Drehli Robnik. Geschichtsästhetik und Afektpolitik: Staufenberg und der 20. Juli im Film 1948-2008. Wien: Turia und Kant Verlag, 2009. 238 S. ISBN 978-3-85132-557-7.
Reviewed by Peter I. Trummer
Published on H-Soz-u-Kult (June, 2010)
Wissenschaftliche Buchpublikationen zur fl‐ Ausgangspunkt ist dabei Gilles Deleuze‘ Film- mischen Repräsentation des Attentats am 20. Juli Philosophie mit seiner Unterscheidung von Bewe‐ 1944 sind rar. Grundlegend, auch für die Einord‐ gungs-Bild und Zeit-Bild. Gilles Deleuze, Logik des nung in die deutsche Erinnerungspolitik, ist im‐ Sinns, Frankfurt am Main 1993 (frz. Erstaufage mer noch Peter Reichel, Erfundene Erinnerung. 1969); ders., Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frank‐ Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, furt am Main 1989 (frz. Erstaufage 1983); ders., München 2004; vgl. die Rezension von Markus Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt am Main 1991 (frz. Roth, in: H-Soz-u-Kult, 11.08.2004 berlin.de/rezensionen/ fenberg bildet mit seinen schweren Verletzungen, 2004-3-093> (28.05.2010). Drehli Robniks Band dem Verlust des linken Auges, seiner rechten verspricht, diese Lücke für den Zeitraum von Hand und zweier Finger der linken Hand, in die‐ 1948 bis 2008 zu schließen. Im Einleitungsteil sem Kontext geradezu einen Prototyp der flmi‐ wird jedoch schnell deutlich, dass es Robnik um schen „Verkörperung einer Weise, in der Ge‐ viel mehr geht. Sein Blick richtet sich auf die Ge‐ schichte zu sein, einer Subjektivität von Ge‐ schichtsästhetik und von dieser her auf die Afekt‐ schichtlichkeit“ (S. 7). Drehli Robnik spürt in den politik der „Staufenberg-Filme“ und Dokumenta‐ betrachteten Filmen unter anderem die Zuord‐ tionen, „d.h., es geht um die Verzeitlichung der nung von Körperorganen zu den flmischen Stauf‐ Bilder, um die Art, wie diese Bilder Subjektivität fenberg-Figurationen auf, „die in den Inszenie‐ und Erfahrung als sich flmisch bildende Empfn‐ rungen der verkörperten, verzeitlichten und ge‐ dungen modulieren; und darum, wie in diesem je‐ schichtssinnträchtigen Subjektivität des Wider‐ weiligen Entwurf von Zeit und Subjektivität eine ständlers jeweils paradigmatisch werden“ (S.13). bildförmige Konzeption von Geschichte, Sozietät, Diese Zuordnung bildet auch das Leitmotiv für Politik als Perspektive zum Sinn wird.“ (S. 9f.) die folgenden Kapitel des Buches, so wird Stauf‐ fenberg als „ganz entscheidungsbefähigte Hand bzw. ganz denkende (räsonierende) Stirn“ in den H-Net Reviews beiden westdeutschen Spielflmen zum 20. Juli Preiss in „Der 20. Juli“ und Bernhard Wicki in „Es aus dem Jahr 1955 (Kapitel 1) dargestellt, als geschah am 20. Juli“, in den weiteren Rollen ihres „ganz Auge“ in den westdeutschen Fernsehpro‐ schauspielerischen Schafens. Die Herausarbei‐ duktionen von 2004 (Kapitel 3 und 4), als „ganz tung der beiden rollenbiografschen Karriere‐ Ohr“ in einigen Fernsehdokumentationen (Kapitel stränge bei Wolfgang Preiss, zum einen die der 5) und als „ganz Mund“ in der Darstellung durch NS-Ofziere, zum anderen die des verschwöreri‐ Tom Cruise in ‚Valkyrie’ (Kapitel 6) (S. 13). Das in schen Superhirns Dr. Mabuse in mehreren Filmen dieser Aufzählung ausgelassene zweite Kapitel von Fritz Lang, ist ein Gewinn und eröfnet Ansät‐ widmet sich den bisher nahezu unbeachteten ze für weitere, nicht zuletzt flmhistorische Studi‐ Darstellungen Staufenbergs in „Nebenrollen und en. Fritz Langs Mabuse-Filme entstanden zwi‐ Nebenflmen“ und bezieht somit ein wichtiges schen den 1920er- und den 1960er-Jahren und fal‐ Bindeglied der „Staufenberg-Filme“ ein. len somit sowohl in die prä- als auch die post-NS- Bereits im ersten Kapitel zur Doppelverfl‐ Zeit. Die aufschlussreiche Beschreibung der impli‐ mung des 20. Juli durch Falk Harnack und G. W. ziten und expliziten Hinweise auf den Holocaust Pabst zeigt sich wie bereichernd auch für den His‐ in den beiden frühen Filmen zum 20. Juli bildet toriker der „andere Blick“ von Drehli Robnik sein eine wichtige Verbindung zu den späteren Stauf‐ kann. So ist beispielsweise die Rolle des zeitge‐ fenberg-Filmen aus dem Gedenkjahr 2004. Das schichtlichen Kontextes zweier konkurrierender zweite Kapitel über Staufenberg in Nebenrollen deutscher Staaten für Entstehung und inhaltliche und Nebenflmen wirft einen Blick auf das „Film‐ Darstellungen in den Filmprojekten zum 20. Juli bild der Geschichte“ als „Bild seiner Zeit“ und be‐ nicht neu, Robniks Blick auf das Detail von Dialo‐ leuchtet dabei die verdeckte Präsenz des 20. Juli gen und flmischen Einstellungen enthält jedoch und Claus von Staufenbergs auf der internationa‐ innovative Denkanstöße, so die Frage nach den len Filmbühne. Die Nebenflme der Jahre zwi‐ impliziten Modellen eines neuen, post-nationalso‐ schen 1951 und 2009 bieten eine Reihe flmischer zialistischen Deutschland in den ja ebenfalls um Darstellungen Claus von Staufenbergs, die bisher Zuschauer hart konkurrierenden Filmen. Für die noch nicht eingehender untersucht wurden. Es ist zahlreichen Kontroversen um die beiden Filme zweifellos ein besonderes Verdienst von Drehli siehe Peter Trummer, Im Focus der Kamera: Der Robnik, mit diesem Kapitel eine erste umfassen‐ 20. Juli und die Brüder Staufenberg im Spielflm, dere Übersicht solcher Filmen zu liefern und so‐ in: Peter I. Trummer / Konrad Pfug (Hrsg.), Die mit Ansatzpunkte für weitere Forschungen zu bie‐ Brüder Staufenberg und der deutsche Wider‐ ten, auch wenn dies explizit nicht das Anliegen stand. Eine Bestandsaufnahme aus Sicht der histo‐ des Autors ist und eher in die von ihm in seiner risch-politischen Bildung, 2. erw. Auf., Stuttgart Einleitung als Ansätze einer „Kräuterbeetpfege“ 2009, S. 157-176. An manchen Stellen schlagen (S. 9) kategorisierten Forschungsinteressen fällt. Robniks Überlegungen und Entdeckungen beim Das dritte Kapitel konzentriert sich auf Jo Bai‐ „close reading“ der Filme allerdings in allzu spe‐ ers „Staufenberg“ aus dem Jahr 2004. Diesen Film kulative Wortspiele um, beispielsweise wenn er sieht Robnik im geschichtspolitischen Kontext ei‐ die Namen der jeweiligen Produktionsfrmen als nes „Revisionismus im ‚popular history‘-Diskurs Widerspiegelung unterschiedlicher republikani‐ in Deutschland seit den späten 1990er-Jahren: scher Vorstellungen in den Filmen interpretiert eine Universalisierung des Opferstatus, die auf (S. 63f.). Relativierung deutscher Tätergeschichte durch Äußerst gelungen ist dagegen wiederum, die Appropriierung der jüdischen Opfererfahrung Verortung der Staufenberg-Darsteller, Wolfgang hinaus läuft.“ (S. 107) – eine These, die man si‐ cherlich mit Blick auf das folgende vierte Kapitel
2 H-Net Reviews und besonders die Produktionen der Redaktion liegen die eindeutigen Stärken des Buches. An „Zeitgeschichte“ des ZDF unter Leitung von Guido mehr als einen Gedanken lässt sich für weiter Knopp diskutieren kann, die Robnik allerdings für führende Studien zur flmischen Repräsentation Jo Baiers Film von 2004 nicht überzeugend dar‐ des 20. Juli und des Widerstandes gegen den Nati‐ legt. Die Entheroisierung des zentralen Attentä‐ onalsozialismus kritisch anknüpfen. ters, Claus von Staufenberg, seine Darstellung als Familienvater und Ehemann, seine menschlichen – und eben nicht übermenschlichen – Züge unter‐ scheiden die Darstellung von denen der 1950er- Jahre und auch von den nach 2004 folgenden Fil‐ men deutlich. Der Hauptfgur Staufenberg aller‐ dings ein „postpolitisches Ethos“ (S. 113) zuzuwei‐ sen, wird der flmischen Darstellung nicht gerecht und überträgt eine Richtung in der Erinnerungs‐ politik, den deutschen Opferstatus über zu beto‐ nen (S. 115), auf eine Staufenberg-Darstellung, die gerade den Holocaust so deutlich wie nie zu‐ vor als ein auslösendes Motiv für das Attentat des 20. Juli 1944 darstellt. Umso überzeugender wird im folgenden Kapitel die Entwicklung der Ge‐ schichtsvermarktung in Form von „History-Doku‐ mentationen“ analysiert und der 20. Juli unter der Überschrift „The Birth of a Region“ in eine neue Dimension von europäischer Geschichtsschrei‐ bung eingeordnet (S. 130f.). Hier fndet sich auch eine, leider sehr kurz geratene, Einordnung des österreichischen geschichtspolitischen Umgangs mit dem 20. Juli, der eher als ein Nicht-Umgehen bezeichnet werden kann. Dabei entstand in Öster‐ reich bereits 1948 nach der Novelle „Der 20. Juli“ von Alexander Lernet-Holenia der erste deutsch‐ sprachige Spielflm zum Umsturzversuch („Das andere Leben“). Im abschließenden Kapitel zur Hollywood-Produktion „Valkyrie“ von 2008/9 ist es gerade der „österreichische Blick“ von Drehli Rob‐ nik, der so manche Überreaktion in Deutschland auf die Ankündigung der Hollywood-Produktion mit Tom Cruise als Claus von Staufenberg mit ei‐ ner scharfsinnigen Analyse erfasst. Im „besonderen Blick“ von Drehli Robnik, der Einbettung seiner Analyse in eine breite und de‐ tailreiche Sichtung der Filme zu Staufenberg und dem 20. Juli und der Verortung der Analyse im Rahmen der Filmphilosophie von Gilles Deleuze
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Citation: Peter I. Trummer. Review of Robnik, Drehli. Geschichtsästhetik und Afektpolitik: Staufenberg und der 20. Juli im Film 1948-2008. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. June, 2010.
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