David Dalton Memories

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 1 14.07.2009 16:21:20 978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 2 14.07.2009 16:21:20 Marianne Faithfull David Dalton

Memories

Aus dem Englischen von Elfriede Peschel

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 3 14.07.2009 16:21:20 Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Memories, Dreams And Reflections« bei Fourth Estate, einem Imprint von HarperCollinsPublishers, London

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100 Das FSC-zertifizierte Papier Munken Premium für dieses Buch liefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.

1. Auflage Copyright © der Originalausgabe 2007 by Marianne Faithfull Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Satz: DTP im Verlag, RF Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Gemany ISBN: 978-3-7645-0306-2

www.blanvalet.de

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 4 14.07.2009 16:21:21 Für François

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 5 14.07.2009 16:21:21 978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 6 14.07.2009 16:21:21 Inhalt

Seitdem mein letztes Buch entstanden ist 11 Was alles so passiert an einem »sunny afternoon« in den Sixties – einem von vielen 16 Ihr Vagabundenleben wird sie wohl beibehalten haben 52 Blick zurück im Zorn 58 Eva 70 Meine Weimarer Periode 85 Ich und das Fabelwesen 93 Kohlenklau 103 Onkel Bill & Tantchen Allen: Inmitten der Poeten der Beat-Generation in Jack Kerouacs Schule der körperlosen Poetik 105 Der Fluch der hohlen Talmi-Boheme 128 Caroline Blackwood: Bei allem, was ich dort fand 130 »Was macht der Feind?« 142 Verpiss dich, Liebling! – Meine geliebte Henrietta Moraes 163

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 7 14.07.2009 16:21:22 Inhalt

Donatella Versace 187 Todessturz einer Sixties-Legende 189 Dekadenz als schöne Kunst 195 Eine musikalische Riesenmaus 197 Gregory Corso 199 Sex mit Fremden und andere schuldbewusste Freuden 211 Mein Leben als Elster – eine kommentierte Faithfullografie 222 Kino im Kopf 233 Die Mädchenfabrik 239 Mit hohlem Blick 245 Juliette Gréco 247 Vorfall auf der Boogie Street 250 Straßensänger Bono 253 Der Hund von Monsieur St Laurent 255 Meine Vergangenheit holt mich ein – Ned Kelly, der Bandit 258 Auge in Auge mit Roman Polanski 260 Es war ein guter alter Wagen 265 Sex, Drogen und Rauchen 277 Willkommen im Klub 305

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 8 14.07.2009 16:21:22 Inhalt

… und eine Heilige werden sie aus mir auch nicht machen 313 Große Pläne in letzter Minute 315

Danksagung 317 Abbildungsnachweis 319

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 9 14.07.2009 16:21:22 978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 10 14.07.2009 16:21:22 Seitdem mein letztes Buch entstanden ist

Wo anfangen? Nun, vielleicht dort, wo ich aufgehört ­hatte – kurz bevor ich mich daranmachte, The Seven Deadly Sins auf- zunehmen. Und um diese Zeit herum beschäftigte ich mich natürlich auch mit den Folgen. Es ist schon verrückt, welche Erwartungen die Leute haben, wie du sie in einem Buch dar- stellst. Ich versuchte ehrlich zu sein, aber das hat nicht immer allen gefallen. Ein paar Leute regten sich darüber auf, was ich gesagt ­hatte – hauptsächlich über sie. Vermutlich hätte ich schreiben sollen: »Ich verdanke alles A.« Oder: »Ohne B – hätte ich nie …« Nun, tut mir leid, aber so ein Buch war das nicht. Wenn ich eins aus meinem letzten Buch gelernt habe, dann, dass es ziemlich gefährlich ist, die Vergangenheit her- aufzubeschwören. Einer, dem das Buch wirklich gut gefallen hat, war Keith. Natürlich sind er und Dylan die Stars des Buchs, weshalb es auch nicht verwundert. Überrascht hat es mich, als Bob nu- schelte, es habe ihm nicht besonders gefallen. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«, sagte ich. »Du bist doch verflixt noch mal der Star dieses Buchs! Dumm- kopf!« Wie auch immer, die vierzehn Jahre, seit es dieses Buch gibt, sind in vielerlei Hinsicht eine ziemlich harte Zeit gewe- sen. Ich habe den Tod vieler guter Freunde miterlebt. Den- ny Cordell und Tony Secunda beispielsweise, die beide da-

11

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 11 14.07.2009 16:21:22 Marianne Faithfull – Memories

für verantwortlich waren, dass ich mein erstes Buch in Angriff genommen habe, sind von uns gegangen. Dennys Anstoß zum Schreiben bestand daran, dass er mir Jenny Fabians Groupie in die Hand drückte, ein Buch, das ich aber bereits gelesen hatte. Ich warf nur einen Blick darauf und sagte: »Nein, Denny! Nein, so wird es nicht sein. Auf keinen Fall!« Und war es dann auch nicht. Denny war ein legendärer Produzent und A-&-R-Mann. Er produzierte Joe Cocker, die Moody Blues, Leon Russell, Tom Petty, Bob Marley, Toots und viele andere. Dennys Krankheit war schrecklich, und sie zog sich hin. Während seiner Zeit als Mädchen für alles bei Chet Barker infizierte ­Denny sich mit Hepatitis C. Ein Jahr lang nahm er Heroin, aber schließlich holte die Krankheit ihn doch ein. Auch ich ­hatte einen Anfall von Hep C. Ein Jahr lang war ich völlig fertig, aber zu der Zeit, als ich mich damit ansteck- te, ­hatte man die Behandlungsmethode verbessert und setzte Interferon und andere Arzneien ein, die noch nicht zur Verfü- gung standen, als Danny krank wurde. Tony Secundas Tod kam unerwartet. Tony war der weit- sichtige Agent meiner Autobiografie und ein wunderbarer Manager alter Schule im Umgang mit Verrückten. »Sailor Sam«, wie McCartney ihn in »Band on the Run« nannte, ma- nagte Procol Harum, die Move, T Rex und für kurze Zeit auch mich mit boshafter Provokation und viel Elan. Und ein paar Jahre später starb auch die arme Frankie, das verrückte Mäd- chen, das er geheiratet hatte. Es hätte genauso gut mich tref- fen können! Keine Ahnung, wie ich selbst es so weit schaffen konnte. Mehr davon später. Das Traurigste am Altwerden ist das Hinscheiden deiner Freunde und Geliebten. Gene Pitney starb. Ich mochte Gene,

12

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 12 14.07.2009 16:21:22 Seitdem mein letztes Buch entstanden ist

er war eine echte Nummer, aber warum musste er so jung ster- ben? Er trank nicht und nahm sein Leben lang keine Drogen. Dass das arme Schwein ausgerechnet in Cardiff sterben muss- te, ist schon allerhand. Für seine Arbeit zolle ich ihm Hoch- achtung und Respekt, aber was für eine Art, sich seiner sterb- lichen Hülle in so einer Stadt zu entledigen. Dann verloren wir nach und nach unsere Eltern. Mein Va- ter starb 1996 – meine Mutter Eva war bereits 1992 gestorben. Keiths Papa Bert, den ich sehr gern gehabt habe, starb kürz- lich, und auch Micks Vater ist vor Kurzem gestorben – was war das für ein freundlicher und sanfter Mann. Für Mick war dies ein sehr einschneidender Moment. Und ich muss sagen, dass sowohl seine Mama als auch sein Papa sehr nett zu mir waren, obwohl ich, nun, sagen wir es geradeheraus, ein abso- luter Albtraum gewesen sein muss. Mich schaudert, wenn ich daran denke. Was nicht heißen soll, dass Mick ein Unschulds- lamm war, aber so wie ich war er nie. Man fängt an, sich über seine eigene Sterblichkeit Gedan- ken zu machen, wenn einen die Leute auf die Liste all derer setzen, die als Nächste dran sind. Dabei fällt mir David Lit- vinoffs Beerdigung ein. Litz war ein Spinner von Rang, der Katalysator von Performance und für James Fox ein Lehrer in Niedertracht. Eigentlich prägte er den ganzen Film – anspie- lungsreiche Dialoge und Gangsterstimmung. Lucian Freud malte ein berühmtes Porträt von ihm mit dem Titel The Pro- curer – Der Zuhälter. Er war schwul und wollte nicht alt wer- den, also brachte er sich um. Als Schauplatz seines Selbst- mords wählte er den Aubusson-Teppich in Christopher Gibbs Haus – Chrissy sah darin eine erschreckende Geschmack­ losigkeit. Ich ging zusammen mit Christopher und Robert Fraser

13

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 13 14.07.2009 16:21:22 Marianne Faithfull – Memories

auf David Litvinoffs Beerdigung – das ist lange her, aber et- was, was man nicht vergisst. Wir saßen in einer Limousine und befanden uns auf dem Rückweg vom jüdischen Friedhof, wo wir Davids Einäscherung beigewohnt hatten – alles ziem- lich düster –, als Chrissy plötzlich einen Wutanfall bekam. Er sah mich an und sagte: »Nun, ich hoffe, dass wir das nie wie- der durchmachen müssen!«

Die Vorstellung, die sich die Leute von meinem Gesell- schaftsleben machen, ist sehr übertrieben. Ich glaube, sie er- warten skandalöse Szenen mit berühmten, schockierenden Leuten. Sie wissen schon: »Und als Gore Vidal sich dann mit einer line vor sich hinsetzte, sagte er zu mir …« und so weiter und so fort. Okay, ich gebe zu, dass es Spaß macht, auf She- ryl Crows Weihnachtsparty zu gehen und dort, kein Scherz, Salman Rushdie im Gespräch mit Heidi Fleiss zu sehen, aber meistens sieht mein Leben ganz und gar nicht so aus. Ehr- lich. Das können Sie mir nun glauben oder nicht. Wo war ich stehen geblieben? O ja, mein Mangel an Ge- sellschaftsleben. Nun, es stimmt, ich bin ein wenig ruhi- ger geworden. Nachdem ich meine Autobiografie been- det hatte, habe ich François­ kennengelernt, und zwar bei den ­Aufnahmen eines Songs mit dem Titel »La Femme Sans ­Haine«. Philippe Constantine, der für Richard Bransons Vir- gin Records die Weltmusik etabliert hat, wollte, dass ich ein Duett mit Ismael Lô einsinge. Eigentlich singe ich keine Du- ette, doch dieses wurde recht gut. Veröffentlicht wurde es ­allerdings nie, aber ich lernte Fran­çois kennen und verliebte mich. Oscar Wildes berühmter Satz »Ich kann allem widerste- hen außer der Versuchung!« war einmal mein Mantra gewe-

14

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 14 14.07.2009 16:21:22 Seitdem mein letztes Buch entstanden ist

sen, aber nach den anderthalb Jahren, in denen ich die sieben ­Plagen Ägyptens durchlitten und vier Schallplatten und fünf Filme gemacht habe, beschloss ich meine eigensinnige Le- bensweise zu ändern. Aber erst möchte ich Ihnen alles über meine boshafte und gemeine Art erzählen.

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 15 14.07.2009 16:21:22 Was alles so passiert an einem »sunny afternoon« in den Sixties – einem von vielen

Wenn ich Revolver höre, tauchen jedes Mal Erinnerungen an die Zeit auf, als wir alle viel jünger und verrückter waren. Je- der Vorwand, sich zu treffen, high zu werden, sich aufzuta- keln oder uns die jeweiligen Lieblingssongs vorzuspielen. Das Kommen und Gehen, ob in die jeweiligen Häuser oder ver- schiedene Klubs. Pete Townshend und Eric Clapton, die im vorbeischauten, Mick und ich auf Besuch bei Brian Epstein; Tagesauflüge zum bunten Hippiehäuschen von George Harrison und Pattie Boyd, Abende bei Paul McCart- ney und Jane Asher. Manchmal reicht schon ein winziger Augenblick, eine Geste, um mich ganz überraschend in die Sixties zurück- zuführen. Eines Tages ließ ich mir nach einer Versace-Mo- denschau ein Taxi kommen, und plötzlich war da Stella Mc- Cartney und klopfte an die Scheibe. Als ich mich umdrehte, zwinkerte Stella mir zu und zeigte mir den erhobenen Dau- men. Und da ­hatte ich plötzlich ihren Papa, Paul, vor Augen, denn genau diese Geste und dieses Zwinkern war ihm da- mals eigen gewesen. So eine schmalzige Draufgängernum- mer wie aus dem Varieté. Und hier war nun die liebe Stella, die ohnehin aussieht wie ihr alter Herr, und macht mir Maccas Zeichen! Die Sixties waren eine große kunterbunte Darstellerschar in der Daueraufführung einer Operette mit den passenden

16

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 16 14.07.2009 16:21:22 an einem »sunny afternoon«

Kostümen in allen Schattierungen. Davon ist mir vor allem in Erinnerung geblieben, wie schön alle waren, und natürlich die wunderbaren Kleider: Wir verkleideten uns als mittelalterli- che Jungfern und Prinzen, Piraten, präraphaelitische Madon- nen, Päpste, Husaren, Verrückte und Wesen auf Besuch von anderen Planeten. Und dann gab es die Höflinge und Statisten – all diese merkwürdigen Typen im Umfeld der Beatles und der Stones: die Roadies, die Mitläufer und die Anstifter. Georges persön- licher Assistent Terry Doran, der »Motormensch«, trieb ir- gendwie Lennons psychedelischen Rolls-Royce auf und be- kam schließlich eine gute Stellung bei Apple Corps. Dann gab es da den herausragenden Derek Taylor, Pressesprecher der Beatles und agent provocateur; den düsteren Tom Key- lock, Andrew Oldhams gemeingefährlichen Chauffeur; Bri- ans gewalttätigen Bauunternehmer Frank Thorogood und seine Beichte auf dem Totenbett, wie er Brian Jones umge- bracht hat. Nicht zu vergessen die alten Roadies der Beatles, Neil As- pinall und Mal Evans. Der große, gutmütige, jungenhafte Mal, der in L. A. aufgrund einer Verwechslung von der Poli- zei erschossen wird. Und Stu, Ian Stewart, der eigentliche Pi- anist der Stones’. Ich liebte Stu! Ich erinnere mich, dass Mick mir zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag ein Auto kau- fen wollte und er Stu damit beauftragte, eins für mich zu su- chen. Man kann sich kein schöneres Auto vorstellen als das, mit dem er wiederkam, ein 1927er Cadillac, ein Bonnie-und- Clyde-Wagen in einem unglaublichen Beige mit einem ro- ten Streifen, wo die Autotüren aufgingen. Das war cool! Aber trotz aller Bemühungen Micks, kam ich nie damit zurecht. Es war, als würde man einen Panzer aus dem Ersten Welt-

17

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 17 14.07.2009 16:21:22 Marianne Faithfull – Memories

krieg lenken, er ­hatte einen Schaltknüppel und all das, aber ich konnte kaum was sehen, denn meine Nase reichte gerade mal bis zur Windschutzscheibe. Stu tat mir noch einen weiteren großen Gefallen. Mick hasste den Auftritt der Stones’ in ’ Rock and Roll Circus. Er wollte von der ganzen Sache einfach nichts mehr wissen. Es war wie die Szene in Schneewittchen, wo die böse Königin zum Jäger sagt: »Geh! Bring sie in den Wald, und töte sie!«, mit Mick in der Rolle der bösen Königin und Stu als Jäger. Nur, dass dabei nicht von mir die Rede war, son- dern von den Dosen mit den Filmen meines Parts im Rock and Roll Circus. Er wollte diese Filmrollen vernichtet sehen. Verbrannt. In die Themse geworfen. Für immer eliminiert. Und Stu sagte: »Ja, ist gut, Mick, mach ich.« Aber er konnte es nicht! »Wo kann ich diese Filmdosen aufbewahren«, über- legte Stu, »an einem Ort, wo Mick niemals nachsehen wird?« Und so brachte er sie zu Pete Townshend auf Eel Pie Is- land und sagte: »Hey, Pete, ich hab da diese alten Filmdo- sen. Macht es dir was aus, wenn ich sie in deiner Garage lage- re?« Und Pete sagte: »Nur zu, Stu, mach das. Das ist schon in Ordnung, mir macht das nichts aus, weißt du, ich benutze sie nicht, da ist eigentlich gar nichts drin.« Und da lagen sie dann und schimmelten fünfundzwanzig Jahre lang vor sich hin, bis Pete eines Tages, Gott weiß warum, seine Garage aufräumte und die Filme fand, auf denen Rock and Roll Circus draufstand! Und er fragt sich: »Oh, hoppla, was ist das denn?« Und weil er unglaublich gewitzt ist, steckte er sie in seinen Heimprojektor und schaute sie sich an. Anschließend rief er Allen Klein an und sagte: »Ich hab da was, was dich sehr interessieren dürf- te. Ich habe Mariannes verlorenen Film vom Circus gefun- den. Was soll ich damit machen, Allen?« Und Allen antwor-

18

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 18 14.07.2009 16:21:22 an einem »sunny afternoon«

tete: »Hallelujah! Ich werde dir einen Kurier schicken.« Und das tat er dann. Er schickte seine Tochter, Robin Klein, um die Rolle abzuholen. Townshend wusste von dem Problem, denn natürlich waren The Who in den Rock and Roll Circus ein- gebunden – und er wusste auch, dass man die Show deshalb nicht ­hatte zeigen wollen, weil zu befürchten war, dass sie den Stones die Schau gestohlen hätten. Was dann aber nicht der Fall war, aber dennoch … Und alles war da, bis auf eine wirklich wunderschöne Kran- Einstellung. Keine Ahnung, was damit passiert ist. Vielleicht war Mick so wütend, dass er einfach eine Rolle Film aus der Dose nahm, sie in tausend Einzelteile zerriss und dann in sei- nem Garten verbrannte, während er und Bianca unter Eulen- rufen darum herumtanzten! Ich liebte Mick, ich liebte ihn wirklich, aber wenn ich da- mals mit Mick zusammengeblieben wäre – bei all dem Geld, dann runter nach Südfrankreich, Keith und Anita Pallen- berg, blabla, Goat’s Head Soup –, dann wäre ich gestorben, und das wusste ich. Und wenn ich schon untergehen sollte, woll- te ich das auf meine Weise tun! Nicht mit einem dekaden- ten Anführer und seiner vom Skorbut ausgezehrten Crew als ­Anhängsel! Als ich mich von Mick trennte und mit Nicholas abhaute, nahm ich einen wunderschönen Perserteppich, ein paar Os- sie-Clark-Klamotten und alle meine Seidenkleider von Deliss mit. Und dies waren dann auch die Sachen, die ich trug, als ich auf der Straße lebte, eine gespenstische Erscheinung, eine ma- gersüchtige Obdachlose, die keinen Schmerz und auch keine Kälte spürte – wie auch, unter Heroin. So gesehen bin ich eine Art Ehrenmitglied der Rolling Stones, eine Sache, der ich zwiespältig gegenüberstehe. Ich

19

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 19 14.07.2009 16:21:22 Marianne Faithfull – Memories

mag sie wirklich, und wir hatten tolle Zeiten, aber es war eine harte Szene. Für diese gemeine Welt mit all ihren Gehässig- keiten war ich nicht geschaffen. Wenn ich sie heute Backstage oder im Hotel George V. besuche, ist es jedes Mal nett – Keith und Ronnie, Mick und Charlie zu treffen. Charlie zu sehen, ist immer eine Freude. Wenn er seine Jazzauftritte in London hat, gehe ich gern hin, um ihn mir außerhalb des Dunstkreises der Stones anzuhören. Angst vor den Stones habe ich weiterhin, weil da immer noch dieses Gefühl ist – und das bilde ich mir nicht ein- fach nur ein –, wieder aufgesaugt zu werden. Anders als Ani- ta habe ich keinen direkten Kontakt zu ihnen. Ich bin ein frei- er Mensch, aber wenn ich sie sehe, fühle ich doch plötzlich die Anziehung. Ich war von Anfang an dabei. Ich gehöre zu ih- nen. Ich weiß das. Und das reicht.

Einer der Lieblingsorte von Mick und mir war das Haus von George Harrison und Pattie Boyd in Weybridge. Mick moch- te George, und ich fand, dass Pattie einer der schönsten Men- schen überhaupt war. Es gefiel mir, wie sie sich kleidete, sie ­hatte ein fantastisches Stilempfinden. Psychedelische Kleider in wunderbaren Farben oder winzige Röcke, die ihre prächti- gen Beine zur Geltung brachten. Während jener magischen Nachmittage gab George den perfekten Gastgeber, verwöhnte uns mit exotischen Tees, di- cken Joints und seinen neuen Songs, die er uns wie erlese- ne Köstlichkeiten servierte. Ein – gemessen an Rockstarstan- dards – kleiner Bungalow, bemalt in leuchtenden Farben, sehr warm, gemütlich und anheimelnd, wie die Menschen, die dar- in lebten, mit einem Garten voller Sonnenblumen und Kissen im Freien. Einfach eine sehr weiche, sanfte Schwingung, als

20

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 20 14.07.2009 16:21:22 an einem »sunny afternoon«

wäre dieses Knusperhäuschen seinen süßen, melancholischen Liedern entsprungen. Es war immer viel einfacher, wegzugehen und die Leu- te anderer Bands zu besuchen. Das ersparte einem den Stress und die Spannungen mit der eigenen Gruppe. Auf Redlands, Keiths Haus in West Sussex, knisterte es immer – Schwin- gungen, die ich gar nicht in Worte hätte fassen können. Et- was Unterschwelliges, wie es wohl in jeder Band lauert. Was eine Band interessant macht, sind die zusammengewürfelten Leute, aus denen sie besteht. Die Spannung sorgt für groß- artige Musik, aber nicht immer für problemlose Sozialkon- takte. Das traf in gewisser Weise sicherlich auch auf die Beatles zu, aber von den möglicherweise tobenden Unsicherheiten oder Problemen innerhalb der Gruppe war an einem sonni- gen Nachmittag in Weybridge nichts zu spüren, wenn Geor- ge im Schneidersitz auf einem Kelim saß und uns seine Songs vorspielte. Das Zusammensein mit George und Pattie war sehr ent- spannend. Mick und ich konnten es uns auf den marokka- nischen Kissen bequem machen, high werden und uns auf Georges neuen Songs dahintreiben lassen. Wenn er keine ei- genen Sachen spielte, legte er Ravi Shankar auf. Auf dem Plattenteller drehte sich dann eine von diesen wunderschönen grünen Schallplatten, die wir alle hatten. Ich glaube, dass wir es vor allem ihm verdanken können, uns mit alledem in Be- rührung gebracht zu haben. Mick mochte Georges Songs – diese wunderbaren Lieder auf Revolver –, aber George ­hatte immer das Gefühl, dass kei- ner seine Stücke wirklich zu schätzen wusste oder sie für ge- nauso gut hielt wie die von John und Paul. George plagten

21

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 21 14.07.2009 16:21:22 Marianne Faithfull – Memories

Zweifel an seiner Arbeit, aber heute ist offensichtlich, was für ein großartiger Songwriter er war. An »Beware of Darkness« etwa reichen nur wenige heran. In gewisser Weise war Brian Jones Georges Entsprechung bei den Stones. Aber in ihrer Persönlichkeit unterschieden sie sich gewaltig. Was George betraf – und nachdem er nun von uns gegangen ist, empfinden wir das alle besonders stark –, so tauchte er ein in die Dinge, vertiefte sich. Was immer es war, ob die Sitar und Ravi Shankar oder der Maharishi, er bewegte sich darauf zu, ohne einen Blick zurückzuwerfen, und das er- fordert sehr viel Zuversicht. Bei Brian hingegen war es immer nur ein Aufblitzen. Er versetzte andere gern in Erstaunen – und war dann schon wieder beim nächsten Ding. Manchmal beschleicht mich das unheimliche Gefühl, dass George – wie beim Negativ und Positiv einer Fotografie – die positive Ver- sion von Brian war. Sie waren sich in vielerlei Hinsicht recht ähnlich; beide konnten viele unterschiedliche Instrumente spielen und waren hochtalentiert. Aber ein gewaltiger Unter- schied bestand darin, dass Brian unfähig war, Songs zu schrei­ ben. Seine fortwährende Verstimmung und sein Unglück- lichsein, seine Paranoia und sein niedriges Selbstwertgefühl standen ihm immer im Weg. Es war tragisch, denn mehr als alles andere wollte er ein Songwriter sein. Ich war Zeugin die- ses schmerzhaften Prozesses, Brian, der zu einem Zwölftakt- Bluesriff ein paar Worte brummelt und dann frustriert seine Gitarre hinschmeißt. Ich glaube, dass es einfach nicht möglich war, in Brians Zustand einen Song zu schreiben. Das konnte er nur durch ein anderes Medium, durch Keith. Am nächsten kam er dem wohl in »Ruby Tuesday«, wo seine melancholische Blockflö- te dieses Gefühl unwiederbringlichen Verlusts wehmütig her-

22

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 22 14.07.2009 16:21:22 an einem »sunny afternoon«

überbringt. »Ruby Tuesday« entstand in Zusammenarbeit von Keith und Brian. Es ist dies einer der wenigen Stones-Songs, an denen Mick weder am Text noch an der Melodie mitge- wirkt hat – aber er und Keith bekamen die Urheberrechte. Doch ohne Brian hätte es »Ruby Tuesday« nie gegeben. Schon komisch, wie jeder Drummer eine perfekte Entspre- chung der Band darstellte, in der er spielte. Mick bewunderte Ringos Arbeit am Schlagzeug – er spielte so simpel, so redu- ziert, so genau auf den Punkt –, aber sein Stil hätte überhaupt nicht zu den Stones gepasst. Man hätte Ringo nicht nehmen und bei den Stones einsetzen können, genauso wenig hät- te man Charlie Watts bei den Beatles ans Schlagzeug setzen können. Und was Keith Moon angeht, so wäre sein Trommeln sowohl bei den Stones als auch bei den Beatles den Gitarren und dem Gesang im Weg gewesen, aber für The Who konnte man sich keinen perfekteren Drummer und Wahnsinnigen als Keith Moon vorstellen. Ich habe diese amüsante These gehört, dass Mick gern ein Beatle und John gern ein Rolling Stone gewesen wäre, aber ich denke, sie zielt meilenweit daneben. Mick mochte die Beatles natürlich, und offensichtlich lief da auch ein natür- licher Wettstreit, aber ich glaube nicht, dass dieser ungesund war – sie feuerten sich gegenseitig an. Es hieß ja – und da steckt auch ein Funken Wahrheit drin –, die Beatles seien Schlägertypen, die vorgeben Gentle- men zu sein, während die Stones Gentlemen seien, die vorga- ben Schlägertypen zu sein. Und genau da wird es interessant, wenn wir über Musik reden, weil diese widersprüchlichen As- pekte immer durchschimmern. Sie sind sehr subtil, aber sie sind da, und das macht die Musik auch so bezwingend – der Riss im Altartuch.

23

978-3-7645-0306-2_Faithfull_Memories_Aufl-1.indd 23 14.07.2009 16:21:22 UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Marianne Faithfull Memories

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 320 Seiten, 13,5 x 21,5 cm ISBN: 978-3-7645-0306-2

Blanvalet

Erscheinungstermin: August 2009

Ihr Leben war ein Tanz auf dem Vulkan. Marianne Faithfull erzählt, wie man den Ausbruch überlebt …

Marianne Faithfull kannte sie alle, und alle kannten sie: Die größten Rock-Legenden und Künstler der wilden Sechzigerjahre. , die Beatles, Bob Dylan, Allen Ginsberg, William Burroughs … Sie galt als das exzentrische und intellektuelle Groupie dieser legendären Zeit. Sie reizte das Leben bis zum Anschlag aus und ging durch alle Höhen und Tiefen, feierte selbst riesige musikalische Erfolge – und lebte als Junkie auf der Straße. Entzug, Krebs und immer wieder ein Neuanfang.

Heute ist Marianne Faithfull ein anderer Mensch. Mit ebenso vielen Facetten. In diesem Buch erinnert sie sich, erzählt, träumt und zeigt sich von ihrer nachdenklichen Seite. Und entführt ihre Leser in eine andere Welt. Eine Welt, in der das Jetzt gelebt und nicht alles geplant wurde. Ein Leben mit einer Intensität, die nachdenklich stimmt – und vor allem eines hinterlässt: Gänsehaut. Marianne Faithfull geht ihr neues Leben mit Optimismus an. Und der Leser spürt es hingerissen in jeder Zeile.

Eine Autobiografie wie ein Road-Movie – wild, intensiv und mitreißend!

Das Feeling einer ganzen Generation – nicht nur für Faithfull-Fans.