BRGÖ 2017 Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs

Gerwin HAYBÄCK, Erinnerung an einen überragenden Romanisten   M  

Remembering an outstanding scholar of Roman law: On the 20th anniversary of Max Kaser’s death Max Kaser, one of the leading 20th century professors of Roman law, who was gifted with enormous creative power and discipline, wrote fundamental books on Roman private law, Roman civil procedure, and Roman legal history. He furthered the career of numerous students who were fluent in the Latin language and ambitious in their scholar- ship. Living up to his motto: Nulla dies sine paginis – no day without scholarly pages, he managed to take up a well- defined and deliberate position in the conflict between ‘Pandectistic studies’ and ‘interpolation hunt’. When, during the 3rd Reich, Roman law came under pressure, Kaser showed firmness of character. In his books, he dealt with the influence and mediating role Roman law has had from antiquity up to now. Keywords: classical education – Max KASER – programmatic damnation – Roman civil procedure – Roman legal history – Roman private law

Als am 13. Jänner 1997 Max Kaser in Ain- in gewohntem Eifer auch in hohem Alter als ring/Bayern verstarb, erlosch, wie sein Schüler Motor seiner körperlichen wie geistigen Frische Rolf Knütel in Würdigung dieser einzigartigen diente. Bereits an dieser Stelle sei zu seinem Persönlichkeit der europäischen Wissenschaft Arbeitsschwerpunkt angemerkt, dass Kaser wie festhielt, der letzte Stern des großen Dreigestirns kein anderer sein juristisches Ingenium in den (Wolfgang Kunkel, Franz Wieacker und ihm), Dienst der Romanistik stellte.2 von dessen Strahlkraft seit der frühen Mitte des Er machte sich dabei grundlegend mit großer 20. Jh. der Glanz der Wissenschaft vom römi- Freude und Akribie und auf die nur ihm eigene schen Recht ausging.1 Art und Weise mit dem römischen Rechtsden- Max Kaser war in der Tat eine Ausnahmeer- ken vertraut, wie es im Corpus iuris civilis Justi- scheinung – vor allem im Hinblick auf seine nians erhalten ist, mit der bemerkenswerten schier unermüdliche Schaffenskraft. Dazu er- Folge, dass schon zu seinen Lebzeiten ein fun- kannte man bis in die späten Lebensjahre in ihm damentales Werk für die Forschung im römi- eine ebenso humane und konziliante wie schen Recht entstanden war. Das bezeugen seine freundliche Persönlichkeit. Er war von einem grundlegenden Arbeiten, vor allem zum Römi- auf das ganze Leben ausstrahlenden, andere schen Privat- und Zivilprozessrecht, aber auch Bereiche quasi überlagernden Berufsethos ge- zur Glaubwürdigkeit und Methodologie der prägt. Dieses kulminierte in der (nicht jeder- römischen Rechtsquellenforschung oder zur mann eigenen) Haltung, wonach weiterarbeiten Rechtsgeschichte. Kasers Faszination vom römi-

  KNÜTEL, Max Kaser 3. GIARO, Max Kaser 232.

https://doi.org/10.1553/BRGOE2017-1s82 Erinnerung an einen überragenden Romanisten 83 schen Recht beruhte nicht zuletzt auf seiner in methodischer Hinsicht gleichwohl evident.8 Einsicht in die Mittlerrolle des römischen Rechts Das bestätigt auch , wenn er fest- und seinen inneren Gehalt, das dank einzigarti- hält, dass Kaser in methodologischer Hinsicht ger Begabung des römischen Volkes im klassi- mit seinem Glauben, dass die Wahrheit „in der schen Zeitalter (1.–3. Jh.) zu höchster Vollen- Mitte“ liegt, dem „gesunden Mittelmaß“ folgte, dung entwickelt und im späteren Mittelalter hingegen den Subtilitäten der rechtshistorischen und der frühen Neuzeit zur gemeinsamen Hermeneutik misstraute.9 In Wahrheit ging es Grundlage der Rechtsordnung am europäischen Kaser, von ihm selbst auf den Punkt gebracht, Kontinent wurde.3 Dabei wurde es dem Roma- darum, die überlieferten Texte durch unvorein- nisten Kaser, der in jeder wissenschaftlichen genommene, sorgfältige Analyse auf ihre klassi- Problemlösung Prägnanz im Ausdruck, feinge- sche Substanz und ihre möglichen späteren schliffenen Stil, strenge Ordnung der Gliede- Schicksale zu prüfen.10 rung und gründliche Stoffbeherrschung zeigte, Kaser, der in seiner Bearbeitung des Rechtsstoffs nicht leicht gemacht, wurde er doch „in die kein Exeget, sondern Dogmatiker, kein Kasuist, Zwickmühle des Pandektismus und der Interpo- sondern, wie gesagt, Systematiker war, kommt lationenjagd“ geradezu hineingeboren.4 das bleibende Verdienst zu, dass seine Darstel- So bemühte er sich noch lange, sich von den lung des römischen Rechts neben dem klassi- erstarrten Methoden der Pandektistik einerseits schen auch die Eigenart des archaischen und des und der traditionellen Interpolationenkritik nachklassischen Rechts würdigt. Aus diesem andererseits freizumachen.5 Die Historische Grund kann seine wohl als die am stärksten Rechtsschule, die kein rechtsgeschichtliches, historisch akzentuierte aller Gesamtdarstellun- sondern ein dogmatisches Ziel verfolge, verdie- gen angesehen werden.11 Soweit nur eine Mo- ne ihren Namen nur teilweise.6 Die Pandektistik mentaufnahme seiner komplexen Position in der wiederum sei geradezu oft geschichtswidrig,7 Mitte traditionell unterschiedlicher Denkrich- ihre Dogmatik aber für die Erforschung des tungen innerhalb des römischen Rechts! römischen Rechts unverzichtbar. Dass die Inter- Woher kommt so ein großer Geist? Kasers väter- polationenkritik viele Unechtheiten zutreffend liche Vorfahren waren Beamte, Juristen und festgestellt habe, zum Teil aber die Textkritik Ärzte aus dem salzburgisch-oberösterreichi- durch eine mechanische Handhabung wirkli- schen Raum. Über seinen Vater, den späteren cher oder vermeintlicher Indizien übertrieb, war Grazer Ordinarius für mittlere und neuere Ge- für den „Systematiker“ Kaser mit seiner „aristo- schichte, Kurt Kaser, reflektierte der Sohn „in telischen Mittelposition“ (nicht nur, aber auch) unwandelbarer Liebe und in tiefer Dankbar- keit“, dass der Vater in ihm die Neigung zur historischen Forschung erweckt und ihm die

 Diese treffende Formulierung wählte Kaser   Wege zum Verständnis geschichtlicher Zusam-       anlässlich des 350-jährigen Be- menhänge gewiesen hatte.12 Die Vorfahren der stands       !"  in sei- Mutter waren Offiziere und Künstler aus dem nem Beitrag: KASER, Dr. jur. Max Kaser 173. # alten Österreich, die Mutter Eugenie Kaser (geb. GIARO, Max Kaser 233.  KASER, Studien zum römischen Pfandrecht 60; DERS., & Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenme- Vgl dazu WALDSTEIN, Max Kasers Beitrag. ' thode 145f. GIARO, Max Kaser 241 m.w.N. $  KASER, Römischer Anteil 338; DERS., Römisches So KASER, Selbstdarstellung 135.  Recht als Gemeinschaftsordnung 7. Vgl GIARO, Max Kaser 236. %  KASER, Gegenwartsbedeutung 153. KASER, Restituere als Prozeßgegenstand XII. 84 Gerwin HAYBÄCK

Michinowski) war die Tochter des Generalma- „durch seine umfassenden Kenntnisse und sein jors Franz Michinowski. Ihr in erster Linie dürfte wohlabgewogenes Urteil in zahlreichen Streit- der junge Max seine Musikalität zu verdanken fragen ein leuchtendes Vorbild.“16 haben. Schon als Knabe spielte er ausgezeichnet Auf Empfehlung Steinwenters ging Kaser 1929 Cello im Orchester, etwa bei Konzerten, die Max mit einem Stipendium des Unterrichtsministeri- Reinhardt im Schloss Leopoldskron (Salzburg) ums zu dessen Lehrer nach gab. Zudem spielte er in seinen Münsteraner München (Institut für Papyrusforschung und Jahren mit Kollegen Quartett. Und noch als antike Rechtsgeschichte). Sein weiterer Berufs- (vielbeschäftigter) Erwachsener besuchte er zum weg führte ihn nach Vorlesungstätigkeit in Ausgleich für seine kräfteraubende geistige Ar- Frankfurt am Main (im Wintersemester 1929/30) beit gerne klassische Konzerte. zu nach Gießen, wo er sich neben Geboren wurde Max Kaser in Wien am 21. April weiteren Studien im römischen Recht intensiv in 1906, also knapp 2700 Jahre nach dem legendä- das deutsche bürgerliche Recht einarbeitete und ren Gründungsdatum Roms (21. April 753 1931 für „Römisches Recht und vergleichendes v.Chr.), wie es der Polyhistor Marcus Terentius bürgerliches Recht“ habilitierte. Bereits zwei Varro errechnete.13 Das mag man als Fügung des Jahre später, im Oktober 1933, also im zarten Schicksals betrachten, jedenfalls stellt es eine Alter von 27 Jahren, wurde Kaser zum ordentli- glückliche Koinzidenz mit seiner zeitlebens chen Professor für Bürgerliches Recht und Rö- empfundenen Liebe zum römischen Recht dar. misches Recht an der Universität Münster er- Als seine „eigentliche Heimatstadt“ sah Kaser nannt. Sowohl seine Dissertation (1932) als auch „das schöne und von mir stets besonders gelieb- seine Habilitationsschrift (1935) erschienen im te “ an.14 In Salzburg besuchte er das Aka- Rahmen der „Münchener Beiträge zur Papyrus- demische Gymnasium in den vier Schuljahren forschung und antiken Rechtsgeschichte“ im von 1916 bis 1917 und 1919 bis 1922. An dieser renommierten Verlag C.H. Beck.17 „ausgezeichneten Anstalt“ habe er, wie er 1967 1933 lernte er auch seine väterlicherseits aus bekannte, „die Grundlagen meiner humanisti- Westfalen, mütterlicherseits aus Pommern schen Bildung empfangen“.15 Im Schuljahr 1918– stammende Frau Erna Lehnig kennen, die er 19 war er mit seiner Familie in Czernowitz noch Ende desselben Jahres ehelichte. In ihr sah [Tscherniwzi, Cernui, Czerniowce] (Bukowi- er „den größten Glücksfall meines Lebens“, na), wo er das dortige Deutsche Gymnasium bewährte sich doch „unsere österreichisch- (Christliche Abteilung) besuchte. Die beiden norddeutsche Verbindung“ in „vollkommener letzten Klassen verbrachte er im Grazer Akade- Harmonie“.18 Sie schenkte ihm seinen Sohn mischen Gymnasium, in welchem er 1924 mit Wolfgang und seine Tochter Eva Gerda und ein besten Zensuren maturierte. In Graz begann er harmonisches Familienleben, das „freilich allein auch das Studium der Rechte und hörte Vorle- noch keine Zeile hervorbringt“. Seine Ehefrau sungen von Artur Steinwenter, den Kaser später erwies sich jedenfalls als aufopferungsvolle und im eigentlichen Sinn als seinen wissenschaftli- unentbehrliche Begleiterin, indem sie von ihrem chen Lehrer betrachtete. Ihm verdankte er viel Mann alles, vor allem Organisatorisches (bis hin und mit ihm war er bis zu dessen Tod 1959 vä- terlich befreundet. Steinwenter wurde ihm $ KASER, Selbstdarstellung, 136; Zum Nachruf auf seinen einflussreichen Lehrer s. KASER, In memoriam.  KNÜTEL, Max Kaser 3, Anm 2. Artur Steinwenter. # % KASER, Selbstdarstellung, 135. MEDICUS, Max Kaser 447.  & KASER, Dr. jur. Max Kaser 172. KASER, Selbstdarstellung 136 Erinnerung an einen überragenden Romanisten 85 zur Steuererklärung) fernhielt, was seine Arbeit Bekanntlich stand die NS-Führung dem römi- hätte stören können. „Ohne diese häusliche At- schen Recht und dem von diesem inspirierten mosphäre von behüteter Ruhe wäre der Erfolg BGB ablehnend bis feindlich gegenüber. Dieses nicht möglich gewesen.“19 überaus angesehene Gesetzbuch erhielt, wie Dazu bedurfte Kaser aber noch weiterer wert- Hans-Detlev Heller kürzlich festhielt, wenig voller Tugenden und Eigenschaften. So verfügte später von den Nationalsozialisten das Etikett, er über einen permanenten, unbändigen und dass es „der materialistischen Weltordnung staunenswerten Arbeitseifer, strikte Disziplin dienend“ und „römisch“ sei, weshalb es nach und eine von Natur aus gute Gesundheit, die den Vorstellungen der NSDAP durch etwas ihm glücklicherweise beschieden war und sich Besseres ersetzt werden sollte.23 Bei diesem bei seinem erheblichen Arbeitspensum als un- „Besseren“ handelte es sich um die Arbeit am verzichtbar erwies. Hervorzuheben sind ferner (Deutschen) Volksgesetzbuch (VGB), welches seine klare, schlichte und im Ausdruck prägnan- das BGB ersetzen sollte. Am VGB arbeiteten te Sprache, sein phänomenales Gedächtnis und Juristen des Dritten Reichs im Rahmen der sein Einfühlungsvermögen in fremde Sprachen. „Akademie für Deutsches Recht“ seit 1939, wo- Die stets auf die Sache konzentrierte wissen- bei es auch zu einem an das Programm der schaftliche Bearbeitung hielt er frei von Weit- NSDAP angenäherten Entwurf kam. Die Fertig- schweifigkeit, da diese ihm zuwider war; Vor- stellung wurde schließlich auf das Kriegsende sicht und Zurückhaltung im Ausdruck waren vertagt.24 ihm wichtig.20 Die programmatische Verdammung des römi- Geprägt durch Erfahrungen aus der Zeit der NS- schen Rechts durch die neuen politischen Herrschaft, die er als „Unkultur“ bezeichnete, Machthaber veranlassten Kaser, mit fundierten stand er dem „politischen Geschäft“ distanziert wissenschaftlichen Argumenten aufzuzeigen, gegenüber. Die Lage spitzte sich zu, als Kaser ab dass diese Angriffe jeder sachlichen Grundlage April 1937 als Dekan der Juristischen Fakultät entbehrten. Er tat dies in seiner (bereits erwähn- der Universität Münster heikle Aufgaben zu ten, 1939 erschienenen) Schrift „Römisches erfüllen hatte, die er geschickt und ohne Anbie- Recht als Gemeinschaftsordnung“, in der er die derung an das Regime meisterte. Kaser war in Frage aufwarf, ob dieses Recht den Vorwurf Münster bei weitem der jüngste unter den Ordi- eines „einseitigen Individualismus“ verdiene. narien, „doch brachten mir die Kollegen, die im Kaser verdeutlicht darin, dass dem ius vitae ganzen einer konservativen Grundhaltung zu- necisque (Recht über Leben und Tod) des Pater- neigten, Vertrauen entgegen.“21 Diese günstigen familias und des Patrons immerhin die Be- Umstände an der Universität Münster, auf deren schränkungen durch die Sittenrechtsprechung ideologische Ausrichtung das neue „Reichs- und der Zensoren und später durch das philoso- Preußische Ministerium“ keinen besonderen phisch beeinflusste Kaiserreich entgegenwirk- Wert legte, führten dazu, dass in den Vorschlä- ten. Eine unkontrollierte, willkürliche und gegen gen für die anstehenden Neubesetzungen „kon- die Sitte verstoßende Ausübung dieser Gewalt servative Kräfte von möglichst hoher fachlicher konnte in Anbetracht des erheblichen Risikos Kompetenz gewonnen wurden.“22 und zu gewärtigender Sanktionen de facto nur

'  MEDICUS, Max Kaser 451. HELLER, Zivilrechtsgesetzgebung im Dritten Reich  MEDICUS, Max Kaser 451f. 26.  # KASER, Selbstdarstellung 139. Näheres BRÜGGEMEIER, Oberstes Gesetz 24; HAT-  Ebd. TENHAUER, NS-Volksgesetzbuch, 255. 86 Gerwin HAYBÄCK die Ausnahme sein. Im Ergebnis zeigte sich so- „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge- mit, dass die Funktion des Hausvaters auf die schichte/Romanistische Abteilung“; später (ab verantwortungsbewusste Leitung des Hauses in 1954) fungierte er auch als deren Mitherausge- der Frühzeit im alten Hausverband beschränkt ber. Seinen Einsatz für diese bedeutende und war. „Jede Willkür, jeder Missbrauch seiner einflussreiche Fachzeitschrift belegen zahlreiche Machtstellung und jedes gemeinschaftswidrige dogmatisch anspruchsvolle, in die Tiefe gehende Verhalten gegen die Hausgenossen unterwirft Aufsätze, aber auch diverse Rezensionen und ihn strenger sakraler Sühne.“25 Beiträge in dieser politisch unruhigen Zeit, so Als zweites Beispiel für seine These, wonach das etwa die umfänglichen Beiträge „Die Geschichte römische Recht in Wahrheit keineswegs rein der Patronatsgewalt über Freigelassene“28, „Mo- individualistisch geprägt war, führt Kaser über- res maiorum und Gewohnheitsrecht“29, „Rechts- zeugend die auf außerrechtlichen Bindungen widrigkeit und Sittenwidrigkeit im klassischen beruhende einzigartige Machtstellung des Sena- römischen Recht“30 oder „Der altgriechische tes an, dessen politische und wirtschaftliche Eigentumsschutz“31. Dazu kommt seine intensi- Autorität unbestritten war, obgleich sie primär ve Unterstützung im Rahmen der Förderung auf der ungeschriebenen Verfassung beruhte. Er junger Forscher, deren Beiträgen er oft „den folgert daraus, „dass dort, wo die Pflege des letzten Schliff“ gab.32 Gesamtwohles auf dem Spiele steht, die Bei Kriegsbeginn wurde Kaser zunächst wegen Rechtsmacht hinter der außerrechtlichen, von eines Herzleidens vom Soldatendienst zurück- der besten sittlichen Tradition getragenen Auto- gestellt, ab November 1943 jedoch zur Luftab- rität zurücktritt.“26 wehr (Flak) eingezogen und bald darauf nach Überzeugt vom einzigartigen Wert und von der Münster versetzt, wo er in einem Regimentsstab hervorragenden Bedeutung des römischen als Schreiber beschäftigt war. Glücklicherweise Rechts bemühte sich Kaser in einer Zeit, die dem durfte er an zwei Wochentagen an der Universi- römischen Recht wahrlich nicht günstig geson- tät Vorlesungen halten. Nach Kriegsende kam er nen war, um Betonung der Unerlässlichkeit in Kriegsgefangenschaft, die er in verschiedenen dieses Forschungsgebietes. Dass derartige Be- amerikanischen und französischen Lagern ver- mühungen unter den gegebenen politischen brachte, aus denen er 1946 entlassen wurde. Umständen im Jahre 1939 und vor allem danach Danach wurden ihm diverse Lehrstühle angebo- fruchtlos bleiben mussten, sollte sich erst später ten, die er jedoch zunächst ablehnte. Erst 1959 herausstellen. Kaser dürfte wohl gehofft haben, folgte Kaser einem Ruf nach , wo er das NS-Regime werde sich nicht halten können, 1971 emeritierte. Danach wurde er auf Initiative und es gelte deshalb, das Fach über die Zeit zu von Theo Mayer-Maly und Wolfgang Waldstein retten.27 Honorarprofessor an der Universität Salzburg. Auch in dieser schwierigen Phase engagierte Von dieser Schaffensperiode legen das weit über sich Kaser vorbildlich unter anderem als Autor Salzburg hinaus berühmte, international besetz- zahlreicher Beiträge für die deutschsprachige te Kaser-Seminar und die reichhaltige Kaser-

 KASER, Römisches Recht als Gemeinschaftsordnung & 10. KASER, Geschichte der Patronatsgewalt. $ ' KASER, Römisches Recht als Gemeinschaftsordnung KASER, Mores maiorum.  30 m.w.N. KASER, Rechtswidrigkeit und Sittenwidrigkeit. %  KNÜTEL, Max Kaser 9, 11, Anm. 28; mit Hinweis auf KASER, Altgriechischer Eigentumsschutz.  KOSCHAKER, Krise des römischen Rechts 85. MEDICUS, Max Kaser 1156. Erinnerung an einen überragenden Romanisten 87

Bibliothek (Universität Salzburg) heute noch sche, Spanische und Japanische) übersetzte Stu- Zeugnis ab. dienbuch nicht zugleich ebenso anspruchsvoller In der Zeit zwischen 1949 und 1966 war Kaser wie faszinierender Begleiter bei der Prüfungs- überaus produktiv, schuf er doch der Forschung vorbereitung! Jedenfalls war diesem – zeitlich zum römischen Privatrecht eine neue, zuverläs- aufwendigen! – Projekt, bei dem der Autor seine sige Grundlage. So entstanden im Rahmen des didaktischen Fähigkeiten gegenüber seinen Beck‘schen „Handbuchs der Altertumswissen- „Schülern“ (im weitesten Sinne des Wortes) schaft“ zunächst zwei Bände „Römisches Privat- eindrucksvoll unter Beweis stellte, durchschla- recht“ (1955 und 1959, in neu bearbeiteter gender Erfolg beschieden. 2. Auflage 1971 und 1975).33 In diesen stellte er Der Einfluss Kasers auf seine Schüler im enge- das Privatrecht in seinem „historischen Schick- ren Sinne war in ganz besonderer Art und Weise sal“ dar, zugleich aber berücksichtigte er auch akzentuiert. Diese warnte er stets vor vorschnel- verstärkt den Wandel, der sich aufgrund der ler Publikation nach dem Motto: Besser nichts mittlerweile erfolgten Neubewertung der spezi- statt Unvollkommenes.37 Auch wenn seine Schü- fisch juristischen Quellen bzw. durch eine ver- ler aktuell im geltenden Recht engagiert waren, änderte Einstellung zur Textkritik ergab. Dazwi- verloren sie die anfänglich durch ihren Mentor schen erschien der ihm als Ergänzung des Pri- geweckten rechtshistorischen Forschungsbestre- vatrechts unentbehrliche Band „Römisches Zi- bungen nie mehr ganz aus den Augen. Das trifft vilprozessrecht“ (1966). Er selbst bezeichnete etwa zu auf Dieter Medicus, den Kaser in Müns- diese Werke als „Kernstück meines Lebens- ter für die wissenschaftliche Arbeit im römi- werks“.34 schen Recht gewinnen konnte. Dass Medicus Schließlich wurde Kaser angeregt, den Inhalt durch seine rechtshistorischen Anfänge nachhal- der ersten beiden Bände des Handbuchs gerafft tig geprägt war, zeigte sich deutlich etwa in in Form eines Studienbuchs zugänglich zu ma- seinem Vortrag zum Bürgschaftsrecht, den er chen.35 Das Ergebnis dieser „Konzentration“ des anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorates Wesentlichen auf Lern- und Prüfungszwecke für der Juristischen Fakultät der Universität Re- Studierende erschien in der Reihe der gensburg 1999 hielt. Nicht zufällig kam Medicus Beck’schen Kurzlehrbücher als „Römisches Pri- dabei auf das Thema seiner Dissertation zum vatrecht“ ab 1960 und erreichte 16 Auflagen römischen Interzessionsverbot zurück.38 (ohne die Fortführung durch Rolf Knütel). Dass Umgekehrt bewährten sich die Schüler Kasers Kaser dieses Projekt nicht schon früher realisier- stets auch im geltenden Recht. Der eingangs te, obgleich es finanziell – im Hinblick auf den (neben Kunkel und Kaser) dem großen Dreige- zu erwartenden und später tatsächlich erreich- stirn zugerechnete Franz Wieacker betonte in ten beträchtlichen Umsatz – ein lukratives Un- seiner Laudatio, die er anlässlich des terfangen gewesen wäre, verdeutlicht, „wie 80. Geburtstags von Max Kaser am 23. April wenig Kaser in Honoraren gedacht hat“.36 Für 1986 in Salzburg hielt, eines der bedeutendsten wie viele Jus-Studenten in Österreich und in Verdienste des Jubilars liege darin, dass dieser Deutschland war dieses in zahlreiche Sprachen eine besonders große Zahl von Schülern unter- (darunter ins Englische, Niederländische, Finni- stützte, die sachlich korrekt und solide am römi- schen Recht arbeiteten, dass er aber keine „Schu- 33 KASER, Römisches Privatrecht. # Vgl. KASER, Selbstdarstellung 143f.  % Vgl. KASER, Selbstdarstellung 146. KNÜTEL, Max Kaser 28. $ & Näheres MEDICUS, Max Kaser 450. SCHIEMANN, Dieter Medicus †. 88 Gerwin HAYBÄCK le“ geschaffen habe, in der sie auf gewisse Theo- ausbildung zutreffend voraussah. Für Kaser rien oder bestimmte Lehrgebäude eingeschwo- kam es sehr darauf an, „dass auch künftig genü- ren worden seien.39 gend begabte und gebildete Juristen des Lateini- 1977 wurde Max Kaser mit dem Wilhelm- schen und des Griechischen in einem Maße teil- Hartel-Preis ausgezeichnet. Weitere Ehrungen haftig sind, das sie dazu befähigt, die antiken und hohe Auszeichnungen folgten, darunter der Quellen mit der Gründlichkeit und Genauigkeit Verdienstorden der Bundesrepublik Deutsch- zu lesen und auszudeuten, deren es zu ihrem land (Bundesverdienstkreuz), das Österreichi- vollständigen Verständnis bedarf.“42 Optimis- sche Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst tisch stimmt hier der Umstand, dass das römi- (1971) und das Goldene Ehrenzeichen des Lan- sche Recht nicht nur in den Institutionen zahl- des Salzburg (1986).40 Dazu verweisen zehn reicher Privatrechtsordnungen weiterlebt, son- Ehrendoktorate und elf Mitgliedschaften in wis- dern etwa auch in der Vorgangsweise und Be- senschaftlichen Akademien auf Kasers erhebli- griffsbildung der aufstrebenden Privatrechts- ches Echo in der Wissenschaft. Doch blieb er, vergleichung, wie das Beispiel der Unterschei- gerade im Glanz des Ruhms, immer bescheiden. dung zwischen Römischrechtlichen und Konti- Das erkannten nicht zuletzt seine zahlreichen nentalen Rechtsordnungen verdeutlicht.43 Schüler in Deutschland und Österreich, von Andererseits ist die an die „Klassische Philolo- denen er sieben selbst zur Habilitation führte: gie“ gerichtete Kritik Kasers nicht ganz von der Fritz Schwarz in Münster, Hans Hermann Seiler, Hand zu weisen, wonach es eine bedauerliche Frank Peters und Dieter Medicus in Hamburg, Tatsache sei, dass viele Latinisten das „Juristen- Hans Peter Benöhr in Frankfurt, Rolf Knütel in latein“ und seine spezifischen Quellen zum Bonn und Karl Hackl in Salzburg. Für sie und Nachteil auch für die philologische Erkenntnis zahlreiche weitere Schüler (darunter Andreas vernachlässigten. Die „Personalunion“ beider Wacke, Jens Peter Meincke, Karlheinz Misera Qualitäten bleibe darum für die Wissenschaft und – aus Linz – Marianne Meinhart und Peter vom Römischen Recht, in welchem einander Apathy), die Kaser durch Anregung und Bera- Jurisprudenz, Geschichte und alte Sprachen tung ebenfalls zu seinen Schülern rechnete und begegneten, ein unverzichtbares Postulat.44 mit denen er in persönlichem Kontakt verblieb, Besonders liebte Kaser Latein, für ihn eine le- war er stets ein geduldiger Ratgeber, dazu ein bende Sprache. In Anlehnung an den Satz von väterlicher Freund, mit dem sie ein starkes Ge- Plinius dem Älteren „Nulla dies sine linea!“, fühl innerer Dankbarkeit verband.41 „Kein Tag ohne Linie (oder wenigstens einen Hinsichtlich der weiteren Entwicklung der For- Pinselstrich)!“ meinte er: „Nulla dies sine pagi- schung im römischen Recht äußerte sich Kaser nis!“, „Kein Tag, ohne (wissenschaftliche) Sei- zum Teil kritisch: So verwies er einerseits auf ten!“45 Daran hat sich „der letzte reine Roma- die Bedeutung der für ihn unentbehrlichen his- nist“ bis in die späten Lebensjahre im bayeri- torischen Erkenntnis, andererseits auf das zu- nehmende Problem mangelnder philologischer

Sprachkompetenz, womit er die weitere Ent- # KASER, Selbstdarstellung 149. wicklung unter anderem auch in der Juristen- # RAINER, Europäisches Privatrecht 61. ## Vgl dazu KASER, Dr. jur. Max Kaser 172; DERS., ' Darüber berichtet KNÜTEL, Max Kaser 23. Selbstdarstellung 149. # # KNÜTEL, Max Kaser 33. KNÜTEL, Max Kaser 25 mit Hinweis auf Plinius der # KNÜTEL, Max Kaser †; KASER, Selbstdarstellung 147. Ältere, Naturalis historia (entstanden um 77 n.Chr.) Näheres zu seinen Schülern HACKL, Max Kaser. 35, 84. Erinnerung an einen überragenden Romanisten 89 schen Ainring, wo er am 13. Jänner 1997 ver- Abkürzungen: starb, tatsächlich gehalten.46 JuS Juristische Schulung Als eher scheuer bis ängstlicher Mensch interes- VGB Volksgesetzbuch sierte ihn der Auftritt in großer oder medial Siehe auch das allgemeine Abkürzungsverzeichnis: unterstützter Gesellschaft wenig, doch blühte er [http://www.rechtsgeschichte.at/files/abk.pdf] im kleinen Kreis auf, wie etwa in den Semina- ren, und pflegte persönliche Kontakte und Ge- spräche. Solange er noch Besucher in seiner im- Literatur: mer reicher gewordenen (später an die Universi- Gert BRÜGGEMEIER, Oberstes Gesetz ist das Wohl des tät Salzburg gegangenen) Bibliothek empfangen deutschen Volkes. Das Projekt des „Volksgesetz- konnte, versetzte er sie durch seine stets wache buches“, in: Juristenzeitung 45 (1990) 24–28. geistige Präsenz in Staunen. Jenen, die ihn erleb- Tomasz GIARO, Max Kaser (1906–1997), in: Rechtshis- ten, war klar, dass sein beeindruckendes Le- torisches Journal 16 (1997) 231–257. benswerk und seine vorbildliche Haltung gera- Karl HACKL, Max Kaser – Eine Kurzbiographie, http://www.uni-salzburg.at/index.php?id= de in schwierigen Zeiten es allen, insbesondere 28954&L=0. (abgerufen am: 8. 2. 2017). aber seinen Schülern, schwermachen würden, Hans HATTENHAUER, Das NS-Volksgesetzbuch, in: dem Vorbild auch nur einigermaßen nahezu- Arno BUSCHMANN u.a. (Hgg.), Festschrift Rudolf kommen.47 Gmür zum 70. Geburtstag (Bielefeld 1983) 255– 279. Gerwin HAYBÄCK, Univ.-Prof. Dr. Max Kaser. Der letzte reine Romanist, in: 400 Jahre Akademisches Korrespondenz: Gymnasium Salzburg 1617–2017 (Salzburg 2017) 128f. Prof. DDr. Gerwin HAYBÄCK Hans-Detlev HELLER, Die Zivilrechtsgesetzgebung im Universität Salzburg Dritten Reich. Die deutsche bürgerlich-rechtliche Fachbereich Arbeits- und Wirtschaftsrecht Gesetzgebung unter der Herrschaft des National- Churfürststraße 1 sozialismus – Anspruch und Wirklichkeit (Müns- 5020 Salzburg ter 2015). [email protected] ORCID Nr. 0000-0002-9425-0232 Max KASER, Der altgriechische Eigentumsschutz, in: ZRG RA 64 (1944) 134–205. Max KASER, Der römische Anteil am deutschen bür- gerlichen Recht, in: JuS 7 (1967) 337–344. Max KASER, Die Geschichte der Patronatsgewalt über Freigelassene, in: ZRG RA 58 (1938) 88–135. Max KASER, Dr. iur. Max Kaser, in: Festschrift 350 Jahre Akademisches Gymnasium Salzburg 1617– 1967 (Salzburg 1967) 172–173. Max KASER, Gegenwartsbedeutung des römischen Rechts, in: Labeo 18 (1972) 147–175. Max KASER, In memoriam. Artur Steinwenter, in: ZRG RA 76 (1959) 670–677. Max KASER, Mores maiorum und Gewohnheitsrecht, in: ZRG RA 59 (1939) 52–101. Max KASER, Rechtswidrigkeit und Sittenwidrigkeit im klassischen römischen Recht, in: ZRG RA 60 (1940) 95–150. #$ HAYBÄCK, Max Kaser. Max KASER, Restituere als Prozeßgegenstand. Die #% MEDICUS, Max Kaser 453; KNÜTEL, Max Kaser 23. Wirkungen der litis contestatio auf den Leistungs- stand im römischen Recht, (München ²1968). 90 Gerwin HAYBÄCK

Max KASER, Das Römische Privatrecht, 2 Bde., Bd. 1: Rolf KNÜTEL, Max Kaser 1906–1997, in: ZRG RA 115 Das altrömische, das vorklassische und klassische (1998) XVII–XLVIII. Recht; Bd. 2: Die nachklassischen Entwicklungen Paul KOSCHAKER, Die Krise des römischen Rechts und (= Handbuch der Altertumswissenschaft Abt. 10, die romanistische Rechtswissenschaft (München 3.3.1, München 1955/²1971, 1959/²1975). 1938). Max KASER, Römische Rechtsquellen und angewandte Dieter MEDICUS, Max Kaser, in: Juristen im Portrait. Juristenmethode (Wien–Köln–Graz 1986). Verlag und Autoren in 4 Jahrzehnten. Festschrift Max KASER, Römisches Recht als Gemeinschaftsord- zum 225jährigen Jubiläum des Verlages C.H.Beck nung (Wien 1939). (München 1988) 447. Max KASER, [Selbstdarstellung] in: Hermann BALTL, Dieter MEDICUS, Max Kaser zum 80. Geburtstag, in: Nikolaus GRASS, Hans C. FAUSSNER (Hgg.), Recht NJW 39 (1986) 1156. und Geschichte. Ein Beitrag zur österreichischen Michael RAINER, Europäisches Privatrecht. Die Gesellschafts- und Geistesgeschichte unserer Zeit. Rechtsvergleichung (Frankfurt am Main ²2007). Zwanzig Historiker und Juristen berichten aus ih- Gottfried SCHIEMANN, Dieter Medicus †, in: NJW 68 rem Leben (Sigmaringen 1990) 135–149. (2015) 2011. Max KASER, Studien zum römischen Pfandrecht Wolfgang WALDSTEIN, Max Kasers Beitrag zur Er- (Napoli 1982). kenntnislehre, in: ZRG RA 115 (1998) 203–213.