Reichsbürger«
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
H 8040 F ISSN 1619-1404 28. Jahrgang Nummer 165 März | April 2017 3,50 Euro wer sind eigentlich diese »Reichsbürger« der rechterand magazin von und für antifaschistInnen Titelbild: editorial & inhalt Seite 3 Liebe Leserinnen und liebe Leser, Nazis ein Begriff geistert in diesen Tagen durch die Welt: »Fake News«. Vom rechten US-Präsidenten Donald Trump Anfang des Jahres als Vorwurf Anschlag in Düsseldorf 4 gegen die CNN gerichtet, ist der Schlagabtausch mittlerweile auch in Soziale Nazis 6Deutschland angekommen. Medienhäuser und Bundesregierung suchen nach Wegen des Umgangs mit Desinformationen und greifen zu altherge- Braunzone brachten Mitteln: Löschen und bestrafen. Dabei sind Fehlinformationen ein alter Schuh und schon immer Teil von Propaganda, ganz gleich ob Vor der Wahl: Nordrhein-Westfalen 7in Diktaturen oder westlichen Demokratien. Und während auf dem welt- Hauen und stechen 8politischen Tableau die großen Kämpfe gefochten werden, machen auch Rechts in der Bundesversammlung 10 die KolporteurInnen rassistischer Hassreden und rechter Stimmungsma- che im Kleinen weiter. Etwa nachdem ein Amokfahrer Ende Februar in Trump-Fans 12 Heidelberg in eine Menschenmenge raste. Im Internet verbreiteten sich Vergangenheit 14 Spekulationen, dass der Täter »Flüchtling« oder »Terrorist« sei. Die Polizei »Hohenlohe wacht auf« 15 wies die Gerüchte via Twitter mehrfach zurück: »Und nun noch mal für Gotterkenntnis 16 alle. Tatverdächtiger: Deutscher OHNE Migrationshintergrund!« Doch der Hinweis auf diese Fakten dürfte kaum geholfen haben – zumindest nicht »Dranbleiben« 18 bei jenen, die eh nur noch denken, was sie glauben wollen. Indes ist vollkommen offen, ob die »Alternative für Deutschland« (AfD) im Schwerpunkt Bundestagswahlkampf »Social Bots« einsetzt, um in sozialen Medien auto- matisierte Meinungsmache zu betreiben. Zwar widerspricht die Partei dem »Deutsches Reich statt BRD« 20 Vorwurf in altbekannter Weise: Meldung in die Welt setzen, dann zurück- Reichweiten 22 rudern. Doch laut der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« scheint auch das »Sammlungsbeobachtungsobjekt« 24 Dementi der Rechtspartei »Fake News« zu sein. Nach ihren Recherchen »Deutsches Polizei Hilfswerk« 26 gäbe es Indizien auf zahlreiche rein virtuelle AfD-NutzerInnenprofile bei Facebook. Die Strategie dahinter ist klar: anderslautende Meldungen als Warnungen verharmlost 28 »Lügenpresse« abkanzeln, die eigenen Postillen als Verkünder der reinen Daheim im »Reich« 29 Wahrheit in Position bringen und somit eine rechte Meinungsführerschaft Szenen einer Radikalisierung 30 suggerieren. Skurril, gefährlich und rechts 31 Ebenfalls in einer Welt zwischen Wirklichkeit und Eigensuggestion leben die »Reichsbürger«. In den letzten Monaten wurde durch eine Schießerei Für immer ein »Reich« 32 mit einem getöten Polizisten, möglichen Anschlagsplänen und Razzien of- fensichtlich, dass die Bewegung eine reale Bedrohung darstellt. Auf den ersten Blick handelt es sich um skurrile SpinnerInnen und RevanchistIn- kurz und bündig 34 nen. Doch bei genauerer Betrachtung befindet sich unter ihnen eine Reihe guter Bekannter. Schon vor über zehn Jahren berichteten wir über Verbin- dungen von Horst Mahler oder dem mittlerweile verbotenen »Collegium International Humanum« zu den »Reichsbürgern« (s. drr Nr. 99, 102). Seit dem ist viel Gedenken in Sofia 36 passiert. Über 10.000 AnhängerInnen soll die Bewegung heute haben, Vor der Wahl: Frankreich 38 meint der Verfassungsschutz. Allein in Bayern über 1.700, davon fast 300 mit Waffenerlaubnis. Das Spektrum der Szene ist breit: Von neonazisti- schen ÜberzeugungstäterInnen über antisemitische Verschwörungstheo- Musik retikerInnen bis hin zu jenen, die sich mit ihrer Ideologie vom Fortbestand NS-Rap 40 des »Deutschen Reiches« vor dem Fiskus drücken wollen. Einmal mehr stellt sich die Frage: Warum muss erst ein Repräsentant des Staates sterben, bevor dieser handelt, und das, obwohl sogar die Behörden Rezensionen 42 die Szene immer im Blick hatten, sie aber offenbar nie ernst nahmen. 2 der rechte rand 165/2017 Die richtigen Fragen stellen Eine Welle rechter Gewalt, Enthüllungen über rechten Terror und skandalöses Agieren der Sicherheitsapparate sind Normalität geworden. Wo bleiben Empörung und Gegenwehr? von Martina Renner und Sebastian Wehrhahn Was verstehen wir heute unter rech- hang mit Neonazis, die Verhaftung des tem Terror? Unsere bisherige Definition Attentäters von Düsseldorf-Wehrhahn. lautete: Organisierte und klandestine Doch was ausbleibt, ist sowohl die ge- Strukturen der extremen Rechten ver- sellschaftliche Empörung als auch die breiten durch Anschläge mit Waffen und antifaschistische Organisierung. In den Sprengstoff Angst unter ihren Opfern und 1990ern hat es nach der Serie militan- deren Umfeld und senden so auch ein ter Neonazi-Anschläge ein paar Jahre Signal in die Gesellschaft. Dafür brauch- gedauert, bis eine Antifa-Bewegung te es keine Erklärungen. Allein die Wir- entstand, die in manchen Gegenden die kung war Botschaft genug. Über diese Nazis zurückdrängte und breite Bünd- Formen und Strukturen – vom NSU über nisse initiierte. Warum bleibt dieser Ef- die »Oldschool Society« bis zur Freital- fekt heute aus? Dabei geht es nicht um Gruppe – wissen wir heute relativ viel. Aber dort, wo die Taten nicht so wohlfeiles Fingerzeigen auf die Versäumnisse der Anderen sondern um offensichtlich sind, wie zum Beispiel beim Münchner Attentat vom Juli Fragen, auf die wir als AntifaschistInnen gemeinsam Antworten finden 2016, fehlen uns Wissen und Analyse. Wir haben nach dem Münchner müssen. Anschlag eine große politische Sprachlosigkeit erlebt, obwohl die Auswahl Im Fall des NSU war die konservative Seite erfolgreich, die Erzählung der Opfer rassistisch war und der Täter Adolf Hitler und Anders Breivik zu übernehmen: Es sind angeblich immer Einzeltäter. Wenn das nicht verehrte. War das Rechtsterror? Wir haben in diesem Fall den Behörden mehr zu halten ist, räumen die Behörden ein: Es war ein »Trio« oder eine die Deutung überlassen. Niemand redet mehr über die Tat. Hier gab es »Zelle«, aber nicht mehr. Aber in Wahrheit waren es immer Netzwerke. einen Einzeltäter, der ein rassistisches Weltbild hatte. Dafür brauchen wir Es ist wahrscheinlich, dass es im Anschluss an den Münchner Prozess vielleicht einen neuen Begriffsapparat. Bei Islamisten ist für die Behörden kein Verfahren gegen die weiteren neun namentlich bekannten Beschul- schnell klar: Der Täter hat sich im Netz radikalisiert, hat zehn Videos des digten geben wird. Wenn der Generalbundesanwalt das so entscheidet IS auf Youtube angesehen, ist dreimal in die Moschee gegangen und und es nicht gelingt, einen gesellschaftlichen Aufschrei zu organisieren, hat dann die falschen Leute kennen gelernt – fertig ist der islamistische dann ist das für die Opfer des NSU eine Katastrophe und für uns eine Terrorist. Haben wir es heute im Neonazismus mit ähnlichen Mustern Niederlage. zu tun? In den fünf Jahren seit dem Auffliegen des NSU gab es einen immen- Wir erleben gerade eine Übergabe der braunen Staffelstäbe. Die Genera- sen Normalisierungsprozess. Alle haben sich daran gewöhnt, dass es alle tion der rechten Täter der 1990er Jahre spielt im Hintergrund erneut eine paar Wochen Neuigkeiten gibt, die früher jeweils ein Skandal geworden wichtige Rolle. So deuten wir auch zum Beispiel das Zusammentreffen wären. Selbst wir sind müde, dazu überhaupt noch eine Pressemitteilung von Thorsten Heise und Will Browning von »Combat 18« (C18) im Som- zu schreiben. Die erfolgreiche Strategie in den Staatsapparaten ist die mer bei einem Aufmarsch in Dortmund oder die Reanimierung von Struk- Behauptung, die reguläre Arbeit der Dienste sei in Ordnung, die Skandale turen von C18 oder dem »Ku Klux Klan«. Diese alten Neonazis sind heute nur die Ausnahme. Und so mussten Einzelne zwar ihren Hut nahmen nicht notwendigerweise selbst die Täter, sondern wittern eine neue Rolle und manches wurde zum Skandal – die Strukturen hingegen erhielten in der Morgenluft des heutigen Rechtsterrorismus. Für diese These gibt mehr Geld und mehr Befugnisse. es Indizien. Aber wir sind unsicher, ob man sie verallgemeinern kann. Was haben wir zu tun? Wir müssen glaubwürdig darstellen, dass der Es gibt nämlich auch Täter, über die wir zu wenig wissen. Ungeklärt ist Skandal in der Normalität besteht. Wir dürfen unser Empörung nicht der auch, woher kommen die Sprengstoffe und Waffen? Und wir müssen uns Empörungs-Ökonomie des Gegners anpassen, die immer nur auf Aus- fragen, ob es nur subkulturelle Bezüge auf alte Strukturen sind oder ob nahmen zielt. Und wir müssen unsere Empörung verständlich überset- es erneut organisierte Formen der europäischen Vernetzung gibt, wenn zen – auch für Menschen, die nicht seit fünf Jahren NSU-Akten wälzen. heute auf Twitter ein Account von C18 auftaucht oder ein Angeklagter Wir müssen einordnen, was akut passiert und müssen überlegen, wie im Verfahren gegen die Neonazi-Schläger von Ballstädt in Thüringen ein wir rechte Strukturen schwächen können. »Wenn die Verbrechen sich C18-Tattoo trägt? häufen, werden sie unsichtbar«, schrieb Brecht. Das könnte für uns hei- Die Ereignisse überschlagen sich: Skandale bei der NSU-Aufarbeitung, ßen: Um der Gefahr Einhalt zu gebieten, müssen wir sie erst sichtbar vernichtete Akten, skurrile Vorgänge im Mordfall »Peggy« im Zusammen- machen. der rechte rand 165/2017 3 Anschlag in Düsseldorf Im Februar 2017 nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter des Düsseldorfer Rohrbombenanschlags aus dem Jahr 2000 fest. Trotzdem bleiben mehr Fragen als Antworten – unter anderem nach dem Wissen eines Spitzels