Macht Das Tor Auf« Während Der Einfluss Der Regierung Modrow Schwindet, Wird Der DDR-Besucher Helmut Kohl Gefeiert Wie Ein Befreier

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Macht Das Tor Auf« Während Der Einfluss Der Regierung Modrow Schwindet, Wird Der DDR-Besucher Helmut Kohl Gefeiert Wie Ein Befreier SPIEGEL-Serie über Wende und Ende des SED-Staates (13 und Schluss) Die Woche vom 18. 12. 1989 bis zum 22. 12. 1989 »Macht das Tor auf« Während der Einfluss der Regierung Modrow schwindet, wird der DDR-Besucher Helmut Kohl gefeiert wie ein Befreier. BND-Agenten erbeuten Stasi-Dateien. Die Öffnung des Brandenburger Tors kurz vor Heiligabend gerät zum Volksfest. REUTERS DDR-Besucher Kohl am 19. Dezember 1989 in Dresden der spiegel 51/1999 119 100 TAGE IM HERBST: »MACHT DAS TOR AUF« CHRONIK »Nun freue dich, Berlin« nun abermals um den Stadtfrieden ver- ten ziehen 150 000 Menschen über den Montag, 18. Dezember 1989 dient. Ring. Mit flackernden Lichtern in Lam- Gemeinsam mit Gewandhaus-Kapell- pions und Joghurtbechern schiebt sich die Leipzig meister Kurt Masur hat Magirius dazu auf- Menge von der Magiriusschen Nikolai- Friedrich Magirius, 59, Superintendent und gerufen, die letzte Montagsdemonstration kirche, wo im September die friedliche Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, war der in diesem Jahr als Schweigemarsch zu ge- Revolution begonnen hat, bis zur „Run- Stasi so verdächtig, dass sie seinen Namen stalten.Auf Transparente und Sprechchöre den Ecke“, dem berüchtigten Gebäude- auf eine schwarze Liste zu „isolierender“ soll verzichtet werden. komplex der Stasi. Oppositioneller setzte – Überschrift: „Im Superintendent und Dirigent fürchten, Der stille Umzug im Kerzenschein bie- Rahmen des Vorbeugungskomplexes zuzu- dass sich sechs Tage vor Heiligabend ereig- tet deutsch-nationalen Sprücheklopfern führende Personen, die dem politischen Un- nen könnte, was sich eine Woche zuvor an- kaum Gelegenheit zur Selbstdarstellung – tergrund zuzuordnen sind“. gebahnt hat: ein Zusammenstoß zwischen obwohl deren Auftritte republikweit zu- So wie der Geistliche dazu beigetragen zunehmend militanten Einheitsverfechtern nehmen. Westdeutsche Rechtsextremisten hat, dass es bei der historischen Montags- und Gegnern einer „BRDigung der DDR“. hätten Gesinnungsgenossen in der DDR demonstration am 9. Oktober nicht zu ei- Der Appell wird erhört. Mit Symbolen gezielt zu Gewaltaktionen aufgestachelt, nem Blutbad gekommen ist, macht er sich statt Sprüchen, Kerzen statt Transparen- hat der Stasi-Nachfolgedienst aus mit- T. HÄRTRICH / TRANSIT Schweigemarsch in Leipzig: Symbole statt Sprüche, Kerzen statt Transparente 120 der spiegel 51/1999 Wahlen gestellt hat; dort Abgesandte der 45, im Frühjahr wegen eines im Wes- Opposition, demokratisch ebenfalls nicht ten veröffentlichten Buches („Der vor- legitimiert. mundschaftliche Staat“) aus der SED Beide Fraktionen – und das macht den ausgeschlossen und mit Berufsverbot be- Frontverlauf unübersichtlich – sind durch- legt, verlangt für die Opposition nicht setzt von Agenten der Staatssicherheit. Die bloß Mitsprache, sondern Regierungsteil- Spitzel wiederum wissen in aller Regel habe. nicht, welche Tischgenossen außer ihnen Das Modrow-Kabinett, argumentiert er, selbst sonst noch der Geheimpolizei ver- sei nicht aus freien und geheimen Wahlen pflichtet sind. hervorgegangen, sondern vom alten SED- Absurde Szenen spielen sich ab. SDP-Ver- Politbüro bestimmt worden. Deshalb müs- treter Martin Gutzeit fordert, der Runde se es, so Henrich in einem vorbereiteten Tisch möge die von der Stasi „eingeschleus- Positionspapier, „zur Übergangsregierung ten Personen“ aufdecken. In merkwürdiger erklärt“ werden und dem Runden Tisch Eintracht wenden sich Stasi-Agenten wie ein umfassendes Kontroll- und Vetorecht Stasi-Opfer gegen die Aufforderung zum einräumen. Kurzum: Die Opposition soll „Stasi-Spitzel-Jagen“, wie sich Reinhard künftig an den Sitzungen des Ministerrats Schult vom Neuen Forum (NF) empört. teilnehmen dürfen. Als der Gutzeit-Antrag schließlich zur Der überraschende Vorstoß verblüfft Abstimmung gestellt wird, enthalten sich nicht nur den neuen SED/PDS-Vorsitzen- zwei Drittel der Anwesenden, zehn stim- den Gregor Gysi und dessen Stellvertreter men mit Nein, nur zwei votieren für die Wolfgang Berghofer, die ihre Durchhalte- Forderung: Antragsteller Gutzeit und, aus- strategie zur Bewahrung der Macht in Ge- gerechnet, dessen SDP-Genosse Ibrahim fahr sehen. Auch die neuen Polit-Gruppie- Böhme alias IM „Maximilian“. rungen, die, anders als bislang üblich, dies- Wenig später wird der vermeintliche ra- mal nicht vorab informiert worden sind, DPA dikale Stasi-Gegner Böhme von der Runde fühlen sich überrumpelt. Leipziger Pfarrer Magirius (1990) mit einem wichtigen Amt betraut.Als „Ein- Trotzig erwidert SED-Mann Berghofer, „Dem Untergrund zuzuordnen“ berufer“ soll der Spitzenagent eine „Ar- die Regierung sei „bis zum 6. Mai“, dem beitsgruppe ,Sicherheit‘“ aufbauen, der die Tag der geplanten demokratischen Volks- geschnittenen Ferngesprächen heraus- Kontrolle der Stasi-Auflösung obliegt. kammerwahl, „im Amt“. Drohend fügt er gehört. Immerhin kommt ein Beschluss zu Stan- hinzu: „Wenn wir sie heute stürzen, dann Die braunen Brüder im Osten sollen die de, mit dem der Runde Tisch klar auf Ge- sehe ich am 6. Mai keine Wahlen.“ Sicherheitskräfte zu harten Reaktionen genkurs zum Kabinett Modrow geht: Die Schützenhilfe erhält der SED-Vertreter provozieren, um so Gewalttätigkeiten auf Regierung möge den Aufbau eines Verfas- vom Ost-CDU-Vorsitzenden Lothar de der Straße auszulösen. „In Besorgnis erre- sungsschutzes bis nach den ersten freien Maizière, 49, der seit langem mit der Fähig- gendem Umfang“ hätten sich „Erschei- Wahlen im Frühjahr „aussetzen“. (Einen keit begabt ist, mehreren Herren zu Diens- nungen rechtsextremistischen, insbeson- Monat später wird Modrow diese Forde- ten zu sein: Als IM „Czerni“ hat sich der dere neofaschistischen, antisemitischen rung erfüllen, um ein Auseinanderbrechen Kirchenanwalt von der Stasi abschöpfen und ausländerfeindlichen Inhalts und seiner Regierung zu vermeiden.) lassen; als Minister für Kirchenfragen ist er Charakters“ verstärkt, heißt es in einer Ein zweiter Vorstoß, der die Macht der Stellvertreter des Wiedervereinigungsgeg- „Orientierung“ der Nachrichtendienstler. Modrow-Regierung begrenzen soll, schei- ners Modrow; als Partner der Bonner CDU Bei der Leipziger Montagsdemo vertei- tert an der Uneinigkeit und Unterwande- bringt er seine einstige Blockpartei derzeit len jedoch nur ein paar kahlnackige Neo- rung der Opposition. auf Kohlschen Einheitskurs. nazis aus dem Westen importierte NPD- Der Eisenhüttenstädter Anwalt und Keine hundert Tage, bevor der Mann mit Flugblätter und -Aufkleber. Einige „Repu- Neue-Forum-Mitbegründer Rolf Henrich, dem kleinen Wendekreis zum ersten (und blikaner“ grölen großdeutsche Parolen. Neonazis in Leipzig: „Besorgnis erregender Umfang“ Empörte Marschierer sprechen Polizis- ten an, die den Zug begleiten, sie sollten et- was gegen die Rechten unternehmen. Doch die Vopos halten sich zurück. „Nee“, antwortet ein Offizier, „wir ha- ben keinen Polizeistaat mehr.“ Ost-Berlin Weihnachtsmänner mit Wattebart beleben wie in jedem Jahr zur Adventszeit die Straßen Berlins. Ein Weihnachtsstern aus Glanzpapier leuchtet gülden im tannen- geschmückten Dietrich-Bonhoeffer-Haus. Darunter fetzt sich das sonderbarste Gre- mium, das je in Deutschland politische Macht besaß. Adventsstimmung will nicht aufkommen in der zweiten Sitzung des Zentralen Run- den Tisches. Zu unterschiedlich sind die Interessen der Kontrahenten: Hier Vertre- ter der alten Macht, die sich nie freien PIEL / GAMMA STUDIO X P. 100 TAGE IM HERBST: »MACHT DAS TOR AUF« Einen allerletzten deutsch-deutschen Agentenaustausch bespricht Priesnitz in Vogels Anwaltskanzlei im Stadtteil Friedrichsfelde. Die Abmachung betrifft einerseits 25 Mitarbeiter des Bundesnach- richtendienstes, des westdeutschen Verfas- sungsschutzes und der amerikanischen CIA, die in der DDR noch inhaftiert sind, andererseits 4 Westdeutsche, die für das sowjetische KGB spioniert haben und in bundesrepublikanischer Haft ein- sitzen. Zu den KGB-Agenten zählt Margret Höke, eine ehemalige Sekretärin im Bun- despräsidialamt, die im August 1987 zu acht Jahren Haft verurteilt worden ist. Sie war einem Stasi-Romeo in die Falle ge- gangen und hatte 14 Jahre lang geheime Nato-Dokumente nach Moskau geliefert. Nun hat ihr früherer Chef, Bundesprä- sident Richard von Weizsäcker, die Be- gnadigungsurkunde unterschieben – recht- liche Bedingung für den humanitären Menschenhandel. Im Gegenzug gibt die DDR zudem hun- dert Gefangene frei, die aus politischen H. P. STIEBING H. P. Gründen inhaftiert worden waren. Dar- Passkontrolle in Berlin im Dezember 1989*: Absurde Szenen unter dem Weihnachtsstern unter sind Menschen wie Bodo Strehlow, 32, ehemaliger Obermaat bei der Grenz- letzten) frei gewählten Ministerpräsiden- Auf der Tagesordnung steht der Aus- brigade „Küste“, der 1979 versucht hat, ten der untergehenden DDR aufsteigt, tausch und Freikauf von Gefangenen – ein über die Ostsee in die Bundesrepublik lehnt er brüsk den Henrich-Vorstoß ab, die Gegengeschäft nach der Formel Freiheit zu fliehen. Auf einer Patrouillenfahrt Opposition an der Regierungsmacht zu be- gegen Bananen. zwang er mit der Waffe seine Kamera- teiligen. Maizière: „Das wäre dann das Südfrüchte im Wert von 15 Millionen den unter Deck, wo er sie einsperrte. Ende.“ Mark will Bonn in die DDR liefern lassen Während er gen Westen schipperte, Natürlich wolle die Opposition die Re- – eine seit 1963 gebräuchliche Gegenleis- konnten sich die Marinesoldaten jedoch gierung nicht stürzen, besänftigt, freundlich tung für die Freilassung von Häftlingen befreien. Sie überwältigten Strehlow, der lächelnd, der Kirchenhistoriker Wolfgang (siehe Analyse Seite 130). Diskret vermit- bei dem Kampf schwere Verletzungen
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