DGV-Mitteilungen Nummer 36
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Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. Nummer 36 Mai 2006 ��������������������� �������������������� Einleitung So wie Konflikte eskalieren, indem eine kleine Gemeinheit mit ei- ner anderen beantwortet wird und diese wiederum mit einer etwas größeren, gibt es offenbar auch eine Eskalation im Bereich des Wün- schenswerten. Man sieht wie sich jemand anstrengt, eilt zu Hilfe, ein dritter sieht: da passiert etwas, einer vierter will nichts verpassen... Durch allerlei erfreuliche Wechselwirkungen ist die DGV genesen und zu ungeahnten Kräften erwacht. Der Umfang dieser Broschüre spricht für sich. Hier werden Debatten geführt über Fächer und die Dynamik ihrer Differenzierung und Integration (Völkerkunde und Volkskunde unter ihren verschiedenen Bezeichnungen) und The- men kommender Debatten, wie die über empirische Forschung und ethnologische Theoriebildung, die auf der nächsten DGV-Tagung im Mittelpunkt stehen soll, werden vorgeschlagen und erprobt. Zahl- reiche Gliederungen der DGV und ethnologische Einrichtungen aus sämtlichen deutschsprachigen Ländern berichten über ihre Aktivi- täten. Was hat diese Eskalation ausgelöst? In der vergangenen Vorstands- periode haben Jacqueline Knörr und Kathrin Föllner mit Ralph Or- lowski in der Geschäftsstelle die Mitgliederdatei und die Finanzen in Ordnung gebracht und Bettina Mann hat Sorge getragen, daß die DGV-Mitteilungen wieder erscheinen. Jetzt haben sich ein neuer Redakteur, Thomas Kirsch, ein neuer Referent für Öffentlichkeitsar- beit, Peter Finke, ein neuer RG/AG Koordinator, Bertram Turner mit der tatkräftigen Unterstützung von Martin Grimm in der Geschäfts- stelle ins Zeug gelegt. Die Mitglieder sehen, daß etwas passiert, die Institute beantworten Anfragen, schicken Berichte... Aktivität wird durch Aktivität beantwortet und auf einmal scheint es ringsum wie- der mehr Leben zu geben. Mir bleibt nur, jedem, der an seinem Platz ein bisschen gedreht und ein bisschen geschoben hat, und so dazu beigetragen hat, die DGV wieder in Schwung zu bringen, herzlich für seinen Einsatz zu dan- ken. Günther Schlee 1 Inhalt Schwerpunkt Einleitung 3 Thomas Hauschild: Volkskunde und Völkerkunde 4 Dorle Dracklé: Zur Ethnologie Europas in Deutschland 7 Karl Braun: „Das doppelte Lottchen” oder: DGV und dgv 9 Wolfgang Kaschuba: Fremde Nähe - nahe Fremde? 11 DGV-Interna Bericht über die DGV-Tagung 2005 14 Bericht über die DGV-Mitgliederversammlung 2005 16 Homepage, Newsletter und Mailingliste 17 Terminänderung Lastschrifteinzüge 17 Vorstand und Beirat 2005-2007 18 Rundschreiben zur Vorstandsnachfolge 2007-2009 19 DGV-Tagung 2007 Tagungsthema 20 call for workshops / call for papers 22 calls for papers der Arbeits- und Regionalgruppen der DGV 23 Kurzbericht über ein Vorbereitungstreffen 24 Berichte der Arbeits- und Regionalgruppen der DGV 25 Berichte aus den Instituten und Forschungseinrichtungen 41 Berichte aus den Museen 76 Förderung ethnologischer Forschung Fördermöglichkeiten der DFG in der Ethnologie 98 Das Förderportfolio der VolkswagenStiftung 100 Informationsportal und Öffentlichkeitsarbeit Fachinformationen für die Ethnologie - EVIFA 102 ethnOnet - Informationszentrale für Ethnologie 104 Freiburger Memorandum zur Zukunft der Regionalstudien 105 Impressum 108 2 Schwerpunkt Völkerkunde/Ethnologie und Volkskunde/Europäische Ethnologie - Ein spannungsreiches Verhältnis? Es ist kein grundsätzlich neues Thema. Über Die nachfolgenden Beiträ- Einleitung das Verhältnis von Volks- und Völkerkunde ge zielen darauf ab, die Dis- (respektive Empirische Kulturwissenschaft, kussion zum Verhältnis der Thomas Kirsch Ethnologie, Europäische Ethnologie, Kultur- Fächer für eine möglichst und Sozialanthropologie) wurde schon öf- breite Fachöffentlichkeit zu ters kontrovers diskutiert. Und doch zeichnet eröffnen. Die Autoren (Karl sich zur Zeit ein deutliches Interesse ab, die Braun, Dorle Dracklé, Tho- Beziehung zwischen diesen Fächern erneut mas Hauschild, Wolfgang auszuloten und Standortbestimmungen Kaschuba) waren gebeten vorzunehmen. So wurde bei einem Treffen worden, Stellungnahmen der Vertreter der deutschsprachigen Ethno- zu diesem Verhältnis zu formulieren, die logie-Institute in Berlin im Februar 2005 zur durchaus kontrovers bzw. von persönlichen Sprache gebracht, daß die beiden Fächer in Erfahrungen getragen sein können. Doch verstärktem Maße kooperieren sollten, die auch Sie möchten wir herzlich einladen, jeweilige Besonderheit der Fächer jedoch diese Beiträge zum Anlaß für Kommentare auch in ihrer Fachbezeichnung zum Aus- oder eigene Überlegungen zu nehmen. Zu druck kommen müsse. Und im jüngst an die diesem Zwecke ist auf der Website der „Virtu- DGV verschickten Reformentwurf der Fach- ellen Fachbibliothek Ethnologie” (EVIFA), bei kollegien der Deutschen Forschungsgemein- deren Mitarbeiter wir uns für die hilfreiche schaft (DFG) wird der Vorschlag formuliert, Kooperation bedanken, ein online-Forum Völkerkunde und Volkskunde in einer ge- geschaffen worden, so daß die Diskussion meinsamen Untergruppe des Fachkollegi- auch jenseits der hier abgedruckten Beiträge ums 106 zu führen. weitergeführt werden kann. Sei es aufgrund von Veränderungen in den Eine Auswahl der in diesem Diskussionsfo- von uns empirisch untersuchten Lebens- rum eingegangenen „Leserbriefe” soll in der welten, Verschiebungen im fachidentitären nächsten Ausgabe der DGV-Mitteilungen Selbstverständnis oder institutionellem veröffentlicht werden. Druck im Zuge universitärer Umstrukturie- rungen – an Gründen für rekapitulierende und doch zukunftsorientierte Blicke auf Ge- meinsamkeiten und Unterschiede der Fächer mangelt es nicht. Diskussionsforum: http://www.evifa.de/dgv-forum Schwerpunkt 3 Volkskunde und Unter diesen beschauli- gen wie Wilhelm Emil Mühlmann in einer Völkerkunde chen Bezeichnungen exis- rassenbiologisch orientierten Anthropologie tierten in der deutschen zusammen zu bringen. Nach dem zweiten Thomas Hauschild akademischen Landschaft Weltkrieg klafften die Fächer immer mehr in etwa einhundert Jahre hin- Methodologie und Objekt auseinander. durch zwei Fachtraditionen. Nach 1945 mobilisierte die Volkskunde umso Die eine bezog sich auf das intensiver das kritische Erbe. Hermann Bau- eigene Land, „Deutsche singer und seine Schule dekonstruierte Be- Volks- und Altertumskunde” griffe wie „Volk” und „Heimat”. Früh, bereits in hieß sie bisweilen auch. Die den 60er Jahren, wurde das nationalistische andere sollte kulturverglei- Erbe des Faches bloßgelegt, und Ina Maria chend und international arbeiten, aber nur Greverus benannte schon in den 1970er über die „Primitiven” – später „Naturvölker” Jahren, internationalen Gepflogenheiten genannt, dann „schriftlose Gesellschaften” entsprechend, das Frankfurter volkskundli- – und heute traut man sich langsam nicht che Institut um in „Institut für Europäische mehr, den Stämmen und den Kulturen der Ethnologie und Kulturanthropologie”. Sie Armut am Rande der Ökumene überhaupt propagierte systematische Felderhebun- noch einen Namen zu geben. Ausländischen gen, welche die klassische Volkskunde der Kollegen ist das manchmal schwer zu erklä- Atlanten, die Trachten- und Festforschung ren, denn sie haben schon lange ihre „Social weit hinter sich lassen und der stationären Anthropology” oder „Cultural Anthropolo- Feldforschung der Ethnologen anähneln. gy“ (in Großbritannien, USA, Skandinavien, Die Mehrheit des Faches blieb zunächst Indien), ihre „ethnologie” (in Frankreich), skeptisch und historisch-philologisch ge- ihre „Ethnographie/Cultural Anthropology” tönt. Nach und nach setzte sich jedoch die (in vielen Gebieten der ehemaligen Sowjet- europäisch-ethnologische oder auch sozio- union). Die Beziehungen gestalteten sich logische Tendenz immer weiter durch. Beide – aus der Sicht unserer heutigen Interessen Traditionen haben sich in den siebziger Jah- betrachtet – oftmals geradezu tragisch, als ren in offenen Gesprächen und Redeschlach- Geschichte verpaßter Begegnungen. ten arrangiert und voneinander gelernt. Im Jahre 1905, vor hundert Jahren, entstand Die Ethnologie konnte sich in der Nach- solch ein magischer Moment, als der „biolo- kriegszeit zunächst wohl stärker unter dem gische” Ethnologe Georg Thilenius in Ham- Schleier des Exotischen verstecken, darunter burg den auch vom Kulturwissenschaftler wurden einige kulturhistorische und ethno- Aby Warburg organisierten deutschen soziologische Ideen der 20er Jahre ebenso Volkskundlern eine Allianz in der Forschung gepflegt wie ein handfestes Telefonnetzwerk über europäische und nichteuropäische von Lehrstuhlinhabern und -inhaberinnen, Primitive vorschlug. Wichtige Vertreter der deren Lehrer sich noch gegenseitig die Per- Volkskunde, die sich eher im Umfeld der silscheine der Entnazifizierung hatten aus- historisch-philologischen Wissenschaften stellen müssen. Vor allem aber wandte man und der Germanistik herausgebildet hatte, sich der Feldforschung zu und bemühte sich konnten damit nicht viel anfangen, denn um eine analytische Perspektive im US-Stil bei ihren textkritischen Forschungen hatten der 1950er und 1960er Jahre. Ansätze zu sie bereits erkannt, daß z.B. Volkslieder nicht einer genuinen deutschen „Writing Culture”- authentisch-“primitiv” sind, sondern meist Debatte mit Hans Peter Duerr, Fritz Kramer aus der hohen Musikliteratur und Dichtung und Barbara Watson-Francke versandeten stammen. Den Nationalsozialisten gelang es zunächst. Die Bearbeitung des NS-Erbes be- kurzfristig, deutschnationale Volkskundler gann erst in den 1980er Jahren; kritische und und an „Hochkultur” interessierte Ethnolo- linke Fachvertreter und Fachvertreterinnen 4 Schwerpunkt