Erinnerung an Einen Überragenden Romanisten M
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BRGÖ 2017 Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs Gerwin HAYBÄCK, Salzburg Erinnerung an einen überragenden Romanisten M Remembering an outstanding scholar of Roman law: On the 20th anniversary of Max Kaser’s death Max Kaser, one of the leading 20th century professors of Roman law, who was gifted with enormous creative power and discipline, wrote fundamental books on Roman private law, Roman civil procedure, and Roman legal history. He furthered the career of numerous students who were fluent in the Latin language and ambitious in their scholar- ship. Living up to his motto: Nulla dies sine paginis – no day without scholarly pages, he managed to take up a well- defined and deliberate position in the conflict between ‘Pandectistic studies’ and ‘interpolation hunt’. When, during the 3rd Reich, Roman law came under pressure, Kaser showed firmness of character. In his books, he dealt with the influence and mediating role Roman law has had from antiquity up to now. Keywords: classical education – Max KASER – programmatic damnation – Roman civil procedure – Roman legal history – Roman private law Als am 13. Jänner 1997 Max Kaser in Ain- in gewohntem Eifer auch in hohem Alter als ring/Bayern verstarb, erlosch, wie sein Schüler Motor seiner körperlichen wie geistigen Frische Rolf Knütel in Würdigung dieser einzigartigen diente. Bereits an dieser Stelle sei zu seinem Persönlichkeit der europäischen Wissenschaft Arbeitsschwerpunkt angemerkt, dass Kaser wie festhielt, der letzte Stern des großen Dreigestirns kein anderer sein juristisches Ingenium in den (Wolfgang Kunkel, Franz Wieacker und ihm), Dienst der Romanistik stellte.2 von dessen Strahlkraft seit der frühen Mitte des Er machte sich dabei grundlegend mit großer 20. Jh. der Glanz der Wissenschaft vom römi- Freude und Akribie und auf die nur ihm eigene schen Recht ausging.1 Art und Weise mit dem römischen Rechtsden- Max Kaser war in der Tat eine Ausnahmeer- ken vertraut, wie es im Corpus iuris civilis Justi- scheinung – vor allem im Hinblick auf seine nians erhalten ist, mit der bemerkenswerten schier unermüdliche Schaffenskraft. Dazu er- Folge, dass schon zu seinen Lebzeiten ein fun- kannte man bis in die späten Lebensjahre in ihm damentales Werk für die Forschung im römi- eine ebenso humane und konziliante wie schen Recht entstanden war. Das bezeugen seine freundliche Persönlichkeit. Er war von einem grundlegenden Arbeiten, vor allem zum Römi- auf das ganze Leben ausstrahlenden, andere schen Privat- und Zivilprozessrecht, aber auch Bereiche quasi überlagernden Berufsethos ge- zur Glaubwürdigkeit und Methodologie der prägt. Dieses kulminierte in der (nicht jeder- römischen Rechtsquellenforschung oder zur mann eigenen) Haltung, wonach weiterarbeiten Rechtsgeschichte. Kasers Faszination vom römi- KNÜTEL, Max Kaser 3. GIARO, Max Kaser 232. https://doi.org/10.1553/BRGOE2017-1s82 Erinnerung an einen überragenden Romanisten 83 schen Recht beruhte nicht zuletzt auf seiner in methodischer Hinsicht gleichwohl evident.8 Einsicht in die Mittlerrolle des römischen Rechts Das bestätigt auch Tomasz Giaro, wenn er fest- und seinen inneren Gehalt, das dank einzigarti- hält, dass Kaser in methodologischer Hinsicht ger Begabung des römischen Volkes im klassi- mit seinem Glauben, dass die Wahrheit „in der schen Zeitalter (1.–3. Jh.) zu höchster Vollen- Mitte“ liegt, dem „gesunden Mittelmaß“ folgte, dung entwickelt und im späteren Mittelalter hingegen den Subtilitäten der rechtshistorischen und der frühen Neuzeit zur gemeinsamen Hermeneutik misstraute.9 In Wahrheit ging es Grundlage der Rechtsordnung am europäischen Kaser, von ihm selbst auf den Punkt gebracht, Kontinent wurde.3 Dabei wurde es dem Roma- darum, die überlieferten Texte durch unvorein- nisten Kaser, der in jeder wissenschaftlichen genommene, sorgfältige Analyse auf ihre klassi- Problemlösung Prägnanz im Ausdruck, feinge- sche Substanz und ihre möglichen späteren schliffenen Stil, strenge Ordnung der Gliede- Schicksale zu prüfen.10 rung und gründliche Stoffbeherrschung zeigte, Kaser, der in seiner Bearbeitung des Rechtsstoffs nicht leicht gemacht, wurde er doch „in die kein Exeget, sondern Dogmatiker, kein Kasuist, Zwickmühle des Pandektismus und der Interpo- sondern, wie gesagt, Systematiker war, kommt lationenjagd“ geradezu hineingeboren.4 das bleibende Verdienst zu, dass seine Darstel- So bemühte er sich noch lange, sich von den lung des römischen Rechts neben dem klassi- erstarrten Methoden der Pandektistik einerseits schen auch die Eigenart des archaischen und des und der traditionellen Interpolationenkritik nachklassischen Rechts würdigt. Aus diesem andererseits freizumachen.5 Die Historische Grund kann seine wohl als die am stärksten Rechtsschule, die kein rechtsgeschichtliches, historisch akzentuierte aller Gesamtdarstellun- sondern ein dogmatisches Ziel verfolge, verdie- gen angesehen werden.11 Soweit nur eine Mo- ne ihren Namen nur teilweise.6 Die Pandektistik mentaufnahme seiner komplexen Position in der wiederum sei geradezu oft geschichtswidrig,7 Mitte traditionell unterschiedlicher Denkrich- ihre Dogmatik aber für die Erforschung des tungen innerhalb des römischen Rechts! römischen Rechts unverzichtbar. Dass die Inter- Woher kommt so ein großer Geist? Kasers väter- polationenkritik viele Unechtheiten zutreffend liche Vorfahren waren Beamte, Juristen und festgestellt habe, zum Teil aber die Textkritik Ärzte aus dem salzburgisch-oberösterreichi- durch eine mechanische Handhabung wirkli- schen Raum. Über seinen Vater, den späteren cher oder vermeintlicher Indizien übertrieb, war Grazer Ordinarius für mittlere und neuere Ge- für den „Systematiker“ Kaser mit seiner „aristo- schichte, Kurt Kaser, reflektierte der Sohn „in telischen Mittelposition“ (nicht nur, aber auch) unwandelbarer Liebe und in tiefer Dankbar- keit“, dass der Vater in ihm die Neigung zur historischen Forschung erweckt und ihm die Diese treffende Formulierung wählte Kaser Wege zum Verständnis geschichtlicher Zusam- anlässlich des 350-jährigen Be- menhänge gewiesen hatte.12 Die Vorfahren der stands !" in sei- Mutter waren Offiziere und Künstler aus dem nem Beitrag: KASER, Dr. jur. Max Kaser 173. # alten Österreich, die Mutter Eugenie Kaser (geb. GIARO, Max Kaser 233. KASER, Studien zum römischen Pfandrecht 60; DERS., & Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenme- Vgl dazu WALDSTEIN, Max Kasers Beitrag. ' thode 145f. GIARO, Max Kaser 241 m.w.N. $ KASER, Römischer Anteil 338; DERS., Römisches So KASER, Selbstdarstellung 135. Recht als Gemeinschaftsordnung 7. Vgl GIARO, Max Kaser 236. % KASER, Gegenwartsbedeutung 153. KASER, Restituere als Prozeßgegenstand XII. 84 Gerwin HAYBÄCK Michinowski) war die Tochter des Generalma- „durch seine umfassenden Kenntnisse und sein jors Franz Michinowski. Ihr in erster Linie dürfte wohlabgewogenes Urteil in zahlreichen Streit- der junge Max seine Musikalität zu verdanken fragen ein leuchtendes Vorbild.“16 haben. Schon als Knabe spielte er ausgezeichnet Auf Empfehlung Steinwenters ging Kaser 1929 Cello im Orchester, etwa bei Konzerten, die Max mit einem Stipendium des Unterrichtsministeri- Reinhardt im Schloss Leopoldskron (Salzburg) ums zu dessen Lehrer Leopold Wenger nach gab. Zudem spielte er in seinen Münsteraner München (Institut für Papyrusforschung und Jahren mit Kollegen Quartett. Und noch als antike Rechtsgeschichte). Sein weiterer Berufs- (vielbeschäftigter) Erwachsener besuchte er zum weg führte ihn nach Vorlesungstätigkeit in Ausgleich für seine kräfteraubende geistige Ar- Frankfurt am Main (im Wintersemester 1929/30) beit gerne klassische Konzerte. zu Otto Eger nach Gießen, wo er sich neben Geboren wurde Max Kaser in Wien am 21. April weiteren Studien im römischen Recht intensiv in 1906, also knapp 2700 Jahre nach dem legendä- das deutsche bürgerliche Recht einarbeitete und ren Gründungsdatum Roms (21. April 753 1931 für „Römisches Recht und vergleichendes v.Chr.), wie es der Polyhistor Marcus Terentius bürgerliches Recht“ habilitierte. Bereits zwei Varro errechnete.13 Das mag man als Fügung des Jahre später, im Oktober 1933, also im zarten Schicksals betrachten, jedenfalls stellt es eine Alter von 27 Jahren, wurde Kaser zum ordentli- glückliche Koinzidenz mit seiner zeitlebens chen Professor für Bürgerliches Recht und Rö- empfundenen Liebe zum römischen Recht dar. misches Recht an der Universität Münster er- Als seine „eigentliche Heimatstadt“ sah Kaser nannt. Sowohl seine Dissertation (1932) als auch „das schöne und von mir stets besonders gelieb- seine Habilitationsschrift (1935) erschienen im te Graz“ an.14 In Salzburg besuchte er das Aka- Rahmen der „Münchener Beiträge zur Papyrus- demische Gymnasium in den vier Schuljahren forschung und antiken Rechtsgeschichte“ im von 1916 bis 1917 und 1919 bis 1922. An dieser renommierten Verlag C.H. Beck.17 „ausgezeichneten Anstalt“ habe er, wie er 1967 1933 lernte er auch seine väterlicherseits aus bekannte, „die Grundlagen meiner humanisti- Westfalen, mütterlicherseits aus Pommern schen Bildung empfangen“.15 Im Schuljahr 1918– stammende Frau Erna Lehnig kennen, die er 19 war er mit seiner Familie in Czernowitz noch Ende desselben Jahres ehelichte. In ihr sah [Tscherniwzi, Cernui, Czerniowce] (Bukowi- er „den größten Glücksfall meines Lebens“, na), wo er das dortige Deutsche Gymnasium bewährte sich doch „unsere österreichisch- (Christliche Abteilung) besuchte. Die beiden norddeutsche Verbindung“ in „vollkommener letzten Klassen verbrachte er im Grazer Akade- Harmonie“.18 Sie schenkte ihm seinen Sohn mischen Gymnasium, in welchem er 1924