UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT

Redaktion: I-00120 Vatikanstadt Schwabenverlag AG Einzelpreis Wochenausgabe in deutscher Sprache 50. Jahrgang – Nummer 26/27 – 26. Juni 2020 D-73745 Ostfildern Vatikan d 2,20

Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am Sonntag, 21. Juni Unser Leben ist in den Händen Gottes, der uns behütet und liebt

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag! gewährleisten. Ich lade euch ein, mit mir ge- meinsam für ein erneuertes und wirksames En- Im Evangelium dieses Sonntags (vgl. Mt10,26- gagement aller für den wirksamen Schutz aller 33) erklingt die Aufforderung Jesu an seine Jünger, Menschen zu beten, insbesondere jener, die we- sich nicht zu fürchten, stark und zuversichtlich gen Situationen ernster Gefahr für sie oder ihre den Herausforderungen des Lebens zu begegnen, Familien zur Flucht gezwungen wurden. wobei er sie vor den Widrigkeiten warnt, die sie Ein weiterer Aspekt, über den die Pandemie erwarten. Der heutige Abschnitt ist Teil der mis- uns zum Nachdenken gebracht hat, ist die Bezie- sionarischen Aussendungsrede, mit der der Meis- hung zwischen Mensch und Umwelt. Der Lock- ter die Apostel auf die erste Erfahrung der Ver- down hat die Umweltverschmutzung verringert kündigung des Reiches Gottes vorbereitet. Jesus und die Schönheit vieler von Verkehr und Lärm fordert sie nachdrücklich auf, sich »nicht zu fürch- freier Orte neu entdecken lassen. Jetzt, da die Ak- ten«. Furcht ist einer der schlimmsten Feinde un- tivitäten wieder aufgenommen werden, sollten seres christlichen Lebens. Jesus ermahnt sie: wir alle mehr Verantwortung übernehmen bei »Fürchtet euch nicht«, »fürchtet euch nicht«. Und der Sorge für das gemeinsame Haus. Ich schätze Jesus beschreibt drei konkrete Situationen, mit de- die vielen Initiativen, die in allen Teilen der Welt nen sie sich auseinandersetzen werden müssen. »von unten« kommen und in diese Richtung ge- Vor allem die erste, die Feindseligkeit derer, die hen. Zum Beispiel gibt es heute in Rom eine In- das Wort Gottes zum Schweigen bringen wollen, itiative, die dem Tiber gewidmet ist. Aber es gibt indem sie es versüßen, verwässern, oder diejeni- viele in anderen Teilen der Welt! Mögen sie eine gen zum Schweigen bringen, die es verkünden. Bürgerschaft fördern, die sich dieses wesentli- Für diesen Fall ermutigt Jesus die Apostel, die chen Gemeinguts zunehmend bewusst wird. Heilsbotschaft zu verbreiten, die er ihnen anver- Heute feiern wir in meiner Heimat und an an- traut hat. Vorerst hat er sie vorsichtig, fast schon »Der Vater kümmert sich um uns, denn in seinen Augen haben wir großen Wert«, so Papst Franziskus deren Orten den Tag, der dem Vater, den Papas heimlich, an die kleine Gruppe der Jünger weiter- beim Angelusgebet. Im Evangelium war von den Spatzen die Rede, von denen keiner ohne den Willen gewidmet ist. Ich versichere alle Väter meiner gegeben. Sie aber sollen »im Licht«, das heißt offen des Vaters zur Erde fällt… »Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen«, sagt Jesus Nähe und meines Gebetes. Wir alle wissen, dass reden und sein Evangelium »auf den Dächern«, so im Matthäusevangelium (10,31). es keine leichte Aufgabe ist, Vater zu sein! Des- sagt Jesus, also öffentlich verkünden. halb beten wir für sie. Ich gedenke auch in be- Die zweite Schwierigkeit, auf die die Missio- sonderer Weise unserer Väter, die uns weiterhin nare Christi stoßen werden, ist die physische sie verlassen habe, indem er auf Distanz bleibt der Mut des Zeugnisses, des Glaubenszeugnis- vom Himmel aus behüten. Drohung gegen sie, also die direkte Verfolgung ih- und im Schweigen verharrt. Auch hier mahnt er ses: »Sich vor den Menschen zu Jesus bekennen« Und ich grüße euch alle, liebe römische Gläu- rer Person, bis hin zu ihrer Ermordung. Diese Pro- uns, keine Angst zu haben. Denn auch wenn wir und vorangehen, indem man Gutes tut. bige und Pilger, die aus verschiedenen Teilen Ita- phezeiung Jesu hat sich zu allen Zeiten erfüllt: Es durch diese und andere Bedrängnisse gehen, ist Die selige Jungfrau Maria, Vorbild des Ver- liens gekommen sind – jetzt fängt man wieder ist eine schmerzliche Realität, aber sie bezeugt das Leben der Jünger doch fest in den Händen trauens und der Hingabe an Gott in der Stunde an, Pilger zu sehen – und zunehmend auch aus die Treue der Zeugen. Wie viele Christen werden Gottes, der uns liebt und uns behütet. Sie sind der Not und Gefahr, helfe uns, niemals der Ent- anderen Ländern: Ich sehe die Fahnen… Ich auch heute noch in aller Welt verfolgt! Sie leiden wie die drei Versuchungen. Das Evangelium zu mutigung nachzugeben, sondern uns immer Ihm grüße vor allem euch junge Leute: Heute geden- mit Liebe für das Evangelium; sie sind die Märty- versüßen, es zu verwässern, zweitens die Verfol- und seiner Gnade anzuvertrauen, denn Gottes ken wir des heiligen Aloisius von Gonzaga, eines rer unserer Zeit. Und wir können mit Sicherheit gung und drittens das Gefühl, dass Gott uns allein Gnade ist immer stärker als das Böse. jungen Mannes voller Gottes- und Nächsten- sagen, dass es mehr sind als die Märtyrer der An- gelassen habe. Auch Jesus erlitt diese Prüfung auf Nach dem Angelus sagte der Papst: liebe; er starb sehr jung, hier in Rom, weil er sich fangszeit: so viele Märtyrer, nur weil sie Christen dem Ölberg und am Kreuz: »Vater, warum hast Liebe Brüder und Schwestern! der Pestopfer annahm. Seiner Fürsprache emp- sind. Diesen verfolgten Jüngern von gestern und du mich verlassen?«, sagt Jesus. Manchmal Gestern haben die Vereinten Nationen den fehle ich die jungen Menschen auf der ganzen heute rät Jesus: »Fürchtet euch nicht vor denen, spüren wir diese geistliche Trockenheit; wir dür- Weltflüchtlingstag begangen. Die durch das Coro- Welt. die den Leib töten, die Seele aber nicht töten kön- fen davor keine Angst haben. Der Vater kümmert navirus verursachte Krise machte deutlich, dass Und ich wünsche allen einen schönen Sonn- nen« (V. 28). Lasst euch nicht erschrecken von sich um uns, denn in seinen Augen haben wir auch Flüchtlinge den notwendigen Schutz erhal- tag. Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Ge- denen, die versuchen, die Kraft der Evangelisie- großen Wert. Wichtig ist der Freimut, wichtig ist ten müssen, um ihre Würde und Sicherheit zu segnete Mahlzeit und auf Wiedersehen! rung mit Arroganz und Gewalt auszulöschen. Denn sie können nichts gegen die Seele, das heißt gegen die Gemeinschaft mit Gott tun: diese kann Drei neue Anrufungen den Jüngern niemand nehmen, denn sie ist ein für die Lauretanische Litanei In dieser Ausgabe Geschenk Gottes. Die einzige Furcht, die der Jün- Generalaudienz als Videostream aus dem ger haben muss, ist jene, diese göttliche Gabe, die Vatikanstadt. Eines der bekanntesten Mari- Vertrauen an die Gottesmutter und zähle auf ihre Apostolischen Palast am 17. Juni ...... 2 Nähe, die Freundschaft mit Gott zu verlieren, in- engebete ist von Papst Franziskus erweitert wor- Fürsprache. Daher habe Papst Franziskus Santa Maria in Cappella – Ein Ort des dem er auf ein Leben nach dem Evangelium ver- den. Der Lauretanischen Litanei mit Anrufungen »geäußerten Wünschen folgend« die drei neuen Gebets für die Seefahrer in Trastevere...... 5 zichtet und so den moralischen Tod herbeiführt, der Jungfrau Maria, welche traditionell das Ro- Anrufungen in der mittelalterlichen Litanei hin- der die Folge der Sünde ist. senkranzgebet abschließt, wurden auf Wunsch zugefügt. Die frühesten Zeugnisse der Litanei ge- Geschichten rund um den Petersdom – Als dritte Art von Prüfung, der sich die Apostel des Papstes die Anrufungen »Mater Misericor- hen auf das 12. oder 13. Jahrhundert zurück. Im Archivsplitter aus dem Pontifikat von zu stellen haben, führt Jesus das Gefühl an, das diae« (Mutter der Barmherzigkeit), »Mater Spei« 16. Jahrhundert erhielt sie nach dem italienischen Papst Pius XII...... 6 einige erleben könnten, dass nämlich Gott selbst (Mutter der Hoffnung) und »Solacium migran- Marienheiligtum Loreto ihren heutigen Namen. Predigt von Papst Franziskus am tium« (Trost bzw. Hilfe der Migranten) hinzuge- 1587 wurde sie von Papst Sixtus V. approbiert. Hochfest des Leibes und Blutes Christi..... 7

fügt, wie die Kongregation für den Gottesdienst Über die Jahrhunderte kamen neue Anrufungen Angelusgebet am 14. Juni...... 9 und die Sakramentenordnung am 20. Juni mit- hinzu, zuletzt 1995 durch Papst Johannes Paul II., Botschaft von Papst Franziskus an die teilte. Die neuen Titel wurden bisher ausschließ- der den Titel »Mutter der Familie« ergänzte. Päpstlichen Missionswerke...... 10-13 lich auf Latein veröffentlicht, eine offizielle Über- Die Erweiterungen seien eine »Reaktion auf setzung in die jeweiligen Volkssprachen steht den realen Moment des Lebens« und die heuti- Predigten bei den Frühmessen noch aus. gen Herausforderungen der Menschheit, unter- in Santa Marta ...... 14-17 In einem von Kardinal und Erzbi- strich Erzbischof Roche, darunter das aktuelle Generalaudienz am 10. Juni ...... 18 schof Arthur Roche, Präfekt und Sekretär der Kon- Leid der Migranten. Anlässlich des Weltflücht- Ein ehemaliger Kammerdiener erinnert

»Streck dem Armen gregation, unterzeichneten Begleitbrief heißt es, lingstags am 20. Juni mahnte der Papst erneut zur sich an Johannes Paul II...... 18 deine Hand entgegen« dass die Titel und Anrufungen, welche die christ- Solidarität mit ihnen: »In den Flüchtlingen und Ansprache des Papstes bei der Audienz liche Frömmigkeit im Laufe der Jahrhunderte der Vertriebenen ist Jesus gegenwärtig«, schrieb für eine Delegation aus der Lombardei . 19 Botschaft von Papst Franziskus Jungfrau Maria als dem »privilegierten und siche- Franziskus auf Twitter. »Wir sind aufgerufen, in zum 4. Welttag der Armen ren Weg zur Begegnung mit Christus« verliehen ihren Gesichtern das Antlitz Christi zu erkennen, 85 Jahre diplomatische Beziehungen am 15. November habe, »unzählig« seien. Auch in der gegenwärti- der uns fragend anblickt. Und dann werden wir zwischen Kuba und dem Heligen Stuhl 20 Seite 8-9 gen Situation der Unsicherheit und Verwirrung es sein, die ihm dafür danken, dass wir ihn lieben Promulgierung von Dekreten...... 20 wende sich das Volk Gottes mit Zuneigung und und ihm dienen durften«, so Franziskus. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 2 Aus dem Vatikan

Generalaudienz als Videostream aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes Appell zum Schutz Brücken zwischen Gott und seinem Volk der Gewissensfreiheit Vatikanstadt. Papst Franziskus will die Gewissensfreiheit »immer und überall« respektiert wissen. Nach der Katechese Liebe Brüder und Schwestern, und Grüßen in verschiedenen Sprachen guten Tag! verlas der Papst bei der Generalaudienz Auf unserem Weg zum Thema des Gebets folgenden Appell: merken wir, dass Gott es nie gerne mit »unkom- »Heute begehen wir den ›Tag der Ge- plizierten« Betern zu tun hatte. Und auch Mose wissensfreiheit‹, inspiriert vom Zeugnis wird kein »schwacher« Gesprächspartner sein, des portugiesischen Diplomaten Aristides vom ersten Tag seiner Berufung an. de Sousa Mendes, der vor nunmehr 80 Jah- Als Gott ihn beruft, ist Mose menschlich be- ren beschloss, der Stimme des Gewissens trachtet ein »Versager«. Das Buch Exodus stellt zu folgen, und das Leben Tausender Juden ihn uns als Flüchtling im Land Midian vor Augen. und anderer Verfolgter rettete. Möge die Als junger Mann hatte er Mitleid gehabt mit sei- Gewissensfreiheit immer und überall ge- nem Volk und hatte sich auch auf die Seite der achtet werden; und möge jeder Christ ein Unterdrückten gestellt. Aber schnell entdeckt er, konsequentes Vorbild für ein aufrichtiges dass trotz der guten Vorsätze aus seinen Händen und vom Wort Gottes erleuchtetes Gewis- keine Gerechtigkeit, sondern allenfalls Gewalt sen sein.« hervorgeht. Hier zerbrechen die Träume von Der »Tag der Gewissensfreiheit« wird Ruhm und Herrlichkeit: Mose ist kein vielver- in diesem Jahr erstmals begangen. Im Juni sprechender Funktionär mehr, der zu einer ra- 2019 hatte das Parlament in Lissabon das schen Karriere bestimmt ist, sondern jemand, der Verhalten des 1940 unehrenhaft entlasse- seine Chancen verspielt hat und jetzt eine Herde nen Diplomaten de Sousa Mendes als vor- weidet, die nicht einmal die seine ist. Und genau bildlich anerkannt. Als portugiesischer dort, in der Stille der Wüste von Midian, ruft Gott Generalkonsul in Bordeaux hatte er im Mose in der Offenbarung des brennenden Dorn- In seiner Katechese am 17. Juni sprach Franziskus über Mose, der für Gott kein »einfacher« Dialogpart- Zweiten Weltkrieg Tausenden – unbelegte busches: »Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott ner gewesen sei. Die über Fernsehen und Internet verbreitete Videoansprache aus der Privatbibliothek Schätzungen gehen von bis zu 10.000 Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. des Papstes ersetzt seit Ausbruch der Corona-Pandemie die wöchentliche Generalaudienz. Wann die Flüchtlingen aus – Visa ausgestellt, damit Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete Treffen mit Pilgern und Besuchern aus aller Welt wieder aufgenommen werden können, ist offen. sie aus dem von den Nationalsozialisten sich, Gott anzuschauen« (Ex 3,6). besetzten Frankreich durch das ebenfalls nisse, wird er dennoch nicht aufhören, enge chen. Er ist ein Mann des Volkes. So ist die Mose faschistische Spanien nach Portugal ausrei- Ängste und Einwände Bande der Solidarität mit seinem Volk zu unter- eigene Form zu beten die Fürsprache (vgl. Kate- sen konnten. Das Regime von António de halten, besonders in der Stunde der Versuchung chismus der Katholischen Kirche, 2574). Sein Oliveira Salazar in Lissabon hatte 1939 Dem Gott, der spricht, der ihn auffordert, wie- und der Sünde. Stets mit dem Volk verbunden. Glaube an Gott ist eins mit dem Gefühl der Vater- verboten, solche Visa auszustellen. De der Sorge zu tragen für das Volk Israel, bringt Mose hat nie die Erinnerung an sein Volk verlo- schaft, das er seinem Volk gegenüber hegt. Sousa Mendes wurde daher im Juni 1940 Mose seine Ängste, seine Einwände entgegen: Er ren. Und das ist eine Größe der Hirten: das Volk Die Schrift stellt ihn gewöhnlich mit zu Gott unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Er ist jener Sendung nicht würdig, er kennt den Na- nicht zu vergessen, die Wurzeln nicht zu verges- erhobenen Händen dar, gleichsam als würde er wird als einer der »Gerechten unter den men Gottes nicht, die Israeliten werden ihm nicht sen. Es ist das, was Paulus zu seinem geliebten mit seiner Person eine Brücke zwischen Himmel Völkern« geehrt und zuweilen auch als der glauben, er hat eine stammelnde Sprache… Und jungen Bischof Timotheus sagt: »Erinnere dich an und Erde bilden. Auch in den schwierigsten Au- »portugiesische Schindler« bezeichnet. so hat er viele Einwände. Das Wort, das auf den deine Mutter und an deine Großmutter, an deine genblicken, sogar an dem Tag, an dem das Volk Lippen des Mose am häufigsten zu vernehmen Wurzeln, an dein Volk.« Mose ist Gott so nah, Gott und ihn selbst als Anführer verstößt, um sich ist, in jedem Gebet, das er an Gott richtet, ist die dass er von Angesicht zu Angesicht mit ihm spre- ein goldenes Kalb zu machen, möchte Mose sein Frage: »Warum?« Warum hast du mich gesandt? chen kann (vgl. Ex 33,11); und er wird den Men- Volk nicht aufgeben. Es ist mein Volk. Es ist dein seine Leute, für sein Fleisch und Blut, für seine Warum willst du dieses Volk befreien? Im Penta- schen so nah bleiben, dass er Erbarmen für ihre Volk. Es ist mein Volk. Und er verleugnet weder Geschichte, für sein Volk und für Gott, der ihn teuch gibt es sogar einen dramatischen Abschnitt, Sünden, für ihre Versuchungen empfinden wird, Gott noch das Volk. Und er sagt zu Gott: »Ach, berufen hat. Er ist die Brücke. Was für ein schö- wo Gott Mose seinen Mangel an Vertrauen vor- für die plötzliche Sehnsucht nach der Vergangen- dieses Volk hat eine große Sünde begangen. Göt- nes Vorbild für alle Hirten, die eine »Brücke« hält – einen Mangel, der ihm den Eintritt in das heit, wenn sie nach ihrem Auszug an die Zeit ter aus Gold haben sie sich gemacht. Jetzt nimm sein müssen. Daher nennt man sie »pontifex«, Gelobte Land verwehren wird (vgl. Num 20,12). zurückdenken, als sie in Ägypten waren. ihre Sünde von ihnen! Wenn nicht, dann streich Brückenbauer. Die Hirten sind Brücken zwischen Wie kann Mose mit diesen Ängsten, mit die- Mose verleugnet Gott nicht, aber er verleug- mich aus dem Buch, das du geschrieben hast« dem Volk, zu dem sie gehören, und Gott, zu dem sem oft wankelmütigen Herzen beten? Mose net auch sein Volk nicht. Er steht konsequent zu (Ex 32,31-32). sie aus Berufung gehören. So ist Mose: »Vergib, scheint sogar ein Mensch wie wir zu sein. Und seinem Volk, er steht konsequent zur Stimme Herr, ihre Sünde, wenn nicht, dann streich mich auch das passiert uns: Wenn wir Zweifel haben, Gottes. Mose ist also kein autoritärer und despo- Beistand und Fürsprecher aus dem Buch, das du geschrieben hast. Ich will wie können wir dann beten? Es gelingt uns nicht tischer Anführer; ja, das Buch Numeri bezeichnet keine Karriere machen mit meinem Volk.« zu beten. Und nicht nur wegen seiner Stärke, ihn sogar als »demütiger als alle Menschen auf Mose tauscht das Volk nicht ein. Er ist die Und das ist das Gebet, das die wahren Gläubi- sondern gerade wegen dieser Schwäche beein- der Erde« (vgl. 12,3). Trotz seiner privilegierten Brücke, er ist der Fürsprecher. Beide, das Volk gen in ihrem geistlichen Leben pflegen. Auch druckt Mose uns. Obgleich er von Gott beauftragt Position hört Mose nicht auf, zu jener Schar der und Gott, und er dazwischen. Er verkauft sein wenn sie die Verfehlungen der Menschen und ist, seinem Volk das Gesetz weiterzugeben, als Armen vor Gott zu gehören, die in ihrem Leben Volk nicht, um Karriere zu machen. Er ist kein ihre Gottesferne erfahren, verurteilen diese Beter Religionsstifter, als Mittler der höchsten Geheim- das Vertrauen auf Gott zu ihrer Wegzehrung ma- Emporkömmling, sondern ein Fürsprecher: für sie nicht, lehnen sie nicht ab. Die Haltung der Für- sprache ist den Heiligen zu eigen, die Jesus nach- ahmen und »Brücken« zwischen Gott und sei- Abendgebet zum Seligsprechung von nem Volk sind. In diesem Sinne war Mose der größte Prophet Jesu, unser Beistand und Fürspre- Weltflüchtlingstag Carlo Acutis am 10. Oktober cher (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 2577). Und auch heute ist Jesus der »pontifex«, ist Rom. Mit einem Abendgebet hat die katholi- Vatikanstadt. Die Seligsprechung des als er die Brücke zwischen uns und dem Vater. Und sche Gemeinschaft Sant’Egidio am Donnerstag- »Cyber-Apostel« bezeichneten italienischen Jesus hält Fürsprache für uns, er zeigt dem Vater abend, 18. Juni, in Rom der gut 40.000 Menschen Teenagers Carlo Acutis (1991-2006) soll am die Wunden, die der Preis für unser Heil sind, und gedacht, die seit 1990 auf dem Weg nach Europa 10. Oktober in Assisi stattfinden. Das bestätigte hält Fürsprache. Und Mose ist ein Bild Jesu, der ums Leben gekommen sind. Der Generalsekretär der Präfekt der Kongregation für die Selig- und heute für uns betet, für uns Fürsprache hält. der Italienischen Bischofskonferenz, Bischof Ste- Heiligsprechungsprozesse, Kardinal Angelo Bec- Mose spornt uns an, mit demselben Eifer wie fano Russo, würdigte in seiner Predigt das Enga- ciu, laut der Internetseite »Vatican News«. Jesus zu beten, Fürsprache zu halten für die Welt, gement christlicher und anderer Organisationen, Eigentlich sei ein früheres Datum vorgesehen in Erinnerung zu rufen, dass sie trotz all ihrer die sich für Flüchtlinge und Migranten einsetzen. gewesen, aber die Auswirkungen der Corona- Schwächen immer Gott gehört. Alle gehören Ihre Mitarbeiter lebten jene Nähe zu Menschen Pandemie hätten dies nicht zugelassen. In Ab- Gott. Die schlimmsten Sünder, die bösartigsten in Not, die der christliche Glaube fordere. stimmung mit dem Bischof von Assisi, wo Acutis 2018 erkannte ihm Papst Franziskus aufgrund Menschen, die korruptesten Anführer sind Kin- Das Abendgebet unter dem Motto »Vor Hoff- beigesetzt ist, habe man sich nun auf den Termin seines Lebenswandels den heroischen Tugend - der Gottes, und Jesus spürt das und hält Fürspra- nung sterben« fand anlässlich des Weltflücht- im Herbst geeinigt. Die Zeremonie werde in der grad zu. Im Februar 2020 folgte die päpstliche che für alle. Und die Welt lebt und gedeiht dank lingstages am 20. Juni statt. Dabei waren auch Basilika San Francesco stattfinden. Anerkennung eines auf Fürsprache von Acutis des Segens des Gerechten, des frommen Gebets, Migranten und Flüchtlinge aus mehreren Län- Carlo Acutis interessierte sich schon in jungen bewirkten Wunders. Demnach wurde ein brasi- dieses frommen Gebets, das der Heilige, der Ge- dern anwesend. »Einige von Ihnen haben trauri- Jahren für Computer und erstellte Internetseiten lianisches Kind auf medizinisch unerklärliche rechte, der Fürsprecher, der Priester, der Bischof, gerweise Freunde oder Angehörige verloren«, so zu religiösen Themen, etwa zu eucharistischen Weise geheilt. der Papst, der Laie, jeder Getaufte unablässig für Russo. Zudem erinnerte er an jene Menschen, Wundern weltweit. Als er erfuhr, dass er unheil- »Wir hoffen, dass am 10. Oktober viele Men- die Menschen erhebt, an jedem Ort und zu jeder »die in der Zeit der Pandemie in überfüllten La- bar an Leukämie erkrankt war, widmete er sich schen zur Seligsprechung kommen können«, Zeit der Geschichte. Denken wir an Mose, den gern leben müssen« – in Libyen, auf Lesbos, im ganz dem Papst und der Kirche. Acutis starb am sagte Kardinal Becciu. Das Ereignis werde zudem Fürsprecher. Und wenn uns das Verlangen über- Libanon oder in Mexiko. Zudem lobte Russo die 12. Oktober 2006 im Alter von 15 Jahren und per Livestream im Internet übertragen. Do- kommt, jemanden zu verurteilen, und wir inner- jüngste Entscheidung der italienischen Regie- wurde seinem Wunsch entsprechend in Assisi menico Sorrentino, Bischof von Assisi, reagierte lich zornig werden – zornig werden tut gut, aber rung, bisher unregistrierten Ausländern einen bestattet. Beim Weltjugendtag 2013 in Rio de Ja- erfreut auf die Bekanntgabe des Termins. Die verurteilen tut nicht gut –, dann halten wir Für- rechtlich sicheren Status gewähren zu wollen. neiro wurde er bei der Vorstellung seiner Lebens- Nachricht sei »ein Silberstreif am Horizont« inmit- sprache für ihn: Das wird uns sehr helfen. Ihre Arbeit und Anwesenheit seien für Italien geschichte als möglicher »Patron des Internet« be- ten einer Krise, die von Einsamkeit und Distanz und für sie selbst wertvoll. zeichnet. geprägt sei. (Orig. ital. in O.R. 18.6.2020) 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan und der Weltkirche 3

Benedikt XVI. beendet Besuch bei krankem Bruder in Regensburg König : Immer mit Gott Eine Reise voll tiefer Menschlichkeit im Gespräch

München/Vatikanstadt. Nach seinem Vatikanstadt. In der Generalaudienz am fünftägigen Besuch in Regensburg ist der emeri- Mittwoch, 24. Juni, setzte Papst Franziskus die tierte Papst Benedikt XVI. in den Vatikan zurück- Katechesenreihe über das Gebet fort. Ein Mitar- gekehrt. Am Montagmittag, 22. Juni, flog er mit beiter der deutschsprachigen Abteilung des einer Maschine der italienischen Luftwaffe vom Staatssekretariats trug folgende Zusammenfas- Münchner Flughafen nach Rom zurück. Der sung vor: bayerische Ministerpräsident Markus Söder ver- Liebe Brüder und Schwestern, heute wollen abschiedete den hohen Gast persönlich am Roll- wir die Gestalt des Königs David und sein Beten feld und gab ihm einen Geschenkkorb mit bayeri- näher betrachten. Schon als junger Mann wird er schen Spezialitäten mit. Benedikt XVI. habe von Gott auserwählt, um eine einzigartige Sen- seiner Freude über den Besuch Ausdruck verlie- dung zu erfüllen, die in der Geschichte des Got- hen und Bayern Gottes Segen gewünscht, teilte tesvolkes und in unserem Glauben eine zentrale die Staatskanzlei mit. Rolle einnimmt, denn aus der Nachkommen- Der Besuch in Deutschland war die erste, schaft geht der Messias hervor. Daher überraschende Reise von Benedikt XVI. nach sei- wird Jesus in den Evangelien auch mehrfach nem Rücktritt vor sieben Jahren. Nachrichten »Sohn Davids« genannt. Bereits als junger Hirte über den verschlechterten Gesundheitszustand lobt David Gott mit dem Spiel seiner Leier. Auch seines drei Jahre älteren Bruders, Apostolischer dann als König lebt er im Bewusstsein, Hirte sei- Protonotar Georg Ratzinger, hielten den emeri- nes Volkes zu sein, der für es sorgt und es vor Ge- tierten Papst nicht länger an seinem Ruhesitz im fahren schützt. Er ist der König »nach dem Her- Kloster Mater Ecclesiae. zen Gottes«, der für sein Volk in dessen Namen Im Mittelpunkt von Benedikts Aufenthalt betet (vgl. KKK 2579). Obgleich David sich nicht standen die Besuche am Krankenbett des Bru- Benedikt XVI. mit seinem Bruder Georg Ratzinger auf einem Archivbild aus dem Jahr 2008. immer des hohen Amtes würdig erweist und sich ders. Mit ihm wollte er noch einmal so viel Zeit in schwere Schuld verstrickt, durchzieht sein Le- wie möglich verbringen. Morgens und am späte- und seine ältere Schwester Maria, die ihm 34 abend »mit einer gewissen Feierlichkeit«, wie ben ein roter Faden: Immer bleibt er mit Gott im ren Nachmittag fuhren ihn die Malteser in einem Jahre lang den Haushalt führte. In Begleitung sei- sich sein Sohn später erinnerte, das Haus- Gespräch und übergibt ihm darin Freude und Kleinbus durch die Altstadt zum Haus Georg Rat- nes Privatsekretärs Erzbischof Georg Gänswein buch aus dem Regal genommen und die bibli- Schuld, Liebe und Leiden, Freundschaft und zingers, jeweils für einige Stunden. Die Brüder und des Regensburger Bischofs Rudolf Voderhol- schen Lesungen des Sonntags mit einer kurzen Krankheit. So ist David auch der Schöpfer der feierten so täglich die heilige Messe, beteten, zer gedachte Benedikt XVI. ihrer im Gebet. Auslegung vorgetragen. Darin komme zum Aus- Psalmen, in denen zum Ausdruck kommt, dass er sprachen das eine oder andere miteinander. Aber Dann ging es in den Vorort Pentling, wo sich druck, was Hauskirche bedeute, so der Bischof. als Heiliger und Sünder die Verbindung mit Gott das Reden war gar nicht mehr so wichtig, wie aus der 1969 auf den Dogmatik-Lehrstuhl der Re- In seiner Bilanz zum Abschluss des fünftägi- aufrecht hält, der ihn stets begleitet und auf den ihrem Umfeld verlautete. Was zähle, sei einfach gensburger Universität berufene Theologiepro- gen Aufenthalts des emeritierten Papstes Bene- rechten Weg zurückführt. das Zusammensein. fessor ein Haus hatte bauen lassen. In dem dikt XVI. in Regensburg sprach Voderholzer von Der Papst grüßte die deutschsprachigen Pilger Die Regensburger bedachten den von einigen »Häusle«, das inzwischen vom »Institut Papst Be- einem »hochemotionalen Besuch«, der durch die auf Italienisch. Anschließend wurde folgende Sicherheitskräften der vatikanischen Gendarme- nedikt XVI.« verwaltet wird, das auch sein theo- kurzfristige Planung ziemlich herausfordernd ge- deutsche Übersetzung der Grüße vorgelesen: rie und bayerischen Polizisten streng abgeschirm- logisches Erbe aufbereitet, betrachtete der Emeri- wesen sei. Zugleich äußerte er sich erleichtert, Herzlich grüße ich die Gläubigen deutscher ten Gast mit allerlei Aufmerksamkeiten. Sie ga- tus alte Familienfotos in einer Mischung aus dass der Herzenswunsch der beiden Ratzinger- Sprache. Vertrauen wir uns ganz, auch mit unse- ben Grußkarten und Blumen für ihn und seinen Nachdenklichkeit und Freude, wie Begleiter an - Brüder, sich noch einmal zu begegnen, habe er- ren Sünden und Schwächen, Christus, dem kranken Bruder ab. Im Regensburger Priesterse- schließend berichteten, und warf noch einmal ei- füllt werden können. Es sei eine »Reise der Guten Hirten an. Mit seinem gütigen und demüti- minar wurde dasselbe Zimmer hergerichtet, in nen Blick in sein Arbeitszimmer, in dem er be- Menschlichkeit« gewesen. gen Herzen bietet er uns in unserem Leben im- dem er bereits 2006 untergebracht war. Die deutende Bücher geschrieben hatte. Auch die In den vergangenen fünf Tagen »haben wir mer Vergebung und Trost an, um uns zur Freude Küche servierte Hausmannskost ganz nach dem Nachbarn, Rupert und Therese Hofbauer, schau- diesen großen Mann des Geistes in seiner Ge- und Herrlichkeit des Vaters zu führen. Geschmack des Altbayern: Brez’n, Apfelstrudel ten auf einen Sprung vorbei – das Hausmeister- brechlichkeit, in seiner Altersschwäche und sei- und ein Kracherl (Limonade). paar zählt längst zu seinen Freunden. ner Endlichkeit erlebt«, sagte Voderholzer, der Be- Der Apostolische Nuntius in Deutschland, Tags darauf würdigte der Regensburger Bi- nedikt XVI. auf vielen Wegen begleitete. Der Erzbischof Nikola Eterovic, würdigte die Gesten schof Rudolf Voderholzer Benedikt XVI. bei der emeritierte Papst spreche »mit leiser, fast flüstern- Kurz notiert des Respekts und der Freundschaft. Der Nuntius Eröffnung der Wolfgangswoche im Regensburger der Stimme«, die Artikulation bereite ihm Mühe. nutzte die Gelegenheit, Benedikt XVI. noch ein- Dom Sankt Peter als »Jahrhunderttheologen« und Seine Gedanken seien völlig klar, Gedächtnis und Vatikanstadt. Der Papst hat Schiffs- mal zu treffen, für den er in dessen Pontifikat die »größten Prediger auf dem Stuhl Petri« seit den Kombinationsgabe phänomenal, betonte Bischof bediensteten und Fischern in aller Welt für Bischofssynoden im Vatikan organisiert hatte. beiden großen Päpsten Leo und Gregor. Und Voderholzer: »Man möchte jedem eine solche Zu- ihre schwierige Arbeit in der Corona-Krise Neben den Besuchen bei seinem Bruder doch, so fügte der Bischof vor mehreren Ehejubi- neigung, eine solche Beziehung unter Brüdern gedankt. »Euer Einsatz ist noch wichtiger suchte Joseph Ratzinger auch andere Orte auf, die laren hinzu, sei auch Joseph Ratzinger das Evan- wünschen. Es ist eine sehr emotionale, aber nicht geworden«, sagte Franziskus in einer Vi - ihm nach wie vor viel bedeuten: Im Familiengrab gelium zuerst von den Eltern verkündigt worden. sentimentale Beziehung, die wir hier erleben deobotschaft. Schließlich gehe es darum, auf dem Ziegetsdorfer Friedhof liegen seine Eltern Bei den Ratzingers habe der Vater jeden Samstag- durften.« die Menschen mit Lebensmitteln und an- deren wichtigen Gütern zu versorgen. Er wisse um die entbehrungsreiche Zeit, die Rassendiskriminierung Vereidigung dieses »Unsere Zukunft – nicht viele Seeleute in den vergangenen Mona- ist inakzeptabel Jahr ohne Publikum ohne die alten Menschen« ten erlebt hätten. »Lange Phasen an Bord ohne die Möglichkeit, an Land zu gehen, Genf/Vatikanstadt. Der Vatikan hat er- Rom. Der Ende Mai veröffentlichte internatio- das Getrenntsein von Familie, Freunden, neut darauf hingewiesen, dass Rassendiskrimi- nale Appell »Unsere Zukunft – nicht ohne die al- der Heimat, die Angst vor einer Infektion«, nierung in allen ihren Formen absolut untragbar ten Menschen« hat nach Angaben der Gemein- all das sei eine »schwere Last«, so der Papst sei. In einer Rede bei einer Dringlichkeitsdebatte schaft Sant’Egidio innerhalb eines Monats gut in seiner Botschaft. des UN-Menschenrechtsrates, forderte der Stän- 30.000 Unterschriften erhalten. Die Unterzeich- ****** dige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Ver- ner warnen angesichts der Covid-Pandemie vor Vatikanstadt. einten Nationen in Genf, Erzbischof Ivan Jurko- einer Zwei-Klassen-Gesundheitspolitik in Europa. Zwei vatikanische Fi- vicˇ, alle Staaten dazu auf, »die grundlegenden In vielen Ländern tauche »ein gefährliches Modell nanzbehörden wollen künftig enger gegen Menschenrechte jedes Menschen anzuerkennen Vatikanstadt. Die diesjährige Vereidigung auf, das sich fur̈ ein selektives Gesundheitswesen Korruption und mögliche Geldwäsche zu- und zu verteidigen«. Bei der Sitzung ging es um von 38 Schweizergardisten am 4. Oktober im Va- ausspricht, in dem das Leben von alten Menschen sammenarbeiten. Wie der Vatikan mit- »aktuelle rassistisch motivierte Menschenrechts- tikan wird ohne Gäste stattfinden. Wegen der als zweitrangig betrachtet wird«, heißt es in dem teilte, unterzeichneten der Präsident der verletzungen, systemischen Rassismus, Polizei- Corona-Pandemie können weder Familienan- Aufruf. Die größere Verletzlichkeit alter Men- Finanzaufsicht (AIF), Carmelo Barbagallo, brutalität und Gewalt gegen friedliche Proteste«, gehörige noch geladene Gäste und Delegationen schen solle »eine Form der Auswahl zugunsten und der kommissarische Rechnungsprü- teilten die Vereinten Nationen mit. »Alle Mitglie- teilnehmen. Die Zeremonie werde aber live über- der Jungeren̈ und Gesunderen̈ rechtfertigen«. Zu- fer, Alessandro Cassinis Righini, eine ent- der der Menschheitsfamilie sind nach dem Bild tragen, teilte die Garde mit. Vorgesehen sind um dem habe die Pandemie international gezeigt, sprechende Absichtserklärung. und Gleichnis Gottes geschaffen und somit in ih- 7.30 Uhr eine Messe im Petersdom sowie um dass alte Menschen vor allem in Einrichtungen rer inneren Würde gleich, unabhängig von Zu- 17.00 Uhr die Vereidigungszeremonie im Dama- der stationären Altenpflege starben. gehörigkeit, Nation, Geschlecht, Herkunft, Kultur sushof des Apostolischen Palastes. Zu den Erstunterzeichnern gehören Andrea oder Religion, zu der sie gehören«, sagte Vatikan- Mitte März hatte die Schweizergarde darüber Riccardi, Grunder̈ von Sant’Egidio, der ehemalige vertreter Jurkovicˇ in seinem Statement. informiert, dass die traditionelle Vereidigung am italienische Ministerpräsident und EU-Kommis- Liebe Leserinnen und Leser, Es sei an der Zeit, mit den Vorurteilen und dem 6. Mai, dem Jahrestag der Plünderung Roms sionspräsident Romano Prodi, der Philosoph Jur-̈ weiterhin wird die Arbeit der Redak- gegenseitigen Misstrauen Schluss zu machen, die 1527, auf den 4. Oktober verschoben werde. Dies gen Habermas, der fruherë Präsident des EU-Par- tion durch die Corona-Pandemie er- Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeind- sollte nach dem erhofften Ende der Pandemie die laments, Hans-Gert Pöttering, der Erzbischof von schwert. Bitte haben Sie Verständnis, lichkeit zugrunde liegen. »Niemand darf sich iso- Teilnahme von Angehörigen und anderen Gästen Bologna, Kardinal Matteo Zuppi, sowie die wenn es zu Verzögerungen bei den Er- liert fühlen, und niemand ist befugt, die Würde ermöglichen. Nun aber werde die Vereidigung fruherë deutsche Bildungsministerin und Bot- scheinungsterminen, zu reduzierten Aus- und Rechte anderer mit Füßen zu treten. Die un- aufgrund der Pandemie »in Absprache mit vorge- schafterin beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan. gaben oder außerplanmäßigen Doppel- antastbare Würde anderer mit Füßen zu treten, setzter Stelle ohne Publikum, unter Einhaltung Auch zahlreiche prominente Kirchenvertreter nummern kommen kann. Redaktion und bedeutet in Wirklichkeit, die eigene Würde mit der Schutzbestimmungen, durchgeführt«, so die und Politiker aus dem deutschsprachigen Raum Verlag bedanken sich für Ihr Verständnis. Füßen zu treten«, mahnte der Vatikandiplomat. Garde in ihrer jüngsten Mitteilung. haben den Appell unterzeichnet. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 4 Aus dem Vatikan

VATIKANISCHES BULLETIN Aus dem Vatikan in Kürze

Zum dritten Mal hat Papst Franziskus razon de Jesus Parish« in Highlandtown (Mary - Rücktritte einen Bischof in Brasilien angerufen, um Privataudienzen land), mit Zuweisung des Titularsitzes Croe; sich über die Corona-Pandemie im Land zu Der Papst nahm die Rücktrittsgesuche an: informieren. Diesmal telefonierte Franzis- 15. Juni: Der Papst empfing: 10. Juni: kus mit dem Erzbischof des Wallfahrtsorts – zum Bischof der Diözese Huelva (Spanien): Aparecida, Orlando Brandes. Der Papst 12. Juni: Santiago Gómez Sierra, bisher Weihbischof in – von Erzbischof Robert James Carlson von der habe »seine Solidarität mit dem brasiliani- – den Präfekten der Kongregation für die Evange- der Erzdiözese Sevilla und Titularbischof von Leitung der Metropolitan-Erzdiözese Louis schen Volk« zum Ausdruck gebracht, be- lisierung der Völker, Kardinal Luis Antonio G. Vergi; (Vereinigte Staaten von Amerika); richtete der Erzbischof im Anschluss. Fran- Tagle; – zum Bischof von Salto (Uruguay): Arturo – von Bischof Aloísio Jorge Pena Vitral von der ziskus habe ihm gesagt, dass er für die – den Botschafter der Europäischen Union, Jan Eduardo Fajardo Bustamante, bisher Bischof Leitung der Diözese Sete Lagoas (Brasilien); Brasilianer bete und die Nachrichten aus Tombinski, zu seinem Abschiedsbesuch; von San José de Mayo; dem Land genau verfolge. Während der 15. Juni: – zum Bischof der Diözese Caxito (Angola): Pandemie hatte der Papst schon mit dem – die Präsidentin des Italienischen Verfassungs- – von Bischof José Vilaplana Blasco von der P. Maurício Agostinho Camuto CSsP, bisher Erzbischof von Manaus am Amazonas so- gerichts, Prof. Marta Cartabia; Leitung der Diözese Huelva (Spanien); Direktor des Nationalen Katholischen Radiosen- wie mit dem Erzbischof von São Paulo tele- – Mitglieder des Nationalpräsidiums der Kirchli- ders »Radio Ecclesia«; 18. Juni: foniert. Brasilien weist in der Coronavirus- chen Bewegung für Kulturelles Engagement Pandemie nach den Vereinigten Staaten – von Bischof Luigi Marrucci von der Leitung (MEIC); 17. Juni: weltweit die meisten Infektionen und To- der Diözese Civitavecchia-Tarquinia (Italien); – den Geistlichen Botschaftsrat der Botschaft der – zum Bischof der Diözese Uruaçu (Brasilien): desfälle auf. Giovani Carlos Caldas Barroca, vom Klerus Republik Italien beim Heiligen Stuhl, Don Pas- 19. Juni: ******* der Erzdiözese Brasília, bisher Pfarrer der Pfarrei quale Spinoso; – von Erzbischof Francesco Panfilo von der Lei- »São Miguel Arcanjo« in Recanto das Emas-DF; Eintrittskarten für die Vatikanischen 13. Juni: tung der Erzdiözese Rabaul (Papua-Neuguinea); Museen sind vorerst nur bis Ende Juli on- – zum Bischof von Gozo (Malta): Anthony – den Präfekten der Kongregation für die line buchbar. Wie eine Sprecherin der Teuma, vom Klerus der Diözese, bisher Bischöf- 23. Juni: Bischöfe, Kardinal ; Museen sagte, würden Kontingente für licher Delegat für die Familie und Verantwortli- Antonio J. Ledesma – von Erzbischof von der August und September erst dann freige- – den leitenden Staatsanwalt der nationalen An- cher des »John Paul II Family Institute« in Gozo; Leitung der Metropolitan-Erzdiözese Cagayan de schaltet, wenn die weitere Corona-Infekti- timafia- und Antiterrorismus-Behörde, Dr. Fede- Oro (Philippinen); rico Cafiero de Raho; 18. Juni: onsrate sich klarer abzeichne. Dann werde – von Bischof Luis Armando Tineo Rivera von man auch entscheiden, ob Besucherzahlen – den Direktor des »Osservatore Romano«, Prof. – zum Bischof von Civitavecchia-Tarquinia (Ita- der Leitung der Diözese Carora (Venezuela). und Einlass-Frequenz erhöht werden kön- Andrea Monda; lien): Gianrico Ruzza, bisher Weihbischof in der Diözese Rom und Titularbischof von Subaugusta; nen. Die Vatikanischen Museen hatten 15. Juni: Todesfälle nach fast dreimonatiger Schließung erst- – zum Weihbischof in der Diözese San Cristóbal mals wieder am 1. Juni geöffnet. – den Präfekten der Kongregation für die Orien- de Venezuela (Venezuela): Juan Alberto Ayala Am 9. Juni ist der ehemalige Weihbischof in talischen Kirchen, Kardinal ; Ramírez, vom Klerus der Diözese, bisher Bi- der Diözese Derry in Irland, Francis Lagan, Ti- schofsvikar für den Bezirk »Espíritu Santo« und 18. Juni: tularbischof von Sidnacestre, im Alter von 85 Jah- Pfarrer der Pfarrei »Nuestra Señora de los Ánge- Ferrer, Präfekt der Kongregation für die Glau- – den Erzbischof von Agrigent (Italien), Kardinal ren gestorben. benslehre; Kardinal , , mit dem Erzbischof- les« in La Grita, mit Zuweisung des Titularsitzes Ebenfalls am 9. Juni ist der emeritierte Erzbi- Präfekt des Obersten Gerichtshofs der Apostoli- Koadjutor, Alessandro Damiano, und dem Erz- Rusubisir; schof von Antélias der Maroniten im Libanon, schen Signatur; Kardinal Joseph , bischof von Catanzaro-Squillace, Vincenzo Ber- 19. Juni: Youssef Béchara, im Alter von 85 Jahren ge- Präfekt des Dikasteriums für die Laien, die Fami- tolone; – zum Erzbischof von Rabaul (Papua-Neugui- storben. lie und das Leben. – den Botschafter von Belgien, Graf John Cornet nea): Rochus Josef Tatamai, bisher Bischof von Am 11. Juni ist der emeritierte Bischof von d’Elzius, zu seinem Abschiedsbesuch; Kavieng; Christchurch in Neuseeland, Basil Meeking, im Apostolische Nuntiaturen 19. Juni: – zum Bischof von Duluth (Vereinigte Staaten Alter von 90 Jahren gestorben. – den Präfekten der Kongregation für die Selig- von Amerika): Michel Mulloy, vom Klerus der Am 12. Juni ist der emeritierte Bischof von Der Papst ernannte: und Heiligsprechungsprozesse, Kardinal Angelo Diözese Rapid City, bisher Diözesanadministra- Cesena-Sarsina in Italien, Lino Garavaglia, aus Becciu; tor; dem Kapuzinerorden, im Alter von 92 Jahren ge- 13. Juni: – zum Bischof der Diözese Mandeville (Jamaika): storben. – zum Apostolischen Nuntius in Sri Lanka: Brian 20. Juni: John Derek Persaud, vom Klerus der Diözese Am 13. Juni ist der syrische Erzbischof von Udaigwe, Titularerzbischof von Suelli, bisher – den Präfekten der Kongregation für die Georgetown (Guyana), bisher Generalvikar, Vi- Homs in Syrien, Philippe Barakat, im Alter von Apostolischer Nuntius in Benin und in Togo. Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet; kar für den Klerus und Administrator der Kathe- 67 Jahren gestorben. – den Botschafter von Nigeria, Godwin George drale; Am 15. Juni ist der emeritierte Bischof von Umo, zu seinem Abschiedsbesuch; 20. Juni: Speyer in der Bundesrepublik Deutschland, An- – den Botschafter von Indien, George Sibi, zu – zum Bischof von Copiapó (Chile): P. Ricardo ton Schlembach, im Alter von 88 Jahren ge- seinem Abschiedsbesuch; Basilio Morales Galindo OdeM, bisher Apo- storben. 22. Juni: stolischer Administrator »sede vacante et ad nu- Am 16. Juni ist der Bischof von Penedo in Bra- silien, Valério Breda, aus dem Orden der Salesi- – den Generalvikar Seiner Heiligkeit für die Diö- tum Sanctae Sedis« der Erzdiözese Puerto Montt; aner, im Alter von 75 Jahren gestorben. zese Rom, Kardinal ; – zum Weihbischof in der Erzdiözese Santo Do- Am 21. Juni ist der emeritierte Erzbischof von L’OSSERVATORE ROMANO – den Erzpriester der Päpstlichen Basilika Santa mingo (Dominikanische Republik): José Ama- Wochenausgabe in deutscher Sprache ble Durán Tineo, vom Klerus der Erzdiözese La Serena in Chile, Bernardino Piñera Car- 50. Jahrgang Maria Maggiore, Kardinal Stanislaw Rylko; Herausgeber: Apostolischer Stuhl Santiago de los Caballeros, bisher Rektor des na- vallo, im Alter von 104 Jahren gestorben. Er war Andrea Monda – den Präsidenten der Päpstlichen Akademie für Verantwortlicher Direktor: tionalen Priesterseminars »Santo Tomás de der älteste Bischof der Welt. Vizedirektor: Giuseppe Fiorentino das Leben, Vincenzo Paglia. Aquino« in Santo Domingo, mit Zuweisung des Titularsitzes Tacia Montana; Redaktion Der Apostolische Stuhl I-00120 Vatikanstadt; 23. Juni: Tel.: 00 39/06 69 89 94 30; Bischofskollegium Internet: http://www.vatican.va; – zum Metropolitan-Erzbischof der Erzdiözese E-Mail: [email protected] Römische Kurie Bilder: Foto-Service und Archiv O.R. Ernennungen Cagayan de Oro (Philippinen): Jose A. Caban- Tel.: 00 39/06 69 88 47 97; E-Mail: [email protected] tan, bisher Bischof von Malaybalay. Der Papst ernannte: Verlag: Schwabenverlag AG; Vorstand: Ulrich Peters Der Papst ernannte: Vertrieb: Annika Wedde; Anzeigen: Angela Rössel Postfach 42 80; D-73745 Ostfildern; 10. Juni: 12. Juni: Tel.: (07 11) 44 06-0; Fax: (07 11) 44 06 138; Internet: http://www.schwabenverlag.de; – zum Metropolitan-Erzbischof von Saint Louis Heiliger Stuhl – zum Mitglied des Verwaltungsrats der Vatika- E-Mail: [email protected] nischen Finanzinformationsbehörde (AIF): Prof. Druck: Pressehaus Stuttgart Druck GmbH (Vereinigte Staaten von Amerika): Mitchell Tho- Plieninger Straße 150, D-70567 Stuttgart; mas Rozanski, bisher Bischof von Springfield in 12. Juni: Antonella Sciarrone Alibrandi, Vizerektorin Jahresabonnement: Deutschland e 98,50; Schweiz der Katholischen Universität vom Heiligsten Her- sFr. 135,–; restl. Europa e 102,50; Übersee e 129,50. Massachusetts; Papst Franziskus hat Dr. Raffaella Vin- ISSN 0179-7387 zen (Italien); Folgende Bankverbindungen gelten für die Kunden in – zum Bischof der Diözese Sete Lagoas (Brasi- centi, Sekretärin der Bibliothek, zur Büro- Deutschland, Österreich und der Schweiz: lien): Francisco Cota de Oliveira, bisher Weih- leiterin in der Vatikanischen Apostoli- 15. Juni: Deutschland: Liga Bank Regensburg; BIC: GENODEF1M05; bischof in der Erzdiözese Curitiba und Titularbi- IBAN: DE53750903000006486142; schen Bibliothek ernannt. – zum Sekretär der Verwaltung der Güter des Österreich: BAWAG P.S.K.; BIC: OPSKATWW; IBAN: AT476 schof von Fiorentino; Apostolischen Stuhls (APSA): Dott. Fabio Gas- 000000007576654 14. Juni: Schweiz: PostFinance AG; BIC: POFICHBEXXX; IBAN: – zum Weihbischof in der Erzdiözese Baltimore perini; CH2809000000800470123 (Vereinigte Staaten von Amerika): P. Bruce Le- Papst Franziskus hat Lubomír Welnitz, Abonnementgebühren sind erst nach Rechnungserhalt zahl- bar. Abbestellungen können nur schriftlich mit einer Frist wandowski CSsR, Mitglied der Provinz Balti- aus der Priestervereinigung »Werk Jesu des 19. Juni: von 6 Wochen zum Bezugsjahresende entgegengenommen more der Kongregation des Heiligsten Erlösers Hohenpriesters« und Beamter der Aposto- – zu Mitgliedern des Päpstlichen Rats für die Ge- werden. Bei Anschriftenänderung unserer Leser ist die Post berechtigt, diese an den Verlag weiterzuleiten. Zur Zeit ist die (Redemptoristen), bisher Delegat »ad interim« für lischen Pönitentiarie, zum Päpstlichen Ze- setzestexte: Kardinal Luis Antonio G. Tagle, Anzeigenpreisliste Nr. 29 vom 1. Januar 2019 gültig. Für un- die Hispanics in der Erzdiözese Baltimore und remoniar ernannt. Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung verlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Ge- währ übernommen. Pfarrer der »Sacred Heart of Jesus / Sagrado Co- der Völker; Kardinal Luis Francisco Ladaria 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Kultur 5

Die Kirche Santa Maria in Cappella in Trastevere Ein Ort des Gebets für die Seefahrer

Die architektonische Landschaft Roms ist nicht aus einem Guss. Sie spiegelt die wechselvolle Geschichte der Ewigen Stadt wieder. Unter städtebaulichem Gesichtspunkt präsentiert sich diese Geschichte gewissermaßen als eine Folge von Renaissancen.

Von Prälat Winfried König

ede Renaissance bedeutete die Errichtung einer Reihe prägnanter Bauten, die sich Jzwar vom überkommenen Stadtbild inspi- rieren ließen, es aber grundlegend verwandelten. Blick vom Vorhof auf Fassade und Glockenturm So etwa die Renaissance der Flavier-Kaiser im (oben); 2. Jahrhundert, die karolingische Renaissance im der Innenraum des Gotteshauses (links); 9. Jahrhundert oder die eigentliche Renaissance im 15. Jahrhundert. Zu diesen Umbrüchen muss der würfelförmige Altarblock aus Marmor mit man auch die sogenannte »gregorianische Re- dem Relief eines Lammes mit Kreuzstab auf der form« im 11. Jahrhundert zählen. Nach einer län- Stirnseite (unten); geren Zeit des Niedergangs hatte das Papsttum Marmorplatte mit Weiheinschrift (ganz unten). unter Gregor VII. (1073-1085) und Urban II. (1088-1099) wieder an Ansehen gewonnen, was Lesart des Satzes »… ECCLESIA SCE MARIE Sant’Andrea in Valle bei Terni ge- in der Folge zur prächtigen Erneuerung des Stadt- QVE APPELLA(tur) AD PINEA(m)« – »… die Kir- ben dazu Anhaltspunkte. bildes – in Anknüpfung an das Christentum der che der heiligen Maria, die ›zur Pinie‹ genannt Die eigentliche »Provokation« Spätantike – führte. Rom wurde wieder einmal wird« –, nämlich das QVE APPELLA, zu dem spä- für den Christen des ausgehenden eine Stadt der Kirchen. Den Auftakt dazu stellte teren Namen »Santa Maria in Cappella« geführt 11. Jahrhunderts war aber die Ab- der Bau der kleinen romanischen Kirche Santa hat. Manche Historiker finden es allerdings plau- bildung des Lammes mit dem Maria in Cappella im südlichen Trastevere dar. sibler, den Ausdruck »in Cappella« mit den »Cup- Kreuzstab, ein Sinnbild des Agnus pelle« in Verbindung zu bringen, den Wasserfäs- Dei und des auferstandenen Chris- Romanisches Gotteshaus sern, die in benachbarten Werkstätten hergestellt tus. Seit der Trullanischen Synode wurden. Das Wort »Pinea« hingegen, das auch in von 691 war für die orthodoxe Welt Etwas versteckt hinter dem Gesundheitsmi - anderen zeitgenössischen Handschriften auftritt, die Darstellung Christi als Lamm nisterium finden wir am rechten Tiberufer, fast ist offenbar eine topographische Bezeichnung. Es Gottes verboten. In Rom gab es gegenüber von , das weist wahrscheinlich auf die Stelle im Tiber hin, zwar seit frühester Zeit die soge- kleine romanische Gotteshaus von Santa Maria wo noch im Mittelalter die Stümpfe der antiken nannten »Lämmerfriese« – zwölf in Cappella. Ihr heutiges bescheidenes Hinterhof- Holzbrücke Pons Suplicius im Wasser zu sehen Lämmer geschart um ein Lamm auf dasein lässt kaum die prominente Lage erahnen, waren. Diese traditionsreiche Brücke, die schon einem Berg –, aber das herausge- die die Kirche bei ihrer Erbauung im Jahr 1090 in- in republikanischer Zeit entstanden und immer hobene Lamm trug keinen Kreuz- nehatte. Damals erhob sie sich am Nordrand des wieder erneuert worden war, wurde spätestens stab als Symbol der Auferstehung. römischen Stadthafens Ripa Grande, dort wo die bei den Gotenkriegen im 6. Jahrhundert zerstört. sich zwei kleine versiegelte Tonkrüge befanden. Erst Papst Sergius I. (687-701) führte als Geste des Gasse der Genueser Schiffergenossenschaften, Auf der Inschrift findet sich schließlich das ge- In dem einen Gefäß waren Reliquien des Papstes Protestes gegen die Beschlüsse des Trullanums die Via dei Genovesi, von Trastevere kommend naue Datum der Kirchweihe, der 25. März 1090, Cornelius, des Apostels Petrus sowie der Märty- die Darstellung des Agnus Dei mit dem Kreuzstab geradewegs auf den Tiber zuläuft. Der Hafen das Fest Mariä Verkündigung, das schon seit der rer Anastasius und Melix ausgezeichnet, im an- auf dem Triumphbogen der Kirche Santi Cosma e hatte im Mittelalter eine große Bedeutung. Er war Antike in Rom gefeiert wurde. Die Namen der bei- deren die des heiligen Hippolyt und der Märtyre- Damiano ein. Allseits bekannt ist dann der end- innerhalb der Stadtmauern Roms gelegen, was den prominenten Bischöfe der suburbikarischen rin Marmenia. Eben dieselben Heiligen werden gültige Bruch zwischen der Christenheit des von nicht geringem Belang war in einer Zeit, wo Diözesen Sabina und Tusculum (Frascati), die auch in der Weiheinschrift erwähnt, was darauf Ostens und des Westens im Jahre 1054. Es gab Sarazenen und Piraten die Küsten Italiens unsi- Aufzählung der bedeutenden Reliquien und das schließen lässt, dass der Altar das gleiche Alter noch einen Versuch der Verständigung bei einer cher machten. Der Unterlauf des Tiber war zu- hohe liturgische Fest als Weihedatum weisen so- wie die Kirche besitzt. Der heilige Hippolyt ist Synode in Bari 1089, doch dieses Bemühen schei- dem im Mittelalter gut schiffbar, konnten doch mit auf die besondere Stellung dieser Kirche hin. übrigens auch der Patron der suburbikarischen terte. So war das Agnus Dei gleichsam ein Glau- sogar mittelgroße Segelschiffe, die günstigen Wenn wir nun in die Kirche eintreten, glau- Diözese Porto, die gleich an den Hafen anschloss, bensbekenntnis, das dem aus dem Osten mit Land- und Seewinde über dem unbebauten Vor- ben wir uns in einer alten römischen Basilika en so dass die Kirche durch Petrus und Cornelius als dem Schiff anreisenden Pilger deutlich machte, land ausnutzend, bis zum südlichen Stadtrand ge- miniature zu befinden. Vor uns öffnet sich ein die römischen Patrone wie auch durch Hippolyt, welche Konfession in Rom das Sagen hatte. langen. Diese Voraussetzungen sind heute we- dreischiffiger Kirchenraum, die Seitenschiffe je- den Patron Portos, sozusagen doppelt geschützt Etwa zwei Jahrzehnte nach der Kirchweihe, gen der Verlagerung und Versandung der weils durch antike Säulen mit korinthischen Ka- war. so entnimmt man zeitgenössischen Dokumen- Tibermündung sowie der zunehmenden Besie- pitellen vom Hauptschiff getrennt. Auf den Säu- ten, wurde noch ein zweiter Altar in Santa Ma- delung nicht mehr gegeben. len ruhen Architrave, die die Mauern des Würfelförmiger Altar ria in Cappella konsekriert. Welche genaue Gleich beim Eintreten in die kleine Kirche er- erhöhten Mittelschiffs mit schlanken rundbogi- Funktion die Kirche damals hatte, ist nicht mehr blickt der Besucher rechts eine Marmorplatte mit gen Fenstern tragen. Die Architrave erinnern an Ins Auge fällt dem Besucher jedenfalls die eindeutig zu ermitteln. Die Lage am Stadtrand der Weiheinschrift, die Aufschluss gibt über die die Bauweise von oder Würfelform des Altars. In der Neuzeit hat man und die Nähe zum Hafen lassen eine Aufgabe Entstehung dieses sakralen Baus. Es ist im Mittel- auch die der alten Petersbasilika, wogegen in an- den Altar durch eine lange Altarplatte, die auf vermuten, die mit der Schifffahrt oder dem alter nicht häufig der Fall und unterstreicht auch deren antiken Kirchen, wie in Sankt Paul vor den schlanken Säulenpaaren am Rande aufruhte, Pilgerwesen zu tun hatte, lag die Kirche doch in Mauern oder , in wieder auf »Normalform« gebracht, die Ausmaße der Verlängerung der Via della Lungara, der alten »modernerer« Bauweise die Säu- eines Sarkophags, wie man sich die antiken Pilgerstraße zum Petersdom. Jedenfalls geriet len durch Rundbögen über- Altäre vorstellte. Tatsächlich haben die frühen Santa Maria in Cappella relativ schnell in Verges- brückt wurden. Der Kirchen- Christen die Eucharistie gelegentlich auf den Grä- senheit und wurde Ende des 14. Jahrhunderts raum schließt dann mit einer bern der Märtyrer, wie zum Beispiel in Sankt Teil eines mittelalterlichen Spitals der Familie Rundapsis ab. Auch hier gibt es Paul vor den Mauern, gefeiert. In Anlehnung an Ponziani, der Schwiegereltern der heiligen einen Unterschied zu den anti- diese Grabaltäre waren daher rechteckige, kas - Frances ca Romana. ken Vorbildern. Während die an- tenförmige Altäre im Gebrauch. Der erste Krankensaal wurde übrigens im tiken Basiliken meist mit einer Um die erste Jahrtausendwende wurden die rechten Seitenschiff der Kirche eingerichtet. geräumigen Apsis nach Westen Altäre kürzer; sie nahmen gelegentlich sogar die Aber auch diese Einrichtung wurde etwa hun- die Bedeutung des Gebäudes, dass an Ort und abschlossen, finden wir in Santa Maria in Cap- Form eines Würfels an. Das Märtyrergrab als dert Jahre später aufgegeben und die Kirche ver- Stelle so ausführlich über die Weihe der Kirche pella eine schmale geostete Apsis vor. Unterlage des Messopfers schwand aus dem fiel. Erst im 18. Jahrhundert erwarb Donna Olim- berichtet wird. Dort heißt es nämlich: »Am Offenbar gab es kein früheres Sakralgebäude Bewuss tsein, und an seine Stelle trat der Opfer- pia Maidalchini-Pamphilj die Gebäude mit dem 25. März des Jahres 1090 wurde diese Kirche der am Ort von Santa Maria in Cappella, was Grabun- stein in Bezug auf die Opfer des Alten Testaments, umliegenden Brachland und richtete neben ei- heiligen Maria, mit dem Namen ›zur Pinie‹, von gen im Kircheninneren gezeigt haben. In antiker die Vorbild auch für das Opfer Christi sind. So fin- ner kleinen Sommerresidenz am Tiberufer ein den Bischöfen Ubaldus von Sabina und Johannes Zeit befanden sich hier Lagerräume und Getreide- den wir »Würfel«-Altäre in vielen Kirchenneubau- Hospiz für Pilger ein, in das die Kirche integriert von Tusculum unter dem Pontifikat von Urban II. speicher, die im Laufe der Zeit durch kriegerische ten des 11. und 12. Jahrhunderts, nicht zuletzt in wurde. Heute befindet sich in diesem Komplex geweiht. In ihr befinden sich Reliquien vom Kleid Ereignisse zerstört wurden. Santa Maria in Vescovio, der alten Bischofskirche ein Altersheim. der heiligen Jungfrau Maria, ferner Reliquien des Das interessanteste Stück der Ausstattung der der Diözese Sabina, die ebenfalls von Bischof Der kleine interessante Kirchenbau hatte eine Apostels Petrus, der Päpste Cornelius, Calixtus Kirche ist zweifellos der würfelförmige Altar- Ubaldus geweiht worden war. Aber auch die nur kurze Glanzzeit. Dann trat er in den Schatten und Felix sowie der Märtyrer Hippolyt, Anasta- block aus Marmor mit dem Relief eines Lammes Buchmalerei jener Zeit zeigt meist diese Altäre in der prächtigen Neubauten des 12. Jahrhunderts: sius, Melix und Marmenia. Damasus hat diese mit Kreuzstab auf der Stirnseite. Bei einer Restau- Würfelform, und nicht zuletzt die Darstellungen Santa Maria in Trastevere und San Crisogono, San Gabe für sein Seelenheil Christus dem Erlöser ge- rierung vor einigen Jahren entdeckte man ein von des Opfers Isaaks auf einem würfelförmigen Altar Clemente und , die neuen schenkt.« Man nimmt an, dass eine fehlerhafte oben in den Altar eingelassenes Reliquiar, in dem in den romanischen Freskenzyklen in Ceri oder Perlen im Kranz der Kirchen Roms. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 6 Aus dem Vatikan

Archivsplitter aus dem Pontifikat von Papst Pius XII. Geschichten rund um den Petersdom

Wie die anderen Vatikanarchive hat auch terkommission eingerichtet. Die Entwürfe wur- Duilio Cambellotti, Venenazo Crocetti, Lorenzo das Archiv der Dombauhütte seine Quellen aus den anonym an die Kommission weitergegeben, Ferri, Pierre Théze. dem Pontifikat Pius XII. für die Konsultation in- nur von einem Motto begleitet. Die zwölf Sieger wurden aus unterschiedli- ventarisiert. Zahlreiche Dokumente bezeugen Der Wettbewerb für drei Bronzetüren ging chen Gründen ausgewählt: einige hatten sich an die geistliche, künstlerische und soziale Akti- aus einer testamentarischen Stiftung durch Prinz ein klassisches Kompositionsschema gehalten, vität dieser Einrichtung. Zwei Beispiele sollen Georg von Bayern hervor. Der Priester und Dom- andere dagegen hatten einen neuen modernen hier vorgestellt werden. herr von St. Peter war 1943 verstorben und hatte Stil vorgeschlagen, der christlicher Kunst zu festgelegt, dass sein Privatvermögen für die Schaf- neuen Ausdrucksformen verholfen hätte. Im fung von drei Bronzetüren am Petersdom einge- zweiten Fall waren die Ansichten der Kommissi- Von Assunta Di Sante, Archivarin setzt werden sollte. Bei seinem Tod gab es neben onsmitglieder geteilt. Einige bewerteten die »in- der bronzenen Mitteltür von Filarete aus dem novativen« Vorschläge positiv als Ausdruck eines 15. Jahrhundert und der zugemauerten Heiligen modernen, kultivierten Geschmacks, andere da- Pforte lediglich drei einfache Holztüren. Der gegen kritisierten zum Beispiel die Entwürfe von Zwei Frauen im Archiv Zweite Weltkrieg machte das Zusammentreten Giacomo Manzù als »unpassend« für die Vatikan- der Dombauhütte von St. Peter der Wettbewerbskommission unmöglich, deren basilika. »Es wäre so, als würde man die Tür von Mitglieder der Erblasser aus Kurienmitgliedern Filarete mit einer ernsthaften Dame im langen und Akademikern selbst bestimmt hatte. Die Kleid vergleichen. Dürfte man es wagen, dieser uerst ein Zeugnis der Solidarität und der Kommission trat erst im Frühjahr 1947 zusam- ernsthaften Dame zwei Mädchen aus Hollywood ZMenschlichkeit über konfessionelle und men. Offiziell ausgeschrieben wurde der interna- oder zwei Miss Americas in kurzen Kleidchen mit politische Grenzen hinaus: Es geht um die Ge- tionale Wettbewerb am 1. Juli 1947. Jeder Künst- tiefem Ausschnitt zur Seite zu stellen?«, wetterte schichte zweier Frauen, zweier Archivarinnen ler sollte drei Probearbeiten einreichen: eine ein Kommissionsmitglied. Alle Sieger der ersten im Archiv der Dombauhütte: Anna Maria und Zeichnung des Modells der gesamten Tür im Runde nahmen am zweiten Durchgang teil. Die Eva Maria, eine Jüdin aus Florenz und eine deut- Eva Maria Jung Maßstab 1:10, ein Gipsmodell einer Szene mit Entwürfe waren vom 20. bis 26. Juli 1949 wieder sche Gegnerin der Nationalsozialisten. Rahmen im Maßstab 1:4 sowie ein Detail dieser im »Braccio di Costantino« zu sehen. Nach einge- Anna Maria Enriques Agnoletti wurde am Szene ebenfalls aus Gips im Verhältnis 1:1. Ob- hender Diskussion wurden am 14. April des Hei- 14. September 1907 als Tochter eines jüdischen Vergessenheit geraten. Bei der Inventarisierung wohl die Zeitspanne für Einsendungen relativ ligen Jahres 1950 die Sieger verkündet: Venanzo Vaters und einer katholischen Mutter in Bologna der Dokumente kamen die beiden »blinden Pas- kurz bemessen war, trafen bis zum 30. Dezem- Crocetti, Alfredo Biagini (1952 verstorben, Fran- geboren. Als hoch gebildete Frau, geschätzte Wis- sagiere des Papstes« überraschenderweise wie- ber 1947 über 80 Projekte aus der ganzen Welt cesco Nagni und Alessandro Monteleone rückten senschaftlerin und Archivarin arbeitete sie in den der zum Vorschein. Anna Maria und Eva Maria ein. Den Vorsitz der Kommission hatte der Erz- nach) und Giacomo Manzù. Letztendlich schufen 1930er Jahren im Florentinischen Staatsarchiv, arbeiteten bis Ende August 1943 zusammen, als priester der Basilika inne (Kardinal Federico Te- nur Crocetti und Manzù je eine Tür, die dritte bis sie aufgrund der italienischen Rassengesetze ihre Wege sich trennten. deschini), sie setzte sich zusammen aus zwei stammt von Luciano Minguzzi. ihre Arbeit verlor. Sie kam nach Rom, wo sie nach Die Florentinerin verließ nach dem 8. Sep- Domherren (Msgr. Carlo Grosso und Msgr. Vin- Im Heiligen Jahr wurde eine weitere Tür im di- 1940 die christlich-soziale Bewegung (später Par- tember 1943 das Archiv der Dombauhütte, um in cenzo Bianchi Cagliesi) sowie dem Generaldirek- rekten Auftrag des Ökonomen und Sekretärs der tei), die geprägt war von einem am Evangelium der Toskana in die Aktionspartei (»Partito d’A- tor der Vatikanmuseen (Prof. Bartolomeo No- Dombauhütte, Ludwig Kaas, geschaffen: Vico inspirierten liberalen Sozialismus, mitbegründete zione«) einzutreten. Zusammen mit ihrer Mutter gara), der von zwei Fachmännern unterstützt Consorti fertigte zwei Bronzeflügel für die Heilige und aktiv unterstützte. wurde sie am 15. Mai 1944 verhaftet und unter Seit Juni 1939 war sie wissenschaftliche Mit- schwersten Anschuldigungen entsetzlichen Tor- arbeiterin der Vatikanischen Apostolischen Bi- turen unterzogen. Ihr Schweigen und ihre Cha- Blick in die Ausstellung bliothek, Anfang 1942 fand sie auf Wunsch des rakterstärke bestätigten den Verdacht, dass sie der Projekte für die damaligen Ökonoms und Sekretärs der Dom- eine wichtige Persönlichkeit des toskanischen drei Bronzetüren des bauhütte, Msgr. Ludwig Kaas, einen ihrer Ausbil- Widerstands war. Am 12. Juni 1944 wurde sie als Petersdoms. Vom 6. dung angemessenen, sicheren und verborgenen einzige Frau zusammen mit sechs Männern in bis 8. Februar 1948 Arbeitsplatz im Archiv der Dombauhütte, dessen Cercina durch die Faschisten erschossen. Zu waren die 80 einge- Räumlichkeiten sich im Dachgeschoss der Basi- ihrem Gedenken benannte das Staatsarchiv Flo- reichten Entwürfe im lika befanden. Sie wurde mit der Aufgabe der In- renz 2005 die Schule für Archivkunde, Paläogra- »Braccio di Costan- ventarisierung beauftragt. Ein Jahr später wurde fie und Diplomatik nach ihr. tino« rechts vom Pe- ihr eine weitere Frau zur Seite gestellt: Eva Maria Die Geschichte der zweiten Frau hat einen tersdom zu sehen. Sie Jung. unbeschwerteren Ausklang. Sie arbeitete bis waren nicht mit Na- Ende Oktober 1943 im Archiv und fand bei der men versehen, da al- Besetzung Roms durch die Deutschen Zuflucht lein der künstlerische im Campo Santo Teutonico. Nach der Befreiung Entwurf zählen sollte begann für sie ein neues Leben ohne Todesdro- und nicht der Name hungen. Sie promovierte in Kirchengeschichte des Künstlers. Zahlrei- mit einer Dissertation über den Evangelismus in che Künstler und Inter- Italien. Im Herbst 1947 wanderte sie nach Ame- essierte besuchten die rika aus und unterrichtete an der Georgetown Ausstellung und gaben University in Washington. Als sie den in Rom an- ihre Bewertung ab. Die sässigen griechischen Kirchenhistoriker Emilios Dokumente sind im Inglessis kennenlernte, kehrte sie nach Rom Archiv der Dom- zurück. 1959 wurden sie von Papst Johannes bauhütte erhalten, XXIII. getraut. Später schrieb sie für die deutsche während die Entwürfe Wochenausgabe des Osservatore Romano und den Künstlern zurück- war als Rom-Führerin, Vortragsrednerin und gegeben wurden. Sachbuchautorin tätig. Wie sie selbst sagte, hatte sie »vier Jahre lang das ungewöhnliche Privileg genossen, im Campo Santo Teutonico gleichsam wurde, dem Medailleur und Bildhauer Pietro Ca- Pforte an, die zunächst nur bei der nächtlichen wie ein blinder Passagier in der Arche – nonica und dem Architekten Arnaldo Foschini. Schließung der Heiligen Pforte in den Jubiläums- und das war der Campo Santo für mich gewesen Vorgesehen war weiter die Teilnahme des deut- jahren in Funktion traten. Ansonsten blieb die – wohnen zu dürfen«. Sie starb mit 87 Jahren im schen Botschafters beim Heiligen Stuhl (falls er Tür vermauert. Doch Papst Paul VI. änderte am Jahr 2007. Ihr Grab befindet sich auf dem Campo im Amt war) und von Pietro Galeazzi als Vertre- Ende des Heiligen Jahres 1975 das Zeremoniell Anna Maria Enriques Agnoletti Santo. ter des Kollegiums der Architekten der Dom- der Öffnung und Schließung der Heiligen Pforte. bauhütte, der zugleich Direktor der Technischen Jetzt stand nicht mehr die Errichtung und das Ein- Eva Maria war 22 Jahre alt, eine tempera- Dienste des Staates der Vatikanstadt war. reißen der Mauer im Mittelpunkt, sondern die mentvolle, rebellische Tochter aus einer strengen Die Entwürfe wurden im »Braccio di Costan- symbolische Geste der Öffnung und Schließung preußisch-protestantischen Familie, die ohne Die Ausschreibung tino« ausgestellt, Vertreter der Akademien, Kunst- der Türflügel. Von jenem Augenblick an lädt die Wissen ihrer Eltern katholisch geworden war. für drei Bronzetüren institute und Künstler waren eingeladen, schrift- Öffnung der von Consorti geschaffenen Tür die Als Gegnerin der Nationalsozialisten war es ihr lich ihre Bewertung abzugeben. Diese umfangrei- Gläubigen ein, das Haus Gottes zu betreten. gelungen, aus Deutschland zu fliehen. Sie kam chen Unterlagen sind im Archiv der Dombauhütte Anfang 1943 als Hausangestellte eines deutschen m Pontifikat von Papst Pius XII. kam es zwi- erhalten. Allerdings war keiner der Entwürfe in- Diplomaten nach Rom. Aber die Nationalsoziali- Ischen 1939 und 1949 zur Ausschreibung haltlich und formal wirklich überzeugend. Man Die beiden Artikel stammen aus dem monatlich sten hatten sie hier aufgespürt, so dass sie sich für drei größere Projekte im Petersdom: drei Bron- beschloss also, zwölf Künstler dieser ersten Phase in italienischer Sprache erscheinenden Nachrich- schließlich im Kloster der Salvatorianerinnen auf zetüren, das Grabmal für Pius XI. und den Ent- mit einer Goldmedaille auszuzeichnen und sie zur tenblatt »La Basilica di S. Pietro« (32. Jg. Januar dem Gianicolo-Hügel verstecken musste. Damals wurf für ein Mosaik zu Ehren des heiligen Josef, Einreichung einer weiteren Probearbeit aufzufor- 2020, Nr. 1 und Nr. 2.). Herausgeber ist die Dom- bot Msgr. Kaas ihr an, an der Seite von Anna Ma- Patron der Kirche. Die drei künstlerischen Wett- dern: Arturo Dazzi, Filippo Sgarlata, Alfredo Bia- bauhütte »Fabbrica di San Pietro«. Das Blatt berich- ria im Archiv der Dombauhütte zu arbeiten. bewerbe waren international und nicht konfessi- gini, Antonio Biggi, Giacomo Manzù, Publio Mar- tet über besondere aktuelle Ereignisse und Besucher Bis vor einigen Monaten war die Anwesen- onsgebunden. Es wurden eine Kommission aus tinucci, Vico Consorti, Francesco Nagni und und enthält auch Artikel über Kunst und Geschichte heit der beiden Frauen im Archiv so gut wie in Kurienmitgliedern sowie eine künstlerische Un- Alessandro Monteleone (gemeinsames Projekt), des Petersdoms. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 7

Eucharistiefeier im Petersdom am Hochfest des Leibes und Blutes Christi Lebendig und wahrhaftig unter uns zugegen Predigt von Papst Franziskus am 14. Juni

»Du sollst an den ganzen Weg denken, den Jesu vor Augen. Tut dies zu meinem Gedächtnis: der Herr, dein Gott, dich […] geführt hat« Versammelt euch und feiert als Gemeinschaft, als (Dtn 8,2). Du sollst daran denken: Mit dieser Ein- Volk, als Familie die Eucharistie, um euch an mich ladung des Mose begann das Wort Gottes, das wir zu erinnern. Auf sie können wir nicht verzichten, heute gehört haben. Kurz darauf bekräftigte sie ist die Gedächtnisfeier Gottes. Und sie heilt Mose noch einmal: »Vergiss den Herrn, deinen unser verwundetes Gedächtnis. Gott, nicht« (vgl. V. 14). Die Heilige Schrift wurde Sie heilt vor allem unser verwaistes Gedächt- uns geschenkt, damit wir unsere Gottesverges- nis. – Wir leben in einer Zeit großen Verwaist- senheit überwinden. Wie wichtig ist es, daran zu seins. – Sie heilt das verwaiste Gedächtnis. Viele denken, wenn wir beten! So lehrt uns auch ein haben Erinnerungen, die von mangelnder Zunei- Psalm: »Ich denke an die Taten des Herrn, ja, ich gung und bitteren Enttäuschungen geprägt sind, will denken an deine früheren Wunder« (77,12). die von Mitmenschen herrühren, die Liebe hät- Auch an die Wunder und die Taten, die der Herr ten geben sollen, stattdessen jedoch ihre Herzen in unserem eigenen Leben vollbracht hat. verwaisen ließen. Man würde gerne zurückkeh- Es ist wesentlich, sich an das Gute zu erin- ren und die Vergangenheit ändern, aber das geht nern, das man empfangen hat. Ohne die Erinne- nicht. Gott jedoch kann diese Wunden heilen und rung daran werden wir uns selbst fremd, werden uns eine größere Liebe ins Gedächtnis rufen, wir zu »flüchtigen« Existenzen; ohne die Erinne- nämlich die seine. Die Eucharistie bringt uns die rung entwurzeln wir uns von dem Boden, der treue Liebe des Vaters, die unser Verwaistsein uns nährt, und lassen uns wie Blätter vom Wind heilt. Sie schenkt uns die Liebe Jesu, die ein Grab davontragen. Erinnerung hingegen bedeutet, sich von einem Endpunkt in einen Ausgangspunkt an die stärksten Bande zu halten, sich als Teil ei- verwandelt hat, und auf dieselbe Weise kann sie ner Geschichte zu erleben, sich mit einem Volk zu identifizieren. Erinnerung ist keine private An- gelegenheit, sondern der Weg, der uns mit Gott Am Sonntagvormittag hat Papst Franziskus am und den Mitmenschen verbindet. Deshalb muss Kathedraaltar im Petersdom eine heilige Messe in der Bibel die Erinnerung an den Herrn von Ge- zum Fronleichnamsfest gefeiert. Der Gottes- neration zu Generation weitergegeben werden, dienst fand erstmals wieder mit einer größeren sie muss vom Vater an den Sohn übergeben wer- Zahl von rund 50 Gläubigen statt. In seiner den, wie es in einer schönen Bibelstelle heißt: Predigt hob der Papst den hohen biblischen »Wenn dich morgen dein Kind fragt: Warum ach- Wert der Erinnerung, des Gedächtnisses hervor. tet ihr auf die Eidesbestimmungen, auf die der »Es ist wesentlich, sich an das Gute zu erinnern, Herr, unser Gott, euch verpflichtet hat?, dann das man empfangen hat«, sagte der Heilige sollst du deinem Kind antworten: Wir waren Vater, denn ohne Erinnerung »werden wir uns Sklaven – die ganze Geschichte der Knechtschaft selbst fremd, werden wir zu flüchtigen Existen- – und der Herr hat vor unseren Augen Zeichen zen« wie Blätter im Wind. Erinnerung sei auch und Wunder getan« (vgl. Dtn 6,20-22). Du sollst nicht bloß Privatsache, »sondern der Weg, der die Erinnerung an dein Kind weitergeben. uns mit Gott und den Mitmenschen verbindet«. Offizieller Termin des Fronleichnamsfestes, Heilung durch an dem die Realpräsenz Jesu Christi in den die Eucharistie eucharistischen Gestalten von Brot und Wein besonders verehrt wird, ist eigentlich der Aber da gibt es ein Problem. Was, wenn die Donnerstag zehn Tage nach Pfingsten. Da Kette der Weitergabe des Andenkens abbricht? dieser Tag in Italien kein staatlicher Feiertag ist, Und dann stellt sich auch die Frage, wie man sich finden die meisten Gottesdienste zum Fest am an etwas erinnern kann, von dem man nur darauffolgenden Sonntag statt. gehört, das man aber nicht selbst erlebt hat. Gott weiß, wie schwer das ist, er weiß, wie schwach auch unser Leben auf den Kopf stellen. Sie gießt am Arbeitsplatz und unsere unerfüllten Träume von unseren inneren Blockaden und von der unser Gedächtnis ist, und so hat er etwas Un- uns die Liebe des Heiligen Geistes ein, der tröstet, vor Augen haben. Aber ihr Gewicht wird uns Lähmung des Herzens nur befreien können, glaubliches für uns getan: er hat uns eine Ge- weil er uns nie allein lässt und unsere Wunden nicht erdrücken, denn tief in unserem Inneren er- wenn wir uns öffnen. Der Herr, der sich uns in dächtnisfeier hinterlassen. Er hat uns nicht nur heilt. mutigt uns Jesus mit seiner Liebe. der Einfachheit des Brotes schenkt, lädt uns auch Worte hinterlassen, denn leicht vergisst man, was Mit der Eucharistie heilt der Herr auch unser Darin also besteht die Kraft der Eucharistie, ein, unser Leben nicht mit der Jagd nach tausend man hört. Er hat uns nicht nur die Heilige Schrift negatives Erinnern, diese Negativität, die sehr oft die uns verwandelt, so dass wir Gott in uns tra- nutzlosen Dingen zu vergeuden, die Abhängig- hinterlassen, denn leicht vergisst man das, was in unserem Herzen aufsteigt. Der Herr heilt die- gen; so dass wir Träger der Freude sind und nicht keiten schaffen und Leere in uns hinterlassen. man liest. Er hat uns nicht nur Zeichen hinterlas- ses negative Erinnern, das immer die Dinge hoch- das Negative mit uns herumschleppen. Wir, die Die Eucharistie bringt unseren Hunger nach den sen, denn leicht vergisst man auch, was man kommen lässt, die nicht laufen, und in unseren wir zur Messe gehen, können uns fragen, was materiellen Dingen zum Erlöschen und entzün- sieht. Er hat uns Nahrung gegeben, und es ist Köpfen die traurige Vorstellung hinterlässt, dass wir in die Welt bringen? Unsere Traurigkeit, un- det in uns den Wunsch zu dienen. Sie erhebt uns schwer, einen Geschmack zu vergessen. Er hat wir zu nichts gut sind, dass wir nur Fehler ma- sere Bitterkeit oder die Freude des Herrn? Gehen aus unserer bequemen Sesshaftigkeit und erin- uns ein Brot hinterlassen, in dem er lebendig und chen, dass etwas mit uns »nicht stimmt«. Jesus wir zur Kommunion und fahren trotzdem fort nert uns daran, dass wir nicht nur Münder sind, wahrhaftig zugegen ist, mit dem ganzen Ge- kommt, um uns zu sagen, dass dem nicht so ist. mit unserem Jammern, unserer Kritik und unse- die ernährt werden wollen, sondern auch Hände schmack seiner Liebe. Wenn wir es empfangen, Er freut sich, uns ganz nahe zu kommen, und je- rem Selbstmitleid? Aber das macht nichts besser, des Herrn, die helfen, den Hunger des Nächsten können wir sagen: »Es ist der Herr, er erinnert des Mal, wenn wir ihn empfangen, erinnert er während die Freude des Herrn das Leben ver- zu stillen. sich an mich!« Deshalb hat Jesus uns gebeten: uns daran, dass wir kostbar sind. Wir sind die ge- wandelt. Es ist jetzt dringend notwendig, sich derer an- »Tut dies zu meinem Gedächtnis« (1 Kor 11,24). ladenen Gäste, die er zu seinem Festmahl erwar- zunehmen, die nach Nahrung und Würde hun- Tut dies: Die Eucharistie ist nicht einfach nur Er- tet, die Tischgenossen, die er sich wünscht. Und Ketten gern, und sich um die zu kümmern, die nicht ar- innerung, sie ist eine Tatsache: Sie ist das Pascha das nicht nur, weil er großzügig ist, sondern weil der Solidarität beiten können und sich mit ihrem Fortkommen des Herrn, der wieder neu für uns lebt. In der er uns wirklich liebt. Er sieht und liebt das Schöne schwertun. Und es ist notwendig, dies auf kon- Messe stehen uns der Tod und die Auferstehung und das Gute, das uns eigen ist. Der Herr weiß, Die Eucharistie schließlich heilt unser ver- krete Weise zu tun, so konkret wie das Brot, das dass das Böse und die schlossenes Gedächtnis. Die Wunden, die wir in Jesus uns gibt. Wir brauchen wirkliche Nähe, wir Sünden nicht unsere ei- uns tragen, machen nicht nur uns selbst, sondern brauchen echte Ketten der Solidarität. Jesus gentliche Identität sind; auch den anderen zu schaffen. Sie machen uns kommt uns in der Eucharistie ganz nahe. Lassen sie sind Krankheiten, ängstlich und misstrauisch, sie machen uns wir die Menschen, die uns nahestehen, nicht al- Infektionen. Und er zunächst verschlossen und auf lange Sicht zy- lein! kommt, um sie mit der nisch und gleichgültig. Sie führen dazu, dass wir Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns im- Eucharistie zu heilen, anderen gegenüber distanziert und arrogant auf- merfort diese Gedächtnisfeier begehen, die un- die die Antikörper für treten und meinen, auf diese Weise hätten wir al- ser Gedächtnis heilt – denken wir daran: das unser an Negativität er- les unter Kontrolle. Aber da täuschen wir uns. Gedächtnis heilen, das Gedächtnis ist das Ge- kranktes Gedächtnis Nur die Liebe heilt die Angst an der Wurzel und dächtnis des Herzens –, diese Gedächtnisfeier ist enthält. Mit Jesus kön- befreit uns von der Verschlossenheit, die uns ge- die heilige Messe. Sie ist der Schatz, der in der nen wir uns gegen die fangen hält. So handelt Jesus, der uns mit Sanft- Kirche und im Leben an die erste Stelle gesetzt Traurigkeit immunisie- mut entgegenkommt in der entwaffnenden Zer- werden muss. Und gleichzeitig wollen wir die ren. Wir werden auch brechlichkeit der Hostie; so handelt Jesus, das Anbetung wiederentdecken, die in uns die weiterhin unser Versa- Brot, das gebrochen wird, um die Schalen unse- Messe weiterwirken lässt. Das ist gut für uns gen, die Nöte, die Pro- res Egoismus zu brechen; so handelt Jesus, der und heilt uns innerlich. Gerade jetzt haben wir bleme zu Hause und sich selbst hingibt, um uns zu sagen, dass wir uns das wirklich nötig. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 8 Aus dem Vatikan

Botschaft von Papst Franziskus zum 4. Welttag der Armen am 33. Sonntag im Jahreskreis, 15. November 2020 Zeugnis und Gesten des Teilens

naten erblicken können, in denen die ganze Welt von einem Virus gleichsam übermannt wurde, das Schmerz und Tod, Verzagtheit und Verwir- rung gebracht hat. Die entgegengestreckte Hand des Arztes, der sich um jeden Patienten kümmert und nach dem richtigen Heilmittel sucht. Die ent- gegengestreckte Hand der Krankenschwester oder des Krankenpflegers, die weit über ihre Ar- beitszeiten hinaus dableiben, um die Kranken zu »Streck dem Armen deine Hand entgegen« versorgen. Die entgegengestreckte Hand dessen, (vgl. Sir 7,32). Die altehrwürdige Weisheit hat der in der Verwaltung arbeitet und die Mittel be- diese Worte gleichsam als einen heiligen Verhal- schafft, um so viele Leben wie möglich zu retten. tenskodex für das Leben aufgestellt. Sie erklingen Die entgegengestreckte Hand des Apothekers, heute mit ihrer ganzen Bedeutungsschwere, um der in einem mit Risiko verbundenem Umgang auch uns zu helfen, den Blick auf das Wesentliche mit den Menschen vielen Anfragen ausgesetzt zu konzentrieren und die Schranken der Gleich- ist. Die entgegengestreckte Hand des Priesters, gültigkeit zu überwinden. Die Armut tritt immer der mit qualerfülltem Herzen segnet. Die entge- in verschiedenen Formen auf, die für jede beson- gengestreckte Hand des Freiwilligen, der denen dere Situation Aufmerksamkeit verlangen: In je- beisteht, die auf der Straße leben, wie auch de- der von ihnen können wir dem Herrn Jesus be- nen, die zwar ein Zuhause, aber nichts zu essen gegnen, der offenbart hat, in seinen geringsten haben. Die entgegengestreckte Hand der Männer Brüdern anwesend zu sein (vgl. Mt 25,40). und Frauen, die arbeiten, um wesentliche Diens - 1. Nehmen wir das Buch Jesus Sirach aus dem te und Sicherheit zu bieten. Und wir könnten Alten Testament zur Hand. Hier finden wir die noch weitere entgegengestreckte Hände bis zur Worte eines Weisheitslehrers, der circa zweihun- Zusammenstellung einer Litanei der guten Werke dert Jahre vor Christus gelebt hat. Er suchte nach anführen. All diese Hände haben der Ansteckung der Weisheit, die die Menschen besser macht und und der Angst die Stirn geboten, um Unterstüt- befähigt, die Begebenheiten des Lebens tiefer zu zung und Trost zu geben. ergründen. Er tat dies in einer Zeit harter Prüfung 7. Diese Pandemie kam unerwartet und hat für das Volk Israel, einer Zeit des Schmerzes, der uns unvorbereitet überrascht, während sie ein Trauer und des Elends aufgrund der Herrschaft großes Gefühl der Verunsicherung und Ohn- fremder Mächte. Als Mann großen Glaubens, der macht hinterließ. Die dem Armen entgegenge- in der Tradition der Väter verwurzelt ist, war sein streckte Hand hingegen kam nicht plötzlich. Sie erster Gedanke, sich an Gott zu wenden, um ihn zeugt vielmehr davon, wie man sich darauf vor- um die Gabe der Weisheit zu bitten. Und der Herr bereitet, den Armen zu erkennen, um ihn in der ließ es ihm an seiner Hilfe nicht fehlen. Zeit der Not zu unterstützen. Die Werkzeuge der Von den ersten Seiten des Buches an legt Barmherzigkeit werden nicht improvisiert. Es Jesus Sirach seine Ratschläge zu vielen konkreten braucht ein tägliches Training, das bei dem Be- Lebenssituationen dar, darunter auch die Armut. kommt auf uns herab, und das Gebet erreicht sei- ten wird. Der leise Schrei der vielen Armen muss wusstsein beginnt, dass wir als Erste einer Hand Er besteht darauf, dass man in der Not Gottver- nen Zweck, wenn diese vom Dienst an den Ar- immer und überall das Volk Gottes an vorderster bedürfen, die uns entgegengestreckt wird. trauen haben muss: »Überstürze nichts zur Zeit men begleitet werden. Front antreffen, damit es ihnen eine Stimme ver- Die Zeit, die wir gerade erleben, hat viele Ge- der Bedrängnis! Binde dich an den Herrn und lass 3. Wie aktuell ist diese alte Lehre auch für uns! leiht, sie verteidigt und sich mit ihnen angesichts wissheiten in eine Krise gestürzt. Wir fühlen uns nicht von ihm, damit du am Ende erhöht wirst! Das Wort Gottes überschreitet nämlich Raum, so vieler Scheinheiligkeit und nicht erfüllter Ver- ärmer und schwächer, weil wir Grenzgefühl und Nimm alles an, was über dich kommen mag, und Zeit, Religionen und Kulturen. Die Großzügigkeit, sprechen solidarisiert und sie am Leben der Ge- Freiheitseinschränkung erfahren haben. Der Ver- in den Wechselfällen deiner Erniedrigung halt die den Armen unterstützt, den Betrübten tröstet, meinschaft teilhaben lässt. lust der Arbeit und inniger Zuneigung wie auch aus! Denn im Feuer wird Gold geprüft und die an- die Leiden lindert, gibt dem die Würde zurück, Es stimmt, die Kirche kann keine Gesamtlö- das Fehlen gewohnter zwischenmenschlicher erkannten Menschen im Schmelzofen der Er- der ihrer beraubt ist, sie ist Bedingung für ein sungen vorschlagen, aber mit der Gnade Christi Beziehungen haben mit einem Schlag Horizonte niedrigung. In Krankheiten und Armut setze auf ganz und gar menschliches Leben. Die Entschei- bietet sie ihr Zeugnis und Gesten des Teilens an. aufgetan, die wir für gewöhnlich nicht mehr be- ihn dein Vertrauen! Vertrau ihm und er wird sich dung, den Armen Aufmerksamkeit zu widmen Sie fühlt sich darüber hinaus verpflichtet, die An- merkten. Unsere spirituellen und materiellen deiner annehmen! Richte deine Wege aus und wie auch ihren vielen verschiedenen Bedürfnis- liegen derer vorzutragen, denen das Lebensnot- Reichtümer wurden zur Diskussion gestellt, und hoffe auf ihn! Die ihr den Herrn fürchtet, wartet sen, darf nicht von der verfügbaren Zeit oder von wendige fehlt. Allen den hohen Wert des Ge- wir haben entdeckt, dass wir Angst haben. In die auf sein Erbarmen! Weicht nicht ab, damit ihr privaten Interessen abhängen noch von blutlee- meinwohls in Erinnerung zu rufen ist für das Stille unserer Häuser eingeschlossen, haben wir nicht zu Fall kommt!« (2,2-7). ren Pastoral- oder Sozialprojekten. Man darf die christliche Volk eine lebenslange Verpflichtung; neu entdeckt, wie wichtig die Einfachheit ist und 2. Seite für Seite entdecken wir ein kostbares Kraft der Gnade Gottes nicht durch die narzissti- sie wird in dem Bemühen umgesetzt, niemanden dass wir den Blick auf das Wesentliche richten. Kompendium von Empfehlungen für ein Han- sche Neigung ersticken, sich selbst immer an die von denen zu vergessen, deren Menschsein in Wir haben das Bedürfnis nach einer neuen Ge- deln im Licht einer engen Beziehung zu Gott, erste Stelle setzen zu wollen. seinen Grundbedürfnissen missachtet wird. schwisterlichkeit vertieft, die zu wechselseitiger dem Schöpfer, der die Schöpfung liebt, der ge- Den Blick auf den Armen gerichtet zu halten 5. Die Hand entgegenzustrecken lässt vor al- Hilfe und gegenseitiger Achtung fähig ist. Es ist genüber all seinen Kindern gerecht ist und für sie ist schwierig, aber notwendiger denn je, um un- lem den, der es tut, entdecken, dass wir fähig dies eine günstige Zeit, um »wieder [zu] spüren, sorgt. Der beständige Bezug auf Gott lenkt jedoch serem persönlichen und sozialen Leben die sind, Dinge zu vollbringen, die dem Leben Sinn dass wir einander brauchen, dass wir eine Ver- rechte Richtung zu verleihen. verleihen. Wie viele entgegengestreckte Hände antwortung für die anderen und für die Welt ha- Die Hand entgegenzustrecken ist ein Zeichen: Es geht nicht darum, viele sieht man jeden Tag! Leider geschieht es immer ben […]. Wir haben schon sehr viel Zeit morali- ein Zeichen, das unmittelbar auf die Nähe, Worte zu machen, sondern viel- öfter, dass die Eile in einen Strudel der Gleichgül- schen Verfalls verstreichen lassen, indem wir die die Solidarität, die Liebe hinweist. mehr, von der göttlichen Liebe tigkeit hineinzieht, so dass man das viele Gute, Ethik, die Güte, den Glauben und die Ehrlichkeit Wie viele entgegengestreckte Hände angetrieben, sein Leben kon- das täglich in Stille und in großer Freigebigkeit bespöttelt haben […]. Diese Zerstörung jeder haben wir in diesen Monaten erblicken können, kret einzubringen. Jedes Jahr vollbracht wird, nicht mehr zu erkennen vermag. Grundlage des Gesellschaftslebens bringt uns in denen die ganze Welt von einem Virus komme ich mit dem Welttag der So kommt es vor, dass nur bei Ereignissen, die schließlich um der Wahrung der jeweils eigenen gleichsam übermannt wurde, das Schmerz und Tod, Armen auf diese für das Leben den Lauf unseres Lebens durcheinanderbringen, Interessen willen gegeneinander auf, lässt neue Verzagtheit und Verwirrung gebracht hat. der Kirche grundlegende Wirk- die Augen fähig werden, die Güte der »Heiligen Formen von Gewalt und Grausamkeit aufkom- lichkeit zurück, da die Armen von nebenan« zu bemerken, »derer, die in unse- men und verhindert die Entwicklung einer nicht davon ab, auf den konkreten Menschen zu immer bei uns sind und sein werden (vgl. Joh rer Nähe wohnen und die ein Widerschein der wahren Kultur des Umweltschutzes« (Enzyklika schauen, vielmehr sind die beiden Dinge eng mit- 12,8), um uns zu helfen, die Gegenwart Christi Gegenwart Gottes sind« (Apostolisches Schrei- Laudato si’, 229). Kurz und gut, die großen Wirt- einander verbunden. im täglichen Leben zu erfassen. ben Gaudete et exsultate, 7), von denen aber nie- schafts-, Finanz- und politischen Krisen werden Die Stelle, der der Titel dieser Botschaft ent- 4. Die Begegnung mit einem Menschen in Ar- mand spricht. Die schlechten Nachrichten füllen nicht aufhören, solange wir zulassen, dass die nommen ist (vgl. 7,29-36), zeigt dies deutlich. mut fordert uns stets heraus und stellt Fragen an die Seiten der Zeitungen, die Internetseiten und Verantwortung, der sich ein jeder gegenüber dem Das Gebet zu Gott und die Solidarität mit den Ar- uns. Wie können wir dazu beitragen, seine Aus- die Fernsehbildschirme im Übermaß, so dass Nächsten und allen Menschen bewusst sein men und Leidenden können nicht voneinander grenzung und sein Leiden zu beseitigen oder zu- man denkt, das Böse herrsche uneingeschränkt. muss, in einer Art Winterschlaf verharrt. getrennt werden. Um einen dem Herrn wohlge- mindest zu erleichtern? Wie können wir ihm in Dem ist nicht so. Gewiss fehlt es nicht an Bosheit 8. »Streck dem Armen deine Hand entgegen« fälligen Gottesdienst zu feiern, ist es notwendig seiner geistlichen Armut helfen? Die christliche und Gewalt, an Übergriffen und Korruption, doch ist also eine Einladung zur Verantwortung im anzuerkennen, dass jeder Mensch, mag er noch Gemeinschaft ist aufgerufen, sich in diese Erfah- das Leben besteht aus einem Geflecht von Taten Sinne eines direkten Einsatzes dessen, der sich so bedürftig und verachtet sein, Gottes Abbild in rung des Teilens einzubringen, und dies in dem des Respekts und der Großzügigkeit, die nicht nur bewusst ist, dass er am gleichen Los teilhat. Es ist sich trägt. Aus dieser Aufmerksamkeit erwächst Bewusstsein, dass es ihr nicht erlaubt ist, diese das Böse ausgleichen, sondern dazu antreiben, eine Aufforderung, die Last der Schwächeren zu die Gabe des göttlichen Segens, der von der ge- Aufgabe an andere zu delegieren. Um den Ar- darüber hinaus zu gehen und voller Hoffnung zu tragen, wie uns der heilige Paulus in Erinnerung genüber dem Armen geübten Großzügigkeit an- men eine Stütze zu sein ist es zudem wesentlich, sein. ruft: »Dient einander in Liebe! Denn das ganze gezogen wird. Daher kann die dem Gebet ge- die evangeliumsgemäße Armut selbst zu leben. 6. Die Hand entgegenzustrecken ist ein Zei- Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Du sollst dei- widmete Zeit niemals zum Vorwand werden, um Wir können nicht mit ruhigem Gewissen zu- chen: ein Zeichen, das unmittelbar auf die Nähe, nen Nächsten lieben wie dich selbst! […] Einer den Nächsten in seiner Not zu vernachlässigen. schauen, wenn ein Mitglied der menschlichen die Solidarität, die Liebe hinweist. Wie viele ent- Das Gegenteil ist wahr: Der Segen des Herrn Familie ins Abseits gestellt wird und zum Schat- gegengestreckte Hände haben wir in diesen Mo- Fortsetzung auf Seite 9 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 9

Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am Sonntag, 14. Juni, Fronleichnam Die mystische und gemeinschaftliche Wirkung der Eucharistie

Liebe Brüder und Schwestern, hen muss, als sozialer Akt, respektvoll, wieder aufzunehmen, einem Weg, der guten Tag! aber sozial. Doch das Geheimnis ist et- zu Frieden, Stabilität und Einheit des Heute wird in Italien und in ande- was anderes: Es ist der gegenwärtige Landes führt. Ich bete auch für die Tau- ren Ländern das Hochfest des Leibes Jesus, der kommt, um unsere Nahrung sende von Migranten, Flüchtlingen, und des Blutes Christi, Fronleichnam, zu sein. Asylsuchenden und Binnenvertriebe- gefeiert. In der zweiten Lesung der Die zweite Wirkung ist die der Ge- nen in Libyen. Die gesundheitliche heutigen Liturgie weckt der heilige meinschaft und wird vom heiligen Notlage hat ihre ohnehin schon Paulus unseren Glauben an dieses Ge- Paulus mit folgenden Worten beschrie- prekäre Situation verschlimmert und heimnis der Gemeinschaft (vgl. 1 Kor ben: »Ein Brot ist es. Darum sind wir sie anfälliger für Formen der Ausbeu- 10,16-17). Er betont zwei Wirkungen viele ein Leib; denn wir alle haben teil tung und Gewalt gemacht. Es gibt des geteilten Kelches und des gebro- an dem einen Brot« (V. 17). Es geht um Grausamkeit. Ich appelliere an die in- chenen Brotes: die mystische Wirkung die Gemeinschaft derer, die an der Eu- ternationale Gemeinschaft, sich ihre und die gemeinschaftliche Wirkung. charistie teilnehmen, so dass sie unter- Notlage bitte zu Herzen zu nehmen, Zuerst sagt der Apostel: »Ist der einander zu einem Leib werden, so Wege zu finden und Mittel bereitzu- Kelch des Segens, über den wir den Se- wie auch das Brot, das gebrochen und stellen, um ihnen den Schutz, den sie gen sprechen, nicht Teilhabe am Blut verteilt wird, eins ist. Wir sind Ge- brauchen, menschenwürdige Bedin- Christi? Ist das Brot, das wir brechen, meinschaften, die vom Leib und Blut gungen und eine hoffnungsvolle Zu- nicht Teilhabe am Leib Christi?« (V. 16). Christi genährt werden. Der Empfang kunft zu gewährleisten. Brüder und Diese Worte bringen die mystische des Leibes Christi ist ein wirksames Schwestern, wir alle tragen Verant- Wirkung oder, so können wir sagen, Zeichen der Einheit, der Gemeinschaft, wortung dafür; niemand darf sich da- die geistliche Wirkung der Eucharistie des Teilens. Man kann nicht an der Eu- möglich dank der Eucharistie. In der Möge die selige Jungfrau uns hel- von entbunden fühlen. Lasst uns alle zum Ausdruck: Es geht um die Verei- charistie teilnehmen, ohne sich zu ei- Freundschaft, in der Liebe bleiben. fen, das große Geschenk, das Jesus uns in Stille für Libyen beten. nigung mit Christus, der sich in Brot ner gegenseitigen Brüderlichkeit zu Diese zweifache Frucht der Eucha- gemacht hat, indem er uns das Sakra- Heute ist der Weltblutspendertag. und Wein für das Heil aller hinschenkt. verpflichten, die aufrichtig sein muss. ristie – die erste, die Vereinigung mit ment seines Leibes und seines Blutes Es ist eine Gelegenheit, um die Gesell- Jesus ist im Sakrament der Eucharistie Aber der Herr weiß sehr wohl, dass Christus, und die zweite, die Gemein- hinterließ, stets mit Staunen und schaft zu ermuntern, gegenüber de- gegenwärtig, um unsere Nahrung zu unsere menschliche Kraft allein dazu schaft unter denen, die sich von ihm Dankbarkeit anzunehmen. nen, die darauf angewiesen sind, soli- sein, um in uns aufgenommen zu wer- nicht ausreicht. Im Gegenteil, er weiß, nähren – bringt die christliche Ge- darisch und einfühlsam zu sein. Ich den und jene erneuernde Kraft zu sein, dass unter seinen Jüngern immer die meinschaft hervor und erneuert sie Nach dem Angelus sagte der Papst: begrüße die anwesenden Freiwilligen die nach jedem Stillstand oder nach je- Versuchung der Rivalität, des Neids, ständig. Es ist die Kirche, die die Eu- Liebe Brüder und Schwestern! und spreche all jenen meine Anerken- dem Fallen die Energie wiederherstellt der Vorurteile, der Spaltung bestehen charistie vollzieht, doch es ist grundle- Ich verfolge die dramatische Situa- nung aus, die diesen einfachen, aber und den Wunsch weckt, neu aufzu- wird… Wir alle kennen diese Dinge. gender, dass die Eucharistie die Kirche tion in Libyen mit großer Besorgnis sehr wichtigen Akt der Hilfe für andere brechen. Dies erfordert jedoch unsere Auch aus diesem Grund hat er uns das auferbaut und es ihr erlaubt, ihre Sen- und auch mit Schmerz. Sie war in die- vollziehen: Blut zu spenden. Zustimmung, unsere Bereitschaft, uns, Sakrament seiner realen, konkreten dung zu sein, noch bevor sie sie erfül- sen letzten Tagen in meinem Gebet Ich grüße euch alle, die Gläubigen unsere Art zu denken und zu handeln, und beständigen Gegenwart hinterlas- len kann. Das ist das Geheimnis der präsent. Bitte, ich fordere die interna- aus Rom und die Pilger. Ich wünsche verwandeln zu lassen. Andernfalls sen, damit wir, indem wir mit ihm ver- Gemeinschaft, der Eucharistie: Jesus tionalen Organisationen und alle poli- euch und allen, die über die Medien werden die Eucharistiefeiern, an de- eint bleiben, immer das Geschenk der zu empfangen, damit er uns von innen tischen und militärischen Verantwor- verbunden sind, einen schönen Sonn- nen wir teilnehmen, auf leere, formelle brüderlichen Liebe empfangen kön- heraus verwandelt, und Jesus zu emp- tungsträger auf, mit Überzeugung und tag. Bitte vergesst nicht, für mich zu Rituale reduziert. Wie oft geht jemand nen. »Bleibt in meiner Liebe« (Joh fangen, damit er aus uns Einheit und Entschlossenheit die Suche nach ei- beten. Gesegnete Mahlzeit und auf zur Messe, aber nur weil man hinge- 15,9), hat Jesus gesagt; und dies ist nicht Spaltung macht. nem Weg zur Beendigung der Gewalt Wiedersehen.

Botschaft von Papst Franziskus zum 4. Welttag der Armen

Fortsetzung von Seite 8 streicht, zu dem jeder unterwegs ist. Es geht um das Ziel unseres Lebens, das einen Plan erfordert, den man verwirklichen soll, und einen Weg, den trage des anderen Last« (Gal 5,13-14; 6,2). Der man ohne müde zu werden gehen muss. Das Ziel Apostel lehrt uns, dass die uns durch Jesu Christi jeder unserer Handlungen kann nur die Liebe Tod und Auferstehung geschenkte Freiheit für ei- sein. Dies ist der Zweck, warum wir uns auf den nen jeden von uns die Verantwortung bedeutet, Weg gemacht haben, und nichts darf uns davon sich in den Dienst der anderen zu stellen, vor al- abbringen. Diese Liebe heißt Teilen, Hingabe und lem der Schwächsten. Es handelt sich nicht um Dienst, beginnt aber bei der Entdeckung, dass wir einen fakultativen Aufruf, sondern um eine Be- als Erste geliebt sind und wieder zur Liebe geru- dingung der Authentizität des Glaubens, den wir fen sind. Dieses Ziel erscheint in dem Moment, bekennen. da das Kind dem Lächeln seiner Mutter begegnet Das Buch Jesus Sirach kommt uns hier wieder und sich geliebt weiß aufgrund der Tatsache zu Hilfe. Es schlägt konkrete Taten zur Unterstüt- selbst, dass es existiert. Auch ein Lächeln, das wir zung der Schwächsten vor und gebraucht dabei mit einem Armen teilen, ist eine Quelle von Liebe auch einige suggestive Bilder. Zuerst zieht es die und ermöglicht es, in Freude zu leben. Die entge- Schwachheit der Trauernden in Betracht: »Ent- gengestreckte Hand also kann immer durch das zieh dich nicht den Weinenden« (7,34). Die Zeit Lächeln dessen bereichert werden, der seine Ge- der Pandemie hat uns eine Zwangsisolation auf- genwart und dargebotene Hilfe nicht betont, son- erlegt; dadurch war es uns sogar verwehrt, dern sich einfach freut, nach dem Stil des Jüngers Freunden und Bekannten, die über den Verlust Christi zu leben. eines lieben Menschen trauerten, Trost zu spen- Auf diesem Weg, täglich den Armen zu be- den und nahe zu sein. Der biblische Autor sagt gegnen, begleite uns die Mutter Gottes, die mehr weiter: »Zögere nicht, einen Kranken zu besu- Nationen bestimmen. Es gibt ausgestreckte ren, wir weinen nicht mehr angesichts des Dra- als jede andere die Mutter der Armen ist. Die chen« (7,35). Wir mussten die Erfahrung ma- Hände, die Geld anhäufen mit dem Verkauf von mas der anderen, noch sind wir daran interes- Jungfrau Maria kennt aus nächster Nähe die chen, dass wir den Leidenden nicht zur Seite ste- Waffen, die andere Hände – auch von Kindern – siert, uns um sie zu kümmern, als sei all das eine Schwierigkeiten und Leiden der Ausgegrenzten, hen konnten, und gleichzeitig wurde uns die dann verwenden, um Tod und Armut zu säen. Es uns fernliegende Verantwortung, die uns nichts denn sie selbst musste den Sohn Gottes in einem Zerbrechlichkeit unseres Daseins bewusst. Das gibt ausgestreckte Hände, die heimlich tödliche angeht« (Apostolisches Schreiben Evangelii gau- Stall zur Welt bringen. Wegen der Bedrohung Wort Gottes also lässt uns nie in Ruhe und regt Dosen reichen, um sich zu bereichern und in Lu- dium, 54). Wir dürfen uns nicht zufriedengeben, durch Herodes floh sie mit Josef, ihrem Bräuti- uns weiter zum Guten an. xus und in vergänglichen Ausschweifungen zu solange diese Hände, die Tod säen, nicht zu Werk- gam, und dem kleinen Jesuskind in ein anderes 9. »Streck dem Armen deine Hand entgegen« leben. Es gibt ausgestreckte Hände, die für einen zeugen der Gerechtigkeit und des Friedens für Land, und das Leben als Flüchtlinge prägte für ei- hebt im Kontrast dazu die Haltung derer hervor, einfachen, korrupten Gewinn unter der Hand ge- die ganze Welt geworden sind. nige Jahre die Heilige Familie. Das Gebet zur Mut- die die Hände eingesteckt und sich nicht von der setzwidrige Gefälligkeiten erbringen. Und es gibt 10. »Bei all deinen Worten bedenke dein ter der Armen möge diese ihre geliebten Kinder Armut berühren lassen, an der sie oft auch mit- viele ausgestreckte Hände, die in Scheinheiligkeit Ende« (Sir 7,36). Mit dieser Aussage beschließt Je- und alle, die ihnen im Namen Christi dienen, ver- schuldig sind. Gleichgültigkeit und Zynismus Gesetze festlegen, die sie selbst nicht einhalten. sus Sirach seine Überlegungen. Der Text erlaubt binden. Und das Gebet verwandle die entgegen- sind ihr täglich Brot. Was für ein Unterschied zu Mit dieser Aussicht »warten die Ausgeschlos- eine zweifache Interpretation. Die erste hebt her- gestreckte Hand in eine gemeinsame Umarmung den großzügigen Händen, die wir zuvor be- senen weiter. Um einen Lebensstil vertreten zu vor, dass wir immer das Ende unseres Daseins wiedergefundener Geschwisterlichkeit. schrieben haben! Denn es gibt ausgestreckte können, der die anderen ausschließt, oder um berücksichtigen müssen. An das gemeinsame Hände, die sich schnell über eine Computertasta- sich für dieses egoistische Ideal begeistern zu Los zu denken kann eine Hilfe sein für ein Leben Rom, St. Johannes im Lateran, 13. Juni 2020, tur bewegen und Geldbeträge von einem Teil der können, hat sich eine Globalisierung der Gleich- im Zeichen der Achtsamkeit gegenüber dem, der Gedenktag des heiligen Antonius von Padua. Welt in einen anderen verschieben und damit gültigkeit entwickelt. Fast ohne es zu merken, ärmer ist und nicht die gleichen Möglichkeiten den Reichtum begrenzter Oligarchien wie auch werden wir unfähig, Mitleid zu empfinden ge- hatte wie wir. Es gibt ebenso eine zweite Deu- das Elend von Massen oder den Konkurs ganzer genüber dem schmerzvollen Aufschrei der ande- tung, die vielmehr das Ziel, den Zweck unter- 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 10 Aus dem Vatikan

Botschaft von Papst Franziskus an die Päpstlichen Missionswerke (POM) Die Herrlichkeit Christi vor der ganzen Welt bezeugen

»Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Ju- däa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken« (Apg 1,6-9). »Nachdem Jesus, der Herr, dies zu ihnen ge- sagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenom- men und setzte sich zur Rechten Gottes. Sie aber zogen aus und verkündeten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die es begleiteten« (Mk 16,19-20). »Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Betanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und es geschah, während er sie segnete, ver- Gnade. Es ist die einzige Kraft, die wir haben kön- bracht wird. In diesem Sinne, und nur in diesem Es ist der Heilige Geist, der den Glauben in ließ er sie und wurde zum Himmel emporgeho- nen, um das Evangelium zu verkündigen, um den Sinne, können wir Zeugen Christi und seines den Herzen entzündet und bewahrt, und diese ben. Sie aber fielen vor ihm nieder. Dann kehrten Glauben an den Herrn zu bekennen. Der Glaube Geistes sein. Nach der Himmelfahrt zogen, wie Tatsache anzuerkennen ändert alles. Denn der sie in großer Freude nach Jerusalem zurück. Und bedeutet, die Freude zu bezeugen, die der Herr am Ende des Evangeliums nach Markus berichtet Geist entzündet und beseelt die Mission. Er gibt sie waren immer im Tempel und priesen Gott« uns schenkt. Eine solche Freude kann man sich wird, die Apostel und die Jünger aus »und verkün- ihr die »genetische« Prägung, die Akzente und (Lk 24,50-53). nicht selber schenken. deten überall. Der Herr stand ihnen bei und be- die einzigartigen Beweggründe, die die Verkündi- Bevor er wegging, sagte Jesus zu den Seinen, kräftigte das Wort durch die Zeichen, die es be- gung des Evangeliums und das Bekenntnis des * * * dass er ihnen den Heiligen Geist, den Tröster, gleiteten« (16,20). Christus bezeugt mit seinem christlichen Glaubens zu etwas anderem machen senden würde. Und so hat er dem Heiligen Geist Geist sich selbst durch die Werke, die er in uns als jedweder politische oder kulturelle, psycholo- Liebe Brüder und Schwestern! auch das apostolische Werk der Kirche anver- und mit uns vollbringt. Die Kirche – erklärte der gische oder religiöse Proselytismus. traut, die ganze Geschichte hindurch, bis zu sei- heilige Augustinus – würde nicht den Herrn bit- Viele dieser Wesenszüge der Mission habe ich In diesem Jahr hatte ich beschlossen, am Don- ner Wiederkehr. Das Geheimnis der Himmel- ten, dass der Glaube jenen geschenkt werden im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium nerstag, 21. Mai, dem Hochfest Christi Himmel- fahrt, zusammen mit der Ausgießung des Geistes möge, die Christus nicht kennen, wenn sie nicht erwähnt. Ich greife einige noch einmal auf. fahrt, an Eurer Jahresvollversammlung teilzuneh- an Pfingsten, gibt der Sendung der Kirche für im- glauben würde, dass es der Herr ist, der unsere Anziehungskraft. Das Geheimnis der Erlö- men. Dann wurde die Versammlung abgesagt mer ihre innerste Prägung: das Werk des Heili- Herzen in seinen Händen hat. Denn wenn die sung ist in die Welt hineingekommen und wirkt aufgrund der Pandemie, die uns alle betrifft. Und gen Geistes zu sein und nicht die Folge unserer Kirche ihn um diese Dinge bäte, aber meinte, sie beständig in ihr durch eine Anziehungskraft, die daher möchte ich an Euch alle diese Botschaft Überlegungen und Absichten. Das ist der We- sich selbst geben zu können, dann wären alle das Herz der Männer und Frauen gewinnen richten, um Euch dennoch das mitzuteilen, was senszug, der die Mission fruchtbar machen und ihre Gebete nicht echt, sondern von kirchlichem kann, weil sie anziehender ist und erscheint als mir am Herzen liegt. Dieses christliche Fest er- sie vor jeder vermeintlichen Selbstgenügsamkeit Konformismus auferlegte leere Formeln, Flos- die Verführungen, die den Egoismus ansprechen, scheint mir in den unvorstellbaren Zeiten, die wir bewahren kann, vor der Versuchung, das Fleisch keln, Förmlichkeiten (vgl. Die Gabe der Beharr- die Folge der Sünde. »Niemand kann zu mir kom- derzeit erleben, noch beeindruckender für den Christi – der in den Himmel aufgefahren ist – für lichkeit. An Prosperus und Hilarius, 23,63). men, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, Weg und die Sendung eines jeden von uns und die eigenen klerikalen Machtpläne in Beschlag Wenn man nicht anerkennt, dass der Glaube ihn zieht«, sagt Jesus im Evangelium nach Johan- der ganzen Kirche. zu nehmen. ein Geschenk Gottes ist, dann haben auch die Ge- nes (6,44). Die Kirche hat immer wieder gesagt, Wir feiern die Himmelfahrt als Fest, aber sie Wenn man in der Mission der Kirche nicht das bete, die die Kirche an ihn richtet, keinen Sinn. dass man darum Jesus nachfolgt und sein Evange- ist das Gedächtnis des Abschieds Jesu von seinen gegenwärtige und wirkkräftige Werk des Heili- Und sie bringen keine aufrichtige Leidenschaft lium verkündigt: durch die von Christus selbst Jüngern und von dieser Welt. Der Herr fährt in gen Geistes erkennt und anerkennt, dann sind für die Glückseligkeit und das Heil der anderen und von seinem Geist gewirkte Anziehungskraft. den Himmel auf, und in der östlichen Liturgie selbst die Worte der Mission – auch die präzises- und derer, die den auferstandenen Christus nicht Die Kirche – so Papst Benedikt XVI. – wächst in wird vom Staunen der Engel gesprochen, als sie ten, auch die bestdurchdachten – gleichsam zu kennen, zum Ausdruck – auch wenn man seine der Welt durch Anziehung und nicht durch einen Menschen sehen, der in seinem Fleisch »Reden menschlicher Weisheit« geworden, die Zeit damit verbringt, die Bekehrung der Welt zum Proselytismus (vgl. Predigt in der Eucharistiefeier zur Rechten des Vaters auffährt. Aber während benutzt werden, um sich selbst zu verherrlichen Christentum zu organisieren. zur Eröffnung der V. Generalversammlung der Christus im Begriff ist, in den Himmel aufzufah- oder die eigene innere Wüste zu entfernen und Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik, Apa- ren, scheinen die Jünger – obwohl sie ihn als Auf- zu kaschieren. recida, 13. Mai 2007; in O.R. dt., Nr. 21, hier erstandenen gesehen haben – noch nicht gut ver- S. 11). Der heilige Augustinus sagte, dass Christus standen zu haben, was geschehen ist. Er will mit Die Freude des Evangeliums sich uns offenbart, indem er uns anzieht. Und um der Vollendung seines Reiches beginnen, und sie diese Anziehungskraft zu veranschaulichen, zi- verlieren sich noch immer hinter ihren eigenen Das Heil ist die Begegnung mit Jesus, der uns tierte er den Dichter Vergil, demzufolge jeder von Vorstellungen. Sie fragen ihn, ob er das Reich für liebt und uns vergibt, der uns den Geist sendet, dem angezogen wird, was ihm Lust bereitet. Je- Israel wiederherstellt (vgl. Apg 1,6). Als Christus der uns tröstet und uns verteidigt. Das Heil ist sus überzeugt nicht nur unseren Willen, sondern sie jedoch verlässt, sind sie nicht traurig, sondern nicht die Folge unserer missionarischen Initiati- zieht auch unsere Lust an (vgl. Kommentar zum kehren vielmehr »in großer Freude« nach Jerusa- ven und auch nicht unseres Redens über die Johannesevangelium, 26,4). Wenn man Jesus lem zurück, wie Lukas schreibt (vgl. 24,52). Menschwerdung des Wortes. Für jeden kann das nachfolgt und glücklich ist, von ihm angezogen Das wäre seltsam, wenn nicht etwas geschehen Heil nur erlangt werden durch den Blick der zu werden, dann merken es die anderen. Und sie wäre. Und in der Tat hat Jesus ihnen bereits die Begegnung mit ihm, der uns ruft. Darum kann können darüber staunen. Die Freude, die in jenen Kraft des Heiligen Geistes verheißen, die an das Geheimnis der besonderen Liebe nur in ei- durchscheint, die von Christus und von seinem Pfingsten auf sie herabkommen wird. Das ist das nem Impuls der Freude, der Dankbarkeit begin- Geist angezogen sind, ist das, was jede missiona- Wunder, das die Dinge verändert. Und sie wer- nen. Die Freude des Evangeliums, die »große rische Initiative fruchtbar machen kann. den sicherer, wenn sie alles dem Herrn anver- Freude« der armen Frauen, die am Ostermorgen Dankbarkeit und Unentgeltlichkeit. Die Freu- trauen. Sie sind in großer Freude. Und die Freude zum Grab Christi gegangen waren und es leer de, das Evangelium zu verkündigen, erglänzt im- in ihnen ist die Fülle des Trostes, die Fülle der Ge- vorgefunden hatten und die dann als erste dem mer vor dem Hintergrund einer dankbaren Erin- genwart des Herrn. auferstandenen Christus begegneten und zu nerung. Die Apostel haben nie den Augenblick Paulus schreibt an die Galater, dass die voll- den anderen eilten, um es ihnen zu sagen (vgl. vergessen, in dem Jesus ihr Herz berührt hat: »Es kommene Freude der Apostel nicht die Auswir- Mt 28,8-10). Nur so kann die Tatsache, auser- war um die zehnte Stunde« (Joh 1,39). Die Ge- kung von Empfindungen ist, die zufrieden und wählt und besonders geliebt zu sein, die Herrlich- schichte der Kirche erstrahlt, wenn in ihr die froh machen. Es ist eine überfließende Freude, keit des auferstandenen Christus vor der ganzen Dankbarkeit für die unentgeltliche Initiative die man nur als Frucht und Geschenk des Heili- Welt bezeugen. Gottes zum Ausdruck kommt, denn es ist »nur gen Geistes erfahren kann (vgl. 5,22). Die Freude Zeugen sind in jeder menschlichen Situation Himmelfahrt Christi, des Heiligen Geistes zu empfangen ist eine jene, die bezeugen, was von einem anderen voll- Benvenuto Tisi da Garofalo (1519/20). Fortsetzung auf Seite 11 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 11

Botschaft an die Päpstlichen Missionswerke

Fortsetzung von Seite 10 Nähe im »konkreten« Leben. Jesus ist seinen narische Initiativen und Strukturen der Kirche durch den Glauben der Getauften zum Ausdruck ersten Jüngern am Ufer des Sees Genesaret be- unmittelbar eingebunden sind, dürfen ihre man- kommt. Es ist und bleibt ein innerer Einklang, gegnet, während sie mit ihrer Arbeit beschäftigt gelnde Aufmerksamkeit gegenüber den Armen eine Vertrautheit zwischen den Missionswerken Gott, der wachsen lässt« (1 Kor 3,7). Die beson- waren. Er ist ihnen nicht auf einem Kongress oder nie mit der – in gewissen klerikalen Kreisen sehr und dem unfehlbaren »sensus fidei« des gläubi- dere Liebe des Herrn überrascht uns, und das auf einem Bildungsseminar oder im Tempel be- verbreiteten – Ausrede rechtfertigen, ihre Kräfte gen Gottesvolkes »in credendo«. Staunen kann von seinem Wesen her von uns gegnet. Schon immer hat die Heilsverkündigung auf Anliegen ausrichten zu müssen, die für die – Die Missionswerke sind von Anfang an weder besessen noch erzwungen werden. Man Jesu die Menschen dort erreicht, wo sie sind, und Mission Vorrang haben. Die besondere Liebe zu »zweigleisig« gefahren – oder besser gesagt an kann nicht »aus Zwang staunen«. Nur so kann das so wie sie sind, in ihrem konkreten Leben. Das den Armen ist für die Kirche keine Wahloption. zwei Dämmen entlang, die immer parallel verlau- Wunder der Unentgeltlichkeit, der unentgeltli- tägliche Leben aller Menschen, die Anteilnahme Die oben beschriebenen Dynamiken und An- fen und die in ihrer Elementarität dem Herzen chen Selbsthingabe blühen. Auch den missiona- an den Nöten, Hoffnungen und Problemen aller: sätze gehören zur Mission der Kirche, die vom des Gottesvolkes von jeher vertraut sind: das Ge- rischen Eifer kann man nie durch Erwägung Das ist der Ort und die Situation, in der jene, die Heiligen Geist beseelt ist. Gewöhnlich wird in bet und die Liebe, in Form von Almosen, die »aus oder Berechnung erlangen. Sich »in den Zustand die Liebe Christi erkannt und die Gabe des Heili- den kirchlichen Verlautbarungen und Diskursen dem Tod retten, von aller Sünde reinigen« (vgl. der Mission« zu versetzen ist ein Reflex der Dank- gen Geistes empfangen haben, allen, die darum die Notwendigkeit des Heiligen Geistes als Tob 12,9), der eifrigen Liebe, die »viele Sünden zu- barkeit. Es ist die Antwort dessen, der von der bitten, Rechenschaft ablegen können vom Glau- Quelle der Mission der Kirche anerkannt und be- deckt« (vgl. 1 Petr 4,8). Die Initiatoren der Mis - Dankbarkeit dem Geist gegenüber fügsam ge- ben, von der Hoffnung und von der Liebe – unter- stätigt. Es kommt jedoch auch vor, dass diese An- sionswerke, begonnen bei Pauline Jaricot, haben macht wird und der daher frei ist. Ohne die Wahr- wegs mit den anderen, an der Seite aller Men- erkennung auf eine Art »offizieller Ehrerwei- die Gebete und die Werke, denen sie ihre Wün- nehmung der besonderen Liebe des Herrn, die schen. Vor allem in der Zeit, in der wir leben, geht sung« gegenüber der Allerheiligsten Dreifaltigkeit sche in Bezug auf die Verkündigung des Evange- dankbar macht, würden sogar die Erkenntnis der es nicht darum, »anspruchsvolle« Bildungswege reduziert wird, auf eine konventionelle Eingangs- liums anvertraut haben, nicht erfunden, sondern Wahrheit und die Erkenntnis Gottes selbst – zur zu erfinden, Parallelwelten zu schaffen, mediale formulierung für theologische Vorträge und Pas - sie einfach dem unerschöpflichen Schatz der dem Schau gestellt wie ein Besitz, den man aus eige- Blasen zu errichten, um die eigenen Slogans, die toralpläne. Es gibt in der Kirche viele Situationen, Gottesvolk auf seinem Weg in der Geschichte ver- ner Kraft erlangt – zum »Buchstaben, der tötet« eigenen Lippenbekenntnisse ertönen zu lassen, in denen der Primat der Gnade nur mehr ein theo- trauten und gewohnten Gesten entnommen. (vgl. 2 Kor 3,6), wie der heilige Paulus und der reduziert auf einen beruhigenden »Nominalis- retisches Postulat, eine abstrakte Formel ist. Es – Die Missionswerke, die im Leben des Got - heilige Augustinus als Erste gezeigt haben. Nur in mus, der sich in Erklärungen erschöpft«. Ich habe kommt vor, dass viele mit der Kirche verbundene tesvolkes unentgeltlich entstanden sind, wurden der Freiheit der Dankbarkeit erkennt man wirk- bereits an anderer Stelle zum Beispiel erwähnt, Initiativen und Körperschaften, statt das Wirken aufgrund ihrer einfachen und konkreten Gestalt lich den Herrn. Es nützt dagegen nichts und ist dass es in der Kirche Menschen gibt, die mit des Heiligen Geistes durchscheinen zu lassen, am von der Kirche in Rom und ihren Bischöfen aner- vor allem unpassend, die Mission und die Ver- Nachdruck den Slogan benutzen: »Dies ist die Ende nur die eigene Selbstbezogenheit bezeugen. kannt und wertgeschätzt. Diese haben im ver- kündigung des Evangeliums immer wieder so Stunde der Laien!« Aber inzwischen scheint die Viele kirchliche Apparate auf allen Ebenen schei- gangenen Jahrhundert darum gebeten, sie als be- darzustellen als seien sie eine verbindliche Uhr stehengeblieben zu sein. nen davon besessen zu sein, sich selbst und die sonderes Werkzeug des Dienstes, den sie der Pflicht, eine Art »Vertragspflicht« der Getauften. Universalkirche leisten, annehmen zu dürfen. Demut. Wenn die Wahrheit und der Glaube, Auf diese Weise wurden diese Werke als »Päpst- wenn die Glückseligkeit und das Heil nicht unser lich« qualifiziert. Von jenem Augenblick an tritt Besitz sind, wenn sie kein Ziel sind, das wir durch das Merkmal der POM als Werkzeug im Dienst unsere Verdienste erlangen, dann kann das Evan- zur Unterstützung der Teilkirchen zutage, in der gelium Christi nur mit Demut verkündigt wer- Verkündigung des Evangeliums. Ebenso haben den. Man darf nie meinen, der Sendung der Kir- sich die Päpstlichen Missionswerke mit Fügsam- che zu dienen, indem man als einzelne und durch keit als Werkzeug im Dienst der Kirche angebo- die Apparate Überheblichkeit an den Tag legt, mit ten, innerhalb des universalen Dienstes, der vom dem Hochmut dessen, der auch das Geschenk Papst und von der Kirche in Rom durchgeführt der Sakramente und die wahrhaftigsten Worte wird, die den »Vorsitz in der Liebe« führt. des christlichen Glaubens entstellt – wie eine Auf diese Weise haben die POM, durch ihren Beute, die man sich verdient hat. Man kann nicht eigenen Weg und ohne in schwierige theologi- aus Anstand demütig sein oder um einnehmend sche Dispute einzutreten, die Argumente derer zu wirken. Man ist demütig, wenn man Christus widerlegt, die, auch in kirchlichen Kreisen, Cha- nachfolgt, der zu den Seinen gesagt hat: »Lernt rismen und Institutionen auf unpassende Weise von mir; denn ich bin gütig und von Herzen in Gegensatz zueinander stellen und die Bezie- demütig« (Mt 11,29). Der heilige Augustinus fragt hungen zwischen ihnen stets durch eine trügeri- sich, wieso Jesus sich nach der Auferstehung nur sche »Dialektik der Prinzipien« betrachten. In der seinen Jüngern gezeigt hat und nicht jenen, die Kirche werden dagegen auch die bleibenden ihn gekreuzigt hatten. Und er antwortete, dass Je- Strukturelemente – wie die Sakramente, das sus nicht den Eindruck vermitteln wollte, »seine Priesteramt und die Apostolische Sukzession – Mörder irgendwie herauszufordern. Denn es vom Heiligen Geist beständig neu geschaffen. Die war ihm wichtiger, seine Freunde die Demut zu Kirche kann nicht über sie verfügen wie über ei- lehren als den Feinden die Wahrheit vorzuwer- nen Gegenstand, der in ihrem Besitz ist (vgl. Kar- fen« (Predigt 284,6). dinal Joseph Ratzinger, Die kirchlichen Bewegun- Erleichtern, nicht verkomplizieren. Ein weite- gen und ihr theologischer Ort. Vortrag auf dem rer Wesenszug des echten Missionswerks ver- Weltkongress der kirchlichen Bewegungen, Rom, weist auf die Geduld Jesu, der auch in den Berich- 27.-29. Mai 1998; in: Joseph Ratzinger, Gesam- ten des Evangeliums die Wachstumsschritte der Der »sensus fidei« des Gottesvolkes. Es gibt eigenen Initiativen zu fördern. So als wäre das melte Schriften, Bd. 8/1: Kirche – Zeichen unter Menschen stets mit Barmherzigkeit begleitet hat. eine Wirklichkeit in der Welt, die eine Art »Ge- das Ziel und der Horizont ihrer Mission. den Völkern, Hrsg. Gerhard Ludwig Müller, Frei- Ein kleiner Schritt inmitten der großen menschli- spür« für den Heiligen Geist und sein Wirken hat. Bis hierher wollte ich Kriterien und Anregun- burg i.Br. 2010, S. 363-390). chen Begrenztheit kann das Herz Gottes mehr er- Es ist das Gottesvolk, das von Jesus berufen und gen für die Sendung der Kirche, die ich im Aposto- – Die Missionswerke wurden von ihrer ers- freuen als die großen Sprünge dessen, der im Le- besonders geliebt ist und das ihn seinerseits be- lischen Schreiben Evangelii gaudium ausführli- ten Verbreitung an als flächendeckendes Netz- ben ohne große Schwierigkeiten vorangeht. Ein ständig sucht und in der Mühsal des Lebens im- cher dargelegt habe, noch einmal aufgreifen und werk strukturiert, das im Gottesvolk verbreitet missionarisches Herz erkennt den konkreten Zu- mer nach ihm fragt. Das Gottesvolk bettelt um die vorschlagen. Ich habe das getan, weil ich glaube, ist. Es ist fest verankert, ja sogar »immanent« vor- stand, in dem sich die konkreten Menschen be- Gabe seines Geistes: Es vertraut seine Erwartun- dass es auch für die POM nützlich und fruchtbar handen im Netzwerk der früher entstandenen In- finden, mit ihren Grenzen, Sünden, Schwächen, gen den einfachen Worten der Gebete an und – und unaufschiebbar – ist, sich auf diesem Ab- stitutionen und Wirklichkeiten des kirchlichen und wird »den Schwachen ein Schwacher« (vgl. macht es sich nie in der Anmaßung der eigenen schnitt ihres Weges mit jenen Kriterien und Vor- Lebens, wie Diözesen, Pfarreien, Ordensgemein- 1 Kor 9,22). In die Mission »aufzubrechen«, um Selbstgenügsamkeit bequem. Das heilige Gottes- schlägen auseinanderzusetzen. schaften. Die besondere Berufung der in den Mis- in die menschlichen Randgebiete zu gelangen, volk, vom Herrn versammelt und gesalbt, ist kraft sionswerken tätigen Personen wurde nie als ein bedeutet nicht, ohne Richtung und ohne Sinn dieser Salbung »in credendo« unfehlbar, wie die Die Päpstlichen Missionswerke alternativer Weg, als »äußere« Zugehörigkeit ge- herumzuirren, wie ungeduldige Händler, die sich Überlieferung der Kirche lehrt. Das Wirken des und die Gegenwart: genüber den gewöhnlichen Lebensformen der beklagen, dass die Leute zu unkultiviert und pri- Heiligen Geistes versieht das gläubige Volk mit ei- zu entwickelnde Begabungen, Teilkirchen erlebt und wahrgenommen. Der Auf- mitiv seien, um an ihren Waren interessiert zu nem »Gespür« für den Glauben – dem »sensus zu vermeidende Versuchungen ruf, für die Mission zu beten und Geldmittel zu sein. Manchmal geht es darum, den Schritt zu fidei« –, das ihm hilft, sich nicht zu irren, wenn es und Krankheiten sammeln, wurde immer als Dienst an der kirchli- verlangsamen, um jene zu begleiten, die am an die Dinge Gottes glaubt, auch wenn es keine chen Gemeinschaft getätigt. Straßenrand zurückgeblieben sind. theologischen Argumentationen und Formeln Wohin soll man schauen für die Gegenwart – Die Missionswerke, die im Laufe der Zeit zu Manchmal muss man den Vater aus dem kennt, um die Gaben zu definieren, die es erfährt. und die Zukunft der POM? Welcher Ballast droht einem in allen Kontinenten verbreiteten Netz- Gleichnis vom verlorenen Sohn nachahmen, der Das Geheimnis des pilgernden Volkes, das mit dagegen, ihren Weg zu beschweren? werk geworden sind, spiegeln bereits in ihrer die Türen offenlässt und jeden Tag den Horizont seiner volkstümlichen Spiritualität die Wallfahrts- In der Gestalt, ich würde sogar sagen in der Struktur die Vielfalt der Akzente, Lebensbedin- absucht und auf die Rückkehr seines Sohnes war- orte aufsucht und sich Jesus, Maria und den Hei- Identität, der Päpstlichen Missionswerke sind ge- gungen, Probleme und Gaben wider, die das Le- tet (vgl. Lk 15,20). Die Kirche ist keine Zollstation, ligen anvertraut, schöpft aus der freien und un- wisse Merkmale erkennbar – einige sind sozusa- ben der Kirche an den verschiedenen Orten der und wer in irgendeiner Weise an der Sendung der entgeltlichen Initiative Gottes, die seinem Wesen gen »genetisch«, andere im Laufe der Geschichte Welt prägen: eine Pluralität, die vor ideologischen Kirche teilhat, darf dem bereits mühsamen Leben entspricht, ohne pastoralen Aktionsplänen folgen erworben –, die oft vernachlässigt oder als selbst- Vereinheitlichungen und kultureller Einseitigkeit der Menschen keine unnötigen Lasten hinzufü- zu müssen. verständlich betrachtet werden. Dennoch kön- schützen kann. In diesem Sinne kann man auch gen, darf ihnen keine schwierigen und mühsa- Besondere Liebe zu den Geringen und den Ar- nen gerade diese Merkmale, vor allem in der heu- durch die POM das Geheimnis der Universalität men Bildungswege auferlegen, um das zu ge- men. Jeder missionarische Impuls bringt, wenn er tigen Zeit, den Beitrag dieses »Netzwerks« zur der Kirche erfahren, in der das unablässige Wir- nießen, was der Herr mit Leichtigkeit schenkt. vom Heiligen Geist ausgeht, die besondere Liebe universalen Sendung, zu der die ganze Kirche be- ken des Heiligen Geistes die Harmonie zwischen Man darf dem Wunsch Jesu, der für jeden von uns zu den Armen und den Geringen zum Ausdruck, rufen ist, bewahren und wertvoll machen. den verschiedenen Stimmen schafft, während betet und der alle heilen, alle retten will, keine als Zeichen und Abglanz der besonderen Liebe – Die Missionswerke sind spontan entstan- Hindernisse in den Weg legen. des Herrn zu ihnen. Die Menschen, die in missio- den, aus dem missionarischen Eifer heraus, der Fortsetzung auf Seite 12 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 12 Aus dem Vatikan

Botschaft an die Päpstlichen Missionswerke

Fortsetzung von Seite 11 nissen in Berührung, die zum großen Fluss des Lebens der Kirche gehören, auf allen Kontinen- ten. In diesem Fluss kann man vielen Formen der der Bischof von Rom mit seinem Dienst der Liebe, Schwerfälligkeit und der Verkalkung begegnen, der auch durch die Päpstlichen Missionswerke die das kirchliche Leben begleiten, aber auch un- ausgeübt wird, die Einheit des Glaubens be- entgeltlichen Gaben der Heilung und des Trostes, wahrt. die der Heilige Geist im täglichen Leben derer Alle bisher beschriebenen Merkmale können aussät, die man als die »Mittelschicht der Heilig- den Päpstlichen Missionswerken helfen, sich den keit« bezeichnen könnte. Und Ihr könnt Euch Gefahren und Krankheiten zu entziehen, die auf freuen und jubeln und die Begegnungen ge- ihrem Weg und auf dem vieler anderer kirchli- nießen, die Ihr dank der Arbeit bei den POM ma- cher Einrichtungen lauern. Ich möchte auf einige chen könnt, und Euch von ihnen überraschen las- hinweisen. sen. Ich denke an die vielen Wundergeschichten, von denen man bei Kindern hört, die Jesus viel- Zu vermeidende Gefahren leicht durch die vom Kindermissionswerk ange- botenen Initiativen begegnen. Darum darf Euer Selbstbezogenheit. Kirchliche Organisationen Werk nie in einer ausschließlich bürokratisch- und Körperschaften sind trotz aller guten Absich- professionellen Dimension »sterilisiert« werden. ten der Einzelnen am Ende manchmal selbstbe- Es darf keine Bürokraten oder Funktionäre der zogen und widmen ihre Kraft und Aufmerksam- Mission geben. Und Eure Dankbarkeit kann wie- keit vor allem der Selbstförderung und dem derum zum Geschenk und Zeugnis für alle wer- Lobpreis der eigenen Initiativen als Eigenwer- den. Ihr könnt zur Stärkung aller mit den Mitteln, bung. Andere scheinen davon besessen zu sein, die Ihr habt, ohne Künstelei auf das Leben von ihre Relevanz und ihre Räume innerhalb der Kir- Das Pfingstereignis: Der Heilige Geist kommt in Feuerzungen auf die Jünger herab. Menschen und Gemeinschaften hinweisen, de- che ständig neu zu definieren, mit der Rechtferti- nen Ihr leichter begegnen könnt als andere: Men- gung, ihrer Sendung bessere Impulse zu geben. den. Man greift die Probleme auf und seziert sie dem wirklichen Leben und nicht aus geschlosse- schen und Gemeinschaften, in denen das Wun- Auf diese Weise – so sagte einmal der damalige in intellektuellen Laboratorien, wo alles gezähmt nen Zirkeln oder aus theoretischen Analysen der der des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe Kardinal Joseph Ratzinger – nährt man auch die wird und den gewünschten ideologischen An- eigenen inneren Dynamiken auch nützliche Ein- unentgeltlich erstrahlt. falsche Vorstellung, dass ein Mensch umso mehr strich bekommt. Wo alles außerhalb des realen gebungen kommen, um die eigenen Vorgehens- 5) Die Dankbarkeit angesichts der Wunder, ein Christ sei, je mehr er in kirchliche Aktivitäten Kontexts zum Götzenbild erstarren kann, auch weisen zu verändern und zu verbessern und sie die der Herr unter jenen wirkt, die er besonders eingebunden sei, während in Wirklichkeit fast die Bezugnahmen auf den Glauben und die ver- an die verschiedenen Umfelder und Lebensbe- liebt – unter den Armen und Geringen, denen er alle Getauften den Glauben, die Hoffnung und die balen Hinweise auf Jesus und auf den Heiligen dingungen anzupassen. die Dinge offenbart, die den Weisen verborgen Liebe in ihrem Alltag leben, ohne je in kirchli- Geist. 2) Ich schlage vor, dafür zu sorgen, dass die sind (vgl. Mt 11,25-26) – kann es auch für Euch chen Komitees aufgetaucht zu sein und ohne sich Funktionalismus. Die selbstbezogenen und wesentliche Struktur der POM mit der Praxis des leichter machen, Euch der Gefahr der Selbstbezo- um die neuesten kirchenpolitischen Entwicklun- elitären Organisationen, auch innerhalb der Kir- Gebets und der Sammlung von Geldern für die genheit zu entziehen, aus sich selbst herauszu- gen zu kümmern (vgl. Eine Gemeinschaft auf che, sind letztlich oft auf die Nachahmung weltli- Mission verbunden bleibt. Sie ist gerade aufgrund kommen und Jesus nachzufolgen. Die Idee einer dem Weg. Von der Kirche und ihrer immer- cher Erfolgsmodelle ausgerichtet – wie jener, die ihrer Elementarität und ihrer Konkretheit wert- selbstbezogenen Missionarität, die die Zeit damit währenden Erneuerung, in: Joseph Ratzinger, Ge- vom erbitterten wirtschaftlichen und gesell- voll und liebgewonnen. Sie bringt die Affinität der verbringt, sich selbst zu betrachten und für die ei- sammelte Schriften, Bd. 8/2: Kirche – Zeichen schaftlichen Wettbewerb auferlegt werden. Die POM zum Glauben des Gottesvolkes zum Aus- genen Initiativen zu beweihräuchern, wäre in unter den Völkern, Hrsg. Gerhard Ludwig Mül- Wahl des Funktionalismus garantiert die Illusion druck. Mit aller erforderlichen Flexibilität und sich selbst eine Absurdität. Vergeudet nicht zu ler, Freiburg i.Br. 2010, S. 1216-1230). einer ausgewogenen »Problembereinigung«, um Anpassung sollte dieser Grundentwurf der POM viel Zeit und Ressourcen, um eine »Nabelschau Führungsanspruch. Manchmal passiert es, die Dinge unter Kontrolle zu halten, die eigene nicht in Vergessenheit geraten oder völlig verän- zu halten« und Pläne zu erarbeiten, die sich um dass Institutionen und Körperschaften, die ent- Relevanz zu vergrößern und den Alltag besser zu dert werden. Zum Herrn beten, auf dass er die interne Mechanismen drehen, um Funktionalität standen sind, um den Kirchengemeinden zu hel- bewältigen. Aber wie ich bereits im Rahmen un- Herzen für das Evangelium öffnen möge, und alle und Fähigkeiten des eigenen Apparats. Blickt fen, indem sie den Gaben dienen, die vom Heili- serer Begegnung im Jahr 2016 gesagt habe, ist bitten, dass sie das Missionswerk auch konkret nach draußen, blickt nicht in den Spiegel. Zer - gen Geist in ihnen erweckt wurden, im Laufe der eine Kirche, die Angst hat, sich der Gnade Christi unterstützen mögen: Darin liegt eine Einfachheit brecht alle Spiegel im Haus. Die Kriterien denen Zeit den Anspruch erheben, eine Oberherrschaft anzuvertrauen, und die auf die Leistungsfähigkeit und eine Konkretheit, die alle mit Freude wahr- man folgen muss, auch bei der Umsetzung der und Kontrollfunktionen gegenüber den Gemein- der Apparate ausgerichtet ist, bereits tot, selbst nehmen können in der heutigen Zeit, in der man Pläne, müssen darauf abzielen, Strukturen und den auszuüben, denen sie dienen sollten. Diese wenn die Strukturen und Pläne, die »selbstbe- auch aufgrund der Geißel der Pandemie überall Vorgehensweisen zu erleichtern und flexibel zu Haltung ist fast immer von der Anmaßung beglei- schäftigten« Klerikern und Laien zugutekommen, den Wunsch verspürt, allem zu begegnen und machen statt das Netzwerk der POM mit weite- tet, die Rolle von »Hütern« zu spielen, die den an- noch jahrhundertelang Bestand haben sollten. nahe zu bleiben, was einfach Kirche ist. Sucht ru- ren Apparat-Elementen noch mehr zu belasten. deren Legitimierungslizenzen erteilen. Tatsäch- hig neue Wege, neue Formen für euren Dienst. Es Zum Beispiel sollte sich jeder Nationaldirektor lich verhält man sich in diesen Fällen so, als ob die Ratschläge für den Weg ist dafür jedoch nicht nötig, das, was einfach ist, während seiner Amtszeit bemühen, potentielle Kirche ein Produkt unserer Analysen, unserer zu verkomplizieren. Nachfolger zu finden. Dabei muss das einzige Kri- Pläne, Vereinbarungen und Entscheidungen sei. Im Hinblick auf die Gegenwart und Zukunft 3) Die POM sind ein Werkzeug, das der Mis- terium darin bestehen, nicht auf Personen aus Elitedenken. Unter denen, die zu Körperschaf- und auf der Suche auch auf dem Weg der POM sion in den Teilkirchen dient, im Horizont der dem Freundeskreis oder Kameraden kirchlicher ten und organisierten Wirklichkeiten in der Kir- nach Ressourcen, um die Gefahren des Weges zu Mission der Kirche, die immer die ganze Welt »Seilschaften« hinzuweisen, sondern auf Perso- che gehören, fasst manchmal ein elitäres Empfin- überwinden und voranzugehen, erlaube ich mir, umfasst, und sie müssen so gelebt werden. Darin nen, die mehr missionarischen Eifer als er selbst den Fuß, die unausgesprochene Idee, einem Adel einige Ratschläge zu geben, um Eure Entschei- besteht ihr stets wertvoller Beitrag zur Verkündi- zu haben scheinen. anzugehören. Einer höheren Klasse von Fachleu- dungsfindung zu unterstützen. Da Ihr auch einen gung des Evangeliums. Wir sind alle aufgerufen, 6) Was das Sammeln von Geldern betrifft, um ten, die versucht, die eigenen Räume im Einver- Weg zum Überdenken der POM eingeschlagen aus Liebe und Dankbarkeit, auch mit euren Wer- die Mission zu unterstützen, so habe ich anläss- ständnis oder im Wettbewerb mit anderen kirch- habt, der an den Weisungen des Papstes inspiriert ken, die Keimzellen des theologischen Lebens, lich unserer früheren Begegnungen bereits die lichen Eliten zu erweitern und die ihre Mitglieder sein soll, unterbreite ich Eurer Aufmerksamkeit die der Geist Christi hervorsprießen und wach- Gefahr erwähnt, die POM in eine NRO zu ver- nach den weltlichen Systemen und der Logik der allgemeine Kriterien und Anregungen, ohne ins sen lässt, wo er will, auch in den Wüsten, zu be- wandeln, die sich ganz und gar der Beschaffung Militanz oder technisch-professioneller Kompe- Detail zu gehen, auch weil die verschiedenen wahren. Bittet im Gebet in erster Linie darum, und Verteilung der Gelder widmet. Das hängt tenz ausbildet, immer mit dem Ziel vor Augen, die Umfelder Anpassungen und Varianten erfordern dass der Herr uns alle bereit machen möge, die mehr davon ab, mit welchem Herzen man es tut, eigenen oligarchischen Vorrechte zu fördern. können. Zeichen seines Wirkens zu erkennen, um sie als davon, was man tut. Bei der Sammlung von Absonderung vom Volk. Die elitäre Versu- 1) Soweit Ihr könnt und ohne zu viele Überle- dann der ganzen Welt zu zeigen. Nur das kann Geldern kann es natürlich ratsam, ja sogar ange- chung in einigen mit der Kirche verbundenen gungen darüber anzustellen, sorgt dafür, dass die nützen: zu bitten, dass für uns, in unserem tiefs- messen sein, auch zeitgemäße Methoden zur Be- Wirklichkeiten ist manchmal begleitet von einem Einbindung der POM in das Gottesvolk, ihre Zu- ten Herzen, die Anrufung des Heiligen Geistes schaffung von Finanzierungen von Seiten poten- Gefühl der Überlegenheit und der Unduldsam- gehörigkeit zum wirklichen Leben, in dem sie nicht auf einen unfruchtbaren Wortreichtum un- tieller und verdienstvoller Unterstützer mit keit gegenüber der Menge der Getauften, gegen - entstanden sind, gewahrt bleibt oder neu ent- serer Versammlungen und unserer Predigten re- Kreativität anzuwenden. Wenn jedoch in einigen über dem Gottesvolk, das vielleicht die Pfarrge- deckt wird. Ein tieferes »Eintauchen« in das wirk- duziert sein möge. Es nützt dagegen nichts, theo- Bereichen die Spenden zurückgehen, weil auch meinden und Heiligtümer besucht, aber nicht aus liche Leben der Menschen, so wie es ist, wird gut- retische Überlegungen über Super-Strategen oder das christliche Bewusstsein zurückgeht, dann »Aktivisten« besteht, die in katholischen Organi- tun. Es tut allen gut, aus der Verschlossenheit der »Leitungszentralen« der Mission anzustellen, an kann man in diesem Fall versucht sein, das Pro- sationen beschäftigt sind. In solchen Fällen wird eigenen inneren Problematiken herauszukom- die man – als angebliche unbescheidene »Hüter« blem selbst zu lösen, indem man die Wirklichkeit auch das Gottesvolk als eine träge Masse betrach- men, wenn man Jesus nachfolgt. Es lohnt sich, der missionarischen Dimension der Kirche – die »vertuscht« und auf irgendein effizienteres Spen- tet, die stets neu beseelt und mobilisiert werden sich in die konkreten Lebensumstände hineinzu- Aufgabe delegieren kann, den missionarischen densystem setzt, das auf die Suche nach großen muss durch eine »Bewusstwerdung«, die durch begeben und auch die flächendeckende Arbeit Geist zu wecken oder den anderen die Lizenz zur Spendern geht. Das Leiden über den Rückgang Argumentationen, Mahnungen, Belehrungen an- und die Kontakte der POM in ihrer Einbindung in Missionsarbeit zu erteilen. Wenn in einigen Si- des Glaubens und auch über den Rückgang der geregt werden muss. Man tut so, als sei die Glau- das kirchliche Netzwerk (Diözesen, Pfarreien, tuationen der Missionseifer schwindet, dann ist Spendengelder darf jedoch nicht verdrängt wer- bensgewissheit die Folge von überzeugenden Gemeinden, Gruppen) zu pflegen oder zu versu- es ein Zeichen dafür, dass der Glaube schwindet. den, sondern muss in die Hände des Herrn gelegt Diskursen oder von Bildungsmethoden. chen, sie wiederherzustellen. Wenn man die ei- Und in diesen Fällen macht der Anspruch, werden. Jedenfalls ist es gut, die Bitte um Spen- Abstraktion. Wenn mit der Kirche verbundene gene Zugehörigkeit zum Gottesvolk mit seinen die verlöschende Flamme mit Strategien und Dis- den für die Mission auch weiterhin in erster Linie Körperschaften und Wirklichkeiten selbstbezo- Licht- und Schattenseiten an die erste Stelle setzt, kursen wiederzubeleben, sie letztlich noch an die ganze Menge der Getauften zu richten. Da- gen werden, verlieren sie den Kontakt mit der kann man auch der Gefahr der Abstraktion bes- schwächer und führt nur dazu, dass die Wüste bei muss auch die Kollekte für die Missionen, die Wirklichkeit und erkranken an Abstraktion. Es ser entfliehen. Man muss nicht immer mehr Vor- sich weiter ausbreitet. in den Kirchen aller Länder im Oktober anlässlich mehren sich nutzlose Orte strategischer Planung, schläge formulieren, sondern vielmehr Antwor- 4) Der von den POM durchgeführte Dienst des Weltmissionssonntags durchgeführt wird, um Projekte und Leitlinien zu erstellen, die nur ten auf wirkliche Fragen und Bedürfnisse geben. bringt die Mitarbeiter seinem Wesen nach mit zur Selbstförderung derer dienen, die sie erfin- Vielleicht können aus dem direkten Kontakt mit zahllosen Wirklichkeiten, Situationen und Ereig- Fortsetzung auf Seite 13 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 13

Botschaft an die Päpstlichen Missionswerke

Fortsetzung von Seite 12 und Titus ans Herz, die gekommen wa- ren, um über ihre Mission bei den Unbeschnitte- nen zu sprechen: »Nur sollten wir an die Armen wieder in den Vordergrund gestellt werden. Die denken« (Gal 2,10). Nach dieser Empfehlung or- Kirche geht schon immer voran auch dank des ganisierte Paulus die Geldsammlungen für die Scherfleins der Witwe, des Beitrags der großen Geschwister der Kirche von Jerusalem (vgl. 1 Kor Schar von Menschen, die sich von Jesus geheilt 16,1). Die besondere Liebe zu den Armen und Ge- und getröstet fühlen und die darum, aus über- ringen gehörte von Anfang an zur Mission der fließender Dankbarkeit, das geben, was sie ha- Verkündigung des Evangeliums. Die geistlichen ben. und leiblichen Werke der Nächstenliebe ihnen 7) In Bezug auf die Verwendung der erhalte- gegenüber bringen eine »besondere göttliche nen Spenden, wägt immer mit angemessenem Liebe« zum Ausdruck, die an das Glaubensleben »sensus Ecclesiae« die Umverteilung der Gelder aller Christen appelliert, die aufgerufen sind, un- zur Unterstützung von Strukturen und Projek- tereinander so gesinnt zu sein, wie es dem Leben ten ab, die auf unterschiedliche Weise die aposto- in Jesus entspricht (vgl. Phil 2,5). lische Sendung und die Verkündigung des Evan- 9) Die POM, mit ihrem in der ganzen Welt geliums in den verschiedenen Teilen der Welt verteilten Netzwerk, spiegeln die Vielfalt des zum Papst und zur Kirche von Rom eine Res- der Liebe und aus ihrem Geheimnis der Unent- umsetzen. Man muss stets die konkreten vor - »Volkes mit den zahllosen Gesichtern« wider, das source und eine Unterstützung der Freiheit, die geltlichkeit schöpft. Mit einem Werk, das zahllose rangigen Bedürfnisse der Gemeinschaften vor durch die Gnade Christi versammelt ist, mit sei- allen hilft, sich vergänglichen Moden, Verfla- Menschen unterstützt, die innerlich dankbar Augen haben und gleichzeitig Formen der nem Missionseifer. Dieser Eifer ist nicht immer chungen auf einseitige Denkströmungen oder sind, aber vielleicht nicht einmal wissen, wem sie Wohlfahrt vermeiden, die letztlich keine Mittel und überall gleich groß und lebendig. Dennoch kulturelle Vereinheitlichungen neokolonialisti- danken sollen, weil sie von den POM nicht ein- für den missionarischen Eifer bieten, sondern die kommt er in der gemeinsamen Notwendigkeit, scher Art zu entziehen. Diese Phänomene sind mal den Namen kennen. Das Geheimnis der Herzen lau werden lassen und auch in der Kirche den gestorbenen und auferstandenen Christus zu leider auch in kirchlichen Umfeldern zu verzeich- Liebe in der Kirche wird so verwirklicht. Gehen ein parasitäres Klientelwesen nähren. Zielt darauf bekennen, mit verschiedenen Akzenten zum nen. wir auch weiterhin gemeinsam voran, in der ab, mit Eurem Beitrag konkrete Antworten auf Ausdruck und passt sich an verschiedene Umfel- 10) Die POM sind in der Kirche keine eigen- Freude darüber, unter den Prüfungen voranzu- objektive Bedürfnisse zu geben, ohne Ressourcen der an. Die Offenbarung des Evangeliums lässt ständige Größe, die im luftleeren Raum steht. Zu schreiten, dank der Gaben und der Tröstungen zu verschwenden für Initiativen, die von Ab- sich mit keiner Kultur identifizieren, und bei der ihren Besonderheiten, die stets gepflegt und er- des Herrn. Während wir bei jedem Schritt freudig straktheit oder Selbstbezogenheit geprägt oder Begegnung mit neuen Kulturen, die die christli- neuert werden müssen, gehört die besondere anerkennen, dass wir unnütze Diener sind, ange- die aus dem klerikalen Narzissmus irgendeiner che Verkündigung nicht angenommen haben, Verbindung mit dem Bischof der Kirche von Rom, fangen bei mir. Person hervorgegangen sind. Verfallt nicht in darf man keine bestimmte kulturelle Form zu- die den Vorsitz in der Liebe hat. Es ist schön und Minderwertigkeitskomplexe oder in die Versu- sammen mit dem Angebot des Evangeliums auf- tröstlich zu sehen, dass diese Verbindung zum Schluss chung, jene hochfunktionalen Organisationen erlegen. Heute sollte man sich auch bei der Arbeit Ausdruck kommen in einer Arbeit, die mit nachzuahmen, die zwar Gelder für gute Zwecke der POM nicht zu sehr belasten; ihr unterschied- Freude durchgeführt wird, ohne nach Beifall zu Brecht schwungvoll auf: Auf dem Weg, der sammeln, diese dann aber zu einem großen Teil liches Profil und ihre gemeinsame Bezugnahme streben oder Ansprüche zu erheben: ein Werk, Euch erwartet, gibt es viele Dinge zu tun. Wenn verwenden, um den eigenen Apparat zu finanzie- auf die Grundzüge des Glaubens sollten gewahrt das gerade in seiner Unentgeltlichkeit eng mit es in den Verfahrensweisen Veränderungen gibt, ren und die eigene Marke zu bewerben. Auch werden. Auch der Anspruch, die Form der Ver- dem Dienst des Papstes, des Dieners der Diener dann ist es gut, wenn diese darauf abzielen, die das wird zuweilen zu einem Weg, um vor allem kündigung zu vereinheitlichen, vielleicht indem Gottes, verbunden ist. Ich bitte Euch, dass das Lasten zu erleichtern und nicht zu mehren; wenn die eigenen Interessen zu pflegen, auch wenn man alles auf Klischees und Slogans setzt, die in Merkmal Eurer Nähe zum Bischof von Rom ge- sie darauf ausgerichtet sind, operative Flexibilität man nach außen hin für die Armen und Notlei- gewissen Kreisen bestimmter kulturell oder poli- nau dies sein möge: die gemeinsame Liebe zur zu gewinnen und nicht weitere starre und stets denden tätig ist. tisch dominierender Länder in Mode sind, kann Kirche, Abglanz der Liebe zu Christus, die in der von Intraversion bedrohte Apparate zu erzeugen. 8) Was die Armen betrifft, so vergesst auch Ihr einen Schatten auf die Universalität des christli- Stille gelebt wird und zum Ausdruck kommt, Dabei muss man sich vor Augen halten, dass eine sie nicht. Das legten die Apostel Petrus, Johannes chen Glaubens werfen. In diesem Zusammen- ohne zu prahlen, ohne das »eigene Territorium« übermäßige Zentralisierung die missionarische und Jakobus beim Konzil von Jerusalem Paulus, hang ist auch die besondere Beziehung der POM zu markieren. Mit einer täglichen Arbeit, die aus Dynamik verkomplizieren kann statt ihr zu hel- fen. Und auch eine Gestaltung der Initiativen auf rein nationaler Ebene gefährdet die Physiogno- Leitartikel zur Papstbotschaft mie des Netzwerks der POM, ebenso wie den Gabenaustausch zwischen Kirchen und Ortsge- meinden, der als Frucht und spürbares Zeichen Eine Mission, die nicht unsere ist der Liebe unter den Brüdern und Schwestern, in der Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom, ge- lebt wird. Von Andrea Tornielli Bittet auf jeden Fall immer darum, dass jede Überlegung, die die Arbeitsgestaltung der POM betrifft, erleuchtet sein möge von der einzigen Sa- ie Botschaft des Papstes an die Päpstli- che, die notwendig ist: ein wenig wahre Liebe zur Dchen Missionswerke ist ein markanter Kirche, als Abglanz der Liebe zu Christus. Ihr er- Text, der ganz konkrete Hinweise darauf gibt, weist Euren Dienst dem apostolischen Eifer, also was die einzige wirkliche Quelle des missionari- einem theologischen Lebensantrieb, den nur der schen Handelns der Kirche sein kann. Zugleich Heilige Geist im Gottesvolk wirken kann. Denkt nennt er aber auch einige Entartungen des mis- daran, Eure Arbeit gut zu tun, »als ob alles von sionarischen Handelns beim Namen, um damit Euch abhinge, in dem Wissen, dass in Wirklich- zu einer Vermeidung dieser Fehler beizutragen. keit alles von Gott abhängt« (hl. Ignatius von Die Mission, so Franziskus, ist nicht die Loyola). Wie ich bei einer unserer Begegnungen Frucht der Anwendung von »weltlichen Syste- bereits gesagt habe, müsst ihr die Bereitschaft men und der Logik von Militanz oder technisch- Marias besitzen. Als sie zu Elisabet ging, tat Ma- professioneller Kompetenz«. Vielmehr entsteht ria das nicht als eigene Geste: Sie ging hin als sie aus der »überströmenden Freude«, die »der Magd des Herrn Jesus, den sie im Schoß trug. Von Herr uns schenkt« und die die Frucht des Heiligen sich selbst sagte sie nichts; sie brachte nur ihren Geistes ist. Diese Freude ist eine Gnade, die nie- Sohn und lobte Gott. Nicht sie war die Protagonis- mand sich selbst schenken kann. Missionarisch Die Botschaft schöpft aus dem Apostolischen Aus dem päpstlichen Text ergibt sich auch, dass tin. Sie ging hin als Magd dessen, der auch der sein heißt, das große und unverdiente Geschenk, Schreiben Evangelii gaudium, dem programmati- der Bischof von Rom dies als ein aktuell bestehen- einzige Protagonist der Mission ist. Aber sie ver- das man erhalten hat, weiterzugeben, das heißt schen Text, mit dem Franziskus den Weg seines des Risiko einstuft. lor keine Zeit, sie eilte, um sich um ihre Ver- das Licht eines Anderen wiederzuspiegeln, wie Pontifikats vorgezeichnet hat. Der Papst erinnert Deshalb sind die Worte von Papst Franziskus wandte zu kümmern. Sie lehrt uns diese Bereit- es der Mond mit der Sonne tut. »Zeugen sind in daran, dass die Verkündigung des Evangeliums an ein weit größeres Zielpublikum gerichtet als schaft, die Eile der Treue und der Anbetung. jeder menschlichen Situation jene, die bezeugen, und das Bekenntnis des christlichen Glaubens nur an die Päpstlichen Missionswerke, an die Die Gottesmutter behüte Euch und die Päpst- was von einem anderen vollbracht wird. In die- etwas anderes sind als jede Art von politischem, sein Text gerichtet ist. Um Selbstbezogenheit, das lichen Missionswerke, und es segne Euch ihr sem Sinne, und nur in diesem Sinne, können wir kulturellem, psychologischem oder religiösem Streben nach Befehlsgewalt und die Zuweisung Sohn, unser Herr Jesus Christus. Bevor er in den Zeugen Christi und seines Geistes sein«, betont Proselytismus. Die Kirche wächst in der Welt der missionarischen Tätigkeit an »eine höhere Himmel aufgefahren ist, hat er uns verheißen, der Papst in seiner Botschaft. Es handelt sich da- dank ihrer Anziehungskraft, und »wenn man Je- Klasse von Spezialisten« zu vermeiden, die das dass er immer bei uns sein wird. Bis ans Ende der bei um jenes mysterium lunae, das den Kirchen- sus nachfolgt und glücklich ist, von ihm angezo- Volk der Getauften als eine träge Masse betrach- Zeiten. vätern der ersten Jahrhunderte am Herzen lag. gen zu werden, dann merken es die anderen. ten, die wiederbelebt und mobilisiert werden Gegeben in Rom, Denn ihnen war klar, dass die Kirche in jedem Und sie können darüber staunen.« müsse, erinnert Franziskus an einige der charak- zu Sankt Johannes im Lateran, Augenblick von der Gnade Christi lebt. Wie der Aus der Botschaft an die Päpstlichen Missi- teristischen Züge der christlichen Mission: Dank- am 21. Mai 2020, Mond leuchtet auch die Kirche nicht mit ihrem ei- onswerke geht klar die Absicht des Papstes her- barkeit und Unentgeltlichkeit, Demut, Nähe zum Hochfest Christi Himmelfahrt genen Licht, und wenn sie zu sehr auf sich selbst vor, die Tendenz einzudämmen, die Mission als Leben der Menschen – dort, wo sie sind und so, schaut oder auf ihre eigenen Fähigkeiten vertraut, etwas Elitäres zu betrachten, als etwas, das vom wie sie sind – sowie eine besondere Aufmerk- ist sie am Ende selbstbezogen und schenkt nie- Schreibtisch aus und unter Anwendung aggressi- samkeit und Fürsorge für die Kleinen und die Ar- mandem mehr Licht. ver Strategien geleitet und gelenkt werden soll. men. (Orig. ital. in O.R. 22.5.2020) 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 14 Aus dem Vatikan

Predigten von Papst Franziskus bei den Frühmessen in Santa Marta

Am Mittwoch, 29. April Art zu sagen, dass wir ohne Sünde sind: »Ja, wir sind Demut ist konkret Sünder, ja, ich habe einmal die Geduld verloren…« In der Einleitung zur Feier der Frühmesse am Aber alles hängt in der Luft. 29. April richtete Papst Franziskus seine Gedan- Ich erkenne die Realität mei- ken auf Europa: ner Sünden nicht. »Aber, Heute ist der Festtag der heiligen Kirchenleh- wissen Sie, wir alle, wir alle rerin Katharina von Siena, Patronin Europas. tun diese Dinge, es tut mir Lasst uns für Europa beten, für die Einheit Euro- leid, es tut mir leid… Es be- pas, für die Einheit der Europäischen Union: dass reitet mir Schmerz, ich will wir alle zusammen als Geschwister vorangehen es nicht mehr tun, ich will können. es nicht mehr sagen, ich will In seiner Predigt kommentierte Franziskus die es nicht mehr denken.« Lesung aus dem ersten Brief des Johannes (1 Joh Es ist wichtig, dass wir in 1,5-2,2), in dem der Apostel sagt, dass Gott Licht uns selbst die Sünden beim ist. Namen nennen. Die Kon- Im ersten Brief des Apostels Johannes gibt kretheit. Denn wenn wir es viele Gegensätze: Licht und Finsternis, Lüge vage »in der Luft« bleiben, und Wahrheit, Sünde und Unschuld (1 Joh 1,5-7). werden wir in der Finsternis Aber der Apostel ruft immer zur Konkretheit, zur enden. Wir wollen werden Wahrheit auf und sagt uns, dass wir nicht in wie die Kleinen, die sagen, Gemeinschaft mit Jesus sein und zugleich in der was sie fühlen, was sie den- Finsternis wandeln können, weil er Licht ist. Ent- ken: Sie haben noch nicht Der »Kern des Apostolats« ist »Zeugnis und Gebet«, damit »der Vater Menschen zu Jesus führen kann«, unterstrich Papst weder das eine oder das andere: das Grau ist die Kunst gelernt, die Dinge Franziskus in der heiligen Messe am 30. April. Als Beispiel nannte er die Begegnung des Apostels Philippus mit dem Käm- noch schlimmer, denn das Grau lässt dich glau- ein wenig »beschönigt« zu merer der Königin Kandake aus der ersten Lesung. Philippus steigt zu ihm in den Wagen und erklärt ihm, wer Jesus ist ben, dass du im Licht gehst, denn du befindest sagen, damit man sie ver- (hinten im Bild), anschließend tauft er ihn (vorne). dich nicht in der Finsternis, und das beruhigt steht, obwohl man sie nicht dich. Das Grau ist sehr trügerisch. Entweder das ausspricht. Das ist eine Kunst der Großen, die uns Zeugnis und Gebet für die christliche Mission. Er tung sein, die sehr gut ist – sehr gut! –, aber wei- eine oder das andere. oft alles andere als gut tut. sagte: ter nichts. Der Apostel fährt fort: »Wenn wir sagen, dass Gestern habe ich einen Brief von einem Jun- »Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht Wenn ich in die Mission gehen will – und ich wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in gen aus Caravaggio erhalten. Er heißt Andrea. der Vater […] ihn zu mir führt« (Joh 6,44). Jesus sage das, wenn man ins Apostolat gehen will –, die Irre und die Wahrheit ist nicht in uns« (1 Joh Und er hat mir etwas von sich erzählt. Die Briefe ruft in Erinnerung, dass auch die Propheten dies dann muss ich mit der Bereitschaft gehen, dass 1,8), denn wir haben alle gesündigt. Wir sind alle von Kindern sind so schön, weil sie konkret sind. angekündigt hatten: »Und alle werden Schüler der Vater die Menschen zu Jesus führt, und das Sünder. Und hier gibt es etwas, das uns täuschen Und er sagte mir, dass er die Messe im Fernsehen Gottes sein« (Joh 6,45). Gott führt zur Erkenntnis wird durch das Zeugnis erreicht. Jesus selbst hat kann: Wenn wir »Wir sind alle Sünder« so sagen, verfolgt habe und dass er mir eines »vorwerfen« des Sohnes. Ohne das kann man Jesus nicht er- es zu Petrus gesagt, als dieser bekennt, dass Jesus wie diejenigen, die »Guten Morgen« oder »Guten müsse: dass ich sage: »Friede sei mit euch«, »und kennen. Ja, man kann studieren, auch die Bibel der Messias ist: »Selig bist du, Simon Petrus; denn Tag« sagen, eine Gewohnheit, sogar eine soziale das können Sie nicht sagen, denn bei der Pande- studieren, auch erfahren, wie er geboren wurde, der Vater hat dir das offenbart« (vgl. Mt 16,17). Gepflogenheit, wir haben kein wirkliches Be- mie dürfen wir uns nicht berühren«. Er sieht was er getan hat: das ja. Aber ihn von innen her Der Vater ist es, der führt, und er führt auch durch wusstsein von der Sünde. Nein: Ich bin ein Sün- nicht, dass [ihr hier] euch zunickt und euch nicht zu erkennen, das Geheimnis Christi zu erken- unser Zeugnis. »Ich werde viele Werke vollbrin- der wegen dem, dem und dem. Die Konkretheit. berührt. Aber er hat die Freiheit, die Dinge so zu nen, ist nur denen möglich, die vom Vater dorthin gen, hier und da und dort, Bildungseinrichtun- Die Konkretheit der Wahrheit: Wahrheit ist im- sagen, wie sie sind. geführt werden. gen, dieses und jenes…« Ohne Zeugnis sind es mer konkret. Die Lügen sind ätherisch, sie sind Auch wir müssen dem Herrn gegenüber die Das ist es, was diesem Kämmerer der Königin zwar gute Dinge, aber es ist nicht die Verkündi- wie Luft, man kann sie nicht fassen. Die Wahr- Freiheit haben, die Dinge zu sagen, wie sie sind: der Äthiopier widerfahren ist. Man sieht, dass er gung des Evangeliums. Es sind keine Orte, die die heit ist konkret. Und man kann nicht hingehen »Herr, ich bin in Sünde gefallen: Hilf mir!« Wie Pe- ein frommer Mann war und sich inmitten all sei- Möglichkeit geben, dass »der Vater zur Erkennt- und seine Sünden auf abstrakte Weise bekennen: trus nach dem ersten wunderbaren Fischfang: ner Geschäfte die Zeit genommen hat hinzuge- nis Jesu führt« (vgl. Joh 6,44). Arbeit und Zeugnis. »Ja, ich… Ja, ich habe einmal die Geduld verlo- »Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein Sün- hen, um Gott anzubeten. Ein gläubiger Mann. »Aber wie kann ich es anstellen, dass der Va- ren, ich habe wieder die Geduld verloren…«, der« (vgl. Lk 5,8). Diese Weisheit der Konkretheit Und während er in seine Heimat zurückkehrte, ter dafür sorgt, jene Menschen zu führen?« Das und abstrakte Dinge. »Ich bin ein Sünder.« Die haben. Denn der Teufel will, dass wir in Lauheit las er den Propheten Jesaja (vgl. Apg 8,27-28). Der Gebet. Und das ist das Gebet für die Missionen: Konkretheit: »Ich habe das getan. Das habe ich leben, lau, im grauen Bereich: weder gut noch Herr nimmt Philippus, sendet ihn an jenen Ort dafür zu beten, dass der Vater die Menschen zu mir gedacht. Das habe ich gesagt.« Die Konkret- schlecht, weder weiß noch schwarz: grau. Ein Le- und sagt dann zu ihm: »Geh und folge diesem Jesus führt. Zeugnis und Gebet gehören zusam- heit ist das, was mir das Gefühl gibt, ein echter ben, das dem Herrn nicht gefällt. Der Herr mag Wagen!« (V. 8,29). Und er hört den Hofbeamten, men. Ohne Zeugnis und Gebet kann man keine Sünder zu sein, kein Sünder ohne Realitätsbezug keine lauen Menschen. Konkretheit. Keine Lüg- der Jesaja liest. Er geht zu ihm und stellt ihm eine apostolische Predigt halten, kann man keine Ver- »in der Luft«. ner sein. »Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist Frage: »Verstehst du das?« – »Wie könnte ich es, kündigung machen. Du kannst eine schöne Mo- Jesus sagt im Evangelium: »Ich preise dich, er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden wenn mich niemand anleitet?« (V. 31). Und er ralpredigt halten, du kannst viele gute Dinge tun, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du und reinigt uns von allem Unrecht« (1 Joh 1,9). Er fragt: »Von wem sagt der Prophet das?« »Ich bitte die alle gut sind. Aber der Vater wird nicht die das vor den Weisen und Klugen verborgen und vergibt uns, wenn wir konkret sind. Das geistli- dich, steige in den Wagen.« Und auf der Fahrt – Möglichkeit haben, die Menschen zu Jesus zu es den Unmündigen offenbart hast« (Mt 11,25). che Leben ist so einfach, so einfach. Aber wir ma- ich weiß nicht, wie lange, ich denke, mindestens führen. Und das ist der Kernpunkt: Das ist der Die Konkretheit der Kleinen. Es ist schön, den chen es kompliziert mit diesen Nuancen, und am etwa zwei Stunden – erklärte Philippus: er er- Kernpunkt unseres Apostolats, dass »der Vater Kleinen zuzuhören, wenn sie zur Beichte kom- Ende kommen wir nie an… klärte Jesus (vgl. V. 26-35). die Menschen zu Jesus führen kann« (vgl. Joh men: Sie sagen keine seltsamen »aus der Luft ge- Bitten wir den Herrn um die Gnade der Ein- Jene Unruhe, die dieser Herr bei der Lektüre 6,44). Unser Zeugnis öffnet den Menschen die griffenen« Dinge; sie sagen konkrete Dinge, und fachheit. Möge er uns diese Gnade schenken, die des Propheten Jesaja hatte, kam vom Vater, der Türen, und unser Gebet öffnet dem Herzen des manchmal allzu konkrete, weil sie diese Ein- er den einfachen Menschen, den Kindern, den Ju- ihn zu Jesus führte (vgl. Joh 6,44): Er hatte ihn Vaters die Türen, damit er die Menschen führen fachheit haben, die Gott den Kleinen gibt. Ich gendlichen gibt, die sagen, was sie fühlen, die vorbereitet, er hatte ihn von Äthiopien nach Jeru- kann. Zeugnis und Gebet. Und das gilt nicht nur werde mich immer an ein Kind erinnern, das nicht verbergen, was sie fühlen. Auch wenn es salem geführt, um Gott anzubeten. Und dann für die Missionen; es gilt auch für unsere Arbeit einmal zu mir kam, um mir zu sagen, dass es etwas Falsches ist, aber sie sagen es. Auch ihm hatte er durch diese Lektüre sein Herz bereit ge- als Christen. Lege ich mit meinem Lebensstil traurig sei, weil es sich mit seiner Tante gestrit- gegenüber die Dinge sagen: Transparenz. Aber macht, um Jesus zu offenbaren, so dass er, sobald wirklich Zeugnis ab vom christlichen Leben? ten habe. Aber das war nicht alles. Ich sagte: nicht ein Leben führen, das weder das eine noch er das Wasser sah, fragte: »Kann ich getauft wer- Bete ich, dass der Vater die Menschen zu Jesus »Was hast du denn getan?« – »Ach, ich war zu das andere ist. Die Gnade der Freiheit, diese den?« (vgl. V. 36). Und er glaubte. führen möge? Hause, ich wollte Fußball spielen gehen.« Ein Dinge sagen zu können, und auch die Gnade, gut Und das – dass niemand Jesus kennenlernen Das ist die große Regel für unser Apostolat, Kind, nicht wahr? »Aber die Tante – Mama war zu wissen, wer wir vor Gott sind. kann, wenn nicht der Vater ihn führt (vgl. V. 44) überall, und insbesondere für die Missionen. In nicht da –, die Tante sagt zu mir: Nein, du gehst – das gilt für unser Apostolat, für unsere aposto- die Mission zu gehen bedeutet nicht, Proselytis- nicht raus: du musst erst deine Hausaufgaben lische Sendung als Christen. Ich denke auch an mus zu betreiben. Einmal kam eine Dame – eine machen. Ein Wort führt zum anderen, und am Am Donnerstag, 30. April die Missionen. »Was willst du in der Mission gute Dame, man sieht, dass sie guten Willens war Ende habe ich ihr gesagt, sie soll sich dorthin tun?« – »Ich will die Menschen bekehren.« – – mit zwei Jugendlichen zu mir, einem Jungen verziehen, wo der Pfeffer wächst.« Das Kind be- Zeugnis und Gebet »Aber hör auf, du wirst niemanden bekehren! und einem Mädchen, und sie hat zu mir gesagt: saß großes Wissen in Geographie… Es nannte Der Vater wird jene Herzen zur Erkenntnis Jesu »Dieser [Junge], Vater, war Protestant und hat mir sogar den Namen des Landes, in das es seine In der Frühmesse am Donnerstag, 30. April, führen.« In die Mission gehen bedeutet, Zeugnis sich bekehrt: Ich habe ihn überzeugt. Und dieses Tante geschickt hatte! So sind sie: einfach, kon- rief Papst Franziskus zum Gebet für alle Men- von seinem Glauben abzulegen; ohne Zeugnis [Mädchen] war…« – ich weiß nicht, Animistin, kret. schen auf, die aufgrund der Covid-19-Pandemie kannst du nichts vollbringen. In die Mission ge- ich weiß nicht, was sie zu mir gesagt hat – »und Auch wir müssen einfach, konkret sein: Die gestorben sind: hen – und die Missionare sind gute Leute! – be- ich habe es bekehrt.« Und die Frau war gut: gut. Konkretheit führt dich zur Demut, denn Demut Wir wollen heute für die Verstorbenen beten, deutet nicht, große Strukturen zu errichten, Aber sie irrte sich. Ich habe ein wenig die Geduld ist konkret. »Wir sind alle Sünder« ist eine ab- für alle, die durch die Pandemie gestorben sind; Dinge zu tun… und es dabei belassen. Nein: verloren und habe gesagt: »Aber hör mal, du hast strakte Sache. Nein: »Ich bin ein Sünder wegen und auch in besonderer Weise für die – sagen wir Die Strukturen müssen Zeugnisse sein. Du niemanden bekehrt: Gott hat das Herz der Men- dem, dem und dem.« Das führt mich dazu, mich es so – namenlosen Verstorbenen: Wir haben die kannst Strukturen errichten, Krankenhäuser schen berührt. Und vergiss nicht: Zeugnis ja, Pro- zu schämen, Jesus anzuschauen: »Vergib mir!« Fotos der Massengräber gesehen. Viele… oder Schulen von großer Vollkommenheit, hoch- selytismus nein.« Die wahre Haltung des Sünders. »Wenn wir sa- In der Predigt sprach der Papst mit Bezug auf entwickelt, aber wenn einer Struktur das christ- Bitten wir den Herrn um die Gnade, unsere gen, dass wir keine Sünde haben, führen wir die Lesung aus der Apostelgeschichte (8,26-40) liche Zeugnis fehlt, dann wird deine Arbeit dort Arbeit mit Zeugnis und mit Gebet zu leben, damit uns selbst in die Irre und die Wahrheit ist nicht und den Abschnitt aus dem Evangelium (Joh nicht die eines Zeugen, keine wahre Verkündi- er, der Vater, die Menschen zu Jesus führen in uns« (1 Joh 1,8). Die abstrakte Haltung ist eine 6,44-51) über die grundlegende Bedeutung von gung Jesu sein: Es wird eine Wohlfahrtseinrich- kann. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 15

Predigten von Papst Franziskus bei den Frühmessen in Santa Marta

Am Freitag, 1. Mai Füßen getreten wird. Es gibt viele davon, viele in meister, Ministerpräsidenten der Regionen… nicht glaubten, und wer ihn ausliefern würde« aller Welt. Viele. In den Zeitungen haben wir vor Auf dass der Herr ihnen helfen und ihnen Kraft (V. 64). Und angesichts dieser Krise ruft er ihnen Arbeit als von Gott einigen Monaten von jenem Land in Asien gele- schenken möge, denn ihre Arbeit ist nicht leicht. in Erinnerung: »Deshalb habe ich zu euch gesagt: empfangene Berufung sen, wo ein Herr einen seiner Angestellten, der Und dass sie, wenn es Differenzen zwischen ih- Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm weniger als einen halben Dollar am Tag ver- nen gibt, verstehen mögen, dass sie in Krisenzei- nicht vom Vater gegeben ist« (V. 65). Er spricht In seiner Einleitung zur Frühmesse am 1. Mai, diente, totgeprügelt hatte, weil er etwas falsch ten sehr vereint sein müssen für das Wohl des wieder davon, dass man »vom Vater geführt Festtag des heiligen Josef des Arbeiters, wandte gemacht hatte. Die heutige Sklaverei ist unsere Volkes, denn die Einheit steht über dem Konflikt.« wird«: Der Vater führt uns zu Jesus. Und so löst Papst Franziskus seine Gedanken der Welt der »Un-Würde«, weil sie dem Mann, der Frau, un Er fügte hinzu: »Heute, am 2. Mai, schließen 300 sich die Krise. Arbeit zu: allen die Würde nimmt. »Nein, ich arbeite, ich Gebetsgruppen sich unserem Gebet an, die sich Und »daraufhin zogen sich viele seiner Jünger Heute, am Fest des heiligen Josef des Arbei- habe meine Würde«: ja, aber deine Brüder und die madrugadores nennen, was auf Spanisch so zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher« ters, der auch der Tag der Arbeit ist, beten wir für Schwestern nicht. »Ja, Pater, das ist wahr, aber da viel heißt wie die Frühaufsteher : Sie stehen am (V. 66). Sie distanzierten sich. »Dieser Mann ist alle Arbeiter. Für alle! Dass es niemandem an Ar- das so weit weg ist, ist es für mich schwer nach- frühen Morgen auf, um zu beten, sie stehen sehr ein wenig gefährlich, ein wenig… Aber diese beit mangeln möge und dass alle gerecht bezahlt zuvollziehen. Hier bei uns hingegen…«: Auch früh auf zum Gebet. Sie schließen sich uns heute Lehren… Ja, er ist ein guter Mann, er predigt und werden und die Würde der Arbeit und die Schön- hier, bei uns. Hier, bei uns. Denk an die Arbeite- in diesem Augenblick an.« heilt, aber wenn er zu diesen seltsamen Dingen heit der Ruhe genießen können. rinnen und Arbeiter, an die Tagelöhner, die du für In der Predigt sprach der Heilige Vater mit Be- kommt… Bitte, lasst uns gehen« (vgl. V. 66). Und In seiner Predigt kommentierte der Papst die einen Mindestlohn arbeiten lässt, und das nicht zug auf den Abschnitt aus dem Johannesevange- dasselbe haben die Emmausjünger getan, am Lesung aus dem Buch Genesis (Gen 1,26 -2,3), in acht, sondern zwölf, vierzehn Stunden am Tag: lium (6,60-69) über den richtigen Umgang mit Morgen der Auferstehung: »Naja, eine seltsame der die Schöpfung des Menschen als Bild und das geschieht hier und heute. Auf der ganzen Krisen im Leben. Man dürfe, so der Papst, in Zei- Sache: Die Frauen sagen, dass das Grab…« – »Da Gleichnis Gottes beschrieben wird: »Gott brachte Welt, aber auch hier. Denk an die Hausange- ten der Krisen keine Veränderungen vornehmen, ist was faul« – sagten sie – »gehen wir schnell am siebten Tag die Arbeit, die er getan hatte, zum stellte, die keinen fairen Lohn erhält, die keine So- sondern müsse in der Treue wachsen, aus der weg, sonst kommen die Soldaten und kreuzigen Abschluss und hörte am siebten Tag mit all seiner zialleistungen erhält, für die keine Rentenbeiträge dann die richtigen Entscheidungen heranreiften. uns« (vgl. Lk 24,22-24). Dasselbe taten die Solda- Arbeit auf, die er getan hatte.« Gott übergebe bezahlt werden: das kommt nicht nur in Asien Er sagte: ten, die das Grab bewachten: Sie hatten die seine Tätigkeit, sein Werk, dem Menschen, damit vor, sondern auch hier. Die erste Lesung beginnt mit folgenden Wor- Wahrheit gesehen, aber dann zogen sie es vor, ihr er mit ihm zusammenarbeite. Die menschliche Jedes Unrecht, das einem arbeitenden Men- ten: »Die Kirche in ganz Judäa, Galiläa und Sama- Geheimnis zu verkaufen: »Bleiben wir in Sicher- Arbeit sei die von Gott empfangene Berufung und schen zugefügt wird, tritt die Menschenwürde rien hatte nun Frieden; sie wurde gefestigt und heit: Halten wir uns aus diesen Geschichten her- mache den Menschen Gott ähnlich, »denn mit mit Füßen, auch die Würde dessen, der das Un- lebte in der Furcht des Herrn. Und sie wuchs aus; sie sind gefährlich« (vgl. Mt 28,11-15). der Arbeit kann der Mensch schaffen«. Die Arbeit recht begeht: Man setzt die Latte tiefer an und durch die Hilfe des Heiligen Geistes« (Apg 9,31). Ein Augenblick der Krise ist ein Augenblick schenke Würde, betonte der Heilige Vater in sei- landet in jenem Spannungsverhältnis zwischen Eine Zeit des Friedens. Und die Kirche wächst. der Entscheidung; es ist ein Augenblick, der uns ner Predigt: die Entscheidungen vor Augen führt, die wir tref- »Gott erschuf« (Gen 1,27). Ein Schöpfer. Er fen müssen. Wir alle haben im Leben Augen- schuf die Welt, er schuf den Menschen und er er- blicke der Krise gehabt und werden sie auch wei- teilte dem Menschen einen Auftrag: die Schöp- terhin haben: familiäre Krisen, Ehekrisen, soziale fung zu verwalten, zu bearbeiten und weiterzu- Krisen, Krisen am Arbeitsplatz, viele Krisen… führen. Und das Wort Arbeit ist der Ausdruck, Auch die gegenwärtige Pandemie ist ein Augen- den die Bibel verwendet, um dieses Wirken blick der sozialen Krise. Gottes zu beschreiben: »Am siebten Tag vollen- Wie soll man im Augenblick der Krise reagie- dete Gott das Werk, das er gemacht hatte, und er ren? »Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher« Werk gemacht hatte« (Gen 2,2). Und er überträgt (V. 66). Jesus beschließt, die Apostel zu befragen: dieses Werk dem Menschen: »Das musst du tun, »Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr wegge- dies hüten, jenes andere pflegen, du musst arbei- hen?« (V. 67). Entscheidet euch. Und Petrus legt ten, um mit mir – es ist, als hätte er es gesagt – das zweite Bekenntnis ab: »Simon Petrus antwor- diese Welt zu schaffen, damit sie vorankommen tete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast kann« (vgl. Gen 2,15.19-20). Das geht so weit, Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben dass die Arbeit nichts anderes ist als die Fortset- gekommen und haben erkannt: Du bist der Hei- zung des Werkes Gottes: die Arbeit des Men- lige Gottes« (V. 68-69). Petrus bekennt im Namen schen ist die Berufung, die der Mensch am Ende der Zwölf, dass Jesus der Heilige Gottes, der Sohn der Erschaffung des Universums von Gott emp- Gottes ist. Das erste Bekenntnis – »Du bist der fangen hat. Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!« – und Und gerade die Arbeit ist, was den Menschen gleich darauf, als Jesus das Leiden zu erklären be- Gott ähnlich macht, denn dank der Arbeit ist der ginnt, das kommen würde, lässt er ihn innehal- Mensch Schöpfer, er ist in der Lage, zu erschaf- Diktator und Sklave. Dagegen ist die Berufung, Die Kirche ist ruhig, mit Hilfe des Heiligen Geis - ten: »Nein, nein, Herr, das nicht!«, und Jesus fen, viele Dinge zu schaffen, auch eine Familie zu die Gott uns gibt, so schön: zu erschaffen, neu zu tes, sie ist getröstet. Die schönen Zeiten… Es folgt weist ihn zurecht (vgl. Mt 16.16-23). Petrus ist je- gründen, um weiterzugehen. Der Mensch ist ein erschaffen, zu arbeiten. Doch dies kann nur dann die Heilung des Äneas, dann erweckt Petrus Ga- doch etwas reifer geworden und weist ihn hier Schöpfer, und er erschafft durch Arbeit. Das ist geschehen, wenn die Bedingungen stimmen und zelle, Tabita, auf… Dinge, die man im Frieden tut. nicht zurecht. Er versteht nicht, was Jesus sagt, die Berufung. In der Bibel heißt es: »Gott sah alles die Würde der Person respektiert wird. Es gibt aber in der Urkirche auch Zeiten des dieses »das Fleisch essen, das Blut trinken« (vgl. an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr Heute feiern wir gemeinsam mit vielen Män- Unfriedens: Zeiten der Verfolgung, schwierige 6,54-56), er versteht es nicht, aber er vertraut gut« (Gen 1,31). Das heißt: die Arbeit beinhaltet nern und Frauen, mit Gläubigen wie Nichtgläubi- Zeiten, Zeiten, die die Gläubigen in eine Krise dem Meister. Er vertraut ihm. Und er legt das eine Güte und stellt die Harmonie der Dinge her gen, den Tag des Arbeiters, den Tag der Arbeit, für bringen. Krisenzeiten. Und eine Krisenzeit ist zweite Bekenntnis ab: »Zu wem sollen wir denn – Schönheit, Güte – und sie bezieht den Men- diejenigen, die für Gerechtigkeit bei der Arbeit jene, von der uns heute das Johannesevangelium gehen? Bitte, du hast Worte des ewigen Lebens« schen in allem ein: in seinem Denken, in seinem kämpfen, für diejenigen – gute Unternehmer –, berichtet (vgl. 6,60-69). Dieser Abschnitt des (vgl. V. 68). Handeln, in allem. Der Mensch ist an der Arbeit die ihre Arbeit mit Gerechtigkeit verrichten, auch Evangeliums ist das Ende einer ganzen Abfolge, Das hilft uns allen, Krisenzeiten zu durchle- beteiligt. Das ist die erste Berufung des Men- wenn sie dadurch Einbußen haben. Vor zwei Mo- die mit der Brotvermehrung begann. Als man Je- ben. In meiner Heimat gibt es ein Sprichwort, das schen: zu arbeiten. Und das verleiht dem Men- naten habe ich hier in Italien mit einem Unter- sus zum König machen wollte, geht Jesus beten, lautet: »Wenn du zu Pferd unterwegs bist und ei- schen Würde. Die Würde, die ihn Gott ähnlich nehmer telefoniert, der mich bat, für ihn zu beten, am folgenden Tag finden sie ihn nicht, sie gehen nen Fluss durchqueren musst, dann wechsle werden lässt. Die Würde der Arbeit. weil er niemanden entlassen wolle, und er sagte: ihn suchen, und Jesus weist sie zurecht, weil sie bitte nicht das Pferd mitten im Fluss.« In Krisen- Einmal hat bei einer Caritas ein Caritas-Mitar- »Denn einen von ihnen zu entlassen heißt, mich ihn suchen, damit er ihnen etwas zu essen gebe, zeiten muss man sehr standhaft sein in der Glau- beiter einem Mann, der keine Arbeit hatte und selber zu entlassen.« Dieses Bewusstsein vieler und nicht wegen der Worte des ewigen Lebens… bensüberzeugung. Jene, die weggegangen sind, kam, um etwas für seine Familie zu suchen, [et- guter Unternehmer, die die Arbeiter wie ihre Kin- Und dort endet die ganze Geschichte. Sie sagen: »haben das Pferd gewechselt«, haben einen ande- was zu essen gegeben] und gesagt: »Wenigstens der behüten. Lasst uns auch für sie beten. Und »Gib uns dieses Brot«, und Jesus erklärt, dass das ren Lehrmeister gesucht, der nicht so »hart« sein können Sie Brot nach Hause bringen« – »Aber das wir bitten den heiligen Josef – mit dieser schönen Brot, das er geben wird, sein Leib und sein Blut würde, wie sie zu ihm sagten. Im Augenblick der reicht mir nicht, das ist nicht genug«, lautete die Darstellung [einer in der Nähe des Altars aufge- sei. Krise herrscht Beharrlichkeit, Stille; dort bleiben, Antwort: »Ich will das Brot verdienen, um es stellten Statue] mit den Werkzeugen in der Hand In jener Zeit sagten viele Jünger Jesu, die ihm wo wir sind, standhaft. Das ist nicht der richtige nach Hause zu bringen.« Ihm fehlte die Würde, –, uns zu helfen, für die Würde der Arbeit zu zuhörten: »Diese Rede ist hart. Wer kann sie Augenblick, um etwas zu verändern. Es ist der die Würde, das Brot mit seiner Arbeit selbst zu kämpfen, damit es Arbeit für alle gebe und dass hören?« (V. 60). Jesus hatte gesagt, dass wer sei- Augenblick der Treue, der Treue zu Gott, der »machen« und es nach Hause zu bringen. Die es eine würdige Arbeit sei. Keine Sklavenarbeit. nen Leib nicht esse und sein Blut nicht trinke, Treue zu den Entscheidungen, die wir vorher ge- Würde der Arbeit, die leider so mit Füßen getre- Dies sei heute unser Gebet. nicht das ewige Leben haben werde. Jesus sagte troffen haben. Es ist auch der Augenblick der Um- ten wird. auch: »Wenn ihr mein Fleisch esst und mein Blut kehr, denn diese Treue wird uns eine Verände- In der Geschichte haben wir über die Bruta- Am Samstag, 2. Mai trinkt, werdet ihr auferstehen am Jüngsten Tag« rung eingeben, die zum Guten führt und nicht lität gelesen, mit der die Sklaven behandelt wur- (vgl. V. 54). Das sind die Dinge, die Jesus sagte. dazu, uns vom Guten zu entfernen. den: sie transportierten sie von Afrika nach Ame- Der rechte Umgang »Diese Rede ist hart« (V. 60), [meinen die Jünger]. Augenblicke des Friedens und Augenblicke rika – ich denke an diese Geschichte, die auch mit Lebenskrisen »Sie ist zu hart. Hier funktioniert etwas nicht. Die- der Krise. Wir Christen müssen lernen, mit bei- mein Land betrifft – und wir sagen: »Welch eine ser Mann hat die Grenzen überschritten.« Und den umzugehen. Mit beiden. Irgendein geistli- Barbarei…« Aber auch heute gibt es viele Skla- Zu Beginn der Frühmesse im Gästehaus Santa das ist ein Augenblick der Krise. Es gab Augen- cher Vater sagt, dass der Augenblick der Krise ven, viele Männer und Frauen, die nicht frei ar- Marta am Samstag, 2. Mai, brachte Papst Franzis- blicke des Friedens und Augenblicke der Krise. Je- gleichsam bedeutet, durch das Feuer zu gehen, beiten können: sie sind gezwungen, zu arbeiten, kus sein Gebetsanliegen zum Ausdruck: sus wusste, dass die Jünger murrten. Hier muss um stark zu werden. Möge der Herr uns den Hei- um zu überleben, nichts weiter. Sie sind Sklaven: Heute wollen wir für die Regierenden beten, man unterscheiden zwischen den Jüngern und ligen Geist senden, um in den Augenblicken der Zwangsarbeit… Es gibt Arbeiten, die Zwangsar- die die Verantwortung haben, in diesen Krisen- den Aposteln: Die Jünger waren jene 72 oder Krise den Versuchungen widerstehen zu können, beit sind, ungerecht, schlecht bezahlt, und das zeiten Sorge für ihre Völker zu tragen: Staatsober- mehr, die Apostel waren die Zwölf. »Jesus wusste führt dazu, dass der Mensch in seiner Würde mit häupter, Premierminister, Gesetzgeber, Bürger- nämlich von Anfang an, welche es waren, die Fortsetzung auf Seite 16 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 16 Aus dem Vatikan

Predigten von Papst Franziskus bei den Frühmessen in Santa Marta

Fortsetzung von Seite 15 dass es zur Zeit Jesu mindestens vier religiöse Par- teien gab: die Partei der Pharisäer, die Partei der Sadduzäer, die Partei der Zeloten und die Partei um den ersten Worten treu sein zu können, in der der Essener. Und jede legte das Gesetz nach der Hoffnung, später Augenblicke des Friedens zu er- eigenen »Idee« aus. Und diese Idee ist eine leben. Denken wir an unsere Krisen: die fami- »außer-gesetzliche« Schule, wenn sie eine weltli- liären Krisen, die Nachbarschaftskrisen, die Kri- che Art zu denken, zu empfinden ist, die sich sen am Arbeitsplatz, die sozialen Krisen der Welt, zum Sprachrohr des Gesetzes macht. Sie hielten des Landes… Viele Krisen, viele Krisen. auch Jesus vor, dass er das Haus von Zöllnern be- Möge der Herr uns die Kraft schenken – in trat – ihnen zufolge waren es Sünder –, um mit Zeiten der Krise –, den Glauben nicht zu verkau- ihnen, mit den Sündern, zu essen, denn die Rein- fen. heit des Gesetzes gestattete es nicht (vgl. Mt 9,10- 11). Und er wusch sich nicht die Hände vor der Mahlzeit (vgl. Mt 15, 2,20)… Immer jene Vorhal- Am Sonntag, 3. Mai tung, die Spaltung schafft: Das ist der wichtige Punkt, den ich hervorheben möchte. Wenn die Hirten ihr Es gibt Ideen, Positionen, die Spaltung schaf- Leben für das Volk geben fen – so dass die Spaltung sogar wichtiger ist als die Einheit. Meine Idee ist wichtiger als der Hei- In der Einleitung zur Frühmesse im Gäste- lige Geist, der uns leitet. Ein verdienstvoller Kar- haus Santa Marta am 3. Mai, dem vierten Sonn- dinal hier im Vatikan, ein guter Hirte, sagte zu sei- tag der Osterzeit und Sonntag des Guten Hirten, nen Gläubigen: »Die Kirche ist wie ein Fluss, wandte Papst Franziskus seine Gedanken den Denn ihr hattet euch verirrt wie Schafe, jetzt aber von der Herde und den Schafen, ist eine österli- weißt du? Einige sind mehr auf dieser Seite, einige Priestern und Ärzten zu: habt ihr euch hingewandt zum Hirten und Hüter che Vorstellung. Die Kirche singt in der ersten auf der anderen Seite, aber wichtig ist, dass wir Drei Wochen nach der Auferstehung des eurer Seelen« (V. 24-25). Woche der Osterzeit diesen schönen Hymnus für alle im Fluss sind.« Das ist die Einheit der Kirche. Herrn feiert die Kirche heute, am vierten Sonntag Jesus ist der Hirte – so sieht ihn Petrus –, der die Neugetauften: »Das sind die neugeborenen Keiner draußen, alle drinnen. Dann mit den Be- der Osterzeit, den Sonntag des Guten Hirten, Je- kommt, um zu retten, um die verirrt umherzie- Lämmer«, den Hymnus, den wir zu Beginn der sonderheiten: Das spaltet nicht, das ist keine sus, den Guten Hirten. Das lässt mich an so viele henden Schafe zu retten: damit sind wir gemeint. Messe gehört haben. Es ist eine Vorstellung von Ideologie, das ist gestattet. Aber warum hat die Hirten in der Welt denken, die ihr Leben für die Und in Psalm 23, den wir nach dieser Lesung hör- Gemeinschaft, von Zärtlichkeit, von Güte, von Kirche diese Weite, wie ein Fluss? Weil der Herr Gläubigen geben, auch in dieser Pandemie sind ten, wiederholten wir: »Der Herr ist mein Hirt, Sanftmut. Das ist die Kirche, die Jesus will, und er es so will. viele gestorben, hier in Italien über 100. Und ich nichts wird mir fehlen.« Die Gegenwart des ist der Hüter dieser Kirche. Der Herr sagt uns im Evangelium: »Ich habe denke auch an andere Hirten, die sich um das Herrn als Hirte, als Hirt der Herde. Und Jesus stellt Dieser Sonntag ist ein schöner Sonntag, es ist noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall Wohl der Menschen kümmern: an die Ärzte. Wir sich im Kapitel 10 des Johannesevangeliums, das ein Sonntag des Friedens, es ist ein Sonntag der sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf sprechen von den Ärzten, von dem, was sie tun, wir gelesen haben, als der Hirte dar. In der Tat, Zärtlichkeit, der Sanftmut, denn unser Hirte küm- meine Stimme hören; dann wird es nur eine aber wir müssen uns vor Augen führen, dass al- nicht nur als der Hirte, sondern als die »Tür«, mert sich um uns. »Der Herr ist mein Hirt. Nichts Herde geben und einen Hirten« (Joh 10,16). Der lein in Italien 154 Ärzte verstorben sind, in Aus- durch die man zu den Schafen geht (V. 8). All wird mir fehlen.« Herr sagt: »Ich habe überall Schafe, und ich bin übung ihres Dienstes. Möge das Beispiel dieser jene, die kamen und nicht durch diese Tür gin- Der Heilige Vater beendete die Messfeier wie der Hirt aller.« Dieses »alle« ist bei Jesus sehr Hirten, Priester und »Ärzte-Hirten« uns helfen, gen, waren Diebe oder Räuber oder wollten die gewohnt mit einer Zeit der stillen Anbetung und wichtig. Denken wir an das Gleichnis vom Hoch- uns um Gottes treues heiliges Volk zu kümmern. Herde ausnutzen: die falschen Hirten. Und in der dem Eucharistischen Segen. Zuvor hatte er die zeitsmahl (vgl. Mt 22,1-10), als die eingeladenen In seiner Predigt kommentierte der Papst den Geschichte der Kirche hat es viele von ihnen ge- Gläubigen zur geistlichen Kommunion eingela- Gäste nicht hingehen wollten: Einer, weil er ei- ersten Brief des heiligen Petrus (1 Petr 2,20b-25), geben, die die Herde ausbeuteten. Sie waren den. Dann dankte er dem Verband der christli- nen Acker gekauft hatte, einer hatte geheiratet… wo der Apostel sagt: »Durch seine Wunden seid nicht an der Herde interessiert, sondern nur chen Arbeiter-Vereinigungen ACLI: Ich möchte jeder hatte seinen Grund, um nicht hinzugehen. ihr geheilt. Denn ihr hattet euch verirrt wie daran, Karriere zu machen oder Politik zu betrei- mich bei der Vereinigung ACLI [Associazioni Und der König wurde zornig und hat gesagt: Schafe, jetzt aber habt ihr euch hingewandt zum ben oder Geld zu verdienen. Aber die Herde Cristiane Lavoratori Italiani] bedanken, die uns in »Geht also an die Kreuzungen der Straßen und la- Hirten und Hüter eurer Seelen«. Das heutige kannte sie sehr wohl, sie kannte sie immer und diesen Tagen diese schöne Statue des heiligen det alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein!« (V. 9). Evangelium (Joh 10,1-10) spreche dann von der suchte auf ihren Wegen nach Gott. Josef ermöglicht hat, damit sie uns am Fest des Alle. Große und Kleine, Reiche und Arme, Gute Tür, durch die man zu den Schafen gelange. In Doch wenn da ein guter Hirte ist, der weiter- heiligen Josef des Arbeiters begleite. und Böse. Alle. Dieses »alle« ist ein wenig die Auf- der Geschichte der Kirche habe es viele falsche bringt, dann ist es gerade die Herde, die weiter- fassung vom Herrn, der für alle gekommen und Hirten gegeben, »die die Herde ausnutzten, die geht. Der gute Hirte hört der Herde zu, er führt die für alle gestorben ist. » Ist er denn auch für jenen Geld und Karriere wollten«. Die Herde aber kenne Herde, er sorgt sich um die Herde. Und die Herde Am Montag, 4. Mai Bösewicht gestorben, der mir das Leben schwer sie und suche Gott. Der Papst hielt folgende Pre- weiß genau zwischen den Hirten zu unterschei- gemacht hat?« Er ist auch für ihn gestorben. »Und digt: den, sie täuscht sich nicht: die Herde vertraut Die Einheit der Kirche für jenen Räuber?« Er ist für ihn gestorben. Für Der erste Brief des Apostels Petrus, den wir so- dem guten Hirten, sie vertraut Jesus. Nur der alle. Und auch für die Menschen, die nicht an ihn eben gehört haben (vgl. 2,20-25), ist ein Ab- Hirte, der aussieht wie Jesus, flößt der Herde Ver- Zu Beginn der Frühmesse in der Kapelle des glauben oder die anderen Religionen angehören: schnitt der Gelassenheit. Er spricht von Jesus. Er trauen ein, denn er ist die Tür. Der Stil des Hirten vatikanischen Gästehauses Santa Marta am Für alle ist er gestorben. Das bedeutet nicht, dass sagt: »Er hat unsere Sünden mit seinem eigenen muss der Stil Jesu sein, einen anderen gibt es Montag, 4. Mai, rief Papst Franziskus zum Gebet man Proselytismus betreiben soll: nein. Aber er Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir nicht. Aber wie Petrus in der ersten Lesung sagt, für die Familien auf: ist für alle gestorben, er hat alle gerechtfertigt. tot sind für die Sünden und leben für die Gerech- hat auch Jesus, der gute Hirte, »für euch gelitten Wir wollen heute für die Familien beten: In Hier in Rom gab es eine Dame, eine gute Frau, tigkeit. Durch seine Wunden seid ihr geheilt. und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen dieser Zeit der Quarantäne versucht die Familie, eine Professorin, Frau Professor [Maria Grazia] Spuren folgt. Er hat keine Sünde be- die zuhause bleiben muss, viele neue Dinge zu Mara. Wenn sie in Schwierigkeiten war, wegen gangen und in seinem Mund war tun, viel Kreatives mit den Kindern, mit allen, um vieler Dinge, und es gab viele Parteien, sagte sie: keine Falschheit. Als er geschmäht voranzugehen. Und es gibt auch die andere Seite: »Christus ist für alle gestorben: Gehen wir wurde, schmähte er nicht; als er litt, Manchmal kommt es zu häuslicher Gewalt. Be- voran!« Jene konstruktive Fähigkeit. Wir haben drohte er nicht, sondern überließ ten wir für die Familien, dass sie diese Qua- nur einen Erlöser, eine Einheit: Christus ist für seine Sache dem gerechten Richter« rantäne in Frieden, mit Kreativität und Geduld alle gestorben. Die Versuchung dagegen… auch (1 Petr 2,21-23). Er war sanftmütig. fortsetzen. Paulus hat sie erlitten: »Ich halte zu Paulus, ich Eines der Kennzeichen des guten In seiner Predigt mahnte der Papst mit Bezug halte zu , ich halte zu diesem, ich halte zu Hirten ist die Sanftmut. Der gute auf die Erste Lesung (Apg 1,1-18) und auf das Ta- jenem…« (vgl. 1 Kor 3,1-9). Und denken wir an Hirte ist sanftmütig. Ein Hirte, der gesevangelium (Joh 10,1-10) vor Spaltungen, die uns, vor 50 Jahren, an die Zeit nach dem Konzil: nicht sanftmütig ist, ist kein guter dort entstehen, wo man die eigenen Ideen über die Spaltungen, die die Kirche erlitten hat. »Ich Hirte. Er hat etwas verborgen, denn die Einheit der vom Heiligen Geist geleiteten Kir- stehe auf dieser Seite, ich denke so, du so…« Ja, Sanftmut zeigt sich, wie sie ist, ohne che stellt. Er sagte: es ist gestattet, so zu denken, aber in der Einheit sich zu verteidigen. Im Gegenteil, Als Petrus nach Jerusalem hinaufkam, mach- der Kirche, unter dem Hirten Jesus. der Hirte ist zärtlich, er hat jene Zärt- ten die Gläubigen ihm Vorhaltungen (vgl. Apg Zwei Dinge. Der Vorwurf, den die Apostel an lichkeit der Nähe, er kennt die 11,1-18 ). Sie hielten ihm vor, dass er bei Unbe- Petrus richteten, weil er im Haus der Heiden ein- Schafe eines um das andere beim schnittenen eingekehrt war und mit ihnen, mit gekehrt war, und Jesus, der sagt: »Ich bin der Hirt Namen und kümmert sich um jedes den Heiden, gegessen habe: Das durfte man aller.« Ich bin der Hirt aller. Und dass er sagt: »Ich von ihnen, als wäre es das einzige, nicht, es war eine Sünde. Die Reinheit des Geset- habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem was so weit geht, dass er, wenn er zes gestattete es nicht. Petrus hatte es jedoch ge- Stall sind; auch sie muss ich führen und sie wer- nach einem Arbeitstag müde nach tan, weil der Geist ihn dorthin geführt hatte. In den auf meine Stimme hören; dann wird es nur Hause kommt, merkt, wenn ihm ei- der Kirche – und vor allem in der Urkirche, weil eine Herde geben« (Joh 10,16 ). Es ist das Gebet nes fehlt und erneut zur Arbeit hin- die Sache nicht klar war – gibt es immer diesen für die Einheit aller Menschen, denn alle Männer ausgeht, um es zu suchen, und Geist, der sagt: »Wir sind die Gerechten, die ande- und Frauen, alle haben wir den einen Hirten: Je- [wenn er es findet], dann nimmt er ren die Sünder.« Dieses »wir und die anderen«, sus. es mit, er trägt es auf seinen Schul- »wir und die anderen«, die Spaltungen: »Wir ha- Der Herr befreie uns von jener inneren Hal- tern (vgl. Lk 15,4-5). Das ist der gute ben genau die richtige Position vor Gott.« Dage- tung der Spaltung, zu spalten. Und er möge uns Hirte, das ist Jesus, das ist der, der gen gibt es die anderen. Man sagt auch: Sie sind helfen, Jesus so zu sehen, diese große Sache Jesu, uns auf dem Weg des Lebens beglei- bereits »verurteilt«. Und das ist eine Krankheit der dass wir in ihm alle Brüder und Schwestern sind tet, uns alle. Und diese Vorstellung Kirche: eine Krankheit, die aus Ideologien oder re- und er der Hirte aller ist. »Alle, alle!«: Dieses Wort Statue des guten Hirten (4. Jh.), Vatikanische Museen. vom Hirten, und diese Vorstellung ligiösen Parteien entsteht… Denken wir daran, möge uns durch den heutigen Tag begleiten. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan und der Weltkirche 17

Predigten von Papst Franziskus in Santa Marta

Am Dienstag, 5. Mai Es gibt innere Einstellungen, die wir bereits nen vom Sonntag entsprachen. vor dem Bekenntnis zu Jesus hatten. Auch wir, Und so ist mir aufgegangen, dass Hinderliche Haltungen die wir zur Herde Jesu gehören. Es handelt sich ich im Stand der Todsünde war, dabei um so etwas wie »vorherige Antipathien«, weil ich am Sonntag nicht gegan- Papst Franziskus rief zu Beginn der Früh- die uns daran hindern, den Herrn besser kennen- gen bin, weil ich ja am Samstag ge- messe am Dienstag, 5. Mai, zum Gebet für die zulernen. An allererster Stelle wäre da der Reich- gangen bin, aber in eine Messe, Opfer des Corona-Virus auf: tum zu nennen. Das trifft auch auf viele von uns die nicht die richtige war, weil die Wir wollen heute für die Toten beten, die der zu, die wir durch die Tür des Herrn eingetreten Lesungen nicht die richtigen wa- Pandemie zum Opfer gefallen sind. Sie sind ge- sind, dann aber stehenbleiben und nicht weiter- ren…« Diese Rigidität… Und storben ohne eine Liebkosung von Seiten ihrer gehen, weil wir im Reichtum gefangen sind. Der diese Frau gehörte einer kirchli- Angehörigen, viele hatten nicht einmal eine Be- Herr war im Hinblick auf den Reichtum hart. Er chen Bewegung an… Rigidität. erdigungsfeier. Möge der Herr sie in seine Herr- war sehr hart, sehr hart. Das ging so weit, dass er Das entfernt uns von der Weisheit lichkeit aufnehmen. sagte, es sei leichter, dass ein Kamel durch ein Na- Jesu, von der Schönheit Jesu. Sie In seiner Predigt warnte der Papst vor Haltun- delöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich raubt dir die Freiheit. Und viele gen, die uns daran hindern, durch die Tür einzu- Gottes eingehe (Mt 19,24). Das ist hart. Die Hirten lassen diese Rigidität in den treten, die Jesus ist, und Schafe seiner Herde zu Reichtümer hindern uns voranzukommen. Aber Seelen der Gläubigen zunehmen, werden. Er sagte: müssen wir deshalb in den Pauperismus verfal- und diese Rigidität hindert uns Jesus war im Tempel, es war kurz vor dem len? Nein. Aber keine Sklaven des Reichtums daran, durch die Tür Jesu einzutre- Tempelweihfest (vgl. Joh 10,22-30). Bei der Gele- sein, nicht für den Reichtum leben, denn der ten (vgl. Joh 10,7). Ist es wichtiger, genheit »umringten ihn die Juden und fragten Reichtum ist ein Herr, er ist der Herr dieser Welt das Gesetz zu befolgen, wie es ge- ihn: Wie lange noch willst du uns hinhalten? und wir können nicht zwei Herren dienen (vgl. Lk schrieben steht oder wie ich es in- Den Spuren Jesu folgen und Schafe seiner Herde werden… Wenn du der Messias bist, sag es uns offen!« (V. 16,13). Und der Reichtum lässt uns stehenbleiben. terpretiere, oder ist nicht vielmehr Dazu ist Freiheit notwendig, unterstrich Papst Franziskus. 24). Bei diesen Leuten hätte man die Geduld ver- Ein Zweites, das uns daran hindert, in der Ver- die Freiheit wichtig, auf den Spu- trautheit mit Jesus, in ren Jesu weiterzugehen? bensgehorsam, die Glaubenspraxis sich verwelt- Es gibt innere Haltungen, die uns in der unserer Zugehörigkeit Etwas anderes, das uns daran hindert, in un- lichen und alles weltlich ist. Denken wir etwa an Erkenntnis des Herrn nicht weiterbringen: zu ihm voranzukom- serer Vertrautheit mit Jesus voranzukommen, ist die Feier einiger Sakramente in einigen Gemein- Reichtum, Trägheit, Starrheit, men, ist die Rigidität: die Trägheit. Diese Müdigkeit… Denken wir an den: Wie viel Weltlichkeit gibt es da doch! Und Klerikalismus, Weltlichkeit … die Rigidität des Her- diesen Mann am Teich: Er war 38 Jahre lang dort man ist sich der Gnade der Gegenwart Christi Es fehlt die Freiheit, und ohne die Freiheit zens. Und auch die Ri- (vgl. Joh 5,1-9). Die Trägheit. Sie beraubt uns der nicht bewusst. kann man Jesus nicht nachfolgen. gidität bei der Interpre- Willenskraft, weiterzugehen und alles wird zu ei- Das sind die Dinge, die uns davon abhalten, zu tation des Gesetzes. nem »Ja, aber… Nein, nicht jetzt, nein, aber…«, den Schafen Jesu zu gehören. Wir sind »Schafe«, Tweet von Papst Franziskus Jesus tadelt die Pha- das dich lau werden lässt und dich lauwarm die all dem [folgen]: den Reichtümern, der Träg- risäer, die Gesetzesleh- macht. Die Trägheit ist noch etwas, das dich heit, der Rigidität, der Weltlichkeit, dem Klerika- lieren können, aber Jesus antwortet ihnen ganz rer wegen dieser Rigidität (vgl. Mt 23,1-36). Das daran hindert voranzukommen. lismus, den Methoden, Ideologien, Lebenswei- milde, »mit sehr viel Sanftmut: ›Ich habe es euch ist keine Treue: Die Treue ist immer eine Gabe Eine weitere Sache, die sehr schlimm ist, ist sen. Es fehlt die Freiheit. Und ohne Freiheit kann gesagt, aber ihr glaubt nicht!‹« (V. 25). Sie fragten Gottes; die Rigidität hingegen ist eine Sicherheit die klerikalistische Einstellung. Der Klerikalismus man Jesus nicht nachfolgen. »Aber manchmal aber immer weiter: »Aber bist du es nun? Bist du für mich selbst. Ich erinnere mich, wie ich einmal tritt an die Stelle von Jesus. Er sagt: »Nein, das geht die Freiheit zu weit und man rutscht aus«: Ja, es?« – »Ich habe es euch gesagt, ihr aber glaubt im Pfarrhaus war und eine Frau – eine gute Frau muss so, so und so sein…« – »Aber der Meis- das stimmt. Das ist wahr. Wir können ins Rut- nicht!« »Ihr aber glaubt nicht, weil ihr nicht zu – zu mir kam: »Vater, ich würde Sie gerne etwas ter…« – »Lass mal den Meister beiseite: das ist so, schen kommen, wenn wir in Freiheit vorange- meinen Schafen gehört« (V. 26). Und das lässt fragen, Sie um einen Rat bitten…« – »Lassen Sie so und so, und wenn du nicht dies, das und jenes hen. Schlimmer ist aber, auszurutschen, bevor vielleicht einen Zweifel in uns aufkommen: Ich hören.« – »Am Samstag vor einer Woche, nicht tust, dann kannst du nicht eintreten.« Ein Kleri- man überhaupt angefangen hat zu gehen, auf- glaube und gehöre zu den Schafen Jesu. Aber gestern, sondern am Samstag davor, sind wir mit kalismus, der den Glauben der Gläubigen seiner grund all dieser Dinge, die uns daran hindern los- wenn Jesus zu uns sagen würde: »Ihr könnt nicht der Familie bei einer Hochzeit gewesen: mit einer Freiheit beraubt. Das ist eine schlimme Krankheit zugehen. glauben, weil ihr nicht dazugehört…« Gibt es ei- Messe. Es war Samstagnachmittag, und wir ha- in der Kirche, die klerikalistische Einstellung. Möge der Herr uns erleuchten, so dass wir in nen Glauben, der der Begegnung mit Jesus schon ben es so verstanden, gedacht, dass wir mit die- Und dann gibt es noch etwas, das uns daran unser Inneres schauen können, ob dort die Frei- vorausgeht? Was ist dieses »Dazugehören« zum ser Messe das Sonntagsgebot erfüllt hätten. Dann hindert, voranzugehen, einzutreten, um Jesus heit ist, durch die Tür einzutreten, die Jesus ist, Glauben Jesu? Was ist es, das mich vor der Tür, habe ich aber, als ich wieder daheim war, ge- kennenzulernen und Jesus zu bekennen, und und weiterzugehen, um Herde zu werden, um die Jesus ist, stehenbleiben lässt? dacht, dass die Lesungen dieser Messe nicht de- zwar den Geist der Weltlichkeit. Wenn der Glau- Schafe seiner Herde zu werden.

Gedenken an die Opfer Hilfe der Kirche zur Linderung der Covid-Folgen

Wien. Das internationale Hilfswerk »Kirche fügten, schilderte Leskiv: »Aber unsere Geldmit- in Not« hat mehr als 3.500 katholische Pries- tel sind begrenzt.« ter und Ordensangehörige in der Ukraine mit Das »Kirche in Not«-Hilfspaket zur Linderung Corona-Schutzausrüstung ausgestattet. Mit den der Covid-Folgen in der Ukraine umfasst auch gelieferten Schutzmasken, Handschuhen, Desin- Unterstützung für den Lebensunterhalt von 150 fektionsmitteln usw. könnten sich die Seelsorger Ordensfrauen aus 24 Ordensgemeinschaften in angemessen schützen und eine weitere Ausbrei- der Diözese Kamjanez-Podilskyj. Wegen der wirt- tung des Coronavirus verhindern, teilte das Hilfs- schaftlichen Auswirkungen und der Corona-Be- werk am 10. Juni in Wien mit. Das Sonderhilfspa- schränkungen kann die Diözese trotz der von den ket unterstütze den engagierten seelsorglichen Ordensfrauen in Pfarren, Waisenhäusern und Dienst von griechisch-katholischen und römisch- Krankenhäusern geleisteten außerordentlichen katholischen Geistlichen. Arbeit für ihren Lebensunterhalt kaum aufkom- Priester besuchten auch in der Pandemie men. (Infos und Spenden: www.kircheinnot.at) kranke und ältere Menschen, führten Beichtge- spräche, spendeten die Krankensalbung und hiel- ********* ten Beerdigungen, so »Kirche in Not«. Durch die Rom. Der Päpstliche Ritterorden vom Heili- Aufrechterhaltung dieses pastoralen Notdiensts gen Grab zu Jerusalem hat einen Corona-Hilfs- zählten die Geistlichen »zur zweithöchsten Risi- fonds für das Heilige Land eingerichtet. Es sei kogruppe nach Ärzten und Pflegepersonal«. dringend erforderlich, den dort lebenden christli- Nach Angaben des Hilfswerks wurden bisher in chen Familien zu helfen, sagte Kardinal Fernando der Ukraine sieben Priester positiv auf das Coro- Filoni, der Großmeister des Ordens, Mitte Mai in Rom/Lima. Ein Zeichen des Erzbischofs übertragung via TV und Onlineportale waren die navirus getestet. Einer starb im Alter von 55 Jah- Rom. Zudem wolle man die 38 Schulen des La- von Lima zum Gedenken an die Tausende von zuvor von den Angehörigen der Verstorbenen ren an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung. teinischen Patriarchats unterstützen, die es in Opfer der Corona-Pandemie in Peru sorgt über zur Verfügung gestellten Fotos aber unüberseh- »In diesen schwierigen Zeiten müssen wir uns Palästina und Jordanien gebe. Zu Hilfe kommen das südamerikanische Land hinaus für Aufmerk- bar. Er sei positiv und zutiefst überrascht von der noch stärker um unsere Gläubigen kümmern«, so wolle man auch all jenen, die wegen des danie- samkeit. Vor dem Gottesdienst zum Froneich- Reaktion der Menschen, erklärte der Erzbischof Pater Mikolay Leskiv aus Tscherwonohrad. derliegenden Pilgertourismus ihre Arbeitsstelle namsfest in der vergangenen Woche ließ Erzbi- nach dem gemeinsamen Gedenken. Die Erzdiö- Gleichzeitig gelte es, für die Sicherheit der verloren hätten, so der Kardinal. Die Mittel des schof Carlos Castillo Mattasoglio Fotos von mehr zese Lima veröffentlichte auf ihrem Twitter- Menschen in der Kirche zu sorgen. »Ungeachtet neuen Fonds kämen zu den 650.000 US-Dollar als 5.000 Menschen, die an den Folgen einer Co- Account zahlreiche Bilder des Gottesdienstes. der hohen Preise, die sich seit Beginn der Pande- hinzu, die der Orden bereits zu Jahresbeginn ge- vid-19-Erkrankung gestorben waren, an Sitzbän- Man habe gemeinsam für die Toten gebetet und mie mehr als verzehnfacht haben, habe ich des- spendet habe. Dieser Betrag habe sich angesichts ken, Säulen und Wänden der Kathedrale von ihre Erinnerung geehrt. »Wir wollen für die Spu- halb Desinfektionsmittel gekauft. Eine Flasche des Ausmaßes der Krise als unzureichend erwie- Lima anbringen, berichtete der vatikanische Pres- ren danken, die sie in unserem Leben hinterlas- steht am Eingang der Kirche für die Gläubigen zur sen, hieß es. Der Ritterorden vom Heiligen Grab sedienst Fides am 16. Juni. Castillo musste die sen haben«, so die Erzdiözese. In Südamerika ist Verfügung. Eine weitere ist für den Priester be- zu Jerusalem ist ein päpstlicher Laienorden mit heilige Messe wegen der Anti-Corona-Schutzbe- Peru mit mehr als 225.000 Coronavirus-Infizier- stimmt, der die heilige Kommunion austeilt.« Er Sitz im Vatikan. Hauptaufgabe ist die Unterstüt- stimmungen ohne Anwesenheit von weiteren ten nach Brasilien der am stärksten von der Pan- habe auch Schutzmasken für Gläubige besorgt, zung der Christen im Heiligen Land durch die Gläubigen vor Ort feiern. In der Gottesdienst - demie betroffene Staat. die nicht über die dafür notwendigen Mittel ver- Förderung von Sozial- und Bildungsprojekten. 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 18 Aus dem Vatikan

Generalaudienz des Papstes am 10. Juni aus der Bibliothek des Apostolischen Palastes Mit Gott ringen

Liebe Brüder und Schwestern, der Bruder, zu dem er immer ein sehr schlechtes guten Tag! Verhältnis gehabt hatte. Jakob bricht auf und un- Wir setzen unsere Katechese zum Thema des ternimmt eine lange Reise mit einer Karawane »Und dieser Jakob ist es, Gebets fort. Das Buch Genesis erzählt uns durch aus zahlreichen Menschen und Tieren, bis er zur der von Gott den Segen das Leben von Männern und Frauen ferner Zei- letzten Etappe gelangt, dem Fluss Jabbok. Hier empfängt, mit dem er ten Geschichten, in denen wir unser Leben wi- präsentiert uns das Buch Genesis einen denkwür- hinkend in das Gelobte Land derspiegeln können. Im Zyklus der Erzväter fin- digen Abschnitt (vgl. 32,23-33). Es wird berich- einzieht: verletzlich und den wir auch die Geschichte eines Mannes, der tet, dass der Erzvater, nachdem er alle seine Leute verwundet, aber mit einem die gerissene Schlauheit zu seinem wichtigsten und sein ganzes Vieh – von dem er viel besaß – neuen Herzen…« Talent gemacht hatte: Jakob. Die biblische Erzäh- den Fluss hat überqueren lassen, allein am frem- lung berichtet uns von der schwierigen Bezie- den Ufer zurückbleibt. Und er überlegt: Was hung Jakobs zu seinem Bruder Esau. Von Kind- würde ihn am nächsten Tag erwarten? Welche heit an herrscht zwischen ihnen Rivalität, und sie Haltung würde sein Bruder Esau einnehmen, wird danach nie überwunden werden. Jakob ist dem er das Erstgeburtsrecht geraubt hatte? Die der Zweitgeborene – sie waren Zwillinge –, aber Gedanken wirbeln in Jakobs Kopf herum… Und Jakob ringt mit dem Engel, durch eine Täuschung kann er sich von seinem als die Dunkelheit hereinbricht, ergreift ihn plötz- Rembrandt, Öl auf Leinwand, Vater Isaak den Erstgeburtssegen erschleichen lich ein Unbekannter und beginnt mit ihm zu rin- um 1659, Gemäldegalerie Berlin. (vgl. Gen 25,19-34). Es ist nur die erste einer lan- gen. Der Katechismus erläutert: »Die geistliche gen Reihe hinterlistiger Taten, zu denen dieser Überlieferung der Kirche hat darin ein Sinnbild bart ihm ihn nicht, aber dafür segnet er ihn. Und macht, auch seine Sünden. Und dieser Jakob ist rücksichtslose Mann in der Lage ist. Auch der des Gebetes gesehen, insofern dieses ein Glau- Jakob versteht, dass er Gott »von Angesicht zu es, der von Gott den Segen empfängt, mit dem er Name »Jakob« verweist auf einen Menschen, der benskampf und ein Sieg der Beharrlichkeit ist« Angesicht« begegnet ist (vgl. V. 30-31). hinkend in das Gelobte Land einzieht: verletzlich mit gerissener Schlauheit vorgeht. (KKK, 2573). Mit Gott ringen: eine Metapher für das Gebet. und verwundet, aber mit einem neuen Herzen. Gezwungen, vor seinem Bruder in die Ferne Jakob kämpfte die ganze Nacht, ohne jemals Andere Male hatte Jakob gezeigt, dass er fähig Einmal habe ich gehört, wie ein alter Mann – ein zu fliehen, scheint ihm im Leben alles zu gelin- seinen Gegner aus dem Griff zu lassen. Am Ende war, mit Gott zu sprechen, ihn als freundliche guter Mann, ein guter Christ, aber ein Sünder, der gen. Er ist geschickt im Geschäftemachen: Er be- wird er besiegt, als sein Rivale ihn am Hüftgelenk und nahe Gegenwart zu spüren. Aber aus jener großes Vertrauen in Gott hatte – sagte: »Gott wird reichert sich sehr und wird Eigentümer einer trifft. Und von diesem Augenblick an wird er sein Nacht, aus einem Kampf, der sich lange hinzieht mir helfen; er wird mich nicht allein lassen. Ich enormen Herde. Mit Beharrlichkeit und Geduld ganzes Leben lang hinken. Jener geheimnisvolle und der ihn fast unterliegen lässt, geht der Erzva- werde in das Paradies eintreten – hinkend zwar, gelingt es ihm, die schönste der Töchter des La- Ringer fragt den Erzvater nach seinem Namen ter verändert hervor. Sein Name ist verändert, aber ich werde eintreten.« Vorher war Jakob ban zu heiraten, in die er wirklich verliebt war. Ja- und sagt zu ihm: »Nicht mehr Jakob wird man seine Lebensweise ist verändert, und seine Per- selbstsicher gewesen, er hatte auf die eigene kob – so würden wir es im modernen Sprachge- dich nennen, sondern Israel – Gottesstreiter –; sönlichkeit ist verändert: Er geht verändert daraus Schlauheit vertraut. Er war ein Mensch, der un- brauch sagen – ist ein »Selfmademan«: Mit denn mit Gott und Menschen hast du gestritten hervor. Auf einmal ist er nicht mehr Herr der Lage durchlässig war für die Gnade, resistent gegen die Verstand, mit gerissener Schlauheit kann er alles und gesiegt« (V. 29). Es ist als würde er sagen: Du – seine Schlauheit nützt ihm nichts –, ist er nicht Barmherzigkeit; er wusste nicht, was Barmher- erobern, was er wünscht. Aber es fehlt ihm et- wirst nie der Mann sein, der so umherwandelt, mehr der berechnende Stratege. Gott führt ihn zu zigkeit ist. »Hier bin ich, hier befehle ich!« Er was. Ihm fehlt die lebendige Beziehung zu seinen aber aufrecht. Er ändert seinen Namen, er ändert seiner Wirklichkeit als Sterblicher zurück, der zit- meinte, dass er keine Barmherzigkeit brauche. Wurzeln. sein Leben, er ändert seine Haltung: Du wirst Is- tert und Angst hat, denn Jakob hatte im Kampf Aber Gott hat gerettet, was verloren war. Er hat Und eines Tages spürt er den Ruf seines Zu- rael genannt werden. Da bittet auch Jakob den an- Angst. Auf einmal hat Jakob Gott nichts anderes ihn verstehen lassen, dass er Grenzen hatte, dass hauses, seiner alten Heimat, wo Esau noch lebte: deren: »Nenne mir deinen Namen.« Dieser offen- anzubieten als seine Schwäche und seine Ohn- er ein Sünder war, dass er Barmherzigkeit brauchte, und hat ihn gerettet. Wir alle haben eine Begegnung mit Gott in der Erinnerungen an den heiligen Papst Johannes Paul II. Nacht, in der Nacht unseres Lebens, in den vielen Nächten unseres Lebens: dunkle Zeiten, Zeiten der Sünde, Zeiten der Orientierungslosigkeit. Dort gibt es eine Begegnung mit Gott, immer. Er Sein Leben war beständiges Gebet wird uns in dem Augenblick überraschen, in dem wir es nicht erwarten, in dem wir wirklich allein Von Angelo Gugel, Kammerdiener uns aufgewogen, nicht nur dadurch, sind. In derselben Nacht werden wir, wenn wir dass er an uns dachte und für uns mit dem Unbekannten ringen, uns bewusst wer- betete, sondern auch während der den, dass wir nur arme – ich erlaube mir zu sagen ch habe wirklich sehr viele Er- Begegnungen, in denen er mit je- »elende« – Menschen sind. Aber gerade dann, in Iinnerungen an den heiligen Jo- dem einzelnen von uns umging wie dem Augenblick, in dem wir uns »elend« fühlen, hannes Paul II. Sollte ich sie mit ei- ein Großvater mit seinen Enkeln. brauchen wir uns nicht zu fürchten: Denn in je- nem Wort zusammenfassen, würde (Ich entschuldige mich für den Ver- nem Augenblick wird Gott uns einen neuen Na- ich sagen: »große Aufmerksamkeit gleich.) men geben, der den Sinn unseres ganzen Lebens für die Familie«. Seit meinen ersten Er war ein Mann des Gebets. enthält. Er wird unser Herz verändern und uns Tagen im Dienst des Privatsekreta- Das Leben des Heiligen Vaters war den Segen spenden, der dem vorbehalten ist, der riats des Heiligen Vaters habe ich beständiges Gebet. In der Privatka- sich von ihm hat verändern lassen. Das ist eine mich aufgenommen gefühlt wie in pelle verweilte er mehrmals täglich schöne Einladung, uns von Gott verändern zu las- eine Familie. Mir zitterten die Knie, in kniender Haltung vor dem Taber- sen. Er weiß, wie er es tun kann, denn er kennt als ich nach dem Tod von Johannes nakel. Dabei betete er auch für die einen jeden von uns. »Herr, du kennst mich«, Paul I. in das Päpstliche Apparte- Anliegen, die sein Privatsekretariat kann jeder von uns zu ihm sagen. »Herr, du ment gerufen wurde, doch die ver- erreichten und die wir ihm auf sei- kennst mich. Verändere mich.« trauensvolle Atmosphäre, die der nen Betschemel legten. Wer weiß, Nach der Katechese sowie Grüßen in ver- Papst schuf, aber auch Msgr. Stanis- wie viele Gnaden durch seine Für- schiedenen Sprachen erhob der Papst einen Ap- law und die Schwestern, bewirkte Angelo Gugel: ein treuer Begleiter an der Seite des Papstes. sprache möglich geworden sind. Er pell zum Welttag gegen Kinderarbeit am 12. Juni: sofort, dass ich mich »zu Hause« war ein tiefgläubiger Mensch, der Am kommenden Freitag, dem 12. Juni, bege- fühlte. Und in dieser Atmosphäre im Koma lag, aus dem er aber ohne Wo auch immer man sich zur Mit- dem Herrn jede Sorge hinsichtlich hen wir den Welttag gegen Kinderarbeit. Sie ist vergingen die 27 Jahre des Pontifi- Folgeschäden erwachte. tagszeit befand, versammelten sich seines Dienstes als Hirte der Welt- ein Phänomen, das Jungen und Mädchen ihrer kats, sehr aktive Jahre, voller Begeg- Was mich beim heiligen Johan- alle zum Gebet. Für mich und meine kirche anvertraute, in der Gewiss - Kindheit beraubt und ihre ganzheitliche Entwick- nungen und Reisen. nes Paul II. am meisten beeindruckt Familie war es eine außerordentli- heit, dass der Herr es ihm nicht an lung gefährdet. In der gegenwärtigen gesundheit- In diese familiäre Atmosphäre hat, das waren die Einfachheit und che Gnade, ein unvorstellbares Ge- seiner Hilfe fehlen lassen würde. lichen Notlage sind in verschiedenen Ländern bezog Johannes Paul II. auch meine Tiefe seines vom beständigen Gebet schenk der Vorsehung, dass ich dem Ich habe auch viel Leid aus der viele Kinder und Jugendliche zu Arbeiten ge- eigene Familie ein, die er im Lauf der genährten Glaubens. Auf jeder ers- heiligen Johannes Paul II. bei mei- Nähe gesehen. Ich erinnere mich an zwungen, die ihrem Alter nicht angemessen Jahre wachsen sah und mit Zunei- ten Seite seiner handgeschriebenen nem Dienst so nahe sein durfte. Ich jeden einzelnen Augenblick des At- sind, um ihre Familien, die in äußerster Armut le- gung begleitete, indem er häufig Predigten stand ein Wort der ver- habe mich in all den Jahren bemüht, tentats vom 13. Mai 1981: an die ben, zu unterstützen. In nicht wenigen Fällen fragte, wie es den einzelnen Mitglie- trauenden Hingabe an die Gottes- die mir anvertrauten Aufgaben best- Schusswunde, dann an den Papst, handelt es sich um Formen der Sklaverei und der dern ging. Besonders seine mit dem mutter, am häufigsten »Totus tuus«, möglich zu erfüllen, da mir bewusst wie er im Eingangsbereich des Ge- Gefangenschaft, mit dem physischen und psychi- Gebet verbundene Nähe in zwei ein klares Zeugnis seiner besonde- war, was es bedeutet, unmittelbar bäudes des Vatikanischen Gesund- schen Leiden, das daraus folgt. Wir alle sind dafür leidvollen Momenten habe ich nicht ren Verehrung der Jungfrau Maria. im Dienst des Heiligen Vaters zu ste- heitsdienstes auf den Boden gebet- verantwortlich. vergessen. Zum einen die letzte und Ich erinnere mich, dass er an den hen. Die Wahrung der Vertraulich- tet wurde, bis hin zur langen Fahrt Ich appelliere an die Institutionen, dass sie alle schwierige Schwangerschaft mei- wenigen Ferientagen in Cadore oder keit hinsichtlich meiner Arbeit sogar in die Gemelli-Klinik, mit Höchstge- Anstrengungen unternehmen, die Minderjähri- ner Frau, bei der sowohl ihr eigenes im Aostatal auf der Fahrt zu den für gegenüber meiner Familie war nor- schwindigkeit. Das waren Tage gen zu schützen und die wirtschaftlichen und als auch das Leben des Kindes auf den Spaziergang vorgesehenen Zie- mal. Wenn wir mit dem Papst in pri- großen Bangens. In diesen und an- gesellschaftlichen Lücken zu schließen, die die dem Spiel standen. Einmal hat er len im Kleinbus oft das Lektionar vater Form in die Berge fuhren, dann deren Momenten großen körperli- Grundlage der verzerrten Dynamik darstellen, in mir gesagt, dass er die heilige Messe mitnahm und die Lesungen der hei- erfuhr das auch meine Familie erst chen Leidens klagte der Heilige Va- die sie leider eingebunden sind. Die Kinder sind für einen guten Ausgang dieser ligen Messe, die er bereits zelebriert aus der Zeitung. ter niemals, vielmehr nahm er alles die Zukunft der Menschheitsfamilie: Wir alle ha- Schwangerschaft gefeiert habe. hatte, für seine tägliche Meditation Die kleinen Opfer, die die Arbeit bedingungslos an und gab so Zeug- ben die Aufgabe, ihr Wachstum, ihre Gesundheit Zum anderen der schwere Ver- nutzte. Auch in den Bergen war der erforderte, wurden von der großen nis von seiner vollkommenen Hin- und ihren inneren Frieden zu fördern! kehrsunfall, nach dem mein Sohn Angelus ein feststehender Termin. Zuneigung des Heiligen Vaters zu gabe an den Willen Gottes. (Orig. ital. in O.R. 12.6.2020) 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 19

Audienz für eine Delegation aus der Lombardei Zeugnisse großherziger und selbstloser Liebe Ansprache von Papst Franziskus am 20. Juni

Liebe Brüder und Schwestern, wir alle einen Vater brauchen, der uns die Hand herzlich willkommen! reicht. Zu ihm zu beten, ihn anzurufen, das ist keine Illusion. Eine Illusion ist es zu meinen, dass Ich danke dem Präsidenten der Region Lom- man ihn nicht braucht! Das Gebet ist die Seele der bardei für seine Worte. Von Herzen begrüße ich Hoffnung. den Erzbischof von Mailand und die Bischöfe von In diesen Monaten konnten die Menschen Bergamo, Brescia, Cremona, Crema und Lodi so- nicht vor Ort an den Gottesdiensten teilnehmen, wie die weiteren hier anwesenden Verantwor- aber sie haben nicht aufgehört, sich als Ge- tungsträger. Ich grüße die Ärzte und Ärztinnen, meinschaft zu fühlen. Sie haben allein oder in Pfleger und Krankenschwestern, das gesamte der Familie gebetet, auch über die sozialen Kom- Pflegepersonal und den Zivilschutz sowie die Ge- munikationsmittel geistig vereint und mit der Er- birgsjäger. Mein Gruß gilt ebenso den Priestern kenntnis, dass die Umarmung des Herrn über und Gottgeweihten. Sie sind als Repräsentanten die Grenzen des Raumes hinausging. Der pasto- der Lombardei hierher gekommen, aus einer der rale Eifer und die kreative Sorge der Priester ha- am stärksten von der Covid-19-Epidemie betrof- ben den Menschen geholfen, den Weg des Glau- fenen Regionen – neben Piemont, Emilia Ro- bens fortzusetzen und angesichts von Schmerz magna und Venetien, insbesondere aus Vo’ Euga- und Angst nicht allein zu bleiben. Diese pries - neo, vertreten durch den Bischof von Padua. terliche Kreativität war stärker als einige wenige Heute möchte ich im Geiste auch diese Regionen »jugendliche« Äußerungen gegen die Maßnah- umarmen. Und ich grüße die Gruppe aus dem rö- men der Behörden, die die Pflicht haben, die mischen »Spallanzani«-Krankenhaus mit seiner Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Der Spezialabteilung, die viel zur Bekämpfung des Vi- größte Teil war gehorsam und kreativ. Ich habe rus beigetragen hat. den Geist des Apostolats vieler Priester bewun- Im Lauf dieser mühevollen Monate haben In seiner Ansprache mahnte der Papst, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen. Regionalpräsident dert, die mit dem Telefon unterwegs waren, die die verschiedenen Teile der italienischen Gesell- Attilio Fontana lud Franziskus zu einem Besuch in die Lombardei ein, »um den Familien der Opfer an die Türen klopften, an den Häusern klingel- schaft sich bemüht, den Gesundheitsnotstand und den vielen Kranken, die gelitten haben, Trost zu spenden«. Ein Besuch des Papstes wäre »für uns ten: »Brauchen Sie etwas? Ich gehe für Sie ein- mit Großherzigkeit und Engagement zu bewäl- alle ein Licht gegen die Dunkelheit, die uns in diesen Monaten eingehüllt hat«, so der Politiker. Von kaufen…« Tausend Dinge. Die Nähe, die Kreati- tigen. Ich denke an die nationalen und regiona- den 20 Regionen Italiens zahlte die Lombardei nach amtlichen Daten den höchsten Zoll an Erkrank- vität, ohne sich zu schämen. Die Priester, die im len Institutionen, an die Gemeinden; ich denke ten und Todesopfern in der Pandemie. Mehr als 16.000 Menschen starben dort, fast die Hälfte der fürsorglichen, täglichen Teilen an der Seite ihres an die Diözesen, Pfarrgemeinden und Ordens- mehr als 34.000 Corona-Toten in Italien. Volkes geblieben sind: Sie waren ein Zeichen gemeinschaften; an die vielen Vereinigungen der tröstenden Gegenwart des Herrn. Sie waren ehrenamtlicher Helfer. Mehr denn je haben wir denden bezeugt, sie waren stille Baumeister ei- den! Sie ist ein Reichtum, der im Drama des Not- Väter, keine Heranwachsenden. Leider sind lebhafte Dankbarkeit für die Ärzte, Kranken- ner Kultur der Nähe und der Zärtlichkeit. Kultur stands zum Teil sicherlich »nicht rückzahlbar« nicht wenige von ihnen gestorben, wie auch schwestern und -pfleger sowie das gesamte Ge- der Nähe und der Zärtlichkeit. Und Sie waren war. Aber der Großteil kann und muss Frucht Ärzte und Pflegepersonal. Und auch unter Ih- sundheitspersonal empfunden, die in einem deren Zeugen auch in den kleinen Dingen: den bringen für die Gegenwart und die Zukunft der nen sind einige Priester, die krank waren und mühevollen und zuweilen heroischen Dienst an Liebkosungen … und auch über das Mobiltele- Gesellschaft der Lombardei und Italiens. Die Gott sei Dank gesund geworden sind. Durch vorderster Front standen. Sie waren sichtbare fon, indem sie jenen sterbenden alten Men- Pandemie hat das Leben der Menschen und die euch danke ich dem gesamten italienischen Kle- Zeichen einer Menschlichkeit, die das Herz er- schen mit dem Sohn, mit der Tochter verbunden Geschichte der Gemeinschaften tief gezeichnet. rus, der Mut und Liebe zu den Menschen be- wärmt. Viele von ihnen haben sich angesteckt haben, um sich zu verabschieden, um sie ein Um das Leiden der Kranken und der vielen Ver- wiesen hat. und einige sind leider in Ausübung ihres Beru- letztes Mal zu sehen… Kleine Gesten der Krea- storbenen zu ehren, fes gestorben. Wir gedenken ihrer im Gebet und tivität der Liebe. Das hat uns allen gut getan. vor allem der alten Mehr denn je haben wir lebhafte Dankbarkeit mit großer Dankbarkeit. Zeugnis der Nähe und der Zärtlichkeit. Menschen, deren Le- für die Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger Im Strudel einer Epidemie mit schockieren- Liebe Ärzte und Pfleger, die Welt hat sehen benserfahrung nicht sowie das gesamte Gesundheitspersonal empfunden, den und unerwarteten Auswirkungen war die können, wie viel Gutes Sie in einer Situation vergessen werden die in einem mühevollen und zuweilen heroischen Dienst zuverlässige und großzügige Anwesenheit des großer Prüfung getan haben. Auch in der Er- darf, muss die Zu- an vorderster Front standen. Sie waren sichtbare Zeichen medizinischen und paramedizinischen Perso- schöpfung haben Sie sich mit Professionalität und kunft aufgebaut wer- einer Menschlichkeit, die das Herz erwärmt. nals der sichere Bezugspunkt, vor allem für die Opferbereitschaft weiter eingesetzt. Wie viele den: Das verlangt den Viele von ihnen haben sich angesteckt Kranken, aber in ganz besonderer Weise auch medizinische und paramedizinische Mitarbeiter, Einsatz, die Kraft und und einige sind leider in Ausübung ihres Berufes gestorben. für die Familienangehörigen, die in diesem Fall Pfleger und Krankenschwestern, konnten nicht Hingabe aller. Es geht Wir gedenken ihrer im Gebet und mit großer Dankbarkeit. nicht die Möglichkeit hatten, ihre Angehörigen nach Hause gehen und schliefen dort, wo sie darum, neu anzufan- zu besuchen. Und so haben sie in Ihnen, den konnten, da im Krankenhaus keine Betten zur gen, ausgehend von Pflegekräften, gleichsam weitere Familienan- Verfügung standen! Und das weckt Hoffnung. Sie den zahllosen Zeugnissen großherziger und Liebe Brüder und Schwestern, einem jeden gehörige gefunden, die in der Lage waren, mit [der Papst wendet sich an den Präsidenten der Re- selbstloser Liebe, die in den Gewissen und im von Ihnen und allen, die Sie vertreten, möchte ich der professionellen Kompetenz jene Aufmerk- gion] haben von der Hoffnung gesprochen. Und Gefüge der Gesellschaft eine unauslöschliche erneut meine hohe Wertschätzung für das zum samkeiten zu verbinden, die konkreter Aus- das weckt Hoffnung. Sie waren eine der tragen- Spur hinterlassen haben, da sie uns gelehrt ha- Ausdruck bringen, was Sie in dieser mühevollen druck der Liebe sind. Die Patienten haben häu- den Säulen des ganzen Landes. Ihnen, die Sie hier ben, wie sehr Nähe, Fürsorge, Opfer notwendig und komplexen Situation geleistet haben. Die fig gespürt, dass »Engel« an ihrer Seite waren, anwesend sind, und Ihren Kollegen in ganz Ita- sind, um die Geschwisterlichkeit und das gesell- Jungfrau Maria, die in Ihrer Region in zahlreichen die ihnen geholfen haben, gesund zu werden, lien, gelten meine Wertschätzung und mein auf- schaftliche Zusammenleben zu fördern. Und mit Wallfahrtsorten und Kirchen verehrt wird, be- und die sie zugleich getröstet, unterstützt und richtiger Dank, und ich weiß, dass ich damit den dem Blick auf die Zukunft kommen mir jene gleite und stütze Sie stets mit ihrem mütterlichen zuweilen auch bis zur endgültigen Begegnung Empfindungen aller Ausdruck verleihe. Worte von Fra Felice im Lazarett in den Sinn, die Schutz. Und vergessen Sie nicht, dass Sie mit Ih- mit dem Herrn begleitet haben. Die Pflegekräfte Jetzt ist der Augenblick gekommen, auf die- wir bei Manzoni finden [Die Verlobten, Kap. 36]: rer Arbeit – der Arbeit von Ihnen allen, den Ärz- haben, unterstützt von der Fürsorge der Kran- ser ganzen positiven Energie aufzubauen, die Mit wie viel Realismus blickt er auf die Tragödie, ten, den Sanitätern, freiwilligen Helfern, Pries - kenhausseelsorger, die Nähe Gottes zu den Lei- eingesetzt wurde. Sie darf nicht vergessen wer- blickt er auf den Tod, aber er blickt in die Zukunft tern, Ordensleuten, Laien, die Sie dies getan und geht weiter. haben – ein Wunder begonnen haben. Habt Auf diese Weise können wir geistlich und mo- Glauben und wie jener Schneider, ein geborener ralisch gestärkt aus dieser Krise hervorgehen; Theologe, gesagt hat: »Ich habe noch nicht erlebt, und das hängt vom Gewissen und von der Ver- dass Gott ein Wunder nicht zu einem guten Ende antwortung jedes einzelnen von uns ab. Aber geführt hat« [Manzoni, Die Verlobten, Kap. 24]. nicht allein, sondern gemeinsam und mit der Möge er dieses Wunder, das Sie begonnen ha- Gnade Gottes. Als Glaubende sind wir aufgeru- ben, zu einem guten Ende führen! Meinerseits fen zu bezeugen, dass Gott uns nicht im Stich werde ich weiterhin für Sie und Ihre Gemein- lässt, sondern dass er in Christus auch dieser schaften beten und erteile Ihnen voll Zuneigung Wirklichkeit und unseren Grenzen einen Sinn einen besonderen Apostolischen Segen. Und gibt; dass wir mit seiner Hilfe die härtesten Prü- bitte vergessen Sie nicht, für mich zu beten, ich fungen überstehen können. Gott hat uns für die brauche es. Danke. [Segen] Gemeinschaft geschaffen, für die Geschwister- Jetzt, die Abschiedsliturgie. Aber wir müssen lichkeit, und jetzt hat sich mehr denn je der An- die Verfügungen befolgen: Ich werde Sie nicht spruch als Illusion erwiesen, alles auf sich selbst hierher kommen lassen, ich werde kommen und auszurichten – das ist illusorisch –, den Individu- Sie im Vorbeigehen höflich verabschieden, wie alismus zum Leitprinzip der Gesellschaft zu ma- man das tun soll, wie die Behörden es uns gesagt chen. Aber seien wir vorsichtig, denn sobald der haben. Und so verabschieden wir uns als Brüder Notstand überwunden ist, ist es leicht, in diese Il- und beten füreinander. Zuerst machen wir das lusion zurückzufallen, hineinzurutschen. Leicht gemeinsame Foto und dann komme ich, um mich und schnell vergessen wir, dass wir die anderen zu verabschieden. brauchen, dass wir jemanden brauchen, der für uns sorgt, der uns Mut macht. Zu vergessen, dass (Orig. ital. in O.R. 21.6.2020) 26. Juni 2020 / Nummer 26/27 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 20 Aus dem Vatikan und der Weltkirche

85 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Kuba und dem Heiligen Stuhl Das gegenseitige Vertrauen wachsen lassen

Von Jorge Queseda Concepción, ein Jahrzehnt Botschafter Kubas und auch Dekan Botschafter von Kuba beim Heiligen Stuhl des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diploma- tischen Korps. Bedeutsam für die Geschichte dieser diploma- ie Apostolische Nuntiatur von Ha- tischen Beziehungen waren die Apostolischen vanna, die seit 1953 ihren Sitz im Reisen dreier Päpste: der heilige Johannes Paul II. DStadtviertel Miramar hat, ist ein Sym- besuchte das Land im Januar 1998, Benedikt XVI. bol für die seit 85 Jahren ohne Unterbrechung be- im März 2012 und Franziskus im September stehenden diplomatischen Beziehungen zwi- 2015. Neben Brasilien ist Kuba das einzige la- schen Kuba und dem Heiligen Stuhl. teinamerikanische Land, das von allen drei letz- Am 7. Juni 1935 richtete der damalige In - ten Päpsten besucht worden ist. Jedes Mal brach- terimspräsident der Republik Kuba, Carlos Men- ten sowohl die Vertreter des Staates als auch das dieta, mit dem Gesetzesdekret Nr. 208 eine kubanische Volk ihre Dankbarkeit und Achtung Gesandtschaft des karibischen Landes beim Hei- gegenüber den höchsten Vertretern der katholi- ligen Stuhl ein und akkreditierte einen außeror- schen Kirche zum Ausdruck. Diese wiederum dentlichen Gesandten und bevollmächtigten Mi- hatten die Möglichkeit, das Volk besser kennen- nister. zulernen: ein einfaches, aber zugleich gebildetes Bereits 1898 hatte Papst Leo XIII. Msgr. Pla- und von der eigenen Identität überzeugtes Volk. cide-Louis Chapelle zu seinem ersten Apostoli- Das Gebäude der Apostolischen Nuntiatur in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Wichtig waren dann auch die offiziellen Besuche schen Delegaten auf der Insel ernannt. Erst am der kubanischen Präsidenten: Fidel Castro reiste 2. September 1935 unterzeichnete der damalige denktag für den Beginn der Unabhängigkeits- ethische und verantwortliche Diplomatie zu ent- 1996 in den Vatikan und Raúl Castro 2015, wo sie Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spä- kämpfe. Einige Historiker sehen die Entscheidung wickeln, die es erlaubte, das gegenseitige Ver- von Papst Johannes Paul II. beziehungsweise tere Papst Pius XII., das Dokument zur Errichtung der kubanischen Regierung, diplomatische Bezie- trauen wachsen zu lassen, obwohl es auch Mo- Franziskus empfangen wurden. einer Apostolischen Nuntiatur in Kuba. Dies war hungen zum Heiligen Stuhl aufzunehmen, im mente gab, in denen die jeweiligen Sichtweisen Darüber hinaus führte der erste Vizepräsident der Wunsch von Papst Pius XI., eine Antwort auf Einklang mit der damaligen politischen Situation zu einigen Aspekten nicht übereinstimmten. des Staatsrats von Kuba, Miguel Díaz-Canel Ber- die Geste Kubas vom 7. Juni desselben Jahres. im Land, in der das Nationalgefühl gestärkt wer- Dabei ist an Erzbischof Cesare Zacchi zu erin- múdez, die Delegation an, die 2013 der Amtsein- Zum ersten Apostolischen Nuntius in Kuba den sollte, ausgehend von einer »formalen« nern, der den politischen Prozess in Kuba zu deu- führung von Papst Franziskus beiwohnte. Die bei wurde Erzbischof Giorgio Giuseppe Caruana er- Zurücknahme des Platt Amendment, eines Zusat- ten und die Aufrechterhaltung der Beziehungen jedem dieser Besuche abgehaltenen Treffen ha- nannt, der bereits seit 1925 als Apostolischer De- zes der kubanischen Verfassung, der dem Land zwischen dem kubanischen Staat und der katho- ben das positive Klima der zwischen Kuba und legat auf den Antillen und in Mexiko auch für ku- 1902 von den Vereinigten Staaten aufgezwungen lischen Kirche zu fördern wusste. Unter diesem dem Heiligen Stuhl bestehenden Beziehungen banische Fragen zuständig war. Er überreichte worden war. Blickwinkel war er dem historischen Revoluti- bestätigt. am 6. Dezember 1935 sein Beglaubigungsschrei- Die Geschichte der Beziehungen zwischen onsführer Fidel Castro in persönlicher Freund- Die Entscheidung von Papst Franziskus, im ben. dem Heiligen Stuhl und Kuba umfasst eine ganze schaft verbunden. Auf kubanischer Seite hat sich Februar 2016 in Havanna mit Kyrill von Bis 1936 wurde Kuba beim Heiligen Stuhl Reihe positiver Ereignisse und Beispiele der Zu- Luis Amado Blanco um die beiderseitigen Bezie- Moskau und ganz Russland zusammenzutreffen durch seinen Diplomaten in Paris vertreten, ak- sammenarbeit. Protagonisten auf beiden Seiten hungen verdient gemacht. Der aus Asturien – bei der Begegnung wurde eine wegweisende kreditiert am 10. Oktober, dem nationalen Ge- zeichneten sich durch ihren Einsatz aus, eine stammende Journalist und Schriftsteller war über gemeinsame Erklärung unterzeichnet –, hatte große Bedeutung für Kuba durch die Anerken- nung, die der Papst einer Insel entgegenbrachte, die seinen Worten zufolge die »Hauptstadt der Einen begeisterten Einheit« werden würde. Bei jener Gelegenheit Empfang bereitete die traf Franziskus erneut mit dem damaligen kuba- Bevölkerung Kubas nischen Präsidenten Raúl Castro zusammen. Papst Franziskus bei Die diplomatischen Beziehungen zwischen seiner Apostolischen dem Heiligen Stuhl und Kuba haben sich im Lauf Reise im September der Jahre bewährt und alle Hindernisse überwin- 2015. Wichtige Anlie- den können, die sich ihrer Entwicklung entge- gen seines Besuchs genstellten. In diesen 85 Jahren haben sich nach waren der Einsatz und nach Beziehungen entwickelt, die zwar für mehr Religions- nicht frei sind von unvorhergesehenen Ereignis- freiheit sowie für sen, gegenwärtig aber von gegenseitiger Achtung eine weitere Annähe- und Anerkennung sowie dem beiderseitigen rung der einstigen Wunsch geprägt sind, sie weiterzuentwickeln. Erzfeinde Vereinigte Staaten und Kuba. (Orig. ital. in O.R. 17.6.2020)

Promulgierung von Dekreten Pater Franziskus Jordan vor Seligsprechung

Vatikanstadt. Papst Franziskus hat am – ein Wunder auf Fürsprache des Ehrwürdi- Vatikanstadt/Wien. Der deutsche Ordens- schickt, wo er den größten Teil seines Lebens ver- 19. Juni den Präfekten der Kongregation für die gen Dieners Gottes Franziskus Maria vom gründer P. Franziskus Jordan (1848-1918) steht brachte. 1881 gründete er die Gesellschaft des Selig- und Heiligsprechungsprozesse, Kardinal Kreuze (mit bürgerlichem Namen: Johann kurz vor der Seligsprechung. Wie der Vatikan mit- Göttlichen Heilandes (Salvatorianer) mit dem Angelo Becciu, in Audienz empfangen. Bei der Baptist Jordan), Priester, Gründer der Gesellschaft teilte, erkannte Papst Franziskus ein Wunder an, Ziel, das soziale Leben vom Glauben her zu er- Audienz hat der Papst die Kongregation autori- des Göttlichen Heilandes (Salvatorianer) und das der Fürsprache des Geistlichen zugeschrie- neuern. Sieben Jahre später folgte die Gründung siert, folgende Dekrete zu promulgieren. der Kongregation der Schwestern vom Gött- ben wird. Damit kann der Gründer des Salvatori- Sie betreffen: lichen Heiland (Salvatorianerinnen); geboren am anerordens, dem heute weltweit rund 2.000 – ein Wunder auf Fürsprache des Ehrwürdi- 16. Juni 1848 in Gurtweil (Deutschland); gestor- Frauen und Männer in 40 Ländern angehören, gen Dieners Gottes Mamerto Esquiú, Franzis- ben am 8. September 1918 in Tafers (Schweiz); demnächst seliggesprochen werden, wobei Da- kaner, Bischof von Córdoba (Argentinien); gebo- – ein Wunder auf Fürsprache des Ehrwürdi- tum und Ort dafür erst bekanntgegeben werden. ren am 11. Mai 1826 in San Josè de Piedra Blanca gen Dieners Gottes José Gregorio Hernández Der entsprechende Seligsprechungsprozess (Argentinien); gestorben am 10. Januar 1883 in Cisneros, Laie; geboren am 26. Oktober 1864 in war bereits 1942 eingeleitet worden, zog sich La Posta de El Suncho (Argentinien); Isnotú (Venezuela); gestorben am 29. Juni 1919 in aber wegen Unklarheiten immer wieder in die Caracas (Venezuela); Länge. Zur Anerkennung als Wunder gereichte – das Martyrium der Dienerin Gottes Maria nun ein Ereignis im brasilianischen Jundiai. Ein Laura Mainetti (mit bürgerlichem Namen: Te- dort lebendes junges Paar aus der Laien-Vereini- resina Elsa), Professschwester der Kongregation gung der Salvatorianer wurde 2014 von mehre- des weiblichen Zweigs, der Kongregation der der Töchter des Kreuzes, Schwestern des heiligen ren Fachärzten darüber informiert, dass ihr noch Schwestern vom Göttlichen Heiland (Salvatoria- Andreas; geboren in (Italien) am 20. Au- ungeborenes Kind an Skelettdysplasie, einer un- nerinnen). Er organisierte auch Gruppen von gust 1939; ermordet aus Glaubenshass in Chia- heilbaren Knochenerkrankung, leide. Nachdem Laien, um sie für die Verkündigung der Kirche venna (Italien) am 6. Juni 2000; die Eltern zu P. Jordan für ihr Kind beteten, kam auszubilden. Er starb am 8. September 1918 in Ta- – den heroischen Tugendgrad der Dienerin es an dessen Todestag (8. September) gesund zur fers in der Schweiz. Gottes Gloria María de Jesús Elizondo García Welt. Das Aufgabengebiet der Salvatorianer ist weit Auf dem Weg zur Seligsprechung: Die italieni- (mit bürgerlichem Namen: Esperanza), General- Johann Baptist Jordan, der später den Ordens- und reicht von Schulen, Pfarren, Erziehung, der sche Ordensfrau Maria Laura Mainetti wurde oberin der Kongregation der »Misioneras Cate- namen Franziskus Maria vom Kreuze annahm, Leitung von Exerzitien oder dem Einsatz in im Jahr 2000 im Alter von 60 Jahren von drei quistas de los Pobres«; geboren am 26. August stammte aus Gurtweil im Schwarzwald, das zur Spitälern und in der Mission bis hin zur Seelsorge jungen Frauen bei einem satanistischen Ritual 1908 in Durango (Mexiko); gestorben in Monter- Erzdiözese Freiburg gehört. Nach seiner Priester- für Familien, Militär und Künstler. Die Zusam- mit 19 Messerstichen getötet. rey (Mexiko) am 8. Dezember 1966. weihe am 21. Juli 1878 wurde er nach Rom ge- menarbeit mit Laien wird großgeschrieben.