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Otfried Nassauer / Christopher Steinmetz (Hrsg.)

Wie geschmiert ++ Rüstungsexporte ++ Griechenland ++ Korruption ++

Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit

BITS-Research Report 15.01

Otfried Nassauer / Christopher Steinmetz (Hrsg.) Wie geschmiert Deutsche Rüstungsexporte nach Griechenland und die Korruption

Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, Rykestr. 13, 10405 Impressum

Herausgeber Otfried Nassauer (BITS) & Christopher Steinmetz (BITS)

Mitherausgeber Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. Rosa-Luxemburg-Stiftung – Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V.

Redaktion Otfried Nassauer & Christopher Steinmetz (V.i.S.d.P.)

Gestaltung kippconcept gmbh, Bonn

Unterstützung Diese Publikation wurde realisiert mit Mitteln der Deutschen Klassenlotterie.

Diese Publikation wurde gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Mitteln des Auswärtigen Amtes.

Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Bremische Stiftung für Rüstungskonversion und und Friedensforschung, Dachverband Kritische Aktionäre, IPPNW e.V., Respekt für Griechenland, Rosa-Luxemburg-Stiftung – Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V. und Recherchemitteln der Vereins der Linken im e.V.

Die in den Beiträgen zu dieser Publikation vertretenen Auffassungen sind die der jeweiligen Autoren, nicht der Organisationen, die diese Publikation ermöglicht haben.

BITS-Research Report 15.01 © Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-933111-15-9

Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit Rykestr. 13 · 10405 Berlin Tel. ++49 30 4410220 · Fax ++49 30 4410221 [email protected] · www.bits.de

Dezember 2015 5

Inhalt

Dinge ins Laufen bringen ... 6 Otfried Nassauer / Christopher Steinmetz

Rüstungsexporte und Korruption 9 : Siamesische Zwillinge Andrew Feinstein / Paul Holden

Korruption 13 : Die Entwicklung der deutschen Rechtslage Olaf Kreuzer

Nützliche Aufwendungen 17 : Die Geschichte deutscher Korruption in Griechenland Nikolas Lentopoulos

Der griechische Honigtopf 27 : Griechenland als Kunde der deutschen Rüstungsindustrie Christopher Steinmetz

Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 34 : Das Beispiel Griechenland von Otfried Nassauer

Von Leoparden und U-Booten 51 : Eine Chronik der größten deutsch-griechischen Rüstungsskandale Tasos Telloglou

Was kann gegen Korruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor getan werden? 59 Marie-Carin von Gumppenberg

Nützliche Lektionen 67 : Griechenlands Krise als Chance Otfried Nassauer / Christopher Steinmetz 6 Nassauer / Steinmetz

Dinge ins Laufen bringen ...

Otfried Nassauer / Christopher Steinmetz

„Corruption is a way to make things work“ – „Kor- rupten Auslandsgeschäften entstand der Scha- ruption ist ein Weg, Dinge ins Laufen zu bringen”. den dagegen im Ausland und war somit eher Eine Behauptung, bei der man sofort denkt: Da akzeptabel. ist was dran. Und ganz besonders, wenn es um lukrative Rüstungsgeschäfte geht. Das Kaufen Erst in den letzten 25 Jahren wurde der Bekämp- und Verkaufen von Waffen ist Jahr für Jahr ein fung der Korruption bei Auslandsgeschäften auf Multimilliardengeschäft. Dieser Weg, Dinge ins internationaler Ebene Schritt für Schritt mehr Laufen zu bringen, wurde und wird auch von Aufmerksamkeit gewidmet. 1989 setzte die Deutschen allzu oft beschritten. Von Franz Josef OECD das Thema erstmals auf ihre Tagesord- Strauss und Lockheed – dem Starfighter-Skan- nung. Sie begann, die Merkmale der Korruption dal in den Sechzigern – über Holger Pfahls, Karl- genauer zu analysieren und potentielle Gegen- Heinz Schreiber und die Fuchs-Panzer für Saudi maßnahmen zu untersuchen. 1994 einigten sich Arabien in den Neunzigern bis hin zu den kor- die Mitgliedsstaaten erstmals auf eine Empfeh- rupten Griechenlandgeschäften der deutschen lung über Bestechung im internationalen Ge- Rüstungsindustrie in den letzten 15 Jahren. schäftsverkehr. 1996 folgte eine Empfehlung über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Be- Rüstungsgeschäfte und Korruption – sind das stechungsgeldern an ausländische Amtsträger. also siamesische Zwillinge? Was allgemein 1997 wurde schließlich das „Übereinkommen durchaus einleuchtend und plausibel erscheint, über die Bekämpfung der Bestechung aus- ist im Detail oft nur äußerst schwer zu bele- ländischer Amtsträger im internationalen Ge- gen. „Im Dunkeln lässt sich gut munkeln“. Die- schäftsverkehr“ fertiggestellt, das 1999 in Kraft ses Sprichwort gilt definitiv für die Korruption trat und seither einen Kristallisationspunkt bei bei Rüstungsexportgeschäften und deren Ver- der Bekämpfung der Korruption darstellt. Die schleierung. Geht es um konkrete Einzelheiten Mitgliedsstaaten verpflichteten sich dazu, ihre und Vorgänge, so stellt sich oft heraus: „Nichts nationale Gesetzgebung an die Regelungen des Genaues weiß man nicht.“ Abkommens anzupassen. Bei der OECD wurde ein Überwachungsmechanismus eingerichtet, Die Ursachen dafür sind vielfältig. Rüstungsge- um das Verhalten der Mitglieder zu überprüfen. schäfte sind grundsätzlich vor Transparenz und (OECD 2001) Auch in Deutschland wurden die politischer wie öffentlicher Kontrolle besonders Folgen bald spürbar: 1999 wurde die Bestechung gut geschützt. Dazu tragen vor allem drei Aspek- ausländischer Entscheidungsträger unter Strafe te bei: gestellt; 2002 wurde die Möglichkeit gestrichen, »» die Geheimhaltung aus Gründen der nationa- Bestechungsgelder für ausländische Entschei- len Sicherheit, dungsträger in Absprache mit dem zuständigen »» der Schutz von Betriebs- und Geschäftsge- Finanzamt als Betriebsausgabe, als sogenannte heimnissen, „Nützliche Aufwendungen“, von der Steuer ab- »» sowie der Selbstschutz der beteiligten staatli- zusetzen. chen Bürokratien vor öffentlicher Kritik. Damit endete eine besondere Form der Kum- Außerdem wurde Korruption bei Auslandsge- panei zwischen Wirtschaft und Staat. Bis 2002 schäften, also auch bei Rüstungsexporten, lan- musste ein Konzern seinem Finanzamt bei ei- ge Zeit weitgehend geduldet – im Gegensatz zur nem bevorstehenden Exportgeschäft in der Re- Bestechung bei innerstaatlichen Geschäften. gel nur mitteilen, welcher Anteil des zu erwar- Diese wurden in vielen Ländern deutlich früher tenden Umsatzes aus einem Auslandsgeschäft strafbar, weil der eigene Staat und die eigenen für „Nützliche Aufwendungen“, also zum Bei- Steuerzahler die Leidtragenden waren. Bei kor- spiel Beratungs- und Vermittlungsprovisionen Dinge ins Laufen bringen … 7

lassen sich ohnehin nur schwerlich beweisen. Faktoren wie diese tragen dazu bei, dass häufig andere Vergehen, wie Steuerstraftaten oder Un- treue zum Nachteil der das Schmiergeld zahlen- den Firma, vor Gericht verhandelt werden. Der Bestechungsvorgang selbst tritt in den Hinter- grund, damit dieser Sachverhalt nicht im Detail geklärt und bewiesen werden muss.

Solche Umstände lassen es verständlich erschei- nen, warum aussagekräftige und systematische, wissenschaftlich-analytische Auswertungen zum Thema „Korruption bei Rüstungsgeschäf- ten“ Mangelware sind und praktisch nicht existie- ren. Meistens beruhen die öffentlich verfügbaren Informationen auf der Arbeit investigativer Jour- oder Bestechungsgelder, vorgesehen war. Erhob nalisten, die konkreten Verdachtsfällen nach- das Finanzamt keinen Einspruch, konnte so ver- gegangen sind. Ein abschließendes Bild, was fahren werden. Der Staat wurde zum Mitwisser bei einem bestimmten Geschäft vorgefallen ist, und duldete Bestechung im Ausland, da er aus ergeben diese jedoch häufig auch nicht. Und diesem Geschäft auch Steuereinnahmen erwar- auch der größere Rahmen, also wie häufig bei ten konnte. Rüstungsexportgeschäften bestochen wird, in welcher Höhe dies geschieht und welche finan- Ein besonders drastisches Beispiel aus den ziellen Schäden daraus entstehen, lässt sich auf frühen 1990er Jahren wurde publik: der Thys- diesem Weg schwer erschließen. sen-Konzern wollte 36 Radpanzer vom Typ Fuchs nach Saudi-Arabien verkaufen. Der Preis Diese Broschüre unternimmt einen Versuch, am betrug 446 Millionen DM. Das Finanzamt Duis- Beispiel der Korruption bei Rüstungsgeschäf- burg-Hamborn erlaubte dem Konzern, bei die- ten zwischen Deutschland und Griechenland sem Geschäft „Nützliche Aufwendungen“ bis ein paar der vielen Wissenslücken zumindest zu einer Höhe von 220 Millionen DM geltend zu ansatzweise zu schließen. Untersucht werden machen. Fast die Hälfte des Auftragswertes war die Jahre 2000 bis 2014. Die Bestechung auslän- also für Provisionen, Beraterhonorare, Beste- discher Entscheidungs- und Amtsträger war in chungsgelder, Parteispenden oder auch – wie diesem Zeitraum nicht mehr erlaubt und durfte die Finanzbehörden Jahre später vermuteten – nicht mehr geduldet werden. Mehr noch: Grie- schwarze Kassen des Unternehmens vorgese- chenland ist in diesem Zeitraum einer der wich- hen. (Dettmer, S.92f.; Spiegel 2002, S.17) tigsten Empfänger deutscher Rüstungsgüter gewesen. Und – so ein Ergebnis dieser Arbeit – Eine weitere Ursache für den Mangel an detail- wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil deutsche lierten Informationen über Korruptionsfälle bei Rüstungskonzerne und deren Mitarbeiter recht Rüstungsexporten zeigt sich, wenn man einen flächendeckend in Griechenland geschmiert Blick auf die Ermittlungen und Gerichtsverfah- haben, um lukrative Großaufträge für U-Boote, ren wirft, die es zu solchen Tatbeständen gab. Panzerhaubitzen, Panzer, LKWs, Luftverteidi- Korruption verjährt nach fünf Jahren, bei Steuer- gungssysteme oder wichtige Rüstungskompo- straftaten ist dies erst nach zehn Jahren der Fall. nenten an Land zu ziehen. Bei fast allen größeren Um Korruption zu beweisen, müsste der Weg Exportgeschäften dieses Zeitraums nach Grie- des Geldes vom Absender über diverse Brief- chenland gilt Korruption mittlerweile entweder kastenfirmen in den wenig kooperativen Steuer- als erwiesen oder ist Gegenstand laufender Er- paradiesen bis zum Empfänger belegt werden. mittlungen. In Verbindung mit den seit 1999 ver- In Ermangelung von Kontoauszügen ist dies fügbaren Informationen der Bundesregierung meistens nicht so leicht, und Bargeldübergaben über ihre Rüstungsexportgenehmigungspolitik 8 Nassauer / Steinmetz

und anderen Quellen ermöglicht dies einen bes- und Lücken, wenn es darum geht, erfolgreich ge- seren Blick auf die Rolle der Korruption bei Rüs- gen Korruption vorzugehen? tungsexporten. Anschließend gibt uns Nikolas Lentopoulos, ge- Das Berliner Informationszentrum für Transat- meinsam mit Elisa Simantke Initiator des Projek- lantische Sicherheit (BITS) hat zu diesem Thema tes „Germany-: The Corruption Portfolio“, am 30. Juni 2015 in Berlin eine öffentliche Veran- einen historischen Überblick über die Rolle, die staltung mit dem Titel „Wie geschmiert – Deut- Geschichte und den Charakter des Engagements sche Rüstungsexporte nach Griechenland und deutscher Konzerne in Griechenland sowie die die Korruption“ durchgeführt. Diese Broschüre Bedeutung der Korruption in der griechischen stellt nun eine erweiterte und ergänzte Doku- Gesellschaft. mentation dieser Veranstaltung dar. Sie soll zei- gen, welche Rolle die Korruption bei deutschen Im vierten Kapitel widmet sich Christopher Rüstungsexporten nach Griechenland in den Steinmetz (BITS) der Entwicklung, dem Umfang vergangenen 15 Jahren gespielt hat. Es soll der und den Besonderheiten der deutschen Rüs- Frage nachgegangen werden, ob es Hinweise auf tungsexporte nach Griechenland. eine Wechselwirkung zwischen der Exportab- hängigkeit der wehrtechnischen Industrie und Das fünfte und sechste Kapitel kommen dann dem Einsatz von Bestechung als Hilfmittel bei zum Kern des Problems: Otfried Nassauer der Einwerbung neuer Aufträge gibt. Die Vielzahl (BITS) und Tasos Telloglou, ein investigativer der neuen Informationen, die in den vergange- Journalist aus Athen, geben aus deutscher und nen Jahren über Rüstungsgeschäfte mit Athen griechischer Sicht jeweils einen Überblick zum zugänglich wurden, machen Griechenland zu derzeitigen Wissensstand über (potentielle) einem guten Ausgangspunkt für eine solche Korruptionsfälle bei deutsch-griechischen Rüs- Fragestellung. Darüber hinaus geht es auch um tungsexportgeschäften der letzten 15 Jahre und das Umfeld und die Rahmenbedingungen die die ersten Erkenntnisse, die man daraus gewin- den fruchtbaren Boden für Korruption bei Rüs- nen kann. tungsgeschäften bereiten. Schließlich soll dem Leser noch ein erster Überblick über Wege der Im siebten Kapitel schließlich befasst sich Dr. Prävention, Verhinderung und der Bekämpfung Marie-Carin von Gumppenberg, ehrenamtlich von Korruption vermittelt werden. für Transparency International in der Antikor- ruptionsarbeit tätig, mit den Möglichkeiten und Alle denkbaren Aspekte abzuhandeln und alle Grenzen der Korruptionsbekämpfung auf inter- Fragen zu beantworten, ist im Kontext dieses nationaler und nationaler Ebene. Sie beschreibt Vorhabens allerdings nicht realisierbar. Mit an- einige der Instrumente zur Aufklärung, Präventi- deren Worten: Es geht um erste Schritte, mehr on und Bekämpfung der Korruption. Licht ins Dunkel der Korruption bei Rüstungsge- schäften zu bringen. Im Schlusskapitel melden sich dann die Heraus- geber noch einmal zu Wort, um den Lesern letzte Zum Einstieg informieren Andrew Feinstein Beobachtungen und vielleicht auch ein paar Fra- und Paul Holden von Corruption Watch UK über gestellungen für eine künftige Weiterarbeit an die Grundzüge des Verhältnisses von Rüstungs- diesem Thema nahezulegen. xporten und Korruption. Feinstein wandelt den einleitenden Satz dieser Einführung gerne ab. Er Wir wünschen eine gewinnbringende Lektüre. sagt: „Corruption is the way to make things work“ – also der Weg, Geschäfte voranzubringen. quellenverzeichnis Im zweiten Kapitel führt uns Rechtsanwalt Olaf _ Dettmer, Markus: Oh wie schön ist Panama, Kreuzer kurz in die deutsche Rechtslage zur Be- in: , Nr. 27, 2000. S.92f. kämpfung der Korruption ein: Was war und was _ OECD: No longer Business as Usual. Köln, 2001. ist heute strafbar? Wo sind die Schwierigkeiten _ Der Spiegel, Nr. 15, 2002, S.17. Siamesische Zwillinge 9

Rüstungsexporte und Korruption : Siamesische Zwillinge

Andrew Feinstein / Paul Holden

Mehr als 1,8 Billionen US-Dollar werden pro Der Lohn der Korruption Jahr weltweit für das Militär ausgegeben. Das sind etwa $250 pro Person auf diesem Plane- Aber warum ist der Waffenhandel so anfällig für ten! (SIPRI, 13.4.2015) Das Handelsvolumen mit Korruption? Ganz praktisch betrachtet: Es gibt konventionellen Waffen, groß wie klein, rangiert nur sehr wenige große Beschaffungsaufträge zwischen $60 und $120 Mrd. pro Jahr. (Feinstein pro Jahr. Diese werden von einem sehr kleinen 2013, S.xxii) Personenkreis und, aus Gründen der Nationalen Sicherheit, hinter einem Schleier der Geheim- Der Waffenhandel ist sicherlich ein relevanter haltung entschieden. Der fruchtbare Boden Aspekt für die nationale Verteidigungspolitik, ein für Korruption wird durch das sehr enge Bezie- Instrument der Außenpolitik und ein (wenn auch hungsgeflecht zwischen Regierung, Politik, Mi- in der Regel überbewerteter) ökonomischer litär, Geheimdiensten und Rüstungsunterneh- Faktor. Darüberhinaus hat er jedoch weltweit men genährt. Diese Beziehungen sind nicht nur gravierende Konsequenzen: der Waffenhandel eine Konsequenz der räumlichen Zusammenar- ermöglicht, fördert und erlaubt das Fortführen beit und des Bewegens in den gleichen sozialen von Konflikten und Repression; er verantwortet Netzwerken. Viel entscheidender ist, dass die massive sozio-ökonomische Opportunitätskos- Akteure zwischen diesen unterschiedlichen Ar- ten und führt zu einer Erosion von Demokratie beitssphären frei wechseln. Zwischen 2009 und und Rechtsstaatlichkeit auf beiden Seiten des 2011 sind etwa 70% der ausscheidenden Zwei- Geschäfts, beim Käufer wie beim Empfänger. bzw. Drei-Sterne-Generäle der US-Streitkräfte hinüber zur Verteidigungsindustrie gewechselt. Der Waffenhandel ist wohl der korrupteste aller (Huffington Post 2012) Handelsbereiche. In einem richtungsweisenden Beitrag arbeitete Joe Roeber schon 2005 heraus, Ausschlaggebend für die beteiligten Vermitt- dass der Waffenhandel für fast 40 % aller Kor- ler und Entscheidungsträger sind dabei nicht ruptionsfälle weltweit verantwortlich ist. (Ro- nur die Gehaltszahlungen und andere ge- eber 2005) Für ihn ist der Waffenhandel sogar währte Vorteile im Unternehmen sondern die eng verwoben mit Korruption. Die Korruption sogenannten „Kickbacks“, also Rückflüsse für tritt nicht als Folge einiger fauler Eier auf, son- die Manager aus den Korruptionsgeschäften dern ist eine intrinsische, systemische Dimen- des Unternehmens. Ein von uns interviewter sion des Waffenhandels. Es sind die Strukturen ehemaliger Pentagon-Insider beschrieb, wie des Waffengeschäftes selbst, aus denen sich das von gezahlten fünf Millionen US-Dollar Beste- Wesen und das Überdauern der Korruption er- chungsgeldern für ein Waffengeschäft eine Mil- klärt. lion den Weg auf das Schweizer Bankkonto zu Gunsten des verantwortlichen Geschäftsfüh- Für die Politiker in den Käuferstaaten geht es rers fand, quasi als Entschädigung für die Risi- bei Waffengeschäften nicht nur um militäri- ken, die er auf sich nahm. Der Insider meinte, sche Ausstattung und Verteidigungspolitik. es sei dann nur eine Frage der Zeit bis sich das Diese Geschäfte generieren Gelder, die sich gut Hauptinteresse dieser Person darauf verlagert, bei der Parteienfinanzierung oder zu Gunsten Länder zu finden, in denen er mit der Beste- des eigenen Klientels einsetzen lassen. Beste- chung auch selbst noch Geld verdienen kann. chungsgelder werden häufig schon bei der (Feinstein 2016) Festlegung des Kaufpreises für die Rüstungs- güter eingepreist. 10 Feinstein / Holden

Ein paralleles Rechtsuniversum weiteren Korruptionsvorfällen wurde das Unter- nehmen nur mit lächerlichen Bußgeldern wegen Die Grenzen zwischen dem legalen und illega- Unregelmäßigkeiten in der Buchführung belegt. len Waffenhandel sind äußerst fließend. Illega- Außerdem wurde BAE Systems versprochen, le Waffenhändler werden oft von großen Rüs- dass es wegen dieser Vorfälle nicht zu Korrup­ tungsfirmen beauftragt die Bestechungsgelder tionsanklagen bei Untersuchungen von dritten auszuzahlen. Vermittler und Ortsansässige, wie Parteien kommen wird. 1 z.B. ehemalige Offiziere, werden als Vertreter vor Ort eingesetzt wegen ihrer Kontakte und ih- Diese rechtliche Dynamik ist eine Konsequenz rem Wissen um die lokalen Verhältnisse. Diese der engen Beziehungen zwischen den Unter- Mittelsmänner werden häufig als Informations- nehmen und den politischen, militärischen und sammler und Geldboten bei Bestechungen ein- geheimdienstlichen Establishments. Gekoppelt gesetzt. Eine der vielleicht schillerndsten Figu- mit der immanenten Geheimhaltung des natio- ren war Sam Cummings, ein US-amerikanischer nalen Sicherheitsapparates wird es sehr schwer, Soldat und CIA-Agent, der seine militärischen Korruption bei Waffengeschäften nachzuzeich- Unternehmungen und seine Geheimdienstar- nen und zu ahnden. Diese bedenkliche Realität beit mit einem florierenden Waffenhandel kom- wird durch zwei Faktoren verschärft: erstens biniert hat. (Sampson, S.28) durch den fehlenden politischen Willen, diese Akteure zur Rechenschaft zu ziehen, und zwei- Die Unternehmen, die Vermittler und die Waffen- tens durch die fragmentierten und auf die na- händler unterhalten sehr enge Beziehungen zu tionale Gesetzgebung fokussierten staatlichen ihrer Regierung, den Streitkräften, den Geheim- Vollzugsbehörden. diensten sowie den Politikern und Parteien. Viele Waffenhändler arbeiten für mehrere Staaten und Europäische Rüstungsunternehmen bemühen genießen deswegen Schutz vor den juristischen sich in Konkurrenz zu US-Firmen um Aufträge. Konsequenzen ihrer oftmals kriminellen Taten. Letztere haben enorme Vorteile: Zum einen in Bezug auf den politischen Einfluss, und zum an- Tatsache ist auf jeden Fall, dass die bestehenden deren im Blick auf das entscheidende Kriterium Regularien für den Rüstungsexport in der Regel der Wirtschaftlichkeit und Größe ihrer Serien- ignoriert oder umgangen werden. Der Waffen- produktionen (da die USA mehr als ein Drittel al- handel passiert in einem parallelen Rechtsuni- ler weltweit produzierten Waffen herstellen und versum, in dem die Gesetze, die für uns gelten, kaufen). Außerdem hat die Einführung und ste- anscheinend gegenstandslos sind. Von den 502 tige Verschärfung des Foreign Corrupt Practices erfassten Verstößen gegen UN-Waffenembar- Act die Anzahl von Korruptionsversuchen gos führten nur zwei zu Gerichtsverfahren und US-amerikanischer Rüstungsunternehmen re- nur ein Fall endete mit einer Verurteilung. (Fein- duziert. Anders verhält es sich allerdings bei den stein 2013, S.xxix) nationalen Rüstungsbeschaffungsprogrammen der USA, die – so ein Berater der US-Regierung Ein Paradebeispiel ist die Gerichtsbilanz des bri- auch als „legale Bestechung“ bezeichnet werden tischen Rüstungsunternehmens BAE Systems. könnten. (Feinstein 2013, S.240) Um wettbe- Eine mehrjährige Untersuchung des wahrschein- werbsfähig bleiben zu können, greifen die Euro- lich korruptesten Waffengeschäfts aller Zeiten, päer auf Bestechung zurück. dem Al-Yamamah-Deal zwischen Großbritan- nien und Saudi-Arabien, bei dem Schätzungen zu Folge etwa sechs Milliarden britische Pfund Der Nachteil von Korruption Kommission gezahlt worden sind, wurde unter sehr kontroversen Umständen vom damaligen Aber warum ist Korruption überhaupt ein The- Premierminister Tony Blair eingestellt. Bei sechs ma?

1 Vgl. Feinstein 2013, Kapitel 8 &11. Siamesische Zwillinge 11

Das Zahlen von Bestechungsgeldern oder die rikanische Präsident, Jacob Zuma, musste sich Gewährung von anderen Vorteilen für Entschei- damals im Zusammenhang mit diesem Rüs- dungsträger verzerrt den Entscheidungsprozess tungsgeschäft wegen 783 Fällen von Betrug, derart, dass Staaten oft nicht die Waffen be- Organisierter Kriminalität und Korruption ver- schaffen, die sie für ihre Sicherheit benötigen, antworten. Allerdings wurden sämtliche Ankla- sondern die Waffen, für die die besten Beste- gen kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten fallen chungen angeboten werden. Bestechung erhöht gelassen. (Feinstein 2013, S.186) den Kaufpreis von Waffen für die Steuerzahler und untergräbt eine verantwortungsbewusste Um seine Verstrickung in die Korruptionsfälle Regierungsführung. Unternehmen stellen den zu vertuschen, hat der ANC genau die demo- Steuerzahlern in den Empfängerstaaten nicht kratischen Institutionen ausgehöhlt, für deren nur die Bestechungsgelder in Rechnung, son- Errichtung er vorher so viel geopfert hatte: Das dern auch alle Kosten, die mit der Organisation Parlament wurde neutralisiert, Anti-Korrupti- und Finanzierung der Bestechung verbunden onsbehörden wurden geschlossen und die sind. Dies wiederum treibt den Gesamtpreis in Staatsanwaltschaft sowie die gesamte Gerichts- die Höhe und hat damit Auswirkungen auf die landschaft politisiert. Die politische Führung des Staatsverschuldung und Zahlungsbilanz. ANC wies die Ermittler an, wen sie untersuchen durften und wen nicht. Zusammen mit dem ei- Das Beispiel Südafrika verdeutlicht dies. Das gentlich zur Neutralität verpflichteten Sprecher gerade neu entstandene demokratische Süd- des Parlaments gelang es dem ANC, eine par- afrika hat zehn Milliarden US-Dollar für Waffen lamentarische Untersuchung zu stoppen und ausgegeben, die es nicht benötigt und bis heute ANC-Abgeordnete mit divergierender Meinung kaum benutzt hat. Es ging um Hawk- und Gri- auszuschließen. Gegenwärtig untersucht eine pen-Flugzeuge von BAE Systems und Saab, um kontrovers diskutierte Untersuchungskommis- U-Boote und Fregatten aus Deutschland sowie sion erneut das Waffengeschäft. Aber der Vorsit- Hubschrauber aus Italien. Die BAE/Saab-Opti- zende Richter, vom Präsidenten ernannt, hat sich on war mehr als doppelt so teuer wie die Flug- bislang geweigert, Beweismittel für die Korrupti- zeuge, die die Luftwaffe haben wollte und mit on vor der Kommission zuzulassen. denen die Piloten bereits vertraut waren. Um BAE/Saab einen Vorteil zu verschaffen hat der Mit dem Geld, das für das südafrikanische Rüs- südafrikanische Verteidigungsminister des- tungsgeschäft ausgegeben worden ist, hätte wegen dafür gesorgt, dass der Preis nicht als man 2 Millionen Häuser für arme Südafrikaner Kriterium bei der Auswahlentscheidung ge- bauen können. Man hätte über ein Zeitraum von wertet wurde. Er hat beiden Unternehmen au- 10 Jahren pro Jahr mehr als 100.000 Arbeitsplät- ßerdem die Möglichkeit gegeben, verbesserte ze für gering qualifizierte Arbeitsnehmer schaf- Offset-Angebote einzureichen – nachdem er fen können – und das in einem Land mit einer sie über die Angebote der Konkurrenz in Kennt- Arbeitslosenquote von 30 %. (Holden, 352ff.) nis gesetzt hatte. Mehr als $ 300 Mio. wurden Während Südafrika dieses Geld für die Rüstung als Bestechungsgelder an Vermittler, Politiker, ausgab, wurde fast sechs Millionen HIV-infizier- hochrangige Beamte und die Regierungspartei ten oder an AIDS erkrankten Menschen gesagt, ANC gezahlt. ThyssenKrupp zahlte mindestens dass der Staat leider kein Geld für ihre überle- $ 25 Mio. als Kommission und Ferrostaal etwa benswichtigen Medikamente habe. Die Harvard $ 40 Mio. Das britischen Unternehmen BAE Universität schätzt, dass deswegen 330.000 Süd- Systems hat 115 Mio. britische Pfund gezahlt, afrikaner einen vermeidbaren Tod gestorben inklusive 20 Mio. Pfund für den Politischen Be- sind und 35.000 Kinder pro Jahr mit HIV geboren rater des Verteidigungsministers. (Feinstein wurden. (Chigwedere, S.1) 2013, S.183) Der Minister selbst ist aus dem Amt geschieden, um Vorsitzender einer kleinen Dieses Waffengeschäft und seine Vertuschung Firma zu werden, die mehrere Millionen Rand haben ganz klar und deutlich fürchterliche Aus- aus den Offset-Programmen von BAE erhalten wirkungen auf die junge Demokratie in Südafrika hatte. (Feinstein 2013, S.181) Der jetzige südaf- gehabt. 12 Feinstein / Holden

Bessere Regulierung des Waffenhandels = von ökonomischen oder industriellen Offset-Ge- Bessere Korruptionsbekämpfung schäften als Schmiermittel für unangebrachte Vorteile sind die Folge. Das Verhalten der an dem Waffengeschäft be- teiligten Unternehmen kann durchaus als mark- Wenn es nicht gelingt, den Waffenhandel besser tüblich bezeichnet werden. Gemäß einer durch- zu regulieren, hinsichtlich der Verwendung von gesickerten internen Compliance-Untersuchung Mittelsmännern transparenter zu machen und hat Ferrostaal mehr als $ 1,1 Mrd. Bestechungs- von der politischen Sphäre zu trennen, wird er gelder in 16 Staaten gezahlt, inklusive $ 300 Mio. weiter dafür sorgen, dass die Welt immer kor- an Mummar Gaddafi. (Debevoise&Plimpton, rupter und gefährlicher wird. S.58-67) Am Ende wurde das Unternehmen in mehreren Verfahren zu Strafzahlungen von ins- gesamt 289 Mio. € verurteilt – ein sehr geringer Betrag im Vergleich zu den enormen Profiten, die das Unternehmen mit diesen Geschäften erzielt hat. ThyssenKrupp wurde mit Ausnahme eines Steuervergehens gar nicht belangt.

Diese systemische, strukturelle Korruption wird von Mittelsmännern getragen. Die erteilten Ver- tretungsvollmachten erlauben es den Rüstungs- Q uellenverzeichnis unternehmen, sich von etwaigen Rechtsverstö- _ Chigwedere, P. / Seage III, George / Gruskin, Sofia / Lee, ßen der Mittelsmänner zu distanzieren. Den Tun-Hou / Essex, Max: Estimating the Lost Benefits of Vermittlern kommt die Aufgabe zu, die relevan- antiretroviral Drug Use in . JAIDS Online, ten Entscheidungsträger zu identifizieren und 16.10.2008. zu eruieren, welche Anreize notwendig sind, um _ Debevoise & Plimpton LLP: Ferrostaal Internal Audit eine gewogene Entscheidung im Sinne des Klien- Final Report. 13.4.2011. ten zu erhalten. Sie sind häufig schon ganz am _ Feinstein, Andrew: The Shadow World: Inside Anfang des Geschäftes involviert, noch bevor the Global Arms Trade. London, 2013. der Käufer überhaupt weiß, was er kaufen will. _ Feinstein, Andrew: Interview mit Pierre Sprey für den So gelingt es, bereits die Auswahlkriterien und Film „Shadow World“. Shadow World Productions, Ausschreibungen zu beeinflussen. Darüberhin- voraussichtliches Erscheinungsdatum 2016. aus kommt ihnen manchmal auch die Aufgabe _ Holden, Paul / Van Vuuren, Hennie: Devil in the Detail – zu, die Spuren der Bestechungsgeldzahlungen How the arms deal changed everything. Johannesburg, zu verwischen, z.B. durch verschachtelte Off­ 2011. shore-Unternehmen und Bankkonten, und die _ Huffington Post: Report: 70 Percent Of Retired Gelder zu waschen. Generals Took Jobs With Defense Contractors Or Consultants. 19.11.2012. (http://www.huffington- Die Korruptionsmethoden bei Waffengeschäf- post.com/2012/11/19/defense-contractors-ge- ten haben sich zudem verfeinert. Dies ist eine nerals_n_2160771.html – zuletzt aufgerufen am Reaktion auf die Anstrengungen, die Finanzie- 22.12.2015) rungwege von Terroristen durch Geldwäsche _ Roeber, Joe: Hard-wired for Corruption. Prospect, und Wirtschaftskriminalität trocken zu legen, 28.8.2005. (http://www.prospectmagazine.co.uk/ auf die Umsetzung der OECD Anti-Korruptions- features/hardwiredforcorruption – zuletzt aufgerufen maßnahmen nach 1999, sowie auf einige Verän- 23.12.15) derungen in der nationalen Gesetzgebung und _ Sampson, Anthony: The Arms Bazaar. London, 1983. der größeren Transparenz, die den Empfängern _ SIPRI: US military spending falls, increases in eastern von IWF- und Weltbankkrediten aufgezwungen Europe, Middle East, Africa and Asia says SIPRI. SIPRI wird: Neue Beschäftigungsverhältnisse nach Pressemitteilung, 13.4.2015. (http://www.sipri.org/ dem Ausscheiden aus dem Regierungsdienst, media/pressreleases/2015/milex-april-2015 – zuletzt eine Vielzahl von Beraterfirmen und der Einsatz aufgerufen am 22.12.2015) Die Entwicklung der deutschen Rechtslage 13

Korruption : Die Entwicklung der deutschen Rechtslage

Olaf Kreuzer

Die Medien berichten heute in vielfältiger Wei- der verjährt ist, oder, in anderen Fällen, schwer se über Korruption. Aufdeckungserfolge von nachweisbar war. Letzteres ist regelmäßig der Ermittlungsbehörden, Stellungnahmen von Re- Fall, wenn Steueroasen für Geldüberweisungen gierungen, wie auch Berichte über die alltägliche zwischengeschaltet waren und somit Rechtshil- Korruption im Leben vieler Menschen zur Erlan- feverfahren kaum greifen konnten. gung, z.B. von staatlichen Dienstleistungen, sind mannigfaltig. Im Folgenden soll nunmehr nach einer generel- len Einführung das Thema der Bestechungstat- Historisch betrachtet, spielt der Fall „Schrei- bestände im deutschen Recht kurz betrachtet ber“ eine zentrale Rolle für die Veränderungen werden. im Umgang mit Korruption in Deutschland. Das Verfahren gegen Karlheinz Schreiber vor dem Landgericht Augsburg im Zusammenhang mit Der Begriff „Korruption“ dem Verkauf und der Lieferung von Fuchs-Rad- panzern nach Saudi-Arabien 1991 offenbarte die Das deutsche Wort „korrumpieren“ entstammt Zahnlosigkeit des damaligen deutschen Rechts. der lateinischen Sprache: „corrumpere”. Es be- Schreiber wurde angeklagt, weil er Steuern im deutet „charakterlich verderben, bestechen“. großen Stil hinterzogen, jedoch nicht, weil er Der deutsche Duden umschreibt Korruption als bestochen habe. Das Landgericht Augsburg hat „Verhältnisse, in denen korrupte Machenschaf- ihn am 14.11.2013 – endgültig rechtskräftig durch ten das gesellschaftliche Leben bestimmen und die Verwerfung der letztmaligen Revision durch damit den moralischen Verfall bewirken”. (Du- den Bundesgerichtshof am 28.7.2015 – über 20 den online) Korruption gefährdet die Ordnung Jahre nach der ersten Lieferung zu einer Ge- einer Gesellschaft, weil sie Prinzipien wie die samtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Gleichheit vor dem Gesetz, die Unparteilichkeit Monaten verurteilt. (Landgericht Augsburg der Amtsführung in der öffentlichen Verwaltung 2015) Soweit Schreiber damals die Bestechung oder des fairen Wettbewerbs in der Wirtschaft des ehemaligen Staatssekretärs im Verteidi- verletzt. Dem Wortgehalt ist also eine Zweckbe- gungsministerium, Dr. Holger Pfahls, vorgewor- stimmung bereits mitgegeben. Zu den Straftat- fen wurde, hatte das Landgericht das Verfahren beständen, die Korruption darstellen können, wegen „Verfolgungsverjährung“ eingestellt, wo- gehören in Deutschland zum Beispiel die Vorteil- gegen die Staatsanwaltschaft eine bisher nicht sannahme und die Vorteilsgewährung sowie die entschiedene Revision eingelegt hat. Die Verjäh- Bestechung und die Bestechlichkeit. rung im Bereich der Bestechungsdelikte tritt mit der Beendigung der Tat schon nach fünf Jahren ein. Dagegen verjährt Steuerhinterziehung im Bestechung als „Nützliche Aufwendung“ Bezug auf die Festsetzungfrist im Steuerrecht erst nach zehn Jahren – also deutlich später als Deutsche Gerichte mussten sich in den letzten bei Bestechungsdelikten. Daher lag nach Auffas- Jahren mit deutlich steigenden Zahlen von An- sung des Landgerichts Bestechung zwar vor, war klagen zu diesem Thema befassen. Dass zuvor aber nicht mehr verfolgbar. jahrzehntelang praktisch gar keine juristische Auseinandersetzung mit diesem Alltagspro- Hier ist das Dilemma gut zu erkennen: Staatsan- blem stattfand, hat unter anderem damit zu tun, waltschaften wie Gerichte müssen auf andere dass Ausgaben für Korruption wie auch für die Tatbestände ausweichen, da Bestechung entwe- Bestechung als „Nützliche Aufwendungen“ bei 14 Kreuzer

Anti-Korruptionsgesetzgebung des einschlägi- gen Mitgliedstaates sehen – bei 28 Mitgliedstaa- ten durchaus eine Aufgabe – und findet erhebli- che Unterschiede vor. Ohne Harmonisierung ist Korruption in Europa aber nicht effektiv zu be- kämpfen. Wer bestechen will, kann mit seinen Korruptionshandlungen jederzeit in ein anderes EU-Land ausweichen, in dem die geplante Hand- lung nicht strafbar ist. Der Anreiz auszuweichen ist umso höher, je härter ein Mitgliedstaat Kor- ruption bekämpft.

Korruption und deutsche Strafgesetzgebung den steuerlich relevanten Betriebsausgaben In Deutschland ist also mangels EU-Rechts direkt abgesetzt werden konnten: Sie waren zulässig das deutsche Recht maßgebend. Das deutsche und geduldet. Der Abgeordnete Ströbele hat in Recht ist im 30. Abschnitt des Strafgesetzbuches seiner Organklageschrift an das Bundesverfas- (StGB) durch die §§331ff. strukturiert worden. sungsgericht 2014 (im Hinblick auf Transparenz (StGB-online) Die Überschrift „Straftaten im in Rüstungsexportentscheidungen des Bundes- Amt“ ist allerdings fast irreführend, da in der Pri- sicherheitsrates) den Fall Schreiber aus dem vatwirtschaft ebenfalls Korruption vorkommen Jahr 1991 noch einmal angesprochen: Bei dem kann. Es würde Sinn machen, die Korruptionsde- Verkauf von Fuchs-Panzern an Saudi-Arabien likte von den weiteren Amtsdelikten zu trennen habe es einen „Unterschiedsbetrag zwischen und für alle solche Tatbestände einen eigenen dem Kaufpreis und dem, was tatsächlich ge- Abschnitt zu konstruieren. zahlt wird“ gegeben. (BVerfG 2014) Es sei Beste- chungsgeld bezahlt worden. Soweit diese Gelder Historisch ist als Eckstein das Korruptionsbe- jedoch im Ausland geflossen waren, war dies in kämpfungsgesetz aus dem Jahr 1997 zu nennen, Deutschland nicht strafbar. Es lag also damals durch das die Tatbestände der Bestechung und keine gesetzeswidrige Zahlung vor. Erst 1999 Bestechlichkeit sowie der Vorteilsnahme und hat der Gesetzgeber die Bestechung ausländi- -gewährung neu gefasst und erheblich erwei- scher Entscheidungsträger unter Strafe gestellt, tert wurden. (IntBestG-online) Damit begann ein und 2002 untersagte er endgültig das Absetzen Prozess der stetigen Verschärfung und Neuein- „Nützlicher Aufwendungen“ von der Steuer. Da- führung von Tatbeständen. mit wurden neue Rahmenbedingungen geschaf- fen. Zuvor galt: Man brauchte Bestechung nicht Im Hintergrund gab es damals einen internati- einmal als Kavaliersdelikt zu verharmlosen. Wo onalen Kontext. Ausgangs- und Kristallisations- kein Gesetz, da kein Richter. punkt war die „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD). Diese hatte am 17.12.1997 ein internationales Keine europaweite Rechtsgrundlange Abkommen verabschiedet, um die Bestechung ausländischer Amtsträger unter Strafe zu stel- Die deutsche Industrie fordert zu Recht immer len. (OECD 1997) Seit Februar 1999 war es in wieder Wettbewerbsgleichheit ein. Diese sollte Kraft. Zudem wurde ein Überwachungsprozess zumindest in der Europäischen Union auch für implementiert, um die Umsetzung des Abkom- den rechtlichen Rahmen gelten, in dem der Wett- mens und die Überführung in nationale Gesetz- bewerb stattfindet. Bislang fehlt jedoch ein ein- gebungen der OECD-Mitgliedstaaten sicherzu- heitliches Recht für Korruptionsstraftaten inner- stellen. Die Bundesrepublik Deutschland hat halb der Europäischen Union. Wer wissen will, am 10.09.1998 dieses OECD-Abkommen mittels welche Handlung bestraft wird, muss also in die des „Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Die Entwicklung der deutschen Rechtslage 15

Bestechung“ umgesetzt. (BGBl. I 1998 II S. 2327) im Rahmen des §22 StGB erfasst, was bedeutet, Damit wurde die Bestechung von Mitgliedern dass schon das direkte Ansetzen zu einer sol- des Gesetzgebungsorgans eines ausländischen chen Tat strafbar sein kann. Staates sowie der Mitglieder einer parlamentari- schen Versammlung einer internationalen Orga- nisation zu einer Straftat. Andere Personen wie Verjährung bremst die Gerichte auch Mitglieder des Bundestages waren nicht betroffen. Der Anwendungsbereich ist also eng Die Gerichte müssen sich erst in den letzten gefasst und auf das Ausland begrenzt. zehn Jahren verstärkt mit dem Phänomen der Korruption auseinandersetzen. Aber für viele Auch das Strafgesetzbuch wurde in den Folge- ist es im Alltag bis heute immer noch ein Kavali- jahren mehrfach geändert, um es immer wie- ersdelikt. Insoweit ähnelt dies dem Umgang mit der den veränderten wirtschaftlichen und ge- der vielfach praktizierten Steuerhinterziehung: sellschaftlichen Umständen anzupassen. Ein Bei Aufdeckung wird es oft so wahrgenommen, interessantes Beispiel stellt die gerade erfolgte als habe der Täter nur „Pech“ gehabt. Durch die Änderung des „Gesetzes zur Bekämpfung der neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, Korruption“ vom 20.11.2015 dar. (Bundesanzei- die eine Mindeststrafe von zwei Jahren Gefäng- ger, S. 2025ff.). Mit dieser wird in §299 StGB die nis bei Steuerhinterziehungen in großem Um- Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftli- fang vorsehen, und Urteilen, wie gegen Uli Hö- chen Verkehr nunmehr erweitert unter Strafe neß, findet hier langsam ein Paradigmenwechsel gestellt. Damit werden auch die Beschäftigen in statt. (BGH 2012) Dieser ist bislang bei den Urtei- einem Unternehmen jeglicher Größe mit Strafe len im Anti-Korruptionsbereich noch ausgeblie- bedroht. Auch der Einkäufer, der sich bestechen ben. Aber oft wird angesichts der geschilderten lässt, wird nunmehr erfasst. Durch den neuen Probleme statt der Korruption ein anderer Tat- §335a StGB werden zudem „ausländische und bestand (z.B. Steuerhinterziehung oder Untreue) internationale Bedienstete“, z.B. bei einem in- angeklagt und verurteilt, da die Korruption ver- ternationalen Gerichtshof, in den Anwendungs- jährt war oder diese Tat leichter nachgewiesen bereich der Vorschriften des 30. Abschnitts ge- werden konnte. (Fachanwälte 2012) stellt, womit sich der Anwendungsbereich zu Recht erweitert. Erste Ideen für die Zukunft Durch den Tatbestand der Bestechung in §335 StGB werden deutsche wie auch europäische Was bleibt? Das Gefühl, dass noch einiges zu tun Amtsträger, Richter, Soldaten oder für den öf- ist. Das grundsätzliche Instrumentarium ist vor- fentlichen Dienst besonders verpflichtete Perso- handen. Ebenso gibt es in der Öffentlichkeit ein nen geschützt. Damit sind z.B. auch Leistungs- wachsendes Bewusstsein dafür, dass Korrupti- versprechungen an einen Einkäufer in einem on bekämpft werden muss. Drei Möglichkeiten Rüstungsbeschaffungsamt, die erreichen sollen, könnten sich anbieten: dass dieser eine Ausschreibung so formuliert, dass ein bestimmter Anbieter einen Wettbe- Staatsanwaltschaften könnten zur Ahndung werbsvorteil bekommt, im Anwendungsbereich der Korruption häufiger auf ein Instrument zu- der Vorschrift. Derjenige, der dem Amtsträger rückgreifen, das bereits vorhanden ist: Die Ab- dafür einen Vorteil verspricht, wird durch §334 schöpfungen des Bruttobetrages des Vertrages StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren mit dem Kunden. Die potentiell (!) verhängbaren bedroht. Insoweit sind also beide Parteien – der Strafen für Korruptionsvergehen könnten also Vorteilsgeber und der Vorteilsempfänger – einer empfindlicher ausfallen. Solange der Staat je- potentiellen Bestechung durch Tatbestände in doch bereits nach 5 Jahren ab Beendigung der die Strafbarkeit einbezogen. Desweiteren ist es Korruptionshandlung Verjährung als gegeben konsequent, dass jeglicher Leistungsanreiz be- ansieht, wird dies kaum zur Anwendung kom- reits zu einer Straftat führen kann. Es gibt kei- men. Eine Verlängerung der Verjährungsfrist ne Geringfügigkeitsgrenze. Auch der Versuch ist könnte sich als wirksamer Schritt erweisen. 16 Kreuzer

Betrachtet man die Präventionsseite, so ent- Q uellenverzeichnis deckt man bei einigen Aktiengesellschaften heu- _ BGH, 07.02.2012 – 1 StR 525/11. (http://dejure.org/ te Vorstandsmitglieder für Compliance – also dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BGH&- eine veranwortliche Person für die Einhaltung Datum=2012-02-07&Aktenzeichen=1%20StR%20 der Gesetze und Verordnungen im Unterneh- 525%2F11 – zuletzt aufgerufen am 23.12.2015) mensbereich. Hier kann man ansetzen. _ Bundesanzeiger, 25.11.2015, S. 2025ff. _ Bundesgesetzblatt: Gesetzes zur Bekämpfung interna- Analog zum Ausfuhrverantwortlichen im Au- tionaler Bestechung, BGBl. I 1998 II S. 2327. ßenwirtschaftsrecht könnte der Gesetzgeber _ Bundesverfassungsgericht (BVerfG): Urteil des Zweiten die Einsetzung eines Compliance-Beauftragten Senats vom 21. Oktober 2014 . auf der Ebene der Geschäftsführung bzw. des _ 2 BvE 5/11 – Rn. (1-232). (http://www.bverfg.de/ent- Vorstandes einer Firma gesetzlich verlangen, da- scheidungen/es20141021_2bve000511.html – zuletzt mit die Verantwortlichkeiten besser strukturiert aufgerufen am 23.12.2015) sind. Im Exportkontrollrecht brachte die Einfüh- _ Duden online: Korruption. (http://www.duden.de/ rung von Ausfuhrverantwortlichen erhebliche rechtschreibung/Korruption – zuletzt aufgerufen am Verbesserungen mit sich. Jeder Ausfuhrveran- 23.12.2015) wortliche muss darauf bedacht sein, dass die _ Fachanwälte für Strafrecht: Bestechung und Bestech- gesetzlichen Vorgaben durch das Unternehmen lichkeit – Beginn der Verfolgungsverfährung. Berlin, ganz genau umgesetzt werden: Ansonsten be- 2012. (http://www.fachanwaelte-strafrecht-potsda- steht ein Haftungsrisiko für ihn. Die Einführung mer-platz.de/unser-service/aktuelles/compliance/be- dieser Rechtsfigur hat sicherlich dazu beige- stechung-beginn-verjaehrung.html – zuletzt aufgeru- tragen, dass die Exportkontrolle Deutschlands fen am 23.12.2015) weltweit gelobt wird. Ein analoges Vorgehen im _ Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember Bereich des Antikorruptionsrechtes könnte die 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländi- gleiche Wirkung entfalten. scher Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (IntBestG). (http://www.gesetze-im-internet.de/intbe- stg/ – zuletzt aufgerufen am 23.12.2015) _ Landgericht Augsburg: BGH verwirft in einem ersten Schritt Revision von Karl-Heinz Schreiber. Pressemit- teilung Nr. 15/15, 25.8.2015. (http://www.justiz.bayern. de/gericht/lg/a/presse/archiv/2015/04962 – zuletzt aufgerufen am 23.12.2015) _ OECD Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr. 1997. (http://www.oecd.org/berlin/themen/konventi- on-gegen-die-bestechung-auslaendischer-amtstrae- ger.htm – zuletzt aufgerufen am 23.12.2015) _ Strafgesetzbuch online. (http://www.gesetze-im-inter- net.de/stgb – zuletzt aufgerufen am 23.12.2015) Nützliche Aufwendungen 17

Nützliche Aufwendungen : Die Geschichte deutscher Korruption in Griechenland

Nikolas Lentopoulos

„Haben wir ein Korruptions-Problem? Ja, haben wir. Aber wenn man genauer hinschaut, entdeckt man, dass hinter jedem griechischen Skandal in der Regel ein großes Unternehmen aus Deutschland steht: , Ferrostaal, MAN, DaimlerChrysler … Ich frage mich … wer das Problem hat? Warum sind es nur wir?“ Evangelos Venizelos, ehem. stellvertretender Premierminister1

Der ehemalige griechische Minister Evangelos Dieser Artikel soll die Rolle der deutschen In- Venizelos traf selten mit einem Zitat mehr ins dustrie (nicht nur der militärischen) im Zusam- Schwarze.2 In den vergangenen Jahren waren menhang mit dem System der Korruption in zehn große deutsche Unternehmen in mehr als Griechenland ausführen und die Rolle von Kor- 17 prominente Korruptionsfälle in Griechenland ruption in der griechischen Gesellschaft erläu- verwickelt. Insgesamt haben die Behörden in tern, speziell in der politischen, wirtschaftlichen Deutschland und Griechenland Bestechungen und militärischen Elite. und Schmiergeldzahlungen bei der Auftragsver- gabe im Wert von mehreren hundert Millionen Euro dokumentiert. 3 Die Neunziger Jahre: Eine deutsch-griechische Liebesaffäre Einige der beteiligten Unternehmen haben ihre Schuld eingestanden und erhebliche Bußgelder Vergessen Sie alles, was Sie über die gegenseitige gezahlt. Andere Konzerne haben die Anschul- Abneigung zwischen Deutschen und Griechen digungen von sich gewiesen, während gleich- gelesen haben. In den 1990er Jahren waren die zeitig ihre Manager verurteilt wurden. Einige Griechen froh oder gleichgültig über jegliches Fälle werden noch untersucht oder stehen vor Staatseigentum, das in die Hände deutscher einer Verfahrenseröffnung, sodass stetig Neu- „Ausbeuter“ (wie sie später von den Griechen ge- es bekannt wird. Auch 2015 veröffentlichten die nannt wurden) geraten ist. Gleiches galt für die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland und Deutschen, die sich nicht daran störten, dass die Griechenland neue Anklagen oder präsentierten „verschwenderischen“ Griechen (wie sie später Beweise gegen Angestellte oder Repräsentan- von den Deutschen genannt wurden) Milliarden ten der deutschen Konzerne Daimler, Bayer und für deutsche Waren ausgegeben haben, obwohl Krauss-MaffeiWegmann. Die griechische Regie- sie sich das nicht leisten konnten. rung verlangt Schadensersatz von Rheinmetall. 4 Und im November 2015 wurde in Griechenland Im Dezember 2013 wurde Antonis Kantas ver- der sogenannte Siemens-Prozess gegen 64 An- haftet, ehemals einer der drei ranghöchsten geklagte, darunter 13 Deutsche, eröffnet. (Si- zivilen Beamten im Verteidigungsministerium. mantke 2015). Die Athener Staatsanwaltschaft war in der Lage,

1 , 6.2.2014. 2 Dies hat eine gewisse Ironie, denn Venizelos war einigen seiner Kritiker zufolge aktiv an einem dieser Geschäfte beteiligt: Als Verteidigungsminister hat er 2010 den Kauf von zwei weiteren U-Booten zu sehr ungünstigen Bedingungen für Griechenland möglich gemacht. 3 Der Artikel beruht auf dem Cross-Border Projekt „Die Akte Griechenland – The corruption portfolio“ des Autors mit Elisa Simantke (Der Tagesspiegel). Die Recherche wird kofinanziert durch die Bosch-Stiftung und dem EU-Journalism Fund. 4 Vgl. Medienberichterstattung in 27.4.2015, Kathimerini 15.6.2015, Reuters 23.3.2015, Süddeutsche Zeitung 3.12.2015. 18 Lentopoulos

illegale Zahlungen in Höhe von mehreren Dut- hin zum U-Boot-Auftrag für ThyssenKrupp-Fer- zend Millionen Euro zu ihm zurückzuverfolgen. rostaal, von der Privatisierung des größten Schon eine einfache Auswertung der Zahlungen Staatsunternehmens OTE (Verkauf an die Deut- an Kantas unterstreicht die herausgehobene sche Telekom) bis hin zum Kauf von Panzern bei Rolle Deutschlands. Deutschland überragte alle Krauss-MaffeiWegmann. Der Haken: Eine erheb- Mitwettbewerber – selbst die US-Amerikaner – liche Anzahl dieser deutschen „Siege“ erwiesen in zwei wichtigen Kategorien: dem Gesamtwert sich später als manipuliert. der Rüstungsaufträge und dem Wert der gezahl- ten Bestechungsgelder (an Kantas). (Daley 2014) Agenten der Modernisierung Die Untersuchungsergebnisse im Fall Kantas oder Exporteure der Korruption? werfen Fragen auf: Warum gab es so viele Fälle deutscher Bestechungsversuche in Griechen- Die Antwort ist im politischen und im histori- land? 5 Versuchen wir eine Kombination ver- schen Kontext zu finden. Je näher die Einrich- schiedener Antworten. tung der Euro-Zone kam, desto mehr entstand – griechischer Wahrnehmung nach – eine deut- Egal, ob es sich um Privatisierung, um Konzessio- sche Hegemonie über Griechenland. Griechen- nen oder einfache Rüstungsgeschäfte handelte: land begann sich auf EU-Ebene innerhalb der Seit den frühen 1990er Jahren haben alle griechi- deutschen Einflusssphäre zu positionieren. schen Regierungen sämtlicher Couleur sich dem Diese Verschiebung der Position lässt sich auch Kaufrausch hingegeben und Aufträge an deut- anhand der Vergabe von öffentlichen Aufträ- sche Firmen oder an Konsortien mit deutscher gen verfolgen, besonders im Verteidigungssek- Beteiligung vergeben. tor: Die Amerikaner, die bis dahin den griechi- schen Waffenmarkt dominiert hatten, verloren Für dieses Verhalten waren zwei wichtige Ereig- ihre Vormachtstellung. Allein der Kauf der Leo- nisse ausschlaggebend: Die Olympischen Spiele pard-2-Panzer war mit 1,7 Milliarden Euro veran- 2004, die den perfekten Vorwand für die Verga- schlagt, die U-Boote mit über 2 Milliarden. be von Milliardenaufträgen für die öffentliche Versorgung boten, und die Imia-Krise mit der Deutsche Unternehmen brachten Know-How Türkei 1996, die das griechische Militär zu massi- und Expertise nach Griechenland, Innovation ven Käufen sehr teurer Waffensysteme in einem und Modernisierung. Aber ihre Bilanz strotzt bis dahin unbekannten Ausmaß bewog. 6 eben auch nur so von wirtschaftlicher Korrup­tion und politischer Einflussnahme, die Griechenland In diesem Kontext wurde Griechenland zur Gold- teilweise eher wie eine Bananenre­publik als wie grube für (deutsche) Unternehmen. Um mit ei- einen souveränen Staat wirken lässt. 7 nem abgewandelten Zitat des Fussballers Gary Lineker zu sprechen: „Unternehmen aus aller „Es gibt einige Staaten auf dieser Welt, in denen Welt bemühen sich, aber am Ende sind es die der einzige Weg, einen Auftrag zu erhalten, die Deutschen, die gewinnen“ – vom Bau und Be- Zahlung einer Kommission ist“, sagte der ehe- trieb des Athener Flughafens durch Hochtief bis malige Siemens-Manager Reinhard Siekaczek,

5 Wir können nur – auf der Basis von belastbaren Hinweisen – vermuten, dass ähnliche Methoden auch von anderen Unternehmen aus anderen Ländern angewandt wurden, der Öffentlichkeit aber bisher nicht bekannt sind. Tatsächlich haben Staatsanwälte aus Griechenland und anderen Staaten eine Reihe von dubiosen Verträgen mit amerikanischen, französischen und schwedischen Firmen untersucht – aber in einem viel geringeren Ausmaß. 6 1996 kam es zu einer Konfrontation zwischen Griechenland und der Türkei über die Zugehörigkeit der Imia-Inseln im Ägäischen Meer. 7 Man könnte aber auch argumentieren, dass das verwunderliche Fehlen amerikanischer und französischer Unternehmen auf der „Bestechungsliste“ bedeutet, dass die Behörden in beiden Staaten ein wenig faul waren, wenn es um die Unter- suchung des Geschäftsgebarens ihrer eigenen strategisch wichtigen Unternehmen ging. Aber Bestechung und politische Einflussnahme sind nicht die einzigen Mittel, um Staatsaufträge zu sichern. Schon 1953 berichtete der damalige deutsche Botschafter an das Auswärtige Amt, dass britische Unternehmer mit dem Geheimdienst zusammenarbeiteten, um „Schwachstellen“ der jeweiligen staatlichen Institutionen in Griechenland herauszufinden. Nützliche Aufwendungen 19

der zwischen 2001–2004 für die Schwarzen Kas- blicken. Siemens bemühte sich damals darum, sen des Unternehmens verantwortlich war. Und der Regierung in Athen so nah wie möglich zu es besteht kein Zweifel daran, dass er dabei Grie- kommen, um die Ausschreibung für das öffent- chenland im Kopf hatte. (Telloglou, S.35) liche Telekommunikationsnetz zu gewinnen. Der Siemens-Vertreter in Athen riet der Firmenzen- Griechenland ist zwar kein Einzelfall. Im Wesent- trale, den Schwiegervater des Sohnes des grie- lichen hat Siemens eine althergebrachte Praxis chischen Premierministers anzustellen. Noch (Korruption) genommen, in einen neuen Kontext besser wird es, als er dann auch noch empfiehlt, verpackt („Nützliche Aufwendungen“) und sie im auf Bestechung zu verzichten, da sich die Athe- großen Maßstab in mehr als ein Dutzend Staa- ner Regierung dem Kampf gegen Korruption ten exportiert. (Schubert 2008) Aber Siekaczeks verpflichtet habe und sich an einer „Katharsis“ Aussage kommt einer entscheidenden Tatsache versuche. (Dimitriadou-Loumaki, S.307+309) schon recht nah: In Griechenland ist der einzige Weg, einen öffentlichen Auftrag zu erhalten, die Bestechung. Oder wenigstens ist dies die sich je- Drei griechische Premierminister, des Jahr wiederholende Aussage von Hunderten drei Definitionen von Korruption Befragten, mehrheitlich aus dem Wirtschafts- sektor, durch Transparency International (TI). Interessanterweise stammen die am weitesten Im „TI Corruption Perception Index“, der die Ein- verbreiteten Aphorismen, die die Korruption in schätzung der Menschen über die Korruption im Griechenland kurz und prägnant definieren, von Öffentlichen Sektor in ihrem Land erfasst, erzielt drei Premierministern. Griechenland einen der niedrigsten Werte. 8 Zunächst hat der Konservative Constantin Mitso- takis in den frühen 1990er den Begriff „Diaploki“ „Vermeide Bestechungen“ geprägt. Die beste verfügbare Erläuterung, was (aber nur dieses eine Mal) genau „Diaploki“ meint, steht in einer Depesche der Athener US-Botschaft, die Wikileaks veröf- Korruption in Griechenland wurde erst mit dem fentlicht hat: „Der griechische Begriff, ‚verwo- Ausbruch der griechischen Schuldenkrise Ende bene Interessen‘ bezieht sich explizit und exklu- 2009 zu einem größeren Thema in der interna- siv auf das Geflecht der Beziehungen zwischen tionalen Presse. Sie bot sich als einfaches Sche- Medien, Unternehmen und Regierung. (...) Diese ma an, um die eigentlich sehr viel komplexere Beziehungen sind komplizierter und inzestuöser Euro-Krise zu beschreiben. Für die griechische als die der Götter, der Halbgötter und Menschen Öffentlichkeit ist Korruption dagegen schon seit aus der griechischen Mythologie.“ (Wikileaks.org Jahrzehnten ein großes Thema. Fast alle griechi- 2006) schen Wahlen der vergangenen 35 Jahre wurden von Parteien gewonnen, die vorgaben, gegen Der damalige Premierminister Karamanlis ging Korruption zu kämpfen und sich als Alternative 2004 noch weiter: „Das Problem dieses Landes zum „korrupten“ Status Quo anboten. (Doch bis- sind die fünf Zuhälter, die Interessensgruppen her hat keine dieser Regierungen ihre Verspre- und andere Machtzentren, die das öffentliche chen umgesetzt.) Leben kontrollieren“. (Grey 2012) Sein Zitat gibt einen Einblick in die wahre Natur der Bestie: In einer Umfrage 2006 gaben 80 % der Befrag- Korruption auf der höchsten Ebene (die „fünf ten an, dass die Korruption Griechenland re- Zuhälter“ als Metapher für die mächtigen Ge- giert. ( 2006) Und falls 2006 zu schäftsleute, die das Land in ihrem Griff halten) aktuell ist, kann man auch ins Jahr 1926 zurück- versus der Korruption auf der unteren Ebene

8 Transparency International 2014; Deutschland steht in diesen Indizes nicht so viel besser da. Deutschland hat sich bislang dagegen gesträubt, einige zentrale internationale Verträge zu unterzeichnen. Es war das letzte europäische Land, das im November 2014 das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Korruptionsbekämpfung ratifiziert hat. (UNCAC 2015) Deutschland weigert sich bislang, das Strafrechtsübereinkommen des Europarates zu ratifizieren. (Council of Europe 2015) 20 Lentopoulos

(Interessensgruppen, mit denen die Lobby- richtet. Es schien so, als ob niemand – weder im macht der verschiedenen Sozialpartner, der Ausland noch im Inland – die schöne Party ver- Gewerkschaften und des öffentlichen Sektors derben wollte. gemeint sind). Aber die Internationalisierung der griechischen Premierminister Alexis Tspiras hat 2012, also Schuldenkrise hat Griechenland dann doch ins noch zu Oppositionszeiten, die Formel „Dreieck Rampenlicht katapultiert und die internationa- der Sünde“ geprägt: „In Griechenland liegt die len Medien haben auf einen anderen Terminus wahre Macht in den Händen der Banken, der Mit- zurückgegriffen, um die von Karamanlis be- glieder des korrupten politischen Systems und schriebenen „Zuhälter“ zu definieren: Sie nann- der korrupten Massenmedien“. (Grey 2012) ten sie „Oligarchen“. Dieser Begriff wurde zuvor nur selten von den griechischen Medien benutzt, die Idee aber war nicht neu. Paul Porter, Leiter Korruption als Gesellschaftsvertrag? der American Economic Mission in Griechen- land 1946, hat diese oligarchischen Strukturen Panos Skourletis, aktuell ein hoher Minister der als „Kabale“ oder „Clique“ bezeichnet. Die grie- -geführten Regierung, bot, als seine Par- chische Regierung, schrieb er, „bezweckt meiner tei noch in der Opposition war, eine ähnliche Einschätzung nach die Verwendung der Aus- Interpretation an: „Es war eine Art informeller landshilfen, um die Privilegien einer kleinen Ban- Gesellschaftsvertrag zwischen den Klassen. Den ken- und Wirtschafts-Clique, die eine unsichtba- großen Fischen wurde erlaubt, den Staat auszu- re Macht in Griechenland sind, festzuschreiben. plündern so lange die kleinen Fische – durch die (...) Hinter der Regierung steht eine kleine Kabale Verhandlungen der Gewerkschaften und Klien- von Merkantilisten und Banken (....), die vor al- telismus – ihren Anteil am Kuchen erhielten. Es lem bestrebt ist, ihre finanziellen Prärogativen schien wie ein kostenloses Essen, das der Staat zu schützen, egal was der Preis für die ökono- zahlt – aber am Ende war es natürlich nicht um- mische Gesundheit des Landes ist. (....) Die briti- sonst“. 9 sche Formel in solchen Fällen war bislang immer die Kollaboration mit der herrschenden Klasse Egal, wie man es ausdrückt: Die Medien waren vor Ort, ihre Unterstützung wurde eingekauft, immer Teil der Gleichung. 2008, als der weltwei- indem sie in der Ausbeutung der großen Masse te Siemens-Bestechungsskandal in die US- und bestärkt wurden.“ (Porter, S.14) deutschen Medien kam, gab es nur zwei grie- chische Journalisten, Tasos Telloglou und den Wie wir später sehen werden, war dies – nicht verstorbenen Aristea Bougatsou, die den grie- überraschend – auch die „Deutsche Formel“. chischen Aspekt bearbeiteten. Monatelang hat quasi die gesamte griechische Medienlandschaft diesen Skandal zu ignorieren versucht, trotz der Die griechischen „Oligarchen“ Tatsache, dass es der größte Korruptionsskandal als Stellvertreter der letzten Dekaden war und dieser das Zwei- parteien-Machtsystem sowie einige sehr promi- Im globalen Vergleich ist der Reichtum der grie- nente Politiker belastete. chischen „Oligarchen“ vernachlässigbar. (Forbes 2015) Ihre wahre Macht zeigt sich in der Kontrolle Bis 2010 stellte sich auch die internationale Pres- und in guten Kontakten. Sie vermitteln zwischen se taub, selbst wenn die Korruptionsfälle eine ausländischen Großkonzernen und dem griechi- internationale Dimension hatten. Über Ereig- schen Politik-Establishment. Bei fast jedem gro- nisse wie die Olympischen Spiele wurde – trotz ßen Auftrag des Staates ist das gleiche Muster der sich häufenden Indikatoren für ernsthaftes zu beobachten. Eine ausländische Firma schließt Missmanagement – mit absoluter Naivität be- sich mit einem griechischen Unternehmen, ei-

9 Interview des Autors mit Panos Skourletis, 2012 Sprecher von Syriza und jetzt Minister für Entwicklung. Nützliche Aufwendungen 21

nem lokalen Geschäftsmann oder auch nur ei- nem lokalen Mittelsmann zusammen.

Dieses Muster ist kein neues Phänomen, son- dern fast 100 Jahre alt: 1926 ist Siemens daran in- teressiert, sich auf die öffentliche Ausschreibung für ein automatisiertes Fernsprechsystem zu be- werben. Zwei leitende Manager der Firma reisen nach Athen, um das Land auszukundschaften und Prodromos Bodosakis ins Team zu holen, einen der größten griechischen Industriebarone aller Zeiten. Bodosakis verspricht Siemens, den Auftrag an Land zu ziehen. Er behauptet sogar, dass der neue Minister für Transportwesen „sei- ne Wahl“ war. (Dimitriadou-Loumaki, S.279)

Das Unternehmen MAN ist seit 1901 aktiv, Daim- ler (als Daimler-Motoren-Gesellschaft) seit 1913, Infra­strukturprojekte um, vom ersten automati- Bayer auch schon vor 1914. (Dimitriadou, S.210f.) sierten Telefonnetz der 1920er Jahre bis hin zum Im Waffenhandel war Griechenland vor Beginn digitalen Telekommunikationssystem der Jahr- des 20. Jahrhunderts einer von Krupps besten tausendwende, vom ersten U-Bahn-Netzwerk Kunden. Der Rivale Rheinmetall-Borsig tat sich 1930 bis hin zu Weiterentwicklungen des heuti- in der 1930er Jahren nicht nur mit Waffenver- gen U-Bahn-Netzes 2012. 11 käufen an Griechenland hervor, sondern wurde auch verdächtigt, sich des zuvor erwähnten grie- Gleichzeitig war Siemens das Epizentrum von chischen Industriebarons Bodosakis als Mittels- Skandalen, Kontroversen und Verschwörun- mann für die klandestine Bewaffnung der Repu- gen. Tatsächlich ist der aktuelle „Siemens-Skan- blikanischen Armee im spanischen Bürgerkrieg dal“ quasi die Neuauflage von drei bekannten bedient zu haben. (Dimitradou-Lumaki, S. 210; Siemens-Skandalen, die schon zum Sturz von Pelt 1988, S.162-177) Regierungen, zu Gerichtsdramen und Span- nungen in den deutsch-griechischen Beziehun- gen geführt haben. Ironischerweise ging es – Exkurs: wie auch im jetzigen Skandal – immer um die Das griechische Jahrhundert von Siemens fast monopolartigen Beziehungen zwischen Siemens und griechischen Telekommunika­ Wenn es ein Unternehmen gibt, das den hun- tionsunternehmen. 12 dertjährigen Korruptions-Tango Deutschlands »» 1930 erhielt Siemens nach Dekaden politi- mit Griechenland verkörpert, ist dies unzwei- scher Machenschaften aller Art, inklusive per- felhaft Siemens. Seit 1900 ist das Unternehmen sönlicher Besuche des damaligen Premier- in Griechenland aktiv. Vertreter des Unterneh- ministers Eleftherios Venizelos bei Siemens mens war damals Alexandros Zachariou, ein in München, nach Bestechungsskandalen Geschäftsmann und in Deutschland ausgebil- und trotz hartem Wettbewerb ausländischer deter Ingenieur, der als Pionier der griechischen Mächte, den Zuschlag für die Einführung au- Industrie betrachtet wird. 10 In dieser Zeit setz- tomatischer Telefone. (Dimitradou-Loumaki, te Siemens einige der wichtigsten griechischen S. 269-309)

10 Vgl. Siemens: „Siemens in Greece“; Dimitriadou-Loumaki (S. 211). 11 Vgl. Siemens: „Siemens active in Greece for 110 years“. 12 In den 1980er Jahren gab es einen Kampf um Aufträge der griechischen Telekommunikationsgesellschaft OTE zwischen Siemens und dem griechischen Geschäftsmann Skratis Kokkalis, der seit den 1960er Jahren die Interessen von ostdeutschen Unternehmen vertrat. (Telloglou 2009, S. 82-86) 22 Lentopoulos

»» In den 1950er Jahren beinhaltete das üppig 1927 hat der deutsche Botschafter Martin Ren- ausgestattete deutsch-griechische Abkom- ner einen Fahrplan für deutsche Unternehmen, men für Wirtschaftshilfe für Griechenland die ihr Glück in Griechenland versuchen wollen, ein nicht veröffentlichtes Memorandum, das entworfen: Athen verpflichtete, Siemens den Auftrag für die Modernisierung des staatlichen Telekom- „Beim Abschluss großer Regierungsgeschäfte munikationssystems ohne öffentliche Aus- und Konzessionen sind hier im allgemeinen drei schreibung zu geben. Das Bekanntwerden Faktoren in Rechnung zu stellen. führte zu einer Regierungskrise und einer Rei- »» Erstens die rein geschäftliche Seite, wobei he von Gerichtsverfahren wegen Korruption. die Zahlungsbedingungen, die Finanzierung Im Rampenlicht stand Ioannis Voulpiotis, der besonders wichtig sind. Wer die längsten und umstrittene Siemens-Repräsentant in Grie- größten Kredite gibt, ist im Vorteil. (...) chenland, der auch nach dem Zweiten Welt- »» Ein zweiter, nicht zu unterschätzender Faktor krieg als Nazi-Kollaborateur angeklagt (aber ist der politische. Er beeinflußt den Abschluss nicht verurteilt) wurde. (Spiegel, S.23-25) großer Geschäfte wesentlich. Politische Zu- »» In den 90er Jahren führte die Kontroverse um rückhaltung bedeutet hier eine schwächere die Auftragsvergabe des griechischen Tele- Position auf handelspolitischem Gebiete. Die kommunikationsunternehmens OTE zu An- Großmächte mit Balkaninteressen, in allerers- schuldigungen gegenüber Siemens, eine Rolle ter Linie England, aber auch Frankreich und beim Sturz der Regierung von Mitsotakis 1993 Italien sind in der Vorhand und verfügen über gespielt zu haben. (Ravanos 2008) Druckmittel, die der deutsche Gesandte nicht hat. (...) Dieser kurze Überblick des „griechischen Jahr- »» Endlich spielen noch persönliche Interessen hunderts“ von Siemens verdeutlicht zudem, eine große Rolle – ein heikles und komplizier- dass immer die Versuchung besteht, die Bedeu- tes Kapitel von Interessensgemeinschaften tung von Bestechung bei der Auftragsvergabe und persönlichen Gewinnbeteiligungen, von überzubewerten. 13 In vielen Fällen ist die Ent- nicht immer sauberen Nebengeschäften, de- scheidung, die eine oder andere Firma aus dem ren Bewertung je nach Konstellation wech- einen oder anderen Land zu bevorzugen, viel selt, die aber für die Interessenten meist un- eher ein Ergebnis eines sorgfältig abgestimmten entbehrlich sind, denen es überlassen bleiben politischen Kalküls. muss, sie selbst von Fall zu Fall richtig zu be- handeln und in ihre Rechnung einzustellen.“ (Dimitriadou-Loumaki, S.216) Ein Handbuch für ausländische Unternehmen in Griechenland … ... und seine Anwendung Bei der deutsch-griechischen Paarung ist das po- litische Kalkül Griechenlands leicht zu erkennen: Der Bericht des deutschen Botschafters Renner Es geht letzten Endes um den Austausch von Ge- spiegelt das das Machtverhältnis in Europa in fälligkeiten. Griechische Politiker hoffen in der den späten 1920er Jahre wieder. Trotz eines nicht Regel, durch die Bevorzugung einiger deutscher so guten diplomatischen Ansehens Deutsch- Unternehmen als Gegenleistung eine Art von Be- lands zwischen den zwei Weltkriegen ging es den lohnung auf der politisch-bilateralen Ebene für deutschen Firmen nicht schlecht, besonders in die eigene Regierung zu erhalten. Weniger klar zwei Bereichen: Öffentliche Infrastruktur (Ener- ist das Kalkül auf Seiten der deutschen Politiker gieversorgung, Telekommunikation, Transport- und das Agieren der deutschen Regierungen. wesen) und Waffenhandel. Das sind dieselben Geschäftsbereiche, die heute noch von deut-

13 Bis die OECD in den 90ern begann, Auslandskorruption zu bekämpfen, waren „Kommissionszahlungen“ in den meisten Ländern legal und eine Form des Wettbewerbs. Nützliche Aufwendungen 23

schen Unternehmen dominiert werden. Seither Ende der 1960er wird Griechenland von einer stieg der deutsche Einfluss auf Griechenland li- Militärdiktatur regiert („Obristen-Junta“). Das near an. In den Jahren nach der Einrichtung der Regime wird von den USA unterstützt. Doch die Eurozone wurde der Höhepunkt erreicht. Öffentlichkeit in Europa, vor allem in Frankreich und Deutschland, protestiert gegen die vom Einige Beispiel deutscher politischer Einfluss- Regime begangenen Menschenrechtsverlet- nahme in Griechenland: zungen. Griechenland wird mit dem Ausschluss aus dem Europarat gedroht. Die deutsche Regie- Im selben Jahr von Renners Vermerk, Ende 1927, rung sieht sich gefangen zwischen dem Druck warnte Carl Melchior, der deutsche Vertreter der öffentlichen Meinung und ihrer Stellung als beim Völkerbund, den griechischen Finanzmi- Großlieferant der Militärhilfe für Griechenland. nister, dass, wenn Athen es wagen sollte den Te- „Im Gegensatz zu der vorgebrachten Kritik an lefon-Vertrag mit Siemens zu annullieren, er eine den politischen Defiziten des griechischen Regi- negative Haltung bezüglich neuer Anleihen für mes hat Bonn die Bedeutung der militärischen Griechenland in den bevorstehenden Debatten Aspekte der NATO-Griechenland-Beziehungen des Ausschusses des Völkerbundes einnehmen betont“, schreibt Morgens Pelt. „Der deutsche werde. (Dimitriadou-Loumaki, S.292) Außenminister, [Willy] Brandt, sagte Nenni [sei- nem italienischen Amtskollengen], dass West- Zehn Jahre nach dem Abzug der Nazi-Truppen deutschland dringend eine Entscheidung in kehrten deutsche Firmen, die Griechenland Bezug auf die volle Wiederaufnahme der militä- während der Besatzung ausgebeutet hatten, rischen Lieferungen an Griechenland will.“ (Pelt wieder auf den griechischen Markt zurück. 14 Am 2006, S. 298) Am Ende lieferte Deutschland neue 15. Juni 1955 vereinbarte die griechische Regie- U-Boote, gebaut von HDW in . rung mit dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer das Ptolemais-Projekt, den Bau eines Nach der Wiederherstellung der Demokratie än- Braunkohlekraftwerks. Durchgeführt wurde es derte sich wenig. In einem Brief vom März 1975 in einem Joint-Venture mit Bodosakis, dem zuvor verlangte der bayerische Politiker Franz Josef bereits erwähnten Industriebaron. Das Unter- Strauß von der griechischen Regierung einen nehmen Krupp stellte das technische Know-How Stopp der Geschäfte mit der DDR, da dies den bereit. (Pelt 2006, S.298) Anteil für westdeutsche Firmen, vor allem von Siemens, reduzieren würde. Constantine Mit- Jean Meynaud schrieb: „Westdeutschland erreich- sotakis, Minister in der damaligen Regierung, te ein massives Comeback in vielen Bereichen.“ versprach einem Siemens-Manager, dass er Sie- Der deutsche Einfluss stieg im Gegensatz zum bri- mens einen großen Anteil an den Telekomverträ- tischen Einfluss, auch mit Hilfe der Amerikaner, gen verschaffen werde. 15 die sich offenbar wünschten, dass Deutschland sie in einigen Bereichen der Hilfsprogramme für Ein paar Jahrzehnte später, 2010, findet sich Grie- Griechenland ersetzen sollte, besonders in mili- chenland in der Krise wieder. Knapp bei Kasse, tärischen Angelegenheiten. (Meynaud, S.408) Die verschuldet – und trotzdem setzten Paris und Stellung westdeutscher Unternehmen auf dem Berlin die Krise als Hebel ein, um Waffenge- griechischen Markt wurde – auch mit Unterstüt- schäfte zu fördern und Zahlungsstreitigkeiten zung durch deutsche Staatsgarantien – ausge- beizulegen. „Keiner sagt, ‚kauf unsere Kriegs- baut. 1962 erreichten die Importe aus Deutsch- schiffe oder wir werden euch nicht retten‘, aber land einen Wert von 3.986 Mio. Drachmen (im es wird kein Zweifel daran gelassen, dass sie ent- Vergleich zu 2.511 für Großbritannien und 2.016 gegenkommender sein werden, wenn wir auf für die USA). (Meynaud, S.425) der Rüstungsseite tun, was sie wollen“, sagte ein

14 Vgl. Mazower (S.14) zu Krupps Präsenz in Griechenland während der Besetzung durch die Nationalsozialisten. 15 Vgl. Telloglou (S.82); Mitsotakis war gewählter Premierminister 1990, stürzte aber drei Jahre später über eine politische Krise, ausgelöst durch staatliche Telefonkontrakte (und Siemens‘ Anteil daran). 24 Lentopoulos

baute auf Untersuchungen in Deutschland und den USA auf, die dort öffentlich verhandelt wur- den. Die Krise seit 2008 stärkte in Griechenland jedoch das öffentliche Verlangen nach Gerechtig- keit. Trotz langwieriger Untersuchungen, parla- mentarischer Anhörungen und Gerichtsverfah- ren wurden allerdings bisher nur eine Handvoll Politiker vor Gericht gebracht oder verurteilt. Ein ehemaliger Minister (Akis Tsohatsopoulos) sitzt im Gefängnis wegen Korruptionsfällen, die nur zum Teil mit deutschen Unternehmen zu tun haben. Ein ehemaliger Minister (Anastasios Mandelis) wurde verurteilt für die Entgegennah- me von Bestechungsgeldern von Siemens. Ein ehemaliger Abgeordneter und enger Vertrauter Berater des damaligen Premierministers George des ehemaligen Premierministers Theodoros Papandreou. (Taylor 2010) Tsoukatos muss sich im Siemens-Fall vor Gericht verantworten. Darüber hinaus gibt es aber noch einen lange Warteliste von Politikern beider gro- Postskriptum: ßer Parteien, die im Hintergrund darum kämp- Korruption 2.0 / Next-Generation fen, nicht angeklagt zu werden.

Der größte Teil der Korruptionsfälle betrifft den Wo stehen wir also jetzt? Die Beurteilungen Waffensektor und belastet Unternehmen wie unterscheiden sich erheblich zwischen den HDW, Thyssen-Krupp, Ferrostaal, Rheinmetall beiden Staaten. Nehmen wir das Beispiel des und KraussMaffei-Wegmann. Doch es sind auch Siemens-Prozesses in Griechenland: Für die Unternehmen aus vielen anderen Bereichen in- meisten Kommentatoren in Deutschland ist der volviert, wie zum Beispiel dem Transportwesen Fall Vergangenheit. Der Fall wurde von den Me- (MAN, Daimler, Deutsche Bahn), Pharmaunter- dien und den Gerichten untersucht, die Schuldi- nehmen (Bayer) – und Siemens. Das in Bayern an- gen haben den Preis gezahlt. Das Unternehmen sässige Industriekonglomerat führt die Liste mit selbst, Siemens, hat öffentlich bereut und aufge- fünf unterschiedlichen Bestechungsfällen aus räumt. Es hat eine Einigung mit dem griechischen fast allen Bereichen der öffentlicher Auftrags- Staat erzielt – die gegenwärtig allerdings noch vergabe an: Telekommunikation, Verteidigung, vom obersten griechischen Gericht untersucht Transport, Infrastruktur und Gesundheitswesen. wird – und fängt vorsichtig wieder an, sich um öffentliche Aufträge zu bewerben und gewann Man kann drei allgemeine Kategorien von Beste- 2012 die Ausschreibung für die Erweiterung der chungsnehmern identifizieren: (a) Beamte aus Athener Metro. (Kathimerini, 2012; DW, 2012). vielen Ministerien, öffentlichen Versorgungsun- ternehmen und Staatsbehörden, (b) Amtsträger Deutsche Rechtsexperten zweifeln an der Recht- und Offiziere, beschäftigt in Entscheiderpositi- mäßigkeit der Anklage und des Siemens-Ge- onen von Ministerien, wie zum Beispiel techni- richtsverfahren in Griechenland. Sie verweisen schen Evaluierungskomitees etc., (c) das politi- auf eine eklatante Verletzung der „ne bis in idem“ sche System (insbesondere die Parteien PASOK Regel, die besagt, dass Angeklagte nicht zweimal und Nea Dimokratia, die das Politische System wegen desselben Vorwurfs angeklagt werden seit Jahrzehnten dominiert haben) und einzelne dürften. Tatsächlich standen die meisten der Politiker. deutschen Angeklagten bereits in Deutschland vor Gericht. (Simantke 2015) In den meisten Fällen haben die strafrechtlichen Untersuchungen ihren Ursprung nicht in Grie- Doch die öffentliche Meinung in Griechenland chenland. Die griechische Staatsanwaltschaft ist das komplette Gegenteil. Nicht nur, dass der Nützliche Aufwendungen 25

Fall Siemens bei weitem nicht als abgeschlossen Q uellenverzeichnis beurteilt wird, sondern es scheint, dass wir auch _  News Agency: Criminal charges against HRADF jetzt nur einen kleinen Bruchteil des Falls wirk- board members, senior management. 20.7.2015. lich kennen. Zum Beispiel wissen wir, dass einige (http://www.amna.gr/english/articleview.ph- der größten staatlichen Aufträge (Telekommuni- p?id=10692 – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) kation, Verteidigung, Transportwesen, Gesund- _ Daley, Suzanne: So Many Bribes, a Greek Official Can’t heitswesen) der letzten Jahrzehnte manipuliert Recall Them All. New York Times, 7.2.2014. (http:// worden sind. Aber wir waren bislang noch nicht www.nytimes.com/2014/02/08/world/europe/so-ma- in der Lage, den Schaden für den griechischen ny-bribes-a-greek-official-cant-recall-all.html?_r=0. – Staat wirklich zu beziffern. Wir wissen, dass ein zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) Teil der Gelder aus den Schwarzen Kassen in die _ : Siemens reaches bribery case settle- Taschen der zwei großen Parteien und bekann- ment with Greece. Deutsche Welle, 9.3.2012. (http:// ter Politiker gespült worden war – aber wir wis- www.dw.com/en/siemens-reaches-bribery-case-settle- sen nicht, wer wieviel bekommen hat! ment-with-greece/a-15798630 – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) Es gab Untersuchungen und Anklageschriften _ Dimitriadou-Loumaki, Maria: Η γερμανική οικονομική mit mehreren Hunderten und Tausenden von και πολιτική διείσδυση στην Ελλάδα τη δεκαετία 1920- Seiten in beiden Staaten. Aber gleichzeitig bleibt 1930 [The German economic and political penetration der Eindruck von Straflosigkeit und Immunität, in Greece in the years 1920-1930]. Panteion University wie ein unsichtbarer Mantel, der die Straftäter of Social and Political Sciences, Athen, Doktorarbeit schützt. Auf der Geberseite musste keiner der 2010. Architekten und Verwalter der Schwarzen Kas- _ Europarat: Criminal Law Convention on Corruption, sen von Siemens ins Gefängnis. Und auch auf Chart of signatures and ratifications of Treaty 173. der Nehmerseite wurde, mit Ausnahme von Tso- (http://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/ hatsopoulos, kein griechischer Politiker bislang conventions/treaty/173/signatures – zuletzt aufgeru- hinter Gitter verbannt. fen 15.12.2015) _ Forbes: The World’s billionaires > Greece. (http://www. Griechenland hat den Schaden der Korruption zu forbes.com/billionaires/#version:static_country:Gre- tragen, aber weder hat die Staatskasse von den ece – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) verhängten Millionenstrafen profitiert (sie wurden _ Grey, Stephen / Kyriakidou, Dina: Special Report: in Deutschland oder den USA gezahlt), noch wurde Greece‘s triangle of power. Reuters, 19.12.2012. sie für die entstandenen Verluste entschädigt. (http://www.reuters.com/article/us-greece-me- dia-idUSBRE8BG0CF20121219 – zuletzt aufgerufen am In Griechenland läuft gerade das von den inter- 15.12.2015) nationalen Geldgebern geforderte Privatisie- _ Grey, Stephen / Bergin, Tom: Opaque middlemen ex- rungsprogramm an, um die griechischen Schul- act high price in Russia’s deals with the West. Reuters, den zu bedienen. Auf der eigenen Webseite 19.12.2014. (http://www.reuters.com/investigates/spe- wird das Hellenic Republic Asset Development cial-report/comrade-capitalism-middlemen/ – zuletzt Fund (HRADF) als das „größte erklärte staatliche aufgerufen am 15.12.2015) Veräußerungsprogramm der Welt“ beworben, _ Eleftherotypia: Στην ελληνική νοοτροπία και τη aufgesetzt von den Staatschefs, um die grie- γραφειοκρατία αποδίδουν οι πολίτες τη διαφθορά chischen Schulden zu bedienen. Es gibt bereits [Citizens blame corruption on Greek mentality and bu- starke Hinweise auf krumme Geschäfte und Be- reaucracy]. 16 Σεπ. 2006. http://news.in.gr/greece/ar- stechung bei HRADF-Managern. (Simantke 2015; ticle/?aid=739152 – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) Athens News Agency 2015) Der große Unter- _ Kathimerini: Siemens wins contract to extend Athens schied ist nur, dass diesmal der griechische Staat metro. Kathimerini, 11.4.2012. (http://www.ekathi- verkauft statt kauft. Aber überlassen wir das Pri- merini.com/140792/article/ekathimerini/business/sie- vileg, hierüber zu schreiben, unseren Kindern in mens-wins-contract-to-extend-athens-metro – zuletzt 15 bis 20 Jahren. aufgerufen am 15.12.2015) _ Kathimerini: Seven charged with corruption over sale of Daimler vehicles to Greek military. Kathimerini, 26 Lentopoulos

27.4.2015. (http://www.ekathimerini.com/169480/ _ Simantke, Elisa: Ex-Siemens-Manager in Griechenland article/ekathimerini/news/seven-charged-with-cor- vor Gericht. Tagesspiegel, 26.11.2015. (http://www.ta- ruption-over-sale-of-daimler-vehicles-to-greek-military gesspiegel.de/wirtschaft/umstrittener-prozess-ex-sie- – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) mens-manager-in-griechenland-vor-gericht/12626462. _ Kathimerini: Bayer Hellas reps accused of bribing doc- html – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) tors. Kathimerini, 15.6.2015. (http://www.ekathimerini. _ Der Spiegel: Mit Siemens im Bunde. Spiegel, com/197964/article/ekathimerini/news/bayer-hel- Nr.50/1954, p. 23-25. (http://www.spiegel.de/spie- las-reps-accused-of-bribing-doctors – zuletzt aufgeru- gel/print/d-28957985.html – zuletzt aufgerufen am fen am 15.12.2015) 15.12.2015) _ Mazower, Mark: Inside Hitler’s Greece – The Experien- _ Süddeutsche Zeitung: Panzerbauer dürfen fusionie- ce of Occupation, 1941-44. New Haven/London, 2001. ren. Süddeutsche Zeitung, 3.12.2015. (http://www. _ Meynaud, Jean: Les forces politiques en Grèce. Lausan- sueddeutsche.de/wirtschaft/kmw-und-nexter-pan- ne, 1965. zerbauer-duerfen-fusionieren-1.2767371 – zuletzt _ Pelt, Mogens: Tobacco Arms and Politics: Greece and aufgerufen am 15.12.2015) Germany from World Crises to World War, 1929-1941. _ Taylor, Paul / Maltezou, Renee: Broke? Buy a Kopenhagen, 1988. few warships, France tells Greece. Reuters, _ Pelt, Mogens: Tying Greece to the West – US-West Ger- 23.3.2010. (http://www.reuters.com/article/us-eu- man-Greek Relations 1949-1974. Copenhagen, 2006. rozone-greece-warships-analysis-idUSTRE62M- _ Porter, Paul A.: Wanted – A Miracle in Greece. Collier’s , 1Q520100323#op6Fx9Or5DQJpXvZ.97 – zuletzt 20.9.1947, 1947, S.14f. aufgerufen am 15.12.2015) _ Ravanos, Aris: Πώς έπεσε ο Μητσοτάκης [How did _ Telloglu, Tasos: Το δίκτυο: Ο Φάκελος Siemens [To Mitsotakis fell / Pos epese o Mitsotakis]. To Vima, diktio: O fakelos Siemens / The Network: The Siemens 27.4.2008. (http://www.tovima.gr/relatedarticles/ar- file]. Athen, 2009. ticle/?aid=188427 – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) _ Transparency International: Corruption Perception _ Reuters: Greece wants 100 mln euros in damages from Index 2014. (http://www.transparency.org/cpi2014 – German defence firms. Reuters, 23.3.2015. http://( zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) www.reuters.com/article/greece-defence-germa- _ To Vima: Venizelos: „There is a German company ny-idUSL6N0WP1LN20150323 – zuletzt aufgerufen am behind every scandal”. To Vima, 6.2.2014. (http://www. 15.12.2015) tovima.gr/en/article/?aid=564741 – zuletzt aufgerufen _ Schubert, Siri / Miller, Christian T.: At Siemens, Bribery am 15.12.2015) Was Just a Line Item. New York Times. 20.12.2008. _ United Nations Convention against Corruption: Sig- (http://www.nytimes.com/2008/12/21/business/world- nature and Ratification Status as of 1 December 2015. business/21siemens.html?ref=business&pagewante- (http://www.unodc.org/unodc/en/treaties/CAC/signa- d=all&_r=0 – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) tories.html – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) _ Siemens: Siemens in Greece. (https://www.siemens. _ Wikileaks.org: „How to read the greek press: A guide com/history/en/countries/greece.htm – zuletzt aufge- to the Uninitiated“. Public Library of US Diplomacy rufen am 15.12.2015) (PlusD), Cable 06ATHENS1805_a, US-Botschaft Athen _ Siemens: Siemens active in Greece for 110 years. (htt- an mehrere Empfänger u.a. der US-Staatssekretär ps://www.siemens.com/history/en/news/1032_greece. (engl.), 13.7.2006. (https://search.wikileaks.org/plusd/ htm – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) cables/06ATHENS1805_a.html – zuletzt aufgerufen am _ Simantke, Elisa: Europoly. Der Tagesspiegel, Inter- 15.12.2015) net-Themenseite, 2014. (http://europoly.tagesspiegel. de/english/ – zuletzt aufgerufen am 15.12.2015) Der griechische Honigtopf 27

Der griechische Honigtopf : Griechenland als Kunde der deutschen Rüstungsindustrie

Christopher Steinmetz

Griechische Wirtschaftskrise als Chance tungsindustrie und die Bundesregierung immer für Aufklärung? gut verstanden. Es wurde weder gefragt, ob die be- stellten Waffensysteme wirklich notwendig waren, Die Talfahrt der griechischen Wirtschaft hatte noch ob der Preis tatsächlich in einem vernünfti- ab 2006 auch Konsequenzen für die deutschen gen Verhältnis zum Nutzen stand. Erst mit dem Rüstungsindustrie. Nach 50 fetten Jahren brach Einzug des Wahlbündnisses SYRIZA ( einer der wichtigsten Absatzmärkte für Waffen Rizospastikis Aristeras) ins griechische Parlament „Made in Germany“ weg. Bereits in den Jahren 2007 begann sich die Situation zu ändern. Erstmals zuvor mehrten sich die Warnzeichen, dass die wurden kritische Fragen gestellt. Im Verteidigungs- griechischen Auftrags- und Geldquellen versie- sektor offenbarten sich viele Unzulänglichkeiten. gen könnten. Ein schon sicher geglaubte Auftrag Die Besonderheiten – vor allem die Auftragsgestal- für 60 Eurofighter Kampfflugzeuge wurde stor- tung – der deutsch-griechischen Rüstungsbezie- niert, da Griechenland das Geld dringender zur hungen rückten zunächst in den politischen und Finanzierung der Olympischen Spiele brauchte. dann auch in den juristischen Fokus. Bei fast allen Auch eine bereits geplante Lizenzproduktion großen Rüstungsgeschäften mit deutscher Beteili- von G36-Sturmgewehren scheiterte. Ab 2005 gung seit Ende der 1990er Jahre ergab sich in der geriet die griechische Regierung bei der Bezah- Folgezeit zumindest ein Anfangsverdacht für kor- lung von vier neuen U-Booten der Klasse 214 in ruptive Praktiken. (Nassauer 2013, S.1) Rückstand. Bald darauf gab es auch erste Säum- nisse bei der Bezahlung der Leopard 2 Panzer. Das ist nicht verwunderlich, denn der Ver- teidigungssektor gilt ohnehin als besonders Das Schicksal dieser prestigeträchtigen Groß- korruptionsanfällig. Vertraulichkeit und Ver- vorhaben war in gewisser Weise die erste Spitze schwiegenheit prägen das Geschäft. Riesige des Eisberges, dem sich die griechische Regie- Auftragsvolumina und intransparente, gut ma- rung gegenüber sah. Über Jahrzehnte wurden in nipulierbare Vergabeverfahren bieten vielfältige großem Maßstab teure Waffensysteme bestellt Möglichkeiten (auch durch Kopplungs- und Off- – vor allem in den USA, Deutschland und Frank- setgeschäfte) Geldflüsse umzuleiten. Beschaf- reich. Finanzierbar waren diese aber nur über die fungszeiträume von mehreren Jahren fördern Aufnahme von Krediten. Ende der 1990er Jahre die Entstehung eines engen Beziehungsgeflechts addierten sich die Schulden allein des Verteidi- zwischen Unternehmen und Vermittlern auf der gungshaushalts auf mehr als 4 % des BIP. (Eurost- einen und Militärs und Regierungsbeamten auf at, S.16; Kollias 2004, S.194) Gleichzeitig fehlte es der anderen Seite. Bevor in den folgenden Bei- an haushalterischer Kontrolle. Bei Untersuchun- trägen die bekanntgewordenen Korruptions- gen des Statistischen Amtes der Europäischen verdachtsfälle analysiert werden, soll hier – um Union (Eurostat) kam zum Beispiel der Verdacht diese Fälle besser einordnen zu können – der auf, dass zwischen 1997 und 2003 nur ein kleiner größere Rahmen der deutsch-griechischen Rüs- Prozentsatz der Ausgaben für Verteidigungsgüter tungsbeziehungen abgesteckt werden. überhaupt erfasst wurde. (Eurostat, S.17f)

Trotzdem liefen in dieser Zeit die Rüstungsge- Griechische Aufrüstung als deutsche schäfte weiter so reibungslos wie eh und je. Die Exporthoffnung sozialdemokratische PASOK und die konservative „Nea Dimokratia“ wechselten sich an der Regie- Die deutsch-griechischen Rüstungsbeziehungen rung ab. Mit beiden hatten sich die deutsche Rüs- reichen mehr als 50 Jahre zurück. Sie waren in 28 Steinmetz

einen größeren sicherheitspolitischen Bezugs- che Wettrüsten der beiden rivalisierenden Nach- rahmen eingebettet. Griechenland und die Tür- barstaaten hatte kaum negative Auswirkungen kei waren 1952 der NATO beigetreten. Beide nut- auf die deutschen Rüstungsgeschäfte mit ihnen. zen diesen Schritt als Rechtfertigung verstärkter Obwohl zwischen beiden Staaten wiederholt ter- militärischer Aufrüstung, rüsteten aber zugleich ritoriale Konflikte aufflammten und beide in den auch gegeneinander. Griechenland geriet ab Mit- Zypern-Konflikt involviert waren, wurden bei- te der 1950er Jahre aufgrund seiner Zypern-Poli- de weiter mit Waffen beliefert. Als Legitimation tik zunehmend ins Abseits. Mit deutscher Unter- reichte die Stärkung der Südostflanke der NATO stützung wollte man der politischen Isolierung gegen den Warschauer Pakt. entgegenwirken. Mitte der 70er Jahre, nach der Invasion Zyperns durch die Türkei 1974, erhoffte Von Anfang an waren Griechenland und die grie- man sich vom Ausbau der rüstungspolitischen chischen Rüstungsfirmen Juniorpartner in den Beziehungen mit Deutschland eine Reduzierung Rüstungsbeziehungen. Geliefert wurden kom- der militärtechnologischen Abhängigkeit von plette Waffensysteme – aus Überschussbestän- den USA. 1 In späteren Jahren, insbesondere in den der Bundeswehr und seitens der Industrie. den 1990er Jahren, ging es vor allem um Unter- Griechische Firmen wurden wenn, dann erst am stützung für das ruinöse Wettrüsten mit der Tür- Ende der Wertschöpfungskette eingebunden. kei. Ihre technologischen Kompetenzen und Kapa- zitäten blieben gering. 3 Mögliche rüstungsin- Auf deutscher Seite standen anfänglich die Bei- dustrielle Steuerungsinstrumente wurden von legung etwaiger Reparationsfragen, das Stre- der griechischen Regierung nur zögerlich einge- ben nach internationaler Anerkennung und der führt: Zum Beispiel begann man erst Ende der Beitritt zur NATO im Vordergrund. Zudem wurde 1990er damit, für Beschaffungsvorhaben, an de- neben der Wiederbewaffnung auch der Aufbau nen sich ausländische Firmen beteiligen wollten, einer nationalen Rüstungsindustrie angestrebt. Ausschreibungen durchzuführen. (Kollias 2003, Um Platz in den Waffenkammern zu schaffen, S.314) Bis zu diesem Zeitpunkt konnten Beamte suchte die Bundeswehr nach Abnehmern für im Verteidigungsministerium bzw. Führungsper- ihre veraltete Erstausstattung mit vor allem aus- sonal der Streitkäfte weitgehend autonom und ländischen Waffensystemen. Hinzu kam bald die entlang nicht transparenter Kriterien die präfe- Suche nach politisch vertretbaren Absatzmärk- rierten Waffensysteme auswählen und ggf. auch ten für die großen Produktionskapazitäten, die zusätzliche Offsetvereinbarungen treffen. 4 zur Ausstattung der Bundeswehr mit deutschen Waffen geschaffen worden waren. In beiden Pha- Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich Deutsch- sen war Griechenland ein geeigneter Partner. An- land zu einem bevorzugten Partner im Rüs- fang der 60er Jahre begann die Bundesregierung tungsbereich, der auch mal „Fünfe gerade sein im Rahmen der NATO-Militärhilfe Griechenland ließ“. Ein Beispiel hierfür war der erste Export- (und die Türkei) in erheblichem Umfang mit neu- vertrag für die damals neu entwickelten U-Boote en und gebrauchten Waffen zu versorgen. 2 Bis des Typs 209. Mit einer Verdrängung von 1.100 Mitte der 1970er Jahre galt ein Verhältnis von 1:2 Tonnen überschritt das U-Boot deutlich die von für Rüstungslieferungen an Griechenland und der WEU 1963 festgelegte Obergrenze von 450 die Türkei. (Albrecht 1975, S.50) Das offensichtli- Tonnen. Trotzdem wurde das Geschäft mit Bil-

1 Für mehr Informationen über die griechischen Vorstellungen und Ziele, siehe Apostopoulos (S.275ff.), Chourchoulis (S.500ff). 2 Einige Beispiele aus dem dritten Militärhilfe-Abkommen 1967: Die Lieferung von F-84 Jagdbombern wurde vereinbart um Platz für die neuen Starfighter schaffen. M-47 Panzer wurde abgegeben, weil sie durch Leopard 1 Kampfpanzer ersetzt werden sollten. Noratlas-Transportflugzeuge wurden an Griechenland geliefert, um für Transall Platz zu machen. Außerdem wurden auch von MBB neu entwickelte COBRA Panzerabwehrraketen an Griechenland abgegeben. (Albrecht 1975, S.24) 3 Für weiterführende Informationen zur Entwicklung der griechischen Rüstungsindustrie siehe Kollias (2003), Matthews und Albrecht (1984). 4 Dies gehörte zu den Nachwehen der griechischen Militärdiktatur, in der sich das höhere Offizierskorps als festen Bestandteil der Oberschicht etablieren konnte. Der griechische Honigtopf 29

ligung der Bundesregierung von HDW getätigt. wurden vereinbart. Die Quote für die deutschen Man widmete einfach die WEU-Sonderlizenz für Militärhilfen an Griechenland wurde gegenüber den Bau von geplanten U-Booten für die Bun- der Türkei auf das Verhältnis 3:5 angehoben. desmarine um. Die U-Boot-Bestellungen der (Apostopoulos, S.284) Neben der Anbahnung Bundeswehr wurden nach hinten verschoben. weiterer Exportgeschäfte (zusätzliche Leopard 1 (Albrecht 1975, S. 37f.) Selbst während der Mili- Panzer und vier weitere U-Boote sowie das Luft- tärdiktatur in Griechenland (1967-1974) wurden verteidigungssystem Artemis) begannen sich die Rüstungslieferungen nicht unterbrochen. deutsche Rüstungsfirmen durch Tochterfirmen Begründet wurde dies mit der Erfüllung älterer und in Joint-Ventures stärker in Griechenland Verträge und dem Anspruch jedes NATO-Staats zu engagieren ohne dass damit ein nachhalti- auf Versorgungs- und Vertragssicherheit. (Alb- ger Technologietransfer verbunden war. 5 In den recht 1975, S.24,28) folgenden 20 Jahren profitierte die deutsche Rüstungsindustrie von den überdurchschnitt- Unmittelbar nach der Zypernkrise wurde der lich hohen Verteidigungsausgaben Griechen- Stellenwert der deutsch-griechischen Rüstungs- lands. Zwischen 1988 und 2000 lag der Anteil beziehungen 1975 weiter gestärkt. Neue Grund- der griechischen Rüstungsausgaben am BIP mit lagen für die zukünftige Rüstungskooperation 4,6 % mehr als doppelt so hoch wie im NATO-

: Rüstungsexportgenehmigungen und tatsächliche Kriegswaffenexporte für Griechenland 1999–2014 (in Mio. €) 6 Top-10-Ranking Griechenlands als Empfängerstaat (Genehmigungen & Kriegswaffenausfuhren)

500 2 2 ro 1 n Eu 2 400 Millione 3

1 300 2 3 4

200 9 4 4 100 7 4 3 7 8 3 9 ? 0

99 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 000 19 2 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20

Rüstungsexportgenehmigungen Reale Kriegswa enausfuhrenk? eine verlässlichen Daten ver fügbar

5 Albrecht (1984), S.6f.: Im Kleinwaffenbereich erhielt EVO 1977 die Lizenz von Heckler&Koch für die Produktion von 200.000 G3-Sturmgewehren. Rheinmetall produzierte 20mm Kanonen in Griechenland. Mercedes begann mit der Produktion/Endmontage von Geländewagen der G-Klasse. Die Siemens AG produzierte Teile für das Artemis-Feuerleitsystem in Griechenland. 6 Die Zahlen basieren auf eine Auswertung der folgenden Quellen: Jahresberichte der Bundesregierung zum Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern (1999–2014), BT-Drucksache 13/5476 (S.17), BT-Drucksache 13/11311 (S.2). 30 Steinmetz

und EU-Durchschnitt (2,4 % bzw. 2,1 %). (Kollias Die jeweiligen Bundesregierungen unterstütz- 2003, S.311) ten die Bemühungen der deutschen Industrie auf unterschiedliche Art. Wichtigste Instrumen- Auch die Auflösung der Warschauer Vertrags- te waren die verschiedenen Rüstungs- und Mili- organisation 1991 führte nicht zu einer Beendi- tärhilfeprogramme: 9 gung der Hochrüstungspolitik Griechenlands. »» Im Rahmen der NATO-Militärhilfe (1964–1994) Die Türkei reichte als Feindbild aus um – ge- wurden Rüstungsgüter im Wert von etwa 440 messen am BIP – die höchsten Militärausgaben Mio. € geliefert. 80% waren von der Industrie der europäschen NATO-Staaten innenpolitisch neubeschafftes Material. zu rechtfertigen. 7 Obwohl nach dem Ende des »» Die bilaterale Rüstungssonderhilfe (1989– Kalten Krieges die Rüstungsausgaben innerhalb 1994) hatte einen Gesamtwert von etwa 230 der EU durchschnittlich um 15% sanken, erhöhte Mio. €. Zwar wurden nur 33% für Neumaterial Griechenland seinen Etat sogar um 31%. (Kolli- aufgewendet, u.a. der Finanzierung für das as 2004, S.190) Im Jahr 2009, bereits unter dem MEKO-Fregattenprojekt, allerdings wurde die Eindruck der Wirtschaftskrise, erreichte der Ver- Rüstungsindustrie auch in die Instandhaltung teidigungsetat mit fast 8 Mrd. € einen Anteil von und Modernisierung des von der Bundeswehr etwa 3,5 % am BIP – mehr als doppelt so viel, wie gelieferten Überschussmaterials eingebun- im EU-Durchschnitt (1,6 % des BIP). 8 den. »» Bei den drei Militärhilfeprogrammen (1975– Deutschland etablierte sich nach dem Ende des 1995) mit einem Gesamtwert von etwa 715 Kalten Krieges als zweitgrößter Waffenlieferant Mio. € ging es ausschließlich um die Überlas- Griechenlands hinter den USA. Ende der 90er sung von Bundeswehr- bzw. NVA-Material. 10 Jahre erreichte der deutsche Anteil an griechi- schen Rüstungsimporten 18%. (Kollias 2003, S. Darüber hinaus förderte die Bundesregierung 313) Auch nach dem Auslaufen der letzten bilate- die Rüstungsexporte durch staatliche Bürg- ralen Rüstungshilfen 1995 konnte die deutsche schaften und Kredite (sogenannte Hermes-Kre- Rüstungsindustrie ihre hervorgehobene Positi- dite). Zwischen 1983 und 2003 wurden auf diese on weiter ausbauen. Griechenland war nach den Weise Rüstungsexporte in Höhe von 428 Mio. € USA und der Türkei einer der größten Abnehmer abgesichert. 11 Ein weiteres Instrument war die für deutsche Waffen. Ausbildungsunterstützung durch die Bundes- wehr für in Deutschland gekaufte Waffensyste- Das Diagramm auf der vorhergehenden Seite me. (BT-Drucksache 18/4779, S.7ff.) unterstreicht unterstreicht die hervorgehobene Stellung Griechenlands als einer der wichtigs- ten Absatzmärkte für deutsche Rüstungsgüter. Mit deutschen Waffen in die Krise Zwischen 2000 und 2006 gehörte Griechenland durchgehend zu den zehn wichtigsten Geneh- Im Jahr 1996 kündigte die griechische Regierung migungsempfängern deutscher Rüstungsgüter. an, auf ein umfangreiches türkisches Beschaf- Die seit 2000 erteilten Genehmigungen sum- fungsprogramm mit einem eigenen Aufrüstungs- mieren sich auf rund 2,3 Mrd. Euro. Im gleichen programm zu antworten. Das weckte Hoffnungen Zeitraum wurden Kriegswaffen im Wert von bei der deutschen Rüstungsindustrie, weitere 1,6 Mrd. € ausgeführt – auch ein Spitzenwert. lukrative Geschäfte abschließen zu können. Das

7 Zu der Rolle der Türkei in der griechischen Sicherheitspolitik, siehe Moustakis (S.95ff.). 8 Eurostat-Datenbank: Ausgaben des Staates nach Aufgabenberich (COFOG) – Abfrage Verteidigungsausgaben 1990–2012. http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do (Heruntergeladen am 19.11.2015). 9 Vgl. BMVg (S.1f.). 10 Für eine Auflistung des an Griechenland gelieferten NVA-Materials siehe Nassauer 1995 (S.59). 11 BT-Plenarprotokoll 17/39, S. 3788f.; 2006 gab die Bundesregierung an, zwischen 1990–2006 Bürgschaften für Griechenland-Geschäfte mit einem Deckungsvolumen von 3,3 Mrd. € übernommen zu haben. Allerdings sollen nur 6 % an „militärische Besteller“ gegangen sein. (BT-Drucksache 16/1756, S.4) Der griechische Honigtopf 31

: Zwischen 1999–2010 vereinbarte größere deutsch-griechischen Rüstungsgeschäfte 12

Waffensystem Stückzahl Preis (Mio. €) 13

Kampfpanzer Leopard 2A4, (modernisiert) 183 Bundeswehr Kampfpanzer Leopard 1A5 150 Rheinmetall AG (219 Mio.€ 270 Brückenlegepanzer BIBER 10 für Instandsetzung von 130 Leopard Bergepanzer 4 2A4, BIBER und Bergepanzer) Leopard 2HEL (teilweise 170 Lizenzproduktion), inkl. 1.660 KraussMaffei Wegmann und Bergepanzer Büffel 12 Rheinmetall AG Brückenlegepanzer Leguan 8 155 mm Panzerhaubitze PzH 2000 24 188 KraussMaffei Wegmann Rheinmetall Defence Electronics/ Flugabwehrsystem ASRAD Hellas 54 143 STN Atlas Elektronik HDW / TKMS / Ferrostaal AG, U-Boot U214 4 1.700 Hellenic Shipyards Modernisierung U-Booten 1 ThyssenKrupp Marine Systems (826) U209 (Glavkos) (+3) Hellenic Shipyards, Atlas Elektronik NH90 Transporthubschrauber 20 657 Airbus Helicopter M109A3GE 155mm Haubitze 273 26 Bundeswehr

Joint Medium Term Armaments Programme von, dass bereits gelieferte ältere Versionen ihnen (JMAP) sah für eine erste Tranche (1996–2001) ur- einen Wettbewerbsvorteil verschafften. Bei Neu- sprünglich Beschaffungen im Wert von etwa 11 ausschreibungen für Kampfpanzer und U-Boote Mrd. € vor. Bereits während der Planungsphase gereichten ihnen zum Beispiel die in den 1970er stiegen die Kosten auf 14,8 Mrd. €. (Kollias 2003, und 1980er gelieferten Leopard-1 und U-Boote S.313) Und tatsächlich belief sich der Auftrag- der Klasse 209 zum Vorteil. santeil deutscher Firmen und ihrer griechischen Tochter- und Partnerfirmen auf 25 % – der zwei- Innerhalb weniger Jahre wurden also größe- te Platz hinter den USA mit 33 %. (Kollias 2003, re Rüstungsgeschäfte im Wert von weit über 5 S.315) Innerhalb kürzester Zeit wurden von gro- Mrd. € vereinbart und umgesetzt. 14 Auch bei den ßen deutschen Rüstungsfirmen wichtige Aufträ- Geschäften, die – im Rahmen von Offset-Verein- ge in Griechenland an Land gezogen. Ein Teil die- barungen – Investitionen in Griechenland vorsa- ser Aufträge, wie z.B. für die Panzerhaubitze 2000 hen, war von Anfang an klar, dass in der Regel wurden ganz ohne Ausschreibung vergeben. Bei die eigentliche Wertschöpfung in Deutschland anderen profitierten die deutschen Firmen da- stattfinden sollte. 15

12 Die Übersicht basiert auf einer Auswertung der BITS-Datenbank zu Deutschen Rüstungsexporten unter http://ruestungsexport-info.de/no_cache/datenbank.html (zuletzt aufgerufen am 5.12.2015) 13 Die Preisangaben sind nur Annäherungen und sollen einen Orientierungsrahmen bieten. Preisangaben von Bundesregierung, Rüstungsfirmen, Datenbanken und Fachzeitschriften weisen z.T. erhebliche Differenzen auf und beziehen sich auf unterschiedliche Leistungsumfänge. 14 Bei einigen Vorhaben, z.B. bei NH90 Hubschraubern und den U-Boot-Modernisierungen, wurden u.a. wegen Zahlungs- schwierigkeiten Anpassungen an den Stückzahlen vorgenommen. Außerdem bemühten sich Rüstungsindustrie und Bundes- regierung erfolglos um das Zustandekommen weiterer Exportgeschäfte, wie z.B. von mehr als 100.000 G36 Sturmgewehren von Heckler&Koch, mehr als 400 Schützenpanzer Marder 1A3, und DM2A4 Torpedos. 15 Vgl. als Beispiel die Ausführungen von TKMS im Rahmen des Übernahmeverfahrens von Hellenic Shipyards gegenüber der EU-Kommission. (EU Kommission, S.5) 32 Steinmetz

MBB in der Airbus Group aufgegangen sind oder Krauss-Maffei mit Wegman fusionierte. Die Bun- desregierung hat sowohl im Rahmen der NATO als auch bilateral ihr möglichstes getan, damit die Rüstungsgeschäfte mit Griechenland rei- bungslos liefen bzw. nicht ins Stottern kamen. Deutschland konnte bis zu den Anfängen der griechischen Wirtschaftskrise die Stellung als größter europäischer Lieferant von Waffentech- nik behaupten. Noch 2010 – die Wirtschaftskri- se war längst virulent und der griechische Staat pleite – lieferte die Bundeswehr mehr als 200 alte M109-Haubitzen.

Rein vom Warenfluss waren die Rüstungsbe- Die deutsch-griechischen Rüstungsbeziehun- ziehungen eine Einbahnstrasse. Der unbeding- gen verschärften die bereits vorhanden ökono- te griechische Wille zur Hochrüstung gepaart mischen Probleme in Griechenland zusätzlich. mit einer erratischen Verteidigungsplanung Die Förderung von Rüstungsexporten durch öffnete Tür und Tor für neue Rüstungsgüter. die Bundesregierung erlaubte der griechischen Deutschland lieferte – häufig am objektiven Regierung eine Fortsetzung der massiven Auf- Bedarf der Streitkräfte vorbei. Griechenland rüstungspolitik auf Schuldenbasis. Zwischen zahlte bzw. musste ausländische Hilfen und 1995-2000 waren 91,2 % der militärischen Schul- Kredite in Anspruch nehmen. Durch die Waf- den Griechenlands Schulden im Ausland, im fenlieferungen entstanden Abhängigkeiten Jahr 2000 waren es sogar 96 %. (Kollias 2004, bei den griechischen Streitkräften (Instandhal- S.192) Von den im Rahmen des JMAP geplanten tung & Ersatzteilversorgung), die die deutsche Beschaffungen sollten mehr als 60% der - Industrie für sich auch bei den Ausschreibun- ten durch ausländische und griechische Kredite gen der Nachfolgemodelle zu nutzen wusste. finanziert werden. 16 Die Verteidigungsausga- Deutsche Unternehmen konnten quasi die ben haben also zur Akkumulation öffentlicher Preise bestimmen. Zudem entstanden über die Schulden beigetragen – insbesondere zu Aus- Jahrzehnte hinweg starke „Kundenbindungen“ landsschulden – mit den damit einhergehenden und langjährige persönliche Kontakte und Ver- negativen ökonomischen Folgen für die Gesamt- flechtungen, die natürlich auch die Vergabe von wirtschaft. Folgeaufträgen an die gleichen Firmen begüns- tigen können.

Ein ideale Nährboden für Korruption Die Struktur der deutsch-griechischen Rüs- tungsbeziehungen lieferte also eine Steilvorlage Dieser kurze Überblick vermittelt einen Eindruck für Korruption. Undurchschaubare Vergabes- über die mehr als ein halbes Jahrhundert beste- trukturen und Offset-Verfahren, fehlende haus- henden, engen rüstungspolitischen und -indus- halterische Transparenz, die Zwischenschaltung triellen Beziehungen zwischen Griechenland von Vermittlern im Vergabewesen begünstigten und Deutschland. Auch heute noch sind im We- die Entstehung von inoffiziellen Entscheidungs- sentlichen die gleichen Unternehmensgruppen prozessen. Das nahezu intransparente Milliar- in Griechenland aktiv wie in den 1960er Jahren, dengeschäft mit der griechischen Rüstung weck- auch wenn HDW nun Teil von ThyssenKrupp te auf allen Seiten Begehrlichkeiten, auch etwas Marine Systems ist, viele Rüstungssparten von aus dem Honigtopf zu erhalten.

16 Vgl. Heckmann (S.68); Auch für das zweite JMAP-Programm (2001–2005) war eine 60 %-Finanzierung durch Kredite mit einer Rückzahlung bis 2010 vorgesehen. (Angelopoulos, S.84) Der griechische Honigtopf 33

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Korruption bei deutschen Rüstungsexporten : Das Beispiel Griechenland von Otfried Nassauer

Geschäfte wie geschmiert? Inzwischen ermitteln griechische Staatsanwalt- schaften gegen weit über hundert Personen, Be- Dieser Beitrag untersucht die Bedeutung der stechungsempfänger wie Schmiergeldgeber – da- Korruption bei deutschen Rüstungsexporten runter auch deutsche Staatsbürger. Die frühere nach Griechenland in den Jahren 2000-2014. 1 Spitze des Beschaffungswesens im griechischen Zwischen 2000 und 2006 vereinbarte Griechen- Verteidigungsministerium ist mittlerweile zu lan- land mit deutschen Rüstungsunternehmen gen Haftstrafen verurteilt worden: Verteidigungs- eine Reihe teurer, größerer Beschaffungsvorha- minister Akis Tsoschatzopoulos, sein Rüstungsdi- ben. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts geriet rektor Giannis Skobos und Antonios Kantas, der Griechenland immer stärker unter finanziellen stellvertretende Leiter des Beschaffungswesens Druck zunächst der Bankenkrise und dann der im Verteidigungsministerium, wurden zu Haft- Krise seiner eigenen Staatsfinanzen. Neue Rüs- strafen von 20 Jahren oder mehr verurteilt. Vielen tungsaufträge wurden nach 2006 kaum noch Anderen dürfte es künftig ähnlich ergehen. vergeben. Bei den Altverträgen wuchsen die Schwierigkeiten Athens, seinen Zahlungsver- Dass deutsche Rüstungskonzerne in Griechen- pflichtungen nachzukommen. land bestochen haben, ist nicht zu bestreiten. Etliche Konzerne und ihre Manager haben ille- Zu den großen Beschaffungsvorhaben aus der gale Zahlungen oder Steuerstrafbestände im Anfangszeit des Untersuchungszeitraums ge- Kontext von Bestechungsvorgängen eingeräumt hörten der Kauf von vier U-Booten der Klasse und Bußgelder oder Strafen akzeptiert. Manche 214 von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) Firmen versuchten zunächst, einzelne Mitarbei- – damals noch HDW – im Rahmen des Projekt Ar- ter als Alleinschuldige darzustellen, die ohne Be- chimedes und die Modernisierung von drei vor- teiligung oder Mitwissen der Firmenleitung ge- handenen U-Booten der Klasse 209/1200 mit der handelt hatten, mussten aber letztlich doch die Option auf ein viertes – das Projekt Neptun II. 2 ihnen auferlegten Bußgelder akzeptieren. Bei Krauss-Maffei Wegmann (KMW) kaufte Athen 170 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A6HEL und Wahrscheinlich wird die Aufstellung auf der fol- 24 Panzerhaubitzen 2000. Der Rheinmetall-Kon- genden Seite in den kommenden Jahren noch län- zern durfte sich über die Bestellung modernisier- ger werden. Viele Untersuchungen, Ermittlungen ter, gebrauchter Kampfpanzer des Typs Leopard und Verfahren sind noch nicht abgeschlossen – 2A4 und den Kauf von 54 Flugabwehrsystemen sowohl in Griechenland als auch in Deutschland. vom Typ ASRAD bei der Firma STN-Atlas, heute Immer noch kommen neue hinzu. Konzerne las- Rheinmetall Defence Electronics (RDE), freuen. sen ihre früheren Griechenland-Geschäfte durch Eurocopter, heute Airbus Helicopter, durfte 20 interne oder externe Ermittler aufarbeiten oder Hubschraubern des Typs NH90 liefern. Jedes prüfen, ob sie früher verantwortliche Manager einzelne dieser Geschäfte ist inzwischen in den zur Verantwortung ziehen können. Das Thema Verdacht gekommen, dass Bestechung bei der Korruption bei deutschen Rüstungsexportge- Auftragsvergabe oder -durchführung eine Rolle schäften nach Griechenland ist also noch lange gespielt haben könnte. nicht abschließend aufgearbeitet.

1 Dieser Untersuchungszeitraum bietet sich an, da in dieser Zeit in Deutschland durchgängig ein Verbot der Bestechung ausländischer Entscheidungsträger galt. 2 Auf die Angabe der Rechtsform von Firmen wird in diesem Beitrag zugunsten der Lesbarkeit wo möglich verzichtet. Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 35

: Bußen und Strafen im Kontext deutsch-griechischer Rüstungsgeschäfte 3

Firma Jahr Bußgeld/ Strafe in Mio €

KMW 2015 0,175 Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in Deutschland; Anlass: Korruption im Zusammenhang mit dem Verkauf von Panzerhaubitzen nach Griechenland

Rheinmetall 2014 37* Bußgeld in Deutschland; Anlass: Korruption im Zusammenhang mit der Lieferung von Luftverteidigungs- systemen (ASRAD)

Ferrostaal 2013 140* Bußgeld in Deutschland; Anlass: Korruption im Zusammenhang mit U-Boot-Aufträgen für Griechenland und Portugal

Daimler Benz 2010 140 Bußgeld in den USA; Anlass: Korruption im Zusammenhang mit der Lieferung von zivilen und militärischen Fahrzeugen in 22 Ländern, darunter Griechenland.

Siemens 2009 600+395 Rund 600 Mio € Bußgeld in den USA, rd. 395 Mio € in Deutschland; Anlass: Korruption im Zusammenhang mit unterschiedlichsten zivilen und militärischen Aufträgen in etlichen Ländern, u.a. in Griechenland (u.a. militärisches Kommunikationssystem).

MAN 2008 151 Bußgeld in Deutschland; Anlass: Korruption im Zusammenhang mit der Lieferung von LKW und Bussen (zivil & militärisch) unter anderem nach Griechenland).

* Durch Steuernachzahlungen und andere Kosten war die finanzielle Belastung der betroffenen Firmen im Einzelfall um einige Millionen höher. Im Fall von Rheinmetall führte dies zu einer Gesamtsumme von über 40 Mio. Euro.

Eine Aufarbeitung mit Grenzen Einnahmen im Umfang von 500 bis 800 Millio- nen Euro.(Reuters (b) 2015) Doch Athen verfügt Auffällig ist, dass, obwohl der griechische Staat über keine starke Verhandlungsposition, weil in all diesen Fällen der Geschädigte war, bis- es nur einen Teil der Korruptionszahlungen lang die Bußgelder und Steuernachzahlungen und damit des Schadens konkret nachweisen von den betroffenen Firmen in den USA und kann. Zudem ist Griechenland auch künftig bei in Deutschland geleistet werden mussten. 4 Wartung und Ersatzteilen auf jene Firmen an- Griechenland kann zwar versuchen, den erlit- gewiesen, die – von Korruption begleitet – die tenen Schaden, z.B. durch deutlich überhöhte Waffen und Rüstungsgüter geliefert haben. Beschaffungskosten, einzuklagen, muss sich Wahrscheinlich wird es deshalb häufig im Inte- aber wahrscheinlich mit vergleichsweise gerin- resse sowohl Griechenlands als auch der deut- gen Entschädigungen bescheiden. Im Athener schen Firmen liegen, außergerichtliche Lösun- Verteidigungsministerium erhofft man sich gen zu suchen. 5

3 Vgl. hierzu Balser 2010, Handelsblatt 2014, Manager-Magazin 2009, Manager-Magazin 2011, Münchener Abendzeitung 2015, Spiegel online 2008, Spiegel online 2010, Staatsanwaltschaft München 2008. 4 Eine Ausnahme stellen wenige Millionen Euro ehemaliger Bestechungsgelder dar, die geständige griechische Angeklagte, wie Antonios Kantas, der Staatskasse zurücküberwiesen haben. 5 Mit Siemens fand die Regierung in Athen bereits 2012 einen solchen Kompromiss. Siemens verzichtete auf einige Forderungen in Griechenland, unterstützte Bildungs- und Antikorruptionsprogramm in Griechenland und versprach, Arbeitsplätze in Griechenland zu erhalten. (Die Zeit 2014, Manager-Magazin 2015) Rheinmetall bemüht sich offenbar ebenfalls um eine außergerichtliche Kompromisslösung. Die Firmen wollen auf dem griechischen Markt präsent bleiben. 36 Nassauer

Die juristische Aufarbeitung vieler Bestechungs- summen geflossen sind, welche Kosten der fälle beschränkt sich zudem oft auf noch nicht Organisation der Bestechung entstanden sind, verjährte, begleitende Tatbestände wie Steu- und wie viel die Verschleierung der Zahlungen erhinterziehung oder Geldwäsche. 6 Diese sind und der Zahlungswege gekostet hat, zu denen meist leichter zu beweisen und müssen von ja auch z.B. die zwischenzeitliche Versteuerung den Betroffenen auch häufiger eingestanden der Bestechungsgelder in Drittländern gehört. werden. In Deutschland werden ausgehandel- All diese Kosten fließen gewöhnlich in die Preis- te Bußgelder und Steuernachzahlungen für die bildung des Anbieters ein und erhöhen den Preis Firmen oder Bewährungsstrafen für angeklagte für die Rüstungsgüter. Manager häufig einer langwierigen, detailrei- chen Gerichtsverhandlung vorgezogen, weil es Trotzdem lohnt die genauere Betrachtung sowohl den Behörden als auch den Betroffenen von Rüstungsexportgeschäften wie z.B. der nützt: Es begrenzt die Rufschädigung für die An- U-Boot-Geschäfte von HDW und Ferrostaal oder geklagten und den wirtschaftlichen Schaden für der Aktivitäten der Bremer Firma RDE in Grie- das Unternehmen und erspart den staatlichen chenland. Sie ermöglichen eine Vielzahl von Anklägern eine minutiöse und komplizierte Be- interessanten strukturellen Einblicken in das weisführung. Hinzu kommen weitere willkom- deutsch-griechische Korruptionsgeschehen im mene Nebeneffekte für die Unternehmen: Im Rüstungsbereich. Verlauf des Verfahrens müssen kaum Details zu den Korruptionspraktiken und der Vorge- hensweise der Beteiligten öffentlich gemacht Die U-Boot-Geschäfte werden. Den Unternehmen bietet sich die Mög- von HDW und Ferrostaal lichkeit, Teile ihrer rechtswidrigen Handlungen und Zahlungen einzuräumen, um einen schnel- Unter einem PASOK-Minister, Akis Tsoschatzo- len Abschluss der juristischen Aufarbeitung und poulos, bestellte das Athener Verteidigungsmi- eine Begrenzung des Umfangs der Ermittlungen nisterium am 15.2.2000 bei HDW und Ferrostaal auf wenige Geschäftsvorgänge oder Teilberei- drei neue U-Boote der Klasse 214. 7 Das erste che der eigenen Firma zu erreichen. Boot sollte in Deutschland hergestellt werden, die anderen beiden in Griechenland aus deut- Da oft nur Teilvorgänge korrupter Praktiken un- schen Materialpaketen. Auf ein viertes Boot si- tersucht oder gerichtlich verhandelt werden, ist cherte sich Athen eine Option. es fast unmöglich, ein Gesamtbild der meisten Korruptionsvorgänge zu erstellen. Trotz ge- Zwei Jahre später wurde unter Verteidigungsmi- richtlicher Aufarbeitung, trotz Medienberichten nister Yannis Papantoniou am 31.5.2002 ein wei- und in die Öffentlichkeit geratener Dokumente teres Vertragspaket unterzeichnet, das aus drei und Materialien lässt sich der Ablauf eines kor- Teilen bestand: Griechenland bestellte das vierte rupten Rüstungsexportgeschäfts meist nicht Boot der Klasse 214, gab die Modernisierung von widerspruchsfrei rekonstruieren. Es ist kaum drei vorhandenen U-Booten der Klasse 209/1200 festzustellen, wer für welche Tatbestände die (Glavkos) in Auftrag, sicherte sich die Option auf Verantwortung trug. Auch der durch Korrupti- ein viertes, modernisiertes U-Boot und verkauf- on entstandene Gesamtschaden kann nicht te eine marode Marinewerft, Hellenic Shipyards verlässlich abgeschätzt werden. Es fehlt an be- (HSY) in Skaramangas, an die Deutschen. Die- lastbaren Informationen, welche Bestechungs- se gehörte bislang dem griechischen Staat und

6 Die Verjährung tritt z.B. in Deutschland bei Bestechung nach fünf Jahren ein, bei Steuerhinterziehung dagegen erst nach zehn Jahren. 7 HDW verkaufte U-Boote gemeinsam mit dem Essener Handelshaus Ferrostaal als German Submarine Consortium (GSC). Als sich 2002 Ferrostaal und Thyssenkrupp mit je 15 % neben dem Haupteigentümer OEP an HDW beteiligten, wurden die Nord- seewerke in Emden (TNSW) Teil des Konsortiums. 2005 verkaufte OEP seine Anteile an HDW an Thyssenkrupp. Das Konsor- tium wurde überflüssig. Viele der folgenden Einzelangaben zu den U-Boot-Geschäften mit Griechenland sind übernommen aus: Nassauer 2011; Debevoise 2011 (S.6ff. & 30ff.). Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 37

den Beschäftigten. Die Werft sollte modernisiert Ein neuer Vertrag sah nun vor, nur noch ein äl- werden und als griechischer Hauptauftragneh- teres Boot zu modernisieren und gegen einen mer für die U-Boot-Projekte fungieren. Aufpreis zwei weitere neue U-Boote der Klas- se 214 zu bestellen. HDW verkaufte 75,1% der Bis heute lässt sich die Höhe der Auftragssum- Anteile an Hellenic Shipyards an die Privinvest me aus den vorliegenden Quellen nicht genau Shipbuilding, einen Haupteigentümer der Abu bestimmen. Insgesamt dürften sich HDW und Dhabi Mar Gruppe, und wurde zu deren Unter- Ferrostaal aber über Aufträge in einer Größen- auftragnehmer für den Bau der weiteren Boote. ordnung von mehr als zwei Milliarden Euro ge- Doch schon bald geriet auch die neue Geschäfts- freut haben. 8 führung in Skaramangas mit der Regierung in Athen in Streit. HDW kündigte den Vertrag zur Beide Geschäfte boten HDW einen weiteren An- Lieferung der weiteren Materialpakete und zog lass zu jubeln. Griechenland wurde Erstkunde sich aus dem Geschäft ganz zurück. Die Werft in für gleich zwei neue Produkte: das U-Boot der Skaramangas hat inzwischen den Betrieb einge- Klasse 214, das als erstes Export-U-Boot welt- stellt. Die griechische Marine hat deutlich mehr weit über einen von der Außenluft unabhängi- als zwei Milliarden Euro in ihre U-Boot-Flotte in- gen Brennstoffzellenantrieb verfügte, und ein vestiert, aber nicht die bestellte Zahl moderner mit diesem neuartigen Antrieb nachgerüstetes Boote erhalten. Boot der Klasse 209. Mit dem NATO-Staat Grie- chenland war ein Referenzkunde gewonnen, Interessant ist zudem: Ein großer Teil der Schul- von dem HDW sich eine substantielle Werbewir- den Griechenlands bei TKMS konnte erst begli- kung erhoffen konnte. Walter Klausmann aus chen werden, als die Europäische Union Athen der HDW-Geschäftsführung nannte den Auftrag 2010 neue Hilfsgelder ausgezahlt hatte. Aus später „zu 100% wichtig für HDW“ und fügte Schulden des griechischen Staates bei einem pri- hinzu: „Griechenland war der Eisbrecher.“ (Dahl- vaten Rüstungskonzern in Deutschland wurden kamp 2011a, S.62) also griechische Schulden, für die die Steuerzah- ler Europas letztlich haften. Die Analogie zu den Was hoffnungsvoll begann, mündete schon Vorgängen um die griechischen Staatsschulden bald nach der Fertigstellung des ersten Bootes bei privaten Banken ist frappierend. in bizarrem Streit. (Thyssen-Krupp 2010) Grie- chenland reklamierte 2006 unter einer nunmehr Die wiederholten Verzögerungen und Streitig- konservativen Regierung technische Mängel keiten führten zu einer ungewollten Nebenwir- an der „Papanikolis“ und kam seinen Zahlungs- kung: Die Verjährungsfristen für Korruptions- verpflichtungen nicht mehr nach. Trotz Nach- handlungen bei diesem Geschäft verlängerten besserungen seitens HDW verweigerte es die sich immer weiter. Die Behörden konnten so- Abnahme weiter. Bis 2009 stieg der griechische mit länger dem Verdacht nachgehen, dass die Zahlungsrückstand auf mehr als 500 Millionen U-Boot-Aufträge in Griechenland unter Zuhilfe- Euro. HDW und Ferrostaal kündigten die Verträ- nahme von Bestechungszahlungen zustande ge- ge und wollten Griechenland verklagen. kommen waren. Mittlerweile kam heraus, dass Bestechungsgelder in großem Umfang an den Nach einem erneuten Regierungswechsel in früheren Verteidigungsminister Akis Tsoschatz- Athen, der im Herbst 2009 die PASOK wieder an opoulos, an Beamte in seinem Ministerium, an die Macht brachte, begann Athen, seinen Zah- Werftmanager und an viele andere Empfän- lungsrückstand abzubauen. Das in Kiel gebau- ger gezahlt wurden. Das Geld dafür kam über- te Boot wurde schließlich 2010 abgenommen. wiegend von Ferrostaal und wurde über deren

8 Die kursierenden Werte gehen deutlich auseinander: Die von Ferrostaal mit einer Compliance-Untersuchung beauftragte Anwaltskanzlei Debevoise&Plimpton (S.30f.) geht aufgrund von Ferrostaal-Unterlagen davon aus, dass der Gesamtwert bei- der U-Boot-Aufträge knapp 1,6 Mrd. € betrug. Griechische und deutsche Medien sprechen von Gesamtkosten von bis zu 2,85 Mrd. € für die U-Boot-Geschäfte. (Vgl.: Manager-Magazin 2012) Die Mehrheit aller Quellen berichtet von einem Auftragswert von deutlich mehr als 2 Mrd.€. 38 Nassauer

Handelsvertretung in Griechenland, die Firma gänger übernommen hatte, wurde ihm offenbar MIE, gezahlt. MIE sollte eine Erfolgsprovision in der Boden unter den Füßen zu heiß. Nach einem Höhe von 6,5% des Gesamtumsatzes aus dem Gespräch mit Avatangelos in London wurden U-Boot-Geschäft bekommen. Bis zu 4,5% waren die Zahlungen an den Gebetskreis eingestellt, dafür vorgesehen, an diverse Berater oder de- obwohl sie noch nicht in der vereinbarten Höhe ren Firmen weitergereicht zu werden, die Teile geleistet worden waren. Avatangelos drohte ab dieses Geldes zu Bestechungszwecken einset- 2006 mit einem Verfahren vor einem Schweizer zen konnten. Schiedsgericht, und Ferrostaal entschied, einen Kompromiss zu suchen. Am 8.August 2007 wur- Ein von Ferrostaal beauftragter Vermittlerkreis de eine Abschlusszahlung von elf Millionen Euro für den Verkauf der U-Boote der Klasse 214 wur- an Dolmarton getätigt, die durch den Vorstands- de als „Gebetskreis“ oder „Team A“ bekannt. 9 vorsitzenden des Konzerns, Matthias Mitscher- Zum Gebetskreis gehörten Berichten zufolge lich, persönlich gezeichnet wurde, und diesen alte Bekannte aus dem Fall um Karlheinz Schrei- später für die Staatsanwaltschaft München zum ber und die Fuchs-Panzer für Saudi Arabien. Beschuldigten machen sollte. Hermann Graf von Pückler war wieder mit von der Partie, ebenso der zur Ojjeh-Gruppe gehö- Daneben gab es ein „Team B“. Es wurde vor al- rige Ago Demirdjian. Hinzu kamen unter ande- lem 2002 benötigt, als es um den Kauf der Werft rem Alexandre Avatangelos mit seinen auf den in Skaramangas ging. Es sollte sicherstellen, dass Britischen Virgin Inseln ansässigen Firmen Wil- die Gewerkschaften und die Arbeiter bei der berforce Investments und Dolmarton, und ein Übernahme der Werft mitspielen. Das war nicht Bekannter des griechischen Verteidigungsminis- ohne Weiteres zu erwarten, denn die Beschäftig- ters Akis Tsoschatzopoulos, Yannis Beltsios, ein ten hielten 49 % der Anteile an der Werft. Auch früherer Parteisekretär der PASOK. „Team B“ erhielt Geld über die Ferrostaal-Vertre- tung in Griechenland. Wichtigster Akteur war der In welchem Umfang tatsächlich Schmiergelder damalige Generalmanager der Werft, Sotiris Em- geflossen sind, ist bis heute unklar. Griechische manouil. Er war während der Verhandlungen über Ermittler nannten Summen in Höhe von 100–140 das Werftgeschäft der Verhandlungspartner von Mio. €. Vor dem Landgericht München war von HDW und Ferrostaal und soll nach der Privatisie- mindestens 62 Mio. € die Rede, zu denen aber rung der Werft Beträge in erheblicher Millionen- auch kleinere Schmiergeldzahlungen für ein höhe sowohl von HDW als auch von MIE erhalten separates U-Boot-Geschäft in Portugal addiert haben, u.a. auf Konten der ihm zugerechneten wurden. Letztlich tappen die Behörden im Dun- Firma Inveco Holdings Inc. auf den Marshall-In- keln. Klar ist nur, dass die Firma MIE insgesamt seln und indirekt über eine Firma in Hongkong. 11 55,1 Mio. € an Dritte gezahlt hat – darunter auch an Mitglieder des „Gebetskreises“. (Debevoise Was ist der Stand der gerichtlichen Aufarbeitung 2011, S.6) in diesem Korruptionsfall? In Griechenland wur- den in einem ersten Verfahren 16 Personen um Mindestens 25,3 Mio. € sind allein zwischen den ehemaligen Verteidigungsminister Akis Tso- März 2000 und Anfang 2003 über die MIE an schatzopoulos zu teils langen Haftstrafen von das „Team A“ geflossen sein. 10 Dann wechsel- bis zu 20 Jahren verurteilt. Tsoschatzopoulos te bei Ferrostaal das Personal. Zuständig für soll insgesamt Bestechungsgelder in Höhe von Griechenland wurde nun ein Manager, der auch über 55 Mio. € erhalten haben, u.a. im Kontext schon als Steuerfahnder gearbeitet hatte. Bei der U-Boot-Geschäfte. Im März 2015 wurden 32 dem U-Boot-Geschäft, das er von seinem Vor- weitere Beteiligte wegen der Korruption bei den

9 Die folgenden Ausführungen beruhen im Kern auf: Debevoise & Pimpton (2011) (S.30-55 & S.77ff.), Dahlkamp 2011a und 2011b. 10 Dieser Absatz folgt der Darstellung bei Dahlkamp 2011a und 2011b. 11 Siehe Debevoise (S.28 & 40f.); Die Zahlung der HDW über Hongkong hatte bereits 2004 die Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft in Düsseldorf geweckt, die schon damals einen unzulässigen Vorgang vermutete. Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 39

U-Boot-Aufträgen angeklagt, darunter Yannis valiersdelikt wertete: „Beide Angeklagten hätten Beltsios, Alexandre Avatangelos, Antonios Kan- jahrelang „ohne Fehl und Tadel“ für Ferrostaal tas und der Werftmanager Sotiris Emmanouil. gearbeitet und mit der Bestechung eine Praxis Die griechischen Ermittler gehen davon aus, übernommen, „die bis 1999 bei nahezu allen dass alleine über Beltsios rund 65 Mio. Euro an Unternehmen gang und gäbe war und von unse- Tsoschatzopoulos und Emmanouil geflossen ren Behörden akzeptiert wurde“, sagte [Richter] sind. Ein endgültiges Urteil steht wohl noch aus. Eckert. (Manager-Magazin 2011) Die Angeklagten (EnetEnglish 2014; To Vima 2014; Makris 2015) wurde lediglich zu Bewährungsstrafen verur- teilt, Ferrostaal zu dem bereits erwähnten Buß- In Deutschland wurde gegen die Ferrostaal ein geld von rund 140 Millionen Euro. Bußgeld in Höhe von knapp 140 Mio. € verhängt. Das zwang den Mutterkonzern MAN, den Ver- Unklar ist, ob der Fall für HDW/TKMS noch ein kauf der Mehrheit an Ferrostaal an den arabi- Nachspiel haben wird. Dafür könnte es zwei schen Investor IPIC rückgängig zu machen. Die Gründe geben: Zum einen wurde gegen die Kie- Führung von Ferrostaal unter Matthias Mit- ler Werft der Verdacht laut, sie habe über die scherlich wurde ausgetauscht. Danach verkauf- Firma eines Beraters in Hongkong Zahlungen in te MAN die Firma mit Verlust an das Hamburger zweistelliger Millionenhöhe geleistet, die dieser Investmenthaus MPC, das – offensichtlich auch an eine Firma von Yannis Beltsios weitergelei- nicht unbedingt zimperlich – einen ehemaligen tet habe, und die letztlich zu dem angeklagten Ferrostaal-Manager wieder einstellte, der wäh- griechischen Werftmanager Emmanouil gelangt rend seiner Zeit bei Ferrostaal bereits in Unter- seien. Zum anderen übernahm TKMS bei seiner suchungshaft genommen worden war. Thys- Trennung von Ferrostaal die Londoner Firma senKrupp, seit 2005 Eigner von HDW, beendete MFI, deren Verpflichtungen aus noch laufenden die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen Verträgen mit internationalen Beratern und Ver- HDW und Ferrostaal bei Marineverkäufen und mittlern für U-Boot-Geschäfte mit z.B. Südkorea, kaufte der Ferrostaal AG deren Anteile der Lon- der Türkei oder auch Ägypten möglicherweise doner Gemeinschaftsfirma MarineForce Inter- riskante Altlasten darstellen könnten. (Mur- national (MFI) sowie zwei anderen Firmen ab. 12 phy 2015) Hinzu kommt ein weiteres Problem: U-Boot-Geschäfte dauern ohnehin mindestens Vor dem Landgericht München mussten sich fünf bis sechs Jahre. Kommen Streitigkeiten wie 2013 zwei ehemalige Ferrostaal-Manager ver- bei der Papanikolis hinzu oder zahlt der Kunde antworten, darunter Johann Friedrich (Hann- später, so setzt auch die Verjährung von Kor- fried) Haun, der lange Jahre als Vorstandsmit- ruptionsstraftaten später ein. HDW/TKMS ha- glied für das U-Boot-Geschäft zuständig und zu ben wiederholt ihre Bereitschaft zur Kooperati- HDW gewechselt war. Die Manager trafen auf on mit staatlichen Ermittlern betont und bislang einen verständnisvollen Richter, der ihre straf- wurde weder in Griechenland noch in Deutsch- rechtlich relevanten Aktivitäten fast wie ein Ka- land Anklage gegen die Firma erhoben. 13

12 MFI wurde 2004 gegründet, um die gemeinsamen Vertriebsaktivitäten von HDW und Ferrostaal zu bündeln und als Ver- tragspartner gegenüber Käufern aufzutreten. Die von Ferrostaal beauftragte Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton notierte dazu folgende Beobachtung: „The intention of its shareholders to insulate themselves from potential tax and prosecutorial investigations in Germany by effectively outsourcing commission payments to a foreign joint venture entity represented an additional important consideration. Debvoise identified numerous communications that underscore the extent to which the practice of Betriebsprüfung in connection with audits of foreign consultancy payments, and related criminal law conside- rations played a part in deciding to set up MFI in London“. (Debevoise, S.77ff.) 2006 war im Gespräch, einen Beratervertrag zwischen MIE und MFI abzuschließen, möglicherweise um offene Forderungen aus den U-Boot-Geschäften mit Griechenland, dem „Altproblem“, bedienen zu können. Der Plan wurde nicht umgesetzt. Der Debevoise-Bericht signalisiert, dass die Rolle von MFI in den Folgejahren eine kritische Durchleuchtung wert gewesen wäre. Bei der Trennung von TKMS und Ferrostaal sollten die Ferrostaal-Anteile an MFI interessanterweise nicht an die Hamburger Zentrale von TKMS verkauft werden, sondern an deren Niederlassung in Singapur. Dieser Ort wurde bei Gründung der MFI als Alternative zu London diskutiert, weil er ähn- liche Vorteile wie London bot. Unklar ist, was aus den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Beratern bei mehreren U-Boot-Aufträgen wurde. 13 Das erwähnte Verfahren gegen den HDW-Manager Hannfried Haun wurde dessen früherer Tätigkeit bei Ferrostaal zugerechnet. 40 Nassauer

Die Rheinmetall-Geschäfte durch die Rechtsanwaltskanzlei Knierim / Huber war zu ähnlichen Ergebnissen wie die Staatsan- Ende 2013 vernahmen Staatsanwälte in Athen waltschaft. den früheren stellvertretenden Leiter des Be- schaffungswesens im griechischen Verteidi- Die Rüstungssparte der Rheinmetall AG ist schon gungsministerium, Antonios Kantas, wegen des länger in Bereiche untergliedert, die zugleich Verdachts der Bestechlichkeit. Seine Verneh- Konzerntöchter sind, z.B. Landsysteme oder mung endete in Untersuchungshaft. Kantas hat- Waffen & Muniton. Der Bereich Rheinmetall De- te eingeräumt, bei einer Vielzahl von Beschaf- fence Elektronics (RDE) ist in Bremen ansässig fungsvorhaben Ende der 1990er und zu Beginn und bildete früher gemeinsam mit Atlas Elektro- der 2000er Jahre Schmiergeld angenommen zu nik die Firma STN-Atlas. Noch früher firmierten haben. Er nannte konkrete Projekte und Namen, beide unter dem Namen Krupp Atlas Elektronik auch solche mit einem Bezug zu deutschen Fir- (KAE). Mindestens seit 1987 war der ehemalige men: Krauss Maffei Wegmann (KMW), Rheinme- Marine-Offizier Panos Efsthatiou mit seiner Fir- tall, STN-Atlas, die U-Boote der Klassen 214 und ma Tredeco als Griechenlandvertreter und Ver- 209, die Leopard-Panzer, das Luftverteidigungs- triebsmittler für KAE, STN-Atlas und danach RDE system ASRAD. Kantas räumte auch ein, über die tätig. Die Zusammenarbeit endete 2010, als Ef- Jahre Schmiergelder in zweistelliger Millionenhö- stathiou in den Ruhestand ging. he bekommen zu haben. Und er sagte, von wem. Während seiner Vernehmungen 2013 und 2014 Sein Geständnis hatte Folgen: Der langjähri- gestand Efstathiou, neben Kantas eine Vielzahl ge Handelsvertreter der Rheinmetall-Tochter anderer Personen im Kontext von zumindest Rheinmetall Defence Electronics (RDE, früher zwei Waffengeschäften bestochen zu haben. 14 STN-Atlas) in Griechenland, Panagotis (Panos) Efstathiou, sagte ebenfalls aus. Er erwies sich für Efstathiou‘s Firma Tredeco agierte als Handels- die Staatsanwaltschaft als Glücksfall. In der Hoff- vertretung für STN und später RDE in Griechen- nung auf strafmildernde Umstände, nannte Ef- land. Ein Teil des Geldes von STN-Atlas und RDE strathiou gezahlte Summen, deren Empfänger, floss deshalb sicher zurecht an Efstathiou’s Fir- beteiligte Unternehmen, und legte die Konten men. Vierteljährliche Tätigkeitsberichte, die Tre- seiner eigenen Firmen offen. deco an RDE schickte und Überweisungen an freie Mitarbeiter belegen das. Allerdings gab es RDE hat Ende 2014 ein Bußgeld in Höhe von 37 Auffälligkeiten. Neben Zahlungen für konkrete Mio. € akzeptiert, weil im Kontext seiner Grie- Arbeit, erfolgten auch solche für Scheintätig- chenland-Geschäfte Bestechungsgelder gezahlt keiten oder gar ohne ersichtlichen Grund. 15 Ef- und zu Unrecht Ausgaben als Betriebsausgaben stathiou änderte seine Vorgehensweise, seine steuerlich abgesetzt wurden. Eine Steuernach- Firmenstruktur und die Rolle seiner Firmen über zahlung wurde zusätzlich fällig. „Bei Rheinme- die Jahre immer wieder. Nur ein kleiner Teil der tall sind Fehler gemacht worden, dafür stehen ihm zustehenden Gelder und Erfolgsprovisio- wir gerade“, gestand der Vorstandsvorsitzen- nen wurde nach Griechenland überweisen, der de Armin Papperger ein. „Herumlavieren hätte Löwenanteil ging nach London an seine Trede- uns gar nichts gebracht.“ (Ott 2014, Güler 2015) co Consulting bzw. später an Demtec. Das dort Eine von Rheinmetall beauftragte Untersuchung eingehende Geld verteilte Efstathiou zunächst

14 Kopien griechischer Originale und/oder professionelle Übersetzungen der Aussagen und Einlassungen Efstathious ins Deut- sche befinden sich im Archiv von BITS. Auffällig ist, dass Efstathiou sein Geständnis auf die gleichen Fälle beschränkte wie Kantas. Als Firmen, an denen er zu unterschiedlichen Zeiten wirtschaftlich berechtigt war, wurden Tredeco in Athen, Tredeco als zypriotische Domizilgesellschaft, Tredeco Ltd., Tredeco Consulting bzw. ab 2005 Demtec Ltd. in London, Andromeda und Ironhelm in der Schweiz, sowie die Pacific Trade and Engineering in Panama bekannt. 15 Vgl. Tredeco Ltd: Quarterly Report for July, August&September 1999 bis Quarterly Report July, August & September 2010. Tredeco befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Liquidation. Abschlusszahlungen an Tredeco erfolgten noch bis 2011. Nachfolger von Tredeco als Repräsentant der RDE in Griechenland wurde die Firma PDK des ehemaligen Heeresoffziers und Tredeco-Mitarbeiters Panagotis D. Katsis, die die gleichen Geschäfträume nutzt wie Tredeco. Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 41

an seine anderen Auslandsfirmen, z.B. in der gen auch an subalterne Mitarbeiter gingen, wa- Schweiz und in Panama. Diese bezahlten dann ren sie in vielen Fällen fünf- und sechsstellig. Efstathious freie Mitarbeiter und Berater sowie die Empfänger von Schmiergeldern bzw. Firmen Efstathiou bestätigte in seinen Vernehmungen, an denen sie wirtschaftlich berechtigt waren. dass seine Bestechungszahlungen im Kontext unterschiedlicher Aufträge standen, die zu- Den Akten der Bremer Staatsanwaltschaft zu- nächst STN-Atlas und später RDE einwerben folge erhielt Efstathiou in den Jahren 2001–2011 wollten bzw. abwickelten. Als größte nannte er insgesamt 42.172.062,35 Euro von seinen Bre- den Vertrag über 54 ASRAD-Luftverteidigungs- mer Auftraggebern. (Ott/Telloglou 2015) Genug systeme im Wert von 143 Mio. €, der 2000 ab- jedenfalls, um bei Bedarf auch ein paar Millionen geschlossen und bis 2007 umgesetzt wurde, die aus diesen Geldern an Dritte, griechische Ent- Führungs- und Waffeneinsatzsysteme vom Typ scheidungsträger und Helfer weiterzureichen. ISUS für die U-Boote der Klassen 214 und 209 Viele dieser Zahlungen leistete Efstathiou über sowie die Modernisierung von Leopard-1 und Le- seine Schweizer Firma Ironhelm oder in frühe- opard-2-Panzern. 18 ren Jahren auch über seine Firma in Panama. Für RDE und die deutschen Behörden ist dieser Efstathiou gab an, er habe seine Anweisungen für Fall juristisch mit dem Bußgeld abgeschlossen. Of- die Zahlung von Schmiergeldern immer von be- fenbar erwies sich die Beweislage der Behörden stimmten Rheinmetall-Mitarbeitern bekommen. aufgrund der Geständnisse und der Ermittlun- Das ist zu bezweifeln, denn bei RDE war eine so gen in Griechenland und Deutschland als so gut, detaillierte Kenntnis der Athener Verteidigungs- dass sich RDE zu kooperativem Verhalten, Einge- bürokratie sicher nicht vorhanden. Efstathiou ständnissen und der Einwilligung in eine Bußgeld- und seine Mitarbeiter besaßen diese jedoch. 16 Er zahlung sowie Steuernachzahlungen veranlasst dürfte die potentiellen Geldempfänger entweder sah. Klagen von RDE gegen frühere Beschäftigte, selbst vorgeschlagen haben oder gar selbst ent- denen RDE eine Verantwortlichkeit für die Beste- schieden haben, wer Geld bekommen sollte. 17 chungsvorgänge in Griechenland zuweisen und in Regress nehmen könnte, sind denkbar, nicht zu- Anders als bei Ferrostaal und den U-Booten wa- letzt, da Efstathiou auch (Kick-Back-)Zahlungen an ren in diesem Fall überwiegend Beamte, Militärs zwei RDE-Mitarbeiter offenlegte. und vereinzelt auch Manager die Empfänger der eingestandenen Schmiergeldzahlungen. Der Weitgehend unbehelligt blieben bei den Unter- höchstrangige Beamte, den Efstathiou besto- suchungen die anderen wehrtechnischen Be- chen haben will, war Antonios Kantas. Neben reiche des Rheinmetall-Konzerns, die in Grie- Kantas erwähnte Efstathiou in seinen Verneh- chenland aktiv waren: Rheinmetall Waffe und mungen Zahlungen an eine Vielzahl von Fachbe- Munition (RWM) sowie Rheinmetall Landsyste- amten, zum Beispiel an Mitglieder technischer me (RLS). Zwischen 2000 und 2014 waren sie an Bewertungsausschüsse oder Beamte, die zu mehreren großen Waffengeschäfte beteiligt, so einem bestimmten Zeitpunkt Unterschriften zum Beispiel für das jeweilige Beschaffungsvorhaben leisten »» durch die Zulieferung von wichtigen Kom- mussten. Gelegentlich will er auch Manager vor ponenten (z.B. Kanonen) für die von KMW allem aus dem Bereich staatlicher Rüstungsbe- verkauften 170 neuen Kampfpanzer vom Typ triebe bestochen haben. Obwohl seine Zahlun- Leopard 2A6HEL;

16 In seiner Vernehmung am 27.12.2013 beschreibt Efstathiou, dass er beim ASRAD-Projekt die Kontakte zu den Bestochenen selbst pflegte. Die Vorschläge für Bestechungen bei den ISUS-Systemen seien von seinem Mitarbeiter Emmmanouil Sartzeta- kes, einem ehemaligen U-Boot-Offizier, gekommen. 17 Ein beklagter Manager von KMW betont in seinem Gerichtsverfahren, er habe auch nicht wissen wollen, wen der griechische Repräsentant vor Ort gegebenenfalls besteche. 18 Diesem Projekt ordnete Efstathiou in seinen Aussagen – soweit bekannt – keine konkreten Details zu Bestechungszahlungen und deren Empfängern zu. 42 Nassauer

Die Ermittlungen zu diesen Geschäften könn- ten sich als komplex und langwierig erweisen. In Griechenland dauern sie an. Anklagen gegen Personen oder Firmen aus Deutschland sind bisher nicht erfolgt. In Deutschland waren diese Panzergeschäfte in dem Münchener Verfahren zu den Panzerhaubitzen von KMW (s.u.) – soweit bekannt – kein Thema. Auch die Bremer Staats- anwaltschaft scheint diesen Bereich trotz an- fänglichen Interesses nicht intensiv weiter ver- folgt zu haben.

Der Rheinmetall-Konzern gibt sich in der Öffent- lichkeit geläutert. Der Vorsitzende der Rheinme- tall-Geschäftsführung, Armin Papperger, be- »» durch die Zulieferung wesentlicher Kompo- tonte im Dezember 2014, er wolle „Transparenz nenten für die von KMW produzierte Panzer- haben, und ich will, dass unsere Leute solche haubitze 2000; Geschäfte nicht machen. Lieber verzichten wir »» an einem größeren Auftrag zur Modernisie- mal auf einen Auftrag, statt uns auf fragwürdige rung von Leopard 2A4 Panzern, die die Bun- Zahlungen einzulassen.“ (Ott/Telloglou 2015) deswehr an Griechenland abgab, sowie »» durch die Lieferung von Munition für Haubit- Eine Probe aufs Exempel könnte sich im gleichen zen und Panzer. Jahr ereignet haben. Griechenland bestellte 12.000 Schuss 120mm-Panzermunition im Wert Die griechischen Ermittler vermuten, dass auch von 52 Mio.€ für seine Leopard-2-Panzer bei bei diesen Geschäften Schmiergelder gezahlt RWM. (Rheinmetall 2014) Das Interessante bei worden sein könnten. Antonios Kantas hatte diesem Auftrag: Er wurde ohne Ausschreibung schließlich gestanden, Bestechungsgelder im vergeben, obwohl Ausschreibungen in Grie- Kontext der Panzergeschäfte erhalten zu haben chenland inzwischen üblich sind und ein preis- und Efstathiou war zumindest zeitweise auch im licher Wettbewerb zwischen Rheinmetall und Interesse von RLS tätig geworden. seinen potentiellen Konkurrenten aus den USA und Griechenland möglicherweise viel Im Januar 2015 wurden in Athen Ermittlungen Geld hätte sparen können: 12.000 Schuss Pan- eingeleitet, um mögliche Bestechungszahlungen zermunition im Wert von 52 Mio.€ – das ergibt bei dem Kauf von 353 Leopard 2-Panzern auf- rein rechnerisch stolze 4.333 € pro Schuss. zuklären. 19 Auf deutscher Seite waren an diesen Geschäften und ihrer Vorbereitung Kraus-Maf- RWM hatte sich Jahre um dieses Geschäft be- fei (später KMW) sowie STN-Atlas (später RDE) müht. Aus Verträgen, Emails und Protokollen und Rheinmetall beteiligt. Der Spiegel berichtet geht hervor, dass RWM im Verlauf der Zeit nicht über einen Vermerk von STN-Atlas aus dem Jahr nur seine traditionelle Handelsvertretung in 1997, in dem eine „Koordinierung der regionalen Griechenland, Space Consulting, mit dem Mar- Vertreter“ von Krauss Maffei, Wegmann, Rhein- keting für dieses Vorhaben betraute, sondern metall und STN-Atlas angeregt wurde, da sich zumindest drei weitere Verträge einging, um daraus „die Grundstruktur für eventuell erfor- diesen Auftrag einzuwerben. 20 Für den Erfolgs- derliche N[ützliche] A[ufwendungen]“ ergebe. fall wurden den Beratern Provisionen von bis (Der Spiegel Nr.5/2015, S.71) zu 7,5 Prozent des Auftragsvolumens zugesagt,

19 Hier geht es um zwei Geschäfte mit unterschiedlichen Firmen: KMW hatte den Auftrag, 170 neuen Kampfpanzern des Typs Leopard 2A6 HEL für rund 1,7 Mrd. € zu bauen. Rheinmetall modernisierte einen Teil der 183 Leopard 2A4 Panzer für 219 Mio. € im Kontext eines Mandatsvertrags, also eines Regierungsgeschäfts. 20 Die Berater wurden über die Jahre wiederholt gewechselt. Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 43

also in einer Höhe, die es theoretisch durchaus ermöglicht hätte, auch Schmiergelder zu zahlen. Zumindest zwei Briefkastenfirmen aus Zypern, Zanecom und Glurke Finance, waren involviert. Die vorliegenden Dokumente reichen jedoch nicht bis in das Auftragsjahr 2014. Damit bleibt offen, ob es zum Zeitpunkt des Vertragsab- schlusses noch Anspruchsberechtigte aus Ver- trägen mit Vermittlern oder Firmen gab, deren Provisionen nach Abschluss des Munitionsver- trages fällig wurden. 21

Im „Fall RDE“ stießen die Ermittler auf eine ge- wachsene, alte Struktur der detaillierten, fast technisch wirkenden Einflussnahme auf Ent- scheidungen über militärische Beschaffungen. haltungen der Staatsanwaltschaft ein. Erst als sie Ein Netzwerk meist ehemaliger Offiziere agierte (aus unterschiedlichen Gründen) ihre Rechtsver- auf freiberuflicher Basis für Tredeco und Panos treter wechselten und einsehen mussten, dass Efstathiou und nutzte sowohl die eigene Fach- die Beweislage gegen sie deutlich besser war als kenntnis als auch die Beziehungen seiner Mitar- vermutet, traten sie die Flucht nach vorne und beiter in die Bürokratie, um Aufträge für RDE zu in eine vertiefte Kooperation mit den Ermittlern akquirieren. Panos Efstathiou begleitete zusam- an. Nun ging es ihnen um Schadensbegrenzung. men mit seinen freiberuflichen Mitarbeitern be- Diese konnte offenbar am besten auf dem Weg reits den bürokratischen Entstehungs- und Aus- von Eingeständnissen und einer Verhandlungs- wahlprozess der Beschaffungsprojekte, die für lösung angestrebt werden. STN-Atlas, RDE oder den Rheinmetall-Konzern von Interesse waren. Auffällig ähnlich ist auch der Umgang beider Konzerne mit Anwaltskanzleien, die sie zur Über- prüfung ihres eigenen Geschäftsgebarens ein- Vom Umgang mit Bestechung und setzten. Sowohl Debevoise & Plimpton (bei Fer- Ermittlern rostaal) als auch die Kanzlei Knierim | Huber (bei RDE) erhielten Aufträge, die recht eng auf die Für Ferrostaal und RDE dürfte es überraschend Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zugeschnitten gewesen, wieviel besser und effektiver die waren. Zusätzliche, potentiell problematische Rechtshilfe und der Informationsaustauschs Vorgänge sollten – wenn möglich – aus einer ver- zwischen den Staatsanwaltschaften in Deutsch- tieften Untersuchung herausgehalten werden. 22 land und Griechenland inzwischen funktionierte. Rheinmetall sah sich zudem mit dem unerwar- Beide Anwaltskanzleien fanden genug Hinweise teten Geständnis seines ehemaligen Griechen- darauf, dass es auch außerhalb ihres Auftrags landvertreters konfrontiert. „Leichen im Keller“ ihrer Mandanten geben könn- te. Ihre Berichte warnen vor weiteren Risiken. Beide Firmen nahmen zunächst eine abwehren- Debevoise&Plimpton machten Ferrostaal darauf de und wenig kooperative Haltung zu den Vor- aufmerksam, dass die Londoner MFI bei mehre-

21 Ein existierender Vertrag zwischen RWM und Glurke Finance, einer zypriotischen Firma, die George Pintelas zuzurechnen war, sollte im Sommer 2013 angepasst werden. Unklar ist, ob die Ursache dafür die in Griechenland neu eingeführten Verbote für Vertriebsmittler waren oder aus anderen Gründen seitens RWM eine Änderung erfolgen sollte und die Zusammenarbeit danach endete. 22 Die Ferrostaal AG beauftragte Debevoise & Plimpton hinsichtlich ihres eigenen potentiellen Fehlverhaltens bei Verkaufsaktivi- täten mit einer deutlich tiefer gehenden Analyse als bzgl. der Nachfolgestruktur für U-Boot-Verkäufe, der Londoner Gemein- schaftsfirma MFI. Knierim | Huber berichten, dass RDE ihrem Rat und dem Interesse der Staatsanwaltschaft Bremen, auch die Geschäfte mit Komponenten für den Leopard-Panzer zu untersuchen, nur begrenzt und widerstrebend folgte. 44 Nassauer

ren U-Boot-Projekten weiterhin mit problema- bereich. Diese werden oft von der Regierungen tischen, ehemaligen Vermittlern von Ferrostaal entschieden. zusammenarbeitete, und dass diese so hohe Provisionen bekamen, dass sie für Korruptions- Das war bei RDE/STN anders. Hier geht es – zahlungen ausgereicht hätten. Die Kanzlei Knie- ähnlich wie bei den anderen Bereichstöchtern rim | Huber machte RDE darauf aufmerksam, um Aufträge allenfalls in einen dreistelligen dass im Blick auf Efstathiou zu fragen sei, ob er Millionenbereich und um ein mittelständisches seine Bestechungspraxis nicht auch bei zusätz- Unternehmen, das meist keine kompletten lichen, nicht von ihm und Kantas gestandenen Waffensysteme, sondern „nur“ Komponenten Beschaffungsvorgängen zum Einsatz brachte, so verkaufen will. Über die Beschaffung solcher zum Beispiel bei Aufträgen für die Leopard-Pan- Waffenteile (z.B. Feuerleitsysteme oder die zer. Zudem wiesen sie ihren Mandanten darauf Sensorik) entscheiden die Kunden häufig ge- hin, dass sie Indizien für die Gefahr fanden, dass sondert auf der Ebene der Beschaffungsbüro- Tredecos Nachfolger als Handelsvertreter für kratie. Dort setzte deshalb auch der Einsatz von RDE in Griechenland, die Firma PDK, mit ähnli- Schmiergeldern an. Wehrtechnische Firmen chen Methoden zu Werke geht wie Tredeco. Der wie RDE können sich in einer bei der ministerial- hinter der PDK stehende ehemalige Offizier sei bürokratischen und militärischen Ebene anset- möglicherweise schon zu Tredecos Zeiten an un- zenden Akquisitions- und auch Bestechungs- lauteren Praktiken im Zusammenhang mit dem kultur oft besser bewegen als auf dem glatten Leopard-Projekt beteiligt gewesen. politischen Parkett.

Andererseits sind auch deutliche Unterschiede erkennbar: Die Ferrostaal AG besaß zur Ver- Von A (wie Airbus) bis S (wie Siemens) wunderung der beauftragten Anwälte weder ein effektives eigenes Controlling noch ein eigenes Die geschilderten Vorgänge um die Konzerne Compliance-Regime. Im Zweifel verließ man sich Ferrostaal, TKMS/HDW und Rheinmetall sind auf die Mutter, den MAN-Konzern. Die Rheinme- keine Einzelfälle. Viele weitere Firmen sind in tall AG dagegen besaß sowohl auf Konzernebene den vergangenen Jahren in Deutschland, in Grie- als auch bei den Bereichstöchtern inzwischen chenland oder in beiden Ländern ins Visier der beides. Die Töchter unterschieden sich jedoch Behörden geraten, weil bei ihren Geschäften mit deutlich hinsichtlich der Frage, wie strikt sie ihre dem griechischen Militär Schmiergelder geflos- Anti-Korruptionsregeln implementierten. RDE sen sein könnten oder sind. Die folgende kurze tat dies wohl deutlich laxer als der Bereich Land- Übersicht zeigt: ein „Who is Who“ großer deut- systeme. 23 scher (Rüstungs)Konzerne war dabei.

Schließlich der wichtigste Unterschied: Ferro- Der MAN-Konzern wurde bereits Ende 2009 in staal setzte bei der Auftragsakquise auf Beein- Deutschland mit einem Bußgeld in Höhe von flussung der politischen Ebene und nutzte dabei knapp 151 Mio. € belegt. Unter anderem hatte auch das Mittel der Bestechung. RDE/STN dage- MAN beim Verkauf von Lastwagen und Bussen gen setzte eher auf die klassische Beschaffungs- in vielen Ländern, darunter Griechenland, zwi- korruption der Arbeits- und Entscheiderebene. schen 2002 und 2009 geschmiert. Zu den ver- Dafür kann es unterschiedliche Erklärungen dächtigen Geschäften zählten auch Lieferungen geben: Ferrostaal akquiriert mit seinen inter- an das griechische Verteidigungsministerium im nationalen Büros und Repräsentanzen weltweit Wert von 21 Mio. €. Die Ermittlungen richteten relativ wenige, aber meist sehr große und teu- sich gegen mehr als 100 Personen. (Spiegel 2009, re Aufträge, nicht nur, aber auch im Rüstungs- Manager-Magazin 2009)

23 Zeitweilig war Efstathiou bei einem Schützenpanzer-Projekt auch im Interesse von RLS tätig. Trotz seines Drängens auf ein ähnliches Vertragsverhältnis wie mit RDE kam ein solches mit RLS letztlich nicht zustande, weil man bei RLS rechtliche Bedenken hatte. Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 45

Den Stuttgarter Konkurrenten, Daimler Benz, traf es ebenfalls. (Griechenland-Blog 2015) Nach Vorwürfen des US-Justizministeriums willigte der Konzern 2010 in die Zahlung eines Bußgel- des von 185 Mio. Dollar ein. Damit räumte der Konzern indirekt ein, Fahrzeugverkäufe in 22 Ländern durch Bestechung befördert zu haben – auch in Griechenland. Dort wurde nach staats- anwaltlichen Voruntersuchungen 2015 ein Ver- fahren gegen sieben Beschuldigte eingeleitet. Ihnen wird vorgeworfen, in der Amtszeit der Verteidigungsminister Akis Tsoschatzopoulos und Giannos Papantoniou Aufträge über mehr als 2.000 geländegängige Fahrzeuge der Merce- des-G-Klasse, Anhänger und 88 Mercedes-Busse Kick-Back-Zahlung erhalten, Geld, das er nicht mit Schmiergeldern im Umfang von mindestens versteuerte. Die Firmenleitung von KMW unter 2 Mio. € gefördert zu haben. (Simantke 2015) Manfred Bode soll dieses Geld unzulässigerwei- se als Betriebsausgabe bei der Steuer geltend Zu den bekanntesten und größten Korrupti- gemacht haben und „wusste, dass die Vorgän- onsfällen in Griechenland zählt der sogenannte ge heikel sind“, so der Richter Maximilian Box- Siemens-Skandal. (Ott/Telloglou 2014, Spiegel ter. (FAZ 2015) Das Urteil fiel relativ milde aus. 2014) Der deutsche Mischkonzern willigte 2008 Die Firma soll 175.000 Euro zahlen, der Manager sowohl in den USA als auch in Deutschland in wurde zu elf Monaten Haft auf Bewährung ver- Bußgeldzahlungen sowie eine Steuernachzah- urteilt. Die Staatsanwaltschaft will Revision ein- lung in Deutschland ein, die sich auf rund eine legen. Sie ermittelt weiter gegen Manfred Bode Milliarde Euro addierten. Korruptionsvorwürfe und andere Einzelpersonen.(HNA 2015) bei vielen unterschiedlichen Aufträgen in Grie- chenland (z.B. einem Modernisierungsauftrag Ein zweites, weit größeres KMW-Geschäft mit der griechischen Telefongesellschaft OTE) bilde- Griechenland, die 2003 vereinbarte Beschaffung ten den Kern der Affäre. Medienberichte weisen von 170 Kampfpanzern vom Typ Leopard 2A6HEL darauf hin, dass auch bei einem Kommunikati- für rund 1,7 Mrd. Euro, kam in dem Verfahren onssystem für das griechische Militär Beste- nicht zur Verhandlung. Auch zu diesem Geschäft chungsgelder gezahlt worden sein sollen. 2015 wird wegen möglicher Bestechungszahlungen in wurde in Griechenland ein Prozess gegen ins- Griechenland weiter staatsanwaltlich ermittelt. gesamt 64 Angeklagte eröffnet, darunter min- destens 13 Deutsche. In Deutschland wurden Beim Verkauf von 20 Transporthubschraubern bereits etliche Verfahren gegen verantwortliche des Typs NH90 an Griechenland, der 660 Mio. Manager geführt. € gekostet haben soll, untersuchen griechische Behörden, ob Airbus Helicopter (früher Euro- Korruption spielte offenbar auch beim Verkauf copter) mit Schmiergeldmillionen nachgeholfen deutscher Panzerhaubitzen von KMW nach hat, damit NH Industries – eine Gemeinschafts- Athen eine Rolle. Zu diesem Urteil kam das Land- firma, an der Airbus Helicopter die meisten An- gericht München Anfang Dezember 2015. Das teile hält – den Auftrag 2003 erhielt. Medienbe- Gericht sah es als erwiesen an, dass ein Mana- richten zufolge geht es um Zahlungen in Höhe ger von KMW der Forderung des griechischen von 41 Mio. €. Die Firma wies die Vorwürfe als Verteidigungsministers Akis Tsoschatzopoulos „grundlos“ und „rufschädigend“ zurück. (Reu- nachkam und 5,6 Millionen Euro aus Firmen- ters (a) 2015) Die griechischen Untersuchungen mitteln über ein Südosteuropa-Beratungsbüro befassen sich aber offensichtlich auch mit ande- zweier ehemaliger SPD-Abgeordneter und einen ren Fragen, zum Beispiel der verspäteten Aus- griechischen Vermittler für diesen Zweck bereit lieferung der Hubschrauber und der Möglich- stellte. Außerdem habe er rund 650.000 € als keit, dafür Schadensersatz einzufordern. Schon 46 Nassauer

Seit Antonios Kantas gestand, wer ihn bestochen hatte, und seit Panos Efstathiou offen legte, wem er Schmiergeld zukommen ließ, scheint sich die Domino-Theorie zu bestätigen: Fällt ein Stein, so fallen auch andere. Ob alle fallen werden, ist da- gegen nicht sicher. Und seit mit Akis Tsoschatzo- poulos der erste griechische Minister im Gefäng- nis sitzt, findet auch ein deutsches Sprichwort erneut Bestätigung: „Der Fisch stinkt vom Kopf her“. Ist der Kopf korrupt, so ist es meist auch der Unterbau. Michas Zacharias, der Wissen- schaftliche Direktor des Athener Instituts für Sicherheits- und Verteidigungsanalysen (ISDA), beschreibt die Rolle der Korruption im griechi- kurz nach dem Vertragsabschluss hatte eine schen Verteidigungsministerium wie folgt: „Das griechische Staatsanwaltschaft bereits 2004 Er- Verteidigungsministerium ist ein schwarzes mittlungen aufgenommen, weil Athen für diese Loch. Die Korruption war dort an der Tagesord- Hubschrauber deutlich mehr bezahlen sollte als nung, von den politischen Entscheidungsträ- Finnland. (Spiegel 2004, S.91) gern bis nach unten zu den Beamten. Für jede Unterschrift wurde bezahlt. Das System hat sich Die Firma Atlas Elektronik stieß bereits vor ei- bis heute nicht radikal verändert.“ (zitiert nach: nigen Jahren im Kontext einer internen Überprü- Roth, 2014, S. 234). fung auf mögliche Bestechungszahlungen bei Marinegeschäften mit Griechenland und erstat- In den griechischen Gerichtsverfahren zu den tete vorsichtshalber Selbstanzeige. Die zustän- Korruptionsfällen im Rüstungsbereich gehen die dige Staatsanwaltschaft in Bremen sah damals Zahlen der Beschuldigten, Angeklagten oder Ver- kein strafbares Handeln und teilte dies Atlas urteilten mittlerweile in die Hunderte. Das signa- Elektronik im März 2010 mit. 24 Es kann nicht aus- lisiert dreierlei: Erstens prägen korruptive Prak- geschlossen werden, dass neue Erkenntnisse tiken bei Rüstungsgeschäften die traditionellen aus Griechenland und die Ergebnisse von erneu- politischen Parteien, den Ministerialapparat, das ten Durchsuchungen nach 2010 die Staatsan- Offizierskorps und substantielle Teile der Wirt- waltschaft künftig zu einer anderen Beurteilung schaftselite in Griechenland. Begünstigt wurde kommen lassen. dies lange durch die Erfahrung der Eliten, weit- gehend unangreifbar und vor straf- und steuer- rechtlicher Verfolgung sicher zu sein. Zweitens Compliant weiter so? war die Bestechung eines der wesentlichen Mit- tel, um in Griechenland Aufträge zu akquirieren. Das Athener Staatsgefängnis Korydallos dürfte Deshalb haben sich Rüstungsfirmen aus etlichen dieser Tage hinter seinen Mauern so viele Mitglie- Ländern – auch Deutschland – dieses Mittels be- der der „ehrenwerten“ gesellschaftlichen Elite reitwillig und mit Erfolg bedient. Angebot und Griechenlands beherbergen wie nie zuvor. Viele Nachfrage nach Bestechung waren vorhanden. der griechischen Angeklagten aus Korruptions-, Schließlich lebte die Kultur „Nützlicher Aufwen- Steuerhinterziehungs- und Geldwäsche-Verfah- dungen“ und mangelnden Schuldbewusstseins ren verbringen dort ihre Untersuchungshaft, die bei der Bestechung von Entscheidungsträgern Zeit bis zu einem weiteren Prozess oder bereits im Ausland lnoch lange fort, obwohl beides lange Haftstrafen. Straftaten im Zusammen- rechtswidrig ist. Noch immer gibt es die Haltung: hang mit Rüstungsgeschäften sind in vielen Fäl- Man „darf sich nur nicht erwischen lassen.“ Der len der Grund. Wandel tritt nur langsam ein – vielleicht verbun-

24 Schreiben der Staatsanwaltschaft Bremen vom 26.3.2010 (BITS-Archiv). Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 47

den mit dem wachsenden Risiko, erwischt und Auf den ersten Blick scheint zumindest bei den verurteilt zu werden. größeren deutschen Konzernen inzwischen ein Bewusstseinswandel eingesetzt zu haben. Nach Die Strukturen der Korruption bei Rüstungsge- außen stellen sich Rüstungsfirmen wie TKMS schäften mit Griechenland weisen sowohl einen und Rheinmetall inzwischen gerne als Muster- nicht zu übersehenden Organisationsgrad als knaben guter Unternehmensführung und Ver- auch eine hohes Maß an geplant wirkender Ver- treter einer konsequenten „Compliance“- und schleierung auf. Lokale Handelsvermittler in ei- Antikorruptionshaltung dar. Sie können – teils ner Zweitrolle als Schmiergeldvermittler haben über Jahre zurück – durch firmeninternen Vor- über Jahre oder gar Jahrzehnte Netzwerke aus schriften nachweisen, dass sie ihre Mitarbeiter Beratern und Kontaktvermittlern aufgebaut, auf Transparenzgrundsätze und die Verhinde- die sie bei Bedarf einsetzen können. Selten ist rung von Korruption verpflichtet haben. 25 Immer dabei klar, wer nur Geld für Arbeit, zu viel Geld wieder betonen die Konzerne die Bedeutung der für wenig Arbeit oder gar Geschenke erhielt, die Korruptionsbekämpfung. Michael Salzmann, teilweise weitergereicht werden sollen. Geld- „Compliance Officer“ bei Rheinmetall, formulier- flüsse über Offshore-Firmen und Domizilge- te zum Beispiel folgende bemerkenswerte Sät- sellschaften erschweren die Recherche, nicht ze: „Die Antikorruptionsgesetze sind weltweit zuletzt, weil manchmal schon der Handelsver- verschärft worden, etwa in Großbritannien, den mittler selbst seine Geschäfte über ein Geflecht USA oder Italien. Die Behörden schauen heute von Domizilgesellschaften in unterschiedlichen zum Beispiel besonders aufmerksam auf Provi- Ländern betreibt. Das alles deutet auf ein er- sionszahlungen an Berater (...). Auch Geschäfts- hebliches Maß an krimineller Energie hin, mit partner fordern voneinander compliance-ge- dem solche Strukturen geschaffen und immer rechtes Verhalten. Ein Grund dafür liegt sicher in wieder umgebaut und angepasst werden. Es einem neuen Bewusstsein für die Schädlichkeit könnte ratsam sein, hier von organisierter Kri- von Korruption. Am Beispiel Griechenlands sieht minalität zu sprechen. man, dass mit Bestechlichkeit mittel- und lang- fristig meist auch Verarmung einhergeht.“ (Profil Deutsche Konzerne, die Rüstungsgeschäfte in 2013, S.8) Griechenland tätigen, haben beim Aufwuchs solcher Strukturen mitgewirkt, als dies noch Gut gebrüllt, Löwe. Aber zwischen Theorie und legal war. Als es illegal wurde, wollten sie meist Praxis sowie zwischen Anspruch und Wirklich- nicht mehr wissen, was ihre Ziehkinder so alles keit liegen möglicherweise Welten. Ob die In- taten. Von einer Aufsichtspflicht wollten sie erst dustrie tatsächlich Lehren aus der Vergangen- recht nichts wissen. Die Vielzahl der Rüstungs- heit gezogen hat oder ihre „Compliance-Politik“ geschäfte mit Griechenland, die heute unter eher einer noch besseren Verschleierung dient, Korruptionsverdacht stehen, signalisiert, dass ist kaum mit Sicherheit zu beurteilen. Der Teufel die Bereitschaft, Geschäfte durch Schmiergeld- steckt im Detail. Es besteht z.B. die Gefahr, dass zahlungen zu befördern, eher die Regel, denn die Firmenleitungen Compliance-Vorschriften für Ausnahme war. Die Chefetagen konzentrierten ihre Mitarbeiter nutzen, um die Verantwortung ihre Energie oft auf die Selbstabsicherung. Die für problematisches Handeln auf diese abzuwäl- Verlagerung der rechtlichen Verantwortung zu zen, damit im Ernstfall immer Einzelne und Sub- den Handelsvertretern im Ausland und zu den alterne die Schuld tragen. Auch ein leitender Mit- mit diesen kooperierenden Mitarbeitern in der arbeiter im Verkauf kann dann leicht zwischen eigenen Firma dient auch dem Eigenschutz. Not- zwei Mühlsteine geraten. Einerseits hat er die falls ermöglicht sie es, Unwissen zu reklamieren Antikorruptionsregeln seiner Firma einzuhalten bis das Gegenteil bewiesen werden kann. und andererseits die Zielvereinbarung für sei-

25 Beide Konzerne veröffentlichen als Aktiengesellschaften ihre ensprechenden Vorschriften im Internet:http://www.rheinme - tall.com/de/rheinmetall_ag/group/corporate_compliance/index.php und: http://www.thyssenkrupp.com/de/konzern/compli- ance.html (eingesehen am 19.12.2015) 48 Nassauer

nen Arbeitsplatz, die er mit seinen Vorgesetzten Q uellenverzeichnis abgeschlossen hat. Mit anderen Worten: Gelingt _ Balser, M. / Ott, K.: Siemens akzetiert 800 Millio- es ihm nicht, einen vereinbarten Auftrag für die nen Dollar Strafe, in: Süddeutsche Zeitung Online, Firma zu akquirieren, riskiert er den Verlust sei- 17.5.2010. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ nes Arbeitsplatzes. Kommt er Forderungen nach korruptionsaffaere-siemens-akzeptiert-millionen-dol- Vorteilsgewährung nach, um diesen Auftrag her- lar-strafe-1.372394 – eingesehen am 25.12.2015) einzuholen, so trägt er dafür die Verantwortung _ CorporateDir (a): ThyssenKrupp Marine Systems (India) – falls es bekannt wird. Private Limited. (http://corporatedir.com/company/ thyssenkrupp-marine-systems--india--private-limited – In vielen Ländern, in denen deutsche Rüstungs- eingesehen am19.12.2015). konzerne derzeit gute Geschäfte machen, sind _ CorporateDir (b): Dr. Gurnad Singh Sodhi (http:// rechtswidrige Zahlungen an Mitglieder der dor- corporatedir.com/officer/00715598– eingesehen am tigen Eliten und Entscheidungsträger auch wei- 19.12.2015) terhin eine Voraussetzung dafür, gute Geschäf- _ Dahlkamp, Jürgen / Dettmer, Markus / Schmidt, Jörg te machen zu können: Algerien, Ägypten, Saudi (a): Codename „Gebetskreis“, in: Der Spiegel, Nr. Arabien, Katar oder auch Indien sind nur einige 6/2011, S.60-67. der Beispiele. Die deutschen Rüstungsfirmen _ Dahlkamp, Jürgen / Schmitt, Jörg (b): Der griechische wissen das natürlich und setzen deshalb schein- Freund, in: Der Spiegel, Nr. 16/2011, S.72-74. bar gerne auf Personal, das mit der Problematik _ Debevoise & Plimpton: Ferrostaal – Final Report Com- bereits in Berührung gekommen ist. pliance Investigation. 13.4.2011. _ EnetEnglish: Getting to the depths of the bribes for TKMS hofft beispielsweise, Indien künftig sechs submarines scandal. Eleftherotypia – EnetEnglish, U-Boote der Klasse 214 verkaufen zu können. 14.1.2014. (http://www.enetenglish.gr/?i=news.en.ar- Der Geschäftsführer der indischen TKMS-Nie- ticle&id=1704 – eingesehen am 30.12.2015) derlassung ist ein erfahrener Mann und heißt _ Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): Gericht ver- Tim Krabbes. (CorporateDir (a)) Er war zuvor in hängt Bußgeld gegen Panzerbauer KMW. FAZ Online, dieser Funktion für MarineForce International in 2.12.2015. (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ London tätig. Mit ihm arbeitet in Indien Dr. Gur- unternehmen/bussgeld-gegen-panzerbauer-kmw-we- nad Singh Sodhi. Er war und ist noch immer der gen-steuerhinterziehung-13947276.html – eingesehen Vertreter von Ferrostaal in Indien. (CorporateDir am 12.12.2015) (b)) Kontinuität – so lautet das Signal. Oder auch _ Griechenland-Blog: Anklagen wegen Daimler-Schmier- „Weiter so, man darf sich nur nicht erwischen zu geldern in Griechenland. Griechenland-Blog, 1.5.2015. lassen“?. (http://www.griechenland-blog.gr/2015/05/ankla- gen-wegen-daimler-schmiergeldern-in-griechen- land/2134988/ – eingesehen am 15.12.2015) _ Güler, Cem: Griechenland will Entschädigung für Schmiergelder, in: Frankfurter Allgemein Zeitung, 23.3.2015. (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ eurokrise/griechenland/regierung-fordert-entschaedi- gung-wegen-waffendeals-13501441.htm – eingesehen am 25.12.2015) _ Handelsblatt: Rheinmetall zahlt 37 Millionen Euro Strafe. Handelsblatt, 10.12.2014. (http://www. handelsblatt.com/unternehmen/industrie/schmier- geld-skandal-rheinmetall-zahlt-37-millionen-euro-stra- fe/11103482.html – eingesehen am 25.12.2015) _ Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA): Urteil gegen Ex-KMW-Manager: Staatsanwaltschaft plant Re- vision. HNA online, 7.12.2015. (http://www.hna.de/po- litik/urteil-gegen-ex-kmw-manager-anklage-plant-revi- sion-5935775.html – eingesehen am 13.12.2015) Korruption bei deutschen Rüstungsexporten 49

_ Keep Talking Greece: Greece to exclude Siemens, Süddeutsche Zeitung Online, 25.11.2014. (http:// Rheinmetall & Eurocopter from public procure- www.sueddeutsche.de/wirtschaft/schmiergeldaffae- ments. 27.2.2015. (http://www.keeptalkinggreece. re-bei-siemens-anklage-in-athen-1.2236648 – eingese- com/2015/02/27/greece-to-exclude-siemens-rheinme- hen am 25.12.2015) tall-eurocopter-from-public-procurements/ – eingese- _ Ott, Klaus / Telloglou, Tasos: Prozente von Rhein- hen am 25.12.2015) metall, in: Süddeutsche Zeitung online, 15.1.2015. _ Knierim | Huber: Abschlussbericht: Interne Unter- (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rues- suchung Rheinmetall Defense Electronics GmbH. tungs-deals-mit-griechenland-prozente-von-rheinme- 19.12.2014. tall-1.2300181 – eingesehen am 25.12.2015) _ Leyendecker, Hans: Die große Gier. Berlin, 2007. _ Reuters (a): Airbus Helicopter rejects bribery allega- _ Makris, A.: Thirty-two Indicted Over Kickbacks for Ger- tions in Greek NH-90 deal. Reuters, 23.3.2015. (http:// man Submarines Contract. Greek Reporter, 26.3.2015. www.reuters.com/article/greece-defence-germany-air- (http://greece.greekreporter.com/2015/03/26/thir- bus-group-idUSL6N0WP3Y420150323 – eingesehen ty-two-indicted-over-kickbacks-for-german-submari- am 25.12.2015) nes-contract/ – eingesehen am 25.12.2015) _ Reuters (b): Griechenland geht gegen deutsche _ Manager-Magazin: MAN zahlt 150 Millionen Korrupti- Rüstungsschmieden vor. Reuter, 23.3.2015. (http:// onsstrafe. Manager-Magazin Online, 10.12.2009. de.reuters.com/article/companiesNews/idDEKBN0M- (http://www.manager-magazin.de/unternehmen/arti- J1E220150323 – eingesehen 30.12.2015) kel/a-666347.html – eingesehen am 24.12.2015) _ Rheinmetall Defence: Rheinmetall liefert Panzermuni- _ Manager-Magazin: Gericht verurteilt Ex-Ferrostaal-Ma- tion im Wert von über 50 Mio. EUR nach Griechenland: nager zu Bewährungsstrafen. Manager-Magazin Erstausstattung für Leopard- Panzer. Rheinmetall Online, 20.12.2011. (http://www.manager-magazin.de/ Defence Pressemitteilung, 14.8.2014. (http://www. unternehmen/artikel/a-804987.html – eingesehen am rheinmetall-defence.com/media/editor_media/rm_de- 25.12.2015) fence/publicrelations/pressemitteilungen/2014_1/ _ Manager-Magazin: Deutscher U-Boot-Deal belastet Pressemitteilung_Munitionsauftrag_Griechenland.pdf Ex-Minister. Manager-Magazin online, 11.4.2012. – eingesehen am 25.11.2015) (http://www.manager-magazin.de/politik/arti- _ Roth, Jürgen: Der stille Putsch. München, 2014. kel/a-826849.html – eingesehen am 24.12.2015). _ Salzmann, Michael: Neue Zuwendungsrichtlinie gibt _ Manager-Magazin: Athen macht Ex-Siemens-Ma- wichtige Hilfestellung, in: Das Profil, Nr.1/2013, S.8. nagern den Prozess. Manager-Magazin online, _ Simantke, Elisa: Griechenland verklagt Daimler-Ma- 27.11.2015. (http://www.manager-magazin.de/un- nager, in: Tagesspiegel, 28.4.2015. (http://www. ternehmen/industrie/nach-schmiergeldskandal-pro- tagesspiegel.de/wirtschaft/korruptionsvorwuerfe-grie- zess-gegen-ex-siemens-manager-in-athen-a-1064723. chenland-verklagt-daimler-manager/11699342.html html – eingesehen am 25.12.2015) – eingesehen am 25.12.2015) _ Münchener Abendzeitung: Gericht verhängt Bußgeld _ Der Spiegel: Eurocopter – Ermittlungen in Athen. Der gegen Panzerbauer KMW. Münchener Abendzeitung, Spiegel, Nr. 44/2004, S.91. 3.12.2015. (http://www.abendzeitung-muenchen. _ Der Spiegel: Einigung mit Behörden – Siemens beendet de/inhalt.prozesse-gericht-verhaengt-bussgeld-ge- Schmiergeldaffäre mit Milliardenbuße. Spiegel Online, gen-panzerbauer-kmw.14e078c1-1a02-4080-b423- 15.12.2008. (http://www.spiegel.de/wirtschaft/eini- 4b4124afe8df.html – eingesehen 10.12.2015) gung-mit-behoerden-siemens-beendet-schmiergeldaf- _ Murphy, Martin: Ein Verfahren namens Offset, in: Han- faere-mit-milliardenbusse-a-596598.html – eingese- delsblatt 6.8.2015 S.4,6. hen 15.12.2015) _ Nassauer, Otfried: Deutsche U-Boot-Exporte, Berlin, _ Der Spiegel: Staatsanwaltschaft: Mehr als 100 Be- 2011, 270 S. (unveröffentlichtes Manuskript für die schuldigte im Schmiergeldfall MAN. Spiegel Online, Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung) 11.9.2009. (http://www.spiegel.de/wirtschaft/staats- _ Ott, Klaus: Rheinmetall gibt Bestechung zu, in: Süd- anwaltschaft-mehr-als-100-beschuldigte-im-schmier- deutsche Zeitung 10.12.2014. (http://www.sueddeut- geldfall-man-a-624095.html – eingesehen am sche.de/wirtschaft/korruption-rheinmetall-gibt-beste- 15.12.2015) chung-bei-ruestungsdeal-zu-1.2261583 – eingesehen _ Der Spiegel: Daimler kauf sich für 185 Millionen Dollar am 25.12.2015) frei. Spiegel Online, 1.4.2010. (http://www.spiegel.de/ _ Ott, Klaus / Telloglou, Tasos: Anklage in Athen, in: wirtschaft/unternehmen/schmiergeldverfahren-daim- 50 Nassauer

ler-kauft-sich-fuer-185-millionen-dollar-frei-a-687097. html – eingesehen am 25.12.2015) _ Der Spiegel: HDW kündigt U-Boot-Vertrag mit Grie- chen. Der Spiegel, Nr.21/2011. (http://magazin.spiegel. de/EpubDelivery/spiegel/pdf/78602561 – eingesehen 26.12.2015) _ Der Spiegel: Schmiergeldaffäre: Athener Staatsanwalt erhebt Anklage gegen Ex-Siemens-Manager. Spiegel Online, 24.11.2014. (http://www.spiegel.de/wirtschaft/ unternehmen/schmiergeld-affaere-anklage-ge- gen-ex-siemens-manager-a-1004775.html – eingese- hen 25.12.2015) _ Der Spiegel: Schmieren mit Ansage. Der Spiegel, Nr. 5/2015, S. 71. _ Staatsanwaltschaft München: Bußgeldbescheid – Entwurf, 2008. (http://www.siemens.com/press/pool/ de/events/2008-12-PK/MucStaats.pdf – eingesehen am 25.12.2015) _ Thyssen-Krupp: Verträge zur Zukunftssicherung von Hellenic Shipyards in Kraft getreten. Thyssen-Krupp Pressemitteilung, 27.10.2010. (https://www.thyssen- krupp.com/de/presse/art_detail.html&eid=TKBa- se_1287474154120_599768826 – eingesehen am 26.12.2015) _ To Vima: Prosecuter refers 32 to court over subma- rine bribery scandal. To Vima, 12.12.2014. (http:// www.tovima.gr/en/article/?aid=658823 – eingesehen 30.12.2015) _ Die Zeit: Ex-Siemensmitarbeiter in Griechenland an- geklagt. Zeit Online, 25.11.2014. (http://www.zeit.de/ wirtschaft/unternehmen/2014-11/griechenland-sie- mens-schmiergeld-anklage – eingesehen 30.12.2015) Von Leoparden und U-Booten 51

Von Leoparden und U-Booten : Eine Chronik der größten deutsch-griechischen Rüstungsskandale

Tasos Telloglou

Dies ist die Geschichte von zwei der größten Aufrüstungspläne und Modernisierungspro- Rüstungsaufträge der Dritten Griechischen Re- gramme für Waffen zu forcieren. publik. Mindestens bei einem Geschäft wurde kräftig geschmiert. Im anderen wußte der Liefe- Insbesondere zwei Aufgaben wollte das grie- rant von Anfang an, dass Athen die „Ware“ kaum chische Militär vorrangig angehen: Zum einen würde bezahlen können. sollte zur Verbesserung der Fähigkeiten zur See- kriegsführung um die Inseln der östlichen Ägäis die Verlegefähigkeit der Flotte und kleinerer Ein- 1. Zwei kleine Inseln – heiten der griechischen Armee erhöht werden. zwei Beschaffungsaufträge Zum anderen sollte die Diskrepanz bei der Zahl und Kampfkraft gepanzerter Fahrzeuge in Thra- Ende 1996 – nach einer turbulenten Phase in den zien beseitigt werden. Marine und Heer wollten griechisch-türkischen Beziehungen – beschloss unbedingt ihre U-Boot- und Panzerflotten aus die sozialistische Regierung Griechenlands ein den 1970er Jahren modernisieren bzw. erneu- groß angelegtes Rüstungsprogramm. Auslöser ern. Damals waren die griechischen U-Boote waren die Ausseinandersetzungen beider Staa- der Klasse 209 von der Kieler Werft HDW gebaut ten um die griechische Doppelinseln, Doppel-In- worden. Die Kampfpanzer Leopard 1 waren bei sel(n) Imia und ... Krauss Maffei bestellt worden. Für Ersatzteil- lieferungen und Wartungsaufgaben waren die Am 31.1.1996 standen die Türkei und Griechen- griechischen Streitkräfte weiter an diese beiden land kurz vor einem Krieg um die Hoheit über Unternehmen gebunden. zwei winzige, unbewohnte Felsen 3,8 Seemei- len westlich der türkischen Küste bei Bodrum Parallel zu diesen Aufrüstungswünschen ver- und 2,5 Seemeilen östlich der nächstgelegenen handelte Athen damals auch mit Berlin und Paris griechischen Insel, Kalolimnos. Imia (türkisch: über die Aufnahme Griechenlands in die künftige Kardak) gehörte seit 1947 zu Griechenland. Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Die Türkei stellte das allerdings infrage. Als am Dabei schien es anfänglich klar, dass Griechen- Weihnachtstag 1995 das türkische Handelschiff land nicht zur ersten Ländergruppe gehören „Figen Akat“ vor Imia auf Grund lief, machte die würde, die den Euro einführt. 1 Die Gespräche Türkei geltend, dass sie diese Inseln mit den mit den deutschen Rüstungskonzernen began- Verträgen von Lausanne (1923) und Paris (1946) nen 1996. Zu der damaligen politischen Konstel- nicht abgetreten habe. Innerhalb kürzester Zeit lation gehörte auch, dass Akis Tsohatsopoulos, eskalierte der Streit und beide Länder schickten ein Mitbegründer der sozialistischen PASOK und eine Vielzahl von Kriegsschiffen. Die USA muss- früherer Adlatus von Andreas Papandreou, die ten zwischen den beiden NATO-Verbündetetn Leitung des Verteidigungsministeriums über- schlichten um einen Waffengang zu verhindern. nommen hatte. Tsohatsopoulos hatte in den frü- (Antonaros 1996) Diese Episode lieferte den Ge- hen 1970er Jahren in München gewohnt und als neralstäben beider Länder – besonders Grie- Ingenieur gearbeitet. Er pflegte enge Kontakte chenlands – den willkommenen Anlass, ihre zur deutschen SPD.

1 Interview des Verfassers mit Alex Avatangelos, einem Mitglied des „Gebetskreises“, das zu dem Portrait „Der Schattenmann“ (mit Kristiane Schlötzer ) der Süddeutschen Zeitung vom 29.7.2014 führte. 52 Telloglou

2. Das U-Boot-Geschäft 2.2. Regeln ändern sich

Schon bei der Anbahnung des U-Boot-Ge- Im Jahr 1998 ratifizierten die Bundesrepublik schäfts wurde deutlich, dass mit Komplikatio- und Griechenland die OECD Konvention gegen nen zu rechnen sein würde. Zum einen waren die Bestechung ausländischer Amtsträger im in- schnell sehr viele Akteure involviert. Zum an- ternationalen Geschäftsverkehr. Die bisherige deren musste das Kunststück gelingen, der bequeme Möglichkeit, mit „Nützlichen Aufwen- griechischen Seite das teure deutsche Ange- dungen“ eine steuerlich als Betriebsausgaben bot schmackhaft zu machen und eine Revita- absetzbare, politische Landschaftspflege zur lisierung der griechischen Werftindustrie in betreiben und Aufträge einzuwerben, war damit Aussicht zu stellen. Am Ende blieb ein Scher- zum Sterben verurteilt. benhaufen übrig: Die Versprechungen wurden nicht erfüllt. Viele der beteiligten Akteure lan- Die „Vermittler“ von solchen Zahlungen konn- deten im Gefängnis. ten nicht mehr unbehindert von der Justiz agie- ren. Die Buchführung musste andere, „kreative“ Wege für solche Zahlungen finden, denn eins 2.1. Der Gebetskreis war auch klar: Ein Zahlungsersatz mußte her, damit die ausländischen Lieferanten in Ländern Die Gespräche begannen 1997. Schnell sammel- wie Griechenland nicht aus dem Markt gedrängt te sich um die traditionellen deutschen Partner werden. bei U-Bootexporten – die Handelsfirma Ferro- staal AG und das Werftunternehmen HDW Zeitgleich wollte die griechische Regierung die – eine Gruppe, die später als „Gebetskreis“ marode Staatswerft in Skaramangas loswerden. bekannt wurde. Zu ihr gehörten u.a. Graf von Die deutschen U-Boote mit ihrer geräuschlosen Pückler, ein bayerischer Adliger mit Erfahrung Antriebstechnik waren zwar teurer als die älte- im Griechenland-Geschäft, ein Mitarbeiter des ren französischen „Dauphine-U-Boote“, aber ehemaligen französischen Aussenministers würde der höhere Preis noch so entscheidend Rolland Dumas, ein armenischer Geschäfts- sein, wenn ein Teil der Produktion neuer U-Boo- mann mit Erfahrung in Geschäften in Saudi te in diese marode Werft verlagert werden konn- Arabien und ein griechisch-libanesischer Ge- te und HDW die Werft von der griechischen Re- schäftsmann. Einige Mitglieder der Gruppe gierung übernehmen würde? wurden ausgewählt, weil Tsohatsopoulos dem Chefverkäufer von Ferrostaal, Hannfried Haun, Die deutsche Seite passte ihr Angebot also die- den Hinweis gegeben hatte, er solle sich „des sem Bedürfnis an. HDW signalisierte die Be- französischen Teams bedienen”. 2 reitschaft, die Werft zu kaufen und bekam den Auftrag. Das erste U-Boot sollte in Kiel, die an- Die Mitglieder des „Gebetskreises“ kalkulierten deren zwei in Skaramangas gebaut werden. Am mit Provisionen in Höhe von etwa 6,5 % des Ge- 15.2.2000, kurz vor den nächsten Wahlen, unter- samtumsatzes des U-Boot-Geschäftes.(Land- schrieb der Generalsekretär für Rüstungskäufe, gericht Essen 2006) Eine beträchtliche Summe, Jiannis Sbokos – der jetzt wegen Bestechlichkeit denn für zunächst drei U-Boote der Klasse 214 und Geldwäsche im Athener Gefängnis Korydal- sollte der griechische Staat bereits knapp 1,3 los sitzt – mit dem deutschen Konsortium den Mrd. Euro an das Konsortium von HDW und Fer- Vertrag zum Bau von zunächst drei U Booten des rostaal zahlen. 3 Typs 214 für die griechische Marine. 4

2 Mindestens zwei der Mitglieder dieser „Gebetsgruppe“ arbeiteten für den französischen Konzern „Vinci“, der mit kräftiger Unterstützung aus Paris, aber vergeblich, um den Auftrag für den neuen Athener Flughafen gekämpft hatte. Interview des Verfassers mit Alex Avatangellos (s.o.). 3 Später nahm das griechische Verteidigungsministerium eine Option in Anspruch und bestellte ein weiteres U Boot . 4 Die Urteile haben nur indirekt mit den U-Booten zu tun. Er wurde verurteilt wegen Mittäterschaft bei Tsohatsopoulos Geldwäscheoperationen beim Waschen der Schmiergelder aus dem U-Boot-Geschäft und wegen Bestechlichkeit bei einem Auftrag für das Heer. Von Leoparden und U-Booten 53

2.3. Pro Rata sich die griechische Regierung weiterhin, das U-Boot abzunehmen und es zu bezahlen. Am 3.3.2000 traf sich laut Anklageschrift der Athener Staatsanwaltschaft (Az Ω/ 2014/85) 2006 velor einer der „Betenden“, Alex Avatan- der Chefverkäufer von Ferrostaal, Hannfried gelos, die Geduld, weil schon länger keine Ra- Haun mit einem Mitglied des „Gebetskreises“ ten aus Erfolgsprovisionen an Mitglieder des in einem Wiener Hotel, um die Provisionen flie- Gebetskreises ausgezahlt worden waren, und ßen zu lassen. In den nächsten zwei Monaten beschloss, die Ferrostaal AG vor einem Schieds- wurden Teilsummen „pro rata“, also anteilig an gericht zu verklagen. (Landgericht Essen 2006) den Vorauszahlungen des griechischen Ver- Die Avatangelos zugerechnete Firma Dolmarton, teidigungsministeriums für die U-Boote, als ansässig auf den British Virgin Islands, verlang- Erfolgsprovisionen an die Mitglieder des „Ge- te insgesamt 66,5 Millionen Euro (inkl. Zinsen) betskreises“ und von dort in Teilen weiter, zum von Ferrostaal. Am Ende bekam sie elf Millionen Beispiel an griechische Entscheidungsträger, Euro. Avatangelos berief sich auf einen Vertrag, ausgezahlt. Insgesamt wurden in den ersten demzufolge er 4,5 % Provision von den zwei drei Monaten nach Vetragsunterschrift und Aufträgen bekommen sollte – insgesamt etwa dem Eingang einer 15-prozentigen Vorauszah- 126 Mio. € an Provisionen. Das Problem dieser lung des griechischen Ministeriums der Vertei- Forderung war, dass diese Zusagen aus der Zeit digung bei den deutschen Lieferanten 31 Mio. € vor der grundlegenden Änderung der Regeln für an Provisionen über ein Schweizer Konto der „Nützliche Aufwendungen“ stammten. griechischen Firma MIE, die Ferrostaal in Grie- chenland, vertrat, ausgezahlt. 2.5. Die paradoxe Lösung Doch das sollte nur ein Anfang gewesen sein. Im Jahr 2002 unterschrieb der neue Verteidigungs- Ergebnis dieser Hängepartie auf mehreren Ebe- minister Jiannos Papantoniou einen weiteren nen war, dass bis 2009 alles schief lief. Die Grie- Vertrag mit Ferrostaal und HDW: Diesmal ging chen nahmen weiterhin kein einziges U-Boot es um die Modernisierung von vier der acht in ab. Ihre Zahlungsrückstände wuchsen auf den 1970er Jahren gelieferten U-Boote der Klas- mehr als eine halbe Milliarde Euro. Den Deut- se 209 der griechischen Marine für 826 Millionen schen wurden mit Ausnahme einer Rate von Euro und den Verkauf der Werft in Skaramangas etwa 100 Mio. € im Herbst 2009 kaum etwas an die deutschen Firmen. (Griechisches Parla- bezahlt. HDW drohte, die 2002 gekaufte Werft ment, S.2–7) Zusätzlich bestellte Griechenland in Skaramangas aufzugeben, da sie unrentabel ein viertes U-Boot der Klasse 214, das zwei Jahre war. In den sieben Jahren seit dem Kauf blieben zuvor als Option vereinbart worden war. die U-Boote für die griechische Marine ihr einzi- ger Neubau-Auftrag.

2.4. Kein Geld Für eine „Lösung“ des Problems bot sich niemand an – außer denjenigen Mittelsmännern, die be- Schon bald nach Fertigstellung des ersten reits in den Jahren zuvor bei der Anbahnung der U-Bootes der Klasse 214 in Kiel, der „Papaniko- Offsetgeschäfte des U-Boot-Deals beteiligt wa- lis“, im Jahre 2005, wurde klar, dass Griechenland ren. Einigen von ihnen gelang es nun erneut „di- nicht das Geld haben würde, um die bestellten cke“ Provisionen für sich einzustreichen. 5 Nach U-Boote zu bezahlen. Als Vorwand für ausblei- Übernahme der griechischen Regierung durch bende Zahlungen nutzte die griechische Regie- den PASOK-Politiker George Papandreou bot rung technische Probleme des ersten Bootes. ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) als Eigen- Diese Schwierigkeiten konnten jedoch ziemlich tümer von HDW die griechische Werft dem Li- schnell korrigiert werden. Trotzdem weigerte banesen Iskadar Safa an. Der Unternehmer, der

5 Gespräche mit Alexandros Avatangelos, 27/28.7.2014. 54 Telloglou

eng mit der Abu Dhabi Mar (ADM) verbunden gungsminister Tsohatsopoulos wegen Bestech- war, kaufte 75% der Aktien der Werft im Namen lichkeit angeklagt werden sollte. der Firma Privinvest. Die TKMS blieb Minder- heitsaktionär. In seinem einzigen Interview bestritt Tsohatso- poulos im Juni 2011, dass der U-Boot-Kauf nicht Die neue griechische Regierung, die kurz zu- im Interesse der griechischen Marine war. Er lehn- vor in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten ge- te vehement jeden Vorwurf der Bestechlichkeit raten war, unterschrieb einen neuen Vertrag: ab. Allerdings konnte er nicht plausibel machen, In diesem vepflichtete sie sich zum Kauf von wie sein Haus in der teuersten Strasse Athens mit zwei zusätzlichen U-Booten des Typs 214 (ins- seinem Einkommen zu vereinbaren war. (Papa- gesamt also sechs). Gleichzeitig wurde auf die helas 2011) Einen Tag nach diesem Interview ver- Modernisierung der restlichen U209 verzichtet. öffentlichte der Untersuchungsausschuss sein Griechenland, das zu diesem Zeitpunkt bereits Fazit: Der Ferrostaal-Vertreter hatte über einen Verpflichtungen in Höhe von 2,3 Mrd. € für die Mittelsmann Summen in Millionenhöhe an die beiden U-Boot-Programme eingegangen war, zypriotische Firma Torcasso überwiesen. Diese sollte nun also noch einmal 800 Millionen Euro Firma hatte dann das von Tsohatsopoulos gemie- hinblättern. (Anastasopoulos, S.1) tete Haus gekauft. Kurz vor der Erhebung einer Offshore-Steuer durch die griechische Regierung Im Jahr 2014 warf SYRIZA dem 2009–2011 amtie- im Jahr 2010 kaufte die Gattin von Tsohatsopou- renden Verteidigungsminister Venizelos vor, dem los das Haus von einer Firma in Delaware (USA), Land damit absichtlich geschadet zu haben, al- die es wiederum von Torcasso erworben hatte. lerdings ohne dafür Beweise vorzulegen. Venize- (Bericht der Finanzpolizei, S.13) los rechtfertigte sich damit, dass ThyssenKrupp Marine Systems das Schiedgerichtsverfahren Auch in Deutschland kamen die Gerichte zu ähn- gegen die Griechische Republik gewonnen hät- lichen Ergebnissen. Das Landgericht München te und das Land zusätzlich kein einziges Boot verurteilte zwei Ferrostaal-Manager und befand bekommen würde, obwohl 2,3 Mrd. Euro schon im Dezember 2011, dass ein Drittel der Provisio- bezahlt wurden. Deswegen gab es für Venizelos nen an griechische Entscheidungsträger geflos- zur Erweiterung des Vertrages keine Alternative. sen war und auch der damalige Verteidigungs- Auch das Parlament sah das ähnlich, obwohl die minister geschmiert worden sei. (Griechisches oppositionelle Nea Dimokratia den Vertrag nicht Parlament, S.56) Die Ferrostaal AG musste ein unterstützte. Bußgeld in Höhe von 140 Mio. € zahlen.

2.6. Ermittlungen 2.7. Prozess gegen Tsohatsopoulos

Zeitgleich mit der Vertragserweiterung hatte im Zunächst schien man in Griechenland den Fall Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nicht weiter zu verfolgen. Im April 2012 wurde Tso- in Essen und München ein ehemaliger Ferro­ hatsopoulos dann doch in Untersuchungshaft ge- staal-Angestellter bei einer Befragung ausge- nommen. Das war das erste Mal in der Geschichte sagt, dass beim Verkauf der U-Boote in Griechen- der 1975 gegründeten Dritten Griechischen Re- land und Portugal „Nützliche Aufwendungen“ publik, dass ein Verteidigungsminister wegen des gezahlt worden seien. (Vergonis, S.21) Aufgrund Verdachts der Geldwäsche und Korruption fest- entsprechender Berichte der „Süddeutschen genommen wurde. Tsohatsopoulos selbst sagte Ζeitung“ und der „Kathimerini“ hat die Staatsan- dem Verfasser in mehreren Gesprächen vor sei- waltschaft in Athen auch in Griechenland Ermitt- ner Verhaftung, er sei „ein Opfer der Krise. Ohne lungen aufgenommen. (Telloglou 2010) Ein Jahr die wäre die gegen mich gerichtete Kampagne gar später installierte das griechische Parlament nicht ins Rollen gekommen“. einen Untersuchungsausschuss. Innerhalb von zwei Monaten gelangte der Ausschuss zu der Ein Jahr später kam es zum Prozess. Aufgrund Schlußfolgerung, dass der ehemalige Verteidi- von Artikel 86 der griechischen Verfassung konn- Von Leoparden und U-Booten 55

te der Ex-Minister nicht mehr wegen Bestechung sechs bestellten U-Boote der Klasse 214 über- belangt werden. Das Delikt war verjährt. Grie- nommen. Zwei weitere stehen vor der Seeerpro- chische Minister genießen eine viel kürzere Ver- bung. Es fehlt weiterhin an Geld. Die griechische jährungsfrist, die nur bis zum zweiten Jahr der Werft ist pleite. Der libanesische Investor ist ver- zweiten Legislaturperiode nach der Tat reicht. schwunden und verklagt den griechischen Staat Die Ermittler entschieden sich sich daher, Tso- in einem Schiedsverfahren in Paris. Die Werftar- hatsopoulos nicht wegen Bestechung, sondern beiter in Sakramangas Werft sind seit zwei Jah- wegen Geldwäsche anzuklagen. Zwar bezwei- ren arbeitslos. Es ist die perfekte Katastrophe. felten die Verteidiger von Tsohatsopoulos, dass (Anastasopoulos, S.2) Allerdings muss auch fest- dieser Tatbestand separat von der Haupttat (Be- gehalten werden, dass die griechischen Gerichte stechung) zu beurteilen sei, aber der politische die Straftaten geahndet haben und die Staats- Druck und der Druck der öffentlichen Meinung anwaltschaft neue, effizientere Vorgehenswei- nach der „Katharsis“ der Krise spielte die ent- sen eingeführt hat. Die griechischen Richter und scheidende Rolle bei dem Beschluss, das Ganze Staatsanwälte sind nicht mehr so obrigkeitshö- fortzuführen. 6 rig, auch wenn Griechenland weiterhin weit ent- fernt ist von dem, was man einen „europäischen Die Indizien aus Deutschland und die Offenle- Rechtsstaat“ nennt. gung der Konten hätten für eine Verurteilung trotzdem nicht ausgereicht. Am Ende war es ein Kronzeuge der Anklage, der mit seiner Aus- 3. Das Panzergeschäft und die Korruption sage Tsohatsopoulos massiv und entscheidend belastete. Dies war nur möglich aufgrund der Im Jahr 1979 begann die griechische Regierung Reform der Strafprozessordnung im Jahr 2010. mit der deutschen Firma Krauss Maffei über den Mit ihr wurde gemäß Art. 263B des griechischen Kauf von Leopard–1-Panzern zu verhandeln. Strafgesetzbuches eine Kronzeugen-Regelung Ein möglicher Vertrag war auch deswegen poli- eingeführt. Dieser Kronzeuge war Nikos Zigras, tisch hilfreich für Griechenland, weil zu diesem ein Cousin von Akis Tsohatopoulos. Er fungierte Zeitpunkt über den griechischen Beitritt zur als Statthalter der Firmen des Verteidigungsmi- Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nisters während seiner Amtszeit. Zigras steuerte diskutiert wurde. Bundeskanzler Schmidt war entscheidende „Puzzlesteine“ der Beweiskette derjenige, der mit einem griechischen Beitritt gegen seinen Verwandten bei. Bauchschmerzen hatte. Der französische Präsi- dent hatte viel weniger Skrupel. Seine Kooperation wurde vom Gericht positiv bei der Urteilsfindung berücksichtigt. Damit sollte ein Zudem kehrte Griechenland damals in die mili- starkes Signal in die Gesellschaft geschickt wer- tärische Struktur der NATO zurück und wollte in den. Die Regelung sieht vor, dass Personen, die West-Thrazien und auf den Inseln der Ostägäis bei der Aufklärung von Bestechungstaten eine kräftig nachrüsten. wichtige Rolle spielen, mit einer Bewährungsstra- fe belegt werden können. Dementsprechend be- Für die Vertragsverhandlungen wählte der da- kam Zigras sechs Jahre auf Bewährung. malige konservative Verteidigungsminister Evangelos Averoff Tositsas einen jungen Unter- nehmer aus, der bislang die Marine beliefert 2.8. Die perfekte Katastrophe hatte: Thomas Liakounakos. Er sollte in den nächsten vier Jahrzehnten zum größten Waffen- Heute, 15 Jahre nach der ersten Vertragunter- händler der Griechischen Republik avancieren. schrift, hat die griechische Marine nur zwei der (Ajiandritti 2015)

6 Im Gerichtssaal war Tsohatsopoulos ein Schatten seiner selbst, machte einen verwirrten Eindruck und bat um Milde gegenüber seiner Frau und Tochter – die beide ebenfalls wegen Geldwäsche angeklagt waren. Das Gericht sah jedoch die Beteiligung der ganzen Familie als erwiesen. Die Familie müsse ins Gefängnis, auch die Frauen, trotz der vier minderjährigen Kinder. 56 Telloglou

Der neue „starke Mann“ für die Anbahnung von Am 24.7.2001 erstellte KMW ein Memorandum Beschaffungsverträgen mit dem Verteidigungs- zu seinem Antrag auf Gewährung einer deut- ministerium kaufte sich in den nächsten Jahren schen Ausfuhrdeckung für das Projekt Leo- eine Fluglinie, Kliniken, ein Wirtschaftsblatt, pard-2 für Griechenland. Das Dokument war Schiffe und erkor sich zum nationalen „Liefe- eine aktualisierte Fassung eines ältere Memo- ranten“ der griechischen Streitkräfte. Heute randums vom 17.11.1999. Schon im Vorwort wur- sitzt auch er im Athener Gefängnis Korydallos in de klar, weshalb die Deckung der Finanzierung U-Haft wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit. so wichtig war: Auf seine Veranlassung hin sollen – so die Aussa- »» Durch den Beitritt Griechenlands zur Euro- ge des ehemaligen Rüstungsdirektor Kantas – bei päischen Wirtschafts- und Währungsunion einem Vertrag mit dem schwedischen Unterneh- (EWWU) und dem Euro seien die Bedingungen men Ericsson über die Lieferung von Radaran- für eine Umsetzung des Programms und die lagen mindestens an zwei hochrangige Beamte Finanzierung durch die griechischen Streit- des Verteidigungsministeriums Schmiergelder kräfte deutlich schwieriger geworden. geflossen sein. Liakounakos bestreitet dies. (Pol- »» Der Leopard-2 sei besser als der Challen- latos 2015) ger-Panzer der britischen Firma Vickers, der französische Panzer Leclerc und der ameri- kanische M1A2 Abrams. Aber „einer positi- 3.1. Das Problem: ven Entscheidung zu Gunsten des deutschen Kein Geld für Leopard-2-Panzer Leopard-2 kann eine unattraktive Finanzie- rungslösung entgegenstehen”. (Krauss-Maffei Liakounakos fädelte schon Anfang der 1980er Wegmann, S.3) Jahre den Leopard-1-Vertrag ein. 16 Jahre spä- »» Das Projekt sei wichtig für den Erhalt von Ar- ter sollte er auch den Leopard-2-Vertrag vor- beitsplätzen in mittelständischen Betrieben. bereiten. Die Verhandlungen über einen Kauf »» Bei einem Verzicht auf eine deutsche Finanzie- von Leopard-Panzern verliefen zunächst sehr rung zu Gunsten einer griechischen Finanzie- schleppend. Krauss Maffei war damals damit be- rung bestehe die Gefahr, dass der Cash Flow schäftigt, mit der Kasseler Rüstungsfirma Weg- für die Gesamtlaufzeit des Projektes nicht mann zu fusionieren. Im Vorfeld dieser Fusion gesichert werden könne. lieferten sich die Griechenland-Vertreter beider Firmen einen erbitterten Kampf um die Provisi- onen. Insgesamt wurde mehr als fünf Jahre ver- 3.2. Tasche mit Bargeld handelt und am Ende war zudem klar, dass der griechische Staat nicht die 1,9 Mrd. € für die ur- Auch auf griechischer Seite gab es Vorbehalte ge- sprünglich geplanten 400 Leopard-2 hatte. (Bou- gen das Geschäft. Der Panzer hatte zwar bei der gatsou 2003) technischen Erprobung am besten abgeschnit- Von Leoparden und U-Booten 57

ten, er war zu diesem Zeitpunkt aber auch der Provision aus dem Panzergeschäft bekommen teuerste Panzer. Nun trat Liakounakos in Erschei- sollte. Aus dem Rechtsstreit ging Liakounakos als nung. Ihm gelang es, das Angebot durch Einbe- Sieger hervor. Seine Firma Interaction ging dann rechnung von Offset-Geschäften und Koproduk- jedoch bei den Ermittlungen zum Radargeschäft tionen zu optimieren, so dass das Angebot von von Ericsson ins Netz. KMW am Ende viel besser dastand. Außerdem suchte Liakunakos das direkte Gespräch mit den Letztendlich ging der Auftrag an KMW. Der Ver- Verantwortlichen im griechischen Ministerium. trag wurde 2002 unterschrieben. Einer davon war Rüstungsdirektor Antonis Kan- tas. Er galt als einer, der jedes Programm stoppen oder fördern konnte. 4. Abschließende Beobachtungen

„Im Dezember 2001“, so berichtete Kantas dem Die drei Hauptverträge für die U214, U209 und ermittelnden Richter, „tauchte Liakunakos in Leopard-Panzer mit den deutschen Rüstungs- meinem Büro auf, ich wusste, dass er ein Inter- firmen HDW/Ferrostaal und KMW kosteten den esse an den Leoparden hatte, aber er ging mit griechischen Steuerzahler am Ende ihrer Lauf- keinem Wort auf das Thema ein. Nach wenigen zeit eine Summe von 4,7 Mrd. €. Etwa 4,4 Mrd. € Tagen kam er wieder zu mir. Es war später Nach- wurden an die deutschen Firmen bezahlt. Wäh- mittag und er sagte mir, ich sollte keine Einwände rend die Panzer – wenn auch mit Verspätung – im Prozess des Kaufs der Leo-2 erheben. „Er hat- inzwischen tatsächlich einsatzbereit sind, ist von te einen Rucksack bei sich und als er ging, ließ er den U-Booten bis jetzt nur eines, die „Papaniko- ihn auf dem Sofa meines Büros liegen. Als ich das lis“, in Dienst gestellt. bemerkte, verließ ich mein Büro und an der Tür sagte ich ihm: ‚Du hast die Tasche vergessen.‘ Er Ein Grund dafür könnte sein, dass die Koproduk- drehte sich um und sagte zu mir: ‚Ich habe nichts tionen mit privaten Firmen besser funktionier- vergessen, das ist für dich‘. Als er gegangen war, ten. Das griechische Verteidigungsministerium öffnete ich die Tasche und fand darin 600.000 stellte fest, dass beim Panzergeschäft die Kopro- Euro. Daraufhin habe ich aufgehört, Einwände duktion mit griechischen Firmen des privaten gegen das Programm zu erheben und hatte nie Sektors viel besser lief als bei den U-Booten und wieder mit dem Minister oder dem Generaldirek- etwa 30 % der Wertschöpfung in Griechenland tor gesprochen.“ (Ott 2013) erbracht wurden. (Griechisches Parlament, S.43) Einige griechische Firmen wie die Stahlbaufirma Liakounakos bestritt die Aussage von Kantas und METKA, die als Subunternehmen von KMW fun- verwies auf den – im Vergleich zu den U-Booten – gierte, konnten sogar an Programmen von KMW erfolgreichen Abschluss des Panzerprogramms. mit Drittländern teilnehmen. Sobald dagegen Er habe Kantas nie bestochen, dessen Aussage halbstaatliche oder Staatsunternehmen im Spiel sei „reine Erfindung”. Bei mehreren Treffen mit waren, scheiterte dieses Model zumeist wegen dem Verfasser liess er keinen Zweifel daran, dass intransparenter Handhabung und schlechten er Kantas nicht bestochen habe. Managements. Ein Beispiel ist das zweite U-Boot 214. Es kostete 10 % mehr als der im teuren In den Ermittlungen gegen Liakounakos in Mün- Deutschland produzierte Prototyp. Der Grund: chen und Athen konnte ihm hinsichtlich dieses Verglichen mit Deutschland verzögerten sich Vertrages kein gesetzwidriges Verhalten be- aufgrund der veralteten Anlagen in Skaraman- wiesen werden. Der einzige fragwürdige Punkt gas die Produktionsprozesse und erhöhten die war ein Streit zwischen seiner in Liberia regist- Kosten. rierten Firma Interaction und einer Gesellschaft namens Evanston auf den British Virgin Islands, die vom Anwalt Roland Dumas, dem ehemaligen 5. Fazit Aussenminister Francois Mitterands, vertreten wurde und mit der auch Alexander Avantange- Fünf Jahre nachdem der erste große Korrupti- los verbunden war. Es ging um die Frage, wer die onsskandal bei deutschen Waffenlieferungen 58 Telloglou

an Griechenland (wegen der U214 U-Boote) ins gerufen 16.12.2015) Rollen kam, konnte tatsächlich einiges aufge- _ Griechisches Parlament: Bericht über die Durchfüh- klärt werden. Dies hat mit einer neuen Gene- rung einer Untersuchung gegen einen ehemaligen ration von jüngeren, streitlustigen Staatsanwäl- Minister hinsichtlich des Vertrages zum Bau und der ten und Staatsanwältinnen zu tun. Es hat mit Übergabe an die Marine der U-Boote vom Typ 214. Be- einer neuen Gesetzgebung zu tun, die „Kron- richt des Untersuchungsausschusses des Griechischen zeugen“ wie z. B. Zigra, die im „inneren“ Kreis Parlaments, Athen, 2011. der Korruptionsmachenschaften agiert haben, _ Krauss-Maffei Wegmann: Memorandum zum Antrag erst möglich machte. Die politischen Rahmen- auf Gewährung einer Ausfuhrdeckung für das Projekt bedingungen für das Aufblühen der Korruption „Leopard 2 Griechenland“. 24.7.2001. haben sich allerdings nicht geändert. Die Ent- _ Landgericht Essen – Kammer für Handelssachen: scheidungen, welches Waffensystem von wem Klage der Dolmarton Associated Estate PO gegen die bestellt wird, trifft die Politik nach anderen Kri- Man/Ferrostaal Aktiengesellschaft. Reg No 717/06, terien. Diese haben sehr wohl mit dem außen- Schriftstück der Kanzlei Waldowski, Stünkel, Arendt & politischen Ressort zu tun, aber nicht immer mit Partner. dem Verteidigungsressort. Das wissen auch die _ Ott, Klaus / Telloglou, Tasos: Griechischer Ex-Spit- Angehörigen der Streitkräfte, die sich deswe- zenbeamter gesteht Schmiergeld-Deal um deut- gen an anderen Bedürfnissen und Kontakten sche Panzer. Süddeutsche Zeitung – Online, orientieren. Nicht zuletzt spielt die Aussicht auf 28.12.2013. (http://www.sueddeutsche.de/politik/ einen gut dotierten Job als „Vertreter“ im Rüs- ermittlungen-in-athen-griechischer-ex-politi- tungsgeschäft kurz nach dem Ausscheiden aus ker-gesteht-schmiergeld-deal-um-deutsche-pan- dem Amt eine wichtige – wenn nicht die eigent- zer-1.1852195 – zuletzt aufgerufen am 21.12.2015) liche – Rolle . _ Papahelas, Alexis / Telloglou, Tasos: Interview von Akis Tsohatsopoulos in der Sendung Neoi Fakelloi. Skai TV, 6.6.2011. (http://folders.skai.gr/main/theme?loca- le=el&id=228 – zuletzt aufgerufen am 14.12.2015) _ Pollatos, Makis: Mit Geld von Liakounakos kaufte sich Sbokos Krankenhäuser in Russland. Protothema, 15.12.2015. (http://www.protothema.gr/greece/artic- le/513646/liakounakos-follow-the-money/ – zuletzt quellenverzeichnis aufgerufen 15.12.2015) _ Ajiandriti, Jenny: Das romanhafte Leben von Tho- _ Staatsanwaltschaft Bremen: Bußgeldbescheid in dem mas Liakounakos – Aufstieg und Fall. Protothema, Bussgeldverfahren gegen … unter der Verfahrensbe- 6.10.2015. (http://www.protothema.gr/greece/ teiligung Rheinmetall Defence Electronics. Bremen, article/515357/hrima-opla-kai-erotes-o-vios-kai-i- 5.12.2014. politeia-tou-aplistou-thoma/ – zuletzt aufgerufen am _ Telloglou, Tasos: Schmiergelder auch für die U-Boo- 16.12.2015) te. Kathimerini, 28.3.2010 (http://www.kathimerini. _ Antonaros, Evangelos: Der Streit um Ägäis-Insel eska- gr/389095/article/epikairothta/politikh/mizes-kai-gia- liert. Die Welt, 31.1.1996 (http://www.welt.de/print- ta-ypovryxia – zuletzt aufgerufen 13.12.2015) welt/article652631/Streit-um-Aegaeis-Inseleskaliert. _ Vergonis, Efstathios: Bericht der Staatsanwaltschaft html – zuletzt aufgerufen am 19.12.2015). im OLG Athen an den Richterrat des OLG Athen wegen _ Anastasopoulos, Nikos: Bericht des Regierungsbeauf- der Anklage gegen 35 Angeklagten im U-Boot-Kom- tragten Nikos Anastasopoulos zu der Situation der Ska- plex. Athen, 12.12.2014. ramangas Werft und den Alternativen im U-Boot-Ge- schäft. 18.3.2014. _ Bericht der Finanzpolizei SDOE zum Tsohatsopou- los-Komplex. Athen, 3.3.2012. _ Bougatsou, A.: Wer bekam 20 Mio € Schmiergeld für die Leopard 2. Kathimerini, 5.10.2003. (http://www. kathimerini.gr/164125/article/epikairothta/politikh/ poioi-phran-th-miza-20-dis-twn-leopard – zuletzt auf- Gegen Korruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor 59

Was kann gegen Korruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor getan werden?

Marie-Carin von Gumppenberg

Seit über zehn Jahren arbeitet Transparency 1. Internationale Vereinbarungen International UK eng mit Rüstungs- und Sicher- heitsunternehmen, Streitkräften und Verteidi- In den letzten zwei Jahrzehnten haben zahlrei- gungsministerien zusammen, um dort Trans- che internationale Vereinbarungen sowie na- parenz, Rechenschaft und Anti-Korruption zu tionale Gesetze zum Umdenken beigetragen. fördern. Es gilt, korrupte Praktiken insbesonde- Ausgangspunkt war die „OECD Konvention ge- re bei Rüstungsgeschäften zu minimieren, z.B. gen die Bestechung ausländischer Amtsträger die Bestechung von hochrangigen Regierungs- im internationalen Geschäftsverkehr“, die 1997 beamten, um an lukrative Verträge zu kommen. verabschiedet wurde und die Vertragsstaaten In den letzten Jahren stellt Transparency Inter- verpflichtete, die Bestechung ausländischer national UK eine Trendwende fest: bei allen Be- Amtsträger unter Strafe zu stellen. Mittlerweile teiligten wächst die Sensibilität gegenüber Kor- sind alle 34 OECD-Mitglieder sowie die sieben ruptionsrisiken und deren negativen Folgen für Nicht-Mitglieder – Argentinien, Brasilien, Bulga- die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Denn rien, Kolumbien, Lettland, Russland und Südafri- es wird immer deutlicher: ka – der Konvention beigetreten »» Korruption bedeutet die Verschwendung von knappen Ressourcen; Mit dieser Konvention wurden überkommene »» Korruption reduziert die operative Einsatzfä- Denkmuster und Verhaltensweisen nicht nur higkeit; in Frage, sondern auch unter Strafe gestellt. »» Korruption schwächt das Vertrauen der Bevöl- Deutschland stellte 1999 die Bestechung aus- kerung in die Verteidigungs- und Sicherheits- ländischer Amtsträger unter Strafe und schaffte kräfte; 2002 die steuerliche Absetzbarkeit von Beste- »» Korruption schreckt immer mehr internatio- chung im Ausland ab. nal tätige Unternehmen ab, die als potentielle Zulieferer in Frage kommen würden. 2005 folgte dann das „Übereinkommen der Ver- einten Nationen gegen Korruption“ (UNCAC). Dieser Bewusstseinswandel wird insbesondere Das Übereinkommen sieht die Verhütung, Er- durch folgende Entwicklungen forciert: Immer mittlung und strafrechtliche Verfolgung der Kor- mehr internationale Vereinbarungen werden ge- ruption sowie das Einfrieren, die Beschlagnahme schlossen, um Korruption global zu bekämpfen. und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten Nationale Regierungen sind immer weniger be- vor. Deutschland hat dieses Übereinkommen reit, Ressourcenverschwendung, einhergehend erst 2014 ratifiziert, nachdem der Bundestag ein mit Korruption, zu akzeptieren, und verschärfen Gesetz zur Verschärfung der Regeln gegen die ihre Anti-Korruptions-Vorschriften. Die Medien Abgeordnetenbestechung verabschiedet hatte. recherchieren viel ausführlicher bei Korrupti- Inzwischen haben 177 Staaten das Übereinkom- onsfällen. Wichtige Akteure wie Transparency men ratifiziert – mit Ausnahme z.B. von Japan, International und die NATO entwickeln immer Nordkorea, Syrien, Tschad, Somalia und Eritrea. mehr Instrumentarien, um das Thema Trans- parenz und Integrität im Rüstungs- und Sicher- Das Umdenken gerade bei Unternehmen im heitssektor zu forcieren. Rüstungs- und Verteidigungssektor wurde auch durch nationale Gesetze mit globaler Wirkung beschleunigt; dazu gehören z.B. der US Foreign Corruption Practices Act (FCPA) von 1977 und 60 Gumppenberg

der UK Bribery Act von 2010. Der FCPA verbietet dass bei Waffengeschäften korrupte Prakti- Zahlungen und Wertgeschenke an ausländische ken angewandt werden. staatliche Amtsträger, die den Zweck haben, den Zuschlag für ein Geschäft zu erhalten oder Der ATT soll auch zu gesteigerter Transparenz eine Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten. und Zugänglichkeit von Daten einen Beitrag Darüber hinaus verpflichtet das Gesetz alle in leisten: Artikel 13.1 verpflichtet die Unterzeich- den USA börsennotierten Unternehmen dazu, nerstaaten, jährlich Bericht zu erstatten. Gera- eine auf die Antikorruptionsregeln des FCPA ab- de in diesem Bereich scheinen sich allerdings gestimmte Buchführung vorzunehmen. Der UK selbst langjährige Befürworter des ATT schwer Bribery Act weist viele Parallelen zum FCPA auf. zu tun. Bisher konnten sich die Staaten nicht Er hat ebenfalls einen weltweiten Anwendungs- auf ein angemessenes Berichtsformat einigen. bereich und sieht Sanktionen nicht nur für Konsens ist jedoch, dass die Berichte sensible natürliche Personen, sondern auch für Unter- Geschäftsinformationen und Informationen, nehmen vor. Die mit der Verletzung der beiden die die nationale Sicherheit betreffen, ausklam- Gesetze einhergehenden Sanktionen können mern können. so weitreichende Auswirkungen für die Unter- nehmen haben, dass die Minimierung von Kor- Trotz aller Unzulänglichkeiten ist der hier kurz ruptionsrisiken durch Compliance-Programme vorgestellte Vertrag ein erstes wichtiges Signal. immer mehr zum Standardgeschäftsmodell Erstmals gibt es eine internationale bindende wird. Wichtige, explizit für den Rüstungsbereich Vereinbarung zur Korruptionsbekämpfung im vereinbarte internationale Regeln zur Korrupti- konventionellen Waffenhandel. onsbekämpfung sind auch im Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty – ATT) der Vereinten Nationen niedergelegt, der am 2. „Viele Pfeile im Köcher“ – 24. Dezember 2014 in Kraft getreten ist. Bis- Konkrete Maßnahmen zu Korruptions- her sind 73 Staaten beigetreten. Deutschland prävention hat den Vertrag unterschrieben und ratifiziert; Griechenland hat bisher den Vertrag nur unter- „Es sind viele verschiedene Pfeile im Köcher schrieben, aber nicht ratifiziert. Gleichwohl sind notwendig“, so meinte Peter Eigen, der Grün- beide Staaten damit verpflichtet, sich an den der von Transparency International auf der Vertrag zu halten. Berliner Veranstaltung am 30. Juni 2015, „um Korruption im Verteidigungs- und Sicherheits- Folgende drei Elemente des Vertrages können sektor wirksam zu bekämpfen“. Viele dieser zur Korruptionsbekämpfung beitragen: Pfeile sind noch recht „jung“, sie wurden erst in »» Artikel 7.1.b.iv. schreibt verbindlich vor, den der jüngsten Vergangenheit „angefertigt“. Vor- Export von Waffen dann nicht zu genehmi- reiter ist hier Transparency International; je- gen, wenn dies eine Verletzung von inter- doch auch internationale Verteidigungsbünd- nationalen Verträgen oder Protokollen zur nisse, wie die NATO, und nationale Think Tanks, organisierten Kriminalität zur Folge hätte, was wie das norwegischen Zentrum für Integrität gemäß der Palermo-Konvention von 1998 Be- im Verteidigungssektor, haben inzwischen ei- stechung und Korruption einschließt; 1 gene „Pfeile“ entwickelt. Diese „Pfeile“ zielen »» Artikel 11.5 unterbindet die Weitergabe bzw. darauf ab, nicht nur ein Bewusstsein für Kor- den Weiterverkauf von Waffen entgegen des ruptionsrisiken und -folgen zu schaffen, son- festgelegten Endverbleibs. dern auch konkrete Instrumente an die Hand »» Artikel 15.6 fordert die Staaten explizit dazu zu geben, um Korruption zu minimieren. So auf, auf nationaler Ebene sowie gemeinsam gibt es bereits, wie nachstehend ausführlicher Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dargestellt, folgende Ansätze:

1 Das Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (auch Palermo-Konvention genannt) wurde im Jahr 2000 von der UN Generalversammlung verabschiedet. Das Übereinkommen regelt Prävention und Bekämpfung der organisierten Kriminalität und schafft Rechtsgrundlagen für internationale Rechtshilfe, Auslieferung und Polizeikooperation. Gegen Korruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor 61

»» Fundierte Studien geben Aufklärung über den ten dargestellt und analysiert. Die Ergebnisse Stand der Korruptionsbekämpfung im Vertei- beider Indizes haben wesentlich dazu beigetra- digungs- und Sicherheitssektor; gen, dass (1) Antikorruption in der Rüstungs- und »» Aufklärungskampagnen schaffen das Be- Sicherheitsindustrie offen diskutiert und immer wusstsein für korrupte Praktiken und deren häufiger im Rahmen von Compliance-Systemen Folgen; forciert wird; und (2) Korruption bei den Streit- »» Fortbildungen zu Antikorruption schärfen kräften und in den Verteidigungsministerien an- nicht nur den Blick, sondern geben konkrete gesprochen und Anti-Korruption verstärkt von Ansätze an die Hand, wie Korruption zu unter- den Parlamenten eingefordert wird. Kampag- binden ist; nen gegen einzelne korrupte Funktionäre schär- »» Handreichungen zur Risikoeinschätzung des fen zusätzlich das Bewusstsein. eigenen Bereiches ermöglichen, über interne und externe Risiken zu reflektieren und Maß- nahmen zu deren Minderung zu ergreifen; Der TI-Defence Companies Anticorruption Index »» Integritätspakte stützen sich auf externes Mo- nitoring– insbesondere bei Beschaffungspro- Transparency International UK hat im Defence zessen – und garantieren, dass Ressourcen Companies Anti-Corruption Index 2015 163 Rüs- nachhaltig und effizient eingesetzt werden. tungsunternehmen hinsichtlich der Transparenz und Qualität ihrer Compliance- und Antikorrupti- onsprogramme untersucht. 2 Laut Index verfügt 2.1. Fakten sammeln, Analysen publik fast ein Viertel aller Unternehmen über gar kei- machen, Bewusstsein schärfen ne Antikorruptionsprogramme. Der Handlungs- bedarf wird insbesondere in folgenden Punkten Transparenz ist ein wichtiger erster Schritt, um deutlich: Korruption zu unterbinden. Transparenz wird »» nur acht der 163 Unternehmen verfügen über geschaffen, indem Informationen öffentlich ge- Mechanismen, die das „Whistleblowing“ be- macht werden, die es zuvor nicht waren. Trans- günstigen und fördern; parenz zeigt den Ist-Zustand auf und ermöglicht »» nur 13 Unternehmen erfüllen ihre Sorgfalts- zugleich, zu dem Soll-Zustand Aussagen zu tref- pflicht im Umgang mit Zwischenhändlern und fen. Im Falle der beiden Anti-Korruptions-Indizes überprüfen diese auf ihre Integrität hin (due von Transparency International UK werden Fak- dilligence);

2 http://companies.defenceindex.org/ (Zuletzt aufgerufen: 11.12.2015) 62 Gumppenberg

»» nur drei Unternehmen habe detaillierte Me- den könnte. Hier besteht noch deutlicher Hand- chanismen, um Korruption bei den grundsätz- lungsbedarf. lich sehr korruptionsanfälligen Kompensati- onsgeschäften (Offsets) zu verhindern. Griechenlands Ranking ist damit begründet, dass Transparency International hohe Risiken im In dem Bericht 2015 wurde Griechenland nicht Bereich Finanzen feststellte. Berichte deuten auf einbezogen. Die fünf deutschen Unternehmen die mangelhafte Anwendung von Gesetzen und (Diehl Stiftung, Krauss-Maffei Wegmann, MTU auf eine mangelhafte Transparenz hin. Obwohl Aero Engines, Rheinmetall und Thyssen Krupp) Griechenland EU-Vergaberichtlinien übernom- schneiden im Index sehr unterschiedlich ab. 3 men hat, um seine Beschaffungsprozesse und Thyssen Krupp liegt auch im internationalen Aufsichtsmechanismen zu stärken, werden die- Vergleich weit vorn; die anderen deutschen Rüs- se Regeln seit ihrer Einführung nicht umfassend tungsunternehmen zeigen hingegen teilweise umgesetzt. noch erhebliches Verbesserungspotential (hier insbesondere im Bereich Risikomanagement und Führungsverhalten). Schlusslicht der deut- Demaskierung der Korrupten schen Unternehmen ist Krauss-Maffei Weg- („Unmask the Corrupt“) mann, das auch international einer der schlech- testen Bewertungen erhielt und insbesondere Das Internationale Sekretariat von Transparen- im Bereich des Risikomanagements Defizite auf- cy International hat 2014 das Projekt „Unmask weist. the Corrupt“ ins Leben gerufen. 5 Es geht hier darum, einzelne hoch-korrupte Personen zu „demaskieren“, indem ihnen nachgewiesen Der TI-Government Defence Anticorruption-Index wird, wohin ihre aus korrupten Praktiken erziel- ten Gelder fließen. Häufig verstecken korrupte Der Transparency International Government Beamte ihre Vermögenswerte in sicheren Hä- Defence Anti-Corruption Index zeigt, in welchen fen im Ausland, in anonymen Briefkastenfir- Umfang Regierungen Korruption im Sicherheits- men oder investieren sie in Luxus-Immobilien, und Verteidigungssektor unterbinden. 4 Der Be- -Yachten und -Autos. „Demaskiert“ wurde bis- richt kommt zum Ergebnis, dass Deutschland im her u.a. der ehemalige ukrainische Präsident Verteidigungssektor ein relativ niedriges Kor- Viktor Yanukovich. ruptionsrisiko und Griechenland ein „mittleres“ Risiko aufweisen. Wie Formen der Geldwäsche nachgewiesen wer- den können, hat Transparency International in Anders als vor zwei Jahren wird 2015 Deutsch- einem Handbuch dargelegt, das sich auf Euro- land jedoch nur mit einem „B“ bewertet (zuvor pa (auch auf Deutschland und Griechenland) „A“). Besondere Korruptionsrisiken finden sich konzentriert und Tipps gibt, wie man öffentlich nicht nur im Beschaffungsbereich (Stichwort zugängliche Online-Register durchforsten kann, Sturmgewehr), sondern auch bei deutschen um die wirklichen Eigentümer von Handelsge- Auslandseinsätzen. Denn Friedenseinsätze fin- sellschaften und Immobilien zu identifizieren. den in der Regel in fragilen Staaten und damit in einem hoch korrupten Umfeld statt. Die Bun- Ein weiteres Handbuch erläutert verfügbare deswehr weiß um die Risiken, hat jedoch noch Online-Tools zur Aufdeckung stiller Reserven keine umfassende Risikoanalyse vorgelegt, die und hinterzogener Steuergelder. Es zeigt auch, die Grundlage für Maßnahmen zur Unterbin- wie man potentielle Interessenskonflikte, ein- dung von Korruption bei Auslandseinsätzen bil- schließlich Verbindungen zwischen den ehema-

3 Airbus ist nicht in Deutschland registriert und firmiert daher nicht als deutsches Unternehmen im TI-Index. 4 http://government.defenceindex.org (Zuletzt aufgerufen: 11.12.2015) 5 https://unmaskthecorrupt.org/ (Zuletzt aufgerufen: 11.12.2015) Gegen Korruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor 63

ligen Arbeitskollegen sowie Familienangehöri- korruptes Verhalten erkennen und wie sie im Rah- gen in der Verwaltung, im Beschaffungswesen, men ihrer Fähigkeiten und ihrer Position gegen bei Baugenehmigungen und Landzuweisungen Korruption vorgehen können. Es geht hier ins- darstellen kann. besondere um eine kohärente Berichterstattung durch sichere und zuverlässige Kanäle, sowie um ein transparentes und nachhaltiges Fallmanage- 2.2. Aktiv an Veränderungen arbeiten und ment. An derartigen Kursen nehmen auch Mili- Eigeninitiative fördern tärs aus Griechenland und Deutschland teil.

Es ist wichtig, den Bedarf an Anti-Korruption im Sicherheits- und Verteidigungssektor zu identi- NATO-Programm „Building Integrity“ fizieren, in Studien ausführlich darzustellen und in Anti-Korruptions-Kampagnen öffentlich zu Seit einigen Jahren bietet die NATO das Pro- machen. Noch wichtiger ist es jedoch, bei den gramm „Building Integrity“ an. 6 Es geht um die Streitkräften und in den Verteidigungsministe- Förderung effektiv und effizient arbeitender rien selber ein Bewusstsein dafür zu schaffen, Verteidigungs- und Sicherheitsinstitutionen un- dass überkommene Denkmuster und Verhal- ter ziviler und demokratischer Kontrolle. Durch tensweisen nicht mehr angebracht sind und „Best Practice“-Verfahren und Methoden soll In- durch moderne Managementmethoden ersetzt tegrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht werden müssen, um Transparenz, Rechenschaft gestärkt und das Korruptionsrisiko reduziert und Integrität zu fördern. werden.

Das Programm ist bedarfsorientiert und die Training von Militärs Teilnahme ist freiwillig. Es ist offen für alle NA- TO-Verbündeten und Partnerstaaten. Anfragen Daher hat Transparency International UK An- aus anderen Ländern werden von der NATO tikorruptions-Kurse für die Streitkräfte entwi- auf einer Fall-zu-Fall-Basis überprüft. Das Pro- ckelt und arbeitet hier mit der NATO sowie mit gramm „Building Integrity“ kann auf die nationa- der britischen Führungsakademie zusammen. len Bedürfnisse und Anforderungen zugeschnit- Während an den NATO-Schulen (z.B. in Oberam- ten werden. Es umfasst folgende Elemente: mergau, Sarajevo und Monterey) die Zuhörer- »» einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung schaft breit gefächert ist (größtenteils OF-5 / („Self Assessment Questionnaire“) zu den Oberste), werden beim britischen Militär auch Themen demokratische Kontrolle und Mitbe- Soldaten gezielt auf Korruptionsrisiken bei Aus- stimmung, nationale Antikorruptionsgesetze landseinsätzen vorbereitet. und -politik, Korruptionsbekämpfung im Ver- teidigungs- und Sicherheitssektor, Personal- Der Trainingskurs trägt den Namen „Operati- wesen (Verhaltenskodex, Politik, Ausbildung onal Transparency, Accountability and Coun- und Disziplinierung), Planung und Budgetie- ter-Corruption Training“ (OpTACC). Ziel ist es, das rung, Militäreinsätze, Beschaffung, Interakti- Bewusstsein für Korruptionsrisiken und -folgen on mit Rüstungsunternehmen und Lieferan- innerhalb der Streitkräfte zu schärfen, aber auch ten; zu zeigen, dass Korruption beim Auslandseinsatz »» eine Peer Review, basierend auf dem Fra- in vielfältigen Formen den Erfolg der Mission in gebogen und den Konsultationen im Land, Frage stellen kann. die konkrete Empfehlungen ausspricht, deren Umsetzung regelmäßig überprüft wird; Im Rahmen des Kurses erhalten die Teilnehmer »» ein auf das Land zugeschnittenes Ausbil- praktische Leitlinien und Empfehlungen, wie sie dungs- und Trainingsprogramm;

6 http://buildingintegrity.hq.nato.int (Zuletzt aufgerufen: 11.12.2015) 7 http://cids.no/wp-content/uploads/2014/12/Integrity-Action-Plan-handbook_web.pdf (11.12.2015) 64 Gumppenberg

ler Ressourcen, Klärung von Verantwortlich- keiten und Fristen; »» Schritt 4: Ausarbeitung eines Integritätsakti- onsplans (Beschreibung der Zielsetzung und deren Umsetzung: wer was zu welchem Zeit- punkt und mit welchen Ressourcen durch- führt); »» Schritt 5: Umsetzung der geplanten Maßnah- men im Zeitraum zwischen sechs Monaten und vier Jahren; »» Schritt 6: Überwachung der Aktivitäten und Auswertung der Ergebnisse.

Weder Deutschland noch Griechenland haben bisher einen derartigen Integritätsplan umge- setzt, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Neben einigen „neuen“ (Bulgarien, Kroatien, dieser ein recht neues Instrument ist. Lettland, Ungarn, Polen) haben auch die ersten „alten“ NATO-Mitglieder diesen Prozess durch- laufen (Norwegen und Großbritannien). Außer- 2.3. Externes Monitoring forcieren dem sind Afghanistan, Armenien, Bosnien und Herzegowina, Kolumbien, Georgien, Moldau, Gerade der Bereich des Beschaffungswesens ist Montenegro, Serbien, Mazedonien und die Uk- hohen Korruptionsrisiken ausgesetzt. Diese Risi- raine beteiligt. Griechenland und Deutschland ken sind vielfältig: Gleich zu Beginn des Beschaf- nehmen bisher nicht teil. fungsprozesses besteht die Gefahr, dass keine ausreichende Bedarfsanalyse gemacht wird und dass der gesamte Beschaffungsprozess nicht Handbuch „Integrity Action Plan“ richtig durchgeplant ist. Während der Ausschrei- bung besteht das Risiko, dass Anforderungen Transparency International UK hat 2015 ge- nicht ausreichend oder nicht sachlich definiert meinsam mit dem norwegischen Zentrum für sind (z.B. nur auf einen Bieter zugeschnitten Integrität im Verteidigungssektor (CIDS, ein Teil sind), dass nicht die vorgeschriebenen Verfah- des norwegischen Verteidigungsministeriums) ren gewählt werden (geschlossene Ausschrei- ein Handbuch für einen Integritätsaktionsplan bung statt offener Ausschreibung) und/oder der („Integrity Action Plan“) veröffentlicht. 7 Dieses Zeitrahmen für die Vorbereitung des Angebots Handbuch ist ein weiterer „Pfeil“ im Köcher der nicht ausreichend ist (z.B. damit nur ein Bieter, Korruptionsbekämpfung. Es zeigt, wie Verteidi- der Informationen schon vorab hatte, zum Zuge gungsministerien und Streitkräfte im Rahmen kommen kann). eines Aktionsplans Integritätsstandards durch Transparenz, Rechenschaftspflicht und An- Während des Bieterverfahrens gib es oft Unre- ti-Korruption (TACC) setzen können. Hierzu sind gelmäßigkeiten bei der Angebotsabgabe (z.B. in- folgende Schritte vorgesehen: dem überteuerte „Scheinangebote“ abgegeben »» Schritt 1: Bewertung der Korruptionsrisiken, werden, damit der präferierte Bieter eine Chan- der Stärken und Schwächen bereits bestehen- ce erhält). In der Phase der Zuschlagserteilung der Integritätssysteme, sowie des politischen, treten am häufigsten Mängel bei der Angebots- sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen bewertung und den Vertragsverhandlungen Umfelds; auf. Risiken bei der Vertragsabwicklung ergeben »» Schritt 2: Entwicklung einer Strategie zur Prä- sich durch Nachbesserungen zum Vertrag und vention und Bekämpfung von Korruption; Vertragsänderungen (die dazu führen, dass die »» Schritt 3: Setzung von Prioritäten, Einrichtung gesamte Auftragssumme erheblich über dem einer Lenkungsgruppe, Zuweisung finanziel- geplanten Limit liegt), mangelnde Aufsicht über Gegen Korruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor 65

die Qualität und die Zeitplanung der Auftrags- In Indien ist seit 2006 vorgeschrieben, dass für umsetzung. Nach der Beendigung des Vertrages alle Beschaffungsmaßnahmen ab einem be- besteht das Risiko häufig in der falschen Abrech- stimmten Wert ein Integritätspakt geschlossen nung von Waren und Dienstleistungen. wird. Der bekannteste Fall, der aufgrund eines Integritätspaktes aufgedeckt wurde, war das Hubschraubergeschäft, das mit Augusta-West- Integritätspakte land geschlossen werden sollte. Um den Auftrag zu erhalten, sollen hochrangige Regierungs- Um diesen Risiken entgegenzuwirken, hat Trans- vertreter bestochen worden sein. Das Vertei- parency International in den 1990er Jahren das digungsministerium hat nach Bekanntwerden Instrument des Integritätspaktes entwickelt, um des Falles das Verfahren ausgesetzt und Augus- zivilgesellschaftliche Aufsicht über öffentliche ta-Westland auf die schwarze Liste gesetzt. Der Beschaffungsprozesse zu ermöglichen. 8 TI Defence Governance Anti-Korruptions-Index vom November 2015 schätzt das Korruptionsrisi- Integritätspakte sind Vereinbarungen zwischen ko in diesem spezifischen Bereich des indischen staatlichen Stellen (Beschaffungsabteilungen z.B. Verteidigungssektors als gering ein, gerade weil im Verteidigungsministerium) und Wirtschafts- die Integritätspakte ein wesentlicher Bestandteil teilnehmern (z.B. Rüstungskonzernen) bezüglich der Ausschreibungsverfahren sind. der Teilnahme an öffentlichen Beschaffungspro- zessen. Das Abkommen verpflichtet die Vertrags- parteien, auf Bestechungsgelder und Absprachen 3. Ausblick zu verzichten. Eine dritte Partei der Vereinbarung (z.B. Transparency International) überwacht die Es gibt bereits viele „Pfeile im Köcher“. Die meis- Einhaltung der Vereinbarung zwischen staatli- ten sind jedoch recht neu. Viele davon sind von cher Stelle und Wirtschaftsteilnehmer. Transparency International entwickelt worden. Es gibt aber immer mehr andere Akteure, die TI USA hat hierfür extra ein „civil society procu- Instrumente entwickeln, mit denen aktiv Kor- rement monitoring“-Instrument entwickelt, um ruption im Verteidigungs- und Sicherheitssektor zivilgesellschaftliche Organisationen bei der angegangen werden kann. Hierzu gehören die Überwachung der öffentlichen Auftragsvergabe NATO und das norwegische Zentrum für Integ- zu unterstützen. Als webbasiertes Tool ermög- rität im Verteidigungssektor. Außerdem gibt es licht es, bei öffentlichen Aufträgen die Korrupti- noch weitere Instrumente, die einzelne Vertei- onsrisiken („red flags“) zu prüfen. Das Instru- digungsministerien und Rüstungs- und Sicher- ment verfügt u.a. über folgende Komponenten: heitsunternehmen individuell entwickelt haben. »» eine Anleitung zur Überwachung des Beschaf- Es handelt sich hier um Compliance Manage- fungsprozesses; ment Systeme, die nicht nur Anti-Korruption, »» eine interaktive Checkliste, die potentielle sondern die Umsetzung aller relevanten Gesetze „red flags“ zu identifizieren hilft; und Richtlinien im Fokus haben. »» ein Forum, in dem Benutzer Erfahrungen aus- tauschen; Diese Ansätze zeigen, dass immer mehr Akteure »» ein Online-Training. daran interessiert sind, Integritätsstandards wie Transparenz, Rechenschaft und Anti-Korruption Sowohl in Deutschland wie auch in Griechenland zu etablieren. Die Einführung dieser Integritäts- konnten bereits erste Erfahrungen mit Integri- standards hat weitreichende Folgen. Denn: tätspakten gesammelt werden – jedoch nicht im »» Transparenz bedeutet die Abschaffung tra- Verteidigungs- und Sicherheitssektor. ditioneller Geheimhaltungsgewohnheiten –

8 http://www.transparency.org/whatwedo/tools/integrity_pacts (Zuletzt aufgerufen: 11.12.2015) 66 Gumppenberg

mit Ausnahme von Informationen, deren Ge- heimhaltung für die nationale Sicherheit oder Betriebssicherheit wichtig sind. »» Rechenschaft bedeutet, dass Menschen für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden. Rechenschaft beinhaltet, dass Kon- troll- und Überprüfungssysteme nicht nur vorhanden sind, sondern auch in der Lage sind, auf Verstöße zu reagieren und Straftäter für illegales oder korruptes Verhalten haftbar zu machen. »» Anti-Korruption bedeutet, dass nicht nur re- agiert, sondern auch agiert wird. Anti-Kor- ruption bedeutet, dass umfangreiche präven- tive Maßnahmen vorhanden sind, die An- reize und Möglichkeiten für Korruption und unethisches Verhalten reduzieren, und dass Vorschriften pro-aktiv umgesetzt und Unter- suchungen bei Verdacht auf korrupte Aktivitä- ten eingeleitet werden.

Das Instrumentarium ist vorhanden. Expertise und „Best Practices“ gibt es in vielfältiger Form. Nun gilt es im Wesentlichen, den Bewusstseins- wandel im Verteidigungs- und Sicherheitssektor weiter voranzutreiben, um Transparenz, Re- chenschaft und Anti-Korruption als Standards nachhaltig zu verankern. Nützliche Lektionen 67

Nützliche Lektionen : Griechenlands Krise als Chance

Otfried Nassauer / Christopher Steinmetz

Die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise in Mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Akis Griechenland hat eine ungewolllte, aber hilf- Tzoschatsopoulos, seinem Rüstungsdirektor Gi- reiche Nebenwirkung hervorgerufen. Die alten annis Skobos sowie Antonis Kantas ist die Spitze griechischen Machtstrukturen sind ins Wanken des militärischen Beschaffungswesens im Athen geraten. Die Parteienlandschaft wurde durch der frühen 2000er Jahre wegen unterschiedlicher SYRIZA aufgebrochen. Die Suche nach den Ur- Vergehen im Zusammenhang mit Rüstungskor- sachen für die horrende Staatsverschuldung ruption inzwischen zu langjährigen Haftstrafen Athens begann. Sie machte auch vor jenen Be- verurteilt worden. Viele Prozesse und Ermitt- reichen nicht halt, die sonst meist tabu blieben: lungen sind noch im Gang. Auch in Deutschland Den Selbstbedienungspraktiken und kollektiven sind erste Urteile ergangen: Manager deutscher Selbstschutzmechanismen der gesellschaftli- Firmen, die an korrupten Rüstungsgeschäften chen Eliten, die frei nach dem Motto verfahren: beteiligt waren, wurden zu Bewährungsstrafen Do ut des – gebe das Geld der Steuerzahler aus, verurteilt. Firmen wie Ferrostaal, Rheinmetall damit dir selbst gegeben werde. Sichtbar wur- oder Krauss-Maffei Wegmann wurden mit Buß- den die Umrisse eines Staates, dessen Eliten in geldern belegt und mussten hinterzogene Steu- Politik, Verwaltung, Streitkräften und Wirtschaft ern nachzahlen. Die Aufarbeitung ist also ins Rol- den Staatshaushalt über Jahrzehnte als Kuh be- len gekommen. Abgeschlossen ist sie noch lange trachtet haben, die nur zum eigenen Vorteil ge- nicht. In Griechenland werden weitere Klagen molken werden musste. Besonders ergiebig war vorbereitet. Auch in Deutschland laufen noch dabei der Verteidigungshaushalt. Lange konnte viele Ermittlungen. man Millionen von Steuergeldern aus diesem unbemerkt oder zumindest ungestraft in die ei- genen Tasche verschwinden lassen. Eine bestechende Bilanz?

Als besonders umfangreich erwiesen sich die Die Beiträge in dieser Broschüre haben gezeigt: Hinweise auf Korruption bei Geschäften, an Die deutschen Rüstungskonzerne konnten ihren denen deutsche Rüstungskonzerne beteiligt Marktanteil in Griechenland in den ersten Jah- waren. Aus den Kassen deutscher Konzerne ren dieses Jahrhunderts deutlich steigern. Athen wie Ferrostaal, Rheinmetall oder Krauss-Maffei war ein guter und gern gesehener Kunde, der Wegmann sind bei Rüstungsexporten nach Grie- Milliarden ausgab und wesentlich dazu beitrug, chenland viele Millionen in den privaten Taschen dass Deutschland in den Statistiken des Stock- von griechischen Politikern, Mitarbeitern des holmer Friedensforschungsinstituts SIPRI zum Beschaffungswesens, Offizieren, Geschäftsleu- drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt auf- ten und Vermittlern versickert. Die Kosten der steigen konnte. Korruption versteckten sich in den überhöhten Preisen, die der griechische Staat für seine Waf- Der Weg zu diesem „Erfolg“ hatte immer wieder fenimporte bezahlt hat und die heute einen Teil einen verschwiegenen Vater: Die Bereitschaft der drückenden Schuldenlast Griechenlands zu bestechen. Praktisch alle großen Beschaffun- ausmachen. Die Rechnung dafür bezahlen die gen Griechenlands bei deutschen Rüstungsun- griechischen Bürger: Mit Einschnitten in die So- ternehmen in den 2000er Jahren stehen heute zialleistungen, Entlassungen und Steuererhö- unter diesem Verdacht. Bei etlichen ist er inzwi- hungen wird ihnen dieses Geld nun mit Zins- und schen bewiesen. Bei anderen ist zu vermuten, Zinseszinsen zum zweiten Mal aus der Tasche dass er noch bewiesen werden kann. Es ergibt gezogen. sich das Bild einer deutschen Rüstungsindustrie, 68 Nassauer / Steinmetz

die immer wieder gerne „gleiche Wettbewerbs- befördert haben dürfte. Die Untersuchung der bedingungen“ fordert und zugleich rechtswidrig Akteure Ferrostaal und Marinforce Internatio- zum eigenen Vorteil „foul“ spielt. nal durch die US-Anwaltskanzlei Debevoise&- Plimpton legt z.B. nahe, dass der weltweite Er- Durch Korruption ermöglichte Rüstungsex- folg deutscher Export-U-Boote durchaus der port“erfolge“ können in einen Teufelskreis füh- Bereitschaft der Verkäufer und ihrer Kooperati- ren. Sie tragen dazu bei, dass die Industrie Pro- onspartner geschuldet sein könnte, Korruption duktionskapazitäten aufrecht erhalten kann, die als Schmiermittel der Auftragsakquisition ein- normalerweise abgebaut werden müssten. Die zusetzen. Das Bemühen um Aufklärung muss Abhängigkeit der deutschen wehrtechnischen weiter gehen. Industrie von Exporten ist in den vergangenen Jahrzehnten schon deutlich gewachsen. Viele deutsche Rüstungsfirmen erzielen heute 60 oder Pfeile im Köcher mehr Prozent ihres Umsatzes im Export. Um die Auslastung der vorhandenen Produktionskapa- Die Beiträge dieser Broschüre verdeutlichen zitäten künftig zu sichern, bedarf es wieder neu- zugleich, dass zur Bekämpfung korrupter Prak- er Export“erfolge“. Um diese zu erringen, kann tiken bereits viele wirksame Instrumente exis- erneut die Bereitschaft gefordert sein, zu dem tieren. Sie müssen nur genutzt werden. Die Ini- Schmiermittel der Korruption zu greifen. Die Ge- tiativen der OECD zur Korruptionsbekämpfung fahr, dass die Bestechung als ein Schlüsselfaktor aus der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zeigen für eine gute Bilanz und wirtschaftliches Wachs- langsam aber sicher Wirkung. Sie haben einen tum betrachtet wird, bleibt also bestehen und langfristigen Prozess des Umdenkens und ei- kann bei wachsender Abhängigkeit von Expor- nen „Bewußtseinswandel“ ermöglicht, der die ten sogar noch steigen. Korruption bei Exportgeschäften schrittweise aus der Sphäre des Erlaubten in die Sphäre des Die Ermittlungen in Deutschland und Griechen- Verbotenen drängt – auch wenn der Fortschritt land zu Korruptionsvorgängen bei Rüstungsex- manchmal eine Schnecke ist. portgeschäften haben das Wissen um Wesen, Funktionsweisen und Wirkprinzipien der Beste- Seit dem Verbot der Bestechung ausländischer chung im Rüstungssektor deutlich erweitert. Entscheidungsträger 1999 und dem Ende der Eine Vielzahl normalerweise interner Dokumen- steuerlichen Geltendmachung „Nützlicher te ist Journalisten und Wissenschaftlern zugäng- Aufwendungen“ 2002 ist es deutlich schwerer lich geworden. Sie ermöglichen es, genauere und vor allem teurer geworden, Bestechung im Erkenntnisse über die Organisationsformen und Ausland so zu organisieren, dass sie nicht ent- Umsetzungswege von korrupten Praktiken zu deckt und bestraft wird. Eine der Folgen der Be- gewinnen und diese zu analysieren. 1 Erste Be- stechungsfälle in Griechenland ist es, dass die obachtungen und vorläufige Erkenntnisse zur Verlagerung der Durchführung und der Organi- Rolle von Korruption bei Rüstungsexporten aus sation von Bestechung hin zu den Handelsver- Deutschland liegen mit dieser kurzfristig mög- tretern im Empfängerland und ihren Beratern lich gewordenen Broschüre nun vor. künftig schwerer wird. Hohe Vertreter- oder Beraterhonorare werden künftig häufiger als Sie gilt es künftig zu ergänzen und zu erweitern. Alarmzeichen interpretiert werden. Sofern die Griechenland ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Es Ermittler in Lieferland und Empfängerland bes- ist nur jener eine Fall, der aufgrund der Quellen- ser kooperieren, reicht ein solches Maß an Ver- lage bessere Einblicke erlaubt als viele andere, schleierung von strafbaren Taten künftig kaum in denen Korruption Rüstungsexportgeschäfte mehr aus. Droht darüber hinaus, dass einzelne

1 Diese Broschüre wäre ohne die Vorarbeit investigativer Journalisten wie Jürgen Dahlkamp, Markus Dettmer oder Jörg Schmitt (alle DER SPIEGEL), Hans Leyendecker, Klaus Ott und Tasos Telloglou (alle Süddeutsche Zeitung) sowie Michael Murphy (Handelsblatt) kaum möglich gewesen. Nützliche Lektionen 69

Bestechung oder Bestechlichkeit als Kronzeu- gen „beichten“, so können ganze Netzwerke Beteiligter erkennbar und juristisch verfolgbar werden.

Zu den positiven Entwicklungen gehört auch, dass alten und neuen Instrumenten zur Bekämp- fung der Korruption heute viel mehr Aufmerk- samkeit gewidmet wird als in der Vergangenheit. Die Korruptionsbekämpfung ist zu einem eige- nen Handlungsfeld für Gesetzgeber, Beschaf- fungsbürokratien, Wirtschaft, Justiz und Nicht- regierungsorganisationen geworden. Das ist gut so. Gut ist auch, dass sich heute eine Vielzahl von Akteuren mit der Weiterentwicklung des Instrumentariums der Korruptionsbekämpfung befasst. Korruptionsprävention, Korruptionsbe- Pfeilen im Köcher der Instrumente zur Korrupti- kämpfung und die Sanktionierung von Korrupti- onsbekämpfung in Deutschland werden könn- onshandeln sind dabei Aufgabenfelder, auf de- ten. Wichtige Möglichkeiten des deutschen Ge- nen an einer Verbesserung der Instrumentarien setzgebers wären: zur Korruptionsbekämpfung gearbeitet werden »» Eine Verlängerung der Verjährungsfrist für kann. Korruptionsstraftaten. Dies hätte nicht nur eine abschreckendere Wirkung, sondern wür- Besondere Bedeutung kommt dabei der Betei- de auch dazu führen, dass Korruption häu- ligung zivilgesellschaftlicher Akteure wie z.B. figer tatsächlich als Korruption sanktioniert Nichtregierungsorganisationen zu. Ihre Mitwir- werden kann. kung ergänzt die Kontrollmöglichkeiten staat- »» Die Verbesserung der Sanktionsmöglichkei- licher Akteure und verhindert, dass diese sich ten gegen juristische Personen (Unterneh- ausschließlich selbst und gegenseitig kontrollie- men). Ob dafür die Einführung eines Ver- ren. Sie können außerdem dazu beitragen, dass bandsstrafrechtes, eine Erhöhung der mög- sich zwischen den Akteuren des Staates und der lichen Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten Wirtschaft kein unerwünschtes Geben und Neh- und/oder eine konsequentere Nutzung beste- men auf Gegenseitigkeit entwickelt. Vorausset- hender Möglichkeiten zur Abschöpfung von zung dafür, dass sie effizient zur Korruptionsver- Gewinnen oder Umsätzen aus korruptionsbe- hinderung und -prävention beitragen können, hafteten Geschäften der beste Weg ist, muss ist allerdings eine ausreichende Transparenz, die hier offen bleiben. ihnen den Zugang zu den erforderlichen Infor- »» Die gesetzliche Etablierung eines Complian- mationen eröffnet. ce-Verantwortlichen auf Vorstands- oder Ge- schäftsführungsebene in den Unternehmen. Die Intention dieser Broschüre war es, die Auf- Dieser wäre – analog zum Posten des Export- merksamkeit der Leser auf einen Bereich zu beauftragten – für die Befolgung der gesetzli- lenken, der für Korruption offenbar besonders chen Regeln und Vorschriften verantwortlich anfällig ist: Den Rüstungsexport. Denn es be- und für Verstöße haftbar. steht weiterhin Handlungsbedarf – auch daran »» Als sinnvoll könnte sich auch eine gesetzgebe- lässt die Broschüre keinen Zweifel. Allerdings rische Initiative erweisen, die die vorhande- hätte es Umfang und Zeithorizont dieser Arbeit nen, den Bereich des Exports von Kriegswaf- gesprengt, hier einen umfassenden bzw. detail- fen, sonstigen Rüstungs- und Dual-Use-Güter lierten Leitfaden für die Korruptionsbekämp- tangierenden Gesetze und Verordnungen auf fung bei Rüstungsexporten zu entwickeln. Die die Möglichkeit hin überprüft, in den Einzel- Autoren mussten sich darauf beschränken, erste gesetzen ein übergreifend konzipiertes Paket Ideen zu benennen beschränken, die zu neuen neuer rechtlicher Vorgaben zu implementie- 70 Nassauer / Steinmetz

ren, das der Korruptionsprävention, der Kor- Die Geschäfte haben in der Regel eine lange ruptionsbekämpfung und der Korruptions- Laufzeit und belasten damit auch die Folgehaus- sanktionierung dient. Für den Bereich der halte späterer Regierungen. Zudem können sie, Pharmagesetzgebung wurde Vergleichbares wie das Beispiel Griechenland zeigt, erheblich kürzlich praktiziert. Die kommende Diskussi- zur Staatsverschuldung beitragen, weil Korrupti- on über ein deutsches Rüstungsexportgesetz on Beschaffungsprozesse massiv verteuert und könnte die Gelegenheit dazu bieten. dies besonders schädlich ist, wenn die Projekte kreditfinanziert sind. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl anderer möglicher Schritte, die bei der Bekämpfung der Gängige, einfache Erklärungsmuster, wie „Gele- Korruption hilfreich sein können. Deutlich mehr genheit macht Diebe“ und „Jeder Mensch hat sei- Transparenz bei Rüstungsexportgeschäften ge- nen Preis“, greifen zu kurz. Bei den deutsch-grie- hör t ebenso dazu wie öffentliche Register für Aus- chischen Korruptionsverdachtsfällen ging es schreibungen, Auftragsvergaben und erkannte keineswegs um „Bagatellen“ oder um „Gelegen- Korruptionsstraftaten oder staatlich geförderte heitskriminalität“. Solch einfache Erklärungs- Programme zur Korruptionsprävention. muster bergen die Gefahr der Verharmlosung von Korruption: Suggeriert wird, dass sich eine genaue Analyse erübrigt – dem ist nicht so! Weder Kavaliersdelikt noch Gelegenheitskriminalität

Drei häufig getroffene Kernaussagen zum The- ma Korruption haben sich in den Beiträgen die- ser Broschüre bestätigt:

Erstens: Der Rüstungssektor gehört nicht nur in Afrika oder Asien, sondern auch im Westen weiterhin zu den korruptesten Wirtschaftsbe- reichen. Intransparente Vergabeverfahren, die Geheimhaltung aufgrund der Nationalen Sicher- heit, sowie der oft kleine Kreis der Beteiligten aus Politik, Ministerium, Streitkräften und Indus- trie bei der Anbahnung und Umsetzung dieser Rüstungsgeschäfte sind ein zu guter Nährboden für die Entstehung von Korruption.

Zweitens: Korruptionsstraftaten im Bereich des Rüstungsexportes erweisen sich immer wie- der als gut organisiert und strukturiert. Es geht oft um viel Geld und um größere Netzwerke. In die Verschleierung von Bestechungszahlungen fließt häufig in substantiellem Umfang fachli- che Expertise und kriminelle Energie. Man kann durchaus von organisierter Wirtschaftskrimina- lität sprechen.

Drittens: Korruption hat weitreichende negative Konsequenzen für die Gesellschaft. Dies gilt ins- besondere im Verteidigungssektor. Milliarden werden nicht für die günstigsten, geeigneten oder benötigten Waffensysteme ausgegeben. 71

Informationen zu den Autoren

Andrew Feinstein ist Autor von „The Shadow World: Inside the Global Arms Trade, Geschäftsführer von Corruption Watch UK und ehemaliger Abgeordneter des ANC im südafrikanischen Parlaments.

Dr. Marie-Carin von Gumppenberg ist ehrenamtliche Mitarbeiterin von Transparency International Deutschland.

Paul Holden ist Autor, unter anderem des Buches „Devil in the Detail“, und Direktor für investigative Recherchen bei Corruption Watch UK.

Olaf Kreuzer ist international als Rechtsanwalt im Bereich Außenwirtschaftsrecht und der Rüstungsexportkontrolle tätig.

Nikolas Lentopoulos ist ein griechischer Journalist. Zusammen mit der Journalisten Elisa Simantke (Der Tagesspiegel) ist er für das Projekt „Germany-Greece: The Corruption Portfolio“ verantwortlich.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit.

Christopher Steinmetz ist Koordinator des BITS-Datenbankprojekts „Deutsche Rüstungsexporte – Informationen und Hintergründe“ (www.ruestungsexport-info.de).

Tasos Telloglou ist griechischer Journalist. Er arbeitet für die griechische Tageszeitung Kathimerini, für die Süddeutsche Zeitung und für Star TV. w w w . b i t s . d e

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