in Germany] and in Italy are such that decisive action on the part of our country would probably defeat fascism in Spain […]”. George Messersmith vertrat eine ähnliche Theorie, die faschistische und die nationalsozialistische Herrschaft durch einen Wirtschaftskrieg zum Fall zu bringen. Ebenso wie die Forderungen Dodds wurde dieser Ansatz von den Spitzenbeamten des State Departments abgelehnt. Seine Ausführungen wurden vielmehr als Argument für eine Appeasementpolitik benutzt. Vgl. hierzu SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 180f. 1651 Vgl. Dodd an Hull, 5. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „War would be impossible at the time it had been

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Depeschen und Empfehlungen des amerikanischen Vertreters in Berlin lassen eine – vielleicht nicht direkt intentionale – Tendenz erkennen, nicht nur auf die wirtschaftliche Konkurrenz durch Deutschland hin- zuweisen, sondern den handelspolitischen Konflikt seinerseits langfristig zu befördern, um Amerika den Zugang zu den Märkten offenzuhalten. William Dodds Ausführungen zum amerikanischen Ziel einer wirt- schaftlichen Erholung im Zusammenhang mit einer Neuausrichtung der Lateinamerikabeziehungen und der Deutschlandpolitik entfalteten wenige Zeit später eine Wirkung. Trotz der innenpolitischen Aus- einandersetzungen zeigte Präsident Roosevelt reges Interesse an den deutschen Entwicklungen, besonders den außenpolitischen Linien des Auswärtigen Amtes. William Dodd solle ihm Informationen zum neu beorderten deutschen Botschafter, Hans Heinrich Dieckhoff, der den in Amerika unbeliebten Hans Luther ablösen sollte, 1652 bereitstellen. Roosevelt wollte vor allem wissen, wie offen er mit Dieckhoff reden könne. 1653 Dieckhoff sei seit dem 30. Juni 1934, dem sogenannten „Röhmputsch“, sehr zurückhaltend in Gesprächen, antwortete Dodd, und mache aus seiner Einstellung für deutsche Annexionen keinen Hehl. Auch stehe er Hitler nahe und sei ein Schwager Joachim von Ribbentrops, könne aber vielleicht in den USA positiv beeinflusst werden. 1654 Damit war Roosevelt eingehend vorgewarnt, wen er in

______planned to begin, 1938-39. World food shortage is more grave for Germany than anywhere else, except Italy”. Gefährlich schienen ihm auch die Gerüchte um eine mögliche deutsch- sowjetische Annäherung in wirtschaftlichen Belangen, die Göring im April angedeutet hatte. Vgl. Dodd an Roosevelt, 13. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „[…] Göring told the Minister of Czechoslovakia a few days ago that Germany and Russia are getting closer together”. Vgl. auch BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 167. „Anfang 1938 konnte sich Deutschland genauso wenig wie vorher selbst versorgen, weder mit Rohstoffen noch mit Nahrungsmitteln”. 1652 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 223. Jonas stellt die Behauptung auf, Dieckhoff selbst habe die Versetzung des frustrierten Hans Luther eingeleitet um zu versuchen, die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu stabilisieren. 1653 Vgl. Roosevelt an Dodd, 28. April 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „Will you send me a little more information on the new German Ambassador to the United States. How far can I go in talking with him either officially or ‘off the record’”. 1654 Vgl. Dodd an Roosevelt, 24. Mai 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. „He [Dieckhoff] is supposed to be close

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Washington empfangen würde. Auch Dodds Stichworte zur Lebens- mittelknappheit und deutschen Autarkiepolitik hatten den amerika- nischen Präsidenten aufhorchen lassen. In einem Memorandum an seinen Außenminister zeigte sich Roosevelt angesichts Dodds Brief besorgt, die deutsche Nahrungsmittelknappheit könne die Preise hoch- treiben – mit negativen Folgen für die amerikanische Exportpolitik und Versorgungslage. Er regte an zu prüfen, auf welche Weise Executive Orders, im Umfang begrenzte Gesetze des amerikanischen Präsidenten, die die US-Verfassung zuließ, entsprechende Embargos möglich machten: „I have read Dodd’s letter with much interest. I am especially concerned with the possibility, even though it may not be a probability, that German food supplies will call for even more imports and that the demands for certain other raw materials like copper, steel billets and scrap steel will continue, thus forcing up our price level unduly and perhaps even causing an actual shortage in the supply for domestic consumption. This makes it opportune for us to start an immediate study of the subject of embargoes on certain materials, such embargoes to be put into effect by Executive Order, by hearings, which seem the simplest way”.1655 Auch von deutscher Seite wurde der Ton bis zum späten Frühjahr schärfer. Vielleicht war dies der Beginn eines Handelskrieges zwischen Deutschland und den USA, als Hjalmar Schacht Dodd gegenüber offen Cordell Hull bezichtigte, Brasilien 1656 von einem bilateralen

______to the Führer […]. Dieckhoff was, however, very liberal and frank-spoken before June 30, 1934. Since that time he has been most reticent. […] The United States may influence him – he loves the country, he says”. Vielleicht kann es auf Dieckhoffs diplomatische Verhandlungskunst zurückgeführt werden, dass William Dodd selbigen als überzeugten Demokraten einstufte und vor allen Dingen Schacht und die Nationalsozialisten hinter jenen wirtschaftlichen Entscheidungen und propagandistischen Tätigkeiten vermutete. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 386. Laut Tagebucheintrag vom 23. Februar war Dieckhoff in Dodds Augen Demokrat – demokratischer gesinnt als der verstorbene von Bülow, und nicht besonders beliebt bei von Neurath. „He has always seemed to recognize the brutal mistakes made here by the Hitler regime”. 1655 Roosevelt an Hull, 21. April 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. 1656 Vgl. hierzu auch BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 157. Bloch bezeichnet das Scheitern des deutsch-brasilianischen Handelsvertrages durch US-Einwirken als „Scheinerfolg“, denn die Handelsbeziehungen zwischen dem „Dritten Reich“ und der südamerikanischen Nation blieben hiervon unberührt. Vgl. zur US-amerikanischen und nationalsozialistischen Konkurrenz in Lateinamerika, insbesondere bezüglich des

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Handelsvertrag mit Deutschland abgebracht zu haben. Sehr offensicht- lich jedoch wurde in diesem Gespräch, wie Dodd feststellen musste, dass Schacht entgegen seiner früheren Beteuerungen alles andere als Interesse an Hulls Freihandelspolitik und einer unbedingten Meistbegünstigungsklausel äußerte.1657 Ebenso kommentierte der neue Staatssekretär Hans Georg-Victor von Mackensen despektierlich den amerikanisch-brasilianischen Handel, der deutsche Pläne auf dem Kon- tinent in Übersee durchkreuzte. 1658 Es waren solche Gespräche, die den Botschafter in seiner Korrespondenz mit dem amerikanischen Präsidenten zu noch drastischeren Warnungen hinreißen ließen, dass Deutschland seine Waren in Lateinamerika, vor allem aber China und Südafrika zum Schaden von Hulls internationalen Freihandelsplänen absetzte, und die ihn zu einem Gegenspieler der wirtschaftspolitischen und propagandistischen Ziele des deutschen Regimes machen sollten.1659 ______brasilianischen Handelsverkehrs SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 233-261. 1657 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 409f. Dodd traf Schacht am 20. Mai 1937. Zwar betonte Schacht seine Übereinstimmung mit Hulls Handelsideen, erwähnte aber im selben Atemzug, Deutschland werde nur noch bilaterale Vertragsverhältnisse eingehen. Vgl. hierzu auch Welles an Dodd, 25. Mai 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 332f. Der Acting Secretary of State wies Dodd an, Schacht gegenüber festzustellen, dass die USA den deutsch-brasilianischen Handel nicht sabotierten. Welles erklärte (S. 333): „Extraordinary competition from German goods has resulted in displacement of American trade […]. Therefore it was suggested to Brazil that in any commercial agreement into which it should enter it should seek to discourage subsidized imports, particularly in those lines which are customarily supplied to Brazil by other countries. […] No threat of the character conveyed in your communication was made […]”. Vgl. auch Aide-Mémoire von Welles an Dieckhoff, 21. Juli 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 333-337. 1658 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 424. Staatssekretär von Mackensen verwickelte sich in jener Konferenz vom 20. Juli in Widersprüche: Laut Dodd hatte er einen Monat zuvor geleugnet, dass Deutschland seinen Export nach Brasilien subventioniere, nun sprach er bestätigend von eben jenen Subventionen, als er sich über die amerikanisch- brasilianischen Handelsbeziehungen zum Schaden Deutschlands beklagte. Vgl. hierzu auch den Runderlass des Auswärtigen Amtes in ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 203 (S. 447- 452) In diesem Erlass vom 15. Februar 1937 zählt Ministerialdirektor Ritter die mutmaßlichen Maßnahmen der amerikanischen Regierung zur Verhinderung des deutschen Handels mit Lateinamerika und Möglichkeiten für Gegenmaßnahmen auf. Vgl. auch die internen Dokumente des Auswärtigen Amtes zum deutsch-brasilianischen Handelsabkommen in ADAP, Serie C, Bd. VI,2, Dok. 406 (S. 872ff.), Dok. 415 (S. 890ff.), Dok. 421 (S. 903), Dok. 475 (S. 986-991), Dok. 512 (S. 1066), Dok. 521 (S. 1080ff.). 1659 Vgl. hierzu auch den Runderlass des Auswärtigen Amtes in ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 203 (S. 447-452) Im Resümee stellt Ministerialdirektor Ritter fest: „Besonders wichtig ist ferner die Unterrichtung und Beeinflussung der dortigen [amerikanischen] Presse”. Dodds

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Mit der sowjetischen Entfremdung von England und Frankreich und einer potentiellen deutsch-sowjetischen Wirtschaftsannäherung eröffnete sich für das nationalsozialistische Deutschland nicht nur die Aussicht auf eine weitere Profitquelle, sondern auch die Möglichkeit einer handels- politischen Isolation der USA.1660 Gegen Jahresende und kurz vor der endgültigen Abreise William Dodds konnte der Botschafter Zeuge einer weiteren Radikalisierungsphase der Wirtschaftspolitik werden. Schacht, vormals der bedeutendste Wirt- schaftsexperte der Nationalsozialisten aus Zeiten der Weimarer Republik, nahm nicht mehr an den offiziellen Kabinettssitzungen teil. Seiner Position als Wirtschaftsminister verlustig geworden äußerte Schacht wiederholt vor Dodd seinen Wunsch, in die USA auszuwandern,1661 und zögerte ungeachtet der allseits präsenten Spione der Machthaber nicht, auf seiner Abschiedsfeier vor Industriellen und Bankern das Regime zu kritisieren.1662 Wenige Tage vor seiner Abreise stellte Dodd deshalb die Vermutung an, dass Schacht ein ähnliches Schicksal wie General von Schleicher drohen könnte. 1663 Diese Vermutung sollte sich als falsch herausstellen: Hjalmar Schachts Dienst für die Nationalsozialisten nahm entgegen seiner Beteuerungen 1937 noch kein Ende. Das Jahr 1937 war zudem von einem sich verschärfenden politisch- kulturellen Konflikt zwischen Amerika und dem nationalsozialistischen Deutschland geprägt, der sich besonders in der Medienberichterstattung beider Länder niederschlug und den William Dodd unmittelbar

______Redetätigkeit gegen das nationalsozialistische Regime und seine Ziele ab 1938 muss dieser Aufgabensetzung des Auswärtigen Amtes diametral entgegengelaufen sein. 1660 Vgl. Dodd an Roosevelt, 12. Juni 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. „You see all this is aimed at two things: to find markets enough to escape great unemployment and especially to defeat Secretary Hull’s plan. […] Just what will happen if the U.S. is isolated commercially, you can guess better than I”. 1661 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 433 und 436f. Am 9. Dezember vertraute Schacht William Dodd an, er sei als Wirtschaftsminister mit Göring ersetzt worden, welcher zu dieser komplexen Materie kaum Vorwissen mitbrachte. Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 113. Schacht hatte seine Funktion für das Wirtschaftsministerium offiziell im November 1937 aufgeben müssen. 1662 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 442f. 1663 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 443.

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miterlebte. An dieser Stelle sind drei Fälle näher zu schildern, die exemplarisch für jene Zuspitzung stehen. Auf den ersten größeren Prüfstand wurden die politischen deutsch- amerikanischen Beziehungen im März 1937 im Fall LaGuardia1664 gesetzt. Der Bürgermeister New York Citys, Fiorello LaGuardia, der bereits maß- geblich als Prominenter an den Schauprozessen gegen Hitler in den ersten Jahren nach der „Machtergreifung“ mitgewirkt hatte, hatte aber- mals das nationalsozialistische Regime in der Presse angegriffen. 1665 Nach einem offiziellen Pressebericht des State Departments zu jenem Vorfall1666 erhitzten sich die Gemüter der nationalsozialistisch gleich- geschalteten deutschen Presse in solchem Ausmaß, dass Hull sich gezwungen sah, gegen die Beleidigungen der deutschen Zeitung Der Angriff gegen das politische Engagement amerikanischer Frauen – ver- mutlich wegen LaGuardias überzählig weiblichem Publikum bei seinem Auftritt auf dem American Jewish Congress – insbesondere zu pro- testieren. Der Außenminister wies deshalb seinen Botschafter in Berlin an, das – rein mündlich gehaltene – Gespräch mit Reichsaußenminister von Neurath zu suchen.1667 William Dodd hielt persönlich den Sturm der

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1664 Vgl. zur Reflektion über diesen Fall und zur Hochstilisierung LaGuardias zum „jüdischen Agenten Moskaus“ in der deutschen Presse und Publizistik im Detail GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 207f. 1665 Vgl. hierzu JONAS: The United States and Germany. S. 223. 1666 Bürgermeister LaGuardia hatte sich mehrfach negativ über das Hitler-Regime geäußert, am 3. März 1937 vor der Women’s Division des American Jewish Congress und auf weiteren Veranstaltungen. Hull paraphrasiert in einem Telegramm an Dodd vom 5. März 1937 die Stellungnahme des State Departments gegenüber der deutschen Botschaft in Washington (File 862.002 HITLER/93) vom 5. März 1937, vgl. Secretary of State an Dodd, 5. März 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.002 HITLER/89. „In this country the right of freedom of speech is guaranteed by the Constitution to every citizen and is cherished as a part of the national heritage”. Des weiteren seien die Äußerungen LaGuardias die eines privaten Bürgers und entsprächen nicht der Haltung der amerikanischen Regierung. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 390. LaGuardia hatte außerdem über eine zukünftige Ausstellung im Weltaus- stellungsgebäude, die eine Büste Hitlers im Braunhemd zeigen sollte, geäußert, die Ausstellung verdiene den Titel „the Chamber of Horrors“. Vgl. auch die interne Kommunikation des State Departments sowie Korrespondenz mit Dodd zu diesem Fall in FRUS 1937, Vol. II. S. 367-377. 1667 Vgl. Secretary of State an Dodd, 5. März 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.002 HITLER/102. „You should say that the American Government is wholly unable to account for the American people to understand any justification for such sweeping vituperative and wholly unfounded statements and attacks upon American

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Entrüstung in den nationalsozialistischen Medien aus deutscher Sicht für zeitlich unklug gewählt, da bereits kurz zuvor ein für die National- sozialisten vorteilhafter Deal über New Yorker Kredite an Deutschland im Tausch gegen den Kauf größerer Mengen amerikanischer Baumwolle gescheitert war, nachdem Joseph Goebbels‘ Ausfälligkeiten gegen die jüdische Bevölkerung die amerikanische öffentliche Meinung erneut erschüttert hatten. 1668 Neurath teilte Dodd wenige Tage später mit, dass Goebbels ihm gegenüber geäußert habe, dass die Presseberichte der spontanen Reaktion der deutschen Bevölkerung auf LaGuardias Anschuldigungen entsprächen, weil die deutschen Bürger nicht zwischen nationalen und kommunalen Politikern in den USA unterscheiden könnten.1669 Dieckhoff, mit dem Dodd am 17. März konferierte, forderte weniger konziliant ein entsprechendes Vorgehen der US-Regierung gegen den Bürgermeister.1670 Cordell Hull versuchte währenddessen am selben Tag, die Wogen beim deutschen Botschafter in Washington, Hans Luther, zu glätten, der sich jedoch viel verständnisvoller gebärdete als Dieckhoff: Die US-Regierung könne in diesem Falle nicht verantwortlich

______womanhood and American institutions in language which is probably without parallel in its coarse and wholly indecent character and implications and which is both staggering and shocking to all decent minds. […] [Dodd shall report immediately the] details of your conversation which should be entirely oral without leaving any written memorandum”. 1668 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 390f. Im Juni 1935,erinnerte sich Dodd am 6. März 1937, hatten Görings laute Rede gegen die Katholiken und Goebbels‘ verbale Angriffe auf die jüdische Bevölkerung einen Kreditdeal über $35.000.000 an Deutschland platzen lassen. 1669 Vgl. Dodd an Secretary of State, 12. März 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.002 HITLER/104. 1670 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 394. Dieckhoff bat um ein Gespräch mit Dodd am 17. März. „He seemed to have been instructed to insist that I tell President Roosevelt or Secretary Hull to stop the New York Mayor from criticizing Hitler. […] Of course I replied, No, that can’t be done; you know that freedom of speech and the press are guaranteed to all our people. He knew that, he said, but hoped something could be done anyway”. Dieckhoff gibt dieses Gespräch in seinen Aufzeichnungen anders wieder: Er habe Dodd klar gemacht, dass solche Angriffe gegen das deutsche Staatsoberhaupt inakzeptabel seien und Dodd habe ihm zugesichert, die US-Regierung zu bitten, „einen Weg zu suchen, um unserem Verlangen [LaGuardia zur Rechenschaft zu ziehen] gerecht zu werden”. Auch habe Dieckhoff in seiner Erinnerung sehr bestimmt Dodds „schwächlichen Versuch“ einen Vergleich mit den Angriffen der deutschen Presse gegen die amerikanische Demokratie zu ziehen, zurückgewiesen. Vgl. Gesprächsnotiz Dieckhoffs zu Gespräch mit Dodd, 17. März 1937. PAAA. Büro des Staatssekretärs. Aufzeichnungen über Diplomatenbesuche. Band 1. Mikrofiche 1502. (Best.: R 29826).

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gemacht werden.1671 Die unzähligen Protestbriefe amerikanischer Bürger an US-Senatoren, die LaGuardias Aussagen verteidigten und den Fall zu einem in der Öffentlichkeit ausgetragenen Medienkrieg ausweiteten, sprachen ihre eigene Sprache.1672 Zweifelsohne ein weiterer Grund für William Dodd resigniert festzustellen, dass an eine Besserung der diplomatischen Beziehungen nicht zu denken sei, unter anderem weil der Protest seitens der amerikanischen Regierung von Funktionären wie Dieckhoff und Neurath niemals vollumfänglich an Hitler und seine Führungsmitglieder weitergeleitet werde und weltanschauliche Gegen- sätze mehr und mehr zum Tragen kämen. 1673 Dabei war sich der amerikanische Repräsentant in Berlin nicht dessen bewusst, dass Dieckhoff, von Mackensen 1674 und weitere Beamte des Auswärtigen Amtes ihn selbst als Hindernis für eine Besserung der zwischenstaat- lichen Beziehungen betrachteten.1675 Die politisch-öffentlichen Fronten ______

1671 Vgl. Memorandum of Conversation between Secretary Hull and the German Ambassador, Herr Hans Luther, 17. März 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.002 HITLER/122. Vgl. auch Luthers Bericht zu diesem Gespräch in ADAP, Serie C, Bd. VI,2, Dok. 279 (S. 598ff.). Luther schloss aus dieser Unterredung, „daß jeder erneute Schritt unsererseits hier im Lande Wasser auf die Mühle von La Guardia [sic!] und seinesgleichen ist […]” (S. 599). 1672 Druck auf das State Department, bei der deutschen Regierung zu protestieren, war auch von amerikanischen Senatoren ausgegangen, die zahlreiche Protestbriefe aus ihren Wahlkreisen erhalten hatten, besonders von Amerikanerinnen, die in den deutschen Zeitungsartikeln angegriffen worden waren. Vgl. z.B. Senator Royal S. Copeland an State Department, 20. März 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.002 HITLER/118. 1673 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 392f. und 394. S. 393: „I was sure Von Neurath, even if he wanted to, did not dare to apologize as Hull had done for La Guardia’s [sic!] ridicule of Hitler, and that he would really not say anything to the Fuehrer or Goebbels. They are incorrigible”. Vgl. auch Dodd an Hull, 8. März 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 369. Dodd erklärte Hull gegenüber seine Einschätzung zum Kern der Auseinandersetzung: „The most plausible explanations seem to be that the Nazi press cannot or will not understand that freedom of speech is a constitutional right in the United States, in contrast to the system prevalent under National Socialism […] Such incidents also furnish means for indicating to the German public the alleged great advantages of their own form of government over true democracies”. 1674 Vgl. John Flournoy Montgomery an Dodd, 3. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M“). Montgomery von der US-Delegation in Budapest warnte Dodd, dass von Mackensen, der von Budapest nach Berlin in das Amt des Staatssekretär eintreten werde, zwar sympathisch, aber „a complete failure here“ sei, und Montgomery nicht denke, „he [was] cut out for diplomacy”. 1675 Diese Einschätzung teilte zumindest die akademische Welt der USA offensichtlich nicht: Es war eine späte Genugtuung für den Botschafter, als womöglich in Folge dieser

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begannen sich somit zu verhärten. Denn einen bitteren Nachgeschmack hinterließ der LaGuardia-Fall gewiss: Amerikanische Empfehlungen für eine Weltkonferenz wurden, so Dodd, in Deutschland von keiner Seite mehr positiv rezipiert1676 und der deutsche Terrorapparat reagierte auf die „antinationalsozialistische“ Haltung in den USA mit verschärften Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung und jüdische Organisa- tionen.1677 In einem ähnlichen, für die deutsch-amerikanischen Beziehungen rele- vanten, aber weniger drastischen Vorfall, als dies in Hinblick auf den kirchlichen Widerstand in Deutschland galt, berichtete William Dodd, dass die nationalsozialistische Führung gegen die Kirchen 1678 in Deutschland momentan zwar nur moderat vorgehe, dafür aber die Erfassung der deutschen Jugend im nationalsozialistischen System aus- weitete. Dieser Schritt erfolgte vor allem hinsichtlich der religiös geprägten deutschen Elterngeneration, die ihren Einfluss auf die nach- folgende Generation verlieren sollte. Dass vor allen Dingen ältere, katholische Bürger weiterhin unter kirchlichem Einfluss standen, zeigte der Fall des deutschsprachigen Kardinals George Mündelein und seiner

______Auseinandersetzung der Publizistik auf beiden Seiten des Ozeans Charles Tansill, der im Vorjahr Dodd öffentlich als unfähigen Botschafter denunziert hatte, aufgrund seiner Nähe zum Hitler-Regime von der American University verbannt wurde. Vgl. Washington Post vom 9. März 1937. „American University Dismisses Professor With Nazi Leanings. Dr. C. Tansill Refuses to Discuss Whether He Was Fired”. Tansill, Professor der Geschichte und der Internationalen Beziehungen habe seine Stelle an der Universität verloren und verweigere jeden Kommentar. Er habe im November 1936 Dodd wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der deutschen Regierung öffentlich angegriffen. 1676 Vgl. Dodd an Hull, 5. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „Of course your analysis of international difficulties was omitted [in the German press] and will not be discussed”. 1677 Vgl. unter anderem Dodds Bericht an Hull, 29. April 1937. In FRUS 1937, Vol. II, S. 320ff. S. 321: „The suppression of the B’nai B’rith [a Jewish charity organisation] appears to have been activated by the desire to retaliate against foreign anti-Nazi agitation to deliver another blow at the freedom of association of Jews […]”. 1678 Hiergegen sprechen zahlreiche Einzelereignisse im Jahr 1937, die dennoch ein Vorgehen der Nationalsozialisten gegen beiden Konfessionen in Deutschland deutlich machen, so zum Beispiel die Verhaftung des Pastors Niemöller am 1. Juli mit Folgehaft in einem Konzentrationslager, das Verbot einer Doppelmitgliedschaft in der HJ und katholischen Jugendverbänden usw. Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 113f.

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große Anhängerschaft. 1679 Der Kardinal hatte sich im Mai 1937 im Namen des Papstes vor Priestern der Erzdiözese Chicago gegen das nationalsozialistische Regime öffentlichkeitswirksam ausgesprochen.1680 Die Beziehungen Deutschlands zum Vatikan waren damit zwar noch nicht zerstört, der päpstliche Nunzio in Berlin befand sich von da an aber, berichtete Dodd, in einem längeren „Urlaub” fern der deutschen Hauptstadt.1681 Für den Botschafter war dieser Fall auch ein erfreuliches Zeichen dafür, dass amerikanische Katholiken und Juden gemeinsam den Boykott gegen das deutsche Regime fortführen wollten, offensichtlich mit dem Segen oder zumindest nicht dem Widerspruch der katholischen Kirche in Rom.1682 Einen besonderen Rückschlag für William Dodds Tätigkeit als Botschafter stellte der Fall Helmut Hirsch dar.1683 Dieser Fall kann auch deshalb als besonders bezeichnet werden, da er dem Auswärtigen Amt als „kleine“ Blaupause für eine wenige Monate später erfolgende, erfolgreiche Kooperation mit dem amerikanischen Außenministerium gegen Bot- schafter Dodds Verbleib in Berlin dienen sollte. Hirsch, ein zwanzig- jähriger Staatenloser in Deutschland, dessen Eltern amerikanische Juden waren,1684 wurde von den Nationalsozialisten Ende April 1937 beschuldigt,

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1679 Vgl. WILTZ: From Isolation to War. S. 62. Es bleibt eine interessante Beobachtung, dass Präsident Roosevelt sich mit Kardinal Mündelein kurz nach seiner Quarantänerede in Chicago für eine Besprechung beim Mittagessen traf. 1680 Vgl. hierzu JONAS: The United States and Germany. S. 224. 1681 Vgl. Dodd an Secretary of State, 3. Juni 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.002/256. Dodd berichtete, dass die deutsche Regierung wegen Mündelein bei ihm Protest eingelegt hätte. Der Nunzio habe Berlin verlassen. 1682 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 409. Vgl. auch die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. vom 14. März, die am 21. März 1937 in den katholischen Kirchen Deutschlands verlesen wurde. Der Papst verurteilte die Kirchenpolitik der National- sozialisten, woraufhin die Gestapo massiv gegen katholische Geistliche und gegen katholische Druckereien vorging. Vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 114. Vgl. den Text der Enzyklika in HÜRTEN: Deutsche Geschichte in Quellen. S. 279-284. 1683 Vgl. zu diesem Fall auch ETZOLD, Thomas H.: An American Jew in Germany: The Death of Helmut Hirsch. In: Jewish Social Studies 35,2 (1973). S. 125-140. Etzold stellt fest: „The Hirsch case presented a situation without precedent in American citizenship law” (S. 128). 1684 Vgl. die Anklageschrift des Reichsanwalts beim Volksgerichtshof, 13. Februar 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Akten betreffend: Namen: Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3110. (Best.: R 101192). Beide Eltern Hirschs waren Amerikaner, die Mutter ursprünglich Reichsdeutsche, der Vater Österreicher vor der Einbürgerung in Amerika.

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einen Mordanschlag auf Julius Streicher, den alten Kampfkameraden Hitlers und Herausgeber des Hetzblattes Der Stürmer, geplant zu haben. Am 8. März 1937 kam der Volksgerichtshof nach einem zweifelhaften Verfahren zu dem Urteil, dass Hirsch, nicht aber sein deutscher Helfer Helmut Haug, mit dem Tode zu bestrafen sei.1685 Mit vollem Einsatz hatte William Dodd, der nach Außenminister Hulls Weisung Hirsch als amerikanischen Bürger einstufen und Unrecht von diesem abwenden sollte,1686 zusammen mit anderen Botschaftsbeamten und Konsuln bei

______1919 wurde die Familie staatenlos, nachdem der Vater aus Lothringen ausgewiesen worden war. US-Behörden verlängerten seinen Pass nicht. 1685 Der genaue geplante Hergang des Anschlages ist aus den Akten nicht ersichtlich. Ein Brief, der vermutlich von der deutschen Gesandschaft in Prag an das dortige Außenministerium adressiert war, aber Neuraths Unterschrift trug, schilderte den Fall eines in Prag studierenden, staatenlosen Studenten, der am 21. Dezember 1936 in Stuttgart festgenommen worden sei. Dieser junge Mann plante angeblich, in Deutschland Sprengstoffanschläge zu verüben. Den Sprengstoff sollte er von einem Helfer erhalten. Die Tat sei mit einem Mitarbeiter Dr. Otto Strassers in der Geschäftsstelle Büro „Schwarze Front“ in Prag besprochen worden sein. „Der verhaftete Student hat ausdrücklich erklärt, daß Otto Strasser nicht nur von den beabsichtigten verbrecherischen Handlungen gegen Eigentum, Gesundheit und Leben in Deutschland gewußt, sondern sie auch aktiv gefördert hat”. In diesem Brief warf das Auswärtige Amt der Regierung in Prag vor, Strassers Arbeit gegen Deutschland von Prag aus zu dulden. Vgl. Brief an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Prag, Verbalnote, [?] März 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3110. (Best.: R 101192). Vgl. auch die Anklageschrift des Reichsanwalts beim Volksgerichtshof, 13. Februar 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3110. (Best.: R 101192). Die Anklageschrift des Reichsanwaltes fasste die angeblich geplante Tat und die Rolle der Mittäter zusammen: Zunächst habe Hirsch einen Anschlag auf den Stuttgarter Hauptbahnhof geplant. Der Mitarbeiter Strassers, Grunow, habe ihn dann gebeten, den Anschlag in Nürnberg, auf dem Reichsparteitagsgelände oder im Verlagsgebäude des Stürmers auszuüben. Hirsch sei dann am 20. Dezember mit seiner Skiausrüstung für einen angeblichen Ausflug nach Stuttgart gefahren. Der junge Jude sei schon vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ in kommunistisches Fahrwasser geraten. Der Mitangeklagte Deutsche Helmut Haug, ein Medizinstudent, wurde vom Reichsanwalt und dann dem Volks- gerichtshof freigesprochen. Vgl. auch die Abschrift des Urteils des Volksgerichtshofes, 8. März 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3110. (Best.: R 101192). Strasser selbst sei am 15. Dezember 1936 erschienen und habe Hirsch in der Tat bestärkt. 1686 Vgl. Hull an Dodd, 21. April 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 395. „Investigation shows that Helmut Hirsch is an American citizen. You are authorized to communicate this information to the German officials, and do whatever is possible to prevent any injustice to the party”.

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Staatssekretär Meissner1687 in der Präsidialkanzlei, Außenminister von Neurath sowie weiteren Offiziellen des Auswärtigen Amtes gegen die bevorstehende Hinrichtung Hirschs ohne ordentliche Gerichtsverhand- lung protestiert.1688 Zunächst hatte die amerikanische Presse in diesem Fall zurückhaltend reagiert, doch Dodd befürchtete einen größeren Sturm des Entsetzens, sobald Hirschs Hinrichtung feststand.1689 Das Auswärtige Amt und das Justizministerium nahmen, im Vergleich zur Reichskanzlei, eine erstaunlich kaltblütige Rolle ein und beförderten eine rasche Durchführung des Todesurteils gegen den jungen Studenten. Am 29. April teilte Dr. Gürtner, Reichsminister der Justiz, dem Amt mit, da sich Helmut Hirsch und sein Vater selbst als staatenlos ansähen, „möchte ich annehmen, daß der Frage der Staatsangehörigkeit kein maßgeblicher Einfluß auf die Gnadenentscheidung zukommt. Ich beabsichtige daher, dem Führer und Reichskanzler auch für den Fall, daß Hirsch amerikanischer Staatsbürger sein sollte, die Ablehnung eines Gnadenerweises vorzuschlagen”.1690 Dies heißt zunächst, dass das Justizministerium billigend in Kauf nahm, einen von den USA als ihren Staatsbürger anerkannten jungen Mann ohne Verzug hinzurichten. Zu diesem Zeitpunkt lag ein Gnadenersuch in Form eines Aide-Mémoire des amerikanischen Generalkonsulates und der Botschaft im Auswärtigen Amt und im Reichsjustizministerium bereits vor, das mit Hirschs amerikanischer Staatsangehörigkeit, seiner

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1687 Vgl. zur Rolle Meissners im nationalsozialistischen Staatsapparat HEIBER, Helmut: Hitler, die Partei und die Institutionen des Führerstaates. In: BROSZAT, Martin/ FREI, Norbert (Hgg.): PLOETZ. Das Dritte Reich. Ursprünge, Ereignisse, Wirkungen. Herausgegeben in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte, München. Freiburg, Würzburg 1983. S. 156. 1688 Vgl. Gesprächsnotiz Leitners über Gespräch mit Botschaftsrat Mayer, 22. April 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3110. (Best.: R 101192). Der Vortragende Legationsrat Leitner fasste zusammen, dass die USA Hirsch als amerikanischen Staatsbürger ansähen. Man „behalte sich aber weitere Schritte vor”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 403f. 1689 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 403f. Das Auswärtige Amt äußerte Dodd gegenüber vor allen Dingen das Argument, dass man bereits zuvor einen Amerikaner namens Simpson im Dezember 1936 begnadigt habe, der nun in den USA für die Kommunisten Propaganda gegen Deutschland betreibe, und deshalb ein Todesurteil für Hirsch gerechtfertigt sei. 1690 Dr. Gürtner, Reichsjustizminister, an Legationsrat Hinrichs, 29. April 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3111. (Best.: R 101192).

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unbescholtenen Vergangenheit sowie seinem jugendlichen Alter argu- mentierte.1691 In enger Abstimmung mit William Dodd besuchte Konsul Raymond Geist Helmut Hirsch im Gefängnis und signalisierte so die Unterstützung der amerikanischen Regierung für den Studenten. Nur wenige Zeit später erschienen Artikel in Pariser und Londoner Zeitun- gen zu diesem Fall, als deren Informationsquelle das Justizministerium den amerikanischen Konsul vermutete.1692 Der Vortragende Legationsrat Hinrichs meldete den Konterparts im Ministerium der Justiz, es bestünden „von Seiten des AA keine Bedenken, daß der Gerechtigkeit freier Lauf gelassen wird”.1693 Auch Hans Heinrich Dieckhoff habe den Wunsch geäußert, dass der Termin der Vollstreckung unabhängig von seiner Ankunftszeit in Amerika festgesetzt werde.1694 Zum wiederholten Male suchte Dodd Reichsaußenminister von Neurath auf, der auf sein Drängen hin versprach, mit Hitler über den Fall zu sprechen.1695 Ein vertrauliches Schreiben der Inlandsabteilung des Aus- wärtigen Amtes bezeugt, dass die Präsidialkanzlei geplant hatte, Dodd

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1691 Vgl. Aide-Mémoire an das Auswärtige Amt, 26. April 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3111. (Best.: R 101192). „Quite apart from the foregoing, the Embassy, acting as representative of the Government of which Mr. Hirsch is a citizen, considers it proper to invite the Ministry’s attention to the fact that Mr. Hirsch was only in his twentieth year and may well have been misled by older and more experienced minds whose influence may have been primarily responsible. [The embassy hopes this might serve as the] basis for the exercise of the Chancellor’s gracious clemency”. Das Aide- Mémoire wurde auch Ministerialdirektor Dr. Crohne im Reichsjustizministerium von Konsul Geist persönlich übergeben. 1692 Vgl. Dr. Crohne, Ministerialdirektor Reichsjustizministerium, an Hinrichs, Auswärtiges Amt, 7. Mai 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3111. (Best.: R 101192). Konsul Geist habe Hirsch in Anwesenheit des Staatsanwaltes im Gefängnis besucht. Danach seien Artikel in einer Pariser Tageszeitung und dem Sunday Express London erschienen, die nur auf Geists Aussagen zu dem Fall zurückgehen könnten. 1693 Hinrichs an Dr. Gürtner, 5. Mai 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3111. (Best.: R 101192). 1694 Vgl. Hinrichs an Dr. Gürtner, 5. Mai 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3111. (Best.: R 101192). 1695 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 412. Dodd konferierte hierzu mit Neurath am 31. Mai 1937, der versprach, am Folgetag mit Hitler zu sprechen. Vgl. hierzu auch von Neuraths Gesprächaufzeichnung vom 31. Mai in ADAP, Serie C, Bd. VI,2, Dok. 397 (S. 858). Neurath behauptete hier, Dodd keinerlei Versprechen gegeben zu haben.

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erst nach dem Tod Hirschs zu antworten.1696 Am 29. Mai fand William Dodd dennoch als Antwort auf seine schriftliche Anfrage an Hitler vom 30. April einen vertraulichen Brief Meissners aus der Präsidialkanzlei auf seinem Schreibtisch.1697 Meissner berichtete Dodd von Hitlers Ent- scheidung, dass gegenüber Hirsch keine Milde geltend gemacht werde, ungeachtet dessen, ob dies der amerikanischen Rechtsauffassung ent- spreche oder nicht.1698 Dennoch versprach Meissner dem unnachgiebigen amerikanischen Botschafter in einem weiteren Gespräch, mit Hitler über diesen Fall zu sprechen, warnte ihn jedoch vor, dass solche Hin- richtungen geheim abliefen und deshalb kein Datum vorab bekannt gemacht würde. Dies entsprach Meissners tatsächlicher Absicht. 1699 Am selben Tag, dem 2. Juni 1937, erhöhte Dodd den Druck, indem er brieflich von Neurath vor den Reaktionen der amerikanischen Presse, die das deutsch-amerikanische Verhältnis weiter belasten würden, warnte

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1696 Vgl. Geheimes Schreiben Hinrichs an Herrn Gesandten von Bülow-Schwante, 28. Mai 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3112. (Best.: R 101192). Hitler habe ein Gnadengesuch für Hirsch abgelehnt. „Ein dort [in der Reichskanzlei] vorliegendes Schreiben des Amerikanischen Botschafters Dodd werde erst nach Vollstreckung des Todesurteils beantwortet werden”. 1697 Vgl. Hinrichs an Neurath, 1. Juni 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3112. (Best.: R 101192). Ministerialdirektor Crohne habe telefonisch mitgeteilt, dass Staatssekretär Meissner Dodd die Entscheidung Hitlers schriftlich mitge- teilt habe. Dies stehe im Gegensatz zur Aussage des Ministerialdirektors Doehle von der Präsidialkanzlei, der Dodds Anfrage erst nach der Exekution beantworten wollte. Außerdem seien Generalkonsul Jenkins und Konsul Geist bei Crohne vorstellig geworden. Sie hätten darum gebeten, Hirsch am Vorabend seiner Hinrichtung besuchen zu dürfen. Vgl. auch Gesprächsnotiz Mackensens zu Gespräch mit Dodd, 3. Juni 1937. PAAA. Büro des Staatssekretärs. Aufzeichnungen über Diplomatenbesuche. Band 1. Mikrofiche 1502. (Best.: R 29826). Dodd erkundigte sich bei von Mackensen, ob seine Argumente auch wirklich an oberster Stelle vorgetragen worden seien. Er erhielt von von Mackensen diese Antwort: „Ich [Mackensen] wolle ihn darauf aufmerksam machen, daß noch heute Mittag Staatssekretär Meissner abweichend von aller Gepflogenheit dem Führer und Reichskanzler noch einmal den von diesem bereits entschiedenen Fall unter Darlegung der politischen Seite der Sache vorgetragen habe. Diese Tatsache allein sei hinreichend, zu beweisen, daß wir die amerikanischen Argumente nicht achtlos beiseite geschoben hätten”. 1698 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 410f. 1699 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 413. Dieses Gespräch führte Dodd mit Meissner am 2. Juni 1937. Meissner beschloss tatsächlich, nochmals mit Hitler über diesen Fall zu diskutieren: Vgl. Gesprächsaufzeichnung Meissners zu Gespräch mit Dodd, 2. Juni 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3112. (Best.: R 101192).

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und gar ein Aufflammen des Medienkrieges heraufbeschwor.1700 Auch Außenminister Hull sprach mit dem deutschen Repräsentanten in Washington, Dieckhoff, über diesen Fall und bat um eine Aufschiebung der Hinrichtung.1701 Am nächsten Tag versuchte Botschafter Dodd auf Staatssekretär von Mackensen einzuwirken – vergeblich.1702 Am 4. Juni 1937 wurde Helmut Hirsch als mutmaßlicher Attentäter auf Julius Streicher von den Nationalsozialisten ohne ordentliches Gerichtsverfahren exekutiert. Sowohl Generalkonsul Jenkins, als auch Konsul Geist hatten zweieinhalb Stunden vergeblich im Warteraum des Gefängnisses Plötzensee ausgeharrt, um Hirsch am Vorabend vor seiner Hinrichtung beizustehen. Ebenso waren Bitten der Botschaft, eine Abschrift der Beweisführung des Gerichtsurteils zu erhalten, un- beantwortet geblieben.1703 William Dodd teilte Außenminister Hull im Vertrauen mit, dass er an geheime Informationen gelangt sei, die bestätigten, dass die deutschen Behörden ihn und seine Botschafts- mitarbeiter absichtlich desinformiert hatten. 1704 Im Widerspruch zu

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1700 Vgl. Dodd an Neurath, 2. Juni 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3112. (Best.: R 101192). „If the execution about which we talked Monday takes place, I fear results at home. […] If an American here is executed without applying these principles [of American law], public opinion of all elements is certain to be greatly disturbed and the press will use its opportunities”. 1701 Vgl. ADAP, Serie C, Bd. VI,2, Dok. 404 (S. 868f.). Dieckhoff wimmelte Hulls Anliegen unmittelbar ab. Er „[sähe] sich nicht in der Lage […], seinen Wunsch an [s]eine Regierung weiterzuleiten”. (S. 868). 1702 Vgl. Gesprächsnotiz von Mackensen zu Gespräch mit Dodd, 3. Juni 1937. PAAA. Büro des Staatssekretärs. Aufzeichnungen über Diplomatenbesuche. Band 1 (Best.: R 29826). Mikrofiche (im Folgenden wenn keine Mikrofiche-Nummer bekannt abgekürzt mit MF). 1703 Vgl. New York Herald Tribune vom 5. Juni 1937. „Nazis Behead American, 21, For Treason”. Vgl. Generalkonsul Jenkins an Hull, 4. Juni 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 403. 1704 Vgl. Dodd an Hull, 4. Juni 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 403f. S. 404: „The refusal of the visit [to Hirsch the night before his execution] and of access to the evidence before execution and Hitler’s original order that we were not to be informed of his denial of clemency until after execution (this came to us in strict confidence) all naturally invite suspicions which might easily have been avoided by a more intelligent handling of the case by the German authorities”. Vgl. auch Dodd an Hull, 9. Juni 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 404f. „It is believed that the intervention of American officials in the Hirsch case has been deeply resented by the German authorities”. Vgl. hierzu auch ETZOLD: American Jew. S. 136f. Auch Etzold stellt eine Verbindung zwischen dem Fall Hirsch und Dodds anstehender Abberufung her. Dodd habe die Berliner und die amerikanischen Behörden mit seinen Interventionen derart verärgert, dass das State Department sicherlich nicht weiter auf einer Nachverfolgung des Falles nach Hirschs Tod bestand, um die deutsche

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Dodds Drohungen blieb die Berichterstattung in Amerika auf einige wenige Artikel reduziert und der große Skandal somit aus. Bemerkens- werterweise lag dies nicht an der Ignoranz der amerikanischer Medien, sondern an der außergewöhnlichen Energie, die hohe Beamte des State Departments und der deutsche Botschafter Dieckhoff, der ab 1937 von der anderen Seite des Ozeans aus im Hintergrund die Fäden zog, an den Tag gelegt hatten. Triumphierend berichtete dieser dem Auswärtigen Amt über die gering ausgefallene Berichterstattung zum Fall Hirsch „was zum Teil darauf zurückzuführen [sei], daß Pressechef State Departments [sic!] sich ziemlich stark eingesetzt hat, um sensationelle Leitartikel zu verhindern”.1705 Besonders sei eine zu erwartende Reaktion in den konservativen Hearst-Zeitungen ausgeblieben.1706 Dies konnte Dieckhoff nichts anderes signalisieren, als dass zumindest ein Teil der konserva- tiven Eliten im Auswärtigen Amt offensichtlich bereit war, sehr weit zu gehen, um die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder zu stabi- lisieren. Hierzu gehörte sogar die Bereitschaft des Departments, sich über eine konkrete Weisung des Secretary of State hinwegzusetzen und dem eigenen Botschafter, dem Konsul und dem Generalkonsul in Berlin die Unterstützung im Falle des Schutzes amerikanischer Bürger zu versagen, wenn dies erforderlich war. Dodds Tagebucheinträge jener Tage lassen erkennen, dass William Dodd persönlich und in seiner Aufgabe als Botschafter, amerikanische Bürger im Ausland zu schützen, tief getroffen war. Auch wenn er nicht vollends ausschließen konnte, dass Hirsch sich aus Verzweiflung über die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung zu einer solchen Tat entschlossen haben könnte, bedrückte ihn die Art und Weise, mit der die deutsche und die amerikanische Seite mit dem jungen Mann verfahren war. Erstaunlicherweise stellte er in seinen Erinnerungen zu dem Fall eine

______Regierung nicht zu brüskieren. Etzold stellt weiterhin fest: „It is less likely that von Neurath tried as hard to save Hirsch as he let Dodd think” (S. 138). 1705 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 7. Juni 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3112. (Best.: R 101192). Interessant an dieser Stelle ist auch Special Assistant James Dunns Kommentar in seinem Memorandum vom 26. April 1937, dass die Untersuchungen bezüglich Hirschs Staatsangehörigkeit besonders lange gedauert hätten und die Feststellung seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft seitens des Departments erst erfolgte, als das Urteil gegen Hirsch bereits gesprochen war: FRUS 1937, Vol. II. S. 395ff. 1706 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 7. Juni 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3112. (Best.: R 101192).

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direkte Verbindung der deutschen Gewaltherrschaft mit einer drohen- den Diktatur in Amerika her, sollte das demokratische System weiter geschwächt werden. Missbrauch und Ungerechtigkeit entstünden, wenn die individuellen Freiheitsrechte und die Verfassung missachtet wurden: „The poor Hirsch had his head chopped off this morning at sunrise. When the press representatives came to me I felt compelled to give the facts about the execution and all our efforts to save his life, though we never claimed complete innocence on his part. This young Jew, not unnaturally, may have listened to the advice of persecuted Germans outside the country and may have wished to kill Streicher. […] With all the troubles people have in Europe, the United States also shows rather sad evidence of abuses there which may, after a while, lead to troubles for the democracy […]”.1707 Vermutlich bewusst setzte der amerikanische Repräsentant in Berlin zu diesem Seitenhieb auf die Krise des amerikanischen Systems an, das sich in der zweiten Phase des New Deal in der verfassungsrechtlich schwierigen Lage befand, dem Präsidenten angesichts des anhaltenden Notstandes der Great Depression ausreichend Entscheidungsfreiheit zu lassen und dennoch die anderen Gewalten einzubeziehen, ohne eine Blockade des Gesamtregierungssystems zu riskieren. Gewiss macht der geschilderte Fall die tiefenpsychologische Wirkung des fortdauernden Aufenthaltes des progressiven Amerikaners in der deutschen Diktatur konkret: Je mehr Einblicke William Edward Dodd in das anti- individualistische, unfreie und rechtbeugende nationalsozialistische Sys- tem gewann, umso panischer befürchtete er den inneren und äußeren Zerfall der amerikanischen Demokratie, ungeachtet der Tatsachen, ob zu jenem Zeitpunkt ein direkter Kausalzusammenhang zwischen innen- politischen Ereignissen in Deutschland und den USA bestand. „Hirsch´s death played some part in worsening German-American relations”,1708 resümiert Etzold in seiner Analyse. Der Fall Hirsch hatte offenbart, dass sich das Regime Adolf Hitlers weit entfernt von einem moderateren Kurs befand, den sich viele traditionalistische Beamte im State Department im Laufe der Stabilisierung der neuen Regierung erhofft hatten. Auf eine Einladung zum Tee bei den befreundeten Familien- mitgliedern der Hohenzollernfamilie Anfang des Jahres hin verließen William Dodd und seine Familie die Gesellschaft mit dem Eindruck,

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1707 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 414. 1708 ETZOLD: American Jew. S. 139.

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dass an eine Rückkehr der Monarchen in Deutschland nicht zu denken war.1709 Zwar regte sich immer wieder leisere und lautere Kritik seitens der alten Eliten an der Herrschaft der Nationalsozialisten, doch auf einen Umsturz der Verhältnisse deuteten Schachts Äußerungen auf seiner Geburtstagsrede zur wahren deutschen Schuldenhöhe, die von Goebbels’ Propagandaministerium im Nachhinein zensiert wurden, 1710 oder Dieckhoffs kritische Äußerungen bei verschiedenen Tischgesell- schaften nicht hin. 1711 Auf Hitlers pompös-militaristische Geburtstags- parade reagierten ausländische Vertreter wie deutsche hohe Beamte weiterhin entsetzt, doch blieb dies ohne Auswirkungen auf den Fort- bestand des Regimes.1712 Ebenso wenig übte die Meinung der deutschen Bevölkerung mehr einen direkten Einfluss auf das Handeln Hitlers aus. Viele Bürger in Deutschland zeigten wenig Begeisterung für die italienisch-deutsche Zusammenarbeit in Spanien und erwiesen sich, wie die deutsche Generalität, alles andere als kriegsbegeistert, schrieb Dodd nach Washington.1713 Viele nach Spanien einberufene Soldaten hätten

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1709 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 382. 1710 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 384. Dodd vermutete, dass die deutsche Schuldensumme, die Schacht nannte 11.000.000.000 Mark fünfmal so hoch sein musste, rechnete man die Schulden ein, die Deutschland bei amerikanischen Banken noch offen stehen hatte. 1711 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 394f. Hierzu finden sich weitere Fälle, wovon Dodd nach Washington berichtete. Ernst Hanfstaengl, ein langjähriger Freund Hitlers, der nach Spanien geschickt werden sollte, galt mittlerweile als Persona Non Grata und war auf der Flucht ins Ausland oder bereits inhaftiert. Vgl. hierzu DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 393. Am 15. März schreibt Dodd, Hanfstaengl sei nach Valencia für eine unbekannte Mission geschickt worden, sei aber nach München abgereist und seitdem nicht mehr gesehen worden. Dodd vermutete, er sei inhaftiert und in ein Konzentrationslager gebracht worden. Der Botschafter hatte mit Hitlers altem Kameraden seit 1934 kaum ein Wort gewechselt. Vgl. auch Deutsches Nachrichtenbüro London, 22. März 1937. PAAA. Referat Inland II Geheim, Hirsch, Helmut 1937. Mikrofiche Nr. 3110. (Best.: R 101192). Ernst Hanfstaengl, so das Nachrichtenbüro, sei in Zürich eingetroffen. 1712 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 401f. Dodd hielt in seinem Tagebuch am 20. April 1937 fest, noch nie eine so riesige Militärparade gesehen zu haben, wie diese zu Hitlers 48. Geburtstag. S. 401: „The diplomats were not all of approving frames of mind. The French Ambassador […] / [S. 402:] seemed miserable […]. Some Latin American representatives showed disgust. […] As I looked at Von Neurath, who sat near me, I thought his face revealed distress, and when we were leaving and shook hands with Dr. Schacht, he revealed much unhappiness”. 1713 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. Februar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „Hitler is in a

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den Freitod gewählt, um dem Dienst an der Waffe zu entgehen, und auch von den zahlreichen Flugzeugunfällen, die sich infolge der Luftrüstungspläne ereigneten, werde in Deutschland absichtlich nicht berichtet, um junge Männer von einer Karriere als Luftwaffenpiloten nicht abzuschrecken.1714 Während General Ludendorff laut einiger Gerüchte Widerstand gegen seinen ehemaligen Kampfgenossen Hitler aufbaute1715 und viele Eltern gegen die areligiöse Erziehung ihrer Kinder selbst unter Gefängnisan- drohung protestierten1716 – der päpstliche Nunzio hatte seinem ameri- kanischen Kollegen bestätigt, dass der Papst einen Schwenk in seiner Politik gegenüber Hitler vollzogen hatte1717 – reagierte das Hitler-Regime auf diese Entwicklungen mit brutalsten Repressalien. Sämtliche antijü- dische und antiklerikale Maßnahmen, stellte Dodd in seinen Berichten an das State Department klar, gingen von Himmler aus, der sich in einem internen Machtkampf weiter durchzusetzen wusste und ent- scheidende staatliche Machtinstrumente wie die Polizei mit seiner Waffen-SS fusionierte.1718 Besonders litten die amerikanischen Kirchen

______difficult position. His people are afraid of war […]. [A]bout all Germans think annexation or absolute control of the Balkan States is their right”. Vgl. auch Dodd an Roosevelt, 13. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „The German-Italian cooperation plan in Spain has become so unpopular in Germany […]”. 1714 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 392. Dodd erhielt diese Informationen von einem NBC-Journalisten, Max Jordan, am 12. März 1937. 1715 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 397. Vom tschechoslowakischen diplomatischen Vertreter hatte Dodd von diesen Gerüchten am 7. April erfahren, Ludendorff wende sich gegen seinen alten Kampfkameraden Hitler mit Hilfe einer Gruppe Jugendlicher und Armeeangehöriger. 1716 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 398. Das US-Konsulat in Frankfurt hatte dem amerikanischen Botschafter in Berlin am 11. April einen vertraulichen Bericht zukommen lassen, laut dem besonders in der katholischen Saar-Gegend Eltern gegen das Abhängen der Kruzifixe in der Schule zugunsten Hitlers Konterfei offen protestiert hätten. 1717 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 395f. Bereits vor dem Treffen mit dem päpstlichen Nunzio am 30. März wusste Dodd, dass katholische Priester und Bischöfe in allen deutschen Kirchen eine Enzyklika des Papstes lasen, mit dem Appell, den katholischen Glauben und die religiöse Freiheit zu bewahren. Der Nunzio erklärte seinem amerika- nischen Kollegen dann, dass tausende von Kopien dieser päpstlichen Botschaft per Handzettel in Deutschland verteilt worden seien. 1718 Vgl. Dodd an Secretary of State, 16. April 1937. (Report No. 3419). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./219. „The anti-Jewish measures, the recent outbursts against the Catholics […] as well as reports that the number of arrests on political charges has increased of late, appear to signify that Herr Himmler and his radical

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in Deutschland, die einige nationalsozialistische Verbrechen aufgedeckt hatten und dafür massiv von der deutschen Presse angegriffen wurden; Viele angebliche und tatsächliche deutsche Oppositionelle verloren die Staatsbürgerschaft und einige Adelige seien wegen ihrer mutmaßlichen monarchistischen Tendenzen verhaftet worden. Das härteste Los jedoch traf die jüdische Bevölkerung. 1719 Ihr Eigentum, wie sämtliches aus- ländisches Eigentum, befände sich nun unter Kontrolle der NSDAP.1720 Für alle Bürger gelte, dass auch privat geäußerte Kritik gegen Partei und Staat strafbar war und Denunzianten aktiv von staatlicher Seite geschützt wurden, schrieb der neue Botschaftsrat Prentiss Gilbert und Nachfolger John Whites dem amerikanischen Außenminister im September. 1721 Deshalb sei es kaum verwunderlich, so William Dodd, dass sich nach nur drei Jahren fast alle Deutschen dem Regime auf ihre Weise ergeben hätten.1722 Während Hitler mit einer nie dagewesenen Mischung aus Gewalt und Anziehungskraft die Bevölkerung in ihren Bann zog, hinterließen seine außenpolitischen Erfolge ihre Spuren auch hinsichtlich der Einstellung der westeuropäischen Diplomaten in Berlin und ihrer Regierungen. William Dodds Stellung als regimekritischer Botschafter, vormals unter- stützt durch die diplomatischen Vertreter der anderen „großen“ Nationen Frankreich und Großbritannien aber auch kleiner Nachbarstaaten Deutschlands, litt 1937 vor allem daran, dass jene Vertreter nunmehr eine Haltung einnahmen, die dem eingeschlagenen Kurs einer Appease- mentpolitik ihrer Hauptstadtzentralen entsprach. In Hinblick auf das

______associates have been active on the internal scene during the period of outward calm that has existed since the beginning of the year”. Vgl. außerdem zur Fusion von Polizei und SS: Dodd an Secretary of State, 28. Mai 1937. (Report No. 3494). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./222. Die Polizei müsse nun die Blitzstrahlen der SS tragen und alle Angehörigen der Polizei dürften sich ab sofort nur noch aus der Elite der SS rekrutieren. 1719 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 400. 1720 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 391. Dies betraf z.B. auch Klöster in Deutschland, die durch amerikanische Gelder finanziert wurden. 1721 Vgl. Prentiss Gilbert, Chargé d’Affaires ad interim, an Secretary of State, 16. September 1937 (Report No. 3648). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./229. Jede Form öffentlicher oder privater Äußerung „detrimental to the Party or the State, even if made in private company or under the injunction of confidence, were punishable under Paragraph 185 of the Penal Code”. 1722 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 409. „The system has been operating only about three years but the people seem to have surrendered to an amazing extent”.

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Gebot der Neutralität der Botschaftsarbeit bedenklich gestaltete sich die Entwicklung, dass sich einige der nach Dodds Aussagen „faschistisch“ gesinnten Diplomaten eng mit den konservativsten Mitarbeiter seiner Botschaft befreundeten.1723 André François-Poncet hatte William Dodd schon in den Vorjahren als wenig kritisch gegolten, nun sah er in dem Franzosen einen „Faschisten“,1724 der auf Hitlers Empfang des diplo- matischen Korps im Februar bei dieser protokollarisch starr organisierten Veranstaltung genauso wie sein britischer Kollege positive Stimmung zu verbreiten gesucht habe, um über die politisch angespannte Atmosphäre hinwegzutäuschen. Der amerikanische Botschafter ertrug es nach eigenen Angaben nur schwer mit Hitler und Göring, die er für die Junimorde 1934 verantwortlich machte, in einem Raum zu weilen.1725 Selbst Sir Eric Phipps dachte und agierte in Dodds Augen dem Verhalten des britischen Premiers Baldwin und Außenministers Anthony Eden – der eigentlich als ein Gegner der Appeasementpolitik vor allem Neville Chamberlains galt – entsprechend zunehmend „faschistisch”.1726 Dodds Anfragen zum britischen Vertrag mit Mussolini belächelte er lediglich und ging auf kein Konfrontationsgespräch ein.1727 Noch eindeutiger positionierte sich ______

1723 Vgl. Dodd an Hull, 23. Mai 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Für Dodd waren allerdings auch Vertreter kleinerer Staaten, wie Belgiens, faschistisch gesinnt. Dem Belgier sagte er nach, ein guter Freund seines Counselors, Mayer, und diesem in seiner Einstellung sehr ähnlich zu sein. „Since our Counsellor [sic!] here is an intimate friend of the Belgian minister I see now a little better why our staff members say he is a fascist – and see also why I have to read and correct telegrams and reports even more closely than in the past”. 1724 Vgl. hierzu SCHÄFER: André François-Poncet. S. 317f. François-Poncet war 1935 zu einer Verständigungspolitik mit Deutschland zurückgekehrt und betrieb auch 1936/37 eine Beschwichtigungspolitik. Dies hat vermutlich Dodd zu der Annahme verleitet, François- Poncet sei profaschistisch eingestellt. Vgl. Ebenda. S. 319. Schäfer entkräftet dieses Argument durch den Hinweis auf François-Poncets „flexible Deutschlandpolitik“, die auch nicht vor Drohungen (mit militärischen Mitteln) gegenüber der deutschen Regierung zurückschreckte. 1725 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 383f. 1726 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 394f. Bei einer Einladung des ehemaligen deutschen Außenministers von Kühlmann zeigte sich Sir Eric Phipps den Zielen und Handlungen General Francos nicht mehr abgeneigt. 1727 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 378f. Bei einer Ansprache Hitlers im alten Reichspalast am 11. Januar nutzte Dodd die Gelegenheit, mit Phipps zu sprechen. S. 378: „Sir Eric Phipps was as discreet as ever, but he revealed more sympathy for the Fascist crowd in Spain than I had noted before. I believe now he is almost a Fascist, as I think are Baldwin and Eden. […] / [S. 379:] […] I twitted the Englishman a bit about their treaty with the greatest Machiavelli of modern decades [Mussolini]. He smiled but would say nothing”.

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sein Nachfolger, Sir Nevile Henderson, zu Hitler.1728 Vor ihm warnte William Dodd seinen Außenminister, er wolle im Einklang mit Schacht den amerikanischen Lateinamerikahandel sabotieren, da Hulls Frei- handelskonzept der britischen Führung und anderen europäischen Regierungen missfalle: „Casual talks the last day or two with the new British Ambassador here, the Belgian minister and especially Dr. Schacht […] leads [sic!] me to the conclusion that great efforts are being made to defeat more favorable American trade with Latin America. Schacht is now in Paris. The French Ambassador here with him a lot. […] The new British Ambassador is doing his utmost in my judgment to make close trade and temporary loans with the Führer. […] I am afraid all the reactionary groups in England, France and Belgium are co-operating to defeat our freer trade measure”.1729 Eindeutig vertrete der britische Botschafter eine Appeasementpolitik, nämlich Hitler einige Annexionen zu erlauben, um damit den Frieden in Europa zu sichern.1730 Den offensichtlichen Fehler erster Gehversuche dieser Politik der bedingungslosen Zugeständnisse durch den ehemaligen französischen Premiers Laval, Mussolini Zugeständnisse zu machen und damit den Weg nach Abessinien zu ebnen, hatte François-Poncet Dodd gegenüber nie eingestanden.1731 François-Poncet, der den Sturz der moderaten demokratischen französischen Regierung unter Léon Blum ______

1728 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 413. Zum ersten Mal äußerte sich Dodd am 2. Juni zu Henderson: „The new English Ambassador here is reported to be in full sympathy with the German-Italian aggression in Spain. His name is Henderson”. Vgl. auch Dodd an Hull, 24. Juni 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. Henderson habe zu Dodd im direkten Wortlaut gesagt „My Government is foolish or does not understand the situation in Europe. I think England and the United States must join Germany and leave her free to take Austria and as much of Czechoslovakia as she wishes ENDQUOTE”. 1729 Dodd an Hull, 27. Mai 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). 1730 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 413. „He [Henderson] is also reported to have informed the German Government that England would make no objections if Hitler seized Austria and Czechoslovakia”. Vgl. auch Dodd an Hull, 24. Juni 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. Vgl. hierzu auch BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 115. Lordpräsident Lord Halifax erwähnte Hitler gegenüber am 19. November 1937 die Möglichkeit einer britischen Duldungspolitik gegenüber deutschen Territorialerweiterungen. 1731 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 418f. Zu einem Gespräch über dieses Thema kam es auf einer Einladung zum Abendessen bei dem litauischen diplomatischen Vertreter am 20. Juni.

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vorhergesagt hatte, erschütterte seinen amerikanischen Kollegen zutiefst, indem er 1937 beschloss, erstmals nach vier Jahren steten Boykotts den Nürnberger Reichsparteitagen beizuwohnen. 1732 Ohne die moralische und offizielle Unterstützung der Vertreter der großen europäischen Demokratien sah sich William Dodd deshalb einer auf ihn allein fokussierten Kritik des Auswärtigen Amtes und der nationalsozialis- tischen Führung ausgesetzt, nunmehr als einziger die doch offenkundigen Erfolge der Diktatur zu leugnen oder zu kritisieren. Dabei hatte der amerikanische Botschafter 1936 und 1937 seine in Deutschland als kritisch interpretierbare Redetätigkeit vor deutschem oder ausländischem Publikum nahezu eingestellt. Für Dodds Bild von der europäischen Lage hatte diese seine Position eine gewichtige Konsequenz: Nach dem Sturz Blums im Juni 1937 und angesichts des unterwürfigen Verhaltens der europäischen Vertreter in Berlin sei die Gefahr, ob unfreiwillig oder freiwillig, gegeben, dass England und Frankreich, die bedeutendsten handelspolitischen, kulturellen und politischen Verbündeten der Ver- einigten Staaten von Amerika, den Faschisten und Nationalsozialisten nur zu bald in die Hände fallen könnten. Den größten Teil von Dodds Berichterstattung 1937 nahmen seine Beobachtungen zur deutschen Spanien- und Bündnispolitik ein, auf denen in diesem Kapitel der Fokus liegen soll. Trotz der Erfolge in Spanien herrschte in Berlin, vor allem aufgrund der erwähnten Lebens- mittelknappheit, zu Anfang des Jahres eine angespannte Atmosphäre.1733 Hitler hatte sich erfolgreich gegen die deutschen Generäle durchgesetzt, die den Einsatz weiterer deutscher Soldaten in Spanien zu verweigern gesucht hatten. In der deutschen Presse fanden sich kaum Kommentare zum Krieg in Spanien, schon gar nicht zu deutschen Verlusten.1734 Auch

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1732 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 419. François-Poncet erwähnte auf dem litauischen Abendessen, Blum werde innerhalb von zwei Tagen gestürzt. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 424f. Der französische Botschafter hatte laut eigener Aussage zu Dodd am 20. Juli von seiner Regierung bezüglich der Teilnahme am Reichsparteitag keine Antwort erhalten und deshalb dem Protokollchef im Auswärtigen Amt, Bülow-Schwante, mitgeteilt, an einem einzigen Tag der Veranstaltung anwesend zu sein, nicht aber den Propagandareden zuhören zu wollen. 1733 Vgl. Dodd an Hull, 29. Januar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. 1734 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 377f. Vor allem General von Blomberg sei gegen die Entsendung weiterer Truppen nach Spanien, so Dodd am 5. Januar.

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von Hitlers Rede vor dem Reichstag am 30. Januar 1937 1735 ließ sich William Edward Dodd nicht täuschen: Die Rede klang versöhnlich, doch an seinen außenpolitischen Zielen hielten Hitler und seine Führungsspitze fest.1736 Hjalmar Schachts Betonung der Notwendigkeit von Kolonien für Deutschland erschien William Dodd mit Recht abwegig. 1737 Vielmehr lagen nach Dodds Sicht die Schwerpunkte nationalsozialistischer Außenpolitik auf der Idee des Lebensraumes im Osten. So berichtete der amerikanische Botschafter Mitte Februar nach Washington, dass ein deutscher Oberst aus dem Kriegsministerium ungeachtet Hitlers versöhnlich klingender Worte verkündet habe, dass der nächste Krieg Deutschlands ein totaler Volkskrieg werde und man am Ziel des Lebensraumes festhalte.1738 Hierbei handelte es sich nicht um leere Drohungen, wie Dodd in den Folgemonaten feststellen musste. Das Auswärtige Amt wirkte mit, den nationalsozialistischen Traum von der Ostexpansion in Erfüllung gehen zu lassen. Reichsaußenminister von Neurath, der plakativ England die Schuld an der allgemeinen Aufrüstung gab, verkündete Dodd gegenüber nicht nur, dass man in Spanien ledig- lich den expandierenden Kommunismus bekämpfe, sondern auch dass der Balkan traditionell Deutschland gehöre.1739 Nach diesem Gespräch war sich der Botschafter der deutschen Ziele sicher: „These conversations, especially that with Von Neurath, revealed more clearly than formerly

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1735 Vgl. ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 161 (S. 368). Vgl. auch DOMARUS: Hitler, Reden und Proklamationen. S. 667-677. 1736 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 382. 1737 Vgl. Dodd an Schacht, 1. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-S. „The old-time colony business has lost its importance. England played the game to the limit; but today her powers are gone. […] Under the conditions of modern civilization, peoples crowd into great cities and refuse to leave even when lands are offered free in rural areas or distant colonies”. Vgl. Schachts Antwort: Schacht an Dodd, 13. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-S. „Die Grundanschauung […] begreife ich durchaus. Was die deutschen Kolonialwüsche betrifft, so bin ich […] im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß ein Spatz in der Hand besser ist als eine Taube auf dem Dach”. 1738 Vgl. Dodd an Secretary of State, 16. Februar 1937. (Report No. 3309). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00 P.R./215. Dies habe ein Oberst Thomas, Leiter der Abteilung wirtschaftliche Verteidigung im Kriegsministerium, vor der Deutschen Wehrwirtschaftlichen Gesellschaft geäußert. „Colonel Thomas‘ statements are nevertheless worth while noting as throwing light on the outlines of the German picture of the next war […] [the next war being] the struggle of the people for room to live, in fact for its very existence”. 1739 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 389f.

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that the German Government is now determined to control, and actually annex, neighboring countries”.1740 Hans Heinrich Dieckhoff erlaubte sich im Februar keinen Kommentar zu Neuraths Besuch in Österreich, einem weiteren Zielobjekt nationalsozialistischer Außenpolitik. William Dodd war davon überzeugt, dass diese Reise nur einem Ziel dienen konnte: Aus Mussolini hervorzulocken, wie er im Falle einer Annexion Österreichs reagieren würde.1741 „Jesus“ und „Caesar“, wie Dodd Hitler und Mussolini aufgrund ihrer ideologischen Überhöhung in Briefen an Roosevelt despektierlich nannte,1742 konnten trotz ihrer widersprüchlichen Beweg- gründe für das Achsenbündnis einen Erfolg nach dem anderen erzielen. Denn die Balkanländer seien zu zerstritten, resümierte Dodd, um eine Konföderation oder Entente1743 zu bilden und die Habsburger Monarchie werde allen Anscheins nach in Österreich sicherlich nicht restauriert, was einen weiteren Vorstoß Deutschlands nach Süden und Südosten gewiss machte.1744 Bis zum Frühjahr verzeichneten das deutsch-italienische Verhältnis und die deutsche und die italienische Bündnispolitik kurzzeitig einige Ver- änderungen, die der amerikanische Repräsentant in Berlin aufmerksam dokumentierte. An den amerikanischen Botschafter in Paris schrieb William Edward Dodd, Rom und Berlin befänden sich in einer schwierigen Phase ihrer Beziehungen, was eine Einigung mit den West- mächten, an die Bullitt glaubte, unwahrscheinlich machte.1745 General

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1740 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 389. 1741 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 386f. 1742 Vgl. Dodd an Roosevelt, 27. Februar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „Just how real is the alliance between ‘Jesus’ and ‘Caesar’ one cannot say, the purposes of both conflicting”. 1743 Vgl. ADAP, Serie C, Bd. VI,2, Dok. 309 (S. 668-671) zu den Gesprächen der Länder der „Kleinen Entente“ in Belgrad. 1744 Vgl. Dodd an Messersmith. 25. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). Vgl. zur Sicherheit eines weiteren Vorstoßes Hitlers auch: Dodd an Roosevelt, 27. Februar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1745 Vgl. Bullitt an Dodd, 5. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B. „I wonder if you share my feeling that there may be a chance during the next eighteen months to begin to establish peace in Europe. The French unquestionably are ready to go far in order to reach reconciliation with Germany”. Vgl.

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Francos Rückschläge in Spanien stellten Mussolini und Hitler vor die Entscheidung, einen umfangreichen Krieg in Spanien zu führen und damit Frankreich hineinzuziehen oder Spanien als faschistisches Spiel- feld aufzugeben.1746 Im April kam deshalb eine neue Dynamik in das deutsche Bündnissystem. Auch wenn der sowjetische Botschafter in Berlin es leugnete, wurden Gerüchte lauter, dass Gespräche zu einem deutsch-sowjetischen Vertrag stattfanden – Dodd vermutete ein Wirt- schaftsabkommen.1747 Schacht und Göring hatten hierzu Andeutungen gemacht und für den amerikanischen Botschafter schien die Annahme nicht ausgeschlossen, Hitler wolle auch in der Sowjetunion eine nationalsozialistische Revolution provozieren. 1748 Während Hitler ein

______dazu Dodds Antwort: Dodd an Bullitt, 24. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B. „The relations between Rome and Berlin, in spite of outward appearances, are such that it would be very difficult to get any agreement with the Western Powers on any vital matter”. 1746 Vgl. Dodd an Hull, 5. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „Hitler and Mussolini are, in my judgement [sic!], now seriously pondering what to do in Spain”. Ein Beamter in Berlin habe ihm gesagt, man plane, im Kriegsfalle Frankreich in den Spanienkonflikt zu ziehen, damit Frankreich dann keine Hilfe von England und der Sowjetunion erhalte. Vgl. zu Mussolinis Unzufriedenheit über Francos Leistungen den Bericht Ulrich von Hassells über eine Unterhaltung mit Mussolini in ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 55 (S. 108f.). Vgl. auch ADAP, Serie D, Bd. III Dok. 236 (S. 220ff.). Vgl. das Vorwort zu Band III in ADAP, Serie D, Bd. III (S. XV). Laut Vorwort machen die in diesem Band zusammengestellten Dokumente zur deutschen Spanienpolitik deutlich, dass die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland in Hinblick auf die Spanienpolitik durchaus angespannt waren. Ein Grund hierfür lag in den deutschen Bemühungen, auf General Franco Druck auszuüben um sich langfristig Profite sichern zu können. 1747 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 397f. Dodd schreibt in seinem Tagebuch am 10. April (S. 397:): „The Soviet Ambassador did not admit that there are negotiations going on for a secret treaty between Germany and Russia. I had heard this from our Minister in Norway this week. […] / [S. 398:] I think something is on, but feel it is merely a commercial arrangement. How could Hitler make a political treaty with the Communists?” 1748 Vgl. Dodd an Roosevelt, 13. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. Dodd vermutete hinter Görings Bestreben auch, dass die deutsche Regierung einen nationalsozialistischen Putsch in der Sowjetunion erwirken wollte. Vgl. auch Dodd an Hull, 19. April 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 14 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „Another evidence of Schacht’s and Göring’s concern appears in their assertions that Germany must make treaty with Russia on commercial grounds, perhaps political. Evidence of secret conferences has come to me from different sources”. Göring habe mit dem tschechoslowakischen Gesandten darüber geredet, dass Deutschland zur alten

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Freundschaftsabkommen mit der Tschechoslowakei scheitern ließ, 1749 berichtete der tschechoslowakische diplomatische Vertreter in Berlin seinem amerikanischen Kollegen, ein jugoslawisch-italienischer und ein rumänisch-sowjetischer Vertrag seien abgeschlossen worden und eine jugoslawisch-österreichische Annäherung könne beobachtet werden.1750 Francos Niederlagen hatten Hitler vorsichtiger gemacht: Um eine britisch-französische Zusammenarbeit zu entmutigen, adressierten Hitler und sein „Diplomat“ von Ribbentrop nun gezielt die englische Öffent- lichkeit. Der US-Journalist William Shirer berichtete Dodd von Hitlers Versuchen, dem ehemaligen Labour-Parteivorsitzenden und britischen Friedensaktivisten George Lansbury falsche Hoffnungen auf eine Frie- denskonferenz zu machen.1751 Hitlers und Mussolinis Zweckgemeinschaft musste jedoch weiterhin aufrechterhalten werden, um externer Opposition präventiv zu be- gegnen.1752 Hieran konnten auch Franklin Delano Roosevelts Briefe –

______Bismarckpolitik unter Einbezug der Sowjetunion zurückkehren müsse. Dodd hielt einen geheimen Vertrag vor 1938 für wahrscheinlich. 1749 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 393. Dodd berichtet am 15. März, dieser Vertrag über gegenseitige freundschaftliche Beziehungen sei unter Einverständnis von Beneš formuliert, von Hitler aber aufgekündigt worden. Aus diesem Grund vermutete Dodd auch eine mangelnde Ehrlichkeit der deutschen Regierung bezüglich der Frage von Verträgen mit den westlichen Nachbarn Deutschlands. Vgl. hierzu die Erwägungen des Auswärtigen Amtes in ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 11 (S. 30ff.). Reichsminister von Neurath habe „empfohlen, bis auf weiteres der Tschechoslowakei noch die kalte Schulter zu zeigen” (S. 32). 1750 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 396. Der tschechoslowakische diplomatische Vertreter in Berlin klärte Dodd am 3. April hierüber auf. Vgl. zur jugoslawisch- italienischen Annäherung die Beobachtungen durch das Auswärtige Amt in ADAP, Serie C, Bd. VI,1, Dok. 138 (S. 296), Dok. 254 (S. 544f.); Bd. VI,2, Dok. 291 (S. 627f.), Dok. 297 (S. 642), Dok. 298 (S. 643f.) Diese italienischen Verträge dienten Mussolini als blockbildende Vorsichtsmaßnahme für den Fall einer deutschen Annexion Österreichs. 1751 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 401. Am 20. April hält Dodd fest, Lansbury habe Hitler für zwei Stunden sprechen dürfen und dies sei ein Manöver Ribbentrops, die Friedensbewegung in England zu beschwichtigen und ermutigen, eventuell auch als Versuch einer Störung des britisch-französischen Verhältnisses. Lansbury habe danach Shirer anvertraut, Hitler sei eindeutig für eine Konferenz im Sinne Roosevelts. Dies durchschaute der amerikanische Botschafter deshalb als Trick, weil Schacht und Neurath ihm am 4. März noch versichert hatten, eine solche Konferenz sei ohne vorhergehende Wirtschaftsabkommen zwischen den Großmächten von deutscher Seite aus nicht möglich. 1752 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 101f. Laut Sirois legte der Spanische Bürgerkrieg die machtpolitische und ideologische Grundlage für eine anhaltende deutsch-italienische Verständigung und Zusammenarbeit. Diese fortwährende Annäherung sowie die Koope- ration mit Japan stellten eine Abkehr von der traditionellen außenpolitischen Linie des

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vielleicht war der Präsident hierzu durch Dodds Berichterstattung ermutigt worden – an den italienischen Diktator nichts ändern.1753 Cordell Hull gegenüber wusste Dodd im April zu berichten, dass sich Göring und Neurath auf einer weiteren Reise zu Mussolini befänden, um gemeinsam Möglichkeiten zur Verhinderung einer Balkanföderation zu eruieren.1754 Auch die Spanien- und Österreichpolitik vermutete der Botschafter als möglichen Gesprächsinhalt der geplanten Treffen mit dem italienischen Diktator.1755 Umso härter musste es angesichts dieses freien Lancierens der beiden Diktatoren William Dodd treffen, dass ihm ein Vertreter der US-Delegation beim Völkerbund in Genf bestätigte, ein rechtzeitiges Vorgehen gegen Mussolini sei der internationalen Gemeinschaft möglich gewesen, aber versäumt worden.1756

______Auswärtigen Amtes dar. Bis 1938 hielt Berlin aber dennoch an einer „zweigleisige[n] Fernostpolitik“ (S. 102) fest. Italien jedoch trat am 6. November 1937 dem Antikominternpakt bei (S. 103). Dieser Schritt bestätigte Dodds Befürchtungen um eine langfristig angelegte deutsch-italienisch-japanische Kooperation. Vgl. auch Phillips‘ Beobachtungen in Rom beschrieben in PHILLIPS: Ventures in Diplomacy. S. 205. „Though the ties between Rome and Berlin were growing in strength at the expense of all outside relations, a definite pro-Japanese trend was also becoming evident in Rome”. Diese Entwicklungen führten letztlich zum Beitritt Italiens in den Vertrag des Antikominternpaktes ein Jahr nach seinem Abschluss. Vgl. zum deutsch-italienischen Verhältnis bis zum Anschluss Österreichs auch WEINBERG: The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Bd. 2. S. 261-312. 1753 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 424. Black stellt die Behauptung auf, Roosevelt habe Mussolini durch diese Briefe von einer weiteren Kooperation mit Hitler abbringen wollen. 1754 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 402f. Dodd schrieb am 22. und am 25. April, Göring sei angeblich aus gesundheitlichen Gründen seit dem 20. April in Italien, von Neurath reise dorthin am 3. Mai. S. 403: „If the Balkan states form a union for self, and mutual, defense, Hitler and Mussolini will have to stay at home”. Vgl. auch Dodd an Hull, 26. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. 1755 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 403. Dodd stellte sich in seinem Tagebucheintrag vom 25. April das fingierte Gespräch zwischen Mussolini und von Neurath wie folgt vor: „What will Von Neurath say for Hitler? My guess: If you guarantee us Austria, we will guarantee your influence in Spain if England continues her two-faced policy. The idea of Italy and Germany is to extend their power by threats of war, to hasten this business before England is fully ready and also before Poland, now uneasier than ever, unites with Rumania and the Little [Balkan] Entente”. 1756 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 405. Der amerikanische Repräsentant in Genf, Arthur Sweetser, bestätigte Dodd auf seinem Besuch des Völkerbundes in Genf am 3. Mai, „he was sure at the time that if sanctions had been applied that autumn [1935] Mussolini would have been compelled to submit to League decisions”.

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Eine nächste Phase der deutschen Spanienpolitik wurde mit der Bombar- dierung deutscher Kriegsschiffe vor der spanischen Küste eingeläutet.1757 Neurath, so vertraute es François-Poncet dem amerikanischen Botschafter an, hatte sich im Kabinett gegen eine Racheaktion in Form von Bomben auf spanische Städte ausgesprochen. 1758 Besonders ärgerte Dodd bei diesem Vorfall, dass sein Counselor of Embassy, Mayer, den er national- sozialistischer Neigungen bezichtigte, gegen seine Weisung vor der Presse ein offizielles Bedauern der amerikanischen Regierung bezüglich des Angriffes auf die deutschen Flottenteile ausgedrückt hatte.1759 Dodds Weisung hatte einen guten Grund gehabt, denn für den Botschafter standen die deutschen und italienischen außenpolitischen Ziele mittler- weile fest: General Franco war nur ein Instrument Mussolinis für dessen Mittelmeerambitionen.1760 Mit zunehmender Kontrolle Spaniens durch Franco fiel die Iberische Halbinsel de facto in Mussolinis Hände und machte für Hitler, der an der deutsch-italienischen Achse trotz Widerständen festgehalten hatte, den Weg frei in Richtung Balkan. Nach Dodds Meinung würde die Sowjetunion ohne Frankreich, dessen

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1757 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 141. Ende Mai 1937 hatten Flugzeuge der spanischen Loyalisten 31 deutsche Marinesoldaten auf der Deutschland in spanischen Territorialgewässern getötet. Deutsche Kriegsschiffe sollten daraufhin die Küstenstadt Almería angreifen – eine Racheaktion, die von Neurath nicht befürwortete. Vgl. auch ADAP, Serie D, Bd. III Dok. 267-276 (S. 251-258) England und Frankreich verweigerten eine Diskussion des Zwischenfalles vor dem Völkerbundsrat (Dok. 275). 1758 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 412ff. Als Dodd von Neurath am 31. Mai auf dies ansprach, bestätigte der Reichsaußenminister, er sei gegen die Bombardierung spanischer Städte und fordere den Rückzug deutscher Truppen aus Spanien eingestellt. Am Donnerstag, den 3. Juni, erzählte François-Poncet, von Neurath habe sich am vergangenen Montag entsprechend im Kabinett hierfür eingesetzt. Vgl. auch ADAP, Serie D, Bd. III Dok. 182 (S. 171f.). Siehe Fußnote 1 zu diesem Dokument. Schon in den Monaten zuvor hatte von Neurath mehrfach interveniert. Er verwehrte die Beschießung spanischer Häfen als direkte Vergeltungsmaßnahme. 1759 Vgl. Dodd an Hull, 10. Juni 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Black behauptet, die Bombardierung der spanischen Stadt Guernica am 26. April 1937 durch deutsche Flieger habe Roosevelt unter anderem zu seiner Quarantänerede motiviert. Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 422. Vgl. zur Leugnung einer Involvierung deutscher Flieger über Guernica seitens des Auswärtigen Amtes ADAP, Serie D, Bd. III Dok. 249 (S. 238), Dok. 250 (S. 238f.) und Dok. 251 (S. 239). Vgl. zur Bedeutung Guernicas DAVIS, Kenneth S.: FDR. Into the Storm, 1937-1940. A History. New York 1993. S. 121. 1760 Vgl. Dodd an Moore, 8. Juli 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. „[T]he chief in Rome expects to dominate the Mediterranean, Franco being his tool”.

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Regierung Blums im Juni zu stürzen drohte, Hitlers Vorrücken gen Osten keinen Einhalt gebieten.1761 In einem Brief an Judge Moore hatte Dodd deshalb gewarnt, dass nur ein Beitritt der USA in das Nicht- einmischungsabkommen bezüglich Spaniens die deutsch-italienische Zweckgemeinschaft aufbrechen könnte, bevor sich Italien Spanien, Ägypten und das Mittelmeer einverleibte, gefolgt von Hitlers Ostexpan- sion bis nach Konstantinopel. 1762 Das deutsche Expansionspotential zog nach Meinung des Botschafters aber noch weitere Kreise: Görings Einfluss auf die deutschen Wirtschaftspläne und die bilaterale Vertrags- und Einschüchterungspolitik Deutschlands unter nationalsozialistischer Herrschaft offenbarten ein Wirtschaftssystem, das als Basis für Anne- xionen in Europa diente, den Totalitarismus maximal verbreiten sollte und zu einem späteren Zeitpunkt unausweichlich in Lateinamerika eine wirtschaftliche Konkurrenz zu den USA aufbauen würde, schrieb Dodd besorgt seinem Secretary of State im Juli 1937: „As to Latin America both Germany and Italy are doing their utmost to defeat our lower tariff treaties. The Spanish situation helps them immensely. […] If this economic system succeeds the annexation business is apt to succeed without war, and this marvellous [sic!] totalitarian system will spread over Europe. […] Our country is to be isolated if possible”.1763 Das Regime Hitlers sei in Deutschland nicht populär, Annexionen aber seien es aufgrund der allgemeinen revisionistischen Haltung in Deutschland sehr wohl, hatte er Hull schon im Juni mitgeteilt, und einen weiteren Vorstoß könnte der deutsche Diktator nun wagen,1764 zumal Dodd vom britischen Botschafter Henderson erfahren habe, eine

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1761 Vgl. Dodd an Hull, 21. Juni 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). 1762 Vgl. Dodd an Moore, 3. Juni 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1763 Dodd an Hull, 3. Juli 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). 1764 Vgl. Dodd an Hull, 21. Juni 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „The Hitler regime is now more unpopular than at any time since Rhine zone seizure in 1936, March 7. The most popular thing that could be done would be to annex states mentioned above. […] So Hitler has a great opportunity […]”. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 418. Dodd meinte am 17. Juni, die jüngsten Geschehnisse in der Sowjetunion und Spanien erlaubten es der nationalsozialistischen Führung erstmals, die konkrete Annexion von Teilen oder der gesamten Tschechoslowakei einzuleiten.

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limitierte deutsche Annexionspolitik sei für seine Regierung akzepta- bel.1765 Dies bedeutete nichts anderes, als dass Hitler sogar ohne einen Krieg mit ungewissem Ausgang seine Ziele erreichen konnte, was allen Hoffnungen auf Opposition in Deutschland ein Ende machen werde.1766 Offensichtlich fanden William Dodds Warnungen Gehör. Franklin Roosevelt spielte mit dem Gedanken, das Waffenembargo im Falle einer eindeutigen Involvierung deutscher und italienischer Truppen in Spanien auf diese Nationen auszuweiten, und entschied sich Ende Juni 1937 dafür, über Dodd und den neuen Botschafter in Rom und ehemaligen Under Secretary of State, William Phillips, weitere Informationen bezüg- lich der Lage in Spanien und der tatsächlichen Aktionen Mussolinis und Hitlers einzuholen und somit die Neutralitätsfrage neu zu überdenken: „For many reasons I think that if Mussolini or the Italian Government or Hitler or the German Government have made or make any official admissions or statements that their Government armed forces are actually taking part in the fighting in Spain on the side of Franco, or are engaging in the Spanish war, then in such case we shall have to act under the Neutrality Act. I am thinking about precedents and the future. […] I do not think we can compound a ridiculous situation if after the fight is established, Great Britain and France continue to assert solemnly that they ‘have no proof’ of Italian or German participation in the Spanish War. Don’t you think we should cable Phillips and Dodd to ask for categorical answers?”1767

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1765 Vgl. Dodd an Hull, 24. Juni 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. Der britische Botschafter hatte Dodd gegenüber erwähnt, Deutschland solle freie Hand für Annexionen gewährt bekommen. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 419. Auch François-Poncet bestätigte am 20. Juni beim Abendessen des litauischen Gesandten, England werde den deutschen Forderungen nachgeben. 1766 Vgl. Dodd an Hull, 21. Juni 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „So Hitler has a great opportunity, and even his ruthless Church policy will cease to be so unpopular if he does, without war, what he aims to do even with war”. 1767 Roosevelt an Hull, 29. Juni 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Confidential File. Mappe PSF Confidential File, Neutrality. Under Secretary William Phillips wurde 1937 als Botschafter nach Rom berufen und ersetzte dort Breckinridge Long. Deshalb wurde sein Posten im State Department vakant. Sowohl Judge Moore als auch Sumner Welles waren ambitioniert, diese Stelle anvertraut zu bekommen. Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 168-199 zur weiteren Spanienpolitik der USA und den Debatten um die Erweiterung der

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Aufgrund der Auseinandersetzungen innerhalb des Kongresses und der Administration führte dies jedoch 1937 zu keiner Änderung der amerikanischen Spanienpolitik. Mit dem Schicksal Spaniens war auch dasjenige Österreichs verbunden. Trotz widersprüchlicher Aussagen seitens der deutschen Regierung meldete William Dodd seinem Vor- gesetzten, Cordell Hull, dass die nationalsozialistische Führung ganz konkret an den Plänen eines Anschlusses Österreichs festhalte. Während das Propagandaministerium unter Goebbels‘ Leitung einen schärferen Ton anschlug und mit allen Mitteln Druck auf die Regierung Schuschnigg aufbaute,1768 äußerte sich Hitler weniger aggressiv. Hitlers vorsichtige Taktik rührte hierbei sicherlich ebenso von der Analyse der spanischen Ereignisse wie von der Tatsache her, dass eine ruhigere Gangart Österreich Deutschland einfach „in den Schoß“ fallen lassen könnte.1769 Einen Motivationsschub für diese Vorgehensweise bewirkten die in- offiziellen Zusicherungen Sir Nevile Hendersons, dass England im Falle

______Neutralitätsgesetzgebung. Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 223. Nachdem der Kongress im Januar 1937 für ein Embargo gegen Spanien gestimmt hatte, war diese Haltung im Laufe des Jahres zunehmend in Kritik geraten, da die deutsche und italienische Unterstützung für Francos Truppen offensichtlich geworden war. Im März 1937 schlug Senator Nye eine Resolution vor, nach der die USA das Embargo auf alle am Bürgerkrieg beteiligten Nationen, also auch Deutschland und Italien erweitern sollten. Hull und Roosevelt lehnten dies ab, weil diese Entscheidung die britischen und französischen Bemühungen einer Nicht-Intervention unterlaufen würden. Roosevelt entschied sich, an der bestehenden Spanienpolitik festzuhalten. Vgl. hierzu auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 135ff. und 142f. Vgl. auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 70. Powaski erweitert die Aussagen von Divine und Dallek: Roosevelt habe sich vor allem deshalb gegen ein Embargo bezüglich Deutschlands und Italiens entschieden, weil ihn Botschafter Bingham in London davor warnte, dass dann auch Frankreich und die Sowjetunion, die jeweils die Loyalisten unterstützten, in diese Art von Embargo inkludiert werden müssten. Vgl. insbesondere auch COLE: Isolationists. S. 223-238 zu den Zusammenhängen zwischen Spanien- und Embargopolitik und der Weiterentwicklung der Neutralitätsgesetzgebung. 1768 Vgl. Dodd an Hull, 12. Juli 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Confidential File. Mappe PSF Confidential File, Dispatches: Germany, 7/12/37 – 9/8/38. 1769 Vgl. Dodd an Hull, 14. Juli 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Confidential File. Mappe PSF Confidential File, Dispatches: Germany, 7/12/37 – 9/8/38. „The Embassy gathered that Hitler is determined to pursue this moderate course because he feels that in time Austria is bound to fall into Germany’s lap, so-to-say, and that aggressive action could only result dangerously both for German-Austrian relations and for Europe in general, as well as probably retard the achievement of the end in view”.

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einer Annexion tatsächlich stillhalten würde – Grund für Unruhe in Schuschniggs Regierung, wie Dodd beobachtete.1770 Bis zur Sommerpause 1937 hatte William Dodds Misstrauen gegenüber der deutschen Regierung einen Höhepunkt erreicht. Festzuhalten ist, dass Dodd aus den verschiedensten Gründen Aussagen von Neuraths zu diesem Sachverhalt sowie zur deutschen Sowjetpolitik keinen Glauben mehr schenkte.1771 Es mehrten sich die Gerüchte, dass Hitler sich bald selbst zum Außenminister küren und damit von Neuraths lange Amtszeit ein Ende nehmen würde.1772 Der Rückzug Dr. Kurt Schmitts aus der Politik diente als Indiz dafür, dass personelle Neuerungen an der Spitze des deutschen Staates bevorstanden. 1773 Über den amerikanischen Journalisten Karl von Wiegand erfuhr Dodd darüber hinaus, dass ebenso wie im Falle der Polizeikräfte der Einfluss der deutschen Armeeführung durch Hitlers fortschreitenden Abzug der kompetentesten Soldaten in die SS schrittweise geschmälert wurde.1774 Die anhaltende angespannte Atmosphäre in Berlin bewegte den amerika- nischen Botschafter, an Stelle eines Sommerurlaubes in Deutschland wie in den Vorjahren über die Sommermonate nach Amerika zu reisen, um dort Erholung und das Gespräch mit den führenden Persönlichkeiten

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1770 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 422. Messersmith berichtete Dodd am 12. Juli, dass die Unruhe des österreichischen Gesandten in Berlin von einem Gespräch zwischen Henderson und einem wichtigen Beamten aus Wien herrührte. Der britische Botschafter habe gesagt, dass Österreich von Deutschland annektiert werden müsse. Dies wurde sogleich Schuschnigg gemeldet, der sich sogleich in London beschwerte. Außenminister Eden gelang es, dieses Gerücht zu entkräften, Messersmith erwartete jedoch weitere Zerwürfnisse. 1771 Vgl. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 423f. Sogleich suchte Dodd das Gespräch mit von Neurath am 14. Juli. S. 424: „Von Neurath is personally opposed to much that Hitler does, but he always surrenders”. 1772 Vgl. Dodd an Moore, 29. Juli 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1935). „If Hitler becomes his own Foreign Secretary, as is constantly rumored here, my position will be still more trying”. 1773 Vgl. Schmitt an Dodd, 17. Juni 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-S. Dr. Kurt Schmitt hatte offensichtlich vor, sein Haus in Berlin zu verkaufen – Dodd hatte Interesse angemeldet, das Haus zu mieten – da er gänzlich nach München übersiedelte. 1774 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 422f. Karl von Wiegand vertraute Dodd am 12. Juli an, er habe mit General von Reichenau in München gesprochen, der höchst ungeduldig bezüglich Hitlers offenem Interventionsvorhaben in Spanien sei. Der Ausbau der SS diene vor allem dazu, eine Armeerevolte zu verhindern.

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der Roosevelt-Administration für gegenseitige Beratungen zu suchen. Sein Buch zur Geschichte des amerikanischen Südens, „The Old South“, stand kurz vor der Veröffentlichung 1775 und neben seinem gesund- heitlichen Zustand hatten auch private Beziehungen unter der Last des Amts und der parallel dazu stattfindenden zeitintensiven wissen- schaftlichen Betätigung offensichtlich gelitten. So forderte ihn seine Frau, Mattie Dodd, Ende Juli dazu auf, mehr Kontakt zu seinem Sohn zu suchen, der sich der Friedensbewegung Lord Cecils angeschlossen hatte, für die er von Amerika aus arbeitete.1776 Tatsächlich finden sich in den Folgemonaten vermehrt Briefe des Botschafters an seinen Sohn, in denen er seine Gefühls- und Gedankenwelt offenbarte.1777 In deutlich entspannterer Atmosphäre hielt der amerikanische Progressivist un- mittelbar nach seiner Ankunft in Norfolk, Virginia, ein Interview mit der Associated Press zur europäischen Lage und äußerte sich einige Zeit später auch in Williamstown, Massachusetts, zur Notwendigkeit einer Kooperation der Demokratien, um den Weltfrieden zu bewahren1778 – vermeintlich unbeobachtet von deutscher Seite. Die Geschehnisse und Beobachtungen der vergangenen Monate ließen William Dodd

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1775 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 429. George P. Brett, Jr., Präsident des Verlages der Macmillan Company, teilte Dodd mit, sein Buch werde am 26. Oktober 1937 veröffentlicht. Vgl. DODD, William Edward: The Old South. Struggles for Democracy. New York 1937. 1776 Vgl. Mattie Dodd an Dodd, 25. Juli 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern, Sept. 29, 1926 – July 25, 1937. „I do hope that you can be with William for a while. I think he needs your […] guiding influence. You have never gotten close to him, which I think is a mistake”. 1777 Vgl. zum Beispiel Dodd an William Dodd, Jr., 30. August 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence William Edward Dodd, Sr. Aug. 1 – Dec. 24, 1937. Dodd erzählt in diesem Brief von seinen Beweggründen, das State Department vor einer Teilnahme am Nürnberger Reichsparteitag zu warnen. Vgl. auch Dodd an William Dodd, Jr., 4. Oktober 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence William Edward Dodd, Sr. Aug. 1 – Dec. 24, 1937. Dodd beschwerte sich, dass die Aussicht, dass der Multimillionär und Botschafter in Moskau, Joe Davies, seinen Posten in Berlin übernehme, ihn unter größten Druck setzte: „[…] I am not physically able to serve more the [sic!] 4 months. It would defeat my major work in life [writing the Old South Volumes]”. 1778 Vgl. Dodd Rede „Can Democracy be preserved?“ vom 3. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E Dodd Speech, Article, Book File, Speech: 9-3-37 (Williamstown) „Can Democracy be preserved?” „[…] Cooperation of the United States with other democratic countries is the only means of saving self-government. May we really expect such cooperation?” Vgl. zu dieser Rede auch JONAS: The United States and Germany. S. 224.

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nicht los. In einem besorgten Schreiben an Franklin Roosevelt fasste er sein Fazit zusammen: Wenn die Vereinigten Staaten England, die Sowjetunion und die Niederlande zu einer Kooperation überredeten, könnte Hitler stürzen, da er noch nicht bereit für einen Angriffskrieg sein konnte und ein vorgezogener Kriegsbeginn seine und Mussolinis Pläne durchkreuzen würde. Der Schlüssel zu dieser Präventivpolitik liege im Fernen Osten. Ein ambitioniertes Vorgehen gegen Japan werde auch die anderen Achsenmächte stoppen: „Therefore I would, in your position, press conservative England (the Govt.) to join us in pressure upon Japan, even to send American-British across the Pacific. Later Germany and Italy might act together if this were done – now they would not move, even if they advised Japan to annex China. […] Certainly if this dictatorial system goes on two more years unchecked as in Ethiopia, Spain and now China, a combination of democratic (near democratic) states may not save themselves”.1779 Diese Erweiterung der Perspektiven Dodds auf den Asien-Pazifik-Raum als Schlüsselregion für den Weltfrieden und die weiteren europäischen Entwicklungen entsprach auch dem neuen Fokus des State Departments auf Fernost: Pierrepont Moffat erinnerte sich in seinem Tagebuch Ende August, dass die Neutralität bezüglich Japans Aggressionen mittlerweile die zentrale Frage der amerikanischen Außenpolitik darstellte: Auf welche Weise konnte die amerikanische Regierung trotz der Fesseln der Neutralitätsgesetzgebung den Vormarsch Japans aufhalten, ohne China unfreiwillig Schaden zuzufügen? „The Far East continues to hold the center of the stage. We had another hour and a half conference in the Secretary’s office, again with Admiral Leahy talking over policy. We have by now reached complete unanimity except on the question of applying the Neutrality Act and here the arguments are just about equally balanced”.1780

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1779 Dodd an Roosevelt, 26. August 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. Interessanterweise benennt Dodd hier „near democratic [states]“, womit nur die Sowjetunion gemeint sein könnte. 1780 Moffat Diary, 31. August 1937. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 03, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1937-1938. Vgl. zu den Planungen des Navy Departments ADLER: Uncertain Giant. S. 202-205. Aufgrund von Roosevelts Erfahrungen

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Nach seiner Rückkehr nach Berlin im Herbst 1937, in der letzten Phase seiner Amtszeit in Deutschland, arbeitete William Edward Dodd motiviert daran, weitere Informationen für den Präsidenten einzuholen. Im Oktober hatte Franklin Roosevelt seine an seinen Botschafter gerichtete Bitte wiederholt, zu prüfen, inwieweit eine Kooperation mit Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion zu jenem Zeitpunkt möglich sei. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass Roosevelt kurz vor Beginn der Intrige um Dodds Abberufung auf das Urteilsvermögen und die Informationen seines Botschafters zweifelsohne absolut vertraute. Roosevelt bat Dodd um weitere persönliche Briefe an ihn zur Weltlage und sprach davon, Dodds Wunschkandidaten Professor Shotwell oder den Berufsdiplomaten Hugh R. Wilson zu einem späteren Zeitpunkt zum Nachfolger in der Botschaft Berlin küren zu wollen.1781 Geradezu euphorisch teilte Dodd Judge Moore mit, der Präsident glaube ebenso wie er an die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, trotz ihrer kommunistischen Regierungsform, um die faschistischen und nationalsozialistischen Mächte von einer Unterstützung Japans abzubringen: „While the President is in no way sympathetic with communism, he thinks, as I do, that cooperation of the U.S., England and Russia is the only peace way of stopping these undeclared wars and the seizure of other people’s countries”.1782

______als Assistant Secretary of the Navy gelang es ihm in Koordination mit dem Marineministerium und dem State Department den Vinson-Trammell/Vinson Naval Expansion Act durch den Kongress passieren zu lassen. Durch dieses Gesetz konnte der Präsident die Marine bis 1942 auf die volle Stärke innerhalb der flottenvertraglichen Grenzen rüsten. Das gesamte Verteidigungsbudget wurde signifikant angehoben und relevante Rohstoffe durften in großen Mengen als Reserve gelagert werden. Vgl. zur Aufrüstung der Marine ausführlich COLE: Isolationists. S. 263-273. 1781 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 428. Diese Bitten richtete Franklin Roosevelt an Dodd bei des Botschafters Besuch auf dem Anwesen der Roosevelts in Hyde Park, NY, am 19. Oktober 1937. Wörtlich sagte Roosevelt in der Erinnerung Dodds zum Abschied: „‘Write me personally about things in Europe. I can read your handwriting very well’”. 1782 Dodd an Moore, 20. Oktober 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. Einige Jahre später erwies sich auf den Konferenzen Roosevelts mit Winston Churchill und Josef Stalin in den letzten Kriegsjahren, dass Dodd Roosevelts Haltung korrekt eingeschätzt hatte. Anders als die Nationalsozialisten galt Stalin dem Präsidenten vornehmlich als Machtpragmatiker, mit dem realpolitische Verhandlungen im Bereich des Möglichen lagen. Vgl. MADDUX: Years of Estrangement. S. 159: „Yet he [Roosevelt] never fully understood the nature of Stalin’s regime nor the implications regarding postwar cooperation with Stalin and a Soviet sphere of influence in Eastern Europe. […] Roosevelt unduly minimized the role of ideology in Soviet policy […].

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In den folgenden Wochen widmete sich der amerikanische Repräsen- tant in Berlin also der Aufgabe, für Roosevelt Informationen und Beweismittel zu sammeln und Einfluss auf Regierungsmitglieder aus- zuüben. Vorsichtig hatte er bereits bei Dieckhoff nachgefragt, ob die amerikanischen Kriegsängste berechtigt seien.1783 Denn sein französischer Kollege François-Poncet hatte von einer deutsch-italienisch-japanischen Annäherung als Folge des Besuchs Mussolinis in Deutschland gesprochen und die Annexion Österreichs und der Tschechoslowakei in greifbare Nähe rücken lassen; Der französisch-sowjetische Pakt habe keinerlei präventiv abschreckende Wirkung mehr.1784 Riesige Summen für Propa- ganda in der Schweiz und in Belgien habe die deutsche Regierung trotz ihrer Überschuldungssituation investiert, berichtete Dodd Hugh

______Unlike many officials, he felt that Stalin’s dictatorship, though interested in territorial annexations, had abandoned the goal of spreading Communism, and he preferred to focus on Moscow’s current aims and means”. Vgl. hierzu auch PERLMUTTER, Amos: FDR & Stalin. A Not So Grand Alliance, 1943-1945. Columbia, MO, London 1993. S. 211-217. Perlmutter bestätigt Maddux‘ These und geht noch weiter: Roosevelt habe Stalins Intentionen völlig missinterpretiert und damit nicht nur Osteuropa ausverkauft, sondern den Krieg durch seine Fehler verloren (S. 216f). Vgl. zu den verschiedenen Personengruppen, die Einfluss auf Roosevelts Bild von der Sowjetunion nahmen, und zum Sowjetverständis des Präsidenten selbst MADDUX: Years of Estrangement. S. 11-162. 1783 Vgl. Gesprächsnotiz Dieckhoffs zu Gespräch mit Dodd, 17. September 1937. PAAA. Büro des Staatssekretärs. Aufzeichnungen über Diplomatenbesuche. Band 1 (Best.: R 29826). MF. Dieckhoff entgegnete auf diese Frage nach eigenen Angaben, dass die Deutschen „entschlossen sind, wenn irgend möglich, den Frieden aufrecht zu erhalten”, auch die Nürnberger Reden beinhaltete keine offensiven Kriegsabsichten. Als Dodd auch nach den Rüstungsbegrenzungen fragte, wich Dieckhoff der Frage aus, indem er erwiderte, man müsse vorsichtig vorgehen „[n]ach den schlimmen Erfahrungen, welche die Welt mit den jahrelangen völlig erfolglosen Arbeiten der Genfer Abrüstungskonferenz gemacht habe”. 1784 Vgl. Dodd an Hull, 9. November 1937 (Telegramm No. 269). Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Confidential File. Mappe PSF Confidential File, Dispatches: Germany, 7/12/37 – 9/8/38. „The French Ambassador […] said the recent German, Italian, Japanese agreement is the result of the Mussolini visit to Germany […]. He says this almost guarantees German control and annexation of Austria and Czechoslovakia, and doubts whether the Franco-Russian pact of 1935 would have any preventive effect. He added that Von Papen now in Paris has asked high government official whether France would do anything if Austria were annexed to Germany”. Vgl. auch die klärenden Gespräche auf Mussolinis Deutschlandbesuch Ende September 1937 in ADAP, Serie D, Bd. I Dok. 1 und 2 (S. 3-7).

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Wilson.1785 Die Propagandaaktivitäten in Europa, gepaart mit denjenigen in Lateinamerika, 1786 weckten in dem amerikanischen Botschafter zunehmend die Angst vor einer Achse der Diktaturen, die vor nichts mehr zurückschrecken würde.1787 Dodd drängte in einem persönlichen Brief den amerikanischen Delegierten auf der Brüsseler Konferenz zum Neun-Mächte-Vertrag1788, Norman Davis, darauf hinzuarbeiten, dass Großbritannien, Frankreich und die USA sich auf ein Vorgehen gegen Japan einigten, bevor der asiatische Inselstaat und die italienische

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1785 Vgl. Dodd an Hugh R. Wilson, 18. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-W. Besonders in Belgien dienten jene Gelder dafür, den Faschisten DeGrelle zu unterstützen. 1786 Vgl. zu den deutschen Aktivitäten in Lateinamerika 1937/38 WEINBERG: The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Bd. 2. S. 249-260. 1787 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 432f. Dodd konferierte mit Bullitt am 18. November, nachdem dieser von einer dreitägigen Reise aus Warschau zurückkehrte. Dodd zeigte sich besorgt über (S. 423:) „so many efforts to make a solid Fascist front from Rome to Tokyo and similar efforts to swing Latin America into alliances with these Berlin-Rome dictators […]”. 1788 Diese Konferenz war durch den Genfer Völkerbund ins Leben gerufen worden, um die Fernostkrise in Hinblick auf das Neun-Mächte-Abkommen zu adressieren und die Lage in China zu stabilisieren. Vgl. zu dieser Konferenz und der Frage einer amerikanischen Teilnahme ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 39-47. Rock weist auf den Forschungs- diskurs hin, in dem debattiert wird, inwiefern Roosevelts Haltung zu dieser Konferenz durch die Reaktionen auf seine Quarantänerede beeinflusst wurde. Vgl. BORG: The United States and the Far Eastern Crisis. S. 433 Endnote zur Quarantäne-Rede und HAIGHT, John M.: Roosevelt and the Aftermath of the Quarantine Speech. In: Review of Politics 24 (1962). S. 252. Vgl. auch Roosevelts offizielle Stellungnahme zur Brüsseler Konferenz: „Presidential Statement on the Brussels Conference on the Far Eastern Situation”. October 20, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 141. S. 462-464. Insbesondere S. 463f. mit Roosevelts Bemerkungen zum Hintergrund der Konferenz. Weder das nationalsozialistische Deutschland noch Japan nahmen an der Konferenz teil, dafür aber die Sowjetunion, die selbst nicht Vertragspartei des Neun-Mächte-Vertrages von 1922 zwischen den USA, Belgien, Großbritannien, China, Frankreich, Italien, Japan, den Niederlanden und Portugal war. Vgl. auch WILTZ: From Isolation to War. S. 61. Besonders Cordell Hull hatte sich für eine Teilnahme der USA an dieser Konferenz eingesetzt. Vgl. auch S. 63f. zum Einfluss des State Departments auf die Rolle der USA bei dieser Konferenz. Vgl. zur Konferenz auch DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 210f., 214f. und DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 150-153. Die Konferenz begann am 3. November und endete am 24. November 1937 in Brüssel und wurde von parallelen hitzigen Debatten im US-Kongress um die amerikanische Neutralität begleitet. Vgl. ADLER: Uncertain Giant. S. 193. Selig Adler behauptet, die Brüsseler Konferenz habe der internationalen Lage Schaden zugefügt. Während die chinesische Regierung die Hoffnung auf eine internationale Unterstützung verloren hatte, hatte die japanische Führung nun das Ziel eines Sieges über das geschwächte Nachbarland fester im Blick als jemals zuvor.

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Diktatur einer gemeinsamen Seestrategie folgten und die asiatischen und die mediterranen Meere beherrschten: „[…] [C]ooperation of the Japanese and Italian navies would certainly break English influence and power in case our navy remained neutral”. 1789 Obwohl die USA auf Präsident Roosevelts Weisung hin keine Verpflichtungen in Hinblick auf die Konferenz eingingen und Norman Davis damit weitestgehend auf einen Beobachterstatus beschränkt war,1790 zeigt Pierrepont Moffats Tagebuch- eintrag zu den Treffen des Außenministers und hoher Beamter des State Departments mit amerikanischen Admiralen, dass auch das State Department sich zunehmend mit marinestrategischen Gefahrenpoten- tialen für amerikanische Interessen auseinandersetzte.1791 Dem Präsidenten gegenüber zählte dessen Botschafter in Deutschland noch weitere Gefahren auf: Die deutsche Bevölkerung, ohnehin begeistert von der Idee von Annexionen, stehe nun, da die deutsche Isolation durch die deutsch-italienische und deutsch-japanische Annäherung überwun- den sei und sich weitere Bündnispartner wie Polen1792 anböten, in der Außenpolitik völlig hinter ihrem „Führer“. Als Überseemächte würden darunter vor allem die USA und England leiden und massive Handels- einbußen hinnehmen müssen, wenn das nationalsozialistische Deutsch- land Schritt für Schritt die Vereinigten Staaten aus den Märkten in

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1789 Dodd an Norman Davis, 5. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D. Eine aktivere Rolle der Sowjetunion, wie sie sich Dodd wünschte, blieb für diese Konferenz aus. Vgl. MADDUX: Years of Estrangement. S. 95f. Außenminister Cordell Hull habe laut Maddux Roosevelt direkt von Dodds Empfehlungen einer Annäherung an die Sowjetunion im Herbst 1937 abgebracht. 1790 Vgl. „Presidential Statement on the Brussels Conference on the Far Eastern Situation”. October 20, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 141. S. 463. Roosevelt bemerkte in seiner offiziellen Stellungnahme zur Brüsseler Konferenz: „Mr. Davis, of course, will enter the conference without any commitments on the part of this Government to other governments”. Vgl. hierzu auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 182-188. Junker stellt fest, dass Roosevelt durch seine Verweigerung der aktiven Unterstützung für Großbritannien in Brüssel die daraufhin einsetzende Appeasement- politik der Regierung Chamberlain mitverschuldet habe. 1791 Vgl. Moffat Diary, 31. August 1937. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 03, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1937-1938. Vgl. zu den neuen Erwägungen im State Department auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 196-199. 1792 Vgl. zu den deutsch-polnischen Beziehungen BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 201.

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Fernost und Lateinamerika drängte 1793 . Eine isolationistische Politik, schrieb Dodd dem amerikanischen Senator und Wortführer der Isola- tionisten im Kongress, LaFollette Junior, sei in Hinblick auf diese Gegebenheiten zum Scheitern verurteilt: „[…] [I]f keeping out of inter- national wars means the loss of our commercial relations with so many parts of the world […], I no longer believe in isolation”.1794 Wenige Tage vor seiner Abberufung benachrichtigte Dodd den Außenminister, dass die Brüsseler Konferenz in Deutschland weiterhin nur Hohn und Spott ausgesetzt sei. Ähnlich wie der Präsident aber sei er überzeugt, dass eine solide Front unter Einschluss der Sowjetunion gegen den Faschismus der letzte Hoffnungsträger sein würde.1795 Als William Dodd von Cordell Hull am 23. November 1937 die über- raschende Nachricht erhielt, nun doch vorzeitig und unverzüglich seinen Posten in Deutschland verlassen zu müssen, nutzte der amerikanische Botschafter seine letzten Wochen in Europa, um weitere Argumente für eine offensivere amerikanische Außenpolitik vorzubringen. Der Angriff auf englische und britische Schiffe in China im sogenannten Panay- Vorfall1796 galt ihm als Indiz dafür, dass die Sowjetunion der chinesischen

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1793 Vgl. Dodd an Roosevelt, 12. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „We have now no more isolation. […] That is, the Führer, here as in Rome, in spite of debts […] thinks that Germany must dominate Europe and crowd the United States out of its position in Latin America and the Far East”. 1794 Dodd an Senator Robert M. LaFollette, 15. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-L+M. „I cannot help thinking that a boycott applied by the United States and England to Japan might be an effective remedy […]”. 1795 Vgl. Dodd an Hull, 15. November 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „The Brussels Conference is being ridiculed here. […] [W]e [Roosevelt and I] both agreed that even Russia ought to be asked to join a ‘solid front’”. 1796 Vgl. zum Panay-Vorfall Roosevelts „Memorandum to the Secretary of State on the Bombing of the S.S. Panay by the Japanese”. December 13, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 162. S. 541f. Insbesondere Roosevelts Anmerkungen zu diesem Dokument auf diesen Seiten. Am 12. Dezember 1937 hatten japanische Flugzeuge ohne Warnung oder Provokation das amerikanische Kanonenboot S.S. Panay auf dem Jangtse-Fluss in China unter Beschuss genommen und versenkt. Drei weitere, begleitende US-Handelsschiffe wurden ebenso angegriffen und zwei von ihnen versenkt. Am 14. Dezember äußerte der japanische Außenminister eine Entschuldigung und im April 1938 wurde der Fall durch eine hohe Entschädigungssumme Japans an die USA ohne weitere Konsequenzen abgeschlossen. Vgl. WILTZ: From Isolation to War. S. 64f. Wiltz stellt fest, dass vor allem das State Department keine dauerhafte Auseinandersetzung mit Japan über diesen Vorfall wünschte und deshalb zu einer raschen Beilegung bereit war. Vgl. zu

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Regierung helfen wollte, aber aufgrund mangelnder Absicherung in Bündnissen nicht konnte. Mit Nachdruck riet er deshalb Roosevelt nochmals zu einem Boykott gegen Japan.1797 Ökonomische Maßnahmen wie diese könnten, schrieb er Hull, einen Krieg verhindern. Deutschland werde, so hatte es ihm von Neurath abermals bestätigt, an seinem Autarkiesystem und dem Kolonialwunsch festhalten. 1798 Ein massives ökonomisches Einschreiten gegen die japanische Aggressionspolitik werde die weitere Verfolgung der wirtschaftlichen und militärischen Pläne Hitlers und Mussolinis zunichtemachen, da die ohnehin knapp gehaltenen Bevölkerungen beider Staaten einen frühzeitigen Krieg nach dem gescheiterten japanischen Vorbild verweigern würden: „Contineued [sic!] delay, however, means that democratic civilization will be lost”.1799 Der größte Fehler, den die internationale Staatengemeinschaft 1937/1938 begehen könnte, darin waren sich William Dodd und der neu ernannte Assistant Secretary of State George Messersmith 1800 einig, war eine Appeasementpolitik, die souveräne Staaten als Zielobjekte der Diktatoren ausverkaufte, um einen Frieden von zweifelhafter Dauer zu bewahren. Roosevelts „Personal Diplomacy“1801 mit der britischen Regierung in den ______diesem Vorfall auch BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 415f., MacDONALD, C.A.: The United States, Britain and Appeasement, 1936-1939. Oxford 1981. S. 50-62 und DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 153ff. Für Dallek steht fest, dass die schnelle Erledigung des Panay- Vorfalles Roosevelt ermöglichte, seine Aufmerksamkeit rasch wieder der europäischen Politik zuzuwenden (S. 155). Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 289-292. Freidel wirft ein, dass Roosevelt dennoch nie die Entwicklungen im Fernen Osten aus dem Blick verlor. Noch im Dezember habe er Captain Royal E. Ingersoll, einen Experten für Kriegsplanung, nach London geschickt, um dort mit der Admiralität über eine mögliche Handelsblockade gegen Japan zu diskutieren (S. 292). 1797 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 438f. Dodd sprach hierüber mit dem sowjetischen Botschaftsrat in Berlin am 14. Dezember 1937. Dodd verpackte diese Informationen danach in einen Brief an Roosevelt. Vgl. Dodd an Hull und Roosevelt, 14. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. 1798 Vgl. Dodd an Hull, 12. Dezember 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „Prompt economic action would prevent both [gradual surrender of democracies […] or a terrific war]”. 1799 Dodd an Hull und Roosevelt, 14. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. 1800 STILLER: Messersmith. Für seine Zeit als Assistant Secretary of State 1937 bis 1940 vgl. S. 96-145. 1801 HARRISON: Presidential Démarche. S. 245-272. Harrison argumentiert, dass Roosevelt auch schon vor 1938 ernsthafte Versuche in Richtung einer amerikanisch-britischen Kooperation angestellt habe und diese von Außenminister Eden und Vansittart begrüßt

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Jahren 1936/37 beweist, dass der Präsident diese Meinung seiner pro- gressiven Diplomaten teilte und dass ein diplomatischer Erfolg von den Beziehungen zu hierfür aufgeschlossenen Diplomaten der Westmächte abhing. Großbritannien käme deshalb in mehrfacher Hinsicht eine entscheidende Rolle zu, resümierte Messersmith: „ It is clear that the way to a better situation is not through concessions but by a firm stand. This does not yet seem thoroughly understood in London. It would indeed be a dangerous mistake if London should decide on a course for further concessions which will be entirely useless. Every concession made in the past has been without effect. Every further concession made will be taken in Berlin as a sign of weakness and whet the appetite for more. […] The mistakes which England has and may make are important to us and for that reason I think we have a very deep and vital interest in British policy”.1802

6.2. „Open Conflict and New Alliances”. Dodd im transatlantischen Spannungsfeld der deutschen und der amerikanischen Außenpolitik 1937

6.2.1. Persona non grata. Dodds verschärfte Kritik am nationalsozialistischen Regime und die Reaktionen in Berlin Die amerikanischen Überlegungen zu Neutralität und weltpolitischem Engagement blieben dem Auswärtigen Amt in Berlin nicht verborgen. Im Februar 1937 hatte der scheidende Botschafter Hans Luther an seine Vorgesetzten ein Schreiben gerichtet, in dem er zwar keine offiziellen Neuerungen der außenpolitischen Linien nach Roosevelts Wiederwahl melden konnte, aber eindringlich festhielt, dass Roosevelts Außenpolitik für einige Überraschungen sorgen werde. Ein Ende der strikten Isola- tionspolitik zeichne sich ab und die Bedeutung der Freundschaft zu Großbritannien spiele eine immer größere Rolle in des Präsidenten

______worden seien (S. 245f.). Dafür habe er sich sogar zeitweise mit Hull angelegt, der auf seinem Freihandelsprinzip, das dem britischen Handelssystem zuwiderlief, bestand und Minister Morgenthau für seine Diplomatieversuche eingesetzt (S. 252). Die verschiedenen Auffassungen zwischen Roosevelt und Premierminister Chamberlain sowie die darauf folgende Berufung des konservativen Botschafters Nevile Henderson in Berlin anstelle von Sir Eric Phipps beendeten diese Initiative Roosevelts (S. 270f.). 1802 Messersmith an Dodd, 27. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”).

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Abwägungen. Generell könne Roosevelt als direkter Erbe der geistigen und politischen Schwerpunkte der Politik Woodrow Wilsons bezeichnet werden: „Es ist aufgefallen, daß Präsident Roosevelt sich während des Wahl- kampfes mit aktuellen außenpolitischen Angelegenheiten der Vereinigten Staaten überhaupt nicht befasst hat. […] Man ist demnach versucht, den Beginn einer Folge von Überraschungen vorauszusagen, die der tatkräftige und tatenlustige Präsident auch auf außenpolitischem Gebiet vorbereiten könnte. […] Die Voreingenommenheit […] nimmt dadurch wesentlich zu, daß der Amerikaner in der in ihn hineingeredeten und hinein- geschriebenen Gegenüberstellung von Faschismus und Demokratie als im Wettkampf stehende und um die Vormacht ringende Mächte sich für die Demokratie, d.h. für das, was er unter Demokratie versteht, entscheidet. […] Noch größeres Schwergewicht kommt von der politischen Seite. Man fühlt, daß eine Politik der Absonderung nicht nur eine Utopie darstellen würde, sondern einem Aufgeben des Anspruchs, als politische Großmacht zu gelten, gleichkommen würde. […] Wenn wir auch als Deutsche wissen, daß die Vorstellung von einem deutschen Angriffskrieg in das Gebiet überhitzter Phantasien gehört, so können wir diese Erkenntnis in Amerika leider nicht voraussetzen. […] Die amerikanischen Interessen gehen eben weltpolitisch dahin, daß eine Schwächung Englands […] vermieden werden muß, um die englische Weltmacht ungeschwächt zu halten […]. [Es besteht vor allem die Sorge], daß die vereinte Macht Englands und Amerikas eines Tages vielleicht nicht ausreichen würde, um der japanischen Gefahr zu begegnen; nämlich dann nicht, wenn England in einem großen europäischen Krieg auf Leben und Tod […] verwickelt würde […]. […Die USA werden] für uns die gleiche Rolle spielen wie vom Jahre 1914 an, die noch dadurch gesteigert sein würde, daß ein weltanschaulicher Gegensatz hinzukommt, wie er in solcher Schärfe bei Ausbruch und im Verlauf des Weltkrieges niemals bestanden hat. […] Die Parallele mit der Haltung Wilsons im Jahre 1917 und Roosevelts im Jahre 1937 drängt sich unwillkürlich auf. Beide haben innerlich gegen Deutschland Partei genommen, weil sie in einer völlig anderen Gedankenwelt als der unsrigen leben”.1803

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1803 Luther an das Auswärtige Amt, Inhalt: Amerikanische Neutralitätspolitik und ihre Aussichten, 15. Februar 1937. PAAA. Pol. IX USA 82. Po23 – Nr. 1 USA Neutralitätsfragen, 25. Mai 1936 bis 29. Juni 1937. Band 1 (Best.: R 105004). Vgl. hierzu Roosevelts Aussagen, die seine Politik direkt mit dem Erbe Wilsons verbanden: „‘We in Turn Are Striving to Uphold the Integrity of the Morals of Our Democracy.‘ Address at the Jackson Day Dinner”, Washington, D.C. January 8, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7: The

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Bei der Lektüre dieser Quelle ist bemerkenswert, dass die Ängste vor einem deutschen Angriffskrieg durch den deutschen Botschafter als völlig unbegründet dargestellt werden. Vielmehr werde der Gegensatz des nationalsozialistischen und des amerikanischen Systems in die Amerikaner „hineingeredet”. Wen konnte das Auswärtige Amt ein- deutiger für diesen Einfluss auf die öffentliche Meinung, aber auch Roosevelt selbst verantwortlich machen, als den amerikanischen Bot- schafter William Edward Dodd, der unaufhörlich vor dem National- sozialismus, dem weltanschaulichen Gegensatz und der Gefahr einer ähnlichen Diktatur in Amerika warnte und damit selbst politisch desinteressierte Amerikaner aufmerken ließ? Die Einstellung des Aus- wärtigen Amtes gegenüber William Dodd stellte eine erste von insgesamt drei Perspektiven auf die Umstände und Hintergründe zu der Rück- berufung des Botschafters Ende 1937 dar. Während Luther noch im April Entwarnung nach Berlin gab, dass die Vereinigten Staaten zwar Furcht vor dem Verlust ihres Großmacht- status hätten und das State Department die Neutralitätsgesetzgebung verdamme, das Neutralitätsgesetz aber restriktiv bleibe,1804 fasste Hans Heinrich Dieckhoff, wenige Zeit vor seiner Ernennung zum neuen Botschafter in Washington, seine Beobachtungen Ende Juli wie folgt zusammen: Die amerikanische Neutralitätsgesetzgebung versetze die USA in ein Dilemma bezüglich der Atlantik- und der Pazifikregion und lasse immer deutlicher zu Tage treten, welche Utopie eine Isolation des Landes wirklich sei. Mit dem bekannten Isolationskurs konnte die deutsche Führung folglich nicht mehr für unbegrenzte Zeit rechnen, ______Continuing Struggle for Liberalism 1938 (1941). Dokument 5. S. 45. „Once more the head of the Nation is working with all his might and main to restore and to uphold the integrity of the morals of democracy – our heritage from the long line of national leadership – from Jefferson to Wilson […]”. 1804 Vgl. Luther an das Auswärtige Amt, 6. April 1937. PAAA. Botschaft Washington, Akten betreffend Allgemeine auswärtige Politik der USA, vom 1. März 1936 bis 30. November 1937, Politik 2b. Band 5. (Best.: Washington 968). „Gegenüber dem jetzt zu erwartenden Gesetz muss indessen nach wie vor davon ausgegangen werden, daß die rein europäische Blickrichtung beibehalten werden wird. Langsam melden sich die Stimmen zu Wort, die der Ansicht sind, daß der Gesetzentwurf [zum neuen Neutralitätsgesetz] in beiden Fassungen zu einseitig auf das Bestreben abgestellt ist, die Verwicklung in europäische Konflikte zu vermeiden, und daß er der Möglichkeit anderer Gefahren nicht gerecht wird. Diese Kritiker sind ganz besonders auch unter den leitenden Beamten des State Departments zu finden. Sie haben sich von vornherein mit dem Gedanken einer Kodifizierung der amerikanischen Haltung zu den Kriegen anderer Mächte nicht befreunden können […]”.

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zumal sich Außenminister Hull klar positioniert hatte, jeder Konflikt auf der Welt könne die nationale Sicherheit und Interessen der USA beeinträchtigen.1805 In das Zentrum dieser Beobachtungen rückte damit unvermittelt auch der amerikanische Botschafter, William Dodd, an dessen Äußerungen, Berichterstattung und Handlungen das Auswärtige Amt und die nationalsozialistische Führung seit seinem Amtsantritt wenig Gefallen gefunden hatten. In den Beständen der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes befindet sich eine Vielzahl von amerikanischen Presseclippings über Dodd, die Dieckhoff und andere Beamte zusammengetragen hatten.1806 Nach der Veröffentlichung von Dodds Brief am 12. Mai 1937 an mehrere amerikanische Senatoren zu deren Blockadepolitik gegen Roosevelts Justizreform – Gegenstand eines der folgenden Kapitel – vermutete Dieckhoff, Dodd könnte den Brief absichtlich verfasst und veröffentlicht haben, um Roosevelt einen bis dahin fehlenden Grund für seine Abberufung zu liefern.1807 Wenn sich auch Willam Edward Dodd dessen nicht immer bewusst war: Alle seine Äußerungen ob schriftlicher oder mündlicher Natur waren von Interesse im Amt und wurden direkt verfolgt. Cordell Hull gegenüber drückte Dodd Ende Mai seine Verwunderung darüber aus, dass das deutsche Führungspersonal nach Bekanntmachung des Briefes an Senator Robert Bulkley, den er schon am 1. März als vertraulichen

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1805 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 31. Juli 1937. PAAA. Pol. IX USA 83. Po23 – Nr. 1 USA Neutralitätsfragen, 12. August 1937 bis 11. August 1939. Band 2 (Best.: R 105005). „Die jetzt entstandene Lage ist erneuter Beweis dafür, daß eine völlige Isolierung Amerikas vom übrigen Weltgeschehen eine Utopie ist. Daß sie als solche von den maßgebenden Männern in der Regierung anerkannt wird, hat die vorsichtig formulierte Erklärung bewiesen, die Staatssekretär Hull vor etwa 14 Tagen abgegeben hat. Das Kernstück dieser Erklärung enthielt die Feststellung, daß jeder Konflikt, wo auch immer er in Erscheinung trete, die Vereinigten Staaten und ihre Politik zwangsläufig in Mitleidenschaft ziehe”. 1806 Vgl. zum Beispiel die Presseclippings der Politischen Abteilung IX USA 73, die vermutlich durch Dieckhoff bzw. die deutsche Botschaft Washington zusammengetragen worden waren: PAAA. Pol. IX USA 73, Po5. Band 2 (Best.: R 104995). 1807 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: Veröffentlichung eines politischen Briefes des Botschafters Dodd an mehrere Senatoren, 20. Mai 1937. PAAA. Pol. IX USA 73. Po5. Band 2 (Best.: R 104995). Dieckhoff bemerkt, die Einmischung des Botschafters in eine innenpolitische Kontroverse werde „zum mindesten als ausserordentlich peinlich und traditionswidrig empfunden”. Dieckhoff bezieht sich hier auf die Bewertung durch die Zeitung Washington Herald, Dodd habe Roosevelt die Abberufung erleichtern wollen. Der Leiter der Westeuropäischen Abteilung im State Department (hier kann nur Pierrepont Moffat gemeint sein) habe auf einen eventuellen Botschafterwechsel hingewiesen.

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Brief versandt hatte, ihm merkwürdig freundlich begegnete, und er ver- mutete, dass dies an seiner lediglich auf inneramerikanische Ereignisse fokussierten Kritik lag.1808 Seltsam mutet auch an, dass Staatssekretär von Mackensen ihm in einem Gespräch Ende Juni geradezu die Worte in den Mund legte, dass hinter der versuchten Sabotage an einem deutsch- brasilianischen Wirtschaftsabkommen nur der neue Under Secretary of State, Sumner Welles, stecken könnte: „Mr. Dodd erklärte, daß ihn das Problem bisher nie als näher beschäftigt habe, jedoch sei er erstmalig bereits vor 14 Tagen vom Reichsbank- präsidenten Schacht darauf angesprochen worden, daß von Seiten der Regierung in Washington gegen die Verlängerung des deutsch-brasilia- nischen Wirtschaftsabkommens von 1936 agitiert werde. Er habe damals sich sofort telegrafisch an den Staatssekretär Hull gewandt und von diesem umgehend die Antwort bekommen, daß ihm von einer solchen Einwirkung nichts bekannt sei. Als ich dem Botschafter gegenüber [erwähnte], daß der Widerstand nach unseren Nachrichten insbesondere von Sumner Welles ausgehe, erklärte er, mit der Nennung dieses Namens werde ihm manches verständlich. [Dodd könne sich vorstellen, das Hulls Antwort zutreffend gewesen sei], daß sich aber seither – Sumner Welles ist erst kürzlich ernannt worden – die Dinge in der Tat verschoben hätten. Vertraulich wolle er bemerken, daß Hull ein ausgesprochener Gegner der Ernennung Sumner Welles‘ gewesen sei. […] Es war nicht uninteressant, daß Mr. Dodd meinen Hinweis auf den Widerspruch zwischen der gegenwärtigen Haltung der Vereinigten Staaten und den sonst von ihr stets proklamierten Grundsätzen mit lebhafter Zustimmung quittierte”.1809 Im Studium der Quellen aus dem Auswärtigen Amt sowie der State Departments entsteht an dieser Stelle ganz besonders der Eindruck, von Mackensen und Dieckhoff stellten dem amerikanischen Botschafter „Fangfragen“, um seine Schwachpunkte und Meinung in Erfahrung zu bringen. Von Mackensens Konversation mit Dodd erscheint „gewollt“, um

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1808 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 407f. Dodds Brief an Senator Bulkley vom 1. März 1937 wurde offensichtlich am 12. Mai 1937 von der Presse veröffentlicht. Vgl. auch Dodd an Hull, 23. Mai 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „The way the Senators howled about my letter of March 1, has not been so much as mentioned to me here. […] German officials as well as others were unusually friendly”. 1809 Vgl. Gesprächsnotiz Mackensens zu Gespräch mit Dodd, 30. Juni 1937. PAAA. Büro des Staatssekretärs. Aufzeichnungen über Diplomatenbesuche. Band 1. Mikrofiche 1502. (Best.: R 29826).

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Dodds Verhältnis zu Sumner Welles als wichtigster Führungskraft nach Cordell Hull im State Department abzufragen und entsprechende Schlüsse auf interne Machtverhältnisse in der amerikanischen Behörde und im Kabinett zu ziehen. Diese Interpretation liegt deshalb nahe, weil insbesondere Sumner Welles in Dieckhoffs Erinnerung als stets sehr kooperationsbereit mit dem Auswärtigen Amt aufgetreten war und deshalb den Beamten des Auswärtigen Amtes kaum als tatsäch- licher Drahtzieher neuer Politiklinien gegen deutsche Interessen gelten konnte.1810 Entgegen William Dodds Vermutungen hatte auch sein Sommerauf- enthalt in den USA die deutschen Blicke auf sich gezogen. Am 5. August legte Dieckhoff bei Cordell Hull Protest über Dodds Äußerungen in einem Interview mit der Associated Press nach seiner Ankunft in Norfolk ein und warnte vorgeblich vor dem möglichen Gesichtsverlust Dodds bei seiner Rückkehr nach Berlin.1811 Gleichzeitig ermahnte der berechnende deutsche Botschafter die Zentrale in Berlin von zu großer Medienauf- merksamkeit für Dodd in Deutschland abzusehen: „Ich würde es für gut halten, wenn dieser Zwischenfall in der deutschen Presse ignoriert oder jedenfalls nicht zu groß aufgemacht würde, damit die hier seit längerer Zeit an verschiedenen Stellen vorhandene Geneigtheit, Dodd von Berlin abzuberufen, hierdurch nicht retardiert wird”.1812

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1810 Vgl. Dieckhoff an Weizsäcker, 20. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff, Juni 1937 - April 1938, Erlasse und Berichte Washington - Berlin. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Herr Hull ist zwar ein etwas in den Wolken lebender Ideologe, der persönliche Verkehr mit ihm spielt sich indes stets in anständigen Formen ab, und mit dem Unterstaatssekretär Sumner Welles kann ich gut zusammenarbeiten”. Vgl. auch HARPER: American Visions. S. 57. Welles vertrat vor allem eine antifranzösische und antibritische Einstellung im State Department und sprach sich skeptisch gegenüber einer Kooperation mit den Westmächten gegen Deutschland und Italien aus. 1811 Vgl. Gesprächsnotiz Dieckhoffs zu Gespräch mit Hull, 5. August 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Hull versicherte Dieckhoff zwar, Dodd habe „kein bestimmtes Land im Auge gehabt […], sondern daß es sich um die bekannte ideologische Einstellung des Gelehrten handle”. Dieckhoff kommentierte, er würde es sehr bedauern, wenn durch diese Äußerungen „die persönliche Stellung des Herrn Dodd in Berlin in Mitleidenschaft gezogen werden könnte”. 1812 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 5. August 1937. PAAA. Pol. IX USA 55. Po2 USA. Akten betreffend: Politische Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Deutschland, 5. August 1937 bis 24. Dezember 1937. Band 3 (Best.: R 104977). Dieckhoff gab dem Amt entsprechende Empfehlungen für die weitere Behandlung Dodds.

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Offensichtlich war der deutsche Botschafter der Meinung, im Falle einer größeren medialen Aufmerksamkeit würde sein amerikanischer Konterpart vermutlich Rückendeckung in der amerikanischen liberalen Öffentlichkeit erhalten, die seine Abberufung, die man im Department seit Längerem plante, verzögern würde. Dieckhoff war nicht der Ein- zige, der in dieser Angelegenheit ein doppeltes Spiel spielte. Cordell Hull gesteht in seinen eigenen Notizen zum Gespräch mit Dieckhoff, er habe diesen beschwichtigt, indem er Dodd als fast besessen von der Friedens- und Demokratieidee bezeichnet hatte. 1813 Dodd gegenüber versicherte der Secretary of State allerdings, dass er ihn unbedingt weiterhin auf dem Berliner Posten halten und ebenso wenig wie dieser den Millionär und Botschafter in Moskau, Joe Davies, als Repräsentant in Deutschland sehen wolle. Hull zeigte sich darüber hinaus erleichtert, dass Roosevelt Dodd offensichtlich überzeugt hatte, entgegen früherer Pläne im Jahr 1937 nicht zum Sommer zurückzutreten, sondern für weitere Monate nach Berlin zurückzukehren.1814 Ohne zu zögern sandte der amerikanische Repräsentant in Berlin seinem Vorgesetzten eine Kopie seines Interviews mit der Associated Press, das aus für Dodd unerklärbaren Gründen zu Dieckhoffs offiziellem Protest geführt hatte. Auch wenn William Edward Dodd das Gegenteil behauptete, für den versierten Beobachter der weltpolitischen Ereignisse konnte Deutschland zwischen den Zeilen seinsr Interviews eindeutig als eines derjenigen Länder identifiziert werden, die den Frieden aus Dodds Sicht störten.1815

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1813 Vgl. Memorandum Hulls über Gespräch mit Dieckhoff, 5. August 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949. Subject File Germany 1933-38 (memoranda of conversations with representatives of other countries) (Reel 29 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „I replied that I had not seen any copy of the authorized statement of Dodd; that it is true he has almost an obsession on the question of peace and democracy […], but never, so far as I know, singling out Germany and personating her […]. […] I said […] his whole mind is on the broad world tendencies”. 1814 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 426f. Dodd sprach mit Hull persönlich im Weißen Haus über diesen Vorfall am 11. August. Hull sprach offen über seine Aussagen gegenüber Dieckhoff. S. 427: „He [Hull] made it plain that he did not wish Davies to be Ambassador to Berlin and he seemed glad to know I had been urged to return even for three months”. 1815 Vgl. Dodd an Hull, 31. August 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). In dem diesem Brief angehängten Exemplar des gedruckten Interviews ist zu lesen: „A basic objective of some powers is to frighten, even destroy democracies everywhere; and there are powerful groups in all the democratic countries whose hope and prayer is to make an end of the civilization which Luther, Calvin, John Locke, and Jefferson did so much to create”.

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Vielmehr geriet auch der amerikanische Außenminister mit seinen freien Äußerungen zur Notwendigkeit eines freien internationalen Handels zunehmend in die deutsche Kritik: Als die amerikanische Botschaft in Berlin eine deutsche Stellungnahme zu einer von Hulls Reden im Sommer 1937 erbat, um die deutsche Haltung zu seinen Ideen besser nachvollziehen zu können, erinnerte sich Dieckhoff schlichtweg daran, Dodd habe diese Erklärung angeblich längst erhalten, aber nicht an das State Department weitergeleitet.1816 Dieckhoff ließ unerwähnt, dass die deutsche Führung Cordell Hulls ökonomisch-politischen Ansatz keines- falls teilte, und lenkte die Aufmerksamkeit bewusst auf Dodds angeb- liches Versäumnis. Einen Höhepunkt erreichte die Kritik des Auswärtigen Amtes an dem Verhalten des amerikanischen Botschafters mit William Dodds Rede zum notwendigen verstärkten Engagement der USA in der Welt sowie durch die ungewollte Veröffentlichung seines vertraulichen Briefes an Cordell Hull Anfang September, in dem er eindeutig begründete, warum sein Botschaftsrat und Vertreter während seiner Abwesenheit in Berlin, Prentiss Gilbert, nicht am Nürnberger Reichsparteitag teilnehmen dürfe.1817 Das State Department ignorierte Dodds Warnungen, der selbst

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1816 Vgl. Aufzeichnung Dieckhoff, 12. August 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Dieckhoff schrieb hier in seinen Aufzeichnungen, die Erklärung Hulls vom 16. Juli sei am 17. Juli an alle amerikanischen Vertretungen versandt worden, um diese an alle ausländischen Regierungen mit Bitte um Stellungnahme zu verteilen. Dodd sei am 20. Juli beim Staatssekretär vorstellig geworden und habe die folgende Stellungnahme mündlich erhalten: „Die Reichsregierung hat mit gebührendem Interesse von dem Statement des Herrn Staatssekretärs Hull Kenntnis genommen. Ihre Grundeinstellung läuft, wie allgemein bekannt, auf die Regelung internationaler Beziehungen durch friedliche Verständigung hinaus, deckt sich also mit den von dem Herrn Staatssekretär entwickelten Gedanken”. Dieckhoff kritisierte: „Dodd hat diese Erklärung offenbar nicht an das State Department weitergegeben“, denn die amerika- nische Botschaft hatte nochmals am 5. August um eine Stellungnahme gebeten. Vgl. auch „Statement given out by honorable Cordell Hull, Secretary of State”, 16. Juli 1937. PAAA. Büro des Staatssekretärs. Aufzeichnungen über Diplomatenbesuche. Band 1. Mikrofiche 1502. (Best.: R 29826). Hull hatte in seiner Rede vom 16. Juli 1937 unter anderem geäußert: „There can be no serious hostilities anywhere in the world which will not one way or another affect interests or rights or obligations of this country. […] We avoid entering into alliances of entangling commitments but we believe in cooperative effort by peaceful and practicable means […]”. 1817 Vgl. Dodd an Moore, 19. August 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. Dodd erklärte sich Moore gegenüber nochmals, warum er den Brief an Hull versandt hatte: „Before I left Berlin there had been much

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nie an dem Parteispektakel teilgenommen hatte, und erlaubte Gilbert die Partizipation.1818 Die New York Times berichtete, die US-Behörde habe dies entschieden, um keinen Ausnahmefall darzustellen, wenn andere Länder ihre Vertreter in jenem Jahr auf den Parteitag entsandten. Tatsächlich sei dies eine Abkehr des Departments von der bisherigen Praxis, um die Lage generell nicht eskalieren zu lassen. 1819 William Dodd konnte sich dieses Verhalten der amerikanischen Behörden nicht erklären. Wahrscheinlich vermerkte er deshalb auf dem Rand eines Presseausschnittes aus der Zeitung Der Angriff handschriftlich: Warum leugnen Hull und Roosevelt dies nicht? 1820 Der Angriff hatte die Behauptung aufgestellt, Dodd sei wegen seiner kritischen Äußerungen in Deutschland im State Department, das jede Aussage verweigere, in Ungnade gefallen. Für den amerikanischen Botschafter stand fest, dass jemand aus dem Department selbst den Brief an Hull an die Presse weitergegeben haben musste. Die Veröffentlichung des Briefes im

______pressure on all the diplomats except myself to compel them to attend the party show and parade in Nurmberg [sic!], set for the first week in September. […] Nearly all other diplomats from democratic countries stayed away 1933-1936. […] When I was invited in 1933 I looked up our record and found that diplomats who participated in party contests in any way were asked to be retired. Washington, Madison, and demanded dismissals of French and English ministers […]. […] Two reasons aside from our practice are: von Neurath approved of my attitude [the last years]. […] The real feeling of the German Foreign Office officials has been that I was right”. 1818 Vgl. Gilberts Nachfrage diesbezüglich beim State Department, 25. August 1937. In FRUS 1937, Vol. II. S. 378f. Vgl. zu den Department-internen Gesprächen zwischen Judge Moore, Moffat, Hugh Wilson und Messersmith zu dieser Frage am 25. August 1937 in HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 146ff. Die Männer erfuhren von Hulls Assistenten, Harry McBride, dass Sumner Welles bereits die Authorisierung für Gilberts Teilnahme unter- schrieben habe und nun Hull zur Entscheidung vorlegen wolle. Die Beamten entschieden sich für die Bestätigung der Teilnahme am Reichsparteitag. 1819 Vgl. New York Times vom 4. September 1937 „Dodd Protests Sending Aide to Nazi Fete, But State Department Overrules Envoy”. Für die Journalisten der New York Times stand fest: „The incident aroused some comment in American newspapers, as it represented a departure in policy. Heretofore, the diplomatic representatives of the principal democratic powers have never been present at the Nazi gatherings […]. […] [T]he State Department decided not to make a single-handed issue of the incident”. 1820 Vgl. Der Angriff vom 4. September 1937 „Abberufung Dodds? Hull lehnt seinen Protest ab”. Der Angriff behauptete, Dodd sei wegen seiner kritischen Äußerungen gegen das deutsche Regime im State Department in Ungnade gefallen. Vgl. Dodds handschriftliche Kommentare auf einem Ausschnitt dieses Artikels in: LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D. „This was in many German papers“; „Why doesn’t Hull or R[oosevelt] deny it”.

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zeitlichen Zusammenhang mit Dodds Rede in Williamstown ließ es nun erscheinen, als ob Dodd in Williamstown öffentlich verlautbart hatte, er sei gegen eine Teilnahme amerikanischer Diplomaten am Reichs- parteitag. 1821 In einem Schreiben an Moore versicherte er, sein Brief zum Reichsparteitag dürfe seinerseits keinesfalls als Kritik an der Politik Cordell Hulls gewertet werden. 1822 Kritik am amerikanischen Außen- minister regte sich jedoch von ganz anderer Seite: Präsident Roosevelt erhielt Anfang September zahlreiche Anfragen und Briefe verärgerter Bürger, die Dodds Einstellung zum Reichsparteitag als Partei- und Inszenierungsveranstaltung des deutschen Reichskanzlers verteidigten und gut hießen.1823 Einige Wähler warfen Roosevelt sogar vor, diese Entscheidung des Außenministers zugelassen zu haben, womit die „Faschisten“ im State Department – gemeint waren die traditionalis- tischen und konservativen Beamten – zufriedengestellt würden: „I emphatically protest American diplomatic representation at Nuremberg Nazi Party celebration. […] How can you tolerate our official participation in jubilation over worldwide collapse of democracy […]. If you have no confidence Ambassador Dodd and his defense of American democracy,

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1821 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 427. Dodd erinnerte sich am 4. September, er habe zehn Tage vor Abreise nach Williamstown den Brief vertraulich an Hull an Moore für Hull verschickt, mit dem Hinweis, ihn niemandem sonst zu zeigen. Vgl. auch HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 148. Tatsächlich verdächtigte Moffat Dodd selbst hinter der Weitergabe vertraulicher Informationen zur Department-Entscheidung über die Teilnahme Gilberts. Für ihn hatte Dodd vielleicht noch in weiteren Fälle illoyales Verhaltens gegenüber Hull an den Tag gelegt und müsse überprüft werden. 1822 Vgl. Dodd an Moore, 7. September 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. „Tell the Secretary I had no idea of criticizing him”. 1823 Vgl. zum Beispiel Jehiol Mitchell Rosenberg an Roosevelt, 17. September 1937. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 198 Germany Miscellaneous, 1936-1937. „Allow me to protest against the acceptance by Secretary of State Hull of the invitation […] to participate in the recent Nazi Congress held at Nuremberg. This was all the more surprising in view of the opposition of Ambassador Dodd to our participation in this congress, at which every tenet sacred to Democracy was openly flaunted and publicly ridiculed. […] I regret to state that in my opinion Mr. Hull is one of the weakest of Secretaries of State this government has ever had in regard to foreign political policies”. Vgl. auch Charles Hodges, Professor of Politics at New York University, an Roosevelt, 9. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H.

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why not satisfy State Department fascists and remove him from Berlin post?”1824 Vermutlich aufgrund dieses Echos – jene Briefe waren tatsächlich keine Einzelfälle aufgebrachter, besonders demokratisch denkender Bürger – sowie der Tatsache, dass William Dodd mit seinem vertraulichen Brief an Hull und seinen Reden in den USA gegen keine Regel verstoßen hatte, versicherte der Präsident seinem Botschafter, er wünsche ebenso wenig wie die amerikanische öffentliche Meinung einen Rücktritt. Der sofortige Rücktritt stellte außerdem, so erklärte es Roosevelt, jeden Nachfolger unter Generalverdacht, er vertrete eine andere, pronationalsozialistische Einstellung: „I mention this merely because I wish you to know […] that the consensus of opinion among Americans here is that it would be most undesirable for you to offer your resignation under the circumstances”.1825 Trotz dieser Beschwichtigungen von Seiten seiner Vorgesetzten, ganz zu schweigen von der direkten Unterstützung durch seinem Freund Judge Moore, der immer noch schwer am verlorenen Zweikampf mit Welles um Phillips‘ ehemalige Stelle als Under Secretary of State trug, wuchs der interne und externe Druck auf den amerikanischen Botschafter. Der Paris Herald Tribune erklärte ohne vorliegende Fakten, die Roosevelt- Administration wünsche – im Gegensatz zum Botschafter selbst – Dodds Rücktritt und mache Joe Davies zum Nachfolger in Berlin.1826 William Dodd schrieb Anfang Oktober einen verzweifelten Brief an seinen Sohn, er stecke nun in einer echten Zwickmühle: Seine Ruhestandspläne hatten in Einvernehmen mit dem Präsidenten bereits vorher gestanden, nun könne er nicht ohne einen Skandal loszutreten zurücktreten. Keinesfalls wolle er vor allen Dingen dem Millionär Davies, den er für

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1824 Charles Hodges, Professor of Politics at New York University, an Roosevelt, 9. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. 1825 Ogletree für Roosevelt an Dodd, 10. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „[…] [Y]our successor would naturally be looked upon in the light of being pro-Nazi – in other words, that a representative would only be acceptable if he were friendly to the regime”. 1826 Vgl. Paris Herald Tribune vom 5. September 1937, „America Bars Divided Loyalty, Hull Replies to Nazi Program”. Die Zeitung schrieb: „It is rumored that the Administration would welcome Mr. Dodd’s resignation, but the Ambassador shows no signs of budging at present”.

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gänzlich ungeeignet hielt, seinen Posten guten Gewissens übergeben.1827 An Roosevelt richtete er die Bitte, nochmals mit Dieckhoff zu sprechen, denn in den Vorjahren hätten Dieckhoff und Neurath sein Fernbleiben vom Reichsparteitag stets nachvollziehen können und nie kritisiert. Der Botschafter spekulierte, ein deutscher Spion habe seinen Brief an Hull abgefangen.1828 Während William Dodd sich mit diesen Gedanken den Kopf zerbrach, suchten Hans Heinrich Dieckhoff und Dr. Thomsen, Botschaftsrat in der deutschen Botschaft Washington, den „kleinen“ Dienstweg mit ihren amerikanischen Konterparts. Dass das State Department eine Interessensparallelität mit den Beamten des Auswärtigen Amtes bezüglich Dodds Abberufung aufwies, hatte Konsul Freytag eindrucksvoll aus den USA berichtet: „Schon das Gerücht über einen derartigen Wunsch der Reichsregierung [nach Dodds Abberufung] würde wahrscheinlich seine Stellung in der amerikanischen Öffentlichkeit und damit bei Roosevelt stärken, und auf seine Abberufung hinzielend, die Pläne des States Departments [sic!] vorläufig vereiteln”.1829 Dr. Thomsen hielt am 7. September fest, dass Dodd mit seinem Brief an die Senatoren zur Gefahr einer amerikanischen Diktatur und danach mit seinem Brief an den amerikanischen Außenminister zum Reichs- parteitag den „Führer“ beleidigt habe und zurücktreten sollte. Diese Forderung könne das Amt allerdings nicht als aktive Bitte vorbringen, weil Dodd sonst als Märtyrer gefeiert würde. Ein erstes Gespräch Thomsens mit dem Leiter der europäischen Abteilung des State Departments, Pierrepont Moffat, hatte diesbezüglich zu keinem Ergebnis geführt:

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1827 Vgl. Dodd an William Dodd, Jr., 4. Oktober 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence William Edward Dodd, Sr. Aug. 1 – Dec. 24, 1937. „The Davies promises are embarrassing to all concerned, but I am not physically able to serve more the [sic!] 4 months”. 1828 Vgl. Dodd an Roosevelt, 26. Oktober 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „I think a German spy did the thing. […] The Embassy in Washington made protests to Department of State. Yet Dieckhoff understood my attitude in 1933 and von Neurath agreed entirely in 1936. I wish you would let Dieckhoff know how you feel about such performances when you see him”. 1829 Konsul Freytag an das Auswärtige Amt, [?] September 1937. PAAA. Pol. IX USA 55. Po2 USA. Band 3 (Best.: R 104977).

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„Von hier aus gesehen, dürfte es sich vielleicht trotzdem empfehlen, Vorfall als taktlose Entgleisung aufzufassen und Dodd deutlich fühlen zu lassen, daß er nicht mehr persona grata ist […]. Verlangen nach Abberufung würde hier sensationell aufgemacht werden, Dodd würde als Held und Märtyrer gefeiert werden und ein Relief bekommen, daß [sic!] er nicht verdient”.1830 Dies änderte sich jedoch in den darauffolgenden Tagen, denn Moffat schrieb in einer geheimen Aufzeichnung in den Akten des Departments, Hugh R. Wilson – Dodds späterer Nachfolger in Berlin – und Dr. Thomsen hätten über Dodd, angeblich mit der Autorisierung durch Hull und Roosevelt, mit dem Versprechen eines sehr baldigen Zeitpunktes der Rückkehr konferiert, wollten aber diese Gespräche weiterhin strikt vertraulich behandeln.1831 Die Tatsache, dass Moffat, bei dem William

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1830 Thomsen an das Auswärtige Amt, 7. September 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Möglicherweise wünscht Dodd, mit demnächstigem Ausscheiden rechnend, sich selbst bei Gesinnungsfreunden guten Abgang zu sichern. […] Beleidigung des Führers und Reichskanzlers […] wäre wohl hinreichender Anlaß, um Abberufung Dodds zu verlangen. […]”. Auf Thomsens Nachfrage, ob Dodd unter diesen Umständen im Amt bleiben könne, „antwortete er [Moffat], daß er meine Fragestellung und Argumentation völlig verstehe, aber nicht in der Lage sei, sich amtlich dazu zu äußern”. Vgl. auch Moffats Memorandum vom 7. September 1937 zu einem Gespräch mit Dr. Thomsen, in FRUS 1937, Vol. II. S. 380f. Hier findet sich kein Hinweis auf Moffats Aussage, er bestätige Thomsens Argumentation. Vgl. außerdem HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 149f. Vgl. auch Thomsen an das Auswärtige Amt, 7. September 1937. PAAA. Pol. IX USA 55. Po2 USA. Akten betreffend: Politische Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Deutschland, 5. August 1937 bis 24. Dezember 1937. Band 3 (Best.: R 104977). „Zwar ist Dodd bei dieser Kontroverse [mit dem State Department um die Teilnahme am Reichsparteitag] unterlegen und sein Einspruch wird vom State Department als belanglose und häufig vorkommende Meinungsverschiedenheit zwischen Zentrale und Missionschef bezeichnet. Beispielloses Verhalten Dodds stellt uns aber vor Entscheidung, welche Folgerungen wir aus Vorfall zu ziehen gewillt sind. […] [Dies] wäre wohl hinreichender Anlaß, um Abberufung Dodds zu verlangen […]”. 1831 Vgl. Memorandum - „strictly confidential“ - Moffats zu Gespräch zwischen Hugh Wilson, Moffat und Dr. Thomsen, 20. September 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./187. Dr. Thomsen sei hierbei Hugh Wilsons Aufforderung zu einem Gespräch gefolgt. Wilson bezog sich auf eine Konversation Thomsens mit Moffat am 7. September. Mr. Wilson teilte Thomsen nun am 20. September mit, Dodd werde nur für kurze Zeit nach Berlin zurückkehren. „Dr. Thomsen at once said that this would unquestionably ease a situation which was causing his government concern […]”. Wilson betonte allerdings, Thomsen dürfe sich in seinen Meldungen nach Berlin keinesfalls auf diese Konversationen beziehen „neither the Germans nor ourselves refer to any conversations being held between us […]”. Moffats Memorandum beinhaltet ein Postscriptum mit dem Wortlaut: „This conversation was

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Dodd seit 1933 in der Kritik stand, Anfang Oktober Sumner Welles gegenüber nunmehr nur noch Prentiss Gilberts, nicht mehr Dodds Beurteilungen der Rolle Hjalmar Schachts erwähnt, spricht für sich.1832 Pierrepont Moffats Behauptung, Präsident Roosevelt habe Hugh R. Wilson Mitte September gebeten, Dr. Thomsen die Botschaft zu über- mitteln, dass Dodd zum Jahresende zurückbeordert werde, 1833 kann nicht der Wahrheit entsprechen. Hätte das Auswärtige Amt über Wilson bereits im September erfahren, dass der amerikanische Präsident Dodd definitiv abberufen werde, könnten Dieckhoffs weitere Schritte zum Erwirken einer Rückbeorderung Dodds ab Ende September nicht mehr logisch erklärt werden. Mit Konsul Freytags Worten im Ohr, dass man zunächst Dodds Rückkehr im Herbst hinnehmen müsse, 1834 wählte Dieckhoff Ende September eine offensivere Vorgehensweise: Er hatte Sumner Welles zufällig auf dessen Rückkehr von einer Europareise auf dem Schiff Europa angetroffen und ihm seine Bedenken zu Dodd anvertraut. Welles habe sich, so ein Schreiben aus Dieckhoffs Nachlass,

______authorized by the President in a talk he had with the Secretary of State and Mr. Hugh Wilson on Saturday, September 18”. Vgl. auch HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 151f. 1832 Vgl. Prentiss Gilbert, Chargé d’Affaires ad interim, an Secretary of State, 20. September 1937 (Despatch No. 3653). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.002/305. Hier: hinzugefügter Kommentar Moffat an Welles, 1. Oktober 1937. Moffat verweist auf Gilberts Analyse zu Schacht. 1833 Vgl. HARVISON HOOKER: The Moffat Papers. S. 151f. Roosevelt habe Wilson am 19. September 1937 gefragt, ob eine Rückbeorderung Dodds einen weiteren Skandal verhin- dern könne. Als dieser bejahte, habe der Präsident wie folgt reagiert: „The President authorized him [Wilson] to call in Thomsen and tell him that Mr. Dodd was returning now but would be relinquishing his mission around the end of the year…” 1834 Vgl. Konsul Freytag an das Auswärtige Amt, 23. September 1937. PAAA. Pol. IX USA 55. Po2. Band 3 (Best.: R 104977). Der Konsul urteilte, man könne gegen Dodds Interview in Norfolk nicht wirklich protestieren. „Es darf vorgeschlagen werden, das Schreiben Dodds nicht zu beantworten. Dodd hat anscheinend uns gegenüber ein schlechtes Gewissen wegen seines Einspruchs gegen die Annahme der Einladung zum Reichsparteitag durch den hiesigen amerikanischen Geschäftsträger und möchte jetzt seine Stellung in Berlin ver- bessern. Wir haben keine Veranlassung, ihm die Erfüllung dieses Wunsches zu erleichtern. Eine Antwort wird sich auch erübrigen, weil Dodd nach Zeitungsmeldungen im Oktober seinen hiesigen Posten wieder übernehmen wird”. Freytag bezieht sich auf ein Schreiben Dodds an das Auswärtige Amt: Dodd an Mr. Secretary [Mackensen], 31. August 1937. PAAA. Pol. IX USA 55. Po2. Band 3 (Best.: R 104977). „Dear Mr. Secretary: I was surprised yesterday when Secretary Hull told me that my good friend, Ambassador Dieckhoff, had protested against my little interview given to press people in Norfolk August 4. The Secretary [Hull] said to me that he saw nothing wrong at all in my interview […]”.

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betroffen gefühlt und wollte die Angelegenheit „aufnehmen”.1835 Schon am 1. Oktober erfuhr der neue deutsche Botschafter in Washington von Welles, Dodd werde endgültig zum 1. Januar 1938 in die USA abberufen. 1836 Die Hintergründe des Ablaufes dieser Abberufung auf amerikanischer Seite wird eines der folgenden Kapitel behandeln. An dieser Stelle ist jedoch festzuhalten, dass ein unmittelbarer Druck von deutschen Beamten wie Dieckhoff, Thomsen und Mackensen auf Karrierebeamte im State Department ausging, mit deren Arbeitsweise sich das Auswärtige Amt aus früheren Zeiten vertraut fühlte und auf deren Kooperationsbereitschaft es aufbauen konnte. Das Rooseveltsche Führungspersonal galt als – und war hierfür – nicht zugänglich. Die Gründe für die gewahrte Distanz Roosevelts und seines Kabinetts lagen auf der Hand – mit deutschen Beamten und den Nationalsozialisten konnte auf Grundlage politischer und handelspolitischer Interessens- gegensätze sowie nach den negativen Erfahrungen in Gesprächen mit von Neurath und Schacht nicht verhandelt werden. Diese Einstellung trat in den Folgewochen und Monaten immer deutlicher zu Tage. Obwohl das Auswärtige Amt im Sinne der nationalsozialistischen Führung schon am 1. Oktober de facto die Abberufung des unbeliebten amerikanischen Botschafters erreicht hatte – William Bullitts Schil- derungen seiner Erlebnisse in Berlin, wie sie am Anfang der Einleitung der vorliegenden Arbeit erwähnt worden sind, bewiesen die Nervosität der deutschen Führung, wann Dodd endlich das Land verlassen werde – gab es kaum Grund für Erleichterung über sich verbessernde deutsch-amerikanische Beziehungen. Ganz im Gegensatz dazu waren diese angespannter denn je. Nur mühevoll hatte Ernst von Weizsäcker den Botschaftsrat Gilbert mit seinen Fragen zur deutschen Propagan- datätigkeit mit einem Hinweis auf Bohles Zuständigkeit abwimmeln

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1835 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 27. September 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Dodds Position in Berlin war Welles genau bekannt. Ihm ist Dodd, wie er unumwunden zugab, ebenso unverständlich wie uns. Abberufung Dodds sei vor einiger Zeit so gut wie beschlossen gewesen, in letzten Wochen sei der Gedanke aber, wie Welles aus Washington gehört hat, aus innenpolitischen Gründen wieder zurückgestellt worden. Welles wird Angelegenheit Dodd sofort nach Rückkehr aufnehmen”. 1836 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 1. Oktober 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Welles bat jedoch um vertraulichen Umgang mit dieser Nachricht.

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können.1837 Nachdem bereits Cordell Hull im Juni vor der Universität von Philadelphia indirekt das Autarkie- und Gewaltherrschaftssystem der totalitären Staaten kritisiert1838 und US-Bürger in Hinblick auf die deutschen Propagandatätigkeiten an ihre exklusive Loyalität gegenüber der amerikanischen Verfassung erinnert hatte,1839 hob Präsident Roosevelt im Herbst 1937 diese Kritik in aller Öffentlichkeit auf eine weitere Stufe an. Die Aufsehen erregende Rede Franklin Roosevelts in Chicago, die sogenannte „Quarantänerede“, die sich in Ton und Inhalt eindeutig gegen die Expansion der Diktaturen richtete, hatte Roosevelt ganz eigen- ständig, wie Dieckhoff feststellen musste, und gegen die Empfehlungen des State Departments verfasst und vorgetragen. Aufgeschreckt durch die fortwährende Aggression Japans machte der amerikanische Präsident nun ganz offen ein Eingreifen wahrscheinlich, allerdings nur, wenn England in einen Krieg gezogen würde, resümierte der deutsche Botschafter.1840 ______

1837 Vgl. Gesprächsnotiz von Weizsäckers zu Gespräch mit Gilbert, 2. Oktober 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Gilbert hatte ausgeführt: „Die Tatsache allein aber, daß man in den Vereinigten Staaten glaube, die dortigen deutschen Kolonien [gemeint sind Deutsch-Amerikaner in den USA] würden von Deutschland aus dirigiert, mache seine Landsleute schon nervös”. 1838 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 16. Juni 1937. Inhalt: „Rede Staatssekretaer Hulls”. PAAA. Pol. IX USA 73. Po5. Band 2 (Best.: R 104995). Dieckhoff gab den Wortlaut der Rede mit dem Titel „The Crucial Issues of Today“ wider. Vor der versammelten Universität hatte Hull indirekt dem nationalsozialistischen System seine Aussichten auf eine erfolgreiche Zukunft abgesprochen: „It is my firm belief that only a free and self- governing people can possess the necessary scope and vitality of spirit, aspiration, and enterprise to reach out for a better and fuller life. […] Strife or isolation, within and among nations, checks the onward course of civilization and destroys much of what man has thus far accomplished”. 1839 Vgl. New York Times vom 5. September 1937. „Reich-Born Owe U.S. Loyalty, Hull Says”. Hull habe in einer Rede am Vortag bestätigt, dass alle naturalisierten oder eingebürgerten US-Bürger per Eid darauf eingeschworen seien, „that they will support and defend the Constitution of the United States, and that they absolutely and entirely renounce and abjure all allegiance and fidelity to any foreign prince, potentate, State or sovereignty”. Außerdem gestand der Außenminister ein, Dodds Ratschlag bezüglich Botschaftsrat Gilberts Teil- nahme am Reichsparteitag sei vom State Department überstimmt worden. 1840 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: Rede des Präsidenten Roosevelt in Chicago, 15. Oktober 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Der Entwurf des State Departments „enthielt aber nichts über eine besondere Aktivierung dieser Mitarbeit [der USA] oder gar über eine ‚Quarantäne‘- Androhung an fremde Staaten. Diese Formulierungen stammen vom Präsidenten selbst […]. Wahrscheinlich hat ihn die Verschärfung des japanischen Vorgehens in China erschreckt […]”. Allerdings werden die USA auch in Ostasien nicht eingreifen, mit folgender Ein- schränkung: „Nur wenn ein Weltkonflikt entbrennen sollte, in den Großbritannien

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Auch wenn Hulls Rede Ende Oktober nicht besonders überraschend gewesen sei und kaum Resonanz hervorgerufen habe,1841 so zeigte seine Propaganda in Dieckhoffs Augen zum Jahresende durchaus Wirkung auf die amerikanische Öffentlichkeit: Isolation sei kein sicheres Axiom mehr, schloss Dieckhoff, und im Falle eines Kriegseintritts Englands sowie der Bedrohung vitaler amerikanischer Interessen müsse man mit den Vereinigten Staaten rechnen: „Aber es muß doch festgestellt werden, daß die seit einigen Monaten immer wieder verkündete These von Hull, Amerika könne von kommen- den Weltkonflikten nicht unberührt bleiben, und die Isolierung sei daher eine Utopie, schon erheblich an Boden gewonnen hat. Agitation in Radio, Presse und Film, besonders gegen Japan, fängt an, ihre Wirkung auszuüben. Jedenfalls dürfen wir nic [sic!] mit der amerikanischen Isolierung als einem sicheren Axiom rechnen”.1842 Den Beamten des Auswärtigen Amtes und der nationalsozialistischen Führung wurden Anfang Dezember 1937 weiterhin die Augen geöffnet, als US-Innenminister Harold Ickes in einer Rede davon sprach, dass es für das amerikanische System in seiner inneren und äußeren Bedrohungslage keinen Unterschied zwischen Kommunismus und Faschismus gebe. Beide müssten bekämpft werden. Ickes habe ausgeführt: „daß auf der ganzen Welt ein Kampf zwischen den Kräften des Absolutismus und der Demokratie in der Entwicklung begriffen sei. Die ‚faschistisch‘ eingestellten Mächte in Amerika seien die wirklichen ______hineingezogen wird, werden die Vereinigten Staaten auf die Dauer nicht abseits stehen. In diesem Falle wird damit zu rechnen sein, daß das Schwergewicht der Vereinigten Staaten gleich zu Beginn des Konflikts oder bald darauf in die britische Waagschale geworfen werden wird”. 1841 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: Ansprache Staatssekretär Hull, 23. Oktober 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „[Die Rede] betont ferner – was auf kanadischem Boden ja auch besonders nahelag – den Wunsch der Vereinigten Staaten nach Zusammenarbeit mit dem Britischen Reich. […] Soviel ich sehe, hat die Rede weder in den Vereinigten Staaten noch im Ausland große Resonanz gefunden”. 1842 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: Amerikanische Außenpolitik. Isolation oder Aktivität?, 7. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Vgl. auch Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 30. November 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Hull liegt viel daran, amerikanische öffentliche Meinung aufzurütteln, um sie von der isolationistischen und pazifistischen Einstellung loszulösen, die […] nach Ansicht Hulls eine energische amerikanische Außenpolitik […] unmöglich macht”.

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Feinde amerikanischer Demokratie. Vom Standpunkt der Demokratie sei zwischen Faschismus und Kommunismus grundsätzlich kein Unterschied […]”.1843 „We have discovered that fascism has not been quarantined, but that it is capable of leaping wide oceans”,1844 lautete eine weitere von Harold Ickes‘ Warnungen. Ickes Bezug auf die innere Zersetzung der amerika- nischen Demokratie durch faschistische Kräfte erinnert unwillkürlich an William Dodds Ausführungen zu den Gefahren eine amerikanischen Diktatur. Dieckhoff kam auf dieser Grundlage zu einem wesentlichen Schluss über die Auffassung der progressiven Roosevelt-Regierung von einem ganz grundlegenden, potentiell gefährlichen Gegensatz aller anderen Systeme zum amerikanischen: „Wesentlich für unsere Beurteilung der Dinge scheint mir aber die Tatsache zu sein, daß allmählich hier ganz systematisch der Gedanke großgezogen wird, daß alle Auffassungen, die nicht den demokratischen Idealen der amerikanischen Verfassung entsprechen, als Propaganda anzusehen sind, die durch heimtückische Methoden in Amerika, und zwar sowohl in Nord- wie Südamerika, verbreitet wird und mit allen Mitteln bekämpft werden muß. [Hiervon zeugt die] Rede des Ministers, die umso beachtlicher ist, als Herr Ickes zum engsten Kreise des Präsidenten Roosevelt gehört […]”.1845 William Edward Dodd war offensichtlich nicht das einzige Hindernis für eine Besserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen gewesen. Hinter ihm stand eine progressiv gesinnte Administration, die unter anderem in Folge seiner Beobachtungen und denen anderer Botschafter zur weltpolitischen Lage den Übergriff der totalitären Diktaturen auf amerikanische Interessen und das amerikanische System befürchtete und immer vehementer und öffentlicher dagegen vorging. Es sei erstaunlich, beobachtete Hans Heinrich Dieckhoff, „wie stark die Anhaengerschaft ______

1843 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: ‚Unamerikanische‘ Propaganda in den Vereinigten Staaten. Rede des Innenministers Ickes in New York, 9. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Vgl. auch New York Times vom 9. Dezember 1937. „Drive for Fascism Charged By Ickes“. Ickes habe auf einem Dinner der Civil Liberties Organization am 8. Dezember 1937 seine Rede zur Bedeutung von Faschismus und Kommunismus in den USA gehalten. 1844 New York Times vom 9. Dezember 1937. „Drive for Fascism Charged By Ickes“. 1845 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: ‚Unamerikanische‘ Propaganda in den Vereinigten Staaten. Rede des Innenministers Ickes in New York, 9. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3).

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einer Interventionspolitik in den Kreisen der Intellektuellen angewachsen sei […]”.1846 Die einzige Hoffnung ging deshalb für die Führung des Auswärtigen Amtes davon aus, engen Kontakt zu konservativeren Entscheidungsträgern der amerikanischen Außenpolitikformulierung zu pflegen. Geradezu einer Beruhigung der eigenen Bedenken gleich gabsich Hans Heinrich Dieckhoff zum Jahresausklang optimistisch und ver- söhnlich: An Ministerialdirektor von Weizsäcker schrieb er, dass der Kontakt zum State Department, vor allem aufgrund dessen neuen Under Secretary, Welles, gut sei und der Nachfolger Dodds, Hugh R. Wilson, ein erfreulicher Kandidat für den Botschaftsposten sei. Einen bitteren Beigeschmack erhielt der Optimismus dieses Briefes jedoch, als Dieckhoff dennoch nicht den Hinweis unterlassen konnte, dass ein Konflikt mit den USA für Deutschland verhängnisvoll wäre.1847

6.2.2. Höhepunkt des verfassungsrechtlichen Streites in Amerika und Dodds Warnung vor der „amerikanischen Diktatur“ Auch auf der anderen Seite des Ozeanes fand sich die politische Führung 1937 vor große Herausforderungen gestellt, die eine zweite Perspektive der Hintergründe um Dodds Rückberufung darstellten: Der 1936 begonnene Konflikt um die verfassungsrechtlich verankerten Macht- befugnisse der drei Gewalten, Judikative, Legislative und Exekutive, angesichts Roosevelts New Deal-Politik mit tiefgehenden Einschnitten auf fast allen Politikfeldern spitzte sich mit Konsequenzen für Regie- rung und Opposition gleichermaßen zu. Das Votum des US-Senates als Repräsentant der Einzelstaaten und ihrer regionalen Wählerschaften sowie die Urteile des Obersten Verfassungsgerichtes über die Verfas- sungskonformität neuer Gesetze gefährdeten aus Präsident Roosevelts

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1846 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 9. Dezember 1937. Inhalt: „Amerikanische Aussen- politik: Bericht über Harvard Guardian Conference on American Foreign Policy”. PAAA. Pol. IX USA 55. Po2. Band 3 (Best.: R 104977). 1847 Vgl. Dieckhoff an Weizsäcker, 20. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Herr Hull ist zwar ein etwas in den Wolken lebender Ideologe, der persönliche Verkehr mit ihm spielt sich indes stets in anständigen Formen ab, und mit dem Unterstaatssekretär Sumner Welles kann ich gut zusammenarbeiten. Daß man Dodd abberufen hat […] ist erfreulich. […] [Fortschritte in den Beziehungen seien nicht eingetreten wegen der] schärfere[n] Betonung der weltan- schaulichen Momente. […] Dieses Land [die USA] hat inzwischen noch an Stärke zuge- nommen […] und ein Konflikt mit diesem Lande würde daher für uns eine ernste Sache sein”.

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Sicht zunehmend seine Gesetzespakete, die über die anfänglichen Erfolge des New Deal hinaus für langfristige wirtschaftliche und gesell- schaftliche Stabilisierung im Land nach der Great Depression sorgen sollten. Es hatte sich für Roosevelt als besonders kritisch herausgestellt, dass die meisten der Verfassungsrichter noch in Zeiten der republika- nischen Nachkriegsregierungen ernannt worden waren und entsprechend konservative Sichtweisen auf seinen New Deal vertraten. Die Idee des Präsidenten, einen Teil der betagteren Richter über attraktive Ruhe- standsgehälter in die Pensionierung zu zwingen und damit den Supreme Court partiell neu zu besetzen, ein sogenanntes Court Packing, rief einen nicht unerwarteten Unmut bei der konservativen Opposition, einigen Senatoren, aber auch vielen Wählern hervor.1848 William Dodd, Roosevelts Botschafter in Berlin und politisch treuer Unterstützer der Demokratischen Partei, beobachtete im Jahr 1937 trotz seiner eigenen Arbeitsbelastung aufmerksam die Geschehnisse in den Vereinigten Staaten. Für ihn war Roosevelt die demokratische Licht- gestalt nach Woodrow Wilson, die ein demokratisches und gerechteres System im Sinne Thomas Jeffersons wiederherstellen könnte und dem Ruf Amerikas als leuchtendem Vorbild in der Welt alle Ehre machen würde.1849 Verärgert stellte er Anfang 1937 fest, dass weite Teile der amerikanischen Medien trotz des spektakulären Wahlsieges Roosevelts dessen Politik permanent in Frage stellten.1850 Seinem Freund und Amts- kollegen in Mexiko, Josephus Daniels, vertraute Dodd an, es sei sein Wunsch, im Sinne der Regierungspolitik an die amerikanische Öffentlich- keit zu plädieren und ihr angesichts der innen- wie außenpolitischen ______

1848 Vgl. hierzu Roosevelts Zusammenfassung der Court Packing-Debatte in seiner „Introduction“ in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. S. XLVII-LXXII. Vgl. auch „A ‚Fireside Chat‘ Discussing the Plan for Reorganization of the Judiciary. Washington, D.C., March 9, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 31. S. 122- 133. Insbesondere S. 131: „Two groups oppose my plan on the ground that they favor a constitutional amendment. The first includes those who fundamentally object to social and economic legislation along modern lines. This is the same group who during the campaign last Fall tried to block the mandate of the people. […S. 132:] To them I say: I do not think you will be able long to fool the American people as to your purposes”. Vgl. zum weiteren Verlauf des Streites um das Court-Packing und Roosevelts Lösung BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 363-369. Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 227-239. 1849 Vgl. Dodd an Daniels, 6. Januar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D. 1850 Vgl. Dodd an Daniels, 9. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D.

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Verhältnisse die Augen zu öffnen.1851 Für seine Einmischung in innen- und außenpolitische Kontroversen war William Dodd bereits 1936 in die nationalen Schlagzeilen geraten und neben anderen Mitgliedern der Administration zum Zielobjekt für die berüchtigte Merry-Go-Round- Kolumne avanciert. Dodd, der vor allen Dingen von seinem Unterstützer Judge Moore im State Department Zuspruch erhielt, sich über das Medienecho nicht zu sehr zu grämen, da dies ihrer aller Schicksal als Personen der Öffentlichkeit sei, ließ sich deshalb nicht entmutigen, auch 1937 aktiv in Debatten einzugreifen.1852 Zunächst tat dies der amerikanische Botschafter – im Glauben daran, hiermit im Namen vieler US-Bürger zu sprechen – , indem er als Bürger Virginias einen Brief an seinen Repräsentanten für diesen Bundestaat, Senator Byrd,1853 richtete. William Dodd plädierte darin mit dem Hinweis auf die tatsächlichen und notwendigen Machtbefugnisse von US-Ver- fassungsgerichten an die Vernunft des Senates bezüglich Roosevelts Justizreform1854 und leitete diesen persönlichen Brief an R. Walton Moore weiter. 1855 Hierbei nutzte der progressive Demokrat die Gelegenheit, letzterem aufrichtig seine guten Wünsche für ein temporäres Nach- rücken auf William Phillips Anfang 1937 vakant gewordenen Posten als

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1851 Vgl. Dodd an Daniels, 9. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D. 1852 Vgl. Moore an Dodd, 9. Januar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „Frankly, I think you are attaching importance to the Merry-Go-Round which it does not deserve. Although that column appears in a great many newspapers, it receives very casual attention, and I am sure does not influence the opinion of any person of ordinary intelligence”. 1853 Vgl. zur Rolle des konservativen Demokraten Harry F. Byrd im konservativen Block gegen Roosevelt DAVIS: Into the Storm. S. 19. Senator Byrd fungierte als Vorsitzender des Special Senate Committee zu Roosevelts Reorganisation der Exekutivorgane und avancierte zu einem der schärfsten Gegner dieses Planes zur Effizienzsteigerung der Exekutive. 1854 Vgl. Dodd an Senator Harry F. Byrd, 8. Februar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. Dodd schloss seine Ausführungen mit versöhnlichen Worten: „Of course our system is more complicated than the English, and it is possible that a federal Supreme Court might properly on rare occasions declare an act of Congress unconstitutional. […] But this should never be permitted to be a regular practice. […] This has a weakening influence on Congress […]”. 1855 Vgl. Dodd an Moore, 9. Februar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „I hope Virginia Senators have come to recognize Southern people’s attitude”.

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Under Secretary of State bis dieser neu besetzt wurde auszudrücken. 1856 Dodd selbst spielte Anfang Februar mit dem Gedanken, im Sommer in den Ruhestand zu gehen und stand hierüber in regem Briefwechsel mit Roosevelt, Hull und Moore.1857 Was William Dodd wirklich bewegte war die Tatsache, dass amerika- nische Kongressmitglieder kaum etwas von deutschen Propagandaakti- vitäten sowie Industrievernetzungen zu wissen schienen. Einer seiner Botschaftsberichte an Hull hatte detailliert ausgeführt, wie tief Firmen wie I.G. Farben, ein Geschäftspartner der Firma Dupont, in die national- sozialistische Propagandatätigkeit in Lateinamerika involviert seien.1858 Für Dodd bestand ein direkter und komplexer Zusammenhang zwischen der angespannten wirtschaftlichen Lage,1859 der Unzufriedenheit amerika- nischer Wähler, dem skrupellosen Geschäftsgebaren großer Industrieller, dem Abstimmungsverhalten der Senatoren und Verfassungsrichter, sowie dem Einfluss der großen amerikanischen Zeitungen. Die Folgen der Great Depression lasteten immer noch schwer auf der amerikanischen Gesellschaft, die sich zwar Roosevelt als Retter des Systems wünschte, was die Wiederwahl 1936 bewiesen hatte, aber dennoch in der Formulierung von Partikularinteressen aufzugehen schien, die die Senatoren als Volksvertreter ihrer Bundesstaaten einer bestimmen Region des Landes aufgriffen und in vielen Fällen in einer entsprechenden Blockadepolitik gegen den New Deal auflösten. Diese Blockadepolitik wurde in Dodds

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1856 Vgl. Dodd an Moore, 17. Februar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „If you were in charge of the Department next to our friend, Hull, a great deal would be done in a few years”. 1857 Vgl. Dodd an Hull, 16. Februar 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 14 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „I must retire from this difficult post some time in the summer […]. Please do not let my plan to retire during the summer be known. There would be scores of people – some millionaires – who would press for appointment”. 1858 Vgl. Dodd an Moore, 11. Februar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1859 Vgl. zur im Sommer 1937 einsetzenden Rezession der amerikanischen Wirtschaft und Roosevelts Gegenmaßnahmen LEUCHTENBURG: New Deal. S. 244-250, RAUCH: History of the New Deal. S. 294-298 und BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 370f. Vgl. auch ausführlich hierzu BURNS: The Lion and The Fox. S. 316-336. Burns wirft Roosevelt vor, zwar ein genialer Politiker, aber kein besonders guter Ökonom gewesen zu sein (S. 334ff.). Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 240-253. Freidel argumentiert, die Regierungsmaßnahmen Roosevelts 1936 hätten die Rezession bewirkt, nicht die Profitgier amerikanischer Banker und Geschäftsleute (S. 250f.).

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Augen angefeuert von ohnehin konservativen bis radikalen Kräften, die unter anderem auch hohe Positionen in der Geschäfts- und Finanzwelt sowie in den Medienimperien bekleideten und schon Woodrow Wilsons Politik zum Scheitern gebracht und die Weltwirtschaftskrise durch hemmungslose Spekulationen ausgelöst hätten. Diese Frustration über die Hindernisse für die demokratische Regierung war hierbei nicht nur William Edward Dodd zu eigen, sondern entsprach den Befürchtungen vieler progressiver liberaler Politiker, die sich in den 30er Jahren mit den Nachwehen der langjährigen republikanischen Laissez-faire-Politik und entsprechenden „rugged individualism“-Mentalitäten 1860 in Politik und Wirtschaft konfrontiert sahen.1861 Dodd brachte diese bestehenden Ängste mit dem expansiven Vorrücken der totalitären Regime in traditionell amerikanische Interessensphären auf einen politischen Nenner: Große Teile der amerikanischen Geschäfts- welt sowie renommierte Zeitungen, vor allem diejenigen des Hearst- Imperiums, liebäugelten in William Dodds Augen mit der Einführung eines autokratischen Systems oder einer Diktatur nach europäischem Vorbild. Dies behindere die amerikanische Demokratie Roosevelts erst recht dabei, das eigene System nach der Great Depression zu sanieren und auf der Weltbühne mit den demokratischen europäischen Nationen ______

1860 Vgl. „The Philosophy of Rugged Individualism” Speech by Herbert Hoover 1928. In: STEELE COMMAGER: Documents of American History. Volume II: Since 1898. S. 222-225. Vgl. zu Hoovers Rugged Individualism – Politik LEUCHTENBURG, William E.: Herbert Hoover. New York 2009 und WARREN, Harris G.: Herbert Hoover and the Great Depression. New York 1967. 1861 Vgl. hierzu zum Beispiel Roosevelts zweite Amtsantrittsrede, „The Second Inaugural Address. ‘I See One-Third of a Nation Ill-Housed, Ill-Clad, Ill-Nourished.’ January 20, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 1. S. 1. „[…][F]our years ago […] [w]e of the Republic pledged ourselves to drive from the temple of our ancient faith those who had profaned it. […] Repeated attempts at their solution without the aid of government had left us baffled and bewildered. For, without that aid, we had been unable to create those moral controls over the services of science which are necessary to make science a useful servant instead of a ruthless master of mankind. To do this we knew we must find practical controls over blind economic forces and blindly selfish men […] [S. 4:] To hold the progress today, however, is more difficult. Dulled conscience, irresponsibility, and ruthless self- interest already reappear”. Vgl. auch insbesondere „‘We in Turn Are Striving to Uphold the Integrity of the Morals of Our Democracy.‘ Address at the Jackson Day Dinner”, Washington, D.C. January 8, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 5. S. 41. „You and I, in our day and generation, know how Wilson carried on his fight. If the cataclysm of the World War had not stopped his hand, neither you nor I would today be facing such a difficult task of reconstruction and reform”.

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zur Bewahrung des Friedens zu kooperieren. Besonders gefährlich sei angesichts der prekären ökonomischen Situation, dass sich die Arbeiter- schaft zu einer immer solideren Front zusammensetzte und auch die Farmer vehement ihre Interessen gegen das Gemeinwohl verteidigten.1862 Die seiner Meinung nach kurzsichtig fokussierten US-Senatoren und Verfassungsrichter gefährdeten mit ihren Voten gegen Roosevelts New Deal nicht nur dessen Gesetzesvorhaben zur wirtschaftlichen Erholung des Landes und Überwindung zahlreicher gesellschaftlicher Gräben. Sie eröffneten den USA darüber hinaus wie nur zu wenigen historischen Zeitpunkten zuvor – im Unabhängigkeitskrieg und im Bürgerkrieg – die Gefahr eines Weges in die Diktatur der Minderheit.1863 Ein von der Mehrheit der Wahlbevölkerung getragener Verfassungszusatz dürfte, so Dodd, eine Lösung bezüglich der Kompetenzen der amerikanischen Gerichte herbeiführen und damit einen Teil des verfassungsrechtlichen Konfliktes in direkter Demokratie auflösen. Dies jedoch sei höchstens

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1862 Vgl. Dodd an Moore, 17. Februar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „The economic situation in our country is certainly none too safe: big business and nearly all newspapers tending toward dictatorship; labor men urged to form one solid front; and farmers likely to vote simply for their own interests. […] I fear the Senate may do this thing again [vote against the President’s reform] in spite of Roosevelt’s majority. If they do I am afraid the Democratic party will go to pieces […]”. Vgl. hierzu auch Roosevelts Worte in seiner zweiten Amtsantrittsrede zur Herausforderung durch die Millionen armer Bürger, deren Situation sich noch nicht überall gebessert hatte in „The Second Inaugural Address“, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 1. S. 4. „But here is the challenge to our democracy: In this nation I see tens of millions of its citizens – a substantial part of its whole population – who at this very moment are denied the greater part of what the very lowest standards of today call the necessities of life”. 1863 Vgl. Dodd an Hull, 16. Februar 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 14 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „If the Senate defeats the President’s Federal Court reform, the democratic party is going to be divided […]. It would invite a Labor party, also a Farmer front; and that would again give minority business people control once more”. Vgl. hierzu direkt Roosevelts ähnliche Aussagen zu sozio-ökonomischen und politischen Zusammenhängen in einem seiner Fireside Chats: „‘Dictatorships Do Not Grow Out of Strong and Successful Governments, but Out of Weak and Helpless Ones.’ Fireside Chat on Present Economic Conditions and Measures Being Taken to Improve Them”. April 14, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 50. S. 242. „Democracy has disappeared in several great nations – not because the people of those nations disliked democracy, but because they had grown tired of unemployment and insecurity, of seeing their children hungry while they sat helpless in the face of government weakness through lack of leadership in government”.

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in einem zeitlichen Rahmen von zehn Jahren anzudenken.1864 Moore, der unter der Arbeitslast seiner eigenen Aufgaben und denjenigen, die ehemalig Phillips erledigt hatte, ächzte, hatte Dodds Brief an Senator Byrd gelesen und setzte die Bedenken des Botschafters in Verbindung zur Realität seines bürokratisch-politischen Alltags. Der Supreme Court, so Moore, müsse umstrukturiert werden, doch Roosevelt solle diesbe- züglich vorsichtiger agieren.1865 Die Justizreform habe die Diskussion um die Neutralitätsgesetzgebung bereits als Spitzenthema in den Medien abgelöst. 1866 Etwas weniger Impulsivität hätte Roosevelt auf diesem Feld besser getan, so sein Fazit. Viele der Senatoren könnten jedoch im Gegensatz zu Dodds Vorstellungen ohnehin nicht umgestimmt wer- den.1867 Moore bejahte, dass deutsche Propagandabemühungen in den USA als stärker identifiziert werden konnten als diejenigen der Sowjets. Dies müsse eingehend durch das Department of Justice beobachtet werden.1868

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1864 Vgl. Dodd an Moore, 15. März 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „A constitutional amendment was and is the real need, but you know such an amendment would have been defeated for ten years”. Vgl. auch Roosevelts Meinung hierzu, der ebenso wie Dodd die Lösung des Konfliktes durch ein Amendment als nicht förderlich für die aktuelle Debatte einschätzte in „A ‚Fireside Chat‘ Discussing the Plan for Reorganization of the Judiciary, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 31. S. 132. „[…][W]e cannot rely on an amendment as the immediate or only answer to our present difficulties. When the time comes for action, you will find that many of those who pretend to support you will sabotage any constructive amendment which is proposed”. 1865 Vgl. Moore an Dodd, 20. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). „I can tell you very confidentially that although I am sure the President is headed in the right direction, I do believe that if he had gone forward less impulsively […] the situation would be much better”. 1866 Vgl. Moore an Dodd, 26. Februar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „I have, perhaps, already told you that the debate relative to the President’s judiciary proposal has been so universal and fierce that little else is thought of. […] [T]he [neutrality] legislation is now running through Congress without very much attention being given it”. Etwas Positives hatte dieser Fokus weg von der Neutralitätsgesetzgebung für Moore: Die Pittman Bill biete im Falle einer Ratifizierung der Administration jedoch entsprechend mehr Möglichkeiten, in Bezug auf die Neutralitätsgesetzgebung nicht in verfassungsrechtliche Schwierigkeiten zu geraten. 1867 Vgl. Moore an Dodd, 20. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). 1868 Vgl. Moore an Dodd, 23. Februar 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1.

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Ungeachtet dessen, dass Moore ihn vor der Unbeirrbarkeit amerika- nischer Senatoren gewarnt hatte, richtete William Dodd am 1. März einen persönlichen Brief ausgerechnet an zwei Demokraten, an Senator Robert Bulkley aus Ohio sowie an Senator Carter Glass aus Virginia.1869 In diesen beschwor der Botschafter die immanente Gefahr einer Diktatur der Minderheit in den USA herauf, auf die einige Milliardäre in aktiver Zusammenarbeit mit den europäischen Faschisten hinarbeiteten. Beson- ders gefährlich würde dies, wenn einzelne Senatoren, wie William Borah damals bei Präsident Wilson, nun bei Präsident Roosevelt entscheidende Reformschritte durch aggressive Kampagnen blockierten, selbst wenn dies gegen den Willen der gewählten Mehrheit geschehe. Einige Senatoren strebten gar selbst diktatorische Machtbefugnisse an. Unter diesen Umständen sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Demokratische Partei unter dem Druck der arbeitslosen und der arbeitenden Massen auseinanderbrach und den Weg für eine Alleinherrschaft oder die Diktatur des Proletariats frei machte: „If the party, which reelected Roosevelt on an overwhelming majority last year, decides to do as both parties have done in the past, we are in grave danger of losing our democratic system. […] There are individuals of great wealth who wish a dictatorship and are ready to help Huey Long. There are politicians, some in the Senate I have heard, who think they may come into power like that of European dictators, in Moscow, Berlin, Rome. One man, I have been told by personal friends, who owns near a billion dollars, is ready to support such a program and, of course, control it”.1870 Dodds gegenüber zwei demokratischen Senatoren geäußerte Anschul- digungen, einige gewählte Volksvertreter strebten diktatorische Macht- verhältnisse, wie sie in Europa herrschten, an, brachten das Fass der verfassungsrechtlichen Debatte zum Überlaufen. Die Antwort der Senatoren auf das von US-Zeitungen im Mai veröffentlichte Schreiben Dodds1871 kam wie zu erwarten: Senator Bulkley richtete einen höflichen ______

1869 Vgl. Dodd an Senator Carter Glass, 1. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-G. Dodd leitete Senator Glass als einem seiner Vertreter in Virginia den Brief an Bulkley direkt weiter. Dodd formulierte in seinem Anschreiben an Glass die Hoffnung, „that you will be able to keep the Democratic Party from breaking into parts at such a critical moment in our history”. 1870 Dodd an Senator Robert J. Bulkley, 1. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B (2. Mappe „B”). 1871 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 302f. Ursprünglich hatte Dodd Judge Moore diesen Brief für eine spätere Veröffentlichung überlassen. Trotz Moores Anweisung an den

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Brief mit ironischem Unterton an Dodd, er sei in einem Artikel des Paris Herald falsch zitiert worden, Roosevelts Justizreform zu opponieren, und machte offenkundig, wie sehr er sich in seiner Ehre als Senator beleidigt fühlte. 1872 Der amerikanische Botschafter in Berlin sah sich dennoch bestätigt, da viele renommierte Vertreter der Medien sich für Roosevelts Justizreform aussprachen und die Mehrheit der Bevölkerung und Re- präsentanten, abgesehen vom Senat, positiv eingestellt war.1873 Dodds Kollege Josephus Daniels stellte sich ebenso an die Seite seines Freun- des: Senator Glass, sein langjähriger Freund und progressive Kollege in Wilson Kabinett, habe sich zu einem besonders reaktionären und konservativen Politiker entwickelt; Einige Senatoren, wie Senator Bailey sei aufgeblasen und Roosevelt gegenüber illoyal. In Übereinstimmung mit Dodd sprach er wohlwollend von einem Court Packing – zu viele der Richter seien tatsächlich von Wirtschaftsinteressen gelenkt – und versprach, zusammen mit Dodd bei Hull und Roosevelt zu diesem Thema vorsprechen zu wollen.1874 Der Konflikt um Supreme Court, Senat und Exekutivgewalt drohte dennoch weiter zu eskalieren und das progressive Lager zu spalten. Während er und William Dodd in ihrer Briefkorrespondenz haupt- sächlich über Dodds mögliche Rückkehr in die USA im Sommer 1937 und seinen potentiellen Nachfolger diskutierten, schilderte Judge Moore nebenbei auch die sich zuspitzende Situation für Roosevelt, dessen Opposition an Boden gewann. Nun seien sogar größere Streiks an der Tagesordnung und der Kongress erwäge momentan diese für illegal zu erklären, um den Präsidenten für seine Zurückhaltung auf diesem

______Herausgeber des Richmond Times-Dispatch, den Brief noch nicht zu veröffentlichen, erschien eine Zusammenfassung des Dokumentes am 10. Mai 1937 in einer Zeitung in Greensboro, worauf der Times-Dispatch mit einer kompletten Publikation am 11. Mai folgte. Die Hintergründe hierzu sind nicht bekannt. 1872 Vgl. Bulkley an Dodd, 9. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B (2. Mappe „B”). „I favored the proposal, and I have spoken over the radio in support of it. […] I expect to further discuss the matter in the Senate and I know that I have learned much from your complete letter on the subject”. 1873 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 391. Dodd erfuhr von NBC-Journalist Max Jordan am 12. März, dass der Senat eindeutig gegen Roosevelts Maßnahmenpaket eingestellt sei. 1874 Vgl. Daniels an Dodd, 2. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D (2. Mappe „D”).

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Gebiet abzustrafen.1875 Nicht frei von Klage über Roosevelts Alleingang ohne Konsultation des Kabinetts oder des Kongresses bedauerte Moore in weiteren Briefen, 1876 dass nun auch ein Streit über den nationalen Haushalt ausgebrochen sei, was die Desintegration innerhalb der Partei noch weiter beförderte.1877 Präsident Roosevelt gab sich dagegen in seinen Briefen an Dodd gewohnt optimistisch. Er kommentierte lediglich, die Debatte um den Supreme Court sei für ihn und das demokratische System der USA sehr lehr- reich.1878 Lehrreiche Debatten hin oder her, für Dodd zählte nur, dass sich die Hinweise häuften, dass die Demokratie ernsthaft in Gefahr war. Ihm war zu Ohren gekommen, dass sich der deutsche Botschafter Hans Luther mehrfach mit dem amerikanischen Self-Made-Radikalen Huey Long getroffen hatte. 1879 Long sowie die großen Interessengruppen

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1875 Vgl. Moore an Dodd, 25. März 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. Vgl. Moore an Dodd, 3. April 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „The fierceness of the battle over the Court plan does not diminish […]”. Vgl. auch Luther an das Auswärtige Amt, 23. Januar 1937. PAAA. Pol. IX USA 73. Po5. Band 2 (Best.: R 104995). Botschafter Hans Luther hatte im Januar 1937 noch beobachtet, der „Streik in Automobil-Industrie [sic!] richte[…] sich in keiner Weise gegen die Amerikanische Regierung”. Die Anführer des Streiks seien Roosevelt-Anhänger. Der Streik bei General Motors gehe von einer Minderheit aus, angeführt von der Gruppe um Gewerkschafter Lewis. „Marxistische oder kommunistische Ziele werden von Lewis-Bewegung in keiner Weise verfolgt”. Doch könne der Streik langfristig die Konjunkturentwicklung stören. Vgl. zu Lewis‘ Rolle im Kampf gegen U.S. Steel und zu den großen „sit-down“-Streiks 1937 LEUCHTENBURG: New Deal. S. 239-243 und RENSHAW: Profiles in Power. S. 118-125. 1876 Vgl. Moore an Dodd, 29. März 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1877 Moore an Dodd, 4. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1878 Vgl. Roosevelt an Dodd, 28. April 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „I know you will agree with me that the debate on the Supreme Court during the past three months has done more to educate the American people in basic principles of the Democratic form of government than any discussion since the issue of the bank of the United States over a hundred years ago”. 1879 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 397. Ein ehemaliger Botschaftsmitarbeiter der deutschen Botschaft Washington – nun im Ruhestand - hatte Dodd Berater Lee erzählt, er habe Botschafter Luthers Berichte zu diesen Treffen gelesen. Demnach sei Luther mehrfach nach Louisiana gereist, um sich mit Huey Long zu treffen. Dodd erhielt diese Informationen von Lee am 7. April 1937.

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stellten für die Demokratie die größte Gefahr dar, nicht Roosevelts Justizplan, verteidigte er selbstsicher die Schritte seines Präsidenten vor einem bedeutenden Zeitungsredakteur, William Chenery vom Collier’s the National Weekly.1880 Dieser erwiderte – was den generellen Argumenten der Diskussion auf Seiten der Roosevelt-Gegner entsprach – , die Frage der Gerichtsbefugnisse habe nichts mit der Pressefreiheit zu tun und die Bedeutung einer unabhängigen Justiz sei in einer Demokratie nicht zu unterschätzen. Ein solch eingreifender Schritt wie das Court Packing sei nur mit Zustimmung der Bevölkerung möglich.1881 Dabei entsprach letztere Idee durchaus Dodds Einstellung, ein Verfassungsamendment einzuleiten. Dies durfte selbstverständlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen, die Roosevelt für die Umsetzung seine New Deal-Politik wahrscheinlich nicht zur Verfügung hatte. William Edward Dodd versuchte darüber hinaus, weitere progressive Verbündete zur öffentlichkeitswirksamen Unterstützung von Roosevelts Plänen zu mobilisieren. Ermutigt von Lord Cecils Ausführungen 1882 zu Fortschritten und Rückschlägen der Friedensbewegung – Bürger könnten nach seiner Ansicht zu jenem Zeitpunkt mehr bewegen als die führenden Politiker – ignorierte Dodd William Bullitts Briefe zur Aussichtslosigkeit einer aktiveren Außenpolitik angesichts der isolationis- tischen Haltung der amerikanischen Öffentlichkeit. Der US-Botschafter wagte einen weiteren Schritt, sich Schützenhilfe im Kampf um die

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1880 Vgl. Dodd an William Chenery, 27. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-C. „The idea of having the freedom of the press limited is certainly remote from Roosevelt’s judicial reform. […] For a President to be elected on a ten million majority and then be ordered by the courts to sit still four years in a measure justifies the Nazi claim here that we have a judicial dictatorship”. 1881 Vgl. Chenery an Dodd, 15. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-C. „The President’s proposal, in its essence, gives Congress the right to amend the Constitution when, as and if it pleases. […] If we are to change from a constitutional government to a parliamentary government, I think that matter is important enough to be submitted to the people.[…] I think that as a historian you will certainly remember that an independent judiciary has been a bulwark of freedom throughout the development of democratic forms of government among English-speaking peoples”. 1882 Vgl. Lord Cecil an Dodd, 30. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-C. „[…] I feel confident that there is more hope from the peoples than there is from the Governments, speaking generally”.

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öffentliche Meinung zu verschaffen.1883 In einem Briefwechsel tauschte er Gedanken mit Bernard Baruch, Banker, Philanthrop und dem pro- gressiven Berater Wilsons und Roosevelts, aus. Doch Baruch enttäuschte: Vielleicht, meinte er fatalistisch in einem Brief vom April 1937, brauchte die Welt einen weiteren großen Krieg um aufzuwachen und endgültig Frieden zu schaffen. Er habe sich bisher absichtlich zurückgehalten, um seine Kräfte für einen wirklichen, aussichtsreicheren Kampf aufzusparen: „This all may seem very discouraging to you but I agree with Mr. Wilson when he said after America turned down the League that the world was not ready for it. Perhaps we will have to have another great catastrophe before we will voluntarily get into something that will force all nations to keep peace ”.1884 Für William Edward Dodd war angesichts der kritischen europäischen und asiatischen Lage dieser Moment des Kampfes, der alle progressiven Kräfte an Franklin Roosevelts Seite erforderlich machte, schon längst eingetroffen. Auf Baruchs Engagement in der amerikanischen Friedens- bewegung oder in der öffentlichen Auseinandersetzung um die amerika- nische Demokratie, wie Dodd es vorschlug,1885 war also nicht zu hoffen. Auch wenn dies sicherlich nicht auf Baruch zutraf, Wilsons ehemaliger Marineminister, Josephus Daniels, hatte den amerikanischen Botschafter und Progressivsten bereits gewarnt, dass die progressive Bewegung nicht mehr das war, was sie einmal gewesen war. Viele progressive Politiker der ersten Stunde gefährdeten progressive Projekte wie den New Deal mehr als konservative. Mit einem starren Reformkonzept im Kopf, wie dies für die Politiker Wheeler, Johnson und viele andere zutreffe, hätten sich diese mit konservativen Elementen der amerika- nischen Politiklandschaft gegen Roosevelt vereint:

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1883 Vgl. Bullitt an Dodd, 19. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B. „The President and the Secretary of State have done such a fine job drawing the countries of the two Americas together that a lot of people have concluded that they could do something of the same sort in Europe. You and I know just how limited their influence is on this continent. […] Never within my memory has there been such a universal sentiment in the United States in favor of isolation from Europe”. 1884 Bernard M. Baruch an Dodd, 19. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B. 1885 Vgl. Dodd an Baruch, 30. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B.

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„I did not have any doubt at first about the success of the President’s judiciary plan, but when I saw that such old time Progressives as Hiram Johnson and Burt Wheeler were fighting it, I did become uneasy. It is distressing to see men of that type in bed with the most reactionary elements of the Republican party which they have been fighting so many years, particularly Wheeler. […] The action of these Progressives strengthens an opinion expressed to me one time by President Wilson. Early in his administration he leaned upon the more progressive men in the Senate. […] Some years afterwards […] he said to me: ‚If you can get an old time politician committed to your program you are much more sure to win than with the Progressives we have to deal with in the Senate. The politician wishes results […]. On the other hand, your Progressive is usually an individualist who has made up his mind that reforms must come by a certain method which he had perfected’ ”.1886 Franklin Delano Roosevelt bestätigte diese Entwicklungen in der Rück- schau in späteren Jahren. Sein oberstes Ziel – und dies hatte sicherlich für William Dodds Position während und nach seiner Zeit als Botschafter und für seinen Einfluss in der Administration erhebliche Bedeutung – sei der Erhalt der progressiven und liberalen Ausrichtung seiner Regierung und Partei gewesen. Hierüber und über die drohende Spaltung seiner Partei durch vorgeblich liberale, progressive Demokraten räsonierte er: „[S. XXI:] IT HAS [sic!] frequently been said that eternal vigilance is necessary to preserve our liberties. It is equally true that eternal vigilance is necessary to keep democracies and their governments truly liberal. […] / [S. XXVII:] In that struggle [for progressive legislation], a few Democratic members of the House and Senate – who had been elected in 1936 and in earlier years on liberal platforms […] – had definitely allied themselves with the opponents of the program. […S. XXVIII:] I believe it is to be my sworn duty, as President, to take all steps necessary to insure the continuance of liberalism in our government. I believe, at the same time, that it is my duty as the head of the Democratic party to see to it that my party remains the truly liberal party in the political life of America. […S. XXXII:] I was chiefly interested in continuing the Democratic party as the liberal, forward- looking, progressive party in the United States”.1887

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1886 Daniels an Dodd, 31. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D. 1887 Roosevelts „Introduction”, in The Public Papers and Addresses Vol. 7, 1938. S. XXI- XXXIII.

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Trotz dieser Einstellung des Präsidenten bat Judge Moore, der Dodds gedanklichen Austausch und Debatten mitverfolgt und eine Kopie des Briefes an die Senatoren zur eventuellen Veröffentlichung von Dodd erhalten hatte, seinen Freund eindringlich, das provokative Schreiben an die Senatoren zur Justizreform nicht der Öffentlichkeit zu präsentieren. Moore selbst hatte Ende April einen herben beruflichen Rückschlag erlitten, als Sumner Welles statt seiner den Posten als Under Secretary und er eine ähnlich dotierte, faktisch aber weniger mächtige, neu geschaffene Position als Counselor of the State Department angeboten bekam.1888 Fast entsprach es einer Vorahnung R. Walton Moores, dass Dodd sich mit Sumner Welles in mächtiger Stellung im Department eine offene innenpolitische Kontroverse mit führenden Senatoren nicht leisten konnte, als William Dodds Brief an Senator Bulkley vom März am 12. Mai 1937 durch unbekannte Hand veröffentlicht wurde und sofortige Konsequenzen ihre Wirkung entfalteten.1889 Die Welle medienwirksamer Entrüstung der öffentlichen Meinung, die über Dodd zusammenschlug, war von gigantischem Ausmaß. Der Bot- schafter sah sich umgehend gezwungen, den Brief vor Präsident Roosevelt sowie Senatoren wie Senator William H. King aus Utah zu rechtfertigen. Obwohl die Senatsdebatten vor allen Dingen um die Identifikation der Millionäre zirkulierten, die angeblich bei der Errichtung einer Diktatur helfen wollten, lehnte Dodd es strikt ab, Namen zu nennen.1890 William

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1888 Vgl. Moore an Dodd, 27. April 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1889 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 407. Dodd erfuhr von der Veröffentlichung selbst erst am 12. Mai. Er hatte, aus Angst vor einem solchen Fall, eine Kopie an Judge Moore gesendet, um den Brief im Richmond Times-Dispatch zu veröffentlichen. Der Brief war aber schon davor, wie Dodd erfuhr, heftigst im Senat diskutiert worden. Dass Dodd die Veröffentlichung geahnt hatte und ihr vorgreifen wollte, schildert er auch Roosevelt. Vgl. auch Dodd an Roosevelt, 13. Mai 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. „When I heard that parts of my letter were about to be quoted, I sent a copy to Judge Moore three weeks ago for publication in Richmond in case that seemed well”. 1890 Vgl. Dodd an Senator William H. King, 14. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-K. „In so far as information as to who might help to set up a dictatorship is concerned, I must say that I cannot possibly give names. Of the four different people who spoke to me very confidentially at different times, not one was willing to have his name circulated […]. I might say here that no one mentioned people connected with the famous Rockefeller Foundation”. Vgl. Dodd an Roosevelt, 13. Mai 1937.

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Dodd wandte sich am 12. Mai direkt an die Presse: Er hielt daran fest, dass eine solide Front radikaler und konservativer Personen und Organisationen in den USA die Gefahr eines diktatorischen Umsturzes erhöhte.1891 Moore gegenüber äußerte er vorsichtig die Hoffnung, das Department mit diesem aufsehenerregenden Brief nicht beschämt zu haben. Für die nächste Zeit könne er jedenfalls aufgrund der Kritik an seiner Person nicht kündigen, auch wenn Welles‘ Ernennung zum Under Secretary of State ihm als ausreichender Grund hierfür gereichte.1892 Die Veröffentlichung hatte zudem bewirkt, dass sich viele Senatoren wie Nye, Borah, Wheeler und weitere auf Dodds Aussagen fokussierten und ihre Rechte als Senatoren, für oder gegen einen Gesetzesentwurf stimmen zu können, überbetonten.1893 Die beste Quelle für die laufende Diskussion stellen die Artikel der renommierten nationalen Zeitungen

______Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. „You are not, I hope, annoyed at the violent talk of Senator Borah and his fellow opponents. […] I hope the matter does not in any way embarrass you. […] [F]our times competent men told me such a thing was desired [to establish a dictatorship], three times when I was in the U.S. one time here [in Berlin]. But it was always confidential”. 1891 Vgl. Statement given by Ambassador Dodd to American press correspondents in Berlin re: Bulkley letter, 12. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B (2. Mappe „B”). „This is what I tried to make plain; and to divide our leading parties now and invite solid front radical and conservative organizations would be to invite a dictatorship. Several influential men said to me when I was in the United States in 1935 and 1936 that certain great millionaires favor such an outcome”. 1892 Vgl. Dodd an Moore, 14. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „Well’s [sic!] appointment is only another invitation to me to do what we have exchanged letters about. […] I hope all that Senate uproar on the possible dangers from party splits which I mentioned has not embarrassed the Department. Senate Attacks [sic!] may compel me not to do what I have hoped for a year or more”. 1893 Vgl. zum Beispiel zu Wheeler, der sich viele Jahre für den Progressivismus der Demokratischen Partei eingesetzt, aber aufgrund seiner isolationistischen Einstellung und der Auseinandersetzung über die Rolle des Supreme Courts mit Roosevelt überworfen hatte BLACK: Champion of Freedom. S. 421f. Vgl. zu Wheelers Rolle im Streit um das Court Packing u.a. MORGAN: FDR. S. 472-478. Vgl. hierzu auch DAVIS: Into the Storm. S. 71f. Vgl. zu Borahs Rolle und Einstellung bezüglich der amerikanischen Deutschlandpolitik ab 1936 McKENNA: Borah. S. 345-368. Borah war keinesfalls ein Sympathisant totalitärer Systeme. Er ging davon aus, dass Kommunismus und Nationalsozialismus mit verschiedenen Methoden dem selben Ziel entgegenarbeiteten (S. 349f.). Allerdings sei dies eine deutsche bzw. europäische Angelegenheit und jede Möglichkeit, die USA in einen Krieg hinein zu ziehen müsse unterbunden werden. (S. 351ff.).

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der US-Presse dar. Die Zeitungen überschlugen sich, ihre Leser mit dem neuesten Stand des Skandals zu versorgen, wobei das Presseecho, wie die amerikanische öffentliche Meinung und Politik generell, gespalten war. Der Chicago Tribune berichtete, Senator Borah halte Dodd für verrückt, Roosevelts diktatorisches Court Packing zu befürworten und gleichzeitig vor einer Diktatur zu warnen.1894 Für die New York Post war William Edward Dodd der „Man of the Week“: Dodd hatte – nach Ansicht des Journalisten Cal Tinney – bezüglich seiner Arbeit als Botschafter und seinem politischen Engagement alles richtig gemacht. Loyal, weltgewandt und ein Freund von Theodore Roosevelt, Woodrow Wilson und Franklin Roosevelt hatte Dodd der Welt mit seinem Brief an die überheblichen Senatoren einen Gefallen getan: „I read that letter he wrote to Senator Bulkley […]. I don’t see anything wrong in it. Professor Dodd was just naïve enough to think U.S. Senators knew history. […] However, Senator Borah waxed about as wroth over Professor Dodd’s letter as he has ever waxed in his life. He said of the Dr., ‘I decline to descend to the level of reaching after such irresponsible scandalmongers. He is a disgrace to our country. I have an idea his proposed dictatorship is the figment of a disturbed mind.’ […] He [Dodd] comes short of being a scandalmonger, and I can’t find much to indicate he’s a disgrace to his country, unless you hold it against him that in Europe he likes to travel in the cheapest, or Third Class, coaches. […] As a diplomat, Will Dodd’s chief fault is his virtue. […] [H]e likes to buttonhole the German state’s head and tell him, as subtly as possible, he is crazy. […] That’s how the Professor came to write those Senators. He thought the President was right on this here Court proposition and he just thought the Senators should know he felt thataway. […] A brilliant little man, courageous and competent, that’s Professor Dodd”.1895 Für die Journalisten der News-Week war es nicht verwunderlich, dass der integere Dodd die Missgunst der Nationalsozialisten geerntet hatte;

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1894 Vgl. Chicago Tribune vom 13. Mai 1937. „Dodd in Berlin Worries About Dictator in U.S. Envoy Writes a Letter About Court”. „Witnesses before the senate judiciary committee who had made a first hand study of the rise of the Hitler dictatorship in Germany said the court packing bill would make a dictatorship possible in this country, but Ambassador Dodd put it in reverse English. […] Senator William E. Borah, veteran liberal Republican of Idaho, declared: ‘If he [Dodd][Dodds Name durch eckige Klammern ergänzt im Original] is against dictatorship and for the court packing plan he is crazy’ ”. 1895 New York Post vom 15. Mai 1937. „Man of the Week. Ambassador Dodd. He Raised the Question of the Week. Who’s the Billionaire”.

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Dennoch glaubten die amerikanischen Senatoren nun – vielleicht mit Recht – Dodd habe seine Kompetenzen als Botschafter mit diesem Brief überschritten und das State Department zudem verärgert.1896 Es bleibt festzuhalten, dass die politischen Abteilungen des Auswärtigen Amtes die aus der Botschaft in Washington übermittelten Zeitungsartikel sammelte, offensichtlich vor allem die kritischen, als ob die deutschen Beamten eine nahtlose Beweisführung gegen Dodd aufrechterhalten wollten.1897 Einige Bespiele dieser Artikel offenbaren den gemeinsamen Tenor der Dodd-kritischen Presse, er habe seine Kompetenzen über- schritten: Der Evening Star kritisierte Dodds Sturheit, den Namen der Milliardäre oder Millionäre nicht preisgeben zu wollen. 1898 Für die Washington Post stand ungeachtet der Tatsache, dass US-Botschafter im amerikanischen System als direkte Kandidaten des Präsidenten für dieses Amt mit oftmals vorheriger politischer Karriere in dessen Partei auch politische Funktionen wahrnahmen, fest, dass der amerikanische Botschafter Senatoren in ihren innenpolitischen Entscheidungen, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu beeinflussen hatte. 1899 Der namhafte Journalist Arthur Krock äußerte in der New York Times seine Bedenken, Dodds Brief spalte die Partei, die den Senat und die Exekutive kontrolliere und nur mit Hilfe dieser Verfassungsorgane überhaupt Botschafter ernennen könne; Eine schwere Hypothek für künftige Er- nennungen.1900 Auch demokratische Senatoren wie Senator Frederick Van

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1896 Vgl. News-Week vom 22. Mai 1937. „DIPLOMACY: Will Knows All, Dad Says, but Will Won’t Tell”. „Nobody would expect the Nazis to like William Edward Dodd […]. He is a democrat by party and conviction […]. He calls upon Germans to preserve Christian ideals […]. [H]e speaks, not as a political adversary, but as a scholar interpreting present events in a glow from the past. As such, he has made the Berlin embassy a gathering place for German scholars […]. All this is contrary to international custom, and the State Department at Washington has felt for some time that it could use a Berlin envoy more devoted to the conventional pursuits of diplomacy”. 1897 Vgl. Sammlung von Artikeln amerikanischer Zeitungen zum Fall Dodd im Mai 1937 in PAAA. Pol. IX USA 73. Po5. Band 2 (Best.: R 104995). 1898 Vgl. Evening Star vom 12. Mai 1937. „Who Is the Billionaire?” „To protect his country the Ambassador should name the billionaire, let chips fall where they may, so that justice may be done”. 1899 Vgl. Washington Post vom 14. Mai 1937. „Dodd Vs. Dodd“. „The function of an ambassador is to represent his country […] not to attempt to influence the votes of senators on domestic questions”. 1900 Vgl. New York Times vom 13. Mai 1937. „Waters Too Troubled for Diplomatic Ventures”. „[…] [T]his particular controversy has split the party that controls the Senate and the executive department which jointly create Ambassadors”.

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Nuys aus Indiana bezweifelten, ob dieser Brief zeitlich und inhaltlich gesehen die Debatte um das Court Packing befruchtete.1901 Auf die Spitze trieb der Washington Herald die Diskussion um Dodds Beweggründe für den Brief: Der Botschafter habe den Brief formuliert, um Roosevelt einen Grund zu geben, ihn zurückzuberufen, nachdem seine Familienmitglieder – Sohn William wegen seines Engagements in der Friedensbewegung, Martha Dodd wegen ihrer „Kurierdienste“ für Nachrichten links gesinnter Amerikaner an Oppositionelle in Berlin – in die Kritik geraten waren und das Hitler-Regime bis dato vor eine offiziellen Aufforderung zum Rücktritt zurückschreckte.1902 Unwillkürlich geriet Dodd in die Defensive, erklärte sich in weiteren Briefen Roosevelt und Hull und begann, eine Stellungnahme gegen die Angriffe durch die Senatoren, die ihn öffentlich und vehement kritisier- ten, zu formulieren.1903 Ungeachtet dessen, wie aggressiv die Senatoren Borah und King Roosevelts Botschafter in Berlin verbal attackierten, die Administration und das State Department blockten jede Forderung der aufgebrachten Volksvertreter ab. William Bullitts Anfrage bei Cordell Hull, ob er denn nähere Informationen zum Hintergrund von Dodds Brief habe, wurde vom amerikanischen Außenminister schroff abgewiesen.1904

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1901 Vgl. New York Times vom 13. Mai 1937. „Dodd is Denounced by Court Bill Foes. Borah Terms the Ambassador ‘a Disgrace to His Country’ and a ‘Scandal Monger’”. Van Nuys hatte kommentiert: „His [Dodd’s] letter was ill-timed and out of keeping with his function as an Ambassador”. 1902 Vgl. Washington Herald vom 12. Mai 1937. „Dodd Faces Recall Over ‘Dictator’. Senate Probe of Charges Asked”. „There are many in Washington who think […] that Dodd believed President Roosevelt was looking around for a reason to ease him gracefully from the Berlin assignment […]. […] [T]he Hitler government did not wish to precipitate a diplomatic incident by filing a formal complaint […]”. 1903 Vgl. Dodd an Hull und Roosevelt, 15. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „Three prominent Americans talked to me when I was in the country about more than one multimillionaire who was favoring a dictatorship. […] All of these conversations were confidential and I could under no circumstances report names to the Senate”. 1904 Vgl. Bullitt an Hull, 12. Mai 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./161. Bullitt verlangte von Hull, über Dodds Hintergründe zu seinem Brief an die Senatoren aufgeklärt zu werden, wovon er in der französischen Zeitung Paris Midi erfahren hatte. Vgl. Hull an Bullitt, 12. Mai 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./162. Hull wies Bullitts Anfrage schroff zurück. Das State Department habe keine weiteren Informationen und werde auch keine Presseerklärung geben. Der Brief habe lediglich Roosevelts

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Als die verärgerten Senatoren eine weitere Eskalationsstufe erklimmen wollten und per Resolutionsentwurf durch Senator Nye William Dodd offiziell vor die zweite Kammer des US-Kongresses zitieren wollten, damit er die Namen der angeblich in Putschversuche involvierten amerikanischen Milliardäre preisgab,1905 ließ Cordell Hull über Senator Pittman ausrichten, dass diese Resolution keine Aussicht auf Erfolg haben könnte: „In the light of the facts which have already appeared in the press with regard to Mr. Dodd’s letter, including a recent statement which Mr. Dodd has made and which the press has printed in explanation and in amendment of certain statements made in that letter, it seems that no useful purpose would be served by taking the action contemplated by the Resolution. My recommendation therefore is against its passage”.1906 Auch R. Walton Moore bestätigte Dodd, Hull habe diese Nye-Resolution abgewehrt und die Richter des Supreme Courts beruhigten sich schon wieder.1907 William Dodd war sich sicher, dass der Präsident zu ihm stand und er deshalb zu jenem Zeitpunkt Mitte Mai nicht zurücktreten konnte, um Männern wie Joe Davies nicht den Weg auf den Botschaftsposten in Berlin frei zu machen.1908 Zu diesem Schluss kam er durch Judge Moores Zusicherung, dass Roosevelt Dodds Bezug auf historische Präzedenzfälle, in denen der US-Senat und Supreme Court den Fortbestand der Union durch ihre Minderheitsvoten gefährdet hatten, gefallen hatte und dieser weiterhin in höchsten Tönen von seinem Botschafter sprach:

______Justizreform unterstützt: „There are no references to the German or any foreign Government”. 1905 Vgl. Chicago Tribune vom 14. Mai 1937. „Demands Dodd Reveal Identity of ‚Billionaire’”. Senator Pittman habe die sofortige Diskussion über die Resolutions Nyes verhindert und bewirkt, dass die Resolution zunächst an das Foreign Relations Committee unter seinem Vorsitz weitergeleitet wurde. Vgl. auch Senator Pittman an Hull, 14. Mai 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./164. Pittman sandte Hull die Nye-Resolution mit der Bitte um einen Kommentar. 1906 Hull an Senator Pittman, 17. Mai 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./167. 1907 Vgl. Moore an Dodd, 25. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). „[…] [T]he Committee was advised that in the opinion of the Secretary [of State] nothing could thereby be accomplished, and I do not suppose that we will hear of the Resolution again”. 1908 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 408. Dodd spricht in seinem Tagebucheintrag vom 19. Mai 1937 von einem entsprechend herzlichen Brief Roosevelts mit diesem Inhalt.

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„I cannot refrain from telling you very confidentially that when I saw him [the President] yesterday he expressed the satisfaction he had found in the historical discussion contained in your recently published letter. And besides that, he spoke warmly, and I may say even affectionately, of you. He did not mention the matter of your retirement and I thought best to adhere to the attitude I expressed in my last letter to you”.1909 Es finden sich zwei weitere Beweise, dass dies tatsächlich Roosevelts Haltung gegenüber seinem Berliner Botschafter entsprach. Zum einen spielte Roosevelt selbst indirekt in einem Gespräch mit dem Time Magazine darauf an, dass er Dodds Ängste vor einer Diktatur in Amerika teilte, sollte sich die soziale und wirtschaftliche Lage durch einen gescheiterten New Deal verschlechtern: „Bound home from his fishing trip, President Roosevelt declined to comment directly on the Dodd letter, but newshawks aboard the Presidential special learned from his ‘associates’ that he was inclined to share his Ambassador’s fears. Though unconcerned about whether any particular billionaire was planning a fascist putsch [kursiv im Original], the President was represented as believing that a dictatorship might indeed result unless his foes were held in check”.1910 Zum anderen schrieb er Dodd direkt einen persönlichen Brief, in dem er seinem Repräsentanten bezüglich des Inhaltes seines Briefes an die Senatoren Recht gab: „Frankly, I was delighted with your letter to Bulkley. But because you are too honest and sincere to be a publicity expert, you did not realize that that one sentence about the billionaire would be the one thing in the whole letter seized on by the Press and a certain type of false liberal like Borah. No one can answer the main points you made, and we are truly at another very important crisis. Some of our Democratic ‘friends’ do not at all like the idea that I may keep on making speeches and radio talks for the next three and a half years. They think that a second term President should be duly grateful and retire to innocuous desuetude”.1911

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1909 Moore an Dodd, 20. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). 1910 Time Magazine vom 24. Mai 1937. „The Congress. Dodd’s Dictator”. 1911 Vgl. Roosevelt an Dodd, 25. Mai 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38.

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Franklin Roosevelt bestätigte Dodds Aussagen zur gefährlichen Spaltung innerhalb des progressiv-liberalen und des Demokratischen Lagers und zum zunehmenden Einfluss „falscher“ Liberaler wie Senator Borah. Seinen Botschafter aber hielt er für so ehrlich und wahrhaftig – seiner eigenen politischen Einstellung entsprechend – progressiv-liberal, dass seine wahren Äußerungen und Beobachtungen lediglich von der Presse unrechtmäßig verdreht worden seien. Offensichtlich war der US-Präsi- dent alles andere als überzeugt davon, dass Dodd – wie ihm von vielen Seiten vorgeworfen wurde – seine Kompetenzen überschritten oder seinen Auftrag in Berlin verfehlt hatte. Roosevelt und Hull äußerten weder indirekt noch direkt in jenen Tagen oder den folgenden Monaten als Vorgesetzte Kritik an ihrem Botschafter in der deutschen Hauptstadt. In den Folgetagen galten William Edward Dodds Bemühungen dem Versuch, die Wogen zu glätten. Hull gegenüber äußerte der Botschafter seine Absicht zumindest bis Ende Juli 1937 auf seinem Posten bleiben zu wollen, denn sein bester Botschaftsbeamter, Lee, sei bis zu jenem Zeit- punkt abwesend. Ohne Lee oder seine eigene Anwesenheit sei eine zuverlässige Berichterstattung über den Sommer hinweg unmöglich.1912 Mit letzterer Aussage spielte Dodd auf Counselor Mayer und seine Nähe zu den Nationalsozialisten an, dem er nur ungern die Botschaft für ein paar Wochen überlassen wollte. Moore hatte vorab den amerika- nischen Vertreter darin bestärkt, bis zum 1. September 1937, wie mit Roosevelt kurz vor dem Briefskandal abgesprochen, in Berlin auf seinem Posten zu verharren und stellte ein baldiges Ende der hitzigen Debatten in Aussicht.1913 Solange sein Verbleib in Berlin von Washington erwünscht war, beschloss William Edward Dodd trotz der zahlreichen Unkenrufe über eine provozierte Rückberufung pflichtbewusst seine Aufgaben zu erfüllen. Nachdem er entsprechende Signale seitens der Regierung erhal- ten hatte bemühte sich der progressive Historiker deshalb weiterhin, verschiedenen Zeitungen sowie aufgebrachten Senatoren den Inhalt und die Botschaft seines Briefes zu erklären: Die USA müssten schnellst- möglich ihre wirtschaftlichen Probleme lösen, um soziale und politische Experimente wie in der Sowjetunion, Deutschland oder Italien zu ver- meiden und die individuelle Freiheit der Bürger zu bewahren: ______

1912 Vgl. Dodd an Hull, 17. Mai 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). 1913 Vgl. Moore an Dodd, 15. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”).

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„The first thing I wished to make clear was the way the judges of the Supreme Court before 1830 asserted their claim to override acts of Congress and annul the laws of States. […] The second object of my letter was to emphasize the consequences of the defeats of Grover Cleveland, Theodore Roosevelt and Woodrow Wilson when elections had shown that the people favored their measures. […] My third point was to emphasize the economic dangers ahead of us and to say that continued party defeats of majority elections was likely to give us half a dozen party organizations […] which had wrought such damages in Europe. […] My hope has always been that we could make our country more democratic […] without inviting the curious experiments which have been applied in Russia, Germany and Italy. Individual freedom has been a great cause of our success […]”.1914 Individuelle Freiheit machte für den Progressivisten Dodd den ent- scheidenden Unterschied zwischen dem Erfolg des amerikanischen und den neuen europäischen Systemen des Kommunismus und Faschismus/Nationalsozialismus aus. Dabei ging der größte Gefahren- punkt von einer Auflösung des amerikanischen Zwei-Parteien-Systems zugunsten einer Aufsplitterung des Parteienspektrums aus. Als direkte Folge hieraus resultiere der Beginn einer Europäisierung Amerikas nach dem Vorbild der Dauerkonflikte und des Demokratiedefizits Europas. Senator Borah, progressiv-republikanischer Wortführer der medienwirk- samen Angriffe auf William Dodd, erhielt einen versöhnlichen Brief des Botschafters, in dem dieser seine ausdrückliche Hoffnung auf größere Machtbefugnisse für den gesamten US-Kongress als Legislativorgan und Repräsentant des Volkes ausdrückte. Eine solche Ausweitung der Kom- petenzen des Kongresses könne letztlich die Entwicklungen, die er in seinem Brief in einer dunklen Version der Zukunft vorhergesehen hatte, noch rechtzeitig vermeiden.1915 Ungeachtet aller Kritik und aller Lösungsversuche für den verfassungs- rechtlichen Konflikt zeigten die Ereignisse der Sommermonate 1937, dass Roosevelts Einfluss auf die amerikanische Politik vehement bekämpft ______

1914 Vgl. Dodd Presse-Statement, 24. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B (2. Mappe „B”). Dodd sandte diese Erklärung an die Herausgeber des Richmond Times Dispatch, des New York Herald Tribune, der New York Times, des Raleigh News & Observer, des Washington Star und der Washington Post, mit dem Anschreiben: „Newspapers need to put real facts before our people”. 1915 Vgl. Dodd an Senator Borah, 28. Mai 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B (2. Mappe „B”).

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wurde und sich die Demokratische Partei in tiefer Spaltung wiederfand.1916 Vielleicht waren es diese innenpolitischen Gründe, wovon Sumner Welles Dieckhoff gegenüber gesprochen hatte, die Roosevelt dazu bewogen, Dodd Anfang November um einem verlängerten Aufenthalt in Berlin bis März 1938 zu bitten, um hier eine kontinuierliche Fortsetzung der liberalen Vertretung Amerikas in Berlin zu gewährleisten.1917 Präsident Roosevelts Einschätzung der kritischen Lage seiner Präsi- dentschaft war nicht auf seine eigene Wahrnehmung beschränkt. Seine Bedenken wurden von sämtlichen progressiven Mitgliedern seiner Regierung geteilt: Die Gefahren für Roosevelts fortschrittliches Politik- programm lokalisierten die Progressivisten in totalitären und „un- amerikanischen“ Denk- und Handlungsweisen im Aus- wie im Inland. Claude Bowers, US-Botschafter in der spanischen Exilbotschaft in Frankreich, interpretierte die faschistische Verschwörung in Spanien als erste Schlacht im Kampf der Demokratien gegen den Faschismus. Dass auch bei ihm ein „Systemgedanke“ stärker wurde, zeigt seine außergewöhnliche Orthographie des englischen Wortes für „Demokratie“ in Großschreibung. Auch er beklagte sich bitter darüber, dass sein französischer und sein englischer Kollege „Faschisten“ seien und nun der Zeitpunkt gekommen sei, dass die Demokratie sich gegen den Totalitarismus verteidigte: „The struggle here comes as the result of a pre-arranged conspiracy of the fascist powers in conjunction with the privileged class here and the military to destroy democracy in Spain, probably as a preliminary to a fascist attempt to wipe out democracy in Europe. […] [I]t is time for Democracy to stop its cowardly giving of the fascist salute to every bully that shakes a fist. […] I am appalled to find that the French and British Ambassadors are raving fascists and have been from the first day of the

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1916 Vgl. zu Roosevelts innenpolitischen Herausforderungen ab 1937, die zu großen Verlusten der Demokratischen Partei bei den Kongresswahlen 1938 führten: JENKINS: Franklin Delano Roosevelt. S. 94-114. 1917 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 430. Dodd schreibt in sein Tagebuch am 3. November, dass der Präsident ihn ungeachtet der früheren Abmachung einer Rückkehr zum 1. September 1937 um eine Verlängerung auf seinem Posten bis zum 1. März 1938 gebeten hatte, mit einem Hinweis auf den steigenden Druck durch potentielle Nach- folgerkandidaten wie Joe Davies.

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war. […] I have written you very confidentially […] with extraordinary restraint. You ought to hear me talk!”1918 Wiederholt betonte Dodd in Briefen an seinen Präsidenten, Franklin Roosevelt solle das „echte“ demokratische System Wirklichkeit werden lassen, für das Jahr 1938 eine nationale PR-Kampagne zu den Basisfra- gen der Demokratie anregen und vor allen Dingen der Aggressionspolitik Japans Einhalt gebieten, da sonst die amerikanische Demokratie durch jene autoritäre Militärdiktatur im Jahr 1938 wie niemals zuvor gefährdet sei.1919 Josephus Daniels teilte diese Ansicht und hatte Dodd ebenso ermutigt, nicht aufzugeben, zumal der Präsident sich von den Angriffen auf seinen Botschafter nicht beeindruckt zeigte. Mit Präsident Roosevelt, seinem ehemaligen Assistant Secretary of the Navy, teilte Daniels nach eigener Aussage die Auffassung, einige progressive Politiker seien im Herzen nie progressiv, sondern opportunistische Mitläufer der Bewegung gewesen und setzten nun alles daran, echte Reformen zu verhindern. Die Entstehung einer amerikanischen Arbeiterpartei mit allen potentiellen Konsequenzen lag auch für den progressiven Daniels im Bereich des Möglichen.1920 Schon im Juni hatten sich Gerüchte gemehrt, die Republi- kaner wollten den Gewerkschaftsführer John Lewis gegen Roosevelt in Stellung bringen und als Kandidaten aufstellen.1921

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1918 Bowers an Dodd, 18. Juni 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B. 1919 Vgl. Dodd an Roosevelt, 1. Juli 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. „What a struggle you have to make democracy real [unterstrichen im Original] in our country”. Vgl. Dodd an Roosevelt, 15. Juli 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „What can your Administration do in case your leading measures are defeated? I think there might be a nation-wide campaign in 1938 on the basic question: whether our country will save its democracy”. Vgl. Dodd an Roosevelt, 16. September 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „[I]f our country can not halt Japan, democracy in our world is going to be in grave danger in 1938. Our interests are at stake and English-French relations are such that nothing will be done without our positive help”. 1920 Vgl. Daniels an Dodd, 22. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B (2. Mappe „B”). „I talked with Roosevelt about you when I was in Washington in July and found that the undercover attack upon you had made no impression upon him; quite the contrary”. 1921 Vgl. Daniels an Dodd, 22. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-B (2. Mappe „B”). Daniels erwähnt den Versuch,

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Es scheint aus diesen Gründen nicht verwunderlich, dass Roosevelt an den letzten loyalen progressiven Politikern und Beratern festhielt, die an seinen New Deal glaubten, ohne sich jedoch öffentlich in den Streit innerhalb seiner Demokratischen Partei einzumischen. Offensichtlich hielt Präsident Roosevelt Dodd für die geeignete Person, seinen eigenen Vorschlag einer nationalen Aufklärungskampagne 1937/38 selbst zu ver- wirklichen. Im August drängte Roosevelt Dodd gar dazu, Angebote für öffentliche Reden zu innen- wie außenpolitischen Themen anzu- nehmen.1922 Im Oktober bat er ihn um weitere persönliche Briefe mit seiner Einschätzung zur weltpolitischen und deutschen Lage und legte seinem Botschafter in Berlin Argumente vor, warum er trotz gegen- sätzlicher Absprachen vor einigen Monaten nun bis zum 1. März 1938 im Amt bleiben sollte. 1923 Cordell Hull, in seiner üblichen weniger entscheidungsfreudigen Form, bestärkte Dodd auf seine Art darin, dass er an ihm festhalte und erklärte, seine Tür für die Anliegen und Ratschläge des Botschafters stünde stets offen.1924 Dieser bemerkenswerten Unter- stützung aus der Roosevelt-Administration gewahr setzte der amerika- nische Botschafter in den Sommer- und Herbstmonaten alles daran, keine weiteren Skandale auszulösen oder einen Grund für Kritik zu geben. Der Hintergrund hierfür war, dass er einerseits Roosevelts Wunsch auf einen Verbleib in Berlin erfüllen wollte, dies aber aufgrund des nunmehr

______eine dritte Partei ins Rennen zu bringen und kritisiert die Meinung der Unterstützer dieser Bewegung, unter anderem angeführt von Colonel Knox, dem Vize- präsidentschaftskandidaten des Wahlkampfes 1936. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 416f. Dodd führt in seinem Tagebuch am 14. Juni 1937 die neuen Entwicklungen des Schulterschlusses von Republikanern und Gewerkschaft aus. Lewis wurde als Haupt- sprachrohr und Initiator der großen Streiks 1937 identifiziert. Vgl. zu Lewis‘ Rolle 1937 auch LEUCHTENBURG: New Deal. S: 239-243. 1922 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 426. Bei einem gemeinsamen Mittagessen, erinnerte sich Dodd am 11. August, dass Roosevelt ihn eindringlich dazu aufforderte, bei seiner Rede am Williamstown Institute of Human Relations „‚the truth about things‘“ (Dodd zitiert Roosevelt im Wortlaut) auszusprechen. „He urged me to accept all the invitations I could. It was plain that he wished me to interpret and discuss American and international problems as best I could”. 1923 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 429. Am 19. Oktober 1937 sprach Roosevelt mit Dodd persönlich in seinem Anwesen in Hyde Park, NY, über die weltpolitische Lage. Er bat seinen Botschafter im Wortlaut: „‘Write me personally about things in Europe‘ “. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 430. 1924 Vgl. Hull an Dodd, 25. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H (2. Mappe „H”). „I think I have always said to you that my door is always open when you come this way”.

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offen ausgeübten Drucks seitens des State Departments und der deutschen Regierung, keinesfalls öffentlich aufzutreten und sich zur poli- tischen Lage zu äußern, nur tun konnte, wenn er den Weisungen des Departments folgte. Seinem Sohn vertraute er an, keine freien Reden in den USA zu halten, damit sein Rücktritt nicht lautstark gefordert werde. Roosevelt dränge ihn zum Verbleib in Berlin und das State Department habe ihn – ganz entgegen Roosevelts Direktive – bezüglich weiterer Redeengagements mit der Abberufung bedroht.1925 Um die potentielle Weitergabe vertraulicher Informationen an die Presse durch Dritte zu umgehen fügte Dodd wichtigen Briefen nunmehr keinerlei Kopien für die Akten des Departments bei, aus denen bereits mehrfach zuvor vertrauliche Informationen von oder über William Dodd an die Öffent- lichkeit oder die deutschen Behörden gelangt waren.1926 William Dodd hatte die Hoffnung und vor allen Dingen den Glauben an Roosevelts Administration nicht aufgegeben. Gleichsam spielte „die Öffentlichkeit“ für den amerikanischen Botschafter eine immer entscheidendere Rolle. Dodd machte in einem Brief Ende Oktober Cordell Hull auf die Gemeinsamkeiten der außenpolitischen Ideen und Konzepte des Außen- ministers und Präsident Roosevelts aufmerksam. Auch die öffentliche Meinung befürworte Hulls Außenpolitik, nur berichteten die Medien hiervon nicht. Es müsse etwas getan werden, schloss Dodd, damit die US-Bürger im Sinne einer echten Demokratie besser über die Weltlage informiert würden und die Handlungsoptionen der Regierung besser verstehen könnten.1927 Die amerikanische Demokratie sei ein komplexes System, gestand der Jefferson-Anhänger Dodd in einem anderen Brief- wechsel mit dem Außenminister ein, habe aber dennoch bereits Wunder in der Welt bewirkt und müsse aktiv geschützt werden.1928 ______

1925 Vgl. Dodd an William Dodd, Jr., 29. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence William Edward Dodd, Sr. Aug. 1 – Dec. 24, 1937. „I am afraid I can not even go to New York. […] And just now I have ready confidential letter from Department saying German Embassy had made solemn warning about my speaking next Saturday. Information was: if I spoke, a recall would be asked. […] [Y]ou can see what going to New York would mean – especially as the P. [President] wishes me particularly to remain in B. [Berlin] the next three or four months”. 1926 Vgl. Dodd an Moore, 28. September 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. 1927 Vgl. Dodd an Hull, 28. Oktober 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). 1928 Vgl. Dodd an Hull, 15. November 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160).

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Dodds Intervention in der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung um Rechte und Pflichten von Judikative und Legislative sowie sein Fürsprechen für Roosevelts politisches Programm hatten William Edward Dodd 1937 noch eindeutiger und öffentlich wirksamer in das progressiv- internationalistische Lager gerückt und somit den konservativen Beamten des State Departments und denjenigen des Auswärtigen Amtes voll- ständig entfremdet. Die innere Zerrissenheit des Landes entlud sich in den Reaktionen über Dodds Brief, der die Schwachstellen des Systems aufgezeigt hatte. Tatsächlich befand sich die Demokratische Partei zu jenem Zeitpunkt in einer drohenden Spaltung und Streiks, die die Erfolge von Roosevelts New Deal in Frage stellten, durchzogen das Land. Die Opposition, Roosevelts eigene Parteigenossen und ehemalige Unterstützer sowie viele Senatoren fühlten sich von der offenen Kritik durch den liberalen Botschafter Dodd zweifelsohne angegriffen und in ihren Überzeugungen herausgefordert. Der Nährboden für Angriffs- möglichkeiten gegen Dodd, seinen endgültigen Rücktritt zu erzwingen, war nunmehr auf beiden Seiten des Ozeans bereitet.

6.2.3. „Department Reshuffle – Dodd’s Temporary Defeat”. Neuorganisierung des State Departments, der Aufstieg Sumner Welles‘ und Dodds Abberufung Eine weitere Perspektive in Hinblick auf Dodds Rückberufung stellten die Interna des State Departments und der Roosevelt-Administration dar, die es an dieser Stelle zu betrachten gilt. Anfang des Jahres 1937 scholt Judge Moore seinen Freund und Kollegen, William E. Dodd, seine und die deutsche Situation zu ernst zu nehmen und bestärkte ihn in dem Glauben, dass Roosevelt von Dodd trotz aller Widerstände weiterhin verantwortlich für die Berliner Botschaft sehen wollte.1929 Dass William Dodd zu Beginn des Jahres weder den frühzeitigen eigenen Rücktritt, noch eine andere Stelle akzeptieren wollte,1930 hatte drei Gründe. Zum ______

1929 Vgl. Moore an Dodd, 9. Januar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). Die Zeitungsartikel über Dodd „[do] not influence the opinion of any person of ordinary intelligence. […] It is not necessary for me to write further in addition to what I have already written about the President’s attitude toward your tenure of office”. 1930 Vgl. zum Beispiel den Briefwechsel mit Colonel House über eine mögliche Professorenstelle in Oxford, England, die House ausfindig gemacht hatte: Dodd an House, 17. Februar 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H.

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ersten befürchtete er, dass Männer wie US-Botschafter Joe Davies in Moskau, die sich seiner Meinung nach allzu leicht von deutschen Führungspersönlichkeiten wie Schacht blenden ließen, sein Amt als Nachfolger bekleiden könnten. 1931 Zum zweiten hielt er es für seine Pflicht, solange in Berlin auszuharren, wie Roosevelt ihn dort benötigte und bis dieser eine akzeptable Alternative gefunden hatte.1932 Und zum dritten erachtete es Dodd als unabdingbar, die von Roosevelt geplante Reform des Foreign Service in ihrer Umsetzung zu begleiten und der Administration beratend zur Seite zu stehen. Grund für Kritik am Auswärtigen Dienst gab es in seinen Augen genug.1933 Dem amerika- nischen Außenminister klagte er Mitte Februar in einem persönlichen Brief sein Leid und wies auf mögliche undichte Stellen im State Department und auf die Überzahl ignoranter Millionäre im Auswärtigen Dienst.1934 Weil der Botschafter nicht akzeptieren wollte, dass im Falle eines früheren Ruhestandes diese Aufgaben unbearbeitet liegen blieben könnten, führte er in den Folgemonaten diesbezüglich einen regen Briefwechsel mit R. Walton Moore. Zwar hielt er an einem baldigen

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1931 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 380f. Nach Dodds Meinung hatte sich Davies bereits Ende Januar 1937 bei einem Treffen mit Schacht in Berlin von diesem bezüglich des angeblichen deutschen Willens zu einer möglichen Friedenskonferenz einwickeln und blenden lassen. Zudem habe sich Davies von anderen Beamten des Auswärtigen Amtes überzeugen lassen, der Spanische Bürgerkrieg sei keine Gefahr mehr für den Weltfrieden und Hitler werde alsbald seine Freiwilligen abziehen. Vgl. eine Einordnung von Davies‘ Zeit in Moskau in ULLMAN, Richard H.: The Davies Mission and the United States-Soviet Relations, 1937-1941. In: World Politics. A Quarterly Journal of International Relations 9,2 (1957). S. 220-239. Vgl. hierzu auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 144f. Dallek spricht ebenso von Davies‘ Fehleinschätzungen in Hinblick auf sowjetische Pläne und Erwägungen. 1932 Vgl. Dodd an Hull, 16. Februar 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 14 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Dodds spielte bereits mit dem Gedanken, zum Sommer 1937 abzutreten, allerdings nur, wenn dann auch ein geeigneter, demokratisch gesinnter Nachfolger wie Professor Shotwell von der Columbia University gefunden sei. 1933 Vgl. Dodd an Roosevelt, 30. Januar 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. Dodd beschwerte sich über die mangelnden Fähigkeiten der Botschaftsmitglieder, knappe und präzise Berichte zu verfassen, ihre mangelnde Disziplin und Organisation sowie den Sachverhalt, dass immer mehr Millionäre hohe Posten des Foreign Service bekleideten, denen ihre Pflichten und Verantwortung nicht bekannt oder gleichgültig seien. 1934 Vgl. Dodd an Hull, 15. Februar 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 14 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160).

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Rücktritt fest, allerdings nicht ohne vorab seine Nachfolge geregelt zu wissen. Für Dodd kamen mehrere Kandidaten, renommierte Wissen- schaftler und Demokraten wie Professor Shotwell oder Professor Charles Merriam1935 für seinen Posten in Frage und er ermahnte Moore dazu, dass Counselor Mayer seine Stelle für einen kompetenteren Beamten räumen müsse. Für den progressiven Historiker bestand ein direkter Zusammenhang zwischen dem Reichtum und der exzessiven Lebens- weise mancher hoher amerikanischer Diplomaten und ihrer für die Interessenvertretung der USA im Ausland fatalen „faschistischen“ Gesinnung.1936 Der Botschafter zeigte sich ebenso schockiert, als Moore ihm die Namen der in Washington gehandelten Kandidaten für die Botschaft Berlin, Joe Davies, Hugh R. Wilson und Hugh Gibson, nannte,1937 wie in dem Moment, in dem Judge Moore sich über Sumner Welles mögliche Nachfolge als Under Secretary of State äußerte. In dieser Frage der Nachfolge auf William Phillips war allerdings aufgrund der Unentschlossenheit des Präsidenten und des Außenministers Ende März noch immer keine Entscheidung getroffen worden. Fest stand nur, so Moore, dass Roosevelt Veränderungen für das State Department und die diplomatischen Spitzenpositionen plane.1938 Im April 1937 erklärte Moore seinem Freund in Berlin, dass Roosevelt seinen Rücktritt nicht vor dem 1. September 1937 akzeptieren könne. Der Präsident wünschte offensichtlich nicht, dass Dodd rasch seinen Posten zugunsten anderer Kandidaten räumte. Zudem sollte dieses Datum vertraulich behandelt werden.1939

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1935 Charles E. Merriam arbeitete zu jenem Zeitpunkt als Professor der Politikwissen- schaften und Vorsitzender des Departments dieses Studienganges an der Universität von Chicago. Merriam diente Roosevelt seit 1933 als Berater unter anderem für die Ausarbeitung eines Planes zur effizienzsteigernden Reorganisation der Exekutivorgane. Vgl. DAVIS: Into the Storm. S. 20f. 1936 Vgl. Dodd an Moore, 9. April 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. Über Counselor Mayer schrieb Dodd offen: „Certainly he is opposed to democracy and our staff people think he is a Fascist. Most of the millionaires in the service are so counted”. 1937 Vgl. Moore an Dodd, 25. März 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). 1938 Vgl. Moore an Dodd, 29. März 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1939 Vgl. Moore an Dodd, 29. März 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. Vgl. auch Roosevelt an Moore, 5. April 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series:

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Der Fokus interner Machtkämpfe im State Department lag zu jenem Zeitpunkt im Frühjahr 1937 auf jener von Moore in mehreren Briefen an Dodd beklagten Auseinandersetzung zwischen R. Walton Moore und Sumner Welles, Phillips‘ mächtigen Posten als Under Secretary bekleiden zu dürfen.1940 Dieser Konflikt war Teil der generellen Neubesetzungswelle im Department 1937, die der Präsident selbst initiiert hatte.1941 Zunächst standen drei Kandidaten in Konkurrenz zueinander, die ursprünglich selbst mit dem Entscheidungsprozess über Neubesetzung und Beförde- rung des Department-Personals betraut worden waren: Wilbur Carr, der die Kommission zur Auswahl des Personals des Auswärtigen Dienstes leitete; R. Walton Moore, der sicher stellen wollte, dass jeder Repu- blikaner oder republikanisch denkende Beamte, der den New Deal kriti- sierte, keine Beförderung oder höhere Position erhielt; Sowie Sumner Welles, dem es gelang aufgrund seines direkten Drahtes in das Weiße Haus jeden unliebsamen Kandidaten aus dem Rennen zu werfen.1942 Als William Phillips zugunsten eines Botschafterpostens in Italien seine Stelle als Under Secretary of State aufgab, stand fest, „[that] this decision would trigger the bloodiest battle at the State Department during the New

______Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Moore, R. Walton: 1937-39. „I would entirely approve his actual resignation September first and, of course, if he personally wants to leave Berlin about August first, leaving Mrs. Dodd and his daughter there for the extra month, I suppose that can be arranged”. Vgl. auch Moore an Dodd, 8. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). Dieses Datum müsse laut Moore jedoch geheim gehalten werden. 1940 Vgl. zum Beispiel Moore an Dodd, 8. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). Die Lage im Depart- ment werde immer schlimmer, beklagte sich Moore, der trotz des Wettstreites mit Welles einen Großteil von Phillips‘ ehemaligen Aufgaben erledigen musste. 1941 Vgl. Moore an Dodd, 29. März 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1942 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 120f. Vgl. dagegen WELLES, Benjamin: Sumner Welles: FDR’s Global Strategy. A Biography by Benjamin WELLES. London u.a. 1997. S. 196. Benjamin Welles stellt dagegen die Behauptung auf, Moore habe wenig außen- politische Erfahrung mitgebracht und habe durch seinen Fokus auf rechtliche Aspekte der Außenpolitik eine isolationistische Tendenz des State Departments bewirkt. Eine rein isolationistische und damit Roosevelts Zielen entgegenlaufende Einstellung Moores ist jedoch aus den Briefwechseln mit Dodd kaum erkennbar. Dies hätte darüber hinaus sicherlich zu konkreten Konflikten über gewisse Fragen der Außenpolitik in Briefen und Gesprächen mit Dodd geführt.

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Deal”.1943 Carr hatte zunächst Hoffnung in Louis Howes Hilfe, Roosevelts engsten Berater, gesetzt, der allerdings im April 1936 verstorben war.1944 Zu verschiedenen Anlässen, wie während des Engagements Roosevelts, Hulls und Welles‘ in Buenos Aires, hatte sich Moore bereits als Acting Under Secretary bewiesen und füllte faktisch diesen Posten nach Phillips‘ Abschied über mehrere Monate hinweg aus.1945 Hull, der sich in solchen Situationen des öfteren als entscheidungsschwach herausgestellt hatte, brachte im März 1936 das Thema der Wahl zwischen Moore und Welles bei einem Mittagessen mit Roosevelt in das Tischgespräch ein und wies auf Moores besondere Kompetenzen hin, weswegen er diesen als Under Secretary präferiere, aber keine endgültige Entscheidung treffen wolle. Roosevelt versprach, sich dieser Frage anzunehmen und mit Welles zu sprechen, auch, weil im State Department der Unmut über die vakant gebliebene Stelle und eine entsprechend höhere Arbeitsbelastung der Beamten wuchs.1946 Des Weiteren spitzte sich die Situation zu, da beide Konkurrenten ihre eigenen „Lobbyisten“ ins Spiel brachten, die ihrerseits Druck auf die Administration ausübten. Da war William Bullitt, der sein enges Verhältnis zu Roosevelt während einer gemeinsamen Woche in des Präsidenten Kurort, Warm Springs, Georgia, dafür nutzte, Moores Namen mehrmals im Zusammenhang mit der nötigen State Department-Reform fallen zu lassen.1947 Und auf der anderen Seite Drew Pearson, der bereits erwähnte Journalist der berüchtigten Washington Merry-Go-Round- Kolumne, der seinen langjährigen Freund Sumner Welles seit 1933 – erfolglos – dabei unterstützt hatte, eine umfangreiche Passage zum außenpolitischen Programm der Roosevelt-Administration in den demo- kratischen Plattformen 1932/33 und 1935/36 beizutragen. Wie von Moore

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1943 GELLMAN: Secret Affairs. S. 121. Vgl. zu Phillips´ Erlebnissen als Botschafter in Italien aus seiner eigenen Perspektive: PHILLIPS: Ventures in Diplomacy. S. 188-210. 1944 Als weiterer Kandidat für die Stelle als Under Secretary war ursprünglich auch William Bullitt, einer der Hauptkritiker Dodds seit der ersten Stunde und gleichzeitig enger Freund R. Walton Moores, gehandelt worden. Dieser konnte sich allerdings aufgrund seiner früheren Auseinandersetzungen mit dem ehemaligen Präsidenten Woodrow Wilson sowie wegen seines schlechten Verhältnisses zu Cordell Hull kaum Chancen ausrechnen. Vgl. Gellman: Secret Affairs. S. 127f. 1945 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 126. 1946 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 127f. 1947 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 122ff. Vgl. auch WELLES: Sumner Welles. S. 197. Benjamin Welles erklärt Bullitts und Moores Kooperation mit der Tatsache, dass Bullitts Vater und Judge Moore Freunde auf der von ihnen gemeinsam besuchten Law School gewesen seien.

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in seinen Briefen an Dodd angedeutet, hatte Pearson in drei Kolumnen des Jahres 1937 versucht, Judge Moore zu diskreditieren. Im Kern dieser Kolumnen steckten die Argumente, Moore sei mit 78 Jahren zu alt für diesen verantwortungsvollen Posten, während der Präsident doch gerade versuchte, überalterte Richter des Supreme Courts loszuwerden. 1948 Moore schäumte vor Wut. Nicht nur waren die Behauptungen in seinen Augen haltlos, auch beschuldigte er insgeheim Cordell Hull, diese Situation durch sein Zögern verursacht zu haben. Es sei Hulls eindeutige Aufgabe als Außenminister, Entscheidungen für das Department eigen- ständig zu treffen. Franklin Roosevelt nahm ihm diese Aufgabe angesichts der verfahrenen Lage ab. Dank Senator Key Pittman, der Mitte April 1937 einen Gesetzesvorschlag mit dem Ziel einer Wiedereinführung des Amtes des Counselor to the State Department einbrachte, konnte der Präsident Moore diese in Gehalt und Verantwortung ebenbürtige Stelle zuschreiben und die Billigung durch den Senat im Mai 1937 erwirken. 1949 Dodd gegenüber hatte er zwar mit den Gedanken um eine Kündigung oder den Verbleib in seinem Amt als Assistant Secretary of State gespielt1950, doch nahm Moore widerwillig das Angebot des Präsidenten an. Moore würde dennoch Roosevelt in den folgenden Jahren niemals für Welles‘ Bevor- zugung kritisieren. Für ihn stand fest, dass Hull seiner Aufgabe als Minister nicht entsprochen hatte. 1951 Dies hatte auch entscheidende Konsequenzen für den Secretary of State: „Hull hereby lost his closest confidant”, 1952 denn die vormals vertrauensvolle Beziehung zwischen Cordell Hull und Judge Moore sollte fortan nie mehr dieselbe sein. Weiterhin schwor Moore dem Kontrahenten Welles Rache. Die folgenden Jahre würde er nutzen, Welles‘ beruflichen und privaten Schwachstellen aufzudecken und auf seinen Sturz hinzuarbeiten.1953 Die Geschichte um diesen Konflikt im State Department sei laut Irwin Gellman angesichts

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1948 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 128ff. Vgl. Moores Brief an Bullitt vom 20. April 1937, worin er Welles und Pearson als die „two persons whom I hold in utter contempt” bezeichnet, in BULLITT: For the President. S. 211. 1949 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 130f. Vgl. Moores Brief an Bullitt vom 20. Mai 1937. Der Präsident habe ihm eindeutig angedeutet, er sei der von ihm präferierte Kandidat gewesen. Vgl. BULLITT: For the President. S. 214f. 1950 Vgl. Moore an Dodd, 27. April 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1951 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 132. 1952 GELLMAN: Secret Affairs. S. 133. 1953 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 133.

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des öffentlich weitaus schärfer diskutierten Court Packings Roosevelt und der Wahlen 1936 verloren gegangen und auch kaum in die Memoiren der beteiligten Akteure eingeflossen.1954 Für das weitere Schicksal William E. Dodds jedoch spielte sie die entscheidende Rolle. Für Gellman steht fest, dass dieses konfliktreiche Umfeld der außenpolitischen Akteure der Roosevelt-Administration eine vergiftete Atmosphäre mit entsprechen- den Konsequenzen für die Außenpolitikformulierung und die Akteure selbst nach sich zog, an der Roosevelt nicht wenig Schuld trug: „The antagonistic environment thus created provided the ideal climate for future intrigue. An administration in which the president enjoyed rivalries among the cabinet officials; a secretary of state who was incapable of supervising his subordinates; a controversial under secretary; and a counselor who was committed to his superior’s demise – these potentially explosive ingredients needed only the proper catalyst to explode into catastrophe”.1955 Es mag als müßige Frage erscheinen zu spekulieren, was mit William Dodd geschehen wäre, wenn Judge Moore an Welles‘ statt Under Secretary und damit der mächtigste Mann des Außenministeriums geworden wäre. Doch sicherlich hätten die deutschen Außenpolitiker um Dieckhoff und Thomsen kaum die Möglichkeit gehabt mit Welles in der Abberufung Dodds hinter Hulls und Roosevelts Rücken zu kollaborieren. William Dodd wäre vermutlich zum 1. März 1938 ohne größeres Aufsehen in die USA zurückgekehrt. Doch Welles wollte diesen Prozess beschleunigen und Dodd war nun, da sein engster Vertrauter im Department, Moore, empfindlich geschlagen war, ein sehr viel schneller zu erfassendes Ziel. Roosevelt hatte sich bereits in der Stimmung gezeigt, Veränderungen in seinem diplomatischen Personal in Europa vornehmen zu wollen. Hull hatte im Fall Moore bewiesen, dass er selbst seine engsten Vertrauten nicht vor Intrigen schützen konnte oder wollte. Deshalb musste es umso unwahrscheinlicher sein, dass er sich nun für William Dodd, der lediglich ein Botschafter mit Aussicht auf seinen Ruhestand statt einer aufstrebenden Diplomatenkarriere war, einsetzen würde. Die Entscheidung des Präsidenten, auf Pittmans salomonischen Vorschlag einzugehen, hatte Welles offenbart, dass Roosevelt selbst keine Zeit hatte, Lösungen herbeizuführen, sondern auf Lösungsvorschläge von anderer

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1954 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 134. 1955 GELLMAN: Secret Affairs. S. 135.

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Seite wartete, die er dann analysierte und wovon er den für ihn oppor- tunsten auswählte. Zweifelsohne war der Präsident nicht geneigt, Dodd aus Berlin abzuziehen, würde an ihm aber – zumal Dodd selbst seine Kündigung mehr als einmal erwogen hatte – vermutlich auch nicht mit Nachdruck festhalten. Sumner Welles hatte mit der Ernennung zum Under Secretary of State 1937 einen Höhepunkt seiner Karriere erreicht und Cordell Hull de facto auf den zweiten Platz der Entscheidungsträger der Behörde verwiesen. Mit Welles an der Spitze des Amtes wurden die Chancen immer geringer, dass sich Dodd, selbst wenn seine Redetätig- keit und seine Haltung nicht derart kontrovers diskutiert worden wären, trotz seiner Nähe zu Roosevelt, Hull und Moore länger als Botschafter in Berlin halten konnte. Dodds und Moores Wunsch nach einer Reorganisation und Reform des State Departments wurde ironischerweise unter Sumner Welles 1937 und in den Folgejahren Wirklichkeit. Einige der Entscheidungen konnten langfristig allerdings auch nicht von Dodd negativ bewertet werden: Einige konservative Diplomaten wurden sukzessive durch progressivere ersetzt und Welles selbst würde sich zu einem Vertreter progressiver Außenpolitik entwickeln,1956 die in seinem Engagement für die Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg gipfelte. Dennoch behagte dieses Neumischen der Karten zunächst weder Moore noch William Dodd noch anderen Progressiven der alten und neuen Schule. Anders als sein Vorgänger Phillips, den Gellman als Antisemiten bezeichnet, begann Welles unverzüglich mit der neuen Organisation des Departments. Wilbur Carr, bei Welles in Ungnade gefallen und ohne Verbündete in der Behörde, wurde als Gesandter in die Tschechoslowakei geschickt. Der Generalkonsul in Wien, George Messersmith, der wie Welles Moore verachtete, übernahm Carrs einflussreichen Verantwortungsbereich der Haushaltsaufsicht im Department.1957 Messersmith, ein Aufsteiger fernab ______

1956 Einige der US-Medien hatten diese Entwicklung bereits 1937 erkannt. Vgl. Star vom 16. Dezember 1937. „We, the People. Reshuffling of Diplomats Reflects Struggle to Bring U.S. Policy in Line With British Desires”. „At the same time, the home front has been strengthened by the action of Undersecretary of State Welles – long unfairly regarded as leader of State Department conservatism – in making a speech warning against the extension of Fascist propaganda to the Western Hemisphere”. 1957 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 137f. Vgl. auch DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 422. Dodd berichtete seinem Tagebuch am 12. Juli 1937 von dieser Nachricht, dass Carr durch Messersmith ersetzt wurde. Vgl. zur Reorganisation des Departments auch JONAS: The United States and Germany. S. 226 und WELLES: Sumner Welles. S. 197f.

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aller traditionellen Kreise des Ministeriums, erwirkte, dass im Unter- schied zur Politik seines antisemitisch eingestellten Vorgängers Carr mehr europäische Flüchtlinge in den USA willkommen geheißen wurden als in den Jahren davor.1958 William Bullitt vermochte als Chief Adviser on European Affairs für den Präsidenten in Paris zu verbleiben.1959 Entscheidend für Dodds Position war jedoch die unmittelbare Kon- sequenz aus Welles‘ Aufstieg für Judge Moore. Während Bullitt sich weiterhin für Moore beim Präsidenten einsetzte, verringerte sich die Intensität des Kontaktes zwischen Bullitt und Moore in den Folgemo- naten 1937. „Their connection was disintegrating because of Moore’s inability to find an avenue to communicate through departmental channels”. 1960 Der betagte R. Walton Moore hatte im Konflikt mit Welles seine Vitalität und Motivation weiter zu kämpfen verloren.1961 Auch anderen Beamten und Diplomaten war Welles’ Machtzuwachs nicht willkommen. Die progressiven Botschafter Dodd, Bowers und Daniels warnten geschlossen vor dem Aufstieg von Beamten, die die New Deal-Philosophie nicht wirklich in sich trugen.1962 Nicht erst Senator Joseph Guffey aus Pennsylvania erklärte Cordell Hull 1939, dass viele der Karrierediplomaten und Beamten seines Ministeriums immernoch profaschistisch und gegen Roosevelt eingestellt seien, und nannte als Beispiele Welles, James Dunn, langjähriger Chef der Protokollabteilung und politischer Berater Secretary Hulls, und Pierrepont Moffat. Roosevelt war empfänglich für Warnungen dieser Art seitens seiner progressiven Mitstreiter, die ab 1937 seine Vorsicht gegenüber den professionellen außenpolitischen Entscheidern weiter nährten und ein Katalysator für Roosevelts selbstbestimmte Quarantänerede wurden.1963 Die Auseinandersetzungen innerhalb des progressiven Lagers um Roosevelt zogen weite Kreise, auch im Kern der Administration. Die amerikanische Deutschlandpolitik Ende der 1930er Jahre spielte hierbei eine unmittelbare Rolle und beschleunigte den Verlauf innerer Macht- kämpfe. Sicherlich erweiterten sich diese deshalb auf William Edward

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1958 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 137ff. 1959 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 140f. 1960 GELLMAN: Secret Affairs. S. 144. Vgl. auch BROWNELL/BILLINGS: So Close To Greatness. S. 192f. und 206f. 1961 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 143. 1962 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 146. 1963 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 147.

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Dodd, der eindeutig dem „anti-totalitären“, offen kritischen Kreis ange- hörte, der direkte Maßnahmen gegen Deutschland forderte. Während Hulls Position seit 1937 schwächer wurde – Diplomaten wie Joe Kennedy, 1964 William Bullitt und andere verhandelten hinter seinem Rücken direkt mit dem US-Präsidenten – überwarf er sich Schritt für Schritt mit Innenminister Ickes und Finanzminister Morgenthau, die sich beide mit Cordell Hulls unentschlossenem Handeln gegenüber der deutschen Aggression unzufrieden zeigten. 1965 „Morgenthau followed most of the president’s policies and was especially vocal in regard to Nazi tyranny and the State Department’s failure to counter it”.1966 Obschon diese maßgebliche Haltung entscheidender Minister des Roosevelt- Kabinetts zur amerikanischen Deutschlandpolitik derjenigen William Dodds entsprach, standen 1937 mit der beginnenden Reorganisation des State Departments und Welles‘ weiteren Rachegedanken an Moore und seinen Unterstützern die Aussichten schlecht für den Botschafter in Berlin. Mehrere Beamte teilten Dodds Vermutung, dass Sumner Welles in irgendeiner Weise mit der Weitergabe vertraulicher Informationen an die Presse sowie an das Auswärtige Amt in Berlin in Verbindung zu bringen war. Der Diplomat William Castle machte Cordell Hull mehrfach auf die Notwendigkeit aufmerksam, auf einem Bruch zwischen Welles und dem Journalisten Pearson zu bestehen, deren Freundschaft enger sei, als angenommen würde. Dem amerikanischen Außenminister war auch bekannt, dass es Welles sein musste, der Pearson mit vertraulichen Informationen aus dem State Department versorgte, um seine vielge- lesenen Kolumnen mit Fakten zu untermauern. Es mehrten sich zudem bereits seit längerer Zeit Gerüchte, Welles sei trotz seiner Ehen bi- oder homosexuell und pflege deshalb den engen Kontakt zur Presse um sich selbst aus dem Schussfeld zu halten. Da Präsident Roosevelt auf Hulls weitere Unterstützung seines progressiven Reformplanes zählte, hatte der Außenminister alle Trümpfe in der Hand sie gegen Welles auszuspielen. Doch Hull sah von derartigen Intrigenspielen, aber auch einer direkten Unterstützung Dodds ab.1967

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1964 Vgl. zum politischen und familiären Hintergrund von Joseph P. Kennedy COLE: Isolationists. S. 275f. Vgl. zu seiner Zeit als Botschafter KAUFMANN: Two American Ambassadors: Bullitt and Kennedy. In: CRAIG/GILBERT: The Diplomats S. 649-681. 1965 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 152f. 1966 GELLMAN: Secret Affairs. S. 153. 1967 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 154f.

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Welles‘ Siegeszug innerhalb des Departments blieb 1937 also trotz aller Gerüchte ungebremst. Dies sah Judge Moore Ende April voraus, als er seinem Freund in Berlin die Nachricht verkündete, dass die Entscheidung über ihn als neuem Counselor und Welles als Under Secretary of State endgültig gefallen sei. Gedemütigt in seiner Niederlage zog er den Schluss, dass unter Welles das Department leiden werde, und erwog die Kündigung, die William Dodd nun auch für sich als immer drin- gendere Notwendigkeit empfand.1968 Basierend auf den Informationen eines Freundes spekulierte Dodd in seinem Tagebuch über Gerüchte, dass Welles den Posten erhalten hatte, weil andernfalls sechs US-Senatoren mit einer Blockade der Rooseveltschen Justizreform gedroht hätten. Umso verwunderter zeigte er sich ob der offensichtlich vertrauensvollen Bezie- hung zwischen Welles und dem Präsidenten: „Politics is a strange game, even with a real man like Roosevelt”.1969 Dodd hatte von Moore erfahren, dass der Millionär Joe Davies tatsächlich als sein Nachfolger in Berlin gehandelt wurde.1970 Mehrfach bedrängte Dodd seinen Unterstützer im State Department, mit dem Präsidenten über diese „Unsitte“, Millionäre auf relevante Botschafterposten im kriegsbedrohten Europa zu setzen, zu sprechen. Das Department schien ihm gespalten und eine nahe Zukunft eines Ruhestandes mit ruhigem Gewissen deshalb unmöglich, weshalb er zunehmend mit dem Gedanken spielte, länger auf seinem Posten zu verharren, um seiner Botschaft und der amerikanischen Deutschlandpolitik einen Mann wie Davies zu ersparen.1971 Die Aussicht auf Joe Davies‘ mögliche Ernennung wirkte auf Dodd als Motivation, noch während seiner und Moores Amtszeit einigen begabten amerikanischen Diplomaten ihren weiteren Karriereweg zu sichern. Hierzu zählte Generalkonsul Jenkins, der sich seiner Meinung

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1968 Vgl. Moore an Dodd, 17. April 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). Vgl. auch Dodd an Moore, 14. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „Well’s [sic!] appointment is only another invitation to me to do what we have exchanged letters about”. 1969 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 422. Dodd schilderte dies am 30. Juni in seinem Tagebuch (S. 421f.) und ließ nicht die Gelegenheit aus, sich über Welles‘ prunkvollen Lebensstil zu echauffieren. 1970 Vgl. Moore an Dodd, 4. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. „[…] Mr. Davies is certain to be your successor […]”. 1971 Vgl. Dodd an Moore, 7. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1.

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nach in Berlin überaus verdient gemacht hatte.1972 Doch Moores Wille und seine Macht im Department waren gebrochen. Für Personalfragen, erteilte er Dr. Dodd eine Absage, sei er nicht mehr zuständig.1973 Vor allem deshalb riet er Dodd, sich an seine Abmachung mit dem Präsi- denten über einen Rücktritt zum 1. September 1937 halten.1974 Ermutigt von Roosevelts Zuspruch nach der Veröffentlichung seines Briefes an die Senatoren Glass und Bulkley Mitte Mai 1975 nahm der Botschafter dies zum Anlass, Roosevelt indirekt über Colonel House1976 und direkt bezüglich seiner Nachfolge und anderer Personalwünsche per Brief zu kontaktieren: „Much as I dread to stay longer, I am willing to do so if it helps you name one of these men later”.1977 Auf keinen Fall dürften, so hatte er Moore anvertraut, Joe Davies und Counselor of the Embassy Mayer gemeinsam die Botschaft in Berlin leiten. Als Kandidaten für den Counselor-Posten der Botschaft schlug er die Beamten Erhardt und Hathaway vor und drohte abermals, andernfalls entgegen seiner ursprünglichen Pläne in Berlin verweilen zu müssen, um eine Nachfolge Davies‘ zu verhindern.1978

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1972 Vgl. Dodd an Moore, 26. April 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1973 Vgl. Moore an Dodd, 4. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1974 Vgl. Moore an Dodd, 15. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1975 Vgl. Moore an Dodd, 20. Mai 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. „It is of course not permissible to repeat what the President said, but I cannot refrain from telling you very confidentially that when I saw him yesterday he expressed the satisfaction he had found in the historical discussion contained in your recently published letter. Ane [sic!] besides that, he spoke warmly, and I may say even affectionately, of you. He did not mention the matter of your retirement […]”. 1976 Vgl. Dodd an House, 5. Juni 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-D. Dodd bat House, ohne seinen Namen zu nennen, mit Roosevelt über die Ernennung seines Nachfolgers sowie sonstige neue Ernennungen zu sprechen und erinnerte ihn an Wilsons Praxis diesbezüglich. „You know how Wilson regarded the Service, and I have not forgotten your long term of distinguished assistance”. 1977 Dodd an Roosevelt, 24. Mai 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. 1978 Vgl. Dodd an Moore, 3. Juli 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2.

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Im Juni schrieb Moore nach Berlin despektierlich, am von Welles ent- wickelten Departmentplan könne er keinen Gefallen finden.1979 Im Juli wurde, wie bereits erwähnt, bekannt, dass Messersmith, ein Gegenspieler Moores im Department, Wilbur Carr im Bereich der Haushaltsverwal- tung ersetzte. Wohl im Wissen um William Dodds Personalwunsch hatte Welles Präsident Roosevelt in einem Brief rechtzeitig nahegelegt, dass Jenkins lediglich für kleinere europäische Posten oder für eine Stellung in Fernost geeignet erscheine.1980 Alle Fäden der Behörde würden nun, schilderte Moore gegenüber Dodd, von Welles gezogen, denn jener habe eindeutig die Ernennung Erhardts zum Counselor in Berlin verhindert und mache einen weiteren Einfluss Moores auf den Zeitpunkt von Dodds Rückkehr in die USA unmöglich.1981 Doch Moore blieb nicht gänzlich tatenlos. Nur wenige Wochen nach seiner Niederlage begann er, gegen Welles eine Intrige zu spinnen. Zunächst begrenzte sich diese jedoch darauf, dem Präsidenten Beweise vorzulegen, dass sich Presseberichte mehrten, die Welles enger Beziehungen nach Deutschland beschuldigten und als Gegner des Versailler Vertrages darstellten.1982 Intrigen entstanden aber auch an anderer Stelle im Department. Pierrepont Moffat erinnerte sich in seinem Tagebuch, dass massive Kritik an Cordell Hull für seine Entscheidungsschwäche und unkonventionellen Methoden, Informatio- nen einzuholen, laut wurde:

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1979 Vgl. Moore an Dodd, 7. Juni 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 1. 1980 Vgl. Welles an Roosevelt, 19. Juli 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. 1981 Vgl. Moore an Dodd, 14. Juli 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. 1982 Vgl. Moore an Roosevelt, 19. Juli 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. Die Berliner Morgenpost schrieb am 8. Juli 1937 in einem Artikel namens „Deutschland in vollem Recht“ über Welles’ Rede in Charlottesville „Welles bezeichnete zunächst Spanien als das Schlachtfeld auf dem zwei einander feindliche Weltanschauungen sich bekämpfen. […] Schuld ist der Versailler Vertrag, der die Besiegten zu minderwertigen Nationen stempelte […]. Sodann stellte sich Welles voll und ganz auf die Seite Deutschlands hinsichtlich der Zerreißung des Versailler Diktates […]”. Welles habe danach ein Programm Amerikas vorgestellt, das man in Zusammenarbeit mit Deutschland umsetzen wolle, um die „politischen Ungerechtigkeiten des Versailler Vertrages [zu berichtigen]”. Vgl. hierzu auch HARPER: American Visions. S. 57. Welles war tatsächlich ein Gegner des Versailler Vertrages und sah in den Schwächen des Vertrags- werkes gerechtfertigte Forderungen der deutschen Regierung nach Revision.

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„The Secretary’s technique when he is puzzled about a situation is to have a conference with all sorts of people in the Department who have not been working on that particular problem and getting their varying points of view before making up his own mind”.1983 Diese Formen der Kritik an Hull wirkten sich indirekt auch auf Dodds Stellung aus, denn der Außenminister zählte wie Judge Moore zu jenen Progressivisten, die Dodd so lange als möglich in Berlin halten wollten.1984 Die Gegner des amerikanischen Professors der Geschichte in Berlin und Washington vermochten es nicht, seine Rückkehr nach Deutschland nach der Sommerpause zu verhindern. Roosevelt unterstützte seinen weiteren Verbleib und sprach Ende Juli zunächst die Weisung auf eine Verlängerung bis zum Oktober 1937 aus.1985 Angesichts der weiterhin ungelösten Frage seiner Nachfolge offenbarte sich mehr und mehr für William Dodd die Option als geeignet, zumindest bis März 1938 als Botschafter zu dienen.1986 Roosevelt willigte nach Dodds Rückkehr nach Deutschland am Ende des Sommers 1937 hierin gerne ein, schon aus dem politischen Grund, dass der offizielle Druck des deutschen Regimes einen amerikanischen Rücktritt nicht erzwingen durfte.1987

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1983 Moffat Diary, 31. Juli und 1. August 1937. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers (Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1933-1941). Moffat Diary, 1933-1941. Mappe 03, Speeches & Writings, 1928-1950, Moffat Diary, 1937-1938. 1984 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 426f. Dodd gibt im Tagebuch ein Gespräch mit Hull in Washington, DC, am 11. August 1937 wieder, nach dem Hull ihm eröffnete, er sähe Davies nicht gerne als Botschafter in Berlin und (S. 427:) „he seemed glad to know I had been urged to return even for three months”. 1985 Vgl. Roosevelt an Hull/Moore, 25. Juli 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1933-38. „I hope you have wired Dr. Dodd that it is entirely agreeable for his time to be extended to October 1”. 1986 Vgl. Dodd an Moore, 13. September 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1936) 3 of 3 [sic!]. 1987 Vgl. Ogletree, Sekretär für Roosevelt, an Dodd, 10. September 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. Dodd solle nicht zurück- treten aus folgenden Gründen: „I mention this merely because I wish you to know, in the event that you may consider taking such step, that the consensus of opinion among Americans here is that it would be most undesirable for you to offer your resignation under the circumstances, as it would appear that it had been done under fire. […] not only that, if you were to resign because a Nazi newspaper considered you anti-Nazi, your successor would naturally be looked upon in the light of being pro-Nazi – in other words, that a representative would only be acceptable if he were friendly to the regime”.

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Doch William Edward Dodd spürte ab September, dass sich im State Department ein Sturm zusammenbraute, der ihn ungeachtet der Unter- stützung des Präsidenten und des Außenministers frühzeitig seinen Posten kosten konnte. Die Beamten des State Departments schätzten seine Arbeit in Berlin nicht, beklagte er sich bei R. Walton Moore.1988 Zwar gehörte es weiterhin zu seinen zentralen Aufgaben im Auftrag Präsident Roosevelts, liberale und demokratische Elemente in Deutsch- land zu adressieren. Allerdings kamen ihm mehr und mehr Zweifel, ob das State Department ebenso hinter dieser außenpolitischen Maxime des amerikanischen Staatsoberhauptes gegenüber Deutschland stand, als ihm durch einen Vertrauten bekannt wurde, dass der ehemalige Leipziger Bürgermeister und Liberale Goerdeler versucht hatte, für Gespräche mit der Administration nach Washington zu reisen, das State Department diesen möglichen Vorstoß eines Widerstandes in Deutschland mit amerikanischer Unterstützung jedoch rechtzeitig zu verhindern gewusst hatte.1989 Die Intrige gegen Dodd selbst hatte bereits ihren Anfang genommen als Dr. Thomsen mit Pierrepont Moffat und Hugh R. Wilson das Gespräch gesucht hatte um gemeinsam nach einer Lösung für den „problematischen“ Botschafter der Amerikaner in Berlin zu suchen. Im September diskreditierte der Chef der Abteilung für Westeuropäische Angelegenheiten, Moffat, Dodd in einem Brief an den US-Senatoren McBride: Im Gegensatz zu Dodds Prophezeiungen drohe in Europa kein Krieg und alle Staaten seien daran interessiert, ihre Handelsbezie- hungen mit den USA auszubauen. Moffat erklärte eindringlich, William Dodd und Botschafter Bingham in London müssten endlich aus ihrem Amt entfernt werden, da sie Hulls Programm nicht umsetzten und

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1988 Vgl. Dodd an Moore, 30. September 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. „I am sorry my Berlin work has not pleased some Dept. officials”. 1989 Vgl. Frederic William Wile an Dodd, 5. Oktober 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-W. „I have heard nothing more from the Assistant Secretary re [unterstrichen im Original] Dr. Goerdeler, and am beginning to smell a rat – is there possibly somebody, somewhere, who wants this German’s presence in Washington sedulously suppressed?” Vgl. zu Goerdelers politischem Hintergrund und zu den Intentionen hinter seinen Auslandsreisen 1938 BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 229f.

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Dodd es sogar mit seiner kritischen Art direkt unterminierte.1990 Welles, den Dieckhoff mehrfach kontaktiert hatte, erinnerte sich in einem Memorandum zu einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter in Washington Anfang Oktober, Deutschland wolle seine Beziehungen zu den USA auf eine neue, stabilere Basis stellen; Ein positives Beispiel sei der freundschaftliche Umgang von Neuraths mit dem französischen und dem englischen Botschafter in Berlin. Hierfür müsse aus deutscher Sicht der unruhestiftende Botschafter Dodd aus seinem Amt entfernt werden, wenn das Auswärtige Amt auch von einer offiziellen Aufforderung hierzu absehe. Dodd habe sich mit seiner Rede in Norfolk sowie seinem Protest gegen Gilberts Teilnahme in Nürnberg so weit aus dem Fenster gelehnt, dass „the German Government felt that Ambassador Dodd would have so difficult a position in Berlin should he return to Germany that his relations could not be relations of confidence and friendship, with resultant detriment to good understanding between the two governments. The Ambassador had added in his conversation with me that his Government did not request the recall of Mr. Dodd but desired to make it plain that the German Government did not feel that he was persona grata. […] I then said to the Ambassador that the Secretary of State had authorized me to let him know informally and for the confidential information of his Government that while Mr. Dodd was returning to Berlin, he was returning for the purpose of closing his mission and would in all probability leave Berlin definitely shortly after the beginning of the new year”.1991

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1990 Vgl. Moffat an Senator McBride, 22. September 1937. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Moffat berichtete über die Aussagen eines Mr. A. Altman, der eine Reise durch Europa veranstaltet habe und mit bestimmten Eindrücken in die USA zurückgekehrt sei. „[H]e [Altman] felt that our representatives in at least two of the capitals were not on good terms with the Government or the people of the country to which they were accredited and hence were far from being a help in carrying out the Secretary’s program. The two he mentioned were Mr. Bingham […] and Doctor Dodd in Berlin, who he said had destroyed his usefulness by critical opposition to the Government expressed to the wrong people”. 1991 Welles Gesprächsaufzeichnung zu Gespräch mit Dieckhoff, 1. Oktober 1937. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers. Europe Files, 1933-1943. Mappe 04 Germany, 1933-1943.

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William Dodd beschwerte sich dann – wie erwähnt – bei seinem Sohn am 4. Oktober, er befinde sich nun endgültig in einer Zwickmühle bezüg- lich seines Rücktrittes,1992 denn neben der Kritik seitens der deutschen und der amerikanischen außenpolitischen Behörden erhalte er zugleich sowohl von US-Innenminister Ickes als auch in unzähligen Briefen amerikanischer Bürger und Politiker Zuspruch.1993 Harold Ickes‘ freund- liche Worte dienen als ein weiteres Indiz dafür, dass viele Mitglieder der Roosevelt-Regierung keinesfalls wie einige konservative Senatoren und Diplomaten Dodd für einen schwachen Charakter und einen unge- eigneten Botschafter hielten, sondern von Dodds Kompetenz, Ehrlichkeit und integrer politischer Gesinnung weiterhin überzeugt waren: „[…] [M]y interest is quadrupled when you tell me that at the time it [an article Dodd sent to Ickes] appeared you were attacked for the views that you expressed. […] I have suspected for a long time that you and I saw eye to eye on broad matters of politics and social philosophy. […] However, it has always seemed to me that you are exactly the right man in the right place there and I hope that you will stick to it, however distasteful it may be”. 1994 Motiviert von derart überraschenden politischen und privaten Ermuti- gungen schlug der Botschafter seinem Präsidenten vor, ihn auf eine Informationsreise nach London zu schicken, um eine mögliche Koope- ration der USA mit den Briten auszutarieren.1995 Doch für derartige Initiativen war es zu spät. Judge Moore hatte ihn vorgewarnt, dass Welles mittlerweile mehr Macht als Cordell Hull im Department ausübe und Gespräche mit Hull über Dodds Zukunft obsolet

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1992 Vgl. Dodd an William Dodd, Jr., 4. Oktober 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence William Edward Dodd, Sr. Aug. 1 – Dec. 24, 1937. 1993 Vgl. Dodd an Hull, 10. Oktober 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 1994 Vgl. Harold Ickes an Dodd, 8. Oktober 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-I. Der amerikanische Innenminister bedankte sich bei Dodd für einen Artikel zur Geschichte der USA, den Dodd verfasst hatte und den er gerne lese, und schloss mit oben genannten Worten seine Lobeshymne auf Dodd. 1995 Vgl. Dodd an Roosevelt, 10. Oktober 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „I would like to spend three or four days in London to learn (from really informed people) just what that Government intends to do. I shall of course cable you any special information”.

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geworden seien. 1996 Nachdem William Dodd am 22. November 1937 entgegen der Absprache mit Roosevelt bis zum 1. März 1938 in Berlin als Botschafter zu dienen durch ein mit den Buchstaben „HULL“ unter- zeichnetes Telegramm aus dem State Department von seiner frühzeitigen Abberufung erfahren hatte, 1997 erlitt der progressive Historiker einen gesundheitlichen Zusammenbruch.1998 Die Ursachenforschung dieses Um- schwunges der US-Regierung ihm gegenüber blieb für den Botschafter schwierig. Zum einen glaubte er, Welles habe seinen Reformvorschlägen für den Auswärtigen Dienst der USA von Anfang an kritisch entgegen gestanden,1999 zum anderen vermutete er den deutschen Staatssekretär von Mackensen als Drahtzieher hinter der deutschen Kritik an seiner Person.2000 Franklin Roosevelt ließ sich lediglich auf die kurze Antwort,

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1996 Vgl. Moore an Dodd, 12. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-M (2. Mappe „M”). Moore warnte seinen Freund in Berlin, von nun an nur noch mit Roosevelt direkt zu kommunizieren: „I do this because I can tell you confidentially that I believe that practically all of such matters as the one in which you are interested have fallen into the hands of Mr. Sumner Welles, with whom my relations are not at all intimate. […] For reasons which are not necessary to elaborate, I question whether anything would be accomplished by showing it to the Secretary”. 1997 Vgl. Hull an Dodd, 22. November 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./215. Hull schrieb lediglich über die Nach- folgeregelung, Hugh Gibson solle den Botschaftsposten in Berlin alsbald übernehmen, und dankte Dodd für seinen Dienst: „The President desires me further to say that he appreciates deeply the services which you have rendered this Government during the time you have been Ambassador in Berlin. […] I should like personally to add the expression of my own regret because of the situation which has arisen and which must be solved in this manner, and my own personal appreciation of the services you have rendered the Government”. 1998 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 433f. Dodd zeigte sich in seinem Tagebucheintrag am 23. November vor allem überrascht, weil es für ihn keine Indizien gab, dass der Präsident oder Hull ihn nicht bis März 1938 in Berlin halten wollten. Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 434. Am 29. November schrieb Dodd, er könne sich aufgrund seines Gesundheitszustandes nur noch im Bett aufhalten und habe sich bei von Neurath hinsichtlich einer Einladung entschuldigen lassen. 1999 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 434. „The reason for this violation of my understanding with the President is the opposition to me of Under-Secretary Welles. I have recently seen signs of opposition to everything I have recommended, except my refusal to go to Nürnberg. Since last spring, Welles has had a controlling influence inside the Department of State. It is well known to me that he is violently opposed to my policies in regard to public service”. 2000 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 436. Dodd sprach am 9. Dezember mit Schacht über den Protest des Amtes wegen seiner Rede in Norfolk am 4. August 1937. Schacht bestätigte ihm, dass es hierfür in seinen Augen keinen Grund zum Protest gegeben habe.

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das Auswärtige Amt stecke tatsächlich hinter diesem Schritt, ein und ver- sprach Dodd weitere Aufklärung, sobald er in die USA zurückgekehrt sei: „[…] [T]he German Foreign Office had compelled him to recall me by January 1. […] I may be wrong, but I believe that Under-Secretary Welles may have used his influence with the President. […] I have been told that Welles has been a definite irritation to the State Department ever since last May”.2001 Die bereits vorgestellten deutschen und einige der amerikanischen Quellen sprechen eine klare Sprache: Zunächst auf zweiter und dritter Ebene der behördlichen Hierarchie, dann zwischen Botschafter Dieckhoff und Staatssekretär Welles direkt war die Absicht auf beiden Seiten des Ozeans gereift, dass William Dodd die freundschaftliche Entwicklung der deutsch-amerikanischen Beziehungen – was auch immer das für die jeweilige Seite bedeutete – mit seiner kritischen Art störte und aus dem Amt entfernt werden musste, selbst wenn dies gegen den eigentlichen Willen des US-Präsidenten und des Außenministers geschehen würde. Roosevelts Antwort auf Dodds Frage, wer hinter der Abberufung stünde, nämlich das Auswärtige Amt, lässt vermuten, dass Welles im Nachhinein den Präsidenten davon überzeugt haben musste, dass die deutsche Regierung William Dodd für so untragbar hielt, dass ihm keine andere Möglichkeit geblieben sei, als Dodd zurückzurufen, um einen diploma- tischen Eklat mit möglichen politischen Folgen für Roosevelts ohnehin schwierige innenpolitische Position zu vermeiden. Seinem Botschafter gegenüber nannte der Präsident vermutlich deshalb den zwingenden Grund, die Abmachung bezüglich seiner Rückkehr aufzulösen, da das Auswärtige Amt den Druck erhöht hatte. Von diesem konnte Roosevelt jedoch nicht direkt, sondern nur durch Welles, Moore oder Hull erfahren haben, da er selbst in keinerlei direktem Kontakt nach Deutschland stand. Nur mit dieser Erklärung erscheint es logisch, dass Präsident Roosevelt,

______„I told him that I thought Von Mackensen, the Under-Secretary in the German Foreign Office, had done this, not Von Neurath”. 2001 DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 443. Dodd erhielt am 23. Dezember einen Brief Roosevelts, dessen Inhalt er in diesem Tagebucheintrag wiedergab. Vgl. auch Roosevelt an Dodd, 14. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „[…A]s you also know things came to a head because of the German foreign office. When you get back, of course, I will explain to you more fully. You are right about Shotwell and I hope much that I can send him in Europe where he will be definitely useful”.

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der bis Oktober 1937 wiederholt in Gesprächen und Aufzeichnungen festgestellt hatte, er wolle Dodd als Botschafter in Berlin halten, auf Welles‘ Drängen hin einlenken konnte, ohne dass Welles dabei den Groll des amerikanischen Staatsoberhauptes riskierte. Einige der journa- listischen Quellen von 1938 2002 weisen auf die Möglichkeit hin, dass Welles tatsächlich, kraft seines Amtes hierzu befugt, Hulls Unterschrift für das Telegramm2003 an Dodd zu seiner Abberufung auf das von ihm

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2002 Vgl. Dodd an Martha Dodd, 7. Juni 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern, Aug. 3, 1937 – Dec. 28, 1951. Dodd schrieb seiner Tochter, er habe von einer Journalistin einen Artikel über alle Intrigen gegen ihn erhalten und habe einige Passagen korrigiert. Der ehemalige Botschafter befürchtete zu jenem Zeitpunkt, die Enthüllungen über seine Geschichte könnten den Wahlkampf seines Sohnes kompromittieren, der im Juli 1938 für den Kongress kandidierte. Entscheidend ist, dass sich Dodd auf die Tatsache, dass Hull von seiner Abberufung in Form eines Telegramms mit Hulls Unterschrift nichts gewusst hatte, als vertrauliches Faktum bezog: „The author has made statements that I was requested to consider confidential: Hull’s statement that he did not know about the order of Nov. 23d […]”. Vgl. Dodds hand- schriftliche Notizen zu einem Brief von Marguerite Young, 7. Juni 1937 sowie Notizen zu Hope Hale. LC. William Dodd Papers. Mappe „MAY-JULY, 1938“ K-Z. In Dodds Nachlass befinden sich zwei Entwürfe eines dementsprechenden Artikels, auf welchen sich Dodd allerdings einmal auf eine Marguerite Young (7. Juni 1937), an anderer Stelle auf eine Ms. Hope Hale bezieht. In jenem Entwurf, bezüglich welchen nicht ermittelbar war, ob er jemals im Collier’s oder anderen Zeitungen und Magazinen veröffentlicht wurde, steht unter anderem geschrieben: „To Welles went all of Ambassador Dodd’s reports. To Welles went all of Dodd’s recommendations concerning policy and personnel. […] Remember, too, that the Welles clique have excellent connections with a number of journalists who are fond of publishing the gossip […]. Instead of being commended for his alertness, Dodd was frozen out of his own embassy. Welles had concluded a special arrangement with Nazi Ambassador Hans Dieckhoff in Washington, whereby they would clear through themselves – rather than through Dodd in Berlin – as much as possible of German-American business. […] Suddenly, late in November, came a cable bearing Hull’s signature. It was a preemptory recall. […] There [in Washington] he [Dodd] learned that Hull never had seen or heard of the November cablegram! It had been sent by Sumner Welles. The Under Secretary had authority to sign the Secretary’s name in routine matters”. 2003 Telegramme dieser Art wie vom 22. November, aber auch die Folgetelegramme, die Dodd zur sofortigen Abreise drängten wie vom 23. November, waren aufgrund ihrer Dokumentform lediglich mit den gedruckten Großbuchstaben des Nachnamen des Außenministers, „HULL“, unterschrieben. Die wirkliche Urheberschaft lässt sich deshalb nur schwer rekonstruieren. Vgl. Hull an Dodd, 22. November 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./215. Vgl. auch Hull an Dodd, 23. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „We feel nevertheless that it is imperative for you to leave Berlin between the dates indicated in my telegram 117, November 22, 1 p.m., although we both regret the personal inconvenience caused you. It is desired by the President to carry out

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verfasste Dokument geschrieben hatte, ohne dass der Außenminister noch der Präsident hiervon vorab (vollständig) in Kenntnis gesetzt worden waren. Einen möglichen Beweis für diese These lieferte der ehemalige Botschafter selbst in Form eines Briefes Dodds an seine Tochter: Offensichtlich hatte Dodd von Hulls Unkenntnis über das Abberufungstelegramm, das seine Unterschrift trug, kurz nach seiner Rückkehr in Washington erfahren und war – vermutlich von Hull oder Roosevelt persönlich – gebeten worden, dies vertraulich zu behandeln. Denn William Dodd kommentierte den vor der Veröffentlichung stehenden Sensationsartikel einer Journalistin zu seiner Abberufung mit den Worten: „The author has made statements that I was requested to consider confidential: Hull’s statement that he did not know about the order of Nov. 23d […]”.2004 Die amtliche Sprache der Telegramme an Dodd vom 22. und 23. November 1937 ähnelt zudem dem schriftlichen diplomatischen Stil Welles‘ sehr viel mehr als Briefen aus Hulls Feder. Diese mutmaßlich absichtliche Täuschung und der Amtsmissbrauch seiner Stellung wäre ein massiver Eingriff in die Politik Roosevelts gewesen und ist nicht auszuschließen, da Cordell Hull zu jenem Zeitpunkt einen weiteren Krankheitsschub seiner Tuberkuloseerkrankung erlitten haben könnte und damit für direkte Verhandlungen mit Welles nicht zur Verfügung gestanden haben könnte. 2005 Gellman erklärt, dass Moore der erste war, der vermutlich aus eigenen Rachegedanken im Gespräch mit Dodd Sumner Welles als Schuldigen hinter der Intrige identifizierte, vielleicht, weil er hoffte mit William Dodd zurück in Amerika einen Verbündeten gegen Welles gewinnen zu können.2006 Die in den deutschen und ameri- kanischen Quellen belegte Tatsache, dass Welles einer der Drahtzieher

______immediately several changes in our representation at European capitals which have to be made simultaneously […]. […] HULL”. 2004 Dodd an Martha Dodd, 7. Juni 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern, Aug. 3, 1937 – Dec. 28, 1951. 2005 Vgl. zu Hulls Gesundheitszustand GELLMAN: Secret Affairs. S. 163. 2006 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 158f. Vgl. auch Moore an Dodd, 14. Dezember 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. „I have not the slightest doubt that you are correct in locating the influence that has been determining very largely the action of the Department since last May”.

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hinter der Abberufung Dodds war,2007 bestätigte Moores Befürchtungen, dass Welles der progressiven Sache und dem Programm des Präsidenten dauerhaft gefährlich werden konnte, nachdem er den progressiven Dodd aus dem Amt entfernt und Hull quasi zum „lame duck“-Minister degradiert hatte. 2008 Letzteres entsprach nur zum Teil der Wahrheit und spiegelt die inneren Zerwürfnisse der progressiven Beraterkreise um Roosevelt wider. Denn Hulls gesundheitlicher Zustand aufgrund seiner Tuberkulose, die er vor der Öffentlichkeit, vermutlich selbst vor dem Präsidenten versteckt hielt, machte es unabdingbar, einen starken Ver- treter wie Sumner Welles im Department zu wissen, der das Vertrauen des Präsidenten genoss und mit Hulls Plänen einer Solidarität der amerikanischen Hemisphäre sowie der reziproken Handelspolitik über- einstimmte. Welles half, wie Gellman feststellt, die Täuschung bezüglich Hulls Gesundheit aufrecht zu erhalten.2009 Selbst wenn Welles zu jener Zeit nicht als progressiver Idealist erschien, so war er doch ein effizienter Diplomat und Beamter, der Roosevelts außenpolitische Ideen in den Folgejahren in praktische Konzepte umsetzte und politisch tragbar machte. 2010 Selbstverständlich blieb Präsident Roosevelt entsprechend seiner politischen Strategie der Urheber aller politischen Ideen und ihrer Umsetzung, oft genug auch ohne das Kabinett in Entscheidungen miteinzubeziehen, was es vielen Beamten nicht selten schwierig machte, mangels klarer mündlicher oder schriftlicher Aussagen von Seiten Roosevelts oder Welles‘ die politischen Leitlinien zu erkennen.2011 Im Falle Dodd bedeutete dies, dass Roosevelt seinen Botschafter zwar sehr schätzte und seine Leistungen in Berlin die viereinhalb Jahre seiner Amtszeit hinweg positiv bewertete, für den größeren politischen Nutzen jedoch Dodd, der ohnehin auf seinen Ruhestand drängte, opfern musste. Mit Welles gewann er für seine außenpolitischen Pläne einen jungen, politisch versierten, manchmal auch skrupellosen und ihm seit langem persönlich bekannten Diplomaten als höchsten Beamten innerhalb des

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2007 Vgl. alle genannten Aussagen Dieckhoffs und Welles in ihren Aufzeichnungen 1937 und 1939. 2008 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 159. 2009 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 163. Welles’ Sohn Benjamin zweifelt diese Übereinkunft zwischen Welles und Hull in seiner Biographie an: Vgl. WELLES: Sumner Welles. S. 195. 2010 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 164. 2011 Vgl. GELLMAN: Secret Affairs. S. 164f.

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ihm sonst wenig loyalen State Departments. Mehr als einmal hatte William Dodd in Briefen an Roosevelt darauf hingewiesen, dass er zurück in den USA keinen wirklichen Ruhestand, sondern ein weiteres Engagement in einer nationalen Kampagne gegen die auch Roosevelt verhasste deutsche Aggressionspolitik anstrebte. Dieses Vorhaben könnte Präsident Roosevelt, kurz vor Beginn seiner Preparedness-Kampagne, von viel größerem Nutzen erschienen sein als ein Botschafter in Berlin, dessen Arbeit angesichts der fast vollständig aufgelösten deutsch-amerikanischen Beziehungen, einer permanent protestierenden deutschen Regierung und Widerstand im State Department ohnehin geradezu obsolet geworden war. Noch Jahre später erinnerte sich Dieckhoff, für lange Zeit mit Welles vertrauensvoll zusammengearbeitet zu haben, nachdem er ihm gegen den Widerstand Hulls und Roosevelts – ein weiterer Beweis für die These zu Welles‘ Alleingang – bei der Abberufung des unliebsamen Botschafters geholfen hatte: „Herr Sumner Welles ist mir seit 15 Jahren gut bekannt. […] Sumner Welles ist eine kühle Natur, ein klarer Kopf […]. Er geht über Leichen. […] Wie er zu Deutschland innerlich steht, ist bei seiner Zurückhaltung schwer zu sagen; aber ich nehme an, insbesondere auf Grund eines ausführlichen Gesprächs, das ich Mitte März 1938 kurz nach dem österreichischen Anschluß mit ihm führte, daß er dem Nationalsozialismus ablehnend gegenübersteht. Er ist aber kein Fanatiker, ist auch sicherlich nicht davon überzeugt, daß Demokratie allein seligmachend sei […]. [E]r hat die Unmöglichkeit des Versailler Vertrages durchaus erkannt und hat auch in öffentlichen Reden wiederholt hierauf hingewiesen. […] In der Frage der Entfernung des Botschafters Dodd hat er nach anfänglichem Sträuben uns energisch geholfen und gegen den Widerstand des Präsidenten und des Außenministers durchgesetzt, daß Dodd abberufen und durch einen ruhigeren und sachlicheren Mann ersetzt wurde”.2012 Dieckhoffs Ausführungen lassen kaum einen Zweifel daran, dass Welles Dodds Abberufung durchgesetzt hatte, wenn auch unklar bleibt, ob Hull und Roosevelt hiervon tatsächlich nicht vorab in Kenntnis gesetzt worden waren. Dennoch regte sich auch bei Dieckhoff bald Unmut über einige ______

2012 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, keine Datumsangabe (vermutlich nach Oktober 1939, da Dieckhoff beschreibt, Welles, geb. im Oktober 1892, sei nun 47 Jahre alt). PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff, 1938-1940, Schriftwechsel und Aufzeichnung. Band 6. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 6).

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der Veränderungen im Department. Der deutsche Amerikaexperte kriti- sierte hierbei besonders die Ernennung des deutschlandkritischen und judenfreundlichen George Messersmith für einen äußerst mächtigen Posten im State Department, was er generell als gefährlich einstufte.2013 Entgegen der Bemühungen beider Außenministerien in den USA und Deutschland sollten sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen mit William Dodds Weggang nicht verbessern, weil der Führung beider Behörden offensichtlich nicht bewusst war, dass der Botschafter William Edward Dodd nicht die Ursache, sondern der Beobachter des Nieder- ganges deutscher Diplomatie und Verhandlungsfähigkeit geworden war, den die Nationalsozialisten seit 1933 mit ihrer Gleichschaltungspolitik und ihren polykratischen Entscheidungsstrukturen der Außenpolitik selbst eingeläutet hatten. Diese Überlegungen ändern nichts an der Tatsache, dass sich William Edward Dodd 1937 von vielen Seiten betrogen fühlte. Denn tatsächlich hatte die Intrige Welles-Dieckhoff seine frühzeitige Abberufung bewirkt und weder Präsident Roosevelt noch Außenminister Hull hatten sich offensichtlich für ihn eingesetzt. In Briefwechseln mit Cordell Hull und Franklin Roosevelt versuchte er aufgrund seiner komplizierten Wohn- situation – die Miete bis zum 1. März 1938 hatte er nach der Oktober- entscheidung des Präsidenten seinem durch die nationalsozialistische Verfolgungsmaschinerie in Bedrängnis geratenen jüdischen Vermieter Panofsky fest zugesagt – einen Aufschub seiner Rückkehr zu erwirken.2014

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2013 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 26. Januar 1938. Inhalt: Mr. G.S. Messersmith Assistant Secretary of State. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff, Dezember 1938 – März 1940, Briefwechsel Dieckhoff- Thomsen. Band 5. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 5). „Mr. Messersmith, dessen deutschfeindliche Einstellung aus seiner Amtszeit in Berlin und Wien bekannt ist, macht im privaten Gespräch aus ihr keinen Hehl. […] Bedauerlich ist, daß ein Mann von so ausgeprägter Voreingenommenheit wie Mr. Messersmith nicht ausschließlich mit der Leitung der Personalangelegenheiten im State Department betraut ist, sondern gelegentlich auch für politische Aufgaben herangezogen wird […]”. Dieckhoff bemerkt außerdem, dass Messersmith tatsächlich nicht jüdischer Herkunft sei, sondern einer deutschen Familie aus Pennsylvania entstamme. Hierüber habe er sogar einen „arischen Nachweis“ gebracht.

2014 Vgl. Dodd an Hull, 23. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. „Therefore until March 1 I am obligated to pay rent. […] Perhaps you could talk to the President again and cable me”. Vgl. auch Dodd an Roosevelt, 29. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-R. „[…] I do not like to be considered as ignoring my promises; and Mr.

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Dieses Vorhaben blieb erfolglos. Hull bestätigte ihm seine sofortige Rückkehr ungeachtet aller Umstände sei unabdingbar. 2015 Nachdem Hugh Gibson für den Posten nicht zur Verfügung stand, musste Dodd selbst seinen Nachfolger, Hugh R. Wilson, den deutschen Behörden ankündigen.2016 Besorgt um seinen Ruf und mögliche Darstellungen in der Presse, das Auswärtige Amt habe seine frühzeitige Abberufung erpresst, erbat sich Dodd eine Presseverlautbarung, die darauf hinwies, dass seine Rückkehr zum 31. Dezember 1937 seinen tatsächlichen Ruhestandsplänen entsprach.2017 Es bestand jedoch kein Grund bezüglich der Pressereaktionen in Be- unruhigung zu geraten. Denn fast ausnahmslos fielen diese in den Vereinigten Staaten bereits im Dezember 1937 positiv aus. Der Virginian Pilot schrieb, Dodd habe Recht behalten bezüglich der Teilnahme eines amerikanischen Vertreters am Reichsparteitag in Nürnberg. Alle Kritik an dem deutschen Regime sei berechtigt und jene Gewaltherrschaft setze sämtlichen demokratischen Vertretern vehement zu und beende Karrieren, so auch die William Dodds.2018 Während die Washington Post

______Panofsky, who is in grave trouble and has been for two years, is very anxious to rent his house to the next Ambassador from our country. […] Panofsky is in grave danger of having his $500,000 house practically taken away from him, especially as he is trying to migrate to some other nation”. 2015 Vgl. Hull an Dodd, 23. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. 2016 Vgl. Hull an Dodd, 27. November 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-H. 2017 Vgl. Dodd an Secretary of State, 27. November 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./218. „I feel that this action on my part should be regarded as tantamount to a tendering of my resignation which the President has now accepted. I thus trust that when the necessary announcements be made in Washington, the statement of my retirement from this post be made public in that light. I am in the meantime naturally keeping the entire matter confidential here”. Vgl. auch Dodd an Moore, 2. Dezember 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. „I shall have to give Press people a brief statement in order to avoid misunderstandings. I hope not to be mis-reported. They will, however, think German Government has demanded my recall”. 2018 Vgl. Virginian Pilot vom 1. Dezember 1937. „Dodd Quits a Hot Spot”. „Dr. Dodd could have avoided his remote control meddling in the court controversy, but, in our opinion, he, and not Secretary Hull, defined the proper attitude to the Nuremberg invitation. That was nothing more than a political maneuver to secure the color of diplomatic recognition for the National Socialist party as distinguished from the government which it dominates”.

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vor allem sein jüngst veröffentlichtes Buch zum „Old South“ lobte,2019 beschrieb der Evening Standard Dodd als einen permanenten Dorn im Auge der Nationalsozialisten. Das Department habe ihn schon seit Längerem aus dem Amt entfernen wollen, allerdings nicht offiziell wegen seiner antinationalsozialistischen Haltung. 2020 Der Star beschrieb die Hintergründe hierzu, denn das State Department befinde sich inmitten einer Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Profaschisten. Dodd sei hauptsächlich nach Berlin gesandt worden um für den Präsidenten die Methoden der Nationalsozialisten zu analysieren. Dodds Kritik am nationalsozialistischen Regime sei ehrenhaft gewesen und mit Hugh Wilson folge ihm nun ein sehr typischer Karrierediplomat ins Amt.2021 Auf einer Veranstaltung der American Chamber of Commerce in Berlin habe Dodd, so die New York Times, einen pessimistischen Blick auf die Zukunft geworfen: Die Nationen, die enger kooperieren sollten, seien trotz der sechszehn amerikanischen Handelsverträge im Sinne von Cordell Hulls Freihandelsprinzip weiter voneinander und von einem Erfolg ihrer Friedenspolitik entfernt als jemals zuvor. Die Zeitung schloss, dass Dodd wegen seiner offenen Kritik am deutschen Regime hatte zurücktreten müssen. Sein Sohn sei bereits in der League Against War and Fascism engagiert und seine Tochter Martha spiele mit dem Gedanken eines Beitrittes.2022

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2019 Vgl. Washington Post vom 8. Dezember 1937. „Pre-Jefferson. Ambassador Dodd’s New Work”. „The book is comprehensive. A brilliant introductory chapter describes the soil and climate of the South. […] There are moving passages and vivid descriptions of individuals”. Dodds Buch habe weder die Vorzüge noch die Fehler von Prof. Charles M. Andrews‘ Buch zur Geschichte der Südstaaten. 2020 Vgl. Evening Standard vom 8. Dezember 1937. „Vigorous Anti-Nazi”. „[Dodd…] has been a thorn in the flesh of the Nazi Government for the past two years. […] The State Department […] has wished for some time to make a change in Berlin, but did not wish to make Mr. Dodd’s anti-Nazi sympathies the ostensible reason”. 2021 Vgl. Star vom 16. Dezember 1937. „We, the People. Reshuffling of Diplomats Reflects Struggle to Bring U.S. Policy in Line With British Desires”. „To replace him [Dodd] by Assistant Secretary of State Hugh Wilson, as new Ambassador to Berlin, is a non-committal move. Wilson is a career diplomat and, although thoroughly conservative in his point of view, does not commit our Government to a more sympathetic policy in relation to Hitlerism. […] A critic of Fascism [Dodd], whose diplomatic indiscretions were as famous as they were honorable, has been removed from Berlin to make room for a career diplomat, who is not expected to hold strong convictions on any subject”. 2022 Vgl. New York Times vom 23. Dezember 1937. „Dodd Is Pessimistic On World Outlook”. „Dr. Dodd, who resigned this month after his open criticism of the Nazi regime

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Der Abschied von Freunden und Bekannten in Berlin fiel überaus herzlich aus und entsprach der Stellung, die die Familie Dodd in den verbliebenen liberalen Kreisen einiger Deutscher und vieler ausländischer Korrespon- denten in der deutschen Hauptstadt von Anfang an genossen hatte. Der Vertreter der amerikanischen Handelskammer, Knauth, zum Beispiel dankte für die durchgehende Unterstützung der Dodd-Familie.2023 Vor seiner Abreise hatte William Dodd unzählige Einladungen deutscher Persönlichkeiten – hierunter jedoch keine von Nationalsozialisten oder von Reichsaußenminister von Neurath – erhalten, von denen die Familie aufgrund der Kürze der Zeit nur einige wahrnehmen konnte. Einen Höhepunkt stellte die Einladung der Universität Leipzig, seiner alten Alma Mater aus Zeiten seines Promotionsstudiums, dar, deren Rede- angebote William Dodd für viele Jahre aufgrund seiner Vorbehalte gegenüber der nationalsozialistischen Bildungspolitik abgelehnt hatte und die er nun wahrzunehmen wagte.2024 Judge Moore bestätigte seinem Freund, er habe alles Menschenmögliche in Berlin getan. 2025 Diese Dankbarkeit für Dodds Wirken als Botschafter in Berlin reflektierten der US-Generalkonsul in Köln, Klieforth, 2026 und viele andere. Der renommierte Wissenschaftler Max Planck vermochte die vielleicht herzlichsten Worte zu finden, die dem scheidenden amerikanischen Botschafter seitens der dezimierten deutschen Intellektuellenwelt ent- gegengebracht werden konnten:

______had made his official position no longer tenable, spoke at a luncheon of the American Chamber of Commerce”. 2023 Vgl. Theodore W. Knauth an Dodd, 22. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-K. „I think it is not a coincidence that in these difficult times our American institutions here […] are all flourishing as never before […]. They could not be doing this so well were it not for the continuous and hearty support that you and Mrs. Dodd have at all times given us”. 2024 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 439f. 2025 Vgl. Moore an Dodd, 13. Dezember 1937. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1937) Mappe 2. „I predict that it will be found on comparing your record with the record to be made by your successor that you have done everything humanly possible in a very difficult situation. There is no American who can do anything to change the spots of the German leopard”. 2026 Vgl. Alfred W. Klieforth an Dodd, 10. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-K. „It was a real pleasure to have worked under your supervision, particularly as I felt that my contributions to the information regarding Germany were read by you. It was not like fishing in your pond without a hook and line!”

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„Ich seinerseits freue mich, Ihnen auszudrücken, wie hoch ich das Glück empfinde, mit Ihnen zusammengekommen zu sein, und in Ihnen einen Mann Kennen gelernt zu haben, der für deutsches Wesen [sic!] nicht nur Verständnis, sondern auch wahre Teilnahme hat. Möchte doch Ihre Art, zu denken und zu urteilen, immer grössere Verbreitung im In- und Ausland finden. Etwas besseres könnte ich mir für die Zukunft nicht wünschen”. 2027 Den französischen Botschafter François-Poncet, nunmehr von einem Kriegsbeginn 1938 überzeugt, musste er ebenso mit seinen düsteren Vorhersagen zurücklassen wie viele andere seiner demokratischen Diplomatenkollegen.2028 Als die Familie Dodd am 29. Dezember Berlin mit dem Auto statt per Zug Richtung Hamburg verließ und Prentiss Gilbert die temporäre Leitung der US-Botschaft überließ, war die deutsche Presse von diesem Abreisedatum nicht in Kenntnis gesetzt worden. So hatte William Dodd es gewünscht.2029 Nach viereinhalb Jahren im nationalsozialistischen Deutschland war der Abschied den Umständen entsprechend zugleich schwer und leicht: Schwer, weil Dodd und seine Frau und Tochter viele Freunde und Bekannte sowie das Land selbst einem ungewissen Schicksal überließen; Leicht, da der Aufenthalt in den vorhergehenden Jahren durch die beklemmende Atmosphäre von Diktatur und Terror, durch die zahlreichen sozialen Verpflichtungen und den wachsenden Druck von beiden Seiten des Ozeans zu einer Bürde für den Botschafter geworden war, deren Ballast er nun mit Betreten des Dampfers Washington auf dem Weg nach New York City abwerfen konnte.

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2027 Prof. Max Planck an Dodd, 25. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-P. 2028 Vgl. DODD/DODD: Dodd’s Diary. S. 440ff. Am 20. Dezember 1937 traf William Dodd ein letztes Mal den französischen Botschafter und seine Gattin. Anders als der Botschafter Frankreichs glaubte jedoch Dodd, Hitler sei für ein weiteres Jahr noch nicht kriegsbereit und müsse bis 1939 seine Pläne im Zaum halten. 2029 Vgl. Dodd an Secretary of State, 29. Dezember 1937. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 Dodd, WILLIAM E./208. Vgl. auch New York Times vom 29. Dezember 1937. „In keeping with Ambassador Dodd’s wish, their [the family’s] departure was unannounced. Only the embassy staff was present when they left. […] The German press apparently still in dark, failed to carry a line on his departure. […] Mr. Gilbert said Mr. Dodd motored to Hamburg, instead of going by train as scheduled, purposely to avoid any demonstration”.

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William Dodd hatte jedoch auch einigen Grund, neuen Mut zu fassen. Daniel Roper, Handelsminister und ein langjähriger Unterstützer Dodds, hatte kurz vor der Abreise auf ein persönliches Treffen in den USA gedrängt und seinem Freund von den unzähligen Anfragen erzählt, die eine intensive Redetätigkeit Dodds in den USA in Bezug auf Deutschland forderten.2030 Dodd versicherte seiner Frau nur wenige Tage nach Ankunft in den USA, dass Cordell Hull, Judge Moore und George Messersmith selbst bekannt hätten, nichts von seiner Abberufung geahnt zu haben, die Sumner Welles hinter ihrem Rücken geplant habe: „I see the President on Monday. Hull, Moore and Messersmith said everything was kept from them about my recall. No real evidence of Berlin pressure – except Hull said Berlin was asking that I retire at suitable time. Welles is the one who did the thing, but I am told he will not tell anything”.2031 Als William Dodd an Bord der Washington ging, hatte er das Gefühl reinen Gewissens zu sein: Auf seine Einschätzung der Lage vertrauend hatte er Mitte Dezember deshalb selbstbewusst versprochen, vor dem Foreign Relations Committee des US-Senates über die wirkliche Situation in Europa und die internationalen Beziehungen aussagen zu wollen. Mit dem hoffnungsvollen Gefühl „that if all of us could sit together for an hour, many points might be cleared up to advantage”,2032 das er nicht nur auf den US-Senat, sondern die gesamte öffentliche Meinung bezog, die er nunmehr beeinflussen wollte, reiste William Edward Dodd zurück in seine geliebte Heimat.

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2030 Vgl. Roper an Dodd, 29. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe “JAN.-FEB., 1938” R-Z. „Mrs. Roper and I will be glad indeed to have you, Mrs. Dodd and Martha make your home at our house until you have secured the house which you are seeking”. Roper wollte persönlich mit Dodd über dessen Situation sprechen. In dieser Archivmappe finden sich ebenso zahlreiche Einladungen und Anfragen von Organisationen und Institutionen, ob Dodd nicht eine Rede halten oder Mitglied werden könne, hierunter die Universität von Washington State, das Chicago Committee for Christian German Refugees, The Woman’s Republican Club Illinois, Friends of Europe, American Jewish Congress, Chicago Council on Foreing Relations, American Council on Education, und viele mehr. 2031 Dodd an Mattie Dodd, 8. Januar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern, Sept. 29, 1926 – July 25, 1937. 2032 Dodd an Senator Pittman, 15. Dezember 1937. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd General Correspondence 1937-P.

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6.3. „Power Games and Ideology”. Fazit und Einordnung zu Dodds Rückberufung aufgrund innen- und außenpolitischer Faktoren in den USA und Deutschland Die Entwicklungen, die im Jahr 1937 zur Rückberufung des amerika- nischen Botschafters William Edward Dodd führten, resultierten aus dem Zusammenwirken zahlreicher Faktoren, die nur zu einem Teil in einem direkten Zusammenhang mit Dodds Wirken in Berlin standen und die die Komplexität der transatlantischen Beziehungen jener Zeit sowie der sozialen und politischen Netzwerke um den amerikanischen Vertreter widerspiegelten. Gleichermaßen waren es diese Entwicklungen, die bereits 1937 zu einem fortgesetzten außenpolitischen Umdenken in der Administration Franklin Roosevelts führten und William Edward Dodd in eine neue Rolle in Roosevelts Grand Political Design drängten. Es sind vier solcher Faktoren zu unterscheiden: Die innenpolitischen Entwicklungen in Deutschland, die zu einer Schwächung der Rolle des Auswärtigen Amtes in der deutschen Außenpolitikformulierung sowie zur Weiterentwicklung eines aggressiven nationalsozialistischen Propa- gandafeldzuges im In- und Ausland führten; Die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen, die ihren Höhepunkt in einem nunmehr offenen Konflikt um Presse- und Meinungsfreiheit, menschliche Grundrechte, Propaganda und handels- politische Konkurrenz erlebten; Die US-spezifischen innenpolitischen Faktoren wie der Streit um die Checks and Balances im amerikanischen Verfassungssystem, die Reorganisation der staatlichen Gewalten und die Machtverschiebungen innerhalb der Administration und Behörden; Sowie die aufs Engste mit innenpolitischen Erwägungen und Konflikten ver- knüpfte außenpolitische Debatte der Vereinigten Staaten von Amerika, die sich 1937 zu kompromisslosen Grabenkämpfen zwischen Isolationis- ten und Internationalisten steigerte und Franklin Roosevelt vor mehrere Jahrhundertentscheidungen stellte. Die Umstände um Dodds Abberufung sollen in diesem Fazitkapitel unter Hinzuziehung einer Zusammen- fassung der wichtigsten Punkte der bereits erörterten Deutschland- erfahrungen und seiner Botschaftertätigkeit 1937 in diese Gliederung von Faktoren und Entwicklungen der USA und Deutschlands eingeordnet und in einen Zusammenhang mit diesen gestellt werden. Der erste Einflussfaktor für Dodds Abberufung, die innenpolitischen Entwicklungen in Deutschland, diente dem amerikanischen Botschafter selbst zunächst als primärer Gegenstand seiner eigenen Beobachtungen

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und Berichterstattung im Jahr 1937. Wie im ersten Teilkapitel beschrieben war der US-Diplomat auf verschiedene interne Konflikte im national- sozialistischen System aufmerksam geworden, die sich im Bereich der deutschen Außenpolitik insbesondere zwischen den Vertretern des Auswärtigen Amtes und Hitlers Funktionären, allen voran Joachim von Ribbentrop, weiterentwickelten. Gleichermaßen hatte Hans Heinrich Dieckhoff, der Amerikaexperte des Amtes, einen schwindenen Einfluss des Isolationismus in der amerikanischen Politik beobachtet und dras- tische Konsequenzen für das deutsch-amerikanische Verhältnis in Aus- sicht gestellt. Die Schlussfolgerung, die die Beamten des Auswärtigen Amtes zogen, fokussierte sich auf die Ursachen dieser Verschlechterung der Beziehungen zu den USA, deren Wahrung und Verbesserung ein traditionelles Ziel der Politiklinien der Behörde seit der Kaiser- zeit darstellten. Anstatt eines möglichen Eingeständnisses des eigenen schwindenden Einflusses auf die Umsetzung von Hitlers außenpoli- tischen Zielen fern der Traditionen des Amtes hat die Analyse der Quellen zur Haltung der Diplomaten offengelegt, dass das Auswärtige Amt US-Botschafter Dodd als Unruhestifter identifiziert hatte. Dieser schien nach Meinung der Karrierediplomaten durch seine Kontakte zu liberalen Deutschen, seine deutschlandkritische Berichterstattung und seine öffentlichen Äußerungen die Bemühungen um eine Stabilisierung der Beziehungen zu untergraben. Hiervon zeugen die Gespräche des US-Repräsentanten mit den deutschen Beamten, die zunehmend über Fangfragen Dodds Absichten und politische Standpunkte sowie den Grad der Unterstützung für den Botschafter in seiner Administration aushorchten und seine Aktivitäten aufs Genaueste mitverfolgten. Aus- schlaggebend war die Weisung Dieckhoffs und anderer deutscher Berufsdiplomaten, die Aufmerksamkeit der Medien für Dodds Aussagen und Tätigkeit aktiv gering zu halten und im Hintergrund seine Rückberufung zu erwirken, um ihm nicht die Rolle eines Märtyrers für liberal Gesinnte zuzugestehen. Im Kreise der amerikanischen Kollegen des konservativen Establishments im State Department wurden Dieckhoff, Thomsen und Mackensen in Hinblick auf Unterstützung hierfür fündig: Schon für Ende 1937 konnte Dodds Rücktritt erwirkt werden. Dieser Einfluss auf die amerikanische Behörde war unter anderem deshalb möglich, weil wie in den Berliner Traditionsbehörden auch in Washington Verwirrung bezüglich des langfristigen deutschen Kurses herrschte. Es ist bemerkenswert, „daß über eine lange Zeitperiode hinweg möglicherweise nicht ein deutscher politischer Kurs, sondern verschiedene Kurse existierten, und

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daß die Anhänger des einen politischen Kurses teilweise oder ganz ohne Kenntnis davon waren, was die Anhänger anderer Kurse unternahmen. [...S. XVI:] Diese Zwiespältigkeiten innerhalb der Deutschen Regierung waren von großer Bedeutung, besonders da sie oft andere Regierungen verwirrten und irreführten”.2033 Einer der zentralen Beweggründe für dieses Verhalten der Beamten des Auswärtigen Amtes war ihr Bewusstsein um die eigene marginalisierte Rolle für die damalige und zukünftige Formulierung der Außenpolitik des „Dritten Reiches“, die sich nur wenige Vertreter offen eingestanden. Ernst von Weizsäcker war einer der wenigen, die schon im Januar 1937 die mangelnde Beteiligung des Amtes an den großen Zielsetzungen beklagten: „Allerdings ist der Apparat des A.A. [Auswärtigen Amtes], so bewährt seine Struktur und Grundsätze sein mögen, im Begriff, geistig zu zerfallen. Da ihm der Lebensnerv, / [S. 155] nämlich die eigentliche Verantwortung für die wichtigeren politischen Fragen je länger je mehr entzogen und seine Zuständigkeit immer wieder in Frage gestellt wird, wird das Denken und Handeln des A.A. tastend, inkonsequent, und schwächlich”.2034 Nicht alle Beamten äußerten sich derartig offen. Dies lag unter anderem daran, dass Hitler das Amt nicht schlagartig entmachtet hatte. Da die meist aus Zeiten der Monarchie stammenden Beamten einige seiner außenpolitischen Ziele teilten, hatte der Reichskanzler an einer Kon- tinuität der Tätigkeit dieser Behörde zunächst für einige Jahre fest- gehalten und damit die Außenwelt wie die Beamten selbst täuschen können.2035 Den Einfluss der Eliten des deutschen Außenministeriums

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2033 ADAP Serie D, Bd. I Vorwort S. XVf. 2034 Ernst von Weizsäcker, Aufzeichnung (Auszug), Ziele und Methoden deutscher Außenpolitik nach vier Jahren nationalsozialistischer Herrschaft, vom Januar 1937. Dok. 53 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 154f. 2035 Vgl. hierzu DÖSCHER: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. S. 85, 139f, 148 und 306. Döscher vermutet, es „dürfte dem Kalkül Hitlers entsprungen sein, das Ausland mittels der Kontinuität der traditionell konservativen deutschen Diplomatie und ihrer revisionis- tischen Außenpolitik über seine langfristig revolutionären Zielsetzungen hinwegzu- täuschen” (S. 85). Während Konstantin von Neurath Hitlers außenpolitische Erfolge bewunderte, radikale Dynamiken der nationalsozialistischen Herrschaft unterschätzte und eine „Indolenz gegenüber den repressiven Herrschaftspraktiken der Nationalsozialisten“ (S. 139) an den Tag legte, teilten die Beamten an der Spitze des Auswärtigen Amtes generell eine „intellektuelle […] Schwerfälligkeit“ (S. 140), die Furcht vor dem Machtverlust ihrer Schicht sowie eine sture Auffassung von Pflichtbewusstsein und Loyalität (S. 140).

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hatte lange Zeit nach der „Machtergreifung“ der Umstand gesichert, dass „Konservativismus mit antiliberalen, antiparlamentarischen und antise- mitischen Akzenten […] die Grundeinstellung der meisten Diplomaten [bestimmte]”.2036 Kein anderer verkörperte die widersprüchlichen Handlungsweisen der alten deutschen Eliten im Auswärtigen Amt deutlicher als Hans Heinrich Dieckhoff. Sylvia Taschka analysierte vor wenigen Jahren in ihrer Bio- graphie2037 zu jenem deutschen Spitzenbeamten wissenschaftlich sehr überzeugend den Charakter und das Wirken Dieckhoffs und lieferte damit die Erklärung, warum der deutsche Diplomat zum direkten Gegen- spieler William Dodds avancierte wie die vorliegenden Kapitel zu den Jahren 1937/38 unter Beweis stellen. Hans Heinrich Dieckhoff kann laut Taschka als Beispiel für viele Mitglieder der deutschen Eliten genannt werden, die dem nationalsozialistischen Regime dienten ohne dessen Gesinnung zu vertreten oder von der nationalsozialistischen Ideologie persönlich überzeugt zu sein.2038 Weder war Dieckhoff ein Reaktionär im klassischen Sinne, noch war er im Widerstand wie Ulrich von Hassell oder Graf von der Schulenburg organisiert.2039 Mit dem Ableben von Bülows 1936, der eine Strategie der Abschirmung des Amtes gegen den nationalsozialistischen Einfluss verfolgt hatte, sah sich Dieckhoff, der mit von Ribbentrop verschwägert war, zunehmend gezwungen, den Neurathschen Kurs eines engen Kontaktes zur „Umklammerung“ der NSDAP zu verfolgen, um den eigenen Einfluss im Amt und damit sein Lebenswerk nicht zu zerstören.2040 Aufgrund von Bülows vorzeitigen Ablebens und des schwelenden Kon- fliktes zwischen von Neurath und von Ribbentrop stand Dieckhoff laut Taschka ab 1937 zwischen den Stühlen. Von Neurath misstraute Ribbentrops Schwager und erwirkte Dieckhoffs Ernennung zum Bot- schafter in Washington, um seinen Schwiegersohn Georg von Mackensen zum Staatssekretär küren zu können. Vermutlich nicht zwingend beab- sichtigt, aber bedingt durch sein konventionengebundenes Verhalten

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2036 DÖSCHER: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. S. 306. 2037 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. 2038 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 11. Vgl. auch JACOBSEN: Zur Rolle der Diplomatie. S. 174f. und DÖSCHER: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. 2039 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 13f. 2040 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 151 und 155.

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verstrickte sich Dieckhoff in dieser Position immer tiefer in die Machenschaften der Nationalsozialisten. Persönlich glaubte er, durch die Tätigkeit als Botschafter in Washington und als Amerikakenner eine neue positive Dynamik in die deutsch-amerikanischen Beziehungen bringen zu können. 2041 Mit seiner obersten Priorität – nämlich die Stimmung der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber Deutschland zu verbessern2042 – geriet der deutsche Chefdiplomat in direkte Konkurrenz zu William Edward Dodd, der seit 1933 für das diametral gegensätzliche Vorhaben gearbeitet hatte: Die Aufklärung der öffentlichen Meinung in den USA über die radikalen Methoden und Zielsetzungen des „Dritten Reiches“ zum Schaden des amerikanischen Systems. „Es war ein unvereinbarer Interessensgegensatz: Dieckhoff war nach Washington gekommen, um das amerikanische Volk zu beschwichtigen, Dodd dage- gen wollte es aufrütteln”.2043 Dieckhoffs auf Dodd bezogene Proteste, Gespräche, Berichte und Briefe zeugen von einer emotionalen Aufge- regtheit, die nicht mit Taschkas Vermutung, er habe persönlich vielleicht Dodds kritisches Verhalten, nie aber dessen Verstoß gegen den „diplo- matische[n] Ehrenkodex“2044 gebilligt, erklärbar sind.2045 William Dodds offensive Strategie gegen alle konservativen und radikalen Kräfte auf beiden Seiten des Ozeans hatte die Gemüter auf beiden Kontinenten erhitzt. Dabei stand der Konflikt um Dodds Person eben vor „einem breiteren Hintergrund”.2046 Nicht wegen seiner mangelnden Fähigkeiten als Diplo- mat bekämpften den progressiven Demokraten konservative deutsche und amerikanische Beamte und Politiker gleichermaßen. Die Bemühun- gen um seine Abberufung dienten keinem anderen Ziel als dem einen, den Botschafter „wegen seiner politischen Forderungen kaltzustellen”.2047 Wohlweisslich hatte Präsident Roosevelt den überzeugten liberalen Demokraten wie andere Internationalisten in europäische Schlüssel- positionen eingesetzt, wie auch Taschka feststellt. Es musste dem amerikanischen Präsidenten klar gewesen sein, dass Dodd sich nicht

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2041 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 157-160 und 164. 2042 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 160. 2043 TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 166. 2044 TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 164. 2045 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 163f. 2046 TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 165. 2047 TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 165.

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von den Nationalsozialisten blenden lassen und dass er mit größter Wahrscheinlichkeit eine progressiv liberale Herangehensweise an das deutsche Problem wählen würde.2048 Wie die Analyse der weiteren drei Faktoren für seine Abberufung zeigen wird, galt Dodds „Kaltstellung“ den Gegnern der Rooseveltschen Politik beiderseits des Ozeans – zu denen auch Dieckhoff gehörte – als Mittel zur Schwächung der progressiven Kräfte des Präsidenten und seiner Mitstreiter und zur Stärkung der isola- tionistischen Strömung der amerikanischen Innen- und Außenpolitik. Es ist deshalb nicht als Zufall zu interpretieren, dass Dodds vorzeitiges Ende seiner Botschafterkarriere unmittelbar mit Roosevelts offensivem Vorgehen gegen innenpolitische Gegner sowie mit einer Wende seiner Außenpolitik, unter anderem mit seiner „Quarantänerede“2049 im Oktober 1937 in Chicago zur Eindämmung der nationalsozialistischen/faschis- tischen und extremistischen Diktaturen weltweit, zeitlich zusammenfiel. Dieckhoff hatte nach seiner Ankunft in Washington im Mai 1937 eine rapide Verschlechterung der amerikanischen Stimmung gegenüber Deutschland beobachten können, die ihren Höhepunkt in den Äuße- rungen des US-Staatsoberhauptes fand und in einer dauerhaft feindlich gesinnten Propaganda in beiden Ländern gipfelte.2050 Dass William Dodds Kritik am nationalsozialistischen Regime nicht Ursache, sondern vor allem Ausdruck einer sich manifestierenden amerikanischen Überzeu- gung gegen eine deutsche Vorherrschaft in Europa und der Welt war, musste sich Botschafter Dieckhoff bereits Ende 1937 trotz Dodds Ent- fernung aus Berlin eingestehen: „Der Rahmen, der Dieckhoff durch die nationalsozialistische Rassentheorie gesteckt war, ließ ihm praktisch keinen Raum übrig, um weit genug auf seine amerikanischen Kollegen zuzugehen“2051 und so die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu retten. Am Beispiel der Intrige um Dodds Abberufung wurde somit deutlich, in welches Dilemma die Beamten des Auswärtigen Amtes Ende 1937 geraten waren. „[Z]u Bittstellern der Vernunft degradiert“2052 vermochten sie die ideologischen Gegensätze zwischen Deutschland und Amerika nicht mehr überwinden.

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2048 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 166. 2049 Vgl. hierzu ausführlich die Analyse dieser Rede und ihrer Folgen im Kapitel 7.1. 2050 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 170ff. 2051 TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 173. 2052 TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 174.

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Dabei untergrub nicht nur der Konflikt des Auswärtigen Amtes mit dem Büro Ribbentrop die Bemühungen der deutschen Diplomaten um das deutsch-amerikanische Verhältnis, sondern vor allen Dingen auch der Machtzuwachs von Politikern wie Joseph Goebbels und die Verschärfung der Propagandapolitik durch sein Propagandaministerium im In- und Ausland. Diese innenpolitische Entwicklung in Deutschland gehört glei- chermaßen zu den zwischenstaatlichen Faktoren für William Dodds Rückberufung, da sie die Realitäten der ideologischen und politisch- kulturellen Auseinandersetzung beider Staaten widerspiegelte. William Dodd hatte wie beschrieben 1937 angeklagt, dass Goebbels hasserfüllte Äußerungen selbst die antideutsche Haltung der amerikanischen Öffent- lichkeit angefacht hätten. Laut Phillip Gassert kann das Jahr 1937 als Beginn einer Wende der deutschen Berichterstattung hin zu „einer offen feindseligen Haltung der deutschen Propaganda gegenüber Roosevelt und den Vereinigten Staaten“2053 bezeichnet werden. In direktem Zusammen- hang hiermit stand die ab 1937 einsetzende Rezession in der amerika- nischen Wirtschaft, die eine neue Streikkultur, Rassenunruhen und ein Erstarken der Gewerkschaften zur Folge hatte. Damit hatten nach Meinung der nationalsozialistischen Führung die USA ihren Exzeptio- nalismus und ihren „Vorbildcharakter verloren. […] Die Vereinigten Staaten waren Mitte 1937 wieder ein fester Bestandteil jener bürgerlichen Welt geworden, die nach Auffassung der Nationalsozialisten den Bol- schewismus ermöglicht hatte”.2054 Die neue feindliche Berichterstattung „diente hauptsächlich dazu, die Verdienste des Nationalsozialismus propagandistisch zu untermauern und die Krise Amerikas als Ausdruck einer allgemeinen Krise des liberalen Systems darzustellen”. 2055 Diese Kehrtwende der öffentlich geäußerten Einstellung des nationalsozialis- tischen Regimes zu Amerika, deren Auslöser unter anderem Roosevelts Quarantänerede gewesen war,2056 musste zur Folge haben, dass Amerikas überzeugtester Liberaler in Berlin, William Edward Dodd, als Haupt- kritiker am nationalsozialistischen System ausgeschaltet werden musste.

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2053 GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 247. Vgl. hiergegen JONAS: The United States and Germany. S. 223. Jonas behauptet, die deutsche Führung habe die USA weiterhin nur am Rande wahrgenommen. Fälle wie die der Verärgerung der deutschen Führung und Presse über die Äußerungen des Kardinals Mündelein, wie Jonas sie selbst beschreibt, sprechen jedoch gegen diese These (S. 224). 2054 GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 231. 2055 GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 247. 2056 Vgl. GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 247.

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Die propagandistisch wirksame Darstellung seiner Unfähigkeit als Bot- schafter kam damit einer entsprechenden Beweisführung des Scheiterns des amerikanischen Systems gleich. Diese Einstellung der Nationalso- zialisten gegenüber Dodd machte auch William Bullitts bereits in der Einleitung erwähnte Wiedergabe eines Gespräches mit Hermann Göring Ende 1937 deutlich. Bullitt berichtete hier in einem Brief an Roosevelt: „Neither he [Göring] nor anyone else in the German Government could recognize Dodd as an American Ambassador. Dodd was too filled with venomous hatred of Germany to have any relations with members of the Government […]”.2057 Karrierediplomaten wie Bullitt, denen Dodds unkonventionelle Methoden und starre liberale Einstellung ohnehin suspekt waren, ließen sich von den deutschen Argumenten bezüglich Dodds Unfähigkeit durchaus überzeugen. 2058 Während Manfred Jonas die Behauptung aufstellt, William Dodd habe 1937 nur noch isoliert und ineffizient in Berlin ausgeharrt,2059 spricht der beschriebene Fall Hirsch für die dynamischen Versuche des Botschafters, die Grundrechte der ihm anvertrauten amerikanischen Staatsbürger in Deutschland mit allen Mitteln zu schützen. Der Verlauf des Falles hatte auch gezeigt, dass William Dodd aufgrund der kompromisslosen Haltung der national- sozialistischen Führung und der deutschen Behörden sowie durch die konfliktscheue Politik des State Departments selbst bei einem umfang- reichen Engagement im Rahmen seiner Aufgabenbereiche als Botschafter keine Erfolgserlebnisse mehr erlaubt wurden. Der Fall Hirsch hatte sogar als kleine Blaupause für eine Zusammenarbeit des State Departments mit dem Auswärtigen Amt auf Beamtenebene dienen können. Die Fälle LaGuardia und Mündelein hatten darüber hinaus bewiesen, dass die ideologischen Gräben zwischen Europa und Amerika und innerhalb

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2057 Bullitt an Roosevelt, 23. November 1937 in BULLITT: For the President. S. 233. 2058 Vgl. Bullitt, Ambassador to France, an Roosevelt, 10. Mai 1937, Dok. 229 in SCHEWE, Donald B. (Hrsg.): Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs, January 1937 – August 1939. Ten volumes of documents published in facsimile, plus an index to the collection. New York, London 1979. Volume II, May 1937 – July 1937 [in diesen Faksimilebänden befinden sich keine Seitenzahlen]. „We ought to have an Ambassador and a staff in Berlin who can find out exactly what Hitler, Goering, Goebbels and the rest of the gangsters are thinking about. That means personal contact. If we had a diplomatic service in the sense that the British and French have, we should not hesitate for one minute to move Dodd and replace him by the most efficient man we can discover. I am convinced that Hugh Wilson is the best man for that job and I think it is genuinely important to send him there”. 2059 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 222.

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Amerikas tiefer wurden. Weite Teile der amerikanischen Bevölkerung hegten entgegen der Politik des konservativen State Departments aus ideologischen und humanitären Gründen Zweifel an den vorgeblich friedlichen Zielsetzungen des nationalsozialistischen Deutschlands. Ihr Präsident setzte spätestens mit seiner Rede in Chicago den ideellen und propagandistischen Rahmen für den Konflikt zwischen Deutschland und den USA. Im Gegensatz zu Neville Chamberlain, dem neuen britischen Premierminister und Befürworter einer Appeasementpolitik, wuchs in Franklin Roosevelt der Glaube, weder die Gegensätze überwinden noch sich mit Hitlers Politik auf irgendeine Weise abfinden zu können.2060 Als diplomatischer Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika stand William Edward Dodd aus diesen Gründen im Fokus der sich drastisch verschlechternden deutsch-amerikanischen Beziehungen und erfuhr die Konsequenzen, wie die Umstände um seine Rückkehr in die USA bewiesen hatten, unmittelbar. Gleichermaßen wie mit den zwischenstaatlichen sowie den innen- politischen Entwicklungen Deutschlands war William Edward Dodds Wirken in Berlin 1937 aufs Engste mit den Konsequenzen aus innen- politischen Entscheidungen in Amerika verwoben. Dies lag zum einen daran, dass Roosevelts Außenpolitik weiterhin von innenpolitischen Auseinandersetzungen und Weichenstellungen bezüglich der Zukunft der USA geprägt wurde, und zum anderen an der direkten Intervention des Botschafters in vorwiegend innenpolitische Debatten. Durch seine Briefe und Äußerungen hatte sich der progressive Historiker mit den konservativen bzw. New Deal-Kritikern unter den Demokraten und den Republikanern zugleich angelegt: Die Senatoren Wheeler, Byrd, Glass und Borah zählten mittlerweile trotz ihrer progressiven Gesinnung zu den einflussreichen Skeptikern des New Deal. Unmittelbare Konsequenzen für seine Stellung als Botschafter waren aus der direkten Kritik an den Entscheidungsprozessen im Kongress und im Supreme Court also zu

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2060 Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 223 und 227. Diese Argumente sprechen gegen Hans-Jürgen Schröders Annahme, in den handelspolitischen Konflikten der USA und Deutschlands in Lateinamerika sei noch kein politisch-ideologischer Gegen- satz erkennbar gewesen. Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 259f. William Edward Dodd war selbst Zeuge des sich verschärfenden Tones Hjalmar Schachts und der Vertreter des Auswärtigen Amtes geworden, als die amerikanische Regierung den Abschluss eines deutsch-brasilianischen Handelsabkommens erfolgreich unterbunden hatte.

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erwarten gewesen. Der Kern von Dodds Kritikpunkten bestand darin, dass die Demokratie selbst durch diese Entscheidungen und Urteile gelitten habe und wiederhergestellt werden müsste. Zu diesem Zweck setzte der progressive Botschafter auf eine konfrontative Aufklärungs- arbeit, um die Öffentlichkeit über die komplexen Zusammenhänge zwischen der angespannten Wirtschaftslage, der Unzufriedenheit der Wähler, den skrupellosen Geschäftspraktiken von Industrie und Banken, dem Abstimmungsverhalten der Senatoren und Verfassungsrichter sowie dem Einfluss der großen amerikanischen Meinungsbilder zu informieren. Als besonders problematisch erwies sich hierbei seine Behauptung, die Senatoren und Geschäftsleute suchten die angespannte Lage der Arbei terschaft und der Arbeitslosen im Sinne einer Diktatur der Minderheit nach europäischem Vorbild auszunutzen und damit einen neuen Bürger- krieg zu entfachen. Mit diesen Äußerungen hatte er vor allen Dingen bezwecken wollen, Franklin Delano Roosevelts Rallying around the flag im Zuge seines Kampfes um eine progressiv ausgerichtete Reorganisation des Supreme Courts, der Exekutive und der Demokratischen Partei zu unterstützen und progressive Politiker auf Roosevelts Seite zu ziehen. Vor allem bewirkte William Dodd dadurch jedoch, dass sein klares und offensives Bekenntnis zu den progressiven Internationalisten ihn den konservativen und traditionalistischen Kreisen der US-amerikanischen Politik, Wirtschaft und Presse weiter entfremdete. Franklin Roosevelts und Cordell Hulls Festhalten an ihrem Botschafter in Berlin und Judge Moores Unterstützung in den Wochen und Monaten nach den Skandalen um Dodds Briefe stellen den Beweis, dass seine Stellungnahmen ihren politischen Plänen entsprachen. In Briefen an den progressiven Claude Bowers hatte Roosevelt seinen Unmut über die Angriffe der Presse auf seine liberalen Botschafter offenbart: „We are kindred spirits! The unfair attacks of that part of the press which has no interest in reporting either the truth or the facts are enough to make any of us boiling mad. Some day we will have a chance to sit down together and plan our own form of revenge on Bert McCormick and the like”.2061

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2061 Roosevelt an Claude G. Bowers, Ambassador to Spain, St. Jean de Luz, France, 15. Januar 1937, Dok. 22 in SCHEWE: Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs. Volume I, Jan. 1937 – Apr. 1937.

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Roosevelts Strategie 1937 ging allerdings über dieses Zuwehrsetzen gegen Angriffe der Medien weit hinaus. Nach seinem spektakulären Wahlsieg 1936 wollte der Präsident einen weiteren Sprung wagen – „because he was convinced the progressive movement runs in cycles“2062 – , auch wenn dieser sich gegen die Politiker richtete, die seine New Deal-Koalition ursprünglich ermöglicht hatten: Die vollumfängliche Umsetzung seines New Deal-Programmes und eines progressiven Wandels von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft für einen dauerhaften Aufstieg und die Wahrung des freiheitlich-kapitalistischen Systems der USA. Im Gegensatz zu den Beschuldigungen durch seine politischen Gegner stand fest, dass „Roosevelt conceived his mission to be to save capitalism rather than to destroy it”.2063 Mit diesem Ziel der Rettung des liberalen Systems der USA auf alle Zeit entsprach er nicht nur genau den progressiven Wert- vorstellungen, die William Dodd in Berlin und in den USA so vehement verteidigte, sondern konterte indirekt auf die propagandistischen Unken- rufe aus Deutschland, der Liberalismus stürbe mit dem Untergang des amerikanischen Kapitalismus. Sicherlich dienen der Court Fight sowie die Reorganisation der amerikanischen Exekutive, der Demokratischen Partei und insbesondere des State Departments als Beispiele für diese zunächst innenpolitisch gerichtete Kehrtwende mit gleichzeitig implizierter neuer außenpoli- tischer Schlagrichtung der Politik Franklin Delano Roosevelts im Jahr 1937. Basil Rauch bestätigt, dass Roosevelt erst ab jenem Jahr die Mög- lichkeit der dauerhaften Umsetzung seiner progressiven Ziele erkämpft hatte: „[Roosevelt] was returned to the in 1937 as the choice of the majority in every section after four years‘ trial and a great national debate, and with a majority of his own Party in Congress larger than any other modern President had enjoyed”.2064 Das erste Hindernis für die Verstetigung des New Deal hatte der amerikanische Oberste Gerichtshof aufgestellt und damit einen knapp zwei Jahre andauernden Verfassungs- streit in den Vereinigten Staaten ausgelöst.2065 Auf die Frage, ob der

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2062 BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 382. 2063 BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 382. 2064 RAUCH: History of the New Deal. S. 265. 2065 Vgl. hierzu auch BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 360. Laut US-Verfassung hat der Supreme Court nicht das Recht, Gesetze der Exekutive und Legislative für verfassungswidrig zu erklären und somit den Gesetzgebungsprozess zu blockieren. In der Verfassungswirklichkeit jedoch hat der Supreme Court gegen mehr oder weniger

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sogenannte Court Fight, also der Kampf um die Reorganisation des Gerichtes, der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situa- tion der USA angemessen war, antwortet Rauch, der Supreme Court habe tatsächlich zahlreiche Gesetzespakete der Mehrheit des Kongresses auf Monate blockiert oder durch ihre Einstufung als verfassungswidrig verhindert. Gesetze wie der Wagner Act2066, die die Rechte der Gewerk- schaften erweitern sollten, scheiterten aus diesem Grund und verur- sachten somit die flächendeckenden Streiks, die sich wiederum negativ auf den ohnehin angespannten Arbeitsmarkt auswirkten.2067 Entgegen den Argumenten der konservativen Opposition und des Courts selber, Franklin Roosevelt ziele durch die Einsetzung liberaler Richter auch auf eine persönliche Machterweiterung der Exekutive ab,2068 stellen Barck und Blake fest, Roosevelt habe keine andere Wahl gehabt als angesichts der drastischen wirtschaftlichen und arbeitspolitischen Lage die nationale Wirtschaft durch staatliche Hilfen, wie sie die New Deal-Gesetze vor- sahen, zu ihrem Glück zu zwingen. Der New Deal durfte jedoch nicht mit Maßnahmen einer sozialistischen Zielsetzung verwechselt werden.2069 Franklin Roosevelt hatte wie William Dodd und andere Progressive richtig erkannt, dass die grundlegenden Ursachen der Rezession in den unregulierten und wenig arbeitnehmerfreundlichen Geschäftsprak- tiken vieler Unternehmen und Banken zu suchen waren. Das Jahr 1937 wurde deshalb zum Krisenjahr, weil neben den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes die Geschäftswelt aus Enttäuschung über die gewerkschaftsstärkenden New Deal-Gesetze zu einem politischen Schlag ausgeholt hatte und weitere Investitionen und Kapitalanlagen zur wirtschaftlichen Erholung im Sinne des New Deal verweigerte und Arbeitsplätze abbaute. Hierbei erhielte das Big Business zunehmend Unterstützung durch konservative Demokraten und Republikaner, die die

______Widerstand diese Kompetenz seit der Amtszeit des obersten Richters John Marshall zu Beginn des 19. Jahrhunderts wahrgenommen. In den Vorbürgerkriegsjahren entwickelte sich dieses Machtinstrument zum Gegenstand der amerikanischen Debatten über die Rolle der staatlichen Gewaltenteilung in der Union und die Zukunft derselben. 2066 Vgl. hierzu RENSHAW: Profiles in Power. S. 118-125. Der Wagner Act, auch National Labor Relations Act, sah eine kollektive Verhandlungsführung durch starke Gewerk- schaften vor, die in einer allgemeinen Lohnsteigerung und dadurch Wohlstandsförderung in den breiten Massen resultieren sollte. 2067 Vgl. RAUCH: History of the New Deal. S. 269. 2068 Vgl. RAUCH: History of the New Deal. S. 269. 2069 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 370f. und 382.

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New Deal-Koalition, die Roosevelt noch 1936 in den Wahlsiegerhimmel katapultiert hatte, allmählich auflösten.2070 Besonders problematisch war dabei, dass sich Franklin Roosevelt, wie auch Dodd in seinen Briefen an die Senatoren, mit den mächtigsten Wortführern des Isolationismus wie Burton Wheeler, William Borah und anderen angelegt hatte.2071 Das tragische und vorzeitige Ableben des liberalen Senators Joseph Robinson aus Arkansas, der sich in der Hitze der Debatten über das Court Packing im Kongress regelrecht überanstrengt hatte, zeigte den Zeitgenossen, welcher Druck auf dem amerikanischen System in diesen Fragen lastete. Obwohl Franklin Roosevelt durch eine US-Senatsentscheidung den Kampf um die Neubesetzung des Supreme Courts verlor, gelang es ihm in den folgenden Jahren, sieben neue und liberale Richter zu ernennen.2072 Die Frage der Ursachen und des Umgangs mit der Rezession von 1937 spaltete auch die Administration und damit die New Dealers sel- ber.2073 Aus diesem und weiteren Gründen gelang Franklin Roosevelt die Neuorganisation der Exekutivorgane zur Straffung der Bürokratie, die bereits sein Verwandter Theodore Roosevelt angestrebt hatte, nur teilweise.2074 1937 begann das amerikanische Staatsoberhaupt dennoch mit Maßnahmen, die seine Gegner als Parteisäuberungen difammierten:2075 Roosevelts direkte Unterstützung progressiv-liberaler Kandidaten in den Vorwahlen und Wahlen des US-Kongresses 1938 unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit bewirkte eine weitere Welle der politischen Erup- tionen im amerikanischen Verfassungssystem, von der auch William Dodd erfasst wurde.

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2070 Vgl. RAUCH: History of the New Deal. S. 296f. 2071 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 421f. und BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 365. Barck und Blake halten Roosevelts Entscheidung, statt mit den Folgen der blockierten Gesetzgebungsprozesse durch die Urteile des Supreme Courts lediglich mit dem Alter und der politischen Gesinnung der Richter zu argumentieren, für unbedacht. 2072 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 367ff. 2073 Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 245. Hierbei standen sich Politiker wie der Finanzminister Morgenthau, die vermehrte Investitionen der Unternehmer forderten, und liberale New Dealer wie Harry Hopkins, Harold Ickes und weitere, die eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben befürworteten, gegenüber. 2074 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 369f. Erst 1939 wurde ein Gesetz über die Neu- strukturierung der Exekutive inklusive einiger Senatsvorbehalte erlassen. Roosevelt gelang weder die Einrichtung neuer Ministerien noch die verwaltungstechnische Unterordnung einiger unabhängiger Behörden. 2075 Vgl. hierzu unter anderem BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 371ff.

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Ein weiterer Aspekt innenpolitischer Machtverschiebungen, die William Dodds Karriere beeinflussten, betraf die Reorganisation des State Departments. Der Konflikt um die Besetzung der vakanten Stelle des Under Secretary of State, nachdem William Phillips nach Rom berufen worden war, vergiftete die Atmosphäre im amerikanischen Außenmi- nisterium zunehmend. Zwar blieb Franklin Roosevelt der „originator of policy“2076 wenn es um die generelle Ausrichtung der Außenpolitik ging, Sumner Welles allerdings erhielt durch sein Aufrücken auf Phillips‘ ehemalige Position die Möglichkeit, diese weitgehend unabhängig von anderen Weisungen in konkrete Politik umzuwandeln: Roosevelt „went directly to Welles to present an idea that Welles, the consummate technician, could then mold into a workable form”.2077 Roosevelts Ent- scheidung für Welles zog mehrere Konsequenzen für die Machtstrukturen innerhalb des Departments nach sich: Welles‘ Berufung hatte einen endgültigen Bruch in den Beziehungen zwischen den Spitzenbeamten, nämlich zwischen Cordell Hull und Welles, zwischen Welles und Judge Moore, zwischen Hull und Moore und zwischen Bullitt und Welles und damit dauerhaft eine Veränderung der Strukturen und des Handlungs- rahmens in der Außenpolitikformulierung des State Departments ver- ursacht. 2078 Es gehörte zu den erstaunlichen Ereignissen in dieser Neuordnung, dass George S. Messersmith, einer der schärfsten Gegner des „Dritten Reiches“, als Beamter des Konsulardienstes zum Assistant Secretary of State2079 und Judge Moore in eine Welles‘ ebenbürtige neue Position des Counselor of the State Department gewählt wurden. Neben William Dodd und Judge Moore beklagten sich dennoch mehrere hoch- rangige Mitglieder des Departments, auch der Außenminister selbst, über Welles‘ neue Machtposition. William Phillips beobachtete, „[that Welles] suffered somewhat from an unbending personality […] Unfortunately it was typical of Roosevelt to let such matters slide until they developed into really serious situations. The Hull-Welles feud adversely affected the conduct of our foreign relations for several years”.2080

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2076 GELLMAN: Secret Affairs. S. 164. 2077 GELLMAN: Secret Affairs. S. 164. 2078 Vgl. WELLES: Sumner Welles. S. 195 und 197ff. 2079 Vgl. ROLDE, Neil: Breckinridge Long. American Eichmann??? An Enquiry Into the Character of the Man Who Denied Visas to the Jews. Solon, ME, 2013. S. 129. 2080 PHILLIPS: Ventures in Diplomacy. S. 186.

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Cordell Hull nennt in seinen Memoiren ebenso Sumner Welles konkret als Schuldigen für die neue Roosevelt-zentrierte Außenpolitikformu- lierung: „Later on, however, instances occurred where an assistant badly abused his trust by going over my head to see the President without instructions from me and undertaking in one way or another virtually to act as a Secretary of State. Sumner Welles was the principal offender”.2081 Sicherlich war Franklin Roosevelt in diesen Entwicklungen derjenige, der die Fäden in der Hand behielt und von der neuen, konkurrenzgeprägten Dynamik im Department in Hinblick auf seine progressive Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik profitieren konnte. De facto hatte der Chef der Exekutive die Behörde durch Welles‘ direkte Loyalität und Abhängigkeit gewissermaßen entmachtet. Insbesondere Cordell Hulls Aussagen weisen darauf hin, dass Welles vermutlich tatsächlich ohne das Wissen des Außenministers William Dodds Abberufung eingeleitet hatte. Hundertprozentig lässt sich Franklin Roosevelts Rolle nicht mehr rekonstruieren, wie die Darstellung in den vorherigen Kapiteln gezeigt hat. Der direkte Einfluss der konservativen Karrierebeamten wie Moffat und Hugh Wilson auf den Präsidenten in dieser Sache scheint aus- geschlossen, Roosevelt hatte vermutlich tatsächlich seinen Botschafter bis in das Jahr 1938 hinein in Berlin wissen wollen. Vielleicht hatte er sich im Spätherbst 1937 dann doch von Welles überzeugen lassen, dass Dodd und dessen Engagement und Einfluss in außen- und innenpo- litischen Debatten ihm in den USA nützlicher sein konnte, und deshalb in die Rückberufung eingewilligt. Der letzte große Faktor für Dodds Rückberufung 1937 waren die außen- politischen Debatten in Amerika gewesen, an deren Grabenkämpfen zwischen Internationalisten und Isolationisten der amerikanische Botschafter in Deutschland auf internationalistischer Seite aktiv teilge- nommen hatte. Dies machen Dodds Beobachtungen und Berichter- stattung aus jenem Jahr deutlich: Eindringlich warnte er vor der wahren politisch-ideologischen Ausrichtung vieler lateinamerikanischer Staaten und einem weiteren Vordringen der faschistischen/nationalsozialistischen Mächte auf dem amerikanischen Subkontinent. Angesichts der handels- politischen Konkurrenz zwischen Deutschland und den Vereinigten

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2081 BERDING/HULL: The Memoirs of Cordell Hull. S. 202.

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Staaten riet er gar zu einer offensiven Handelspolitik nicht nur in der eigenen Hemisphäre, sondern auch im Balkan- und Donauraum, dem Hauptzielgebiet der nationalsozialistischen Wirtschaftsexpansion. Vor Ort in Berlin hatte er im Kreise seiner demokratischen Diplo- matenkollegen eine erste Entwicklung hin zu einer Appeasementpolitik gegenüber den Diktatoren erkennen können und sich in seiner bedin- gungs- und kompromisslosen Verteidigung des demokratischen Systems zunehmend isoliert wiedergefunden. Nachdem Dodd eine weitere Stabi- lisierung des deutsch-italienischen Verhältnisses ungeachtet einer vordergründlich widersprüchlichen Bündnispolitik beider Diktaturen vorhergesehen hatte, mahnte der US-Repräsentant zu einer aktiven amerikanischen Strategie im Spanischen Bürgerkrieg sowie gegen das Vordringen Japans in China und Fernost, um die Achsenmächte ausein- ander zu drängen. Damit nahm der US-Vertreter in Berlin unmittelbar an der laufenden Neutralitätsdebatte im amerikanischen System teil und nahm Stellung gegen Appeasement-freundliche Pläne der konservativen Kreise des State Departments, die auch aus diesem Grund an seiner Rückberufung arbeiteten. Die Diskussion um eine fortbestehende amerikanische neutrale Haltung in den Konflikten der Weltpolitik bestimmte die Außenpolitikformu- lierung der USA 1937 maßgeblich. Insbesondere die Frage der Politik gegenüber Spanien avancierte zur heißesten Debatte des Jahres.2082 Nach- dem in einem ersten Schritt im Januar 1937 der Spanische Bürgerkrieg per Kongressbeschluss den Regularien des Neutrality Act von 1936 unter- geordnet worden war,2083 entfachte eine weitere Debatte zur Erneuerung des Neutralitätsgesetzes zum Mai 1937. Bereits im Januar war Franklin Roosevelt von der Idee bezüglich eines Embargos gegen Spanien und einer Erweiterung desselben gegen Deutschland und Italien abgerückt, um die französische und britische Nichteinmischungspolitik in Spanien nicht zu untergraben und um Frankreich und die Sowjetunion als Unterstützer der spanischen Loyalisten nicht ebenfalls in das Waffen- embargo einschließen zu müssen.2084 Darüber hinaus erteilten Roosevelt

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2082 Vgl. TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 57. Vgl. zu den verschiedenen Debatten innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zum Spanischen Bürgerkrieg ebenda. S. 55-74. 2083 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 413. 2084 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 70. Vgl. auch DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 226f.

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und Hull mit dieser Entscheidung aus innenpolitischen Gründen den Hoffnungen progressiver Internationalisten wie Dodd eine klare Ab- sage. 2085 In einem Kompromiss wurden deshalb die bestehenden Vorschriften des Gesetzes lediglich ergänzt und erweitert. 2086 Zur bedeutendsten Entscheidung gehörte hierbei – um der Gefahrensituation für amerikanische Schiffe von 1916/17 zu entgehen – Bernhard Baruchs Idee eines „Cash and Carry“, der Barbezahlung und eigenständigen Abtransportierung von allen zum Verkauf stehenden amerikanischen Gütern außer Waffen aus Amerika durch kriegführende Nationen.2087 Die Folgen und der Nutzen dieser neuen Regelung der amerikanischen Neutralität sind Gegenstand alter und neuer Forschungskontroversen.2088 Eine aus Sicht der Administration positive Wendung war die Tatsache, dass der Kongress dem amerikanischen Präsidenten für zwei Jahre eine sehr weitgehende Entscheidungsgewalt zur Feststellung von Kriegs- handlungen und Anwendung des Embargos zugestanden und damit eine weitere progressive Prägung der zukünftigen außenpolitischen Ent- scheidungen ermöglicht hatte.2089 Die Entscheidung der amerikanischen Administration für die Weiter- führung der bestehenden Spanienpolitik sollte den Aufbau einer engeren Beziehung zu Großbritannien und Frankreich in Hinblick auf die

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2085 Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 227: „By retaining the embargo, he [Roosevelt] only antagonized liberals who would continue to support his domestic reform program, not on the basis of personal loyalty, but out of conviction and principle”. 2086 BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 414. 2087 Vgl. hierzu ADLER: Uncertain Giant. S. 181ff. Vgl. auch RAUCH, Basil: Roosevelt from Munich to Pearl Harbor. A Study in the Creation of a Foreign Policy. New York 1950. S. 41- 44. Vgl. auch SCHMITZ: Triumph. S. 40-43. 2088 Vgl. unter anderem BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 414. Die beiden Autoren kritisieren das Gesetz als „unneutral“ und diskriminierend, weil es Nationen mit großer Flotte und finanziellen Spielräumen bevorzugte. Vgl. auch ADLER: Uncertain Giant. S. 182f. Laut Adler benachteiligte diese Regelung durch die Unterbindung von Krediten an Kriegs- parteien ganz speziell amerikanische Banken und Waffenproduzenten und wahrte somit eine Neutralität, die im Ersten Weltkrieg nicht erreicht worden war. Vgl. auch IRIYE: Globalizing of America. S. 156. Iriye kritisiert die Tatsache, dass Deutschland amerikanische Güter kaufen und nach Spanien zu General Francos Vorteil weiterleiten konnte. Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 199. Nach Meinung Divines ermutigte das Neutralitätsgesetz die Aggressionspolitik der Diktatoren und verursachte mehr Verwirrung als Klarheit über die amerikanische Haltung. 2089 Vgl. WILTZ: From Isolation to War. S. 57. Vgl. auch DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 198.

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Bekämpfung der Diktaturen in der Zukunft erlauben. 2090 So stellte Franklin Roosevelt für den Spanischen Bürgerkrieg den Kriegsfall fest und erlaubte ein Embargo gegen die Kriegsparteien, das er selbst mit der dadurch erwirkten Hilfe für die Loyalisten rechtfertigte.2091 Anders jedoch entschied er im Falle Japans. Die japanische Aggressionspolitik an der Marco-Polo-Brücke in China im Juli 1937 beantwortete der Präsident nicht mit der Ausrufung des Kriegsfalles und damit einhergehenden Gültigkeit des Waffenembargos, um direkte Hilfen der USA an das unterlegene China zu ermöglichen.2092 Dieser Umstand bewies allerdings auch, dass die Neutralitätsgesetzgebung nicht den weltpolitischen Reali- täten und Herausforderungen entsprach. Spätestens der Panay-Vorfall im Dezember 1937 machte dies offensichtlich. Ausgebremst durch die angeheizte Stimmung der US-Öffentlichkeit durch das Ludlow-Amend- ment2093 sowie gegensätzliche Stimmen in der eigenen Administration2094

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2090 Vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 226f. 2091 Vgl. „The Export of Arms and Munition to the Civil War in Spain is Forbidden. Proclamation No. 2236”. May 1, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. S. 185-193. Roosevelt erklärt in seiner Bemerkung zu dieser Quelle: Das moralische Embargo, ausgesprochen durch den Acting Secretary of State am 7. August 36, habe bewirkt, dass nur wenige Waffenproduzenten an Spanien lieferten (S. 191). Roosevelt rechtfertigt seine Entscheidung für ein Exportembargo mit dem Hinweis darauf, dass die faschistischen Rebellen mehr Schiffe kontrollierten als die Loyalisten und somit im Falle einer amerikanischen Unterstützung der Republik die meisten der Lieferungen in die Hände der Rebellen gefallen wären (S. 193). 2092 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 50-54. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 425. Vgl. auch WILTZ: From Isolation to War. S. 58ff. Vgl. auch ADLER: Uncertain Giant. S. 188. 2093 Vgl. BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 415f. Vgl. auch DAVIS: Into the Storm. S. 155. Davis erklärt, die amerikanische Bevölkerung sei zu jenem Zeitpunkt weder moralisch noch mental auf einen Seekrieg gegen Japan eingestellt gewesen. 2094 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 55f. Stanley Hornbeck, der Leiter der Far Eastern Division im State Department, setzte sich im Dezember 1937 für eine Aufrechterhaltung der Open Door in Fernost ein, nachdem er sich noch zu Beginn des Jahres für eine sanktionslose Politik gegenüber Japan ausgesprochen hatte: Vgl. Memorandum by Stanley K. Hornbeck, Chef, Division of Far Eastern Affairs, Dept of State, 9. Januar 1937, Dok. 9 in SCHEWE: Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs. Volume I. „Although conditions in China are unsettled, generally speaking the situation in the Far East does not at present give cause for any serious apprehension”. Der US-Vertreter in Japan, Joseph Grew, sah dagegen keinen Nutzen in Sanktionen gegen Japan, da die dortige Regierung an ihrer Expansionpolitik ungeachtet dessen festhalten würde. Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 56. Vgl. auch ADLER: Uncertain Giant. S. 189. Vgl. zu Joseph Grews Rolle während der sich zuspitzenden Krise in Fernost 1937/38 auch HEINRICHS: American Ambassador. Insbesondere S. 232-273.

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entschied sich Franklin Roosevelt für eine rasche Beilegung dieses Konfliktes, obwohl er fest davon ausging, dass die Zerstörung amerika- nischen Eigentums und mehrerer Menschenleben auf dem Jangtse als eine bewusste Provokation der Japaner gewertet werden müsste. 2095 Langfristig hatte der amerikanische Präsident dennoch die Weichen seiner Außenpolitik im Sinne von William Dodds Empfehlungen und Warnungen gestellt: „Roosevelt, with the support of the majority of the American public, had revealed the way in which discretionary authority could be used to throw American weight behind one side in a foreign war. The refusal to invoke the neutrality act, coupled with the moral embargo on the export of [/ S. 219:] aircraft to Japan, had destroyed any illusion of impartiality towards the Far Eastern belligerents. This policy heartened the supporters of collective security […]. For the first time since 1935, the powerful drive for mandatory neutrality began to lose strength”.2096 Alle Zeichen standen auf einer zukünftig sehr viel aktiveren Rolle der US-Außenpolitik, wie sie William Edward Dodd von Berlin aus unablässlich gefordert hatte und die er nach seiner Rückkehr nach Amerika somit noch überzeugender in der Öffentlichkeit propagieren konnte. Hierauf wiesen weitere außenpolitische Weichenstellungen der Roosevelt-Administration im Laufe des Jahres 1937 hin. Hierzu gehör- ten die Aufstockung des Verteidigungshaushaltes – bis zu zwanzig Prozent allein für die Modernisierung der US-Marine und die Befesti- gung von Militärbasen im Pazifik – und Kredite an die nationale chinesische Regierung unter Kai-shek in Millionenhöhe.2097 Roosevelts Quarantänerede in Chicago im Oktober 1937, deren Analyse Gegenstand des letzten großen Kapitels dieser Arbeit sein wird, kann nicht nur als

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2095 Vgl. ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 47ff. Vgl. vor allem MORGAN: FDR. S. 488. Bei einem Kabinettstreffen im Dezember 1937 nannte Roosevelt laut Morgan drei Motive der Japaner für diese Tat: Der Angriff solle China beeindrucken; er solle die weitere Präsenz der Westmächte am Jangtse unattraktiv machen; und Japan wolle langfristig ein Ende der westlichen Einmischung in Fernost erreichen. 2096 DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 218f. 2097 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 57f. Vgl. zu den weiteren Entwicklungen der japanisch- amerikanischen Beziehungen ab 1937 FEIS, Herbert: The Road to Pearl Harbor. The Coming of the War between the United States and Japan. Princeton, NJ, 1950. Vgl. auch LU, David John: From the Marco Polo Bridge to Pearl Habor: Japan’s Entry into World War II. Washington, DC, 1961.

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„Gradmesser der Beunruhigung in den USA“2098 über die neue Achse Berlin-Rom-Tokio gesehen werden; Vielmehr ließ der amerikanische Präsident trotz des Widerstandes in konservativen Kreisen der nationalen Behörden, Politiker, Medien und der Öffentlichkeit gegen diese inter- nationalistische Ausrichtung der US-Regierung einige unmittelbare Maß- nahmen zur Umsetzung seiner Postulate einleiten.2099 Für diesen Zweck erwies sich die Ernennung von Sumner Welles zum Under Secretary of State für Roosevelt als besonders zielführend: Weitgehend unabhängig von anderen Einflüssen aus dem State Department entwickelte Welles in den letzten Monaten des Jahres 1937 ein Konzept, den sogenannten Welles-Plan, der Roosevelts Ideen zur friedlichen Lösung der weltpoli- tischen Konflikte innerhalb der innenpolitischen Rahmenbedingungen umsetzen sollte. Teil dieses Planes war eine internationale Konferenz, die über die enge Einbindung kleinerer Nationen eine Friedensstruktur entwickeln sollte, die die Ungerechtigkeiten des Versailler Vertrages aufheben und zugleich den internationalen Handel, Abrüstung und die Einhaltung internationaler Regeln und Verträge befördern sollte. 2100 Dieser Ansatz sollte außerdem möglichen Appeasementversuchen der konservativen Beamten des State Departments zuvorkommen und das Verhältnis zu Großbritannien stärken.2101 Obwohl der britische Außen- minister Anthony Eden Premierminister Chamberlain Anfang 1938 zur Annahme dieses Planes ermutigte, entschied sich der britische Regie- rungschef für eine Ablehnung, um sein eigenes bilaterales Appease- mentkonzept in Europa einem Testlauf zu unterziehen.2102 Für Roosevelt gestaltete sich eine enge Kooperation mit England nach Chamberlains Regierungsübernahme äußerst schwierig, unter anderem aus dem Grund, dass sowohl die britische als auch die amerikanische Regierung sich gegenseitig keine erfolgreiche Lösung der explosiven Konfliktsituationen in Asien und Europa zutrauten.2103

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2098 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 103. 2099 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 104. 2100 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 44-48. Vgl. insbesondere auch RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 52-59. Vgl. auch ADLER: Uncertain Giant. S. 192. 2101 Vgl. SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 181-186 und ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 25. 2102 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 49. 2103 Vgl. ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 25-38. Rock erklärt auf diesen Seiten die gegenseitige Perzeption der Regierungschefs und ihre Beweggründe für eine nur halbherzige Kooperation 1937/38. Allerdings wirft Rock auch ein, dass eine dauerhafte

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Diesen Stand der anglo-amerikanischen Beziehungen um den Jahres- wechsel 1937/38 machte ebenso der Verlauf der Brüsseler Konferenz deutlich. Konkrete Ergebnisse dieser internationalen Veranstaltung zur friedlichen Lösung des fernöstlichen Konfliktes zwischen Japan und China blieben aus.2104 Brüssel hatte bewiesen, dass sich die japanische Regierung nur noch mit Gewalt und Sanktionen aufhalten ließ, zu deren Einsatz sich die Seemächte und Parteien des Neun-Mächte-Vertrages nicht durchringen konnten.2105 „Roosevelt feared Chamberlain’s policy in Asia. He believed that the weakened British hoped to push off on Americans the dirty job of containing Japan and – of special concern – protecting the British Empire”,2106 beschreibt Walter LaFeber die Erwä- gungen der Roosevelt-Regierung, während Chamberlain in gegensätz- licher Annahme von einer weiter bestehenden Unzuverlässigkeit der Amerikaner in weltpolitischen Belangen ausging.2107 Trotz der vorder- gründig mangelhaften Resultate der Brüsseler Konferenz konnten einige wegweisende Veränderungen der US-amerikanischen Außenpolitikfor- mulierung verzeichnet werden. Basil Rauch sieht in der amerikanischen Teilnahme an der Konferenz „a beginning of parallel action with the League and instrumentation of the strongest commitment of the United States”.2108 Als am bemerkenswertesten für die ab 1937 zunächst hinter verschlossenen Türen einsetzende endgültige Durchsetzung der pro- gressiven Internationalisten in der Washingtoner Regierung 2109 dürfte die Äußerung des US-Chefunterhändlers bezüglich Abrüstungsfragen in Genf, Norman Davis, zu beurteilen sein. Der langjährige Vertreter für eine konsequente, weltweite Abrüstung trat gegenüber seinem Präsidenten deutlich für eine Aufrüstung der US-Navy ein:

______Zusammenarbeit von beiden Seiten nicht ausgeschlossen wurde, zu jenem Zeitpunkt jedoch noch nicht möglich und erwünscht war. Vgl. zur Entwicklung der britisch- amerikanischen Beziehungen 1937 REYNOLDS, David: The Creation of the Anglo- American Alliance 1937-41. A Study in Competitive Co-operation. London 1981. S. 16-33. Vgl. zu Roosevelts früher Skepsis gegenüber Chamberlains Appeasementkonzept FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 259. 2104 Vgl. hierzu ADLER: Uncertain Giant. S. 192f. Vgl. auch RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 48-52. Vgl. auch WILTZ: From Isolation to War. S. 61-65. 2105 Vgl. BAILEY: Diplomatic History. S. 705. 2106 LaFEBER: American Age. S. 390. 2107 Vgl. ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 37. 2108 RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 49. 2109 Vgl. hierzu auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 188-192.

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„Having worked for years for a reduction and limitation in armaments, it may seem inconsistent for me to advocate a temporary increase in expenditures on naval armaments. […] I do not hold to the theory that the best way to preserve peace is to prepare for war, but I am convinced that the bigger our navy is the more influence we could bring to bear for disarmament”.2110 Nach der Meinung William Rocks hatte Franklin Roosevelt ähnlich wie die Konferenz in Buenos Aires das internationale Zusammenkommen in Belgien dafür genutzt, die amerikanische Bevölkerung behutsam auf eine enge Kooperation mit Großbritannien einzustimmen und mit der offensichtlichen Kompromisslosigkeit der totalitären und diktato- rischen Mächte und den hieraus entstehenden Konsequenzen vertraut zu machen.2111 Tatsächlich hatte bereits Roosevelts Teilnahme an der Konferenz von Buenos Aires ein außergewöhnlich deutliches Signal in die Welt gesendet. Sein persönliches und herzliches Auftreten setzte den sich öffentlich aggressiv gebärdenden Diktatoren und ihrer Rhetorik der Gewalt die greifbare Alternative einer selbstbewussten demokratischen Führung entgegen: „He was the only leader of a major country who appeared decisive, energetic, and benign. The French and British statesmen seemed dyspeptic, ineffective, and unimaginative, as, with few exceptions, they were. […] There were much-admired leaders in secondary countries but only Roosevelt carried the ideals of Western liberal democracy with the originality, courage, and panache that could universally attract admirers, reassure democratic believers, and refute the widespread theory that democracy was doomed to be surpassed by the Fascists or the Communists”.2112 Zwar gingen die Vereinigten Staaten von Amerika in Lateinamerika noch keine dauerhaften, militärischen Bündnisse ein, doch hatte Buenos Aires gezeigt, dass die Nichteinmischungsdoktrin der Good Neighbor Policy nicht nur temporär zu verstehen war:2113 „[T]he Monroe Doctrine had in

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2110 Norman H. Davis an Roosevelt, Memorandum for the President, 30. Juli 1937, Dok. 410 in SCHEWE: Franklin D. Roosevelt and Foreign Affairs, Volume II. 2111 Vgl. ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 46. 2112 BLACK: Champion of Freedom. S. 403. 2113 Vgl. BAILEY: Diplomatic History. S. 684.

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effect become multilateral”.2114 Nach dem erfolgreichen Abschluss der Konferenz baute die Regierung Roosevelts 1937 weiter auf diesen Grund- lagen auf. Die handelspolitische Konkurrenz, die sich laut William Dodd auch von Berlin leicht beobachtbar drastisch verschärft hatte, veranlasste die amerikanische Exekutive ihr Konzept von nationaler Sicherheit und Verteidigung gründlich zu überdenken. Diese Erwägungen resultierten unter anderem aus der Berichterstattung Dodds und anderer progressiver Botschafter wie Claude Bowers sowie der Medien über die Intensivierung der Propaganda- und Missionierungstätigkeit des „Dritten Reiches“ insbesondere bei Bürgern deutscher Herkunft in der gesamten westlichen Hemisphäre.2115 Hierbei ging es weniger um reale Bedrohungslagen als die Wahrnehmung potentieller Gefahren. Aus diesem Grund ist die Frage nach den tatsäch- lichen Weltherrschaftsplänen Adolf Hitlers hinfällig: Für die Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik ab 1937 zählte nur, an welche Pläne und Zielsetzungen Hitlers in Hinblick auf die Amerikas Roosevelt und seine Berater glaubten.2116 Dafür spielte die Weiterentwicklung von Roosevelts „Hemisphere Defense“2117 – Konzept eine entscheidende Rolle. Eher politischer als militärischer Natur dienten die Verteidigungspläne für Nord- und Südamerika vielmehr als Mittel zum Ziel: Als „ein außen- politisches Programm, mit dem man Emotionen, Gelder und Ressourcen mobilisieren konnte“2118 um den Aggressoren in Europa und Asien gut vorbereitet begegnen zu können.2119 Der Fokus der internationalistischen Progressivisten um Franklin Roosevelt galt damit – in kluger Tarnung eines Fortress America-Konzeptes – der langfristig geplanten direkten Hilfe für die westeuropäischen Demokratien: „Gerade weil Hemisphere Defense im eigentlichen Sinne gar nicht zu realisieren war, musste die Verteidigung an anderer Stelle erfolgen”.2120 Franklin Roosevelt war damit in Buenos Aires bereits Ende 1936 ein außenpolitischer Coup gelungen, der in den innenpolitischen Debatten

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2114 BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 382. Vgl. hierzu auch LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 268. 2115 Vgl. FRYE: Nazi Germany. S. 187. 2116 Vgl. FRYE: Nazi Germany. S. 186. 2117 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 270. 2118 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 279. 2119 Vgl. LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 270 und 279. 2120 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 282.

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um Neutralität, Court Packing, Verfassungsfragen und Wahlkampagnen niemandem aufgefallen war: „Hemisphere Defense war […] eher ein virtuelles als ein tatsächliches Verteidigungsprogramm und diente pri- mär als argumentative Rechtfertigung der [zukünftigen] Unterstützung Großbritanniens”. 2121 Diese Politikausrichtung ging weit über Cordell Hulls Freihandelsideen oder die Ideen eines „economic appeasement“2122 des State Departments hinaus. Deutschlands und Japans aggressive Autarkie- und Expansionspolitik zwang bereits vor Beginn der national- sozialistischen Annexionen „die amerikanischen Globalisten, in Europa nolens volens den Primat der Militärpolitik über die Ökonomie zu übernehmen, wenn der unteilbare Weltmarkt nicht für unabsehbare Zeit zerstört werden sollte”.2123 Dieser Weltmarkt ging jedoch über rein ökonomische Aspekte hinaus. William Dodds Deutschlanderfahrungen hatten die ganzheitliche, eben totalitäre Gefahr für das amerikanische System offenkundig gemacht. Die militärische, ökonomische, ideolo- gische und politisch-kulturelle Bedrohung durch die Achsenmächte hatte William Edward Dodd aufgrund seiner „Frontposition“ als einer der ersten in der amerikanischen Führungselite wahr- und ernstgenommen. In der sich zuspitzenden weltpolitischen Krise teilte ab 1937 der progressive Kreis um Roosevelt seine Einschätzungen vollumfänglich: Spätestens die Quarantänerede Ende des Jahres war der Ausdruck „einer sich ausbreitenden Befürchtung innerhalb der außenpolitischen Entscheidungselite der USA“ 2124 geworden. In dieser Zeit konnten weder Dodd noch die Roosevelt-Administration ahnen, dass Adolf Hitler in seinen im sogenannten „Hoßbach-Protokoll“ zusammenge- fassten Äußerungen den Oberbefehlshabern der deutschen Streitkräfte seine Entscheidung über eine kompromisslose Verbindung von Autarkie- und Lebensraumpolitik mitgeteilt hatte.2125

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2121 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 392. 2122 SCHMITZ: Triumph. S. 42. Vgl. hierzu auch ebenda. S. 42-44. 2123 JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 200. 2124 JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 192. 2125 Vgl. Friedrich Hoßbach, Aufzeichnung (Auszug), vom 10. November 1937, Besprechung in der Reichskanzlei vom 5. November 1937, „Hoßbach-Protokoll“, Dok. 58 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 164-171. Vgl. zu den Hintergründen des Protokolls und Hitlers Entscheidungen auch BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 213ff. Vgl. zu Hitlers Geheimkonferenz vom 5. November 1937, in deren Zuge Oberst Hoßbachs Niederschrift entstand FEST: Hitler. S. 742-745. Fest meint zu Hitlers Ausführungen: „Gleichwohl wiegt die psychologische Bedeutung der Ausführungen offenbar höher als die

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Hatte ein Umdenken innerhalb der Roosevelt-Administration bereits eingesetzt, lag es nun an den progressiven Vertretern dieser Regierung, sich für eine entsprechende Aufklärung der amerikanischen Öffentlich- keit einzusetzen. William Edward Dodd hatte zwar diese Rolle für seine Zeit nach der Rückkehr nach Amerika Ende 1937 selbst gewählt, war aber eigentlich auch von Präsident Roosevelt in diese durch seinen vorzeitigen Rücktritt gedrängt worden. Roosevelt, „the Juggler“, hatte ein weiteres Mal alle Fäden in der Hand behalten: Für die Preparedness-Kampagne in den USA benötigte er überzeugte progressive Demokraten wie William Edward Dodd, die der amerikanischen Bevölkerung eindrucksvoll von ihren Deutschlanderfahrungen berichten und damit weitere außenpoli- tische Schritte zum Schutz amerikanischer Interessen vorbereiten wür- den. Auch 1937 trieb die Furcht, das Gesamtsystem könnte auf dem Spiel stehen, progressive Internationalisten in den USA an, die Rolle Amerikas zu überdenken: „Fascism had little appeal for most Americans […], but […] it was not always possible to overcome the cold fear that democracy might fail, that fascism might hold the key to the future”2126 – eine Zukunft ohne ein starkes Amerika.

______politische, und Hoßbachs Niederschrift ist weniger ein Dokument neuer Absichten als vielmehr eines der nun immer unverkennbarer hervortretenden Zeitangst” (S. 742). 2126 LEUCHTENBURG: New Deal. S. 275.

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7. 1938. „A Fierce Battle for Democracy“. Der Kreuzzug beginnt.

Das letzte Großkapitel dieser Arbeit befasst sich mit zwei bedeutenden Aspekten des Wandels der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik 1938. Zum einen wird im folgenden Text erklärt, inwiefern von einer Kehrtwende der amerikanischen Deutschlandpolitik gesprochen werden kann. Hierfür ist die Analyse der sogenannten „Quarantänerede“ Franklin Roosevelts und die neue Dynamik der internationalistischen Politiker seiner Administration maßgeblich. Zum anderen steht in direkter Wech- selwirkung zu diesen Prozessen William Edward Dodds „Kreuzzug der Worte“: Nach seiner Rückkehr aus Deutschland ging der ehemalige Botschafter – auch auf Wunsch seines Präsidenten – unverzüglich zu einer aktiven Aufklärungskampagne in der US-Öffentlichkeit über, die er in Unterstützung der neuen außenpolitischen Schlagrichtung seiner Regierung solange aufrechterhielt, bis ihn gesundheitliche Probleme an das Krankenbett fesselten. 1938 sollte ein Jahr der Offenbarung werden: Ein De facto-Kriegszustand auf „verbaler“ Ebene zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika offenbarte sich ebenso wie das tatsächliche Eintreten der fürchterlichsten Entwicklungen aus William Dodds Warnungen vor dem wahren Charakter des nationalsozialistischen Regimes. Transparent wurde ebenso der wirkliche Zustand der angloamerikanischen Bezie- hungen: Als Premierminister Chamberlains Appeasementkonzept für Deutschland endgültig gescheitert war, offenbarte sich vielen Zeitge- nossen, dass vermutlich nur noch die USA als überlegene Wirtschafts- und potentielle Militärmacht das Schicksal Europas aus der sich ab- zeichnenden Katastrophe einer expansiven nationalsozialistischen Herr- schaft retten konnten. Diese verbreitete Annahme war sicherlich auch einer klugen, für das In- und Ausland eindrücklichen Öffentlichkeits- arbeit der US-Regierung geschuldet, die das liberal-demokratische System durch öffentlichkeitswirksame Reden und Äußerungen als die einzig verbliebene Alternative für den friedlichen Fortbestand der Zivilisation in Szene setzte. Keinesfalls handelte es sich hierbei jedoch lediglich um leere Drohungen einer pazifistischen US-Administration, um eine kriegerische Auseinandersetzung um jeden Preis zu verhindern. Fünf Wendepunkte bestimmten hierbei die fortschreitende Eskalation im deutschlandpoli- tischen Konzept der Roosevelt-Regierung: Die Reaktionen auf und Folgen der Quarantänerede; Die Blomberg-Fritsch-Krise und die Entmachtung

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des Auswärtigen Amtes; Der Anschluss Österreichs; Die Sudetenkrise und die Münchener Konferenz; Sowie die Reichspogromnacht als Höhepunkt der Verfolgung und Diskriminierung der deutschen jüdischen Bevölke- rung. Franklin Roosevelts Taktieren im Jahr 1938 bewies deutlicher als in den vorausgegangenen Jahren vor dem Ausbruch des Zweiten Welt- krieges, dass er gewillt war, wenn nötig Amerika zur internationalistisch- interventionistischen „Super-Macht“ zu transformieren, was weder die mittlerweile geschwächte isolationistische Bewegung in seinem Land aufhalten, noch William Edward Dodd miterleben sollte.

7.1. „Dodd’s Late Victory“. Beginn einer Kehrtwende der Deutschlandpolitik der Roosevelt-Administration 1937/38 Die intensiven Warnungen in der Berichterstattung William Edward Dodds aus Berlin, die 1937 eine immer beklemmendere europäische Atmosphäre und Hilflosigkeit auf Seiten der westlichen Demokratien beschrieben, hatten in Kombination mit den zahlreichen erschütternden Presseberichten kaum ihr Ziel verfehlen können, einen Eindruck bei der ohnehin mit Besorgnis auf Europa und Asien blickenden Regierung und Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten zu hinterlassen.2127 Präsident Franklin Roosevelt hatte bereits seit 1933 die deutschen und japanischen Ereignisse aufmerksam verfolgt. Seinem humanistisch geprägten Welt- bild treu geblieben konnte der Schritt hin zu seiner sogenannten „Quarantänerede“2128 in Chicago am 5. Oktober 1937 nur als eine logische Folge seines progressiv-internationalistischen Denkens in Reaktion auf die Ereignisse und Gräueltaten in Asien und Europa verstanden werden. Doch stellte sich darüber hinausgehend innerhalb der Administration zum Ende jenes Jahres der Beginn einer Kehrtwende nicht nur der

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2127 Vgl. zu den deutschen Entwicklungen und Ereignissen im Jahr 1938 den Überblick bei BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 115-121. Vgl. zur Außenpolitik der nationalsozialistischen Regierung 1938 HILDEBRAND: Kalkül oder Dogma? S. 63-86. Vgl. zum Jahr 1938 auch FEST: Hitler. S. 745-787. 2128 Vgl. Roosevelts Quarantänerede „’The Will for Peace on the Part of Peace-Loving Nations Must Express Itself to the End that Nations that May Be Tempted to Violate Their Agreements and the Rights of Others Will Desist from Such a Course.’ Address at Chicago”. October 5, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 406-411.

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Denkmuster, sondern auch der außenpolitischen Konzeptionen ein.2129 Roosevelt bestätigte dies auf einer Pressekonferenz einen Tag nach seiner Rede in Chicago gegenüber den Journalisten. Die Quarantänerede „[…] is an attitude, and it does not outline a program; but it says we are looking for a program”.2130 Dieses Umdenken sei vor allem eine Notwendigkeit, da frühere außenpolitische Konzepte wie die Idee einer friedensstiftenden Weltkonferenz keine Lösungen böten: „[…C]onferences are out of the window. You never get anywhere with a conference”.2131 Die gesamte Sorge um die sich trotz der im Rahmen seiner Möglichkeiten versuchten Einflussnahme dramatisch zuspitzende Weltlage entlud sich in jener Rede Franklin Roosevelts in Chicago, der „Hochburg des Isolationismus”, 2132 die schon alleine deshalb als spektakuläre Wende bezeichnet werden kann, weil ihr Inhalt einen enormen Sturm der Ent- rüstung in reaktionären und konservativ-traditionalistischen Kreisen auf beiden Seiten des Ozeans auslöste. Diese Reaktion zwang Roosevelt zur umgehenden Relativierung einiger seiner Aussagen in einer sonst für ihn untypischen Weise, um seine Machtbasis, weitere Machtausübung und Politikgestaltung nicht zu gefährden.2133 Der Präsident hatte seine Rede mit einem Loblied auf die Fortschritte innerhalb Amerikas, die verbesserte Zusammenarbeit zwischen lokalen Verwaltungen und der nationalen Regierung und auf die wachsende Wirtschaftskraft begonnen,

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2129 Vgl. auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 188-192. Laut Junker stand Roosevelts Quarantänerede nicht losgelöst von den Einstellungen seiner Regierungsmitglieder, sondern war „Teil einer sich ausbreitenden Befürchtung innerhalb der außenpolitischen Entscheidungselite der USA”. (S. 192). 2130 „The Fourth Hundredth Press Conference”. October 6, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 130. S. 423. 2131 „The Fourth Hundredth Press Conference”. October 6, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 130. S. 423. 2132 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 107. 2133 Vgl. „The Fourth Hundredth Press Conference”. October 6, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 130. S. 414-425. Auf dieser Pressekonferenz rechtfertigte Roosevelt seine Äußerungen, ohne jedoch eine genaue Definition des Quarantänebegriffes anzubieten. Quarantäne bedeute nicht Sanktionen, sei aber dennoch als aktive und praktische Maßnahme und nicht als rein moralisches Einwirken auf die Aggressorstaaten gemeint (S. 425). Vgl. aber auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 264. Freidel beobachtet die vor allem sehr positive spontane Reaktion der US- Öffentlichkeit auf Roosevelts Rede in Chicago. Die negative Berichterstattung in der Hearst-Presse und kritische Stimmen der Isolationisten bezeichnet er als „not a serious backlash“ für die außenpolitische Weichenstellung des Präsidenten.

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um alle Erfolge jedoch angesichts der „very different scenes being enacted in other parts of the world“2134 mit ihren Auswirkungen auf den amerikanischen Frieden zu kontrastieren. Für diese negative Ent- wicklung in anderen Teilen der Welt machte er nur eines verantwortlich: Das „present reign of terror and international lawlessness“,2135 das be- stehende Verträge wie den Briand-Kellogg-Pakt, der den Rückgriff auf einen Angriffskrieg als Mittel der Politik auf alle Zeit ächten sollte, gebrochen und damit Unheil über die gesamte Welt, „the very foundations of civilization”, 2136 gebracht habe. Auch wenn der Präsi- dent die eigentlichen Nationen als Träger dieser Aggressionspolitik nicht namentlich nannte, so musste es für die Zuhörer jener Rede ein Leichtes sein, die Anspielungen auf die Bombardierung von Frauen und Kinder und auf die Angriffe gegen zivile Schiffe eindeutig dem deutschen Engagement im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten General Francos sowie der japanischen Aggression gegenüber China und internationalen Schiffen in den dortigen Gewässern zuzuordnen. 2137 Viele Male hatte der deutsche Diktator Adolf Hitler die „Freiheit“ für die deutsche Nation von Versailles und anderen vermeintlichen und tatsächlichen Einschränkungen gefordert – Deutschland konnte deshalb nur eine der „Nations claiming freedom for themselves deny[ing] it to others“2138 sein, die Roosevelt hier anklagte. Für den demokratisch denkenden US-Präsidenten entwickelte sich die unnatürliche „greed for power and supremacy“ 2139 der Diktatoren zum nicht mehr länger tolerierbaren

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2134 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 406. 2135 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 407. 2136 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 407. 2137 Vgl. Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 407. „Without a declaration of war and without warning or justification of any kind, civilians, including vast numbers of women and children, are being ruthlessly murdered with bombs from the air. In times of so-called peace, ships are being attacked and sunk by submarines without cause or notice”. Vgl. zur deutschen (und italienischen) Spanienpolitik 1938 im Spiegel der Akten des Auswärtigen Amtes ADAP, Serie D, Bd. III (S. 463-691). 2138 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 407. 2139 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 407.

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Störfaktor der friedlichen internationalen Beziehungen. William Kinsella stellt fest, dass Roosevelt niemals von friedlichen Absichten Hitlers über- zeugt gewesen sei und spätestens mit Beginn der deutschen Expansion 1938 davon ausging, dass der Reichskanzler nach seinen ersten Erobe- rungen auf keinen Fall innehalten und auch nicht vor einem Angriff auf die amerikanische Hemisphäre zurückschrecken würde.2140 Bereits in seiner Quarantänerede ging es in Roosevelts Augen schon lange nicht mehr nur um wirtschaftliche Dominanz und Vorteile, um die Anglie- derung „verlorener“ Territorien oder nationalistische Politik. 2141 In übernationaler Form bedrohten Menschen „‘exultant in the technique of homicide‘ “2142 – Roosevelt zitierte hier die Worte eines von ihm gelesenen Autoren – jede wertvolle Errungenschaft, jede Harmonie, jedes Buch, jede Idee aus zweitausend Jahren menschlichen Fortschrittes mit der unwiderruflichen Zerstörung.2143 Dies sei kein klassischer zwischenstaat- licher, kein regionaler oder internationaler Konflikt mehr, sondern jene Nationen stellten die Menschheit selbst, ja alles Menschliche, „‘every flower of culture‘ “,2144 in Frage. Mögliche Kritiker ermahnte der Präsident sogleich, indem er ihre Argumente vorwegnahm und aushebelte: „[L]et no one imagine that America will escape, that America may expect mercy, that this Western Hemisphere will not be attacked […]”.2145 Niemand und nichts in jener Welt des Terrors und der Gesetzlosigkeit könnten mehr

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2140 Vgl. KINSELLA: The Prescience of a Statesman. S. 80f. 2141 Vgl. Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 407. „It began through unjustified interference in the internal affairs of other nations or the invasion of alien territory in violation of treaties; and has now reached a stage where the very foundations of civilization are seriously threatened. The landmarks and traditions which have marked the progress of civilization toward a condition of law, order and justice are being wiped away”. 2142 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 408. 2143 Vgl. Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 408. „To paraphrase a recent author ‘perhaps we foresee a time when men, exultant in the technique of homicide, will rage so hotly over the world that every precious thing will be in danger, every book and picture and harmony, every treasure garnered through two millenniums, the small, the delicate, the defenseless — all will be lost or wrecked or utterly destroyed’ ". 2144 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 408. „The storm will rage till every flower of culture is trampled and all human beings are leveled in a vast chaos”. 2145 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 408.

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sicher sein. Aus diesem Grund sah das amerikanische Staatsoberhaupt nur noch eine Lösung, „the peace-loving nations must make a concerted effort to uphold laws and principles“2146 um der internationalen Anarchie ausweichen zu können. Neutralität oder gar Isolation kämen nicht als geeignete Lösungsansätze in Frage.2147 Franklin Roosevelt galt dabei keineswegs als moralisierender Präsident im klassischen Sinne einer politischen Philosophie Woodrow Wilsons, doch auch für den pragmatisch orientierten Internationalisten2148 spielte Moralität eine gewichtige Rolle für funktionierende internationale Be- ziehungen – „national morality is as vital as private morality“2149 – und dieses essentiellen Verhaltenszuges waren die Aggressoren verlustig geworden. Doch auch für Amerika machte Roosevelt keine Ausnahme. Die USA müssten anerkennen, dass es eine technische und moralische Interdependenz und Solidarität gebe und geben müsste, „which makes it impossible for any nation completely to isolate itself from economic and political upheavals in the rest of the world […]”.2150 Sicherlich handele es sich hier nur um eine aggressive Minderheit, die die Mehrheit, 90 Prozent der friedlichen Weltbevölkerung, und ihre Zukunft gefährde.2151

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2146 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 408. 2147 Vgl. Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 408. „The peace-loving nations must make a concerted effort in opposition to those violations of treaties and those ignorings of humane instincts which today are creating a state of international anarchy and instability from which there is no escape through mere isolation or neutrality”. 2148 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 58. 2149 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 408. Vgl. auch „‘We in Turn Are Striving to Uphold the Integrity of the Morals of Our Democracy.‘ Address at the Jackson Day Dinner”, Washington, D.C. January 8, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7: The Continuing Struggle for Liberalism 1938 (1941). Dokument 5. S. 39. „And that is what I mean by the battle to restore and maintain the moral integrity of democracy. At heart some of the small minority on the other side seek and use power to make themselves masters instead of servants of mankind”. 2150 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 409. 2151 Vgl. Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 410. „Surely the ninety percent who want to live in peace under law and in accordance with moral standards that have received almost universal acceptance through the centuries, can and must find some way to make their will prevail”.

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Franklin Roosevelt ging vielmehr weiter, als lediglich den moralischen Zusammenhalt und die gegenseitigen Abhängigkeiten zu beschwören. Für ihn stellte die Politik der Aggressornationen eine Neuheit dar, nicht das moralisch Böse, wie Wilson es bezeichnet hätte, sondern eine moder- ne Seuche, eine weltliche Krankheit, die sich auf der gesamten Welt ausbreitete und isoliert werden müsste: „It seems to be unfortunately true that the epidemic of world lawlessness is spreading. When an epidemic of physical disease starts to spread, the community approves and joins in a quarantine of the patients in order to protect the health of the community against the spread of the disease”.2152 In Hinblick auf die Bedeutung der Quarantänerede ist deshalb in Relation zu den verschiedenen Forschungsmeinungen2153 festzuhalten, dass wenn

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2152 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 410. 2153 Vgl. zur Forschungsdiskussion über die Quarantänerede u.a. RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 44-48. Rauch wertet Roosevelts Rede als Appell an die US-Bevölkerung im Sinne eines Zieles der kollektiven Sicherheit (S. 46). Vgl. LANGER/ GLEASON: Challenge to Isolation. S. 18ff. Für die beiden Historiker steht fest, Roosevelt habe – entgegen seinen Aussagen gegenüber der Presse – mit Quarantäne durchaus Sanktionen und ein Ende des Isolationismus gemeint. Vgl. JONAS: The United States and Germany. S. 225. Jonas ist davon überzeugt, die Rede stelle noch kein Programm, aber einen langfristig wirksamen Richtungswechsel für die amerikanische Außenpolitik dar. Vgl. auch DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 148f. Dallek stellt die Behauptung auf, Roosevelts Gespräche mit Kardinal Mündelein und Ickes vor und nach seiner Rede hätten gezeigt, dass der Präsident noch nach einem angemessenen außenpolitischen Programm suchte. Vgl. OFFNER: Origins. S. 151. Für Offner bedeuteten Roosevelts Äußerungen in Chicago vor allen Dingen, dass er die japanische Aggressionspolitik nicht mehr nur als Bedrohung für amerikanische Interessen sondern als globale Herausforderung definierte. Während Divine – vgl. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 211 – von einem radikalen Richtungswechsel Roosevelts ausgeht, hatte der Präsident in dieser Rede laut Dorothy Borg lediglich „laut gedacht”. Vgl. BORG: The United States and the Far Eastern Crisis. S. 55. Vgl. auch IRIYE: Globalizing of America. S. 158. Nach Meinung von entfaltete die Quarantänerede in Kombination mit weiteren Initiativen der Roosevelt-Administration ihre Wirkung als außenpolitische Wende der USA. Vgl. auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 74. Laut Powaski hatte Roosevelt mit seiner Rede eindeutig eine Blockade gegen Japan vor Augen. Vgl. auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 181-188. Für Junker steht fest, dass Roosevelt unter Quarantäne ein vor allen Dingen wirtschaftspolitisches Vorgehen gegen Japan – bis hin zu einer Blockade – verstand und auf Unterstützung durch die neue britische Regierung unter Chamberlain hoffte. Die zögerlichen Schritte Roosevelts unter Rücksichtnahme auf die isolationistische Stimmung im eigenen Land hätten jedoch die Umsetzung seiner Quarantänepläne sowie eine engere Zusammenarbeit mit Großbritannien unmöglich gemacht. Vgl. auch die ausführliche Analyse der Quarantänerede bei SIROIS: Illusion und

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Roosevelt hier noch keinen vollumfänglichen außenpolitischen Plan vor- stellte, er doch neue Postulate der zukünftigen amerikanischen Außen- politik formulierte. Der Präsident erkannte den „neuen” Weltordnungen ihr Existenzrecht und ihren Anspruch, eine Alternative zum demokra- tischen System zu bieten, ab. Nach der Meinung Roosevelts waren der Faschismus beziehungsweise Nationalsozialismus kein eigenes System mit kulturellem Anspruch, sondern nichts anderes als eine tödliche, kulturauslöschende „Krankheit“, die besiegt werden könnte, wenn das demokratische, das amerikanische System der Freiheit und Gleichheit diese zu isolieren wusste. So sollte Amerika auch nicht mehr auf die passive Rolle der eigenen Isolation reduziert bleiben, sein eigenes System wie in einer Festung zu verteidigen, sondern aktiv die anderen, sich aggressiv ausbreitenden Weltanschauungen in die Isolation drängen.2154 Das amerikanische System sollte nunmehr als eine Art „heilende

______Krieg. S. 105-110. Für Sirois symbolisierte die Rede in Chicago noch keinen Wendepunkt, bewies aber „sowohl in der innen- wie auch in der außenpolitischen Auseinandersetzung eine Eskalation in der Schärfe der Wortwahl […]“ (S. 110). Vgl. auch HAIGHT, John McVickar, Jr.: Franklin D. Roosevelt and a Naval Quarantine of Japan. In: Pacific Historical Review 40, 2 (1971). S. 203-226. 2154 Aus diesem Grund sprach sich Roosevelt 1938 auch vehement gegen den Vorschlag für eine Abhängigkeit von US-Kriegserklärungen von einem Volksreferendum aus, was seinen Handlungsrahmen als Chef der Exekutive und Commander-in-Chief weiter einengen würde. Vgl. „The President States His Views on the Referendum to Declare War”. January 6, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 4. S. 36f. Diese Verfassungsänderung würde andere Staaten nicht davon abschrecken, amerikanische Rechte zu verletzen. Vgl. zum Ludlow-Amendment ausführlich COLE: Isolationists. S. 253- 262. Vgl. auch DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 219f. Louis Ludlow, ein demokratischer Abgeordneter aus Indiana, hatte seit 1935 einen Gesetzentwurf für einen Verfassungszusatz gefordert, laut dem der Kongress für jede Kriegserklärung die Zustimmung durch ein landesweites Referendum benötigen würde. Im Frühjahr 1937 fand Ludlow die Unterstützung im Kongress und der Friedensbewegung durch die Befürworter einer strikten Neutralität. Der Roosevelt-Administration gelang es, den Entwurf in einer knappen Abstimmung im Kongress im Januar 1938 abzuwehren. Dennoch hatte das Ludlow-Amendment dem Präsidenten die Grenzen seiner außenpolitischen Möglichkeiten insbesondere in Hinblick auf die Umsetzung der Forderungen seiner Quarantänerede, aufgezeigt. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 428-431. Vgl. auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 74 und LEUCHTENBURG: New Deal. S. 229. Laut Powaski und Leuchtenburg ermöglichte erst der Panay-Vorfall, dass Ludlow die für eine Abstimmung nötigen Unterschriften für seine Resolution erhielt. Vgl. auch RAUCH: History of the New Deal. S. 315f. Die Abstimmungsergebnisse zum Ludlow-Amendment hatten Roosevelt bewiesen, dass ein weiterer Machtzuwachs der konservativen Südstaatendemokraten ihn zu einem noch extremeren Isolationismus zwingen könnte.

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Weltenseele“ die internationale Gemeinschaft wieder gesunden und prosperieren lassen. Mit diesen Worten wählte Roosevelt bewusst einen anderen Ansatz als das klassisch-biblische Gut-Böse-Schema, welches Woodrow Wilson angewendet hatte 2155 , und entschied sich für den praktischeren, nichtreligiösen Ansatz einer Beschreibung der modernen Welt mit ihrem Streben nach Fortschritt, der nur durch eine kurzzeitige und abnorme, vielleicht aber auch tödlich endende „Krankheit“ aufge- halten werden konnte. Franklin Roosevelt schuf mit diesen Worten seiner Quarantänerede den Ansatz für eine Weiterentwicklung der amerikanischen Außenpo- litikformulierung: Nur als dauerhaft aktiver, nicht im religiösen, sondern wissenschaftlichen Sinne „Heil-Bringer“ und Weltpolizist könnten die Vereinigten Staaten von Amerika ihren eigenen Fortschritt, Wohlstand und Frieden aufrechterhalten sowie diese wesentlichen Elemente der Demokratie auf der gesamten Welt durchsetzen. Roosevelt ging es nicht mehr nur um den einmaligen Kampf Wilsons, die Welt für Demo- kratie sicher zu machen und das Böse zu besiegen.2156 „Krankheiten“ wie die der totalitären Ideologien müssten dauerhaft eingedämmt werden, denn sie seien Teil der modernen Welt und Gesellschaft: „There must be positive endeavors to preserve peace. […] Therefore, America actively engages in the search for peace”.2157 Entscheidend war hierbei nicht ein

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2155 Vgl. WILSON, Woodrow: First Inaugural Address (March 4, 1913). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/speeches/speech-3566, Zugriff am 12.7.2015. „Our duty is to cleanse, to reconsider, to restore, to correct the evil”. 2156 Vgl. WILSON, Woodrow: Address to Congress Requesting a Declaration of War Against Germany (April 2, 1917). In: MILLER CENTER: Archive. URL: http://millercenter.org/president/wilson/speeches/speech-4722, Zugriff am 12.7.2015. „Our object now, as then, is to vindicate the principles of peace and justice in the life of the world as against selfish and autocratic power. [...] No autocratic government could be trusted. [...] The world must be made safe for democracy”. 2157 Roosevelts Quarantänerede „Address at Chicago”, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 128. S. 411. Diese Interpretation der Quarantänerede, die von Roosevelts tatsächlicher Absicht einer Eindämmung der „modernen Krankheit“ der totalitären Ideologien, vor allem aber des Nationalsozialismus, ausgeht, weil er alle überkommenen (kulturellen) Werte und Ordnungssysteme durch seinen revolutionären Anarchismus in Frage stellte, steht im Umkehrschluss in Einklang mit Timothy Snyders neuesten Erkenntnissen zur Besonderheit des Nationalsozialismus und seiner Heraus- forderung für Amerika. Auch wenn Franklin Roosevelt 1937 den Holocaust noch nicht erlebt hatte, kannte er die im Vergleich zu anderen totalitären Regimen besonders aggressiven antisemitischen Forderungen und Ziele des deutschen Reichskanzlers seit der

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sofort einsetzender Außenpolitikwechsel der Roosevelt-Administration, sondern die offizielle Formulierung eines neuen Konzeptes, des zukünf- tigen „spirit“ der amerikanischen Regierung: „[…] [I]n the spirit of the President’s remarks were an abandonment of isolation, an espousal of collective security, and a preparedness to face down aggressors, peacefully if possible but by force if necessary”.2158 „[Roosevelt…] had begun the delicate and implacable process of moving ahead of opinion on foreign affairs, then retreating slightly and pulling opinion in behind him before moving ahead of it again”.2159 Woodrow Wilsons New Freedom- und Roosevelts New Deal-Politik hatten bereits seit Jahren ein Umdenken liberal-progressiver Kreise bezüglich des Verhältnisses von Bürgern moderner Gesellschaften zur nationalen Regierung befördert2160 und dabei ein originär amerikanisches Gegenmodell zu den Massenideologien des Kommunismus und des Faschismus/Nationalsozialismus aufgestellt. 2161 Nach eigener Aussage

______Lektüre von dessen Äußerungen in „Mein Kampf“. Die Formulierungen der Quarantänerede erscheinen sehr viel mehr als direkte Antwort auf Hitlers Ziele und Postulate als auf die jedes anderen autokratischen oder totalitären Regimes der damaligen Zeit. Vgl. SNYDER: Black Earth. Timothy Snyder postuliert in seinem Buch zum Holocaust, Hitler habe keine neue, staatliche Ordnung nationalsozialistischer Art angestrebt, sondern sei ein rassistischer Anarchist gewesen, der die Zerstörung alles „Unnatürlichen“ – für ihn gleichgesetzt mit allem Jüdischen in der Welt – anstrebte: Damit meinte er jede überkommene staatliche, zwischenstaatliche bzw. internationale und kulturelle, sogar religiöse (inklusive christliche) Ordnung, die angeblich alle jüdischen Ursprungs seien. Erst durch die Zerstörung staatlicher Strukturen, vor allem im Osten, habe er durch die anarchische, pseudostaatliche Herrschaft der SS die breitangelegte physische Vernichtung der Juden, den Holocaust, in die Realität umsetzen können. 2158 BLACK: Champion of Freedom. S. 426. 2159 BLACK: Champion of Freedom. S. 427. 2160 Vgl. WERTHEIMER, John W.: A “Switch in Time” Beyond the Nine: Historical Memory and the Constitutional Revolution in the 1930s. In: SARAT, Austin (Hrsg.): Studies in Law, Politics and Society, Volume 53. Bingley 2010. S. 3-34. Wertheimer argumentiert, dass dies typisch für den Liberalismus des New Deals sei. Die neue Deutung der Verfassung und ihrer Inhalte durch den US-Supreme Court in den 1930ern bewirkte eine veränderte historische Erinnerung an die Verfassung, die die Bedeutung der bürgerlichen Freiheiten der Bill of Rights betonte und Föderalismus sowie individuelle Eigentumsrechte in den Hintergrund drängte. Dies ermöglichte wiederum die neu interpretierte Rolle der nationalen Regierung des New Deal im Einklang mit der Verfassung für liberale Politiker und Intellektuelle (S. 3). 2161 Vgl. Roosevelts Fireside Chat vom 24. Juni 1938: „’I Have Every Right to Speak … Where There May Be a Clear Issue Between Candidates for a Democratic Nomination Involving …

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förderte Präsident Franklin Delano Roosevelt das Engagement seiner progressiv-liberalen Mitstreiter in dieser Zeit – zunächst besonders aus innenpolitischen Beweggründen – aktiv, weil er nur in einem „militanten“ Bekenntnis zum Liberalismus das Überleben seiner Partei und seines Politikprogrammes gesichert sah: „I have always believed, and I have frequently stated, that my own party can succeed at the polls only so long as it continues to be the party of militant liberalism. […] It was that belief, and the complete realization of the fact that some Democratic candidates had acted in repudiation of progressive and liberal government, that I took an active part in some of the primary elections of 1938 […]”.2162 Seit 1937 drängten nun auch weitere amerikanische Politiker an die Öffentlichkeit, die Dodds generelle Warnungen und Handlungsempfeh- lungen in konkrete Vorschläge zur aktiven Bekämpfung der gegnerischen

______Principles, or … a Clear Misuse of My Own Name.’ Fireside Chat”. June 24, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 80. S. 398. „We believe that we can solve our problems through continuing effort, through democratic processes instead of Fascism or Communism. […] The Chinese have a story on this – a story based on three or four thousand years of civilization: Two Chinese coolies were arguing heatedly in the midst of a crowd. A stranger expressed surprise that no blows were being struck. His Chinese friend replied: ‘The man who strikes first admits that his ideas have given out’ ”. 2162 Roosevelts „Introduction” in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. S. XXXI. Vgl. zu Roosevelts Unterstützungskampagne für liberale Kandidaten in den Kongresswahl- kämpfen, die ihm von seinen Gegnern als parteiinterne „Säuberungsaktionen“ vorge- worfen wurde BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 371ff. Vgl. ausführlich auch BURNS: The Lion and The Fox. S. 358-380 und COLE: Isolationists. S. 291-296. Burns stellt die Behauptung auf, Roosevelt habe nur auf für ihn untypische Weise einen Konfron- tationskurs mit den eigenen Parteimitgliedern gewagt, weil er über einige innenpolitische Entwicklungen höchst frustriert gewesen sei (S. 359). Darüber hinaus habe Roosevelts Schwäche als Parteivorsitzender zu einem politischen Vakuum auf lokaler und regionaler Ebene geführt, das Interessengruppen erst ihre Entstehung und ihren Machtzuwachs in Opposition zu seinem New Deal ermöglicht hatte (S. 378). Allerdings habe ihm die dadurch erreichte Flexibilität, eine Unterstützung und die Stimmen auch aus der anderen großen Partei zu erhalten, einen größeren Handlungsrahmen vor allem für außen- politische Zielsetzungen ermöglicht (S. 380). Cole argumentiert hier ähnlich (S. 291). Vgl. auch SMITH: A Concise History of the New Deal. S. 142-148. Smith betont die politischen Nachteile, die Roosevelt und seinem New Deal-Programm aus dieser Intervention erwuchsen (S. 147f.).Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 280-288. Freidel mildert die negativen Konsequenzen ab: Die Wahlen 1938 hätten dennoch bewiesen, dass die „New Dealers were becoming an ascendant group in the Democratic Party“ (S. 287).

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Weltanschauungen umwandelten. Das Beispiel der Karriere von US- Innenminister Harold Ickes zeigt, dass liberale Progressive sich Roosevelts Unterstützung für ihre zum Teil „militanten“ innen- wie außenpolitischen Ambitionen seit 1937 sicher sein konnten. Ickes als liberaler republika- nischer Politiker engagierte sich mit großem Elan für die Herausstellung der Besonderheiten des amerikanischen Systems und der Errungen- schaften der Bill of Rights als zentralem Element der Verfassung, das individuelle, bürgerliche Freiheitsrechte zementiert hatte und den Rest der Verfassung gar verzichtbar machte.2163 Ähnlich wie in Dodds und Roosevelts Äußerungen zählte für Ickes die Macht der großen Wirt- schaftskorporationen, die die Regierung in Washington innenpolitisch einzudämmen habe, als Hauptgegner dieser bürgerlichen Freiheit. 2164 Unter dem Eindruck der sich fortschreitend verschlechternden poli- tischen Weltlage rückte die Angst vor konzertierter Wirtschaftsmacht in den Hintergrund und schob die totalitären Ideologien Europas in den Fokus der nunmehr eher außen- statt innenpolitisch gelagerten Gedankenspiele der progressiven Eliten des New Deal. Innenminister Ickes behauptete in seinem Tagebuch, Roosevelts in der Quarantänerede geäußerte Gedanken und Ideen entscheidend beeinflusst zu haben.2165 Große Aufmerksamkeit erhielt Ickes zudem, als er am 8. Dezember 1937 vor der American Civil Liberties Union wie sein Präsident vor den „corporate overlords”2166 warnte, die eine wirtschaftliche Oligarchie

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2163 Vgl. WERTHEIMER: Historical Memory. S. 12f. 2164 Vgl. WERTHEIMER: Historical Memory. S. 12. Vgl. Roosevelts Rede in „‘We in Turn Are Striving to Uphold the Integrity of the Morals of Our Democracy.‘ Address at the Jackson Day Dinner”, Washington, D.C. January 8, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 5. S. 44. Vgl. zur internen Auseinandersetzung innerhalb der Roosevelt- Administration über die weiterhin notwendigen New Deal-Maßnahmen, die Ickes laut Leuchtenburg zu diesen öffentlichen Äußerungen bewegt habe LEUCHTENBURG: New Deal. S. 244-247. Vgl. zu den gesetzgeberischen Maßnahmen sowie zu den New Deal- Debatten 1938 auch RAUCH: History of the New Deal. S. 299-314. 2165 Vgl. ICKES, Harold L.: The Secret Diary of Harold L. Ickes. Volume II. The Inside Struggle, 1936-1939. New York 1954. S. 222. Ähnliches behauptete Welles in WELLES, Sumner: Seven Decisions That Shaped History. New York 1951. S. 71f. Vgl. auch FARNHAM, Barbara: Roosevelt and the Munich Crisis. A Study in Political Decision- Making. Princeton, NJ, 1997. 2166 Spokane Daily Chronicle vom 9. Dezember 1937. „Ickes Warns That ‘Fascist-Minded Men‘ More to Be Feared Than the Reds”. Vgl. hierzu direkt auch Roosevelts Rede vom 8. Januar 1938 in Washington, D.C.: „‘We in Turn Are Striving to Uphold the Integrity of the Morals of Our Democracy.‘ Address at the Jackson Day Dinner”, Washington, D.C. January

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paternalistischer, vielleicht aber auch despotischer Natur in den USA errichten wollten. Die USA müssten sich vor denen hüten, die angeblich das Land vor dem Kommunismus bewahren, tatsächlich aber einen gleichermaßen fürchterlichen Faschismus nach Amerika importieren wollten: „It is these men who, pretending that they would save us from dreadful communism, would superimpose upon America an equally dreadful fascism”.2167 Ickes‘ Worte erinnern an William Dodds wiederholte Warnungen vor der faschistischen Gefahr, die sich bereits innerhalb der USA in Form von nationalsozialistischer Propaganda, totalitär denkenden Geschäftsleuten und Finanzmagnaten sowie desinformierten Senatoren ausbreitete und das System „von innen“ wie eine Krankheit befallen habe. Ickes hielt den Kommunismus für ein „wooden horse“2168, ein trojanisches Pferd, mit dessen Hilfe der Faschismus bereits längst Einzug in Amerika erhalten habe. Wie sein progressiver Kollege William Dodd machte Ickes die Entscheidungen des amerikanischen Supreme Courts, der Judikative, für die große Macht der Korporationen und ihre „faschistischen“ Ambi- tionen gegen den Willen der Mehrheit verantwortlich.2169 Harold Ickes‘ und Franklin Roosevelts Äußerungen weisen viele auffällige Gemeinsamkeiten mit den Inhalten von William Dodds Berichten und Reden auf. Offensichtlich stellten einige progressive Politiker der Ad- ministration fest, dass weniger der Kommunismus/Bolschewismus der Sowjetunion ein Risiko für die Weiterentwicklung des amerikanischen

______8, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 5. S. 44. „We know that there will be a few – a mere handful of the total of business men and bankers and industrialists – who will fight to the last ditch to retain such autocratic control […]”. 2167 Vgl. Spokane Daily Chronicle vom 9. Dezember 1937. „Ickes Warns That ‘Fascist- Minded Men‘ More to Be Feared Than the Reds”. 2168 Spokane Daily Chronicle vom 9. Dezember 1937. „Ickes Warns That ‘Fascist-Minded Men‘ More to Be Feared Than the Reds”. Vgl. auch die Reaktionen im Auswärtigen Amt auf die Rede des amerikanischen Innenministers. Von Weizsäcker berichtete Dieckhoff am 11. Dezember das Propagandaministerium habe die Rede „ironisch glossiert“ (S. 535). Der deutsche Botschafter in Washington antwortete keinen Protest eingelegt zu haben, warf aber ein: „Ich benutze natürlich jede Gelegenheit, um den hiesigen leitenden Persönlich- keiten klarzumachen, wie sehr die amerikanisch-deutschen Beziehungen belastet werden, wenn immer wieder führende Männer der Vereinigten Staaten sich öffentlich derart äußern“ (S. 536). Vgl. ADAP, Serie D, Bd. I Dok. 424 und 425 (S. 535f.). 2169 Vgl. Spokane Daily Chronicle vom 9. Dezember 1937. „Ickes Warns That ‘Fascist- Minded Men‘ More to Be Feared Than the Reds”. „The judiciary in general, he said, had aided ‘giant corporations’ in the assumption of an ‘overlordship over the civil rights and substantive liberties of the individual’ ”.

623 Systems der Demokratie darstellte, als vielmehr der Faschismus und der Nationalsozialismus – wobei letzterer meist nicht als eigenständige Ausprägung anerkannt sondern von Dodd – wie sich in seinen bisher genannten Äußerungen gezeigt hatte – und anderen amerikanischen Beobachtern unter dem Oberbegriff Faschismus genannt wurde. Dem Faschismus sei es gelungen, den Einfluss auf die amerikanische Hemisphäre, ja sogar amerikanische Bürger in Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Politik auszuweiten. Roosevelts Worte über eine nötige Moralität der staatlichen und zwischenstaatlichen Politik, seine Auf- fassung von einer sich ausbreitenden Seuche, vor welcher William Dodd mit Hinweisen auf die nationalsozialistischen Propagandaaktivi- täten insbesondere aufgrund ihrer Konsequenzen für die amerikanische Gesellschaft und allgemein für die westliche Zivilisation gewarnt hatte, entsprachen William Dodds Weltbild einer Führungsrolle der USA, die sich endlich ihrer Vormachtstellung bewusst werden und handeln sollten, bevor es zu spät sei. Im Vordergrund der Lösung stand jedoch nicht der Rückgriff auf das Instrument des Krieges. Roosevelt und Dodd lehnten 1937 dieses Mittel zumindest als erste oder zweite Wahl ab. Zunächst sollte eine konzertierte Aktion der Demokratien und friedlebenden Nationen der Welt das „reign of terror“ und seinen Willen zur Expansion aufbrechen.2170 Die Ähnlichkeiten und Parallelen mit Dodds Berichten und persönli- chen Briefen sind deutlich erkennbar. Franklin Delano Roosevelt sprach bereits in seiner Rede in Chautauqua, New York, 1936 über seinen besonderen Pessimismus bezüglich der weiteren weltpolitischen Lage, der von seinem täglichen Kontakt oder auch seinen täglichen Kontakten mit und zu den komplexen Entwicklungen herrührte: „[…B]ecause of my own daily contacts with all manner of difficult situations I am more concerned and less cheerful about international world conditions than about our immediate domestic prospects”. 2171 Sicherlich spielten

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2170 Vgl. Roosevelts Rede in Chautauqua: „Address at Chautauqua, N.Y.”, August 14, 1936 in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. S. 289. „I have seen war […]. I hate war. […] I wish I could keep war from all Nations; but that is beyond my power”. 2171 „Address at Chautauqua, N.Y.”, August 14, 1936 in The Public Papers and Addresses, Vol. 5, 1936. S. 285. Vgl. Divines Einschätzung von Roosevelts Rede: „If he dramatically exploited the nation’s fear of war, it was not merely to win votes but to convince the nation that he could be trusted to use discretionary powers wisely and safely”. Divine interpretiert

624 das Deutschlandbild und das Verständnis von der europäischen und deutschen Lage, das der Botschafter in Berlin seinem Präsidenten über Jahre hinweg von Deutschland aus direkt vermittelt hatte, durchaus eine Rolle für Franklin Roosevelts offensichtliche Abneigung gegen den Nationalsozialismus und Faschismus und für seine Entwicklung von Ideen zu einer Lösung der globalen Krise. In der angespannten internationalen Lage von 1937/1938 sah sich das Staatsoberhaupt nun zum ersten Mal konkret dazu veranlasst, der amerikanischen Öffentlichkeit seine Gedanken offiziell zu verkünden. Aus diesem Grund ist nicht verwunderlich, dass die höchsten Beamten des Auswärtigen Amtes auf die verschärfte Redetätigkeit der Regierenden in Washington aufmerksam wurden. Martha Dodd erinnert sich in ihrem Tagebuch, dass ihr Vater in deutschen Regierungskreisen direkt mit der Quarantänerede des amerikanischen Präsidenten in Verbindung gebracht, sogar für sie verantwortlich gemacht und verachtet worden sei.2172 Die Hintergründe von Roosevelts und Ickes‘ Redetätigkeit in Hin- blick auf Deutschland waren für die deutschen Beamten augenscheinlich geworden2173. So findet sich im Nachlass Hans Heinrich Dieckhoffs, zu

______seine Äußerungen insbesondere vor dem Hintergrund der fortdauernden Neutralitätsdebatten. DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 165. 2172 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 353. Vgl. zu den Reaktionen der deutschen Führung auf Roosevelts Rede auch GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 248ff. Vgl. auch Dieckhoff an das Auswärtige Amt am 7. Oktober 1937 in ADAP, Serie D, Bd. I Dok. 412 (S. 518). Dieckhoff meldete zunächst, dass die Rede „überwiegend gegen Japan gerichtet“ gewesen sei und keine Maßnahmen, die zu einer militärischen Auseinandersetzung führen könnten, zu erwarten seien. Vgl. seine folgende ausführlichere Analyse vom 9. Oktober in ADAP, Serie D, Bd. I Dok. 413 (S. 518f.). „Zusammenfassend möchte ich sagen, daß die amerikanische Außenpolitik sowohl Ostasien wie Europa gegenüber erst dann aus ihrer Passivität heraustreten dürfte, wenn ein Weltkonflikt, in den Großbritannien hineingezogen wird, entbrennen sollte. Dann allerdings werden wir damit zu rechnen haben, daß das Schwergewicht der Vereinigten Staaten von Amerika bald in die englische Waagschale geworfen werden wird”. Vgl. auch Dieckhoff an das Auswärtige Amt vom 15. Oktober 1937 in ADAP, Serie D, Bd. I Dok. 415 (S. 522ff.) zu den möglichen Beweggründen hinter der Quarantänerede. 2173 Vgl. hierzu auch Botschaftsrat Gilberts Bericht an Hull von 27. Dezember 1938 in FRUS 1938, Vol. II. S. 454f. Gilbert habe über eine private Quelle in Erfahrung bringen können, dass sich Hitler über Minister Ickes‘ Äußerungen sowie die Verteidigung seiner Rede- freiheit durch das State Department ungehalten gezeigt habe. S. 454: „He [Hitler] stated later that he had reason to believe the Ickes’ and similar statements were motivated by internal American political considerations”. Zu den Wortführern in letzteren musste Hitler

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jenem Zeitpunkt 1937/1938 Botschafter für Deutschland in Washington, eine Sammlung von Äußerungen amerikanischer Staatsmänner zum nationalsozialistischen Regime. Als Wortführer des Protestes wurde William E. Dodd identifiziert.2174 Ungeachtet der Tatsache, dass man Dodd im Auswärtigen Amt offiziell für unfähig erklärt hatte, bestand die Angst vor seinem Einfluss auf die US-Politik vor und nach seiner Abberufung unvermindert weiter, wovon die folgenden Kapitel zeugen werden. Die Beamten der Wilhelmstraße entdeckten in ihrer Analyse weitere Gegenspieler Deutschlands im State Department und in den amerika- nischen Behörden. Schon im Januar 1938 war dem deutschen Botschafter in Washington aufgefallen, dass selbst der ursprünglich deutschland- freundliche Exbotschafter Schurman sich trotz seiner persönlichen und in aller Freundlichkeit verlaufenen Besuche bei Hitler und den Diplomaten des Amtes in Berlin nun gegen das deutsche Regime ausspreche.2175 Ende des Jahres 1937 galt dieser stellenweise Stimmungswandel in den amerikanischen Behörden und Regierungskreisen als noch verkraftbar: „Der Kontakt mit der Amerikanischen [unterstrichen im Original] Regierung, besonders mit dem State Department, ist im großen und ganzen befriedigend. […] Herr Hull ist zwar ein etwas in den Wolken lebender Ideologe, der persönliche Verkehr mit ihm spielt sich indes stets in anständigen Formen ab, und mit dem Unterstaatssekretär Sumner Welles kann ich gut zusammenarbeiten”,2176

______im Wissen um die Berichte des Auswärtigen Amtes über Dodds Redetätigkeit sicherlich auch den ehemaligen US-Botschafter in Berlin gezählt haben. 2174 Vgl. Dieckhoff Aufzeichnung „Zusammenstellung von Äußerungen leitender amerika- nischer Staatsmänner über Deutschland”, 1938 [keine genaue Datumsangabe]. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff, Mai 1938 - Dezember 1938, Thomsen-Dieckhoff. Band 4. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 4). Dieckhoff präsentiert hier Auszüge von Roosevelts Quarantänerede, von Dodds Rede am 13. Januar 1938 in New York, sowie die Rede von Harold Ickes am 23. Januar 1938 in Washington, und weitere Reden dieser drei Personen. 2175 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 18. Januar 1938. Inhalt: Rede des früheren Botschafters Schurman. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Die Rede [Schurmans] […] beweist aber, daß auch Männer wie Schurmann [sic!], die bisher für Deutschland sehr viel Verständnis hatten und sogar den Mut fanden, öffentlich für Deutschland einzutreten, jetzt anfangen, kritisch zu werden”. Dies sei vor allem auf die Propagandaaktivitäten Deutschlands in Amerika zurückzuführen. 2176 Dieckhoff an Weizsäcker, 20. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3).

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resümierte Dieckhoff noch im Dezember 1937. Dennoch stellte er bereits eine „schärfere Betonung der weltanschaulichen Momente (hie Demokratie – hie totalitärer Staat; hie angebliche Freiheit – hie angebliche Despotie […])“2177 fest. Zu den Chancen einer handelspoli- tischen Verständigung musste der deutsche Diplomat allerdings im Februar 1938 sein Urteil partiell revidieren. Cordell Hull, den man trotz seiner ebenso im Ton schärfer gewordenen Reden, die indirekt die deutsche Autarkiepolitik angriffen, als Ideologen, aber wenig gefährlich einstufte, sei umgeben von zahlreichen handelspolitischen Sachbearbei- tern und hohen Beamten, zu denen George Messersmith und Dr. Feis gehörten, die mit der amerikanischen öffentlichen Meinung an ihrer Seite einen Handelsverkehr mit Deutschland mit allen Mitteln zu verhindern wüssten.2178 Noch drastischer formulierte der deutsche Bot- schafter die Lage aus Washington im Juni 1938: „Heute sind die antideutschen Kreise im State Department in der Über- zahl, und Männer wie der Assistant Secretary of State Sayre müssen jetzt zu ebenso entschiedenen Gegnern einer handelspolitischen Verständigung

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2177 Dieckhoff an Weizsäcker, 20. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2178 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: „Deutsch-amerikanische Handels- beziehungen, Vertraulich“, 5. Februar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Grundsätzlich muß man davon ausgehen, wie ich schon aus anderem Anlaß berichtet habe, daß Staatssekretär Hull seine Handelspolitik allumfassend gestalten und nicht zu einem politischen Werkzeug machen will. […] Man darf sich aber nicht darüber täuschen, daß nicht nur außerhalb sondern auch innerhalb des State Department starke Kräfte am Werke sind, die mit allen ihnen zum Gebote stehenden Mitteln gegen ein Paktieren mit dem nationalsozialistischen Deutschland ankämpfen. Je ungünstiger die Stimmung gegen Deutschland hier im Lande sich gestaltet, je größer ist der Einfluß dieser Gruppe innerhalb der Regierung. Die Exponenten dieser Gruppe sind der Assistant Secretary of State [Messersmith], der Wirtschafts- und Finanzberater des State Department Dr. Feiss [sic!] und eine Anzahl der Sachbearbeiter der ‚Trade Agreements Division‘ “. Die Einstellung dieser Personen, die eine handelspolitische Einigung mit Deutschland prinzi- piell für unmöglich hielten, finde ein „williges Ohr“ bei Hull und Sayre. Vgl. hierzu auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 196-199. Junker stellt fest, dass deshalb im State Department zunehmend von einer liberalen Handelspolitik in Bezug auf Diktaturen wie Deutschland Abstand genommen wurde, weil auch konservative Karrierediplomaten wie Moffat in den deutschen handelspolitischen Beweggründen nichts mehr anderes als nationalistische Ziele einer erleichterten Aufrüstung erkennen konnten.

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mit Deutschland gerechnet werden wie der Assistant Secretary of State Messersmith […und Roosevelt]”.2179 Generell stufte Dieckhoff Assistant Secretary Messersmith aufgrund seines gewachsenen Einflusses auf die amerikanische Außenpolitikfor- mulierung im Januar 1938 als gefährlich ein.2180 Messersmiths Rede im Juni 1938, in der er zur Gegenpropaganda in Südamerika seitens der USA aufrief und damit aktive Lösungen gegen den zunehmenden Einfluss des Nationalsozialismus vorschlug, die bereits an Kalte-Kriegs-Strategien der konkurrierenden hegemonialen Einflusszonen erinnerten, wurde im Amt mit Sorge verfolgt.2181 Innenminister Ickes mische sich, laut Dieckhoffs Schilderungen an das Amt, zunehmend auch in außenpolitischen Fragen ein und warne vernehmlich vor dem Faschismus als größter Gefahr für Amerikas weitere friedliche Entwicklung. Dabei stünde ihm im Inhalt Cordell Hull in nichts nach.2182 Über Ickes‘ Rede schrieb Dieckhoff, der amerikanische Secretary of the Interior ginge von einem „Kampf

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2179 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 25. Juni 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2 USA: Politische Abteilung Akten betreffend: Politische Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Deutschland vom 22. April 1938 bis 25. Juli 1938. Band 7 (Best.: R 104981). 2180 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: Mr. G.S. Messersmith, Assistant Secretary of State“, 26. Januar 1938. PAAA. Pol. IX USA 57. Po2 USA: Politische Abteilung Akten betreffend: Politische Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Deut- schland vom 23. Januar 1938 bis 15. Februar 1938. Band 5 (Best.: R 104979). Laut Dieckhoffs Bericht pflegte Messersmith gerne Reden auf Veranstaltungen von „ausgesprochen anti- deutsche[m] Charakter“ zu halten, seine feindliche Einstellung gegenüber Deutschland sei aus seiner Zeit in der Hauptstadt und in Wien bekannt. „Es wird jedenfalls interessant sein, das weitere Verhalten Mr. Messersmiths zu beobachten, da es uns nicht gleichgueltig sein koennte, wenn ein Mann mit so ausgesprochen deutschfeindlicher Einstellung […] auf die Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik Einfluss gewinnen wuerde”. 2181 Vgl. Wiehl Gesprächsaufzeichnung mit US-Botschaftssekretär Heath, 18. Juni 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Der deutsche Beamte des Auswärtigen Amtes hatte mit dem Botschaftssekretär der US-Botschaft in Berlin über Messersmiths Aussagen „über die notwendige Verstärkung nordamerikanischer Kultur- propaganda in Südamerika als Gegenwirkung gegen die angeblich dort vordringenden kulturellen Bestrebungen europäischer Länder, vor allem Deutschland“ diskutiert. Vgl. auch Messersmiths Aussagen vom 11. Oktober 1937 in JONAS: The United States and Germany. S. 226. 2182 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: „Innenminister Ickes und die katholische Kirche“, 10. April 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). „Herr Hull denkt zwar ähnlich wie Ickes, vermeidet aber im allgemeinen im Ausdruck unnötige Provokationen”.

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zwischen den Kräften des Absolutismus und der Demokratie“2183 aus. „Die ‚faschistisch‘ eingestellten Mächte in Amerika seien die wirklichen Feinde amerikanischer Demokratie. Vom Standpunkt der Demokratie sei zwischen Faschismus und Kommunismus grundsätzlich kein Unter- schied”.2184 Ausschlaggebend ist, was der deutsche Botschafter aus dieser Haltung liberaler Amerikaner gegenüber den Totalitarismen schloss: „Wesentlich für unsere Beurteilung der Dinge scheint mir aber die Tatsache zu sein, daß allmählich hier ganz systematisch der Gedanke großgezogen wird, daß alle Auffassungen, die nicht den demokratischen Idealen der amerikanischen Verfassung entsprechen, als Propaganda anzusehen sind […]. Die[s] [sei der Fall in dieser] Rede des Ministers, die umso beachtlicher ist, als Herr Ickes zum engsten Kreise des Präsidenten Roosevelt gehört”.2185 Der deutsche Diplomat hatte folglich in korrekter Weise die Gemeinsam- keiten der Argumente Roosevelts, Ickes‘ und anderer Internationalisten erkannt: Nämlich dass alle totalitären Ideale, die von einem anderen als dem amerikanischen System stammten, bekämpft werden müssten, weil sie Unheil über Amerika und die Welt brächten.2186 Zum Kreis der Poli- tiker, die nunmehr vor einem Vordringen Deutschlands in die westliche Hemisphäre lautstark warnten, gehörte ab 1938 auch Bernhard Baruch, den William Dodd noch im Vorjahr vergeblich um ein stärkeres Enga- gement gebeten hatte.2187 Selbst Sumner Welles musste Dr. Thomsen gegenüber im Dezember 1938 eingestehen, dass nach den Novemberpo- gromen insbesondere Minister Ickes‘ Äußerungen „certainly represented the feeling of 99½ per cent of the population of the United States”.2188

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2183 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 7. September 1937. Inhalt: „‘Unamerikanische‘ Propaganda in den Vereinigten Staaten. Rede des Innenministers Ickes in New York“. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2184 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 7. September 1937. Inhalt: „‘Unamerikanische‘ Propaganda in den Vereinigten Staaten. Rede des Innenministers Ickes in New York”. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2185 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 7. September 1937. Inhalt: „‘Unamerikanische‘ Propaganda in den Vereinigten Staaten. Rede des Innenministers Ickes in New York”. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2186 Vgl. hierzu auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 188-192. 2187 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 195f. 2188 Welles‘ Memorandum über ein Gespräch mit Botschaftsrat Dr. Thomsens vom 21. Dezember 1938 über Ickes‘ Rede in Cleveland im selbigen Monat. FRUS 1938, Vol. II. S. 451ff.

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Während der neue amerikanische Botschafter in Berlin, Hugh R. Wilson,2189 nach der Meinung des Auswärtigen Amtes im Gegensatz zu seinem Vorgänger kaum etwas unversucht ließ, um die deutsch-ameri- kanischen Beziehungen auf solideren Boden zu stellen, verzögerte aus deutscher Sicht Innenminister Harold Ickes im April 1938 absichtlich den Verkauf von Helium aus den USA an Deutschland. 2190 Einen Monat später musste Hans Heinrich Dieckhoff feststellen, dass auch Präsident Roosevelt der Lösung dieser Helium-Frage auswich und sich auf zunächst inoffiziellem, dann offiziellem Wege hinter Ickes‘ Entscheidung stellte, während das State Department und die Wehrmacht an der Sinn- haftigkeit dieses Deals und den friedlichen Absichten dahinter fest- hielten.2191 Von Under Secretary of State Sumner Welles hatte Dieckhoff die Zusage erhalten, über jede getroffene Entscheidung bezüglich des

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2189 Vgl. zu Wilsons kurzer Zeit als Nachfolger Dodds in Berlin und zu seinen Eindrücken WILSON: A Career Diplomat. In Folge der Reichspogromnacht aus Berlin abgezogen blieb Wilson offiziell akkreditierter Botschafter in Deutschland bis zum 1. September 1939 (S. 107). Vgl. auch SIROIS: Illusion und Krieg. S. 49. Die Ernennung Wilsons zum neuen Botschafter wurde von der nationalsozialistischen Führung positive gewertet, da er als antikommunistisch eingestellter Karrierediplomat galt. 2190 Vgl. Bismarck Gesprächsaufzeichnung zu Gespräch mit Hugh R. Wilson, 22. April 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Bismarck „bat den Botschafter, alles zu tun, um einen baldigen Abschluss [des Entscheidungsprozesses zum Helium-Verkauf] herbeizuführen, was er [Wilson] zusagte”. Der Sachverhalt lag laut Botschafter Wilson immer noch Innenminister Ickes zur Entscheidung vor. Vgl. zu den Hintergründen der Heliumverkäufe auch SIROIS: Illusion und Krieg. S. 116f. Das Innen- und das Außen- ministerium der USA hatten ursprünglich im September 1937 die Ausfuhr großer Mengen von Helium nach Deutschland bewilligt. Diese Genehmigung wurde seitens Minister Ickes nach dem Anschluss Österreichs jedoch zurückgenommen. In den folgenden Debatten des Frühjahrs 1938 offenbarten sich Ickes und Finanzminister Morgenthau als vehementeste Kritiker und verhinderten erfolgreich den Verkauf des Heliums auf unbestimmte Zeit. 2191 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 11. Mai 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Laut Dieckhoff wich Roosevelt einer Lösung der Frage aus, was unter Beweis stelle, dass es sich hierbei um eine politische Frage handelte. Der Präsident stünde aber hinter Ickes, während „das State Department und Wehrmacht [sic!] auch im weiteren Verlauf der Sache auf ihren [sic!] Standpunkt, dass Helium-Lieferung militärisch unbedenklich [sic!], beharren werden”. Vgl. auch „White House Statement on the Sale of Helium for Export”. May 11, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 61. S. 335. „The President is without legal power to override the judgment of Secretary Ickes and to direct the sale of helium for export”. Vgl. die Korrespondenz Hugh R. Wilsons mit dem State Department und seine Einschätzung der Reaktionen der deutschen Regierung in Hinblick auf die Heliumfrage in FRUS 1938, Vol. II. S. 457-461.

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Heliums umgehend informiert zu werden.2192 Das Verhältnis der beiden Männer blieb auch 1938 weitestgehend freundlich und vertraut. Immer wieder tauschten sie Informationen aus, die beiden Männern der Außen- politik ihres Landes förderlich erschienen.2193 Es konnte der deutschen Führung jedoch nicht verborgen bleiben, dass der Kurs, den Franklin Roosevelt mit seiner Quarantänerede eingeschlagen hatte, unumkehrbar war, denn bereits die Quarantänerede hatte Roosevelt vollkommen un- abhängig vom State Department und einem möglichen konservativen außenpolitischen Einfluss verfasst.2194 Der Auftritt des amerikanischen Präsidenten in Kanada am 18. August 1938 entfaltete eine besondere Signalwirkung. Staatssekretär Thomsen berichtete über Roosevelts Rede an der Queens University in Kingston, Kanada,2195 die amerikanische

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2192 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 14. April 1938. PAAA. Pol. IX USA 58. Po2 USA: Politische Abteilung Akten betreffend: Politische Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Deutschland vom 16. Februar 1938 bis 21. April 1938. Band 6 (Best.: R 104980). Welles hatte Dieckhoff sofortige Mitteilung zugesagt, sobald eine Entscheidung seiner Regierung bezüglich der Helium-Frage getroffen sei. 2193 Vgl. Dieckhoff an Weizsäcker, 20. Dezember 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Vgl. auch Dieckhoff an das Auswärtige Amt, keine Datumsangabe (vermutlich nach Oktober 1939, da Dieckhoff beschreibt, Welles, geb. im Oktober 1892, sei nun 47 Jahre alt). PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 6. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 6). 2194 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Inhalt: „Rede des Präsidenten Roosevelt in Chicago“, 15. Oktober 1937. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Diese Formulierungen [der Rede Roosevelts] stammen vom Präsidenten selbst […]”. 2195 Vgl. „‘We in the Americas Are No Longer a Far Away Continent, to Which the Eddies of Controversies Beyond the Seas Could Bring No Interest or No Harm.’ Address at Queen’s University, Kingston, Ontario, Canada”. August 18, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 105. S. 491-494. S. 492: „Instead, we in the Americas have become a consideration to every propaganda office and to every general staff beyond the seas. The vast amounts of our resources, the vigor of our commerce and the strength of our men have made us vital factors in world peace whether we choose it or not. […S. 493:] The Dominion of Canada is part of the sisterhood of the British Empire. I give to you assurance that the people of the United States will not stand idly by if domination of Canadian soil is threatened by any other Empire”. Vgl. zum Verhältnis Roosevelts zum kanadischen Premierminister W. L. Mackenzie King DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 138f. Beide Männer diskutierten seit 1937 die Möglichkeiten einer Fusion des Völkerbundes und einer permanenten Konferenz zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme zu einem neuen Instrument kollektiver Sicherheit. Vgl. RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 68ff. zu Rauchs Einschätzung von der Bedeutung der Kingston-Rede. Roosevelts Äußerungen vor kanadischen Zuhörern gelten Rauch als Baustein eines Wandels der US- Außenpolitik hin zum Prinzip der kollektiven Sicherheit.

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Annäherung an Großbritannien sei ein weiteres Indiz für die Abkehr von einer Isolationspolitik und diene vor allem der Vorbereitung der amerikanischen Bevölkerung, Deutschland als potentiellen Gegner ein- zustufen. Im Telegrammstil schrieb er: „Rede Roosevelts in Kingsten [sic!] muß nach ihrer theoretischen Vorbereitung durch Hull als bedeutungsvolle Kundgebung praktischer amerikanischer Außenpolitik angesichts gespannter Lage in Europa gewertet werden. Rede zeigt: […2.] die weitere psychologische Vor- bereitung des amerikanischen Volkes auf einen Zweifrontenkrieg und im Zusammenhang damit die kaum verhüllte Aufforderung an jeden einzelnen Amerikaner, geschlossen gegen Deutschland (Japan, Italien) Stellung zu nehmen. 3. die Entschlossenheit des Präsidenten, mit der Isolationspolitik unter allen Umständen und gegen alle inneren Wider- stände zu brechen. […] Amerikanische Garantie gegen Angriff auf Kanada gibt England wertvolle Rückendeckung. […] Präsident ausspielt mit Redewendung von Interesse fremden Propaganda-Büros […] in für jeden Amerikaner nach Vorkommnissen letzter Zeit verständlicher Form auf Deutschland als potentiellem Gegner an Amerikas Ostküste in künftigem Krieg. […] Roosevelts Bestreben, weltgeschichtliche Führerrolle zu spielen, kommt in Rede deutlich zum Ausdruck. […] Rede wird hier allgemein als Warnung an totalitäre Staaten aufgefaßt, daß Amerika in künftigem Weltkonflikt auf Seite europäischer Demokratien zu finden sein werde”.2196 Laut Sirois bedeutete Roosevelts Rede nichts anderes, als dass die USA bereit waren, den zivilisationsfeindlichen Totalitarismus zu bekämpfen, „das gewaltige Potential der USA für die Durchsetzung amerikanischer Interessen und Ideale, wie 1917, wieder in die Waagschale zu werfen“2197 und Großbritannien zu unterstützen. Sirois sieht hierin bereits eine „prinzipielle Bereitschaft“2198 des Präsidenten, Amerika in ein System der kollektiven Sicherheit einzugliedern.2199

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2196 Thomsen an das Auswärtige Amt, 20. August 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 4. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 4). Vgl. hierzu auch BAILEY: Diplomatic History. S. 686. Auch Bailey interpretierte Roosevelts Annäherung an Kanada für eine konkrete Kooperation als „the first official coupling of the [Monroe] Doctrine with Canada”, obwohl seit Formulierung der Doktrin diese ohnehin für die gesamte westliche Hemisphäre gelten sollte. 2197 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 121. 2198 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 121. 2199 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 121.

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Die Erklärung fast zu kurz, William Edward Dodd als alleinige Ursache in direkte Relation mit dieser Umkehrung amerikanischer Außenpolitik 1937/38 zu setzen, obwohl das Auswärtige Amt ihm diese Rolle schon alleine deshalb unbewusst zuschrieb, weil hochrangige Beamte wie Dieckhoff, Thomsen, Weizsäcker und andere dem amerikanischen Pro- gressivisten nach seiner Ausschaltung als Botschafter in ihren Berichten und emotional aufgeladenen, 2200 negativen Äußerungen über seinen Charakter und seine Absichten ihre Aufmerksamkeit schenkten. William Dodd konnte in den Jahren seit Hitlers „Machtergreifung“ 1933 als Botschafter in Berlin qua seiner Position nicht als engster und alleiniger deutschlandpolitischer Berater Franklin Roosevelts in Washington vor Ort dienen, selbst wenn er sich diesen Einfluss durch die detailreiche Berichterstattung und nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten durch seine Redetätigkeit herbeigesehnt hatte. Doch gleichsam war Dodd Teil der progressiv-internationalistischen Elite, die frühzeitig einen besorgten Blick auf die deutschen Entwicklungen geworfen hatte und ihre Konsequenzen für Amerika und in Amerika fürchtete. Fest steht, dass der amerikanische Botschafter bis 1937 einer der ersten Progressiven gewesen war, die das nationalsozialistische Regime immer offener und öffentlich kritisierten und er hatte damit nicht nur die heimlichen Sorgen eines Roosevelt, eines Hull, Moore oder Ickes ausgesprochen und bestärkt. Ebenso offensichtlich ist, dass William Dodd seit 1933 Roosevelt, Hull und andere Spitzenpolitiker mit seinen präzisen Schilderungen aus Deutschland geradezu „bombardiert“ hatte, immer Beweise und logische Argumente für seine Aussagen fand und niemals von seinem Standpunkt abwich. Dies musste auf Männer wie den Präsidenten und den Außenminister Eindruck machen, die sich ohnehin nicht gerne auf die außenpolitische Expertise der Karrierediplomaten und Beamten des State Departments verließen und durchaus, wie Roosevelt es in vielen Briefen an Dodd geäußert hatte, um Antworten in Hinblick auf die nationalsozialistische Herausforderung verlegen waren. Womöglich hatte Dodd einen „Trend“ zum internationalistischen Bekenntnis ausgelöst,

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2200 Auch Sumner Welles stellte in den langen Gesprächen mit Botschafter Dieckhoff fest, dass „he seemed to be in a distinctly emotional and nervous condition [and he] went on to say that it was of course very difficult [S. 447:] for any German diplomatic or consular representative to carry out his duties within the United States without suffering a very serious nervous strain”. Vgl. Welles Memorandum vom 1. November 1938 in FRUS 1938, Vol. II. S. 446-451.

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indem er zusammen mit anderen Diplomaten wie Claude Bowers den Kenntnisstand amerikanischer Politiker von den deutschen und euro- päischen Verhältnissen mit immer eindeutigeren Informationen und Prophezeiungen nährte, die nun 1938 mit dem „Anschluss“ Österreichs2201 am 12. März 1938 und der „Sudetenkrise“2202 im Herbst 1938 in harte ______

2201 Vgl. zu den Hintergründen des „Anschlusses“ und den amerikanischen Reaktionen SIROIS: Illusion und Krieg. S. 110-117. Vgl. auch DAVIS: Into the Storm. S. 182-185 und 195- 198. Vgl. auch besonders BERGER WALDENEGG, Georg Christoph: No Outside Power Cared to Save Austrian Freedom: Methodische Überlegungen zur Einstellung der USA gegenüber dem „Anschluss“ Österreichs 1937/38. In: BERG, Manfred/ GASSERT, Philipp (Hgg.): Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker. Transatlantische Historische Studien, Band 18. Stuttgart 2004. S. 316-338. Vgl. zu den wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen für Deutschland durch den Anschluss BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 169. 2202 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 161-166, BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 226-241 und SIROIS: Illusion und Krieg. S. 118-126. Hitler hatte den Vorsitzenden der Sudetendeutschen Partei (SdP) in der Tschechoslowakei, Konrad Henlein, dazu ermutigt, im April 1938 der tschechoslowakischen Regierung überzogene und für die territoriale Integrität des Landes inakzeptable Forderungen im Sinne der dort ansässigen Sudetendeutschen zu stellen, die in einer Infragestellung der tschechoslowakischen Inte- grität und Souveränität resultieren sollten (Vgl. zu diesem Gespräch zwischen Hitler und Henlein Dok. 68, Vortragsnotiz ohne Unterschrift (Auszug) vom 29. März 1938 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 195f.; Vgl. auch Konrad Henleins daraus abgeleitete „Karlsbader Forderungen“ vom 24. April 1938 in Dok. 69, Aufzeichnung ohne Unterschrift über eine Rede Heinleins vor dem Kongreß der Sudetendeutschen Partei, ohne Datum, in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 196). Am 21. September 1938 nahm Prag unter britischem und französischem Druck den Vorschlag zur Sezession des Sudetenlandes an. Wenige Tage später wurde auf der Münchener Konferenz in Gesprächen zwischen Hitler, Daladier, Mussolini und Chamberlain das Sudetenland Deutschland zugesprochen. Vgl. zu den Akten des Auswärtigen Amtes in der Herbstkrise bis zur Deutsch-Englischen Erklärung vom 30. September 1938 ADAP, Serie D, Bd. II Deutschland und die Tschechoslowakei (1937 – 1938) Dok. 495-676 (S. 643-814). Vgl. den Vertragstext des Münchener Abkommens zwischen Frankreich, Deutschland, Groß- britannien und Italien Dok. 77, Münchener Abkommen vom 29. September 1938 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 208-211. Vgl. zum gesamten Ablauf der Sudetenkrise bis inklusive zum Münchener Abkommen die Darstellung bei WEINBERG: The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Bd. 2. S. 313-464. Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 298-304. Roosevelt hatte sich noch wenige Tage vor der Konferenz entgegen der Ratschläge des State Departments in einem Schreiben an die beteiligten Nationen gewendet. Durch die Berufung auf den Kellogg-Briand-Pakt wollte er aktiv eine Verhandlungs- statt einer gewaltsamen Lösung erwirken, als die Verhandlungen zwischen Chamberlain und Hitler gescheitert waren und Frankreich und Großbritannien bereits mobil machten. Vgl. Roosevelts versuchte Einflussnahme auf Hitler in „The President’s Message to Czechoslovakia, Germany, Great Britain, and France Seeking a Peaceful Solution of the Threat of War”. September 26, 1938, and „Hitler’s Reply thereto”.

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Realität umschlugen. Der Inhalt und die Anzahl der Reden und Äuße- rungen des Präsidenten und seiner engsten Berater könnten als Beweis dafür dienen, dass vermehrt progressive Spitzenpolitiker der Admi- nistration angesichts der immer aussichtsloser werdenden Weltlage in den Jahren 1937 und 1938 Dodds Beispiel technisch – in Reden und Radioansprachen an die Öffentlichkeit – wie inhaltlich – mit einem Fokus auf der faschistischen Bedrohung im Inneren und Äußeren –, als Konsequenz aus Dodds Beharrlichkeit folgten. Einen besonderen Beitrag zu dieser Öffnung vieler progressiver Politiker der Roosevelt-Administra- tion gegenüber einer klareren Formulierung von Außenpolitik gegenüber Deutschland leistete William Edward Dodds „privater Kreuzzug“ zur Aufklärung der öffentlichen Meinung in den USA nach seiner Rückkehr. Diese Kampagne wurde von einem durchweg positiven Presseecho und begeisterten Reaktionen der Bevölkerung begleitet und erlaubte Franklin Delano Roosevelt langfristig, mit einer wachsenden Zustimmung der Bürger einen internationalistischen Kurs einzuschlagen.2203

7.2. „Crusade of Letters and Words“. Dodds Einflussnahme auf die öffentliche Meinung in den USA 1938 Für William Edward Dodd und seine Familie stellte die Überfahrt nach Amerika Ende Dezember 1937 eine Fahrt ins Ungewisse dar. In den ver- gangenen Monaten in Berlin war in Dodds Gedankenwelt die Erkenntnis gereift, dass die amerikanische Öffentlichkeit möglichst direkt adressiert

______September 27, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 120. S. 531-535, sowie Roosevelts Antwort auf Hitlers Reaktion in „The President Again Seeks Peace”. September 27, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 121. S. 535ff. Vgl. außerdem ausführlich zu amerikanischen Erwägungen während der Sudetenkrise bis München DAVIS: Into the Storm. S. 309-344 und COLE: Isolationists. S. 274-290. 2203 Vgl. hierzu zum Beispiel DIVINE: Illusion of Neutrality. S. 231. Divine stellt fest, dass Roosevelt im Oktober 1938 nach der Verkündung einer militärischen Preparedness- Kampagne zur robusteren nationalen Verteidigung durch eine Erhöhung der Militär- ausgaben um 300 Mio. US-Dollar auf eine erstaunlich positive Resonanz in der US- Öffentlichkeit stieß. Vgl. auch HAIGHT, John McVickar: Roosevelt and the Aftermath of the Quarantine Speech. In: Review of Politics 24, 2 (1962). S. 233-259. Haight stellt fest, dass Roosevelt trotz des negative Echos von einer langfristigen Wirkung seiner Rede auf die Bevölkerung ausgegangen war und an seinem Kurs festhielt.

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und informiert werden müsste, wenn er effektiv vor dem National- sozialismus und seinen Folgen für Amerika warnen und den Präsidenten bei der Neuformulierung amerikanischer Deutschlandpolitik unterstützen wollte. Fred Bailey schildert in seiner Dodd-Biographie, dass Dodd nicht wusste, wie er in den USA empfangen würde. Er hatte das national- sozialistische Regime nie direkt kritisiert und seine wirklichen Gegner saßen nach Baileys Meinung im State Department, also in der eigenen Heimat. Das Botschaftspersonal in Berlin, so Bailey, freute sich auf die Ankunft des Pragmatikers Hugh R. Wilson.2204 Diese Einschätzung ist so nicht richtig. Die Gegner des ehemaligen Botschafters in Berlin fanden sich auf beiden Seiten des Ozeans, vor allen Dingen aber immer noch im Auswärtigen Amt und in der nationalsozialistischen Führungsriege. Die aus dem Propagandaministerium gesteuerte deutsche Presse nahm deshalb die Nachricht über die Wahl Wilsons überaus positiv auf – war man mit Dodd doch einen unliebsamen, kritischen Geist erfolgreich losgeworden, der auch aufgrund seiner Kritik an einer Reichsparteitags- teilnahme einer „certain disloyalty to his former democratic colleagues in the diplomatic corps“2205 in Berlin bezichtigt wurde.2206 Es kann nicht stimmen, dass das gesamte Botschaftspersonal über Dodds Abreise glücklich war.2207 Im Mai 1938 erhielt Dodd einen Brief des Beamten Jacob Beam aus der Berliner Botschaft, der seinem ehemaligen Vorgesetzten die Lage in Deutschland schilderte und sein Bedauern über Dodds Abwesenheit ausdrückte: „I thought I would drop you a few lines to let you know that I had not forgotten you, and the many pleasant days I passed here under your regime. […] I wish you would give my kindest regards to Mrs. Dodd and ______

2204 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 187. 2205 New York Times vom 8. Januar 1938. „Reich Will Welcome Wilson as U.S. Envoy”. 2206 Vgl. New York Times vom 8. Januar 1938. „Reich Will Welcome Wilson as U.S. Envoy”. Die New York Times schrieb: „Hugh R. Wilson, newly named Ambassador to Germany, is already being accorded a sympathetic welcome by the press. […] In other quarters the hope is expressed that Mr. Wilson’s assumption of office will initiate more fruitful relations between the United States and Germany. […] Wilhelmstrasse has stated that no formal notice will be taken of Mr. Dodd’s observations; while they are regretted it was also observed that they provoked no surprise inasmuch as they reflect the ‘retiring Ambassador’s habitual lack of comprehension of the new Germany’ ”. 2207 Vgl. hierzu auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 312. Laut Dallek habe vor allem die Tatsache Dodd dazu bewegt bis einschließlich im Jahr 1938 auf seiner Position zu bleiben, dass fast das gesamte Botschaftspersonal sowie die Diplomaten der europäischen Demokratien ihn zum Bleiben gedrängt hätten.

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also to your son and to Martha if they are not with you at the present time. I shall always be grateful for your many kindnesses to me and if there is anything I can do to repay them in part, I hope you will let me know”.2208 Mit seiner disziplinierten, strikten, aber ehrlichen und freundlichen Arbeitsweise hatte William Dodd in der Botschaft offensichtlich auch Freunde und Bewunderer seiner Leistungen als Botschafter gewonnen. Unter den Karrierebeamten im State Department hatten sich allerdings die Gemüter bezüglich Dodds Handlungsweisen in Berlin noch nicht beruhigt. Welles‘ Intrigen gegen William Dodd konnten Anfang 1938 nicht mehr gänzlich unbemerkt bleiben, obwohl an seiner einflussreichen Position als Under Secretary of State nicht mehr zu rütteln war. Welles schrieb an William Bullitt, er erwarte nun, nachdem Dodd nicht mehr in Berlin wirken konnte, viele Verbesserungen für den auswärtigen Dienst und das Department insgesamt.2209 Mit einem Hinweis auf Dodds Briefe an Hull verriet der oberste Beamte des State Departments unabsicht- licherweise, dass er Zugang zu jenen Korrespondenzen besaß. Diese Tatsache machte ihn zu einem der möglichen Verdächtigen, die Dodds vertrauliche Nachrichten an die Presse weitergeleitet haben könnten: „Not that it is of any present importance in view of the fact that Ambassador Dodd’s resignation becomes effective on January 6, but merely because of your interest in the past history of this case, I am sending you for your purely personal and confidential information a copy of a letter addressed under date of December 12 by Dr. Dodd to the Secretary of State. It provides rather extraordinary reading, particularly in view of your own recent conversation with Von Neurath”.2210 William Bullitt, einer der einflussreichsten Gegenspieler William Dodds, trug offensichtlich ein besonderes Interesse an diesem „Fall“ und erhielt durch den Under Secretary direkten Zugang zu vertraulichen Briefen des

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2208 Jacob Beam an Dodd, 6. Mai 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MAY-JULY, 1938” A-J. 2209 Vgl. Welles an Bullitt, 4. Januar 1938. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers. Office Correspondence, 1920-1943. Mappe 20 Office Correspondence, 1920-1943, Bullitt, William C., 1938. „All of these, I think, are admirable appointments [in Berlin, London, Chile], and I feel that within a few months the Department will be in a position to function far more effectively than it has during these past years”. 2210 Welles an Bullitt, 4. Januar 1938. Roosevelt Library. Sumner Welles Papers. Office Correspondence, 1920-1943. Mappe 20 Office Correspondence, 1920-1943, Bullitt, William C., 1938.

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amerikanischen Botschafters.2211 Es ist bemerkenswert, dass sich Franklin Roosevelt höchstpersönlich über die undichte Stelle im Department verärgert zeigte und in einem für ihn unüblichen scharfen Ton Sumner Welles am 7. Januar 1938 einen Brief mit einer bitteren Beschwerde über die Herausgabe vertraulicher Informationen – vor allem bezüglich seiner neuen Botschafterernennungen – , die nur vom State Department initiiert worden sein konnte, zusandte und mit drastischen Konsequenzen drohte: „Some way, somehow we must stop the leaks in regard to the Diplomatic appointments. It is becoming a positive scandal. […] I have not mentioned the subject to anyone – even the White House staff. […] I do not know who handles these things down the line in the State Department, but I think the time has come to announce that if in the future there is any leak, everybody down the line will be sent to Siam!”2212 Welles leugnete jedwede Täter- oder Mitwisserschaft mit dem Argument, dieser Informationsfluss könne nicht im Department entsprungen sein: Nur sechs Personen seien mit den neuen Ernennungen direkt befasst und er werde selbstverständlich für alle möglichen Fehler geradestehen.2213 Welles‘ Brief an Bullitt beweist, dass er durchaus weitere Diplomaten in die neuen Botschafterernennungen eingeweiht hatte, und es bleibt zu

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2211 An dieser Stelle ist außerdem zu bemerken, dass Bullitt gleich mit mehreren US- Botschaftern in Europa eine direkte oder indirekte Auseinandersetzung austrug, das waren neben Dodd auch Joseph Kennedy in London, Joseph Davies in Moskau und John Cudahy. Vgl. BROWNELL/BILLINGS: So Close To Greatness. S. 265. Der Konflikt mit Sumner Welles, der ihm letztlich seine Karriere und seine Freundschaft mit Roosevelt kosten sollte, eskalierte erst im Jahr 1943. Vgl. Ebenda. S. 294-297. 2212 Roosevelt an Welles, 7. Januar 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Welles, Sumner: October 1937 – April 1938. Vgl. hierzu auch WELLES: Sumner Welles. S. 200. Benjamin Welles bestätigt, dass die undichten Stellen im Department Roosevelt ungehalten machten. 2213 Vgl. Welles an Roosevelt, 10. Januar 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Welles, Sumner: October 1937 – April 1938. „If there have been any leaks to the press coming from the Department of State, I wish to assume entire personal responsibility therefor [sic!] […]. Consequently, under present conditions there are approximately only six individuals, including the Secretary and myself, in the Department who are familiar with the diplomatic appointments to be made. So far as one can be humanly sure of anything, I am sure that any leaks to the press with regard to the last diplomatic appointments you sent to the Senate have not come from this Department”.

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bezweifeln, ob gerade William Bullitt als Botschafter in Paris eines der sechs Individuen im Department war, das offiziell Zugang zu diesen geheimen Informationen erhalten durfte. Ende Februar, offensichtlich hatten Welles´ Ausführungen den Präsidenten nicht besänftigen können, ging der Under Secretary so weit, in einem weiteren Fall – der Weiter- leitung vertraulicher Informationen bezüglich eines Diplomatentransfers nach Nicaragua an die Presse – den Außenminister und sein Büro selbst zu beschuldigen.2214 Interessanterweise geschah es auch in jener Zeit, dass Cordell Hull dem Präsidenten in einem persönlichen Brief mitteilte, dass William Dodd mit seinen Aussagen zu den Nationalsozialisten und der Notwendigkeit ihrer Bekämpfung Recht behalten hätte.2215 Das heißt im Umkehrschluss: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Hull selbst Dokumente, die den Präsidenten kompromittieren konnten, oder seine vertraulichen Briefwechsel mit seinem Botschafter in Berlin an die Presse weitergegeben hatte, denn dies hätte im Zweifelsfall ihm selbst, der Regierung und Dodd gleichermaßen einen Schaden unbekannten Ausmaßes zugefügt. Aber dies heißt auch, Hull vertraute William Dodd und seinen Einschätzungen. Dodds höflicher Brief an Hull zu Gilberts Reichsparteitagsteilnahme konnte dem Außenminister kaum als Grund gedient haben, Dodd abzuberufen oder in anderer Weise zu diskreditieren.

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2214 Vgl. Welles an Roosevelt, 26. Februar 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Departmental Correspondence. Mappe PSF Departmental File, State: Welles, Sumner: October 1937 – April 1938. Niemand habe in der Presse über sein Department von dem Transfer eines Mr. Nicholson von Venezuela nach Nicaragua erfahren können, denn Mr. Nicholsons Antwort sei erst am Vortag bei ihm eingetroffen. „[…] [S]ince no one in the Department has known of this transfer except the Secretary and myself, I am bringing the matter to your attention because of the fact that Senator Minton was informed of your decision in this regard by the Secretary yesterday and obviously the leak in this case can only come from his office. Since the White House has sometimes felt in the past that the Department of State was responsible for leaks of this character, I wanted you to know that in this case press correspondents already had this information and that it did not come from this Department”. 2215 Vgl. Hull an Roosevelt, 25. Januar 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. „It was stated on every head that such attendance [at the NSDAP Party Rally] involved no political significance either pro or con. What I am saying is not intended in mitigation of anything Dr. Dodd says about the merits of Naziism [sic!] and the methods of combating it”.

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Wie auch immer die Spurensuche innerhalb der Roosevelt-Administra- tion sich weiter entwickelte, William Dodd hatte, im Alter von 68 Jahren, einen festen Plan wie es weitergehen sollte. Dallek schreibt, Dodd habe sich aktiv fürs Weitermachen entschieden.2216 Diese Entscheidung musste allerdings schon länger zurückliegen statt eine direkte Folge der jüngsten Umstände seiner Abberufung zu sein, denn der Botschafter hatte in Berlin lange Zeit mit dem Gedanken gespielt in die USA zurückzukehren. Für eine Rückkehr in den alten Lehrberuf hatte Dodd in den vier Jahren seiner Amtszeit in Berlin sicherlich zu viel gesehen und zu viel erlebt.

Eine Herausforderung für eine intensive Aufklärungstätigkeit in Amerika war die Tatsache, dass sich an der isolationistischen Haltung weiter Teile der öffentlichen Meinung aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht viel geändert hatte. Der allgemein schlechten ökonomischen Lage war eine fünfmonatige echte Rezession gefolgt, die den Fokus der Regierung zum wiederholten Male auf die Innenpolitik lenkte. Weder die Quaran- tänerede noch der Panay-Vorfall in China vermochten hieran etwas zu ändern. 2217 Präsident Roosevelt und seine Administration konnten folglich nur davon profitieren – so musste es Dodds Wahrnehmung entsprechen – wenn ein Experte der europäischen Verhältnisse sich an die Öffentlichkeit wandte und die Forderungen der Quarantänerede mit weiteren Beweisen unterfütterte. Deshalb entschied sich William Dodd unmittelbar nach seiner Ankunft am 6. Januar 1938 im Hafen von New York City eine Rede zu halten, die die Neuigkeiten aus der Alten Welt direkt nach Amerika tragen sollte. Die Welt habe nichts dazugelernt, mahnte Dodd, denn die Kriegsvorbereitungen in Europa und Asien würden selbstverständlich auch zu Krieg führen. Besonders bemerkens- wert ist seine Aussage, dass vor allem profitgierige Geschäftsleute auf

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2216 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 318. 2217 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 319. Für Dallek schien es, nachdem japanische Flugzeuge das amerikanische Schiff U.S.S. Panay in chinesischen Gewässern versenkt hatten, „out of the question that Americans in general and Roosevelt in particular could be persuaded to shift their attention primarily to foreign affairs”. Der Panay-Vorfall hatte lediglich in einer isolationistischen Reaktion des Rückrufes amerikanischer Schiffe aus chinesischen Hoheitsgewässern bewirkt. Vgl. zu den Hintergründen und Wider- sprüchlichkeiten der amerikanischen Fernostpolitik 1937 ausführlich COLE: Isolationists. S. 239-252. Vgl. zur Rezession LEUCHTENBURG: New Deal. S. 244 und BARCK/BLAKE: Since 1900. S. 370f.

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beiden Seiten des Ozeans, die die Demokratie ausverkauft hätten, Schuld am Untergang der deutschen Demokratie trügen. Damit erweiterte der ehemalige Botschafter die Frage der Schuld an der Gewaltherrschaft in Deutschland von den Nationalsozialisten auf andere Personengruppen sowohl in der deutschen als auch der amerikanischen Gesellschaft, denen es entgegenzuwirken galt. Deshalb rechtfertigte William Dodd in dieser Rede auch seine Rollen als Botschafter in Deutschland. Frühzeitig erkennbare Entwicklungen hätten ihn dazu gezwungen so zu agieren wie er es in Berlin getan habe: „I have been four and a half years in Europe with the hope of serving my country. How much one could do is an open question. The present day world has learned nothing from the Great War. […] The logical outcome of vast war preparations is another war; and what would another war leave of modern civilization? […] With war preparations and the raising of trade barriers beyond anything known to modern history, another method of government has been adopted from Rome to Tokio [sic!]. Over that vast area freedom of religion has ceased to exist and universities no longer govern themselves. […] [W]hat can a representative of the United States do? Yet […] representatives [of democratic peoples] must try to improve international cooperation and on proper occasions they must remind men of the importance of world peace, easier commercial relations and the significance of democratic civilization […]. With these ideals in mind, I felt that I must represent my country the best I could while dwelling among the Germans, naturally more democratic than any other great race in Europe. […] I made addresses […] never criticizing the government to which I had been sent”.2218 Dodds Ankunftsbotschaft löste eine Welle der Medienresonanz aus, die ihresgleichen suchte. Einige Zeitungen, wie der Montgomery Adviser, druckten sogleich die gesamte Rede ab, da sie von größter Bedeutung für Amerika sei. Dodd sei gebrochen aus Europa zurückgekehrt, weil er eine Schreckensherrschaft vor Ort miterlebt habe und mit Recht um die Zukunft der westlichen Zivilisation fürchte.2219 Während die Daily News

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2218 Dodd‘s „ARRIVAL MESSAGE”: 1-8-38 (New York), 6. Januar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd Speech, Article, Book File, „ARRIVAL MESSAGE”: 1-8-38. Dodd hielt diese Ansprache direkt nach seiner Ankunft in New York am 6. Januar 1938, deshalb verwundert die Datierung der gedruckten Rede in seinem Nachlass auf den 8. Januar. 2219 Vgl. Montgomery Adviser vom 10. Januar 1938. „A Statesman’s Lament”. Die Zeitung schrieb einfühlsam: „Dr. William E. Dodd […] has returned to his native country,

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spekulierten, Dodd habe wegen der Reichsparteitagsfrage gekündigt,2220 schrieb der Cleveland Plain Dealer, mit den Nationalsozialisten seien Ver- handlungen ohnehin nicht möglich, da ein fundamentaler Gegensatz zu amerikanischen Werten bestünde, und es brauche weitere „Dodds“, um der totalitären Gefahr zu begegnen. Der Diplomat und Historiker habe den wahren Charakter des Nationalsozialismus erkannt: Seine Kompromisslosigkeit.2221 „It is this fundamental incompatibility which is dividing the world. […] There have been too few Dodds at the diplomatic posts and in the seats of statesmen”.2222 Die Washington Post stellte den ehemaligen Botschafter als verbitterten Mann dar, der angesichts der radikalen Politik der Nationalsozialisten in Berlin nichts habe bewirken können,2223 und schrieb zwei Tage später, Wilson sei gerade deshalb eine hervorragende Wahl für den schwierigen Berliner Posten gewesen.2224 Für das New York World Telegram stand allgemein fest, dass nunmehr keine Isolation für Industrienationen der modernen Welt möglich sei.2225 Die Dallas Morning News lobten den progressiven Demokraten, er habe richtig gehandelt. Es sei richtig gewesen nicht am Reichsparteitag teil- zunehmen und richtig sei, nicht mit Kritik zurückzuhalten. Jedem liberal ______disturbed, uncertain and heartbroken because of the course he believes Western civilization has taken. […] [His arrival message] is so poignant, so expressive of the mind of one who has seen the horrors of dictatorship and who fears for the great democracy he loves, that we take the liberty of reprinting it in full”. 2220 Vgl. Daily News vom 7. Januar 1938. „Dodd, Back in U.S., Predicts Arms Race Is Leading to War”. Dodd „would not discuss reports that his resignation had resulted from the State Department’s failure to support his position”. 2221 Vgl. Cleveland Plain Dealer vom 8. Januar 1938. „More Dodds Needed”. „His comments are worthy of serious thought by every diplomat […]. […] The answer [to Dodd’s question what a representative could do] is very little and nothing of lasting consequence, for there is no common ground on which the envoy of a democratic nation can make a profitable contact with a totalitarian government. It is to Dodd’s credit that he refused to follow the easy way by swallowing his principles so as not to discomfort the Nazis. […] It is in the nature of Nazi philosophy that it will never compromise. To give an inch would be to admit the inherent futility of Naziism [sic!]”. 2222 Cleveland Plain Dealer vom 8. Januar 1938. „More Dodds Needed”. 2223 Vgl. Washington Post vom 7. Januar 1938. „Peace Hopeless, Dodd Declares En Route Home”. Dodd sei verbittert und habe gekündigt „because he was unable to accomplish any great good in the face of Nazi policies”. 2224 Vgl. Washington Post vom 9. Januar 1938. „Good Diplomatic Selections”. 2225 Vgl. New York World Telegram vom 7. Januar 1938. „Dodd Fears War If World Lets Fascists Go Uncurbed”. Dodd behauptete, die deutsche Demokratie sei von außen, vor allem von profitgierigen Geschäftsinteressen korrumpiert worden. Eine Isolation sei für keine Industrienation mehr möglich.

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denkenden Menschen wäre es so in Berlin ergangen und dem State Department komme deshalb vor der Entsendung eines neuen Bot- schafters die Aufgabe zu offiziell zu bekennen, dass Amerika den Nationalsozialismus nicht billige. 2226 „While any successful diplomat must be discreet in his public words and actions, it would be unfair to expect a man of Dodd’s caliber to act as if he were a mere puppet of the Nazi regime”.2227 Hans Heinrich Dieckhoff, der den Wirbel um Dodds Ankunft verfolgt hatte, meldete bemerkenswerterweise seinen Vorge- setzten, Dodds Rede habe kaum Resonanz in den Medien erfahren.2228 Die Berliner Börsenzeitung berichtete in jenen Tagen lediglich, Dodd gehöre zu einer „Spitzengruppe der ausländischen Greuel- [sic!] und Kriegsmärchenfabrikanten“ und sei nicht weiter ernstzunehmen.2229 Es stellt sich die berechtigte Frage, warum Dieckhoff als Kenner der amerikanischen Verhältnisse Dodds Einfluss herunterspielte.2230 Warum sah sich der deutsche Botschafter in jenem Jahr dennoch mehrfach gezwungen, gegen die Aussagen des angeblich unbeliebten und ein- flusslosen progressiven Amerikaners bei Cordell Hull persönlich zu protestieren? Auf diese Fragen kann mit größter Wahrscheinlichkeit nur eine Antwort kommen: Nämlich dass William Dodd, der die deutschen Entwicklungen von Beginn ihrer Herrschaft an erlebt hatte, für die Nationalsozialisten und das Auswärtige Amt weiterhin als Gefahr für die eigenen Propaganda- und Kriegsabsichten zu gelten hatte. Bailey fasst dies mit den drastischen Worten zusammen, Dodd habe bei seiner

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2226 Vgl. Dallas Morning News vom 8. Januar 1938. „Strain on Diplomacy”. „Dodd is free to tell the truth about the Nazis as much as he pleases, save for revealing diplomatic secrets. The retiring Ambassador […] need [sic!] not apologize for his conduct in Berlin […]”. 2227 Dallas Morning News vom 8. Januar 1938. „Strain on Diplomacy”. 2228 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 12. Januar 1938. Inhalt: „Ehemaliger Botschafter D o d d [sic!]“. PAAA. Pol. IX USA 57. Po2. Band 5 (Best.: R 104979). Dieckhoff zeigte hier seine Überzeugung, dass Dodds Ankunft kaum in der Presse wahrgenommen würde und sein Nachfolger Wilson es verstünde, „den falschen Kurs seines Vorgängers zu vermeiden”. 2229 Berliner Börsenzeitung vom [keine Datumsangabe, vermutlich um den 8. Januar 1938, auf jeden Fall nach Dodds Ankunft in Amerika]. „Diplomat in Hemdsärmeln“. Teil eines Presseclippings Dieckhoffs in: PAAA. Pol. IX USA 57. Po2. Band 5 (Best.: R 104979). 2230 Selbst erfahrene Karrierediplomaten wie Dieckhoff – vermutlich aus einem Gefühl der Ohnmacht bezüglich des generellen Machtverlustes des Auswärtigen Amtes heraus – zeigten äußerst ungewöhnliche emotionale Reaktionen auf die drastische Verschlechte- rung der deutsch-amerikanischen Beziehungen und Dodds Äußerungen und Tätigkeit, wie Sumner Welles festgestellt hatte. Vgl. nochmals Welles Memorandum vom 1. November 1938 in FRUS 1938, Vol. II. S. 446-451.

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Ankunft an der amerikanischen Ostküste den Nationalsozialisten den Krieg erklärt und damit seinem Kreuzzug gegen alle „Klassenfeinde“ im eigenen Land neues Leben eingehaucht.2231 Sicherlich entlud sich hier in New York für Dodd eine Frustration über das Erlebte und über den jahrelangen Zwang, aus verschiedenen Gründen niemals wirklich offen das nationalsozialistische Regime kritisieren zu können. Wider sein eigenes Erwarten wurden Dodds Äußerungen mit Lob, Ehrungen und weiteren Redeanfragen beantwortet und der progressive Historiker gönnte sich aus diesem Grund keine Pause mehr um seine Einflussmöglichkeiten voll auszuschöpfen. Bei einem Abendessen zu seinen Ehren im Waldorf-Astoria Hotel in New York konnte William Dodd am 13. Januar 1938 seine Warnungen vor dem nationalsozialis- tischen Deutschland weiter ausführen. Fast alle namhaften nationalen und regionalen Zeitungen berichteten mit unvermindertem Interesse über jene Rede im Waldorf-Astoria und ihre Bedeutung für Amerika. Professor James G. Shotwell, der den Ehrengast an jenem Abend vor- stellte, lobte seinen Kollegen als einen patriotischen, für die amerika- nischen Ideale einstehenden Bürger, der mit Recht davor warnte, dass die gesamte Menschheit in ernstzunehmender Gefahr sei. 2232 Dodd griff vermutlich bewusst auf Roosevelts Worte in der Quarantänerede zurück, als er vor den Gästen im Waldorf-Astoria behauptete, nur eine Kooperation der Demokratien könne nunmehr Abhilfe in dieser fast ausweglosen internationalen Situation verschaffen: „The failure of this nation [the U.S.], which had saved European democracy, to cooperate with more than fifty other governments with delegates in the League [of Nations], was a major cause of the renewal of ancient European annexation ideas. […] Then came the Italian-German- Japanese pact under which China is to be conquered, and American- English interests in the Far East to be absorbed. If the Japanese succeed, Russia will be surrounded and compelled to unite with the European Fascists or start another great war. […] Mankind is in grave danger, but democratic governments seem not to know what to do. If they do nothing

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2231 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 188. „With these words [of his arrival message] Dodd declared his personal war on Nazi Germany and reaffirmed his long crusade against class enemies at home”. 2232 Vgl. New York Herald Tribune vom 14. Januar 1938. „Dodd Calls Hitler World Menace And Says U.S. Must Share Blame”. Nach Shotwell sei Dodd kein „’automaton’ diplomat” gewesen und habe die Ideale repräsentiert, für die Amerika immer eingestanden habe.

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Western civilization, religious, personal and economic freedom are in grave danger”.2233 Die New York Times druckte den gesamten Text der Rede jenes Abends, an dem keine Angehörigen der US-Regierung teilgenommen hatten, ab.2234 Für die Journalisten der Washington Post stellte Dodds Aussage zu den Konsequenzen aus Hitlers absoluter Herrschaft und dessen Kompromisslosigkeit den Kern seiner Warnungen dar.2235 Das Journal American, das auch Dodds sehr ähnliche Rede im Mayflower Hotel in New York am 14. Januar wiedergab, fand die Behauptung bemerkens- wert, dass Hitler bereits unzählige unschuldige Menschen getötet und noch viele weitere töten würde. Dodd habe klar argumentiert, dass nur noch die USA im Verbund mit England den Frieden bewahren könnten. 2236 Wenige Wochen später erkannte der Chicago Tribune nach Dodds Ansprache vor dem Chicago Council on Foreign Relations, wie zukunftsweisend dessen Handlungsvorschläge seien: Alternativ zum Völkerbund könnten ein intensivierter Handel, eine moderne Form der Neutralitätsgesetzgebung, multilaterale Absprachen und Planungen und ein dadurch erreichter erhöhter Lebensstandard der westlichen Demo- kratien den Beginn einer friedlichen Lösung einläuten.2237 Offensichtlich ging Dodd von der Annahme aus, dass nicht mehr nur die einfache Vorbildfunktion Amerikas einer „shining city upon a hill“ im Sinne Thomas Jeffersons den Frieden sichern konnte, sondern die komplexe,

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2233 New York Times vom 14. Januar 1938. „Text of William E. Dodd’s Speech at Dinner Here”. 2234 Vgl. New York Times vom 14. Januar 1938. „Text of William E. Dodd’s Speech at Dinner Here”. Vgl. auch New York Times vom 15. Januar 1938. „Democracies Seen In Peril By Dodd”. Weder Roper noch andere Gäste der US-Regierung seien der Einladung gefolgt. Das Dinner habe deshalb einen inoffiziellen Charakter. 2235 Vgl. Washington Post vom 14. Januar 1938. „Dodd Denounces Hitler Regime in First U.S. Speech”. 2236 Vgl. Journal American vom 14. Januar 1938. „Dodd in New Blas Flays Japan Rulers”. Die Rede im Mayflower-Hotel sei ein direktes „sequel to Dodd’s speech at a testimonial dinner in his honor at the Waldorf-Astoria last night […]. He insisted that if Great Britain and the United States joined hands, there could be no greater guarantee of world peace”. 2237 Vgl. Chicago Tribune vom 1. März 1938. „Dodd Urges Free Nations to Unite Against Fascism”. Dodd hatte seine Ansprache in seiner längjährigen Heimatstadt mit folgenden Worten beschlossen, wie die Zeitung paraphrasiert: „The league of nations is virtually a failure, it can do nothing. […] [T]he only substitute would be for democratic nations to plan together, for them to establish easy trade relationships, raise the standard of living, create employment and when a country does as Japan in China did, agree to ship nothing there”.

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mit den europäischen Demokratien gemeinsame Schaffung eines attraktiveren und reicheren demokratisch-freiheitlichen Systems, das die offenkundige Unterlegenheit der totalitären Herrschaftsweise ans Tageslicht beförderte ohne aktiv Krieg führen zu müssen. 2238 Nach Dodds Meinung kam somit dem demokratisch-kapitalistisch-freiheit- lichen „Westen“ als Krone der Zivilisation eine besondere Aufgabe zu, die Amerika alleine nicht zu bewältigen vermochte. Der Gedanke von Systemen, die mit ihren jeweiligen Vorzügen für den Einzelnen warben, ähnelte bereits den sich später entwickelnden, amerikanischen politischen Ideen während des Kalten Krieges,2239 ohne Rückgriff auf kriegerische Handlungen die gegnerische Seite in den Augen der Welt- öffentlichkeit als „schlechter“ weil unmoderner, ärmer, gewaltbereiter oder unfreier darzustellen. Wenig überraschend war die Resonanz auf diese weitgehenden For- derungen William Edward Dodds im negativen wie positiven Sinne überwältigend. Hans Heinrich Dieckhoff, der auf Dodds Inkompetenz mehrfach hingewiesen hatte, hielt offensichtlich die Aussagen des ehe- maligen Botschafters für so ernstzunehmend, dass er am 14. Januar das Gespräch mit Cordell Hull suchte, der seinen ehemaligen Untergebenen mit dem Verweis auf die amerikanische Verfassung und die Grundrechte einzelner Bürger, ihre Meinung frei zu vertreten, vehement verteidigte.2240

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2238 Vgl. hierzu auch Roosevelts Aussagen in seiner „Annual Message to the Congress”. January 3, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 1. S. 2. Der amerikanische Präsident hebt hier die Dauer- und Standhaftigkeit des demokratischen Systems hervor. Auch in den Staaten, in denen zu jenem Zeitpunkt keine Demokratie herrschte, würde selbige wiederhergestellt, was die Voraussetzung des zukünftigen Friedens der Menschheit sei: „Our people believe that over the years democracies of the world will survive, and that democracy will be restored or established in those nations which today know it not”. Diese Aussage impliziert, dass die anderen Systeme nicht von Dauer sein würden und könnten. 2239 Vgl. zu der früh einsetzenden Welle von Patriotismus bezüglich des eigenen Systems unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkrieges und zum Entstehen des sowjetischen Feindbildes als idealistischem Aspekt einer neuen Realpolitik HEIDEKING/ MAUCH: Geschichte. S. 284-288. 2240 Vgl. Memorandum Hulls über ein Gespräch mit Dieckhoff, 14. Januar 1938. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949. Subject File Germany 1933-38 (memoranda of conversations with representatives of other countries) (Reel 29 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). „The German Ambassador came in upon his own request […] to speak very earnestly about the utterances in the night before of former Ambassador William E. Dodd, in which among other things he accused Chancellor Hitler of killing as

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Es finden sich Hinweise in den Quellen auf eine Pressekonferenz, zu der sich der Außenminister gezwungen sah, um Dodds freie Wortwahl mit dem erneuten Hinweis auf die verfassungsrechtlich gesicherten Individualrechte der Redefreiheit zu rechtfertigen. 2241 Druck erfuhr Cordell Hull dabei vor allem auch von Seiten der Bürger, die sich in zahlreichen Briefen für die angemessene Verteidigung des wagemu- tigen Ex-Botschafters bedankten. 2242 Josephus Daniels, US-Botschafter in Mexiko, bestärkte Dodd persönlich, mit dieser Aufklärungsarbeit fortzufahren,2243 wie auch Teddy Roosevelt, ein Verwandter des bekann- ten Namensträgers, der Dodd zur Veröffentlichung eines Buches über Deutschland und zu einem gemeinsamen Mittagessen für einen weiteren Gedankenaustausch drängte.2244

______many people in Germany as were killed by Charles II. […] I then inquired of the Ambassador as to how many men Charles II killed. The Ambassador replied that he did not recall. […] We were not certain that Charles II was especially notorious in this regard. […] [H]e felt this Government should say that it disapproved what Dr. Dodd had said. […] I proceeded to say that […] we do have under our Constitution and Bill of Rights freedom of speech, from the results of which there is no recourse […] which includes criminal liability […]; that of course the Ambassador knows Dr. Dodd and is acquainted with his ideas and his disposition to give expression to them wherever he goes; that I have very little personal or official influence with Dr. Dodd […]”. 2241 Vgl. Memorandum of the Press Conference, 14. Januar 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./228. Hull habe der anwesenden Presse erklärt „that under the right of freedom of speech the Federal Government naturally does not have control over the utterances of individual citizens [and that] former Ambassador Dodd, having resigned from his post, is a private citizen in this country and that naturally what he says in his utterances does not represent the views of this Government”. 2242 Vgl. z.B. US-Bürger Fred Keiser an Hull, 15. Januar 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./220. Keiser aus Pennsylvania schrieb dem Außenminister euphorisch: „It is with the utmost approval, I think, that the average American citizen views your reply to the German ambassodar [sic!], in defending the right of free speech in this country. This must particularly be true in the case of such unchristian-like conduct as is demonstrated by the German government”. 2243 Vgl. Daniels an Dodd, 14. Januar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN.-FEB., 1938” A-G. Die deutsch-japanisch-italienische Entente zwinge bereits einige kleinere Staaten „to go in with them under the pretense of fighting Communism and seeking to make Fascism universal. […] The Fascists rely upon that failing of the Anglo-Saxon and other peoples”, bestätigte er die Aussagen Dodds. 2244 Vgl. Teddy Roosevelt an Dodd, 31. Januar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN.-FEB., 1938” R-Z. Roosevelt bat ihn, ein Buch über Deutschland zu verfassen. „I am constantly struck with the similarity of the Kaiser-led Germany and the Hitler-led Germany. Both worshipped the same gods and both are completely blind to the beliefs and reactions of

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Cordell Hulls Pressekonferenz war alles andere als das von deutscher Seite erwünschte „[D]esavouieren“ 2245 William Edward Dodds seitens der US-Regierung; Eine herbe Enttäuschung für Hans Heinrich Dieckhoff, der den Verlauf des Gespräches mit Hull gänzlich anders wiedergegeben hatte: Hull sei seiner Meinung gewesen und habe Dodd als Narren bezeichnet. Er selbst, Dieckhoff, habe außerdem damit gedroht, dass die Akkreditierung des neuen amerikanischen Botschafters in Berlin gefährdet sein könnte, würde Dodd mit seiner Redetätigkeit fortfahren. Dieckhoff schilderte das Gespräch in viel emotionalerer Form, als es – wie Hulls Ausführungen und Handeln zeigen – vermutlich abgelaufen ist: „Wohin kämen wird [sic!], wenn Botschafter unmittelbar nach ihrem Ausscheiden sich einfach umdrehen und das Land, bei dem sie beglaubigt waren, in so taktloser Weise öffentlich angriffen und beschimpfen, von der sachlichen Unwahrheit eines großen Teils der Doddschen Äußerungen ganz abgesehen? Wie könne nach diesem Vorgehen von Dodd Amerikanische Regierung erwarten, daß in Zukunft ihre Botschafter in Deutschland vertrauensvolle Aufnahme finden? Ich habe sehr ernst gesprochen und Hull keinen Zweifel gelassen darüber, daß alles seine Grenzen hat. […] Hull machte keinen Hehl daraus, daß er über das Verhalten von Dodd genau so wie ich denke. […] Er entschloß sich schließlich, mir zuzusagen, daß er in einer öffentlichen Erklärung Dodd desavouieren würde […] da Dodd eine Art von Narr sei, der sich nicht belehren lasse”.2246 Tatsächlich, so beschrieb es Reichskanzleichef Heinrich Lammers, er- wog Hitler den Nachfolger Dodds nicht zu empfangen.2247 Dies bewog

______others. […] If you are coming North again, won’t you let me know so we can lunch together? Perhaps you might come out to Oyster Bay and spend the night”. 2245 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 14. Januar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2246 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 14. Januar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2247 Vgl. Lammers an Reichsaußenminister und Chef der Reichskanzlei, 21. Januar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Lammers habe Hitler über Dodds Rede und die unternommenen Schritte hiergegen Vortrag gehalten „Der Führer billigt die bisherigen Maßnahmen des Auswärtigen Amts. Für den Fall, daß die Amerikanische Regierung nicht geneigt sein sollte, die Angelegenheit in einer für das Deutsche Reich zufriedenstellenden Weise zu bereinigen, erwägt der Führer, so lange, bis dies geschehen ist, von dem Empfang des neuen amerikanischen Botschafters abzusehen”. Vgl. zur Rolle von Reichskanzleichef Lammers im nationalsozialistischen Staatsapparat HEIBER: Hitler, die Partei und die Institutionen des Führerstaates. In:

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Konstantin von Neurath dazu, die Wogen zu glätten und Lammers den Empfang des neuen Botschafters deshalb zu empfehlen, weil er den deutsch-amerikanischen Beziehungen eine neue Chance auf Besserung eröffnete.2248 Von Neurath sollte sich durchsetzen. Von Hugh R. Wilson musste die deutsche Führung kaum die gleiche Kritikfähigkeit und Ab- kehr von diplomatischer Etikette im protokollarischen wie inhaltlichen Sinne erwarten. Aus diesem Grund pflegten die höchsten Beamten des Auswärtigen Amtes, unter ihnen Botschafter Dieckhoff, auch 1938 einen freundlichen Kontakt mit Hugh Wilson, Sumner Welles und insbesondere Prentiss Gilbert, Dodds Botschaftsrat in Berlin, die sich alle an einem Ende des Einflusses des progressiven Historikers auch innerhalb der USA interessiert zeigten. Wilson sei den Nationalsozialisten willkommen gewesen, schrieb Martha Dodd Jahre später in ihrem Tagebuch zu den Erlebnissen in Berlin. Wilson sei konservativ und schrecke nicht davor zurück, den spanischen Botschafter der Rebellen zu einem Empfang zu Ehren Charles Lindberghs und Hermann Görings einzuladen. Voll Abneigung schildert Martha Wilson als Mitglied einer pro-faschistischen Elite im State Department.2249 Es ginge vermutlich zu weit, Wilson als Faschisten zu bezeichnen. Doch richtig ist, dass er zu jenem konservativen Kreis im Department gehörte, der progressive Diplomaten und Politiker wie Dodd fern jedes Staats- amtes wissen wollte. Am 14. Januar schrieb Hugh R. Wilson in Reaktion auf Dodds Reden und unter Berufung auf Hulls angebliche Weisung an William Dunn, Judge Moore solle Druck auf den ehemaligen Botschafter ausüben, seine Äußerungen in Zukunft zu unterlassen.2250 ______BROSZAT/FREI, Norbert: PLOETZ. S. 156. Vgl. auch WEHLER: Nationalsozialismus. S. 109f. 2248 Vgl. Neurath an Lammers, 5. Februar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Neurath bat Lammers „bei Ihrem nächsten Vortrag dem Führer zu sagen, daß es mir besser erscheint, die gerechte Empörung über das unqualifizierbare [sic!] Benehmen Dodds den neuen Botschafter nicht entgelten zu lassen. […Hull habe zugesagt, dass Dodd keine weiteren Vorträge halten werde, was eingehalten worden sei]. […] Ich glaube daher, daß wir, falls keine neuen Zwischenfälle mit Dodd vorher eintreten, ihm wenigstens die Chance eines Versuchs der besseren Beziehungen geben sollten”. 2249 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 360f. 2250 Vgl. Hugh R. Wilson an Dunn, 14. Januar 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./229. „[T]he Secretary authorized us to speak to him [Judge Moore] and suggest that he pass on to Mr. Dodd that portion of Gilbert’s telegram in which he speaks of the anxiety of Mr. Dodd’s friends in Berlin. Further, that

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Eine besondere Rolle in den fortschreitenden Aktivitäten des State Departments gegen Dodd nahm Botschaftsrat und Chargé d’Affaires ad interim, Prentiss Gilbert, ein. Martha Dodd erinnert sich, dass Gilbert vor allem auf Sumner Welles‘ Wirken hin nach Berlin gesandt worden war. Dodds Tochter beschrieb ihn als Realpolitiker, der mit Sir Nevile Henderson über die Teilnahme am Reichsparteitag 1937 konferiert und sich gegen Dodds Weisung entschieden hatte, was Gilbert Außenminister Hulls Zorn eingebracht habe.2251 Ob dies die korrekte Wiedergabe der Ereignisse durch Martha Dodd ist, lässt sich nicht mehr vollständig rekonstruieren. Die Frage nach dem Sinn einer amerikanischen Teil- nahme am Nürnberger Reichsparteitag war 1938 wie 1937 in Regierungs- und Behördenkreisen ungeklärt. Als Hugh R. Wilson von Roosevelt aus Angst vor der Reaktion der amerikanischen Presse eine konkrete Weisung erbat, leitete der Präsident, der die Veranstaltung selbst für eine rein parteilich organisierte hielt, den Brief Wilsons an Under Secretary Welles weiter. Dieser befand, dass Staat und Partei in Deutschland eins seien und Wilson teilnehmen solle.2252 Auch Hull war 1938 wie im Vorjahr nicht überzeugt und verfasste ein Memorandum für Roosevelt, in dem er darauf hinwies, dass andere Nationen nur auf Grundlage der offiziellen Einladung durch die deutsche Regierung an der Parteiveranstaltung

______Judge Moore might desire to utter a caution against the utilization of any matters learned in his official capacity”. 2251 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 356f. 2252 Vgl. Hugh R. Wilson an Roosevelt, 12. Mai 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00/37771/4. Wilson wusste um Dodds und Gilberts Praxis bezüglich der Reichsparteitage der Vorjahre. „I should personally like to attend and would not consider myself any the less a firm believer in democracy for looking upon the evidences of an autocracy. It would also be a good opportunity to get to know a lot of men who are not very accessible in the Capital. On the other hand I realize that my presence might be embarrassing to you, if I were subject to attack in the American press for attending the rally”. Vgl. Roosevelt an Welles, 3. Juni 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00/37771/4. „This is a difficult letter to answer. […] Is the Nuremberg Party Rally an official government celebration or a Party Convention?” Für ihn, den Präsidenten sei klar, dass kein Botschafter je auf einen Konvent der Republikanischen oder Demokratischen Partei auf Einladung des US-Präsidenten hin gehen würde. Vgl. Welles an Roosevelt, 7. Juni 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00/37771/4. „For internal purposes the Nazi Party and the State in Germany are one by virtue of a law of December 1, 1933, which provides that ‘the National-Socialist Labor Party has become the organ of the State Policy and is indissolubly united with the State.’ […The Rally was] held by the present German Government”.

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teilnahmen. 2253 Es bleibt deshalb ein spekulativer Gedanke, ob Hull wirklich Ärger über Prentiss Gilbert, der sich in Absprache mit dem französischen und englischen Botschafter auf den Reichsparteitag 1937 begeben hatte, verspürte. Weiterhin unterließ Botschaftsrat Gilbert kaum einen Versuch, um seinen ehemaligen Vorgesetzten in ein schlechtes Licht zu rücken. Am 13. Januar teilte er Hull in einem Botschaftsbericht mit, deutsche Bürger, die sich Dodd anvertraut hatten, fürchteten nun, ihre Identität würde von Dodd preisgegeben, wenn er weiterhin der amerikanischen Öffentlichkeit Erlebnisse aus seinem Leben in Berlin schilderte.2254 Angesichts der Tat- sache, dass William Dodd in der Vergangenheit mehrfach vertrauliche Informationen erhalten und niemals die Quellen preisgegeben hatte – sei es im Falle des „Milliardärs“, der eine faschistische Diktatur in Amerika errichten wollte, oder der Senatoren, die Welles in seinen Karriere- ambitionen unterstützten 2255 – ist auszuschließen, dass diese Furcht gerechtfertigt und von deutschen Bekanntschaften Dodds tatsächlich so geäußert worden war. Am Beispiel seines durch die nationalsozialistische Enteignungspolitik in Bedrängnis geratenen, ihm sonst unliebsamen Vermieters Panofsky hatte William Dodd mit seinem Brief an Roosevelt Ende 1937 bewiesen, dass ihm Sicherheit und Eigentum seines Vermieters mehr wert waren als die eigenen Mietprobleme, die ihm durch Panofsky

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2253 Vgl. Hull Memorandum an Roosevelt, 25. Januar 1938. LC. Cordell Hull Papers. Mappe Cordell Hull Correspondence 1910-1949 (Reel 15 of 118, Shelf/Accession No. DM 16,160). Hull bezweifelte, ob es neben Dodds angebrachten Zweifeln tatsächlich klug sei, nur in Gemeinschaft mit der Sowjetunion dem Reichsparteitag fernzubleiben, wenn alle anderen Nationen Pro und Contra zugunsten der Teilnahme abgewogen hätten. 2254 Vgl. Prentiss Gilbert, Chargé d’Affaires ad interim, an Secretary of State, 13. Januar 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./213. „[C]ertain prominent Germans expressed to me privately their apprehensions that remarks critical of the regime which they had made to Mr. Dodd might, in some manner through inadvertence, be repeated or referred to by him which might result in subjecting them to serious difficulties”. 2255 Vgl. Dodd an Moore, 20. September 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). Dodd antwortete auf Moores Bitte vom 16. September 1938, ihm die Namen der Senatoren, die Welles in seiner Kandidatur unterstützt hatten, preiszugeben, doch Dodd erinnerte sich angeblich nicht mehr: „The man who told me about Welles was a representative of our Government in Berlin attending the Commercial Conference in 1937. He was quite close to the President but he did not name the senators who caused the appointment”.

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auferlegt worden waren.2256 Staatssekretär von Weizsäcker gab in seinen Dokumenten ein Gespräch mit Gilbert wieder, infolge dessen er den Ein- druck von Gilberts aus persönlichen Rachegefühlen geborener Hoffnung erhalten hatte, Deutschland werde gegen Dodd offiziell Protest einlegen: „Prentiss Gilbert hielt mir […] einen längeren Vortrag über die unfähigen Gelegenheitsdiplomaten im allgemeinen und den Kummer, den er mit Herrn Dodd im besonderen gehabt habe. Er selbst werde von Dodd ebenfalls kritisiert und habe keine Lust, sich dies noch länger gefallen zu lassen. Die Amerikanische Regierung habe die Möglichkeit, gegen Dodd vorzugehen, da es ein amerikanisches Gesetz gebe, das amerikanischen Beamten Veröffentlichungen von Tatsachen, die dienstlich zu ihrer Kenntnis gekommen seien, untersage. Er werde über unsere Unterredung telegrafisch nach Washington berichten”.2257 Von Mackensen berichtete ebenso, Prentiss Gilbert habe ihm den wertvollen Hinweis gegeben, dass das amerikanische Beamtengesetz die Möglichkeit eröffnete, im Falle einer Preisgabe von Dienstgeheimnissen gegen ehemalige Beamte vorzugehen. Von Mackensen gab Dieckhoff per Telegramm den Auftrag, diesen Sachverhalt zu prüfen und nochmals in Washington vorstellig zu werden, da man in Berlin mit Hulls Antwort auf den eingelegten Protest nicht zufrieden sein konnte: „Vorfall kann allerdings durch laue Erklärungen Hulls, daß Dodds Äußerungen nicht Ansicht Bundesregierung wiedergäben, noch nicht als erledigt angesehen werden. Nach Ansicht hiesigen amerikanischen Geschäftsträgers kann State Department eingreifen, da neueres amerika- nisches Beamtengesetz öffentliche Äußerungen Beamter über Tatsachen,

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2256 Vgl. Dodd an Roosevelt, 29. November 1937. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Dodd, William E.: 1936-38. 2257 Gesprächsaufzeichnung von Weizsäcker über Gespräch mit Gilbert, 12. Januar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Vgl. auch Gesprächsaufzeichnung Weizsäcker über Gespräch mit Gilbert, 14. Januar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). Gilbert habe von Weizsäcker gefragt, ob Dieckhoff schon im State Department wegen Dodds Äußerungen vorgesprochen habe. „Offenbar wäre es Herrn Gilbert angenehm, wenn dies geschähe. Herr Gilbert fügte vertraulich hinzu, zwei oder drei hiesige deutsche Persön- lichkeiten hätten sich ihm gegenüber darüber ausgesprochen, daß Dodd imstande sein könnte, ihre Namen als Zeugen für skeptische Auffassungen innerhalb Deutschlands öffentlich zu mißbrauchen”.

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‚die dienstlich zu ihrer Kenntnis gelange seien‘ verbiete. Bitte Frage prüfen und bei positivem Ergebnis nochmals vorstellig werden […]”.2258 Dieckhoff kam dieser Weisung nach und erteilte der Frage nach einem potentiellen rechtlichen Vorgehen gegen Dodd eine Absage: Das US- Beamtengesetz greife in diesem Falle nicht. Gegenüber von Weizsäcker erklärte er: „Mehr [als ein Protest bei Hull] war aber nicht zu erreichen und wird auch in Zukunft nicht zu erreichen sein. Die Frage, ob man unseren Protest auch auf das amerikanische Beamtengesetz hätte stützen sollen, hatte ich sofort von hier aus geprüft, war aber zu einem negativen Ergebnis gelangt. Denn einmal sind die Bestimmungen nicht so klar, wie Gilbert sie scheint’s in Berlin dargestellt hat, und ferner hatte ich Bedenken, Herrn Dodd vorzuwerfen, daß er Tatsachen [unterstrichen im Original], die dienstlich zu seiner Kenntnis gelangt seien, öffentlich verbreitet habe. Ich würde damit, mindestens implizit, zugegeben haben, daß die Behauptungen von Dodd Tatsachen sind […]”.2259 Nicht nur aufgrund der (verfassungs-)rechtlichen Lage war William Edward Dodd nunmehr als Privatbürger für das Auswärtige Amt und das State Department unangreifbar geworden. Fast die gesamte Presse- landschaft in Amerika stand hinter Dodds „Kreuzzug“ gegen die Gefahren des Nationalsozialismus für Amerika. Für den New Jersey Herald Tribune stand fest, dass der deutsche Botschafter in Washington nur deshalb pro- testiert hatte, weil Hans Luther damals mit einem persönlichen Protest im Sinne Hitlers gezögert habe und deshalb von Berlin abberufen worden sei.2260 Dies dürfte als Erklärung dafür dienen, warum Dieckhoff in seinen Berichten an die Wilhelmstraße so emotional argumentierte, sich in seinem Protest bei Hull geradezu überschlagen zu haben.

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2258 Mackensen an Dieckhoff, 18. Januar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2259 Dieckhoff an Weizsäcker, 19. Januar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). 2260 Vgl. New Jersey Herald Tribune vom 15. Januar 1938. „Hull Rejects Nazi Protests On Dodd Talk”. „When his [Dieckhoff’s] predecessor, Dr. Hans Luther, quit last fall, it was understood that a contributory cause was his failure to act promptly when Hitler was aspersed”.

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Die Houston Post begrüßte Hulls Urteil, dass Dodd frei reden dürfe: „Ambassador Hans Heinrich Dieckhoff [sic!] is a newcomer to this country, and therefore is not as familiar with the habits of the American people […]. But we refuse to become excited. Perhaps Mr. Hitler was insulted by Mr. Dodd’s remarks. So what?”2261 Dieser Meinung war auch die Cleveland Press. Dodd hätte zwar aus Anstand etwas warten können, doch Hitler müsse eben die Kritik, die der ehemalige amerikanische Botschafter äußern dürfe wie es ihm gefalle, mit Fassung tragen. 2262 Rechtlich gesehen befände sich Dodd auf der sicheren Seite, urteilte der Oregonian am 15. Januar: „There actually is room for argument as to the moral right of Professor Dodd to embarrass the White House and the state department so soon after his resignation from the Berlin post. But as to his legal right, there can be no question”.2263 Zugleich wurde William Dodd mit positiven Reaktionen aus der Bevölkerung über- schüttet. Die Bürger lobten in überschwänglich herzlichen Briefen seine Integrität und seine Standhaftigkeit.2264 Besonders motivierende Worte fand das Ehepaar Mogerman: „Your courageous stand for civilized conduct in the international field has won our utmost admiration and support. […] We are proud that you were our Ambassador; and even prouder that you resigned for the reasons we know of. We urge you to continue the work you have begun. It is of infinite significance; and although it will undoubtedly bring you for the present the minority attacks that a friend of liberty may always except, time and the vast majority of the American people are clearly on your side”. 2265

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2261 Houston Post vom 16. Januar 1938. „Freedom of Speech“. 2262 Vgl. Cleveland Press vom 20. Januar 1938. „Dodd’s Damns”. „It was not diplomatic for Mr. Dodd, so soon after returning from Germany, to damn the Nazis in general and Adolf Hitler in particular. We believe he might better have waited until time had given him the full character of a private citizen before such an unburdening of soul. […] But technically Mr. Dodd’s damns were his own private damns, not Uncle Sam’s. […] We suspect that the offended Herr Hitler will have to grin and bear it. Anyhow, bear it”. 2263 Oregonian vom 15. Januar 1938. „Hull Tells Nazis of U.S. Freedom”. 2264 Vgl. z.B. New Yorker Lehrer Charles N. Schmall an Dodd, 30. Januar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN.-FEB., 1938” R-Z. „Permit me to congratulate you upon your elevated attainments as a scholar, statesman, leader, diplomat, and humanitarian. Your brilliant record as Ambassador to Germany commands attention by your fearless and steadfast devotion to American ideals of liberty, decency, and fair play”. 2265 Ehepaar Mogerman an Dodd, 17. Januar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN.- FEB., 1938” A-L.

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Selbst Beamte wie Nathan Straus aus dem Innenministerium fanden die Zeit für Briefe um den Progressivisten zum Weitermachen zu ermutigen.2266 Wie die New York Times berichtete, hatte Cordell Hull Dodd auf seiner Pressekonferenz offiziell erlaubt, seiner Redetätigkeit weiter nachzugehen.2267 Für Bailey machte der amerikanische Secretary of State hiermit Dodd zu einem Volkshelden der amerikanischen Demo- kratie – „[w]hether by accident or by skilled intent, Hull had elevated Dodd to the role of a popular champion of American democracy“2268 und bewirkte eine weitere Flut von Anfragen an den progressiven Intellektuellen, Artikel und Aufsätze wie „Racial-Religious Reforms in Germany“2269 zu veröffentlichen und weitere Auftritte wahrzunehmen, um vor einer zukünftigen Weltkonstellation unter Vorherrschaft der Nationalsozialisten und ihrer Lebensraumidee zu warnen.2270 Eine zweite Welle von Einladungen akzeptierte William Dodd deshalb für Ende Januar, als er im Mayflower Hotel in New York City vor der

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2266 Vgl. Nathan Straus an Dodd, 9. Februar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „FEB.- MARCH, 1938” H-Z. „Your speech today was so impressive that I do want to express my admiration. The picture that you paint is certainly disheartening. However, I believe that the only hope of democracy is to have those things said as often and as loudly as possibly which you so well said today”. 2267 Vgl. New York Times vom 16. Januar 1938. „Messages Praise Dodd’s Reich Talk”. „Professor Dodd went to the State Department today for a conference with Secretary of State Hull [...]. His decision to go forward with the arrangements was announced at that conference”. 2268 BAILEY: Yeoman Scholar. S. 190. 2269 Vgl. „Racial-Religious Reforms in Germany”. LC. William Dodd Papers. Mappe William E. Dodd Speech, Article, Book File, „Racial-Religious Reforms in Germany” [1934] 1938. Dieser Artikel wurde im Collier’s Magazine 1938 veröffentlicht. Vgl. auch den Artikel DODD, William E.: Can Democracy be Preserved? In: Public Opinion Quarterly 2,1 (1938). S. 26-31. Vgl. auch Dodds Kommentierung in der amerikanischen Übersetzung eines deutschen Handbuches für die Hitlerjugend in CHILDS, Harwood L.: The Nazi Primer. Official Handbook for Schooling the Hitler Youth. Translated from the Original German with a Preface by Harwood L. CHILDS. With a Commentary by William E. Dodd. Reprint 1972. New York, London 1938. S. 256-280. Dodd stellt am Ende dieses Textes die ultimative Frage nach der Zukunft, die Bücher wie dieses vorbereiteten, „a Nazified world where all freedom of the individual, of education, and of the churches is to be totally suppressed. Is modern civilization to be converted into such a system?“ (S. 280). 2270 Vgl. New York Times vom 16. Januar 1938. „Messages Praise Dodd’s Reich Talk”. Die New York Times berichtete darüber, dass sich Dodd nach dieser Klärung mit Hull kaum mehr vor Einladungen retten konnte.

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jüdischen Wohltätigkeitsorganisation B’nai B’rith,2271 in Arena Gardens in Detroit, 2272 in der Carnegie Hall, 2273 auf einer Kundgebung der Hollywood Anti-Nazi-League in Los Angeles2274 und vor dem Women’s National Press Club unter anderem auch gemeinsam mit berühmten Kritikern der deutschen Diktatur wie dem berüchtigten New Yorker Bür- germeister Fiorello LaGuardia und dem Kongressabgeordneten Hamilton Fish auftrat. Der Inhalt seiner Reden variierte je nach Publikum, das in immer größerer Zahl in die Großveranstaltungen drängte, kreiste jedoch stets um das Thema der Gefahr des Nationalsozialismus, der Struktur der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer außenpolitischen Ziele, sowie der Handlungsmöglichkeiten Amerikas. Vor den Mitgliedern der B’nai B’rith klagte er amerikanische Geschäftsleute an, einen Boykott gegen das sich aggressiv gebärdende Japan unmöglich gemacht zu haben; Die Nationalsozialisten würden einen Pakt mit Stalin eingehen, um zunächst Lateinamerika aus der Kooperation mit den Vereinigten Staaten zu drängen und letztlich als nationalsozialistisches System die Demo- kratie als System in der Welt zu ersetzen.2275 Den Zuhörerinnen des Women’s National Press Club zeigte der Historiker auf, wie Hitler ______

2271 Vgl. Washington Herald vom 28. Januar 1938. „Dodd Warns Democracies Must Unite“. Dodd sprach auf dem jährlichen Bankett der B’nai B’rith über die einzige Hoffnung des Überlebens der Demokratie, die auf der „ability of democracies to agree upon some concerted plan of action“ liege. 2272 Vgl. Detroit Times vom 26. Januar 1938. „Dodd Skips Lecture; Speech Flays Nazis”. Dodd musste bei diesem Auftritt vor rund 6000 Gästen seine vorbereitete Rede in seiner Abwesenheit vorlesen lassen, da er frühzeitig nach Washington zurückkehren musste. Dieser Vorfall sorgte auch für Spekulationen seitens des Auswärtigen Amtes. Vgl. Deutsches Konsulat Ohio, Cleveland an Deutsche Botschaft, Washington, DC, 28. Januar 1938. PAAA. Pol. IX USA 58. Po2. Band 6 (Best.: R 104980). Der Beamte Kapp übersandte der deutschen Botschaft einen Bericht des Konsul Hailer, der auf der Kundgebung in Detroit anwesend war. Hailer schrieb, Dodd reiste „infolge eines mysteriösen Fernrufs aus Washington bereits nachmittags wieder ab, ohne seine Rede zu halten”. Viele verließen daraufhin ihre Plätze. Vgl. auch Detroit Free Press vom 26. Januar 1938. „Hitler Strong, Dodd Reports. No Open Opposition Seen in Reich”, sowie Detroit News vom 26. Januar 1938. „Dodd Warns of Fascism. But Call to Washington Prevents Speech”. Dodd hätte angeblich eine weitere Veranstaltung am folgenden Morgen an der Johns Hopkins University in Washington zu halten und müsste deshalb abreisen. 2273 Vgl. L.A. Times vom 31. Januar 1938. „Friends and Foes of Hitler Gather”. Um die 4000 Gästen versammelten sich in der Carnegie Hall, um Dodds und Hamilton Fishs Auftritt beizuwohnen. 2274 Vgl. L.A. Times vom 31. Januar 1938. „Friends and Foes of Hitler Gather”. Mayor LaGuardia wandte sich fernmündlich an die Versammlung. 2275 Vgl. Washington Herald vom 28. Januar 1938. „Dodd Warns Democracies Must Unite“.

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ungeachtet der angeblich dringlichen Lebensraumlage verzweifelt ver- suche, die deutschen Frauen zu mehr Geburten zu zwingen.2276 Weiterhin sammelte das Auswärtige Amt Beweise: Der deutsche General- konsul in Los Angeles meldete seiner vorgesetzten Behörde in Berlin den genauen Hergang der Kundgebung der Hollywood Anti-Nazi League am 30. Januar und das deutsche Generalkonsulat in Chicago bewertete Dodds Engagement, das nur bei jüdischen US-Bürgern und der jüdisch gelenkten Presse wirklich Anklang finde, als reine Geldmacherei. 2277 Mit einem Kurzauftritt am Ende des in den USA Anfang Februar 1938 ausgestrahlten Skandalfilms „Inside Nazi-Germany“, der die deutschen Verhältnisse um Terror und Unterdrückung dem amerikanischen Publi- kum in einer neuen medialen Form näherbringen sollte, schürte William Dodd die Furcht der deutschen Propagandisten. Mit seinem Auftritt, so Dieckhoff, bestätige Dodd als ehemaliges Regierungsmitglied den Wahrheitsgehalt des Filmes vor vielen Zuschauer, die den Inhalten der bewegten Bilder nun umso mehr Glauben schenkten.2278

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2276 Vgl. Washington Daily News vom 2. Februar 1938. „Stork Foils Hitler, Ex-Envoy Dodd Says”. Vor dem Women’s National Press Club erklärte Dodd, dass das Bonus-System der Nationalsozialisten für mehrfache Mütter genauso scheiterte wie die Dezentralisierungs- pläne der städtischen Bevölkerung, die sich auf dem Land ansiedeln solle. 2277 Vgl. Deutsches Generalkonsulat Los Angeles an Deutsche Botschaft, Washington, DC, 4. Februar 1938. PAAA. Pol. IX USA 58. Po2. Band 6 (Best.: R 104980). Der Beamte Gyssling teilte der Botschaft mit, dass Dodd auf dieser Kundgebung sich zur nationalsozialistischen Propaganda in Amerika geäußert und deutsche Vertragsbrüche scharf kritisiert habe. Vgl. Deutsches Generalkonsulat Chicago an das Auswärtige Amt, 19. April 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Der Konsulatsmitarbeiter Baer schrieb, die diesem Schreiben beigefügten Zeitungsausschnitte „[ließen] auch erkennen, welch breiten Raum die für antideutsche Hetzereien stets aufnahmebereite jüdisch beeinflusste hiesige Presse den Ankündigungen der Dodd’schen Vorträge und den Vorträgen selbst eingeräumt hat”. Alle Vorträge seien gut besucht, doch Dodd wolle hiermit lediglich Hass schüren und Geld verdienen. Viele der Zuhörer seien Juden, allerdings werde man Dodd bald durchschauen. „Damit wird aber seine Zugkraft, die er lediglich durch sein ehemaliges Amt und nicht als Persönlichkeit hat, bald nachlassen. Eine ernste Gefahr bedeutet er m.E. für uns jedenfalls nicht”. 2278 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 2. Februar 1938. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 3. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 3). „Die bewußte Absicht der Verhetzung, von der sich die Produktionsleitung bestimmen ließ, geht am deutlichsten aus Folgendem hervor: Man ließ am Schluß des Films den bisherigen Amerikanischen Botschafter in Berlin, Professor D o d d [sic!], im Bilde auftreten, um vor dem Publikum den Beweis antreten zu können, daß das bisher Gezeigte auf Wahrheit beruhen müsse […]. Dass Professor Dodd sich für diese Rolle hergegeben hat, ist selbst für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich und

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Dabei ließ es William Edward Dodd nicht bewenden. In den folgen- den vier Monaten reiste er bis zur körperlichen und psychischen Erschöpfung durch verschiedene Städte und Regionen der USA, um vor der bevorstehenden Annexion Österreichs durch das nationalsozialis- tische Deutschland sowie der ungewissen Zukunft der Tschechoslowakei zu warnen. Nachdem er seinem Freund Judge Moore am 18. Februar von seiner Befürchtung, Hitler werde das östliche Nachbarland vollständig Deutschland einverleiben, erzählt hatte,2279 trat er mit dieser sich sehr bald bewahrheitenden Prophezeiung bezüglich der Tschechoslowakei, Polens und Österreichs wenige Tage später vor ein großes Publikum in Rochester. 2280 Es folgten weitere Auftritte wie an seiner Heimat- universität in Chicago.2281 Aus Dodds Nachlass ist nicht ersichtlich, ob der ehemalige Botschafter tatsächlich, wie er es Senator Pittman Ende 1937 angekündigt hatte, vor das Foreign Affairs Committee des House of Representatives in Washington, DC, getreten war um Zeugnis über die Lage in Europa abzulegen. Allerdings erstatteten die Washington Post und die Washington Times vom 21. Februar beide Bericht, Dodd habe die Repräsentanten der ersten Parlamentskammer über Hitlers und Mussolinis Mittelmeer- und Donauraumpläne sowie Deutschlands Geheimagenten in Südamerika aufgeklärt.2282 Zur selben Zeit erhielt Dodd

______zeigt, wie verschiedenes Andere, daß man das Auftreten dieses Mannes mit den Grenzen des normalen Empfindens nicht in Einklang bringen kann”. 2279 Vgl. Dodd an Moore, 18. Februar 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). „You see what happens to Austria. Next Czechoslovakia. […] Would we not have a strange world if all Europe becomes Fascist, then the Far East falls under control”. Vgl. hierzu Dok. 70, Alfred Jodl, Dienstliches Tagebuch (Auszug) vom 30. Mai 1938 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 197. Jodl berichtet hier über Hitlers Unterschrift unter die Weisung „Grün“, also „seinen Entschluß, die Tschechei in Bälde zu zerschlagen endgiltig [sic!] festlegt u. damit die milit. Vorbereitungen auf der ganzen Linie auslöst”. Vgl. außerdem Dok. 83, Adolf Hitler, Weisung an die Wehrmacht (Auszug) vom 21. Oktober 1938 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 219f. Hitler gab noch im Oktober 1938 den Befehl zur militärisch durchgeführten „Erledigung der Rest-Tschechei“ (S. 219). 2280 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 320. 2281 Vgl. Deutsches Generalkonsulat Chicago an das Auswärtige Amt, 19. April 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Das Konsulat lieferte in diesem Schreiben dem Auswärtigen Amt auch eine Liste aller Auftritte und Inhalte der Vortragstour Dodds durch den Mittleren Westen sowie seine Heimatstadt Chicago. 2282 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 321. Dallek behauptet, zu einem Vorsprechen im Senate Foreign Relations Committee sei es nie gekommen, erwähnt aber nicht ein mögliches Treffen Dodds mit dem House Committee. Vgl. Washington Times

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mehrfach Anfragen seitens des Verlegers des Collier’s Magazine, sein Tagebuch – das offensichtlich als solches existierte – in diesem Verlags- haus zu veröffentlichen. Dodd sträubte sich, vermutlich nicht nur, weil seine Erinnerungen aus Berlin eine Vielzahl der Namen von Personen beinhalteten, die noch lebten oder sich in Amt und Würden befanden.2283 Dies strafte Prentiss Gilberts Aussagen Lügen, der sich vorgeblich um die Sicherheit einiger deutscher Persönlichkeiten in höheren Positionen gesorgt hatte. Dennoch hielt der Botschaftsrat den amerikanischen Außenminister weiterhin bezüglich Dodds schlechter Presse in Deutsch- land auf dem Laufenden.2284 Trotz der deutschen Presseanschuldigungen zu Dodds angeblicher Inkompetenz zeigte sich der deutsche Botschafter in Washington, Dieckhoff, weiter verärgert über den Einfluss des ehemaligen Amtskollegen aus Amerika. Botschafter Dieckhoff schrieb am 1. März emotional aufgebracht in einem persönlichen Brief an von Weizsäcker, es sei ein Skandal, dass die amerikanische Regierung

______vom 21. Februar 1938. „Dodd Confirms Warning House of Hitler Peril”. „[I]n private testimony before the House Foreign Affairs committee in Washington, he [Dodd] revealed a plan by which he said Germany and Italy may try to gain complete control of Danubian Europe and the Mediterranean”. Vgl. Washington Post vom 21. Februar 1938. „Hitler and Il Duce to Partition Europe, Dodd Asserts in Secret”. Dodd habe dem Committee alle Pläne Hitlers und Mussolinis bezüglich der Einnahme der Niederlande, der Schweiz, der Tschechoslowakei, des polnischen Korridors und auch Südamerikas aufgezeigt. 2283 Vgl. Walter Davenport an Dodd, 21. Februar 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN.-FEB., 1938” A-G. Davenport vom Collier’s The National Weekly New York bat Dodd um Erlaubnis, einen seiner assoziiierten Herausgeber einen Blick auf Dodds „diary, clippings, and pictures“ werfen zu lassen. „[…] I do think that with more of your diary in the articles [that Dodd published at Collier’s] you would be more satisfied with the finished product”. Auch William Chenery vom Collier’s drängte Dodd, sein Tagebuch zu ver- öffentlichen. Zum Verfassen eines Tagebuches hatte er selbst Dodd vor seiner Zeit in Berlin geraten: William Chenery an Dodd, 29. März 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MARCH-APRIL, 1938” A-D. „This is the reason I have been so insistent on the use of the diary material. This necessity [to beef up Dodd’s articles on Germany] was in my mind when I urged you years ago at that luncheon at the Century to keep a circumstantial diary record”. Die wiederholten Briefe der Collier’s-Herausgeber an Dodd beweisen, dass Dodd standhaft blieb und eine Veröffentlichung verweigerte. 2284 Vgl. Prentiss Gilbert an Secretary of State, 3. März 1938. (Despatch No. 3905). NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./235. Gilbert übersandte zum Beispiel einen Artikel der Berliner Börsenzeitung vom 27. Februar in Übersetzung „Mr. Dodd, however, since his departure from Berlin, seems to have made the poisoning of German-American relations his life task. […] Dodd, in his time as Ambassador and diplomat in Berlin, was doubtless not particularly successful. His resentment against the New Germany is probably largely due to his personal insufficiency”.

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jemanden wie Dodd tatsächlich nach Berlin entsandt hatte. Die Stim- mung innerhalb der USA sei, entgegen der Darstellungen in der Presse, Deutschland gegenüber nicht dramatisch schlecht: „Herr Dodd laeuft weiter landauf, landab und haelt seine teils ueblen, teils komischen Reden ueber Deutschland, totalitaere Staaten, Demokratie, etc.etc. [sic!]. Ob er will oder nicht, rutscht er immer mehr in das Fahrwasser der aeussersten Linken, und ich glaube nicht, dass er irgendwo sehr ernst genommen wird. Aber es ist schon toll, dass die Vereinigten Staaten sich vier Jahre lang bei uns durch einen solchen Mann haben vertreten lassen. […] Ich lasse mir trotz aller dieser Dinge meine gute Laune nicht verderben. […] Die Reise [durch die USA] hat mir wieder meine bisherige Ansicht bestaetigt, das die oeffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten, was Deutschland anlangt, bei weitem nicht so schlecht ist, wie es in der amerikanischen Presse zum Ausdruck kommt”.2285 Der Monat März bedeutete im Jahr 1938 einen weiteren Wendepunkt für die Außenpolitiker in Washington: Der sogenannte „Anschluss“ Österreichs strafte alle Stimmen in Amerika Lügen, die an die Fried- fertigkeit des deutschen Regimes geglaubt hatten. Die Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung, besonders aber innerhalb der Adminis- tration in Washington war mit diesem Coup Hitlers gekippt. Franklin Roosevelt, so Dieckhoff an Weizsäcker, sei sehr verstimmt. Die hasser- füllte weltanschauliche Gegnerschaft sei in den USA am größten und nun sei die große Frage, welche Rolle Hugh R. Wilson weiterhin zukäme. Der Schlüssel für das zukünftige Verhalten der US-Regierung liege nunmehr in London.2286 „Der Praesident, der uns ja schon lange wenig freundlich gesinnt war, soll durch den oesterreichischen Coup voellig verstimmt sein und glauben, dass der Zeitpunkt nicht mehr fern ist, wo die ‚Demokratien‘ gegen die ‚Diktaturen‘ kaempfen muessen. Er bereitet ganz planmaessig dieses Land ______

2285 Dieckhoff an Weizsäcker, 1. März 1938. PAAA. Pol. IX USA 58. Po2. Band 6 (Best.: R 104980). 2286 Vgl. Dieckhoff an Weizsäcker, 22. März 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Selbst wenn man die alten Fehler eines uneingeschränkten U-Boot-Krieges nicht mehr wiederholte, werden man in den USA Anlass gegen Deutschland finden, und „bei der hasserfuellten weltanschaulichen Gegnerschaft, die in Amerika, glaube ich, schlimmer ist als irgendwo in der Welt, wird es nicht schwer sein, die Flammen lichterloh brennen zu machen. Welche Rolle spielt Hugh Wilson in dieser Situation? Ist etwas darueber bekannt, wie er berichtet?“

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stimmungsmaessig und ruestungsmaessig auf diesen Zeitpunkt vor; die gegenwaertige Flottenvorlage […] ist der erste Schritt in dieser Richtung […]. Ich falle vielleicht in Berlin laestig, wenn ich immer wieder […] darauf hinweise, dass wir mit einer Isolierung Amerikas nicht mehr rechnen koennen. […]”.2287 Von Weizsäcker beruhigte seinen Kollegen in Washington. Wilson scheine fair zu sein und selbstständig zu arbeiten.2288 Zum ersten Mal äußerte der deutsche Botschafter in Amerika Kritik an Sumner Welles, der ebenso verärgert und von den Politikern der britischen Hauptstadt abhängig sei. Letzten Endes aber werde das State Department den neuen Status Quo akzeptieren müssen.2289 Wenn auch die Zusammenarbeit mit Hugh R. Wilson angenehmer sein sollte als mit William Dodd – das hatte die Zusammenarbeit mit ihm in der Helium-Frage bezeugt –, zeigte sich Dieckhoff von seiner ersten Rede vor der American Chamber of Commerce in Berlin höchst enttäuscht: Kein freundliches Wort über Deutschland sei gefallen, wie man es doch von einer solchen Ansprache erwarten habe können.2290

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2287 Dieckhoff an Weizsäcker, 22. März 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Für maßgebliche Verärgerung in der amerikanischen Regierung sorgte der Streit um die Zukunft der Schuldenzahlungen des nunmehr angegliederten Österreichs an US- Gläubiger. Vgl. FRUS 1938, Vol. II. S. 483-502. Die Streichung Österreichs von der Liste der Länder, die Handelskonzessionen nach dem Prinzip der Meistbegünstigung im Handels- verkehr mit den USA genossen, führte zu scharfem Protest von deutscher Seite. Vgl. Ebenda. S. 502-505. Das State Department beharrte in einem Schreiben vom 29. April 1938 an die Deutsche Botschaft in Washington auf der Streichung der Handelsvorteile für Österreich mit unter anderem folgender Begründung: (S. 505:) „It was evident that Austrian trade and payment regulations were being progressively assimilated to the Reich regulations and the effects were immediately felt on American trade”. 2288 Vgl. Weizsäcker an Dieckhoff, 30. April 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). „Mit dem neuen Botschafter haben wir noch nicht genügend Erfahrungen gemacht. Nach den ersten Eindrücken nehmen wir aber an, daß er fair und selbstständig arbeiten wird”. 2289 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 15. März 1938. PAAA. Pol. IX USA 58. Po2. Band 6 (Best.: R 104980). „Der Ärger im State Department und die ohnmächtige Wut, die in einem grossen Teil der Presse gestern und heute zum Ausdruck kommen, ändern natürlich nichts daran, dass man hier die Wiedervereinigung Oesterreichs mit dem Reich als eine vollendete Tatsache ansieht, mit der man sich abzufinden hat”. 2290 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 20. April 1938. Inhalt: Rede des Botschafters Wilson in Berlin am 13. April. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). „Ich persoenlich finde sie [die Rede Wilsons] als Darlegung des amerikanischen Standpunktes klar und richtig, bin nur erstaunt, dass sie kein einziges freundliches Wort ueber

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William Dodd erlebte laut Bailey eine weitere Welle der Anerkennung, weil sich signifikante Aspekte seiner Prophezeiung zu erfüllen be- gannen. 2291 Neuen Anfragen zu möglichen Auftritten kam er gerne nach, auch wenn sein Gesundheitszustand, so gestand er es seiner Frau ein, sich zunehmend verschlechterte.2292 Die Fülle der Reisen und Reden sowie der wachsende Druck, mit Einsetzen der ersten außen- politischen Expansionserfolge der Nationalsozialisten die Mehrheit der amerikanischen Bürger zu erreichen, wogen schwer auf seinen Schultern. Umso verbissener verfolgte er seinen Kreuzzug, je stärker dieser Druck wurde. Zum wiederholten Male predigte er eine Allianz der USA mit Großbritannien und Frankreich. Die Sowjetunion nämlich könne unter dem Druck der faschistischen Diktaturen dazu tendieren, selbst faschis- tisch zu werden: „[T]he only escape from a world alliance of Fascist powers is a three-cornered understanding between the United States, Great Britain and France”.2293 Das Auswärtige Amt verfolgte weiterhin die Aktivitäten William Edward Dodds in den USA. Das deutsche Generalkonsulat in Chicago dokumen- tierte Dodds Redetour durch den Mittleren Westen sowie seine Auftritte vor Ort in seiner langjährigen Heimat, die alle besonders gut besucht seien.2294 Das deutsche Konsulat in St. Louis kam zu dem Schluss, dass für Dodd die Demokratie mehr bedeute als der Schaden für die Welt, den er mit seinen Ansprachen bewirke, und er lediglich auf seine weitere Karriere bedacht sei. Zu seinen Zuhörern gehörten auch viele Mitglieder

______Deutschland und sein Staatsoberhaupt enthaelt, wie es doch bei einer derartigen Antrittsrede eines Botschafters ueblich zu sein pflegt”. 2291 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 190. 2292 Vgl. Dodd an Mattie Dodd, 3. März 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern (Mrs. William E. Dodd, Sr.) July 3, 1936 – Mar. 29, 1938 + undated. „My throat is a little better. […] However, I do feel that I must keep appointments. Every time thus far the crowds are so large that great numbers have not been able to get into the halls”. 2293 Globe Democrat St. Louis vom 4. März 1938. „Dodd Urges 3-Power Anti-Fascism Pact”. Dodd äußerte diese Vorschläge und Warnungen vor der St. Louis League of Women Voters. Vgl. auch New York Post vom 14. März 1938. „Czech Coup Delay Foreseen by Dodd”. In dieser Rede in der Town Hall in New York City wies der ehemalige Botschafter auf die Rolle der Sowjetunion im Kampf der Demokratien gegen den Faschismus hin. 2294 Vgl. Deutsches Generalkonsulat Chicago an das Auswärtige Amt, 19. April 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981).

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der höheren Gesellschaftsschichten und viele Frauen.2295 Die deutschen Behörden kannten William Dodd offensichtlich schlecht: Mit einer weiteren politischen Karriere rechnete der gesundheitlich angeschlagene, ehemalige Botschafter nicht mehr. Dieses Engagement war darüber hinaus nicht nur auf ihn als einzigem Mitglied seiner Familie begrenzt. Seine Kinder, Martha und William, Jr., engagierten sich wie der Vater für eine Veränderung der amerikanischen Deutschlandpolitik. Die Washington Times stellte mit Erstaunen fest, dass die beiden Dodd- Geschwister Druck auf Cordell Hull ausübten, das Waffenembargo gegen- über Spanien aufzulösen.2296 William Dodd vertraute kurz darauf seiner Tochter an, dass Hull eine Änderung des Neutralitätsgesetzes anstrebte, allerdings zu viele verschiedene Interessensparteien im Kongress am Werk seien, die dies zu verhindern wüssten. Die Bevölkerung sei dahin- gegen bereits auf eine Änderung des Neutralitätsgesetzes eingestellt.2297 Das Auswärtige Amt reagierte umgehend auf diesen Schritt Marthas und Wills. Hans Heinrich Dieckhoff verfügte, dass beide Kinder des ehe- maligen Botschafters nie mehr ein Visum für die Einreise in Deutschland erhalten sollten.2298 Der Schreck in Berlin über diese offene Kritik der ______

2295 Vgl. Deutsches Konsulat St. Louis an das Auswärtige Amt, 10. März 1938. PAAA. Pol. IX USA 58. Po2. Band 6 (Best.: R 104980). Der Konsularbeamte Wildegen schloss aus Dodds Auftritten in St. Louis: „Im ganzen genommen die Haltung eines Mannes, dem die demokratische Freiheit, alles zu reden was einer will, hoeher steht, als die Ruecksicht auf den Schaden der in der Welt dadurch angerichtet werden kann. Etwas deutlicher auf sich selbst bezogen, die Haltung eines Amerikaners, der fuer seine weitere politische Laufbahn populaer werden will”. 2296 Vgl. Washington Times vom 26. März 1938. „Dodds in Plea for Spain Arms”. „The son and daughter of former Ambassador William E. Dodd […] will appeal to Secretary of State Hull to lift the ban on the sale of arms to loyalist Spain. Miss Martha Dodd and her brother, William E. Dodd, jr., will be in a group of representatives of the League of American Writers who will make the plea”. 2297 Vgl. Dodd an Martha Dodd, 1. April 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern Aug. 3, 1937 – Dec. 28, 1951. „I saw Secretary Hull this morning. He agrees with our organization about changing the Neutrality law; but said groups of members of Congress insist that their states are against any change. The Secretary said, however, there are hundred special privilege secret groups here working secretly with Congressmen. These, he said, give more trouble than the states. He agreed with me that the people have already changed their attitude”. 2298 Vgl. Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 25. Mai 1938. Inhalt: „Deutschfeindlicher Artikel von Martha Dodd in der Zeitschrift ‚Companion‘“. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981). Nachdem Dieckhoff bereits am 23. Mai (Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 23. Mai 1938. PAAA. Pol. IX USA 59. Po2. Band 7 (Best.: R 104981)) über einen „deutschfeindlichen“ Bericht in der Chicago Times berichtet hatte, hatte er nun die

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Familie Dodd musste tief sitzen. Dallek meint, angesichts der riesigen Zuhörerschaften und der positiven Resonanz der Bürger auf Dodds Handeln habe die deutsche gelenkte Presse umgehend zu einem Gegen- propagandaschlag ausgeholt. Dabei beeinflusste Dodd nach Erkenntnis Dalleks vor allen Dingen die ohnehin internationalistisch denkenden Amerikaner.2299 Doch ist diese Annahme, dass Dodds wachsende Einfluss- nahme auf überzeugte Internationalisten allein beschränkt war, zu bezweifeln. Nicht alle Zuhörer und Zuschauer auf Großveranstaltungen mit Anwesenheitszahlen im oberen vierstelligen Bereich konnten über- zeugte Internationalisten sein, die Dodds Berichten aus Deutschland mit Staunen folgten. Es lässt sich selbstverständlich aus den Quellen nicht belegen, welche politischen Gesinnungen William Edward Dodd Gesamtpublikum vertrat. Wichtig ist jedoch, dass der progressive Histo- riker landesweit Massen für ein internationalistisches Politikprogramm Roosevelts und Hulls zu mobilisieren wusste, wovon der Präsident mit seinen beginnenden Flottenbauplänen unmittelbar und in den Folge- jahren mittelbar profitiert haben dürfte.2300 Die Haltung Roosevelts zu diesen Aktivitäten seines ehemaligen Reprä- sentanten in Berlin in jenen Monaten des Frühjahrs 1938 ist ungeklärt. Fest steht, dass er auf Dr. Dodds Anfragen zu einem Treffen nur mit Negativbescheiden antwortete.2301 Der Präsident sei für jeden nur schwer erreichbar, tröstete R. Walton Moore seinen progressiven Mitstreiter.2302 Bailey vermutet, das amerikanische Staatsoberhaupt sei vor allen Dingen

______Konsularbehörden in den USA und Kanada gebeten, Martha und ihrem Bruder keine Visa zu gewähren. William Dodd, jr., sei sogar „Vizepräsident der Anti-Nazi League“ und trete öffentlich mit Kritik an Deutschland auf. 2299 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 321f. 2300 Vgl. hierzu SIROIS: Illusion und Krieg. S. 170-220 zu Roosevelts „Krieg der Worte“ mit Hitler 1939 bis Dezember 1940 und Roosevelts „Great Arsenal of Democracy“ für die Westmächte. 2301 Vgl. Dodd an Moore, 26. April 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). „I have wished to talk over European affairs and the reactions to my addresses with the President. Except the one short conversation in early January, I have not spoken with him. Three times I have indicated my hope to go over matters with him, and each time I was told he would see me in a few days”. 2302 Vgl. Moore an Dodd, 27. April 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). „I do not see the President very often and he is now so very busy in advance of starting on a short vacation on Saturday that it does not seem possible for him to make any appointments for the immediate future. […] I regret, as I always do, whenever I have to write you in a very unsatisfactory manner”.

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mit der Preparedness-Kampagne beschäftigt gewesen. Er galt nach seiner Quarantänerede in isolationistischen Kreisen bereits als Kriegstreiber und wollte durch einen engen Kontakt zu Dodd diese Gerüchte nicht weiter schüren.2303 Für Dallek bestand die Möglichkeit, dass Roosevelt die Angst umtrieb, sich öffentlich zu Dodds Aussagen zu bekennen und damit die hart erkämpfte öffentliche Position in der Mitte zwischen Isolationisten und Internationalisten zu verlieren. 2304 Angesichts der jahrelangen Unterstützung Dodds durch den Präsidenten scheint es unlogisch, dass Roosevelt absichtlich nicht zu einem Treffen – zum Beispiel einem wenig medienwirksamen in seinem Privathaus in Hyde Park – bereit war. Dies umso mehr zumal alles, was Dodd tat, seiner Meinung von Deutschland und den Handlungsoptionen einer zukünf- tigen amerikanischen Außenpolitik entsprach und die Bevölkerung auf weitere Schritte vorbereitete. Wahrscheinlicher ist, dass Roosevelt angesichts von seiner Preparedness-Aktion und der wirtschaftlichen Rezession kaum Freiraum für ein Gespräch mit seinem ehemaligen Botschafter zur Verfügung hatte und ein solches Treffen auch angesichts der dringend zu lösenden Probleme natürlicherweise keine Priorität besaß. William Dodd zeigte sich dennoch enttäuscht, zumal er gleich- zeitig immer noch mit George Messersmith bezüglich des ausstehenden letzten Gehaltsschecks in Kontakt stand, dessen Versendung sich weiter bis Ende Juli verzögerte. Dodd vermutete, dass jemand im State Department absichtlich diese Verzögerung erwirkte. Messersmith wies jede Schuld der Behörde von sich. Intern gab er jedoch die Weisung, Dodd habe diese Verzögerung aus mangelnder Sorgfalt und aufgrund eines Missverständnisses selbst verschuldet. Die Angelegenheit sei jedoch rasch zu einem Abschluss zu bringen.2305 ______

2303 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 194. Vgl. auch Roosevelts Rechtfertigung bezüglich der Quarantänerede auf einer Pressekonferenz „The Fourth Hundredth Press Conference”. October 6, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 130. S. 414- 425. Vgl. u.a. S. 425: Besonders interessierte die Journalisten, ob Roosevelt mit Quarantäne auch Sanktionen meinte, an denen die USA teilnehmen würden. Der Präsident verneinte. Roosevelts Antworten blieben ausweichend und kryptisch. Auf die Frage eines Reporters „Better, then, to keep it in a moral sphere?” antwortete der Präsident „No, it can be a very practical sphere”. 2304 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 322. 2305 Vgl. Dodd an Lawrence C. Frank, Chief State Department Bureau of Accounts, 6. April 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MARCH-APRIL, 1938” A-D. Aufgebracht beschwerte sich Dodd über die ihm aus dem überstürzten Umzug in die USA entstan- denen Kosten. „Then somebody in the Department persuaded the President to ask my return

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Nach einer letzten Rede am 27. April vor der New York Student Strike for Peace – Organisation zog sich William Edward Dodd vollkommen erschöpft Anfang Mai auf seine Farm in Stoneleigh, Round Hill, Virginia, mit dem Gefühl zurück, vielleicht in Augen des Präsidenten doch nicht genug erreicht zu haben. 2306 Die Meinung Roosevelts wog für ihn schwerer als sämtliche Preise, die er im April für sein Engagement erhalten hatte.2307 Deshalb war auch der US-Präsident einer der ersten, die einen persönlichen Brief Dodds erhielten, nachdem er seine Frau Mattie am Morgen des 28. Mai 1938 leblos aufgefunden hatte. Mattie sei in Deutschland herzkrank geworden und habe, sechs Jahre jünger als Dodd, die Strapazen in Berlin am schlechtesten vertragen.2308 In einem

______at the end of December 1937. Notice was given me in less than a month’s time after my arrival. The Secretary of State’s name was used without his knowledge so I have been informed. I had then to bear extra costs and ship all that new furniture over here”. Vgl. Messersmith an Dodd, 20. Juni 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MAY-JULY, 1938” K-Z. „I have had this matter gone into very carefully and I find that the difficulty is not in this Department but in the General Accounting Office. […] Your impression that someone in this Department may have been holding up the account I find is without any ground. On the other hand we have been and are doing everything to facilitate settlement”. Vgl. auch Messersmith an Frank, 17. Juni 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./243. „I do not know what is holding up this but, if my memory serves me right, it was due to the failure of the Ambassador himself to do certain necessary things. In any event, the settlement of the account should be facilitated as much as possible. […] If there is anything that Mr. Dodd must do to facilitate the settlement, we will have to explain it to him very carefully as he seems to have little comprehension of matters of this kind”. 2306 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 191. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 322f. 2307 Vgl. zum Beispiel Harold Riegelman an Dodd, 8. April 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MARCH-APRIL, 1938” N-Z. Zahlreiche jüdisch-amerikanische Organisationen würdigten Dodds Auftreten mit Preisen wie diesem Award „by a jury of thirty editors of Anglo-Jewish newspapers and magazines”. Auch Franklin Roosevelt und Felix Warburg hatten diese Auszeichnung erhalten. Riegelman begründet die Verleihung an Dodd mit den Worten: „Our first choice is Dr. William E. Dodd, former ambassador to Germany, because of his forthrightness in stating his views against oppression and injustice, sacrificing his position on the altar of democracy and humanity, an outstanding example of putting American principles in practice”. 2308 Vgl. Dodd an Roosevelt, 29. Mai 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „Hearty thanks for your May 28th telegram. It was an amazing event to me: death when physicians had said there was no immediate danger. […] It was plain that she had been dead nearly twelve hours, sudden heart failure, not even a call to me in next-door room! Now I am alone where we had expected to live at least ten years more, she six years younger than myself”. Vgl. auch

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unglaublichen Kraftakt habe die Mutter und Ehefrau die Familienmit- glieder in der beschwerlichen Zeit in Berlin zusammengehalten, erinnerte sich Martha Dodd in ihrem Tagebuch. Sie habe das Haus der Dodds zu einer sicheren Anlaufstelle für alle Besucher gemacht, sei selbst an politischen Themen interessiert gewesen und habe Menschen schneller und präziser als ihr Mann einzuschätzen gewusst.2309 Als engste Vertraute William Dodds litt sie mehr als die ganze Familie, berichtet Martha, sei aber dennoch allen sozialen Verpflichtungen nachgekommen und habe anders als Marthas Bruder Bill, der die Atmosphäre in Berlin schon 1935 nicht mehr hatte ertragen können, nicht aufgegeben.2310 Matties Gesundheit, so ihre Tochter, sei durch den erlebten Terror und die An- strengungen in der deutschen Hauptstadt ruiniert worden. Die gesamte Familie bekämpfte den Faschismus, am Ende jeder für sich selbst.2311 Für William Dodd war Mattie mehr als nur ein Ehepartner gewesen. Ihr Tod stürzte ihn in einen gesundheitlichen Abgrund, aus welchem er sich fortan bis zu seinem Ableben nicht befreien konnte. Von Mai 1938 bis Juli 1939 verschlechterte sich seine eigene Gesundheit, deren Probleme er wegen der festgelegten Redetermine immer wieder beiseiteschob, rapide bis ein vollständiger physischer Kollaps eintrat, woran weitere Schicksals- schläge ihren Teil der Schuld trugen.2312 Von Seiten der Verwandtschaft, allen voran seiner Kinder, erhielt er alle nötige Unterstützung und Zuspruch: „We alle love you dearly, we take pride in your wonderful accomplishment, and we anticipate great things still from your pen. Please do not break under this stroke but carry on in just the way she would have had you do”.2313 Doch nach Matties Tod litt der renommierte

______Blueridge Herald vom 2. Juni 1938. „Mrs. Dodd developed heart disease while with her husband in Germany, but friends said she had appeared in good health recently”. Vgl. auch Dodd an Rose J. West, 2. Juli 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JULY-SEPT., 1938” H- O. „Our doctor in Berlin had said to her that she had heart trouble, but it was only necessary to be careful, not walk too far or climb steps too fast”. 2309 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 365ff. 2310 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 368f. 2311 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 370f. 2312 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 186 und 191. 2313 Herman und Ida Horne an Dodd, 31. Mai 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MAY- JULY, 1938” A-J. Herzliche Worte schrieben ihm zum Beispiel sein Cousin Herman und seine Cousine Ida. Die Familienverhältnisse der Dodds sind generell als sehr gut und herzlich zu beschreiben.

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Historiker in seinem Kampf für eine aktivere amerikanische Rolle vor allen Dingen an einer Sache: Einer nie dagewesenen Einsamkeit.2314 Dies war jedoch kein Grund für ihn aufzugeben. William Dodd begab sich im Juni auf eine weitere Redetour, auf der er Colleges und Universitäten landesweit besuchte und den Studenten anhand der Unterschiede des nationalsozialistischen zum amerikanischen Bildungssystem die Gefahren erklärte, die vom totalitären Herrschaftssystem ausgingen.2315 In Radioan- sprachen vermittelte der progressive Demokrat einen Eindruck von den Ausmaßen der nationalsozialistischen Propagandaorganisationen und begann über die American Civil Liberties Union Einfluss auf das neu begründete House Committee on Un-American Activities unter Leitung des Abgeordneten Martin Dies zu gewinnen, das sich allerdings vor- zugsweise mit kommunistischen Aktivitäten in den beiden Amerikas befasste. 2316 Dodd hielt an der Idee fest, dass von den deutschen Intellektuellen ein besonderes Potential ausging, und versuchte einigen von ihnen die Emigration in die USA zu ermöglichen. Diese Versuche scheiterten an den strikten Einwanderungsquoten, an denen das State Department auch 1938 festhielt, sowie an den Vorurteilen einiger Beamter, die hinter der Auswanderungsabsicht vieler Deutscher keine hehren Ziele vermuteten.2317 Ein weiteres Ereignis sollte William Dodd zutiefst frustrieren. Sein Sohn William hatte sich dafür entschieden, eine politische Karriere anzustreben und kandidierte im Juli 1938 gegen den Kongressabgeord- neten Howard W. Smith für das Primary im Staate Virginia für dessen Nachfolge als Abgeordnetenkandidat des achten Distriktes. Smith war

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2314 Vgl. Dodd an Rose J. West, 2. Juli 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JULY-SEPT., 1938” H-O. Dodd schrieb einer Freundin der Familie in Berlin Wilmersdorf: „However, she is gone and we have to rearrange our affairs and I live quite alone here”. 2315 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 323f. 2316 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 324. Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 280-284 zum House Committee on Un-American Activities unter Leitung des texanischen Demokraten Martin Dies und den kommunistischen Aktivitäten in den USA. Vgl. auch MORGAN: FDR. S. 493f. Morgan erkennt in Dies‘ Aktivitäten den Beginn der investigativen Techniken der späteren Politik des Senators Joseph McCarthy. Martin Dies hatte sich als ursprünglicher Roosevelt-Anhänger gegen die New Deal-Politik des Präsidenten gewendet und verfolgte gewerkschaftlich organisierte und durch den New Deal gestärkte Arbeitnehmer als mutmaßliche Kommunisten. 2317 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 325.

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ein ernstzunehmender Gegner des New Deal-Programmes. 2318 Dallek behauptet, Roosevelt habe alle liberalen Politiker – wie Harry Hopkins, Harold Ickes und seinen eigenen Sohn James – aus taktischen Gründen im Wahlkampf unterstützt, um die Partei von konservativen Abgeordneten zu befreien, sich allerdings sonst – vielleicht als Folge des Court Packing- Konfliktes – aus innenpolitischen Streitigkeiten 1938 herausgehalten und deshalb Will Dodd nicht weiter gefördert. 2319 Hierauf entgegnet Bailey, der Präsident persönlich habe Harold Ickes und Assistant Attorney General Robert N. Anderson zu Wills Unterstützung entsandt.2320 Auch Josephus Daniels glaubte an einen Sieg des jungen progressiven Dodd, der als Abgeordneter für den konservativen Staat Virginia eine große Kehrtwende bedeuten würde.2321 Doch Will Dodd, der mit dem Slogan „Democrats Vote Dodd, Right with Roosevelt“2322 hoffnungsvoll kandi- diert hatte, scheiterte. Vater Dodd war untröstlich. Die Niederlage des Sohnes erschien ihm gleich einer Niederlage der demokratischen Kräfte in Amerika, vielleicht galt sie ihm sogar, wie Dallek vermutet, als ein Zeichen dafür, dass Roosevelt, den er nach seiner Rückkehr immer noch nicht persönlich getroffen hatte, unter dem Einfluss der konservativen Beamten des State Departments stand.2323 Seine Freunde sprachen ihm Mut zu. Moore, der die Niederlage des Sohnes angesichts des starken Kandidaten Smith und seines politischen Netzwerkes vorhergesehen hatte, drängte ihn, mehr Zeit mit ihm zu verbringen, um auf andere Gedanken zu kommen.2324 Handelsminister Daniel Roper war es letztlich,

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2318 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 192f. 2319 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 322. 2320 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 193. 2321 Vgl. Daniels an Dodd, 8. Juni 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „MAY-JULY, 1938” A-J. „[Y]our son has a good chance to secure a Congressional nomination”. 2322 Vgl. William Dodd, Jr. an Dodd, 19. July 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JULY- SEPT., 1938” A-G. 2323 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 322 und 326. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 193. 2324 Vgl. Moore an Dodd, 23. Juli 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JULY-SEPT., 1938” H-O. „I must reluctantly tell you that I have not changed the view expressed to you at the outset about your son’s candidacy. I then told you frankly that under the circumstances I did not believe he had any chance of winning and nothing has occurred since to change my opinion. […] I hope to take two or three weeks away from the perpetual grind here and then nothing would give me more pleasure than to have you spend a few days with me in Fairfax. I wish to see more of a man whom I have the respect and affection I entertain for you”.

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der mit seiner Einladung in sein Haus Dodd dazu veranlasste, neuen Mut zu fassen und eine weitere Tour durch Amerika, diesmal durch den Mittleren Westen und den Nordosten des Landes, für den Herbst zu planen.2325 Judge Moore hatte Dodd versichert, dass der Präsident nur Gutes über seinen ehemaligen Botschafter spreche und denke, und signalisierte ihm so die Wahrscheinlichkeit eines baldigen Treffens mit Roosevelt.2326 Für ein weiteres Engagement fanden sich auch politische Gründe. Douglas Miller, Handelsattaché der US-Botschaft in Berlin, der ebenso wie andere Kollegen an der Freundschaft zu Dodd und seinen Sach- kenntnissen festhielt – er bat ihn, einen Jahresbericht der Botschaft durchzusehen – , warnte im August seinen Freund davor, Hitlers Pläne zur Zerschlagung der Tschechoslowakei verdichteten sich.2327 Alarmiert wurde Dodd zudem durch einen Freund in Berlin, T.H. Tetens, der über die Verbreitung der nationalsozialistischen Propagandaaktivitäten in den USA geforscht hatte und sicher war, dass Deutschland langfristig die Weltherrschaft anstrebte. 2328 Dodd leitete diesen Brief inklusive der Forschungsergebnisse über Judge Moore an das State Department

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2325 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 193. 2326 Vgl. Moore an Dodd, 22. August 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). „I am certain that the President has never, even remotely entertained such views as that expressed by the author of the nasty letter [from M.H. Carter to Dodd, accusing him of wrong views against Germany, on 17 August 1938]. […] [N]o one who has been or is in public life need feel much concern about the abusive criticism in which they [a lot of cranks] indulge”. 2327 Vgl. Douglas Miller an Dodd, 9. August 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JULY- SEPT., 1938” H-O. „I hope in the meantime you have had the time to glance through my last annual review. […] It looks to me as if Hitler will largely get his way in the question of Czechoslovakia by the end of this year. […] [T]he Czech government will not be able to withstand Sudeten-German demands for a plebiscite […]. This will be the opening wedge and should bring Czechoslovakia into the German orbit by Christmas. I do not expect either the French or the English to do anything serious about it […]”. 2328 Vgl. T. H. Tetens an Dodd, 9. August 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). „For the past four years I have been working as a specialist in the field of Nazi propaganda abroad. I studied Nazi propaganda in Europe for two years and for a further two years, from 1936 to 1938, studied Nazi propaganda in South America. […] On the basis of my experiences, I can say today that Nazi activity here in the U.S.A. is many times greater than I have ever encountered it in any other country. […] It is very hard to make clear to the average American the significance of this problem”.

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weiter.2329 Umgehend bat er um einen Termin bei Roosevelts Sekretär, vorsätzlich um mit dem Präsidenten die politische Zukunft Virginias – sicher aber auch die Weltlage – zu diskutieren.2330 Nicht nur William Dodd zeigte sich überzeugt, dass konkrete Gefahr im Verzug war: Botschafter Hugh R. Wilson schrieb seinem Präsidenten Ende August 1938 einen dringlichen Brief, in dem er von einer permanenten Truppen- bereitschaft der deutschen Armee berichtete, die keine Frühwarnzeichen oder Vorlaufzeit durch die sonst üblichen Mobilmachungsbewegungen im Kriegsfall möglich machen würde.2331 Der vormals von den deutschen Friedensabsichten so überzeugte William Bullitt war im September in die Kritik geraten, da er sich für ein Eingreifen der USA im Kriegsfall auf Seiten der Westmächte ausgesprochen hatte. Hull mahnte Bullitt zur Vorsicht bei weiteren Auftritten.2332 Obwohl alle Zeichen auf einen nächsten gewichtigen Schritt national- sozialistischer Expansionspolitik standen, kam es zu keinem Treffen mit Präsident Roosevelt, der seinen Sekretär aber angewiesen hatte, ein solches bald vor oder nach Dodds Redetour im September und Oktober

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2329 Vgl. Dodd an Moore, 14. August 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). 2330 Vgl. Dodd an Roosevelt, 9. August 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. Tatsächlich wies Roosevelt seinen Sekretär McIntyre an, einen 15-minütigen Termin mit Dodd alsbald anzuberaumen: Roosevelt an McIntyre, 31. August 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. 2331 Vgl. Hugh R. Wilson an Roosevelt, 31. August 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: Wilson, Hugh R.: Mar.-Nov. 1938. „It appears that mobilization, in the old sense of the word, will no longer be in Germany a prelude to offensive action. The Army is now in a continually mobilized condition and troops can be sent on a march directly from their barracks for a given destination […]. This means that if action is taken, in all probability we will have news of it only in reports of military movement some six or eight hours before military action is engaged in”. 2332 Vgl. Memorandum einer Telefonkonferenz zwischen Hull und Bullitt, 2. September 1938. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Bullitt. Bullitt bat Hull um Rat bezüglich des Inhaltes einer Rede, die er am folgenden Sonntag halten wollte. Hull gab Roosevelts Entscheidung weiter, der Satz „But as I said on the twenty-second of February, 1937, it is impossible to be certain that if war should break out in Europe the United States would not be forced into it as we were forced into the War in 1917” müsse gestrichen werden. Bullitt widersprach heftig, denn „it seems to me it looks as though we were pulling out of all responsibility”, doch Hull bestand auf der Streichung.

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zu arrangieren.2333 Mit den weitergeleiteten Informationen an das State Department sollte der ehemalige Botschafter ebenso wenig Glück haben. Auf Messersmith habe Tetens keinen zuverlässigen Eindruck gemacht, so Moore, 2334 und Pierrepont Moffat hatte dem Counselor of the State Department mitgeteilt, dass weder Navy, War noch State Department an Tetens‘ Studie zur deutschen Propagandapolitik Interesse zeigten.2335 Moore begründete Dodd gegenüber diese Haltung mit der Tatsache, dass das Dies-Committee seine Arbeit aufgenommen habe und sich speziell mit den nationalsozialistischen Propagandatätigkeiten beschäf- tigen werde.2336 Verständlicherweise fühlte sich Dodd zum wiederholten Male von Department und Regierung zurückgesetzt. Dabei half weder die private frohe Botschaft, dass seine Tochter sich mit dem wohlha- benden New Yorker Alfred Stern verlobt hatte, 2337 noch die traurige Bestätigung seiner Vorhersagen, dass Hitler im September 1938 tatsäch- lich seinen Coup gegen die Tschechoslowakei wagte und das Sudetenland dem „Dritten Reich“ einverleibte.2338 Zeitungen landesweit lobpreisten William Dodds hellseherische Fähigkeiten.2339 Ab Oktober trat er im Mittleren Westen vor den größten Publikumszahlen auf, die er je bei ______

2333 Vgl. Roosevelt an McIntyre, 31. August 1938. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. 2334 Vgl. Moore an Dodd, 16. August 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). 2335 Vgl. Moffat an Moore, 17. August 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). „You will note that neither War nor Navy were interested in his [Tetens’] material and that we wrote him that the Department is not interested in acquiring it”. 2336 Vgl. Moore an Dodd, 18. August 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). 2337 Vgl. Ausschnitt von Zeitungsanzeige ohne Datum, Dodd verkündet „Marriage of His Daughter Martha to Mr. Alfred Stern” am Sonntag, den 4. September 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „SEPT.-OCT., 1938” A-L. 2338 Vgl. FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 302ff. zu den Reaktionen in der Öffentlichkeit und zur außenpolitischen Kehrtwende der US-Regierung nach der Münchener Konferenz. S. 303: „The Munich crisis became a benchmark in the history of American foreign policy and military policy. Beginning with Roosevelt, generations of American leaders exerted themselves to make sure nothing like Munich would again take place”. 2339 Vgl. zum Beispiel Knife and Forker Texas vom October 1938. „Dr. Dodd predicted Germany’s rush into Austria months before it happened, and has firmly believed that Germany intended other conquests. How well founded this belief was has been shown by recent events in Czechoslovakia. The former ambassador has been swamped with requests for speaking engagements […]”.

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seinen Reden erlebt hatte.2340 Andere progressive Politiker standen offen- siver denn je an seiner Seite und teilten die Meinung, dass nun syste- matisch gegen Hitler und die Nationalsozialisten vorgegangen werden müsse: Der US-Botschafter in Spanien, Claude Bowers, der sich über faschistisch gesinnte Botschaftsmitglieder der USA im Ausland beklagte, wetterte in emotionalen Briefen an Dodd gegen die Appeasementpolitik des Westens und den Ausverkauf von München2341: „How completely you have been vindicated by the criminal events in Czeckoslovakia [sic!]. That was inevitable. I note that your successor, a great ‘career man’ recently gave a dinner in honor of that putrid little pup Lindberg [sic!] in Berlin […]. I have come to this blunt conclusion that fully 90 per cent of the career men […] are 100 per cent fascist. […] I am quite positive that this has made me throughly [sic!] hated by certain people in the Department. […] To hell with neutrality in a clear cut fight between democracy and fascism, between international law and anarchy, between legality and crime. […] The ‘Peace of Munich’ reduced France to a miserable second class power over night […]. […] A century and a half ago that ‘Peace’ would have sent Chamberlain to the Tower and Daladier to the guillotine. […] You are dead right about the facist [sic!] danger at home. […] I am rather tired. […] And this facist [sic!] atmosphere of the snobs is killing”.2342 Judge Moore zeigte sich verärgert über die Tatsache, dass die USA von der Weltöffentlichkeit auf der Seite der „Appeaser“ wahrgenommen wurden.2343 Auch die folgenden Ereignisse des Jahres 1938, insbesondere die „Reichskristallnacht“, in der die Verfolgung, Tötung und Diskrimi- nierung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland einen unsagbar

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2340 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 194. 2341 Dies bezog sich auf die Münchener Konferenz vom 29. bis 30. September 1938 über die Abtretung des Sudentengebietes an das Deutsche Reich. Siehe die Ausführungen weiter unten im Text. 2342 Bowers an Dodd, 3. November 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „NOV. 1, 1938 - JAN. 1, 1939” A-L. 2343 Vgl. Moore an Dodd, 8. November 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „NOV. 1, 1938 - JAN. 1, 1939” M-Z. „Except for being prepared for all eventualities, short of the use of force, I do not see there is much for us to do beyond talking, to check the destructive processes now at work in Europe and Asia. Sometimes I fear we talk too much and give the impression of acquiescing in, rather than opposing, some of those processes. For example, I was sorry the other day that King George in his speech apparently sought to create the impression that our influence was important in bringing about the Munich arrangement”.

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schrecklichen Höhepunkt bezeichneten, 2344 bestätigten zwar Dodds düstere Zukunftsvisionen, bewirkten jedoch noch keine vollständige Kehrtwende hin zu einer offensiv-präventiven amerikanischen Deutsch- landpolitik.2345 Hugh R. Wilson wurde vor allem auf George Messersmiths Drängen hin auf unbestimmte Zeit „für Konsultationen“ nach Washington zurück- berufen2346 und von der Presse als „Appeaser“ auf Seiten Hendersons ______

2344 Vgl. die Berichte der amerikanischen Botschaft in Berlin, in Paris und des Konsulates in Wien über die Verschärfung der Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung 1938 bis zu den Pogromen FRUS 1938, Vol. II. S. 355-395. Vgl. zu den Pogromen und ihren Folgen die Berichte ebenda. S. 395-418. Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 167f. Die Pogrome bewirkten in den USA keine Änderung der Einwanderungsregularien für jüdische Flücht- linge, weil laut Dallek der amerikanische Präsident in seinem Handlungsrahmen durch strikte Auffassungen im Kongress, dem State Department und der US-Bevölkerung hinsichtlich der Einwanderungsgesetze eingeschränkt war. Vgl. auch SIROIS: Illusion und Krieg. S. 126-134 insbesondere zu den Reaktionen der US-Regierung und in der Öffentlichkeit auf die „Reichskristallnacht”. Vgl. auch GRAML, Hermann: Effekte der „Reichskristallnacht“ auf die britische und amerikanische Deutschlandpolitik. In: Zeit- schrift für Geschichtswissenschaft 46,11 (1998). S. 991-997. Vgl. hierzu auch DAVIS: Into the Storm. S. 364-372.Vgl. zur Hintergrundgeschichte und den Auslösern der Pogrome LEUCHTENBURG: New Deal. S. 285. Vgl. Dieckhoffs Bericht zu den Reaktionen in den USA in Dok. 88, Hans Heinrich Dieckhoff an das Auswärtige Amt, Telegramm vom 14. November 1938 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 230f. S. 230: „Was mir besonders auffällt, ist, daß mit wenig Ausnahmen die anständigen nationalen Kreise, die durchaus antikommunistisch und zum großen Teil antisemitisch eingestellt sind, anfangen sich von uns abzuwenden […,] Männer wie Dewey, Hoover, Hearst und viele andere […]”, und vgl. BROSZAT/FREI: PLOETZ. S. 120 zum Ablauf und den Folgen jener Nacht. 2345 Vgl. GRAML: Effekte der „Reichskristallnacht”. S. 992f. Graml sieht hier zwar eine drastische Veränderung der deutsch-amerikanischen Beziehungen, aber noch nicht ihren Abbruch verortet. Ereignisse wie die Pogrome ermöglichten es Roosevelt jedoch später, argumentativ eine „Germany First“-Strategie zu verteidigen. 2346 Vgl. die offizielle Aufforderung zur Abreise aus Berlin durch Hull in FRUS 1938, Vol. II. S. 398f. S. 398: „The situation within Germany as elaborated in your telegrams and in more detail by press despatches has so shocked the American Government and American public opinion that the President desires you to report to him in person. You are accordingly ordered to the United States for consultation”. Vgl. zu dieser Maßnahme Roosevelts Erklärungen in „The Five Hundreth Press Conference (Excerpts)”. November 15, 1938, in The Public Papers and Addresses, Vol. 7, 1938. Dokument 147. S. 596ff. Das State Department blieb in der Frage gespalten, ob Wilsons Rückkehr in die USA eine dauerhafte oder kurzfristige Maßnahme war und ob die deutsch-amerikanischen Beziehungen nun jeder gemeinsamen Grundlage entbehrten: Vgl. FRUS 1938, Vol. II. S. 397f. Assistant Secretary of State George Messersmith drängte Secretary Hull am 14. November, Wilson so schnell wie möglich aus Berlin abzuziehen. Es habe sich bestätigt, dass mit den Nationalsozialisten nicht verhandelt werden könne. Die Vertretung der USA durch den

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und Chamberlains sowie als Wahl der pro-nationalsozialistischen Clique im State Department gescholten.2347 Eine späte Ehre wurde William Dodd und seiner Leistung als Botschafter zuteil als Zeitungen urteilten, kein Botschafter habe die deutsch-amerikanischen Beziehungen retten können und Roosevelt bekenne sich nun zum selben Urteil über Deutschland, das Dodd schon lange gepredigt habe.2348 Anfang Dezember konnte William Dodd endlich mit seinem Präsidenten ein persönliches und sehr freundlich verlaufendes Gespräch führen.2349 Ein später Sieg für Dodd, doch angesichts der weiterhin dramatischen Weltlage und der politischen Schwierigkeiten der Demokratischen Partei konnte er ihn als solchen nicht wahrnehmen. Politisch gesehen – so bestätigte es ihm sein Freund Daniels – war die Gefahr größer denn je, dass die Republikaner und die Mächtigen der Wall Street einen Wahlsieg

______Botschaftsrat und das Botschaftspersonal sei deshalb ausreichend, (S. 398:) „In fact, I am confident it will strengthen our position vis-à-vis the German Government”. Vgl. dagegen FRUS 1938, Vol. II. S. 402f. In einem Memorandum über ein Gespräch mit dem britischen Botschafter Sir Ronald Lindsay hielt Under Secretary Welles am 18. November fest, er hoffe, dass Hugh Wilsons Abwesenheit in Berlin ein Umschwenken der deutschen Politik, insbesondere der außenpolitischen Linie, und eine Verbesserung der deutsch- amerikanischen Beziehungen bewirken könne: (S. 402:) „[…]I hoped as a result thereof in the next weeks the German Government might indicate some evidence of a desire to cooperate with the other nations of the world and thus make it easier to try and approach a return to more normal relations between Germany and the United States”. 2347 Vgl. Daytona Beach FLA News vom 21. November 1938. „The Washington Merry-Go- Round”. „One reason for his [Wilson’s] recall was, of course, a desire to express moral indignation and rebuff the Nazis. […] A leader of the state department’s pro-nazi career clique, Wilson has always favored cooperation with Hitler. His policy has been to build up Germany as a buffer against Russia – a policy identical to that of Neville Chamberlain and the notorious nazi-loving Cliveden set. Roosevelt sent Wilson to Germany on the advice of the state department […]. Chamberlain’s Ambassador Nevile [sic!] Henderson, one of Berlin’s most ardent foreign nazi admirers, is a close friend of Wilson and his wife”. 2348 Vgl. Petersburg VA News vom 21. November 1938. Diese Zeitung nahm William Dodd von jeder Schuld an den schlechten deutsch-amerikanischen Beziehungen aus: Man hätte gedacht, Wilson sei der bessere Diplomat, „better versed in the subtle ways of diplomacy [and he] might bring about a more satisfactory relationship. Recent developments make it clear that trouble arises from fundamental differences between Americanism and Nazism rather than from the personalities of diplomats. Of late President Roosevelt has been as outspoken in his dislike of nazi [sic!] ways as ever Dr. Dodd was”. 2349 Vgl. Roosevelt an Dodd, 1. Dezember 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „NOV. 1, 1938 - JAN. 1, 1939” M-Z. „My dear Mr. Ambassador: It would give me great pleasure if you could come to luncheon with me at the White House on Saturday, December tenth”.

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1940 davontragen könnten oder die Demokratische Partei endgültig an ihren reaktionären, „diabolischen“ Mitgliedern zerbrach: „I am very much interested in what you say about the reaction of the people who hear you. […] I don’t know what you think of Chamberlain – but I think he has converted the British lion into a lamb ready to be shorn. He is more afraid of the people than he is of Hitler […]. There is much more in common between Chamberlain and Hitler than there ever was, for example, between Chamberlain and Benez [sic!] or the real democrats anywhere in the world. He follows the lead of the City in London as our reactionaries follow the ideas of Wall Street in this country. I see that the recent election is very gratifying to Pierpont Morgan upon his return to the United States, and that […] they will carry it [the election of 1940] if the Democrats are unwise enough to recede from their progressive positions. We must be liberal or we turn over to the Republicans, which means Wall Street influence. […] But of course we have a lot of reactionaries in the Democratic Party who are just as bad – and they are the fellows I am most against, because they steal the livery of Heaven to serve the Devil”.2350 Der Teufel schien für viele Zeitgenossen auch jenseits des Atlantiks am Werk zu sein. Von Prentiss Gilbert erfuhr Außenminister Hull, dass die Brutalität der Pogrome eine weitere Radikalisierung und Zentralisierung des deutschen Gewaltherrschaftssystems bewirkt hätten. 2351 Nicht nur

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2350 Daniels an Dodd, 25. November 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „NOV. 1, 1938 - JAN. 1, 1939” A-L. Vgl. zur Einordnung der Beweggründe für Chamberlain und seine Appeasementpolitik in die britische Außenpolitik ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 9f. Vgl. auch ausführlich PARKER, Robert A.: Chamberlain and Appeasement. British Policy and the Coming of the Second World War. Reprint. Basingstoke u.a. 1994 sowie SCHMIDT, Gustav: England in der Krise. Grundzüge und Grundlagen der britischen Appeasement-Politik (1930-1937). Opladen 1981. 2351 Vgl. Prentiss Gilbert, Chargé d’Affaires ad interim, an Secretary of State, 5. Dezember 1938. (Report No. 480). NARA. State Department CDF. RG 59. Class 8. File 862.00/3806. „There is an internal struggle taking place in Germany, both of personalities and of ideas. In the realm of personalities Himmler and Goebbels lead and animate the extremists. […] It must be borne in mind that the end of the ‘revolution’ has not been reached [unterstrichen im Original], with all of the concepts which that fact implies. […] Under the present circumstances diplomats feel it utterly hopeless to attempt to influence such men as Goebbels and Himmler. The best results were always obtainable through Schacht or Göring. Schacht is evidently at present in almost total eclipse. Göring not only appears consciously to be keeping himself apart from ‘foreigners’ but it is regarded as dangerous to one’s own interest to see him. […] The Government is so highly centralized that in many cases no one dares to give an answer or even to venture an opinion without authority therefor [sic!] from the Chancelor [sic!]”.

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dem progressiven Josephus Daniels erschienen die Expansionspolitik der Nationalsozialisten und der drohende Sieg reaktionärer Kräfte in Amerika als die frühen Zeichen des Beginns einer weltweiten Apokalypse. Nach- dem Doktor Palmer, Dodds behandelnder Arzt, ihn im August 1938 auf schwerwiegende Symptome hinwies, die man kaum anders als ein psychosomatisches Leiden zusammenfassen könnte, steuerte William Edward Dodd zum Jahresende 1938 angesichts privater und beruflicher Rückschläge und der von ihm als endzeitlich wahrgenommenen Welt- lage auf einen gesundheitlichen Kollaps zu.2352 Ärzte der Georgetown University stellten eine schwere Form von Laryngitis fest, die das wich- tigste Instrument im Leben des progressiven Historikers, seine Stimme, Schritt für Schritt zerstören würde.2353 Beseelt von seiner intrinsischen Motivation, dennoch weiterzumachen, steuerte William Dodd Ende 1938 auf ein weiteres Unglück zu. Auf dem Weg zu einer Großveranstaltung in Petersburg, Virginia, in Kooperation mit Mayor LaGuardia fuhr der ehemalige Botschafter der Vereinigten Staaten auf einer Landstraße ein kleines Mädchen afroamerikanischer Herkunft, Gloria Grimes, an und beging – so die spätere Anklage – Fahrerflucht. 2354 Aus den Quellen oder der Gerichtsverhandlung ist nicht rekonstruierbar, ob Dodd tatsächlich dachte, das Mädchen sei rechtzeitig zur Seite gesprungen – er habe angehalten und eine Frau im folgenden Fahrzeug gesehen, die sich um die Unfallstelle kümmerte – oder ob er sich nicht mehr an den genauen Unfallhergang erinnern konnte. 2355 Es scheint übertrieben wie Bailey melodramatisch zu

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2352 Vgl. Walter L. Palmer, M.D. an Dodd, 16. August 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „JULY-SEPT., 1938” A-G. „The pains you describe about the heart, coming on every few days, shifting to headaches or perhaps alternating with headaches, do not sound to me like heart trouble. […] My guess is that you will find that your heart is perfectly normal and hence no specific medicine will be indicated”. 2353 Vgl. Wallace M. Yater, M.D. an Dodd, 16. November 1938. LC. William Dodd Papers. Mappe „NOV. 1, 1938 - JAN. 1, 1939” M-Z. „Their [the pills’] purpose is to reduce your tendency to nervous tension which is largely responsible for your headaches. […] I suppose we could find a throat specialist in town Saturday afternoon”. 2354 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 328. Vgl. auch BAILEY: Yeoman Scholar. S. 196. 2355 Vgl. Dodd an Moore, 10. Dezember 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). Dodd schilderte seinem Freund Moore den genauen Unfallhergang aus seiner Perspektive. Dodd habe nicht gesehen, wie sein Auto das Mädchen, dem er durch ein Lenkmanöver ausgewichen war, erfasst haben konnte. Die Frau im Wagen hinter ihm kümmerte sich um die „Unfallstelle“.

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behaupten wagt, Dodd sei von seinem Auftrag so besessen gewesen, weil der deutsche Diktator Hitler und seine Taten wie Dämonen weiter- hin an seiner Seele nagten und er deshalb den Unfall verursacht hatte.2356 In direktem Zusammenhang mit diesem Unfall standen vermutlich sein angeschlagener Gesundheitszustand, die Erschöpfung des einjährigen, pausenlosen Reisens durch Amerika und die tiefe Trauer über Matties Tod. Einer von Dodds Anwälten war der festen Überzeugung, Dodd habe die Situation einfach falsch eingeschätzt.2357 Dodd plädierte zunächst auf nicht schuldig.2358 Sein Anwalt Leon M. Bazile und vermutlich auch Judge Moore überzeugten ihn danach erfolgreich davon, auf schuldig zu plädieren und so einer größeren Strafe durch eine Jury zu entgehen.2359 Schwer wog in der Beweisführung, dass Dodd einen Brief an die Familie des Mädchens, das sich schnell von seinen Verletzungen erholt hatte, gerichtet hatte, in dem er für die Krankenhauskosten aufkommen wollte und deshalb nach amerikanischem Recht seine Schuld eingestanden hatte.2360 Die moralische Unterstützung Daniel Ropers, R. Walton Moores Auftritt vor Gericht als Zeuge für William Dodds tadellose Lebensführung und die Hilfe aller Freunde und Verwandten erwirkten 1939 eine milde Strafe,2361 die für William Dodd, der den Prozess zeitweise für Kranken- hausaufenthalte im Georgetown University Hospital und in Kalifornien unterbrechen musste, 2362 dennoch einer Höchststrafe gleichkam. Als

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2356 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 195. 2357 Vgl. T. Justin Moore an Moore, 12. Dezember 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). Der Anwalt aus Richmond teilte Judge Moore mit: „On the basis of what he writes me, it seems clear that he cannot fairly be charged with violation of the hit-and-run law”. Vgl. auch T. Justin Moore an Moore, 15. Dezember 1938. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1938). „It appears that Dr. Dodd used very bad judgment in leaving the scene of the accident without more of an investigation than he made […]”. 2358 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 196. Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 328. 2359 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 330. Vgl. Moore an Dodd, 9. Juni 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „You were not guilty of a hit-and-run offense, but unfortunately soon after the accident you made a statement and wrote a letter from which a jury might easily infer that you recognized your responsibility and thus there was a danger that a jury might convict, and no possibility of forecasting how severe its verdict might be. Thus the lawyers thought it best not to fight the charge”. 2360 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 196. Vgl. Moore an Dodd, 9. Juni 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). 2361 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 197f. 2362 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 330f.

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größte Demütigung und Grund für eine anhaltende Depression empfand der standhafte Progressivist den Medienzirkus,2363 der um seinen Prozess veranstaltet wurde und das Lebenswerk und die Glaubwürdigkeit des landesweit berühmten liberalen Intellektuellen und ehemaligen Botschaf- ters in Frage stellen sollte.

7.3. Exkurs: „Adviser in Bed“. Die letzten Monate des William Edward Dodd, 1939-1940 Die meiste Zeit der knapp vierzehn Monate vor seinem Tod im Februar 1940 verbrachte William Edward Dodd im Krankenhaus oder im Bett auf seiner Farm in Virginia, umsorgt von Familie und Freunden und weiterhin besorgt um die Zukunft Amerikas und die deutsche Bedro- hung. Aufgrund seiner angeschlagenen Stimme, die Laryngitis hatte sich zu einer chronischen Erkrankung der Kehle weiterentwickelt,2364 verlegte Dodd sein Engagement auf Briefwechsel mit Hull, Roosevelt, Roper, Moore und weiteren Freunden und politischen Verbündeten, obgleich die Schrift und der Inhalt seiner Briefe von seiner fortschreitenden Krankheit zeugten. 2365 Der geschwächte Demokrat ließ es sich trotz gegensätzlichem Anraten seines Freundes Moore nicht nehmen, dem Präsidenten weiterhin als Berater von seinem Krankenbett aus zur Ver- fügung zu stehen.2366 Vermutlich im Wissen um Korrespondenzen wie Welles sie mit amerikanischen Vertretern in Europa darüber führte, dass die Behandlung jüdischer Gefangener in den deutschen Konzentrations- lagern wohl doch unterschätzt worden und noch grausamer sei als Presseberichte es schon seit Langem bezeugten, 2367 schrieb Josephus

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2363 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 197. 2364 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 198. 2365 Fast alle Briefe aus dieser Zeit weisen eine sehr „krakelige“, unsichere Handschrift auf. Vgl. auch DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 330. 2366 Vgl. Moore an Dodd, 23. März 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „I venture to think that you must make an effort to be less concerned about world affairs, which you and I can do nothing to improve”. 2367 Vgl. Herschel Johnson an Welles, 11. Januar 1939. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Secretary’s File (PSF) 1933-1945. Series: Diplomatic Correspondence. Mappe PSF Diplomatic Correspondence, Germany: 1939. Der Beamte an der Londoner US- Botschaft leitete Welles einen vertraulichen Bericht weiter, den das Auswärtige Amt ihm ausgehändigt habe: „I enclose two copies of a confidential report which has just been given me at the Foreign Office with the explanation that it is the body of a despatch from one of their most reliable reporters in Germany. It was stated that they have every reason to believe

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Daniels seinem Freund Dodd, dass das State Department immer noch keine wirkliche Ahnung von den europäischen Verhältnissen entwickelt habe. Per Brief versuchte dieser Dodd mit der Erkenntnis aufzumuntern, sein kranker Freund habe alle Ereignisse bezüglich der deutschen innen- wie außenpolitischen Entwicklungen korrekt vorhergesehen: „Events in Germany have more than justified your vision of what was to take place. I am not at all surprised at what you say about the views of some of the officials. They were dealing with conditions as they saw them and in the old way. You had the vision and background of history, and could see further than those who lack that training and experience”.2368 Mit dem spanischen Botschafter in Washington, de los Rios, tauschte Dodd im März 1939 Gedanken zur Demokratie in Spanien aus und der Amerikaner ließ es sich nicht nehmen, in warmen Worten das Ende der selbigen zu betrauern und dem demokratisch gesinnten Spanier alles Gute zu wünschen.2369 Auch Judge Moore, stets um die Gesundheit seines langjährigen politischen und persönlichen Weggefährten besorgt, hoffte auf eine anhaltende Beratung durch Dodd in den wichtigsten politischen Fragen bezüglich des nationalsozialistischen Deutschlands. Die USA, so stellte Moore verzweifelt im Februar 1939 fest, müssten nun auf alle Eventualitäten gefasst sein. Die amerikanische Außenpolitik habe bereits ______that the account of mistreatment of Jews in concentration camps in this report is accurate. They felt that it would be of interest to appropriate officials in the Department, and the hope was expressed that a copy might be made available to the President”. Offensichtlich wollten Beamte des Auswärtigen Amtes die amerikanische Regierung wissen lassen, dass die Zustände in den Konzentrationslagern, die außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches lagen, humanitär desaströs waren und ein Handeln erforderlich machten. Der Bericht des Reporters enthielt drastische Aussagen über das „Wesen“ der Deutschen: „Germans seem to have no cruelty in their make-up. They are habitually kind to animals, to children, to the aged and infirm. The explanation of this outbreak of sadistic cruelty may be that sexual perversion, and in particular homo-sexuality, are very prevalent in Germany”. Der achtseitige Bericht geht danach ins Detail der grausamen und unmenschlichen Behandlung der Gefangenen in den Lagern, zeugt von Folter, Sadismus und weiteren Auswüchsen kriminellen Handelns. 2368 Daniels an Dodd, 20. Februar 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN. 1 – MAY. 1, 1939” A-D. 2369 Vgl. Dodd an Fernando de los Rios, 29. März 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN. 1 – MAY. 1, 1939” A-D. „I am genuinely sorry your democracy has been defeated; and your country becomes an ally of Hitler and Mussolini”. Vgl. des Botschafters Antwort: Fernando de los Rios an Dodd, 12. April 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN. 1 – MAY. 1, 1939” N-Z. „Thanks, many thanks for your splendid letter. […] With the deepest gratitude I greet you and offer myself as your unchangeable friend”.

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eine neue Wendung genommen und fördere speziell den Güteraustausch mit den europäischen Demokratien. 2370 Der Counselor of the State Department ließ diesen Freundschaftsbekundungen Taten folgen. Als angesehener hoher Beamter der Roosevelt-Administration trat er für Dodd vor Gericht auf und bezeugte die Integrität des progressiven Freundes vor den Richtern. Offensichtlich mit Erfolg, denn auch Dodds Anwälte dankten Moore überschwänglich für seine Hilfe in diesem spektakulären Prozess um Dodds Zurechnungsfähigkeit. 2371 Rechtlich gesehen fiel die Strafe – im Mai 1939 erfolgte der Vergleich mit der Familie des angefahrenen Mädchens2372 – milde aus, für den Demokratien William Dodd bedeutete sie eine Katastrophe: Er verlor seinen Führerschein, musste eine Geldstrafe leisten und verlor aufgrund seiner gerichtlich festgestellten Unzurechnungsfähigkeit zur Zeit des Unfalls einen Teil seiner Bürgerrechte, unter anderem sein aktives und passives Wahl- recht. 2373 Damit war Dodd eines der essentiellsten Rechte in einer Demokratie, die Freiheit als mündiger Bürger wählen zu dürfen, verlustig geworden, ein Schicksalsschlag, von welchem er sich nicht mehr erholen sollte. Aufgebracht fasste er seine Wut über seine neuerlangte Un- mündigkeit in einem Brief an R. Walton Moore zusammen: Die Richter hätten ihn dazu gebracht, schuldig zu plädieren, obwohl das Mädchen doch durch seine Unachtsamkeit selbst Schuld am Unfall getragen habe. Die Beamten des Staates Virginias wollten sich nur an ihm rächen, weil er jahrelang die mangelnde Unterstützung Virginias für Woodrow Wilson Politikprogramm angeprangert habe. Ein Ergebnis sei der gescheiterte

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2370 Vgl. Moore an Dodd, 27. Februar 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN. 1 – MAY. 1, 1939” E-M. „What to me is shining evidence of my good fortune in serving in the Department of State is that it has afforded me the opportunity of knowing you, and I hope you understand how staunch is my friendship for you. […] At this moment I am thinking of the trouble you are in and wish to tell you once more that you must feel free to make use of me in any way you desire. Do you think that any effort the President might make in the way of calling a conference to deal with the armament question would be effective? […] So far as we are concerned, I believe it is our duty to prepare for all eventualities, the future being wholly unpredictable”. 2371 Vgl. Leon M. Bazile an Moore, 18. März 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „I wish to take this opportunity of expressing to you my very deep appreciation of the interest which you took in Dr. Dodd’s case and the very great assistance which you rendered in that case by attending the trial and testifying as a witness in his behalf”. 2372 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 198. 2373 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 198.

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Wahlkampf seines Sohnes.2374 Moore versuchte ihn zu beschwichtigen: Natürlich trüge er keine Schuld an einer Fahrerflucht, aber ein aus- gebliebenes Geständnis wäre eventuell in ein härteres Strafmaß vor einer Jury gemündet.2375 Eindringlich bat er ihn, im Sinne seiner Gesundheit nicht mehr an das Verfahren oder die desaströse Weltlage zu denken, nachdem Dodd am Vortag, dem 22. März 1939, seine letzte öffentliche Rede gehalten hatte.2376 Wie zu erwarten war, leistete Dodd zumindest in Hinblick auf seine Sorge um den Frieden keine Folge. Über seinen Sekretär Buttrick hielt er weiter mit Bowers, Roosevelt und anderen politischen Persönlichkeiten Kontakt, gratulierte dem Präsidenten Ende April zu dessen Engagement für eine enge Kooperation der Demokratien und erhielt Franklin und Eleanor Roosevelts herzliche Genesungswünsche als Antwort. 2377 Die Wünsche gingen ins Leere. Im Juli 1939 wurde William Dodd mit einer

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2374 Vgl. Dodd an Moore, 21. März 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „It was most kind of you to go to Hanover [court] for me; but the judge made me confess guilt which was not true […]”. Vgl. Dodd an Moore, 7. Juni 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „You know the girl was the sole cause of the accident; and I could not understand why they thought I was guilty. Perhaps the real cause [unterstrichen im Original] was what I had done in 1909, also my speeches for Woodrow Wilson when only two Virginians favored him in the Baltimore Convention”. 2375 Vgl. Moore an Dodd, 9. Juni 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „You were not guilty of a hit-and-run offense […]”. 2376 Vgl. Moore an Dodd, 23. März 1939. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „I venture to think that you must make an effort to be less concerned about world affairs, which you and I can do nothing to improve. […] I hope you will forget about what occurred in the recent trial, and that you will have no serious trouble with respect to the trial of the civil case”. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 198. 2377 Vgl. zum Beispiel William Buttrick an Dodd, 20. März 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „JAN. 1 – MAY. 1, 1939” A-D. „We have an official request for return of your driver’s license to the Division of Motor Vehicles. Can you send it to me or tell me where to find it?”. Vgl. Dodd an Roosevelt, 28. April 1939. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „Your appeal to Europe has produced an alignment of the democratic (not quite so) powers which is necessary if we are to escape a calamitous war”. Vgl. Roosevelt an Dodd, 4. Mai 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „MAY. 1 – NOV. 5, 1939” N-Z. „I regret exceedingly to learn that you have been ill. Take good care of yourself and let us hope that this fine spring weather will put you right back on your feet”. Vgl. Eleanor Roosevelt an Dodd, 24. August 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „MAY. 1 – NOV. 5, 1939” N-Z. „I am very happy to hear from your daughter that you are improving. I know how hard it is to come back after a long illness, but I hope you will soon find yourself well and strong again”.

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bronchialen Lungenentzündung und Symptomen einer „Melancholie“, wie man zum damaligen Zeitpunkt depressive Erkrankungen beschrieb, in das berühmte Mount Sinai-Krankenhaus in New York City eingelie- fert.2378 Die deutsche Presse, so erfuhr es Cordell Hull aus Berlin, hetzte gegen den ehemaligen Botschafter der USA in Deutschland, er sei geistesgestört und deshalb in eine jüdische Klinik gebracht worden.2379 Dies war Anlass genug für Judge Moore keinen Moment zu zögern und die Initiative zu ergreifen, um den langjährigen Freund zumindest aus der Melancholie zu befreien, sein öffentliches Bild zu rehabilitieren und so seinen Gesundheitszustand positiv zu beeinflussen. Während er den Präsidenten informierte, Dodd fühle sich nach seiner einjährigen hervorragenden Arbeit als Sprachrohr einer internationalistischen Wende vom Weißen Haus im Stich gelassen und würde sich über Zuspruch durch seinen demokratischen Präsidenten sehr freuen,2380 initiierte er eine Aktion mithilfe befreundeter Beamter in Regierungskreisen, um den Gouverneur von Virginia, James Price, dazu zu bewegen, Dodds Bürgerrechte wiederherzustellen. Beides gelang: Price stellte bereits Mitte Juli Dodds Wahlrecht vollständig wieder her.2381 Franklin Roosevelt ______

2378 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 331. 2379 Vgl. Kirk an Secretary of State, 11. Juli 1939. NARA. State Department CDF. RG 59. 123 Group Dodd. File 123 DODD, WILLIAM E./254. Botschaftsbeamter Kirk übermittelte Außenminister Hull den Inhalt eines Artikels im Angriff unter der Schlagzeile „America’s Former Ambassador in Berlin mentally deranged in a Jewish clinic, the end of the notorious German hater William Dodd”. Der Bericht beschrieb gehässig die gesamte Dodd-Familie als „never completely in order mentally”. 2380 Vgl. Moore Memorandum für Roosevelt, 10. Juli 1939. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „Martha Dodd told Lowell [Mellett] that the worst problem the doctors had to contend was melancholia – due in large part to the former Ambassador’s feeling that the White House felt that he had fallen down in Germany. Lowell felt that it might help either his recovery or to make his end more peaceful if you would have sent to him a telegram something like the following: […] Distressed to learn of your illness and trust the interruption in your [valuable] work will be brief”. Mellett war ein bekannter Journalist, Director of the Office of Government Reports und ab 1940 Administrative Assistant Roosevelts. Die Lowell Mellett Papers befinden sich ebenfalls in der Presidential Library in Hyde Park, NY. Mellett war es, der aufgrund seines hervorragenden Netzwerkes Moore im Fall der Wiederherstellung seiner Bürgerrechte helfen konnte. 2381 Vgl. Lowell Mellett an Governor James H. Price, 10. Juli 1939. Roosevelt Library. Papers of Lowell Mellett, Personal Files, 1938-1944. Mappe DODD, WM and Martha. „This is to recommend and to express my earnest hope that you may find it possible to restore the citizenship of Professor William E. Dodd. His consistent contribution to the welfare of his country during his long and active career, his unusual example of the truest good

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richtete umgehend ein herzliches Telegramm an den im Sterbebett liegenden Liberalen,2382 spendete wenige Wochen später an eine Orga- nisation der Universität Chicago, die ihrem berühmten Historiker ein Porträt für die Hallen der Universität widmen wollte,2383 und erhielt hierfür Martha Dodds persönlichen Dank, ihren Vater so wohlwollend aufgemuntert zu haben: „For several days we all despaired of his life – but he has pulled through, and, within the limitations of his disease, is on the road to recovery. Your telegram which came a few minutes before his operation cheered him immensely and gave him more of a will to fight through the crisis”. 2384 Moores Aktion bewirkte Wunder für den Gesundheitszustand William Dodds. Ab September führte er wieder einen Briefwechsel mit dem Präsidenten und konkretisierte nach dem deutschen Überfall auf Polen seine früheren Warnungen auf eine einzige: Hitler wolle die Weltherrschaft, deshalb müssten alle Menschen entweder sterben oder kämpfen. 2385 Harte, verbitterte Worte für den Wilsonian, doch sie entsprachen Roosevelts Sicht auf eine zukünftige amerikanische Deutschlandpolitik: Hans Heinrich Dieckhoff stellte im Dezember 1939 fest, dass der amerikanische Präsident sich klar auf Seiten der

______citizenship, need hardly be dwelt upon. […] I write this as a citizen of Virginia. My home and my legal residence is Alexandria, Virginia”. Vgl. Governor Price an Mellett, 11. Juli 1939. Roosevelt Library. Papers of Lowell Mellett, Personal Files, 1938-1944. Mappe DODD, WM and Martha. „I am advised by citizens and officials in whom I have great confidence that this man’s conduct since the above offense, has been such as to completely justify the restoration of his citizenship”. 2382 Vgl. Roosevelt an Dodd, 10. Juli 1939. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „Distressed to learn of your illness. Trust you may recover quickly and take up again the valuable work in which you have been engaged. With warmest regards”. 2383 Vgl. Miss LeHand für Roosevelt an William T. Hutchinson (The William E. Dodd Portrait Fund, University of Chicago), 2. September 1939. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „The President has received your recent letter and is indeed glad to contribute to the fund to which you refer”. 2384 Martha Dodd an Roosevelt, 21. Juli 1939. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. 2385 Vgl. Dodd an Roosevelt, 18. September 1939. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „Hitler intends to conquer the whole world. If we do not join England and France, we shall have a hard time. All democracies must co-operate”.

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Westmächte stellen werde. Sein erstes Ziel sei „to stop Hitler“ und die japanische Gefahr werde in den Prioritäten amerikanischer Außenpolitik nachrangig behandelt: „Wir müssen uns aber auf alle Fälle darüber klar sein, daß die Regierung Roosevelts dem Deutschen Reich feindlich gegenübersteht. Ideologisch, wirtschaftspolitisch und außenpolitisch. Der Präsident erblickt es – wie ich wiederholt gemeldet habe – geradezu als seine historische Mission, ‘to stop Hitler‘; […] und er wird, dafür bürgt seine Energie und Zähigkeit, alles tun, um Deutschland den Sieg in diesem Kriege zu erschweren. […] Die Frage wird sein, ob er sein Volk im gegebenen Moment hierzu mitreißen kann. […] [I]n einem Sieg Deutschlands werden die meisten Amerikaner eine direkte oder indirekte Bedrohung der westlichen Hemisphäre erblicken, da ihnen schon eine Ersetzung der englischen Herrschaft über den Atlantik durch die deutsche als Bedrohung Amerikas erscheint – dann würde es der Regierung Roosevelt wahrscheinlich ohne Mühe gelingen, eine Stimmung zu erzeugen, die alle Hemmungen abstreift. […] Herr v. Bötticher überschätzt den Einfluß der militärischen [Ratgeber Roosevelts]; sie haben in der Vergangenheit den Kurs des Präsidenten nicht beeinflussen können und sie werden es auch in Zukunft nicht vermögen”.2386 Wenn es nach Dieckhoffs Meinung nicht die militärischen Berater sein konnten, die trotz der militärischen Bedrohung Japans im Pazifik den US-Präsidenten kaum beeinflussten, dann mussten es die idealistisch- progressiven Denker seiner Administration, denen auch William E. Dodd angehörte, gewesen sein, die Roosevelts Fokussierung auf die Eindämmung des nationalsozialistischen Deutschlands bewirkt hatten. Roosevelt und Cordell Hull richteten weitere Genesungswünsche an Dodd, der vom Präsidenten bei der Grundsteinlegung seiner Presidential Library in Hyde Park, New York, schmerzlich vermisst worden war.2387 Hull bekräftigte, Dodds politische Ansichten seien weiterhin Gegenstand

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2386 Dieckhoff an das Auswärtige Amt, 4. Dezember 1939. PAAA. Nachlass Hans Heinrich Dieckhoff. Band 6. Bestand NL Dieckhoff (Best.: 6). Dieckhoff kommentiert hier ein Telegramm des deutschen Militärattachés in Washington, von Bötticher, vom 1. Dezember 1939. 2387 Vgl. Roosevelt an Dodd, 14. November 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe „1939 – 1940” A-Z. „I am so sorry that you will not be with us at the cornerstone laying at Hyde Park next Sunday but what gives me the greatest concern is the state of your health […]. I do hope you will take the best of care of yourself and that very soon your strength will be fully recovered”.

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seiner Gespräche mit Moore.2388 Ab Januar 1940 befand sich William Dodd, der weiterhin zahlreiche Briefe seiner Freunde Claude Bowers und Judge Moore erhielt, in einem Dämmerzustand, konnte nicht mehr sprechen und nicht mehr selbst Nahrung aufnehmen.2389 Der Tod in Folge einer Lungenentzündung traf am 9. Februar 1940 ein und riss den progressiven Amerikaner aus seinem bewegten Leben.2390 Präsident Roosevelt war einer der ersten, die noch am 9. Februar Sohn Will kondolierten.2391 Dodd hatte auf ein bescheidenes Begräbnis nahe seiner Farm bestanden.2392 Die bewegenden Briefe und Telegramme, die Martha und William Dodd, Jr., noch Monate nach dem Ableben ihres Vaters von herausragenden Persönlichkeiten erhielten, zeugen von dem

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2388 Vgl. Hull an Dodd, 15. Januar 1940. LC. William Dodd Papers. Mappe „1939 – 1940” A-Z. „Judge Moore and I often speak of you and express the devout hope that you may soon recover your former good health. I am rather busily engaged here during these winter months. I do appreciate hearing from you”. 2389 Vgl. zum Beispiel Bowers an Dodd, 16. Januar 1940. LC. William Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd General Correspondence 1940 B-S. „I am writing now to congratulate you anew on your policy in Germany, which has been so sensationally vindicated by events that any one pretending not to see would be a nazi [sic!] at heart. […] I am pretty thoroughly disgusted with the English. Even they must know that this miserable mess in which they find themselves was prepared by Chamberlain in Spain, at Munich, and in Albania […]. The war leaves me rather cold. A war for democracy? Tell it to the marines. The British and French governments […] zealously joined that two facist [sic!] Powers to wipe out the two most gallant democracies in Europe, that of the Spaniards and the Czecks [sic!]”. Vgl. Moore an Dodd, 3. Februar 1940. Roosevelt Library. R. Walton Moore Papers. Mappe DODD, Wm. E. (1939-40). „Not having seen you for some time I am, of course, anxious to know whether you are improving […]. I often think of you and your unvarying kindness to me since we became acquainted several years ago”. Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 200. 2390 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 200. 2391 Vgl. Roosevelt an William Dodd, Jr., 9. Februar 1940. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. „I am deeply distressed by the news of your father’s untimely death – most untimely, since it has come in the midst of the great work he was engaged in, his history of the South. Knowing his passion for historical truth and his rare ability to illuminate the meanings of history, his passing is a real loss to the nation. He served his country devotedly and well as educator and public servant. For myself I mourn the departure of one for whom I had great affection. Mrs. Roosevelt joins me in an assurance of heartfelt sympathy”. 2392 Vgl. „LAST WILL AND TESTAMENT – of- WILLIAM E. DODD, SR.”, Juli 1939. LC. William Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd Miscellaneous Mss. „It is my desire and request that upon my decease my remains be interred at the mausoleum on the hill at Stonleigh [sic!] Farm, Round Hill, Virginia, and that the funeral ceremony be conducted with the utmost simplicity”.

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Stellenwert, den Dodd und besonders seine integre Persönlichkeit sowie sein Lebenswerk für viele Menschen eingenommen hatten. Laut Marthas Tagebuch hatte ihr Vater bis zum Ende das Vertrauen des Präsidenten und seines Außenministers genossen2393 und deshalb ein so herzliches Kondolenzschreiben – „For myself I mourn the departure of one for whom I had great affection“2394 – erhalten. Botschafter in Spanien Claude Bowers zeigte sich überglücklich, dass die Tochter das Tagebuch ihres Vaters veröffentlichten wollte, „a monument to a real American”.2395 Eines seiner loyalsten Mitstreiter und Freunde beraubt beschloss Judge Moore nur ein Jahr später zum 1. März 1941 seine Position im State Department zu kündigen und in den Ruhestand zu gehen. Eine Entscheidung, die dem Präsidenten angesichts Moores jahrelangen treuen Dienstes und seiner progressiven Gesinnung missfiel.2396 Für viele Bürger war William Dodd mit seinem Kreuzzug zur Rettung Amerikas vor dem Nationalsozialismus zu einem „amerikanischen“ Helden, „the embodiment of an ideal“2397 und zum größten Kämpfer für die Demokratie erwachsen. Nicht wenige Wähler drängten Franklin

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2393 Vgl. DODD: Through Embassy Eyes. S. 364. 2394 Roosevelt an William Dodd, Jr., 9. Februar 1940. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 1043 DODD, WILLIAM E. 2395 Bowers an Martha Dodd, 21. Juli 1940. LC. William Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd General Correspondence 1940 B-S. „I am so glad the Diary is being published. It will be a monument to a real American”. Vgl. auch Bowers an Martha Dodd, 30. April 1940. LC. William Dodd Papers. Mappe Wm. E. Dodd General Correspondence 1940 B-S. „It [the diary] is of the sources of history and will demonstrate that your father had enough prescience to foresee the trend that others with incredible blindness could not see ,and [sic!] that throughout he represented the spirit of the real American people. […] Any thing in praise of your fathers [sic!] work and his position is all right.My [sic!] recollection is that we exchanged some very confidential views on some individuals in the State Department and these should not be published as from me”. 2396 Vgl. Roosevelt an Moore, 29. Januar 1941. Roosevelt Library. Papers as President. President’s Personal File (PPF). Mappe PPF File 2605 MOORE, R. WALTON. „Of course your health comes first. In accordance with your request, I must, therefore, but with the greatest possible reluctance, accept your resignation as Counselor of the Department of State effective as of March 1, 1941. I want you to know how deeply I regret your decision that you must leave the Department. Your being there in these days of stress and anxiety has been a very real comfort to me as I am sure it has been to Cordell”. 2397 Peter Olden an Martha Dodd, 9. Februar 1940. LC. William Dodd Papers. Mappe Family Correspondence, Martha (Dodd) Stern Aug. 3, 1937 – Dec. 28, 1951. „He [Dodd] was the embodiment of an ideal. I doubt that I have ever known anybody else who so lived a philosophy – the philosophy of Thomas Jefferson”.

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Roosevelt seine positive Meinung zum ehemaligen Botschafter im nationalsozialistischen Deutschland öffentlich zu äußern, eine Bitte, die bezüglich Hugh R. Wilsons niemand an den Präsidenten richten sollte: „In making a survey of the brutality of the Nazi regime, I note that one who stands out as a consistent fighter for democracy, was our former Ambassador to Germany, William E. Dodd. There are some people who question the honesty and efficiency od [sic!] Mr. Dodd. I would therefore, appreciate it if you will send me any public information regarding Mr. Dodd’s character and trustworthiness and his fight for the cause of freedom throughout his life”.2398 Bis dato hatte der Präsident sich vor allem auf Aussagen Dodds bezo- gen, wenn sie einem politischen Zweck dienten – wie im Falle eines erneuten Aufflammens seines langjährigen Kampfes gegen den Einfluss des isolationistischen Senators Burton Wheeler.2399 Für viele nationale Zeitungen stand fest, dass William Edward Dodd die tragische Lage Europas genauer und schneller erfasst hatte als alle anderen Diploma- ten.2400 Martha Dodd war diejenige, die Dodds Tagebuch und damit sein Vermächtnis möglichst zeitnah zu seinem Tod veröffentlichen wollte, um das Lebenswerk ihres Vaters in das rechte Licht zu rücken. Die Reaktionen der Presse sprechen dafür, dass das veröffentlichte Tagebuch diesen Zweck erfüllte.2401 Der berühmte Physiker Albert Einstein vertraute ______

2398 Vgl. Joseph Cherry an Roosevelt, 9. October 1943. Roosevelt Library. Papers as President. The Official File (OF). Mappe OF File 523 W.E. Dodd 1933-1943. Der US-Bürger schrieb dem Präsidenten in diesem Brief eine Hommage über William Edward Dodd. 2399 Vgl. New York News vom 1. Februar 1941. „F.D.R. Slaps At Wheeler”. „Dodd told him, F.D.R. explained, that Wheeler made such a statement at a dinner given in 1934 at the home of Rexford Guy Tugwell, then Assistant Secretary of Agriculture”. Wheeler habe gesagt, „in 1934 […] Nazi domination of all Europe was inevitable […and] that, if the Germans did succeed in dominating Europe, the safety of the United States lay in taking over Canada and Mexico and the five Central American republics”. 2400 Vgl. zum Beispiel New York Herald Tribune Books vom 2. März 1941. „A Crotchety Jeffersonian – But a Prophet!” „It has been said of Dodd that he not only needlessly exacerbated German-American relations, but limited his usefulness as an observer by cutting himself off from the sources of information. As to the first, one may let subsequent history be a judge; as to the second, it seems to me that he had a sounder grasp of the fundamentals than many more professional diplomatists [sic!] […]”. 2401 Vgl. die positiven Pressestimmen hierzu, zum Beispiel The Nation vom 1. Februar 1941. „Ambassador Dodd Speaks“. „Naturally it [the diary] does not offer direct testimony as to Hitler’s ultimate intentions toward the United States and the world. Rather it documents the record of broken promises, of mounting fear in the smaller nations, of suicidal hesitations and concessions on the part of the great powers. It shows the direction if not

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Martha wenige Monate nach Dodds Tod an, welch hohe Meinung er sich von dem amerikanischen Progressivisten, der sich auch für deutsche Intellektuelle eingesetzt hatte, gebildet habe. Weiterhin warnte er vor der Veröffentlichung der Namen seiner Gegenspieler im State Department, die eine große Rolle in seinem Tagebuch und in der gegenwärtigen amerikanischen Außenpolitik spielten.2402 William Edward Dodd erreichte somit den Höhepunkt seines Ruhmes erst nach seinem Ableben, als ein erneuter Weltkrieg Amerika und den Rest der Welt schon längst überrollt hatte. Für Robert Dallek war Dodd ein Jeffersonian mit besonderen amerikanischen Idealen und Charakter- zügen, eine Art „Paulus-Figur“2403, deren Bedeutung Roosevelt ahnte. Als im 19. Jahrhundert geborener Südstaatler stand er vor den Her- ausforderungen des 20. Jahrhunderts und vertrat eine weniger dem progressiven „Mainstream“ entsprechende eigene politische Philosophie. Aus diesem Grund gehörte er für Dallek auch nicht zum engsten Beraterkreis Roosevelts und des New Deals, da sein Verständnis von Wirtschaft und politischer Integrität den frühen progressiven Strömungen der Jeffersonians entsprach.2404 Dennoch, so setzt Dallek diese originäre Haltung in Relation zu Dodds Lebenswerk, diente sein Traditionalismus als hervorragender Leitfaden für seine Studenten und seine Freunde und Kollegen, aber auch für sein Amt als Botschafter im Nationalsozialismus.2405 Bailey jedoch bewertet die Person und das Werk Dodds anders. Seiner Meinung nach war William Dodds Leben das Resultat aus seiner Kindheit im besiegten amerikanischen Süden und einer intellektuellen und kulturellen Odyssee. Seine soziale und politische Herkunft machte ihn zum natürlichen Gegner unterdrücke- rischer Regime, sei es aristokratischer Eliten im Süden Amerikas,

______the goal of Hitler’s ambition. It records the countless warnings which were duly transmitted to – and filed in – Washington”. 2402 Vgl. Albert Einstein an Martha Dodd, 11. Dezember 1940. LC. William Dodd Papers. Mappe General Correspondence „C-D-E-F” 1901-40. „It [the diary] is, in my opinion, a remarkable contribution to the history of our time – written by a true liberal. On the other hand, however, I have to tell you my doubts whether your father would have liked the publication of this diary at the present time and with all details included […] – remarks which could be regarded as offensive to the persons involved and even obnoxious to the prestige of the present administration”. 2403 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 333. 2404 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 334. 2405 Vgl. DALLEK: Democrat and Diplomat. S. 335f.

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nordstaatlicher Industrieller und Finanzmagnaten, preußischer Junker oder zuletzt deutscher Nationalsozialisten.2406 Eine mögliche Antwort auf Baileys angedachtes soziologisches Begrün- dungsmuster der Karriere William Edward Dodds in der amerikanischen Außenpolitik könnte die folgende sein: Dodds Entwicklung vom pro- gressiv gesinnten Akademiker zum Vollblutdiplomaten war Teil der Ent- stehung einer progressiven und intellektuellen, zunehmend politisierten und ideologisierten „Nebenelite“ aus einer Minderheit von Aufsteigern in der amerikanischen Gesellschaft. Hierzu zählten Cordell Hull, ein ehema- liger Hilfsarbeiter aus Tennessee, Judge Moore, ein studierter Jurist und „Self-Made-Man“ aus Virginia, und Claude Bowers, ein intellektueller Journalist ohne Universitätsabschluss. Diese Gruppe von Politikern hatte den Aufstieg der weltpolitischen Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika seit 1898 aus einer anderen Perspektive als derjenigen der klassischen, nordoststaatlichen Eliten eines Franklin Roosevelt, Sumner Welles oder William C. Bullitt, nämlich aus Sicht der ärmeren, vor- wiegend im Süden und Mittleren Westen aufgewachsenen Schichten, erlebt. Für sie galt die bedeutendste Aufgabe Amerikas als noch unaus- weichlicher als für die traditionellen Eliten, den Kampf um wahre Demokratie und Freiheit und um eine klassenfreie Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit im Inneren und Äußeren anzuführen. Das ameri- kanische System entwickelte sich für sie im Laufe der 1930er Jahre zu einem außergewöhnlichen, nicht radikalen Alternativmodell zu kommunistischen oder faschistischen Vorstellungen einer modernen Gesellschaft. Im letzten Kapitel, den Schlussbetrachtungen zu Dodds Rolle, Ein- schätzungen, Fehlern und Leistungen in Berlin und den USA, werden weitere Antworten auf Dalleks und Baileys Beobachtungen gegeben werden, die die Ergebnisse der vorherigen Kapitel zusammenfassen. Die letzten Zeilen dieses Exkurses sollen den Worten Martha Dodds und eines ehemaligen Studenten des Historikers in Chicago gewidmet werden. Martha Dodd, die Zeit ihres Lebens ein besonderes Verhältnis zu ihrem Vater gepflegt hatte, räsoniert 1962 wie folgt über seine Leistungen: „Beginning with Dodd’s penetrating sketches of Hitler, Goering and Goebbels […] to his last refusal to appear in Nürnberg to honor Nazi rule,

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2406 Vgl. BAILEY: Yeoman Scholar. S. 201.

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which led to his recall, long desired by the Nazis and by influential business circles in the US as well as by vociferous elements in the State Department, there was not a moment he did not utilize in whatever way he could try to thwart the Nazis, […] and to warn his government of the disaster to come. He was not given to violence and extremes either in deeds or words, even at the end of his service when his personality had undergone a noticeable change. But the mild-mannered peace-loving historian was seized by a stubborn fury which led him to express his hostility even more openly. […] Authorities of the period have said my father’s intransiqeant [sic] stand in Berlin and the facts and advice he submitted were used to advantage by progressive elements in the Roosevelt administration to help block the reactionary groups in the State Department and the monopolists behind them who tried to appease fascism before, during and after Munich. […] One can only speculate what would have been the result had America been represented in Nazi Germany at that time by a powerful, aggressive and widely influential spokesman of monopoly capital! Not that any one man or group of men can influence major movements of history but they can to some degree influence its direction, timing and content. […] Nazism could [unterstrichen im Original] have been stopped. In official German documents of the period, the Nazis themselves admit they would not have succeeded in their early aggressions had there been strong opposition from other nations […]”.2407 Mit Blick auf das Leben des progressiven Historikers resümierte L. F. Gittler, Dodds Student aus seiner Zeit in Chicago, dass es einem kleinen Wunder gleichen musste, dass ein so idealistischer und wenig diplomatisch denkender wie handelnder Mann seinen Idealen im natio- nalsozialistischen Berlin treu bleiben konnte: „In our time and place no man in America’s universities is more representative of academic and personal integrity than William E. Dodd. That he was able to exhibit such candid honesty during a diplomatic mission extending over five years is something like a minor miracle”.2408

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2407 „Profile of My Father“ by Martha Dodd (1962). LC. The Papers of Martha E. Dodd. Mappe 3, Writings, Books, Ambassador Dodd’s Diary, Later editions, Changes made, 1960-61. 2408 Survey Graphic vom Juli 1938. L. F. Gittler „Ambassador Extraordinary. A Close-Up Portrait of William E. Dodd”. LC. William Dodd Papers. Mappe „JULY-SEPT., 1938” A-G.

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7.4. „All Eyes on Germany“. Fazit und Einordnung der Aufklärungskampagne William Dodds im Spiegel des Wandels der amerikanischen Europapolitik 1938 William Edward Dodds Warnungen vor einem baldigen expansionis- tischen Aufbegehren der Diktatoren in Europa und Asien konnten erst zeitverzögert mit seinem Ausscheiden aus dem Botschafteramt erste Erfolge erzielen. Im Einklang mit den genannten diversen Forschungs- meinungen bezüglich der Bedeutung der Quarantänerede kann fest- gehalten werden, dass Franklin Delano Roosevelt Ende 1937 einen Richtungswechsel und ein Umdenken der amerikanischen Außen- und Deutschlandpolitik im Sinne von Dodds progressiven Empfehlungen vorweggenommen hatte, deren Zielsetzungen nicht mehr revidiert werden sollten. Mit seiner Forderung nach einem aktiven Vorgehen gegen die sich aggressiv ausbreitenden totalitären Weltanschauungen und Systeme, um diese in die Isolation zu treiben und damit unschädlich zu machen, kehrte der amerikanische Präsident die Forderungen der Isolationisten um:2409 Nicht Amerika, sondern die Diktaturen mussten von der Welt isoliert werden, um die Errungenschaften der Zivilisation zu retten. „Der Präsident leitete, zweifelsohne ganz bewußt, damit eine Beschleunigung des Tempos der von ihm angestrebten Erziehung der Nation hin zur Weltmacht ein”. 2410 Hierbei genoss er seit 1938 die Unterstützung seiner progressiv-inter- nationalistischen Berater und Minister, die – wie am Beispiel von Harold Ickes festgemacht – den Faschismus und Nationalsozialismus öffentlich als die Hauptgegner des amerikanischen Systems im Inneren und Äuße- ren identifizierten. In dieser Phase von Roosevelts Politikneuformulierung kam William Edward Dodd und seinen konkreten Deutschlander- fahrungen eine spezielle Rolle zu: Schon vor dessen Rückkehr in die Vereinigten Staaten hatte das amerikanische Staatsoberhaupt den schei- denden Botschafter zu einer verstärkten Redetätigkeit bezüglich seiner Erlebnisse und Beobachtungen in Europa ermutigt. Unterstützt durch Dodds überaus erfolgreiche Aufklärungskampagne über die Ziele, Pläne

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2409 Vgl. hierzu auch BLACK: Champion of Freedom. S. 426. „But in the spirit of the President’s remarks were an abandonment of isolation, an espousal of collective security, and a preparedness to face down aggressors, peacefully if possible but by force is necessary”. 2410 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 110.

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und Gräueltaten der Nationalsozialisten in der amerikanischen Öffent- lichkeit sollte es Roosevelt so bis Ende 1938 gelingen, sowohl die Presse als auch die Bevölkerung in den USA von einem aktiveren Engagement gegen das nationalsozialistische Deutschland zu überzeugen. Dabei verfolgte Präsident Roosevelt eine altbewährte Taktik, die vordergründig viele seiner Entscheidungen als wenig konsequent oder angemessen erscheinen lässt: „He had begun the delicate and implacable process of moving ahead of opinion on foreign affairs, then retreating slightly and pulling opinion in behind him before moving ahead of it again”.2411 Hierfür können fünf Wendepunkte festgehalten werden, die die Entschlüsse Dodds und der Roosevelt-Administration für ein umfangreiches Engagement bestärkten und weitere Schritte der Außenpolitikformulierung trotz vieler Hinder- nisse und Gegenentwicklungen möglich machten: Die Reaktionen auf und Folgen der Quarantänerede; Die Blomberg-Fritsch-Krise und die Ent- machtung des Auswärtigen Amtes; Der Anschluss Österreichs; Die Sudetenkrise und die Münchener Konferenz; Sowie die Reichspogrom- nacht als Höhepunkt der Verfolgung und Diskriminierung der deutschen jüdischen Bevölkerung. Mit seinen Äußerungen in Chicago hatte Präsident Franklin Delano Roosevelt erstmals einen offenen außenpolitischen Coup gewagt, den er in den folgenden Tagen und Wochen zwar aufgrund der zahl- reichen Widerstände aus der konservativen Presse und dem Kongress rhetorisch abschwächte, aber in seinen Kernaussagen unangetastet ließ. „[C]onferences are out of the window. You never get anywhere with a conference”,2412 wetterte er vor Journalisten auf einer Pressekonferenz am 6. Oktober 1937 und bestätigte, die Administration suche nach einem neuen außenpolitischen Programm.2413 Die Reaktionen auf seine Rede zeigten dem Präsidenten, von welchen Seiten er Widerstand und welche Argumente und Aktionen er zu erwarten hatte. Viele konservative Politiker und Beamte waren sichtlich beunruhigt. Die Quarantäne-Rede veranlasste William Phillips, den Präsidenten persönlich auf die Bedeu- tung der Rede anzusprechen. Roosevelt vertraute seinem Botschafter in Rom an, er habe tatsächlich mit dem Wort Quarantäne ein Synonym für

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2411 BLACK: Champion of Freedom. S. 427. 2412 „The Fourth Hundredth Press Conference”. October 6, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 130. S. 423. 2413 Vgl. „The Fourth Hundredth Press Conference”. October 6, 1937, in The Public Papers and Addresses, Vol. 6, 1937. Dokument 130. S. 423.

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Sanktionen benutzt.2414 Für den amerikanischen Präsidenten gab dies den Anlass, im Laufe des Jahres 1938 wichtige Verhandlungen mit europäischen Akteuren selbst oder durch vertrauensvolle Berater unter Umgehung der offiziellen Kanäle des State Departments führen zu lassen. 2415 William Edward Dodd bot der Inhalt der Quarantänerede die Möglichkeit, in seinen Warnungen vor den Gefahren des national- sozialistischen Deutschlands hierauf immer wieder Bezug zu nehmen und seine Deutschlanderfahrungen und Empfehlungen in einen verständ- lichen Sachzusammenhang mit der Politik Roosevelts und dem außen- politischen Konzept seiner Regierung zu stellen. Diese Art der klärenden, realitätsbezogenen Einordnung der Regierungs- politik auf inoffiziellem Wege, die William Dodd durch seine unzähligen Auftritte bewerkstelligen konnte, nützte dem Präsidenten im Inland in mehrfacher Hinsicht: Sie setzte den Präsidenten nicht noch weiterer direkter Kritik durch die Gegner einer internationalistischen Politik aus, die ihm innenpolitisch gefährlich werden konnte, aber klärte dennoch die öffentliche Meinung über die weltpolitischen Verhältnisse auf und drängte sie dazu, die Abkehr vom Isolationismus als einzig sinnvolle Alternative im Sinne einer Rettung Amerikas zu akzeptieren. Anders als der unmittelbare zeitliche Zusammenhang mit den japanischen Aktionen seine Äußerungen in Chicago vielleicht erscheinen ließ, hatte Roosevelt in der Quarantänerede und der Zeit danach den Blick vor allem auf Deutschlands nächste Schritte gerichtet: „[I]t is virtually certain that even at this date Roosevelt saw the greatest danger as emanating not from Japan or Italy but from Hitler Germany”.2416 Klar ersichtlich wurden die Konsequenzen aus der Rede zunächst jedoch für nur wenige Zeitgenossen, was sicherlich auch an Franklin Roosevelts verwirrender Öffentlichkeitstaktik unmittelbar nach seinem Auftritt lag.2417 Mit einer eher vagen State of the Union-Ansprache im Januar 1938 kündigte der Präsident einzelne Maßnahmen statt eines neuen Gesamtprogrammes an, die sich stärker auf die Innen- als die Außenpolitik bezogen.2418

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2414 Vgl. PHILLIPS: Ventures in Diplomacy. S. 206f. 2415 FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 300. 2416 JONAS: The United States and Germany. S. 225. 2417 Vgl. zu den Reaktionen in Deutschland GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 248ff. 2418 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 431f. Vgl. auch ebenda. S. 439. Black stellt die Behauptung auf, Roosevelt habe sich, durch das Ludlow-Amendment in Bedrängnis geraten, vor allem auf seine innenpolitischen Maßnahmen konzentriert, für die er die

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Mit dieser beabsichtigt unklaren Verkündung der konkreten Umsetzungs- pläne für seine außenpolitischen Postulate ging Roosevelt besonders in Hinblick auf die Reaktionen des Auslands durchaus Risiken ein: Als fatale Folge mit Blick auf die weitere anglo-amerikanische Zusammen- arbeit ist zu bewerten, dass der britische Premierminister Chamberlain aus den ausbleibenden amerikanischen Aktionen gegen Japan folgerte, dass nur eine britisch dominierte Appeasementpolitik in Europa den Frieden sichern und die zeitgleiche Eröffnung von zwei Fronten – in Europa und in Fernost – verhindern konnte.2419 Ein erster Schritt zur Verwirklichung eines neuen, glaubwürdigen progressiv-internationalistischen Außenpolitikprogrammes der USA – das hatten die unterschiedlichen Reaktionen auf die Chicagoer Rede bewiesen – musste deshalb umso dringlicher die behutsame Aufklärung der amerikanischen Meinung sein, die nicht nur vom Präsidenten selbst, sondern vielmehr von vertrauenswürdigen Personen der Öffentlichkeit durchgeführt werden musste, um Erfolg zu versprechen.2420 Der Kampf der progressiven Mitglieder der Roosevelt-Administration um die Mei- nungshoheit erwies sich als notwendige Priorität für die Regierenden, als trotz der Entmachtung des Auswärtigen Amtes als außenpolitischem Akteur im Zuge der Blomberg-Fritsch-Krise im Februar 1938 2421 das ______Unterstützung zahlreicher Isolationisten benötigte. Powaski dagegen stellt fest, dass dies höchstens vordergründig der Fall gewesen sei, da Roosevelt durch eine sich erholende Wirtschaft eben nicht mehr von progressiven Isolationisten abhing und sich deshalb verstärkt der Gefahr durch die Achsenmächte widmen konnte. Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 73. 2419 Vgl. JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 181f. 2420 Vgl. LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 37. 2421 Vgl. hierzu SIROIS: Illusion und Krieg. S. 113 und JONAS: The United States and Germany. S. 228. Hitler wagte am 4. Februar 1938 in Vorbereitung seiner Annexion Österreichs die Entlassung der deutschen Armeespitze unter der Leitung der Generäle Werner von Fritsch und Werner von Blomberg und machte sich selbst zum Ober- befehlshaber über die gesamte Wehrmacht. Darüber hinaus veranlasste er die Entlassung Konstantin von Neuraths und Hjalmar Schachts aus ihren Schlüsselpositionen der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik. Neurath wurde durch den Nationalsozialisten Joachim von Ribbentrop als Reichsaußenminister ersetzt. Vgl. auch DÖSCHER: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. S. 308 und 310. Döscher erkennt in Hitlers Aktion die Entscheidung, trotz der steigenden „Anpassungsbereitschaft“ (S. 308) der Beamten des Auswärtigen Amtes diese nicht als entscheidungsbefugte Instanz in die konkrete Planung seiner expansionistischen Ziele einzubinden. Dies heißt jedoch nicht, dass die Diplomaten nicht an der Umsetzung seiner Ziele aktiv und schuldhaft beteiligt waren: Es sei eine Tatsache, „daß auch Diplomaten, die der NSDAP und SS fernstanden, die Maßnahmen des

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Bekenntnis zu einer Appeasementpolitik gegenüber der deutschen Regie- rung auch in Kreisen des State Departments und vieler amerikanischer Politiker die vorherrschende Reaktion auf die neuen deutschen Ver- hältnisse kennzeichnete. Diese Entwicklungen ab Februar 1938 waren für Roosevelt von erheblicher Bedeutung, weil sie eine Diskrepanz in der Zielsetzung der Akteure der amerikanischen Deutschlandpolitik offenkundig machten: Konnte mit Deutschland nach der Entfernung „moderaterer“ Kräfte aus den politischen Schaltstellen der deutschen Außen- und Innenpolitik jemals zielführend verhandelt werden? 2422 Die konservativen Beamten des State Departments blieben auch 1938 Gegenspieler progressiver Politikwechsel und spalteten das amerika- nische Außenministerium in zwei Lager: Die „Appeaser“ und die „Anti-Appeaser”. Unterstützung erhielten sie von einer neuen isolatio- nistischen Front, die sich im Nachklang der Quarantäne-Rede gebildet hatte: „United against the speech, the isolationist coalition was formed, made up of pacifist groups, labor unions, the clergy, the socialists and other leftists, and sections of Congress”, 2423 die Roosevelt gar mit einem Amtsenthebungsverfahren drohten.2424 Joseph Kennedy, ein ein- flussreicher irisch-katholischer Politiker, den Roosevelt vor allem aus innenpolitischen Gründen in das ferne London als Botschafter gesandt hatte, 2425 entpuppte sich genauso als Appeasementanhänger wie der ehemalige „Braintruster“ Adolf Berle, William Bullitt, Jay Pierrepont Moffat, John Cudahy und Dodds Nachfolger in Berlin, Hugh R. Wilson.2426 Joe Kennedy und William Bullitt verband in ihrer deutschlandfreund- lichen Haltung besonders ihre Abneigung gegen die Sowjetunion.2427

______Regimes zur Vernichtung der europäischen Juden hinnahmen, billigten und durch ihr Verhalten sanktionierten – trotz unbestreitbarer Kenntnis der Massentötungen seit Anfang 1942“ (S. 310). Vgl. zur Krise auch FEST: Hitler. S. 745-748 und CONZE/ FREI/ HAYES/ ZIMMERMANN: Das Amt und die Vergangenheit. S. 123-132. 2422 Vgl. MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. x. 2423 MORGAN: FDR. S. 487. 2424 Vgl. MORGAN: FDR. S. 487. 2425 Vgl. hierzu BLACK: Champion of Freedom. S. 439. Vgl. auch DAVIS: Into the Storm. S. 152f. Vgl. ausführlich zu Kennedys Rolle 1938 VIETH, Jane Karoline: Joseph P. Kennedy and British Appeasement: The Diplomacy of a Boston Irishman. In: JONES, Kenneth Paul: U.S. Diplomats in Europe, 1919-1941. Reprint Edition with new introduction by the editor. Santa Barbara, CA, Oxford 1981/1983. S. 165-182. 2426 Vgl. SCHMITZ: Triumph. S. 49. Vgl. auch COLE: Isolationists. S. 278. Vgl. auch MORGAN: FDR. S. 497-500. 2427 Vgl. LEUCHTENBURG: New Deal. S. 288.

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Ted Morgan stellt fest, dass auch 1938 viele der amerikanischen Kar rierebeamten eine antisemitische und antibolschewistische Gesinnung aufwiesen.2428 Hugh R. Wilson, der sich in Berlin rasch die Sympathien von Ribbentrops und von Weizsäckers gesichert hatte, stellte sich wie Joe Davis in Moskau und Joe Kennedy in London für Roosevelt als Enttäuschung heraus.2429 William Dodd hatte mit seiner Einschätzung der Haltung dieser Diplomaten Recht behalten. Es bleibt zu erwähnen, dass neben den Progressiven Judge Moore und Cordell Hull, 2430 die Schilderungen der deutschen Entwicklungen seit 1933 fast täglich per- zipiert hatten, gerade diejenigen Mitglieder der Administration sich gegen eine Appeasementpolitik aussprachen, die den Aufstieg der Nationalsozialisten aktiv miterlebt und von Anfang an vor dem nur scheinbaren Einfluss der moderaten Regierungsmitglieder auf Hitler und die NSDAP gewarnt hatten: George S. Messersmith und William Edward Dodd.2431 Hatte Franklin Roosevelt ursprünglich mit der Un- terstützung des Welles-Planes eine Form der Appeasementpolitik zu amerikanischen Konditionen gefördert, ließ der Präsident infolge der Neubesetzung der Spitze des Auswärtigen Amtes und spätestens des Anschlusses Österreichs diese Idee endgültig fallen und distanzierte sich von Welles‘ Konzept.2432 Steven Casey argumentiert, dass der ameri- kanische Chef der Exekutive eigentlich immer Diplomaten und Politiker unterstützt hatte, die offen das deutsche Regime kritisierten.2433 Sicherlich aufgrund der Zerrissenheit des amerikanischen Außenministeriums in der Frage der Deutschlandpolitik führte der US-Präsident in der Zeit bis zur Münchener Konferenz außenpolitische Verhandlungen mit Europa direkt und wie erwähnt unter Umgehung der traditionellen Kanäle des State Departments.2434

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2428 Vgl. MORGAN: FDR. S. 498. 2429 Vgl. zu Wilson COMPTON: Hitler und die USA. S. 66. Vgl. zu Kennedy und Davis BLACK: Champion of Freedom. S. 439. Black bezeichnet den Appeasementanhänger Kennedy zusammen mit Stalinbewunderer Joseph Davis „one of the worst diplomatic appointments in the history of the United States”. 2430 Vgl. hierzu auch WELLES: Sumner Welles. S. 94f. 2431 Vgl. MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 6. 2432 Vgl. MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 1f. und POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 77. 2433 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 5. 2434 Vgl. FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 300.

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Das Auswärtige Amt, insbesondere Hans Heinrich Dieckhoff, wusste diese Aspekte der amerikanischen Außenpolitikformulierung genau zu unter- scheiden. Während Joe Kennedy in London dem deutschen Diplomaten Dirksen das Bild vermittelte, Roosevelt sei Deutschland gegenüber positiv eingestellt, widersprach Dieckhoff dieser Berichterstattung vehement: Roosevelt besitze ein genaues Bild von den deutschen Verhältnissen und suche aus ideologischen, nicht rein machtpolitischen Gründen aktiv die Auseinandersetzung.2435 Dieckhoffs zweigleisiges Vorhaben – die deutsche Regierung vor dem außenpolitischen Erwachen der USA zu warnen und gleichzeitig die amerikanische Öffentlichkeit zu beschwichtigen – scheiterte mit dem Verlauf der Ereignisse 1938 in doppelter Hinsicht und machte die Ohnmacht des Auswärtigen Amtes offenkundig.2436 Joachim von Ribbentrop steigerte sich zunehmend in eine Gegnerschaft Englands ohne die Rolle Amerikas auch nur zu erwähnen2437 und William Dodds Redefeldzug durch die USA, den Dieckhoff mit Argwohn beobachtet und hierüber ausführlich dem Amt berichtet hatte, lief seinen Bemühungen diametral entgegen – und das mit großem Erfolg. Spätestens mit dem Anschluss Österreichs begann die isolationistische Front in Amerika ihre restliche Dynamik zu verlieren.2438 Das positive Presseecho in Reaktion auf Dodds amerikaweite Auftritte vor Tausenden von Zuschauern läutete erst den Beginn einer antideutschen Wende der amerikanischen Bericht- erstattung zugunsten Roosevelts Politikprogramms ein. 2439 Botschafter Dieckhoff hatte im Laufe des Jahres 1938 ohnehin einen Schwenk der Mehrheitsverhältnisse im State Department im Sinne der deutschland- feindlichen Beamten beobachtet.2440 Spätestens nach den Pogromen im

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2435 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 187. 2436 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 188f. 2437 Vgl. Joachim von Ribbentrop, Notiz für den Führer (Auszug), vom 2. Januar 1938. Dok. 59 in KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 171-174. In diesem Dokument plädierte Ribbentrop für ein enges Bündnis mit Italien und Japan statt mit Großbritannien. Trotz einer vordergründigen Verständigung mit England sei die „Herstellung in aller Stille […] einer Bündniskonstellation gegen England“ (S. 173) das Ziel der deutschen Außenpolitik. 2438 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 117. Sirois bezeichnet die Zeit des Frühjahrs 1938 als „innenpolitische[n] Wendepunkt […] [. D]er Isolationismus verlor von hier an kontinuierlich an Boden”. 2439 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 125. Wie die weiteren Abschnitte dieses Kapitels zeigen werden, erfolgte ein deutliches Umschwenken der Presse zwischen der Sudeten- krise und dem Münchener Abkommen. 2440 Vgl. COMPTON: Hitler und die USA. S. 65.

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November 1938 war er sich des Verlustes jeder Unterstützung aus amerikanischen Regierungskreisen und vormals deutschlandfreundlichen Bevölkerungsteilen sicher.2441 Hans Heinrich Dieckhoff, der Amerikaexperte im Auswärtigen Amt, hatte in jenem Jahr korrekt beobachtet, dass das anglo-amerikanische Verhält- nis für Deutschlands Schicksal im Kriegsfall entscheidend sein würde. Noch war jedoch Anfang 1938 nicht entschieden, ob und in welcher Form Amerika sein Gewicht in die englische Waagschale werfen würde. In Folge des britischen Regierungswechsels zu Chamberlain, des mangelnden Engagements Amerikas in Fernost und Chamberlains Ablehnung einer amerikanischen Prägung der Appeasementpolitik in Form des Welles- Plans gestalteten sich die amerikanisch-britischen Beziehungen äußerst schwierig.2442 Unterschiedliche wirtschaftspolitische Auffassungen, eine handelspolitische Konkurrenzsituation bis Ende 1938,2443 der Rücktritt des amerikafreundlichen britischen Außenministers Anthony Eden2444 und die Anerkennung der italienischen Äthiopieneroberungen durch England2445 stellten die Beziehungen auf die Zerreißprobe noch bevor Chamberlain mit der eigentlichen Appeasementpolitik gegenüber Hitler

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2441 Vgl. TASCHKA: Diplomat ohne Eigenschaften. S. 189. 2442 Vgl. zu diesen Entwicklungen weiterhin POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 75ff. Vgl. auch DAVIS: Into the Storm. S. 186-193. Vgl. auch ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 51 und 55-77. Vgl. auch MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 23, 34-62. 2443 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 75f. Das amerikanische Meistbe- günstigungsprinzip für den internationalen Handel stand in Konkurrenz mit dem britischen Präferenzsystem, was in jenem Jahr das britisch-amerikanische Handels- volumen drastisch sinken ließ. Vgl. insbesondere zu diesem Konkurrenzverhältnis auch REYNOLDS: The Creation of the Anglo-American Alliance. S. 291. 2444 Vgl. zu den Hintergründen seines Rücktrittes MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 75. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 445f. Vgl. auch ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 78-87. Vgl. auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 77. Vgl. zur englischen Außenpolitik 1934 bis 1937 bis zum Regie- rungswechsel ausführlich POST, Gaines, Jr.: Dilemmas of Appeasement. British Deterrence and Defense, 1934-1937. Ithaca, NY, London 1993. 2445 Vgl. hierzu POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 76f. Vgl. auch WELLES: Sumner Welles. S. 93-96. Vgl. auch ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 78-83. Vgl. auch SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 187. Roosevelt war strikt gegen eine Anerkennung der Eroberungen Italiens eingestellt, vor allem wenn diese ohne Zugeständ- nisse seitens Italiens erfolgen sollte. Vgl. auch BLACK: Champion of Freedom. S. 448. Die rechtliche Anerkennung der italienischen Eroberungen durch England erfolgte am 16. April 1938, also nach dem Anschluss Österreichs.

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begonnen hatte. Die englischen Zugeständnisse an Italien in Ostafrika und Edens Kündigung hatten Roosevelts Vertrauen in die britische Regierung tief erschüttert: „But an even more important reason for his resignation was Chamberlain’s refusal to cooperate with the United States. Roosevelt feared that Eden’s demise meant that Chamberlain was preparing to sell out to the Axis”.2446 Je mehr Kenntnisse Roosevelt über Chamberlains Auffassung von Appeasementpolitik in Erfahrung brachte, umso weniger wollte er mit jenem Konzept in Verbindung gebracht werden: „Roosevelt surely felt offended by the moral compromise inherent in Chamberlain’s thinking”. 2447 Gleichsam fürchtete die US- Administration, Chamberlain plane eine Aufteilung der Welt in Inte- ressenssphären – was nicht nur dem amerikanischen Konzept der „Open Door“ zuwiderlief. 2448 Doch auch die britische Seite vermochte sich Anfang 1938 auf stichhaltige Argumente für ein Misstrauen gegenüber einem zielführenden amerikanischen Engagement zu stützen: „As matters stood the President was asking too much and offering too little”.2449 Den britischen Premier Chamberlain lenkten nicht lediglich ein allgemeines Konkurrenzverhalten gegenüber amerikanischen Appeasementplänen, sondern konkrete Vorbehalte bezüglich der Verlässlichkeit Washingtons nach dem unbefriedigenden Ausgang der Fernostkrisen 1937. 2450 Die Diskrepanz der Sichtweise auf letztere Frage hatte in Folge des Panay-Vorfalles den eigentlichen Bruch zwischen Anthony Eden und Chamberlain verursacht, weil Roosevelt die Erwartungen beider Politiker letztlich enttäuscht hatte.2451 Anthony Eden und William Edward Dodd teilten am Ende ihres Lebens eine tiefe Verbitterung im Rückblick auf die Ereignisse: Bereits die kleinste Intervention Washingtons, resümierte Eden viele Jahre später in einem Interview mit der New York Times, hätte

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2446 POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 77. 2447 ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 77. 2448 Vgl. MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 74. 2449 MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 179. 2450 Vgl. ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 51 und 60. Vgl. auch MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 48. Vgl. auch LANGER/GLEASON: Challenge to Isolation. S. 31f. Langer und Gleason betonen, dass trotz der ausbleibenden direkten Unterstützung britischer Pläne 1938 durch die US-Regierung letztere niemals die bri- tischen Vorhaben sabotierte oder blockierte. Die Sympathien Washingtons galten in der europäischen Frage immer Großbritannien und den Westmächten. 2451 Vgl. MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 62.

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zu einer Abschreckung der Ambitionen der Diktatoren und einer Ermu- tigung aller in ihrer Freiheit bedrohten Nationen geführt.2452 Der Anschluss Österreichs2453 durch das nationalsozialistische Deutsch- land im 13. März 1938 markierte einen weiteren Wendepunkt im deutsch- amerikanischen und anglo-amerikanischen Verhältnis. Hatte William Dodd lange Zeit zuvor diese Annexion als eines der ersten Ziele deutscher Expansionspolitik vorhergesagt, beurteilte Assistant Secretary of State George S. Messersmith dieses Ereignis als Beginn einer Disbalance des europäischen Mächtegleichgewichtes.2454 In keiner anderen Demokratie der damaligen Welt war die Ablehnung gegen diesen völkerrechts- widrigen Anschluss des deutschen Nachbarstaates größer als in den Vereinigten Staaten von Amerika.2455 Dennoch blieb die Administration im Inneren gespalten. Weite Teile der Beamtenschaft des State Departments vertraten wie Chamberlain die Meinung, nach dem von der italienischen Regierung wenig erwünschten Anschluss könne nun aktiv eine deutsch-italienische Entfremdung erwirkt werden.2456 Während der britische Regierungschef an seiner Appease- mentpolitik gegenüber dem italienischen und dem deutschen Diktator festhielt, lehnte Franklin Delano Roosevelt wie seine progressiven Berater Moore, Hull, Morgenthau und Ickes weitere Zugeständnisse an Mussolini und Hitler strikt ab.2457 Überzeugt von William Dodds Warnungen, dass die Tschechoslowakei bereits auf Hitlers expansionspolitischer Liste stand, verstärkten jene Regierungsmitglieder ihr Engagement zur Aufklä- rung der amerikanischen Öffentlichkeit.2458 Sumner Welles, der immer noch an die Möglichkeit einer Verständigung mit Deutschland auf einer

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2452 Vgl. WELLES: Sumner Welles. S. 208. 2453 Vgl. zum Anschluss und den Hintergründen SIROIS: Illusion und Krieg. S. 110-117. 2454 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 111. 2455 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 116. 2456 Vgl. zur Haltung des State Departments SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 188f. Vgl. auch ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 88. Vgl. auch MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 76. Vgl. zu Chamberlains Festhalten an seinem Appeasementkonzept nach dem Anschluss SCHMITZ: Triumph. S. 49. Vgl. zur britischen Berichterstattung über den Anschluss und Gespräche mit von Ribbentrop, die Washington aktiv zugesandt wurden ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 87f. 2457 Vgl. hierzu ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 88 und 91f. Vgl. auch SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 188. 2458 Vgl. hierzu ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 91. Vgl. auch MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 76.

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internationalen Konferenz glaubte und damit eine Zwischenposition zwischen Appeasementgegnern und Befürwortern einnahm, überzeugte den amerikanischen Präsidenten schließlich von einer offiziellen Zurückhaltung gegenüber Hitler und der britischen Konzessionspolitik. Allerdings sandte Welles dem britischen Botschafter Sir Ronald Lindsay deutliche Signale bezüglich des amerikanischen Unmuts als die englische Anerkennung der italienischen Territorialgewinne in Äthiopien bekannt wurde.2459 Dennoch hielt Franklin Roosevelt – eine späte Erfüllung von William Dodds jahrelanger Forderung nach einer engeren Kooperation – an der gemeinsamen Zukunft einer anglo-amerikanischen Zusammenar- beit fest und gewährleistete in den folgenden Monaten eine Stabilisierung der angelsächsischen Beziehungen unter amerikanischen Bedingungen, während der deutsch-amerikanische Gegensatz keineswegs entschärft wurde.2460 Es ist vermutlich der aktiven Aufklärungs- und Informations- politik der Roosevelt-Regierung und William Dodds zuzuschreiben, dass nach der Annexion Österreichs die Stimmung der amerikanischen Öffentlichkeit Deutschland gegenüber einen Tiefststand erreicht hatte und die Isolationismusbewegung deutlich geschwächt aus den Ereig- nissen hervorging.2461 Als beispielhaft für Franklin Delano Roosevelts schrittweise Neuorien- tierung der amerikanischen Außenpolitik erwies sich sein Verhalten während der Sudetenkrise ab Frühjahr 1938 bis zur Münchener Konfe- renz im September desselben Jahres. Vordergründig betrieb der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika eine für Verwirrung sorgende Politik zwischen Neutralität und Unterstützung der britischen Appeasementbe- mühungen. Hintergründig jedoch gab es in jener Zeit bereits Anzeichen für ein Umschwenken auf eine aktive „Containment“-Politik gegen die großen Diktaturen. Da er weder die Beschwichtigungspolitik der euro- päischen Westmächte und ihre Konzessionen zum Schaden kleinerer Nationen guthieß, noch zu jenem Zeitpunkt den Ausbruch eines Krieges provozieren wollte, entschied sich Roosevelt für eine zweigleisige Politik, die ihm in fast jedem eintreffenden Fall erlauben würde, die interna- tionale Situation im Sinne amerikanischer Interessen beeinflussen zu

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2459 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 78 und BLACK: Champion of Freedom. S. 447. 2460 Vgl. BLACK: Champion of Freedom. S. 448. 2461 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 117 und 120.

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können.2462 Offiziell unterstützte er die Haltung der europäischen Demo- kratien und damit indirekt ihre Appeasementpolitik, ohne dieser in Europa aktiv Nachdruck zu verleihen. Dadurch ließ er dem britischen Premier die Möglichkeit, sein Konzept an Mussolini und Hitler auszu- testen – und für alle Welt sichtbar zu scheitern:2463 „It is clear from his diplomatic correspondence that Roosevelt foresaw the course of appeasement, thought it a mistaken effort to buy two or three years peace before Hitler unleashed war, and doubted it would succeed even in that”.2464 Da ein zu rasches Scheitern jedoch einen Krieg wahrschein- lich machte, ließ Roosevelt Großbritanniens und Frankreichs Friedens- bemühungen und Beneš‘2465 verzweifelte Bitten um Unterstützung nicht gänzlich unbeachtet. Roosevelt erlaubte sich – ohne Einbeziehung des State Departments – direkte Appelle zur Einhaltung des Friedens an Mussolini und Hitler im September 1938 als die Verhandlungen zwischen den Westmächten und den Diktatoren vor Einleiten der Initiative zur Münchener Konferenz gescheitert waren.2466 Dieses Handeln widersprach direkt Hugh R. Wilsons Empfehlungen aus Berlin, sich in Prag zugunsten von Zugeständnissen an die Diktatoren zu engagieren.2467 Auch wenn sich Chamberlain in seinen Augen vehement dagegen wehrte, bereitete Franklin Roosevelt in jenen Monaten eine enge Kooperation mit Großbri- tannien zu amerikanischen Bedingungen vor. 2468 Um seine Chancen

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2462 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 122f. 2463 Hierfür sprechen MacDonalds Beobachtungen: Roosevelt hatte sich auf keine Unterstützung für die Verhandlungsmission des britischen Lords Runciman eingelassen und wartete dessen Scheitern ab bevor er in direkten Kontakt mit den Diktatoren trat. Vgl. MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 91-105. Vgl. auch ADLER: Uncertain Giant. S. 210. Selig Adler stellt die Behauptung auf, Roosevelt habe Chamberlain mit München einen letzten Versuch für seine Appeasementpolitik „erlaubt”. 2464 BLACK: Champion of Freedom. S. 449. 2465 Vgl. zu Staatspräsident Beneš´ Diplomatieversuchen ausführlich LUKES, Igor: Czecho- slovakia between Stalin and Hitler. The Diplomacy of Eduard Beneš in the 1930s. New York u.a. 1996. 2466 Vgl. WELLES: Sumner Welles. S. 211f. Vgl. auch ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 102. Vgl. auch FREIDEL: Rendezvous with Destiny. S. 289-304, auch für die weitere Entwicklung der US-Außenpolitik und der Verhandlungen von der Sudetenkrise bis München. Vgl. auch JONAS: The United States and Germany. S. 231 sowie POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 78f. 2467 Vgl. ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 103. 2468 Vgl. DALLEK: Franklin D. Roosevelt. S. 161-166. Roosevelt bezeichnete den britischen Premier vor Hull und Morgenthau einmal aufgrund seiner schwierigen Verhandlungs- führung als „glitschig wie einen Aal”.

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durch das nach dem Anschluss Österreichs und während der Zuspitzung der Sudetenkrise eindeutig einsetzende Umschwenken der US-Presse gegenüber seiner Politik2469 maximal ausschöpfen zu können, versuchte das amerikanische Staatsoberhaupt durch geheime Versprechen an die britische Regierung das ehemalige koloniale Mutterland an die weitere US-amerikanische Außenpolitikausrichtung zu koppeln und von ihr abhängig zu machen, falls der Kriegsfall dennoch eintreten sollte:2470 In einem vertraulichen Gespräch mit dem britischen Botschafter Lindsay am 19. September 1938 versprach er eine US-amerikanische Teilnahme an einer Weltkonferenz aller Staats- und Regierungschefs sollte der Frieden weiter gewahrt werden. Sollten Paris und London in einen Krieg gezogen werden, werde er selbst die US-Bevölkerung davon überzeugen, alle Materialien inklusive Waffen aus humanitären Gründen an die West- mächte liefern zu müssen, solange diese nur den Krieg nicht selbst erklärt hatten.2471 Eine solche Taktik entsprach, wie in kaum einem anderen Beispiel seiner politischen Strategien, dem Grand Design Roosevelts und der Einleitung einer Eindämmungs- und „Quarantäne“-Politik, die die folgenden Jahre amerikanischer Außenpolitik entscheidend prägen sollte. Die USA sollten schon sehr bald zum „great arsenal of democracy“2472 avancieren,2473 wie es William Edward Dodd zuletzt gefordert hatte. Im Jahr 1938 hatte sich Franklin Delano Roosevelt dafür entschieden, was „Quarantäne“ bedeuten sollte. Es dauerte nur wenige Tage bis Adolf Hitler einer schockierten Weltöffentlichkeit erklärte, dass die Bestimmungen des Münchener Abkommens den deutschen Forderungen nicht genüge täten. 2474 Der Abschluss der Münchener Konferenz selbst hatte Washington trotz der Großbritannien gegenüber geäußerten verhaltenen Glückwünsche zur

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2469 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 125. 2470 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 123f. 2471 Vgl. ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 118 und SIROIS: Illusion und Krieg. S. 123. 2472 Dieser Ausdruck entstammt einer späteren Radioansprache Roosevelts, am 29. Dezember 1940, in der er Großbritannien die Lieferung militärisch relevanter Güter ohne den Einsatz amerikanischer Truppen für den Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland zusagte. Vgl. „There Can Be No Appeasement With Ruthlessness…. We Must Be the Great Arsenal of Democracy”. Fireside Chat on National Security, December 29, 1940 in The Public Papers and Addresses, Vol. 9: War – and Aid to Democracies 1940 (1941). Dokument 149. S. 633-644. Hier S. 643. 2473 Vgl. MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 105. 2474 Vgl. POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 80.

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vermeintlichen Verhinderung eines Krieges als ein Zeichen des Scheiterns der Appeasementpolitik der Europäer gegolten.2475 Nun erwies sich die Einschätzung des Präsidenten als richtig und seine Taktik als der Situation angemessen: Premierminister Chamberlain musste bald den Misserfolg seiner Politik der Konzessionen eingestehen und Franklin Roosevelt somit indirekt die „moralische“ Führungsrolle der westlichen Welt überlassen. 2476 Ein eindeutiger „shift from appeasement to containment“2477 im Oktober 1938 war die vorgeblich aus den Ereignissen des Herbstes resultierende Folge einer tatsächlichen vorausschauenden Planung Roosevelts. Die revisionistische Geschichtsschreibung eines Charles Beard2478 oder eines Charles C. Tansill,2479 Roosevelt habe aktiv auf den Ausbruch des Krieges2480 und die Beteiligung der USA hieran hingearbeitet, ist allerdings eine Umkehrung der Tatsachen. Nicht der amerikanische Präsident erzwang die Entwicklungen, sondern die sich nicht selten vorab ankündigenden und eintreffenden Ereignisse zwangen ihn als Regierungschef der demokratischen Weltmacht mit dem größten wirtschaftlichen, politischen und militärischen Potential für alle weiteren Eventualitäten, die Amerikas Sicherheit, nationale Interessen und globale Stellung sowie die „freie“ Welt existentiell bedrohen konnten, vorbereitet zu sein. München hatte nicht nur nicht den erhofften Frieden gebracht, „sondern vielmehr den Krieg unvermeidlich gemacht”.2481

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2475 Vgl. LaFEBER: American Age. S. 391. Vgl. auch JONAS: The United States and Germany. S. 232. Dies bezieht sich vor allem auf Roosevelt und sein Kabinett. Besonders Sumner Welles und die Beamten des State Departments jedoch hofften bis zur Reichspo- gromnacht, dass München den Frieden gebracht haben könnte. Sie alle einte die Hoffnung auf die Vermeidung eines weiteren großen Krieges. Vgl. WELLES: Sumner Welles. S. 212. Vgl. auch ROCK: Chamberlain and Roosevelt. S. 125. 2476 Vgl. WELLES: Sumner Welles. S. 213. 2477 MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. ix. 2478 Vgl. BEARD: American Foreign Policy in the Making. 2479 Vgl. TANSILL: Die Hintertür zum Krieg. 2480 Vgl. hierzu auch FRYE: Nazi Germany. S. 10-14. Auch Frye entgegnet auf revisionis- tische und neorevisionistische Anschuldigungen amerikanischer Historiker wie Tansill, Roosevelt habe Großbritannien und Frankreich zu Garantieerklärungen an Polen ge drängt, eindeutig: Anders als Bullitt und Kennedy habe er zwar weitere Appeasement- versuche abgelehnt, allerdings erst Ende 1940 nach dem Fall Frankreichs und angesichts Großbritanniens Bedrängnis durch Deutschland – also nach den erfolgten Kriegserklärun- gen – in dieser Situation eine konkrete Gefahr für die USA wahrgenommen und ent- sprechende militärische Konsequenzen für das Handeln Amerikas in Erwägung gezogen. 2481 BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 240.

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Dies machte kein anderer Wendepunkt für die amerikanische Haltung gegenüber Deutschland so deutlich wie die sogenannte „Reichskristall- nacht“, ein Gewaltakt der nationalsozialistischen Regierung, ihrer Hand- langer und der deutschen Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger in einem damals wie heute sprachlos machenden Ausmaß an Hass und Brutalität.2482 Was hierauf folgte bezeichnet Sirois als „Krieg der Wor- te“2483 zwischen den USA und Deutschland, den Roosevelt durch seine offene Kritik an der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung anfeuerte.2484 Ein weiteres Mal hatte der ehemalige Botschafter William Edward Dodd mit seinen Warnungen Recht behalten: Die Diskriminierung der Juden in Deutschland war kein innerdeutsches Problem,2485 sondern war auch für Amerika ein Angriff auf die Zivilisation und Freiheit selbst. Die auf seinem Redefeldzug 1938 ständig wiederholten Schilderungen der Situation in Deutschland erfuhren Ende des Jahres eine traurige Bestätigung und bereiteten gleichermaßen die Reaktion einer „aufgeklärteren“ US-Öffent- lichkeit vor: „In seiner Form und Schärfe konnte dieser [Krieg der Worte] eigentlich nur mit dem Umgang zweier sich im Krieg befindlicher Nationen verglichen werden”. 2486 Nach der Rückberufung Botschafter Hugh R. Wilsons von Berlin nach Washington zu Konsultationszwecken am 15. November 19382487 entschied sich Franklin Roosevelt aber zunächst für alle „methods short of war”.2488

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2482 Vgl. zu den Ereignissen nach München und der Pogromnacht MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. 106-123 sowie JONAS: The United States and Germany. S. 232. Vgl. zum Wendepunkt in der US-amerikanischen öffentlichen Meinung GASSERT: Amerika im Dritten Reich. S. 257. Vgl. zum einsetzenden Wandel der Haltung der Beamten im State Department MacDONALD: The United States, Britain and Appeasement. S. x. 2483 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 170. Vgl. auch SCHÖLLGEN: Jenseits von Hitler. S. 177. Schöllgen nennt als Gründe für Roosevelts Umschwenken zu öffentlichen Äußerungen gegen Deutschland die „Reichskristallnacht“ sowie Deutschlands außenpolitische Schritte im Frühjahr 1939. Vgl. zu diesem Stimmungswechsel auch CASEY: Cautious Crusade. S. 20. 2484 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 170. 2485 Vgl. MORGAN: FDR. S. 499. Der ehemalige US-Botschafter in Polen, John Cudahy, hatte die Judenverfolgungen offiziell als rein innerdeutsches Problem bezeichnet. 2486 SIROIS: Illusion und Krieg. S. 170. 2487 Vgl. SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 196. 2488 SCHMITZ: The United States and Fascist Italy. S. 196. Vgl. zu diesem Ausspruch Roosevelts seine Annual Message to the Congress, January 4, 1939 in The Public Papers and Addresses, Vol. 8: War – and Neutrality 1939 (1941). Dokument 1. S.1-12. Hier S. 3.

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Die Pogrome in Kombination mit Hitlers Verhalten nach München markierten den gravierendsten Wendepunkt für die US-amerikanische Außenpolitikformulierung und die Erwägung der Handlungsoptionen, die William Edward Dodd fortan vom Krankenbett aus mitverfolgen musste. Das endgültige Scheitern der Appeasementpolitik erlaubte erstmals eine neue Strukturierung des britisch-amerikanischen Verhältnisses wofür das anglo-amerikanische Handelsabkommen vom 17. November 1938 nur ein Beispiel von vielen war.2489 Eine der Methoden ohne notwendige gewalt- same Auseinandersetzung stellte somit eine „amerikanische Außenwirt- schaftskonzeption [dar, die] bewußt gegen die national- [/ S. 185:] sozialistische ökonomische und auch politisch-ideologische Expansion eingesetzt“2490 wurde und die William Dodd im Jahr 1937 für sowohl den südamerikanischen als auch den südosteuropäischen Markt gefordert hatte um die nationalsozialistische Wirtschaftsexpansion frühzeitig zu unterbinden. Diese Form der amerikanisch-englischen Annäherung wurde von Washington und London aus innenpolitischen Beweggründen und dank Roosevelts geheimem Taktieren 1938 nicht lautstark propa- giert.2491 Sie spiegelte die späte Reaktion der großen Demokratien auf einen Zustand wider, dessen Entstehung bereits Jahre zuvor begonnen hatte und ihren Einfluss auf die Weltpolitik in Frage stellte: Die Auflösung des Status Quo in Europa und im Fernen Osten. Die alte Balance of Power auf beiden Kontinenten war 1938 gleichzeitig zusammengebrochen.2492 Dies hatte für die Vereinigten Staaten von Amerika folgende unausweich- liche Konsequenz: „Roosevelt retrieved from the failures of collective security the conception that the defense of the United States was bound up with the defense of the western European democracies”.2493 Diese

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2489 Vgl. zu diesem Abkommen und seiner Bedeutung SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 169-199. Schröder postuliert, dieses Abkommen sei wichtiger als die Quarantänerede selbst. Das sogenannte amerikanische „economic appeasement“ stellte eine kompromisslosere Variante als das britische Appeasementkonzept dar (S. 179). 2490 SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 184f. 2491 Vgl. SCHRÖDER: Deutschland und die Vereinigten Staaten. S. 194-197. 2492 Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 134. Vgl. auch LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 236. Lübken spricht von der „‘Vernichtung‘ des einstmals schützenden Raumes zwischen der Alten und der Neuen Welt”. Vgl. auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 201ff. Ende 1938 kündigte Japan offiziell das Open Door-Konzept durch eine Proklamation einer Neuen Ordnung für Fernost auf. 2493 RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 59. Vgl. hierzu auch POWASKI: Toward an Entangling Alliance. S. 81.

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„demokratische Front“, wie Dodd sie stets gefordert hatte, schloss dabei nach Meinung Washingtons ein amerikanisches Zusammengehen mit Stalins Sowjetunion aus ideologischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen aus.2494 Der Spanische Bürgerkrieg, „[i]n Roosevelt’s mind the model for a fascist assault on the western hemisphere”,2495 rückte in Folge der Münchener Konferenz in die zentralen Erwägungen der US-Regie- rung. 2496 Hierbei leiteten ideologische Auffassungen und global-geo- politische Überlegungen, wie sie in den amerikanischen Debatten um Isolationismus und Internationalismus in den vorhergegangenen Jahren immer wieder in Erscheinung getreten waren, die progressive Admi- nistration Roosevelts in ihren Entscheidungen: Der Verlust des Einflusses auf amerikanische Interessenssphären in Europa und Asien und damit auch des Marktzuganges „würden Unruhe und Enttäuschung in den USA hervorrufen und einen günstigen Nährboden für fremde Ideologien bilden. […] Ein besiegtes Großbritannien und ein besiegtes Frankreich würde für Europa und Asien das Ende des Liberalismus im Handel, im Geist und in der sozialen Organisation bedeuten”.2497 Handfeste Resultate aus diesen Überlegungen in Form von konkreten Maßnahmen blieben ab 1938/1939 nicht mehr aus. Amerika entschied sich schrittweise neben dem neuen Sicherheitskonzept einer engen Zusammenarbeit mit den Westmächten für den Ausbau einer „Two Ocean“-Flotte und den Aufbau einer amerikanischen Luftstreitkraft,2498 für eine Strategie der Vorwärtsverteidigung2499 in Europa und für eine Verstärkung der Hemisphere Defense in Kooperation mit Kanada, Mittel- und Südamerika.2500 „Die öffentliche Einbeziehung ganz Lateinamerikas

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2494 Vgl. RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 65. Weder die Handels- noch die poli- tischen Beziehungen zu Stalins kommunistischem Staat hatten sich nach 1933 besonders positiv entwickelt. 2495 TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 81. 2496 Vgl. TIERNEY: FDR and the Spanish Civil War. S. 80ff. 2497 JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 212. Junker zitiert hier indirekt ein Memorandum Joe Kennedys an Roosevelt von 1939/1940. 2498 Vgl. BARRON: Leadership in Crisis. S. 24-27. 2499 Vgl. zu den Planungen Roosevelts, Hopkins, Morgenthaus und Assistant Secretary of War Louis Johnsons ab November 1938 JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 32 und 38. 2500 Vgl. zur Konferenz von Lima im Dezember 1938, die die Weichen für engmaschigere Konsultations- und Kooperationsmechanismen der Good Neighbor Policy stellte IRIYE: Globalizing America. S. 161. Vgl. zu den gesamten Konsequenzen aus dem Scheitern der Münchener Konferenz bis Lima RAUCH: From Munich to Pearl Harbor. S. 80-101.

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in den US-amerikanischen Verteidigungsbereich unter dem Konzept der Hemisphere Defense begann unmittelbar nach dem Münchner Ab- kommen”.2501 Hierbei greift die Erklärung zu kurz, die amerikanische Regierung habe sich lediglich von einer Paranoia bezüglich einer Gefähr- dung der eigenen Sicherheit der Hemisphäre durch die nationalsozialis- tische Bedrohung, die niemals wirklich bestanden habe, leiten lassen.2502 Ohne auf die Diskussion um diese Behauptung der revisionistischen Geschichtsschreibung in Amerika im Detail einzugehen, seien an dieser Stelle zwei schlagende Argumente erwähnt, die Uwe Lübken in seiner Monographie treffend erklärt: „In der damaligen Gegenwart musste man ohne das Wissen um die letztliche Niederlage der Achsenmächte aus- kommen;“ 2503 und Lübkens militärstrategisches Argument: „Erst diese Konstruktion einer ‚Nord-Süd-Achse‘ aber ermöglichte Roosevelts west- östliche ‚globale Vorwärtsverteidigung‘“.2504 Ebenso wenig dürfte Präsi- dent Roosevelt die Ausklammerung des sowjetischen Faktors zu jenem Zeitpunkt vor Ausbruch des Krieges direkt vorzuwerfen sein: „There was no way accurately to foretell the astonishing rise of the Soviet Union”.2505 Durchaus diskutabel ist jedoch die Frage, ob der gezielte Einfluss der Roosevelt-Administration auf die amerikanische Öffentlichkeit mit der Propagierung der nationalsozialistischen Gegnerschaft nicht bereits in einem Maß das Weltmachtdenken Amerikas mit globalem Anspruch ideologisierte, das Präsident Harry S. Truman den Weg zu einem neu- definierten, ideologisierten Feindbild des Kommunismus erleichterte.2506 Die Auffassung von einem Weltbild bipolarer Interessenssphären, in dem die Vereinigten Staaten von Amerika dauerhaft eingebunden die Inte- ressen der demokratisch-freiheitlich-kapitalistischen Welt verteidigten, sollte ein knappes Jahrzehnt später das Ende des Isolationismus und gleichzeitig wichtiger Bestandteile des Progressivismus wie der Open Door-Politik einläuten. Akira Iriye verortet in jener Zeit der späten 1930er

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2501 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 241. 2502 Vgl. zu dieser Diskussion FRYE: Nazi Germany. S. 14 und die Argumentation in der gesamten Monographie. Vgl. zu dieser Diskussion der Hemisphärenpolitik die gesamte Monographie LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. Vgl. auch COMPTON: Hitler und die USA. S. 211-225. 2503 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 396. 2504 LÜBKEN: Bedrohliche Nähe. S. 392. 2505 FRYE: Nazi Germany. S. 13. 2506 Vgl. CASEY: Cautious Crusade. S. 226.

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Jahre eine maßgebliche Verschiebung der amerikanischen Auffassung der eigenen geopolitischen Rolle: „The emergence of geopolitical-mindedness was a major phenomenon of American intellectual and diplomatic history. The consciousness of power and the readiness to consider war was an instrument of national policy – such a ‘realist’ response to world affairs was to have a profound impact on the way the American people viewed external events. The new assertiveness in Roosevelt’s foreign policy dovetailed with this intellectual development. It was perhaps fortunate for the United States and for the world that this conjunction of policy and thought had begun to take place by 1939. But, at the same time, the earlier tradition of Wilsonianism would not be totally submerged under the new realism. Henceforth, American foreign policy would have the task of combining with Wilsonian internationalism”.2507 An dieser von Iriye erwähnten ideell-intellektuellen Entwicklung eines geopolitischen amerikanischen Bewusstseins, die der politisch-militäri- schen weit vorausging, hatten Männer wie William Edward Dodd, der als Historiker, Intellektueller und Botschafter die Wilsonschen progressiv- internationalistischen Ideale seit jungen Jahren bis zu seinem Tod in der Öffentlichkeit vertreten und zu den Meinungsbildern im Amerika der 1920er und 1930er Jahre gehört hatte, direkt mitgewirkt. Derartige Umwälzungen im politischen Denken und Handeln einer Gesellschaft gingen damals wie heute nie ohne kollektive und indivi- duelle Verluste und Kämpfe vonstatten. William Edward Dodds Leben als progressiver Wilsonian war seit jungen Jahren ein „fierce battle for democracy“ gewesen. Die Gegnerschaft der gut organisierten, extrem starken Gegenbewegung der amerikanischen Isolationisten und Konser- vativen sowie die Mischung aus Terror, Gewalt, Spionage und Demo- kratiefeindlichkeit im nationalsozialistischen Deutschland hatten in Kombination mit einer ohnehin angeschlagenen Gesundheit, mehreren Schicksalsschlägen und einer erschöpfenden Redekampagne quer durch Amerika William Edward Dodds physischen und psychischen Zusammen- bruch und seinen frühzeitigen Tod bewirkt. Die ständige Beobachtung und despektierliche Kommentierung durch das Auswärtige Amt sowie ge- hässige Äußerungen von Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels‘

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2507 IRIYE: Globalizing America. S. 169.

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über „das kleine Schweinchen Dodd“2508 nach Dodds Abberufung im Jahr 1938 zeugten von der Einsicht der deutschen Regierung in Dodds für den Nationalsozialismus gefährliche analytische Fähigkeiten und in seinen weiterhin bestehenden Einfluss auf die Administration und die öffentliche Meinung in Amerika. William Dodd hatte auch 1938 das richtige Gespür für deutsche Entwicklungen und die Konsequenzen für die Vereinigten Staaten behalten.2509 Im Anschluss an seine Rolle als progressiver Bot- schafter des Präsidenten in Berlin, der im durch totalitäre Gesinnungen belagerten Europa die Werte der Demokratie verteidigen sollte, erfüllte William Dodd 1938 zwei Funktionen für Roosevelt: Erstens halfen seine Berichterstattung und Interpretation der Vorjahre und jenes Jahres über die europäische und insbesondere deutsche Lage dem Präsidenten und seinem Kabinett, die Gefahren einer Appeasementpolitik rechtzeitig zu durchschauen und nach alternativen Handlungsoptionen zu suchen – die zahlreichen Überschneidungen der Rooseveltschen Entscheidungen und Weichenstellungen mit Dodds Empfehlungen sind in diesem letzten Kapitel offensichtlich geworden. Zweitens unterstützte und verteidigte William Dodds „Kreuzzug der Worte“ durch Amerika Roosevelts gesamte New Deal- und Außenpolitik und bereitete die Öffentlichkeit erfolgreich auf ein außenpolitisches Umdenken im Sinne der Internationalisten vor – unter Aufopferung seiner weiteren möglichen Karriere als Historiker und seiner Gesundheit.

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2508 FRÖHLICH, Elke (Hrsg.): Joseph Goebbels. Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Teil I. Aufzeichnungen 1923-1941. Band 5 Dezember 1937 – Juli 1938, bearbeitet von Elke FRÖHLICH. München 2000. Eintrag vom 16. Januar 1938, S. 101: „Das kleine Schweinchen Dodd schimpft bei den Juden über Deutschland. So etwas war hier in Berlin Botschafter”. Vgl. auch Eintrag vom 9. Januar 1938, S. 88 „Wilson als neuer USA Botschafter [sic!] für Berlin ernannt. Dodd rächt sich durch unqualifizierbare Ausfälle gegen Deutschland. Der hat´s nötig!” Vgl. auch Eintrag vom 27. Februar 1938, S. 179 „Ich einige mich mit Ribbentrop, daß der Angriff gegen Dodd allmählich vorgetragen wird und sich dann nach und nach verstärkt”. 2509 Vgl. hierfür zum Beispiel sein Drängen auf einen Besuch Dr. Carl Goerdelers bei Cordell Hull. Charles Bloch bestätigt, dass Goerdeler und hochrangige deutsche Offiziere um Generaloberst Ludwig Beck im Sommer 1938 den direkten Sturz des nationalsozialis- tischen Regimes planten. Vgl. BLOCH: Das Dritte Reich und die Welt. S. 241. Vgl. zu Goerdelers Widerstandskreis ausführlich RITTER, Gerhard: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Ungekürzte Ausgabe. München 1964.

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8. Zusammenfassung und Schlußgedanken: Die Bedeutung der Deutschlanderfahrungen William Dodds für den Wandel der US-Amerikanischen Deutschland- und Weltpolitik

Manche Aufgabe ist so groß, dass im Alleingang jede Person an ihrer Bewältigung scheitern würde. Die direkte Begegnung und der Umgang mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und seiner radikalen Etablie- rung in der deutschen Gesellschaft der 1930er Jahre gehörten sicherlich zu einer der komplexesten Herausforderungen, mit der sich ein Diplomat konfrontiert sehen konnte. Sie brachte einen ausländischen Repräsen- tanten in das Dilemma, zwischen der Repräsentation seines eigenen Landes und dessen Kultur und Werten sowie dem Schutz für seine Staatsangehörigen und der Pflege freundschaftlicher diplomatischer Beziehungen abzuwägen. Wann kann man deshalb überhaupt vom Erfolg, wann vom Scheitern eines diplomatischen Vertreters sprechen? Entsprechend schwierig gestaltete sich die Lösung der methodischen Frage für die vorliegende Arbeit, anhand der Quellen und des For- schungsstandes zur Innen- und Außenpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika, des „Dritten Reiches” und ihrer Beziehungen zueinander William Edward Dodds Bedeutung für die amerikanische Außen- und Deutschlandpolitik nachzuvollziehen. Aus der eingehenden Quellenkritik und dem Studium der existierenden Forschungsliteratur ergab sich der methodische Ansatz, die verschiedenen Rollen des Botschafters und Intellektuellen William Dodd einer genauen Untersuchung zu unter- ziehen, ohne eine reine Biographie zu verfassen oder von seinem speziellen Fall ins Allgemeine abzugleiten. Diese Betrachtung seiner diversen Funktionen als Beobachter, Berichterstatter, Verhandlungsführer und Botschaftsleiter innerhalb der deutschen und amerikanischen gesell- schaftlich-politischen Netzwerke und Beziehungsgeflechte ergab das Bild eines Mannes, der – sozialisiert in den amerikanischen Südstaaten unmittelbar nach Ende des amerikanischen Bürgerkrieges und inmitten der sozio-politischen Auswirkungen einer rasant fortschreitenden In- dustrialisierung der USA im 19. Jahrhundert – Zeit seines Lebens in zentraler Position und bedeutungsvoller Funktion mit politischen und gesellschaftlichen Neuerungen konfrontiert gewesen war. William Dodd erachtete stets den Weg der gewaltfreien und gesellschaftlich getragenen

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Reform innerhalb liberal-demokratischer Rahmenbedingungen als Beste aller politischen Lösungen – eine Einstellung, die wir im heutigen Sinne als modern bezeichnen würden. Dabei waren Dodds konsequente Handlungs- und Denkweisen sowie seine Loyalität gegenüber dem amerikanischen Verfassungssystem und seinen eigenen moralisch-idealistischen Werten für seine Karriere und sein Privatleben Fluch und Segen zugleich. Die politisch-ideelle Zuord- nung seiner Persönlichkeit und seines Wirkens gelingt eindeutig und ohne Zweifel an ihrer Richtigkeit, weil William Edward Dodd sich sein gesamtes Leben über ohne Brüche zum Lager der progressiven Inter- nationalisten im Erbe Thomas Jeffersons und Woodrow Wilsons bekannte. Seine Überzeugungen stellten darüber hinaus seine Aufgaben- bewältigung, Beobachtungen und Erfahrungen im nationalsozialistischen Deutschland auf einen bestimmten perspektivischen Fokus ein, der im Kern stets unberührt von äußeren Vorgängen blieb. Diese Zuordnung William Dodds zur Gruppe der progressiv-liberalen Reformer, die mit der Wahl Franklin Delano Roosevelts nach drei republikanischen Administrationen wieder ins Weiße Haus und in die Washingtoner Ministerien und Behörden einzogen, macht einen Teil seiner Bedeutung für die US-amerikanische Politik seiner Zeit aus, nach der in der Einleitung gefragt wurde. Im langen Jahrzehnt der Great Depression und der Identitätssuche des amerikanischen politisch- kulturellen und ökonomischen Systems in Bezug auf seine innere und äußere Rolle als Demokratie im 20. Jahrhundert verfolgte Dodd zusammen mit seinen progressiven Mitstreitern wie schon in den 1920er Jahren konsequent die Fortführung des reformerischen und inter- nationalistischen Ansatzes Woodrow Wilsons, um die innere und äußere (Identitäts-)Krise des Landes zu beenden. Je mehr sich die weltpolitische Lage angesichts der Krisenherde in Europa und Fernost zuspitzte, umso überzeugter setzten sich die progressiven Internatio- nalisten für eine Wiederherstellung der moralischen Führungsmacht Amerikas ein. Die Anfänge der Good Neighbor Policy, die Aufrecht- erhaltung der Open Door Policy in Fernost und der freundschaftlichen Beziehungen zu den europäischen Mächten zeugten vom Einfluss dieser politisch-intellektuellen Gruppe und von einer Neuausrichtung der Außenpolitik unter Franklin Roosevelt, die manchmal leise schleichend, manchmal deutlich wahrnehmbar vonstattenging und den internationa- listischen Ansatz des neuen Präsidenten und seiner Berater offenkundig machte. William Edward Dodd dürfte als Vorkämpfer der progressiven Forderung nach einer inneren und äußeren Erneuerung Amerikas gelten,

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der sich hierfür – eng vernetzt mit anderen Angehörigen der progressiven Elite wie Cordell Hull, Colonel House, Daniel Roper und Judge Moore – unmittelbar nach Beginn der Präsidentschaft Franklin Roosevelts ohne Rücksicht auf eigene berufliche oder persönliche Verluste einzusetzen begann. Dieser Prozess der Durchsetzung des progressiv-internationalis- tischen Ansatzes in der Regierungszeit Roosevelts gegen die politisch- ökonomischen sowie sozialen, isolationistischen und nationalistischen Konkurrenzkonzepte ging nicht ohne herbe Rückschläge und Kämpfe um die Meinungshoheit über die Zukunft Amerikas vonstatten. Vier Aspekte bewirkten eine Verlangsamung der Umstellung der amerika- nischen Deutschlandpolitik auf präventive oder offensive Konzepte und trugen zum innenpolitischen Widerstand gegen die möglichen Konse- quenzen aus Dodds Beobachtungen in Deutschland und Europa und sein Postulat einer selbstbewussten Verteidigung der Demokratie nach außen bei, dem er sich auch nach Beendigung seiner Botschafterzeit entgegenstellte: a) Die überkommenen Prozesse und die Struktur der Außenpolitik- formulierung in den USA innerhalb eines Systems der Checks and Balances mit zahlreichen Akteuren, mit den traditionellen sowie dynamischen politisch-kulturellen Ideen und ihrem Diskurs in einer pluralistischen Gesellschaft unter erheblichem Einfluss der öffent- lichen Meinung und der Medien. b) Die auf innenpolitische Effekte zielende, in ihrem Sinn oft selbst seinen Beratern verborgen bleibende Kombination aus Roosevelts Strategie und Taktik, um seine Mehrheiten in den beiden Legislativ- kammern halten zu können und niemals die vollständige Umsetzung des New Deals sowie seine Wiederwahl zu gefährden. c) Die zunehmende Zerrissenheit beziehungsweise Spaltung innerhalb der Demokratischen Partei als regierender Partei zwischen konser- vativen und progressiven Isolationisten und Internationalisten und die Auflösung der New Deal-Koalition mit den progressiven Republi- kanern, die im Kongress und den Behörden mitregierten. d) Die emotional aufgeladene Debatte um den Umgang mit der Heraus- forderung der totalitären Regime Europas und des Fernen Ostens als Neuheit in den internationalen Beziehungen, die Wilson noch durch seine Nichtanerkennungspolitik gegenüber der Sowjetunion in ihrer Revolutionsphase und durch die demokratische Lösung für Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg hatte umgehen können. Die Veränderungen im globalen Machtgefüge erfolgten in den 1930ern

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schrittweise und im Falle des expansionistischen Ausgreifens des nationalsozialistischen Deutschlands erst verhältnismäßig spät. Dabei war William Dodd in seinem Amt in Berlin rasch in seine Rolle als Diplomat hineingewachsen. Seine Warnungen vor den Implikationen der nationalsozialistischen Herrschaft und seine Handlungsempfehlungen für die Washingtoner Regierung zeugen davon, dass der idealistische Wilsonian – konfrontiert mit den Realitäten in Berlin – seine inter- nationalistische Auffassung hin zu einer interventionistischen Politik- formulierung abwandelte. Zu seinen Vorschlägen gehörten vor allem, die USA in ein System kollektiver Sicherheit zu integrieren: Eine neue Rolle der USA als im Völkerbund schmerzlich fehlende Führungs- und Garantiemacht für das Versailler System; eine vertiefte Kooperation mit Großbritannien; eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion gegen die deutsche und die italienische Expansionspolitik; und generell eine Blockpolitik der demokratischen Staaten inklusive kleiner National- staaten unter anderem des Balkans und des Donauraums. Aus welchem Grund war der den idealistischen politischen Ideen Woodrow Wilsons und Thomas Jeffersons verpflichtete Professor aus den Südstaaten zu diesem realpolitisch und geostrategisch orientierten Rollenverständnis für die Vereinigten Staaten von Amerika überge- gangen? Seine idealistischen Ziele einer moralischen Führungsmacht Amerika waren die selben geblieben, nur das Verständnis der not- wendigen Machtmittel auf dem Weg dorthin hatte sich durch seine Erlebnisse im nationalsozialistischen Deutschland geändert. Dies führt auf der ersten Ebene der Fragestellung zur Beantwortung der Frage nach der Bedeutung William Dodds für die US-Deutschlandpolitik, nämlich der Weiterentwicklung seines Deutschlandbildes und seiner Deutsch- landerfahrungen in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialis- tischen Herrschaft. Das ambivalente Deutschlandbild des Südstaatlers, das er angesichts der teilliberalen, teilautokratischen Gesellschaft des wilhelminischen Deutschen Reiches erworben hatte, erhielt bereits kurz nach seiner Ankunft im Juli 1933 tiefe Risse. In seinem täglichen Umgang mit der „Berliner Society” und den Diplomaten und Politikern des neuen Regimes, auf seinen Deutschlandreisen und bei den Begegnungen mit Deutschen aus allen Schichten und über seine politisch-kulturellen Lagebilder erkannte der amerikanische Botschafter die Konsequenzen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft für Deutschland: Für ihn versank die ihm wohlbekannte und von ihm hoch geschätzte deutsche Kultur täglich immer mehr in der Barbarei. Hierfür die Schuld gab er den „Verführungskünsten” der nationalsozialistischen Propaganda sowie

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der Gewalt- und Terrorherrschaft ihrer Vollstrecker, ohne eine Mitschuld der deutschen Bevölkerung und zumindest zu Beginn seiner Botschaf- terzeit auch eine Verantwortung der traditionellen Eliten zu erkennen.2510 Dodds Vermutung einer möglichen Mitverantwortung der alten Herr- schaftselite bestätigte sich für ihn im Laufe seiner Amtszeit zumindest aufgrund der Tatsache, dass die Gespräche mit von Neurath, Schacht und anderen Beamten immer unangenehmer und unproduktiver in Hinblick auf alle Verhandlungsthemen verliefen. Unabhängig von der Forschungs- diskussion, ob durch die Herrschaft der Nationalsozialisten tatsächlich ein schrittweiser Elitenaustausch beziehungsweise eine Integration und Unterordnung konformistischer Vertreter der traditionellen Eliten in das nationalsozialistische System mit wenigen Ausnahmen stattfand, ist die amerikanische Perzeption entscheidend. Hierbei konkretisierte sich die Mutmaßung Dodds und der Washingtoner Regierungsmitglieder, dass mit einem besonderen Engagement oder einem Widerstand der deutschen Eliten gegen die Diktatur nicht zu rechnen war und deshalb auch auf lange Sicht eine Wiederbelebung der deutsch-amerikanischen Beziehungen nach einem Sturz der Nationalsozialisten – mit oder ohne Krieg – zurück zu einem Status quo ante nicht möglich sein würde. Das hiervon unberührt bleibende, zu einem gewissen Grad positive und dualistische Deutschlandbild von der Mehrheit der Deutschen sollte am Ende der Roosevelt- und zu Beginn der Truman-Administra- tion die Diskussionen um die Behandlung der Einwohner des besiegten „Dritten Reiches” maßgeblich mitprägen. Konnten wirklich alle Deut- schen überzeugte Nationalsozialisten sein? Dodd lehnte diese Frage trotz seines Psychogramms einer „labilen deutschen Seele“ ab und sah die nationalsozialistische Diktatur in der Verantwortung für eine

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2510 Dodds Fehlperzeption zum liberalen Kern des deutschen Bürgertums ließ ihn vor allem in der Anfangsphase seiner Amtszeit nicht erkennen, dass Hitler und der Nationalsozialismus kein Zufall, keine Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit waren, sondern aus der „jahrelange[n] Anfälligkeit der deutschen bürgerlichen und geistigen Elite für den Nationalsozialismus” resultierten. BROSZAT: Der Nationalsozialismus. S. 12. Gleichzeitig aber entsprechen seine Beobachtungen und Schlüsse der Tatsache, dass nicht alle Deutschen den Vernichtungskrieg wünschten, wie es extreme Positionen in der Forschungslandschaft postulieren. Vgl. hierzu ALY: Hitlers Volksstaat und die Goldhagen- Debatte (vgl. KERSHAW: Der NS-Staat. S. 376-403 und GOLDHAGEN: Hitlers willige Vollstrecker.). Für Dodd war nach seiner Botschafterzeit in Deutschland klar geworden, dass es alle möglichen Strömungen und Überzeugungen, Täter, Mitläufer und „Gefällige“ im nationalsozialistischen Deutschland gab.

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fortschrittshinderliche, „regressive” deutsche Entwicklung, die eine Ex- pansion in die gesamte Welt anstrebte.2511 Fortschritt verstand er dabei als progressive und moderne Weiterentwicklung eines freiheitlichen, individualistischen und pluralistischen Demokratiesystems in Bewälti- gung aller Herausforderungen der modernen postindustrialisierten Welt. Die totalitär strukturierte deutsche Gesellschaft lehnte in Dodds Augen Fortschritt nicht nur ab, sondern bekämpfte ihn aktiv. Ohne die Neuartigkeit dieser Art von massenorientierter Herrschaft zu leugnen, galt der Nationalsozialismus Dodd als antimodern, als Rückkehr in die dunklen und barbarischen Zeiten des Mittelalters und damit als Gegenspieler der modernen Demokratie. Seiner progressiven amerika- nischen Deutung eines humanistisch geprägten Geschichts-, Menschen- und Weltbildes der fortschreitenden Verbesserung der bestehenden menschlichen Verhältnisse durch Verbreitung von Wohlstand, Aufklä- rung und tugendhafte Erziehung stand eine ethnisch-biologisierende Geschichtsdeutung der Nationalsozialisten mit einem nie endenden Überlebenskampf um Lebensraum und die Herrschaft der Stärksten entgegen. Für den Progressivisten galt jeder Mensch – all men are equal – als im positiven und freiheitlichen Sinne erziehbar und seine Lebensumstände verbesserbar. Die nationalsozialistische Bewegung jedoch strebte nach der Schaffung eines „neuen“ Menschen und der Zerstörung aller überkommenen Strukturen sowie vermeintlichen Feinde und „lebensunwerter“ Menschen. Das amerikanische Postulat einer wirtschafts- und gesellschaftsliberalen und friedlichen Ausweitung der Frontier gen Westen beantworteten die Nationalsozialisten mit der For- derung nach einer brutalen Eroberung neuen Lebensraumes und einer ausbeuterischen Autarkiepolitik gen Osten. Diese Konfrontation der progressiven Überzeugungen Dodds mit totalitären Denk- und Hand- lungsmustern – der Nationalsozialismus führte „zwei mächtige Ideen- systeme des 19. Jahrhunderts“2512 zusammen – musste unausweichlich

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2511 Diesen Eindruck teilten im Übrigen auch andere progressive Deutschlandkenner wie der Journalist William L. Shirer, der in einer Tagebuchnotiz vom 27. September 1937 (Dok. 34 in POMMERIN/FRÖHLICH: Quellen. S. 135f.) schrieb: „(S. 135:) Aber [Oswald] Spengler hat Deutschland in den Untergang des Abendlands einbezogen, und tatsächlich ist der Rückgriff der Nazis auf alte, primitive germanische Mythen auch ein Zeichen für ihren Rückschritt [...]/ (S. 136:) Wie vielen durchreisenden Großmäulern habe ich erklärt, daß das Endziel der Nazis die Weltherrschaft ist. Einzige Antwort war ein Lachen”. 2512 WEHLER: Nationalsozialismus. S. IX. Vgl. zur Debatte um die „Modernität“ des Nationalsozialismus unter anderem WEHLER: Nationalsozialismus. S. VIII f., 54, 57 und

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die Identitätsfindung für Amerikas Rolle in der Welt durch Dodd und seine liberale Elite beeinflussen. Die deutsche Bündnispolitik musste die Frage aufkommen lassen, welche Arten von Allianzen und welche Alliierten die USA potentiell benötigen könnten, um dieser neuartigen Blockbildung Einhalt zu gebieten – schon allein zur Verteidigung der

______281. Wehler stellt auf Seite 54 die Beobachtung an: „Denn bei ihr [der nationalsozialis- tischen totalitären Revolution] handele es sich zwar um das exakte Gegenteil einer letztlich progressiven Aufwärtsbewegung, aber trotzdem um einen revolutionären Bruch mit der bisher bekannten Geschichte”. Auf Seite 281 bemerkt er, der Nationalsozialismus habe nur in manchen gesellschaftlichen und politischen Bereichen eine Modernisierung angeschoben, in vielen diese ausgebremst oder zum Halt gebracht. Vgl. auch FREI: Führerstaat. S. 207-215: Die nationalsozialistische Herrschaft sei „im Grunde [eine] reaktionäre[…], atavistische[…] Politik […aber auch der] Versuch[…], das Projekt der Moderne in der spezifischen Variante einer völkischen Ordnung zu vollenden. […] Die Barbarei trug das Gewand der Modernität” (S. 215). Vgl zur Modernisierungsfrage auch GRAML: Grundzüge nationalsozialistischer Außenpolitik. In: BROSZAT/MÖLLER: Das Dritte Reich. S. 104-126. Vgl. auch KERSHAW: Der NS-Staat. S. 364-372. Ausgelöst wurde die Debatte ursprünglich u.a. durch PRINZ, Michael/ ZITELMANN, Rainer (Hgg.): Nationalsozialismus und Modernisierung. 2., durch ein Nachwort ergänzte Auflage. Darmstadt 1994. Vgl. auch BROSZAT: Der Nationalsozialismus. Nach Broszat wollten Zitelmann und Prinz den Nationalsozialismus historisieren, d.h. auch den sozialen und ökonomischen Vorstellungen Hitlers zuordnen und bezeichnen diese als modern. Kershaw distanziert sich auch von Brauchbarkeit des Modernebegriffs (NS-Staat. S. 365ff.).Vgl. zu Zitelmann auch ZITELMANN, Rainer: Hitler-Bild im Wandel. In: BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans-Adolf (Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993. S. 491-506. Vgl. besonders auch ALBER, Jens: National- sozialismus und Modernisierung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsy- chologie 41 (1989). S. 346-365. Alber räumt v.a. mit Ralf Dahrendorfs Thesen auf, der NS habe den Modernisierungsschub und die eigentliche „im Kaiserreich und in der Weimarer Republik aufgehaltene soziale Revolution“ (S. 347) gebracht, von deren Identitätsbildung auch die Bundesrepublik profitiert habe. Er nimmt hierfür argumentativ vor allem Bezug auf die mangelnde Professionalisierung zugunsten der „Ämterpatronage und politischer Klientelismus“ (S. 353) und erkennt statt einer fortschreitenden Identitätsbildung den „Rückzug in die Privatsphäre verläßlicher Familienbindungen und eine Schrumpfung des sozialen Lebens“ (S. 357). Vgl. auch GALLO: Long Knives. S. 294: „[…T]he von Papens and von Hindenburgs […] did not understand that Nazism drew its strength from violent mythologies, seeking out and manipulating dark instincts buried deep within each human being; that this new order, with its symbols, shouts, parades and killers, was an old barbarism surging up from an ancient past, its strength multiplied tenfold by the inventiveness of the times. They forgot that the end of barbarism is barbarism itself”. Diese Argumente gegen die Modernität des Nationalsozialismus bestätigen Dodds Bild einer „regressiven“ Gesellschaft.

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eigenen westlichen Hemisphäre. Die amerikanische Perzeption, reprä sentiert durch Dodds Berichterstattung, von der Hauptgegnerschaft des Nationalsozialismus zum eigenen liberalen System widerspricht Ernst Noltes These der hauptsächlich antibolschewistischen Stoßrichtung des Nationalsozialismus.2513 William Dodd hatte erkannt, dass Hitlers Vernichtungspolitik über die Ziele faschistischer und Militär-Diktaturen sowie des Stalinismus hinausging und vor allen Dingen einen Angriff auf die liberale Demokratie darstellte.2514 Kann William Edward Dodd trotz dieser weitgehend korrekten, sicherlich von seinen persönlichen politisch-kulturellen Überzeugungen gefärbten Beobachtungen zum nationalsozialistischen Deutschland als gescheiter- ter Botschafter bezeichnet werden? Diese Frage lässt sich mit einem klaren „Nein“ beantworten, betrachtet man seine Rolle als Repräsentant seines eigenen Landes und als politische Besetzung Roosevelts. Ein „Ja“ trifft zu in Bezug auf seine Rolle als Verhandlungsführer zur Stabilisierung und Aufrechterhaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Ob letzterer Punkt als Indiz eines vollständigen Scheiterns seines Dienstes als Botschafter identifiziert werden kann, lässt sich kaum ohne ein wertendes Urteil sagen. Zentral hierbei wäre die kontrafaktische Frage, ob ein ein- zelner Botschafter durch die Anwendung anderer „Verhandlungskünste“ einen Kriegsbeginn, der Hitlers sehnlichster Wunsch war, hätte verhin- dern können. William Dodds Verhandlungen mit den Nationalsozialisten und den Ministerien, vor allem den Diplomaten des Auswärtigen Amtes, zeichnen ein Bild der Unmöglichkeit, Verhandlungserfolge ohne Rücken- deckung durch Weisungen aus Washington, die auch die Drohung mit ______

2513 Vgl. NOLTE, Ernst: Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus. Frankfurt am Main, Berlin 1987. S. 16: Noltes These lautet, der Antibolschewismus sei die treibende Kraft hinter Hitler und seiner Ideologie gewesen und habe die Furcht der meisten Bürger vor einem Ausgreifen des Kommunismus in Europa artikuliert. 2514 Vgl. BRACHER, Karl Dietrich: Nationalsozialismus, Faschismus, Totalitarismus – Die deutsche Diktatur im Macht- und Ideologienfeld des 20. Jahrhunderts. In: BRACHER, Karl Dietrich/ FUNKE, Manfred/ JACOBSEN, Hans-Adolf (Hgg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Studien zur Geschichte und Politik, Band 314. 2., ergänzte Auflage. Bonn 1993. S. 566-590. Vor allem S. 582f. Bracher betont auf überzeugende Weise – auch gegen Noltes Argumente –, dass Hitler zwar in eine kurzfristige Zusammenarbeit mit der kommunistischen Sowjetunion, niemals aber in einen Kompromiss zur Judenfrage einwilligte. Das nationalsozialistische Regime sei vor allen Dingen antidemokratischer Natur gewesen.

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ernsthaften Konsequenzen beinhalteten, zu erzielen und so die natio- nalsozialistische Führung in der Schulden- und Abrüstungs-, Diskriminie- rungs- und Wirtschaftsfrage frühzeitig und präventiv einzuschüchtern und in die Knie zu zwingen. Hierfür blieben die Befehle aus der amerikanischen Hauptstadt zu vage, was letztlich aufgrund des „Überraschungseffektes“ der nationalsozialistischen Herrschaft den Re- gierenden in Washington nicht vollumfänglich anzulasten ist: „As a nation Americans had long had to deal with despotic governments without feeling any obligation or desire to fight them. But the Nazi phenomenon was something new and clearly struck at fundamental beliefs and traditions”.2515 Totalitäre „Experimente” waren für ausländische Botschafter schwer im Ausmaß ihres Anspruches und der tatsächlichen Umsetzung der postulierten Ziele zu begreifen und erschütterten die klassische Diplo- matiekunst in ihren Grundfesten. Dies zeigen – ohne im Detail auf ihre Erlebnisse und Beobachtungen einzugehen – auch die Karrieren und Niederlagen anderer US-Botschafter der 1930er Jahre, unter ihnen Robert Bingham 2516 in London und sein Nachfolger Joe Kennedy, 2517

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2515 LANGER/GLEASON: Challenge to Isolation. S. 12. 2516 Siehe hierzu die Studie von ELLIS: Robert Worth Bingham. Bingham war ein progressiver Südstaatler aus dem Mittelstand (S. 51, S. 199), der Franklin Roosevelts Präsidentschaftskampagne seit 1928 unterstützt hatte (S. 127). Der Anwalt ohne diplomatische Erfahrungen (S. 130) litt unter der politisch beeinflussten Einstellung vieler Karrierebeamter im State Department: „Sometimes these intrigues proved detrimental to American foreign policy, but more often only demonstrated the whims of individual personalities and the inefficiency of the American diplomatic system”. (S. 132). Die britische Regierung verbarg ihre Zweifel gegenüber der amerikanischen Zuverlässigkeit als Welt- macht auch Bingham gegenüber nicht (S. 135) und ließen ihm kaum Spielraum, die anglo- amerikanischen Beziehungen zu stabilisieren: „Significantly, he often appeared ahead of the times. Most of his speeches called for closer Anglo-American relations, often in contrast to official American policy”. (S. 135). Ähnlich wie Dodd in Berlin warnte Bingham frühzeitig vor der nationalsozialistischen Gefahr für den Frieden Europas und appellierte an eine engere anglo-amerikanische Kooperation, wobei er stets Franklin Roosevelts Vertrauen genoss, aber heftig durch die Hearst-Presse attackiert wurde, die er wie Dodd der heimlichen Kooperation mit der britischen Beaverbrook-Presse gegen Roosevelts New Deal bezichtigte (S. 136f. und 145f.). Er stand im direkten Gedankenaustausch mit William Dodd in Berlin (S. 154) und in freundschaftlichem Kontakt mit den Progressives Colonel House, Josephus Daniels und Claude Bowers (S. 168). Wie Dodd äußerte er sich öffentlich für Hulls Freihandelskonzept und für die Umsetzung des New Deals auch gegen das Urteil des Supreme Courts und einiger Senatoren, die seine Position in der Folge in Frage stellten (S. 185).

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William Bullitt in Moskau und in Paris,2518 Breckinridge Long in Rom, Claude Bowers in Madrid2519 und Joseph Grew in Japan2520 sowie Dodds

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2517 Vgl. zu Kennedy COLE: Isolationists. S. 274-290, insbes. 290: Kennedy galt seit München als „Appeaser” und später v.a. als Isolationist. Roosevelt hatte Kennedy vor allem aufgrund seiner potentiellen Konkurrenz als Präsidentschaftskandidat nach London geschickt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen politischen Auffassungen umging Roosevelt seinen Botschafter und korrespondierte ab 1939 direkt mit der britischen Botschaft in Washington. Vgl. auch KAUFMANN: Two American Ambassadors: Bullitt and Kennedy. In: CRAIG/GILBERT: The Diplomats. S. 649-681. Vgl. auch VIETH: Joseph P. Kennedy and British Appeasement. In: JONES: U.S. Diplomats in Europe. S. 165-182. 2518 Vgl. zu Bullitt BROWNELL/BILLINGS: So Close to Greatness. S. 331. Bullitt war in Moskau gescheitert, aber „he understood Stalin for the villain he was and foresaw the Cold War; and he worried with reason about human extinction in a nuclear era”. Bullitt hatte Roosevelt stets gewarnt, dass zwar eine Kooperation mit der Sowjetunion gegen Hitlers Einfluss wichtig sei, vor allem während der Kriegszeit, Amerika aber Stalin frühzeitig die Grenzen für eine sowjetische Dominanz über Europa aufzeigen müsse. Stalin ließ während Bullitts Botschafterzeit umfangreiche politische Säuberungen durchführen, denen auch viele von Bullitts Kontakten zum Opfer fielen: „he felt isolated and alone”. Vgl. auch BULLITT: For the President. Die Briefe auf S. 115-163 zeugen von Bullitts Entsetzen über Stalins parteinterne Säuberungen. Vgl auch BULLITT: For the President. Brief Bullitt an FDR vom 3. Aug 1935, S. 135ff.: Bullitts beschwerte sich mehrfach, seine Briefe würden von den Nationalsozialisten abgefangen und beklagte die mangelnde Reaktion hierauf durch das State Department. Vgl. auch BULLITT: For the President. Brief Bullitt an Hull, 20. April 1936, S. 154 zu seiner Meinung vom Sowjetregime und den Konsequenzen hieraus für jegliche Verhandlungen: „There is no doubt whatsoever that all orthodox communist parties in all countries, including the United States, believe in mass murder. Moreover, the loyalty of a believing communist is not to the nation of which he is technically a citizen but to his faith and to the Caliph of that faith. To such men the most traitorous betrayals are the highest virtues…Yet it must be recognized that communists are agents of a foreign power whose aim is not only to destroy the institutions and liberties of our country, but also to kill millions of Americans. Our relations with the Soviet Union, therefore, involve questions of domestic policy which can not be answered except on the basis of a careful estimate of the strength of world communism and the reality or unreality of its threat to our liberties and lives”. S. 155: „We should not cherish for a moment the illusion that it is possible to establish really friendly relations with the Soviet Government or with any communist party or communist individual”. 2519 Vgl. zu Bowers BOWERS: My Life. Vgl. auch LITTLE: Claude Bowers and His Mission to Spain. In: JONES: U.S. Diplomats in Europe. S. 129-148. Vgl. außerdem SEHLINGER/HAMILTON: Spokesman for Democracy. Der überzeugte progressive Jeffersonian und Historiker Claude Bowers war Internationalist (S. 126) und Teil der progressive Elite um House, Hull und Dodd. Er lehnte das strikte diplomatische Protokoll ähnlich wie Dodd ab (S. 159) und umgab sich in Spanien statt engerer Kontakte zu Kollegen aus dem Diplomatischen Korps mit Schriftstellern wie Ernest Hemingway (S. 160). Auch er stand in direktem Konflikt zu Jay Pierrepont Moffat und William Phillips aufgrund seiner Kritik an der konservativen Ausrichtung des Departments (S. 166) und

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konservativer Nachfolger in Berlin, Hugh R. Wilson.2521 Ihre Verhand- lungen scheiterten entweder an den ideologisch geprägten Forderungen ihrer Verhandlungspartner oder an der Einstellung der Regierung ihres Gastlandes, dass die USA aus den verschiedensten Gründen als euro- päische Macht nicht ernstgenommen werden könnten. Den amerika- nischen Botschaftern in direktem Umgang mit totalitären Regimen ist gemeinsam, dass sie alle ihren Aufenthalt und ihre Kontakte zu Regime und Gesellschaft des Gastlandes persönlich und beruflich rasch als Belastung, geradezu als Albtraum empfanden, der für ihren Auftrag als Botschafter nur Frustration und Isolation bereit hielt.2522 Die durch die Botschafter und Diplomaten erstellten Lagebilder wurden besonders in den ersten Jahren der Roosevelt-Administration selten in entsprechenden außenpolitischen Weisungen oder Konzepten in Washington reflektiert, um eine stärkere Verhandlungsposition zu ermöglichen. Mit Ausnahme der Verhandlungen William C. Bullitts, der für die Gespräche mit dem sowjetischen Regime durch Präsident Roosevelt starke Unterstützung erhielt, eben weil der US-amerikanische Präsident eine Neuordnung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen anstrebte. 2523 William Dodds ______seiner Warnungen vor einer faschistischen Machtübernahme durch Franco; in der spanischen Republik sah er entgegen den Karrierediplomaten keine existierende kommunistische Gefahr (S. 170 und 191). Eingehend warnte der Botschafter als politische Besetzung Roosevelts vor einem faschistischen Franco-Regime und den Folgen für Europa und Amerikas Demokratie, eine Neutralität Amerikas hielt er nicht für sinnvoll (S. 196f.). 2520 Vgl. zu Grew nochmals HEINRICHS: American Ambassador. S. 384f. Grew betonte Washington gegenüber immer wieder das Ausmaß der japanischen Gefahr für Amerikas Sicherheit und wirtschaftliche Dominanz. V.a. S. 384f. Grew als Botschafter in Japan 1932- 42 „saw no value in engaging in diplomacy with Communist nations. Communism, in his view, made diplomacy impossible”. (S. 385) Dabei galt Grew eher als „Appeaser“ (S. 384), wollte Verhandlungen und Aussöhnung, auch er wollte Frieden und präsentierte ausge- wogenes Bild des japanischen Regimes. 2521 Vgl. zu Wilson nochmals WILSON: A Career Diplomat. 2522 Vgl. PLUM: Übernahme und Sicherung der Macht 1933/34. In: BROSZAT/FREI: PLOETZ. Das Dritte Reich. S. 28-44. Für Dodd problematisch, wie für alle anderen Akteure und Beobachter, war Hitlers besondere Technik, (S. 39:) „die Strategie der schubweisen Ausschaltung und der ´Wechselbäder´. Sie ließ die potentiell Betroffenen, im Blick auf die Absichten des Regimes Unsicheren zwischen Angst und Hoffnung schwanken, förderte Illusionen und Anpassungsbereitschaft”. Vgl. auch BULLITT: For the President, S. 84. Brief Bullitt an Roosevelt am Easter Day 1934: „But I am a bit homesick”. 2523 Vgl. hierzu auch Alexander DeCONDEs Vorwort in JONES: U.S. Diplomats in Europe. S. xiv. DeConde beschreibt, dass die meisten Diplomaten der 1930er und 1940er nur wenig echten Einfluss haben konnten: „They demonstrate that modern diplomats, no matter how intelligent or resourceful, can seldom have an impact on the making of policy unless they

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Verhalten in Berlin, seine Bestrebungen, ein klares Lagebild zu erstellen, US-Bürger vor Unheil zu bewahren, für amerikanische Werte, wie er sie verstand, einzustehen und eine Lösung in der Schuldenfrage anzustoßen, standen im Einklang mit Roosevelts Weisungen. Sicherlich zeugt seine Wahl diverser Rollen in Berlin von einem unkonventionellen und durchaus flexiblen und erfolgversprechenden Ansatz, der unbekannten Diktatur gegenüberzutreten. 2524 Die hauptsächlichen Widerstände, auf die er sehr schnell traf, bestanden aus der Kompromisslosigkeit der nationalsozialistischen Führung in allen Fragen, der ohnehin schwachen und immer schwächer werdenden Verhandlungsposition der alten Eliten sowie der ihm als Demokraten unvorstellbaren Durchdringung des gesamten Staates durch die NSDAP, Hitlers Monopolstellung und die polykratischen Züge seines Klientelsystems, die positive Verhandlungser- gebnisse schier unmöglich machten. Die Zahl der außenpolitischen Akteure in Washington erschwerte William Dodds Situation zusätzlich. In dieser Hinsicht dürfte festgehalten werden, dass die eigene politische Überzeugung des Botschafters nur einen Teil seiner Probleme ausmachte. Konservative Botschafter und „Appeaser” wie Kennedy, Long oder Wilson

______have direct access, in their own right, to the nation’s leaders in Washington. Even if diplomats in the field have such access, their ideas must, as more than one of the authors suggest, coincide with those of the leaders, or at least must be congenial to the prevailing wisdom of the governing elite”. Und weiter: „We cannot understand success without knowing something about failure. In a democracy, moreover, while foreign policy most often emanates from an elite, it is not always and solely the product of policymaking elitists. Occasionally, and perhaps even frequently, policy develops out of a pattern of ideas and attitudes, out of observations and responses that at times come from people in private life, from second-level bureaucrats, and from the men and women in the field”. Vgl. auch den Fall des US-Botschafters Walter Hines Page in Großbritannien und Sir Cecil Spring Rices in den USA, 1914-1917. Die beiden Botschafter vermochten es nicht, die Beziehungen ihrer Länder zu verbessern, da zu viele Nebenakteure wie Woodrow Wilson, Colonel House und US-Außenminister Robert Lansing die Außenpolitik bestimmten. Vgl. KIHL, Mary R.: A Failure of Ambassadorial Diplomacy. In: Journal of American History 57,3 (1970). S. 636- 653. Kihl stellt auf S. 652 fest: „For ambassadorial diplomacy to succeed, a good rapport between ambassadors and the leaders of both countries is essential”. Dies war Dodd im Umgang mit den Nationalsozialisten nicht möglich. 2524 Vgl. auch BERGER WALDENEGG: No Outside Power. In: BERG/GASSERT: Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte. S. 333. Der Autor stellt die Frage, ob Dodds bessere Beziehung zu Hitler dessen außenpolitischen Kurs verändert hätte. Er stellt fest, dass sowohl Karrierediplomaten als auch politische Berufungen Vor- und Nachteile in ihr Botschaftsamt einbrachten.

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scheiterten ebenso an ihren Verhandlungspartnern wie ihre progressiv- liberalen Kollegen. 2525 Ein Unterschied ergab sich erst daraus, dass das nationalsozialistische Regime im Falle George Earles in Österreich und William Dodds sowie George Messersmiths2526 in Berlin im Schul- terschluss mit den Eliten in den Traditionsbehörden danach strebte, kritisch-liberale Diplomaten und Journalisten so schnell wie möglich aus Deutschland entfernt zu wissen.2527 Spannend ist hierbei der Vergleich der Rückberufungen Dodds und Sir Eric Phipps´ aus Berlin. Eine Studie2528 zum britischen Botschafter hat ergeben, dass der Appeasement-Gegner Sir Eric zum Rücktritt gezwungen worden war eben aufgrund einer Über- einstimmung des ihm nicht gewogenen Kreises des „Cliveden set”2529 um einflussreiche konservative Persönlichkeiten aus der britischen Politik und Gesellschaft mit Joachim von Ribbentrop. Eine ähnliche Konstella- tion findet sich in der Kooperation zwischen Sumner Welles aus dem State Department mit den Diplomaten des Auswärtigen Amtes unter Billigung der deutschen Führung, die letztlich zu Dodds Abberufung führte.

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2525 Vgl. auch HARRISON: Presidential Démarche. S. 270f. Harrison hielt Phipps´ Nachfolger Nevile Henderson, der eine Deutschland gegenüber positivere Einstellung pflegte, im Vergleich zu seinem Vorgänger für ungeeignet als Botschafter. Dem konser- vativen französischen Botschafter André François-Poncet gelang kein positiver Einfluss auf die Nationalsozialisten trotz seiner Verständigungspolitik, vgl. SCHÄFER: André François- Poncet. S. 177-193. Vgl. zu Henderson HENDERSON, Nevile: Fehlschlag einer Mission. Berlin 1937-1939. Zürich 1939 und GILBERT, Felix: Two British Ambassadors: Perth and Henderson. In: CRAIG, Gordon A./ GILBERT, Felix (Hgg.): The Diplomats 1919-1939. Princeton, NJ, 1953. S. 537-554. Vgl. SIROIS: Illusion und Krieg. S. 48f. Hugh Wilson wurde bereits zur Reichspogromnacht in die USA abberufen ohne irgendeinen Verhandlungs- erfolg mit den Nationalsozialisten erzielt zu haben. 2526 Vgl. zu Messersmith MOSS: George S. Messersmith and Nazi Germany. In: JONES: U.S. Diplomats in Europe. S. 125: „Messersmith’s service in Berlin and Vienna reveals the limited ability of a respected diplomat to influence foreign policy when his nation and much of its leadership desires different objectives. American political isolation, not indifference from Roosevelt or the State Department, determined the ultimate fate of Messersmith’s suggestions”. 2527 Auch Journalist William L. Shirer beklagte sich über die offene Aussage William Phillips´ bei einem Treffen mit ihm und Dodd im Dezember 1935, das State Department werde gegen die Ausweisungen amerikanischer Presseleute nichts unternehmen. Vgl. Tagebuchnotiz Shirers vom 30. Dezember 1935, Dok. 32 in POMMERIN/FRÖHLICH: Quellen. S. 130f. 2528 Vgl. OTT: Botschafter Sir Eric Phipps. S. 77-86 zu den Umständen seiner Abberufung. 2529 OTT: Botschafter Sir Eric Phipps. S. 80.

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Dies bedeutet, William Edward Dodds Scheitern war vor allen Dingen von außen induziert worden. Diese Beobachtung bezieht sich auch auf die Beantwortung der Eingangs postulierten zweiten Ebene der Frage- stellung: Die Reaktionen in der deutschen Führung auf William Dodds Botschaftsamt und seine Berichterstattung. Sowohl die Beamten des Auswärtigen Amtes als auch die führenden Nationalsozialisten stellten den amerikanischen Botschafter aus unterschiedlichen Gründen als unfähig dar, die deutsch-amerikanischen Beziehungen in ihrem Sinne zu fördern. Es verwundert nicht, dass die nationalsozialistische Führung in dem überzeugten Demokraten einen Kritiker an ihrem Regime erkannte, der ihrer ideologisch-propagandistischen Deutungshoheit und Herrschaft potentiell gefährlich werden konnte und vor allen Dingen die Wahrung der obersten Prämisse, der Ausklammerung des Faktors Amerika aus Hitlers Expansionsplänen, gefährdete. William Dodd als Vertreter der bedeutendsten Demokratie der Welt öffentlichkeitswirksam als inkompetent zu entlarven entsprach außerdem dem propagan- distischen Bestreben der Nationalsozialisten, indirekt die Überlegenheit des amerikanisch-liberalen Systems als Konkurrenz zum eigenen vor aller Augen in Frage zu stellen. In dieser Hinsicht reihte sich Dodd für das deutsche Regime in die Gruppe der systemkritischen Botschafter wie Zulueta und Phipps, Journalisten wie Edgar Mowrer und dem Generalkonsul Messersmith ein, derer man sich möglichst rasch entle- digen wollte ohne einen internationalen Skandal auszulösen. Dodds Fall gewährt dabei auch einen kleinen Blick in die Diplomatiekultur der 1930er Jahre: Denn selbst unter seinen demokratisch gesinnten Kollegen wie Phipps oder François-Poncet war er zunehmend zu einem Außenseiter in Berlin geworden, der der außenpolitischen Ideen- und Ratlosigkeit der Vertreter der europäischen Demokratien und Westmächte ein klares Konzept entgegensetzte, das auch für sie und ihre Regierungen unbequeme Fragen zum Umgang mit radikalen Regimen und ihren Forderungen aufwarf. Anders gestalteten sich die Beweggründe für die Diplomaten des Aus- wärtigen Amtes. Für die Beamten hatte eine möglichst reibungslose Kontinuität der stabilen deutsch-amerikanischen Beziehungen der 1920er Jahre oberste Priorität, um die weiterhin relevanten Revisionsziele in

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Ruhe zu befördern.2530 William Edward Dodd, der sich in dieses Konzept von Beginn an nicht einfügen wollte, wurde somit zum Störfaktor für die ohnehin nervösen Diplomaten, die um ihren schrittweisen Bedeu- tungsniedergang als oberste deutsche außenpolitische Behörde wussten und einen Erfolg zumindest in ihrer Amerikapolitik angesichts der beginnenden Konkurrenz durch die außenpolitisch aktiven NSDAP- Organe gesichert wissen wollten.2531 Der amerikanische Botschafter stellte ihre Rolle, vor allem als Eliten gegenüber dem Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus zu bestehen, offen in Frage, was Diplomaten wie von Bülow, der Dodd persönlich schätzte, noch weitgehend unberührt ließ, den Amerikaspezialisten Hans Heinrich Dieckhoff aber genauso wie Reichsaußenminister von Neurath und andere Spitzenbeamte mehr und mehr verärgerte.2532 Am Ende wurde zu einer Zeit, als die deutsch- amerikanischen Beziehungen 1937 auf dem Nullpunkt angekommen waren, William Edward Dodds Verhalten als Botschafter zur Ursache für den Zustand des Verhältnisses stilisiert, obwohl der Konflikt beider Staaten von einer finanz- und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung ausgehend auf allen Ebenen zunehmend ideologischer und feindlicher geworden war. Als Ursache dürfte vielmehr die Zuspitzung der innenpolitischen Lage in Deutschland und die Aussicht auf eine tatsächliche Umsetzung der expansionistischen Forderungen der Nationalsozialisten gelten. Hugh R. Wilsons Abberufung aus Berlin im Anschluss an die Reichspogrome im November 1938 und das Scheitern des Münchener Abkommens als Zeichen der endgültigen Zerrüttung der Beziehungen sprechen dafür. Sicherlich hatte William Dodds Berichterstattung langsam zum wach- senden Unmut in der Washingtoner Regierung gegenüber Deutschland geführt und einen gewissen Teil zur Verschlechterung des Verhältnisses beigetragen. Allerdings spricht auch das Verhalten der deutschen

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2530 Vgl. auch MÜLLER: Nationalkonservative Eliten zwischen Kooperation und Wider- stand. In: SCHMÄDEKE/STEINBACH: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. S. 24-49. 2531 Vgl. hierzu auch MICHALKA: „Vom Motor zum Getriebe”. In: MICHALKA: Der Zweite Weltkrieg. S. 249-259. 2532 Vgl. SCHMIDT-KLÜGMANN: Bernhard Wilhelm von Bülow, Hans Heinrich Dieckhoff, Friedrich Gaus. In: HÜRTER/MAYER: Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. S. 111-129.

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Diplomaten für die Ergebnisse des aktuellen Forschungsstandes 2533 zur Rolle des Auswärtigen Amtes im „Dritten Reich“, die den Beamten eine Interessensparallelität mit den Nationalsozialisten im außenpoli- tischen Ziel der Revision des Versailler Vertrages zuschreiben, weil der gleichzeitige Druck durch die nationalsozialistische Regierung ihnen die Auslebung einer kompromissloseren Verhandlungsführung als zu Weimarer Zeiten ermöglichte und so ihrem Umgang mit den deutsch- amerikanischen Beziehungen oft unbeabsichtigt eine andere Schärfe verlieh. 2534 Ihre konformistische Haltung entsetzte den progressiven Amerikaner, der nur zögerlich von seiner positiven Sicht auf die

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2533 Vgl. unter anderem MENTEL/SABROW: Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit (= Einleitung). In: SABROW/MENTEL: Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. S. 9-46. Vgl. außerdem RECKER: Die Außenpolitik des Auswärtigen Amts. In: HÜRTER/MAYER: Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur. S. 79- 91. 2534 Vgl. hierzu KIESSLING: Quellen zur deutschen Außenpolitik. S. 12 „Alles deutet darauf hin, dass 1933 im Auswärtigen Amt keine grundsätzlichen Differenzen mit den National- sozialisten erwartet wurden. Und wenn doch, hielt man die eigenen Möglichkeiten zur Korrektur von etwaigen Fehlentwicklungen für ausreichend”. Dabei hatten die Beamten anfänglich die freie Wahl, sich den neuen Herrschern zu verweigern, wie das folgenlose Beispiel des Botschafters von Prittwitz und Gaffron bewiesen hatte. Vgl. MOLTMANN: Friedrich von Prittwitz und Gaffron. In: FINZSCH/WELLENREUTHER: Liberalitas. S. 386. „Daß viele, die dieses erkennen konnten, ihm nicht gefolgt sind, spricht nicht gegen ihn, sondern gegen die vielen. Friedrich von Prittwitz und Gaffrons Verhältnis zum Nationalsozialismus war das der Verachtung, kaum mehr, aber auch nicht weniger […]”. Vgl. auch WALA: Weimar und Amerika. S. 9. „Friedrich von Prittwitz und Graffron [sic!] ist der einzige Diplomat, der nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 sein Amt zur Verfügung stellte”. Vgl. auch SCHULTE/ WALA. Gegen den Strom, S. 8: „Die Forschungen vor allem der letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass nur wenige Mitarbeiter des Amtes tatsächlich als Widerständler bezeichnet werden können. Die meisten haben das nationalsozialistische Terrorregime durch ihre Arbeit mitgetragen und dessen Ziele zum Teil nicht nur willig, sondern mit Verve unterstützt”. Vgl. auch WOLLSTEIN: „Drittes Reich”. Einleitung. S. 31. „Eine Öffnung hin zur Moderne kam für sie nicht in Frage, und in den ihnen verbliebenen führenden Positionen in Verwaltung und Heer igelten sie sich ein, um von diesen Bastionen aus eine obstruktive Politik zur bloßen Verteidigung der eigenen Privilegien zu betreiben”. Vgl. auch Vgl. SEABURY: Wilhelmstraße. S. 68. „Es darf aber nicht übersehen werden, daß das neue Regime für sie auch manches zum Reifen brachte, was im republikanischen Deutschland nicht möglich gewesen wäre. Das kurze Experiment der Weimarer Republik mit dem Genfer Völkerbund war für Männer wie Neurath, Bülow und Weizsäcker, die offene parlamentarische Ver- handlungsmethoden nicht schätzten und wenig Neigung verspürten, mit unebenbürtigen Partnern auf dem Boden juristischer Gleichberechtigung zu verkehren, eine unangenehme Erfahrung gewesen”.

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deutschen Eliten abrückte und sich am Ende von den Diplomaten ab- wandte. William Dodds Gespräche mit führenden Nationalsozialisten und Vertretern des Auswärtigen Amtes sowie die Reaktionen aufeinander beweisen, dass die Perzeption der jeweils anderen Seite auch auf emo- tionaler Ebene stattfand: Sowohl ein Spitzendiplomat wie Hans Heinrich Dieckhoff als auch Botschafter Dodd und Generalkonsul Messersmith oder Botschafter Bullitt in Moskau lassen in ihrer Berichterstattung immer wieder ein „ungutes Bauchgefühl“ und eine damit verbundene Katastrophenerwartung für das deutsch-amerikanische Verhältnis durch- scheinen. Die zunehmende Sprachlosigkeit im gegenseitigen Umgang ließ sie alle zu Schlüssen neigen, die stärker auf die Bedürfnisse des eigenen Systems und dessen Bewahrung fokussiert waren als auf tat- sächlich diskutable Sachverhalte, die zunehmend ausblieben und den Informationsstrom von außen versiegen ließen. Die daraus langfristig hervorgehende Umstellung in Washington legt im Falle der amerika- nischen Außenpolitik wie für Dodd selbst die Annahme nahe, dass sich politische Ideen wie der Progressivismus in Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seiner Radikalität nicht nur zu „einem“ außenpolitischen Alternativkonzept weiterentwickelten, sondern zuneh- mend zu einem hoch emotionalisierten, ideologieähnlichen Konzept mit ganzheitlichem und globalem Anspruch wurden. Je gegensätzlicher das gesellschaftliche System zum Beispiel Deutschlands im Vergleich zum amerikanischen wahrgenommen wurde, das die amerikanische Gesell- schafts- und Regierungsform prinzipiell und aggressiv in Frage stellte, als umso unausweichlicher wurde der Kampf gegen jenes System durch die Eliten in Aussicht gestellt. Dodds Wirken hatte Anteil an der Formulierung eines fortschreitenden ideologischen Systembegriffes innerhalb der amerikanischen Außenpolitik: Die Bildung dieses Sys- temgegensatzes muss auf die Eigendynamik von außen–politischen Vorstellungen in einem „Ideenwettkampf“ in den USA der 1930er zurückzuführen sein, an dem William Dodd beteiligt war. Die Reaktionen in den USA auf William Dodds Deutschlanderfahrungen und Berichte waren zwiegespalten. Als die stärksten seiner Gegner erwiesen sich die konservativen Politiker beider großen Parteien und die Isolationisten aus allen politischen Lagern. Die unkonventionelle Art des Umgangs mit seinem Posten in Berlin und sein direkter Draht zu Präsident Roosevelt, Außenminister Hull und den liberalen Mitgliedern ihrer Administration sowie seine permanente Kritik an den personellen und administrativen Strukturen des diplomatischen und des konsula- rischen Dienstes seines Landes ließen den amerikanischen Botschafter

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zum Störfaktor im State Department und im Kongress avancieren. Außerdem wurde die isolationistische beziehungsweise neutralitätsfo- kussierte Politik der konservativen Beamten des State Departments in ihrer Ineffektivität bei der Begegnung mit totalitären Regimen durch Dodd direkt in Frage gestellt. Diesem Urteil der Rolle der Verwaltungs- beamten und Karrierediplomaten schließen sich viele Forscher an. DeSantis stellt fest, dass zu Recht ein schlechtes Bild der amerikanischen Diplomaten in der Öffentlichkeit herrschte: Ihr pompöser Lebensstil und ihre elitär-familiär geprägten, kaum sozial durchlässigen Beziehungs- geflechte untereinander bewirkten eine nicht von der Hand zu weisende Schwäche im Umgang mit neuen diplomatischen Herausforderungen.2535 „Foreign Service attitudes were […] affected by ethnocentric, professional, and class biases”.2536 Oft genug zeigten die Diplomaten vor Ort wenig Toleranz und Verständnis für ihr Gastland und seine Sitten und zogen sich in extensive Freizeitaktivitäten oder einen eng bemessenen Kontakt zu den vornehmsten Familien des Landes zurück.2537 Nicht selten hatten die Landesrepräsentanten – getrieben von „clerico-fascist sympathies toward Italy and Spain“2538 – wenige Vorbehalte gegen die neuen Regime. Jablon greift dagegen stärker die Vorstellungswelt vieler Beamter des State Departments der 1930er Jahre an. Viele dort seien schlicht fehl am Platz gewesen: „Unfortunately, in most cases the career men in the department lacked imagination. Their foreign policy recommendations were carry-overs from the Hoover administration in particular and the remains of earlier misjudgments in general”. 2539 Sie hätten die Dynamik des Isolationismus gar verschärft, „[they] transformed [it] into insulationism [sic!]”.2540 Jablon schließt daraus weiter als Folge für die amerikanische Außenpolitik und ihre globalen Herausforderungen: „Devotion to these three policies – the Open Door, the aggressive aspects of the Monroe Doctrine tradition, and insulationism – was part of a more fundamental weakness in State Department thinking – the tendency to compartmentalize policy”.2541 Gellman verlegt den Schwerpunkt seiner

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2535 Vgl. DeSANTIS: Diplomacy of Silence. S. 23. 2536 DeSANTIS: Diplomacy of Silence. S. 77. 2537 Vgl. DeSANTIS: Diplomacy of Silence. S. 78. 2538 DeSANTIS: Diplomacy of Silence. S. 23. 2539 JABLON: Crossroads of Decision. S. 132. 2540 JABLON: Crossroads of Decision. S. 135. 2541 JABLON: Crossroads of Decision. S. 135.

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Kritik auf die in dieser vorliegenden Arbeit ebenso thematisierten Macht- kämpfe zwischen den Außenpolitikern Amerikas: „Instead of working together for the common good of mankind, the factions personified by Hulls and Welles set out to destroy each other, and in the process consumed themselves. At a moment in history when the world united against the Axis and the evil that it came to represent, American diplomatic leaders could not rise above their emotions to join forces for the common good”.2542 Dieser Widerstand in den amerikanischen Behörden gegen eine Neuaus- richtung der Außenpolitik beeinflusste unausweichlich William Dodds Wirken als Botschafter und Berichterstatter aus Deutschland und führte in Wechselwirkung zu einem Hinwirken der konservativen Eliten auf seinen Rücktritt sowie von seiner Seite aus zu einer immer verbisseneren Verteidigung seiner Erkenntnisse zum nationalsozialistischen Deutsch- land und den daraus gezogenen Konsequenzen für die Vereinigten Staaten von Amerika. Als überzeugter Wilsonian und Internationalist geriet er darüber hinaus auch ins Kreuzfeuer der konservativen und der isolationistischen Presse der amerikanischen Öffentlichkeit, für die Dodd als Anhänger der New Deal-Politik zu ihren politischen Gegnern zählte. Dodds großes Netzwerk an befreundeten Politikern, Wissenschaftlern, Künstlern und Journalisten zeigte, dass Dodd im Kampf um die innen- und außenpolitische Priori- tätensetzung Amerikas bis in die 1940er Jahre hinein Kraft seines hohen Amtes als Botschafter ein entscheidender Meinungsbilder in einem vielschichtigen Cluster amerikanischer Politikformulierung sein konnte und seine Person vielen Akteuren als Konkurrenz erscheinen ließ. Intensive, oft sehr persönliche Reaktionen spielten in diesem Macht- kampf um die politisch-ideelle Deutungshoheit eine nicht zu verachtende Rolle. Die progressiv-liberale Elite der amerikanischen Administration reagierte durchweg positiv auf William Edward Dodds Berichterstattung und Handlungsempfehlungen, wenn auch letztere zunächst in ihrer Umsetzung an den politischen Gegebenheiten in Amerika scheiterten. Dodds Bedeutung bestätigte sich vor allem darin, dass er – sobald viele von ihm prognostizierte Ereignisse in Europa tatsächlich eintrafen – seine Einschätzungen zum Nationalsozialismus in den mit ihm im

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2542 GELLMAN: Secret Affairs. S. 402.

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gedanklichen Austausch stehenden politischen Kreisen, ab 1936 auch direkt in der öffentlichen Debatte „en vogue” zu machen vermochte. Relevant hierbei war für viele Amerikaner, welche Rückschlüsse Dodd aus seinem sich verändernden Deutschlandbild zog: Der Fortschritt – Progress – der USA und der modernen Zivilisation, alle Reformtätig- keiten und vor allem die Lösung der Wirtschaftskrise seien durch die regressiven, kriegsbejahenden Gesellschaften des Auslandes sowie durch den inneren Zerfall des amerikanischen Systems angesichts der anhaltenden Krise durch eine mögliche „Diktatur der Minderheit” und radikale Kräfte im Bündnis mit den europäischen Mächten unmittelbar bedroht. Sein „Kreuzzug” ab 1938 zeigte entsprechend einer vierten, abstrahierenden Ebene der Fragestellung dieser Arbeit, dass die Bedro- hungsperzeption von außen und innen den Ausschlag für eine Trans- formation der US-Außenpolitik gab, die zeitversetzt zu Dodds anfäng- lichen Warnungen an Schwung gewann. Nicht zuletzt beeinflussten Dodds jahrelange Schilderungen von Deutschland unter nationalso- zialistischer Herrschaft sicherlich Franklin Roosevelts Konzept einer „Quarantäne” gegen alle Aggressoren, die den Weltfrieden und den freien Welthandel als „natürlich förderliche” Umgebung für den amerika- nischen Fortschritt gefährdeten. Trotz dieser neuen Dynamik fielen oft genug Intentionen und Ideen der amerikanischen Außenpolitiker wie Roosevelt mit den tatsächlich folgenden Handlungen auseinander. Die zeitliche Verzögerung der Erfolge von William Dodds unmittelbarer Beratungsfunktion führte Washington wie im Falle seiner Botschafter- kollegen Bullitt, Bowers, Kennedy und weiteren vor Augen, dass die USA auf nicht mehr allzu lange Sicht eine neue Rolle in den internationalen Beziehungen finden mussten. Der Krieg brach 1939 aus, also bevor die Vereinigten Staaten von Amerika sich für eine präventive Strategie entschieden hatten. Das empfundene Scheitern der Deutschlandpolitik der 1930er Jahre wurde damit zur Projektionsfläche der zukünftigen US-Außenpolitik: Eine neue Denk- weise, ein anderer Umgang mit der Außenwelt in Verknüpfung sozialer, kultureller, politischer und militärischer Aspekte schien dringender als jemals zuvor. Die intensiven Reaktionen auf William Dodds Deutsch- landberichte spiegelten sich in der fortdauernden Orientierungssuche, wie die Vereinigten Staaten von Amerika in einer modernen Welt transformiert werden müssten, um die Verfassung des 18. Jahrhunderts

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als grundlegende Ordnung behalten zu können und doch das politische System derart umzugestalten um gegen andere Konkurrenzsysteme bestehen zu können.2543 Der Beginn dieser Suche lag zu Dodds Amts- zeit bereits gute sechzig Jahre in der Vergangenheit. Die Entwicklung einer wirkungsmächtigen politischen Idee wie der des Progressivismus fiel sicherlich nicht zufällig in die Entstehungszeit totalitärer Ideen in den 1870er und 1880er Jahren.2544 Während in Europa die Wirtschafts- krisen jener Jahre zu einer „Verschärfung und Radikalisierung des Sozialismus im antiliberalen Sinn der marxistischen Doktrin“2545 sowie einer „rassistische[n] Zuspitzung des Nationalismus und Antisemitis- mus“2546 geführt hatten, setzten die Progressivisten in Amerika sozial- reformerische und kapitalistische Ideen unter Bewahrung ihres system- immanenten Zivilisationsoptimismus und ihrer Kulturoffenheit in die Praxis um, um frei von revolutionären Gedanken eine innere und äußere Erneuerung unter moderatem Einsatz imperialistischer Mittel einzuleiten. Für die Weiterentwicklung dieses Ansatzes eines amerikanischen „idea- listischen“2547 Imperialismus ist der Rolle und Ideenwelt Franklin Delano Roosevelts als wichtigstem außenpolitischem Akteur besondere Aufmerk- samkeit zu widmen. Die Analyse in der vorliegenden Arbeit hat ergeben, dass der Präsident schon vor dem Scheitern der Chamberlain´schen Appeasementpolitik schrittweise die Frage der Isolationisten, ob die amerikanischen nationalen Interessen überhaupt in Übersee verteidigt würden, mit einem klaren „Ja“ beantwortet hatte. Die Entwicklung der nationalsozialistischen Herrschaft – und damit besonders auch William Dodds Berichte hierzu2548 – war für diesen Erkenntnisprozess zentral.

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2543 Vgl. hierzu auch JUNKER: Unteilbarer Weltmarkt. S. 215. Für die progressiven Inter- nationalisten zählte hierbei vor allem das Argument der möglichen Zerstörung der liberal- demokratischen Ordnung durch eine soziale Revolution nach europäischem Vorbild. 2544 Vgl. BRACHER: Die totalitäre Erfahrung. S. 15 und 18. 2545 BRACHER: Die totalitäre Erfahrung. S. 18. 2546 BRACHER: Die totalitäre Erfahrung. S. 18. 2547 APPLEMAN WILLIAMS, William: Amerikas „idealistischer” Imperialismus, 1900-1917. In: WEHLER, Hans-Ulrich (Hrsg.): Imperialismus. 3. Auflage. Köln 1976. S. 415-442. 2548 Vgl. HERZSTEIN: Prelude to War. S. 78 „Despite these early concerns about Hitler, Roosevelt did not speak much about events in Germany. His comments about the Nazis were highly unflattering, but FDR devoted little time to a study of Hitler’s policies. Ambassador Dodd had direct access to Roosevelt, and soon [S. 79:] became the president’s tutor”.

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Roosevelt erkannte, dass der Nationalsozialismus nicht nur die ehe- maligen Alliierten, sondern alle Werte und Ziele, für die die USA einstanden, in Frage stellte. Zunehmend ergab sich hieraus die Notwendigkeit nicht nur einer Wiederherstellung der moralischen Vor- machtstellung der USA, sondern die der Weiterentwicklung zur mili- tärisch-politischen und ideell-kulturellen Weltmacht. Da alle anderen außenpolitischen Debatten wie um die Neutralitätsgesetzgebung oder die Teilnahme an internationalen Gremien so viele Reibungsverluste erzeugten und der Streit soweit eskalierte, dass die Grundfesten der amerikanischen Verfassung erschüttert wurden, diente Roosevelt als Ansatzpunkt für dieses Umschwenken seiner Deutschlandpolitik die Ver- teidigung der westlichen Hemisphäre, weil hier nach amerikanischer Perzeption2549 zunächst signifikante kulturelle, politische, ökonomische und militärische Interessen gefährdet waren. Bei Weitem global-geostrategischer ausgerichtet als es Woodrow Wilsons außenpolitische Konzepte jemals gewesen sein konnten, verfolgte der amerikanische Präsident im Zuge der Entwicklungen in den 1930er Jahren vor allem ein Ziel: „Roosevelt planned to make the world safe for American power“2550 – in Reaktion auf die angenommenen Welt- herrschaftspläne Adolf Hitlers.2551 Die Weiterentwicklung der amerika- nischen Außenpolitik hing deshalb direkt damit zusammen, wie die außenpolitischen Planer die nationalsozialistischen Zielsetzungen ein- schätzten 2552 – hierbei mussten sie auf Dodds und Messersmiths Beobachtungen vertrauen. Die größte Gefahr für die als politisches und kulturelles System in Bedrängnis geratene Demokratie,2553 so waren sich die zentralen Akteure ab spätestens 1938 in Washington einig, stellte das nationalsozialistische Deutschland dar. Weitergeführt wurden die Diskussionen in der amerikanischen Regierung um die Deutschland- politik in den 1940er Jahren. Sie spalteten angesichts der sich ab- zeichnenden Niederlage des „Dritten Reiches“ die Außenpolitiker auf

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2549 Vgl. zur tatsächlich nur geringen Gefahr einer nationalsozialistischen Durchdringung ganz Lateinamerikas KATZ: Einige Grundzüge der Politik des deutschen Imperialismus. In: GAGGERMEIER: Der deutsche Faschismus in Lateinamerika. S.9-69. 2550 LaFEBER, Walter: The Tension between Democracy and Capitalism during the American Century. In: Diplomatic History 23,2 (1999). S. 272. 2551 Vgl. JUNKER: Kampf um die Weltmacht. S. 39. 2552 Vgl. FRYE: Nazi Germany. S. 186. 2553 Vgl. IRIYE: Globalizing America. S. 131-136.

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ein Neues in der Frage, welche künftige Rolle die Sowjetunion und welche Deutschland in einer Nachkriegsordnung haben sollte – viele von Dodds Gedankenspielen finden sich hierzu wieder.2554 Der Erfolg der progressiven Internationalisten wurde ihren eigenen poli- tischen Ideen im Übergang zum Kalten Krieg dennoch zum Verhängnis. Die Transformation Amerikas zur „Super-Macht“, die mit der Ausein- andersetzung mit dem Nationalsozialismus begonnen hatte, führte in Kombination mit militärstrategischen, dann geostrategischen Erforder- nissen zu einer Globalisierung des Manifest Destiny.2555 Die ideologische Herausforderung durch die Sowjetunion als zweiter letztlich verbliebener Weltmacht komplettierte die Ideologisierung2556 des Progressivismus, der viele Jahrzehnte zuvor als soziale Reformbewegung entstanden war, und beendete das Zeitalter des Progressivismus als innen- und außen- politischem Erneuerungsstreben und die Idee des Isolationismus gleichsam. 2557 Herbert Crolys Vermächtnis, Jefferson´sche idealistische Werte und Ziele durch realpolitische Mittel nach Alexander Hamiltons Fasson zu erreichen, wurde somit sowohl in William Edward Dodds Veränderung seines Deutschlandbilds reflektiert wie auch in der Ent- wicklung der amerikanischen Außenpolitik der 1930er und 1940er Jahre.

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2554 Vgl. PAUTSCH, Ilse Dorothee: Die territoriale Deutschlandplanung des amerika- nischen Außenministeriums 1941-1943. Mainzer Studien zur Amerikanistik, Band 24. Frankfurt am Main u.a. 1990. S. 289ff. Vgl. auch ausführlich GADDIS, John Lewis: The United States and the Origins of the Cold War. New York 1972. Vgl. außerdem HÖNICKE: Das nationalsozialistische Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika. In: LARRES/OPPELLAND: Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert. S. 79-82. Vgl. auch LaFEBER, Walter: America, Russia and the Cold War, 1945-1975. Third Edition. New York 1976. 2555 Vgl. HEISS: Bernath Lecture. The Evolution of the Imperial Idea. S. 540. 2556 Vgl. hierzu auch HOFSTADTER: Age of Reform. S. 324ff. Hofstadter sieht progressive „Ideologen“ der 1930er Jahre allerdings nur als ein Vertreter eines kleinen Flügels innerhalb der New Dealer, deren Denkweise in Auseinandersetzung mit den faschistischen Expansionsbestrebungen entstanden sei. Insgesamt hätten Roosevelt und seine Berater die „European world of ideology“ (S. 325) abgelehnt. Hofstadter bezieht dies aber nicht auf die Veränderungen im außenpolitischen Denken der 1940er Jahre im beginnenden Konflikt mit der Sowjetunion. 2557 Vgl. zur Marginalisierung der letzten „old“ Progressives nach Ende des Zweiten Welt- krieges GRIFFITH, Robert: Old Progressives and the Cold War. In: Journal of American History. 66,2 (1979). S. 334-347. Vgl. außerdem ADLER, Les K./ PATTERSON, Thomas G.: Red Fascism. The Merger of Nazi Germany and Soviet Russia in the American Image of Totalitarianism, 1930s – 1950s. In: American Historical Review 75,4 (1970). S. 1046-1064.

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Der Person William Edward Dodd kam – als letzter Aspekt – noch eine andere Bedeutung zu. Die Vorwürfe gegen seinen Pessimismus Lügen strafend, überstiegen die Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges und der Holocaust alle seine Befürchtungen und Warnungen um ein Vielfaches. Eindringlich und verzweifelt hatte William E. Dodd zusammen mit seinen Generalkonsuln George Messersmith und Raymond Geist von Beginn an vor den konkreten Plänen der Nationalsozialisten zur Auslöschung aller Juden gewarnt. Von besonderer Bedeutung ist, welches soziale und kulturelle Werteverständnis und welche (Mit-)Menschlichkeit der progressive Südstaatler und seine Familie der Brutalität eines unbe- rechenbaren Regimes in einer widersprüchlichen, orientierungslosen, konfliktgeladenen und zu radikalen Lösungen neigenden Welt der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts entgegenzusetzen wagten. William Dodd hatte selbst unzählige Krisen erlebt. In der für ihn größten Krise – in einem „Fierce Battle for Democracy“ – , der zu seinem individuellen Untergang und zum Ausbruch eines alles verändernden großen Krieges führte, stellte er zum wiederholten Male die überzeitlich geltende rhetorische Frage zum kollektiven Umgang mit dieser Art von Her- ausforderungen, wiedergegeben hier mit den Worten Karl Dietrich Brachers: „Ist nicht die Fähigkeit eines politischen Systems und einer Gesellschaft in allen ihren Gruppierungen, Konflikte der Macht und der Interessen nach gemeinsam anerkannten Regeln freiwillig friedlich auszutragen, die vornehmste Errungenschaft wahrer politischer Kultur?“2558

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2558 BRACHER: Die totalitäre Erfahrung. S. 266. Vgl. zur Frage von Ideologie und Macht auch BRACHER, Karl Dietrich: Demokratie und Ideologie im Zeitalter der Machter- greifung. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31,1 (1983). S. 1-24 und BRACHER: Nationalsozialismus, Faschismus, Totalitarismus. In: BRACHER/FUNKE/JACOBSEN: Deutschland 1933-1945. S. 566-590.

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778 UNIVERSITY PRESS

Stella Adorf, Jahrgang 1985, studierte an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg von 2005 bis 2009 Geschichte und Politische

Wissenschaft im Magisterstudiengang. 1 Teil Nach dem Magisterabschluss arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und am Zentrum für Angewandte Geschichte der FAU Erlangen, sowie als Dozentin im Fach Geschichte. Stella Adorf verbrachte drei Jahre in den USA, wo sie sowohl für ihre Dissertation im Fach Neueste Geschichte forschte als auch für eine Internationale Organisation tätig war. Seit Abschluss der Promotion in Erlangen 2015/16 lebt und arbeitet sie in Brüssel.

FAU Studien aus der Philosophischen Fakultät 6.1 A Fierce Battle for Democracy A Fierce

Stella Adorf

„A Fierce Battle for Democracy“

ISBN 978-3-96147-004-4 Botschafter William Edward Dodd und die US-amerikanische Deutschlandpolitik 1933-1938

Teil 1 FAU UNIVERSITY PRESS 2016 FAU Stella Adorf