Betrifft: Häusliche Gewalt

Perspektiven für die Prävention

Ein Handbuch für Fachkräfte in Schulen, sozialen Diensten, Frauenunterstützungseinrichtungen, Polizei und Justiz

Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

2 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Herausgeber: Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR)

In Kooperation mit: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Integration Niedersächsisches Justizministerium

Hannover 2008

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Inhalt

Vorwort______7

Teil 1: Hintergründe ______9 Prävention und Geschlecht: Frauen und Männer, Mädchen und Jungen, Individuen und Gesellschaft Carol Hagemann-White ______11

Heute Opfer – morgen Täter?! Prävention von Gewalt im sozialen Nahbereich aus Sicht der Kriminologie Helmut Kury ______21

Braucht Prävention Gesetze? Die vorbeugende Wirksamkeit von Normen und Gesetzen am Beispiel von Schutz vor Gewalt in Familien und Partnerschaften Gesa Schirrmacher ______37

Report über die Auswirkungen des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung Kai-D. Bussmann______47

Teil 2: Praxisbeispiele ______65 „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“: Ein Ausstellungsprojekt des Landeskriminalamtes Niedersachsen – Idee und Erfahrungen Susanne Paul ______67

Erfahrungsberichte und Materialien I „Gegen meinen Willen…“ – Struktur und Impulse für eine Führung durch die Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ Eleonore Tatge / Ursula Kretschmer ______73 Erfahrungsberichte und Materialien II „Wir haben was bewegt!“ Ingrid Wiltzsch / Clemens Rumpf ______76 Erfahrungsberichte und Materialien III Gegen Gewalt in Paarbeziehungen – Erfahrungen aus der kommunalen Präventionsarbeit Elke Kirsten ______82 „Du bist unschlagbar!“ Ein szenischer Ansatz zur Prävention häuslicher Gewalt in der Arbeit mit Jugendlichen von Spielwerk Theater EUKITEA, Diedorf 5 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Michael Gleich / Serap Altinisik ______89

Geschlecht (ver)lernen – interaktiv, multimedial, online: Die Webplattform www.niceguysengine.de zur Prävention sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen Cäcilia (Cillie) Rentmeister ______95

Die Kunst, kleine Brötchen zu backen… Inhalte, Methoden und Strategien der Präventionsarbeit zu häuslicher Gewalt mit Mädchen und Jungen Ulrike Brockhaus ______109

Qualität: Qual oder gute Wahl? Bausteine für ein erfolgreiches Präventionsprojekt Anja Meyer ______123

Teil 3: Perspektiven für die Prävention ______131 Polizeiliche Krisenintervention als Basis erfolgreicher Präventionsarbeit Roger Fladung ______133

Das Gewaltschutzgesetz und seine Möglichkeiten Jens Buck ______135

Perspektiven für die Prävention aus der Sicht von Frauenunterstützungseinrichtungen Dörte Krol ______137

Schulische Handlungsansätze im Kontext häuslicher Gewalt – Ein Überblick Jutta Sengpiel ______139

Anhang ______143 Weiterführende Informationen ______145 Autorinnen und Autoren ______147

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Vorwort

Dies ist der siebte Band in der Reihe „Betrifft: Häusliche Gewalt“ – und der erste, der sich ausdrücklich und ausschließlich mit „Prävention“ befasst. Mit diesem Thema knüpft die Broschüre an die Tagung „Perspektiven für die Prävention häuslicher Gewalt“ an, die Ende 2006 vom Sozial-, Innen-, Justiz- und Kultusministerium in Kooperation mit dem Landespräventionsrat durchgeführt wurde. Den Expertinnen und Experten, die an dieser Veranstaltung mitgewirkt haben, verdankt die Broschüre einen Teil ihrer Texte. Zusätzlich haben Fachleute aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern weitere Überlegungen und Erfahrungsberichte beigesteuert. Außerdem markiert dieser Band einen weiteren Schritt der Umsetzung des Niedersächsischen Aktionsplans II zur Bekämpfung häuslicher Gewalt; er kombiniert theoretische Grundlagen mit praxisbezogenen Anregungen und soll damit zu einer (Weiter-)Entwicklung der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, mit Mädchen und Jungen beitragen.

Denn etablierte und evaluierte Konzepte zur Prävention häuslicher Gewalt fehlen bisher weitgehend – Präventionsarbeit, die sich explizit auf „Partnergewalt“ bezieht, findet bisher nur vereinzelt und eher unsystematisch statt. Vor diesem Hintergrund liefert der Aufsatz von Carol Hagemann-White wichtige Orientierungen für die Fachpraxis: Hier wird der Blick einerseits auf aktuelle Entwicklungen in der Sozialisation von Mädchen und Jungen bzw. Männern und Frauen und andererseits auf widersprüchliche Wahrnehmungen und Bewertungen von Gewalthandlungen gelenkt und damit eine konzeptionelle Basis für die Präventionsarbeit formuliert.

Wie dringend diese Arbeit erforderlich ist, zeigen u.a. die Daten aus der Repräsentativstudie zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland: Dort wurde einmal mehr sichtbar, dass das Miterleben und Erleiden von Gewalt in der Kindheit ein zentraler Risikofaktor dafür ist, später selbst Opfer von Gewalt in der Partnerschaft zu werden. Einen weiteren Zusammenhang, nämlich den zwischen Gewalterfahrungen und eigener Gewaltausübung in Familie und Partnerschaft, zeigt der Text von Helmut Kury auf. Er gibt darin einen umfassenden Überblick über Forschungen, die Anhaltspunkte dafür liefern, wie aus Opfern Täter werden können.

Gesa Schirrmacher geht der Frage nach, inwieweit gesetzliche Normen Präventionsarbeit beeinflussen und ggf. unterstützen können. Sie zeigt am Beispiel des Rechtes auf gewaltfreie Erziehung und des Gewaltschutzgesetzes auf, wie die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Bewertungen im sozialen Nahbereich und zivilgesetzlichen Normierungen funktioniert und welche Anknüpfungspunkte für die praktische Arbeit sich daraus ergeben.

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„Praxisbeispiele“ – der zweite Teil der Broschüre – enthält Projektbeschreibungen für den Einsatz unterschiedlicher Materialien: die Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“, das Theaterstück „Du bist unschlagbar“ und die Internetplattform „Niceguysengine.de“. Diese unterschiedlichen Medien enthalten jeweils einzeln, vor allem aber in ihrer Kombination ein großes Spektrum an methodischen Möglichkeiten für die Präventionsarbeit mit Jugendlichen. Drei Erfahrungsberichte über Präventionsprojekte aus Niedersachsen geben zusätzlich Einblicke in die aktuelle Praxis vor Ort.

Ergänzt und weitergeführt werden die Projektberichte durch konzeptionelle Überlegungen zu Methoden, Strategien und Qualitätsentwicklung in der Prävention. Sie sollen die Fachkräfte in Schule und Jugendhilfe, in kommunalen Präventions- gremien und an Runden Tischen gegen häusliche Gewalt dabei unterstützen, die eigene Präventionsarbeit systematisch zu entwickeln und langfristig zu verankern.

Anregungen dazu bieten auch die Reflexionen in Teil 3 der Broschüre: Dort sind „Perspektiven für die Präventionsarbeit“ aus der Sicht von Polizei, Justiz, Frauenunterstützungseinrichtungen, Sozialer Arbeit und Pädagogik zusammengestellt. In diesen Texten wird einerseits deutlich, dass die Prävention häuslicher Gewalt eine ressortübergreifende Aufgabenstellung ist. Zum zweiten zeigt sich, welches spezifische Profil und welche Expertise die Beteiligten in dieses Zusammenspiel einbringen können. Und drittens wird einmal mehr erkennbar, wie eng Prävention und Intervention miteinander verwoben sind.

Insgesamt wird damit auch die Notwendigkeit erkennbar, dass sich die Fachleute aus Schule und Jugendarbeit, Polizei, Justiz, Frauenunterstützungseinrichtungen und sozialen Diensten immer wieder über die Grundlagen, Problemdefinitionen und -wahrnehmungen sowie die gemeinsamen Ziele ihrer Arbeit verständigen. Wir hoffen, diese Broschüre trägt dazu bei, dass dieses gelingt – und wir bedanken uns herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für ihre Texte.

Die Mitglieder des Interministeriellen Arbeitskreises „Häusliche Gewalt“:

Andrea Buskotte, Koordinationsprojekt Häusliche Gewalt beim LPR Christian Jäde, Justizministerium Dr. Thomas Matusche, Justizministerium Oliver Mengershausen, Innenministerium Karin Pienschke, Sozialministerium Horst Roselieb, Kultusministerium Karin Steinbach, Sozialministerium

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Teil 1:

Hintergründe

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Prävention und Geschlecht: Frauen und Männer, Mädchen und Jungen, Individuen und Gesellschaft

Carol Hagemann-White

In diesem Text geht es um Primärprävention bzw. um gesellschaftliche Strukturen, um Opferprävention und Täterprävention1. Vor gut zehn Jahren schrieb Annedore Prengel: „Es gibt doch immer weniger Leute, die in der Erziehung auf die alte Form der Rollenverteilung drängen, und trotzdem endet Sozialisation damit, dass sich beide Geschlechter völlig unterscheiden“ (1994:66). Wir leben in einer Zeit, in der die Prinzipien der Demokratie auch für die Geschlechterbeziehungen Geltung beanspruchen. Mädchen sind sogar erfolgreicher als Jungen im allgemeinbildenden Schulsystem; es ist selbstverständlicher geworden, dass ihre Ausbildung dem Ziel eines guten Berufs dienen soll. Für die jungen Menschen, die heute z.B. ein Studium aufnehmen, sind typische Unterschiede der Geschlechter erkennbar; anders als vor 30 Jahren ist für sie aber kein Machtgefüge sichtbar, das männliche Dominanz und weibliche Unterordnung vorsieht. Differenz wird anerkannt, Dominanz bleibt verborgen.

In der Soziologie spricht man daher von einer „De-Institutionalisierung von Geschlecht“ (Heintz / Nadai 1998) Aufgaben und Rollenzuschreibungen, die seit Generationen mit dem Geschlecht verknüpft waren, werden heute nicht mehr fraglos und selbstverständlich übernommen und ausgeführt; sie kommen durch bewusstes Handeln zustande oder werden wenigstens als Entscheidungen unter Wahlmöglichkeiten verstanden und den Individuen zugeschrieben.

So können die Studentinnen und Studenten in einem beliebigen Seminar mir mühelos die Gründe darlegen, warum, wenn sie später einmal in einer Paarbeziehung leben und sich für ein Kind entscheiden, es die Frau sein wird, die zu Hause bleibt. Sie wissen heute schon, dass der spätere Arbeitgeber des späteren Mannes es gewiss nicht gerne sehen würde, wenn er Elternzeit nähme; sie gehen davon aus, dass er besser verdienen wird und beide seinen Arbeitsplatz keinesfalls gefährden wollen werden. Die besondere biologische Beziehung der Mutter zum Kind tut ein Übriges, und schon stehen die Ergebnisse der auszuhandelnden gemeinsamen Entscheidung fest, noch bevor sich das Paar kennen gelernt hat. Dass die gewünschte Gleichberechtigung in der Beziehung etwas leiden wird, sehen sie schon, aber wer ein Kind will – das ist ja kein Naturereignis mehr, sondern bewusste Wahl – muss eben damit umgehen. Keiner schreibt es ihnen vor.

1 Der Vortrag übernimmt teilweise Ausführungen aus dem längeren Aufsatz: Hagemann-White: Sozialisation – zur Wiedergewinnung des Sozialen im Gestrüpp individualisierter Geschlechter- beziehungen, in: Bilden, Helga/ Dausien, Bettina (hrsg.): Sozialisation und Geschlecht. Theoretische und methodologische Aspekte. Opladen 2006, S. 71-88. 11 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Auch im Berufsleben gilt das demokratische Prinzip, dass niemand diskriminiert oder ausgeschlossen werden darf aufgrund von Merkmalen, für die er oder sie nichts kann. Frauen dürfen selbstverständlich Ingenieurin, Richterin oder Aufsichtsratsvorsitzende werden. Männer dürfen als Erzieher, Hausmann oder Kinderkrankenschwester tätig sein. Verschiedene empirische Studien in diesen Bereichen zeigen inzwischen, dass das Geschlecht im Berufsalltag tatsächlich eher selten zum Thema wird. Dabei bleibt das Geschlecht jedoch keineswegs bedeutungslos, wie Heintz und Nadai zeigen, es wird vielmehr bewusst und gezielt irrelevant gemacht. Frauen und Männer, die von der jeweiligen beruflichen Geschlechternorm abweichen, leisten fortgesetzte, aber leise Anstrengungen, um das Geschlecht auszublenden. Jedoch sind die Voraussetzungen und die Verhaltensrepertoires, mit denen Frauen in Männerpositionen ihr Geschlecht de- thematisieren, andere als diejenigen, die von Männern in Frauenberufen angewendet werden. Zu beobachten sind immer häufiger Praktiken, die dafür sorgen, dass das Geschlecht zugleich akzentuiert und ausgeblendet wird, wie z.B. in der mittlerweile gekonnten Rede der Politik von den „Bürgerinnen und Bürgern“ – eine Redeweise, die die Geschlechter gleichstellt und gegeneinander setzt in einem.

In der sozialen Wirklichkeit wird der ungleiche Zugang der Geschlechter zu Ressourcen und Positionen fortgeschrieben. Trotz aller Offenheit und Brüchigkeit der Identitäten sehen sich Forschung und Praxis mit einer beharrlich strukturierenden Bedeutung des Geschlechts konfrontiert. Diese nehmen jedoch die Beteiligten oft nicht wahr: „Was qua kulturellem Wandel im Bewusstsein ‚out‟ ist, kann sich strukturell, in Geschlechtersegmentierungen im System der Berufe und/oder der beruflichen Bildung z.B. verfestigt haben und nun von hier zurückwirken“ (Krüger 1999:38). Gleiches gilt für die „fürsorgliche Praxis“ (Tronto 2000) im privaten Lebenskreis (vgl. Diezinger/Rerrich 1998), zumal die Anliegerinstitutionen“ (Krüger) wie Kindergärten, Schulen, Arztpraxen, Krankenhäuser oder Dienstleistungsbetriebe nach dem Prinzip „Frau-im-Hause“ organisiert sind. Die traditionelle Arbeitsteilung in den Paarbeziehungen stellt sich immer neu her, aber sie „hat sich so ergeben“ (König/Maihofer 2004).

In dem Maße, wie Mädchen und junge Frauen ungeschmälert Zugang zu Bildung gewonnen haben, sind sie in einem von Individualisierung und Selbstverwirklichung geprägten Diskurs eingebunden, der keinen Raum mehr für die Reflexion kollektiver Lebenslagen lässt, seien diese durch Geschlecht, durch soziale Schicht, durch regionale oder ethnische Herkunft bedingt. Im Gegenteil: durch Herkunft geprägt zu sein gilt als Manko. Die Entscheidungs- und Gestaltungschancen der Individuen werden in den öffentlichen Debatten regelmäßig maßlos überschätzt. Deshalb werden Beziehungsprobleme gerne in die Psychologie der Individuen verlegt.

Dass latente Geschlechtsnormen und institutionelle Strukturvorgaben das praktische Handeln bestimmen und reale Ungleichheiten in Familie wie im Beruf reproduzieren, kann also nur schwer zum Thema werden. Zu beobachten ist, „wie im Reden die Asymmetrien im Lebenszusammenhang von Frauen und Männern gerade nicht zum Thema werden und wie zugleich die ursprüngliche Absicht, sich von den alten Rollenmustern zu befreien, praktisch in ihr Gegenteil verkehrt wird“ (Wetterer 2004: 64). Die Individualisierung fungiert vor allem als Zuschreibung von Verantwortung für die eigene Lebenslage: Wenn ich so lebe, muss ich es doch wohl gewollt haben.

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Die sozialen Kategorien Frau und Mann sind dabei keineswegs verschwunden, sondern definieren die Subjekte, die dieses Handeln, mit dem das soziale Kategorienschema fortgeschrieben oder eben auch situativ suspendiert wird, leisten müssen. Das Verlangen nach Gerechtigkeit – eine Frau soll alles können und dürfen und ebenso geachtet werden wie ein Mann – bezieht sich nicht mehr auf eine soziale Position „Frau“, sondern auf die Zugehörigkeit zur biologischen Kategorie, die als letzter verbliebener Identitätsmoment nach der verallgemeinerten Einsicht, Gleichberechtigung real verwirklichen zu müssen, erklärungsmächtig zu sein scheint. So wächst mit dem Geltungsverlust kollektiver sozialer Lagen die Neigung, selbst abstruse biologische Erklärungen für plausibel zu halten.

Die paradoxe Lage lässt sich wie folgt zusammenfassen: Alle sozialen Zuschreibungen an weibliche Positionen und Rollen haben ihre Verbindlichkeit verloren, das Prinzip universeller Inklusion erlaubt es, dass auch ein Junge oder ein Mann diese übernehmen bzw. erleben kann. Zugleich ist aber die Basiskategorie Geschlecht erhalten geblieben, womöglich fester als je zuvor, weil das handelnde Individuum, das sich dazu entschließen soll, Führungskraft zu werden oder Elternzeit zu nehmen, ohne Geschlecht nicht denkbar und nicht erfahrbar ist – denn ein Individuum lebt nur in einem Körper.

Gewalt als Skandal

In dieser Welt scheinbar verwirklichter Gleichberechtigung bricht das Problem der Gewalt wie eine Botschaft aus einem anderen Zeitalter ein. Denn so sehr man sich vielerorts anstrengt, auch auf diesem Gebiet eine Art Gleichberechtigung an die Wand zu malen, die Datenlage ist unübersehbar und eindeutig. Weltweit, so der Bericht über Gewalt und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (Krug u.a. 2002), steht das Vorkommen von Gewalt mit dem Geschlecht des Opfers wie des Täters in engem Zusammenhang. Junge Männer werden Opfer der Gewalt durch andere junge Männer, was in vielen Ländern und in bestimmten Milieus ein hohes Maß an Verletzungen und Tötungen umfasst. Frauen erleiden ganz überwiegend Gewalt im sozialen Nahraum, vor allem durch Partner und ehemalige Partner, und der weitaus größte Teil häuslicher Gewalt wird von Männern gegen Frauen ausgeübt. Neuere repräsentative Befragungen im In- und Ausland bestätigen dies, ganz besonders dann, wenn der Schweregrad der Gewalt in der Analyse berücksichtigt wird.

Auf der Basis der vorliegenden Daten aus der Bundesrepublik, aus England, Irland und Norwegen sind deutliche Unterschiede in der Art, dem Kontext und den Auswirkungen von Gewalt bei Frauen und bei Männern zu erkennen. Frauen sind wesentlich stärker durch körperliche sowie durch sexuelle Gewalt in der Familie und durch Partner bedroht; Männer sind deutlich mehr körperlicher Gewalt in öffentlichen Räumen ausgesetzt. Das Erleiden von Gewalt ist bei Frauen und Männern nicht spiegelbildlich gleich, sondern mit dem Geschlecht verbunden unterschiedlich. In Anbetracht der Bedeutung des Körpers, der intimen und familiären Beziehungen und der Sexualität bei interpersoneller Gewalt sind diese Ergebnisse nicht überraschend. Sie passen nur schlecht zum allgemeinen Denken über Gleichheit.

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Daraus folgt, dass alle Prävention geschlechtsbezogen konzipiert und umgesetzt werden muss. Insbesondere kann Prävention nicht gelingen, wenn sie für Dominanz blind ist und Differenzen für naturgegeben hält. Ich denke an einen Jugendforscher, mit dem ich auf einem Podium saß, der mit Nachdruck forderte, den Jungen doch zuzugestehen, dass sie – anders als Mädchen – körperliche Auseinandersetzungen als Teil ihrer jugendlichen Identitätsentwicklung benötigen. Diese kleinen Prügeleien könne man nicht als Gewalt diskriminieren. Richtig ist, dass nicht jede Auseinandersetzung gleich Gewalt ist – aber worauf beruht die Idee, männliche Jugendliche hätten ein „natürliches“ und berechtigtes Bedürfnis, sich in körperlichen Kampftechniken zu üben, sich daran zu messen, und sich damit im Streitfall durchsetzen zu können, während dies für Mädchen ebenso „natürlich“ unterbleiben kann und soll? Welche Aggressionskompetenzen und welche Repertoires der Selbstbehauptung brauchen Mädchen und Jungen, und was steht ihnen jeweils im Wege, dass sie nur solche beengten Repertoires erlernen?

Wir brauchen durchaus eine differenzierte Wahrnehmung und Bewertung dessen, was Gewalt ist. Für Prävention sowie für Intervention ist es wenig hilfreich, jeden spontanen Ausdruck feindseliger Gefühlslagen unter Generalverdacht zu stellen. Die Prävalenzforschung erweckt manchmal diesen Eindruck, wenn sie eine Vielfalt einzelner Handlungen – forschungspraktisch einleuchtend – allgemein als „Gewalt“ kennzeichnet. Es ist allerdings auch keine Lösung, nur strafrechtlich als schwerwiegend eingestufte Taten als Gewalt zu betrachten. Zur Bewertung von Gewalt müssen die billigend in Kauf genommenen und die realen Verletzungen und Folgeschäden hinzugezogen werden. Diese können bei fortgesetzten oder gezielten verbalen Angriffen oder emotionaler Erniedrigung erheblich sein.

Prävention beginnt mit der Wahrnehmung. Aus der Forschung ist zu lernen, dass wir unterscheiden müssen zwischen Konfliktverhalten und Dominanzverhalten, obwohl sich beide vermischen können. Wenn ein Streit zwischen Kindern in Handgreiflichkeiten mündet, haben wir es zunächst mit einem Mangel an Konflikt- und Aggressionskompetenzen zu tun. Teilweise wird dieser Mangel durch die Entwicklung überwunden, teilweise ist eine erzieherische Hilfe angebracht. Prügeleien unter Jungen auf dem Schulhof haben jedoch oft mit der Etablierung und Verteidigung von Hierarchien der Dominanz zu tun: Wer ist der Chef, wer hat das Sagen, vor wem muss man sich in Acht nehmen. Die Pädagogik muss viel mehr tun, um eine verfeinerte Wahrnehmung für diese Phänomene zu entwickeln.

Ähnliches gilt für sexuelles Jagd- und Eroberungsverhalten unter Kindern und Jugendlichen. Teilweise handelt es sich um die ersten Versuche, sich und das andere Geschlecht in der Rolle sexueller Akteure zu entwerfen und zu erproben. Wenn im Grundschulalter mehrere Jungen hinter einem Mädchen herlaufen, üben sie vage sexuelle Fantasien der Annäherung, während sie zugleich die beruhigende Gewissheit haben, das Angekündigte nicht auch noch wirklich tun zu müssen. Für das Mädchen ist das aber nicht selten eine erzwungene Gewöhnung an die Position, Beute bei der Jagd zu sein, was mit einer gelebten weiblichen Sexualität herzlich wenig zu tun hat. Wenn sie dabei gute Miene zum bösen Spiel machen, sind die Erwachsenen oft zufrieden, dass hier wechselseitiges Vergnügen stattfindet.

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Ansätze, Vorübungen und wirkliche Gewalthandlungen wahrzunehmen, erfordert Aufmerksamkeit für beide Seiten, Opfer und Täter (wobei der momentane Täter auch zuvor/früher Opfer gewesen sein kann). Ist der unterlegene Teil verletzt, eingeschüchtert, hat Angst vor der Fortsetzung und Wiederholung der Übergriffe, so haben wir mit Gewalt zu tun. Hat der Täter das Gefühl, sein gutes Recht durchzusetzen, Ansprüche geltend zu machen, zeigt sich z.B. auftrumpfend oder zufrieden, verwendet die eingesetzten Methoden mehrfach, spricht dies für Dominanzverhalten, das sich nicht in der Entwicklung von allein „auswachsen“ wird, sondern sich mit jedem Erfolgserlebnis verfestigt. Wir können zwischen „Opferprävention“ und „Täterprävention“ unterscheiden.

Opferprävention

In der Fülle von Forschung über Risikofaktoren gibt es zwar viele widersprüchliche Befunde und zum Teil unsinnige Verallgemeinerungen. Ein Ergebnis zieht sich jedoch durch alle Studien hindurch: Der wichtigste Risikofaktor dafür, Opfer von Gewalt zu werden – und das gilt wohl für alle Formen von Gewaltkriminalität – besteht darin, schon einmal Opfer gewesen zu sein. Vereinfacht gesagt: Wenn Sie überfallen werden, steigt die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Sie wieder Opfer eines Überfalls werden – es sei denn, Sie unternehmen aktiv etwas zur Veränderung Ihrer Situation.

Ein Mädchen, das körperlichen oder sexuellen Übergriffen ausgesetzt ist und keine eigenen Schutz- und Veränderungsschritte ergreifen kann, hat zwei- bis dreimal so hohe Aussichten, später überfallen zu werden oder in der Partnerschaft Gewalt zu erleiden. Dies gilt auch für seelische Misshandlung, und dazu zählen wir auch, die Misshandlung der eigenen Mutter miterleben zu müssen. Sensible Wahrnehmung und pädagogische Intervention bei der Gewalt im Schulalter sind daher entscheidend für die Prävention späterer Gewalt. Es gilt aber auch die Kehrseite der Medaille: Wenn sich gesellschaftliche Institutionen einmischen, der betroffenen Frau zu helfen, der häuslichen Gewalt ein Ende zu bereiten, erfahren Kinder, dass die Gewalt nicht grenzenlos ist; und das ist eine zentral wichtige Maßnahme der Prävention gegenüber der folgenden Generation. Prävention ist daher immer Intervention.

Die Forschung über häusliche Gewalt hat eine sehr bedenkliche Erbschaft aus der US- amerikanischen Familienforschung übernommen, welche Gewalt als „Konflikttaktik“ eingestuft hat, gewissermaßen Clausewitz im Heim: Gewalt gilt als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Typisch für häusliche Gewalt ist jedoch, dass zahlreiche Situationen nicht die Gestalt eines „Konflikts“ aufweisen. Wird die schlafende Frau wachgerüttelt und vom heimkehrenden Mann an den Haaren gezerrt und verprügelt, oder aber zum Geschlechtsverkehr gezwungen (und beim abwehrenden „ich will noch schlafen“ mit dem Messer attackiert), so ist die Interpretation als Konflikt offenkundig unsinnig, demonstriert wird vielmehr ihre absolute Verfügbarkeit für seine Willkür.

Verwirrung entsteht, weil Gewaltbeziehungen tatsächlich Züge eines Machtkampfes annehmen, und dies ist ein Grund, warum es Frauen so schwer fällt, „einfach wegzugehen“. Frauen kämpfen in diesen Beziehungen um ihre Selbstachtung und um ein

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Minimum an Anerkennung Und wenn sie ihre Geschichte erzählen, sind oft besondere Augenblicke der Genugtuung zu hören, wenn der Frau etwas einfällt, womit sie dem Mann eine Grenze seiner Übergriffe setzen kann – z. B. indem sie unverhofft zurückschlägt; indem sie ankündigt, ihn umbringen zu wollen, sobald er einmal schläft; indem sie ihn sexuell beleidigt statt einfach hinzunehmen, angeblich frigide zu sein. „Einfach weggehen“ ist ja eine Niederlage, das Eingeständnis der völligen Ohnmacht und des Scheitern von jedem Versuch der normalen, gesunden Selbstbehauptung. Diese Machtkämpfe, in denen ein Partner (oft die Frau) oder manchmal beide, darum ringen, eine Balance der Anerkennung und Entscheidungsmacht herbeizuführen, kann man durchaus als Konflikte bezeichnen, und es wäre zu wünschen, dass die Menschen ein breiteres Repertoire der Handhabung eigener Aggressionen zur Verfügung hätten. In Gewaltbeziehungen wird aber der Kampf um Anerkennung von der regelmäßigen und zermürbenden Durchsetzung von Dominanz überschattet. Besonders gefährdet sind Frauen, die schon in der Kindheit Brüche in ihrem Streben nach Anerkennung erfahren haben.

Maria Bitzan und Heide Funk bezeichnen die Geschlechterhierarchie als „einen Herrschaftszusammenhang, dessen Erscheinungen und Wirkungsweisen ihren Ursprung verdecken.“ Die verdeckte Geschlechterhierarchie, die früher als explizites Weiblichkeitsgebot erschien, äußere sich für Mädchen heute in „Sprechverbot“ über Verletzungen und damit auch eigene Aggressionen, in der Ausblendung reproduktiver Arbeit und in der Verwehrung von Bezugnahme auf weibliche Erfahrungen. „Mädchen erleben immer wieder, dass das, was öffentlich sichtbar und geschätzt ist, etwas anderes ist als das, was von ihnen unmittelbar erlebt wird“ (Bitzan/Daigner 2001).

Empirisch lässt sich zwar zeigen, wie dies die ältere Sozialisationsliteratur erwarten lässt, dass Mädchen und Frauen sich bevorzugt um Beziehungen und Bedürfnisse anderer Menschen kümmern und dies sowohl bereitwilliger als auch im Durchschnitt kompetenter als ihre Brüder und Freunde tun. Verdeckt wird dabei heute, was durch Auswertung des Jugendsurveys festgestellt wird, dass dies nach wie vor die Mädchen nicht innerlich stärkt, im Gegenteil: Das Selbstwertgefühl der Mädchen sinkt mit der Pubertät und das der Jungen steigt (Hähne/Zubrägel 2004); dies unterstützt für die Bundesrepublik die These der „verlorenen Stimme“ von Lyn Brown und Carol Gilligan (1992). Auch andere Längsschnittstudien bestätigen eine geschlechtsspezifische Selbstwertentwicklung, bei der Frauen sehr stabil auf einem niedrigen Niveau, verglichen mit Männern, verbleiben (Sandmeier 2005). Geringes Selbstwertgefühl ist für die einzelne nicht als Struktur erkennbar, sondern erscheint allenfalls als persönliches Unglück. Die Erforschung solcher Verdeckungen kann „tabuisierte stillschweigende Übereinkünfte der Normalität“ als hergestellte sichtbar und damit zum möglichen Verhandlungsgegenstand machen.

Täterprävention

Über Täterprävention wissen wir noch viel zu wenig. Zu Recht hat die Entwicklung gesellschaftlicher Intervention ihren Anfang damit genommen, sich um den Schutz und die Unterstützung der Opfer zu kümmern. Aus diesem Praxisfeld haben wir aber gelernt, dass die extremen und brutalen Gewalthandlungen an einem Ende eines Kontinuums

16 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention stehen, in dem das alltägliche Verhalten zahlreiche Übergriffe von Männern an Frauen zulassen und auch nahelegen. Die verschiedenen Formen von Gewalt – körperlich, sexuell, psychisch-emotional, sozial und finanziell – sind eine Alltagsressource für Dominanzverhalten. In unserer eigenen Mehrheitskultur, die seit Jahrhunderten den Mann sowohl dazu verpflichtet als auch damit geködert hat, über Frauen zu bestimmen und zu verfügen, haben unzählige Jungen und Männer gelernt, jede Art von Konflikt oder Beunruhigung im sozialen Nahraum mit Dominanzverhalten zu bewältigen. Ein Teil von ihnen wird dabei in seiner psychosozialen Verfasstheit geschädigt, und sie werden zu einer Gefahr für andere.

Die Forschungen über aggressive Kinder und Jugendliche und über wiederholt gewalttätige Männer weisen dahin, dass emotional-kognitive Fehldeutungen fremden Verhaltens als „Provokation“ sowie die Blockierung und Verkümmerung von Empathie die wichtigsten Indizien für chronisch werdende Gewalttätigkeit sind. Diese Störungen des Gefühlslebens und der Kognition führen dazu, im Laufe des Lebens immer stärker nach Dominanz zu streben, um die eigenen Ansprüche durchzusetzen, ohne auf die spiegelbildlich vorhandenen Ansprüche eines Gegenübers eingehen zu müssen. Männer werden dazu ermutigt und sozialisiert, dieses Anspruchs- und Durchsetzungsverhalten zu üben, um als Mann gelten zu können.

Der weitaus größte Teil der Jungen und Männer, die Gewalt in Beziehungen und in der Familie ausüben, tun das nur gelegentlich und nur dann, wenn ihre Vorstellung der ihnen zustehenden Ansprüche bedroht oder verunsichert werden. Das steht in Wechselwirkung mit Beziehungsmustern, in denen Frauen sich unterordnen, weil sie Angst vor schlimmen Folgen haben. Prävention kann nicht nur darauf aus sein, die besonders gefährlichen Täter (oder solche, die es werden könnten) zu identifizieren und das Umfeld der weniger schweren Übergriffe zu ignorieren. Hier scheint die neue Strategie der „Gefährderansprache“ einen wichtigen Ansatz zu bieten, weil sie nicht psychologisiert, sondern eine gesellschaftliche Aufklärung über die heutigen Normen und Regeln der Gesellschaft leistet und zudem Gewaltverhalten „zur Sprache bringt“.

Schließlich tun viele Männer, die wir heute als Täter benennen, nichts anderes als das, was ihre Väter als völlig normal praktiziert haben. Der normative Wandel muss in der Tat diejenigen ansprechen, von denen wir nun erwarten, dass sie ihr Verhalten ändern. Dabei müssen diejenigen, die die Ansprache aufnehmen sollen, ob Polizisten oder Pädagogen in Schulen, zuerst begleitend ihre eigenen „Normalvorstellungen“ reflektieren, um den Jungen und Männern glaubwürdig sagen zu können: Nicht „Sie sind zu weit gegangen“, sondern „Sie sind auf dem falschen Weg“.

Prävention und Migrationshintergrund

Die Bundesrepublik ist eine Einwanderungsgesellschaft und es leben hier große Minderheiten unterschiedlichen Typs: Z.B. solche, die nach eigener Einschätzung von einer ethnischen oder kulturellen Identität geprägt sind, solche, die sich religiös als Minderheit identifizieren, solche, deren hiesiges Leben sich durch Rechtsunsicherheit bis

17 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention hin zur Rechtlosigkeit auszeichnet und solche, die sich ethnisch zur Mehrheit aber durch Herkunft, Sprache und Kultur zur Minderheit zählen. Es ist ohne weiteres möglich, mehreren Minderheiten anzugehören und für Familien nicht selten, in der Schnittstelle solcher Mehrfachzuordnungen zu leben, wobei die Zuwanderungsverläufe der einzelnen Familienmitglieder oft unterschiedlich sind. Allein oder vorrangig nach Herkunft zu differenzieren geht an den komplexen Realitäten vorbei.

In den letzten Jahren wird besonders viel über Gewalt in Familien mit Migrationshintergrund gesprochen. Dies geschieht teilweise in bedenklicher Vermischung mit der zeitweilig populären Illusion, dass gesellschaftliche Probleme verschwinden würden, wenn die Fremden weggeschickt oder sie ihre Fremdheit ablegen würden. Getragen wird die Diskussion von einer Vorstellung von „Kultur“ als ein statisches Gebilde, dem die Menschen sozusagen „ganz“ angehören. Daraus folgt die Wahrnehmung von Familien in Migration als „zwischen zwei Kulturen“ stehend, mit daraus folgenden Identitätsproblemen. Diese Bilder von Migrationsfamilien halten allerdings der empirischen Prüfung nicht stand (Westphal 2005).

Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Mehrheitskultur von sich meint, keine zu sein – mit „Kultur“ sind immer die Anderen, Fremden gemeint. Das ist eine Folge der Individualisierung, die für unsere Kultur so typisch ist. Weil wir alles Handeln und den tiefen inneren Beweggrund den Individuen zuschreiben, sind wir für die kollektiven, kulturellen Gründe für Gewalt gegen Frauen blind. Im Umgang mit Menschen, die durch Migration nach Deutschland gekommen sind, gilt also das Gleiche wie bei den hier Geborenen: Klarheit bei der konsequenten Ächtung von Gewalt kann und muss mit Respekt für die Werte und die durch Sozialisation erworbenen Selbstbilder und Lebensansprüche verbunden werden. Prävention muss daher nicht zuletzt Geschlechterpolitik sein.

Literatur

Bitzan, Maria/ Daigler, Claudia (2001): Eigensinn und Einmischung. Einführung in Grundlagen und Perspektiven parteilicher Mädchenarbeit. Weinheim

Brown, Lyn/ Gilligan, Carol (1992): Die verlorene Stimme. Wendepunkte in der Entwicklung von Mädchen und Frauen. Frankfurt/Main, New York

Diezinger, Angelika/ Rerrich, Maria S. (1998): Die Modernisierung der Fürsorglichkeit in der alltäglichen Lebensführung junger Frauen: Neuerfindung des Altbekannten?, in: Oechsle, Mechthild/ Geissler Birgit (Hrsg.): Die ungleiche Gleichheit, Junge Frauen und der Wandel im Geschlechterverhältnis, Opladen: S. 165 - 183.

Hähne, Cornelia / Zubrägel, Sabine (2004): Die Wahrnehmung des Körperbildes bei Mädchen und Jungen und ihre Auswirkungen auf den Gesundheitsstatus und das Gesundheitsverhalten. Ergebnisse des Jugendgesundheitssurveys im Rahmen der internationalen WHO-Vergleichsstudie, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 24, 3, S. 246-261

18 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Heintz, Bettina und Nadai, Eva (1998): Geschlecht und Kontext. De-Institutionalisierungsprozesse und geschlechtliche Differenzierung, in: Zeitschrift für Soziologie, 27, 2, S. 75-93.

König, Tomke/ Maihofer, Andrea (2004): Es hat sich so ergeben – praktische Normen familialer Arbeitsteilung, in: Familiendynamik 29, 3, S. 209-232

Krüger Helga (1999): Geschlecht – eine schwierige Kategorie. Methodisch-methodologische Fragen der „Gender“-Sensibilität in der Forschung, in: Neusel, Ayla/ Wetterer, Angelika (Hrsg.): Vielfältige Verschiedenheiten. Geschlechterverhältnisse in Studium, Hochschule und Beruf. Frankfurt/Main, S. 35- 60

Krüger Helga (2001): Gesellschaftsanalyse: der Institutionenansatz in der Geschlechterforschung, in: Knapp, Gudrun-Axeli/ Wetterer, Angelika (Hrsg.): Soziale Verortung der Geschlechter. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik. Münster, S. 63-90

Krug, Etienne G./ Dahlberg, Linda L./ Lozano, Rafael/ Mery, James A./ Zwi, Anthony B. (2002): World report on violence and health. WHO, Geneva

Prengel, Annedore (1994): Perspektiven einer feministischen Pädagogik in der Erziehung von Mädchen und Jungen, in: Glücks, Elisabeth/ Ottemeier-Glücks, Franz Gerd (Hrsg.): Geschlechtsbezogene Pädagogik. Ein Bildungskonzept zur Qualifizierung koedukativer Praxis durch parteiliche Mädchenarbeit und antisexistische Jungenarbeit. Münster: Votum, S. 62-75

Sandmeier, Anita (2005): Selbstwertentwicklung vom Jugendalter bis ins frühe Erwachsenenalter – eine geschlechtsspezifische Analyse, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 25, 1, S. 52-66

Tronto, Joan (2000): Demokratie als fürsorgliche Praxis, in: Feministische Studien 18, S. 25-42

Westphal, Manuela (2005): Sozialisation und Akkulturation in Migrantenfamilien, in: Thole, Werner/ Cloos, Peter/ Ortmann, Friedrich/ Strutwolf, Volkhardt (Hrsg.): Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Soziale Gerechtigkeit in der Gestaltung des Sozialen Wiedbaden 2005; CD Teil 4.3

Wetterer, Angelika (2004): Widersprüche zwischen Diskurs und Praxis. Gegenstandsbezug und Erkenntnispotential einer sozialkonstruktivistischen Perspektive, in: Helduser, Urte/ Marx, Daniela/ Paulitz, Tanja/ Pühl, Katharina (Hrsg.): under construction? Konstruktivistische Perspektiven in feministischer Theorie und Forschungspraxis. Frankfurt/Main, S. 58-67

19 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

20 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Heute Opfer – morgen Täter?! Prävention von Gewalt im sozialen Nahbereich aus Sicht der Kriminologie

Helmut Kury

Kinder, die in schwer gestörten Familien aufwachsen und kaum Nähe oder Unterstützung erfahren, die vernachlässigt, misshandelt oder Opfer von sexuellen Übergriffen werden, leiden in aller Regel ihr ganzes Leben unter den Folgen. Vielfach werden sie psychisch oder körperlich krank oder scheitern im Leben, werden etwa straffällig. „In zahlreichen internationalen Studien konnte gezeigt werden, dass – abgesehen von tödlichen Folgen – die elterliche physische Gewalt gegen Kinder – neben gesundheitsschädigenden Effekten (Malinoski-Rummel u. Hansen 1993; McCord 1983) Entwicklungsverzögerungen und kognitiven Beeinträchtigungen, die sich auch in verminderten Schulleistungen und ungünstigeren Zukunftschancen niederschlagen – ein erhöhtes Risiko von Delinquenz im Jugendalter nach sich zieht“ (Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz 2006). Untersuchungen an Straffälligen etwa haben immer wieder gezeigt, dass inhaftierte Rechtsbrecher zu einem erheblichen Teil aus (schwer) gestörten Familien kommen und dass Kinder, die missbraucht und vernachlässigt wurden, im Vergleich zu in dieser Hinsicht nicht belasteten jungen Menschen, im Erwachsenenalter eine um 29 % höhere Wahrscheinlichkeit hatten, straffällig zu werden (Kury 1979; Bolton u.a. 1977; Heck u. Walsh 2000; Widom 1989; Widom u. Maxfield 2001; Zingraff u.a. 1993).

Seit den 1960er Jahren wurden – ausgehend von den USA – empirische Untersuchungen zur innerfamiliären Sozialisation und zu Gewalt in der Familie aufgenommen. Die Umfrageforschung hatte damals enorme Fortschritte erzielt und vor dem Hintergrund einer aufkommenden Diskussion zu Problemen in der Familie konnten nun auch solche brisanten Themen durch empirische Befragungen angegangen werden. Die so genannte 68er Studentenbewegung hatte manche Barrieren überwunden und damit zusätzlich ermöglicht, Tabus mehr und mehr zu hinterfragen. Zudem spielte in diesem Kontext eine stärker werdende Frauenbewegung eine zentrale Rolle. Mehr und mehr wurde geprüft, was „behind closed doors“ wirklich passiert (Straus u.a. 1980), mit dem vielfach ernüchternden Ergebnis, dass das Idealbild der Familie als Hort der Geborgenheit und des Schutzes, gerade für Kinder, zunehmend brüchig wurde.

In den letzten Jahrzehnten haben sich die gesellschaftlichen Bedingungen in den westlichen Industrieländern erheblich verändert, was nicht ohne Rückwirkung auf die Familien bleiben konnte. Kinder sind sich heute aufgrund der Auflösung der

21 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Mehrgenerationenfamilie und der intensiveren Einbindung der Eltern in das Arbeitsleben, aber auch deren Interessenverschiebungen aufgrund eines größeren Angebots an Möglichkeiten der Lebensgestaltung, mehr sich selbst überlassen (vgl. Schwind 2007). Funktionierende Nachbarschaften, in welche die Kinder eingebunden sind und die früher bei den Erziehungsaufgaben „mithalfen“, etwa in dem Sinne des afrikanischen Sprichwortes, dass es „zur Erziehung eines Kindes eines ganzen Dorfes benötige“, fielen in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der industriellen Entwicklung mehr und mehr weg (Rose u. Clear 1998; Clear u.a. 2001). Damit blieb zwangsläufig ein immer größerer Teil der Erziehungsaufgaben bei den Eltern, die mit diesen Anforderungen teilweise überfordert sind. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Hineinwachsen in eine Gesellschaft, die immer komplexer wurde und wird, gleichzeitig schwieriger geworden ist.

Honig (1990, S. 349) hat darauf hingewiesen, dass eine „Verschiebung der Machtbalance in den Generations- und Geschlechterbeziehungen“ „die Sensibilisierung für familiale Gewalt nicht allein als Zeichen für veränderte Wertmaßstäbe zu interpretieren (wäre), sondern auch als eine Reaktion auf eine erhöhte Offenheit und Instabilität familial organisierter Beziehungen zwischen Männern und Frauen, Eltern und Kindern“. Vor diesem Hintergrund läge es auf der Hand, „dass die Konfliktintensität in Beziehungen von Partnern mit vergleichbaren Einflusschancen höher ist als in hierarchisch strukturierten Beziehungen. ‚Gewalt‟ wäre dann zu verstehen als ein Scheitern an dieser Offenheit in Gestalt eines Rückgriffs auf delegitimierte Konfliktlösungsmuster, insbesondere auf die Anwendung körperlicher und sexueller Gewaltmittel“. Die enorm gestiegenen Scheidungsraten der letzten Jahrzehnte können auf dieses neue Konfliktpotenzial in Beziehungen hinweisen.

Für eine Gesellschaft muss es unter verschiedenen Aspekten ausgesprochen wichtig sein, zu einer gesunden und förderlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in ihren Familien beizutragen, etwa durch eine entsprechende Familienpolitik. Zu sehr wird hier jedoch nach wie vor mehr diskutiert als gehandelt, letztlich dann doch „am falschen Ende“ gespart. Hierbei wird kurzsichtig übersehen, dass Einsparungen bei einer Verbesserung der Familienpolitik später an anderen Stellen umso mehr Kosten verursachen, etwa im Sozialbereich, im Gesundheitswesen oder im Hinblick auf die Strafverfolgung. Letztlich gilt aber, wie Dalley (2002, S. 262) zweifellos zu Recht prägnant betont: „In short, the remaining question is a simple one: Do we pay now, or later?“

Dieser Text geht deshalb der Frage nach, inwieweit aufgrund empirischer Forschung davon auszugehen ist, dass sich Gewalt in der Familie von Generation zu Generation tradiert, wieweit somit etwa misshandelte Kinder im Erwachsenenalter wiederum dazu neigen, ihre eigenen Kinder zu misshandeln, und was präventiv dagegen getan werden kann. Zunächst soll jedoch noch stichwortartig auf die Frage eingegangen werden, wie sich die Gewalt in der Familie in den letzten Jahren entwickelt hat.

22 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Entwicklung von Gewalt in der Familie

Vergleicht man die Ergebnisse der ersten deutschen repräsentativen Untersuchung über Gewalt gegen Frauen (Müller und Schröttle 2004) mit denen älterer Umfragen (vgl. Wetzels u.a. 1995) zeigt sich – bei allen Problemen eines solchen Vergleichs, die vor allem mit einer teilweise unterschiedlichen Methodik zusammenhängen –, dass die Gewalt in der Familie tendenziell zurückzugehen scheint (vgl. Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz 2006). Das mag u. a. ein Erfolg von Aufklärungskampagnen vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse in diesem Bereich sein, die zu einer größeren Sensibilität in der Bevölkerung gegenüber Gewalt gegen Kinder geführt haben, ist aber sicherlich auch eine Auswirkung neuerer gesetzlicher Bestimmungen, die zu einer Veränderung internalisierter Normen beitragen können. Wie im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung (Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz 2006) ausgeführt wird, stimmt dieser Rückgang überein mit einem entsprechenden Rückgang der Zahl der polizeilich registrierten kindlichen Opfer vollendeter Sexualmorde zwischen 1971 und 2005 sowie der Zahl der polizeilich registrierten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs seit 1955, die auf etwa die Hälfte sank. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass selbstverständlich nicht alle diese Fälle auf Gewalt in der Familie zurückzuführen sind, die Täter auch von außerhalb der Familie kommen.

Kindesmisshandlung durch Eltern bzw. andere Familienangehörige kann sehr unterschiedliche Formen annehmen, das erschwert ihre zuverlässige Erfassung erheblich. Es gibt psychische Kindesmisshandlung, psychische und physische Vernachlässigung, körperliche Bestrafung, körperliche Misshandlung sowie sexuellen Missbrauch und den Extremfall der Tötung von Kindern. Die einzelnen Misshandlungsformen sind oft wenig präzise definiert, was zu Erfassungs-ungenauigkeiten, etwa auch bei empirischen Untersuchungen, beiträgt.

Die Entwicklung der polizeilich registrierten Fälle von Misshandlung von Schutzbefohlenen in den letzten gut zehn Jahren zeigt, dass die Zahl der einschlägigen Straftaten eher zugenommen hat. „Seit 1993 hat sich die Opfergefährdungszahl der kindlichen Opfer einer Misshandlung von Schutzbefohlenen etwa verdoppelt“ (Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz 2006, S. 113). Dieser Anstieg könnte im Zusammenhang mit der intensiv geführten Diskussion allerdings auch auf eine gestiegene Sensibilität gegenüber solchen Fällen und eine größere Anzeigebereitschaft zurückgehen. Hinzu kommt, dass auch die Sanktionsorgane aufgrund der Gesetzesänderung dem Tatbestand gegenüber sensibler geworden sind und damit die Kontrollintensität zugenommen haben dürfte. Dunkelfelduntersuchungen weisen genau darauf hin (vgl. Baier u.a. 2006; Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz 2006, Bussmann 2002; Bussmann u.a. 2003; Bussmann 2005). Bussmann etwa konnte aufgrund seiner drei Erhebungen in den Jahren 1992, 2002 und 2005 zeigen, dass zwischen 1992 und 2002 die schwere körperliche Gewalt (schallende Ohrfeige, mit Stock kräftig auf den Po schlagen, Tracht Prügel mit Bluterguss) gegenüber Kindern deutlich zurückgegangen ist, dagegen haben andere, weniger gravierende Erziehungspraktiken nicht in diesem Maß abgenommen.

23 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Heute Opfer – morgen Täter: Was sagt die Forschung?

In Deutschland fehlen bisher repräsentative Studien zum Ausmaß von Kindesmisshandlung. Die von Müller und Schröttle (2004) durchgeführte Studie über Gewalt gegen Frauen enthält zwar einige Hinweise, sie kann allerdings die Lücke zu dieser Fragestellung nicht schließen, denn ihr Forschungsziel war ein anderes. Gerade auch im Hinblick auf eine rationale Prävention wären hier jedoch umfassende Studien dringend nötig. Gegenwärtig stützt man sich auf Schätzungen und wenig repräsentative Untersuchungen, die zwar wertvoll sind, die Lücke aber nicht schließen können (vgl. den Überblick bei Deegener 2005). Spezielle Untersuchungen zu der These, dass Gewalt in der Familie von Generation zu Generation „vererbt“ werden kann, sind in Deutschland nicht bekannt. Zwar liegen Studien vor, die etwa die defizitäre familiäre Erziehungssituation einschließlich erfahrener Gewalt von (jungen) Straftätern aufzeigen (vgl. oben), allerdings sind diese hinsichtlich der Klärung der Frage nach einer Gewaltübertragung von Generation zu Generation zu unspezifisch. So konnte etwa auch die Hallenser Gewaltstudie (Bannenberg u. Rössner o.J.) zeigen, dass häusliche Gewalt in der Herkunftsfamilie insbesondere bei männlichen Jugendlichen zu Gewalt und Straffälligkeit beitragen kann.

Vor allem in den USA wurde jedoch bereits zu Beginn der empirischen Forschung in diesem Bereich die Frage gestellt, inwieweit sich gewaltsame Erziehungserfahrungen von Generation zu Generation tradieren, wieweit also mit Gewalt erzogene Kinder später ihrerseits ihre Kinder ebenso gewaltsam erziehen. Curtis (1963) drückte in diesem Zusammenhang bereits zu Beginn der einschlägigen Forschung die Überzeugung aus, dass missbrauchte Kinder im Erwachsenenalter gewalttätige Kriminelle werden können. Er brachte die dann später empirisch gefundenen Zusammenhänge auf die griffige Formel: „Violence breeds violence“. Unter dem Stichwort der „intergenerational transmission of violence“ oder einem „cycle of violence“ begann in den folgenden Jahren in den Vereinigten Staaten eine Fülle von empirischer Forschung zu der Frage, inwieweit sich gewaltsame Erziehungserfahrungen von Generation zu Generation fortpflanzen. Inzwischen liegt eine nahezu unüberschaubare Fülle von Untersuchungen vor – auf einige wird im Folgenden eingegangen.

MacEwen (1994, S. 351) ging in seiner Untersuchung davon aus, dass Gewalt wie jedes Verhalten gelernt und entsprechend an die nächste Generation vermittelt werde. Er untersuchte seine Hypothesen an 73 befreundeten Männern und Frauen. Seine Ergebnisse zeigen, dass neben dem bloßen Vorkommen von Aggression Merkmale der Lernsituation in der Herkunftsfamilie die Übernahme dieses Verhaltens in das eigene Repertoire wesentlich beeinflussen. So hatte etwa das Geschlecht des Gewalt ausübenden Elternteils keinen Einfluss, eine erhebliche Schwere der Konsequenzen des erlebten aggressiven Verhaltens begünstigte dagegen eine Übernahme des missbräuchlichen Verhaltens.

Zuravin u. a. (1996) versuchten Charakteristika von Eltern herauszuarbeiten, die in ihrer Erziehung erfahrene Gewalt in die nächste Generation weiter tradieren und solchen, bei denen das nicht der Fall ist. Hierbei prüften sie vor allem, inwieweit das Ausmaß der Gewalt und die familiäre Bindung („attachment“) von Einfluss sind. Untersucht wurden 213

24 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Mütter, die als Kinder in ihren Herkunftsfamilien Prügel, Vernachlässigung oder sexuellen Missbrauch erlebt hatten. Wieweit die Misshandlungserfahrungen das eigene Erziehungsverhalten der Mütter beeinflusste, wurde aus den Berichten eines „Child Protective Service“ über einen Zeitraum von sieben Jahren erschlossen. Die Ergebnisse bestätigten die „Attachment“-Hypothese: Eine schlechtere Bindung in der Herkunftsfamilie begünstigte die Übernahme des missbräuchlichen Erziehungsverhaltens. Was das Ausmaß der Gewalt in der Herkunftsfamilie betrifft, zeigten sich Zusammenhänge zwischen erfahrenem und selbst praktiziertem Erziehungsverhalten lediglich in einem Punkt: Mütter, die schwere Formen des sexuellen Missbrauchs erfahren hatten (Vergewaltigung), hatten mit höherer Wahrscheinlichkeit ein ebenfalls missbrauchtes Kind als die Mütter in der Vergleichsgruppe. Diese Ergebnisse werden auch von anderen Studien bestätigt.

- Eltern die als Kinder in ihren Herkunftsfamilien schlecht betreut wurden, wenden offensichtlich mehr körperliche Strafen an (Ringwalt u. a. 1989), - Mütter, die als Kinder in ihren Familien mehr zurückgewiesen wurden, haben mehr negative Gefühle gegenüber den eigenen Kindern (Belsky u.a. 1989), - Mütter, die dagegen als Kind eine positive Beziehung zu ihrer Mutter hatten, haben auch engere Beziehungen zu den eigenen Kindern und sind mehr auf diese bezogen (Gara u.a. 1996).

McCloskey u. Bailey (2000) untersuchten den Einfluss verschiedener Risikofaktoren für einen sexuellen Kindesmissbrauch bei 179 durchschnittlich 9-jährigen Mädchen. In den Jahren von 1990 bis 1991 wurden 179 Familien untersucht, die die folgenden Kriterien gemeinsam hatten: Die Mütter mussten ein Kind zwischen 6 und 12 Jahren haben und in den letzten zwölf Monaten mit einem männlichen Partner zusammengelebt haben. Die Mütter und Töchter wurden getrennt über sexuelle Missbrauchserfahrungen der Kinder befragt. Aus den Ergebnissen ging hervor, dass 18 % der Töchter Opfer von sexuellem Missbrauch geworden waren. Die Berichte der Mütter und Töchter stimmten relativ gut überein. Missbrauchte und nicht missbrauchte Gruppen unterschieden sich nicht bedeutend in den Einzelvariablen Ethnie, Einkommen, Familienkontakt, biologischem bzw. nicht-biologischem Vater, elterliche eigene Missbrauchsgeschichte, Alkohol- oder Drogenmissbrauch oder Arbeitssituation.

Familien, in denen die Kinder mehr missbraucht wurden, unterschieden sich von der Vergleichsgruppe jedoch darin, dass die Eltern mehr Gewalt ausübten, mehr Wohnungswechsel hatten, dass die Mütter ebenfalls eine sexuelle Missbrauchsgeschichte hatten, Drogen missbrauchten und eine Psychopathologie aufwiesen. 54 Mütter berichteten einen eigenen sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit, 23 von ihnen hatten Töchter, die auch missbraucht wurden. 29 Mütter berichteten von gegenwärtigem Drogenmissbrauch und 38 % von ihnen hatten Töchter, die missbraucht wurden. Wenn eigene Missbrauchserfahrungen in der Kindheit mit aktuellem Drogenkonsum bei den Müttern zusammen kamen, berichteten 10 von 12 Töchtern (83 %) über sexuellen Missbrauch.

Die Ergebnisse zeigten, dass Mädchen, deren Mütter sexuell missbraucht wurden, im Vergleich zu der Restgruppe eine um das 3,6-fache höhere Wahrscheinlichkeit hatten,

25 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention ebenfalls sexuell missbraucht zu werden. Die höheren sexuellen Missbrauchserfahrungen der Töchter, deren Mütter ebenfalls missbraucht wurden, sprechen für die „intergenerational transmission of child sexual abuse“.

Tajima (2002) führte eine Sekundäranalyse der US-amerikanischen “National Family Violence Survey” von 1985 durch (vgl. Straus 1994) und versuchte die Zusammenhänge zwischen der Misshandlung von Frauen und Kindesmisshandlung zu klären. Sie fand heraus, dass Misshandlungen von Frauen einen signifikanten Risikofaktor für körperliche Kindesmisshandlung darstellen. Selbst eine geringfügige Misshandlung von Frauen führte dazu, dass sich die Wahrscheinlichkeit für eine Misshandlung der Kinder um etwa 150 % erhöhte (23 % an Misshandlungsfällen im Vergleich zu 8 % bei der Kontrollgruppe). Ross (1996) hat dieselben Daten analysiert und fand, dass 22,8 % der Männer, die ihre Frauen misshandelt haben, mindestens einmal auch ihr Kind körperlich misshandelten im Vergleich zu 8,5 % der Vergleichsgruppe, die keine Misshandlungen zeigte. Nach den Resultaten von Straus (1994) schlugen 71 % der misshandelten Frauen ihre Kinder im Vergleich zu 48 % bei der Kontrollgruppe.

Pears u. Capaldi (2001) prüften in ihrer Studie, inwieweit sich elterliche Gewalterfahrungen in der Kindheit auf das eigene Erziehungsverhalten tradieren und kontrollierten dabei Variablen wie elterliche Psychopathologie, Alter der Eltern bei der Geburt des Kindes und die Konsistenz des Erziehungsverhaltens. In einer Längsschnittstudie wurden 109 Eltern und ihre männlichen Kinder untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Eltern, die in ihrer Kindheit misshandelt wurden, signifikant häufiger auch ihre Kinder misshandelten. 23 % der Eltern, die selbst misshandelt wurden, misshandelten später ihre eigenen Kinder. Das ist vergleichbar mit den Resultaten von Kaufman u. Zigler (1987), die eine „Transmissionsrate“ von 30 % fanden.

Deutlich wird dabei auch: Nicht jeder Mensch mit Misshandlungserfahrungen wird seinerseits zum Misshandler. Neben der eigenen Missbrauchs- bzw. Misshandlungserfahrung wirkte sich auch die Konsistenz des erlebten disziplinierenden Erziehungsverhaltens, Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) auf das elterliche Erziehungsverhalten aus. Eltern, die verschiedene Arten von Missbrauch oder Misshandlung (mindestens einen körperlichen Übergriff) in ihrer Kindheit erfahren hatten, misshandelten ihre Kinder mit einer größeren Wahrscheinlichkeit als Eltern der Vergleichsgruppe. Eltern mit wenig disziplinierendem Verhalten erfahren offensichtlich mehr Stress und Frustration mit ihren Kindern. Die Eltern, die in ihrer Kindheit schwere körperliche Misshandlungen mit Verletzungen erlebt hatten, misshandelten ihre Kinder häufiger als die Vergleichsgruppe. Pears u. Capaldi (2001, S. 1456) kommen abschließend zu dem Ergebnis, dass Kinder in Familien häufiger misshandelt werden, in denen einer oder beide Elternteile eine eigene Missbrauchs- bzw. Misshandlungsgeschichte hat.

Einige Studien überprüften die Weitergabe innerfamiliärer Gewalt über drei und vier Generationen hinweg (vgl. Doumas u.a. 1994; Conger u.a. 2003; Hops u.a. 2003; Thornberry u.a. 2003). So untersuchten Doumas u.a. 181 Familien über drei Generationen hinweg und prüften, inwieweit sich aggressives Verhalten überträgt. Die Ergebnisse zeigen, dass Misshandlungen von Kindern in der ersten Generation zu mehr

26 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention gewalttätigem Verhalten in der zweiten und dritten Generation führt, vor allem bei Männern, weniger bei Frauen. Aggressives Verhalten und missbräuchliche Erziehungspraktiken werden hiernach somit auch über mehrere Generationen tradiert (vgl. a. Patterson u. Dishion 1988; Zaidi u.a. 1989; Huesmann u.a. 1984). Die Autoren betonen jedoch, dass die Auswirkungen von Gewalt in der Erziehung geschlechtsspezifisch sind. Aggressive Erziehungstechniken in der ersten Generation bewirken in der zweiten Generation Gewalt zwischen den Partnern und gegenüber Kindern. Aggressives Erziehungsverhalten in der ersten Generation trägt somit zu einer Viktimisierung von weiblichen Partnern in der zweiten und dritten Generation bei. Es konnte nicht gezeigt werden, dass mehr elterliche Gewalterfahrung auch bei Mädchen zu mehr Gewalt in der nächsten Generation führt. Die Autoren betonen vor diesem Hintergrund, dass hinsichtlich aggressiven Verhaltens die Übertragungsthese geschlechtsspezifisch geprüft werden müsse.

Auch Conger u.a. (2003) fanden in ihrer Studie eine Beziehung zwischen beobachtetem bzw. erfahrenem aggressivem Erziehungsverhalten in der ersten Generation (G1) und dem Erziehungsverhalten in der nächsten (G2), ferner aggressivem Verhalten bei den Kindern in der dritten Generation (G3). Sie interpretieren ihre Resultate im Sinne der sozialen Lerntheorie und verstehen sie als Bestätigung derselben.

Hops u.a. (2003) bestätigen diese Resultate, wobei ihre Studie insofern eine methodische Besonderheit enthält, als ihre Resultate nicht nur auf Befragungsdaten beruhen, sondern zusätzlich auf direkten Beobachtungen der Interaktionen zwischen den Gruppen. Es handelt sich um eine prospektive Längsschnittstudie an 39 jungen Erwachsenen (G2), die in einer ersten Phase der Untersuchung zusammen mit ihren Eltern (G1) beobachtet und befragt wurden, dann als Erwachsene als Eltern der dritten Generation, zusammen mit den eigenen Kindern (G3) wiederum untersucht wurden. Die Ergebnisse zeigen eine Kontinuität aggressiven Verhaltens von G1 nach G2 – die Kinder der dritten Generation (G3) hatten erst ein Durchschnittsalter von 2,6 Jahren. Die Ergebnisse bestätigen somit ebenfalls die Hypothese einer „transmission of violence“.

Nach Corvo u. Carpenter (2000) trägt Alkohol- und Drogenmissbrauch am meisten zur Erklärung einer Gewalt über Generationen hinweg bei. Der Beginn der Forschung zum Zusammenhang zwischen Substanzmissbrauch und häuslicher Gewalt geht auf die späten 70er Jahre zurück (Hilberman u. Munson 1978). Inzwischen haben viele Studien einen Zusammenhang zwischen Alkohol- bzw. Drogenmissbrauch und Gewalt in der Familie gefunden (Guille 2004, S. 142). Bennett u.a. (1998) berichten Raten von gleichzeitigem Auftreten von Substanzmissbrauch und häuslicher Gewalt aus einzelnen Untersuchungen zwischen 23 % bis 100 %. Ein Zusammenfallen von zwei Ereignissen sagt allerdings noch nichts über die Ursachen aus. Downs u.a. (1996) fanden in ihrem Review einen Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt in der Herkunftsfamilie und späterer häuslicher Gewalt in der eigenen Familie, sowie mit Alkoholproblemen. Tolman u. Bennett (1990) fanden, dass männliche Gewalttäter häufiger alkoholabhängig sind als dass sie „nur“ episodenweise trinken. Alkoholabhängige Misshandler unterscheiden sich von nicht-alkoholabhängigen auch in ihrer Persönlichkeit, so hatten sie mehr psychopathologische Störungen und antisoziale Persönlichkeitszüge.

27 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Guille (2004) prüft in seinem Überblick die Bedeutung der Vater-Kind-Beziehung in Familien mit Gewalt, ein Thema, dem bisher relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, auch aufgrund zusätzlicher methodischer und theoretischer Probleme. Schon die Stichprobenziehung ist schwierig, meist werden lediglich schon registrierte prügelnde Männer erfasst. Der Autor konzentriert sich vor allem auf die Aspekte „Vaterschaft“, „Männer, die gewalttätig sind“ und die Offenlegung von Gewalt sowie die Auswirkungen auf die Kinder. Es wird auf die besondere Bedeutung der Forschung zu gewalttätigen Männern hingewiesen, gerade auch hinsichtlich Prävention und Hilfe für die Opfer. Die Vater-Kind-Beziehung wurde bisher kaum untersucht, bis in die frühen 1980er Jahre konzentrierte sich die Literatur zu häuslicher Gewalt vorwiegend auf geschlagene Frauen. Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sind etwa, wie Schläger ihre Vaterrolle wahrnehmen oder wie sie die Kinder im Kontext häuslicher Gewalt beeinflussen. Häusliche Gewalt wurde bis in die frühen 1980er Jahre als eine reine „Frauenangelegenheit“ gesehen. Das ist insofern problematisch, als Forschungsergebnisse zu gewalttätigen Männern und deren Hintergründ helfen können, wirksamere Präventionsprogramme zu entwickeln. Guille kommt zu dem Schluss, dass es kein einheitliches Profil von prügelnden Ehemännern bzw. Vätern gibt. Die Resultate sind teilweise widersprüchlich, z.T. aber auch konsistent. Viele Studien haben gezeigt, dass Männer, die schlagen, als Kinder selbst Opfer waren – entweder direkt oder indirekt als Zeugen elterlicher Partnergewalt.

Hotaling u. Sugarman (1986) geben einen Überblick über die Resultate von 52 Studien zu den Risikomerkmalen von Misshandlung von Frauen in der Familie. Von den 97 verschiedenen Risikomerkmalen, die überprüft wurden, war die Gewalterfahrung des Mannes in der Herkunftsfamilie der bedeutsamste Faktor hinsichtlich der späteren eigenen Gewaltausübung gegenüber der Partnerin. Bei Frauen konnte ein entsprechender Zusammenhang nicht gefunden werden. Auch hier konnte somit eine „intergenerational transmission of violence“ bestätigt werden.

Newcomb u. Locke (2001) führten eine methodisch differenzierte Langzeit-Untersuchung an einer ethnisch gemischten Gemeindestichprobe von 383 Eltern durch, deren Ergebnisse nach Ansicht der Autoren ebenfalls klar die „intergenerational transmission“- These unterstützt. Sie konnten sowohl für Mütter als auch Väter eine Weitertradierung von Kindesmisshandlung in die nächste Generation bestätigen. Sexueller Missbrauch in der Kindheit führte bei den Müttern zu einem aggressiven und bei den Vätern zu einem zurückweisenden Erziehungsstil. Männer, die als Kind sexuell missbraucht wurden, zeigten als Eltern ein schädlicheres Erziehungsverhalten als Frauen mit vergleichbaren Kindheitserfahrungen. In den untersuchten Familien zeigte sich in der Regel eine breite Problematik. 50 % der Väter und Mütter berichteten, dass sie irgendeine Form psychischen oder physischen Missbrauchs bzw. Misshandlungen erlebt hatten, 20 % von sexuellem Missbrauch, je nach Definition (Zellman u. Faller 1996). Das weist gleichzeitig auf das enorme Dunkelfeld in diesem Bereich hin.

Widom u. Maxfield (2001) führten eine Längsschnittstudie an inhaftierten Straftätern durch, bei welcher sie 908 mit Misshandlungserfahrungen bzw. erlittener Vernachlässigung mit 667 in dieser Hinsicht unbelasteten Delinquenten verglichen, die in den Jahren 1967 bis 1971 verurteilt wurden. Beide Gruppen wurden hinsichtlich

28 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Geschlecht, Alter, Ethnie und sozioökonomischem Status parallelisiert. Die Ergebnisse zeigen, dass Erfahrungen von Misshandlungen bzw. Vernachlässigung in der Kindheit, die Wahrscheinlichkeit als Jugendlicher wegen einer Straftat inhaftiert zu werden um 59 % erhöht, als Erwachsener immerhin noch um 28 %. Im Hinblick auf Gewaltstraftaten erhöht sich die Wahrscheinlichkeit in der Gruppe der Misshandelten um 30 %. Misshandelte Jugendliche waren bei ihrer ersten Inhaftierung jünger, hatten zu dem Zeitpunkt bereits nahezu doppelt so viele Taten begangen und wurden öfters inhaftiert als die Vergleichsgruppe. Als Kinder körperlich misshandelte und vernachlässigte (im Vergleich zu sexuell missbrauchten) Jugendliche hatten die höchste Wahrscheinlichkeit, für eine Gewalttat inhaftiert zu werden. Wie die Autoren betonen, zeigten ihre Resultate im Gegensatz zu frühren Ergebnissen, dass auch missbrauchte und vernachlässigte weibliche Jugendliche im Vergleich zur Kontrollgruppe ein um 73 % höheres Risiko hatten, als Jugendliche oder Erwachsene wegen Gewalttaten inhaftiert zu werden.

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse

Bei allen methodischen Schwächen, die die Studien zur Transmission von Gewalterfahrungen in der Familie haben und die auch mit der enormen Komplexität der zu untersuchenden Fragestellung zusammenhängen, kann heute gesagt werden, dass vor allem schwere und langdauernde Gewalt gegenüber Kindern die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Betroffenen später in ihren eigenen Familien wiederum Gewalt ausüben (vgl. a. Schneider 1990, S. 536). Schwere Gewalt und Missbrauch in der Familie verursachen, vor allem, wenn diese früh eintreten und lange andauern, mit großer Wahrscheinlichkeit Schäden bei den Kindern, die auch zu psychischen Beeinträchtigungen, sozialer Fehlanpassung oder auch gesundheitlichen Problemen führen können.

Zu den Risikofaktoren, die Kindesmisshandlung begünstigen zählen:

. Partnerschaftsgewalt, . eine frühere Misshandlung des Kindes (Kinder, die bereits Opfer von Gewalt waren, weisen offensichtlich ein erhöhtes Risiko auf, erneut viktimisiert zu werden, vgl. Jonson-Reid u.a. 2003), . Unterstützung harter Strafen sowie die Ablehnung des Kindes, . eigene Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen der Eltern bzw. eines Elternteils, . hohe Impulsivität, . starke Gefühle der Belastung, . Mangel an Einfühlungsvermögen bei den Eltern in die Bedürfnisse des Kindes, . unrealistische Erwartungen an das Kind, . depressive Störungen sowie andere Störungen, z.B. eine dissoziale Persönlichkeits- störung und Suchtabhängigkeit der Eltern.

Risikofaktoren wie Armut, der Status als allein erziehender Elternteil, eine große Zahl von Kindern in der Familie oder ein junges Alter der Mutter sind „für sich genommen schwach

29 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention vorhersagestarke Risikofaktoren, die jedoch im Zusammenspiel und insbesondere in der kumulierenden Wirkung mit vorhersagekräftigeren Risikofaktoren von Bedeutung sind“ (Galm u.a. 2007).

Neben den Risikofaktoren, die immer wieder untersucht wurden, gibt es, wie die Studien auch zeigen, ebenso protektive Faktoren, die Kinder vor einem Missbrauch und Misshandlungen schützen können bzw. die Tradierung von gewaltsamen und missbräuchlichen Erziehungspraktiken von Familie zu Familie unterbinden können (vgl. Tajima 2002, S. 123). Solche Schutzfaktoren können beispielsweise sein: Eine gute psychische und physische Gesundheit der Eltern oder die Tatsache, dass in der Familie wenig Stress herrscht, wenn es zu Misshandlungen kommt. Ebenfalls schützend wirken können unterstützende Beziehungen der Kinder zu entfernteren Familienangehörigen, wie Onkeln und Tanten, den Großeltern oder auch Personen außerhalb der Familie, die Schäden abfedern.

Wie die bisherige Forschung zeigt, hängt das Ausmaß der Auswirkung der Gewalt auf die Kinder von zahlreichen einzelnen Faktoren ab. Die Familie enthält eigene, spezifische Risiken, darüber hinaus aber auch die Gefahr eines außerfamiliären Missbrauchs. Schlechte familiäre Bedingungen, wie Gewalt in der Familie, setzen Kinder einer größeren allgemeinen Gefahr aus und machen sie als Gruppe insgesamt vulnerabler. Unterschiedliche Variablen tragen mehr oder weniger zu dieser Gefahr bei. Häusliche Gewalt und Gewalt in der Gemeinde bzw. Nachbarschaft können Prädiktoren für Kindesmissbrauch sein (Pears u. Capaldi 2001). So fällt auf, dass etwa Kinder aus defizitären bzw. gestörten Familien ein höheres Risiko haben, von Pädophilen missbraucht zu werden. Kinder suchen Nähe und Zuwendung, bekommen sie diese von zu Hause nicht, sind sie umso anfälliger für die „Angebote“ von Tätern eines Kindesmissbrauchs. Gleichzeitig haben Kinder aus gestörten Familien in aller Regel weniger Gelegenheit, ihren Eltern über ihre alltäglichen Erlebnisse zu berichten bzw. finden weniger Interesse hierfür, womit auch die Kontrolle der Erwachsenen über die Kinder und deren alltägliche Erfahrungen, damit eine Möglichkeit, einen Missbrauch zu entdecken und Gegenstrategien einleiten zu können, wegfällt. Das Risiko der Kinder hat auch damit zu tun, dass die Mütter sie oftmals nicht beschützen können, sie sogar - ungewollt - besonderen Gefahren aussetzen. Frauen, die sexuell missbraucht wurden, haben nach einigen Untersuchungen in ihrem sozialen Umfeld mehr Sexualstraftäter als Frauen, die nicht missbraucht wurden (vgl. McCloskey u. Bailey 2000).

Ansatzpunkte für die Prävention

Die Bundesregierung hat sich durch Ratifizierung (April 1992) der UN- Kinderrechtskonvention von 1989 völkerrechtlich verpflichtet, die Rechte von Kindern zu gewährleisten. Artikel 19 bestimmt, dass „das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen“ sei. Vor diesem Hintergrund, aber auch im Hinblick

30 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention auf die vielfach enormen Schäden und damit verursachten Kosten, kommt der Prävention von Gewalt in der Familie eine zentrale Bedeutung zu.

Nach Honig (1990) sollte sich Prävention familialer Gewalt auf vier Felder konzentrieren:

. auf die Veränderung von Einstellungen, . auf die Veränderung von Handlungs- bzw. Konfliktlösungsmustern, . auf die Veränderung von belastenden Bedingungen des Familienlebens . und letztlich auf die Veränderung von Hilfestrukturen.

Das von ihm ins Auge gefasste Verbot körperlicher Strafen in der Erziehung wurde in Deutschland inzwischen umgesetzt. Hierdurch können, wie erwähnt, auch Einstellungen und Normen in der Bevölkerung verändert werden (vgl. Heynen 2007). Die „größere Sensibilität für Gewalt in Familien“, wie sie sich inzwischen auch in Rechtsnormen ausdrückt, sollte nach Ansicht von Honig allerdings „nicht mit Sanktionsdrohungen verbunden werden“. Der Staat solle nicht die Strafen, die er mit der Regelung zu unterbinden suche, dann selbst praktizieren.

Das Deutsche Jugendinstitut (2007) unterteilt „Strategien der Gewaltprävention im Kindes und Jugendalter“ in einer neuen, weiterführenden Veröffentlichung in sechs Bereiche:

. Familie . Kindertagesbetreuung . Schule . Kinder- und Jugendhilfe . Polizei . Justiz

Zweifellos werden damit wichtige Handlungsfelder angesprochen, in denen Maßnahmen auch zur Prävention von Gewalt in der Familie ansetzen können, wobei Gewalt im Kindes und Jugendalter deutlich über den familiären Bereich hinausgeht. Bei der Gewaltprävention im Kontext der Familie wird nach Maßnahmen unterschieden zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdung, bei welchen Kinder und Jugendliche direkt Opfer gewalttätigen Verhaltens Erwachsener werden und solchen, bei denen es um eine Reduzierung der Auswirkungen von Partnergewalt auf Kinder und Jugendliche geht.

Gewaltpräventive Maßnahmen innerhalb der Familie umfassen deshalb vor allem Hilfeleistungen für Eltern und Kinder. „Diese basieren auf der freiwilligen Hilfeakzeptanz betroffener Eltern und besitzen insofern einen Angebotscharakter“ (Galm 2007, S. 42). Zu denken ist an Hilfe zur Erziehung für die Eltern (Familienberatung, Erziehungsanleitung, sozialpädagogische Familienhilfe) oder an auf die Kinder bezogenen Hilfen (wie einzel-, gruppen- oder heilpädagogischen Maßnahmen, therapeutische Angebote). Sind Eltern nicht bereit mitzuwirken, können von Fachkräften Schritte eingeleitet werden, damit Hilfsmaßnahmen für das Wohl des Kindes getroffen werden können. Galm u.a. (2007, S. 43) merken jedoch zu Recht kritisch an, dass „die Wirksamkeit der eingesetzten Hilfen bei Verdacht auf oder Bestehen von innerfamiliärer Gewalt gegen Kinder im deutschen Jugendhilfesystem bislang nicht systematisch evaluiert ist“, was zur Feststellung der

31 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Effizienz einzelner Maßnahmen dringend nötig wäre, auch hinsichtlich einer wirtschaftlichen Steuerung der Mittel.

Inzwischen entstehen in Deutschland zunehmend Frühwarnsysteme zur Identifizierung von risikobelasteten Familien. „Diese sollten eine systematische Verzahnung von Modulen in folgenden Bereichen umfassen: Früherkennung, Hilfemaßnahmen, kontinuier- liche Begleitung und Prozesskontrolle“ (Galm 2007, S. 48).

Was Hilfemaßnahmen betrifft, benötigen die Fachkräfte das nötige Wissen hierüber, vor allem auch über die Wirksamkeit bei gegebener Problemsituation. Insbesondere müssen wirksame Programme zur Verfügung stehen, auf die zurückgegriffen werden kann. Ineffektive Maßnahmen belasten nur die Familien, senken deren Mitarbeitsbereitschaft und verursachen unnötige Kosten. Besonders wichtig, in der Regel gleichzeitig aber auch schwierig, sind naheliegenderweise Präventionsmaßnahmen bei Kindern, die in hoch belasteten Familien aufwachsen (Galm u.a. 2007, S. 49; Snell-Johns u.a. 2004). Sind die Fachkräfte nicht genügend qualifiziert, können die Hilfemaßnahmen von den Betroffenen leicht in das missbräuchliche Familiengeschehen „integriert“, damit instrumentalisiert werden. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass die Einsicht in die Problematik bei schwer gestörten familiären Verhältnissen bei den Betroffenen oft fehlt und die Notwendigkeit für diese spezielle Hilfe nicht gesehen wird. Oft besteht auch gerade bei diesen Familien eine Ablehnung gegenüber sozialen Einrichtungen. Hilfesysteme sind aufgrund von Fachkräftemangel darüber hinaus oft überlastet, können sich deshalb nicht mit der nötigen Intensität gerade um schwere, arbeitsintensive „Fälle“ kümmern. Zu schnell wendet man sich vor diesem Hintergrund unter Umständen von solchen Fällen ab. Dadurch können leicht weniger offenkundige Formen von Gewalt gegenüber Kindern, wie eine psychische Vernachlässigung, übersehen werden. Das kann dazu führen, dass erst spät, wenn weitere Auffälligkeiten auftreten und die Schäden entsprechend größer sind, reagiert wird (Galm u.a. 2007, S. 49).

Galm u.a. (2007) formulieren Voraussetzungen für eine nachhaltige Erreichbarkeit von Problemfamilien. So wird betont, dass oft übersehen werde, wie sehr Familien, in denen eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, problembelastet sind. Kurzfristige Hilfemaßnahmen reichen oft nicht aus. „Psychosozial hochbelastete Familien benötigen längerfristige, kontinuierliche Begleitung, die unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Bedarfs- und Ressourcenlage positive Entwicklungsprozesse fördert und stabilisiert“ (S. 50). Eine reine Krisenintervention reicht hier in der Regel bei weitem nicht aus. Der Bereich der Früherkennung, aber auch des frühen Eingreifens und der Zurverfügungstellung von Hilfen muss ausgebaut werden. Aufsuchende Hilfeformen sollten kombiniert werden mit mehrdimensionalen, auf den Einzelfall zugeschnittenen Maßnahmen, gerade auch Unterstützung in alltäglichen Problemen.

Heynen (2007) diskutiert Strategien zur Prävention von Kindeswohlgefährdung bei Partnergewalt. Kinder sind hier vor allem als Zeugen betroffen, aber auch im Zusammenhang mit der mit den Gewaltereignissen in der Regel einhergehenden gegenseitigen Terrorisierung (vgl. Johnson 2005; Johnson u. Leone 2005). Die Autorin stellt Ansätze dar, die im Rahmen einer Intervention präventiv wirken (vgl. a. Kavemann u. Kreyssig 2006). Unterschieden wird zwischen

32 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

. unspezifischen Strategien: gesellschaftliche Rahmenbedingungen, soziales Umfeld, öffentliche Wahrnehmung, . zielgruppenspezifischen Ansätzen: Angebote, die sich direkt an die Opfer bzw. auch Täter wenden, wie Frauenhäuser einerseits oder Behandlungsprogramme für Täter andererseits, . Angebote zur Reduzierung einer Kindeswohlgefährdung, etwa durch Einzel- oder Gruppenarbeit mit Betroffenen . und Strategien der Kooperation und Vernetzung: einzelne Hilfeeinrichtungen müssen zusammenarbeiten, Unterstützungsprogramme müssen vernetzt werden.

Auch Heynen weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung einer Intensivierung der Forschung in Deutschland hin.

Abschießend bleibt zu resümieren: Vor dem Hintergrund der enormen Auswirkungen von (schwerer) Gewalt und Missbrauch in der Familie auf die Kinder muss der Prävention bzw. der Hilfe betroffener Opfer eine zentrale Bedeutung zukommen, auch aus finanziellen Gründen. Die Auswirkungen von (schwerer) familiärer Gewalt auf die Gesellschaft sind erheblich und kosten diese weit mehr als wirksame Präventions- programme.

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36 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Braucht Prävention Gesetze? Die vorbeugende Wirksamkeit von Normen und Gesetzen am Beispiel von Schutz vor Gewalt in Familien und Partnerschaften

Gesa Schirrmacher1

Prävention ist ein Begriff, der in unterschiedlichen fachlichen Zusammenhängen mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird. In diesem Text geht es um die Frage: Wie können gesetzliche Regelungen Gewalttaten im familiären Kontext wirksam und nachhaltig verhindern? Dabei geht es zum einen um die individuelle Ebene – also darum, wie der/die Einzelne von normwidrigem Verhalten abgehalten werden kann. Zum anderen hat Gewaltprävention in diesem Sinn aber auch eine gesellschaftliche Ebene. Hierbei geht es darum, wie gesetzliche Normen das gesellschaftliche „Klima“ und damit die „Alltagsnormen“ gegenüber Gewalt beeinflussen. Inwieweit sind gesetzliche Regelungen neben pädagogischen oder psychologischen Handlungsansätzen wirksam? Gerade für pädagogisch und psychologisch ausgerichtete Fachleute in der Prävention ist die Frage, ob und wie gesetzliche Rahmenbedingungen Ziele ihrer Arbeit unterstützen, sicher von Bedeutung.

Prävention durch Strafrecht

Um die individuellen und gesellschaftlichen Wirkungsebenen zu verdeutlichen, kann zunächst auf die strafrechtlichen Präventionsbegriffe zurückgegriffen werden. Seitdem wir uns von privater Rache und Fehden zur Regelung von subjektiv empfundenem Unrecht verabschiedet2 und den Sanktionsanspruch auf den Staat übertragen haben, muss Strafe legitimiert sein. Es geht dabei um den Zweck der Strafe. Zwar werden die Details dieser Strafzwecke auch heute noch in der Rechtwissenschaft diskutiert, dennoch ist (weitgehend) Konsens, dass die Normierung von Ver- und Geboten sowie die Sanktionierung von Verstößen eine präventive Wirkung haben sollen. Hätten sie diese Wirkung nicht, wäre es schwierig zu rechtfertigen, warum der Staat überhaupt das Recht

1 Sehr herzlich danke ich Andrea Buskotte (Landespräventionsrat) für die vielen hilfreichen Anregungen zu diesem Text 2 Vgl. zur Entwicklung des Strafrechts z.B. Wesel, Geschichte des Rechts, Rdnrn. 236 ff; 258 ff. 37 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention hat, mit Sanktionen auf sozial inadäquates Verhalten zu reagieren. Unterschieden wird dabei in die Spezial- und Generalprävention.3

Dabei meint Spezialprävention die Einwirkung auf den individuellen Täter. Strafe soll dazu beitragen, dass er in seinem zukünftigen Leben keine weiteren Straftaten mehr begehen wird. Hinter diesem Begriff verbirgt sich also das, was wir auch als Resozialisierung kennen (positive Spezialprävention). Negative Spezialprävention stellt auf die Gefährlichkeit des Täters ab. Es geht um die Sicherung und den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Taten eines individuellen Täters.

Generalprävention meint hingegen die Wirkung von Strafandrohungen und Sanktionen auf die Allgemeinheit. Auch hier wird zwischen negativer und positiver Prävention unterschieden. Negative Generalprävention meint Abschreckung der Allgemeinheit; d.h. durch die Sanktionierung des Täters sollen die anderen Gesellschaftsmitglieder von ähnlichen Taten abgehalten werden4. Hinter der positiven Generalprävention steht folgendes Konzept5: Jede Straftat führt zu einer Verunsicherung der Gesellschaft. Ihre Mitglieder fragen sich, ob die Norm, gegen die verstoßen wurde, noch Gültigkeit hat. Die Sanktionierung – also die Reaktion des Staates auf dieses Verhalten – stellt für die Gesellschaft klar, dass die Norm noch gilt; das Vertrauen wird wieder hergestellt.

Natürlich ist die positive Generalprävention primär ein theoretisches Konstrukt, das sich auch nur schwer empirisch nachweisen lässt. Entsprechende Messungen würden voraussetzen, eine Gesellschaft mit und ohne Strafrechtssystem miteinander vergleichen zu können, um festzustellen, welche Auswirkungen dies jeweils auf das Verhältnis der Gesellschaft zu den Rechtsnormen hat. Da ein Strafrechtssystem aber existiert, sind nur die Wirkungen unterschiedlicher Gestaltungsformen strafrechtlicher Sanktionen messbar.6

Ein Beispiel für den Nachweis von generalpräventiver Wirkung lässt sich bei der so genannten symbolischen Gesetzgebung nachvollziehen: Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass Verbote normiert werden, die aber nicht durchgesetzt werden oder nicht durchgesetzt werden können, bei denen also ein Vollzugsdefizit feststellbar ist. Wenn in der Gesellschaft realisiert wird, dass auf Verstöße gegen diese Normen keine Sanktionen folgen, dann geht das Vertrauen in die Gültigkeit dieser Normen verloren. Verstöße häufen sich und die Akzeptanz dieser Normen schwindet.7

3 Eine weiterer Zweck des Strafens ist das Prinzip des Schuldausgleich; § 46 Abs. 1 Satz 1 Straf- gesetzbuch lautet dementsprechend: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe“. 4 Vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 3 Rdnr. 23 ff. 5 Vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 3 Rdnr. 26 ff. 6 Kunz, Kriminologie, § 30 Rdnr, 17 ff; Übersicht zu den Ergebnissen verschiedener Studien bei Eisenberg, Kriminologie, § 41 Rdnr. 3 ff. 7 Dementsprechend kritisch zur symbolischen Gesetzgebung z.B. Kunz, Kriminologie, § 9 Rdnr. 27 ff.; Albrecht, Kriminologie, § 6 A IV, S. 59 ff. 38 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Prävention durch Zivilrecht?

Strafrechtliche Konzepte von Prävention sind eng mit Sanktionen verbunden. Spannend ist nun die Frage, ob auch zivilrechtliche Normen eine präventive Wirkung entfalten können. Denn das Zivilrecht sieht zumindest keine direkte Ahndung bei Nichtbefolgung vor, sondern soll seine Wirkung im Verhältnis von Bürgerinnen und Bürgern untereinander entfalten. Hier ist Prävention – ähnlich wie bei der Generalprävention – dahingehend zu verstehen, dass der Appell der Norm, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, auf gesellschaftliche Vorstellungen und Werte und letztlich auch auf das individuelle Verhalten Einzelner wirken kann.

Dabei steht fest, dass Generalprävention und Werte einer Gesellschaft eng miteinander verbunden sind. Es besteht eine empirisch begründete Annahme dafür, dass „(auch) strafrechtliche Regelungen nicht aus sich selbst heraus, sondern nur bei inhaltlicher Verträglichkeit mit herrschenden außerrechtlichen Normen tatsächlich Geltung in der sozialen Wirklichkeit haben können“8. Ob Recht darüber hinaus nicht nur moralstabilisierend sondern auch moralantizipierend wirken kann, also einen gesellschaftlichen Wertewandel beeinflussen kann, ist hingegen fraglich. Dennoch kann selbst in den Bereichen, in denen das Recht noch nicht auf einen gesellschaftlichen Konsens trifft, das Recht zumindest die Funktion eines „moralischen eye-openers“ übernehmen.9

Zwei zivilrechtliche Regelungsbereiche sollen an dieser Stelle betrachtet werden: Das Recht auf gewaltfreie Erziehung und das Gewaltschutzgesetz. Beide sind dadurch gekennzeichnet, dass der Gesetzgeber neben dem konkreten Regelungsgehalt auch das Ziel verfolgte, das Verhalten des Einzelnen in der Gesellschaft zu steuern.

So heißt es in der Begründung zum Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung:

„Gewalt in der Familie gehört in Deutschland immer noch zum Alltag. Aus Umfragen und Untersuchungen der letzten Jahre ergibt sich, dass in Familien in Deutschland die Anwendung körperlicher Gewalt weit verbreitet ist. Gleichzeitig belegen Untersuchungen, dass Opfer elterlicher Gewalt später vermehrt selbst Gewalt anwenden. Um diesen „Kreislauf“ der Gewalt zu durchbrechen und eindeutig klarzustellen, dass Gewalt kein geeignetes Erziehungsmittel ist, sieht die Koalitionsvereinbarung für die 14. Legislaturperiode vor, ein Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich festzuschreiben.“10

Und auch in der Begründung zum Gewaltschutzgesetz ist der Wunsch nach Ächtung von bestimmten gewalttätigen Verhaltensweisen im sozialen Nahraum deutlich erkennbar, wenn das Ziel des Gewaltschutzgesetzes benannt wird:

8 So anschaulich formuliert von Eisenberg, Kriminologie, § 22 Rdnr. 7. 9 Vgl. Kunz, Kriminologie, § 30 Rdnr. 5 f. 10 BT-Drs. 14/1247, S. 3. 39 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

„Ziel ist, Gewalt gegen Frauen durch ein Bündel von Maßnahmen auf den unterschiedlichsten Gebieten zu verhindern helfen. Die Verbesserung des Rechtsschutzes bei häuslicher Gewalt ist ein wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts. Er wird nicht nur den unmittelbaren Schutz von Frauen verbessern, die von Gewalt betroffen sind, sondern auch zur Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas beitragen, in dem Gewalt in jedweder Form, insbesondere auch die gegen Frauen und Kinder, geächtet ist.“11

Im Hinblick auf eine präventive Wirkung ist zu fragen: Können diese zivilrechtlichen Normen tatsächlich ein bestimmtes – gewalttätiges – Verhalten ächten und dabei zugleich ein anderes – gewaltfreies – Verhalten fördern?

Das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung ist normiert in § 1631 Abs. 2 BGB:

„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Es handelt sich also um einen Rechtsanspruch der Kinder12, der mit einem Verbot verbunden ist. Die Regelung ist (relativ) sanktionslos, sie hat vorwiegend Appellcharakter. Ein Verstoß soll nach dem Willen des Gesetzgebers keine Strafe nach sich ziehen, stattdessen sollen den Eltern staatliche Hilfen angeboten werden. Damit werden strafrechtliche Normen natürlich nicht außer Kraft gesetzt. Wer sein Kind schwer misshandelt, machte sich schon vor der Einfügung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung in § 1631 BGB strafbar. Das hat sich auch nach der Einführung nicht verändert13. Dem Gesetzgeber ging es mit dieser Regelung jedoch nicht um eine Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Eltern, sondern vor allem um das Prinzip „Hilfe statt Strafe“:

„Ziel des Gesetzentwurfs ist die Ächtung der Gewalt in der Erziehung ohne Kriminalisierung der Familie. Nicht die Strafverfolgung oder der Entzug der elterlichen Sorge dürfen deshalb in Konfliktlagen im Vordergrund stehen, sondern Hilfen für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Eltern.“14

Das Gewaltschutzgesetz ist anders konzipiert. Hier muss es schon Verstöße gegen Normen gegeben haben, um überhaupt einen Anspruch auf Schutz auszulösen. Um z.B. eine Schutzanordnung erfolgreich beantragen zu können, ist Gewalt in Form von vorsätzlicher Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen

11 BT-Drs. 14/5429, S. 11. 12 Vgl. BT-Drs. 14/1247, S. 5: „Ein Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung verdeutlicht, dass das Kind als Person mit eigener Würde und als Träger von Rechten und Pflichten die Achtung seiner Persönlichkeit auch von den Eltern verlangen kann.“ 13 Aus strafrechtlicher Sicht in der Diskussion ist hier eher die Frage, wie mit geringeren Formen von Beeinträchtigungen des Kindes – zum Beispiel der berühmte Klaps – umzugehen ist. Siehe zur Frage der Grenzziehung zwischen „Missbilligung“ eines Fehlverhaltens des Kindes und einem massiven Eingriff in körperliche Unversehrtheit die Entscheidung des AG Burgwedel, Urt. vom 10.11.2004 / 64 Ds 3643 Js 8475/04 (20/04). 14 BT-Drs. 14/1247, S. 5 f. 40 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Person oder zumindest eine Drohung hiermit erforderlich15. Die zivilrechtlichen Schutzansprüche treten damit neben die strafrechtlichen Sanktionen.

Doch auch wenn die Anordnungen von Schutzmaßnahmen keine Bestrafung des Täters zum Ziel haben, kann natürlich nicht geleugnet werden, dass sie dennoch einen sanktionierenden Charakter haben: Wer für (mindestens) sechs Monate aus seiner (möglicherweise eigenen) Wohnung ausziehen muss und auch ansonsten in seiner Freiheit eingeschränkt wird, weil bestimmte Orte Tabu-Zonen sind oder bestimmte Formen der Kontaktaufnahme zu einer konkreten Personen untersagt sind, könnte dies auch als Sanktion erleben. Dies ist aber wieder die Frage der individuellen und damit spezialpräventiven Wirkung auf den Täter, also ob sich jemand zukünftig von diesem Verhalten abhalten lässt.

Die entscheidende Frage soll im Folgenden aber sein, ob das Recht auf gewaltfreie Erziehung und das Gewaltschutzgesetz die Einstellungen und Bewertungen in der Gesellschaft verändern konnten und damit letztendlich auch zu einer Verhaltensänderung geführt haben und somit eine (general-)präventive Wirkung entfalten können.

Präventive Wirkungen des Rechtes auf gewaltfreie Erziehung und des Gewaltschutzgesetzes

Zu den gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber Gewalt in der Erziehung liegen verschiedene umfangreiche Studien vor. In diesem Zusammenhang besonders interessant sind die Arbeiten von Kai-D. Bussmann, der in seiner Studie auch die Bedeutung des Rechts innerhalb familialer Diskurse untersuchte.

Zentrale Ergebnisse sind:

- Die Befragten schätzen ihr eigenes Rechtswissen – als erste Voraussetzung für die Bedeutung des Rechts in einem Lebensbereich – als relativ hoch ein: Im Bezug auf das Zusammenleben mit dem Partner halten sich nur 16,4%, im Bezug auf das Zusammenleben mit den Kindern halten sich ebenfalls nur 20,4% für schlecht oder nicht informiert. Diese Werte weichen nicht wesentlich von dem geschätzten Rechtswissen zum Kaufrecht oder zum Recht beim Umgang mit Behörden ab. Es ließen sich auch keine Unterschiede zwischen gewaltbelasteten Familien und anderen feststellen.16

- Zugleich aber halten 39,3% bzw. 34,9% der Befragten die Rechtskenntnis im Zusammenleben zwischen Eltern und Kindern bzw. mit dem Partner für unwichtig oder völlig unwichtig.17 Somit scheint die Vorstellung vom Nutzen des Rechts innerhalb von familialen Kontexten erheblich eingeschränkt zu sein.

15 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass darüber hinaus auch Stalkinghandlungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 GewSchG) in Form von Hausfriedensbruch oder Belästigung durch Nachstellungen durch das GewSchG erfasst werden. 16 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 192 ff. 17 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 194 f. 41 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

- Prüft man die konkrete Rechtskenntnis der Befragten, zeigt sich ein großes Unwissen. Das zum Zeitpunkt der Befragung geltende deutsche „Züchtigungsrecht“ kannten nur 3,8% der Befragten; nur 4,3% fanden diese Variante der Regelung wünschenswert. Die mehrheitlich mit 44,2% gewünschte Regelung entspricht der schwedischen Lösung, die weit über den damals geltenden Wortlaut, aber auch über den neuen § 1631 Abs. 2 BGB hinausgeht. Bussmann folgert hieraus u.a., dass sich die Befragten offenbar überhaupt nicht vorstellen können, dass das Recht in diesem Bereich weit hinter ihren normativen Erwartungen zurückbleibt.18

- Die Studie zeigt auch: Eine verhaltenssteuernde Wirkung des Rechts gibt es nur in einem sehr begrenzten Umfang. Bezüglich der Häufigkeit von leichten Körperstrafen ergab sich folgendes Bild:19 Der Gebrauch von Züchtigungen ließ sich nicht auf eine stärkere oder schwächere Ablehnung von Körperstrafen aus erzieherischen Gründen zurückführen. Auch die autoritäre Einstellungen zur Eltern-Kind-Beziehung und eine allgemein Gewalt befürwortende Einstellung hatten keinen nachweisbaren Einfluss auf das Verhalten. Gleiches gilt für das Recht: Die Häufigkeit des Gebrauchs von Körperstrafen in der Familie lässt sich weder durch eine mangelnde Akzeptanz oder eine fehlende Offenheit gegenüber dem Recht erklären, noch hat die Interpretation der rechtliche Grenzen einen signifikanten Einfluss.20 Die Häufigkeit von leichten Körperstrafen hängt damit vor allem von zwei Variablen ab: von eigenen familialen Gewalterfahrungen und von der Befürwortung von Züchtigung als Erziehungsmittel.

- Auch bei den schweren Köperstrafen zeigt sich21, dass rechtliche Grenzen sich nur wenig auf das konkrete Verhalten auswirken. Der Einfluss liegt hier an der Grenze zur statistischen Nachweisbarkeit – allerdings ist er höher als bei den leichten Züchtigungsformen. Die Vorstellungen über rechtliche Grenzen können damit zumindest einen geringen Effekt auf das Verhalten der Rechtsadressaten besitzen. Dennoch sind die nachweisbaren Einflüsse anderer Variablen deutlich höher – auch hier vor allem bei der eigenen Gewalterfahrung. Die Befürwortung von Züchtigung als Erziehungsmittel hingegen spielt bei den schweren Züchtigungen keine Rolle.

So kommt Bussmann zu dem – vielleicht enttäuschenden – Ergebnis, dass der Einfluss des Rechtes auf das Erziehungsverhalten wohl grundsätzlich überschätzt werde22.

Aber Bussmann geht in seiner Studie noch einen Schritt weiter. Entsprechend des theoretischen Konzepts der positiven Generalprävention untersucht er auch, ob das Recht

18 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 203 ff. 19 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 226 ff. 20 Wobei Bussmann zurecht anmerkt, dass dieses Ergebnis auch darin begründet sein kann, dass die Befragten leichte Körperstrafen für rechtmäßig erachten und insoweit der verhaltenssteuernde Einfluss des Rechts auch ins Leere laufen muss, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 227. 21 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 228 ff. 22 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 232. 42 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention nicht zumindest eine Orientierungsfunktion übernehmen kann – vor allem auch dann, wenn es gerade nicht primär auf eine Sanktionierung setzt.23 Überprüft werden also die Wirkungen des Rechts nicht in Bezug auf das konkrete Verhalten, sondern auf die normativen Einstellungen. Die Analyse ergab folgendes Bild24: Die normativen Differenzierungen der Befragten wurden stark durch die Interpretation des „Züchtigungsrechts“ beeinflusst. Die normativen Einstellungen sowohl zu leichten als auch schweren Züchtigungen hängen also von der Interpretation der jeweiligen rechtlichen Grenzen ab. Dagegen haben eigene Gewalterfahrungen bei der Ausbildung von normativen Einstellungen keinen entscheidenden Einfluss, sodass Bussmann folgert, dass das Verhalten sich offenbar eher aus den entsprechenden Erfahrungen formt, während sich normative Einstellungen primär im Kontext rechtlicher Erwartungen entwickeln25. Daneben hat die eigene Züchtigungspraxis allerdings ebenfalls einen nicht unerheblichen Einfluss auf die normative Bewertung.

Insgesamt kann aus diesen Erkenntnissen gefolgert werden, dass das Recht sehr wohl eine „bewusstseinsbildende Kraft“ hat26. Das Recht hat zwar keinen nachweisbaren Effekt auf das Verhalten der Befragten – offensichtlich aber auf ihr „Denken“27. Das Recht ist seinen Adressaten also keineswegs gleichgültig28 und verfügt über einen enormen Aufmerksamkeits- und Orientierungswert29.

Ausgehend von diesen grundlegenden Ergebnissen aus dem Jahr 2000 – mit einem Untersuchungszeitraum vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung – hat Bussmann zwei Folgestudien durchgeführt, die insbesondere den Blick auf die Veränderungen sowohl der normativen Bewertungen wie auch des Verhaltens werfen. Sie sind im nachfolgenden Aufsatz zusammenfassend dargestellt.

Zu der Frage der Wirkung des Rechts auf eine „gewaltfreie Partnerschaft“ liegen hingegen keine entsprechenden Untersuchungen vor. Aus der Studie von Bussmann lassen sich vage Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich die Befragten in diesem Bereich zwar eher für informiert halten, dass sie dem Recht allerdings keine so große Bedeutung zumessen.

Anhaltspunkte zur Bedeutung des Rechts lassen sich bisher höchstens mittelbar aus dem Anzeigeverhalten ableiten: Studien deuten an, dass Gewaltdelikte auch aus dem privaten Bereich mittlerweile eher angezeigt werden30 und damit früher und/oder häufiger öffentlich

23 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 233 ff. 24 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 237 ff. 25 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 238. 26 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 240. 27 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 242. 28 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 243. 29 Bussmann, Verbot familialer Gewalt gegen Kinder, S. 242. 30 Zumindest gelangen mehr Delikte der Polizei zur Kenntnis, was die steigenden Zahlen im Bereich häuslicher Gewalt dokumentieren; vgl. hierzu zusammenfassend den Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht 2006, S. 120 f.; Müller/Schröttle, Gewalt gegen Frauen in Deutschland, S. 91, fanden in ihrer Studie zur Situation der von Gewalt betroffenen Frauen, dass 26% der Frauen, die körperliche oder sexueller Gewalt in Paarbeziehungen mit Verletzungsfolgen erlebt hatten, in oder 43 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention gemacht werden. Auch zeigt sich in der Tendenz, dass diese Gewalt viel mehr als Unrecht wahrgenommen wird31. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch in diesem Feld eine veränderte Wahrnehmung und Beurteilung in der Gesellschaft bestehen könnte.

Einen entsprechenden (langsamen) Wandel lässt hier zumindest in der Rechtssetzung nachvollziehen. 1928 wurde das Züchtigungsrecht von Ehemännern gegenüber ihrer Frau endgültig abgeschafft. Von dieser Entscheidung über die Einführung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe im Jahr 1997 bis zum Gewaltschutzgesetz des Jahres 2002 war es ein langer Weg. Vermutlich lässt sich daran ermessen, wie langwierig und komplex die Entwicklung verläuft, wenn es darum geht, ehemals legitime Formen von Gewalt zu delegitimieren und gesellschaftlich zu „ächten“.

Gesellschaftliche Entwicklungen – gesetzliche Normen

Eine grundsätzliche Frage zum Zusammenhang zwischen Gesetzgebung und gesellschaftlichen Entwicklungen ist eine typische „Huhn-oder-Ei-Frage“: Was war zuerst da? Geht die gesellschaftliche Entwicklung zu mehr Gewaltlosigkeit in der Kindererziehung oder zur Ächtung von Gewalt in Beziehungen der Gesetzgebung voraus? Macht ein entsprechendes gesellschaftliches Bewusstsein diese Gesetze vielleicht erst möglich? Oder funktioniert der Zusammenhang umgekehrt: Sind es die gesetzlichen Normen, die gesellschaftliche Entwicklung voranbringen?

Die Antwort ist ein vorsichtiges Sowohl-als-auch. Einerseits ist einleuchtend: Gesellschaftlicher Wandel machte veränderte Normen erst möglich, denn ohne veränderte Einstellungen wären parlamentarische Mehrheiten für die entsprechenden Gesetze zur Ächtung von Gewalt im sozialen Nahbereich nicht denkbar. Und es ist andererseits plausibel, dass klar formulierte gesetzliche Regelungen ihrerseits auf die Dauer in das gesellschaftliche Bewusstsein einwirken. Auf jeden Fall lässt sich den hier diskutierten gesetzlichen Regelungen der dringende Wunsch des Gesetzgebers nach „emanzipatorischer“, gesellschaftsverändernder Wirkung deutlich entnehmen. Festhalten lässt sich, dass es immer einen „gesellschaftlichen Vorlauf“ braucht, um Änderungen im Recht zu erreichen. Hier sind es die Verdienste der Frauenbewegung und der Kinderschutz-Organisationen, ohne deren Engagement und langen Atem die Veränderung von Normen und die Setzung von Rechtsansprüchen nicht möglich gewesen wären.

Dennoch zeigen die Ergebnisse von Bussmann für den Bereich der gewaltfreien Erziehung auch, dass bei Einführung der Normen die Mehrheit der Bevölkerung

nach dieser Tat mindestens einmal die Polizei eingeschaltet haben; 16% haben gegen den Täter eine Anzeige erstattet. 31 Zum Wandel der Einschätzung bei Polizei und Staatsanwaltschaft vgl. Kavemann/Grieger, Interventionsprojekte zur „Entprivatisierung“ der häuslichen Gewalt, S. 128 f.; dies Ergebnis korrespondiert mit den Ergebnissen von Müller/Schröttle, Gewalt gegen Frauen in Deutschland, S. 92, wonach Frauen, die Polizeieinsätze bei häuslicher Gewalt in den letzten Jahren erlebt hatten, deutlich zufriedener waren als Frauen, die frühere polizeiliche Interventionen beurteilten. 44 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention zumindest in der praktischen Anwendung noch nicht normadäquat gehandelt hat. Nach der Einführung des Gesetzes wurden aber Veränderungen vor allem auf der Ebene der normativen Bewertung und später auch im Verhalten sichtbar.32 Allerdings kann es an dieser Stelle keinen „double blind Test“ geben – wir wissen nicht, ob sich das gesellschaftliche Verständnis von Gewalt in der Erziehung auch ohne die Einführung des § 1631 Abs. 2 BGB genauso entwickelt hätte. Wir können weder die deutsche Gesellschaft mit und ohne Gesetz vergleichen, noch die vielen weiteren Faktoren, die auf Vorstellungen, Meinungen, Einstellungen und Haltungen von Bürgerinnen und Bürgern wirken, wie bei einem Laborversuch eliminieren.

Dem ungeachtet lässt sich aus den Ergebnissen zulässigerweise schließen, dass die Normierung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung normverstärkend wirkt, dass sie die Grenzen eines zulässigen, sozialadäquaten Verhaltens beschreibt und damit auch zu einer Vergewisserung und Bestätigung des Norminhalts führen kann – und damit letztlich auch präventiv wirkt.

Insoweit ist zu hoffen, dass die Ergebnisse zur Wirkung der Normierung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung auch auf das Gewaltschutzgesetz übertragen werden können. Beide geben – über den konkreten Regelungsgehalt hinaus – Leitlinien vor, die präventive Wirkung entfalten können. Ein Beispiel für diese Leitlinienwirkung des Gewaltschutzgesetzes zeigt die Veränderung des polizeilichen Handelns. Dem Gewaltschutzgesetz immanent ist die Botschaft, dass auch das, was im Privaten geschieht, den Staat interessiert – indem er dem Opfer Schutzmöglichkeiten an die Hand gibt und hierfür Eingriffe in die Rechte des Täters für zulässig erachtet. Diese Grundsatzentscheidung hat den Weg zu einem längerfristigen polizeilichen Platzverweis aus Wohnungen erst geebnet. Die Polizeigesetze sind von der Leitlinie des Gewaltschutzgesetzes geprägt33.

Fasst man diese Erwägungen zusammen, dann lässt sich Folgendes festhalten:

. Auch zivilrechtliche Normen können präventive Wirkung im Sinne einer Ausbildung und Verstärkung von Leitlinien in unserer Gesellschaft entfalten. . Ohne „Vorarbeiten“ der Gesellschaft wären weder die Normen noch die präventive Wirkung denkbar; die verstärkende Wirkung der Normen darf aber nicht unterbewertet werden. . Normappelle setzen Kenntnis voraus. Das Recht auf gewaltfreie Erziehung wie auch das Gewaltschutzgesetz waren von öffentlichen Kampagnen begleitet. Gerade die grundlegende Studie von Bussmann hebt die Bedeutung von „(Straf-)Recht als Kommunikationsmedium“ 34 und die Bedeutung von wirksamen und breit angelegten Aufklärungskampagnen neben den rechtlichen Normen hervor.

32 Vgl. dazu die Ergebnisse in diesem Band, S. 48ff. 33 Hiermit erklärt sich übrigens auch die – juristisch fehlerhafte, aber dennoch im o.g. Sinne überzeugende – Aussage vieler im Kontext häuslicher Gewalt Tätigen, dass die Polizei den Platzverweis aufgrund des Gewaltschutzgesetzes anwendet und anwenden darf. 34 So auch der Untertitel seiner Studie. 45 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

. Wenn diese präventive Wirkung des Zivilrechts zumindest vergleichbar mit einer generalpräventiven Wirkung ist, dann sollte auch im zivilrechtlichen Bereich die Bedeutung des konkreten Normvollzuges nicht unterschätzt werden. Positive Erfahrungen – die sich auch „herumsprechen“ – mit dem Schutz durch das Gewaltschutzgesetz und mit konkreten Hilfen für überforderte Eltern sind wesentlich dafür, dass sich diese präventive Wirkung verstetigt. . Bei Verstößen gegen Schutzanordnungen sowie bei schwerwiegenden Kindesmisshandlungen kann das Zivilrecht das Strafrecht nicht ersetzten. Dann ist – um das Vertrauen der Gesellschaft in den Bestand des Normengefüges wiederherzustellen – eine strafrechtliche Ahndung unverzichtbar. Sonst könnte nicht nur der strafrechtliche Normappell, sondern auch der zivilrechtliche leer laufen. Es geht bei der Ahndung von Gewalttaten im privaten Bereich – sei es gegen Kinder, sei es gegen Lebenspartner – nicht nur um den individuellen Täter oder das individuelle Opfer, sondern immer auch um den mit der Ahndung verbundenen Appell an die Gesellschaft.

Literatur

Albrecht, Peter-Alexis: Kriminologie. 3. Auflage, München 2005.

Bussmann, Kai-D.; Verbot familialer Gewalt gegen Kinder. Köln, Berlin, Bonn, München 2000.

Eisenberg, Ulrich; Kriminologie. 6. Auflage, München 2005.

Kavemann, Barbara/ Grieger, Katja: Interventionsprojekte zur „Entprivatisierung“ der häuslichen Gewalt; Heitmeyer, Wilhelm/ Schröttle, Monika (Hrsg.): Gewalt – Beschreibungen, Analysen, Prävention, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006, S. 124 ff.

Kunz, Karl-Ludwig: Kriminologie. 3. Auflage, , , Wien 2001.

Müller, Ursula/ Schröttle, Monika: Gewalt gegen Frauen in Deutschland – Ausmaß. Ursachen und Folgen; in: Heitmeyer, Wilhelm/ Schröttle, Monika (Hrsg.): Gewalt – Beschreibungen, Analysen, Prävention, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006, S. 77 ff.

Roxin, Claus: Strafrecht – Allgemeiner Teil, Band I. 45. Auflage, München 2006.

Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts. 2. Auflage, München 2001.

Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht. Hrsg.: Bundesministerium des Inneren und Bundesministerium der Justiz, Berlin 2006 (http://www.bka.de/lageberichte/ps/index.html).

46 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Report über die Auswirkungen des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung Vergleich der Studien von 2001/2002 und 2005 Eltern-, Jugend- und Expertenbefragung - Zusammenfassung für die Homepage des BMJ1

Kai-D. Bussmann

1. Ziel der Studie

Zur Untersuchung der Rezeption und Auswirkungen des „Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung“ vom November 2000 wurden vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Bundesministeriums der Justiz umfassende Begleitforschungen in Auftrag gegeben. Die Befragungen von Eltern, Jugendlichen und Multiplikatoren erfolgten im Herbst 2001 und Frühjahr 2002 somit bereits 12 bzw. 18 Monate nach Einführung des Gewaltverbots. Sie konnten somit nur Aufschluss über einen Wissens-, Erfahrungs- und Meinungsstand zu diesem frühen Zeitpunkt geben. Über die nachfolgende Entwicklung und Rezeption fünf Jahre nach Einführung des Verbots sowohl in der Bevölkerung als auch innerhalb der Praxis von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen gab es bislang keine empirischen Untersuchungen. Aus diesem Grund wurden im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz erneut mittels einer repräsentativen und bundesweiten Zufallsauswahl folgende Gruppen zwischen Januar und Februar 2005 befragt:

- 1000 Eltern (mit Kindern unter 18 Jahren) - 1000 Jugendliche (12 bis 18 Jahre) sowie - 350 Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen.

Die Ergebnisse sind mit den Studien aus 2001/2002 sowie mit Untersuchungen aus den neunziger Jahren vergleichbar.

2. Kenntnis der Rechtsreform

2005 waren 94% der Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen über die Rechtsreform informiert. Der Kenntnisgrad verharrt somit hier auf einem hohen Niveau. Die Entwicklung der Rechtskenntnis zeigt bei allen Elterngruppen einen deutlichen positiven Trend. Im Durchschnitt stieg die Bekanntheit der Rechtsreform um über 10% auf etwa 40% an.

1 Die Forschung zu den „Auswirkungen des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung/ Eltern-, Jugend- und Expertenbefragung 2005 (Vergleich mit den Studien von 2001/2002)“ wurde vom Bundesministerium der Justiz beauftragt. Der Abdruck des Reports erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Bundesministeriums der Justiz. http://bussmann2.jura.uni-halle.de/FamG/Bussmann_OnlineReport.pdf 47 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Keine positive Entwicklung ist hingegen bei den Jugendlichen festzustellen. Zwar konnte die Quote der Reformkenntnis insgesamt mit 27,7% gehalten werden, aber gerade bei der besonders wichtigen Zielgruppe der Jugendlichen, die eine gewaltbelastete Erziehung erfahren, sank sie gegenüber 2001 um etwa 6% auf 24,9%.

3. Rechtsauslegung

Ein Indikator für eine zuverlässige Rechtskenntnis ist die Fähigkeit zwischen Recht und Unrecht entsprechend der Rechtslage unterscheiden zu können. Diese hat sich in allen Gruppen deutlich verbessert. Meinten im ersten Jahr der Reform noch fast 40% der Beratungs- und Hilfeeinrichtungen, dass eine „leichte Ohrfeige“ rechtlich zulässig sei, so sehen dies heute nur 11,2% so. Schwere Formen körperlicher Gewalt werden in den Einrichtungen von niemandem, mittelschwere Formen nur noch ausnahmsweise als erlaubt angesehen (ca. 1%), soweit sie vom geltenden Gewaltverbot Kenntnis hatten (94%).

Allerdings bestehen noch Unsicherheiten über die familienrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen. So meinen 27% der Einrichtungen irrtümlich, dass in Fällen von Gewalt in der Erziehung eine Pflicht zur Strafanzeige bestehe. Obgleich jeder eine Strafanzeige stellen kann, besteht keine Anzeigepflicht, weder für Amtsträger/Amtsträgerinnen in Jugendämtern und Ämtern für soziale Dienste noch für Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen in freien und kirchlichen Beratungs- oder Hilfeeinrichtungen.

48 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Eltern und Jugendliche halten ebenfalls immer seltener Gewalt in der Erziehung für erlaubt. 1996 waren Eltern entsprechend der damaligen Rechtslage zu über 80% von der Zulässigkeit leichter Körperstrafen wie Ohrfeigen überzeugt, jetzt sind es weniger als die Hälfte (47,9%). Insbesondere die Tracht Prügel und das Schlagen mit Gegenständen hält kaum noch jemand für rechtlich zulässig. Diese positive Entwicklung umfasst ebenso die Gruppe der gewaltbelasteten Eltern. Allerdings ist unter ihnen der Anteil derjenigen, die auch schwere Formen von Gewalt in der Erziehung für rechtlich zulässig erachten, deutlich höher.

49 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Dieser Wandel kann bereits auf das gesetzliche Gewaltverbot zurückgeführt werden. Ein Vergleich zwischen Eltern bzw. Jugendlichen, die über die Rechtsreform informiert waren (sog. Reformkenner) und denjenigen, die vom Verbot noch nicht gehört hatten (Nicht- Kenner), belegt, dass Eltern und Jugendliche ein signifikant strengeres Rechtsbewusstsein entwickelt haben, wenn sie vom neuen Gesetz Kenntnis hatten.

Am stärksten ist vor allem die bewusstseinsprägende Wirkung des neuen Rechts im Bereich der leichten Körperstrafen. Insbesondere die „normale“ Ohrfeige gilt heute unter Eltern und Jugendlichen, die vom Gewaltverbot gehört haben, überwiegend als unzulässig. Nur noch 37,2% dieser rechtlich informierten Eltern betrachten sie heute als mit dem Recht vereinbar, während es bei den Nicht-Kennern noch 54,6% sind. Nach fünf Jahren greift das Gewaltverbot zunehmend mehr.

4. Einstellungen zur gewaltfreien Erziehung

Die Kampagne zur Einführung eines Rechts auf gewaltfreie Erziehung fiel auf fruchtbaren Boden und hat Gewalt ablehnende Einstellungen gefördert. Dies zeigt der Längsschnittvergleich von 1996 bis heute. Das gesetzlich verankerte Leitbild der Reform erfährt mehr denn je Zustimmung in der Bevölkerung. Für über 90% der Eltern stellt eine gewaltfreie Erziehung heute ihr Ideal dar und 87,4% wollen, dass derartige Maßnahmen künftig zur Ausnahme werden sollen. Die Jugendlichen sind allerdings auch in dieser Studie angesichts ihrer zumeist gegenteiligen Erziehungserfahrungen realitätsnäher und weniger idealistisch als ihre Eltern.

50 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Das Antwortverhalten der Eltern kann deshalb durchaus auch auf soziale Erwünschtheitseffekte zurückgeführt werden. Dies heißt aber zugleich, dass das Ziel einer gewaltfreien Erziehung von Kindern mittlerweile in der Bevölkerung auf eine derart hohe Akzeptanz stößt, dass sie den Rang eines sozialen Wertes in unserer Gesellschaft erreicht hat. Eltern reflektieren offenkundig diesen Wertewandel bei bestimmten Fragen wesentlich stärker als ihre Kinder.

Dieser Wertewandel vollzieht sich auch in der Gruppe der Eltern, die noch durch einen gewaltbelasteten Erziehungsstil gekennzeichnet sind. Diese Elterngruppe teilt in bemerkenswerter Weise das erzieherische Leitbild des Gesetzes. Am deutlichsten wird diese Entwicklung daran sichtbar, dass nunmehr 76% dieser Eltern künftig auf körperliche Bestrafungen wie Ohrfeigen weitgehend verzichten wollen, während 2001 nur 67,1% diesen Wunsch äußerten (ohne Grafik).

Fragt man weiter nach der Begründung von Körperstrafen, so hat bei allen Eltern vor allem die Ansicht stark zugenommen, dass Schlagen eine Körperverletzung darstellt. Mittlerweile sind über drei Viertel der Eltern dieser Auffassung. Auch setzt sich bei Eltern zunehmend die Auffassung durch, dass sie mit Gewalt in der Erziehung ihren Kindern ein falsches Vorbild geben. 68% der Eltern sehen dies mittlerweile so. Über zwei Drittel der Eltern führen deshalb Körperstrafen heute auf situative Gründe zurück wie auf gelegentliche Hilflosigkeit und Stress im Erziehungsalltag. Weniger als 20% der heutigen Eltern rechtfertigen körperliche Bestrafungen noch mit erzieherischen Gründen.

51 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Unter gewaltbelasteten Eltern ist dieser Trend ebenfalls zu beobachten. Auch hier meinen zwei Drittel (64,8%), dass Eltern mehr mit ihren Kindern reden sollten als gleich eine lockere Hand zu haben. Seit der letzten Erhebung haben auch in dieser gewaltbelasteten Elterngruppe Gewalt rechtfertigende Auffassungen rapide an Bedeutung verloren, während Gewalt ablehnende Einstellungen zunehmend auf Zustimmung stoßen. Nur noch 35,5% der gewaltbelasteten Eltern halten beispielsweise „Ohrfeigen für den besten und schnellsten Weg“.

Die nachwachsende Generation spricht sich ebenfalls eindeutig gegen Gewalt als Erziehungsmittel aus. 91,3% der Jugendlichen meinen: „Eltern sollten mehr mit ihren Kindern reden, als gleich eine lockere Hand zu haben.“ Auch wächst seit der ersten Umfrage der Anteil an Jugendlichen, die körperliche Bestrafungen als Missachtung ihrer Persönlichkeit empfinden (54,2%, ohne Grafik). Sie wollen sich zunehmend als Subjekt respektiert sehen denn als bloßes Objekt der Erziehung.

5. Sensibilisierung gegenüber Gewalt in der Erziehung

Obwohl viele Eltern zwar Gewalt in der Erziehung ablehnen, ist sie aus dem Erziehungsalltag noch nicht verschwunden. Zum Teil kann man dieses Phänomen auf eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit, Stress und Überforderung im familialen Alltag zurückführen, aber auch darauf, dass im Erziehungsalltag gerade die „kleine Gewalt“ nicht als solche verstanden wird. Das neue Gesetz formuliert daher aus gutem Grund in § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, um für die verschiedenen Formen von Gewalt zu sensibilisieren. Erst im Zuge dieser Rechtsreform gleichen sich allmählich die Maßstäbe der Eltern für beide Bereiche – Schule und Familie – einander an. 65,5% der Eltern betrachten die drastische Erziehungsmaßnahme einer Tracht Prügel nunmehr als Gewalt. Insbesondere diejenigen Eltern, die über das neue Verbot informiert sind

52 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

(Reformkenner), verwenden einen wesentlich strengeren Gewaltbegriff. Über 70% der Eltern mit Rechtskenntnis definieren diese schwere Körperstrafe heute als Gewalt, während es 2001 nur bei 56% der Fall war. Die große Kluft, die zwischen der Bewertung häuslicher und außerfamilialer Gewaltformen lag (bspw. Ohrfeige durch einen Lehrer), verschwindet allmählich. Diese Wirkung ist auch bei den Jugendlichen festzustellen, wenn auch etwas schwächer ausgeprägt. Das Gesetz fördert somit nicht nur kritische Einstellungen zur Gewalt, sondern sensibilisiert Eltern obendrein für gewaltförmige Erziehungsmaßnahmen.

6. Thematisierung körperlicher Bestrafungen in der Familie

Eine nachhaltige Orientierungswirkung erreicht das gesetzliche Verbot vor allem dann, wenn es Gespräche über Erziehungsstile, insbesondere über Gewalt in der Erziehung, fördert. Zunächst gilt auch in 2005, wenn auch gegenüber 2001 etwas seltener, dass die jugendlichen Befragten wesentlich häufiger das Thema ansprechen als ihre Eltern. 67,2% der Jugendlichen sprechen mit ihren Eltern vor allem über erzieherisch vernünftige Grenzen körperlicher Bestrafungen. Insgesamt dominieren zwar erzieherische Aspekte, doch werden rechtliche Gesichtspunkte von fast einem Drittel der Befragten (29,8%) thematisiert.

53 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Des Weiteren ließ sich auch in dieser Studie nachweisen, dass die Kenntnis des neuen Rechts auf gewaltfreie Erziehung entsprechende Gespräche stimuliert. So zeigt sich im Vergleich zu 2001 erneut, dass diejenigen Eltern, die von dem Gewaltverbot wissen (Reformkenner), signifikant häufiger körperliche Bestrafungen in der Familie thematisieren. Aber vor allem bei den Jugendlichen ist dieser Effekt besonders ausgeprägt. 2005 thematisierten jugendliche Kenner des Gesetzes nicht nur häufiger allgemeine erzieherische Aspekte, sondern auch dreimal öfter als andere dieses rechtliche Verbot körperlicher Bestrafungen:

54 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

7. Chancen und Risiken von Thematisierungen

Mittlerweile sind zum Zeitpunkt der Erhebung fast fünf Jahre seit Einführung des Gesetzes vergangen. Eltern wie Jugendliche konnten inzwischen mehr Erfahrungen sammeln. Auskünfte über die Erfahrungen mit dem Gewaltverbot bekommen wir, wenn wir diejenigen getrennt analysieren, die von dem neuen Verbot Kenntnis hatten (sog. Kenner) und tatsächlich mehrmals die Gründe und Probleme körperlicher Bestrafungen zu Hause thematisierten.

Der Vergleich mit den übrigen Eltern ohne entsprechende Rechtskenntnis zeigt, dass heute vor allem seltener über schlechte Erfahrungen berichtet wird. Nur 4,7% der Eltern, die das neue Recht kennen, berichten über Streit in der Familie. In der Vergleichsgruppe, die keine entsprechende Rechtskenntnis besaß, waren es fast doppelt so viele Eltern (8,9%). Gegenüber der Umfrage in 2001 ist die Quote der schlechten Erfahrungen sogar deutlich gesunken. Auch fiel es ihnen weniger schwer, dieses Thema anzusprechen, wenn sie das Recht auf ihrer Seite wussten (2,7%).

Des Weiteren überwiegen die Vorteile weiterhin deutlich, wenn auch Eltern mit Rechtskenntnis derartige Gespräche heute etwas seltener positiv erlebten als noch 2001. So empfanden die rechtlich informierten Eltern Diskussionen dann häufiger als „entspannend für das Familienklima“ (2005: 44,2%) und als „hilfreich für die Erziehung“ (2005: 36,3%).

Auch aus Sicht der Jugendlichen überwogen ebenfalls die Vorteile derartiger Gespräche, aber sie hatten als schwächere Familienmitglieder – wie auch in der Umfrage in 2002 –

55 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention hiermit etwas häufiger Schwierigkeiten. So berichten 14%, dass hierdurch ein Streit ausgelöst wurde. Allerdings empfanden Jugendliche diese Gespräche häufiger als hilfreich für ihre Erziehung (40,4%), wenn sie über das neue Gesetz informiert waren.

Insgesamt gesehen können die Erfahrungen in den Familien mit dem Gewaltverbot überwiegend als gut bezeichnet werden. Die oft geäußerte Befürchtung, ein solches Gesetz würde in den Familien mehr Konflikte zur Folge haben, wenn jemand in Kenntnis hiervon Gewalt in der Erziehung thematisiert, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, im Einklang mit anderen rechtssoziologischen Forschungen entlastet eine Verrechtlichung auch die Konfliktbeteiligten, da Rechte und Pflichten zwischen den Konfliktparteien nicht von ihnen ausgehandelt werden müssen, sondern der Rahmen hierfür bereits feststeht.

8. Reaktionen auf Misshandlungen

Eine weitere Intention war, dass eine gesetzliche Verankerung eines absoluten Gewaltverbots sich nicht nur auf die Thematisierungsbereitschaft in Familien, sondern auch auf den Konfliktverlauf und die Interventionsbereitschaft auswirkt.

Die Studien belegen, dass Jugendliche wie auch Eltern, die von dem Gewaltverbot Kenntnis haben und einen konkreten Verdacht einer körperlichen Misshandlung hatten, deutlich stärkere Aktivitäten zeigen. In dieser Gruppe der Reformkenner würden nur 1% der Eltern den Verdacht ignorieren und sich diskret verhalten, gegenüber 15,6% Eltern in der Gruppe der Nicht-Kenner der Reform. Etwa doppelt so viele Eltern, die über die neue Rechtslage informiert sind, haben sich an das Jugendamt gewendet (26,7%) oder das Gespräch mit Nachbarn gesucht (27,8%). Auch haben sie sich häufiger an die betreffenden Eltern gewendet als wenn sie über die neue Rechtslage nicht informiert waren.

Ferner zeigt der Vergleich, dass das Verbotsgesetz nicht zu häufigeren Strafanzeigen führt. Nur 4,4% der Eltern, die das Verbotsgesetz kennen, haben sich an die Polizei gewendet. Im Vergleich zu 1996 erfolgten derartige Meldungen sogar deutlich seltener (1996: 11,7%). Die Ergebnisse dieser Dunkelfeldstudie sprechen somit eindeutig gegen die oft vorgetragene Vermutung, ein absolutes Verbot von Körperstrafen würde zu einer verstärkten Kriminalisierung schlagender Eltern führen. Es gibt bislang keine empirischen Belege für diese These.

56 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

9. Erfahrungen von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen

Diese Ergebnisse zur höheren Gesprächs- und Meldebereitschaft decken sich mit der Fallentwicklung in den Beratungs- und Hilfeeinrichtungen. Nach Einschätzung von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen haben sich ihre Fallzahlen sowohl hinsichtlich körperlicher Gewalt in der Erziehung als auch bezüglich sexuellen Missbrauchs erhöht, wobei zunehmend Konsens darüber besteht (insgesamt 83,5%), dass diese Erhöhung auch im Zusammenhang mit dem absoluten Gewaltverbot zu sehen sei. Über die Hälfte der Einrichtungen führt sogar ihren Fallzuwachs im Bereich sexuellen Missbrauchs auf das Gewaltverbot zurück.

Sieht man diese Entwicklung im Zusammenhang mit dem ausgebliebenen Anstieg von Strafanzeigen (siehe oben), so konnte die informelle Sozialkontrolle in diesem sozialen Problembereich ohne Ausdehnung der Kriminalisierung von Eltern sensibilisiert und zum Teil auch weiter professionalisiert werden. Zunehmend häufiger werden Beratungs- und Hilfeeinrichtungen, staatliche wie auch freie, in Fällen von Gewalt in der Erziehung aufgesucht und einbezogen.

57 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Darüber hinaus bewährt sich die rechtliche Regelung trotz anfänglicher Bedenken auch im Rahmen der praktischen Arbeit zunehmend. Zwar werden weiterhin in der Regel Eltern zum Verzicht von Gewalt in der Erziehung über die Darlegung alternativer Konfliktlösungen (fast 90%) und durch Aufklärung über die Schädlichkeit von Gewalt (62%) bewegt, aber fast 40% der Einrichtungen verweisen mittlerweile zusätzlich auf die neue Rechtslage (ohne Grafik).

Die Gründe hierfür sind vielfältig. So wird das gesetzliche Verbot bei Misshandlungsverdacht heute fast regelmäßig (80%) in der Praxis von den Einrichtungen angesprochen. Zur Orientierungshilfe für Eltern wird diese Norm in der Beratung bei fast 84% der Einrichtungen unterstützend einbezogen. Wenn Einrichtungen in der Beratung nicht weiterkommen, es an Einsicht bei Eltern fehlt oder Hilfsangebote nicht angenommen werden, dann verweisen mittlerweile ebenfalls über 60% regelmäßig auf die neue Rechtslage. Im Vergleich zur vorhergehenden Studie in 2001 ist dies ein rapider Bedeutungszuwachs, wie der folgenden Grafik entnommen werden kann.

58 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Die Erfahrungen mit dieser Praxis sind zudem gut. Unter anderem zeigte sich, dass die eigene Arbeit mit den Probanden erleichtert wird (68,0%) und der Verweis auf bestehende rechtliche Grenzen durchaus die Beratung zu entlasten vermag (52,7%). Ferner haben die Einrichtungen häufiger die Erfahrung gemacht, dass dann die Bereitschaft, Hilfsangebote anzunehmen, erheblich erhöht wird.

59 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Allerdings kann nach Einschätzung von fast einem Drittel der Einrichtungen ein Verweis auf das bestehende gesetzliche Gewaltverbot durchaus auch das Beratungsklima belasten. Außerdem erlebte etwa ein Viertel mehrmals eine Ablehnung weiterer Beratung, die auch auf das Thematisieren des rechtlichen Verbots zurückgeführt wurde.

10. Entwicklung von Gewalt in der Erziehung

Der positive Wandel in den Einstellungen zur Gewaltfreiheit hat sich im Erziehungsalltag bislang erst ansatzweise niedergeschlagen, da die bloße Kenntnis des Verbots noch keinen direkten Gewalt senkenden Effekt besitzt. Im Vergleich der Studien von 2001 und 2005 ließ sich lediglich ein leichter Rückgang der Gewalt in der Erziehung feststellen. Differenziert man zwischen den Altersgruppen, so wurden jüngere Jahrgänge weniger körperlich gezüchtigt, obwohl durch die Familiengewaltforschung belegt ist, dass mit zunehmendem Alter die Häufigkeit von Körperstrafen deutlich abnimmt. Die Ausübung familialer Gewalt in der Erziehung dürfte somit allmählich weiter absinken. Dies gilt grundsätzlich auch für psychische Gewaltformen; die jüngeren Jahrgänge berichten deutlich seltener über Formen des Liebesentzugs.

Wie in den vorherigen Studien wurden auch in dieser Studie Eltern und Jugendliche Sanktionsgruppen zugeordnet:

. Körperstrafenfreie Erziehung: Hier verzichten Eltern weitgehend auf Körperstrafen und setzen stattdessen zur Disziplinierung ihrer Kinder andere Sanktionen ein (Fernsehverbot, Kürzen des Taschengelds). Jugendliche berichten über keine körperlichen Bestrafungen. . Konventionelle Erziehung: Diese Eltern verwenden neben körperstrafenfreien Sanktionen häufiger leichte körperliche Strafen, sie verzichten aber weitgehend auf schwere Körperstrafen (Tracht Prügel, kräftig Po versohlen). Jugendliche berichten nur über die entsprechenden Sanktionen, aber über fast keine schweren Körperstrafen. . Gewaltbelastete Erziehung: Diese Gruppe weist bei allen Sanktionsarten eine überdurchschnittlich hohe Häufigkeit auf, insbesondere auch bei schweren Körperstrafen (Tracht Prügel, kräftig Po versohlen). Jugendliche berichten über schwere Körperstrafen.

Im Vergleich zwischen den Selbstreports von Eltern und Jugendlichen ergibt sich ein etwas widersprüchliches Bild. Nach den Angaben der Eltern ist die Gruppe der Gewaltbelasteten um ca. 5% geschrumpft, hingegen sprechen die Ergebnisse aus der Jugendstudie für eine leichte Zunahme um etwa 2%, siehe folgende Grafik:

60 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Bewertet man die Ergebnisse allerdings im Kontext mit den zunehmend gewaltkritischeren Einstellungen der Jugendlichen, so spricht sehr viel dafür, dass der leichte Anstieg auch auf eine wachsende Sensibilisierung der nachwachsenden Generation zurückzuführen ist.

Ein zusätzlicher Blick auf die gewaltbelastete Elterngruppe zeigt indes, dass der Gebrauch körperlicher Gewalt hier nicht weiter abgesunken ist, sondern auf relativ hohem Niveau verharrt. Auffällig ist zudem, dass offenkundig psychische Sanktionen wie „Niederbrüllen“, aber auch andere Sanktionen ansteigen. Psychische Sanktionen scheinen in den letzten Jahren gerade in dieser gewaltbelasteten Gruppe zugenommen zu haben. Dies kann in dieser Elterngruppe auf eine wachsende Stressbelastung zurückzuführen sein, aber auch auf ihre erhöhte Sensibilisierung für eine gewaltfreie Erziehung.

61 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

11. Entwicklung der Misshandlungsquote

Nach den Angaben von Eltern schätzen wir die Größe der gewaltbelasteten Gruppe für 2005 auf 12,5% und nach den Berichten der Jugendlichen auf 21,3%. Bei den Angaben der Eltern ist indes ihre besondere Befangenheit zu berücksichtigen. Aus diesem Grund wurden in einer weiteren Frage Eltern und Jugendliche danach gefragt, ob sie schon einmal einen Verdacht auf eine körperliche Misshandlung in ihrem sozialen Umfeld hatten. Nach den Angaben von Eltern dürfte die Quote mindestens 18% und nach den Berichten der Jugendlichen etwa 26% betragen. Eine exaktere Schätzung ist aufgrund der begrifflichen Unschärfen des Misshandlungsbegriffs und der zunehmenden Sensibilität in der Bevölkerung nicht möglich.

Diese Ergebnisse bedeuten, dass von den derzeit in Deutschland 12,2 Millionen lebenden Kindern und Jugendlichen (unter 18 Jahre) 2 bis 3 Millionen mindestens einmal in ihrem Leben Formen von Misshandlungen durch ihre Eltern erfahren haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Kinder und Jugendliche an derartige im Alter bis zu 3 Jahren erlittene Übergriffe nicht erinnern können und Misshandlungen nach anderen Untersuchungen in diesem frühen Alter häufiger sind. Die Misshandlungsquote dürfte somit noch unterschätzt sein.

62 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

12. Fazit

Der Bekanntheitsgrad der Reform konnte nur bei den Eltern ausgebaut werden. Vor allem bedarf es noch intensiverer Aufklärungsmaßnahmen an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, um seine Bekanntheit insbesondere unter Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu erhöhen. Die Verbreitung von Gewalt in der Erziehung nimmt zwar weiterhin allmählich ab, aber die Zahl gewaltbelasteter Familien und insbesondere misshandelter Kinder und Jugendlicher ist nahezu unverändert. Gleichwohl zeigen die Ergebnisse der Begleitforschung, wie das neue Recht auf gewaltfreie Erziehung begonnen hat, seine Funktion als Leitbild und Orientierungshilfe auf verschiedenen Ebenen zu übernehmen – in den Familien wie auch in der Beratung vieler Einrichtungen. Gewalt in der Erziehung kann heute als weitgehend geächtet gelten. Dieses Ziel des Gesetzes zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung wurde erreicht. Sein Leitbild ist so populär wie nie zuvor. Auch führte das Verbot zu keiner Ausweitung der Kriminalisierung von Eltern, obwohl durch seine Einführung häufiger auf Fälle von Misshandlung in der näheren sozialen Umwelt reagiert und immer weniger weggeschaut wird. Eine Erziehung ohne Gewalt hat in allen sozialen Gruppen den Rang eines hohen sozialen Wertes erhalten. Aus diesem Grund dürfte vor allem die kommende Elterngeneration auf Gewalt in der Erziehung weitgehend verzichten. Denn das Gewaltverbot wirkt sich direkt auf die Kommunikation in Familien, ihre Sensibilität und ihre Einstellungen zur Gewaltfreiheit sowie auf ihr Rechtsbewusstsein und somit mittelfristig auf den Erziehungsstil aus. Bilanziert man zudem die Erfahrungen von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen in ihrer Praxis fünf Jahre nach Einführung des absoluten Gewaltverbots, so überwiegen eindeutig die Vorteile, Eltern auch auf die geltenden gesetzlichen Grenzen ihrer elterlichen Erziehungsfreiräume hinzuweisen. Aus diesem Grund wurde das Gesetz von der beratenden und therapeutischen Praxis nicht nur angenommen, sondern auch mit Leben erfüllt.

63 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

64

Teil 2:

Praxisbeispiele

65 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

66 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

„Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“: Ein Ausstellungsprojekt des Landeskriminalamtes Niedersachsen - Idee und Erfahrungen -

Susanne Paul

Hintergründe und konzeptionelle Überlegungen

Gewalt in Beziehungen ist trotz zahlreicher Versuche der Enttabuisierung immer noch ein gesellschaftliches Problem, das durch Mythen und Vorurteile belastet ist und häufig eine stark polarisierende Berichterstattung in den Medien erfährt. Gewaltgeprägte Paarbeziehungen sind häufig gekennzeichnet durch die Ausübung von Kontrolle, psychischer, körperlicher, sexueller und wirtschaftlicher Gewalt in der Dynamik eines eindeutigen Machtgefälles. Dabei sind vor dem Hintergrund traditioneller Geschlechterrollen und unterschiedlicher körperlicher Kräfteverhältnisse in der Regel Frauen in so verfestigten Opferrollen gefangen, dass es zumeist einer Intervention von außen bedarf, damit die Gewaltspirale durchbrochen werden kann. Viele Opfer wagen den Schritt, sich an Hilfeeinrichtungen zu wenden, aufgrund der hohen Schambelastung ihrer Situation nicht. Und häufig wissen sie auch nicht, dass sie eine Vielzahl von Möglichkeiten zu ihrem Schutz und dem ihrer Kinder sowie zum Aufbau eines „neuen“, gewaltfreien Lebens in Anspruch nehmen können. Eine gute Intervention kann auch präventiv wirken, indem sich Gewalt und andere problematische Verhaltensweisen nicht mehr, abgeschwächt oder nicht so lange fortsetzen. Allerdings bedarf es zusätzlich eines eigenständigen ursachenorientierten Präventionsansatzes, damit in Zukunft weniger Menschen unter häuslicher Gewalt leiden.

Hierzu müssen nun die Kinder misshandelter Mütter stärker als bisher in den Fokus der Betrachtung genommen werden. Denn von den Frauen, die 2003 in Niedersachsen wegen häuslicher Gewalt Unterstützung bei einer Gewaltberatungsstelle suchten, hatten fast zwei Drittel Kinder.1 Der Kriminologe Wetzels untersuchte 1997 retrospektiv die Gewaltbelastung in Kindheit und Jugend. Dabei gab ca. ein Fünftel aller befragten Erwachsenen an, miterlebt zu haben, wie es zwischen den Eltern zu Gewalt kam. Kinder und Jugendliche, bei denen zu Hause Gewalt zwischen ihren Bezugspersonen stattfindet, haben ein deutlich höheres Risiko als andere Minderjährige, selbst Opfer von körperlicher und/ oder sexueller Gewalt zu werden. Sie sind zusätzlich mehr als andere gefährdet,

1 Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit (2004): Mit BISS gegen häusliche Gewalt, S. 72. 67 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention selbst Täter oder Opfer zu werden, auch in ihren späteren Paarbeziehungen.2 Sie brauchen deshalb eine eigene professionelle Unterstützung durch Jugendämter und Jugendhilfeeinrichtungen, um die zwischen den Eltern erlebte Gewalt zu verarbeiten und um einen Ausgleich zu den Erziehungs- und Fürsorgedefiziten zu erhalten, die üblicherweise in gewaltgeprägten Familien auftreten. Dies gilt natürlich in besonderem Maße, wenn die Kinder zusätzlich auch selbst körperliche und/oder sexuelle Gewalt erleiden.

Wichtig im Sinne der ursachenorientierten Prävention sind aber insbesondere gezielte geschlechtsspezifische Unterstützungsangebote, um den Ausstieg aus gelernten Täter- und Opferrollen schaffen zu können, herrschende Rollenbilder zu verarbeiten und alternative Männlichkeits- und Weiblichkeitsmodelle zu entwickeln. Bei dem hohen Verbreitungsgrad häuslicher Gewalt muss davon ausgegangen werden, dass viele betroffene Familien nicht durch Interventionsnetzwerke erreicht werden. Hier kommt der personenunspezifischen Präventionsarbeit große Bedeutung zu, die natürlich auch denen zu Gute kommen kann, deren Probleme und Belastungen nichts mit häuslicher Gewalt zu tun haben.

Die vom Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) entwickelte Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ unterstützt den Aktionsplan des Landes Niedersachsen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich und wird kostenlos an interdisziplinäre Netzwerke verliehen, die gegen häusliche Gewalt intervenieren. Die Polizei ist ein wesentlicher Netzwerkpartner im Rahmen des Aktionsplans, sowohl in repressiver wie auch in präventiver Hinsicht. Vom präventiven Standpunkt gesehen hat die Polizei ein hohes Interesse daran, dass im familiären Umfeld gelebte Opfer- und Täterrollen nicht an die Kinder dieser Familien „sozial weitervererbt“ werden.

Genau hier setzt die Ausstellung ihren Schwerpunkt. Zunächst einmal werden jugendliche und erwachsene Besucher/-innen über Gewalt im sozialen Nahraum informiert. Die Zielgruppe der Jugendlichen kann u.a. gut über weiterführende Schulen angesprochen werden. Hier findet man in einer Klasse in der Regel Mädchen oder Jungen, die erste eigene Erfahrungen mit Paarbeziehungen machen, wie auch Kinder misshandelter Mütter oder deren Freundinnen und Freunde. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass sie als Unterstützung für Schulklassenführungen und -diskussionen durch die Fachleute des ausleihenden Netzwerkes genutzt werden kann. Idealerweise können die örtlichen Fachleute aus Jugendhilfe, Beratungsstellen, Polizei und anderen Netzwerkbeteiligten im Team Konzepte ausarbeiten, wie sie mit eigenen Methoden und anderen Ressourcen die Jugendlichen so ansprechen, dass vor Ort nachhaltig etwas gegen Gewalt in Paarbeziehungen von Jugendlichen in Bewegung kommt.

2 Wetzels. P., 1997: Gewalterfahrung in der Kindheit – Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung und deren langfristige Konsequenzen, S. 96, 184-185, sowie Pfeiffer, C./ Wetzels, P./ Enzmann, D., 1999: Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und ihre Auswirkungen, S. 21-22; vgl. auch die zusammenfassende Darstellung des Forschungsstandes bei Kury in diesem Band, S. 21ff. 68 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Der Ausstellung kommt dann die Rolle einer Initialzündung zu. Sie thematisiert dazu nicht nur Ausmaß und Folgen häuslicher Gewalt, insbesondere für Kinder misshandelter Mütter, sondern wendet sich mit Informationen über Unterstützungsangebote und Hilfsadressen auch an die Freundinnen und Freunde betroffener Jugendlicher. Denn es ist bekannt, dass sich von familiärer Gewalt betroffene Kinder und insbesondere Jugendliche als erste Ansprechpartner in der Regel Gleichaltrige suchen. Ein wichtiger Ausstellungsteil ist den Paarbeziehungen Jugendlicher gewidmet und ermöglicht einen Kurz-Check, ob die eigene Beziehung in Ordnung oder eher problematisch sein könnte. Dies kann jedoch nur ein Einstieg in die bekannten Problematiken und mögliche Lösungswege sein, der von den Fachleuten der ausleihenden Netzwerke unter Einbeziehung der Lehrkräfte vertieft werden sollte.

1. Ziele des Ausstellungsprojektes

. Enttabuisierung des Phänomens „Gewalt in Paarbeziehungen“ . Sensibilisierung für die Thematik, insbesondere auch für die Problematik „Kinder misshandelter Mütter“ . frühzeitige Aufklärung (Primärprävention) potenzieller Opfer, Täter und Helfer, insbesondere an weiterführenden Schulen und Berufsschulen . Förderung der Zivilcourage . Information der Opfer, insbesondere über Schutz- und Hilfemöglichkeiten . Information über Hilfsangebote für Kinder misshandelter Mütter . Thematisierung der Paarbeziehungen Jugendlicher zu Präventionszwecken

2. Zielgruppen

. Gesellschaftliche Öffentlichkeit / Medien . Jugendliche und Erwachsene . Netzwerke gegen Häusliche Gewalt . Kommunen, Verbände, Einrichtungen, Vereine, Initiativen, . Jugendamtsmitarbeiter/-innen, Gewaltberatungsstellen, Lehrkräfte, Rechtsanwälte/- innen, Richter/-innen, Staatsanwälte/-innen, Ärzte/-innen, Therapeuten/-innen, Polizei

3. Einsatzmöglichkeiten der Ausstellung

Die Ausstellung wird vom niedersächsischen LKA kostenfrei an örtliche Netzwerke gegen häusliche Gewalt ausgeliehen. Ein Nutzungsvertrag wird geschlossen, der u.a. Haftungsfragen beinhaltet. Empfohlen wird die Nutzung eines zentralen öffentlichen Gebäudes, z. B. des örtlichen Rathauses, um die Ausstellung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen zu können.

Um die Schwerpunktzielgruppe der Jugendlichen ansprechen zu können, sollen Schulen eingebunden und Vorbesprechungen mit interessierten Lehrkräften durchgeführt werden. Mitarbeiter/innen von örtlichen Gewaltberatungsstellen und der Jugendhilfe gewährleisten in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei Ausstellungsführungen für Jugendliche und machen sich dabei als örtliche Ansprechpartner persönlich bekannt. So kann die Hemmschwelle zur Inanspruchnahme von Unterstützung gesenkt und auch Zivilcourage

69 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention im Sinne von Hinschauen und Hilfe gefördert werden. Gleichzeitig ist in diesen Fachteams so viel interdisziplinäres Wissen und Erfahrungen vorhanden, dass Schulen professionell geholfen werden kann, den Ausstellungsbesuch sinnvoll vor- und nachzubereiten. So kann eine nachhaltige Wirkung der informativen und emotional ansprechenden Ausstellung wesentlich erhöht werden.

Unterstützend werden vom Landeskriminalamt Niedersachsen ein ausführliches Begleitheft mit den Abbildungen der Ausstellungstafeln, Erläuterungstexten und Hinweisen auf weiterführende Materialien herausgegeben.

Ausstellungsinhalte im Detail

Der Informationsteil der Ausstellung beinhaltet grundsätzliche Informationen zu häuslicher Gewalt. Dazu zählen Daten aus repräsentativen Studien zu Häufigkeit, Arten, Formen und Auswirkungen der Gewalt. Zudem wird die so genannte „Gewaltspirale“ erläutert, in der besonders deutlich zum Ausdruck kommt, warum die zumeist weiblichen Opfer in einer gewaltgeprägten Beziehung so große Schwierigkeiten haben, „den Absprung“ zu schaffen. Durch diesen Teil ist es zum einen möglich, betroffenen Frauen aufzuzeigen, dass sie kein Einzelfall sind und sich nicht schämen müssen, wenn sie bisher keine oder nur halbherzige Versuche unternommen haben, der gewalttätigen Beziehung zu entkommen. Zum anderen fördert dieser Teil Verständnis für das von Außenstehenden oft als inkonsequent und paradox empfundene Verhalten der von Gewalt betroffenen Frauen.

Informationen zu speziellen Teilproblematiken häuslicher Gewalt werden als PowerPointPräsentation auf einer Projektionswand dargestellt. Hier werden Einblicke in die Situation spezieller Opfergruppen (Migrantinnen, Stalking-Opfer, Behinderte, Senioren und Seniorinnen) vermittelt. Die Projektionswand soll auch für eigene PowerPointPräsentationen des ausleihenden Netzwerkes genutzt werden.

Einen besonders emotional ansprechenden Bereich des Informationsteils der Ausstellung bieten die in einer Fotoserie dargestellten Bilder häuslicher Gewalt. Deren Wirkung wird durch die akustische Einspielung von Erfahrungsberichten betroffener Frauen unterstrichen.3

Im Interventionsteil der Ausstellung werden die Besucher/innen über die Arbeit der Netzwerkpartnerinnen und -partner am Beispiel des niedersächsischen Aktionsplanes zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich informiert. Zudem können hier Informationsbroschüren für betroffene Frauen und Kinder misshandelter Mütter in Prospekthaltern ausgelegt werden.

3 Die Nutzungsrechte dieser Fotoserie liegen bei der gemeinnützigen Schlichtungsstelle WAAGE Hannover e.V. Der Verein stellte dem Landeskriminalamt Niedersachsen ausgewählte Fotografien für die Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ zur Verfügung. 70 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Im Präventionsteil werden insbesondere Jugendliche und Heranwachsende angesprochen. Viele Jugendliche erleben in ihrer Herkunftsfamilie sowohl Gewalt zwischen den Eltern als auch unmittelbar körperliche und / oder psychische Gewalt. Ausmaß und Folgen für die Kinder misshandelter Mütter werden auf Informationstafeln und in Originalaussagen auf bedruckter Kinderkleidung gezeigt, die auf einer Wäschespinne aufgehängt ist. Die Hilfsmöglichkeiten für betroffene Minderjährige werden dargestellt, örtliche Angebote können ausgelegt und ein Internetberatungsangebot für Kinder und Jugendliche sowie die „Nummer gegen Kummer“ können auf jugendtypischen „Freundschaftsarmbändern“ mitgenommen werden.

Die übrigen Präventionstafeln thematisieren Paarbeziehungen unter Jugendlichen. Hier soll unter Einbeziehung geschlechtstypischer Besonderheiten der Blick dafür geschärft werden, woran die Jugendlichen merken können, ob sie sich in einer „ungesunden“ Beziehung befinden oder ob ihre Beziehung in Ordnung ist. Wenn die jugendlichen Ausstellungsbesucherinnen und -besucher dann bemerken, dass ihre eigene Paarbeziehung eher von Respektlosigkeit und Dominanzverhalten geprägt ist, sollten sie von den Fachkräften, die die Ausstellung begleiten, natürlich nicht mit diesen Erkenntnissen allein gelassen werden. Hier bieten sich gute Anknüpfungsmöglichkeiten für eigene Aktivitäten der Institutionen vor Ort.

Wenn im Rahmen jugendlicher Paarbeziehungen auch Sexualität, sexuelle Übergriffe und Gewalt thematisiert werden müssen, gibt es erfahrungsgemäß nicht nur bei Lehrkräften wenig fertige Konzepte und viele Unsicherheiten. Hier kann u.a. der Hinweis einer Informationstafel der Ausstellung auf die interaktive Website www.niceguysengine.de genutzt werden.4 Hier geht es um sexuelle Übergriffe und Gewalt im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Dieser Teilproblematik kommt hohe Bedeutung zu. Nach einer Untersuchung von Krahe/Scheinberger-Olwig zu sexueller Aggressivität zwischen Jugendlichen wurde jede 4. junge Frau zwischen 16 und 20 Jahren bei ersten Verabredungen mit einem Jungen durch diesen mit körperlicher Gewalt zu sexuellen Handlungen gezwungen. Die Täter handeln oft vor dem Hintergrund des Gruppendrucks ihrer Peergroup, die von ihnen ein Machoverhalten fordert, dass sich u.a. auch in sexualisiertem Gewaltverhalten gegenüber Mädchen äußert. Diese und andere wichtige Ansatzmöglichkeiten für ursachenorientierte Prävention sind im Begleitheft zur Ausstellung dargelegt und können von den Akteuren des ausleihenden Netzwerkes gemeinsam mit Lehrkräften genutzt werden.

Wirkungsüberprüfung / Erfahrungen

Eine wissenschaftlichen Anforderungen genügende Evaluation ist in Planung. Voraussichtlich werden Studentinnen der Universität Hildesheim, Fachbereich

4 Dahinter verbirgt sich ein eigenständiges Präventionskonzept für Lehrkräfte und ihre Klassen in weiterführenden Schulen, erstellt von Cristina Perincioli in Zusammenarbeit mit Dr. Anita Heiliger - vergl. S. 95ff. 71 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Pädagogische Psychologie, ein Evaluationsdesign erstellen und im Rahmen eines Projektpraktikums und einer Masterarbeit durchführen.

Unabhängig davon wird schon seit Herbst 2006 den ausleihenden Netzwerken und den Lehrkräften der durch die Ausstellung geführten Schulklassen ein Fragebogen zugestellt, in dem sie die Akzeptanz und Wirkung der Ausstellung und die Möglichkeiten, die Ausstellung in umfassendere Aktionen und Projekte einzubinden, einschätzen sowie Mängel und Verbesserungsvorschläge darstellen können. Dazu gibt es bisher Rückmeldungen von insgesamt acht Standorten in Niedersachsen, die in ihrer Stadt oder Kommune jeweils ca. zwei bis drei Wochen mit der Ausstellung gearbeitet haben. Insgesamt fiel bei der Auswertung der Rückmeldebögen und einiger persönlicher Gespräche Folgendes auf:

. Um die Schulklassenführungen realisieren zu können, scheinen gute persönliche Kontakte der Netzwerkbeteiligten zu den örtlichen Schulen noch wichtiger zu sein als eine gelungene Medienberichterstattung. Hier kann zumeist der Netzwerkpartner „Polizei“ hilfreich unterstützen, da die Beauftragen für Jugendsachen und die polizeilichen Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen der Schulen in der Regel gute Beziehungen zu Schulen aufgebaut haben. Auch vielfältig vernetzte Präventionsräte wurden als sehr unterstützend erlebt. . Bisher erfolgt die Vorbereitung in den Schulen mehrheitlich durch Gespräche mit den Akteuren des örtlichen Netzwerkes und durch Nutzung des Begleitheftes im Unterricht. . Nachbereitungen beschränken sich ganz überwiegend auf Diskussionen, es gibt aber auch sehr kreative Ideen, wie Plakatgestaltungen, Rollenspiele, Workshops und Verfassen von Zeitungsartikeln. Auch die Beteiligten der Netzwerke haben zum Teil sehr kreative Ergänzungen entwickelt, die seitens des Landeskriminalamtes Niedersachsens aufgenommen und in dem Material, das ausleihende Netzwerke vorab erhalten, erwähnt oder damit zur Verfügung gestellt werden. So wurde inzwischen an mehreren Standorten direkt während des Ausstellungsbesuches das Kennenlernen der Lernplattfom www.niceguysengine.de am PC ermöglicht. . Die Erfahrung zeigte, dass Jugendliche sehr interessiert waren und sich in der Gruppe mit viel Spaß den Themen „Wann ist der Mann ein Mann?“ und „Wie wünschen sich Mädchen ihren Traummann?“ angenähert haben. Durch Einzelkontakte am Rande entstand der Eindruck, dass einige Jugendliche Lust hatten, sich auch allein mit der Website zu beschäftigen. Wie viele diese Möglichkeit später für sich genutzt haben, ist bisher nicht bekannt. Leider war den bisherigen Rückmeldungen der Lehrkräfte auch nicht zu entnehmen, ob sie die Website später noch einmal mit ihrer Klasse besucht haben. . Weiterhin gibt es inzwischen ein Konzept für eine Rallye, die die Ausstellung in verschiedene Stationen aufteilt, die von den Jugendlichen erkundet werden müssen.5 . Ein Netzwerk hat für sich das Fazit gezogen, dass Diskussionen mit den Jugendlichen besser sind als im Rahmen einer Führung vorgestellte Lösungen und dass auf jeden Fall ausreichend Zeit zur Verfügung stehen muss, damit Beratungsstellen,

5 Detaillierte Informationen in den Erfahrungsberichten ab S. 75ff. 72 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Jugendhilfeeinrichtungen und Polizei sich mit ihrer Arbeit auch so vorstellen können, um sie als mögliche Ansprechpartner für Jugendliche ausreichend erkennbar werden zu lassen. . Einige Netzwerke berichten, dass sich manchmal während der Führungen Jugendliche als Kinder misshandelter Mütter „outen“ oder dass durch ihre Nachfragen und Detailkenntnisse deutlich wird, dass sie von der Problematik unmittelbar betroffen sind. Hier konnte oft direkt der Weg zur Inanspruchnahme professioneller Unterstützung geebnet werden.

Erfreulicherweise wurde die Ausstellung seit Beginn von den Netzwerken gegen häusliche Gewalt sehr stark nachgefragt. Viele mussten sich leider um Monate gedulden, um ein freies Zeitfenster buchen zu können. Dies hat andererseits auch die Möglichkeit geschaffen, mit einem langen Vorlauf intensiv den effektiven Einsatz der Ausstellung zu planen und umzusetzen. Es gibt auch Netzwerke, die inzwischen ein zweites Mal gebucht haben, um ihre erfolgreiche Arbeit fortzusetzen und noch effektiver zu gestalten.6

ERFAHRUNGSBERICHTE UND MATERIALIEN I

„Gegen meinen Willen…“ – Struktur und Impulse für eine Führung durch die Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“

Eleonore Tatge / Ursula Kretschmer

Der Erarbeitung unseres Konzepts zur Führung durch die Ausstellung des LKA gingen zwei Überlegungen voraus: Erstens: „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ ist ein Ausstellungsthema, das gemischte Gefühle auslöst. Und zweitens: Ausstellungen wahrzunehmen und ihre Inhalte zu entdecken, ist nicht unbedingt und für jede(n) selbstverständlich und einfach, sondern für viele Menschen durchaus eine Herausforderung. Denn Bilder sprechen auf andere Weise an als Texte, die große Vielfalt der Informationen sind oftmals schwer zu erschließen und aufzunehmen. Deshalb wollte der „Runde Tisch gegen Männergewalt in der Familie“ Führungen durch die Ausstellung entwickeln, mit denen die Besucherinnen und Besucher so angesprochen werden, dass sie

. sehr persönlich und bezogen auf ihre individuellen Alltagserfahrungen auf den Ausstellungsbesuch eingestimmt werden, . in der Ausstellung wesentliche Sachinformationen aufnehmen und ihr aktives Wissen erweitern und . Impulse und Informationen für ihre persönlichen Handlungsmöglichkeiten erhalten.

6 Weitere Informationen zur Ausstellung sind unter www.lka.niedersachsen.de/Prävention zu finden. 73 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

In den Vorüberlegungen des Runden Tisches zur Ausstellung wurde zunächst geklärt, was mit Hilfe der Ausstellung in unserer Region vermittelt werden sollte. Welche Impulse wollen wir setzen, welche Inhalte sind den Initiatoren der Ausstellung besonders wichtig, welche Sachinformationen sollen von den Besuchenden unbedingt wahrgenommen werden, wie können wir nachhaltig eine konstruktive regionale Auseinandersetzung mit dem Thema erreichen? Darüber hinaus war es wesentlich, dass diejenigen, die ehrenamtlich Führungen durch die Ausstellungen machen, nach einer gemeinsam abgestimmten, einheitlichen Struktur vorgehen. Diese Vorgehensweise bildete für uns gleichzeitig die Grundlage für die Auswertung der Ausstellungsführungen.

Zielgruppe für den Ausstellungsbesuch und die Führung waren alle interessierten Menschen der Region, insbesondere aber Schulklassen mit älteren Kindern und Jugendlichen. Das methodische Vorgehen der Ausstellungserkundung wurde so angelegt, dass alle Besucherinnen und Besucher gleichermaßen motiviert und aktiviert werden konnten. Somit erübrigte sich eine bezugsgruppenbezogene Differenzierung für die Ausstellungsführungen.

Konzeption für die Erkundung der Ausstellung

„Das habe ich gehört…“ und „Das habe ich gesehen…“ – diese beiden Sätze waren die Einstiegsimpulse vor der Führung. Die Ausstellungsbesucher/innen konnten auf Postkarten eigene Erinnerungen und Erfahrungen zum Thema festhalten. Vorhandenes Wissen zum Thema Gewalt wurde rekonstruiert, indem Formen von Gewalt oder konkrete Erlebnisse benannt wurden. Viele Teilnehmer/innen schilderten eigene Erfahrungen und stimmten sich gezielt und persönlich auf die Ausstellungsinhalte ein.

Der daran anschließende Ausstellungsbesuch wurde für Jugendliche in Form einer Rallye gestaltet. Die Schulklassen wurden jeweils in drei Gruppen eingeteilt, die unterschiedliche Aufgaben lösen sollten. In diesen drei Gruppen hatten alle Jugendlichen die Möglichkeit, die Schautafeln zielgerichtet (im Hinblick auf die gestellten Rechercheaufgaben) wahrzunehmen und sich mit bestimmten Texten genauer zu befassen. Die Teilnehmer/innen der Rallye sollten suchen und finden, untereinander kommunizieren und sich gegenseitig Hinweise auf interessante Aspekte der Ausstellung geben - das alles waren Gelegenheiten zur themenbezogenen Auseinander- setzung. Im Verlauf dieses Erkundungsprozesses konnten die Mädchen und Jungen ihr eigenes Wissen erweitern – außerdem sollten natürlich die Erfahrungen mit der Aufgabenstellung dokumentiert werden. Diese Ergebnisse der Erkundung bildeten dann wiederum den Impuls für einen abschließenden Austausch in der Gesamtgruppe.

Inhalte der Arbeitsgruppen waren:

 Formen der Gewalt und unterschiedliche Gewaltsituationen in der Ausstellung sammeln: Was ist Gewalt? Welche Formen gibt es? Diese Gruppe ergänzte die eingangs festgehaltenen, individuellen Begriffe und Erfahrungen der Teilnehmenden um neue, sachlich fundierte Aspekte.  Positiv besetzte Stichworte in der Ausstellung sammeln: Dabei ging es um Stichworte, die persönliche Verhaltensmodifikationen, Unterstützung, Hilfe, Gegenwehr, Courage u. ä. beleuchten und über die im Anschluss diskutiert werden konnte. Hier sei das Stichwort Verantwortungsübernahme genannt.

74 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 Sätze bilden, die Handlungsmöglichkeiten bei Gewalterfahrungen aufzeigen. Hier wurde vor allem der regionale Bezug herausgestellt: Es sollten Beratungsstellen, Einrichtungen und Institutionen gefunden und benannt werden, die Unterstützung und Hilfe anbieten.

In der Gesamtgruppe wurden zum Abschluss die Erfahrungen und das Wahrgenommene transparent dargestellt.

Aufgabenzettel A

Gewalt begegnet uns in vielfältiger Weise. Bitte gehen Sie aufmerksam durch die Ausstellung und suchen Sie 8 weitere Begriffe, die Formen und Situationen von Gewalt kennzeichnen. Bitte notieren Sie die gefundenen Begriffe auf diesem Blatt.

Gefundene Begriffe, die Formen und Situationen von Gewalt kennzeichnen:

1. … 2. … 3. … 4. …

5. … 6. … 7. … 8. …

Bei der Auswertung zu den Aussagen „Das habe ich gehört…“ und „Das habe ich gesehen…“ ist den Mitgliedern des Runden Tisches sehr deutlich geworden, dass die Zahlen der von Gewalt in Teenagerbeziehungen betroffenen Mädchen und Jungen sowie die Zahl der von Gewalt in Familien betroffenen Kindern und Jugendlichen in Lüneburg mit den wissenschaftlich erhobenen Zahlen übereinstimmen. Es hat sich deshalb aus unserer Sicht als sinnvoll erwiesen, diese Zahlen bezogen auf die Region zusammenzustellen und in einschlägigen Fachgremien, z. B. auf Sozialraumkonferenzen, vorzustellen, um auch außerhalb der Ausstellung erwachsene Multiplikatorinnen und Multiplikatoren mit diesen Informationen einen Überblick über die konkreten Probleme vor Ort zu vermitteln und zu einer entsprechenden Auseinandersetzung zu motivieren.

Erfahrungen im Rückblick

Als wesentliche Erfahrung beschreiben hier stellvertretend für viele Mitwirkende drei Mitarbeiterinnen ihre Erinnerung an die Führungen:

„Während der Planungsphase am Runden Tisch zur Ausstellung zeichnete sich eine Herausforderung ab. Die grafische Gestaltung einzelner Schautafeln zum Thema Gewalt, insbesondere die hohe Textlastigkeit, forderte ein methodisches Vorgehen, das die Besucher zur Auseinandersetzung mit den Inhalten anregt. Denn was nützt der beste Inhalt, wenn die Verpackung nicht zum Verweilen bewegt? Die Rallye und die damit verbundenen konkreten Aufgabenstellungen halfen den Schülern/innen, den Lehrpfad anzunehmen. Sie waren motiviert, die Texte zu lesen. Zudem fühlte sich der auditive, visuelle und kommunikative Lerntyp gleichermaßen angesprochen. Die Schüler/innen diskutierten lebhaft in der Schlussphase der Führungen ihre Eindrücke, die sie während der Rallye gesammelt haben. Die Ausstellung hatte bei den Besuchern Erfahrungen ins Bewusstsein gerufen, die in einem anderen Kontext, allen voran

75 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention der Schule, aufgegriffen und eingehender behandelt werden konnten“ (Nadine Münchow, Erziehungswissenschaftlerin).

„Die Führungen mit verschiedenen Schulklassen der unterschiedlichsten Schulformen habe ich als positive Erfahrung in Erinnerung. Die Schülerinnen und Schüler waren an den verschiedenen Sachgebieten interessiert und konnten sich problemlos auf die von uns gestellten Aufgaben einlassen. Als besonders imposant habe ich die anschließenden Diskussionen innerhalb des jeweiligen Klassen-/ Gruppenverbandes in Erinnerung. Es stellte sich heraus, dass das Thema Gewalt bei den Jugendlichen mehr als präsent ist. Alle Jugendlichen haben Gewalt in mindestens einer Form gesehen oder gehört. In den Gesprächskreisen wurde, neben den eigenen Erfahrungswerten und Gewaltkreislauflösungswegen, ebenfalls über die Wirksamkeit der Sanktionen auf Gewalttaten diskutiert. Es stellte sich heraus, dass die gesetzlichen „Bestrafungen“ bei weitem nicht ausreichen können. Präventive Veranstaltungen, wie beispielsweise eine Ausstellung zum Thema Gewalt in Paarbeziehungen oder das Projekt Schülermediation, sind notwendig um betroffenen Menschen über das komplexe Themengebiet Informationen, aber auch Mut zu geben, sich der aktuellen Gewaltsituation zu entziehen“ (Jasmin Bostelmann, Diplomsozial- pädagogin).

„Durch die gute Einführung in die Thematik der Ausstellung wurde die Diskussion mit den Mädchen und Jungen auch über ihre Vorstellungen einer positiven Paarbeziehung angeregt. Besonders erfreulich war auch der Wunsch der Schülerinnen und Schüler noch mehr Informationen (Welche Einrichtungen und Ansprechpersonen gibt es für Jugendliche?) zu erhalten. Sie regten an, in der Schule im Unterricht weiter an dem Thema zu arbeiten“ (Christine Ulmann, Frauenbeauftragte).

ERFAHRUNGSBERICHTE UND MATERIALIEN II

„Wir haben was bewegt!“

Ingrid Wiltzsch / Clemens Rumpf

Ca. 1.700 Besucher bevölkerten das Foyer des Landkreises Hildesheim vom 13. bis 23. November 2006 und ließen sich durch die Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ des LKA Niedersachsen führen. Diese hatte das Präventionsteam der Polizeiinspektion Hildesheim gemeinsam mit der Gleichstellungsstelle des Landkreises Hildesheim zur Unterstützung des Aktionsplanes Niedersachsen zur Bekämpfung der Häuslichen Gewalt nach Hildesheim geholt.

Weil verschiedene Untersuchungen belegen, dass Kinder, die in gewaltbelasteten Familien aufwachsen, auf vielfältige Weise hierunter leiden, aber auch um ein vielfaches gefährdeter sind, das vorgelebte Täter- und auch Opferverhalten zu übernehmen, griffen die Veranstalter Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene als besondere Zielgruppe heraus. Der Anspruch, die Zielgruppe direkt dort zu erreichen, wo sie alle sind, nämlich in der Schule, ging auf: Insgesamt 65

76 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Schülergruppen zeigten großes Interesse an der Ausstellung. Konzeptionell wurde von dem „Strickmuster“ herkömmlicher Ausstellungen, nämlich nur Schautafeln ansehen, abgewichen, weil man damit kaum noch junge Menschen begeistern kann. Konzipiert wurde „die etwas andere Ausstellung“!

Die Besucher konnten sich an vier Stationen auf den Weg machen, um zu ergründen,

. welche Formen von Gewalt es gibt und feststellen, dass sie in allen Schichten und Kulturen anzutreffen ist, . welche Auswege es aus der Gewalt gibt und welche Hilfe-Angebote zur Verfügung stehen, . welche Auswirkungen das direkte, aber auch indirekte Erleben häuslicher Gewalt bei Kindern hat, . wie junge Menschen selber erkennen können, ob sie in eine ungute Partnerschaft geraten sind bzw. wie sie dem vorbeugen können.

Alle Stationen waren mit verschiedenen Medien (Video, selbstgedrehten Filmsequenzen, Audio- DVD mit Opferberichten, interaktiver Partnertest aus www.niceguysengine.de) unterstützt, so dass die 90minütige Unterrichtseinheit durch „Erleben“ mit allen Sinnen kurzweilig verstrich.

Um die Nachhaltigkeit des vermittelten Wissens zu vertiefen, konnten sich die Schüler am Ende der Ausstellung an einer Rallye beteiligen, in der sie sich mit den wesentlichen Inhalten der Ausstellung nochmals auseinander setzen mussten. Als Ergebnis erhielten sie ein „Handout“ für die Nachbereitung auch im Unterricht. Hierzu eignete sich auch der an die Schüler und Lehrkräfte ausgehändigte Liedtext von der Pop-Sängerin PINK. Sie besingt aus der Sicht eines Teenagers die

77 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention zerstörerische Gewalt in ihrer Familie. Der Text von „Family Portrait“ wurde in deutscher und englischer Sprache ausgehändigt, so dass eine Bearbeitung in verschiedensten Fächern, wie z.B. Deutsch, Englisch, Religion, Musik etc. möglich ist.

Dass nicht nur 3.400 Füße bewegt wurden, sondern auch in den Köpfen etwas bewegt wurde, zeigen verschiedene Äußerungen der jungen Besucher:

„Da wo ich herkomme, dürfen Eltern ihre Kinder schlagen; auch in der Schule bekommen Schüler von den Lehrern Schläge“, stellte ein aus Russland stammender 8-Klässler fest. „In meinem Heimatland haben die Frauen keine Rechte. Hier haben sie welche, trauen sich aber nicht, sie durchzusetzen“, berichtete eine aus Afrika stammende Schülerin. Bei der Vorstellung der Interventionsmöglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz fragte eine 14-jährige, wie lange es dieses Gesetz schon gäbe. Auf die Antwort erwiderte sie: “Schade, ein Jahr zu spät. Jetzt lebe ich im Heim.“

Selbst ein 17-jähriger Schwarzafrikaner, der zu Beginn der Ausstellung durch sein „machohaftes“ Verhalten auffiel („Frauen haben keine Rechte“, „Gleichberechtigung gibt es nicht“, „ein Vater hat das Recht, Frau und Kinder zu verprügeln“) hatte im Anschluss viele Fragen zur Hilfe für Kinder an die Polizei. Und eine Lehrerin schreibt in ihren Feedbackbogen: “Noch während der Ausstellung hat mich eine Schülerin um Hilfe gebeten, weil sie von häuslicher Gewalt in der Familie betroffen ist.“

Die Rückmeldungen der Besucher sind durchgehend positiv. Die Lehrer und Begleiter zeigten sich dankbar dafür, dass das Thema endlich in der Form aufgegriffen worden ist. Das zeigte auch die Resonanz auf die begrenzten Termine. Es hätten noch Termine für zwei weitere

78 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Ausstellungswochen angenommen werden können. Bilanzierend bleibt festzustellen, dass die gesteckten Ziele

1. die Zielgruppe Kinder und die Multiplikatoren in deren sozialem Umfeld aufzuklären, 2. mögliche Interventionen aufzuzeigen und 3. die jungen Menschen für ihr eigenes Partnerverhalten zu sensibilisieren, erreicht wurden. Es war offensichtlich, dass die Schüler anders aus der Ausstellung gegangen sind, als sie hinein gekommen sind.

Rallye zur Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“

Im Rahmen der Durchführung der Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ haben die Veranstalter einen Fragebogen für eine Rallye entwickelt, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den Inhalten der Ausstellung anregen sollten – s. Seite 80 f.

79 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Rallye zur Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“

1. Wer kann von Gewalt in Beziehungen betroffen sein? ......

2. Es werden vier Gewaltformen genannt, um welche handelt es sich? Nenne 3 Beispiele zu jeder Gewaltform.

1...... : ......

2...... : ......

3...... : ......

4...... : ......

3. Erläutere die wichtigsten Merkmale der Gewaltspirale!

......

......

......

4. Was ist ein Platzverweis?

......

5. Das Gewaltschutzgesetz gibt es seit 2002. Wem soll es wie helfen?

......

......

6. Netzwerke gegen häusliche Gewalt: Kennst du Angebote in und um Hildesheim? An wen kann man sich auf jeden Fall immer wenden?

......

80 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

7. Wie oft sind Kinder von häuslicher Gewalt betroffen?

......

8. Nenne eine Stelle, die Jugendlichen hilft!

......

9. Woran könnte es liegen, dass sich jemand in einer Beziehung nicht wohl fühlt?

......

10. Wer entscheidet in einer Beziehung, wann du Sex hast und wann nicht?

......

11. Wofür ist der Partnerschaftstest auf www.niceguysengine.de hilfreich? Erläutere.

......

......

12. Nenne 3 Stellen in Hildesheim, die dir bei den angesprochenen Problemen helfen könnten!

......

......

13. Kennst du deine Rechte?

......

......

Viel Spaß !

81 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

ERFAHRUNGSBERICHTE UND MATERIALIEN III

Gegen Gewalt in Paarbeziehungen – Erfahrungen aus der kommunalen Präventionsarbeit

Elke Kirsten

Die LKA-Ausstellung „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ wurde im Januar 2007 drei Wochen lang in Norden im Weiterbildungszentrum präsentiert. Rund um die Ausstellung wurde ein umfang- reiches Begleitprogramm mit Veranstaltungen für unterschiedliche Zielgruppen angeboten. Initiatorin des Projekts war die kommunale Gleichstellungsbeauftragte – sie hat das Projekt gemeinsam mit weiteren Fachkräften und Einrichtungen vor Ort entwickelt und durchgeführt. Die Hauptzielgruppe der Ausstellung sind Jugendliche – dementsprechend waren Mädchen und Jungen auch vorrangig die Zielgruppe der Begleitveranstaltungen. Darüber hinaus sollten mit dem Projekt vor allem Eltern zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Facetten der Gewaltproblematik motiviert werden. Ein grundlegendes Ziel bei allen Veranstaltungen war es, die jugendlichen und erwachsenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Thematik insgesamt zu sensibilisieren und ihnen Informationen über Hilfeangebote vor Ort und Unterstützungs- möglichkeiten für Betroffene zu geben.

In diesem Text werden die wichtigsten Erfahrungen aus dieser Projekt- und Koordinierungsarbeit zusammengefasst und reflektiert - sie sollen anderen Institutionen und Gremien Anregungen und Orientierungen für die Umsetzung eigener Präventionsprojekte vermitteln.

Konzeption und Organisation

Für ein umfangreiches Projekt sind Kooperationspartnerinnen und -partner notwendig: Man braucht sie ideell, organisatorisch, aber natürlich auch finanziell… Die Lenkungsgruppe des Präventionsrates Norden sicherte der Gleichstellungsbeauftragten von Anfang an Unterstützung zu. Damit waren gute Bedingungen geschaffen, um weitere Kooperationspartnerinnen und -partner zu gewinnen. Anhand der Liste der Beteiligten (s.u.) wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema „Häusliche Gewalt“ von vielen Menschen in Norden als wichtig erachtet wurde. Für die (zum Zeitpunkt der Planung neue) Gleichstellungsbeauftragte war das Projekt zugleich eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und sich in der Stadt und im Landkreis bekannt zu machen.

Die konzeptionelle und organisatorische Arbeit wurde in der für das Projekt gegründeten Arbeitsgruppe geleistet (s.u. Liste der Beteiligten). In der Arbeitsgruppe wurden u.a. mögliche Themen für das Begleitprogramm diskutiert und potentielle Referentinnen und Referenten vorgeschlagen. Gemeinsam wurden Themen festgelegt und die Umsetzung verabredet. Ein Rückblick auf die Aktivitäten macht sichtbar, wie vielfältig sich die Projektarbeit entwickelte und wie notwendig für die Umsetzung eine große Anzahl Partnerinnen und Partner und ein großes Maß an Koordination sind.

82 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 Bereitstellung von Räumen für die Ausstellungen und Veranstaltungen im Begleitprogramm  Gewinnung von Expertinnen und Experten als Referentinnen und Referenten, Finanzierung von Vortragsveranstaltungen  Organisation und Finanzierung von Theateraufführungen für Schulklassen  Gestaltung und Druck von Programmheften, Handzetteln, Plakaten  Transport, Auf- und Abbau der Ausstellung  Führungen durch die Ausstellung

Die Arbeitsgruppe bestand aus Vertreterinnen und Vertretern der folgenden Institutionen:

Berufsbildende Schulen Norden, Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt - BISS Aurich/

Wittmund, Deutsches Rotes Kreuz - Frauenhaus Aurich, Elternvertretung der Hauptschule Norden,

Kreisjugenddienst, Kreisvolkshochschule Norden, Jugendamt des Landkreises Aurich (Kinder- und

Jugendförderung, Jugendgerichtshilfe Norden), Männerarbeit im Haus kirchlicher Dienste der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Präventionsteam der Polizeiinspektion Aurich, Polizeipuppenbühne, Polizeikommissariat Norden, Präventionsrat Norden, Stabsstelle für Gleichstellung und Familie des Landkreises Aurich, Stiftung Opferhilfe Niedersachsen, Theatermanufaktur, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Norden

„Tue Gutes und rede/schreibe darüber“ – Aktivitäten der Öffentlichkeitsarbeit

… Programmheft und Plakate Ein wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit gegenüber Mädchen und Jungen war das 12seitige Programmheft7. Dieses sollte mit der Gestaltung insbesondere Jugendliche ansprechen, was unserer Meinung nach auch gelungen ist. Neben kurzen Informationen über die Projektangebote und einer Auflistung der KooperationspartnerInnen enthält das Heft Telefonnummern von Einrichtungen, die Hilfe bei Gewalterfahrungen anbieten – es funktioniert also gleichzeitig als Information für Betroffene, ihre Freundinnen und Freunde oder Angehörigen. Ca. 4.000 Exemplare des Programmheftes sind in Norden verteilt worden. Zusätzlich wurden Plakate an verschiedenen Orten aufgehängt. Die Plakate waren Anfang des Jahres vom „Ostfriesischen Interventionsprojekt bei Häuslicher Gewalt“ gedruckt worden, um zu einer Enttabuisierung des Themas „Häusliche Gewalt“ beizutragen. Gegen eine Kostenbeteiligung konnten wir die Plakate nutzen.

Zu finden waren beide Materialien in vielen Institutionen und an öffentlichen Orten:  Geschäfte in der Norder Innenstadt  Ärztinnen und Ärzte (Allgemeinmedizin, Frauenheilkunde)  Arge / Agentur für Arbeit  Beratungsstellen / Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten  Einrichtungen des Landkreises (Gesundheitsamt, Jugendamt, Kreismusikschule, Kreis- volkshochschule, Stabsstelle für Gleichstellung und Familie)

7 Gestaltung/Copyright: Take Janssen, www.takejanssen.de, www.nordlife.com 83 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 Einrichtungen der Stadt (Rathaus, Stadtbibliothek, Standesamt)  Kirchengemeinden  Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte  Weiterführende Schulen in Norden  Wohlfahrtsverbände (AWO, DRK, Paritätischer Wohlfahrtsverband)

Die Kooperation der Schulen hat naturgemäß eine zentrale Bedeutung, wenn es darum geht, Mädchen und Jungen zu erreichen. Die Hauptschule Norden gab den Veranstalterinnen und Veranstaltern die Gelegenheit, in einer Gesamtkonferenz über die Ausstellung und das Begleitprogramm zu berichten, andere Schulen wurden über die Schulleitungen informiert und eingebunden. Die Werbung an den Berufsbildenden Schulen wurde von der dort tätigen Sozialarbeiterin übernommen.

Zwei Wochen vor Beginn des Projekts wurde das Programmheft mit einem Anschreiben an alle Lehrkräfte verteilt. In dem Anschreiben wurde besonders auf die Möglichkeit hingewiesen, mit Schulklassen an Führungen durch die Ausstellung teilnehmen zu können.

… Internet

84 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Zusätzlich wurden die Informationen auf der Website der Stadt Norden und auf der Website der der Ev.-luth. Ludgeri-Kirchengemeinde Norden präsentiert. Hierbei war unser Ziel vor allem, dass Menschen, die sich für das Thema interessieren, die Informationen rund um die Ausstellung bekommen können, ohne sich in der Öffentlichkeit als interessiert zu erkennen geben zu müssen. Außerdem bietet das Internet die Möglichkeit, auf Hilfeangebote zu verweisen, so dass sowohl von Gewalt betroffene Menschen, als auch die Menschen, die unterstützend bei häuslicher Gewalt eingreifen möchten, die notwendigen Informationen finden.

... Pressearbeit Die örtliche Presse hat durch ihre Berichterstattung sehr zum Gelingen des Projektes beigetragen. „Ostfriesischer Kurier“ und „Ostfriesen Zeitung“ haben regelmäßig über die Ausstellung und die Begleitveranstaltungen berichtet. Auch über die Führungen waren in beiden Zeitungen Berichte zu lesen. Die ersten Vorbereitungen dazu fanden in Form von Informationsgesprächen bereits zwei Monate vor Projektbeginn statt, um rechtzeitig mit den Pressevertreterinnen die Pressearbeit abstimmen zu können. Es gab frühzeitig erste Berichte in der Tagespresse, um auf die Ausstellung aufmerksam zu machen. Außerdem wurden der Ausstellungsort, die Ausstellung und das Begleitprogramm in einer einstündigen Sendung im Ostfrieslandradio vorgestellt.

Ergebnisse und Erfahrungen: Was hat das Projekt gebracht? Was haben wir gelernt?

… Führungen durch die Ausstellung Für Schulklassen ab Klasse sieben und andere Gruppen wurden kostenlose Führungen durch die Ausstellung angeboten. Die Dauer der Führung betrug ca. 1,5 Stunden. Durchgeführt wurden die Führungen montags bis freitags, 9:45 - 11.15 Uhr und 11.30 - 13.00 Uhr sowie nach Vereinbarung. Eine Anmeldung für die Führungen war erforderlich. Das Konzept für die Führungen konnten wir unentgeltlich von dem Netzwerk zur Ausstellung in Lüneburg übernehmen, wofür wir sehr dankbar sind. Es war eine große Arbeitserleichterung, das fertige Konzept nutzen zu dürfen.

An den Führungen durch die Ausstellung haben annähernd 800 Jugendliche teilgenommen – dabei waren neben den Berufsbildenden Schulen Norden und Emden alle Schulformen von der Schule für Lernhilfe bis zum Gymnasium vertreten. Außerdem gab es je eine Führung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ARGE, Soldatinnen und Soldaten der 4. Luftwaffendivision und für Gleichstellungsbeauftragte.

Die Führungen wurden überwiegend von Menschen durchgeführt, die in ihrer Arbeit mit häuslicher Gewalt zu tun haben. Diesen Aspekt fanden die Jugendlichen sehr gut. Sie zeigten großes Interesse an Informationen aus der praktischen Arbeit und wollten z.B. wissen, wie denn eine Unterstützung konkret aussehen kann oder wie das Leben im Frauenhaus ist. Zu Beginn der Führungen wurden die Jugendlichen aufgefordert, alle Begriffe, die ihnen zum Thema Gewalt einfallen, zu nennen. Dazu fielen den Schülerinnen und Schülern viele Begriffe ein. Es war schnell zu merken, welche Klassen sich schon mit dem Thema beschäftigt hatten, da hier differenziertere Aussagen getroffen wurden. Danach setzten sich die Jugendlichen in Kleingruppen mit Hilfe von verschiedenen Aufgabenstellungen mit den Inhalten der Ausstellung auseinander. Es waren ca. 30 Minuten veranschlagt, um die Ergebnisse der Jugendlichen auszuwerten und Themen diskutieren sowie vertiefen zu können. Übereinstimmend wurde festgestellt, dass es gut gewesen wäre, wenn hierfür mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte. 85 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Dadurch, dass überwiegend Menschen aus der Praxis vor Ort ansprechbar waren, konnten wahrscheinlich Hemmschwellen abgebaut werden. Besucherinnen und Besucher konnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Einrichtungen kennen lernen oder zumindest schon mal anschauen. Außerdem haben wir festgestellt, dass die gemeinsame Arbeit den Kontakt zwischen den „Profis“ und deren Vernetzung verbessert hat.

… Ausstellungsort Ausstellungsort war das Weiterbildungszentrum Norden. Viele Menschen gehen täglich aus vielen verschiedenen Gründen dort ein und aus, d.h. die Ausstellung konnte tatsächlich von vielen Menschen wahrgenommen werden, ohne dass sie wie die Schulklassen an einer Führung teilgenommen haben – und viele Menschen konnten die Ausstellung sehen, ohne dass sie von Außenstehenden mit dem Thema „häusliche Gewalt“ in Verbindung gebracht wurden. Diese „Unverbindlichkeit“ ist nach unserer Erfahrung ein wichtiger Aspekt bei der öffentlichen Präsentation des Themas. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der KVHS berichteten, dass abends viele Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer die Ausstellung angesehen haben, wenn sie z.B. auf den Beginn des Kurses warteten. Auch die Jugendlichen, die die Angebote der KVHS in Anspruch nahmen, seien so mit dem Thema konfrontiert worden.

Die Ausstellung wurde von uns von Montag bis Freitag in der Zeit von 09:00 – 16:00 Uhr betreut. Insgesamt war die Ausstellung bis abends um ca. 22:00 Uhr zu besichtigen.

… Infomaterialien Die Netzwerke in Lüneburg und Hildesheim haben uns Vorlagen für Informationsmaterialien für Jugendliche und für Erwachsene zur Verfügung gestellt. Wir haben diese Vorlagen genutzt und mit eigenen Informationen über Angebote und Beratungsstellen vor Ort ergänzt. Durch diese Unterstützung konnten wir viel Zeit sparen, was angesichts des immensen Arbeitsaufwandes eine große Entlastung für uns war. Diese Materialien haben wir an die Lehrkräfte verteilt und anderen Interessierten zur Verfügung gestellt, die die Ausstellung besucht haben. Die Informationen stießen auf großes Interesse und wurden gerne mitgenommen. Darüber hinaus haben wir kostenlose Informationsblätter und Broschüren zum Gewaltschutzgesetz und zum Thema „Häusliche Gewalt“ von verschiedenen Einrichtungen und Behörden in Niedersachsen (Sozialministerium, Polizei, Landesstelle Jugendschutz, Landespräventionsrat) zur Verfügung gestellt.

… Niceguysengine Auf drei Computern stand die Internetplattform „Niceguysengine“ in der offline-Version zur Verfügung. Viele Jugendliche setzten sich – vorwiegend in kleinen Gruppen - mit den Themen der Plattform auseinander. Teilweise kamen sehr interessante Diskussionen z.B. über den Filmbeitrag zu Stande. Eine Gruppe nahm den Film zum Anlass, das Thema selber in einer kurzen Sequenz darzustellen. Die Internetadresse lag an den PC-Arbeitsplätzen zum Mitnehmen aus.

… Schaukasten zum Thema „Beziehungen“ Als Ergänzung der Ausstellung wurde vom DRK-Frauenhaus und von der Jugendgerichtshilfe Norden ein Schaukasten zum Thema „Beziehung“ gestaltet. Hintergrund der Idee war, dass Thema sehr direkt begreifbar darzustellen, was sehr gut gelungen ist und dementsprechend auf großes Interesse bei den Jugendlichen und auch bei anderen Besucherinnen und Besuchern stieß.

… Ausstellungseröffnung – Beteiligung von Jugendlichen 86 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Das Projekt wurde mit einer Auftaktveranstaltung eröffnet, um die Öffentlichkeit einmal mehr über das Projekt und sein Anliegen zu informieren. Am Erfolg dieser Veranstaltung hatten vor allem die Schülerinnen und Schüler des Wahlpflichtkurses „Darstellendes Spiel“ der neunten Klassen der Hauptschule Norden großen Anteil. Die Jugendlichen hatten gemeinsam mit ihrem Lehrer eine unter die Haut gehende Szene zum Thema „Gewalt in Paarbeziehungen“ entwickelt. Die Zusammenarbeit mit dem Wahlpflichtkurs „Darstellendes Spiel“ der neunten Klassen der Hauptschule soll hier als ein Beispiel für ein gelungenes Teilprojekt herausgestellt werde. Gute Voraussetzungen dafür waren a) die Offenheit des Lehrers für die Idee, das Thema „Gewalt in Paarbeziehungen“ mit den Jugendlichen szenisch umzusetzen und b) dass die Jugendlichen selbst die Entscheidung darüber treffen konnten, dass sie das Thema aufgreifen wollten.

Während der Klärungsphase haben sich die Mädchen und Jungen im Rahmen einer Unterrichtseinheit mit Hilfe einer Expertin über häusliche Gewalt informiert. Nach Einschätzung ihres Lehrers haben sich die Jugendlichen im Verlauf der Erarbeitung der Szene, die bei der Auftaktveranstaltung präsentiert wurde, intensiv mit dem Thema „Gewalt in Paarbeziehungen“ auseinandergesetzt. Wir halten es deshalb für sehr sinnvoll, das Thema auch auf solchen Wegen in die Schulen zu tragen. Wir hatten hierzu im Vorfeld viele Ideen (s. Kasten), die wir aber mangels Ressourcen leider nicht umsetzen konnten. Bei den Ideen stand im Vordergrund, die Jugendlichen zu motivieren, sich aktiv mit den Thema „Häusliche Gewalt“ auseinanderzusetzen.

Ideensammlung - Jugendliche gestalten eigene Beiträge zur Ausstellung, z.B. Bilder zum Thema Gewalt in Paarbeziehungen und/ oder kurze Gedichte zum Thema. Eventuell auch als Mitmachausstellung während der Ausstellungszeit - Filmwettbewerb: Jugendliche drehen Filme zum Thema der Ausstellung. Der Start für den Wettbewerb könnte während der Ausstellungszeit und der Einsendeschluss einige Monate später sein. - Theaterstück zum Thema Gewalt entwickeln oder aufführen lassen

- Aktionstag zur Ausstellungseröffnung oder an einem Wochenende innerhalb der Ausstellungszeit: - alle Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene vorstellen, kultureller Beitrag - Projekttage an Schulen - Informationsstände an Schulen

Begleitprogramm zur Ausstellung

Während der Projektlaufzeit fanden nachmittags und abends insgesamt sieben Veranstaltungen (Vorträge, Diskussionen, Theater…) für jugendliche und erwachsene Zielgruppen, für die interessierte Öffentlichkeit und Fachpublikum statt. Diese Angebote fanden eine unterschiedliche, in einem Fall leider gar keine Resonanz. Wir führen das u.a. darauf zurück, dass „häusliche Gewalt“ außerhalb von Fachdiskussionen immer noch ein Tabuthema ist und viele Menschen deshalb entweder keine Notwendigkeit zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Thema sehen –

87 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention oder dass sie sich nicht trauen, eine Veranstaltung mit diesem Thema zu besuchen, weil sie z.B. befürchten, als „Betroffene“ identifiziert zu werden. Letzteres ist nach unserer Einschätzung vor allem in ländlichen bzw. kleinstädtischen Bezügen von Bedeutung.

- Um dem entgegenzuwirken, kann es hilfreich sein, Veranstaltungsorte zu wählen, die thematisch nicht einschlägig (Frauenberatungsstelle) sondern eher unspezifisch (Bildungs- oder Kultureinrichtung) sind und ein gewisses Maß an Anonymität bieten (Volkshochschulen, in denen zeitgleich mehrere Veranstaltungen stattfinden). - Darüber hinaus kann die Unterstützung durch „Prominente“ helfen, das Thema „häusliche Gewalt“ zu enttabuisieren: Wenn beispielsweise die Bürgermeisterin oder ein Mitglied des Stadtrats als Moderatorin oder Moderator einer Veranstaltung fungieren oder ein Grußwort beisteuern, könnte das helfen, Interesse am Thema zu wecken und gleichzeitig die Hemmschwelle für den Besuch senken – nach dem Motto: Ich bin eigentlich wegen XY hergekommen. - Bei Veranstaltungen für Jugendliche hat sich bewährt, im Vorhinein mit Lehrkräften oder anderen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus der Arbeit mit Mädchen und Jungen Kontakt aufzunehmen. Das eröffnet die Chance, dass Gruppen von Jugendlichen die Veranstaltungen gemeinsam besuchen – was nach unserer Einschätzung wiederum positive Auswirkungen dahingehend haben kann, dass die Jugendlichen die Impulse aus einer solchen Veranstaltung auch im Nachhinein und „unter sich“ noch diskutieren und bewerten können. - Angebote für Jugendliche sollten dort durchgeführt werden, wo sich die Jugendlichen sowieso aufhalten, z.B. in Jugendeinrichtungen oder an den Schulen.

Perspektiven: Das Thema immer wieder aufgreifen

Uns ist wichtig, dass häusliche Gewalt auch in Zukunft in Norden Thema ist. Deshalb wurden und werden weiterhin Aktivitäten dazu geplant und umgesetzt: - Beim Norder Stadtfest im August wurden im Rahmen der bundesweiten Aktion „Der richtige Standpunkt: Gegen Gewalt“ Stellungnahmen zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ gesammelt und im Internet veröffentlicht. - Informationen zur Ausstellung und zum Thema „Häusliche Gewalt“ gab es am Stand des Präventionsrates Norden bei einer Gewerbeschau im September. Weitere Stellungnahmen wurden gesammelt. - Die Polizeipuppenbühne hat ein Programm zum Thema Gewalt für 5. Klassen entwickelt. In diesem Zusammenhang wird auch „Häusliche Gewalt“ thematisiert. - Die Schulaufführungen des Theaterstückes „Nachtblind“ vom Jungen Theater der Landesbühne haben 600 Jugendliche besucht. - Norder Jugendliche werden Anfang nächsten Jahres das Stück „Krieg der Knöpfe“ präsentieren. Den Anstoß für die Inszenierung gab die Ausstellung, die Inszenierung erfolgt durch die Theatermanufaktur. - Infoveranstaltung zum Thema Stalking (insbesondere unter Jugendlichen) wird im Dezember stattfinden.

88 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

„Du bist unschlagbar!“ Ein szenischer Ansatz zur Prävention häuslicher Gewalt in der Arbeit mit Jugendlichen von Spielwerk Theater EUKITEA, Diedorf

Michael Gleich / Serap Altinisik

Die Entstehung des Theaterprojektes

Das Musik-Theaterstück „Du bist unschlagbar“ wurde in Kooperation mit TERRE DES FEMMES e.V. und dem Spielwerk Theater EUKITEA entwickelt. Die Frauenrechtsorganisation, die ein Jugend-Musiktheaterstück zu ihrer Gewaltschutz- Kampagne „Frauen schlägt Mann nicht!“ in Auftrag geben wollte, war auf Spielwerk Theater als Präventionsspezialisten mit langjähriger Erfahrung aufmerksam geworden.

Das Stück entstand im Team des Spielwerk Theaters EUKITEA durch gemeinsame Improvisation, durch das Einbringen eigener Erfahrungen, durch intensive Auseinandersetzungen mit dem Thema mit inhaltlicher Unterstützung von TERRE DES FEMMES und im regen Austausch mit der jugendlichen Zielgruppe oder mit Fachkräften aus der Praxis. Dabei hatte das Team um die künstlerische Leitung Claudio Raimondo und Stephan Eckl mit Einverständnis von TERRE DES FEMMES sich als Ziel gesetzt, die Problematik von häuslicher Gewalt so darzustellen, dass das Stück Erfahrung schafft, berührt, Tabus bricht und doch unterhält. „Du bist unschlagbar!“ sollte keine Patentrezepte vermitteln, sondern vielmehr Gesprächsanlässe und Gesprächsoffenheit beim Zuschauer wecken. Ein weiteres Ziel war es, dem Publikum erfahrbar zu machen, dass jeder Mensch, egal welchen Alters, Geschlechts oder sexueller Orientierung, Raum zur Entfaltung braucht, in seiner „Würde“ geachtet wird - dass jede/r unschlagbar im Sinne von einmalig ist.

Auf Wunsch von TERRE DES FEMMES sollte die Musik eine wichtige Rolle bei dieser Produktion spielen. Diese kam aus der Feder von Fred Brunner. Er entwickelte die Lieder durch Improvisationen im Laufe des Probenprozesses, dichtete passende Texte dazu und komponierte sehr eingängige Songs. Unterschiedlichste Klangwelten sollten die Handlung und das Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler während der Theateraufführung unterstützen. Nach diesem intensiven kreativen Prozess war eine Werkstattaufführung mit einzelnen Szenen im Rahmen einer Fachtagung in Hannover am 20.11.07 zu Gast. Die Premiere von „Du bist unschlagbar!“ fand am 25.11.2006 in Frankfurt am Main zum Start der TERRE DES FEMMES-Kampagne statt.

89 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Der Inhalt

„Du bist unschlagbar!“ setzt sich aus verschiedenen Szenen zusammen. Am Anfang steht die Frage: „Von Anbeginn der Zeit, immer nur Gewalt und Streit. Muss das immer so weiter gehen? Meinst du, dass es möglich ist, in Frieden mit anderen zu leben?“ Die Frage bleibt offen und leitet die folgenden Szenen ein.

- Ein Ehepaar trifft aufeinander. Aus Belanglosigkeiten kommt es zu einem handfesten Streit. Zwei Schauspieler beobachten den Streit und greifen beherzt ein. Schauen nicht nur zu, sondern brechen den Privatraum auf. Zum Ausdruck kommt das im Lied „Du bist unschlagbar!“ - Die Akteure unterhalten sich über die Szene. „Wenn das Partnerschaft ist, dann bleib ich lieber allein!“ Jeder „probiert“ das Singleleben aus. Aber auch das kann es nicht sein. Zwei Akteure begegnen sich zunächst mit einem Blick. Die Szene nimmt in An- lehnung an „Adam und Eva“ ihren Lauf. Der Apfel dient dazu als Symbol der Ver- suchung (die nicht immer negativ zu deuten ist).

Es werden im weiteren Verlauf weitere Begegnungen von Mann und Frau dargestellt. Diese Szene spielt in einem Club/Disko. Sie endet wieder mit einem Gespräch der Schauspieler/innen: „Ja, verliebt sein ist doch toll. Endlich jemand mit dem ich alles teilen kann, der mich versteht!“

- Nun betritt eine Frau die Bühne. Ein Mann kommt hinzu, sieht die Frau und beide ver- lieben sich und bauen sich gemeinsam etwas auf (Tisch dient dazu als Symbol). Die Frau singt: „Ich bin verliebt in dich, … die Zukunft wird mit dir klar!“ Als der Alltag beginnt, verändern sich beide. Der Mann lässt sich bedienen, die Frau bedient. Sie versucht mit ihm zu reden, aber er will nur fernsehen. Die Situation spitzt sich zu. Es kommt zum Schlag. Ein Gespräch der SchauspielerInnen durchleuchtet die Situation. - Als Kontrapunkt wird nach dieser Szene ein Paar dargestellt, das gemeinsam glücklich ist, sich versteht und sich immer noch in die Augen sehen kann. Diese Szene endet mit der Frage: „Was ist, wenn aus einem Paar eine Familie wird?!“

Im weiteren Verlauf werden verschiedene Situationen dargestellt, die Gewalt in der Beziehung bzw. Familie darstellen. Dabei geht es nicht nur um körperliche, sondern auch um verbale, psychische und andere Gewaltformen:

- Konflikt eines Jungen, der nicht versetzt wird, seine Schwester aber schon. Er findet kein Gehör bei seiner Familie. Jeder ist mit sich beschäftigt. - Eine Mutter kümmert sich pflichtbewusst um den Haushalt, ihr Sohn bringt aber wieder alles in Unordnung. Die Mutter rastet aus. - Eine Tochter benutzt Lippenstift. Ihr Vater will dies nicht zulassen. Es entbrennt ein Streit zwischen Vater und Mutter, der auf den Rücken der Tochter ausgetragen wird.

Die Szene friert ein. Ein Schauspieler singt den „Violent Tango“, der im Gewaltchaos endet. Die Schauspieler brechen die Szene ab, sie drehen sich im Kreis. Alles endet

90 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention immer in Gewalt. Daraus formulieren sie Wünsche für das zwischenmenschliche Zusammenleben (diese wurden von Hauptschülerinnen und -schülern formuliert und in das Stück eingearbeitet).

Es schließen zwei Szenen an, in denen sich Jugendliche aus den familiären Gewaltsituationen lösen. Ein Mädchen hält es nicht mehr aus zu Hause. Ihre Eltern streiten sich ständig. Sie bringt das in dem Song „Ich will frei sein!“ zum Ausdruck. Eine andere Szene zeigt zwei Jungen, die sich im Gespräch Erleichterung schaffen.

Am Ende steht die eigentliche Befreiung von alten Strukturen, tänzerisch dargestellt. Es dreht sich alles um den Tisch (um den sich alle Szenen abspielen, im Stück auch ein Symbol für alte Familienstrukturen). Von diesem Tisch befreien sich die vier Darsteller/innen der Reihe nach. Das Theater endet mit dem Lied: „Seht euch!“

Erfahrungen mit dem Publikum

Die Erfahrungen bei Aufführungen vor Jugendlichen und Erwachsenen zeigen, dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer von dem Stück berühren lassen. Die nicht rein intellektuell, sondern visuell-ganzheitlich wahrgenommenen Szenen erreichen das Publikum direkt. Dabei kommt Theater mit wenigen Mitteln aus, die Szenen entstehen im Kopf der Betrachtenden und sie erleben das Theaterstück unmittelbar, also ohne Distanz. Sicherlich spielen hierbei auch die sehr einprägsamen, melodiösen Songs und Klangwelten eine wichtige Rolle.

Viele Zuschauer/innen kennen die auf der Bühne dargestellten Szenen und Gewalt- muster. Ob es sich um Gewalt durch Nicht-Zuhören und Ignorieren der Bedürfnisse der Kinder durch Eltern geht, den frustrierten, zum Zuschlagen bereiten Ehemann, den brüllenden Vater, die überarbeitete, desinteressierte Mutter, die streitsüchtige Schwester, den intriganten Bruder. Besonders eingängig sind für das jugendliche Publikum häufig die Familienszenen. Mit ihnen können sie sich am besten identifizieren – sie entsprechen ihrer Erfahrungswelt: Sei es, dass es am Tisch zu laut ist, dass jeder am anderen vorbeiredet, nicht zuhören will usw.

Pädagogische Ansatzpunkte in der Prävention von häuslicher Gewalt

Das Theaterstück soll Gespräche über Gewalt in Partnerschaft und Familie anregen und deutlich machen, dass Übergriffe auch im privaten Raum un(ge)recht sind und dass es Wege gibt, aus diesem Kreislauf der Gewalt auszubrechen. In dem Stück werden verschiedene Themen und Probleme angesprochen, die eine Nachbereitung und Vertiefung ermöglichen. Das Theater bietet hierzu auch Arbeitsmaterialien an. In der Weiterarbeit lassen sich verschiedene präventive Schwerpunkte setzen – Themen können z.B. sein:

91 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

- Ich-Stärkung – Selbstwertgefühl – Selbstbewusstsein - Liebe, Partnerschaft und Sexualität - Geschlechtspezifisches Arbeiten an Männer- und Frauenbildern - Gewalt allgemein - Gewalt in der Familie - Gewalt in Paarbeziehungen

Es können unterschiedliche Methoden angewandt werden: Gespräch und Diskussion, künstlerisch/kreative Elemente, Rollenspiele aus der Theaterpädagogik, Entspannungs- techniken, Selbstverteidigung usw. Hierbei sollte man sich nicht auf eine Methode beschränken, sondern verschiede Ansätze wagen, um die Jugendlichen auf unterschiedlichen Ebenen anzusprechen.

Für die Organisation solcher Angebote ist es hilfreich, mit Organisationen und Ämtern vor Ort zusammenzuarbeiten (Polizei, Jugendämter, Jugendberatungsstellen, Frauenrechts- organisationen, Frauenhäuser, ...), mit Lehrkräften, Schulsozialarbeiter/innen und Schulpsychologen/innen, die mit der Materie vertraut sind. Dabei entstehen außerdem Gelegenheiten, die Arbeit von einschlägigen Fachorganisationen, Ämtern und Personen vorzustellen. So kann ein Informationsnetzwerk entstehen, in dem betroffene Jugendliche Hilfen finden können.

Der erste Schritt nach der Aufführung ist das Gespräch der Darsteller/innen mit dem Publikum. Wir sehen darin eine Möglichkeit, das Gesehene zu reflektieren, aufzugreifen und mit eigenem Erleben in Verbindung zu bringen. Wir hoffen, dass das Stück Jugendliche ermutigt, eigene Erfahrungen und Ängste im Zusammenhang mit Gewalt anzusprechen – das kann ein erster Schritt sein, das Tabu der Gewalt in der Privatsphäre zu brechen. Damit das gelingt, brauchen solche Gespräche einen „Raum“ und eine Atmosphäre, in denen betroffene Mädchen und Jungen, wenn nötig, aufgefangen werden können – d.h. es sollten erfahrene Fachkräfte an den Gesprächen teilnehmen.

In einer ausführlicheren Nacharbeit können die einzelnen Szenen mit unterschiedlichen Akzenten untersucht, hinterfragt und weitergedacht werden. Rollenspiele eignen sich hierbei gut, um sich in Personen hineinzuversetzen. Die Szenen können angespielt und durch Improvisation verändert werden. So können neue Lösungsversuche ausprobiert werden. Ein Beispiel: Die Teilnehmer können die Szene zwischen dem verliebten Paar nachspielen. Im Stück verändert sich die Situation bis hin zur Gewaltanwendung. Im Rollenspiel kann versucht werden, Momente zu finden, in denen es möglich gewesen wäre, die Gewalt noch zu verhindern. An welcher Stelle müsste der Mann bzw. die Frau ihr Verhalten ändern? Wann begann es damit, dass Konflikte unter den Tisch gekehrt wurden und so die Gefühle durch Gewalt eskalierten? Wichtig hierbei ist, dass die Jugendlichen nach dem Rollenspiel ihre Gefühle in der Rolle äußern und reflektieren. Warum habe ich als Mann zugeschlagen? Warum hab ich so reagiert? Warum habe ich meinem Mann alles nach getragen? usw. So kann mit anderen Szenen weiter verfahren werden.

92 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Es empfiehlt sich auch geschlechtspezifisch zu arbeiten, die Blickwinkel von Frau und Mann zu betrachten. Mädchen und Jungen äußern sich erfahrungsgemäß in einer geschlechtshomogenen Gruppe offener. Wichtig danach ist aber der gemeinsame Austausch der Mädchen- und Jungengruppen, um den jeweils anderen Blickwinkel zu hören und zu diskutieren. In den Gruppen kann den Fragen nachgegangen werden wie:

- Wie habe ich Gewalt erlebt? War ich selbst Täter/Opfer? - Welche Rolle spiele ich als Mann/Frau? Welche gängigen Rollenklischees gibt es, welche vertrete ich selber? - Wie stelle ich mir eine gelungene Partnerschaft vor?

Für diese Arbeit können – neben dem Gespräch – verschiedene Methoden verwendet werden: Entwerfen von Plakaten, Collagen, Rollenspiele, Talkshows nachstellen, Skulpturen modellieren (aus Ton oder mit dem eigenen Körper), Briefe schreiben (z.B. mit Wünschen an Eltern, Partner, Freunde, Kollegen, an sich selbst).

Das Theaterstück selbst will keine pauschalen Wertungen der Geschlechterrollen abgeben. Dem künstlerisch-pädagogischen Entwicklungsteam war es vielmehr wichtig, Klischeevorstellungen über Geschlechterrollen zu vermeiden, z.B. dass Männer immer nur Täter und Frauen immer nur Opfer sind. Jungen würden eine pauschale Aussage „Männer sind gewalttätig“ blockieren, genauso wie die Aussage „Frauen neigen dazu, Opfer zu sein“ den Mädchen nicht gerecht wird. Beide Geschlechter sollen im Theaterstück, aber auch bei der Nacharbeit erleben, dass im Zusammenleben eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe möglich ist, dass familiäre oder partnerschaftliche Konflikte fair und gewaltfrei gelöst werden. Im Rahmen von Präventionsarbeit bietet es sich deshalb auch an, faire Formen von Gesprächsführung und gewaltfreie Konfliktlösungsmethoden einzuüben. Das kann mit den Teilnehmern/innen durch konkrete Beispiele aus dem Stück oder aus dem privaten Erleben zum Beispiel durch Rollenspiele, Gesprächsprotokolle, Videoaufzeichnungen … erarbeitet werden.

Das Theaterstück kann darüber hinaus eine Anregung sein, das eigene Selbstbild zu hinterfragen, seine Stärken ins Bewusstsein zu rufen und die eigene Unschlagbarkeit zu entdecken. Dazu bieten sich verschiedene Methoden an, von Meditationsformen, eigenen Steckbriefen, Sport, kreativer Ausdruck usw. Auch in den Symbolen des Theaterstücks steckt Potenzial, das in der Nachbereitung aufgegriffen werden kann. Was bedeutet z.B. der Apfel, der Tisch, die Blumen die im Theaterstück verwendet werden, welche tiefere Symbolik steckt für jeden Einzelnen dahinter? Ganz konkret können Äpfel nachgebaut werden, die die positiven „Versuchungen“ (Vertrauen, gemeinsamer Alltag, Zärtlichkeit …) und die negativen „Versuchungen“ (mangelnde Kommunikation, gemeinsamer Alltag, Selbstaufgabe, Eifersucht …) einer Beziehung darstellen können. Ebenso können Tische gestaltet werden. Tische, die alte Strukturen in den Familien aufdecken, die zu sehr binden, aber auch solche, an denen Menschen sich freiheitlich zusammenfinden. Mit Blumen können Wünsche, wie im Theaterstück, für das gemeinsame Zusammenleben formuliert, dekoriert usw. werden.

Sicher taucht bei der Nacharbeit die Frage auf, was eigentlich Gewalt ist. Ist es schon Gewalt, wenn mich jemand ignoriert, nicht zuhört oder ist Gewalt nur unter körperlichen

93 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Gesichtspunkt zu sehen? Hier werden die Meinungen auseinander gehen und bieten Gelegenheit zur Diskussion. Es kann eine so genannte „Gewaltpyramide“ erstellt werden, die eigene Erfahrungen mit einfließen lässt. Sicher kann es für die Teilnehmer/innen beeindruckend sein, Erfahrungsberichte von betroffenen Frauen (und Männern) zu lesen oder durch Expertinnen wie Fachkräften aus Frauenhäusern Informationen zu bekommen. So können die Impulse des Theaterstücks erweitert und vertieft werden1.

Eine Methode der Theaterpädagogik sei hier noch erwähnt, die des „Versteckten Theaters“. Vom „Versteckten Theater“ spricht man, wenn Theater im öffentlichen Raum (z.B. Straße, Schulhof, Kneipe…) stattfindet, ohne dass es das vermeintliche „Publikum“ merkt. Es kann z.B. ein Streit, eine Handgreiflichkeit auf dem Pausenhof nachgestellt werden. Nun kann beobachtet werden, wie andere darauf reagieren. Wichtig hierbei ist, dass es neben Schauspieler/innen begleitende Beobachter/innen gibt, die notfalls auch eingreifen und aufklären. Wichtig ist zudem, dass z.B. Lehrkräfte, Stadt, Gemeinde usw. von diesem Experiment wissen. Eine solche Aktion kann deutlich machen, wie notwendig es oft ist, beherzt einzuschreiten und Zivilcourage zu zeigen. Allerdings sind eine anschließende Reflexion der Beobachtung und die Aufklärung der Passanten notwendig.

Im Titelsong von „Du bist unschlagbar!“ heißt es:

Du bist unschlagbar das weißt du genau Du bist unschlagbar ob Mann oder Frau Du bist unschlagbar das ist wunderbar Ihr seid unschlagbar ist euch das klar?!

Wenn diese Erkenntnis nach dem Theaterstück und der Weiterarbeit beim Publikum ankommt, dann wird diese künstlerische Form präventiver Arbeit Früchte tragen. Damit hat auch TERRE DES FEMMES bezüglich ihrer Forderung, dass Präventionsarbeit in den Schulen beginnen muss, einen kleinen Beitrag geleistet.

1 Zu diesem und anderen Themen findet man bei TERRE DES FEMMES e.V. weitere Materialen und Informationen (bspw. Wanderausstellungen, Unterrichtsmappen, Fachliteratur, Expertisen etc.). Das Spielwerk Theater EUKITEA bietet zu diesem und anderen Themen theaterpädagogische Work- shops an. Ein spezieller Workshop ist in Entwicklung, der Multiplikatoren praktische Hilfestellung für die Nacharbeit und Vertiefung des Themas mit Jugendlichen leistet und im Vorfeld einer (Schul-) Aufführung stehen kann. 94 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Geschlecht (ver)lernen – interaktiv, multimedial, online: Die Webplattform www.niceguysengine.de zur Prävention sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen1

Cäcilia (Cillie) Rentmeister

Warum die „niceguysengine“ entwickelt wurde

In jüngster Zeit rückt durch spektakuläre Fälle, Medienberichte und wissenschaftliche Studien ein brisantes Gender-Problem ins Bewusstsein: Sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch werden am häufigsten von (männlichen) Jugendlichen ausgeübt. Auch bei Sexualdelikten an Jugendlichen und Erwachsenen hat die Gruppe der 14- 16jährigen Jungen den höchsten Tatverdächtigenanteil – höher als junge Männer.2 Das bedeutet, dass beide Geschlechter im Jugendalter auf außerordentlich destruktive Weise „Geschlecht lernen“, und dass sexuelle Demütigungen und Übergriffe, verbal und handgreiflich, zu Initiationsritualen gehören, die Mädchen unterwerfen. Die Webplatt- form www.niceguysengine.de („NGE“) will hier präventiv und sensibilisierend wirken: Denn es ist für viele pädagogische Fachkräfte schwierig, mit Pubertierenden über sexuelle Belästigung und Gewaltformen zu diskutieren. Mit NGE verfügen sie über ein Medium, mit dem sie das Thema mit ihrer Gruppe ernsthaft bearbeiten können. Jungen und Mädchen ab 12 Jahren – auch mit Migrationshintergrund – lernen hier, sexualisierte Gewalt in ihrem Umfeld und im eigenen Verhalten zu erkennen und zu vermeiden.

Mit NGE können Jugendliche das Thema interaktiv, multimedial und online im „Echtzeit“- Austausch mit anderen bearbeiten. Über Fragebögen, Texteingaben, Interviews und Videos speisen sie eigene Erfahrungen in die Datenbank ein. Sie können mit den Erfahrungen von anderen vergleichen und sich ihrer Probleme bewusst werden.

Jungen lernen Spaß von Gewalt zu unterscheiden. Verlangt ihre Peergroup sexuell übergriffiges Verhalten als Männlichkeitsbestätigung, lernen sie mit der „niceguysengine“, dies zu erkennen und dem Diktat zu widerstehen. Ziel von NGE ist eine Veränderung der Männlichkeitsbilder als entscheidendes Moment in der Gewaltprävention3. Mädchen

1 Im Internet: www.niceguysengine.de und www.spass-oder-gewalt.de 2 Elz, Jutta: Sexuell deviante Jugendliche und Heranwachsende, KUP/Kriminologie und Praxis KrimZ, Bd. 41 Wiesbaden 2003. Kurzfassung: http://cgi.dji.de/bibs/ikknachrichten6.pdf, 28.8.06. Hinweis C.R.: Bis auf einige in den Fußnoten genannte Quellen beruht mein Aufsatz auf www.niceguysengine.de und den dort verwendeten, genannten und einsehbaren Quellen. Insofern wurde hier auf einen eigenen Quellen-Anhang verzichtet. 3 Hier wären z.B. Interviews mit Männern wünschenswert, die für Jungen über Stärke, Mitgefühl und über Sexualität als positive Kraft sprechen und dies auch als „role models“ verkörpern. 95 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention lernen an konkreten, möglicherweise bereits selbst erfahrenen Situationen sexuelle Belästigungen und ihre Funktion der „kulturellen Entwaffnung“ (mit einem Begriff Connells) zu erkennen. Sie werden ermutigt, Grenzen zu ziehen, sich in Gruppensituationen gegenseitig zu unterstützen und positiv zu verstärken. Beispiele von Zivilcourage und für Regeln, die sich die Gruppe geben kann, zeigen, wie Jungen und Mädchen übergriffiges Verhalten im eigenen Umfeld eindämmen und einen „zivilisatorischen Sprung nach vorn“ machen können.4

Wie NGE funktioniert – Konzept, Medien + Didaktik, Gender-Aspekte

Das Konzept von NGE wird hier nur skizziert; es geht vor allem um didaktische und genderbezogene Aspekte aus den Praxistests5. Ausführliche didaktische Anleitungen („Infos für PädagogInnen“, „Mit Medien arbeiten“, Merkblätter zum Ausdrucken usw.), konzeptionelle sowie fachlich/ wissenschaftliche Texte etc. stehen auf der Plattform frei zur Verfügung.

1 Konzept

Die Lernplattform besteht aus drei Modulen: Einer „Spielwiese“ mit individuell spielbaren Angeboten, einer „Gruppenarbeit“ und deren „Auswertung“ im Plenum, und zum Schluss die Gemeinschaftsaktion „Mit Regeln Frieden schaffen“. Die Gruppenarbeit wird durch ein Video initiiert, das zeigt, wie es zu einer Vergewaltigung auf dem Schulhof kommt. Die Mitspielerinnen und Mitspieler sind nun aufgefordert, als „Experten“ in vier AGs herauszuarbeiten, wie es dazu kommen konnte und warum niemand eingegriffen hatte. (Vgl. Abb. „Video-Intro“)

In diesen vier AGs – eine für Mädchen, zwei für Jungen, eine geschlechtsheterogen – geben die Jugendlichen über Fragebögen, Texteingaben, über Interviews und Videos ihre Erfahrungen in die Datenbank ein. Sie untersuchen mittels Selbstbefragung:

- Wie weit „Mädchen-Ärgern“ an dieser Einrichtung verbreitet ist - Wie Jungen das selbst empfinden - Was Mädchen selbst schon erfahren haben - Was Spaß ist und was Gewalt - Was Zivilcourage bewirken kann.

In der „Auswertung“ kommen alle AGs zusammen, vergleichen ihre Resultate (in Charts grafisch dargestellt) – auch mit den Antworten fremder Gruppen – und diskutieren ihr Verhalten. So sensibilisiert geht die Gruppe weiter zum Thema „Mit Regeln Frieden schaffen“: Beispiele für Zivilcourage und für Regeln, die sich die Gruppe geben kann,

4 Erläuterungen zur Entwicklung und Produktion von NGE s. Anhang. 5 Dieser Text spiegelt, dass es dabei hauptsächlich um Usability und genderbezogene, mediendidaktische, methodische und Kommunikations-Fragen im Zusammenhang mit Zielgruppen, Multiplikator/innen und den unterschiedlichen Settings ging. 96 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention zeigen ihnen, wie man Demütigungen und Gewalt im eigenen Umfeld eingrenzt, und regen sie zu eigenen Überlegungen an. Erst ab der Auswertung sind die begleitenden pädagogischen Fachkräfte bzw. Moderator/innen zur Diskussionsleitung gefragt – nicht vorher.

Abb. „Spielwiese“

Die „Spielwiese“ wiederum bietet Themen, die Mädchen und Jungen für sich alleine erkunden können: „Dating-Violence“, „Selbstverteidigung“, „Sind Pornos ungesund?“, „Partnertest“, „Was sich liebt, das neckt sich?“, „Können Jungen vergewaltigt werden?“, „Selbstbefriedigung“, „Wann ist ein Mann ein Mann?“, „Wann ist es eine Vergewaltigung?“6 (vgl. Abb. „Spielwiese“)

2 Medien + Didaktik: Interaktivität, Blended Learning

● Interaktivität konkret

NGE ist darauf angelegt, dass die Jugendlichen für sich und zugleich für alle weiteren Nutzerinnen und Nutzer einen immer facettenreicheren Spiegel schaffen, in dem sie das Thema auch mit den Augen anderer Jugendlicher betrachten. „Interaktivität“ ist auf dieser

6 Die drei Teile können für ganz unterschiedliche Zeitbudgets geplant werden: Für eine Doppelstunde, aber auch auf verschiedene Sitzungen verteilt oder als Thema einer ganzen Projektwoche, wo Jugendliche dann auch Videos und Interviews dazu produzieren könnten. 97 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention evolvierenden Plattform kein bloßes Schlagwort, wenn man die vielen – mehr als 40 – Eingabemöglichkeiten eigener Erfahrungen, Meinungen und Medien betrachtet. Gerade diese eigenen Erfahrungen der Jugendlichen sind gefragt und können – räumlich unabhängig – mit anderen Jugendlichen und Communities geteilt werden: „Let´s share the experience!“ Alle Texteingaben in die Datenbank können bereits „Sekunden später“ von allen gelesen und mit Eingaben anderer verglichen werden7. Auch werden viele Texteingaben in Echtzeit statistisch ausgewertet und als Balken-Grafiken dargestellt. Die Beteiligten sind außerdem gebeten, in „Gästebüchern“ ihre Kritiken und Anregungen öffentlich mitzuteilen, sodass Interessierte selbst sehen können, welche Fragen die Nutzer/innen am meisten bewegen. www.niceguysengine.de verwirklicht damit Elemente von Multiplayer-Teamprojekten und durch den Verbund mit anderen Gruppen die Leitlinien des zeitgemäßen „Digital Game Based Learning“.

● Blended Learning

Pädagogische Fachkräfte erfahren mit NGE, wie Hybridlernen, wie „Blended Learning“ funktioniert – also die Mischung von Online-Selbstlernen der Teilnehmenden und moderiertem Präsenzaustausch in der Gruppe. Sie stellen das Lernarragement her und können zu Beginn die Jugendlichen, ungestört durch pädagogische Interventionen, für sich allein oder unter Peers, erst einmal selber das Thema erschließen lassen. Erst in der Auswertung sind sie dann als Moderator/innen und „Lernbegleiter/innen“ gefordert, mit dem Plenum die Ergebnisse zu diskutieren und Lösungen und neue Verhaltensregeln mit zu initiieren. „Medienferne“ Pädagoginnen und Pädagogen können zugleich erproben, wie interaktive Medien pädagogische und prosoziale Bildungsziele unterstützen. Sie können erfahren, wie diese sich über ihren Distanzeffekt eignen, insbesondere auch „heikle Themen“ anzusprechen – und Genderthemen sind per se heikel. Denn bei Genderthemen gibt es keine „Unbeteiligten“, auch nicht in wissenschaftlichen oder pädagogischen Situationen: Man kann sie nicht jenseits persönlicher Erfahrung „neutral abhandeln“. Nicht zuletzt können pädagogische Fachkräfte / Moderator/innen an einem brisanten Thema konkret erfahren, wie „gender-sensible Didaktik und Pädagogik“ funktioniert und Sinn macht – auch diejenigen, die sich sonst nicht damit befassen würden.

3 Genderaspekte

Bei früheren Projekten8 hatten die Produzentinnen die Erfahrung gemacht, dass speziell Jungen sich mit heiklen Themen dann ernsthaft beschäftigten, wenn die Inhalte als Software dargeboten wurden: Multimedial, interaktiv, möglichst auch kompetitiv – mit Quiz und Selbsttests – und mit dem Reiz des Selber-Entdeckens. Dieser Effekt gilt uneingeschränkt auch heute: Das technische Medium wirkt als Katalysator und schafft die offenbar nötige symbolische und emotionale Distanz, aus der heraus Jungen eher in die Lage kommen, „nahe“ Themen an sich heran zu lassen.

7 A/V-Medien-Produktionen werden den NGE-Produzentinnen eingesandt, netztauglich komprimiert und in die Datenbank gestellt. 8 Vgl. dazu die Info-Box Kap.2: Die Adventures »Auf dem Weg zu Schneewittchen« und »Selma«. 98 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Bei NGE sind drei der vier Arbeitsgruppen als geschlechtshomogene Gruppen konzipiert. Für Jungen gibt es davon gleich zwei: „Jungen stellen fest: Was ist Spaß, was Gewalt?“ und „Gruppendiktatur: Jungen finden heraus, was nette Jungen fies werden lässt“. Für Mädchen wird die AG „Mädchen befragen Mädchen zu erfahrener Belästigung“ angeboten, und nur die AG „Zivilcourage“ ist für eine unbestimmte oder gemischtgeschlechtliche Gruppe: „Mädchen/Jungen finden heraus, wie man die Vergewaltigung hätte verhindern können“ (Diese letzte Überschrift spielt auf die Eingangs- Videoszene an, auf der dann viele weitere Fragen aufbauen). Mädchen und Jungen setzen sich zwar mit demselben Fragenkatalog auseinander – aber Mädchen fragen sich: Was habe ich erfahren? Während Jungen sich fragen: Was habe ich getan? Was würde mich wütend machen, wenn ich es selbst erfahren würde?

Abb. „Warum belästigen Jungen?“

Ein weiterer Genderaspekt: Was Jungen am meisten bewegt, ist der jugendgerecht formulierte „Auszug aus dem Strafgesetzbuch“, eine tabellarische Aufstellung über Vergehen, diesbezügliche Gesetze und Strafmaße9. Die Jugendlichen waren überrascht von der Vielzahl der möglichen Vergehen, und von der Höhe der Strafen beeindruckt.10

9 Vgl. dazu die Charts im „Gästebuch“. 10 Für die schulischen Curricula ließe sich von daher die Idee unterstützen, dass ein Fach „Recht“ gelehrt werden oder im Unterricht stärker berücksichtigt werden sollte. Vgl. „Der Tagesspiegel“ Berlin, 24.8.06 und 27.6.06. 99 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Auf der „Spielwiese“ sind die Themen der linken Hälfte „Für Mädchen“, auf der rechten „Für Jungen“ zugeordnet. Wenn nun Jungen und Mädchen genau entgegen dieser Vorgabe neugierig sind, die „Gegenseite“ zu erkunden, ist das durchaus intendiert. Auf der „Jungenseite“ steht unter anderem die Frage: „Ist Pornografie ungesund?“ An diesem Themen-Beispiel soll hier kurz das pädagogische und mediendidaktische Konzept von NGE angesprochen werden.

● Das Beispiel Pornografie

Eine Lernplattform zu sexueller Gewalt muss sich der Auseinandersetzung mit Pornografie stellen. Pubertierende Jungen sind fast täglich mit Pornografie und (sexuelle) Gewalt verherrlichenden Liedtexten konfrontiert. Beides fasziniert sie und beeindruckt sie stark. In Gesprächen am Rande der Testprojekte stellten wir aber fest, wie schwer sich manche Pädagogen tun, Pornografie abzulehnen oder sich überhaupt mit den Jugendlichen darüber auseinanderzusetzen: „In Maßen kann das nicht schaden“, „Verbote machen die Sache nur interessanter“11. Auch in der Forschung zu elektronischen Medien wird dies Thema eher ausnahmsweise in Studien explizit gemacht12. Die Kinder- Medien-Studie von ARD/ZDF 2006 fragte z.B. die Eltern nicht nach Nutzung von Pornografie- und Sex-Sendungen durch ihre Kinder, sondern ganz allgemein nach „Bösem und Grausamem“ 13. Begründet wurde dies mit der Annahme, dass es zu Pornografie und sexualisierter Gewalt keine ehrlichen Antworten geben würde (!). Dies widerlegt der „Trendbericht Kinder- und Jugendbuch 2006“, der unter der Überschrift „Jungen lesen anders“ Schlagzeilen machte14. Demnach lesen Jungen nicht nur signifikant weniger als Mädchen, sondern suchen in erster Linie nach „Sex“. Dazu finden sie aber in der Jugendliteratur so gut wie nichts. Klaus Willberg, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen, stellt fest: „Thema Nr. 1 bei Jungen ist nicht Technik, auch nicht Fußball oder Action, sondern Sex. Darauf wird zu wenig eingegangen. Es ist einfacher, pubertierende Jungen als Nichtleser zu stigmatisieren, als sich mit Büchern ihrer tatsächlichen Lebenswelt zu stellen.“15 In den elektronischen Medien – Fernsehen und Internet – hingegen brauchen Jungen bekanntermaßen nicht einmal besonderes Geschick oder Medienkompetenz, um an ein breites Spektrum an Sex und Pornografie zu gelangen.

11 Auch im Programm zur 23. Jahrestagung 2006 der größten deutschen Organisation für Medienpädagogik GMK zum Thema „Körper, Kult und Medien – virtuelle und reale Lebenswelten. Konzepte für Pädagogik und Bildung“ kommt „Pornografie“ nicht vor. Zu denen, die das Thema explizit ansprechen, gehören Jürgen Kunczik beispielsweise in seinen Studien zu „Medien und Gewalt“ und das KFN Niedersachsen (Christian Pfeiffer), die in ihrer noch nicht vollständig veröffentlichten Studie zur Medienverwahrlosung auch geschlechterdifferenzierte Daten erhoben haben, u.a. zu „Nutzung verbotener Filme durch SchülerInnen“, „Nutzung problematischer Fernsehformate nach Geschlecht“ und „Horror, Action, Sex- und Pornofilme – Nutzung nach Schulform und Geschlecht“. Vgl. http://www.kfn.de/medienfirstresults.pdf#search=%22kfn%20medienverwahrlosung%22 (28.8.06). Demnach würden Mädchen signifikant weniger auf Sex- und Pornomedien ansprechen. 13 Grunddaten der – insgesamt aufschlussreichen und empfehlenswerten - Studie „Kinder und Medien 2003 – 2004“ unter http://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/Mediendaten2004.pdf (28.8.06). 14 Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Stiftung Lesen. 15 Die Textpassage aus http://www.stiftunglesen.de/journal/presse/pre237.html (28.8.06). 100 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Wie geht NGE nun mit dieser „tatsächlichen Lebenswelt“ von Jungen um? Auf der „Spielwiese“ spricht die Autorin Cristina Perincioli das Thema ganz offen mit der Frage an: „Ist Pornografie ungesund?“. Statt Bedenken zu äußern, lässt sie die Nutzer erst eine Bestandsaufnahme machen. Sie werden nach Bezugsquellen und Schamgrenzen gefragt (Beispiel: bei einer Vergewaltigung von Kindern löschen 55% der Jungen diese Datei, 7% macht das scharf, 35% müssen hingucken, auch wenn es sie abstößt), wieweit sie Pornophantasien auf Frauen und Mädchen ihrer Umgebung übertragen (24% tun dies) und auf die Partnerin, welche Lerneffekte sie erhoffen/beobachten, was sich in ihren Beziehungen verändert. Dazu: Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung – wohl die erste Umfrage zum Pornokonsum Jugendlicher in Deutschland.

In der Auswertung sehen sie dann, wie andere Jungen geantwortet hatten – aber auch die Mädchen16. Erst zum Schluss, beim Kapitel „Beeinflussen dich Pornos?“ bringt Perincioli Anmerkungen ein: Behauptet ein Junge „Ich lerne, wie Frauen beim Sex reagieren“, erscheint beim Rollover der Kommentar: „Pornodarstellerinnen machen doch eine Show!“; oder bei der Antwort: „Ich spiele Situationen aus Pornos nach“ erscheint: „Pornovideos suggerieren, dass jede sexuelle Handlung möglich sei. Andere haben es doch auch gemacht...“17 Im „Gästebuch“ bestätigen Jugendliche – Mädchen wie Jungen – durch die höchste Bewertung, wie interessant das Thema „Pornografie“ für sie ist.

Auch bei gewaltverherrlichenden Songtexten lässt NGE die User erst eine Bestandsaufnahme machen. Sie schreiben ihnen bekannte Passagen auf und lesen die bereits von anderen gesammelten Texte. So zusammengestellt, wirken sie nicht mehr wie provokante Einsprengsel, sondern offensichtlich brutal und niederträchtig. Im Kapitel „Können Jungen vergewaltigt werden?“ wird auch ein Text von Sido zitiert, der sich dort brüstet, einen Jungen zu vergewaltigen, bis dieser weint. Spätestens hier merken Jungen, dass auch sie als Opfer gemeint sein können.

Einen ähnlichen Aha-Effekt haben wir in Diskussionen mit Studierenden durch das altbekannte Verfahren des Rollentauschs erzeugt. Hier fanden sich immer wieder vehemente Verteidiger dieser Songtexte – mit Argumenten für die Freiheit der Kunst und künstlerischen Realismus, für eine rebellische und provozierende Jugendkultur etc. Als die Studierenden dann aufgefordert wurden, probehalber die handelnden Personen „Mann – Frau“ durch „Weißer – Schwarze“ zu ersetzen, erschien die Gewaltsituation plötzlich als rassistisch und damit als verdammenswert und tabu. Auf diese Art wird ein moralischer „doppelter Standard“ deutlich, wonach rassistische Herabwürdigung zu Recht sanktioniert, sexistische aber oft nicht einmal wahrgenommen oder als „normal“ perzipiert wird.

16 Die Auswertungsseiten lassen sich ohne Ausfüllen der Fragebögen direkt ansteuern über „Spielwiese“/ „Sind Pornos ungesund“/, dann unten den Link anwählen „Ich habe noch keine Pornos angeschaut“. Die Antworten sind übrigens nach „weiblich“ und „männlich“ aufgeschlüsselt. Denn dieser Link wird mit großem Interesse auch von den Mädchen angewählt. 17 Im Plenum/bei der Auswertung liegt es dann bei den ModeratorInnen, welche zusätzlichen Informationen und Themen sie einbringen: Wie Sexsucht entsteht und durchs Internet verstärkt wird – wobei „Sexsucht“ auch von NGE angesprochen wird; neue Arten der Pornografie-Produktion und Verbreitung durch Jugendliche per Handy-Videos, Pornografie auf Musik-Download-Sites, Pornografisches und Hurenästhetik in Musikclips, Sex und Pornografisches in Chatrooms usw. 101 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Abb. Eine Seite aus den Antworten zum Pornokonsum

Praxistransfer

Ab 2005 wurde NGE in Berlin, Brandenburg, Bayern und Thüringen eingesetzt und in einer großen Bandbreite von jugendbezogenen Organisationen, Gruppen und Settings getestet18. In Thüringen agierten dabei Studierende aus Projektseminaren an der FH

18 Als Illustration zur Bandbreite hier die Test-Einrichtungen: Amelia Earhart Oberschule Berlin (3 Klassen), Oskar-Gründler-Gymnasium Erfurt, Gymnasium Sonthofen, Berufsschulen: Förderbildungszentrum Gotha und BVB 2, Jugendzentren: Domizil e.V., Maxi, Hoppla und das Mädchenprojekt in Erfurt, FH Erfurt, Szenenwechsel, Wannseeheim für Jugendarbeit, Deutsch- Türkischer Kinder-, Mädchen- und Jungentreff am Wasserturm/Berlin - die Ergebnisse dieser Institutionen wurden beim Umbau der Datenbank zusammengefasst. Ab Januar 2006: Hauptschule Sonthofen, Oberschule Oberhaching, Villa Lampe Heiligenstadt, Kinderhaus Weimar, Feldatalschule 102 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Erfurt unter der Leitung von Cillie Rentmeister als Moderator/innen. So konnte die Lernplattform bereits vor dem eigentlichen Start im Herbst 2006 mit Leben gefüllt werden.

1 Offene Jugendarbeit und Schule

In Jugendhilfe, Jugendclubs und der „offenen Jugendarbeit“ ist NGE sehr gut angenommen worden. Einige Features kommen dieser Arbeit mit ihren bekannten spezifischen Herausforderungen besonders entgegen: Wenn z.B. die Internetverbindungen zu langsam sind, bietet die CD-ROM Version Abhilfe, dank derer auch im Online-Betrieb keine Ladezeiten für die Videos und Töne entstehen. Für unverbindliche Gruppensituationen ist die modulare Struktur von NGE günstig, die asynchrone Nutzung für SeiteneinsteigerInnen ermöglicht, wenn z.B. manche TeilnehmerInnen erst „später hereinschauen“. Es konnte auch mit Jugendlichen mit geringerem „kulturellen Kapital“ gearbeitet werden. In NGE wurden schwierige Begriffe vermieden, und die Texte so knapp wie möglich formuliert. Die modularisierte, flexible Struktur der Plattform gestattet es, durch Beschränkung auf einzelne Aspekte dem unterschiedlichen Konzentrations-Vermögen gerecht zu werden. Dies gilt natürlich auch für Schulen.

Einsätze an Schulen haben die Vorteile dieses Lernorts gezeigt: Hier gibt es klar definierte Gruppen und Zeiten, meist gut ausgestattete PC-Pools, und über die Schule werden optimal-demokratisch sozusagen „alle“ Jugendlichen erreicht. Auch sonst schwer motivierbare Schüler/innen wurden vom Thema gefesselt, wie Live-Reaktionen und Auswertungen der Fragebögen (Gästebücher) zeigen. NGE wurde bei den Tests in unterschiedliche Schulfächer eingebunden: Sozialkunde, Sexualkunde, Lebenskunde/Ethik, Medien und gestalterische Fächer.

Sollten denn nun – wie es in unseren Tests ja durch die Studierenden praktiziert wurde – Lernbegleiter/innen, Moderator/innen „von außen“ an die Schule oder Einrichtung kommen und eine Unterrichtseinheit oder ein Projekt mit NGE durchführen? Vielleicht mit dem Argument, dass die LehrerInnen dadurch einer heiklen Aufgabe enthoben sind, und die Jugendlichen durch die Distanz zu freierer Aussprache fähig? Nein – die entsprechenden Pädagog/innen sollten dies selbst realisieren. Denn sie sind aufgerufen, selbst den gendersensiblen Blick für mögliche Probleme in ihren Gruppen zu entwickeln, und die Scheu zu verlieren, auch sexuell konnotierte Konflikte anzusprechen. Hierin haben sie auch Vorbild-Funktion. Auch präventiv-strategisch gesehen ist dies sinnvoll, da schließlich sie es sind, die die SchülerInnen in wichtigen Entwicklungsphasen begleiten – täglich und auf Jahre hinaus. NGE unterstützt sie dabei, in einem pädagogischen Kontinuum Verantwortung wahrzunehmen und das Umfeld, vor allem die Geschlechterbeziehungen, für alle menschenfreundlicher und erfreulicher zu gestalten.

Stadtlengsfeld, Anne-Frank Realschule Laichingen, AWO Kinderheim Eisenach, FH Erfurt, Jugendclub Crash Gera, Mobilcom Erfurt, KH Weimar. 103 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Abb. „Partnertest“ – von der „Spielwiese“

2 NGE in der Hochschullehre

Dieser Abschnitt ist ein Plädoyer, NGE auch in der Hochschul-Lehre einzusetzen. An der FH Erfurt haben wir bisher über vier Semester Erfahrungen damit sammeln können, im Praxistransfer durch Studierende des Fachbereichs Soziale Arbeit/Sozialpädagogik. Die Projektseminare fanden in Verbindung der zwei Lernbereiche „Interaktive Medien“ und „Gender Studies“ statt.

NGE-Projekte erwiesen sich unter mehreren Aspekten als ergiebig für die Lehre, mit vielfältigen Lerneffekten für Studierende. Kurz zusammengefasst: Sie sammeln Erfahrungen mit gendersensibler Jugendarbeit, interaktiver Medienkommunikation, Interviewtechniken, prozess- und produktorientierter Mediendidaktik, Projektentwicklung und Evaluation einschließlich Verfahren zur computerisierten Nutzungsanalyse, Testverfahren zur Usability mit verschiedenen Zielgruppen, und PR-Strategien mit interaktiven Medien, insbesondere Linkpartnerschaften und Online-PR; außerdem kommunikative und Softskills wie Projektpräsentation vor MultiplikatorInnen und Zielgruppen, und Kooperation mit der „Praxis“ und außerhochschulischen Partnern in der Region. Diese und ähnliche Lerneffekte kann NGE auch in anderen Fachrichtungen unterstützen, und dort auch die methodische Vielfalt fördern, – in Sozial- und Erziehungswissenschaften, (Medien-)Pädagogik, Psychologie, Cultural Studies, Gender Studies.

104 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Aus den Praxiserfahrungen drei Aspekte:

● „Induktive“ Projektseminare. In den Projektseminaren haben die Studierenden als erstes wie in einem Rollenspiel NGE als „Teilnehmer/innen“ und „Moderator/innen“ durchgespielt. Dies quasi „induktive“ Verfahren – zuerst einmal eigene, konkrete Beispiele und Erfahrungen zu sammeln – ist sehr zu empfehlen. Der Diskurs wird so viel fundierter, als wenn es vorab zu Diskussionen auf der Basis von ganz unterschiedlichem persönlichem Vorwissen, Vorerfahrungen und von Alltags-Theorien kommt. Alle folgenden mediendidaktischen, inhaltlichen und theoretischen Auseinandersetzungen finden dann vor dem Hintergrund dieser praktischen Erfahrung und neu gewonnener Informationen statt. Bewährt hat sich auch das Verfahren, die Vorstellung des Projekts für verschiedene Zielgruppen – von Jugendlichen bis Lehrerkollegien – regelrecht mit Präsentationen vor der Projektgruppe zu trainieren, bevor die Studierenden aus der Hochschule „hinaus ins Feld“ gingen.

● Selbständigkeit in der Realität – und Orientierungsvermögen im Hyperraum. Ins Projekt-Pflichtenheft der Studierenden gehörte, die Veranstaltungen mit NGE möglichst selbständig zu planen und durchzuführen – von Kontaktaufnahme und Info-Flyer- Gestaltung über die Durchführung bis zur Auswertung. Die Professorin (C.R.) begab sich nur „auf Einladung“ mit in die Testsituationen oder war für Beratung „standby“. In Projektsitzungen an der Hochschule wurden die Erfahrungen analysiert, Hilfestellungen geleistet und Verbesserungen erarbeitet.

Ein grundlegendes Problem von Hypermedien ist die Orientierung im Informationsraum. Denn die Daten stehen ja nicht sequenziell zur Verfügung, zum Nachschlagen wie in einem Buch, sondern auf Einzelseiten, die in einem dichten, quasi dreidimensionalen Netz über Knotenpunkte miteinander verwoben sind. NGE umfasst mehr als 300 untereinander verknüpfter „Seiten“ – und ergäbe als „altes Medium Buch“ einen stattlichen Band.

So stellte sich bei den Tests heraus, dass die studentischen Moderator/innen unbedingt auf einen sicheren „roten Faden“ zurückgreifen wollten, angesichts der Dichte der Plattform mit ihren zahlreichen Verzweigungs-Möglichkeiten. Es wurde deshalb ein pädagogischer „Ablaufplan“ mit Checkliste zur Gruppenarbeit und Zeitschiene entwickelt, der sich in den oft unvorhersehbaren Gruppensituationen bewährte (weitere Informationen dazu unter http://www.niceguysengine.de/doku/nge_checkliste_ gruppenarbeit.doc). Auch der „Index zu den Medien“ wurde daraufhin von der NGE-Autorin Perincioli bereitgestellt: Sie erleichtert den raschen Zugriff, wenn ganz bestimmte Beiträge direkt angesteuert und gezeigt werden sollen und kann mit nur einem Klick von der „Spielwiese“ aus erreicht werden (http://www.niceguysengine.de/ index_medien.html).

● Selbstreflexive Effekte in Sachen „Gendertrouble“. NGE bewirkt auch bei den Studierenden selbst, in den Projektseminaren und in der Hochschulsituation, dass sie sich bereitwilliger für das brisante Gender-Thema sensibilisieren. Die meisten werden, analog der eigentlichen Zielgruppe „Jugendliche“, durch die multimediale und interaktive Aufbereitung angesprochen, und durch die Selbst-Befragungen und den Austausch – z.B. durch die Interviews – mit KommilitonInnen und im Freundeskreis. Gerade durch die Interviews wurden Diskussions-Kettenreaktionen angestoßen.

105 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Dies ist ein sehr positiver Nebeneffekt für „Gender Studies“, denn auch Studierende sind ja meist noch „Jugendliche“ – und viele stehen der Auseinandersetzung mit Geschlechter- Problemen durchaus reserviert gegenüber. Dies geschieht selbst in der Sozialen Arbeit – was aber nicht verwundert: Denn – wie in der Einleitung schon gesagt –, diese sozialen Probleme spielen sich nicht im „Außen“ ab, unter den „Anderen“, in sozial belastenden Umgebungen oder anderen Schichten, sondern im „Innen“. Für jede und jeden ist die Erfahrung mit der Kategorie „Geschlecht“ unausweichlich, und eine Erfahrungsdimension der eigenen Person. So zeigen viele Studierende deshalb auch Schwierigkeiten im Umgang mit Gewalt-Problematiken zwischen den Geschlechtern, weil sie selbst ja in einer jugendlichen Lebensphase sind, in der (Liebes-)Beziehungen geknüpft und – verständlicherweise – Schattenseiten und „Gendertrouble“ lieber ausgeblendet werden.

Resonanz

Herstellung und Testphase gingen im Juli 2006 zu Ende. Erst seit diesem Zeitpunkt ist „niceguysengine“ gelauncht und wurde durch Briefe und Mailings an die Presse, Fachmagazine und Verbände bekanntgemacht. Die eingeplanten 2.500 CD-ROMs waren innerhalb von 2 Wochen abgefordert. Zitate aus ersten Rückmeldungen von Professionellen:

 „Ein großes Lob für Ihr ausgezeichnetes Arbeitsmaterial.“ (Andrea Siegert, Supervisorin mit 14 Jahren Arbeitserfahrung im Bereich „Gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen“)  „Ich bin selbst im Experten-Team bei Prätect München, ein Projekt des Bayrischen Jugendrings zum Schutz vor Sexueller Gewalt. Am WE hatte ich erst ein Seminar mit Ansprechpartnern der KLJB (Katholische Landjugendbewegung) und habe diese geschult. Von daher finde ich die CD-ROM, die Sie entwickelt haben, ganz toll, denn gerade im Bereich Jugendarbeit mit Jugendgruppen ist hier großer Bedarf und die Leiter sind sehr dankbar, wenn man Ihnen gutes Material zur Verfügung stellen kann.“ (Michaela Bogner, Dipl. Sozialpädagogin/FH, Gesundheitsamt)  „Ich habe ihre Internetseite mit großem Interesse angeschaut. Ich finde sie inhaltlich sehr gut. (Lukas Geiser, Lust und Frust, Fachstelle für Sexualpädagogik)  „Wir halten dieses Methodenpaket von Fragebögen, Interviews und Videosequenzen für sehr gelungen.“ (Jana Wolff, Kinder- und Jugendschutzdienst „Allerleirauh“, Suhl)  „Äußerst gelungene Web-Seite! Für unsere MediPäds-Teams, bestehend aus ÄrzteInnen und LehrerInnen, die in Schule gesundheitsförderlichen Unterricht durchführen, ist „niceguysengine“ ein tolles Angebot.“ (Stefanie Rengers, Medisana)  „..ich finde sie total toll gemacht, ich bin begeistert und würde sie auch gerne im Rahmen unserer Ausstellung HERZ-SCHLAG zum Thema „häusliche Gewalt“ einsetzen - hierbei arbeiten wir sehr viel mit SchülerInnen zusammen, auch mit anderen interactiven Materialien. Wenn es ginge, würden wir sogar auch gerne mehr bestellen...“ (Frauenhaus Norderstedt)

Auch Mädchen und Jungen werden seit einiger Zeit am Ende jeder AG nach ihrer Meinung befragt. Sie können auch die Spielwiese benoten, und zwar jedes Kapitel einzeln. Es überwiegen die Urteile „spitze“ und „interessant“. „Wn“, – also „weiß nicht“ – ist selten, auch „doof“ – und „saudoof“ fast nie. Aber da diese Gästebücher noch nicht lange bestehen, sind dort erst wenige Jugendliche vertreten. Um sich selbst ein Bild zu

106 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention machen, kann man auf der Startseite „Projektinfo“ wählen, dort den Link „Jugendliche+Fachleute bewerten die Site“ und dann „Umfrage“ anklicken. Aus den Kommentaren einige Zitate:

 „Internetseite ist sehr informativ und realistisch aufgebaut.“ „Dass man in einer Notsituation, wie in dem Film, oft alleine dasteht, da sich viele nicht trauen einzugreifen und sich gegen die Täter zu stellen. In der Zukunft werde ich versuchen in solchen Situationen nicht weg zu schauen, sondern zu helfen.“  „Die „Spielwiese“ ist sehr gut aufgebaut, man kann noch eine Menge davon lernen. Es ist auch sehr interessant was bei den Ergebnissen raus kommt.“  „Interessant rübergebracht.“  „Man hat sehr viel gelernt.“  „Ich finde eure Seite echt cool, weiter so.“

O-Töne aus den Interviews mit Männern in der AG „Gruppendiktatur“

Als Interviewpartner wurden jüngere erwachsene Männer um eine Rückschau gebeten: „War das schon immer so?“ nämlich dass man sich in der Peergroup über „Mädchen ärgern“ profilierte? Hier einige Antworten:

 „Das war eigentlich so mehr ein Testen wie weit man gehen kann... wenn alle guckten, mal an die Brust greifen ... oder auch den Rock hoch heben, damit man sagen kann, was drunter ist. Oder, eigentlich weil man die Reaktion abwarten wollte.  Man hat dann schon mal paar gefangen dafür... (grinst) aber man war halt dadurch im Gespräch und fand sich cool.“  „Die eigene Freundin hab ich meistens außen vor gelassen, hab’s immer bei anderen getestet. Ausgewertet wurde es dann in der Gruppe, wer und wie viele man schon am Wickel hatte, und bei wem man’s noch versuchen könnte...  Wer die meisten Ergebnisse vorweisen konnte, war der Größte.“  „Spaß hat es nicht unbedingt gemacht..., aber man wollte halt dabei sein, wenn nötig auch mit derben Sprüchen, auch unterhalb der Gürtellinie.“ (Martin 30 Jahre) Interview von Judith Prosch, FH Erfurt)  „Es war damals in der Grundschule total verpönt, was mit Mädchen zu machen oder sich mit denen abzugeben. Da galt man dann eben als schwul. Das war eben nicht normal. Deswegen war ich auch ein ziemlicher Außenseiter.“ (Jens 31 Jahre)  „Aus Spaß. Man hat sich übertrumpfen wollen. Also war es auch irgendwie ein Machogehabe, was traut man sich wohl, obwohl sowieso Personen betroffen waren, bei denen man nicht mit großer Gegenwehr rechnen konnte.  Und dann, um sich eben irgendwie bei Laune zuhalten. Es wurde ja drüber gelacht. Es waren ja auch in den Sprüchen, die unter der Gürtellinie waren, Pointen dabei, worüber man, wenn man sich es mit dem Gewissen leicht gemacht hatte, herzhaft lachen konnte. Aus Jux und Dallerei.  Wenn ich das Ärgern damals kritisch betrachtet habe, dann nur wenn ich alleine war, wenn man sich selbst mal mit ethischen Fragen auseinandergesetzt hat und sich gesagt hat ‚Mensch, das war doch sicherlich nicht o.k., was ich da gemacht habe.’, und dann hat man

107 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

aber sobald man wieder in der Clique war, nicht mehr darüber nachgedacht und wieder losgelegt.“ (Martin 27 Jahre)  „Es kam vor, dass ein Junge die Mädchen, die geärgert wurden, verteidigt hat. Wenn man sich als Junge irgendwie positiv über das Mädchen geäußert hatte, dann war man halt schnell dabei auch irgendwelche Witze abzubekommen, also da gehörte man mal schnell mit zu den Außenseitern, gerade in der Grundschulzeit war das extrem.“ (Roland 30 Jahre)  „... Ich musste in der neunten Klasse mal zum Direktor, weil ich Mädchen an die Brüste gefasst habe. Das war für mich sehr peinlich, da war ich ja immerhin schon fünfzehn und da fand man es nicht so toll beim Direktor zu sein, weil man Mädchen an die Brust gefasst hat.“ (Jens 31 Jahre) (Interview von Olivia Merbach, FH Erfurt)

Wer hat NGE entwickelt und produziert?

Autorin und Produzentin von NGE ist Cristina Perincioli, Filmemacherin und Multimediaproduzentin in Berlin-Brandenburg. U.a hat sie die CD-Roms »AVA1« und »AVA2« und die WebSite www.4Uman.info entwickelt (mehr Informationen unter www.sphinxmedien.de).

Die Idee zu NGE und die wissenschaftliche Beratung trug Dr. Anita Heiliger bei. Sie hat als Gender-Forscherin am DJI (Deutsches Jugendinstitut) 1998 die „Münchener Kampagne gegen Männergewalt“ wissenschaftlich begleitet und an verschiedenen Schultypen erstmals Daten zur „Gewalt von Jungen und Männern gegen Mädchen und Frauen“ erhoben (mehr Informationen unter www.niceguysengine.de)

Trägerin des Projekts ist Cream e.V. (Content Creation for Interactive Media), ein gemeinnütziger Verein in Berlin, in dem sich medienschaffende Frauen zusammengeschlossen haben, um prosoziale und genderorientierte Produktionen zu initiieren. Geschäftsführende Vorsitzende von cream e.V. ist Prof. Dr. Cillie Rentmeister, Professorin an der FH Erfurt..

NGE steht dank der Förderung durch die „Stiftung Deutsche Jugendmarke e.V.“ den Nutzer/innen kostenlos zur Verfügung.

108 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Die Kunst, kleine Brötchen zu backen… Inhalte, Methoden und Strategien der Präventionsarbeit zu häuslicher Gewalt mit Mädchen und Jungen

Ulrike Brockhaus

Häusliche Gewalt ist in der Regel Gewalt von erwachsenen Männern an erwachsenen Frauen. So liegt es nahe, Prävention für genau diese Gruppe der Betroffenen zu konzipieren. Dies muss – ohne Frage – auch geschehen, doch verfolgen wir mit diesem Beitrag eine andere Zielrichtung, nämlich dort vorbeugend anzusetzen, wo die Grundlagen dafür entstehen, dass ein Mensch zu gewalttätigem Handlungen neigt bzw. sich kaum effektiv dagegen zur Wehr setzen kann: in Kindheit und Jugend. Damit geht es um die Kernfragen:

 Was kann getan werden, um das Risiko zu mindern, dass ein Kind später zum Opfer häuslicher Gewalt wird?  Wie kann das Risiko gemindert werden, dass ein Kind später zum Täter (oder Täterin) häuslicher Gewalt wird?  Aber auch: Wie erhöhen wir die Chance, dass ein Kind, das mittelbar als Zeug/in von häuslicher Gewalt betroffen ist, Unterstützung erhält?

Bevor wir auf die wichtigsten Inhalte präventiver Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingehen (Punkt 2) und Tipps für die Planung von Präventionseinheiten geben (Punkt 3), möchten wir zunächst einige grundsätzliche Annahmen vorstellen, auf denen unser Präventionsansatz basiert.

Prämissen

Häusliche Gewalt bildet zusammen mit sexueller Gewalt eine spezifische Gewaltform, die in unserer Gesellschaft vorwiegend von Männern an Frauen, Mädchen und Jungen verübt wird. Prävention häuslicher Gewalt ist daher immer auch Prävention sexueller Gewalt und umgekehrt (s.u.). Effektive Prävention muss an den Ursachen der Gewalt ansetzen. Zentrale Ursachenfaktoren sind:

 das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, manifestiert in den traditionellen Geschlechtsrollen und der patriarchalen Gesellschaftsstruktur;  damit verbunden eine Reihe systematisch verzerrter und falscher Vorstellungen über Gewalt, sog. Mythen (z.B. der Glaube, häusliche Gewalt komme vor allem in der Unterschicht vor oder das Opfer provoziere die Taten). Die Mythen führen zu gesellschaftlich vorstrukturierten inadäquaten Verhaltensmustern (z.B. der Herr

109 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Professor wird als Täter nicht wahrgenommen oder das Opfer sucht aus Schuldgefühlen heraus keine Hilfe).  unzureichende soziale Kompetenz;  geringer Selbstwert (z.B. Gewaltausübung als Machtdemonstration zur Selbstbestätigung oder Verharren in der Gewaltbeziehung, weil „ich bin nichts wert, habe es verdient und kann sowieso nicht alleine zurecht kommen“)

Jede Aktivität, die darauf abzielt, die genannten Ursachenfaktoren günstig zu beeinflussen, ist eine geeignete Maßnahme zur Prävention von häuslicher wie auch sexueller Gewalt. Dies impliziert, dass die meisten der Erkenntnisse, die schon zum Problemfeld sexueller Gewalt gewonnen worden und die vielen Materialien, die dafür erstellt worden sind, für die Prävention häuslicher Gewalt nutzbar gemacht werden können!

Prävention kann und muss gleichermaßen aus drei Perspektiven erfolgen:

 Opferperspektive: Erhöhung der Chance, dass ein Opfer sich zur Wehr setzen und frühzeitig Hilfe holen kann.  TäterInnen-Perspektive: Verringerung der Motivation und Erhöhung innerer und äußerer Hemmnisse zu übergriffigem Verhalten oder zur Ausübung von Gewalt.  Perspektive des sozialen Umfeldes: Erhöhung der Chance, dass Übergriffe und Gewalt als solche wahrgenommen werden, das Opfer unterstützt und der Täter (zumindest im weitesten Sinne) sanktioniert wird.1

Außerdem:

 Prävention von Gewalt muss grundsätzlich geschlechterbewusst ausgerichtet sein und sollte möglichst auch geschlechtsspezifische Angebote beinhalten.  Sie kann und muss in/mit jeder Altersgruppe erfolgen und inhaltlich und methodisch auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt werden.  Effektive Prävention muss als kontinuierlicher Prozess und Erziehungshaltung im Alltag von Kindern und Jugendlichen greifen.

Zusätzlich zur gewaltpräventiven Erziehungshaltung können zu einzelnen Präventions- aspekten auch eigens dafür konzipierte Einheiten oder Aktionen durchgeführt werden. Keinesfalls jedoch darf Prävention darauf beschränkt sein.

Wer explizite präventive Maßnahmen durchführen will, muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

 fundiertes Wissen über das Erscheinungsbild häuslicher und sexueller Gewalt;  Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität, mit eigenen Werten und Normen hinsichtlich Geschlechtsrollen und Partnerschaft sowie ggf. die Reflexion und möglichst Aufarbeitung eigener Gewalterfahrungen;

1 S. dazu „Drei Perspektiven Modell sexueller Gewalt“ von Brockhaus & Kolshorn, 1993. 110 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 ein Mindestmaß an Kompetenz zur Intervention, denn: Wer präventiv arbeitet, wird früher oder später zur Ansprechpartner/in für Betroffene.

Im Hinblick auf des zuletzt genannte ist eine Kooperation mit regionalen Fachsstellen unabdingbar.

Inhalte präventiver Arbeit

Worum sollte es bei der Prävention häuslicher Gewalt gehen? Was ist inhaltlich wichtig? Präventionsarbeit, die versucht, das Übel an der Wurzel zu packen, muss sich an den Ursachen orientieren (s.o.). Dementsprechend muss sie sich zum einen mit Persönlichkeitsbildung befassen, nämlich der Bildung eines gesunden Selbstbewusst- seins, offener Geschlechtsrollenorientierung und sozialer Kompetenz. Zum anderen werden die Gewalt selbst, angrenzende Themengebiete wie Beziehung, Familie und Sexualität sowie mögliche Handlungsstrategien gegen Gewalt in den Mittelpunkt gestellt. Dazu nun mehr. Konkrete Ideen und Beispiele zur Umsetzung finden Sie in den grauen Kästen.

1 Vermittlung grundlegender Fertigkeiten

Geschlechterbewusste, emanzipatorische Erziehungshaltung

Grundlage und Kern präventiver Arbeit gegen Gewalt ist eine geschlechterbewusste, emanzipatorische Erziehungs-Haltung. Dieses Wortungetüm beinhaltet zweierlei.

Zunächst einmal: Gute Prävention ist kein einmaliges Event, sondern eine spezielle, stetige Haltung, eine Einstellung, eine Überzeugung, ein Handlungsmuster der Personen, die mit Kindern und Jugendlichen täglich umgehen. Es ist eine Haltung, die Mädchen und Jungen in ihren Eigenheiten, Bedürfnissen und ihrer Autonomie ernst nimmt, sie als Menschen unbedingt wertschätzt und akzeptiert, eine Haltung, die für Selbstbestimmtheit, Gleichberechtigung und soziales Miteinander eintritt. Wer präventiv tätig sein will, muss sich selbst fragen, „Habe ich eine solche Haltung? Wie stehe ich zur Selbstbestimmtheit, Gleichberechtigung….?“ Ist man in der präventiven Haltung nicht eins, nicht echt und kongruent, wird man sie nicht wirklich und überzeugend umsetzen können. Leere Floskeln wirken nicht…

Mit „geschlechterbewusst“ und „emanzipatorisch“ sind die Inhalte und Ziele der Erziehungshaltung angesprochen. Es geht um die Vermittlung von

 Selbstbewusstsein und -vertrauen: Ich bin ich; ich bin einzigartig und wertvoll; ich kann handeln, ich kann etwas bewirken

111 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 Selbstwahrnehmung und -achtung: Wahrnehmung und Akzeptanz des eigenen Körpers, der eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse; Wissen um und Stehen zu eigenen Stärken, Schwächen, den eigenen Grenzen  Fremdwahrnehmung und -achtung: entsprechend der Selbstwahrnehmung  Bewusstsein über die eigene geschlechtliche Identität und Bewusstheit im Umgang mit Geschlechtsrollen-Klischees

Im Sinne der geschlechterbewussten emanzipatorischen Erziehungshaltung ist Prävention Persönlichkeitsentwicklung, die überall stattfindet bzw. stattfinden kann. Prävention im Sinne einer Erziehungshaltung ist kontinuierlich als Prozess im Alltag integriert: Ein Vater, der zu seiner Tochter sagt: „Stell Dich nicht so an, der Pullover kratzt nicht“, spricht ihr die eigene Wahrnehmung ab. Unterstützt er den Sohn darin, die ungeliebte Tante zur Begrüßung nicht zu küssen, bestärkt er ihn in der Akzeptanz und Durchsetzung seiner eigenen Bedürfnisse und Grenzen. Die Lehrerin, die sich für ihr ungerechtes Handeln entschuldigt, zeigt als Rollenvorbild, dass man zu Schwächen stehen und wie man Probleme im Miteinander lösen kann. Der Sozialarbeiter, der davon erzählt, dass er zu Hause für Wäsche und Putzen zuständig ist, öffnet den Horizont für anderes Geschlechtsrollenverhalten.

Soziale Kompetenz

Neben der allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung ist die Vermittlung sozialer Kompetenz ein zweiter grundlegender Aspekt der Prävention von Gewalt. Sie ist eng verbunden mit der Ausbildung einer gesunden Persönlichkeit. Besonders wichtig ist in unserem Zusammenhang:

 die Fähigkeit, sozialen Kontakt aufzunehmen, zu pflegen und sich zu verabschieden  Geben und Nehmen in Balance  Wünsche und Bedürfnisse zeigen können  Frustration aushalten und sozial verträglich damit umgehen können  sich situationsangemessen echt und wahrhaftig verhalten (Kongruenz)  Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen (Empathie)  Stellung beziehen und sich behaupten können  angemessen Kritik geben und annehmen können  reflektiert mit Rollenklischees umgehen

Die Entwicklung von Selbstbewusstsein und -achtung sowie sozialer Kompetenz sind präventive Prozesse, die das alltägliche Leben durchdringen müssen.

Darüber hinaus können einzelne Aspekte, wie zum Beispiel Gefühls- und Körperwahrnehmung, die Auseinandersetzung mit Geschlechtsstereotypen oder das Setzen von Grenzen in speziellen Lern- oder Arbeitseinheiten behandelt werden. In der Präventionsarbeit gegen sexuelle Gewalt ist dazu bereits eine bunte Mischung guter

112 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Materialien für verschiedene Zielgruppen erarbeitet worden, die hervorragend auch für die Prävention häuslicher Gewalt genutzt werden können!2

Fühlen und Setzen der Körpergrenze

Zwei stehen sich gegenüber, B kommt auf A zu. A muss fühlen, wann es ihr/ihm zu nahe wird und das signalisieren. Zunächst verbal, dann nonverbal. Dabei wundert sich mancheR wie unklar die Körpersignale rüberkommen. Weitere Variationen: B nähert sich A von verschiedenen Seiten; C nähert sich A.

5-4-3-2-1 – Dies ist eine Übung zur Steigerung der Selbstwahrnehmung. Sie ist auch hervorragend geeignet für jemanden, die oder der wegdriftet (dissoziiert), etwa weil sie/er von psychisch belastenden Erlebnissen überflutet wird, ins Hier und Jetzt zurückzuholen. Die Übung: Man sagt sich zunächst leise 5 Dinge, die man hier und jetzt gerade hört (Ticken der Uhr, ein Auto, räuspern …), dann 5 Dinge, die man gerade sieht (Schnürsenkel, Gardine, Fliege …) und schließlich 5 Körperempfindungen (Po auf Sitzfläche, Mückenstich juckt, Hand auf Lehne …). Danach wird das Gleiche mit 4-mal wiederholt, dann mit 3, 2 und 1-mal.

Vielleicht ist Ihnen beim Lesen dieses Abschnittes der Gedanke gekommen, dass das alles Ziele sind, die in der pädagogischen Arbeit ohnehin längst verfolgt werden? Alles alte Hüte? Vielleicht. Der Wert liegt darin, zu erkennen, dass dies – alt oder nicht – absolut zentrale Aspekte von Gewaltprävention sind! Dies im Hinterkopf, wird sich das tägliche pädagogische Handeln verändern und die gewaltpräventiven Aspekte werden expliziter und damit wirksamer werden.

Mit der Stärkung von Selbstwahrnehmung, -achtung und -bestimmung, der Vermittlung sozialer Kompetenz und dem Hinterfragen gängiger Geschlechtsrollen ist die Basis dafür gelegt,

 dass Menschen sich gegen dominierendes oder grenzüberschreitendes Verhalten anderer eher behaupten können und – sollte dies nicht gelingen – sich Hilfe suchen können (Opferperspektive);  dass sie sich eher nicht für grenzüberschreitendes oder aggressives Verhalten entscheiden wollen oder „müssen“, etwa um eigene Interessen zu wahren, den Selbstwert zu stärken oder Frustrationen abzubauen (TäterInnenperspektive);  und dass sie grenzüberschreitendes Verhalten als solches wahrnehmen und adäquat einschreiten können (Perspektive des sozialen Umfeldes).

2 Informationen und Tipps sind bei den Fachberatungsstellen und bei Donna Vita, einem pädagogisch- therapeutischen Fachhandel zu bekommen. 113 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

2 Spezielle Inhalte

Neben den o.g. basalen Präventionsinhalten gibt es im Hinblick auf häusliche (und sexuelle) Gewalt eine Reihe spezifischer Themen, die in der Präventionsarbeit angesprochen werden sollten. Sie können gut in speziellen (Unterrichts-) Einheiten oder Aktionen wie Projekttagen, Gruppenfahrten und dergleichen mehr untergebracht werden. Auch hier gilt, dass aus der Präventionsarbeit gegen sexuelle Gewalt bereits eine Fülle von gut nutzbaren Materialien vorliegt, von Büchern über Spiele und Übungsanregungen bis hin zu Filmen und Theaterstücken. Mittlerweile gibt es auch Einiges speziell zu häuslicher Gewalt, z.B. den Zeichentrick-Videofilm für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren „Kennst Du das auch? Fünf Mädchen und Jungen erzählen über ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt.“3.

Sensibilisierung für und Aufklärung über häusliche (und sexuelle) Gewalt

Ein entscheidender Aspekt präventiver Arbeit ist es, für das Problem zu sensibilisieren und fundiert darüber zu informieren. Nur wer Bescheid weiß, kann frühzeitig begreifen, was geschieht, sich effektiv wehren oder angemessen helfen. In erster Linie sind Informationen wichtig über:

 Häufigkeit (es passiert nicht nur mir, es liegt nicht an mir);  Dynamiken (was ist Gewalt? Anfänge einer Gewaltspirale erkennen; Wissen, dass nach der Entschuldigung früher oder später der nächste Schlag kommt u.ä.);  Ursachen und klare Verantwortungs- und Schuldzuschreibung an den Täter (besonders wichtig, um sich aus Gewaltspirale befreien zu können oder um klar und adäquat eingreifen zu können);  Folgen von Gewalterfahrungen (wirkt der Bagatellisierung des Problems entgegen und hilft scheinbar „kranke und verrückte“ Reaktionen als normales Verhalten auf eine unangemessene Situation zu akzeptieren).

Würfelspiel

Reihum wird gewürfelt und je nach Feld werden Frage- und Aktionskarten gezogen. Die Fragekarten – z.B. „Die Menschen, die Kinder sexuell missbrauchen, sind meistens a. Verwandte, b. Fremde, c. mehr oder weniger gute Bekannte“ werden (manchmal erst nach langer Diskussion) beantwortet, die geforderten Handlungen der Aktionskarten ausgeführt, z.B. „Stell Dich hin, stampf mit dem Fuß auf und sag energisch ‚lass mich in Ruhe‟“.

Ein solches Spiel kann passend zum Thema und zur Altersgruppe schnell selbst gestaltet werden; zum Thema sexuelle Gewalt ist das Spiel „Stück für Stück“ von Marion Mebes, Donna Vita, zu empfehlen.

3 Zu beziehen über BIG e.V.: [email protected]. 114 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Referate oder Projektarbeiten mit Einbindung von Fachstellen

Jugendliche sollen – möglichst als Gruppenarbeit – Referate oder Projektarbeiten zu Themen wie „Folgen von sexueller Gewalt“ oder „Dynamik von häuslicher Gewalt“ erstellen. Die nötigen Informationen holen sie sich bei der regionalen Fachstelle. Dort können sie meist auch Bücher ausleihen oder bekommen Filme, Materialien für die Klasse u.ä..

Das mag simpel und nicht besonders einfallsreich klingen, ist nach unserer Erfahrung aber äußerst effektiv! Wir haben die Jugendlichen immer als sehr motiviert erlebt, und viele bereiten die Themen für ihre Altersgruppe passend und engagiert auf. Besonders gut ist es, wenn die ganze Klasse uns danach noch besucht. Die Berichte aus unserer Praxis stoßen auf großes Interesse und meist kommen nach solchen Aktionen aus der Gruppe heraus Betroffene zu uns.

Idee: Gestaltung einer Litfasssäule oder Werbe-Plakatwand als Ergebnis des Gelernten und gleichzeitig Aktion zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit

Informationen über Anlaufstellen

Für eigentlich alle, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert sind – sei es als Opfer oder Bezugsperson – ist es letztlich notwendig, sich Unterstützung zu holen. Doch das ist für viele Menschen schwierig oder peinlich, ein Zeichen von Schwäche. Es ist wichtig, dem 115 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention entgegen zu wirken und zunächst einmal „Hilfe brauchen und Hilfe in Anspruch nehmen“ an sich zu thematisieren. Dann braucht es natürlich auch handfeste Informationen über:

 Wo finde ich Hilfe für mich selbst?  Wo finde ich Hilfe, um jemand anderen (besser) helfen zu können?  Wen in meinem Umfeld kann ich ansprechen?  Welche Beratungsstellen gibt es in der Region?

Planspiel (aufwendig, mit mehreren Institutionen):

Jugendliche erhalten unterschiedliche Biografien mit verschiedensten Problemen (Freundin ist vergewaltigt worden, Eltern sind AlkoholikerInnen, Tante wird vom Mann massiv geschlagen u.ä.). Die Jugendlichen sollen sich nun aus dem Angebot der örtlichen psychosozialen Versorgung die Einrichtungen aussuchen, die ihnen Hilfe bieten könnten und dort hingehen. Vertreter und Vertreterinnen der Einrichtungen sind vor Ort und „spielen Beratung“.

Reflektion zum Thema Liebe, Beziehung und Familie

Häusliche wie sexuelle Gewalt finden (meist) im Kontext von Partnerschaft und Familie statt. Gängige Normen wie etwa das Bild der heilen Familie oder dass man sich nicht in Familienangelegenheiten einmischt, aber auch die immer noch übliche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen (Arbeit vs. Kinder) halten Gewaltsysteme aufrecht. Präventiv gilt es hier zum Nachdenken anzuregen und möglichst Normen zu setzen, die der Ausübung oder Duldung von Gewalt entgegenstehen. Kinder und Jugendliche sollten sich je nach Alter mit ihren eigenen Erfahrungen und Vorstellungen zu Freundschaft und Liebe, aber auch mit alternativen Modellen und Haltungen dazu auseinandersetzen. Fragen sind z.B.:

 Wie stelle ich mir die Beziehung zu meinem Freund / meiner Freundin vor? (Eigenständigkeit, Symbiose, Dominanz, Eifersucht …)  Wie stehe ich zur Rollenverteilung zwischen Junge und Mädchen, Frau und Mann? Wie sind jeweils Jungen und Mädchen, was können, dürfen sie? Was gibt es für Modelle, Möglichkeiten ….  Was will ich, was nicht? Wie kann ich Konflikte austragen?

Aufklärung und Reflektion über Sexualität

Vor allem in Hinblick auf sexuelle Gewalt ist eine altersangemessene Sexualaufklärung unbedingt notwendig. Hier sollten insbesondere Gefühle und Normen zum Thema gemacht und keinesfalls - wie leider oft üblich – bei den biologischen Vorgängen stehen geblieben werden. Über das Thema Sexualität können unabhängig von Sex grundsätzliche Verhaltensnormen für soziales Verhalten in einem engen

116 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Beziehungskontext bearbeitet werden, so dass dieses Thema auch für die Prävention häuslicher Gewalt vorrangig ist. Themen können sein:

 Was mache ich, wenn sie / er mit mir schlafen will und ich nicht?  Wie kann ich deutlich machen, was ich möchte? Wie kann ich erkennen, dass meine Partnerin oder mein Partner Lust hat, dass ihr oder ihm gefällt, was ich tue?  Wo fängt Gewalt an? Grenze zwischen Anmachspielchen und Übergriffen.

Selbstbehauptung

Wer sich gegen Übergriffe und Gewalt wehren will, muss sich selbst behaupten können. Die Fähigkeit zur Selbstbehauptung, d.h. für sich selbst, die eigenen Bedürfnisse, Interessen oder Ideale einzutreten, ist eng verbunden mit Selbstbewusstsein und sozialer Kompetenz. Das bedeutet – praktischer Weise: Wer das Selbstbewusstsein von Kindern oder Jugendlichen stärkt, stärkt gleichzeitig ihre Kompetenz zur Selbstbehauptung! Doch fällt es auch selbstbewussten Menschen häufig sehr schwer „Nein“ zu sagen, geschweige denn sich irgendwie massiver zu erwehren. Selbstbehauptung will und muss gelernt sein! Erst recht, wenn es darum geht, sich gegenüber Gewalt zu behaupten. Wenn wir uns eine übergriffige oder gewalttätige Situation mit Blick auf das Opfer vergegenwärtigen, wird deutlich, dass es zur Selbstbehauptung – hier: Abwehr – eigentlich drei Kompetenzen bedarf:

 Kompetenz zur Situationswahrnehmung: Die Situation muss - vor allem in Hinblick auf die eigene Befindlichkeit und Grenzen - angemessen wahrgenommen werden. In einem übergriffigen / gewalttätigen Kontext heißt das: Hier geht etwas über meine Grenzen!  Kompetenz zur normative Einordnung: Es bedarf einer relativen inneren Klarheit und Sicherheit darüber, dass es in Ordnung ist, eine Grenze zu ziehen bzw. für das eigene Bedürfnis einzustehen. Dazu muss man sich auch bewusst sein, „es“ wert zu sein.  Handlungskompetenz: Wie kann ich meine Grenze ziehen, was kann ich tun? Vielleicht traue ich mir zu, beruhigend auf den anderen einzureden, nicht aber Nein zu sagen. Körperliche Gegenwehr kommt mir gar nicht erst in den Sinn …

Lernen von Selbstbehauptung muss allen drei genannten Aspekten Rechnung tragen. Die Selbstwahrnehmung muss geschult und eine normative Auseinandersetzung muss angeregt werden: Darf ich Nein sagen? Wozu darf ich Nein sagen? Darf ich es ablehnen, der alten Nachbarin den Rasen zu mähen? Meinem Opa den Rücken zu massieren? Bin ich in meiner Clique eine Spielverderberin, wenn ich Nein sage? Und wenn? Wie halte ich Gruppendruck stand? Wo ist die Grenze zwischen fürsorglichem Verhalten/Liebe und Eifersucht; wo die Grenze zwischen netten Anmachspielchen und Übergriffen? Daneben und vor allem gilt es, konkrete Handlungsmöglichkeiten kennen zu lernen, auszuprobieren und praktisch zu üben, üben, üben …

Für den Themenkomplex der Selbstwahrnehmung bietet die Gestaltpädagogik und – therapie mit Übungen zur Zentrierung auf das Hier und Jetzt vielfältige Anregungen. Zum

117 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Üben selbstsicheren Verhaltens sind Rollenspiele eine tolle Methode. Für die Arbeit mit Mädchen schließlich sei „Wen Do“, ein Selbstbehauptungs- und -verteidigungstraining, welches sich z.B. prima in Projekttagen unterbringen lässt, wärmstens empfohlen.

Nein-Spirale

Vielen fällt es schwer, ernst und deutlich „Nein“ zu sagen oder laut zu brüllen (ohne piepsig zu werden). Das alles wird mit der „Nein-Spirale“ geübt:

Alle stehen im Kreis, eine Person fängt an, zum/zur Nachbar/in leise Nein zu sagen. Es geht im Kreis herum, wobei jede/r etwas lauter werden soll. Wer nicht lauter kann, fängt wieder von neuem leise an. Variationen: dabei ernst bleiben, auch mit Körper „Nein“ sagen, andere Wörter für „Nein“ (hau ab, lass mich in Ruhe…) oder in anderen Sprachen, als Ballspiel usw. usf.

3 Kleine Brötchen backen: Strategische Aspekte bei der Durchführung präventiver Maßnahmen

Die Diskussion der Inhalte präventiver Arbeit mag die eine oder den anderen abgeschreckt haben. „Das kann ich doch gar nicht in meinem Arbeitsfeld unterbringen!?“ Doch, Sie können! Kleine Brötchen backen heißt die Devise.

Dazu möchten wir abschließend einige strategische Gesichtspunkte ansprechen, die bei der Durchführung präventiver Maßnahmen hilfreich sind. Ausgangssituation unserer Überlegungen ist, dass Lehrkräfte, Erzieher/innen und andere pädagogische Fachkräfte in ihrem/seinem jeweiligen Arbeitsfeld über die grundsätzliche Erziehungshaltung hinaus „irgendetwas zur Prävention“ häuslicher (und sexueller) Gewalt tun möchte. Wie vorgehen?

 Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und jede Gelegenheit nutzen

Die Präventionsmaßnahme muss in die Rahmenbedingungen der jeweiligen Institution eingepasst sein. D.h. in der Regel, dass sie möglichst kostenneutral und mit wenig Aufwand durchführbar sein muss; in Schulen gilt (abgesehen von Projekttagen) leider meistens auch, dass sie nicht besonders viel Unterrichtszeit beanspruchen dürfen.

Ganz pragmatisch kann man jede Gelegenheit nutzen, die sich bietet, um präventive Inhalte zu „verpacken“. Dann ist Raum und oft auch Interesse da. Im Politikunterricht etwa kann ein aktueller Fernsehbeitrag oder ein neues Gesetz diskutiert werden, das häusliche Gewalt berührt; die Video-Gruppe kann das Thema in einem Film verarbeiten; bei einem Fest im Sportverein können Übungen zum Grenzen setzen als Ball-, Lauf- und Schreispiele angeboten werden. Wenn man einmal einen Blick dafür entwickelt hat, finden sich im pädagogischen Alltag tausendundein Anlass! Einfach und praktisch ist es auch, die Angebote vor Ort zu nutzen, z.B. Ausstellungen, Theater oder Fachstellen besuchen.

118 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Hervorgehoben sei noch, dass aktuelle Vorfälle, wie z.B. dass Kinder untereinander übergriffig waren oder vor dem Hort ein Exhibitionist gesehen worden ist, unbedingt aufgegriffen und bearbeitet werden müssen! Erstens ist dies eine „gute“ Gelegenheit. Zweitens ist es äußerst wichtig, dass die Institution quasi als Vorbild deutlich macht, wie mit derartigen Dingen umgegangen werden kann und soll. Werden aktuelle Vorfälle bagatellisiert oder ignoriert, ist das ein Zeichen in die absolut falsche Richtung.

 Maßnahmen zur Routine machen

Anzustreben ist es, präventive Maßnahmen zur Routine zu machen nach dem Motto „bei jedem Projekttag …“ oder „auf der KonfirmandInnenfreizeit wird immer ….“ Das steigert die Effektivität und senkt den Aufwand! In diesem Sinne wird beispielsweise hier vor Ort an einer Schule in der achten Klasse immer das Buch „Nele“ von M. Steenfat gelesen. Als Sahnehäubchen zum Abschluss der Unterrichtseinheit besuchen uns die Klassen als regionale Anlaufstelle vor Ort. Oder: Jedes Jahr gibt es einen „Markt der Möglichkeiten“, an dem die regionalen Fachstellen teilnehmen und ihre Themen didaktisch aufbereitet einbringen.

Unbedingt notwendig ist es, die Themen häusliche und sexuelle Gewalt explizit in das Präventionskonzept der Schule aufzunehmen!

 Regionales Netzwerk nutzen

Zur Erleichterung und Bereicherung der eigenen Arbeit sowie zur besseren fachlichen Fundierung ist es hilfreich, mit Fachstellen aus dem regionalen Netzwerk zu kooperieren. Dies können Frauen-Notrufe sein, Pro-familia, Frauenhäuser, Interventionsstellen zu häuslicher Gewalt (BISS), Wildwasser usw. Informationen über die nächstgelegenen Fachstellen - und auch fachliche Infos - gibt es z.B. beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe: [email protected]

Bei den örtlichen Fachstellen finden Sie Hilfe bei Vorbereitung von Unterricht, Aktionstagen usw. und können Materialien einsehen und oft auch ausleihen. Viele Fachstellen kommen auch gerne selbst und arbeiten mit den Kindern oder Jugendlichen. Oder Sie können mit Ihrer Gruppe die Einrichtungen besuchen. Zudem gibt es immer wieder spezielle Angebote wie Wen Do Kurse, Elternabende, Filmvorführungen, Ausstellungen und dergleichen mehr, die effektiv genutzt werden können.

Schließlich ist die Kooperation mit dem regionalen Netzwerk unabdingbar, wenn es darum geht, Betroffene aufzufangen, die sich im Rahmen von Präventionseinheiten offenbart haben!

 Ziele niedrig und realistisch setzen

Wer einzelne Präventionseinheiten durchführt, sollte sich die Ziele nicht zu hoch stecken! In wenigen Stunden kann es nur darum gehen, Zweifel zu säen, vage Ideen zu vermitteln,

119 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Überzeugungen anzukratzen, Impulse zu setzen. Wenn darüber die eine oder der andere ins Grübeln kommt oder eine leicht veränderte Sicht hat, dann ist das ein guter Erfolg. Realistische Ziele sind unserer Erfahrung nach:

 Wissen um Hilfsangebote  Hemmschwelle, Hilfe zu holen, senken  sensibilisieren für Gewalt im Sinne von „davon gehört haben“  Kennenlernen alternativer Normen und Haltungen  traditionelle Geschlechtsrollen ankratzen  alternative Handlungsmöglichkeiten zeigen  Jugendliche als soziales Umfeld ansprechen

Clever ist es, Jugendliche als soziales Umfeld von potenziellen Opfern und Täterinnen anzusprechen, also als diejenigen, die vielleicht bei den Eltern einer Freundin oder bei Nachbarn etwas von häuslicher Gewalt bemerken und helfen könnten. Damit wird deutlich, dass jede und jeder mit dem Problem häusliche (und sexuelle) Gewalt zu tun hat. Die Jugendlichen fühlen sich ernst und wichtig genommen und werden als Menschen angesprochen, die aktiv in ein Geschehen eingreifen und unterstützen können. Dies wirkt Ohnmachtsgefühlen entgegen, die oft mit der Beschäftigung mit dem Thema Gewalt einhergehen. Zudem werden die Jugendlichen in ihrem Selbstvertrauen und ihrer Handlungskompetenz gestärkt. Die Widerstände, sich mit dem Thema zu befassen, sind entsprechend geringer, als wenn sie mit der eigenen potenziellen Opferrolle oder TäterInnenrolle konfrontiert werden.

Über die Perspektive des sozialen Umfeldes können alle anderen wichtigen Inhalte, auch die Perspektive der Opfer und der Täter, mitvermittelt werden.

 Geschlechtsspezifische Angebote

Da Jungen und Mädchen in unterschiedlicher Weise von Gewalt betroffen sind und präventiv z.T. unterschiedliche Fertigkeiten vermehrt gelernt werden müssen (z.B. haben Jungen öfter ein Defizit in Empathie, Mädchen in der Selbstbehauptung), ist es angeraten, phasenweise geschlechtergetrennt zu arbeiten. Davon ab ist es bei manchen Themen auch leichter, erst mal nur mit den GeschlechtsgenossInnen darüber zu sprechen. Vor allem bei den Themen Liebe und Sexualität kommen so offenere und intensivere Gespräche zustande.

 Gute Atmosphäre schaffen und überzeugend auftreten  Prävention soll – und kann! – Spaß machen!!! Noten oder irgendeine andere Form von Druck haben hier nichts zu suchen. Wichtig ist eine gute und offene Atmosphäre, die von Wertschätzung und Akzeptanz getragen ist.

Wichtig ist es, auf die Gestaltung des Raumes zu achten. Im Schulalltag etwa kann Sitzen im Kreis oder auf Kissen auf dem Boden signalisieren „hier geht es jetzt um etwas anderes“. Ein Schnucketeller in der Mitte, zwischendurch Musik – getreu der Maxime „Wer sich mit schrecklichen Dingen befasst, muss es sich gut gehen lassen“. Von elementarer Bedeutung ist, dass die- oder derjenige, die oder der die Präventionseinheit

120 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention durchführt, als Vorbild fungiert und wahrhaftig ist. Selbstbestimmtheit schönreden und dabei die Vorschläge der Gruppe autoritär abwürgen – so funktioniert die durchdachteste Präventionseinheit nicht.

Und wenn Sie und andere viele kleine Präventionsbrötchen gebacken haben, wird sich herausstellen: Stetes Brötchen höhlt den Stein !

121 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

122 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Qualität: Qual oder gute Wahl? Bausteine für ein erfolgreiches Präventionsprojekt

Anja Meyer

In diesem Beitrag geht es um Fragen der Konzeption und Umsetzung von Präventionsaktivitäten. Es geht darum, Akteurinnen und Akteure für das Thema Qualität zu sensibilisieren, zu einer zielorientierten Vorgehensweise zu ermutigen und Wege für die erfolgreiche Durchführung eines Präventionsprojektes aufzuzeigen. Fachkräfte, die in der Gewaltprävention tätig sind, kennzeichnen hohes Engagement, starke Identifikation mit ihrer Arbeit und oftmals maximaler Einsatz. Sie sind motiviert von einem richtigen und wichtigen Ziel: die Gewalt zu reduzieren. Die Frage, ob wir das „Richtige“ machen, stellt sich also nicht.

Aber machen wir das, was wir machen, auch richtig? Hinter dieser Frage steht die Frage nach der Qualität der Präventionsarbeit. Begriffe wie Qualitätsorientierung, Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung sind mittlerweile in aller Munde. In Zeiten leerer Kassen steigt der Druck, dass Projekte bestimmten Qualitätsansprüchen Rechnung tragen müssen und wir den Erfolg bzw. die Wirksamkeit präventiver Arbeit nachweisen müssen. Dennoch sind wissenschaftliche Begleitung und Evaluation von Präventionsaktivitäten eher die Ausnahme. Die Gründe hierfür sind vielfältig: (Fremd- )Evaluationen gibt es nicht zum Nulltarif. Eine Evaluation, die die Wirkung von Präventionsprojekten messen bzw. belegen soll, ob denn die präventiven Maßnahmen nachhaltig gewirkt haben, müsste über einen längeren Zeitpunkt erfolgen. Hierfür gibt es selten Gelder und das Budget seitens der Projektträger lässt es meistens nicht zu, eine Fremdevaluation in Auftrag zu geben.1 Aber: Von einem Projekt, das nicht evaluiert ist, wissen wir nicht, ob es effektiv und nützlich war. Wir wissen nicht: Erziel(t)en wir mit unserem Projekt überhaupt die Wirkung, die wir uns davon erhofft hatten? Somit gilt das, was Isaac Newton sagte: „Was wir wissen ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ist ein Ozean“.

Eine Alternative zur Fremdevaluation ist die Selbstevaluation. Wenn Projektplanerinnen und Projektplaner von Anfang an systematisch vorgehen, das Problem beschreiben, die Ursachen analysieren, die Ziele definieren, Zielgruppen bestimmen und hieraus die erforderlichen Maßnahmen ableiten, dann können sie selbst überprüfen, ob sie die

1 Neben den finanziellen Gründen gibt es darüber hinaus auch emotionale: Begriffe wie Qualität und Evaluation sind negativ besetzt. Nicht selten regen sich Vorbehalte und Widerstände. Mit Evaluation verbinden wir oftmals das Gefühl von Kontrolle (Bewertungsdruck), die Besorgnis, eine Überprüfung könnte unangenehme Punkte zutage bringen und damit einhergehend möglicherweise die Angst vor dem Verlust von Fördermitteln oder sogar Projektstellen. 123 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Zielgruppen und Ziele erreicht haben und ob die erwünschten Veränderungen, die vom Präventionsprojekt ausgehen sollten, auch tatsächlich eingetreten sind.

Handwerkzeug für systematisches Vorgehen - Beispiel: Die Beccaria-Standards

Inzwischen gibt es verschiedene Handreichungen, die es Praktikerinnen und Praktikern erleichtern sollen, ihre Präventionsarbeit systematisch zu entwickeln, z.B. „Eine Arbeitshilfe für die Evaluation“ der Zentralen Geschäftsstelle Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK), der vom Landespräventionsrat Nordrhein-Westfalen herausgegebene „Leitfaden kommunale Kriminalprävention“ und die Beccaria-Standards2, die der Landespräventionsrat Niedersachsen entwickelt hat. Sie alle sind praxisnah, bieten eine Orientierungshilfe für die Planung, Durchführung und Überprüfung von Projekten und unterstützen die tägliche Präventionsarbeit.3

Die Beccaria-Standards beinhalten sieben aufeinander aufbauende Hauptarbeitschritte, die einen Orientierungsrahmen für die Planung, Umsetzung und Überprüfung von Präventionsprojekten bilden:

1. Problembeschreibung 2. Analyse der Entstehungsbedingungen des Problems 3. Festlegung der Präventionsziele, Projektziele und Zielgruppen 4. Festlegung der Maßnahmen für die Zielerreichung 5. Projektkonzeption und Projektdurchführung 6. Überprüfung von Umsetzung und Zielerreichung des Projekts (Evaluation) 7. Schlussfolgerungen und Dokumentationen

Nehmen wir an, es wird ein Ausstellungsprojekt zum Thema: „Mein Körper gehört mir“ als Teil einer Kampagne gegen sexuelle Gewalt an Kindern geplant.

1. Schritt: Die Problembeschreibung

Immer steht am Beginn eines Projektes eine Problembeschreibung. Der Ist-Zustand bzw. die Ausgangssituation sollte präzise beschrieben werden. Die allgemeine Problembeschreibung könnte hier z. B. lauten: Sexuelle Gewalt betrifft viele Kinder. Jedes vierte Mädchen und jeder 10. Junge wird im Laufe der Kindheit Opfer sexueller Gewalt.

2 Die „Beccaria-Standards zur Qualitätssicherung kriminalpräventiver Projekte“ sind beim Landespräventionsrat Niedersachsen zu beziehen. Sie stehen ferner als download unter www.beccaria.de zur Verfügung. 3 Jedes Projekt erfordert natürlich ein individuelles Vorgehen von Fall zu Fall. So müssen die Maßnahmen auf das jeweils bestehende Problem vor Ort, auf die jeweilige Situation, auf die Ziele und Zielgruppen, Rahmenbedingungen etc. zugeschnitten sein. 124 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Das Problem sollte sodann konkreter benannt werden: Worin besteht genau das Problem? Welche Erscheinungsformen hat es?

Hilfreich kann auch die Beantwortung nachfolgenden Fragen sein:

 Was ist der Anlass für das Projekt? Gab es an der Schule / in der Kommune beispielsweise einen konkreten Vorfall?  Von wem geht die Projektinitiative aus? Kinderschutzbund, Schule, Jugendhilfe usw.?  Wo tritt das Problem auf? Zu welcher Zeit und in welchem Maße?  Wer ist von dem Problem direkt oder indirekt betroffen?  Welche direkten oder indirekten Auswirkungen hat das Problem?  Wie lange existiert das Problem bereits, hat es sich in jüngster Zeit verändert? (Verschärfung, besondere Anlässe)?

Grundsätzlich ist es wichtig, in Erfahrung zu bringen, ob an der Lösung des Problems in der Region bereits gearbeitet worden ist, auch im Hinblick späterer Kooperationsmöglichkeiten. Wer arbeitet dazu oder sollte künftig dazu arbeiten? Welche Lösungsansätze (Maßnahmen) wurden dabei gewählt und welche Erfolge oder Misserfolge lassen sich dabei erkennen?

2. Schritt: Die Analyse der Entstehungsbedingungen

Erfolgreiche Präventionsarbeit setzt immer das Wissen über die Ursachen, die Entstehung der Problematik voraus – in diesem Beispiel kann es dabei um solche Fragen gehen:

 Was sind die zentralen Ursachenfaktoren für sexuelle Gewalt?  Welche theoretischen bzw. wissenschaftlichen Befunde sowie empirische Erkenntnisse gibt es zur Erklärung von sexueller Gewalt?

3. Schritt: Die Festlegung von Präventionszielen, Projektzielen und Zielgruppen

Jedes Projekt sollte zwischen allgemeinen Präventionszielen und Projektzielen unterscheiden. Präventionsziele sind dabei immer auf das eigentliche Präventionsanliegen des Projekts gerichtet. Dieses besteht in der Eindämmung von Kriminalität (Verhinderung und / oder Verminderung von Straftaten) sowie in der Stärkung des Sicherheitsgefühls. Das langfristige Präventionsziel bei dem Ausstellungsprojekt ist es, sexuelle Gewalt gegen Kinder zu reduzieren und Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen. Die Erreichung der Präventionsziele bezieht sich auf die Zielgruppe: Mädchen und Jungen. Projektziele sind hingegen die ummittelbaren Zielsetzungen, die ich durch mein Projekt erreichen will. Bei dem Ausstellungsprojekt könnten die Projektziele folgende sein:

125 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 Kinder spielerisch und kindgerecht über das Thema sexuelle Gewalt zu informieren und aufzuklären;  Selbstbewusstsein, Abwehrstrategien und Handlungskompetenzen der Kinder zu stärken;  Eltern, Lehrkräfte über die Erscheinungsformen und Auswirkungen sexueller Gewalt zu informieren;  Eltern und Lehrkräften Möglichkeiten aufzuzeigen, wie in der alltäglichen Erziehung präventiv gewirkt werden kann, wie sie mit den Kindern über das Thema sprechen können und sicherer im Umgang mit sexueller Gewalt zu werden;  Eltern und Lehrkräfte zu motivieren, frühzeitig zu beginnen, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken;  Eltern und Lehrkräfte über Handlungsmöglichkeiten und Hilfsangebote zu informieren: An wen sie sich in Krisen- oder Notfällen mit Fragen wenden können;  Lehrerkräften Anregungen für die Auseinandersetzung im Unterricht an die Hand zu geben.

4. Schritt: Die Festlegung von Maßnahmen für die Zielerreichung

Aus den skizzierten Projektzielen leiten sich verschiedene Maßnahmen ab:

 Ausstellung für Kinder  Informationsveranstaltungen für die Eltern  Informationsveranstaltungen für die Lehrkräfte, deren Klasse die Ausstellung besuchen

Bereits in der Planungsphase ist bei der Wahl der Maßnahmen zu berücksichtigen:

 Ob sie (in diesem Fall Ausstellung, Informationsveranstaltungen) geeignet sind, um die Zielgruppen (Kinder, Eltern, Lehrer) zu erreichen; wie viele erreicht werden sollen.  Anhand welcher Kriterien zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden kann, ob und in welchem Maße die Projektziele und die Zielgruppen erreicht worden sind? Z.B. wie sich der Ausstellungsbesuch auf die Kinder ausgewirkt hat? Haben sie in der Schule und zu Hause über das Thema geredet? Haben die Lehrer durch Schilderungen der Kinder von Gewalterlebnissen erfahren? Anzahl der Kinder, die von Gewalterlebnissen berichteten? Gab es bei Kindern Veränderungen (hinsichtlich Selbstbewusstsein, Abwehrstrategien und Handlungskompetenzen), die nach dem Besuch der Ausstellung (Vorher-Nachher-Vergleich) von den Lehrern und Eltern wahrgenommen worden sind? Anzahl der Kinder, die die Ausstellung besuchten: Wie viele Kinder nahmen an der Ausstellung teil? Wie viele Kinder sollten erreicht werden? Anzahl der Eltern, die die Informationsveranstaltung besuchten?

126 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

5. Schritt: Die Projektkonzeption und Projektdurchführung

Eine schriftliche Konzeption ist die wesentliche Voraussetzung für die spätere Überprüfung der Maßnahmen. Sie sollten den Projektarbeitsplan mit den einzelnen Arbeitsschritten, Zuständigkeiten und Zeitabläufen darstellen. Es geht dabei im Wesentlichen um folgende Fragen:

 Sind die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten für die einzelnen Maßnahmen bestimmt? Wer koordiniert die Ausstellungsbesuche? Wer koordiniert die Elterninformationsveranstaltung? Wer bereitet die Rahmenveranstaltungen vor? Welche Fachpersonen stehen zur Verfügung?  Von wann bis wann soll das Projekt laufen? Erstreckt es sich über einen längeren Zeitraum?  Wann soll was stattfinden, z.B. die Elterninformationsveranstaltung? Wann soll die Lehrerinformationsveranstaltung stattfinden?  Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt es? Welche lokalen Partner sollten einbezogen werden? Gibt es Akteurinnen und Akteure aus anderen Institutionen, mit denen es sich anbietet, an einem Strang zu ziehen?  Gibt es inhaltsbezogene Vereinbarungen zwischen allen Beteiligten? Z.B. Kinderschutzbund, Schule, Lehrkräfte, Eltern, regionale Partner, Geldgeber usw..

In der Planungsphase muss eine Kalkulation der zeitlichen, personellen, fachlichen, finanziellen und sachlichen Mittel stattfinden. Welche Ressourcen brauche ich für die Realisierung der einzelnen Maßnahmen? Z.B. Anzahl der Fachkräfte, Kostenplan für Ausstellung, Kosten für Personal, Kosten für Materialien, Kosten für Räumlichkeiten, z.B. Raum für die Dauer der Ausstellung, Raum für die Weiterbildung, Informationsveranstaltung. Wenn das Budget nicht ausreicht, stellt sich die Frage, wer das Projekt finanziell unterstützen könnte? Gibt es Fördermittel, öffentliche Gelder, Stiftungen?

6. Schritt: Die Überprüfung von Umsetzung und Zielerreichung des Projekts (= Evaluation)

Nach der Durchführung der einzelnen Maßnahmen stellt sich die Frage, ob das Ausstellungsprojekt und die Informationsveranstaltungen erfolgreich waren und die erwünschten Wirkungen eingetreten sind. Dazu müssen Fragen wie die folgenden beantwortet werden können:

 War das Ausstellungsprojekt geeignet, um die Zielgruppen (Kinder, Eltern, Lehrer) anzusprechen?  In welchem Ausmaße sind die Zielgruppen (Kinder, Eltern und Lehrkräfte) erreicht worden? Wie viele Kinder haben an der Ausstellung teilgenommen? Wie viel Eltern besuchten die Informationsveranstaltung? Wie viele Lehrkräfte waren bei der Informationsveranstaltung?  Was könnten gegebenenfalls die Gründe dafür sein, dass ich nicht in dem erwünschten Maße die Zielgruppen erreicht habe?

127 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 In welchem Ausmaße sind die Ziele erreicht worden? Inwieweit hat sich die Situation in Richtung der erwünschten Projektziele (Vergleich zwischen der Ist- und Soll- Situation) verändert?  Hat sich nach der Ausstellung und der Informationsveranstaltung die Sensibilisierung der Zielgruppe für das Thema sexuelle Gewalt an Kindern verändert? Sind Selbstbewusstsein und Handlungskompetenzen der Kinder nach der Ausstellung stärker ausgeprägt als vor dem Besuch?  Welche Auswirkungen hatte das Projekt auf die Kinder? Wie reagierten die Kinder auf die Ausstellung? Wie beschreiben die Lehrer die Wirkung auf die Kinder? Reden die Kinder über den Ausstellungsbesuch in der Schule oder zuhause? Wie beschreiben die Eltern die Wirkung auf die Kinder?  Wie hilfreich waren die Informationsveranstaltungen für die Eltern? Fühlen sich die Eltern nach der Veranstaltung besser informiert? Hat das Projekt einen Beitrag bei den Eltern zu einem sicheren Umgang mit dem Thema „Sexuelle Gewalt“ geführt? Wie hilfreich waren die Informationsveranstaltungen für die Lehrkräfte? Gibt es einen Wissens- und Sicherheitsgewinn bei den Lehrkräften?  Um die Veränderungen zu überprüfen, stehen verschiedene Verfahren zur Auswahl, z.B.: Eine mündliche Befragung der Kinder von Fachkräften nach Besuch der Ausstellung; eine schriftliche Befragung der Lehrkräfte; Gruppengespräche mit den Eltern oder aber Gruppengespräche mit den Lehrern.

Der 7. Schritt: Schlussfolgerungen und Dokumentation des Projekts

Das Projekt endet mit der Projektnachbereitung. Zur Nachbereitung gehören: Zentrale Erkenntnisse aus dem Projekt festzuhalten, Schlussfolgerungen zu ziehen, einen Endbericht zu erstellen und die Projektdokumentation mit den Ergebnissen der Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. Wertvoll kann es für künftige Projektarbeit sein, die Schwierigkeiten, die bei der Planung und Umsetzung auftraten, ebenso zu benennen wie die positiven Erfahrungen.

 Welche zentralen Erkenntnisse habe ich gewonnen? Hat sich der Ansatz bewährt, ist er ausbaufähig? Gibt es Schwachstellen?  Wenn ja, welche Verbesserungsvorschläge, Handlungsempfehlungen lassen sich ableiten? Welche (Projekt-)Partner oder andere Institutionen könnten von meinen Ergebnissen profitieren?  Besteht die Möglichkeit; über die Projektlaufzeit eine Nachhaltigkeit meines Projektes zu gewähren (z.B. durch Integration in bestehende Angebotsstrukturen)?  Was passiert z. B nach Auslaufen der Ausstellung? Kann ich die Maßnahmen in der Region verankern? Wenn ja, wie?

128 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Fazit

Diese sieben Schritte sollen Denkanstöße geben, um das eigene Handeln fortlaufend auf den Prüfstein zu stellen und zu reflektieren. Auf dem ersten Blick mag manch eine(r) sich erschlagen fühlen und denken: Ganz schön viel zu tun - und ganz schön anspruchsvoll! Gewiss – aber dennoch gibt es viele gute Gründe dafür, so systematisch vorzugehen. Ein wichtiger Vorteil ist, dass die Planung, Umsetzung und Überprüfung von Präventionsprojekten künftig einfacher und leichter von der Hand gehen. Systematisches Vorgehen ist ein Aufwand, der sich lohnt, denn er zahlt sich mittel- und langfristig aus: Die Chance, finanzielle Unterstützung für ein Projekt zu erhalten, steigt. Gutachterinnen und Gutachter werden eher eine finanzielle Zuwendung befürworten, wenn das Projekt so konzipiert ist, dass es grundsätzlich evaluierbar ist und sich an Qualitätskriterien orientiert.

Qualität sollte nicht zur Qual werden, sondern eine gute Wahl sein! Effektive Präventionsarbeit beruht auf einer Fülle von „Gelingensfaktoren“: Dazu gehören ein angemessenes Problemverständnis, Offenheit und Selbstkritik, Klarheit über fachliche Zuständigkeiten, Vernetzungskompetenzen, interdisziplinäre Kooperation und Transparenz - und das Wissen darüber, wie Projekte systematisch geplant, durchführt und überprüft werden können. Die Beccaria-Standards sind ein geeignetes Handwerkszeug für eine solche Qualitätsorientierung und Qualitätssicherung. Ihre Anwendung hilft dabei, die finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen zu erkennen und darzustellen, die Gewaltpräventionsarbeit erfordert, um verlässlich und kontinuierlich wirken zu können.

Literatur

Dölling, D. (2005): Zur Qualität und Evaluation von Kriminalprävention; in: forum kriminalprävention. Zeitschrift der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention, 1. 21-24.

Landesrat Nordrhein-Westfalen (Eds.) (2004): Leitfaden kommunale Kriminalprävention. Ein Leitfaden zur Planung, Durchführung und Evaluation kriminalpräventiver Projekte. Erstellt von Dr. Jörg Hupfeld unter Mitwirkung von Dr. Rainer Strobl, arpos Institut e.V., Hannover, in Verbindung mit der Arbeitsgruppe Evaluation des Landessrates Nordrhein-Westfalen unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Bilsky, Münster.

Meyer, A. / Schindler, V. / Bässmann,J. / Marks. E. / Linssen, R. (2005): Beccaria-Standards zur Qualitätssicherung kriminalpräventiver Projekte; Hrsg.: Landespräventionsrat Niedersachsen.

Petersen, M. (2006): Vortrag zur Qualität von Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt an Mädchen und Jungen; Hamburger Präventionstag am 03.04.06

Preiser S., Wagner U. (2003): Gewalt und Gewaltvermeidung. Qualitätskriterien für Präventions- und Interventionsprogramme. Psychology report 11/12/, 660-666.

Zentrale Geschäftsstelle Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes, ProPK (Hrsg.) (2003): Qualitätssicherung polizeilicher Kriminalpräventionsprojekte. Eine Arbeitshilfe für die Evaluation. Stuttgart

129 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

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Teil 3: Perspektiven für die Prävention

131 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

132 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Polizeiliche Krisenintervention als Basis erfolgreicher Präventionsarbeit

Roger Fladung

Die Polizei hat als verlässlicher Partner der Intervention in Fällen häuslicher Gewalt neben wirkungsvollen Strukturen und Konzepten des polizeilichen Handelns schon frühzeitig auf der Grundlage umfassender Präventionserfahrungen und -kompetenzen den Fokus auch in diesem Handlungsfeld ausgerichtet.

Zielgruppen besonderer Handlungsfelder, die auch aktuell in der Fortschreibung der Handreichung II der Polizei gegen Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich umfassend beschrieben und mit Empfehlungen für die polizeiliche Praxis sowie eine wirkungsvolle Netzwerkarbeit dargestellt werden, sind bezogen auf Opfergruppen häuslicher Gewalt:

 Migrantinnen  Menschen mit Behinderung  Opfer von Stalking  Seniorinnen und Senioren  Kinder misshandelter Mütter.

Auf das sehr gute Ausstellungsprojekt „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“ des Landeskriminalamtes Niedersachsen sei an dieser Stelle nochmals verwiesen1. Ein sehr erfolgreicher Beitrag der Polizei zur Enttabuisierung und Sensibilisierung für das Phänomen sowie Bestärkung Betroffener.

Das zweifellos wichtigste Handlungsfeld einer nachhaltigen Prävention besteht aus polizeilicher Sicht weiterhin in einer wirkungsvollen, in kommunale Netzwerke eingebetteten, polizeilichen Krisenintervention in akuten Fällen häuslicher Gewalt.

Frühzeitiges konsequentes Handeln ermöglicht neben der Hervorhebung der Verantwortlichkeit des Täters zugleich die Nutzung eines Frühwarnsystems, das basierend auf einer „systematischen Verzahnung von Modulen der Früherkennung,

1 Susanne Paul., „Gegen Gewalt in Paarbeziehungen“: Ausstellungsprojekt des Landeskriminalamtes Niedersachsen - Ideen und Erfahrungen, S. 70ff. 133 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Hilfemaßnahmen und der kontinuierlichen Begleitung“2 eine wichtige, präventive Dimension erfährt.

Die Polizei wird auch mit der Fortschreibung des Aktionsplans des Landes Niedersachsen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich (Aktionsplan II) weitere Schwerpunkte in diesem Phänomenbereich entfalten, aber gerade auch bewährte und gefestigte Handlungsstrukturen durch qualitätssichernde Maßnahmen festigen und verbessern.

Die konsequente Anwendung polizeilicher Eingriffsbefugnisse gegen Gewalttäter hat bei betroffenen Opfern eine hohe Akzeptanz gefunden und ist in einer Vielzahl der Fälle zugleich (präventive) Bestärkung, der häufig leidensvollen Gewaltspirale ein Ende zu setzen3. Dabei beschränkt sich die Anwendung der gefahrenabwehrrechtlichen Befugnisse durch die Polizei nicht mehr allein auf die Gefahrenverursachung durch den Gewalttäter. Vielmehr wurde die Betrachtungsweise auf die Rechte und Belange der Opfer fokussiert. So ist heute gerade nicht nur zu fragen, welche Auswirkungen das polizeiliche Einschreiten beim betroffenen Gefahrenverursacher hervorrufen wird, sondern es steht im Mittelpunkt, welche Signalwirkung und Folgen ein polizeiliches Nichteinschreiten für das Opfer bzw. im Hinblick auf weitere Gewalthandlungen des Gefahrenverursachers haben könnte - für die Schwerpunktsetzung polizeilicher Präventionsarbeit eine ganz bedeutsame Betrachtung und Ausrichtung.

Die Polizei wird mit dem Aktionsplan II und der Handreichung II weiterhin die Meilensteine der polizeilichen Krisenintervention verfolgen. Hierzu gehören

 die längerfristige Platzverweisung des Täters;  die zeitnahe Meldung des Polizeieinsatzes an die Beratungs- und Interventionsstellen;  die Kontrolle und – bei Rückkehr des Täters – ggf. die erneute konsequente Durchsetzung der Platzverweisung;  die standardisierte Gefährdungseinschätzung bei Bedrohungs- und Eskalationsszenarien in Fällen häuslicher Gewalt mit ggf. sich daraus ergebenden Maßnahmen zum unmittelbaren Schutz des Opfers.

Konsequente Gefahrenabwehr und Strafverfolgung der Täter, ein weitreichender Opferschutz sowie Prävention sollen durch ein vernetztes Konzept beteiligter Behörden und Organisationen eine nachhaltige Wirkung entfalten.

Die Polizei wird durch umfassende Aus- und Fortbildungen der Polizeibeamtinnen und - beamten, einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit und der Verfestigung kommunaler Netzwerkstrukturen weiterhin ein verlässlicher Erfolgsgarant in den gemeinsamen Anstrengungen gegen die Gewalt im häuslichen Bereich sein.

2 Beate Galm. Informationszentrum Kindesmisshandlung/Kindesvernachlässigung (IKK). Über Netzwerkarbeit, Hochrisikofamilien und „Kinder-TÜV“. Interview in: Deutsches Jugendinstitut online. März 2006 3 Herbers, Karin / Löbmann, Rebecca (2005): „Mit BISS gegen häusliche Gewalt“. Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit (Hrsg.). 134 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Das Gewaltschutzgesetz und seine Möglichkeiten

Jens Buck

In der Praxis haben sich die gesetzlichen Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes für den zivilrechtlichen Schutz durchaus bewährt. Zwar bedeutet das Auseinanderfallen der Zuständigkeiten von Zivil- und Familiengerichten mit dem unterschiedlichen Verfahrensrecht eine nicht wirklich sinnhafte Verkomplizierung. Es ist aber davon auszugehen, dass diesem „Schönheitsfehler“ des Gesetzes im Zuge der nächsten FGG- Reform abgeholfen wird. Dann wird es aller Voraussicht nach zu einer generellen Zuständigkeit des Familiengerichtes kommen.

Nachdem die gesetzlichen Voraussetzungen für den zivilrechtlichen Gewaltschutz geschaffen wurden, stellt sich nunmehr verstärkt die Frage, wie man das Gesetz noch mehr in den gesellschaftlichen Fokus stellt. Leider ist manchmal festzustellen, dass das Gewaltschutzgesetz das Schicksal eines kleinen Nebengesetzes fristet und in seinen gesamten Möglichkeiten nicht immer zur Anwendung kommt. Vor allem die vollstreckungsrechtlichen Erleichterungen zugunsten der Opfer werden noch nicht von allen Juristen umfassend genutzt. Allerdings ist auch hier die Tendenz zur Verbesserung erkennbar. Durch wiederholte Fortbildungen wird der Opferschutz verstärkt wahrgenommen und auch verstärkt in den Mittelpunkt gerückt. Der Grundsatz „Wer schlägt, der geht“ ist auch in der Justiz angekommen.

Wir Juristen haben natürlich wie der Rest der Gesellschaft auch mit Vorurteilen wie „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ zu kämpfen, aber auch hier meine ich eine positive Veränderung zu erleben. Durch Fokussierung auf den Opferschutz wird die Not der Opfer besser wahrgenommen.

Was in der Praxis allerdings auffällt, ist die Unkenntnis der Opfer über ihre Rechte und die vorhandenen Opferschutzstrukturen. Wenn wir unterstellen, dass besonders häufig stark verunsicherte Menschen zu Opfern werden, so erklärt sich, wie Täter über Jahre den Druck aufrechterhalten können. Die Opfer denken tatsächlich, dass ihnen das Kind weggenommen würde, obwohl sie oft über Jahre die Hauptbezugsperson des Kindes waren. Gerade Gewalttäter haben in der Regel keine wirklich enge emotionale Bindung an das Kind. In einer derartigen Konstellation würde wohl kein Familienrichter das Kind zum Vater geben, die Frau glaubt dies aber leider. Auch die rechtlichen Möglichkeiten der Wohnungszuweisung und der Schutzanordnungen sind in der Gesellschaft noch nicht ausreichend bekannt.

135 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Ich bin daher der Meinung, dass wir die nächste Ebene der Prävention beginnen und den Gewaltschutz in die Gesellschaft hineintragen müssen. Es sollte unser vorrangiges Ziel werden, die Gesellschaft – und hier vor allem die Frauen, da sie leider ca. 94% der Opfer stellen – zu informieren. Wir sollten vor allem die Möglichkeiten der Schulen nutzen. Dort haben wir die Chance, die große Mehrheit der jungen Menschen zu erreichen. Wir könnten dafür sorgen, dass zumindest zukünftige Opfer wissen, dass ein Täter nicht die Macht hat, die er vorgibt zu haben. Nur Menschen, die ihre Rechte kennen, können diese auch wahrnehmen. Wenn ein Opfer weiß, nach welchen Regeln der Wohnort von Kindern durch das Gericht festgelegt, die Wohnungsnutzung übertragen und vielleicht Unterhalt festgesetzt wird, kann es sich leichter wehren.

Gerade die Fachleute aus der Praxis sollten versuchen, auf Podiumsdiskussionen oder ähnlichen Veranstaltungen in der Schule mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen.

136 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Perspektiven für die Prävention aus der Sicht von Frauenunterstützungseinrichtungen

Dörte Krol

Präventionsarbeit in und durch Frauenunterstützungseinrichtungen heißt vor allem Aufklärung über das Thema Häusliche Gewalt – über Erscheinungsformen und Handlungsmuster zu informieren. Gewalt vorzubeugen verlangt, das faktische Wissen über das Thema zu erhöhen und es aus der Tabuzone zu holen.

Es ist wichtig, ein Bewusstsein – sowohl bei Betroffenen als auch in deren Umfeld – dafür zu schaffen, was Häusliche Gewalt ist. Dass es sich dabei nicht nur um physische Gewalt handelt, sondern dass v.a. die psychische, strukturelle und ökonomische Gewalt von den Opfern als wesentlich gravierender, aber auch als wesentlich ungreifbarer beschrieben wird. Dass es das Opfer mehr verletzt, täglich beschimpft und erniedrigt zu werden, als ab und an einen blauen Fleck davon zu tragen.

Es ist wichtig, vor allem in der Gesellschaft Verständnis dafür zu wecken, dass es Gründe gibt, warum eine Frau sich „nicht einfach trennt“; dass Angst vor den angedrohten Folgen einer Trennung eine große Rolle spielt. Drohungen wie, „wenn du gehst, bringe ich dich um“, „wenn du gehst, bringe ich mich um“ oder „wenn du gehst, bringe ich die Kinder um“ schaffen einen Klammergriff der Angst, der ohne fremde Hilfe kaum zu durchbrechen ist.

Prävention ist Aufklärung und Aufklärung soll Klischees korrigieren, dass nicht immer Alkohol, der fremde Herkunftskulturkreis, die Provokation des Opfers oder psychische Krankheiten des Täters die Gründe für die Gewalt sind. Es gibt nicht DEN Täter, es gibt viele verschiedene Gründe und Wege in eine gewalttätige Beziehung – aber auch ebenso viele aus ihr heraus.

Präventionsarbeit kann auf verschiedene Weisen geleistet werden: Sei es mit Hilfe sogenannter Printmedien (Zeitungen, Flyer, Plakate etc.), den neuen Medien (online- Beratungsangebote), Öffentlichkeitsveranstaltungen in Form von Vorträgen, Workshops etc. oder auch Fortbildungsangebote für spezifische Berufsgruppen (Ärzte, Anwälte, Lehrer etc.). Da diese Arbeit einen hohen Einsatz von Ressourcen bündelt, ist es wichtig, ein funktionierendes Netzwerk aufzubauen. Die Zusammenarbeit und das -wirken verschiedenster Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen schafft eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, mit der Häusliche Gewalt wirksam bekämpft werden kann.

137 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Wichtig für die Präventionsarbeit ist, dass nicht einzelne Gruppen außer Acht gelassen werden. So sind Kinder häufig mit betroffen von Häuslicher Gewalt und auch für sie gilt es ein spezifisches Präventionsprogramm anzubieten. Es ist wichtig, Erkenntnis darüber zu schaffen, was Kinder, die in einem Klima der Gewalt aufwachsen, lernen, nämlich, dass für diese Kinder Liebe etwas mit Gewalt zu tun hat. Diesem Lernprozess gilt es entgegenzuwirken, um den Kreislauf zu durchbrechen und das Risiko, dass Kinder selber Opfer von Gewalt werden, zu vermindern.

Für die Betroffenen ist es wichtig, ein niedrigschwelliges Angebot bereitzuhalten, den Zugang zur Beratung so einfach wie möglich zu gestalten und für die Beraterinnen ist es erforderlich ein breitgefächertes Hintergrundwissen mitzubringen, denn in die Auseinandersetzung mit dem Thema Häusliche Gewalt spielen viele Fassetten mit hinein. Für eine Lösung aus der Gewaltspirale ist nicht nur Wissen über rechtliche Schutzmöglichkeiten und die psychosoziale Unterstützung wichtig, sondern auch u.a. Wissen über die rechtliche Situation bei Trennung/Scheidung, bei einem Ehevertrag, in Fragen des Umgangs- und Sorgerechts.

Häusliche Gewalt ist keine Frage des Alters, der Herkunft, der Beziehungsform und/oder der sozialen Schicht, Häusliche Gewalt ist ein Produkt von Machtungleichheiten innerhalb einer Beziehung; Macht und Kontrolle innerhalb der Beziehung sind die vorrangigen Interessen des Täters. Diesen gilt es entgegenzuwirken, durch das Wissen, um diese Tatsache und die Stärkung des Selbstvertrauens der Opfer. Dafür gilt es vor allem, Zusammenarbeit und Vernetzung der verschiedenen Institutionen und Beratungs- einrichtungen zu intensivieren und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.

138 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Schulische Handlungsansätze im Kontext häuslicher Gewalt - Ein Überblick -

Jutta Sengpiel

Im Folgenden greife ich zwei Berührungspunkte zwischen Schule und dem Problemfeld „häusliche Gewalt“ auf und stelle daraus abgeleitete Handlungskonzepte für Schulen vor.

Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sind in allen Schulformen vorzufinden. Die im häuslichen Umfeld gemachten Erfahrungen und erlebten Gewaltsituationen können sich bei den Kindern und Jugendlichen in auffälligem Verhalten in der Schule, im Unterricht oder aber in der konkret geäußerten Bitte um Hilfe und Unterstützung ausdrücken.

Im Kern ist diese traurige Sachlage für alle in der Schule Tätigen nicht neu. Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagoginnen und -pädagogen waren in der Vergangenheit schon immer mit Einzelfällen betraut und haben versucht, aus ihrer eigenen Profession heraus den Betroffenen beizustehen.

Ein neuer Beitrag der Schule ist es, die Problematik im Kontext institutioneller Verantwortung wahrzunehmen und sich als Schule entsprechend zu professionalisieren. Das bedeutet, die Schule entwickelt für sich ein Handlungskonzept, das im Rahmen des schuleigenen Präventions- und Sicherheitskonzeptes mit Lehrkräften, Schülerschaft und Elternvertretung abgestimmt ist. In der Zielsetzung soll die Konzeption ein möglichst hohes Maß an Handlungssicherheit für alle gewährleisten. Sicherheit im Handeln, durch abgestimmtes Vorgehen, ist die Voraussetzung dafür, sich der Problematik offensiv stellen zu können und führt letztlich auch zu einer Entlastung der Lehrkräfte. Darüber hinaus leistet die Schule hier langfristig einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung des Themas häusliche Gewalt.

Relevante Fragestellungen für ein Handlungskonzept in diesem Sinne könnten sein:

Sind alle Beteiligten über die Thematik und ihre Folgen informiert? Welche außerschulischen Experten/innen könnten hier unterstützen?

 Gibt es Vereinbarungen über den Umgang mit verhaltensauffälligen Schüler/innen in diesem Kontext?  Sind innerschulische Abläufe geklärt? Was ist zu tun bei Bekannt werden eines Falles von häuslicher Gewalt? (auch Fragen der Rechtssicherheit sind zu klären)

139 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

 Welche Anlaufstellen stellt die Schule den Schüler/innen zur Verfügung? (Vertrauenslehrer, Beratungslehrkräfte, Sozialpädagogen …)  Sind außerschulische Beratungsstellen und Hilfeeinrichtungen bekannt? Gibt es persönliche Ansprechpartner für Lehrer/innen, für Schüler/innen und für betroffene Elternteile?

Wäre ein vernetzter Austausch mit oder eine informelle Unterstützung von außerschulischen Einrichtungen sinnvoll? (Jugendamt, Polizei, Beratungsstellen …)

Kinder und Jugendliche sind die Erwachsenen von morgen, das heißt die Schule arbeitet mit den zukünftigen Eltern und Lebenspartnern. Schülerinnen und Schüler erleben in ihren eigenen ersten Beziehungen bereits Konflikte und oft auch schon Gewaltsituationen.

Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Schule als Institution, die einen Erziehungs- und Bildungsauftrag erfüllt, gefragt. Allerdings bedarf es aus meiner Sicht für die hier angezeigte Prävention gegen häusliche Gewalt grundsätzlich keiner spezifischen Konzepte oder Maßnahmen der Schule. Im Einzelfall kann natürlich, abgestimmt auf die jeweilige Situation der Schule, die Durchführung thematisch enger gefasster Projekte sinnvoll sein. Aber grundsätzlich kann sich die hier relevante Problemstellung in bestehende Präventionskonzepte einfügen, denn Ausgangspunkt dieser Konzepte zum sozialen Lernen ist immer das grundlegende Ziel, personale Kompetenzen zu vermitteln und eine positive Persönlichkeitsentwicklung zu fördern. Im Focus steht die Entwicklung alternativer Handlungsmuster zur Konfliktvermeidung und -bearbeitung. In der Regel werden dabei auch unterschiedliche geschlechtsspezifische Zugänge berücksichtigt.

Verortungen und Zielsetzungen für präventive Handlungskonzepte, die in den Schulen bereits vorzufinden sind:

Schulkultur: - vermittelt grundlegende Werte über den Umgang miteinander. (Schulvertrag, Anti- Mobbing-Präambel) - bietet Schüler/innen Erfahrungsräume um erlernte soziale Kompetenzen anzuwenden (Streitschlichter, Schulveranstaltungen mit hoher Eigenbeteiligung der Schüler/innen, Schülerbuddys)

Unterricht: U-Formen/Methoden/Inhalte: - fördern selbstgesteuertes, eigenverantwortliches Handeln und Lernen - vermitteln Sozialkompetenz und tragen zur Persönlichkeitsentwicklung bei (z.B. Sozialkompetenztraining) - bieten die Möglichkeiten, kooperatives Miteinander einzuüben und Konflikte gewaltfrei zu lösen (z.B. Klassenrat)

Projekte und Maßnahmen, z.B. in Form von AG`s: - vermitteln soziale Kompetenzen und üben deren Anwendung ein (Mädchen-/Jungen AG`s, Buddy-AG, Hausaufgabenhilfe, Unterrichtseinheiten zu spezifischen Themen, Anti-Mobbing-Training …)

140 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Gerade in diesem Präventionsbereich haben die Schulen in den letzten Jahren mit Erfolg eine Vielzahl von Projekten und Maßnahmen durchgeführt. Im Zuge der Einführung der Eigenverantwortlichen Schule werden erprobte Konzepte, z.B. im Rahmen eines Präventions- und Sicherheitskonzeptes, nachhaltig im Schulprogramm der Schule implementiert.

Wesentliche Grundlage ist nicht zuletzt das Niedersächsische Schulgesetz, das in § 2 als Zielsetzung für die Arbeit in der Schule u.a. einfordert, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, „ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten“ und „Konflikte vernunftgemäß zu lösen, aber auch Konflikte zu ertragen.“

141 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

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Anhang

143 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

144 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Weiterführende Informationen

Fachliteratur / Arbeitsmaterialien

AWO Bundesverband e.V.: Projekt PräGT – Ein Praxisleitfaden zur Prävention häuslicher Gewalt in Kindertagesstätten, Bonn 2004. Bezug: www.awo.org

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Prävention von häuslicher Gewalt im schulischen Bereich. Empfehlungen der Bund-Länder- Arbeitsgruppe „Häusliche Gewalt“ – Materialien zur Gleichstellungspolitik Nr. 105 / 2007. Bezug: www.bmfsfj.de

Friesa Fastie: Ich weiß Bescheid. Sexuelle Gewalt – Rechtsratgeber für Mädchen und Frauen, Donna Vita, Ruhnmark 2008

Katharina Müller: Echt cool, dass ich noch lebe! Roman, Geest-Verlag, Vechta- Langförden 2007

Rosalind B. Penfold: Und das soll Liebe sein? Geschichte einer bedrohlichen Beziehung, Comic, Eichborn, Frankfurt a.M. 2006

Sabrina Rudolph: Kinder stärken gegen häusliche Gewalt. Ansätze für Intervention und Aufklärung in der Schule, Tectum-Verlag Marburg 2007

Broschüren und Flyer

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Mehr Mut zum Reden. Bezug: www.big-interventionszentrale.de

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt. Informationen zum neuen Gewaltschutzgesetz. Bezug: www.bmfsfj.de

Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen / Deutscher Kinderschutzbund – LV Niedersachsen: Nein heißt nicht Jein! Du hast ein Recht auf Respekt! Informationen für Mädchen und Jungen, Hannover, 2006. Bezug: www-jugendschutz-niedersachsen.de

145 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit: Stalking – Wie sich Opfer von Belästigung und Bedrohung schützen können. Bezug: www.ms.niedersachsen.de

Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, Nds. Justizministerium, Nds. Ministerium für Inneres und Sport: Aktionsplan II des Landes Niedersachsen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häusliches Bereich. Bezug: www.ms.niedersachsen.de

Filme

Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt e.V. (BIG e.V.): Kennst du das auch? Wahre Geschichten von zu Hause. Fünf Mädchen und Jungen erzählen von ihren Erfahrungen mit häuslicher Gewalt. Bezug: www.big-interventionszentrale.de

Broschüren aus der Reihe „Betrifft: Häusliche Gewalt“

Betrifft: Häusliche Gewalt – Arbeitshilfen für die interdisziplinäre Intervention Hrsg. vom Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und dem Landespräventionsrat Niedersachsen, 2003.

Betrifft: Häusliche Gewalt – NetzwerkeN – Ein Handbuch für interdisziplinäre Kooperation und Vernetzung, hg. vom Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, Nds. Justizministerium, Nds. Ministerium für Inneres und Sport und dem Landespräventionsrat Niedersachsen, 2004.

Betrifft: Häusliche Gewalt – Mit BISS gegen häusliche Gewalt – Evaluation des Modellprojekts „Beratungs- und Interventionsstellen (BISS)“ in Niedersachsen; hrsg. vom Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, 2005

Betrifft: Häusliche Gewalt – Kinder misshandelter Mütter – Handlungsorientierungen für die Praxis (Eckpunktepapier der Expertenkommission „Kinder misshandelter Mütter“ bei Landespräventionsrat), hg. vom Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, Nds. Justizministerium, Nds. Ministerium für Inneres und Sport und dem Landespräventionsrat Niedersachsen, 2005.

Betrifft: Häusliche Gewalt – Neue Herausforderungen für die Prävention und Intervention bei häuslicher Gewalt, Hrsg. vom Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit, Nds. Justizministerium, Nds. Ministerium für Inneres und Sport und dem Landespräventionsrat Niedersachsen, 2006.

Bezug: Landespräventionsrat Niedersachsen, www.lpr.niedersachsen.de

146 Betrifft: Häusliche Gewalt – Perspektiven für die Prävention

Autorinnen und Autoren

Serap Altinisik TERRE DES FEMMES e.V., Referat Häusliche Gewalt

Jens Buck Richter am Amtsgericht Hannover

Ulrike Brockhaus Frauennotruf Göttingen

Roger Fladung Polizeivizepräsident, Polizeidirektion Göttingen

Michael Gleich Spielwerk Theater EUKITEA

Prof. Dr. Carol Hagemann-White Universität Osnabrück

Dörte Krol Beratungs- und Interventionsstelle (BISS) Nordhorn

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Kury Freiburg (ehem. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht)

Dr. Anja Meyer Landespräventionsrat Niedersachsen

Susanne Paul Landeskriminalamt Niedersachsen

Prof. Dr. Cacilia (Cillie) Rentmeister Fachhochschule Erfurt

Dr. Gesa Schirrmacher Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit

Jutta Sengpiel Landesschulbehörde Braunschweig

Eleonore Tatge / Ursula Kretschmer Runder Tisch gegen Männergewalt in der Familie, Lüneburg

Ingrid Wiltzsch / Clemens Rumpf Polizeiinspektion Hildesheim

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Impressum

Herausgeber: Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR)

In Kooperation mit: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit Niedersächsisches Ministerium für Inneres, Sport und Integration Niedersächsisches Justizministerium Niedersächsisches Kultusministerium

Hannover 2008

Redaktion: Andrea Buskotte, LPR

Bezug: Landespräventionsrat Niedersachsen – Nds. Justizministerium – Am Waterlooplatz 5A 30169 Hannover Fax: 0511- 120-5272 E-mail: [email protected] www.lpr.niedersachsen.de

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