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HOLOCAUST Beihilfe zum Mord Der Kölner Staatsanwalt Rolf Holtfort, als einziger deutscher Zeuge im Papon-Prozeß geladen, über die Verstrickung der Franzosen in den Holocaust

SPIEGEL: Herr Holtfort, SPIEGEL: … von denen nur drei rechtskräf- hat eine tig verurteilt worden sind. glänzende politische Holtfort: Nur drei, aber die 1980 in Köln zu Karriere hinter sich und hohen Freiheitsstrafen**. ist 87 Jahre alt. Er war SPIEGEL: Warum wurden so wenige verur- Abgeordneter und Mini- teilt? ster. Seit Monaten steht Holtfort: Etliche Beschuldigte kamen mit er vor dem Schwurge- der Behauptung durch, sie hätten nicht richt in Bordeaux, ange- gewußt, was mit den deportierten Juden

J. CHRIST J. klagt wegen Verbrechen geschehe. Holtfort gegen die Menschlich- SPIEGEL: Die übliche Einlassung – weg zum keit. 1690 Juden sollen Arbeitseinsatz im Osten, mehr habe ich mit seiner Hilfe nach Auschwitz deportiert nicht gewußt. worden sein, fast alle wurden dort ermor- Holtfort: Ja.Aber wir wissen längst, daß dies det. Wann haben Sie zum erstenmal den vorgeschoben war, und die Täter von da- Namen Papon gehört? mals wußten es auch: Deportation bedeute- Holtfort: Als Jurastudent. Damals, Anfang te den sicheren Tod. Schon im Mai 1942 wuß- der sechziger Jahre, ging die Pariser Poli- te ein gar nicht mal hoch angesiedelter SS- zei massiv gegen Algerier vor, es gab viele Führer in Frankreich, daß die „Endlösung Tote, Papon war, das wußte ich aus der der Judenfrage“ praktisch das „Ziel restlo- Zeitung, Chef der Polizei in Paris. ser Vernichtung des Gegners“ bedeute. SPIEGEL: Wann entdeckten Sie diesen SPIEGEL: Hat jemals ein Beschuldigter zu- Namen in einer deutschen Ermittlungs- gegeben, vom wirklichen Schicksal der Ju- akte? den gewußt zu haben? Holtfort: Im Verfahren gegen einen früheren Holtfort: Ein einziger. In einer Vernehmung SS-Hauptsturmführer, gegen den ich zu Be- hat er mir gestanden, bereits 1943, als er im ginn der achtziger Jahre wegen der De- polnischen Zamos´c tätig war, habe er er- portation etlicher Juden aus Frankreich er- fahren, daß Juden während des Transports mittelte. Papon war in Bordeaux von 1942 mit Lastwagen durch Abgase getötet wur- bis 1944 Generalsekretär der Präfektur und den. Der Mann gehörte einem Sonderkom- verantwortlich für die sogenannten jüdi- mando der SS an, das in besetzten Ländern schen Angelegenheiten, der SS-Führer sein Juden aufspürte, sie festnahm und über deutsches Pendant. Der Deutsche hatte Durchgangslager nach Auschwitz schaffen über Papon eine dienstliche Beurteilung ließ. Er war im weiteren Verlauf des Jahres verfaßt, und die fand ich. 1943 auch in Drancy tätig, einem Zwischen- SPIEGEL: Und was stand da drin? camp bei Paris. Dieses Lager spielt jetzt im Holtfort: Papon sei ein gewandter, fleißiger Papon-Prozeß wieder eine Rolle. Und er Verwaltungsfachmann, der gründlich und wußte, daß jeder festgenommene Jude via rasch arbeite. Zitat: „Nach seinen Äuße- Drancy mit dem Zug nach Auschwitz de- rungen, nach dienstlichen und persönli- portiert wurde – um ihn dort zu töten. chen Besprechungen bezeichnet er sich als SPIEGEL: Welchen Dienstgrad hatte der SS- Kollaborationist. Es läßt sich mit ihm gut Mann? zusammenarbeiten.“ Holtfort: Er war nur ein SS-Hauptschar- SPIEGEL: Das Gericht in Bordeaux hat Sie führer, darunter gab es fast nichts. als Zeugen geladen, weil Sie Spezialist für SPIEGEL: Dann liegt es auf der Hand, daß Deportation von Juden in Paris (1941)*: Für den französische Kollaborateure sind. Ranghöhere und Dienstvorgesetzte solch Holtfort: Ich kann und will meiner Aussage niedriger Chargen von den Judenmorden Holtfort: … und die sogenannten Juden- nicht vorgreifen, das verlangt der Respekt im KZ wußten. sachbearbeiter. Ich bin der festen Über- vor einem Gericht. Richtig ist: Als Staats- Holtfort: Im besetzten Frankreich gab es in zeugung, daß zumindest diese vier Männer anwalt habe ich elf Jahre in einem Kom- den größeren Städten 17 Dienststellen der in den jeweiligen Standorten das Schicksal plex ermittelt, der im unterkühlten Juri- NS- und des SD, dem Ge- der Juden kannten. stendeutsch „Endlösung der Judenfrage in heimdienst. Potentielle Beschuldigte in un- Frankreich“ hieß. 73 853 Juden wurden seren damaligen Verfahren waren die Kom- * Auf dem Bahnhof Austerlitz. weggeschafft zum Vergasen, nur 2600 über- mandeure, deren Stellvertreter, die Leiter ** Der frühere SS-Sturmbannführer Herbert Hagen lebten. Das jüngste Opfer war ein Kind, der Abteilung IV … wurde zu zwölf Jahren, der Ex-Obersturmbannführer zu zehn Jahren und der ehemalige Unter- gerade mal zwei Jahre alt. Auf meiner Li- SPIEGEL: … der (der Geheimen scharführer Ernst Heinrichsohn zu sechs Jahren Haft ste standen Hunderte von Verdächtigen … Staatspolizei) … verurteilt.

116 der spiegel 2/1998 erleichtert, sich der deutschen Juden ent- 15 Jahre lang ledigen zu können.“ Aber er sagt auch, liefen gegen Maurice Papon Ermittlungen wegen Verbrechen gegen selbst der Generalsekretär der Vichy- die Menschlichkeit, ehe im Oktober vergangenen Jahres in Bordeaux Polizei, René Bousquet, habe die wahren der Prozeß gegen ihn begann. Die französische Politik hatte das Ver- Absichten Hitlers nicht gekannt. fahren verschleppt. Frankreichs sozialistischer Staatspräsident SPIEGEL: Glauben Sie das? François Mitterrand, der bis zu seinem Tod jede Verantwortung des Holtfort: Keine Sekunde. Es existiert ein französischen Staates für Verbrechen der mit Hitler kooperierenden Dokument aus dem Jahr 1942, das dies ein- Vichy-Regierung ablehnte („Die Republik hat damit nichts zu tun“), deutig widerlegt. sorgte 1987 sogar dafür, daß das Verfahren gegen den Gaullisten und SPIEGEL: Und Papon? In der Vichy-Diktatur ehemaligen Budgetminister zeitweilig eingestellt wurde. Der Grund galten die Präfekten der Départements als für die Schützenhilfe: In Frankreich sollte eine öffentliche Diskussi- kleine Könige, Papon war als Generalse- on über die Kollaboration mit Nazi-Deutschland abgeblockt wer- kretär praktisch der Vize des Präfekten. den. Der Kölner Staatsanwalt Rolf Holtfort, 59, ist bislang der einzi- Der Staatsanwalt wirft ihm vor, die Ver- ge Deutsche, der als Zeuge im Papon-Prozeß gehört werden soll. Als schleppung der Juden „in voller Kenntnis“ Strafverfolger ermittelte er gegen frühere SS-Führer und Kriegs- ihrer Vernichtung „ausschließlich aufgrund beamte, die im besetzten Frankreich die Deportation der Juden nach rassischer und religiöser Kriterien“ orga- Auschwitz organisiert hatten. Holtfort sagte bereits 1987 im Prozeß nisiert zu haben. gegen den einstigen Gestapo-Chef von Lyon, , aus. Holtfort: Seiner Funktion nach war Papon in Bordeaux verantwortlich für den rei- Papon auf dem Weg zum Gericht in Bordeaux (im Dezember 1997) bungslosen Ablauf aller antijüdischen Maß-

AP nahmen. SPIEGEL: Papon hat ausgesagt, er sei nur einfacher „Federhalter“ gewesen, also der Mann am Schreibtisch. Er schwört, persönlich keine Festnahme eines Juden, keinen Transport oder eine Überstel- lung ins Durchgangslager angeordnet zu haben. Holtfort: Die Staatsanwaltschaft in Bor- deaux ist offenbar der Meinung, ihn über- führen zu können. SPIEGEL: Papon hat auch gesagt, er habe pro Jahr Tausende Dokumente unter- zeichnen müssen, da könne schon mal was durchgerutscht sein. Er habe vom Schick- sal der Juden nicht mehr gewußt als diese selbst. Holtfort: Eine solche Einlassung kommt mir sehr bekannt vor. Die Täter, die in Köln vor Gericht standen, haben ähnlich ar- gumentiert. Sie sind verurteilt worden al- lein wegen der Existenz von Dokumenten, die sie für die Deportation der Juden aus Frankreich erstellten, unterzeichneten oder paraphierten. Die Kölner Richter haben, übrigens gerade von der französischen Öf- fentlichkeit hoch gelobt, unmißverständ- lich erklärt, daß ihr Handeln eine klare Beihilfe zum Mord war. SPIEGEL: Anfangs wurde in Frankreich der Prozeß gegen Papon sehr begrüßt, jetzt sind Anzeichen des Überdrusses zu ver- spüren, sich weiterhin mit der Vergangen- heit auseinanderzusetzen. Ein prominenter

SÜDD. VERLAG Franzose behauptet, der Prozeß nütze nie- reibungslosen Ablauf verantwortlich mandem außer den Deutschen. Ihre Schuld würde durch die Verurteilung eines am SPIEGEL: Welche Rolle spielten die franzö- nannt, 8000 Juden in einem Sportstadion Holocaust beteiligten Franzosen praktisch sischen Beamten? zusammen. aufgelöst. Holtfort: Ich möchte hier nicht Geschichts- SPIEGEL: Schon 1940 gab es in Frankreich Holtfort: Ich bin mir durchaus bewußt, daß bekanntes wiederholen. Die Vichy-Regie- antijüdische Gesetze. Sie seien, schreibt der Auftritt eines Deutschen vor Gericht rung arbeitete zwischen 1940 und 1944 der amerikanische Historiker Robert Pax- politisch äußerst pikant ist. Aber ich bin als meist freiwillig und engagiert mit den deut- ton ausdrücklich, nicht von den Deutschen Zeuge geladen und muß wahrheitsgemäß schen Besatzern zusammen, viele ihrer Be- verlangt worden. die Fragen beantworten, die mir der Rich- amten sympathisierten heftig mit den neu- Holtfort: Viele im Hitler-Deutschland ver- ter und andere stellen. Die Justiz kann die en Herren in ihrem Heimatland. So trieben folgte Juden sind damals nach Frankreich Vergangenheit nicht bewältigen, aber sie im Juli 1942 nicht Hitlers Gestapo-Männer, geflüchtet. Paxton hat als Zeuge im Papon- kann aufklären – ob in Deutschland oder sondern 4500 Pariser Polizisten, Greifer ge- Prozeß gesagt: „Frankreich war zunächst in Frankreich. ™

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