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Dagmar Berghoff: Deutschlands Erste Miss Tagesschau

Dagmar Berghoff: Deutschlands Erste Miss Tagesschau

#18 / November 2011 / www.filmmuseum-.de

Dagmar Berghoff: Deutschlands erste Miss Tagesschau

Hans-Joachim Flebbe: „Ich kann nur Kino!“

Fatih Akin: Von Altona über Istanbul nach Wilhelmsburg Inhalt

4 PORTRAIT „Ich kann nur Kino!“ Ex-CinemaxX-Mann Hans-Joachim Flebbe über seine Pläne

Karl-Heinz Köpcke: 10 HAMBURGER FILMEMACHER Von Altona über Istanbul nach Wilhelmsburg In der Maske vor der Tagesschau Sein Werk ist ein einziger Heimatfilm: Fatih Akin

15 KINOLANDSCHAFT Um die eigene Achse gedreht und im Erdboden versunken Die Wiederauferstehung des Metropolis-Kinos

20 FILMGESCHICHTE Wie wirken Filme auf Kinder und Jugendliche? Der Hamburger Filmtest anno 1955

23 DREHORT HAMBURG Der große Coup des „Härtesten der Harten“ „Ein achtbarer Mann“ (1972)

26 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER Betzels Vorhänge – Das Rio in Horn

34 FILMGESCHICHTE „Ton ab … Ton läuft …!“ Vor 85 Jahren: Abschied von der Stummfilmzeit

36 FILMMUSEEN Studio Bendestorf steht vor dem Abriss Wichtiges Stück lokaler Filmkultur ist bedroht

Ausstellung in Bendestorf: John Lennon

38 FERNSEHGESCHICHTE Das „Virtuelle Fernsehmuseum“ nach dem „Relaunch“

46 BUCHBESPRECHUNG „In and Out of War“ Hamburger Kinos und ihre Filme 1938–1949

48 FILMGESCHICHTE Filmgeschichte im Internet – Neue Datenbank zu „Reeducation“-Filmen geht online

50 KINOGESCHICHTE Mit Winnetou durch Hamburgs Filmpaläste Jugenderlebnisse in den Prachtkinos

57 AUS DEM VEREIN Jahresrückblick

Studio-Kino wiedereröffnet!

Er und seine Kollegen und Kolleginnen sind jetzt im neu aufbereiteten Virtuellen Fernsehmuseum 58 COUPON /MATINEEN zu finden – mehr dazu ab Seite 38 Sonntagsmatineen im Abaton-Kino 4 PORTRAIT PORTRAIT 5

Hans-Joachim Flebbe gründete 1989 die CinemaxX-Kinokette und versucht heute einen Neustart

Hamburger Flimmern: der einzelne Gast nicht höchste Priorität. vorm Film und dem Kinobetreiber mehr Vier Programmkinos und ein Film- Freunde haben mir zu meiner CinemaxX- da ist, wenn man sich aufführen kann, kunsttheater in Hannover, die Astor Zeit öfter erzählt: „Wir waren nach langer wie zuhause vorm Fernseher oder mit Film Lounge in , das ehemalige Zeit mal wieder bei euch im Kino, aber Popcorn um sich schmeißt, dann hat das CinemaxX in Braunschweig – alles das hat keinen großen Spaß gemacht – Kino fürs normale Publikum verloren. unter Ihrer Regie. Und alle paar wir mussten Schlange stehen an der Kas- Wenn man da als Kinobetreiber nicht ge- Monate kommt ein neues Kino hinzu. se und am Popcorn-Stand, dann war es gensteuert, kommt man im Kino schnell Herr Flebbe, sind Sie ein Stehauf- dort auch noch sehr teuer, im Kino haben in eine Spirale hinein, an deren Ende männchen? die Leute geredet, mit dem Handy telefo- man das normale Publikum nicht mehr niert oder die Sitze waren nicht sauber. erreicht. Für diesen „Kinogenuss“ geben Hans-Joachim Flebbe: Neben uns saßen Leute und aßen Tacos. Besucher kein Geld mehr aus. Wenn man ein Unternehmen jahrzehnte- Da bleiben wir doch lieber zu Hause – vor lang aufgebaut hat und die CinemaxX unserem großen Flatscreen.“ Ich musste Aber auch die kleineren Probleme, AG mit bis zu 2.500 Mitarbeitern über mich dann immer rechtfertigen. In gro- die Sie von den CinemaxX-Kinos 20 Jahre lang als Geschäftsführer und ßen Betrieben versuchen alle das Beste, schilderten, verleiden Besuchern das Vorstand geleitet hat, fällt einem der Ab- Kinovergnügen. Wie wollen Sie diese schied vom Lebenswerk nicht leicht. Nun Probleme denn nun in den Griff be- bin ich zwar noch zweitgrößter Aktionär, „Ich wollte einmal ein Kino kommen? aber kein „Anführer“ mehr. Da ich am nach meinen eigenen Wünschen Ich habe vor einem knappen Jahr das Kino Spaß habe, habe ich noch einmal und Anforderungen umbauen, CinemaxX Braunschweig übernommen. neu angefangen. Das Kino hat acht Säle und 2.600 Plätze ohne Kompromisse.“ – ein klassisches Multiplex. Wir haben Trotzdem hat man das Gefühl, Sie Sicherheitspersonal – da kann man sich sammeln die Kinos ein, mit denen aber es gibt halt Nachlässigkeiten, die nicht völlig rücksichtslos benehmen. In- „Ich kann nur Kino!“ CinemaxX nichts mehr anfangen kann. passieren. Nachdem ich bei CinemaxX zwischen installierten wir eine Lounge Bei CinemaxX, einer Aktiengesellschaft, ausschied, wollte ich Kino machen, das mit Sesseln und Sofas im Foyer. Es wird Ex-CinemaxX-Mann stehen natürlich Wirtschaftlichkeit und die Klagen aufnimmt und die Situation dann auch eine echte Loge geben, mit Gewinn im Vordergrund. Bei mir domi- verändert – in der Hoffnung, dass die größerem Reihenabstand und komfor- Hans-Joachim Flebbe niert noch die Leidenschaft für Kino und Menschen in die Kinos zurückkommen, tableren Sesseln. Film. In Hannover gibt es zum Beispiel denen bisher die Begleitumstände nicht über seine Pläne ein Programmkino, das die CinemaxX- gepasst haben. Wer es bequemer, saube- Aber riechen wird es weiterhin? Gruppe nicht weiter betreiben wollte, rer und schöner will, ist auch gern bereit, Tacos wird’s da auch geben, oder? weil es nicht mehr profitabel war. Ich etwas mehr dafür auszugeben. Ich hab’ damit ein echtes Problem, aber Von Jürgen Lossau habe es übernommen, renoviert und nun ich werde wohl nicht darauf verzichten läuft es sehr ordentlich. Die Situation in einer Reihe von Kinos, können ... die nicht zu CinemaxX gehören, Was machen Sie denn mit den Kinos soll ja zeitweise schon reichlich außer In der Astor Film Lounge in Berlin Fünf Säle in Hannover, acht in Braunschweig, ein Edel-Filmpalast in Berlin, von dem es schon anders als die anderen? Kontrolle geraten sein. haben Sie die neuen Prinzipen dann Ableger gibt: in Genf und München. Nyon und Köln werden folgen. Hans-Joachim Flebbe Bei den Branchenführern geht es um Gerade im Ruhrgebiet gibt es Kinos, da ja auf die Spitze getrieben … sammelt wieder Kinos. Der frühere CinemaxX-Vorstand hat ein neues Geschäftsfeld entdeckt: eine möglichst große Anzahl an Besu- haben jugendliche Randgruppen das Re- Ja, ich wollte einmal ein Kino nach meinen

Alles besser machen als die anderen! Jürgen Lossau sprach mit Hans-Joachim Flebbe. Lossau & C:1 Solutions Fotos: Jürgen chern und eine hohe Auslastung; da hat giment übernommen. Wenn kein Respekt eigenen Wünschen und Anforderungen 6 PORTRAIT PORTRAIT 7

„Gerade im Ruhrgebiet gibt es Kinos, da haben jugendliche Wie hat sich das Astor entwickelt? ein Logenbereich, der den Namen auch Randgruppen das Regiment übernommen. Wenn kein Respekt Es ist ein sehr großer Erfolg, weil die Be- verdient, mit breiteren Sesseln und grö- sucher feststellen, dass es ein anderes ßerem Reihenabstand, eine Garderobe, vorm Film mehr da ist, wenn man sich aufführen kann, Kinoerlebnis ist als das, was man aus den Loungemöbel, eine Cocktailbar und ei- wie zuhause vorm Fernseher, dann hat das Kino fürs normale Multiplexen kennt. In unseren Premium- nen Doorman. Außerdem versuchen wir, Publikum verloren.“ kinos steht der einzelne Gast im Vorder- die Seele in die Säle zurückzubringen. grund und nicht die Masse. Wir haben Ende 2012 sind wir soweit. viele Besucher, die sonst nicht mehr so umbauen, ohne Kompromisse. Deswegen Das wird happige Eintrittspreise mit häufig ins Kino gehen, weil ihnen die In der Schweiz sind Sie mit einem sind dort die besten Sitze montiert, die sich bringen … Umstände dort nicht passen. Die haben Partner ja auch nach dem Astor- ich finden konnte, bei denen man sich Der Eintrittspreis ist mit 14 Euro schon jetzt das Kino wiederentdeckt. Wir neh- Konzept tätig. keine Armlehnen mit dem Nachbarn tei- deutlich teurer als im Multiplex mit 8 men also anderen Filmtheatern keine Ja, dort gibt es ein Kino in Genf, aber da len muss. Nur mal zum Vergleich: Ein oder 8,50 Euro. Das war aber nie ein Besucher weg, sondern es kommt eine waren wir mit den Eintrittspreisen zu Sessel fürs normale Kino kostet maximal Thema fürs Publikum – es beschwert sich kinoentwöhnte Publikumsgruppe zurück. hoch. Wir haben das revidiert und jetzt 200 Euro, unser Liegesessel 1.200 Euro. niemand darüber. Es kommen auch ganz Wir verzeichnen in diesem Jahr rund entwickelt es sich besser. In Nyon bei Genf Dazu gibt’s Hocker zum Füße hoch legen. normale Leute, nicht nur die oberen 26 Prozent mehr Besucher, während die werden wir ebenfalls ein Kino umbauen. Man kann im Internet reservieren 10.000 von Berlin, die im Rolls Royce vor- Branche rund zwei Prozent mehr hat. und auch direkt kaufen. Man kann den fahren. Die teilweise erfolgreichen 3D-Filme Film, den Tag, den Platz aussuchen und Gibt es denn insgesamt eine Tendenz, haben haben die Ablösung der che- muss zu keinem Automaten. Es gibt Valet Aber diese Gäste gibt es auch, oder? dass das Publikum im Kino älter wird? mischen Filmkopien durch serverba- Parking. Wenn also jemand kommt und Friede Springer ist unser liebster Stamm- Unbedingt. Die Generation der 15 – 25- Die Astor Film sierte Digitalprojektoren beschleunigt. sein Auto abstellen möchte, dann wird gast. Sie kommt nachmittags mit ihren Jährigen war früher immer dominierend. Lounge in Berlin Gefallen Ihnen denn digitale Filme auf es in zwei Parkhäusern in der Nähe weg- Damen der Gesellschaft. Wir haben ein Diese Kernzielgruppe ist völlig zusam- ist Flebbes Vor- der Leinwand genauso gut wie ana- geparkt. Es gibt einen Doorman, der den täglich wechselndes Kuchenbuffet – und mengebrochen. Kinder kommen noch zeigekino. Mit loge Filmkopien? diesem Konzept Gast persönlich begrüßt. Wir haben keine Kaffee oder Capuccino wird am Platz gerne, deswegen laufen Kinderfilme auch sucht er europa- Es geht etwas von der Aura, von der Tiefe, Schlangen, mehr als ein bis zwei Minuten serviert. gut in Deutschland. Dann gibt es einen weit nach weiteren verloren, die nur echter Film transportie- wartet niemand. Auch ganz wichtig: Wir Bruch – viele Kids finden es viel cooler, Standorten ren kann. bieten eine kostenfreie Garderobe. Unsere Ist das Publikum in der Astor Film am Computer zu sitzen, die brauchen Platzanweiser mit Taschenlampen brin- Lounge durchweg älter? keine große Leinwand. Die wollen Action Genügen Ihnen 2K-Digitalprojektionen gen den Gast persönlich zum Sitzplatz. Es Es ist über 30. Teenie-Filme laufen in die- – und das möglichst schnell. Erwachsene oder bräuchte man, um ein zum gibt einen Begrüßungscocktail oder etwas sem Kino gar nicht. Es kommen aber auch schätzen noch das Gemeinschaftserlebnis andere Mieten erwirtschaftet werden in Hotels, die vielleicht nicht so gut aus- chemischen Film adäquates Bild zu Alkoholfreies. Im Foyer kann man an der Eltern mit ihren Kindern bei entspre- im Kino und die große Leinwand. können als mit einem Kino. Noch gibt es gelastet sind und zum Kino umgewidmet liefern, 4K-Beamer? Cocktailbar etwas trinken. Während des chenden Familienfilmen. Noch älter ist Bei „Sex and the City“ hatten wir einen aber Hoffnung ... werden könnten. 4K ist überflüssig. Als Fachmann sehen Vorprogramms mit Trailern, Werbung allerdings das Publikum, das in das Kino Riesenerfolg in Berlin. Da kamen die Es gibt in Berlin den Soho-Club, der ist Sie vielleicht einen Unterschied zwischen und Kurzfilm kann man Getränke am am Raschplatz in Hannover geht. Nahe- attraktiven Damen um die 30, 40, mit Wo konnten Sie das Astor-Konzept in einem trendigen Hotel untergebracht. 2K und 4K, als Kinobesucher überhaupt Platz bestellen. Es gibt nichts, was riecht: zu 90% der Besucher sind um die 50, vor ihren Freundinnen in Gruppen. In diese sonst noch umsetzen? Das ist ein Beispiel, wie so etwas gut funk- nicht. Das ist eine akademische Diskus- kein Popcorn, keine Tacos. Sie wissen ja allem nachmittags. Auch schwierige Fil- Vorstellungen „verirren“ sich nur wenige In München haben wir ein kleines Kino tionieren kann, obwohl der Soho-Club sion. Es geht auch gar nicht nur um die schon, das hasse ich wirklich. Wir haben me, die wenig bekannt sind, werden aus- Männer. Wir haben im Übrigen noch nie mit 40 Plätzen im Bayerischen Hof aufge- nur für Mitglieder geöffnet ist. Auflösung. Es gibt jetzt neue Filter für 2K- eine große Leinwand, alles ist auf Digital- gewählt. Spätprogramme laufen hinge- einen so hohen Nebenumsatz gemacht macht, für Hotelgäste und Besucher von Digitalprojektoren, die noch mehr Licht technik und 3D eingerichtet, es gibt den gen gar nicht mehr – diese Altersgruppe wie dort – mit Prosecco und Wein. außen. Wir machen es dort wie im Astor: Wird es in weiteren Städten Kinos auf die Leinwand lassen. besten Sound, den wir kaufen konnten. geht um die Uhrzeit nicht ins Kino. Bedienung am Platz, bevor der Hauptfilm nach dem Astor-Konzept geben? Kommen denn für Ihr Konzept der losgeht. Es gibt eine Garderobe. Vorher In Köln haben wir einen Vertrag für das Die konventionelle chemische Film- Astor Film Lounge nur bestehende wurde der Raum schon für Präsentati- Residenz-Kino abgeschlossen. Dort wird kopie sieht ja heute leider auch nicht Kinos in Frage? onsvorführungen genutzt. Für uns ist das das Kino im Frühjahr 2012 aufgemacht. mehr so gut aus wie früher. Keineswegs, ich habe mir gerade in Ham- der Einstieg mit einem Premiumkino ins Es ist mühselig, alte Kinos für das neue Das stimmt! Die Verleiher haben an den burg alles mögliche angesehen, z. B. eine Hotelgeschäft. Wir sehen da in anderen Konzept zu finden, aber wir sind stetig Kopien in den letzten Jahren enorm ge- entweihte Kirche, alte Villen auf einem Städten auch noch eine Reihe von Sälen dabei. Über 150 Kinos habe ich geprüft, spart. Am Ende war es schon soweit, dass Krankenhausgelände, Theater in Fabrik- aber häufig muss man Kompromisse ein- die Kinobetreiber selbst gesagt haben: hallen oder einen Veranstaltungssaal in gehen, die ich nicht eingehen will. Wenn das eure analogen Kopien sein einem Bürohochhaus. Aber so richtig hat „Die Generation der 15 bis sollen, dann gehen wir freiwillig aufs leider noch nichts gepasst. 25-Jährigen war früher im Kürzlich haben Sie ja auch den Zoo- digitale Bild. Da ist die digitale Projektion Kino immer dominierend. Palast übernommen, der jetzt umge- natürlich schärfer und besser als die Apropos Hamburg. Man munkelt, Sie baut wird. Welches Konzept ist hier zu Billigkopie. Wenn man manche alte Film- würden sich für das Streit’s am Jung- Diese Kernzielgruppe ist völlig erwarten? kopie sieht – das ist eine Pracht, da würde fernstieg interessieren ... zusammengebrochen. Nur Es wird ein Konzept sein, das zwischen ich sofort aufs Digitale verzichten. Das Streit’s wäre natürlich mein Lieb- Erwachsene schätzen noch das dem steht, wie man Multiplex-Kinos heu- lingskino für das Premiumsegment, aber te kennt und dem Astor angesiedelt ist. Gibt es denn heute unter den analogen da droht die Zweckentfremdung, weil Gemeinschaftserlebnis im Es wird edler sein, aber es wird nicht das Kopien noch gute, die auf dem frühe- am Jungfernstieg mit Ladengeschäften Kino und die große Leinwand.“ Astor-Konzept 1:1 umgesetzt. Zum Beispiel: ren Qualitätsniveau sind? 8 PORTRAIT PORTRAIT 9

Die Verleiher wissen genau, was sie tun. Film voller Leidenschaft gedreht haben, „4K ist überflüssig. Als Fach Ich bin schon so lange in diesem Ge- cher im Kino ist das, was ich mir auf die 2009 war eins der besten Kinojahre über- Auf Pressevorführungen im Vorfeld des wenn es einem nicht gelingt, darauf auf- schäft, ich liebe eben das Kino. Ich mache Fahnen schreibe. haupt. Heute heißt es, wenn wir Qualität Filmstarts werden super Kopien gezeigt, merksam zu machen, kann man es gleich mann sehen Sie vielleicht einen so lange weiter, wie es Spaß macht. Einen bieten und investieren wollen, müssen die Strahlkraft haben. Wenn der Film bleiben lassen. Dabei geht es nicht nur Unterschied zwischen 2K und Konzern wie CinemaxX werde ich nicht Früher gab es bei CinemaxX niedrige wir auch das Geld dafür einnehmen. Da- vier Wochen später ins Kino kommt, sind ums Geld, im Internet lautet das Stich- 4K, als Kinobesucher über- mehr aufbauen können, dafür reicht die Eintrittspreise. Inzwischen ist das Kino durch fallen natürlich Publikumsgruppen häufig schwache Billigkopien am Start. wort heute „virales Marketing“. Das hat Zeit nicht mehr. Es werden auch keine vergleichsweise teuer geworden. raus, die nicht über die Mittel verfügen. nicht mehr ausschließlich mit Trailern im haupt nicht. Das ist eine akade- neuen Kinos mehr gebaut. Man kann nur Stimmt. Ich war früher immer ein Ver- Aber heute kann man nur noch mit Qua- Nun hat der deutsche Film im Kino ja Kino, Fernsehspots und Plakaten an Lit- mische Diskussion.“ zusehen, dass man das erhält, was da ist. fechter niedriger Eintrittspreise. Meine lität, nicht mehr mit dem Eintrittspreis, enorm an Anteil und Erfolg zugelegt. fasssäulen zu tun. Was man früher Mund- Und da geht es meiner Meinung nach Nachfolger bei CinemaxX haben die Prei- punkten.“• Wie kommt das? zu-Mund-Propaganda genannt hat, läuft eher um die Qualität des Kinos als über se wie die gesamte Branche ziemlich an- Daran haben die hiesigen Filmtheater ei- jetzt über Facebook und Twitter. müssen mit ihrem Film durch die Kinos die Menge der Besucher. Ich habe noch gehoben, und ich musste mich belehren nen gehörigen Anteil. Wir haben in den reisen. Dann lernen sie ihr Publikum ken- einiges vor. Die Zufriedenheit der Besu- lassen, es tue dem Erfolg keinen Abbruch. letzten Jahrzehnten immer eine höhere Haben Sie mal ein Beispiel? nen und unterstützen damit selbst den Aufmerksamkeit auf deutsche Produktio- Zum Beispiel „Vincent will mehr“, ein Erfolg ihres Films. Und das nicht nur in nen gelenkt. Die Kinos spielen im Zweifel Film, der über eine Million Besucher er- Berlin, wo es sowieso untergeht, denn da lieber deutsche Produktionen als ameri- reicht hat. Das ist eine kleine Geschich- ist jeder. In Braunschweig, als Beispiel, kanische. Das Publikum bevorzugt auch te, ohne große Effekte, gewiss günstig kommt 3 bis 4 Mal im Jahr jemand hin – deutsche Produktionen, bei denen die hergestellt, trifft aber mit seinem Humor wenn überhaupt – aber dann ist es dort Szenerie oder die Schauspieler aus dem und Lebenseinstellung genau den Punkt. Tagesgespräch. Es gibt Filmemacher, die eigenen Land bekannt sind. Viele Monate war dieser Film im Kino reisen gern: Otto zum Beispiel oder Til und hat sich sehr wacker gehalten. Es ist Schweiger, die sind auf dem Platz, auch Was können denn junge deutsche ein Musterbeispiel für junge Filmema- wenn es weh tut – um es in der Fußball- Filmemacher besser machen, um im cher, wie man heute erfolgreich Filme sprache auszudrücken. Kino mehr Beachtung zu finden? realisieren kann. Man muss einen Verleiher finden, der Werden Sie nun also einen großen einen Teil des Etats auch wirklich ins Sollten Filmemacher auch selbst zu Gemischtwarenladen aufbauen – aus Kino am Raschplatz – vier Programmkinos in Marketing steckt. Das ist mittlerweile ex- ihrem Publikum kommen? Programmkinos, Multiplexen und Edel Hannover bilden das Fundament des sich neu trem wichtig. Man kann den schönsten Unbedingt, gerade deutsche Filmemacher Lounges? bildenden Imperiums des Kinomagnaten Flebbe HAMBURGER FILMEMACHER 11 Von Altona über Istanbul nach Wilhelmsburg Sein Werk ist ein einziger Heimatfilm: Fatih Akin Zugefallen ist ihm nichts: Fatih Akin, das ist die Geschichte eines türkischen Jungen aus Hamburg-Altona, der sich durchboxt, bis er auf dem roten Teppich von Cannes steht. Auf den internationalen Festivals sammelt er die Von Michael Töteberg Goldenen Bären und Palmen ein, ist aber nach wie vor in Ottensen zu Hause und hat im Portugiesenviertel seine Produktionsfirma. Er hat es geschafft, mit Leidenschaft und Beharrlichkeit, ohne sich zu verbiegen und ohne seine Herkunft zu vergessen. Seine Biographie steht für den selbstbewussten und lockeren Umgang mit zwei Kulturen: Culture Crossing zwischen Bosporus und Elbe.

Eine eher harmlose Gang: Akin und Freunde im Haus der Jugend Foto: privat

„Ich bin Altonese“, sagt er gern. 1973 Kindern anderer Ausländer. Sein bester Haaren. Ob die Jungs wirklich so gefähr- Das Thema war „Grenzen“, sein Film Die erste Drehbuchfassung von „Kurz „Schattenboxer“ erinnerte an ihr Projekt, als Sohn türkischer Eltern in Hamburg Freund, schon seit Schulzeiten, war und lich waren, wie sie sich aufführten, das hieß „Scheiß-Grenzen“ und erzählte von und schmerzlos“ entstand 1993 – unter produziert hatte den Film die Firma Wüs- geboren, aufgewachsen in der Eckern- ist Adam Bousdoukos, der Sohn eines mag dahin gestellt sein. Sie hingen im- drei Schülern, die in einer Freistunde der Schulbank, geschrieben während des te Film – Adresse aus dem Telefonbuch förder Straße; der Vater war Gastarbeiter griechischen Gastarbeiters; dass Türken mer im Haus der Jugend bei der Paulus- über ihre Träume reden, die sie nicht ver- Unterrichts. Die Geschichte: ein kruder Mix herausgesucht und hin (damals war das (in einer Reinigungsfirma), die Mutter und Griechen verfeindet sind, störte die Kirche ab. Als irgendwann der Betreuer wirklichen können. aus realistischer Milieuschilderung, auto- Büro am Neuen Pferdemarkt), geklingelt Lehrerin an der Grundschule. Zuhause Kinder überhaupt nicht (und heute sind Turgay vom Jugendzentrum „Motte“ mit Seine eigenen Träume bezog er aus biografischen Hintergrund – das Freun- und Drehbuch abgegeben. wurde nur Türkisch gesprochen; Deutsch sie stolz darauf, ihre Eltern zum fried- einer Videokamera vorbei kam, konnte dem Kino. Mickey Rourke und Robert De destrio als Protagonist – und Kinomythen So beginnen Legenden, doch der Pro- gelernt hat er auf dem Spielplatz und bei fertigen Miteinander „erzogen“ zu ha- Fatih, Kino-Fan seit Kindertagen, seine Niro waren seine Helden, Schauspieler aus Gangsterfilmen inkl. Showdown mit duzent Ralph Schwingel bestätigt die den Nachbarn, die auf ihn aufgepasst ha- ben). Dritter im Bunde war Tommy, ein ersten Filme drehen. Typische Amateur- wollte er werden. Im City am Steindamm einem albanischen Waffendealer. Wer Geschichte: „Seine Rechtschreibung war ben, wenn die Eltern arbeiten mussten. Serbe; diese Konstellation taucht wieder Videos: Porträts seiner Freunde, mit Mu- sah er „Taxi Driver“ zusammen mit Freund die Hauptrollen spielen sollte, war klar: unter aller Sau, aber das war vollkommen Frau Meyer und Onkel Lutz, erzählt Fa- auf in Akins erstem Spielfilm „Kurz und sik untermalt. Als dann in der 12. Klasse Adam. „Wir kamen um Mitternacht aus Fatih den Türken Gabriel, Adam den egal. Der Junge hatte einen unbeugsa- tih Akin, waren für ihn und den älteren schmerzlos“. – Akin besuchte das Gymnasium in der dem Kino und haben auf der Straße ge- Griechen Costa. In den Zeisehallen gab men Willen. Man konnte ihm zum dritten Bruder Cem ein bisschen wie Großeltern. Eine behütete Kindheit, doch eine Max-Brauer-Allee – im Kunstunterricht sehen, was im Film vorkam. Babystrich, es einen Treff von Drehbuchautoren, da Mal sagen, das musst du umschreiben, „Frau Meyer hat meine Mutter immer wilde Jugendzeit: In den schwierigen visuelle Kommunikation auf dem Plan Straßenstrich. Mitten in St. Georg die 42. steckten die beiden Jungfilmer Flyer und und dann ist er nach Hause gegangen Heidi genannt, weil Hadiye ihr zu kom- Jahren, mit 15, 16 Jahren, wurde Akin stand, war der Schüler, der sich sonst Straße von New York. Da haben wir uns Kataloge ein, auch vom Filmbüro, in de- und hat’s umgeschrieben. Am Anfang auf pliziert war.“ Integrationsprobleme gab Mitglied einer Gang, den Türk Boys, trug immer so durchhangelte, plötzlich ganz gesagt: Wir können auch hier Filme dre- nen Filme aus Hamburg aufgelistet wur- Kellnerblöcken im Querformat, passten es damals noch nicht, auch nicht zu den eine Bomberjacke und hatte viel Gel in den vorn: zum ersten Mal bekam er 15 Punkte. hen, das gibt es doch alles in Hamburg.“ den. Die Inhaltsangabe von Lars Beckers immer drei Zeilen drauf, dann musste 12 HAMBURGER FILMEMACHER HAMBURGER FILMEMACHER 13 Foto: Wüste Filmproduktion Foto: Wüste Filmproduktion

Schauplatz Hafen: Mehmet Kurtulus, Adam Bousdoukos in „Kurz und schmerzlos“ Schauplatz Fabrik: Güven Kiraç, Birol Ünel in „Gegen die Wand“ man umblättern.“ Doch gleich gedreht Ottenser Hauptstraße. Fast alle Drehorte nach Istanbul. Daniel schwärmt: „Ham- Topographie der Stadt Hamburg. Cahit Heimatstädte: Hamburg sei die Ehefrau wahren Preissegen bedacht, ist ein kom- wurde nicht, Akin musste erst Abitur ma- lagen in Altona oder St. Pauli, es gab burg kann ja auch unheimlich schön sein, (Birol Ünel) arbeitet in dem Veranstal- und Istanbul die Affäre, die natürlich plexes, verschachteltes Drama, das in chen, und bis der Film, eine Low-Budget- nur einen süderelbischen Ausreißer: Der so im Sommer“, und sie erleben einen tungszentrum Fabrik in der Barner Stra- immer etwas aufregender ist als das Alt- und Hamburg beginnt, doch die Produktion zusammen mit dem Kleinen Hochzeitspalast stand in Wilhelmsburg. zauberhaften Abend am Strand in Övel- ße, er betrinkt sich in der Bar Zoe in der Vertraute. Prompt kam die Nachfrage: verschiedenen Schicksale kreuzen sich Fernsehspiel vom ZDF, finanziert war, gönne. Doch Melek reist am nächsten Tag C.-Schultz-Straße, wohnt in einem Alt- „Würden Sie die Ehefrau irgendwann der schließlich in der Türkei. In Hamburg vergingen Jahre. Eine Liebesgeschichte ab, Daniel reist ihr nach, begleitet ausge- bau in der Bernstorffstraße; Sibel (Sibel Affäre zuliebe verlassen?“ Akin: „Würde strandet die aus der Türkei geflohene Ursprünglich hatte Akin nicht an Die Filmstadt Hamburg hatte einen neuen rechnet von Juli – es dauert, bis er merkt, Kekilli) lebt bei ihren Eltern in einem ich nie tun, ich habe eine ganz anständi- Kurdin Ayten, die zunächst Zuflucht in die Regie gedacht, ihm ging es um die Vorzeige-Regisseur. Uraufführung war bei wer seine wahre Liebe ist. Hochhausappartement in Steilshoop. Sie ge Erziehung bekommen.“ einem Volkshaus sucht (als Jugendlicher Hauptrolle (die dann Mehmet Kurtulus den Filmspielen in Locarno, deutsche Pre- lernen sich kennen in Ochsenzoll, wo besuchte Akin das Volkshaus über dem spielte). Ein bisschen Schauspieler-Erfah- miere am 25. September 1998 beim Ham- Gegen die Wand sie beide nach Suizid-Versuchen gelandet Das Land der Sehnsucht Wal-Mart in der Feldstraße, direkt neben rung hatte er (als „der Türke vom Dienst“ burger Filmfest. „‚Mean Streets‘ vom Kiez“ Nach „Solino“ – die Geschichte der ers- sind, und heiraten im Standesamt Altona. „Im Juli“ beginnt in Hamburg und en- der Moschee, damals das Zentrum der wurde er in Fernsehkrimis besetzt), Re- war eine Kritik überschrieben, „‚Scarface‘ ten italienischen Gastarbeiter im Ruhrge- Über die Kieler Straße fahren sie nach det in Istanbul, auch die Geschichte von türkischen Linken), über den Steindamm gie musste er erst lernen, und so ließ der in Altona“ eine andere. „Möchtegern- biet, von Akin als Auftragsregisseur nach Eidelstedt zu Yilmaz. Cahits Freundin Cahit und Sibel in „Gegen die Wand“ irrt und schließlich sich auf dem Campus Produzent ihn zunächst einen Kurzfilm Hollywood“ sagt Akin heute selbstkri- einem fremden Drehbuch realisiert – sa- Maren hat einen Friseurladen „Schräg- führt am Schluss nach Istanbul. Unver- herumtreibt, in der Pony-Bar und der Uni- realisieren: „Sensin – Du bist es“, gedreht tisch. In diese Schublade wollte er nicht hen Kritiker den Regisseur schon auf dem schnitt“ im Karoviertel. Er treibt sich in kennbar: Hamburg ist die Heimat, die Mensa, wo sie Lotte aus Blankenese ken- im Souterrain des Restaurant „Nil“, über gesteckt werden, deshalb drehte er als Weg zum Mainstream-Kino. Doch er be- der berüchtigten Bernsteinbar rum, be- Türkei das Land der Sehnsucht. „Mit je- nenlernt. Im Phil-Turm, großer Hörsaal, dem Wüste Film ihr Büro hatten. Der Film nächstes kein Gangster-Drama, sondern freite sich aus den Fängen der Filmindu- sucht die Disco Schlachthof, betritt eine dem Film habe ich mir mehr von der Tür- hält der junge Germanistik-Professor Ne- gewann diverse Preise; inzwischen gab eine Liebesgeschichte als Roadmovie, das strie, wurde sein eigener Produzent und Dönerbude in Billstedt – es wurde nicht kei angeeignet“, sagt Akin. Der Kurzfilm jat Aksu eine Vorlesung (bei dieser Figur es eine vierte, fünfte, sechste Fassung von von Hamburg quer durch Europa bis drehte mit „Gegen die Wand“ einen ra- nur an Originalschauplätzen gedreht, „Getürkt“ spielte in einem Urlaubsort, wo hat sich Akin an Jan-Philipp Reemtsma „Kurz und schmerzlos“, aber Akin wollte nach Istanbul führt. Ausgangspunkt von dikalen Autorenfilm, triumphierte damit sondern jeder Ort charakterisiert die Fi- junge Türken aus Deutschland abhän- orientiert, dessen Seminar er besucht lieber noch einen Kurzfilm drehen. Die „Im Juli“ ist wieder die Ottenser Haupt- bei der Berlinale (Goldener Bär) und er- gur und kennzeichnet ihre soziale Situa- gen. „Das Istanbul von ‚Im Juli‘ ist sehr hat). Nejats Vater lebt in Bremen, wo er Geschichte von „Getürkt“, angesiedelt in straße, wo sich Daniel (Moritz Bleibtreu) öffnete einen deutsch-türkischen Dialog, tion, hier wurde das Bild der Stadt nicht touristisch“, so Akin, „Moritz steigt aus regelmäßig in die Helenenstraße geht: einem Urlaubsort in der Türkei, wo ein und Juli (Christiane Paul) erstmals be- der über das Kino-Ereignis weit hinaus- nach Schauwerten zurechtmodelliert. dem Bus, geht in ein Touristenzentrum Die Herbertstraße in St. Pauli erschien Hamburger Türke auf einen Berliner Tür- gegnen. Später ist er auf einer „Open-Air- ging. Die Presseleute stellten ihm immer Nach dem internationalen Erfolg von und dann ist der Film vorbei. Das war Akin ein zu abgedroschenes Motiv. „Ich ken trifft, war ihm so ähnlich passiert. Party auf einem Parkplatz in Ottensen“, wieder dieselbe Frage: „Deutscher oder „Gegen die Wand“, der für einen Filme- das Istanbul, was ich damals kannte. In habe viele Aufnahmen von Hamburg ge- Im Oktober 1997 war es endlich soweit: wo kräftig gefeiert wird – „Hip-Hoppers, Türke – Wie würden Sie sich bezeich- macher auch zur Belastung werden ‚Gegen die Wand‘ findet Istanbul über- dreht“, bekannte er 2007 im „Spiegel“, Drehbeginn von „Kurz und schmerzlos“. Hippies, Szene-Miezen, das ganze Pro- nen?“, worauf er stets antwortete: „Als kann, drehte Akin erst einmal einen wiegend in Hotelzimmern statt. Bei ‚Auf „Bilderbücher voller Postkartenmotive – Das Warm-Up mit Team und Darstellern gramm ist vertreten“ (Drehbuch). Ge- Hamburger.“ Dokumentarfilm: „Crossing the Bridge der anderen Seite‘ habe ich dann das und fast alle weggeschmissen. Ich radle fand im Lokal Labyrinth in der Paul- dreht wurde im ehemaligen Innenhof des Bei allen Berserker-Qualitäten – „Ge- – The Sound of Istanbul“. Das war mehr ganze Land entdeckt.“ jeden Tag durch Hamburg, gehe hier zum Roosen-Straße statt; der Showdown am Studio-Kinos in der Bernstorffstraße. gen die Wand“ hat Akin als „Punk-Oper“ als nur ein Musikfilm – Akin begann von „Auf der anderen Seite“, der Spielfilm Einkaufen, zum Arzt – ich habe keinen Ende des Films beginnt in derselben Stra- Hier lernt Daniel Melek (Idil Üner) ken- bezeichnet – entwirft der Film mit be- der Stadt am Bosporus zu schwärmen. nach „Gegen die Wand“, beim Festival erzählerischen Blick mehr auf diese ver- ße. Als Schauplatz ebenso wichtig: die nen. Sie ist aus Berlin und auf dem Weg merkenswerter Genauigkeit eine soziale In einem Interview verglich er seine in Cannes uraufgeführt und mit einem flixte Stadt, obwohl ich sie liebe. In der 14 HAMBURGER FILMEMACHER KINOLANDSCHAFT 15

Um die eigene Achse gedreht und im Erdboden versunken Die Wiederauferstehung des Metropolis-Kinos

Von Joachim Paschen und Volker Reißmann Foto: corazón international

Schauplatz Gängeviertel: Moritz Bleibtreu, Adam Bousdoukos in „Soul Kitchen“

Türkei dagegen habe ich das Gefühl, alles die Veränderung der Stadt, Gentrifizie- abgerissen wird, das Frappant im alten mit ganz anderen Augen zu sehen.“ rung, also den spekulativen Umgang Karstadt-Haus in der Großen Bergstraße, Die Kehrtwendung erfolgte zwei Jah- mit Stadtteilen, in denen die Menschen wo jetzt Ikea Altona gebaut wird. Das alte re später mit „Soul Kitchen“, den er aus- vom Geld vertrieben werden. Aus einer Gebäude im Gängeviertel, umgeben von drücklich als „Heimatfilm“ deklarierte: stillgelegten Fabrikhalle wird eine In-Lo- lauter identitätslosen Glaspalästen, re- „In meinen letzten Filmen ging es um cation; das alte Industrieviertel mit den präsentiert die Situation: In diesem Film Identität, sie führten in die Türkei, die Arbeitern und Migranten verschwindet verteidigen die Helden ihre Heimat. Heimat meiner Eltern, das Land meiner langsam. Wilhelmsburg gefiel mir auch, Es war ein weiter Weg von Altona Herkunft. Mit ‚Soul Kitchen‘ konnte ich weil der Held über den Fluss muss, da- nach Wilhelmsburg, wobei Fatih Akin ein filmisches Statement setzen. Meine mit er zu seinem Arbeitsplatz gelangt. zwar Ottensen treu geblieben ist (er Heimat ist nun einmal Hamburg, und Die Elbe in Hamburg, der Bosporus in Is- wohnt heute schräg gegenüber von der ich hatte das Gefühl: Dieser Stadt bin ich tanbul: Man muss das Meer überqueren, „Motte“, wo er einst seine ersten VHS- noch einen Film schuldig.“ um von einem Stadtteil zum anderen zu Filme drehte), aber vom „Stadtteilpatrio- Zuerst wollte er in der HafenCity kommen.“ tismus“ gar nichts hält: „Der Film spielt in drehen, doch dort hätte Zinos (Adam Akin wählte bewusst Drehorte, die Hamburg, doch das ist nicht geografisch Bousdoukos) keinen heruntergekomme- vom Abriss bedroht sind: das Mandarin- bestimmt, sondern eher ein mentaler nen Laden betreiben können, da siedeln Casino an der Reeperbahn im ehemaligen Zustand im Kopf und im Herzen.“• sich zur Zeit ganz andere Lokale und Mojo-Club, die Astra-Stube an der Stern- Restaurants an. „Wilhelmsburg steht für brücke, die mit der Brückensanierung

Fatih Akin (mit Volker Behrens und Michael Töteberg): Im Clinch – Die Geschichte meiner Filme.

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011. Wir erinnern uns: Nach einigen Probeläufen, u.a. im „Spiegel“-Kino in Altona, konnte vor genau 256 S., zahlr. Ill., ISBN-10: 349800669X 32 Jahren, am 13. Oktober 1979, das „Metropolis“ mit dem namensgebenden Stummfilm-Klassiker ISBN-13: 978-3498006693, Preis: 24,95 Euro von in einem ehemaligen Aktualitäten- und Filmkunst-Kino in der Dammtorstraße eröffnet werden. Streng genommen war es gar kein Kommunales Kino, sondern nur ein kommunal gefördertes, denn Träger war und ist der eingetragene Verein Kinemathek Hamburg. links: Buchvorstellung „Im Clinch“ im Abaton:

Herausgeber Michael Töteberg, Fatih Akin Lossau und Heiko Riemann Fotos: Jürgen 16 KINOLANDSCHAFT KINOLANDSCHAFT 17

Nach der Neueröffnung: Das Metropolis erstrahlt im alten Glanz Fahrstuhl zum Kino: Dieser Aufzug bringt die Gäste vom Erdgeschoss ins 1. oder 2. Untergeschoss

Die schwierige Startphase Anfang der weise hatte der Investor, die Norddeut- gleichen Mietkonditionen zurückzukeh- jedoch zugunsten eines großzügige- Blick von oben ins Foyer 1980er Jahre, in der die Presse teilweise sche Grundvermögen, ein Einsehen mit ren: Der Kinosaal sollte in Originalgröße ren Foyers verworfen: Glücklicherwei- höhnte, dass die »Kundschaft nur kle- den Liebhabern des „Metropolis“ und der im Tiefparterre des neuen Gebäudes se werden die Zeiten des bedrängten ckerweise« käme, meisterten (der seiner- anspruchsvollen Filmkultur: Um termin- neu entstehen, verbunden mit dem Wie- Schlangestehens in einem schlauchar- zeit aus Berlin vom dortigen „Arsenal“- gerecht 2008 mit dem Bau des neuen Ge- dereinbau des größtenteils denkmalge- tigen Miniatur-Zugangsbereich nun der Kino kommende) Heiner Roß und seine bäudes beginnen zu können, wurde den schützten Interieurs. Dafür musste sich Vergangenheit angehören. Auch „Rosis Mannschaft, darunter auch bereits der Kinobetreibern ein Ausweichquartier am das „Metropolis“ verpflichten, den lau- Bar“, beliebter Treffpunkt der Kinobe- heutige Leiter Martin Aust, mit Bravour: Steindamm angeboten, im ehemaligen fenden Mietvertrag früher als ursprüng- sucher vor und nach den Kinovorstel- Inzwischen ist das „Metropolis“ aus der „Savoy“-Kino, dass bereits einige Jahre lich festgelegt zu beenden. Nun trägt lungen sowie in den Pausen von Filmen Kulturlandschaft der Stadt überhaupt ungenutzt im Dornröschenschlaf vor sich sogar das ganze Gebäude den Namen mit Überlänge, wird wieder eingebaut nicht mehr wegzudenken. hin dämmerte. des Kinos: Ab sofort wirbt die Leuchtre- (wenngleich auch nicht mit dem alten Umso größer war die Sorge, als sich Neben einem kräftigen Mietzuschuss klame für das neue „Metropolis“-Haus, vertrauten Tresen, der durch eine neue, die Gerüchte nach der Jahrtausendwen- für die Zeit im wesentlich größeren (und in dessen Erdgeschoss eine Jim-Block- großzügigere Variante ersetzt wird). de verdichteten, an diesem attraktiven damit auch teurem) Übergangsdomizil Filiale und diverse Geschäfte einziehen Die Bauarbeiten für das neue Gebäu- Standort in zentraler Innenstadtlage machte der Investor „Metropolis“-Be- werden. de, die schon im August 2008 begannen, gleich neben der Staatsoper und unweit treiber Martin Aust und seinen Mitstrei- In den ersten Planungen war sogar erwiesen sich schwieriger als zunächst des Gänsemarktes, solle ein neues Büro- tern zudem das attraktive Angebot, nach die Option eines zusätzlichen zweiten gedacht: Die Baugrube musste sehr tief gebäude mit einer Shopping-Mall dem Fertigstellung des Gebäudekomplexes Drei Jahre eingelagert: Alle Original- Saals – allerdings in wesentlich kleinerer in die Erde gehen, da zukünftig insge- alten Ensemble weichen. Glücklicher- an den bisherigen Standort zu den fast lampen sind wieder an den Wänden Größe – vorgesehen. Diese Idee wurde samt drei Stockwerke (plus Betonsockel), 18 KINOLANDSCHAFT KINOLANDSCHAFT 19

Unter die Erde gewandert: Das Metropolis mit neuer feuerfester Wandbespannung, die genauso aussieht wie die alte – ein Stoff, der einst im VW-Käfer Verwendung fand

insgesamt also rund 20 Meter, unterhalb auch erstmals einen modernen Digital- der Straßenebene liegen – darunter auch beamer, weil in Zukunft ja bekanntlich der Kinosaal, der zudem gleichsam um immer mehr Filme in dieser Technik vor- 90 Grad gedreht wurde. Der wegen der liegen werden. Aber weiterhin können nahen Alster recht hohe Grundwasser- hier Stummfilme authentisch, d.h. in al- spiegel und die starken Regenfälle der len Originalgeschwindigkeiten mit 16 bis letzten Monate verzögerten die Fertig- 24 Bildern pro Sekunde gezeigt werden stellung – aufwändig musste zunächst – und auch zweistreifige Filme, bei denen Lichtleiste am Kinovorhang eine absolut dichte Betonwanne un- der Ton separat läuft. Davon profitieren terhalb des eigentlichen Fundaments werden der filmhistorische Kongress des geschaffen werden, die eindringendes CineGraph, welcher sich dem filmischen Wasser vermeidet. Gleichzeitig musste Erbe Deutschlands (und inzwischen auch ein Abrutschen der direkt angrenzenden ganz Europas) widmet: Mitte November Staatsoper in diese gigantische Baugrube wird hier dem europäischen Western ge- unbedingt vermieden werden (man den- huldigt – gezeigt werden neben einigen ke nur an das Kölner Stadtarchiv, dass Karl-May-Verfilmungen, DEFA-Indianer- am 2. März 2009 bei einem U-Bahnbau filmen und den unvermeidlichen Italo- komplett in eine ebensolche Baugrube Western auch „exotische“ Werke aus der wegkippte). Schweiz, Tschechien und sogar aus Russ- Wer jetzt schon den „Metropolis“-Saal land bzw. der ehemaligen Sowjetunion: in Untergeschoss betritt, fühlt sich in der Ein „bleihaltiges“ Cinefest 2011 ist somit Tat wie in einer Zeitkapsel: Alles gleicht garantiert. dem alten Domizil haargenau, es scheint Weiterhin wird hier das Weltkino zu – von den Türen, über die Sitze, die alten Hause sein, in Filmreihen werden Werke Lampen, die gusseisernen Barrieren im aus aller Herren Länder gezeigt, aus den Rang bis hin zu den Vorhängen – eigent- osteuropäischen Staaten, Neuseeland, lich alles hundertprozentig genau wie Kanada, Japan etc., stets Originalsprache früher zu sein. Aber eben nur scheinbar: mit deutschen Untertiteln (oder einge- Wenn man einen Unterschied finden will, sprochener Übersetzung). Auch deutsche muss man schon eine Lupe von zu Hause Filme, die im kommerziellen Kino keine mitbringen: Schaut man sich die dun- Chance haben, werden weiterhin ihre kelblaue Wandverkleidung dann unter Premiere im „Metropolis“ erleben. Und dem Vergrößerungsglas ganz genau an, wenn am ersten November 2011 nach der die ja – Insider wissen es – ursprünglich feierlichen Wiedereröffnung jene kleinen einmal aus jenem Material stammte, mit Fläschchen wieder entkorkt werden, mit dem früher auch die Sitze des VW-Käfers denen man im Juli 2008 versucht hat, bezogen wurden, wird man nun fest- den „guten Geist“ dieses Ort einzufangen, Altes Ausgangsschild und Klapp- sitz für den Filmvorführer, wenn er stellen müssen, dass es nicht genau das dann werden hoffentlich allen Anwesen- zur Soundkontrolle im Saal ist Gleiche wie früher ist: Beim Ausbau am den die Ansicht teilen, dass die Odyssee alten Standort entdeckte man nämlich, des „Metropolis“-Kino nach vielen Wid- das das alte Material extrem feuergefähr- rigkeiten nun doch ein glückliches Ende lich war – so wurde entschieden, dass die gefunden hat - und es weiterhin ein Haus gleiche Firma, die seinerzeit schon die im Fünfziger-Jahre-Charme für Entde- Wandbespannung Anfang der 1950er ckungen und Raritäten in Hamburg gibt, Jahre hergestellt hatte, selbige noch ein- der zugleich ein Cineasten-Tempel mit mal mit modernen, feuerbeständigeren hervorragender Projektion und neuester Materialien nachprägt – hier siegte ver- Technik ist. • nünftigerweise der Brandschutz vor dem Denkmalschutz. Cineasten wird sicherlich die Nach- richt freuen, dass es hier nach wie vor 16- und 35-Projektoren geben wird, aber 20 FILMGESCHICHTE FILMGESCHICHTE 21

darauf ab, Filmproduzenten Ratschläge ten Bekundungen über den Erlebnis- Konflikte deutlich, die beim Kinobesuch Wie wirken Filme auf zu geben für die erfolgreiche Gestaltung komplex ‚Film‘ zu veranlassen, nutzen entstehen. Aus den Beziehungen zu den von Filmen für Kinder und Jugendliche. Stückrath und Schottmayer ebenfalls für Filmdarstellern werden auch die Wün- Kinder und Jugendliche? Die Möglichkeiten der Infrarot-Kamera die Methode ihres „Hamburger Tests“. sche sichtbar, die der Film schafft und nutzte zu dieser Zeit auch Wolfgang Sie entwickeln drei Bildvorlagen in verstärkt. Dabei erzählen die Jüngeren Der Hamburger Filmtest Brudny in München, um „ausdruckspsy- Schattenrissmanier, die eine ergiebige wesentlich freimütiger als die Älteren. chologische Phänomene beim jugendlichen Projektionsfläche für die eigenen Verhal- Groß ist die Erwartung der Kinder anno 1955 Kinobesucher im Vorpubertätsalter“ zu be- tensweisen darstellen sollen. Die erste an den Film: „Heute gehen Manfred und obachten. Bildvorlage bezieht sich auf die Zeit vor Bärbel ins Kino. Jetzt sind sie noch in der Bevor sich die beiden Hamburger Pä- dem Kinobesuch, die zweite auf die Vor- Schule und zappeln schon vor Freude.“ Von Joachim Paschen dagogen, beide beeinflusst von William führung des Films im Kino, die dritte auf Und: „Es ist kurz vor der Kassenöff- Stern (1871–1938), dem Begründer der die Situation beim Verlassen des Kinos. nung. Plötzlich drängen sich ein Junge und wissenschaftlichen Psychologie in Ham- Zu jeder Vorlage erhalten die Betrachter ein Mädchen an die Kasse. Das ist gar nicht burg, an die Arbeit gemacht haben, hat so leicht. Die Leute mögen es nicht gern, Schottmayer die bisher angewendeten Die Möglichkeiten der wenn Kinder vordrängeln. Schließlich ha- „psychologischen Methoden zur Erforschung ben sie es doch geschafft.“ Oder: „Manche der Auswirkung des Films auf Jugendliche“ Infrarot-Kamera nutzte haben wohl die letzten Pfennige zusam- umfassend dargestellt und kritisch gewür- zu dieser Zeit auch Wolfgang mengesucht, um an dieser Veranstaltung digt. An der Fremdbeobachtung durch Brudny in München. teilzunehmen.“ Wissenschaftler bemängelt er deren „Le- Schließlich der Kinobesuch aus Lan- bensferne“ und ihr Bemühen, bestimmte geweile: „Meine Mutter sagte: ‚Mein gutes Tendenzen der Zeit durch ihre Forschung die Aufforderung, eine Geschichte zu er- Kind, du machst mich verrückt! Hier hast Vor etwa 60 Jahren haben die beiden Das Interesse an der besonderen Wirkung Kriminal- und Liebesfilme sie beeinflusst zu bestätigen. Bei der Selbstbeobachtung zählen. Für Mädchen wie für Jungen gibt du 50 Pfennig und gehe ins Kino!‘ Voller Hamburger Pädagogen Fritz Stück- des Films auf Kinder und Jugendliche er- haben. Er stellt bei Jungen wie Mädchen von Kindern und Jugendlichen vermisst es auf den Bildern Identifikationsfiguren. Freude schlug ich mir meinen Regenmantel rath (1902–1974) und Georg Schott- wachte bereits in der Frühzeit des „neuen eine Vorliebe für „dynamische Filme“ fest, er ihre Fähigkeit, das eigene Erleben re- Die beiden Forscher gehen davon aus, um und machte mich auf den Weg.“ Mediums“. Eine der ersten Veröffentli- wobei – wie die Erzieher melden – die flexiv zu erfassen. Außerdem regen der dass ein psychologisch geschulter Inter- Die älteren Jugendlichen verbinden mayer (geb. 1925) 1260 Kinder und chungen zum Thema „Kind und Kino“ ist Jungen meist für den „Verbrecher“, die Professor und sein Assistent Hamburger pret in der Lage ist, aus der erzählten Ge- mit dem Kinobesuch noch andere Moti- Jugendliche im Alter zwischen vier 1914 als Beitrag zur „Kinderforschung Mädchen für den „Helden“ Partei ergrei- Volksschullehrer zu „Experimenten“ an. schichte den Zusammenhang zwischen ve: „Neben Horst sitzt ein junges Mädchen, und 18 Jahren zu ihren Kinoerlebnis- und Heilerziehung“ erschienen. Sie be- fen. Als weniger beliebt erscheinen die So hat Eike Witten im Rahmen seiner Filmerleben und persönlichen Eigenhei- das heute zum ersten Mal Nylon an hat sen „getestet“. Sie hatten für diese schäftigt sich aus juristischer Sicht vor „erotischen Filme“. Hausarbeit den Versuch gemacht, durch ten zu durchschauen und auszudeuten. und besonders stolz ist.“ Untersuchung eine originelle psy- allem mit den verderblichen Wirkungen Besonderes Augenmerk wird auf die Phantasiegeschichten dem Filmerlebnis In der Tat kommen viele „Kino-Projek- Die Filmerzählungen zur zweiten chologische Methode entwickelt. Die „kinematographischer Vorführungen“ und Filmwirkung im Leben der „straffälligen nachzuspüren. Insgesamt 30 Schülern tionen“ zusammen, die einen tiefen Ein- Bildvorlage geben wieder, was die Kin- stammt aus der Feder des Berliner Ge- und sexuell verwahrlosten Jugend“ gerich- im Alter von 13 bis 15 Jahren (20 Jungen blick in die Lebenssituation von Kindern der besonders beeindruckt hat: „Im Nu Studie entstand am Pädagogischen richtsassessors Albert Hellwig. Der Blick tet: „Ich bin aus der Großstadt, habe sehr und 10 Mädchen) hat er einzeln Filmpla- und Jugendlichen zu Beginn der 1950er ist Carter bei ihm und schlägt zweimal zu. Institut der Universität Hamburg und in statistische Erhebungen zeigt ihm, oft das Kino besucht und bin so aufgeregt kate gezeigt und sie eine Geschichte er- Jahre ermöglichen. Es werden neben den Joan fliegt stöhnend zurück. Carters Wut wurde von zahlreichen Lehrern und dass in Großstädten Jugendliche häufig gewesen, als wenn ich alles selbst erlebt zählen lassen, wie sie sich die Handlung Grundeinstellungen zum Film auch die und sein Hass sind grenzenlos. Als er hört, Studenten unterstützt. Die 1955 er- und regelmäßig ins Kino gehen; beim Be- habe. Ich habe mit einem wahren Heiß- des Films denken. Für die Jungen ist „Der schienene Veröffentlichung wurde such einer Kindervorstellung beobachtet hunger gewartet, bis der Knalleffekt kam, Rächer von Texas“ vorgesehen: „Der Rä- sogar in einem Hamburger Nachrich- er, wie es dort zugeht: „Ich trete ein. Eine wo das Mädchen verführt wurde. Ich bin cher schießt einen über den Haufen. Dann schwüle, dunstige Luft schlägt mir entgegen. dadurch auf die abschüssige Bahn gekom- kommt es zum Kampf. Der eine holt einen tenmagazin („SPIEGEL“, Heft 3/1956) Der ganze weite Raum ist mit Kindern ge- men, so dass ich mit 20 Jahren ein Leben Stuhl und haut ihn dem Rächer über den ausführlich besprochen. füllt. Ein unbeschreiblicher Lärm herrscht. der Sünde geführt habe.“ (S. 157) Kopf. Da kämpfen sie ja. Die Frau hat auch Der Boden ist übersät mit Näschereiabfäl- Methoden der direkten Beobachtung, ein Gewehr und will gerade mit dem Kol- len. 14-jährige Mädchen und 14-jährige wie Kinder und Jugendliche auf Filme im ben zuschlagen, da kriegt sie einen an die Knaben sitzen mit heißen, erregten Gesich- Kino reagieren, wurden mit der genauen Backe. Der Rächer hilft ihr, und der Bandit tern dicht gedrängt durcheinander und Protokollierung ihrer Verhaltensweisen fliegt zum Fenster hinaus.“ necken sich in unkindlicher Weise gegensei- durch Majorie G. Dawson in New York zu- Für die Mädchen ist „Die Lügnerin“ tig. Viele Kinder naschen, Knaben rauchen erst angewendet und verfeinert, als nach gedacht: „Die darf ich ja doch nicht sehen, heimlich.“ (S. 71) dem Krieg die Infrarot-Fotografie genutzt das erlaubt meine Mutter nicht ... Sie ver- Die erste Dissertation zum Thema werden konnte: Anfang der 1950er Jahre sucht, einen Mann zu kriegen durch Lügen: „Film und Jugend“ entsteht 1933/1934 wurden in Dänemark und Großbritan- ‚Ich bin sehr reich.‘ Die Männer mögen so an der Universität München: Alois Funk nien Versuche unternommen, während etwas ja gerne. Sie stiehlt das Geld, aber will die „psychologischen Wirkungen des der Vorführung von Filmen Aufnahmen wird gefasst. Der Mann besucht sie im Ge- Films“ auf 14- bis 18-jährige Jugendliche von den Zuschauern zu machen und an- fängnis, sie bekommt ein Kind, geht zum in ganz Deutschland untersuchen, ver- schließend den Ausdruck der Gesichter Mann zurück und lügt niemals mehr. Nun schickt 5000 Fragebögen an Schulen, wo und die Haltung der Körper psycholo- heiraten sie.“ sie an Lehrer und Schüler verteilt wer- gisch auszudeuten. Die von Mary Field Diese Idee, Kinder und Jugendliche Die Infrarot-Kamera macht sichtbar, den, sowie an über 18-Jährige, die vor 1954 vorgelegte „Study of Boys and Girls direkt über die Bedeutung des Films für wie Kinder im Kino auf Filme reagieren. allem darüber Auskunft geben sollen, wie in the Cinema“ zielte jedoch vor allem ihre Person zu befragen und zu indirek- 22 FILMGESCHICHTE KOLUMNENTITELDREHORT BLINDTEXT HAMBURG 23

Die drei Bildvorlagen des Hamburger Filmtests, zu denen Kinder und Jugendliche ihre Gedanken äußern sollen. dass Joan einen kleinen Jungen ermordet können!‘ – Eine Frau: ‚Grässlich, diese den Forscher fest: „Die Beziehung zwi- Folge hatte, stand für ihn fest, dass er den Verbre- Wild-Westfilme!‘ So hat jeder seine Plage schen Lebenslage und Filmkonsum zeigt cher stellen müsste. Er schießt seine Rechte mit dem Film. Zuletzt kam noch ein gan- sich in klaren und eindeutigen Formen. gegen Joans Kinn ab, der Schlag sitzt ge- zer Schwung Jungen und Mädel aus dem Das Kind geht nicht nur ins Kino, um sei- 1 nau auf dem Punkt. Das Publikum ist be- Kino. Sie redeten ganz durcheinander. ne naturhaften Antriebe zu befriedigen; es friedigt.“ Der eine meinte: ‚An der Stelle hätte ich sucht auch die Leinwand als Ausgleich oder Der große Coup des „Härtesten der Harten“ Spannung, Erregung, Fesselung wer- den Bandit gleich runtergeknallt!‘“ Zuflucht bei abträglichen inneren Situatio- den gespürt: „Da ist doch wahrhaftig so ein Auch die Identifizierung mit Filmge- nen.“ Für die Jugendlichen stillt der Film „Ein achtbarer Mann“ (1972) hinterlistiger Dieb bei Nacht in ein Haus stalten wird offenbart: „Der Junge sieht die „Sehnsucht nach Ich-Ausweitung und geschlichen und überfällt den Wächter, der sich selbst als Held. Für ihn ist der Film Ich-Gestaltung“; wie bei den Erwachse- Von Volker Reißmann gerade ein kleines Nickerchen macht. In noch nicht zu Ende. Für ihn geht er weiter, nen füllt der Film „die persönliche Leere Foto: Mehrens/Conti-Press solcher Situation ist man immer so aufge- bis er wieder einmal ins Kino geht, solan- mit erregendem Stoff, bringt Ablenkung regt, als ob es wirklich passiert. Man denkt ge wird er in ihm mit seinen Bildern nicht und Entspannung und ermöglicht die nicht darüber nach, dass es nur ein Film ist.“ erlöschen.“ Ihre Erwartungen ans Leben Flucht aus widrigen Daseinslagen“. Auch der Zustand der Erstarrung und lassen junge Mädchen in ihren ausführli- Fast prophetisch mutet das Fazit ihrer Hamburg als Filmstadt im 20. Jahrhundert: In regelmäßigen Beiträgen werden an dieser Stelle künftig vor allem Benommenheit wird geschildert: „Gerade chen Erzählungen zur dritten Bildvorlage Studie an, vor allem wenn man das Wort Kinofilme vorgestellt, denen die Hansestadt als Kulisse diente. Neben allseits bekannten Klassikern wie „Arche Nora“, öffnete sich die Klappe einer fliegenden erkennen: „Als das Kino aus ist, stehen sie Film durch den Begriff Medium ersetzen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ und „Große Freiheit Nr. 7“ sollen aber auch weniger bekannte Werke Untertasse und eine braune dünne Hand beide auf und der junge Mann fragt sie, ob würde: „Der Film ist der maßgebende Lehr- noch einmal in den Blickpunkt gerückt werden, die vollkommen zu Unrecht längst in Vergessenheit geraten sind. er sie nach Hause bringen darf. Sie ist im meister der Jugend über das Leben gewor- „Das Mädchen hat die Augen Moment ziemlich erschrocken darüber. So den. Er liefert ihr heute in erster Linie die Den Anfang macht in dieser Folge der Serie der Gangsterfilm „Ein achtbarer Mann“, der Anfang der 1970er Jahre in weit aufgerissen, damit ihr ein Erlebnis hatte sie noch nie. Aber sie fin- Aufklärung über die Welt der Erwachsenen. Hamburg entstanden ist: Eine europäische Co-Produktion, die noch vollkommen ohne irgendwelche Fördergelder auskam – aber trotzdem mit dem Namen eines Weltstars wie Kirk Douglas auf der Besetzungsliste aufwarten konnte. nichts von dem entgeht, was det es ganz reizvoll, so ein kleines Erlebnis Wenn die Grenzen zwischen den Generati- zu haben.“ onen heute weitgehend verwischt sind, so da im Film ist.“ Jugendliche nehmen wahr, dass ein geht das nicht zuletzt auf das Darstellungs- Am 8. April 1972 überraschte das „Ham- mehrfach hatte er in den 1950er und die Kamera surrt, und die Augen der Italie- Film umso ergreifender ist, je näher er ih- mittel zurück, das wie kein anderes in alle burger Abendblatt“ seine Leser auf der 1960er Jahren Filme auch in Deutsch- ner glänzen, wie nur Augen von Italienern erschien. Ich saß wie erstarrt auf meinem rem Leben steht: „Eine jüngere Frau steht menschlichen Bezirke hineingeleuchtet und Titelseite mit der Überschrift: „Auch land gedreht, darunter Klassiker wie glänzen können.“ Platz und starrte auf das Bild. Ich wagte vor dem Reklameschild des eben gesehenen den Vorhang beiseite geschoben hat, der für harte Männer haben Schwächen“ – und „Wege zum Ruhm“ (1957) von Stanley Der Film, der hier entstand, war ein mich nicht zu rühren, mir war heiß zumu- Films. Plötzlich fängt sie an zu weinen. Auf frühere Jugendgenerationen noch vor dem teilte mit, Hollywoods „härtester Mann“, Kubrick und „Stadt ohne Gnade“ (1961) gutes Beispiel für die typisch internatio- te, ein Schauer lief mir über den Rücken.“ dem Plakat ist ein Mann hinter Stachel- vollen Leben hing.“ Kirk Douglas, drehe seinen 55. Film der- von Gottfried Reinhardt. Doch erstmals nalen Co-Produktionen, wie sie in jener Einen sehr breiten Raum nimmt das draht abgebildet. Nun konnte ich es mir Und in der Tat – über diese Erkennt- zeit in Hamburg. Mit der Hansestadt drehte der Hollywood-Star jetzt auch in Zeit zur Minimierung des finanziellen Ri- Schwärmen der Mädchen für ihre „Lieb- denken: Die Frau hatte ihren Mann im nis aus dem Hamburger Filmtest kom- verband Kirk Douglas bzw. die Familie Hamburg, wie der Filmjournalist Mathes sikos üblich waren: Der deutsche Geldge- linge“ auf der Leinwand ein: „Wenn einer Krieg verloren.“ men die medienpädagogischen Untersu- seiner Eltern sowieso eine besondere Be- Rehder im „Abendblatt“ stolz und zu- ber, in diesem Fall die kurzlebige „Deut- im Film ein Mädchen im Arm hält, dann Wie sehr der Film Vorbild und Wunsch- chungen der folgenden Jahrzehnte kaum ziehung, schließlich hatte doch sein Vater gleich ein wenig pathetisch zu berichten sche Paramount-Orion Gesellschaft“ in stellt sich das Mädchen im Kino vor, das ist welt bedeuten kann, zeigen weitere Äu- hinweg! • Herschel „Harry“ Danielovitch (Demsky) wusste: „Poststraße, Ecke ABC. Ein Kinn München unter Leitung des Produzenten sie.“ Aber auch kritische Einwände an der ßerungen: „Das Mädchen hat die Augen als jüdischer Emigrant aus der weißrus- kommt um die ‚Corner‘. Das berühmteste Willy Benninger hatte eine überwiegend „Unechtheit“ der Filme werden geäußert: weit aufgerissen, damit ihr nichts von sischen Stadt Homel Europa um 1900 Kinn, das Amerika der Welt bescherte. Es aus Italienern bestehende Crew ange- „Ach, eigentlich ist doch alles Quatsch. Die dem entgeht, was da im Film ist. Wenn sie Literaturhinweis: Fritz Stückrath und Georg über den damaligen Auswandererhafen gehört Kirk Douglas, dem ‚Härtesten der heuert, die nun eine illustre Schauspie- Aufmachung immer so schön, und in Wirk- abends im Bett liegt, dann träumt sie da- Schottmayer: Psychologie des Filmerlebens in Hamburg in die Vereinigten Staaten ver- Harten‘ in Hollywood. Auf der Straßen- ler-Riege aus aller Herren Länder in Sze- lichkeit ist das gar nicht so schön, ist das gar von, dass sie auch mal reich ist und so die Kindheit und Jugend. Hamburg, 1955 lassen. Nun war sein Sohn Issur, wie Kirk seite gegenüber stehen um eine Kamera ne setzte: Neben Kirk Douglas spielte nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe.“ langen Kleider, Schmuck und ein elegantes Douglas ursprünglich mit bürgerlichem gruppiert mehrere meist schwarzgelockte Giuliano Gemma, vor allem durch Italo- Nach der Vorstellung wird über den Haus hat.“ Vornamen hieß, „back in town“. Männer und blicken beschwörend in den Western gerade zu einigem Star-Ruhm Film gesprochen: „Jeder wusste etwas an- Als Ergebnis ihrer Untersuchung mit Seine ersten Dreharbeiten in „Old wolkenverhangenen Himmel. O sole mio – gekommen, die zweite Hauptrolle. An deres zu sagen: ‚Da hätten mehr Tote sein dem Hamburger Filmtest halten die bei- “ waren dies indes nicht. Bereits wann kommst Du! Schließlich kommt sie, ihrer Seite: das brasilianische Fotomodell 24 DREHORT HAMBURG DREHORT HAMBURG 25

Pressetermin mit Kirk Douglas, Florinda Bolkan, Giuliano Gemma und Regisseur Michele Lupo am 5. April 1972 auf dem Kai der Kokerei Kattwyk im Hamburger Hafen.

drehte der Italiener Giuliano Montaldo Betrachtet man das Werk aus heutiger mit „Top Job – Diamantenraub in Rio“ Sicht, dann regt er insbesondere Lokal- sicherlich eines der besten Werke dieses Patrioten doch arg zum Schmunzeln an: Sub-Genres – auch hier war es übrigens So besteigt der von Kirk Douglas gespiel- eine ausgewogene Mischung amerikani- te Gangster an den Landungsbrücken scher, italienischer und deutscher Schau- eine Hadag-Fähre, die ihn direkt nach spieler, darunter Edward G. Robinson, Lübeck-Travemünde bringt, wo er dann Janet Leigh, Klaus Kinski und Robert einen Laden für Elektro-Trödel besucht. Hoffmann, die auf Besetzungsliste stan- Das selbiges technisch unmöglich ist – die den. Und zwei Italiener, die bei „Top Job“ Hadag-Fähre müsste ja durch den Nord- (und auch bei dem nur wenig später ge- Ostsee-Kanal fahren und bräuchte dafür drehten Italo-Westernklassiker „Spiel mir mindestens einen ganzen Tag – scherte das Lied vom Tod“) dabei waren, mischten den offenbar ortsunkundigen Drehbuch- übrigens beim in Hamburg entstandenen Schreiber nicht im Geringsten. Auch bei „Achtbaren Mann“ mit: Der oscargekrön- der charakteristischen Hamburger U- te Filmkomponist Ennio Morricone und Bahn, in die Kirk Douglas im U-Bahnhof der ebenfalls mehrfach ausgezeichnete Gänsemarkt reichlich ramponiert (weil Kameramann Tonino della Conti. er gerade angeschossen wurde) einsteigt, handelte es sich offenbar um einen ext- Florinda Bolkan, mit indianischen Wur- Lob von der lokalen Presse rem kurzen Versuchszug der Hochbahn, zeln – und natürlich waren auch deut- Lassen wir noch einmal das „Abendblatt“ der nur aus zwei der in den 1960er und sche Schauspieler wie Reinhard Kollde- in seinem zeitgenössischen Beitrag zu 1970er Jahren typischen Brotkasten-Wa- hoff und Wolfgang Preiss mit von der Wort kommen: „Während ein neuer Platz- gen (die sonst eigentlich immer nur als „Kirk Douglas: Das markante Hafentreppe bei einer weiteren Schläge- Auch der Hinweis der großformatigen Partie. regen das Filmvolk von der Straße vertreibt, Dreier-Kombination zum Einsatz kamen) Grübchenkinn gereckt, die rei kunstvoll in ihre Bestandteile zerlegt Werbeanzeige zahlreicher Zeitungen auf findet Kirk Douglas Zeit für eine Tasse Kaf- bestand. Ein markantes sechseckiges Ge- Zähne gebleckt – ein Star in – dabei fallen ganze Regale um und ge- das damals populäre „Helldriver-Team Beitrag zu neuem Sub-Genre fee in einer nahen Wirtschaft. Da sitzt er in bäude in der City-Nord, eigentlich der hen Dutzende von Flaschen klirrend zu Remy“ (die neben diesem Film auch für Der Plot des Films war recht simpel ge- voller Lebensgröße, von den Stammgästen Sitz eines deutschen Mineralöl-Konzerns, einer Zeit, in der die Sterne Bruch. Auch der gerade in Hamburg gas- die rasanten Verfolgungsjagden in „Bul- strickt; er wurde mit wenigen Sätzen wie mit großen, noch immer etwas zweifeln- mutiert im Films flugs zur „Europäischen langsam verlöschen!“ tierende Zirkus Krone wurde als Kulisse litt“, „Der Coup“, „Is was, Doc?“ und dem folgt im Programmmheft zusammenge- den Augen bestaunt: Kirk Douglas, der alte Zentralversicherungsbank“ – ist es doch genutzt, wobei Giuliano Gemma sein James-Bond-Film „Diamantenfieber“ ver- fasst: „Ein amerikanischer Gentleman- Wikinger, der Champion, wettergebräunter erklärtes Ziel der Gauner, an deren ge- akrobatisches Können als Hochseilartist antwortlich zeichneten), half schließlich Verbrecher namens Steve Wallace (Doug- Westenheld und Reporter des Satans. Ein heime Bargeldreserven zu gelangen. Und das Auto in der nächsten Szene schon unter Beweis stellen durfte. nicht: Ein großer Erfolg wurde „Ein acht- las), vor dem kein Geldschrank sicher ist, Energiepaket mit der Ausstrahlungskraft ein ebenfalls zum Ziel eines Raubes wer- durch Fuhlsbüttel und wenig später ist Am Freitag, den 12. Januar 1973, barer Mann“ weder in Hamburg noch in wird aus dem Gefängnis entlassen. Der einer Flutlichtlampe. Das markante Grüb- dendes Leihhaus befindet sich eindeutig man wieder im Kohlehafen angekom- fand dann in Hamburg im „Passage“- anderen deutschen Städten – und bereits als ‚Safeknacker Nr. 1‘ bekannte Gauner chenkinn gereckt, die Zähne gebleckt, die im Gebäude der Patriotischen Gesell- men. Köstlich auch das sprachliche Kino die offizielle Erstaufführung von wenige Wochen später war das Werk hatte bisher nur einmal Pech, als man Gesichtsmuskeln in steter, immer wieder schaft an der Trostbrücke. Kauderwelsch, welches jedoch nur in „Ein achtbarer Mann“ statt. Kirk Douglas dann in den Untiefen der Filmarchive ihn schnappte und für drei Jahre hinter neu überraschender Bewegung. Ein Star Und so unlogisch geht es weiter: der Originalfassung richtig zur Geltung konnte nicht kommen, da er bereits ei- verschwunden. schwedische Gardinen steckte. Doch nun in einer Zeit, in der die Sterne langsam Brausen die Gangster bei einer halsbre- kommt: Neben gelegentlichen deutschen nen neuen Film drehte, aber die Co-Stars So überrascht der Umstand wenig, ist er wieder frei und kehrt – eskortiert verlöschen!“ cherischen Verfolgungsjagd eben noch Wortfetzen, zumeist mit schauerlichem Giuliano Gemma und Reinhard Kollde- dass dieser Film bisher nie im Fernsehen von einem ‚Freund‘ Inspektor Hoffmann durch Altona und die Hafenstraße, rast Akzent der betreffenden Darsteller, do- hoff eilten um 20.45 Uhr zur Premiere – zu sehen war und eine Auswertung auf (Reinhard Koldehoff) – zu seiner rassigen Starke Männer und ihre Schwächen miniert natürlich Englisch (oder genau- und gaben vor und nach der Vorstellung Video oder DVD – zumindest in Deutsch- Freundin Anna (Florinda Bolkan) zurück, Auch ein überraschendes Eingeständnis er gesagt: Englisch mit amerikanischen fleißig Interviews: „Die Regisseure wollen land – nie stattgefunden hat. Eigentlich die schon voller Ungeduld auf ihn gewar- des Weltstars ist in den dort abgedruck- Akzent wie z.B. bei Kirk Douglas) – nur immer Action von mir, dabei bin ich ein ein wenig schade – zeigt doch der Film tet hat. Aber zu Hause sitzen und Däum- ten Interviewpassagen zu finden: „Ich die braven Nachtwächter in der Zentra- ruhiger Typ ...“, äußerte der Schauspieler Hamburg als Schauplatz eines sensati- chen drehen ist nichts für ihn: Schon nach habe immer versucht herauszufinden, wo len Versicherungsbank hören auf einmal Gemma zum Beispiel gegenüber einem onellen Coups einer Verbrecherbande kurzer Zeit hat Steve ein neues ‚Objekt‘ für bei den starken Männern, die ich zu spie- (unlogischerweise!) die italienisch-spra- „Abendblatt“-Redakteur, was diesen zu und präsentiert gleichzeitig recht unge- seinen nächsten Coup gefunden – die len hatte, die Schwächen liegen. Denn so chige Radioübertragung eines Fußball- dem Kommentar reizte: „Verständlich, wöhnliche Schauplätze der Hansestadt Europäische Versicherungsbank, ein ‚Silo‘ stark ist keiner, dass er keine Schwächen Länderspiels (offenbar hat hier die Syn- was die Filmmänner verlangen. Giuliano wie den Kohlenhafen für eine spannen- für die Dollar-Millionen der Hochfinanz.“ hätte!“ Dabei führte Douglas laut Be- chronisation nicht aufgepasst). ist schön, aber wenn er sich prügelt ist er de Krimistory. Und liefert zugleich ein Neu war der Stoff demzufolge nicht: obachtung des Abendblatt-Redakteurs Weil Michele Lupo wenig später zu am schönsten!“ Wiedersehen mit dem unvergesslichen, Bereits 1955 hatte der französische Re- „mit energischem Ruck die Kaffeetasse an einem der „Hausregisseure“ von Bud heute 94-jährigen Hollywood-Haudegen gisseur Jules Dassin mit seinem Meister- den Mund“. Stolz berichtete Douglas da- Spencer und Terence Hill avancierte, In den Kinos floppte der Film Kirk Douglas – einem der wirklich letzten werk „Rififi“ gleichsam ein neues Sub- nach, dass er im selben Jahr noch große durften hier (quasi als Fingerübung des Von der Filmkritik wurde das Werk über- Veteranen der alten Schauspieler-Garde, Genre des Kriminalfilms erfunden, bei Pläne habe und demnächst das erste Mal Regisseurs) etliche Prügelszenen nicht wiegend ignoriert oder als „belanglos“ der seit seinem schweren Schlaganfall im dem zumeist eine kleine Bande raffinier- in Jugoslawien beim Film „Scalawag“ auf fehlen, so u.a. gleich im ersten Filmd- abgetan. Immerhin urteilte der Katho- Jahre 1996 leider nur noch höchst selten ter Diebe unter größten Schwierigkeiten einem Regiestuhl Platz nehmen wolle: rittel zwischen Giuliano Gemma und lische „film-dienst“ erstaunlich fair und auf der Leinwand zu sehen war. • die ausgeklügelten Sicherheitssysteme Mit dem Satz „Kirk reckt das Kinn schon einem finsteren Schurken in einem en- fand, die „konstruierte und psychologisch einer Bank oder eines Museums über- wieder in die Kamera“, schließt dann der gen Hinterhof. Und natürlich wird auch simple Kriminalstory“ sei unabhängig Nächste Folge der Serie „Drehort Hamburg“: winden müssen, um dann schließlich „Abendblatt“-Bericht über die Dreharbei- eine extra für den Film als Kulisse einge- von einigen Schwächen durchaus „effekt- „Das Mädchen aus Hamburg“ (1959) von den „ganz großen Coup“ zu landen. 1967 ten zu „Ein achtbarer Mann“. richtete Weinhandlung an der Ecke zur voll und gekonnt in Szene gesetzt“ worden. Yves Allégret 26 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER 27

Betzels Vorhänge Das Rio in Horn

Von Volker Reißmann

In Horn, im Osten Hamburgs im Urstromtal der Elbe gelegen, gab es mit den „Derby“-Lichtspielen ab 1932 ein erstes ortsfestes Lichtspielhaus mit 402 Plätzen. Zuvor hatten die Einwohner nur die Möglichkeit, ins benachbarte Hamm, nach Billwerder-Ausschlag/Rothenburgsort oder nach Billstedt auszuweichen – wenn sie es nicht gleich vorzogen, die mit der Straßenbahn relativ schnell erreichbaren Premierenkinos der Innenstadt zu besuchen. Den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg fiel dann leider das Gebäude der „Derby“-Lichtspiele zum Opfer, weshalb vorübergehend 1950 ein Ausweichtheater in Schulräumen unter der Adresse Beim Pachthof eingerichtet wurde. Erst 1952 fand ein vom Architekten Richard Fromm konzipierter Wiederaufbau am Bauerberg 20 mit 560 Plätzen statt (womit sich die Platz- zahl um fast ein Viertel gegenüber dem Vorgängerbau erhöhte). Doch die „Derby“-Lichtspiele sollten nicht das einzige Kino in Horn bleiben – denn fast zeitgleich gab es bereits konkrete Pläne, auf einem bis dahin nur mit Baracken bebauten Grundstück an der Washingtonallee 90/Ecke Vierbergen ein noch größeres Kino mit über 680 Plätzen zu errichten. Folge 17

Das „Rio“-Kino am Tage der Eröffnung, dem 2. August 1957. Foto: Janke/Bildarchiv DA

Das Hamburger Architekturbüro Dr. lich eines großzügig bemessenen Vor- Grundstücks unter Beweis gestellt haben ren Kinobetreiberfamilie, den Bunars – auch das „Friedrichtheater“ mit 814 Plät- Streb beauftragte habe, den Ausbau des Sottorf und Richter legte 1954 schließ- führraumes. Ein weiteres Ladengeschäft – den Betrieb eines fast 700 Plätze um- so setzte Hans Betzel den Filmkaufmann zen in Dessau zu seinem Kinoimperium Obergeschosses der Ruine des ehemaligen lich eine erste Skizze für ein solitär (für eine Radiohandlung) sowie eine fassenden Lichtspieltheaters alleine zu Eldon Bunar in den 1930er Jahren als Ge- hinzu. Hapag-Gepäckabfertigungs-Gebäudes am stehendes Kinogebäude vor. Doch offen- Gaststätte im Erdgeschoss, die mit knapp führen, trauten sie sich ganz offensicht- schäftsführer des „Rex“-Lichtspielhauses Am Ende des Zweiten Weltkrieges Hauptbahnhof zu planen. Laut zeitgenös- bar verzögerten finanzielle Probleme 145 Quadratmetern Platz für rund 80 lich nicht zu. Ein kompetenter Geschäfts- in Lichterfelde ein. hatte Betzel jedoch die meisten seiner sischer Presse handelte es sich bei den im eine Realisierung dieser Pläne und erst Gäste bieten sollte, waren nun ebenfalls partner musste also her – und sie fanden Kein Wunder also, das Johannes Kinos wieder verloren, sei es durch Zer- September 1949 eröffneten „Bahnhofs- nach einem Wechsel des Grundstücksei- in den Entwurf des Kinogebäudes inte- ihn schließlich in dem seit vielen Jahren Betzel bereits mit knapp 30 Jahren in störung bei Bombenangriffen oder durch Lichtspielen“ (BALI) um den ersten „mo- gentümers (zwischenzeitlich hatten die griert worden. Zur Seitenfront an der im Kinogeschäft tätigen Johannes Betzel. Berlin-Zehlendorf selbst sein erstes Kino, Zwangsenteignung, wenn sie – wie das dernen Kinoneubau in Hamburg nach dem Herren Ernst und Dicko Schnack das Nebenstraße Vierbergen waren zwei Der am 26. Januar 1903 in Emlichheim das 555-Plätze-Traditionshaus „Zeli“, „Babylon“ – im Ostsektor lagen. Kriege“. Bereits zwei Jahre später, 1952, Objekt gekauft) konnte mit einem neuen Notausgänge vorgesehen – und eine für im Kreis Bentheim in Niedersachsen ge- leiten durfte. 1937 übernahm er das Im April 1946 konnte er jedoch das baute er das Kino allerdings schon wie- Entwurf der Bau eines Kinos an diesem damalige Verhältnisse stattliche Zahl von borene Filmkaufmann hatte das Kinoge- „Capitol“-Kino in Berlin-Karlshorst mit „Capitol“ in Wilmersdorf wiedereröff- der um, errichtete einen zusätzlichen Standort begonnen werden. Parallel bau- Stellplätzen für Autos der Besucher. schäft von der Pike auf gelernt. Sowohl 935 Plätzen, das er mit dem Geschäfts- nen. Alsbald dehnte er sein Geschäftsfeld Mittelgang und vergrößerte die Reihen- te die Gemeinnützige Wohnungsbauge- Mögen die Schnacks auch ihr Ge- seine Eltern als auch seine Geschwister führer Horst Feldt zusammen leitete. auch auf Hamburg aus. Bereits im März abstände – damit konnte er nun hier sei- sellschaft „Walddörfer“ auf der östlich an schick im Erwerb und der anschließen- waren im Kinogeschäft tätig: Die Namen Richtig florierte das Geschäft dann aller- 1949 berichtete das „Hamburger Abend- nen lange gehegten Plan eines „Aktuali- das Grundstück angrenzenden Fläche den Finanzierung der Bebauung des wie Gustav, Hans und Fenna Betzel sind dings erst mit Beginn des Zweiten Welt- blatt“, dass er den Architekten Ferdinand täten-Kinos“ (aki) in die Tat umsetzen: einen dreigeschossigen Wohnblock. in den Kinoadressbüchern der 1930er krieges: Da Johannes Betzel zunächst Hier liefen (bis zur Schließung Ende Die Architekten präsentierten den Jahre mehrfach zu finden – als Inhaber vom Wehrdient befreit war, übernahm 1963) ausschließlich Wochenschauen neuen Eigentümern einen geänderten oder Pächter diverser Kinos, zumeist im er – teilweise gemeinsam mit Helmuth sowie mehr oder weniger kurze Kultur- Entwurf, der nun ein Kinogebäude vor- Großraum Berlin. Gemeinsam mit der Philippi – gleich mehrere Kinos in Berlin, und Dokumentarfilme – und der Einlass sah, welches direkt an das Wohnhaus Familie Natkin betrieben die Betzels u.a. deren bisherige Betreiber u. a. aufgrund fand während der Öffnungszeiten rund anschließen sollte – ein (von Anfang an die „Savoy“-Lichtspiele in der Martin- einer Einberufung ihre Häuser nicht um die Uhr statt (siehe dazu auch „Ham- für eine Apotheke vorgesehenes) Laden- Luther-Straße 5 in Schöneberg und ein mehr alleine weiterführen konnten. So burger Flimmern“ Nr. 4/1998, S. 2–4). geschäft stellte nun eine direkte Ver- Tageskino in der Tauentzienstraße 7 a. gelang es Betzel Anfang 1940 dann auch, Kein Wunder, dass so viel Geschäfts- bindung zwischen beiden Gebäuden 1938 übernahm Fenna Betzel gemeinsam das noch heute existierende Traditions- tüchtigkeit auch Neider auf den Plan rief, dar. Die Nutzfläche im Erdgeschoss des mit Erich Windus die „Corso“-Lichtspiele haus „Babylon“ in Berlin-Mitte zu über- die ihn beispielsweise wegen seiner un- Kinogebäudes sollte 650 Quadratmeter an der Prenzlauer Promenade in Berlin- nehmen – und noch ein weiteres Kino konventionellen Verkaufsmethoden für betragen, mehrere Büros im ersten Stock Weißensee, die sie sogleich in „Rio“- namens „Rio“-Lichtspiele in Lichtenfelde Kinokarten bei der Presse anschwärzten: waren als Betriebsräume für die Ge- Lichtspiele umbenannten. Gut bekannt am Gardeschützenweg. Im März 1940 Am 8. Juni 1950 berichtete das Nachrich- schäftsführung vorgesehen, einschließ- waren die Betzels auch mit einer ande- kam dann erstmals außerhalb Berlins tenmagazin „Der Spiegel“, dass der „viel- 28 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER 29

liefert – damals waren es jedenfalls der Weil er weiterhin nach neuen Kinos- Im „Hamburger Abendblatt“ reich- Schweizer Spielfilm „Die Vier im Jeep“ von tandorten Ausschau hielt, kam Johannes te es am 2. August 1957 nur zu einer Leopold Lindtberg und Elizabeth Monta- Betzel das Angebot der Familie Schnack schlichten Notiz: „Zwei neue Filmtheater gu und zwei französische Kriminalfilme sehr gelegen, nun auch im Osten Ham- in Hamburg: Ernst Schnack eröffnete in („Unbekannt verzogen“ von Jean-Paul Le burgs im Stadtteil Horn ein Kino aufzu- Horn, Washingtonallee 90, die für 686 Chanois und „Schwergericht“ von André machen – unweit der Autobahn nach Besucher eingerichteten ‚Rio-Lichtspiele‘. Cayatte), die sich den Goldenen Bären – Berlin. Die Namensgebung „Rio“ dürfte In der Carl-Petersen-Straße 53 in Hamm entsprechend den damaligen Preisverga- auf Betzel zurückzuführen sein, hatte er stellte Jeltheda Iderhoff ihren Gästen das be-Regularien – teilen mussten. ja schon zu Kriegszeiten in Berlin zwei neue ‚Roxi‘ vor. Das Kino hat 734 Sitzplät- Ende 1951 bekam Johannes Betzel Kinos unter diesem Namen geführt. Der ze. Mit den beiden Lichtspieltheatern, die die Option, das auf den Fundamenten des Hamburger Redakteur Hellmuth Stolp über jeweils eine Cinemascope-Breitwand früheren Gesellschaftshauses „Klinker“ berichtete für das noch heute existieren- verfügen, hat sich die Zahl der Hamburger von den Architekten Eberhard Kraft und de Branchenorgan „Filmwoche“ (zwi- Kinos auf 176 erhöht.“ Hermann Fehling eingerichtete „weltstäd- schenzeitlich mit dem „Film-Echo“ fu- Soweit die nüchterne Statistik der tisch elegante Kino“ (Zitat Abendblatt) sioniert) am 31. August 1957: „Wie alle auflagenstärksten Hamburger Zeitung – namens „Holi“ als Inhaber zu überneh- Betzel-Häuser verrät auch das neue Ham- in den Wochen zuvor hatten sich in der men. Sicherlich ist es seiner Initiative zu burger ‚Rio‘ den vergangenheitsbeding- Tat Jeltheda Iderhoff und Johannes Bet- verdanken, dass neben 783 grüngepols- ten, exotischen Geschmack des versierten zel noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin- terten Sesseln der für den Saal vorgesehe- Schaumanns, der seinem Publikum stets sichtlich der Tatsache geliefert, wer denn ne schlichte graue Vorhang von Kulissen- Neues und Originelles zu bieten bemüht nun als erster sein neues Kino aufmachen malern des Deutschen Schauspielhauses ist. Auf den Namen des Hauses nimmt der würde: Die Objekte lagen schließlich nur mit bunten Hamburg-Motiven in Rot- Bühnenvorhang mit einem farbigen Fanta- ein paar Kilometer auseinander in den Gold-Blau bemalt wurde (wobei dekorati- sie-Panorama von Brasiliens Hauptstadt zwei benachbarten Stadtteilen Hamm ve Pailetten und Glassteinchen zusätzlich Rio de Janeiro Bezug.“ und Horn, sie hatten zudem ungefähr die ein eigentümliches Glitzern erzeugten; Die Idee, wie ein paar Jahre zuvor gleiche Platzzahl und überschnitten sich von Mai bis Dezember 1988 wurde der schon in seinem „Holi“-Kino auch hier natürlich auch hinsichtlich der potentiel-

Foto: Janke/Bildarchiv DA Vorhang nach rund 250.000 Vorstellun- einen bunt dekorierten Vorhang einzu- len Besucher-Klientel – doch das Rennen gen aufwändig für rund 75.000 DM res- bauen, stammte zweifellos von Betzel endete bekanntlich zunächst einmal mit tauriert, wobei das Denkmalschutzamt selbst. Das „Rio“-Filmtheater hatte genau einem „Unentschieden“. die Hälfte der Kosten übernahm – bereits 686 Plätze und eine Bildwand in der Grö- Der erste Hamburger, den die Doppel- 1948 hatte Betzel übrigens in Berlin den ße von 5 x 12 Meter. Die kinotechnische Eröffnung in Entscheidungsnot brachte, Saal der neben seinem alten „Capitol“- Beratung, die Lieferung und der Einbau war übrigens der legendäre Bildbericht- Kino eröffneten „Studio-Erstaufführungs- der gesamten Kinotechnik und der Be- erstatter Horst Janke: Wie immer war es bühne“ mit einem mit Berliner Stadtmo- stuhlung wurde von der Firma Film-Ton- sein Ehrgeiz, Neueröffnungen von Kinos tiven wie dem Funkturm bemalten Vor- Technik Dr. Karl Weinrebe aus Hamburg in der Hansestadt fotografisch festzu- hang ausstatten lassen). Das „Holi“-Kino übernommen: Zwei Philips-Projektoren halten – und tatsächlich schaffte er es, selbst nahm dann am ersten Weihnachts- FP 56 mit Luft- und Wasserkühlung und beide Events am 2. August 1957 mitzu- feiertag 1951 in Anwesenheit des stolzen eine High-Fidelity-Tonanlage sorgten für nehmen, wobei er zeitlich dem „Rio“- neuen Inhabers Johannes Betzel seinen optimalen Seh- und Hörgenuss. Kino den Vorzug gab, da er dort eine kleine

Aus einer im Staatsarchiv verwahrten Baupolizei-Akte. Aus einer im Staatsarchiv Spielbetrieb auf. Doch noch immer suchte Betzel in Berlin wie auch in Hamburg nach Mög- lichkeiten, weitere Lichtspieltheater zu oben: Das „Rio“-Kino am Tage der Eröffnung, fache Kinodirektor Johannes Betzel“ für bereitung Internationaler Filmfestspiele gründen. So bewerkstelligte er 1953 dem 2. August 1957. Gezeigt wurde das sein Berliner „Studio“-Kino inzwischen die Arbeit aufgenommen – und als der zusammen mit August Battmer den Um- deutsche Lustspiel „Das Mädchen ohne einen unrechtmäßigen Verkauf von frischgebackene Festivaldirektor Alfred bau des Revuetheaters „Flora“ zu einem Pyjama“ Kinokarten eingerichtet hätte, um den Bauer die erste Spielfilm-Jury für die Kino und übernahm den dortigen Spiel- unten: Die Baupläne aus dem Jahre 1956 Schwarzhändlern ihre privaten Profite im Sommer 1951 erstmals stattfinden- betrieb. Ab 1955 führte Betzel auch die zeigen die Frontansicht und den Grundriss wegzunehmen: „Vor seinem Kino stellte den Festspiele berief, gehörte ihr neben „Ottensener Lichtspiele“ sowie die unter des Erdgeschosses des Gesamtkomplexes Betzel fünf bis sechs hübsche Rote-Kreuz- dem Filmkomponisten Werner Eisbren- dem Namen „Rex“ wieder aufgebaute an der Ecke Washingtonallee/Vierbergen Schwestern auf, denen er eine gewisse An- ner, dem Publizistikwissenschaftler Emil „Schauburg Wandsbek“ in der Wandsbe- in Hamm. zahl von Karten zur Verfügung stellt. Wer Dovivat, der Politikerin Hilde Lucht- ker Marktstraße. nach Ausverkauf noch schwarz ein Billett Perske, dem Theaterkritiker Walter erflüstern will, muss den Aufschlag in die Karsch, der Kabarettistin Tatjana Sais, Sammelbüchse tun.“ dem Pädagogen Paul Heimann auch Jo- Und noch jemand wurde auf Betzel hannes Betzel als einziger Vertreter der Noch ein Kino mit einem inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Vorhang, den aufmerksam: Ende 1950 hatte auf Initi- Filmtheaterbetreiber an. Ob seine Mei- Johannes Betzel in Auftrag gab: Blick ative des US-amerikanischen Filmoffi- nung wesentlich zur Jury-Entscheidung inden Saal des noch heute existierenden ziers Oscar Martay ein Komitee zur Vor- beigetragen hat, ist leider nicht über- „Holi“-Kinos an der Schlankreye. 30 KOLUMNENTITEL BLINDTEXT ALTE HAMBURGERKOLUMNENTITEL LICHTSPIELHÄUSER BLINDTEXT 31

Blick in den Saal des „Rio“-Kinos mit dem kunstvoll mit brasilianischen Motiven

bestickten Vorhang. Foto: Janke/Bildarchiv DA 32 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER 33

später der Jürgen-Roland-Krimi „Heißer – bis zuletzt hatte er seine Beteiligung an Hafen Hongkong“ mit Klaus-Jürgen den Filmtheatern „Bali“, „Holi“, „Picca- Wussow. Mit dem Filmklassiker „Das dilly“ in Hamburg behalten. Nach seinem Kabinett des Caligari“ in der ersten Au- Tod übernahm Hans-Joachim Flebbe das gust-Woche (wobei kaum anzunehmen „Holi“, während das „Bali“ sowie das ist, dass dieses ansonsten immer sehr längst zum reinen Erotik-Kino mutierte sehenswerte Stummfilmwerk nun ausge- „Piccadilly“ kurze Zeit später aufgegeben rechnet im Hochsommer die Zuschauer wurden. noch einmal in Massen ins Kino gelockt Zurück zum „Rio“-Kino in Horn: hätte) und der Gesellschaftskomödie Gleich nach der Schließung wurde im „Jessica“ von Jean Negulesco mit Mau- September/Oktober 1962 die Bestuhlung rice Chevalier und Angie Dickinson in ausgebaut – und die Schnacks ließen den der zweiten Augustwoche 1962 beendete zur Leinwand schräg abfallenden Fuß- Klettermaxe Armin dann das „Rio“ seinen Spielbetrieb kurz boden mit Beton auffüllen, so dass bereits Dahl (Mitte) übergibt am 27. Juli 1973 auch noch an Frau Schnack, die über dem nach seinem 5-jährigen Jubiläum am zum Jahresende ein Bolle-Supermarkt symbolisch Johannes Kino in einer kleinen Wohnung lebte, und Mittwoch, den 15. August 1962. in dem Gebäude seine Pforten öffnen Betzel (links) und ihren Bruder sowie deren Kinder. Apropos Ein Grund für die Schließung war, konnte. Der damals gerade stark expan- Hans-Joachim Bunar Kinder – gerne gingen wir ja in die preis- dass Johannes Betzel Anfang der 1960er dierende Lebensmittel-Discounter betrieb den Schlüssel für die werten Sonntagsvorstellungen für Jugend- Jahre hatte erkennen müssen, dass nur den Markt an der Washingtonallee bis neueröffneten Kinos Bali 1 und Bali 2 liche, da bekamen wir auch mal Rabatt eine Konzentration der von ihm geführ- zur Jahrtausendwende. Einige Raubüber- im Klockmannhaus oder durften sogar umsonst rein, wenn wir ten Häuser auf attraktive Innenstadt-La- fälle und der zunehmend sinkende Um- Foto: Conti-Press in der Kirchenallee. zuvor fleißig den Kinosaal mit dem Besen gen – er betrieb zu dem Zeitpunkt rund satz aufgrund der wenig attraktiven durchgefegt hatten.“ ein Dutzend Kinos in Berlin und Ham- Lage veranlassten die Firma zur Aufgabe Radikal heruntergefahren wurde das burg – ihm das geschäftliche Überleben der Filiale – Ende August 2000 eröffne- Vorfeier der Betreiber bereits am Nach- Vorführtechniken und ließ seine Kinos venkarawane“ und am Sonntag in der Programm dann im Schließungsjahr sichern würde. Das „Rio“, die „Flora“ und te dann ein Lidl-Supermarkt an seiner mittag besuchen konnte – danach eilte er – sofern noch nicht geschehen – auf das Spätvorstellung den Western „König der 1962: Aufgrund drastisch zurückgegan- das „aki“ waren 1962/63 demzufolge Stelle. Doch auch der Lidl-Markt hielt zum „Roxy“, um die dort stattfindende Breitwandsystem Cinemascope umrüs- Banditen“ – und sogar am Montag gab gener Zuschauerzahlen gab es nun nur nur die ersten Objekte, von denen er sich sich nur wenige Jahre, bevor dann ein feierliche Abendgala abzulichten. ten, um den einsetzenden Zuschauer- es noch einmal um 11 und 13.30 Uhr noch zwei Vorstellungen am Tag, um 18 trennen musste. Das „Rex“ in Wandsbek Importeur für russische Lebensmittel Im „Rio“ lief zur Eröffnung die schwund und der Fernseh-Konkurrenz eine Jugendvorstellung, erneut mit einem und 20 Uhr, mit dem Hauptfilm – dieser führte er noch bis 1973, eröffnete quasi („Ferro-Markt“) einzog. deutsche Komödie „Das Mädchen ohne entgegen zu wirken. So verwundert auch Western, „Cowboy“ von Delmer Daves. wurde dann auch am Sonntag noch ein- als „Ersatz“ dann sogar noch im gleichen An das Kino erinnerte lange Zeit noch Pyjama“ von Hans Quest, ein im wahrs- der Umstand nicht, dass der erste Cine- Ein Jahr später, ebenfalls in der mal um 15.30 für Jugendliche zum ermä- Jahr zusammen mit dem Sohn eines al- der Name der Eckkneipe – „Rio-Eck“ ten Sinne des Wortes leicht „schlüpfriges“ rama-Film (der dem Zuschauer, da mit ersten Juni-Woche 1961, war das Pro- ßigten Preis wiederholt. Es lohnte sich of- ten Geschäftsfreundes, Hans-Joachim hieß es dort bis zum Sommer 2010 auf Lustspiel mit Oskar Sima, der als Direk- mehreren Kameras gleichzeitig gedreht, gramm schon etwas ausgedünnter: Im fensichtlich nicht, mehr als eine einzige Bunar, sowohl das „Piccadilly“-Kino am der Leuchtreklame über dem Eingang. tor einer Fabrik für Damen-Unterwäsche eine besonders ansprechende Optik bot) Hauptprogramm lief nun der alte Charly- Filmkopie pro Woche bei den Verleihern Steindamm als auch ein neues „Bali“-Kino Danach zog auch diese Lokalität aus, da den drohenden Bankrott verhindern will in Deutschland am 29. April 1959 im Chaplin-Film „Jubel, Trubel, Sensationen“, zu ordern. Auf Platzanweiser und Süßwa- am Hauptbahnhof, nunmehr auf der an- der Mietvertrag nicht mehr verlängert und dessen Tochter Marion (Christiane eigens für das neue Filmverfahren um- Freitags gab es noch eine Spätvorstel- renverkäufer hatte man inzwischen auch deren Seite im Klockmann-Haus. Nach worden war. Pläne für einen Abriss des Maybach) zudem kurz vor der Eheschlie- gebauten Berliner „Capitol“-Filmtheater lung mit dem Western „Die Todesschlucht schon komplett verzichtet. Die desolate wie vor pendelte Betzel häufig zwischen Gesamtkomplexes existieren offenbar ßung mit einem angesehenen Chefarzt am Kurfürstendamm seine festliche Ur- von Laramie“ und am Sonnabend gab Situation führte dazu, dass die Betreiber Berlin-Dahlem, wo er seinen Haupt- schon länger und sollen nun voraus- (Gunther Philipp) steht. Als der Werbe- aufführung hatte. Die Deutsche Cinera- es noch einen Spätfilm: „Der Teufel von froh waren, das Kino auch ab und zu für wohnsitz in der Griegstraße 16 hatte, sichtlich im kommenden Jahr realisiert chef (Bum Krüger) der Fabrik die Aus- ma-Gesellschaft pachtete dann Betzels Hongkong“. Geblieben waren auch die Sonderveranstaltungen wie die Präsen- und seiner Zweitwohnung in Hamburg, werden. An das Kino mit dem einstmals zeichnung für das „ideale Frauenbein“ Kino zusammen mit der UFA -Theater AG Jugendvorstellungen am Sonntag um tation von Reisefilmen und Werbeveran- die er 1954 zunächst in der Brahmsallee (zweit-)schönsten Theatervorhang der auslobt, soll dies alle Probleme lösen und und der Robin International Cinerama 11 und 13.30 Uhr, diesmal lief „Fuzzys staltungen einer Bausparkasse vermieten 31 und ab 1957 dann in der Heimhuder- Stadt wird dann leider gar nichts mehr den Umsatz wieder ankurbeln – gleich- Corporation für zunächst zwei Jahre. Abenteuer“. Weggefallen waren aber zu können: Das brachte wenigstens noch straße 29a besaß. Am 19. November 1981 erinnern. • zeitig sorgt die PR-Maßnahme aber auch Solange die Zuschauerzahlen noch schon die Sonntagabend-Spätvorstellung etwas Geld in die Kasse. verstarb der seit den 1930er Jahren mit für turbulente Verwicklungen unter allen einigermaßen konstant blieben, funktio- sowie die Jugendvorstellungen unter der Am Donnerstag, dem 7. Juni 1962, der in Budapest geborenen Künstlerin Ein herzlicher Dank geht an Gerd von Borstel Beteiligten. Kurioserweise setzte das nierte der Kinobetrieb auch in „Rio“ mehr Woche. wurde das Drama „Ich kann nicht län- Gisella Dorati verheiratete Johannes Bet- von der Geschichtswerkstatt Horn für die „Roxy“-Kino beim parallel stattfindenden oder weniger gut. In den ersten drei Ein Kinobesucher, Hans Knickrehm, ger schweigen“ gezeigt und einen Monat zel überraschend im Alter von 78 Jahren freundliche Unterstützung des Beitrags. Eröffnungsabend ebenfalls auf deutsche Jahren bot man dort auch noch ein ab- der bis heute seinem Stadtteil treuge- Komödien-Hausmannskost: „Das haut wechslungsreiches Programm: So lief blieben ist, erinnert sich noch gerne an hin!“ hieß hier das Lustspiel mit Peter beispielsweise in der ersten Juni-Woche einen seiner letzten Besuche Ende März Alexander in der Hauptrolle – und, wen 1960 im Hauptprogramm um 18 und 1961 im „Rio“-Kino: „Es wurde der Wes- wundert’s, sogar einer der Hauptdarstel- 20 Uhr die Heinz-Erhardt-Komödie tern ‚Flammender Stern‘ mit Elvis Presley ler war identisch: Gunther Philipp war „Drillinge an Bord“, am Freitagabend in gezeigt – ein wirklich hochdramatisches auch hier mit von der Partie. der Spätvorstellung um 22.30 Uhr der Werk, bei dem Elvis auch mal zeigen konn- Johannes Betzel übernahm fortan Krimireißer „Der Killer mit sanften Stim- te, dass er durchaus ernstzunehmendes vor allem die Filmzulieferungen für das me“ und am Sonnabend um 23.00 Uhr Schauspieltalent besaß. In späteren Jahren

„Rio“-Kino, überließ ansonsten das „ope- der Abenteuerfilm „Tausend Berge“. Am habe ich mir den Film noch ein paar Mal links: Ein Markt für russische Lebensmittel resi- rative Geschäft“ der Familie Schnack. Er Sonntag gab es dann um 11 und 13.30 im Fernsehen angeschaut – und war jedes diert gegenwärtig im ehemaligen Kinogebäude, selbst kümmerte sich vor allem um neue Uhr in der Jugendvorstellung „Die Skla- Mal sehr angetan. Gut erinnere ich mich dem offenbar demnächst der Abriss droht. 34 FILMGESCHICHTE FILMGESCHICHTE 35

rechts: Gemeinsames Flugblatt des Deutschen „Ton ab … Ton läuft …!“ Musiker-Verbands und der Internationalen Artisten-Loge e.V. gegen die Tonfilm-Einführung Vor 85 Jahren: Abschied Ende der 1920er Jahre. von der Stummfilmzeit unten: Grafische Darstellung der verschiedenen Lichttontypen aus einem Lehrbuch.

jektionstechnik, die – vom Zuschauer zu- befestigt waren und von einem Tonassis- kurrierenden Kinos „Lessing-Theater“ der meist unbemerkt – bereits in vielen Kinos tenten an die Schauspieler herangeführt UFA und der „Schauburg am Millern- in den letzten Jahren Einzug gehalten wurden. tor“ (später: „Schauburg St. Pauli“) statt. Von Heinz Kaufholz hat). Wer sich das neue Tonverfahren Besonders lippensynchrone Gesprä- In einer gemeinsamen Anzeige der bei- und die dafür notwendige Technik nicht che mehrerer Schauspieler in einem Film den Kinos hieß es: „Die Kurve steigt – als Kinobetreiber leisten konnte, war sehr waren nun endlich technisch realisierbar, Hamburg fiebert – Jeder will den ersten schnell raus dem Geschäft! Auch die Zahl was der Dramatik des Geschehens auf deutschen hundertprozentigen Sprechfilm der hergestellten Filme betrug zur Jahres- der Leinwand ganz neue Möglichkeiten ‚Atlantic‘ sehen und hören!“ Dass die Bilder mit Tönen und Geräuschen aller Art unterlegt sind – für uns im heutigen Zeitalter der digitalen Fern- mitte 1929 nur noch die Hälfte der Vorjah- eröffnete „Hey, Mom, listen to this“ sprach Dem US-Film „Der Jazz-Sänger“ mit seh- und Medientechnik eine Selbstverständlichkeit. 1927 ist das Jahr, welches heute in den Lexika als Zeitpunkt der resproduktion – für die nunmehr nötige der amerikanische Schauspieler Al Jolson dem Schlager „Sonny-Boy“ folgten so- Erfindung des Tonfilms angegeben wird: „The Jazz Singer“ („Der Jazz-Sänger“) hieß der us-amerikanische Film mit Umstellung auf den Tonfilm fehlte vielen am 23. Oktober 1927 in seiner Rolle als gleich in Deutschland die Tonfilme „Die Firmen schlichtweg das dafür notwendi- Sänger Jack Robin im bereits erwähn- Nacht gehört uns“ und „Der blaue Engel“ Musikeinlagen – und hatte trotz durchgehenden Verwendung der bis dahin üblichen Zwischentitel auch schon zwei ge Kapital – in Hamburg traf es die bereits ten Hollywood-Film „Der Jazz-Sänger“ mit Marlene Dietrich. Der Film hatte nun kurze Sprech-Szenen. Der Rest des Films war jedoch noch stumm. Allerdings – auch vor dem Jahre 1927 war das Kino stark durch die Wirtschaftskrise und feh- seine ersten Worte vor dem begeisterten endlich sprechen (und singen) gelernt – nie ganz stumm gewesen, da Klavierspieler oder eine Kinoorgel das Programm untermalten – und manchmal sogar lende Aufträge angeschlagene Vera-Film US-Kinopublikum. In Hamburg lud das und kaum noch jemand wollte die in den ein Geräuschemacher. Zahllose Kinopianisten mussten sich nun in die Arbeitslosen-Schlangen jener Zeit einreihen. AG an der Alsterkrugchaussee, die nun Deutsche Lichtspiel-Syndikat am 23. Ja- 35 Jahren zuvor entstandenen „stum- endgültig Konkurs anmelden musste. nuar 1929 in die Schauburg am Millern- men“ Filme sehen, die nun massenwei- Möglich geworden war die Tonfilm- meinsamer Arbeit hatten sie fast sämt- angemeldet wurden. Die ersten offiziel- Die Tonfilmentwicklung selbst führte tor ein: Der deutsche Spielfilm „Ich küsse se achtlos weggeworfen wurden, zumal Entwicklung durch die endlich erfolgte liche Geräte für eine Tonaufnahme und len Tonfilmvorführungen im Jahre 1923 zu einer Art Revolution im Filmgeschäft. Ihre Hand Madame“ wurde aufgeführt sie ja aus damals leicht entflammbaren Lösung des Problems, Bilder und Töne Wiedergabe selbst entwickelt und die fanden zwar durchaus das Interesse, aber Überall standen jetzt Ungetüme von – er enthielt eine exakt zwei Minuten Materialien bestanden. Dies ist zweifel- perfekt zu synchronisieren – was bei den auch heute noch üblichen Grundlagen für noch keine langfristige Unterstützung Mikrofonen in den Ateliers, die alles und zwölf Sekunden lange Tonpassage. los eine bittere Schattenseite der sen- bis dahin teilweise verwendeten Schall- die Tonfilmtechnik geschaffen. Die unter von Seiten der Filmindustrie. Es sollten aufnahmen – selbst unerwünschte Ge- Und am 13. März desselben Jahres hat- sationellen Tonfilm-Erfindung: Auch in platten-Tonverfahren zuvor nie so richtig dem Firmennamen „Tri-Ergon“ zusam- demzufolge noch Jahre vergehen, ehe räusche! Um das Brummen ihres An- te dann der Film „Melodie der Welt“ von letzter Zeit öfter einmal gemeldete Fun- funktioniert hatte. Bereits der legendäre menarbeitenden drei Erfinder erhielten die technische Entwicklung eine industri- triebsmotors zu unterdrücken, wurden de von Stummfilmen wie kürzlich einer Film-Erfinder Thomas Edison hatte von am 17. April 1919 das deutsche Reichs- elle Tonfilm-Herstellung ermöglichte und die Kameras anfänglich in schalldichte Für die Umstellung auf vollständigen „Metropolis“-Fassung in Anfang an die Koppelung mit einem patent Nr. 350 999 für eine Verstärkeran- sich der Tonfilm gegen die Konkurrenz Behälter gesteckt – doch diese führten Argentinien sowie einiger früher John- Kinetophon ausprobiert. 1911 stellte die lage für Licht-Tonfilm – und gaben damit des Stummfilms durchsetzen konnte. zu einer weitgehenden Unbeweglichkeit Tonfilm fehlte vielen Firmen Ford-Werke in Neuseeland und die Wie- optische Anstalt von P.G. Goerz in Berlin einen wesentlichen Impuls für die spätere „Die Sensation des tönenden Films“ und ließen nur statische Studioaufnah- das Kapital. derentdeckung von drei der insgesamt dann einen ersten Licht-Tonfilm her – Tonfilm-Einführung. Eineinhalb Monate priesen großformatige Werbeanzeigen men zu. Die Schauspieler standen wie fünf Rollen des bis dahin verschollenen das Verfahren beruhte auf einer Idee des später erhielten sie ein Patent für eine in der Tagespresse die neue Technik festgenagelt neben den Mikrofonen und Walter Ruttmann im „Passage“-Kino Pre- Dramas „White Shadow“ von 1923, für schwedischen Erfinders Sven Berglund. Glimmlampe, die ihr Licht-Tonverfahren an. So mancher Kinobetreiber musste fürchteten Versprecher. Das leiseste Hüs- miere, der in einer geschickten Tonmon- das kein geringerer als Alfred Hitchcock Doch noch einmal zehn Jahre sollten noch wesentlich verbessern sollte. sich hoch verschulden, um sein Licht- teln genügte, um eine ganze Szene zu tage Straßenlärm, Schiffstuten und Ma- das Drehbuch geschrieben hatte, können vergehen, bis der Gedanke, den Ton un- Die Bedeutung der von drei Erfindern spieltheater nun auch mit der nicht „schmeißen“, wie es im Fachjargon hieß. schinengeräusche integrierte. Ebenfalls nicht darüber hinweg trösten, dass fast mittelbar auf den Filmstreifen aufzutra- geleisteten Pionierarbeit lässt sich viel- gerade preiswerten neuen Technik, Laut- Nach und nach bekam man allerdings 1929, allerdings erst am 19. November, 80 Prozent des Filmerbes jener Zeit als gen bzw. mit ihm zu verbinden, durch die leicht daran ermessen, dass in den fol- sprechern inklusive, auszustatten (eine dieses Problem in den Griff: Man baute kam dann laut Zeitungsannonce auch verschollen gelten müssen. • deutschen Erfinder Vogt, Engl, Masolle genden Jahren 1919 bis 1922 gleich mehr interessante ,Parallle übrigens zur mo- eine geräuschlose Kamera und hochemp- der erste reine Sprechfilm heraus – die verwirklicht wurde. In jahrelanger ge- als 170 Patente von mehreren Erfindern mentanen Einführung der digitalen Pro- findliche Mikrofone, die an einem Galgen Uraufführung fand in den eigentlich kon- 36 FILMMUSEEN FILMMUSEEN 37

Studio Bendestorf steht vor dem Abriss Wichtiges Stück lokaler Filmkultur ist bedroht

Von Walfried Malleskat

Seit nahezu 10 Jahren beschäftigt sich die Gemeinde Bendestorf mit der Umgestaltung des Studio Bendestorf – linke Seite: Ein Foto aus glorreichen Zeiten: mit dem vorrangigen Ziel, den bislang einzigartigen Architekturkomplex mit Wohnimmobilien zu bebauen. Möglich Hildegard Knef mit Filmpartner Gustav Fröhlich (links) und Regisseur Willi Forst bummeln ist dies geworden, weil in 2002 der Gemeinderat Bendestorf das baulastgebundene Gewerbegebiet des Studio- über das Bendestorfer Studiogelände. Es war geländes nunmehr in normales Bauland umgewandelt hat. 1950, man drehte die legendäre „Sünderin“. Foto: Privatarchiv Bunnenberg Foto: Privatarchiv Anscheinend hat dieses Vorgehen ohne Von hier aus begann er seine Karriere als durch. Sein Film „Der Verlorene“ zählt zu heute in der Pflicht diese cineastische Hin- Berücksichtigung der zeit- und filmge- führender Filmproduzent der deutschen den deutschen Nachkriegsproduktionen. terlassenschaft zu wahren und zu wür- John Lennon und Studio-Hamburg-Techniker Hans Joachim Bunnenberg 1966 schichtlichen Dimension des Kultur- Nachkriegszeit. Nachdem er im Rahmen Die Knef, Rökk, Leander und Leuwerik – digen. Der Ursprung des Filmschaffens bei einer Drehpause in der Wüste von Almeria. In Bendestorf befand sich das schaffens der Atelierbetriebe stattgefun- der Re-educationmaßnahmen der Alli- der Rühmann, Albers und Fröhlich geschah in der Halle A1 und auch für die Produktionsbüro, die Szenen in Deutschland wurden hauptsächlich an der Aller und auf dem Truppenübungsplatz Bergen gedreht. den. In den diversen architektonischen ierten sechs Kurzfilme produziert hatte, haben hier gedreht. Kameramänner wie erste historische Reflexion wurde die A1 Konzeptionen – mittlerweile gibt es neun erhielt er im Frühjahr 1947 die Lizenz zur Weihmayer und Benitz, Autoren wie genutzt: 1989 präsentierte das Filmmu- Versionen –, die eine mögliche Neube- Herstellung von Unterhaltungs-Spielfil- Simmel und Marischka, Komponisten seum Frankfurt am Main die Sonderaus- bauung des Filmgeländes projektieren, men, damit war seine Junge Film-Union wie Eisbrenner und Jary, Bühnenbildner stellung „Zwischen gestern und morgen“, John Lennon in der Heide findet sich nicht einmal ansatzweise eine (JFU) in Bendestorf gegründet. wie Kettelhut und Schroedter, Regisseu- eine Darstellung der Nachkriegsfilmge- kulturgeschichtliche Würdigung. Dabei In 1948 erbaute er auf dem Bolzplatz re wie Forst und Verhoeven – Namen die schichte, in dieser Halle. Im Anschluss Vor 50 Jahren nahmen die Beatles ihre erste Schallplatte in Harburg hat doch die Gemeinde gerade dieser hinter dem Schlangenbaum, dem heuti- stellvertretend für Hunderte von Kultur- richtete die Gemeinde das Filmmuseum auf: Als Begleitband von Tony Sheridan nahmen sie in der Friedrich- hier geleisteten Filmarbeit unendlich gen Studio-Gelände, eine erste Aufnah- schaffenden stehen, sie alle haben Bendestorf ein. Die Halle A1 muss blei- Ebert-Halle ihre erste Langspielplatte auf – mit „My Bonnie“ kam der viel zu verdanken, durch sie erlangte mehalle, das Atelier A1. Bereits der am Gesamtkunstwerk Film in den Ben- ben, sie ist der einzig richtige Ort für ein Bendestorf im Norden Deutschlands und 3. Film der JFU wurde in dieser Halle destorfer Studios mitgewirkt. Einem mil- Forum der Würdigung der filmgeschicht- Durchbruch. Am 22. Juni 1961 produzierte Bert Kaempfert dann die weit darüber hinaus einen einmaligen gedreht. Aufgrund des kometenhaften lionenfachen Publikum lieferten sie in lichen Dimension, die von den Bendestor- erste Beatles-Aufnahme. Und fünf Jahre später drehte Lennon in Ruf als Heide-Hollywood. der schwierigen Nachkriegszeit ein Kul- fer Ateliers ausging. der Heide einen Spielfilm. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges war turgut, das half diese Zeit zu meistern. Am 30. Mai 2011 wurde der Freun- Bendestorf ein unbedeutendes Heidedorf Nach dem Ende der JFU übernahmen deskreis Filmmuseum Bendestorf e.V. Ein Kapitel der Musik-Weltgeschichte begann vor 50 Jahren in Hamburg- mit ein paar hundert Einwohnern, es hat- die Fink-Betriebe das Studio Bendestorf. gegründet. Zu den Gründungsmitglie- Harburg: Die legendären Beatles nahmen am 22. und 23. Juni 1961 in der te eine belanglose kulturelle Bedeutung Nun auf der Basis der Lohnarbeit blieb dern gehört auch der Eigner des Ben- Friedrich-Ebert-Halle als Begleitband von Tony Sheridan ihre erste Schall- wie die umliegenden Dörfer auch. Doch das Studio in Betrieb, wechselnde Pro- destorfer Studios Hans Joachim Fink, platte auf. Mit dem Song „My Bonnie“ begann ihre Karriere. Einige Stücke noch vor Kriegsende kam ein gewisser duzenten nutzten die moderne Infra- er hat erfreulicher Weise die Vereins- spielten die Beatles auch allein – darunter „Ain‘t she sweet“ mit Gesang von Rolf Meyer nach Bendestorf, er war mit- struktur zur weiteren Filmherstellung. satzung mit dem Passus „Der Verein John Lennon und das Instrumentalstück „Cry for a shadow“. Im Spätsom- tellos, Fahrrad und Pappkoffer waren sei- Auch Fernsehproduktionen wurden in unterstützt den Erhalt von kulturhistori- mer 1966 kehrte John Lennon in Hamburgs Süden zurück. Mit technischer ne wenigen Habseligkeiten. Er kam aus Bendestorf realisiert, zunächst kamen scher Bausubstanz des Studio Bendestorf“ Unterstützung des Studio Bendestorf (hier befand sich das Produktionsbü- Berlin, der gelernte Kapellmeister hatte die öffentlich rechtlichen Sendeanstalten mit verabschiedet. Und Erfreuliches ist ro) drehte er in der Heide Szenen von Richard Lesters Burleske „How I Won sich in das Metier der Filmschriftstellerei und schließlich auch das Privatfernse- zu berichten: Große Hoffnung setzen die The War“ – es sollte übrigens seine einzige Sprechrolle in einem Spielfilm hineingearbeitet. Als er nach Bendestorf hen. Doch die wirtschaftliche Auslastung Vereinsmitglieder auf den neu konstitu- bleiben. kam, war er bereits ein renommierter der Studios schmolz im Laufe der Jahre. ierten Bendestorfer Gemeinderat. In den An dieses Ereignis möchte Walfried Malleskat, Leiter des Bendestorfer Verfasser von Drehbüchern für Ufa und Doch bis in die jüngste Vergangenheit Wahlprogrammen der neuen politischen Filmmuseums, erinnern: Die Ausstellung „John Lennon in der Heide“ ist bis Tobis, sein Fach war der komödiantische kamen Filmemacher auf nationaler und Mehrheit erhoben die sie tragenden zum 31. März 2012 in Bendestorf zu sehen. Erstmalig werden im Rahmen- Unterhaltungs-Spielfilm. Wie nur weni- Aufstiegs der JFU konnte Meyer von 1948 internationaler Ebene nach Bendestorf Parteien die Forderung nach Erhalt der programm zu dieser Ausstellung John Lennons Filme im Buchholzer Kino ge aus seiner Branche, die im 3. Reich bis 1950 auf dem 14.000 qm großen Are- zur Filmproduktion in den Studios – in Studiohalle A1.• vorgeführt. • für den deutschen Film arbeiteten, war al eine in Deutschland einmalige Studio- 2000 drehte Wüste-Film Hamburg hier Meyer kein Mitglied der NSDAP. Das anlage mit kompletter Aufnahmetechnik mit Heike Makatsch „Jonathan 2001“, in aber war der damalige Bürgermeister errichten. Im Juni 1950 wurde sie offizell 2005 entstand hier der deutsch-irische von Bendestorf. Die britische Armee hat- vor Prominenz aus Politik, Kultur und Film „Short Order“ mit Vanessa Redgrave te Bendestorf bereits besetzt und fand Sport eröffnet. Es war die Blütezeit der und Cosima Shiva Hagen. Hier fing die Weltkarriere an: Walfried Malleskat, Leiter des in dem Neu-Bendestorfer Meyer einen JFU. In der einschlägigen Fachliteratur Sechs Jahrzehnte war Bendestorf – Bendestorfer Filmmuseums (links), Ansprechpartner, den sie mit Verwal- wird die JFU in 1949 bis 1951 zur zweit- Dank der von Rolf Meyer erbauten Stu- und Instrumentensammler Uwe tungsaufgaben des Bürgermeisteramtes stärksten Filmproduktionsgesellschaft dios – Film- und Kulturort, die Produkte, Brügmann zeigen vor der Friedrich- vertrauten – und so half Meyer in der der BRD gezählt (s. statistische Jahrbü- die in den Studios entstanden, waren für Ebert-Halle in Harburg eine Gitarre schwierigen Zeit des Kriegsendes und cher des Bundesarchivs). Die JFU produ- eine weite internationale Öffentlichkeit der Firma Höfner. Mit einem derartigen Exemplar (dies ist aller- in der Folgezeit den Heideort lebensfä- zierte wichtige Werke der deutschen bestimmt. Die Menschen, die an dieser dings nicht das Original) haben hig zu halten. Sein erster Wohnsitz war Nachkriegsfilmkunst. Peter Lorre führte Produktion beteiligt waren, hinterließen die Beatles hier im Juni 1961 ihre das Gasthaus „Zum Schlangenbaum“. in Bendestorf seine einzige Regiearbeit ein gewaltiges Kulturerbe. Wir stehen erste Schallplatte aufgenommen. 38 FERNSEHGESCHICHTE FERNSEHGESCHICHTE 39

Das „Virtuelle Fernsehmuseum“ nach dem „Relaunch“

Von Prof. Dr. Hans-Dieter Kübler, Uwe Debacher und Volker Reißmann

Wie immer bei solchen ehrgeizigen Pro- (wie es etwa das Berliner Museum tut); öffentlich-rechtlichen Sender konnte nun jekten fielen bei den ersten Projektpha- vielmehr stehen die hamburgischen zumindest in groben Umrissen dargestellt sen zur Erstellung der Internetseiten Themen und Produkte im Vordergrund. werden. Zudem gelang es dem Studieren- des „Virtuellen Fernsehmuseums“ einige Diese konturieren sich natürlich beson- den, der sich dieses Themas angenommen Themenbereiche „unter den Tisch“. An- ders für die Anfänge heraus, münden hatte, die ersten SAT.1-Moderatorinnen dere Inhalte waren zwar vorhanden, später in die allgemeine Geschichte ein Eddie Lange und Martina Ruperti zu inter- bedurften aber ganz offensichtlich noch und werden Momente der Entwicklung viewen. einer wesentlichen Erweiterung, aber des NDRs (dessen historisches Interesse auch Korrektur. Auch das erste, etwas und dessen Kooperationsbereitschaft – Weitere Zeitzeugen düstere Layout passte nicht mehr ganz dies muss leider erwähnt werden – nach Die Studierenden bemühten sich sehr da- in die sich ständig ändernde Web-Welt, wie vor offenbar recht gering sind). rum, noch lebende Zeitzeugen der Fern- so dass – wie es neudeutsch heißt – ein Daher sind auch bei dieser Projektphase sehgeschichte aufzuspüren und zu inter- Relaunch des Auftritts angesagt war. Im typische Themen aufgegriffen worden, viewen. Zwar gelang es leider nicht, den Wintersemester 2010/11, in einem weite- die bislang noch nicht bearbeitet oder zu schon länger gesundheitlich angeschla- ren Studienprojekt, wurde daher ein wei- knapp weggekommen sind: Diese sind genen und kürzlich verstorbenen Loriot terer Anlauf unternommen, um mit 20 für das Kinderfernsehen die Entwicklung alias Vicco von Bülow vors Mikrophon zu Studierenden die Webseiten zu moder- der „Sesamstraße“ als Pionier des so bekommen. Dafür rekonstruierte diese nisieren, Fehler und Nachlässigkeiten zu genannten „Vorschulfernsehens“ in den Gruppe den historischen Wandel des Be- korrigieren, inhaltlich zu ergänzen und 1960er und frühen 1970er Jahren, die griffs „Comedy“ im Laufe der Jahrzehnte zu aktualisieren und auch neue Themen legendäre „Aktuelle Showbude“, die anhand der Darstellung von Beispielsen- zu bearbeiten. Über die Auffrischung des populären Aufzeichnungen des Ohnsorg- dungen – und auch ein kleines Quiz mit Layouts hinaus sollte auch die „Informa- Theaters als norddeutsches Markenzei- digital durch Mausklick zu beantworten- tionsarchitektur“ der Seite verbessert, chen und die Anfänge der Fernseh- den Fragen zur beliebten Silvester-Show also die Suchfunktionen vereinfacht und unterhaltung mit den großen Samstag- „Dinner for one“ wurde konzipiert, wobei die so genannte Usability, sprich: Benutz- abendshows sowie ersten Schritten in der NDR in diesem Fall freundlicherwei- barkeit, erhöht werden. Die neuen Seiten jenen inzwischen inflatonierten Sektor, se geeignetes Fotomaterial zur Verfügung können nun an der alten, angegebenen der inzwischen „comedy“ heißt. Das stellte. Adresse besichtigt werden. Sicherlich Flaggschiff des NDR für die aktuelle In- Als Interviewpartner konnten die dürften nicht alle Erwartungen erfüllt, formation, die „Tagesschau“, wurde stark (erste) „Tagesschau“-Sprecherin Dagmar manche Themen und Ressorts noch nicht erweitert und mit einigen markanten Berghoff, der Chefsprecher Wilhelm hinreichend erschlossen sein; vermutlich Akzenten etwa durch die Dokumentation Wieben sowie der erste Ablauf-Regisseur findet sich nach wie vor der ein oder an- ihrer Sprecher und Sprecherinnen ver- dieser Nachrichtensendung (und heutige dere Fehler. Aber studentische Projekte sehen (diese Interviews sind auch in Abaton-Kino-Betreiber), Werner Grass- sind nun mal letztlich nicht so perfekt, dieser Flimmern-Ausgabe auf den folgen- mann, gewonnen werden. Alle drei wa- wie man es von professionellen Auftrag- den Seiten im Wortlaut abgedruckt). Die ren sofort bereit, sich den Fragen der gebern erwarten kann. In jedem Fall prä- Auswahl erfolgt nicht immer nach sachli- Studierenden zu stellen und sich dabei sentiert sich der Verein nach wie vor mit chen und inhaltlich erforderlichen Vor- auch filmen zu lassen. Ebenso gelang es einem einmaligen Internetauftritt, den gaben, vielmehr durften die Studieren- der Gruppe, die sich dem Ohnsorg-Thea- es so bislang anderweitig nicht gibt und den ihre Themen frei wählen. ter angenommen hatte, spontan den be- In den Wintersemestern 2007/2008 und 2008/2009 entstand im Rahmen von Studienprojekten an der der zudem anschaulich zeigt, auf wel- Außerdem wurde erstmals das privat- liebten Schauspieler Edgar Bessen nach HAW Hamburg, Department Information, das – wie es dann genannt wurde – virtuelle „Fernsehmuseum chen historischen Fundus die Hamburger kommerzielle Fernsehen einbezogen, den Highlights seiner langjährigen Tätig- Hamburg“ (www.fernsehmuseum-hamburg.de), worüber auch im „Hamburger Flimmern“ schon aus- Mediengeschichte rekurrieren kann (den das mit dem SAT.1-Sendezentrum am keit in diesem Ensemble zu befragen führlich berichtet wurde („Das Virtuelle Fernsehmuseum geht an den Start!“ Ausgabe 15, S. 4– 8) potentere Akteure leider nicht zu schät- Mexikoring in der City-Nord in Hamburg (leider konnte aus technischen Gründen zen wissen.) bekanntlich bereits in den Anfangsjah- in diesem Falle nur ein Audiomitschnitt ren ein wichtiges Standbein in der Han- angefertigt werden). Neue Inhalte sestadt hatte. Aber auch der sich über Eine Gruppe, die sich mit der Einfüh- Das „Virtuelle Fernsehmuseum Hamburg“ Jahrzehnte hinziehende gesellschaftli- rung der amerikanischen Sendeformats Die legendäre Rosette gehört zu einem 14 Sekunden dauernden Trailer, der ab dem 25. August kann nicht die gesamte Geschichte des che Disput zur Einführung von Fernseh- „Sesamstraße“ befasste, die bekanntlich 1967 immer vor allen Fernsehsendungen, die in Farbe ausgestrahlt wurden, lief. bundesdeutschen Fernsehens darstellen programmen außerhalb der etablierten seit Anfang der 1970er Jahre bis heute 40 FERNSEHGESCHICHTE

Interview mit dem langjährigen „Tagesschau“-Sprecher Wilhelm Wieben

Screenshot des Internetauftritts „www.fernsehmuseum-hamburg.de“ nach der Neugestaltung – so sieht die Startseite der Domain seit Anfang Februar 2011 aus „ Die Perfektion der freundlichen Sachlichkeit bei der Nachrichtenübermittlung ist das Wichtigste!“

im Studio Hamburg hergestellt wird, Ab 1974 war er eine der wichtigs- 1974 wurden Sie zunächst Bildspre- erinnern ich mich auch an ganz schlimme interviewte unser Vereinsmitglied Dr. ten Stimmen der „Tagesschau“, cher bei der „Tagesschau“. War das Dinge – und auch sehr spannende Dinge. Gerhard Vogel: Der spätere Grimme- zunächst hinter der Kamera, sehr für Sie ein großer Karrieresprung? Als die Bundestagswahl anstand – und es Preisträger war in den Anfängen in der war der letzte Tag vor der Wahl, da wuss- schnell aber auch – im Wechsel „Arbeitsgemeinschaft Sesamstraße“ aktiv Ich bin 1974 zum ersten Mal um 20 Uhr te ich, danach ist die große Diskussion an der Konzeption der deutschen Teile mit Karl-Heinz Köpcke – davor. Im aufgetreten, aber ich war bis dahin kein der Bewerber um das Amt des Bundes- dieser Sendung beteiligt und konnte sich Gespräch mit Kali Richter, Sarah unbekannter Mann für die Zuschauer, kanzlers und des Außen-ministers. Kanz- noch an viele interessante Details der Behrens und Rena Bhasin reflektiert denn es gab damals bereits eine Spätaus- ler war damals Helmut Schmidt und sein ersten Jahre erinnern. Als kleine Überra- Wilhelm Wieben noch einmal gabe der „Tagesschau“ – heute ist die Zeit Gegenpart war Franz-Josef Strauß, als schung hatte er sogar die erste deutsche wichtige Momente seiner langen ausgefüllt mit den „Tagesthemen“ – aber Kanzlerkandidat der CDU/CSU. Und eine Folge der „Sesamstraße“ auf einer DVD die gab es damals noch nicht. Und diese einstweilige Verfügung jagte die nächste Tätigkeit als Nachrichtensprecher. dabei und führte sie den Studierenden Spätausgabe der „Tagessschau“ habe ich – die Gerichte hatten über Feierabend vor. Bedauerlicherweise war aus lizenz- zwei Jahre lang gemacht, und die wurde hinaus reichlich zu tun und wir mussten rechtlichen Gründen eine Einbindung oft genug schon um halb oder viertel vor um 20 Uhr natürlich auf dem allerneues- von Ausschnitten in unseren Auftritt zehn gesendet, je nachdem, wie das vo- ten Stand sein – und ich habe drei Seiten nicht möglich. rangegangene Programm zu Ende war. nichts anderes verlesen als: „Da behaup- Zwei Studierende, darunter eine Ein so starres Programmschema wie tet die SPD im Verbund mit der FDP … aber Austausch-Studentin aus Genf, trugen heute gab es damals zudem noch nicht. dagegen behauptet die CDU … das gebe ich die wichtigsten Daten zur Geschichte der Und als ich am 5. Mai 1974 zum ersten hier wieder“ und so weiter. Und da habe Eurovision zusammen. Auch wenn die noch in einem gefälligen Äußeren zu prä- von Bildmaterial bzw. die Klärung von Mal um 20 Uhr auftauchte, ist das eigent- ich gedacht: „Ich muss heute einen beson- Eurovisions-Zentrale bekanntlich heute in sentieren. Eine der heftigst diskutieren Nutzungsrechten ging. lich niemanden aufgefallen. Ich habe das ders guten Tag haben, mir darf kein Fehler Straßburg sitzt, hatte die ARD – und hier Fragen ist dabei etwa, in wie vielen Ebe- auch nicht an die Presse gegeben und erst unterlaufen, denn zur Vorbereitung der insbesondere der NDR – in den 1950er nen Themen aufgesplittet werden, um sie Ein neues Aushängeschild als die Sendung zu Ende und ich schon dann anschließenden Sendung, sitzen die Jahren einen besonderen Anteil am Zu- überschaubar zu halten, wie lang Passa- Bleibt festzuhalten: Der Internetauftritt im Rausgehen aus dem Studio begriffen Herrschaften, von denen hier die Rede ist, standekommen und der Bestückung des gen sein dürfen, um mühsames Scrollen www.fernsehmuseum-hamburg.de hat war, rief mir der Regisseur hinterher: Kohl und Schmidt, jeweils in getrennten Programms mit geeigneten Beiträgen: zu verhindern etc.. Auch Schriften müs- im Laufe der Jahre eine beachtliche „Also Wilhelm, war det heute eigentlich Masken!“ Ich weiß allerdings nicht mehr Nicht nur die Krönung der englischen sen ausgewählt, Untertitelungen einge- Entwicklung erlebt und erstrahlt jetzt ihre erste Sendung um 20 Uhr?“. Und da genau, welcher Sender es war – auf je- Königin Elisabeth II. im Jahre 1953, son- fügt werden. Und natürlich müssen alle in einem ganz neuen „Glanz“. Die oben habe ich gesagt: „Ja, das war in der Tat den Fall verfolgen sie genau jedes Wort, dern auch die Übertragungen der Mond- Texte penibel sachlich überprüft und auf genannten Projektleiter und Autoren die Erste!“. Und damit war die Chose er- dass jetzt gesagt wird. Und als diese drei landung von NASA-Astronauten im Jahre ihre rechtliche Unschädlichkeit genau übergeben hiermit die neuen Seiten an ledigt, also es gab keine große Party, Sekt Seiten endlich gelesen waren, danach ka- 1969 lief über Übertragungswege, die in gecheckt werden. den Verein, wünschen, dass sich die Mit- oder so. men dann Bildberichte, da fiel mir merk- Hamburg zusammenliefen bzw. von hier Anfang Februar 2011 wurde der Re- glieder ihrer bedienen und darin auch Wenn Sie fragen, ob das ein großer lich ein Stein vom Herzen! aus innerhalb Deutschlands weiterver- launch abgeschlossen, wie üblich im eine vorzeigbare Vereinsaktivität (an) Karrieresprung gewesen ist: Das ist mir teilt wurden. Rahmen einer internen Projektpräsen- erkennen. Da noch nicht abzusehen ist, erst viel später klar geworden. Ich habe Karl-Heinz Köpcke war ein großes tation am Department Information. Die ob eine Weiterarbeit im Rahmen von eigentlich nur an meine Arbeit gedacht Vorbild für Sie. Was haben Sie an ihm Neues Design und Konzept Überarbeitung bestehender Texte, das Studienprojekten möglich ist, wäre es zu und weniger an einen Bekanntheitsgrad bewundert, was haben Sie von ihm Viel Arbeit haben sich die Studierenden Hinzufügen neuer Inhalte wie Inter- begrüßen, wenn der Verein diese Seiten oder eine große Karriere. gelernt? mit der Strukturierung der Webseiten views, Videos und Bilder machen die als ein signifikantes Aushängeschild sei- und ihrem Layout gemacht. Wer sich die Seiten – genauso wie das veränderte ner Vereinszweckes und seiner Tätigkeit Erinnern Sie sich an besondere Er kam wie viele andere Sprecher von Mühe macht, die alten mit der neuen zu Layout – nun wesentlich attraktiver und weiterhin pflegen und weiterentwickeln Meldungen, die Sie bewegt, betroffen uns auch vom Hörfunk und hatte dort vergleichen, wird dies auf Anhieb fest- inhaltlich reicher. Gleichsam nebenbei kann . Den Studierenden der HAW sei oder belustigt haben? das Handwerk des Nachrichtenlesens stellen. So simpel die Seiten aussehen, lernten die Studierenden den Umgang ganz herzlich gedankt, dass sie sich in gelernt. Aber er hat es noch viel früher es bedarf doch vieler kognitiver Anstren- mit einem komplexen Redaktionssystem den etlichen Semestern für das Zustande- Ich habe in den 1970er Jahren eine der gelernt als wir – und er war perfekt in der gungen und technischem Knowhow, die („Typo 3“), konnten sich mit modernen kommen des Internetauftritts in seiner schönsten Meldungen gehabt, mit denen freundlichen Sachlichkeit. Man konnte Inhalte auf den verschiedenen Ebenen Schnittprogrammen zur Bearbeitung heutigen Form engagiert haben. • man eine Nachrichtensendung beginnen ihm nie unterstellen – also da im Tonfall zu platzieren, sie miteinander in Verbin- der Interviews vertraut machen – und sie Foto: HAW kann: „Guten Abend, meine Damen und empfindet er Sympathie, also hier emp- dung (Links) zu bringen, für das Internet mussten sich zwangsläufig oft genug mit Herren – Deutschland ist Fußball-Welt- findet er keine Sympathie – er war einfach geeignete Texte zu schreiben, Fotos und Fragen des Urheberrechts auseinander- Wilhelm Wieben Ende Dezember 2010 beim meister geworden!“ (lacht). Schöner kann perfekt in der Sachlichkeit! Er hatte eine Videofilme einzubinden und dies alles setzen, wenn es z.B. um das Einstellen Interview in seiner Privatwohnung in Hamburg es doch gar nicht kommen. Aber natürlich angenehme Stimme und wenn er einen 42 FERNSEHGESCHICHTE

Interview mit der langjährigen „Tagesschau“-Sprecherin Dagmar Berghoff

Die grafische Wandlung des „Tagesschau“-Intros im Laufe der Zeit

„Ich habe nie gelernt, mich mit dem Ellenbogen durchzusetzen!“

guten Tag hatte, war er nicht zu überbie- man sich schon ein neues Gesicht! Dann hat mich bestätigt, dass ich so gehandelt Als sie 1976 als erste Frau über- Erinnern Sie sich an Ihren ersten Tag Sendungen her kennen. Also man muss- ten in der Qualität. Und er hatte ein sehr habe ich sehr bewundert, dass sie eine habe, denn es hätte sonst einen Riesen- haupt die Nachrichten in der 20-Uhr- als „Tagesschau“-Sprecherin? te schon auf Anhieb so gut sein, wie die gutes Auge und Ohr für Leute, von denen Sendung am Nachmittag machte und aufwand gegeben, vor allem von der Bou- Sendung der „Tagesschau“ ver- Männer – und Gottseidank ist mir das er meinte: Die können vielleicht noch wurde dann sofort ins kalte Wasser ge- levardpresse – und das ist keine Kritik an Komischerweise war ich gar nicht so wohl auch gelungen! lesen durfte, schrieb sie nicht nur einmal meine Mitarbeiter werden! Das schmissen und machte als zweite Sen- der Boulevardpresse, sondern eine Tatsa- aufgeregt bei meiner ersten 20-Uhr- klingt vielleicht im Moment ein wenig dung schon die 20 Uhr-Nachrichten. Und che – und dann habe ich nicht die guten ein Stück deutscher Fernsehge- Tagesschau – das war ja auch schon die Können Sie sich noch an die Reak- nach Eigenlob, aber ich muss es sagen: die legte sie bravourös hin – und später Nerven, um das durchzustehen. Das ist schichte, sondern leistete damit dritte Nachrichtensendung, die ich las. tionen aus dem „Tagesschau“-Team Ich habe immer wieder erfahren – auch habe ich immer wieder mit Staunen und das eine. Aber mehr noch, dass ich große auch einen wichtigen Beitrag zur Die erste Sendung war um 16 Uhr am erinnern? als ich später zum Sprecher-Ensemble Bewunderung festgestellt, sie hat sehr Augenblicke, entscheidende Augenblicke Frauenemanzipation. Im Gespräch 16. Juni 1976, übrigens zufällig auch der gehörte – dass er dann mal fragte: Was starke Nerven! Und ich hatte sie nicht. für mein Leben, alleine erleben möchte. mit Luisa Mentele, Kali Richter Geburtstag meines Vaters, schon deshalb Also die Reaktionen aus der Redaktion halten Sie eigentlich von dem und dem Und für mich war nun eigentlich das für mich unvergesslich. Und hinterher waren äußerst positiv. Die haben wohl und Linda Underwood beschreibt … Soll ich es einmal mit ihm probieren? Selbstverständlichste auf der Welt, dass Werden Sie immer noch auf der fand eine Pressekonferenz statt – meine gemerkt, die kann das irgendwie, die Oder man schlug ihm etwas vor und er nun auch in unserem Sprecher-Beruf Straße erkannt und angesprochen? Dagmar Berghoff die Anfänge ihrer Allererste! Sowas hatte ich nie erlebt – verliert auch nicht den Kopf, wenn es hatte sofort ein Argument dafür oder endlich mal eine Frau auftauchte! Das Tätigkeit und wichtige Momente übrigens auch später nicht: Das war ein- mal hinter den Kulissen etwas hektisch dagegen, da war er sehr überzeugend. war, als ich in den 1960er Jahren beim Wir haben jetzt 2010 und ich bin jetzt in ihrer langen Karriere als Nach- fach eine Sensation in Deutschland, im geworden ist, was ja häufig vorkam. Und Er war wirklich der geborene Nachrich- Radio anfing, eigentlich ganz undenk- genau zwölfeinhalb Jahre weg und ich richtensprecherin. Jahre 1976: Es gab vorher einfach keine die Reaktionen der Kollegen waren auch tensprecher und er hat den Stil des Nach- bar, das Frauen auch Nachrichten verla- wundere mich immer, wo auch immer, Frauen, die Nachrichten verlasen – und positiv, weil es in dem Bereich eher Kon- richtenpräsentierens in der „Tagesschau“ sen. Da waren alle Männer dagegen, aber manchmal angesprochen werde, sogar deshalb waren nun zig-Kamerateams kurrenz zwischen Sprecher und Sprecher wirklich geprägt. Er wusste … er kannte auch alle Frauen! Ich glaube, das Publi- von jüngeren Leuten, wo ich fast glau- angereist und Rundfunk-Reporter waren als zwischen Sprecherin und Sprecher ja noch die Wochenschau-Nachrichten, kum war mehr darauf vorbereit, wer die be, die können mich doch noch gar nicht dort und natürlich viele Fotografen. Die gab. Da sind es die Gleichgeschlechtli- da wurde fast im Propagandaton getönt 20-Uhr-Nachrichten liest, ob Mann oder auf dem Bildschirm gesehen haben und haben in der Pressekonferenz bestimmt, chen, die Konkurrenten untereinander – und er wusste ganz instinktiv: Dies ist Frau, als so mancher Verantwortliche in ich dann höre: „Doch, doch – da war ich wo ich hingucken sollte, da hieß es dann sind. Und die Presse war, sagen wir mal, ein ganz anderes Metier – ich sitze hier höheren Positionen! fünfzehn oder sechzehn!“ – oder wie alt „Fräulein Berghoff (so hieß es damals zu neunundneunzig Prozent positiv – und erscheine im Wohnzimmer der Leute auch immer. Und da das immer in Sym- noch) schauen Sie mal hier hin … und hier und nur ein Prozent fand es vielleicht und bin vom Zuschauer vielleicht drei Am 29. Juni 1998 verabschiedeten pathie geschieht, ist es eigentlich auch hin … Fräulein Berghoff, waren Sie zufrie- doch nicht so gut, dass Frauen Nachrich- oder vier Meter entfernt, vermutlich eher Sie sich „auf leisen Sohlen“ von der nicht lästig. Ich habe damit gerechnet den mit Ihrem Auftritt? Fräulein Berghoff, ten sprechen – und die Zuschauerpost weniger. Und da habe ich nicht zu Grölen „Tagesschau“. Warum sollte keiner – ein Jahr und dann bin ich nur noch mit wem sind Sie liiert? Fräulein Berghoff, war wirklich überwältigend, ganz über- und ich habe nicht zu Deklarieren, son- davon wissen? „Mister X“. Aber da habe ich wohl geirrt wo in Hamburg wohnen Sie?“. Fragen, wo wiegend positiv in der Zahl. dern ich habe ganz sachlich zu erzählen – und das finde ich eigentlich auch gar ich mich teilweise innerlich totgelacht bzw. abzulesen. Und das konnte er wirk- Ich habe entscheidende Augenblick in nicht so schlimm! habe – da kam ich mir vor, wie in einem Wie hat sich die Bekanntheit auf Ihr lich perfekt! meinem Leben immer ganz für mich al- Aquarium! Privatleben ausgewirkt? leine erlebt. Da gibt es ein Datum Jahre Schauen Sie heute immer um 20 Uhr Wie war es, als Dagmar Berghoff 1976 1957, da erfuhr ich, dass ich die Aufnah- die „Tagesschau“? Musste eine Frau bei der „Tages- Es doch ganz schön, dass hätte ich mir als erste Frau bei der „Tagesschau“ meprüfung für die Schauspielschule be- schau“ besser als die Männer sein? gar nicht so gedacht. Zum ersten, wenn die Nachrichten verlas? standen habe. Und da hat es natürlich Ich finde ja immer noch, dass die 20-Uhr- ich einkaufen ging, guckten alle, was ich auch noch einige andere Daten gegeben, Tagesschau die erste und beste Nach- Nein, man musste nicht besser als die einkaufe. Daran musste ich mich erst ge- Es war der Wunsch der Redaktion, eine die ich jetzt im Moment nicht aufzuzäh- richtensendung im Fernsehen ist – und Männer sein, aber mindestens genauso wöhnen. Oder wenn ich als Single ein- Frau als Nachrichtensprecherin hinzu- len brauche. Und als ich mich entschlos- selbstverständlich schaue ich sie mir gut – und das auf Anhieb. Das waren ja mal ins Theater ging, mit einem Freund, zuholen. Und Köpcke fragte immer mal sen habe, mit der „Tagesschau“ aufzuhö- auch immer, wenn ich um die Zeit zu Kollegen, die ja schon jahrelang Erfah- da war das dann gleich mein neuer Le- wieder: Wisst Ihr nicht, wissen Sie nicht, ren, wusste nur ich davon – und natürlich Hause bin, gerne an! • rungen mit dem „Tagesschau“-Sprechen benspartner. Oder mir wurden ja auch ist Ihnen nicht jemand aufgefallen? Ich der Intendant und die damalige Chef- hatten – und ich wurde da förmlich hi- unzählige Verhältnisse angedichtet – suche die ganze Zeit. Und eines Tages sprecherin, Dagmar Berghoff. Und nur neingeworfen, sehr schnell – normaler- und dass ist nicht ganz so glücklich als kam er und sagte: Ihr braucht euch nicht ich ganz alleine konnte mir ausrechnen, weise, bei jungen Sprechern heute, die „Tagesschau“-Sprecherin damals. Und mehr zu bemühen, ich habe jemanden dass dieser 29. Juni tatsächlich mein tüdeln ja zwei Jahre durch alle Nach- mein Intendant damals hat sogar zu mir gefunden! Dann tauchte sie auf, sie war letzter Auftritt im Studio sein würde, um richten-Sendungen herum, außer der einmal gesagt: Sehen Sie mal zu, dass Sie mir bzw. uns ja nicht unbekannt – sie hat- 20 Uhr. Und als der fertig war, habe ich Foto: HAW 20-Uhr-„Tagesschau“ natürlich – da mer- aus den Schlagzeilen herauskommen! te ja zuvor schon beim Südwestfunk als mich umgedreht zum Studio und gesagt: ken die Zuschauer gar nicht, wenn er auf Und ich wusste zunächst gar nicht, wie Ansagerin gearbeitet. Und damals gab es „Dankeschön, das war es!“ – und bin nach Dagmar Berghoff Mitte Januar 2011 im einmal die Hauptnachrichten spricht, ich das machen sollte. Ich habe es dann halt nur zwei Programme und da merkte Hause gegangen. Und was dann folgte, Wohnzimmer ihrer Wohnung in Hamburg weil sie ihn ja schon von den kleineren so gemacht, dass ich nie mehr zu Thea- 44 FERNSEHGESCHICHTE

Eine Frau als neue Sprecherin der wichtigsten Nachrichtensendung – das war 1976 das Ereignis in Deutschland!

Die neue Nachrichtensprecherin, Dagmar Berghoff, wird am 17. Juni 1976 einigen ausgewählten Fotojournalisten vor- gestellt. Die Aufnahmen zeigen Dagmar Berghoff mit ihrem Kollegen Karl-Heinz Köpcke im NDR-Studio in Lokstedt. Fotos: Conti-Press

terpremieren gegangen bin, sondern in Ihr berühmtester Versprecher ist der ich lese „Boris Becker hat im …“ und dann junger Mensch anfangen, da ist etwas von vorneherein zu sagen: „Das kann ich erste Meldung verpasse – die erste Mel- spätere Vorstellungen, ich bin in keine des „W.C.-Turniers“. Danach mussten gucke ich hoch, und gucke in die Kamera, Selbstbewusstsein schon recht gut. An- einfach nicht!“. Sondern zu sagen: Ich dung ist ja immer die Wichtigste, und ich „In“-Lokale mehr gegangen, sondern Sie noch die Lottozahlen vorlesen … natürlich nur für die Redakteure, und sage sonsten denke ich, Diplomatie gehört probiere es, ich versuche es mal, ich gebe zeichne sie auch nicht mehr auf, wie Zei- irgendwo in Restaurants irgendwo au- „W…T…C…Turnier gewonnen“ – und das schon dazu, Nerven, um mit den un- alles, damit ich das machen kann. Aber ten, als ich Chefsprecherin war, weil es ßerhalb der Stadt, oder wo ich vielleicht Oh ja, während das passierte, war es habe ich dann auch gemacht, habe terschiedlichsten Situationen fertig zu auch mit dem Ergebnis, unter Umstän- schon mal passierte, dass ein Redakteur nicht so bekannt war. Also ich habe mich ganz schön schwierig. Also mir schoss „W… C… TTTTT gewonnen“ gesagt … werden. Durchsetzungsvermögen auch, den feststellen zu müssen: „Das schaffe sagte: „Was war denn da gestern Abend?“ schon danach gerichtet. Und ich sehe es das Blut von den Haarspitzen in die Fuß- ich hatte es umgedreht – und ab da war aber nicht mit dem Ellenbogen, nicht mit ich nicht!“. Aber wenn man es nicht aus- … und ich habe sie nicht gesehen, ich ja schon irgendwie ein: Wenn man als nägel und wieder zurück. Aber gegen einfach kein Halten mehr – und ich hörte Haudrauf, sondern mit Diplomatie– das probiert, dann weiß man es auch nicht! war im Theater und ich musste sie anfor- „Tagesschau“-Sprecherin jeden zweiten einen wirklichen Lachkrampf kann man auch schon die Lachsalven aus der Sende- ist glaube ich auch eine Stärke von vie- Dann wagt man auch sonst nichts im Le- dern, um zu gucken, was hat denn der Tag mit einem anderen Mann in der Öf- einfach nichts machen, genauso übrigens regie, die hatten ja nun mitbekommen, len jungen Frauen, dass sie das ganz gut ben. Das wird ja von den Menschen ab- Kollege da gestern gemacht – und des- fentlichkeit angetroffen wird, das wäre wie gegen einen Hustenreiz. Niesen wird dass es wirklich ein ungewollter Ver- können! Ansonsten, mich mit Ellenbogen verlangt, dass sie an einen Scheideweg halb habe ich sie, wann immer ich nach nicht akzeptabel gewesen. man nicht in der „Tagesschau“, dazu sprecher war … und dann konnte ich durchzusetzen, habe ich nie gelernt: Ich kommen, wo eine Entscheidung verlangt Hause kam, abends noch einmal die Auf- braucht man Vorbereitung, und Gähnen nichts mehr machen, um die Lachsalven bin immer gefragt worden, möchten Sie wird, mache ich nun das oder jenes – und zeichnung angeschaut – das brauche ich Haben Sie die Seriosität der „Tages- auch nicht. Aber gegen einen Husten- zu unterdrücken, das tut schon weh: Es dies oder jenes machen, und ich habe das wünsche ich allen, dass sie wissen, heute glücklicherweise nicht mehr. Aber schau“ auch nach außen verkörpert? reiz oder eben einen Lachkrampf – da war nicht aufzuhalten. Und ich habe ja dann gesagt: Ja, ich probiere es, ich ver- dass überall auch nur mit Wasser gekocht es ist nachwievor die beste Nachrichten- kann man einfach nichts machen! Diese noch Glück gehabt, dass es „nur“ die suche es einfach mal! Und wir beide pro- wird … es ist häufig nicht so schlimm wie sendung im deutschen Fernsehen! • Ja, also ich glaube schon, man ist sozu- Geschichte hat natürlich eine kleine Vor- Lottozahlen waren, die danach kamen bieren es, ob ich es gut mache. Ich mei- es oft aussieht, es ist häufig viel einfa- sagen ein „gewisser Mensch“, ohne den geschichte: Und zwar hatte Boris Becker – ich mag gar nicht daran denken, was ne ja, heute ist es gar kein Thema mehr cher, als es aussieht – und eben dass sich man auch nicht an diesen Platz kommt. gerade im World-Tennis-Champions-Tur- passiert wäre, wenn es noch eine seriöse – heute kann man es sich gar nicht mehr einfach einmal ausprobieren? Denn die Sprecherinnen werden ja auch nier gewonnen, kurz WTC-Turnier – und Meldung gewesen wäre, die ich hätte ver- vorstellen, wie es war, 1976 – eine Frau ausgesucht nach der Ausstrahlung, be- ich sagte der Redaktion vor der Sendung lesen müssen … Einfach schrecklich! als „Tagesschau“-Sprecherin – das war Sehen Sie heute noch häufig die sonders nach „seriöser“ Ausstrahlung – noch: Soll ich mal sagen, Boris hat im WC- das Ereignis in Deutschland – es ist wirk- „Tagesschau“? was sie sicher auch zu einem gewissen Turnier gewonnen? – also, da haben wir Haben Sie Tipps für junge Frauen, lich schwer, sich das heute vorzustellen. An dieser Stelle sei allen Interviewpartnern und Zeitzeugen, den Mitarbeitern des Hans-Bredow- Grad sind, wenn sie diese Ausstrahlung so etwas herum gewitzelt – und als ich die sich in der Berufswelt behaupten Ja, man kann es den jungen Menschen Ja, wenn ich zu Hause bin, sehe ich sie Instituts, des Staatsarchivs sowie des NDR, WDR haben. Also ich denke schon … ich kann dann in das Studio herunterging, frag- müssen? nur mit auf dem Weg geben, es einfach noch. Aber ich weiß nicht mehr vom und SWR für ihre freundliche Unterstützung mich Totlachen über etwas, über Wie- ten mich die Redakteure vorsichtshalber auszuprobieren, sich nach der Decke zu Zeitgefühl her, jetzt ist es eine Minute vor bei der Realisierung dieses Projektes gedankt. sen tanzen, oder auch vor Freude an die noch: „Wie heißt dieses Turnier noch ein- Also ich denke mal, man muss schon ein strecken, das heißt, auch mal Dinge zu acht Uhr, jetzt düse ich zum Fernseher, Anregungen, Kritik und Lob können direkt als Decke gehen … und trotzdem ein ganz mal ?“ Und da habe ich gedacht, ich mache wenig Selbstbewusstsein mitbringen, tun, von denen sie nicht wissen, ob sie sie schalte ich ein … es kann mir auch pas- Mail an [email protected] „seriöser“ Mensch sein! das wie eine professionelle Schauspielerin, man kann nicht als völlig unsicherer auch wirklich können, aber nicht gleich sieren, dass ich zu spät einschalte und die gesendet werden. HHFlimmern:Layout 3 02.11.2011 10:46 Uhr Seite 1

46 BUCHBESPRECHUNG wer filmt,KOLUMNENTITELbrauc BLINDTEXTht 47

„In and Out of War“ linke Seite oben: November 1939: Schlangestehen vor der „Schauburg Nord“ Hamburger Kinos und ihre Filme 1938–1949 für den Nazi-Western „Gold in New Frisko“. linke Seite unten: Das bei einem Luftangriff 1943 schwer beschädigte Central-Theater in Von Volker Reißmann der Eimsbüttler Chaussee 63. MAGAZIN DER FILMEMACHER

Die Autorin, die an der Universität von zung des „Groß-Hamburg-Gesetzes“ 1937 z.B. die Prostitution in St. Pauli – waren, die den natio- Ann Arbor in Michigan (USA) regelmäßig von den NS-Machthabern großspurig nalsozialistischen Machthabern ideologisch nicht pass- Lehraufträge wahrnimmt, hat mit ihrer in Aussicht gestellte Filmdokumentation ten (der Film wurde dann erst später von der britischen Dissertation den Versuch unternommen, über die Stadt nie realisiert wurde, es Militärregierung freigegeben). JETZT TESTEN: die Kinounterhaltung und deren politi- dafür aber durchaus Ansätze im Spiel- Die Arbeit ist als Dissertation einer amerikanischen sche Relevanz zwischen 1938 und 1949 film-Bereich gab, die Hansestadt mehr Universität natürlich in englischer Sprache verfasst. zu analysieren – am Beispiel Hamburgs mit einzubeziehen (wofür u.a. der Film Allerdings ist der Quellenwert doch zumindest etwas 3 Ausgaben für nur € 11,55! und seiner Bevölkerung. Einen Extrakt „Ein Mädchen geht an Land“ von 1938 eingeschränkt, da die Verfasserin die deutschen Zitate und wesentliche Ziele und Intentionen genannt wird – allerdings will dazu die im Haupttext häufig nicht in der Originalsprache be- ihrer Arbeit stellte die Verfasserin bereits filmische Biografie des Regisseurs Wer- lässt, sondern sie übersetzt. So wird bei ihr beispiel- vor drei Jahren in Hamburg bei einem ner Hochbaum und seine ursprüngliche weise aus der „Arbeitsgemeinschaft Film“ ein „Film von Prof. Harro Segeberg ausgerichteten Begeisterung für sozialdemokratische Consortium“ – was problematisch erscheint, da es eher Forschungskolleg zur regionalen Film- Themen, wie er sie 1929 mit dem Film nach einer Filmproduktion klingt, als nach dem, was es und Kinogeschichtsforschung der Uni- „Brüder“ über den legendären Hafenar- wirklich war: einer Art verlängerter Volkshochschule. versität Hamburg vor. beiterstreik von 1897 bewies, nicht so Filmtitel und Zitate in den Fußnoten sind von der Sie beleuchtet damit einen bekannt- ersten Kapitel („The Visual Landscape of recht passen). Verfasserin dann allerdings zumeist in der deutschen lich höchst vielschichtigen Zeitraum, der the Meknonä“) gewählt hat, um in die Im fünften Kapitel („The Lure of the Sprache belassen worden (wobei sich hier doch ab und sowohl seichte und vermeintlich „un- Film- und Kinowelt des Dritten Reiches City and the Dread of War“) schließlich zu kleinere Schreibfehler eingeschlichen haben). politische“ NS-Unterhaltungsfilme um- einzuführen: Ein „mechanischer Knopf- beschreibt sie u.a. die Veränderungen, Abschließend sei angemerkt, dass bereits in den fasst (häufig auch als „Durchhaltefilme“ annäher“ (kurz: „Meknonä“) ist ein – na- die sich in der Filmpolitik nach Ausbruch letzten zwei Jahrzehnten zum Themenspektrum „Kino bezeichnet) wie auch klassische Nazi- türlich nur in der Fantasie vorhandenes des Zweiten Weltkriegs ergaben. Danach in der NS-Zeit und den Nachkriegsjahren“ für den Ham- Propagandafilme. Ebenso betrachtet sie – Utensil für Junggesellen in der turbu- schildert sie im sechsten Kapitel („Out of burger Raum etliche andere Publikationen vorgelegt aber auch die ersten Nachkriegswerke, lenten Heinz-Rühmann-Komödie „Ich ver- war“) die Situation nach dem Kriegsende wurden, u.a. die Magisterarbeit „Kino unterm Haken- zumeist sogenannte „Trümmerfilme“, die traue dir meine Frau an“ (Regie: Kurt 1945 und die Filmarbeit der Alliierten, kreuz – am Beispiel Hamburg“ von Gerti Keller (1993) unter Lizenzierung der Alliierten Militär- Hoffmann, 1942/43). Danach folgt im wobei ihr hier u.a. ein Film von Helmut oder die Hausarbeit „‚Gleichschaltung der Leinwände?‘ regierung ab 1946 entstanden. Für ihre zweiten Kapitel („The Making of Natio- Käutner, „In jenen Tagen“, als wichtige – Kino in Hamburg 1933 – 1939“ von Stephanie Baecker Arbeit selbst zog die Autorin diverse nal Socialist Hamburg and the Politics of Projektionsfolie und Paradebeispiel für (2001). Auch wurden wichtige Teilbereiche bereits in Quellen heran, u.a. aus dem Staatsarchiv Space“) eine knapp 50-seitige Abhand- den sogenannten „Trümmerfilm“ der eigenständigen Arbeiten abgehandelt, so u.a. von Jan Hamburg, der Forschungsstelle für Zeit- lung zu den Hintergründen des Aufstiegs Nachkriegszeit dient. Im siebten und Pätjer Johannsen in seiner Magisterarbeit „‚Arisierun- geschichte in Hamburg, dem Cinegraph der NSDAP in den 1930er Jahren in letzten Kapitel („Als der Papa klein war ...: gen‘ in Hamburg“ (2006) und von Heiner Ross durch Hamburg, einigen Stadtteilarchiven, dem Hamburg. Concluding Reflections“) schließlich wird die von ihm herausgegebene Publikation „‚Lernen Sie zoom ist das Magazin für junge Profis, Filmstudenten Bundesarchiv, dem Bundesarchiv-Film- Das dritte Kapitel („Film Policy: Local, noch einmal abschließend, diesmal u.a. diskutieren!‘ – Re-education durch Film“ (1995). und ambitionierte Amateure. archiv, der Kinemathek Berlin und das National and Transnational Contexts“) wieder von einem Heinz-Rühmann-Film, So muss diese Arbeit vermutlich als ein weiterer Ver- Tagebucharchiv in Emmendingen sowie reflektiert dann die wechselseitigen Be- der „Feuerzangenbowle“, ausgehend, ein such eines Rundumschlags dieser Thematik – diesmal zoom berichtet direkt aus der Filmszene: Quellen der Zeitzeugenbörse. ziehungen zwischen lokaler, nationaler umfassendes Resümee über die Film- und unter geschichtsphilosophischen Ansätzen – gesehen große Reportagen über Regisseure, Kameraleute Etwas schmunzeln mag man über und transnationaler Filmpolitik jener Zeit Kinowirtschaft im Zeitraum zwischen werden. Obwohl die Arbeit zweifellos etliche interes- und alle, die beruflich mit Film zu tun haben. den Aufhänger, den die Verfasserin im – noch bis Kriegsausbruch 1939 wurden 1938 und 1949 in Deutschland gezogen. sante Details und Abschnitte beinhaltet, hinterlässt die bekanntlich in einigen Kinos auch popu- Die Entscheidung der Autorin, neben Lektüre als Gesamteindruck leider eine gewisse Rat- zoom bringt Workshops und Knowhow – läre amerikanische Unterhaltungsfilme vielen anderen Werken dem US-Film losigkeit. Zumal nicht so recht klar wird, wie der Un- das inspiriert für eigene Projekte. gespielt (wobei allerdings kein Zweifel „Confessions of a Nazi Spy“ (1939) und tersuchungsgegenstand eigentlich genau definiert ist zoom bietet Tests der wichtigsten Kameras daran gelassen wird, dass alle wichti- dem deutschen Spielfilm „Große Freiheit – und der Eindruck entsteht, dass die Autorin sich mit und Insider-Tipps für bessere Filme. gen Vorgaben jener Zeit direkt aus dem Nr. 7“ (1944), einen größeren Raum hin- der unglaublichen Materialfülle und dem von ihr doch Reichspropagandaministerium in Berlin sichtlich ihrer Entstehungsgeschichte recht weit gefassten Untersuchungszeitraum vielleicht zoom kommt alle zwei Monate. kamen und die lokalen Gestaltungsmög- und Rezeption einzuräumen, überrascht. einfach etwas zu viel vorgenommen hat. • NEU: lichkeiten demzufolge eher gering waren Denn beide Filme kamen – wenn auch als App! jetzt auch – Hamburg verfügte zu jener Zeit ja noch aus unterschiedlichen Gründen – bis zum Anne K. Berg nicht einmal über geeignete Ateliers oder Ende des NS-Zeit gar nicht zum regulären In and Out of War: Space, Pleasure andere Produktionsstätten, die für jede Einsatz in den Hamburger Kinos: Beim and Cinema in Hamburg 1938 – 1949 Filmwirtschaft unabdingbar sind). amerikanischen Anti-Nazi-Film erklärt GLEICH BESTELLEN: A dissertation submitted in partial fulfilment Im vierten Kapitel („Celluloid History sich dies natürlich aufgrund des Themas of the requirements for the degree of Doctor and the Glamour of ‚Heimat‘“) stellt die von selbst, während beim Helmut-Käut- of Philosophy (History). University of Michigan: E-Mail: [email protected] Autorin u.a. fest, das eine nach der Umset- ner-Film einige Handlungsstränge – wie Ann Abor, 2011. – 397 S.: zahlr. Ill. Telefon: 030-25 37 52-24 Leser-Service: Markgrafenstr. 11, 10969 Berlin Internet: www.zoom-video.de 48 FILMGESCHICHTE FILMGESCHICHTE 49

Filmgeschichte im Internet Jetzt online: Neue Datenbank Erster Entwurf der zukünftigen Internet-Seite, zu „Reeducation“-Filmen die in den Netz-Auftritt der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg eingebunden sein wird.

Von Heiner Ross Foto: IWM

„Reeducation“: Die Deutschen Die Ziele der „Reeducation“ waren: An- Jugendverbände und der freien Wohl- von ihnen geschaffenen Einrichtungen ehrenamtliche Arbeit des Verfassers die- in Archiven nachweisbar sind, sondern verwenden dafür auch gerne den tinazismus, Antimilitarismus und Anti- fahrtsverbände intensiv – weil kostenlos trug dazu bei, dass die Filme in Verges- ses Beitrages wurde unterstützt von den auch verschollene und nahezu unbe- Begriff „Umerziehung“, der ihnen rassismus. Filme über das Alltagsleben und attraktiv – genutzt. senheit gerieten. Außerdem forderten Mitarbeitern der Kinemathek Hamburg kannte Werke. Hinzu kommen viele in Demokratien sollten dazu beitragen, Zu ihrer Unterstützung wurde eigens Lizenz- und Urheberrechte ihren Tribut, e.V. (Martin Aust, Thomas Pfeiffer, Felix überlieferte „Reorientation“-Werke, auch möglicherweise noch aus dem die NS-Ideologie aus den deutschen ein nicht-gewerblicher Filmverleih ge- das heißt sie trugen zusätzlich zum Ver- Sonntag und Rita Baukrowitz), von Jean- Werbefilme für den Marshall-Plan sowie Umgang mit NS-Gegnern vertraut Köpfen zu verbannen. Nicht nur Lese- gründet, der „Filmdienst für Jugend und schwinden von Filmkopien aus dem Um- paul Goergen (Berlin), Thomas Thode allgemeine Film- und Fernsehdokumen- war. Doch was die Amerikaner stuben mit einem breitgefächerten An- Volksbildung“. Unterschiedlich viele Ton- lauf bei. (Hamburg), Prof. Dr. Gabriele Clemens tationen, die zum Themenbereich „Auf- anstrebten, war die „Umwertung gebot an Zeitungen, Zeitschriften und filmkopien wurden je nach Bedarf ange- (Universität Hamburg) und vielen ande- klärung über die Geschichte der 1930er der geistigen und kulturellen Büchern sollten diese Transformation fertigt und sogar rund 1.400 Lichtton- Aufgespürte Filme nun recherchierbar ren Helfern, die hier der Vielzahl wegen und 1940er Jahre“ passen. Fast allen Fil- Werte des deutschen (NS-)Volkes einleiten, sondern auch die Aufführung Filmprojektoren für 16mm-Filme direkt 1994 begann die Arbeit der Kinemathek leider nicht alle einzeln genannt werden men ist ein Erläuterungstext beigefügt und der Vertrieb von weit über tausend aus den USA eingeflogen (denn Tonfilme Hamburg e.V. an diesem Thema. Es können. mit Inhaltsangabe, Belegen aus zeitgenös- und die Rückführung Deutsch- Kurzfilmen in den Jahren zwischen 1945 in diesem Format waren in Deutschland dauerte noch bis 1999, um erstmalig in Aufgenommen sind in dieser Daten- sischen Quellen und Literaturhinweisen. lands in die Kulturgemeinschaft und 1955. Nach und nach kamen zu den unüblich). einem Modell-Seminar diesen Teil der bank nicht nur klassische „Reeducation“- Erklärtes Ziel des Internetprojektes der zivilisierten Nationen ...“ Eigenproduktionen der Alliierten auch deutschen Filmgeschichte sichtbar zu Filme, von denen auch heute noch Kopien soll es sein, mit Hilfe der neuen Daten- (Gerhard Bechtold, 1987). Filme, die von jungen (West-) Deutschen Aus dem Verleih zurückgezogen machen. Dieses Seminar und eine Fort- bank vor allem die Filme und ihre Ver- im Auftrag und mit Anleitung der Alliier- Von 1945 bis 1947 zeigten der Alliier- setzung im Jahr 2002 fanden mit Hilfe fügbarkeits-Orte nachzuweisen und sie ten hergestellt wurden. Zu diesem Zeit- ten auch anklagende Werke: Dies waren der Hamburger Landeszentrale für poli- damit wesentlich leichter für interes- punkt wurde der Begriff „Reorientation“ beispielsweise Filme über die Befreiung tische Bildung statt, die auch die Heraus- sierte Filmhistoriker und auch die breite geläufig. Mit den Marshall-Plan-Filmen, der Konzentrationslager: „Les camps de gabe einer kleinen Schrift ermöglichte: Öffentlichkeit zugänglich und nutzbar die sich direkt auf ein politisches Groß- la mort“ (F 1945), deutscher Titel „KZ“, „Lernen Sie diskutieren! Re-education zu machen. • projekt bezogen, wurde gleichzeitig der dieser stand bis 1954 zur Verfügung. „Die durch Film, Strategien der westlichen Europa-Gedanke vital publik gemacht. Todesmühlen“ (D-US-Zone 1946, Hanus Alliierten nach 1945“, Filmblatt-Schriften, Doch auch der „Kalte Krieg“ fand bald Ein- Burger) war sicherlich der bekannteste, Beiträge zur Filmgeschichte, Band 3,

gang in die aufgegriffenen Filmthemen. aber nach 1947 nur noch selten gezeigt, Berlin, 2005. In den Jahren seit 1994 Gegenwärtig wird die Datenbank für den Viele der Filme wurden auch als Vorfilme wobei er jedoch bis heute aufführbar ist wurde es notwendig, die Filme nicht Internetauftritt aufbereitet. Die Frei- in die regulären Kinos gebracht. (so lief Burgers Film z.B. in Bayern ab nur aufzuspüren, sondern sie auch mit schaltung der neuen Seiten im Netz soll im 1993 noch einmal als Vorfilm zur Doku- einer nach und nach entwickelten Daten- Dezember 2011 erfolgen.Der Link lautet Foto: IWM Zehntausende in den Vorstellungen mentation „Beruf Neonazi“ von Winfried bank wissenschaftlich zu begleiten. Diese dann: www.zeitgeschichte-hamburg.de Die Lesestuben entwickelten sich zu Bonengel). Amerika-Häusern, britischen Kulturzen- Bis in die 1970er Jahre wurden viele tren („Die Brücke“) und dem Institut der Filme noch angeboten und einge- Française. Sie wurden jährlich von Zehn- setzt, nach und nach wurden sie aber aus tausenden interessierter Bürger besucht der aktiven Verleiharbeit zurückgezogen, und zu wichtigen Orten der schulischen neue Titel und Themen wurden relevan- Suche diverse Ausgaben und außerschulischen Bildungsarbeit. ter, bis Ende der 1990er Jahre die Filme der „Illustrierten Film-Bühne“ Ferner werden Filmkameras aller Art aus dem letzten Jahrzehnt zur Spätestens mit der Entstehung der Bun- in ihrer Mehrheit ganz aus dem Blickfeld Sammlungsergänzung gesucht, sowie ein Arri-Vorderlicht für den Blimp. desrepublik Deutschland 1949 wurden gerieten, wie sich auch die kulturelle 1946–1968 Gesucht wird ebenfalls eine 35-mm-Kamera vom Typ Mitchell MarkII die Filmangebote auch von neu ge- und politische Bildungsarbeit verselb- (oder Mitchell NC). Bürger am 30. Mai 1945 im Kino von Burgstein- im Kauf oder Tausch. furt - gezeigt wird die Wochenschau: „(NS-) gründeten Einrichtungen der Parteien, ständigte und veränderte. Auch der stete Verbrechen - der Beweis“. der Kirchen, der Jugendfürsorge, der Rückzug der Alliierten aus der Arbeit der Kontakt: Hans Joachim Bunnenberg, Ahrensburg, Tel./Fax. 04102-56612 50 KOLUMNENTITELKINOGESCHICHTE BLINDTEXT KINOGESCHICHTE 51

Viele Karl-May-Filme starteten zur Weihnachtszeit: Im Dezember 1963 lockte „Winnetou 1. Teil“ Jung und Alt ins Hamburger CITY-Filmtheater Mit Winnetou durch Hamburgs Filmpaläste Jugenderlebnisse in den Prachtkinos

Als zu Beginn der 1960er-Jahre mit dem ‚Schatz im Silbersee‘ das Karl May-Fieber in den bundesdeutschen Lichtspielhäusern ausbrach, boten vor allem die repräsentativen Filmpaläste in den Groß-und Millionenstädten mit ihren breiten Leinwänden und ihrer noblen Ausstattung einen überwältigenden Kinogenuss.

Von Karl-Heinz Becker

Ich gehöre zu jenen glücklichen Winnetou- faszinierenden Kinowelt. Als aus dem Film- ein Freunden, die alle Karl-May-Filme der 60er Sprechtheater („Künstlertheater“) wurde, über- Jahre gesehen haben – in der Reihenfolge ihres nahm das Roxy in der Eppendorfer Landstraße Erscheinens und vor allem im Kino. Dort zu- die Rolle der filmischen Heimstätte. Dort sah ich meist auf den riesigen Leinwänden Hamburger mit meinen Freunden auch die ersten beiden Erstaufführungstheater, eingeklemmt zwischen Winnetoufilme „Der Schatz im Silbersee“ und tausend anderen Besuchern, umgeben von er- „Winnetou 1. Teil“, bevor ich die weiteren Karl- wartungsfroher und gespannter Atmosphäre May-Abenteuer stets direkt in den Erstauffüh- und oft verzweifelnd über Vorfilm und Wochen- rungstheatern der Hamburger City genoss. schau (die gab es damals noch!), weil sie meine aufgeregte Anspannung bis ins Unendliche Filmpaläste zwischen Grindel, steigerten. Doch wenn dann endlich der Gong Hoheluft und Eppendorf dreimal ertönte, das Licht langsam verlosch, der Einige hundert Meter vom Roxy entfernt, im Vorhang sich öffnete und das Constantin- oder Komplex von Karstadt-Eppendorf, hatte sich im Gloria-Verleih-Signet – fanfarengleich – Karl Mays Untergeschoss der Regina-Palast angesiedelt. Helden ankündigte, dann versank ich voller Ein sehr ansprechendes Kino mit einer großen Glückseligkeit im Land der Träume. Ich wurde Leinwand, das leider unter seiner ungünstigen eins mit der berauschenden jugoslawischen weil abseitigen Lage litt. Gemeinsam mit dem Landschaft, ließ mich umhüllen und tragen von Roxy war es für uns Jugendliche Nachspielstät- Martin Böttchers faszinierender Musik und er- te der Karl-May-Filme. Zugleich machte es uns lebte beglückt das Auftreten Winnetous und in Wiederaufführungen mit Klassikern wie „Die Old Shatterhands, jauchzte innerlich über Sam Brücke am Kwai“ vertraut. Hawkens Späße und hatte meine reine Freude Hochkarätiger wurde die Kinoszene, wenn an dem herrlichen Spiel, das dort vor mir tem- wir uns von der Hochallee aus in Richtung Ho- poreich zwischen Gut und Böse ablief. heluft bewegten. Unvergessen das mächtige Ca- pitolkino in der Hoheluftchaussee. My cinema Kinos vor der Haustür is my castle! Im Vergleich dazu wirkte um die Dazu muss man wissen, dass ich von Kindheit an 1960er Jahre herum die Blumenburg, ebenfalls vom Medium Film verzaubert war und zudem in in der Hoheluftchaussee gelegen, wie eine ärm- einem Teil Hamburgs aufwuchs, der eine große liche Hütte. Immerhin liefen dort noch viele Auswahl an interessanten Lichtspielhäusern bot. Monate nach ihrer Erstaufführung Winnetou- Von unserem Wohnhaus in der Hochallee, zwi- Streifen. So konnten wir jungen Kinofans dort schen Jungfrauenthal und Eppendorfer Baum zum wiederholten Mal vergangene May-Aben- gelegen, konnte ich viele Kinos gut zu Fuß errei- teuer genießen. Der Nachteil: Bild und Ton chen. Wege von 20 bis 30 Minuten waren damals waren nicht immer zu genießen, da die Kopien ja ein „Klacks“. Mein ursprüngliches „Heimkino“ schon durch unzählige Projektoren gelaufen waren die Harvestehuder Lichtspiele, später in waren.

Unnachahmlich und edel, begleitet von Rapphengst Ufa Harvestehude umbenannt. Hier hatte ich in Ganz anderer Art und ein Klassiker unter Iltschi und der unvergleichlichen Silberbüchse: den 50er-Jahren in den Jugendvorstellungen am Hamburgs Lichtspieltheatern ist das Holi Ecke

In elf Kinofilmen spielte Pierre Brice den Winnetou Fotos: Siegfried Mehrens/Conti-Press Sonntagmittag meine erste Begegnung mit der Hoheluftchaussee/Schlankreye. Auf dem Weg 52 KINOGESCHICHTE KINOGESCHICHTE 53

August 1964: Glanzvolle einem Karl-May-Film. Es war ein Samstag, der Diese geballte Karl May-Spannung ereilte Welturaufführung von 9. Mai 1964. Eines der wenigen May-Daten, das mich in dem Kino noch einmal im Herbst des- Artur Brauners „Der Schut“ ich nicht vergessen habe. selben Jahres, als dort ‚Winnetou II‘ seinen Lein- im Filmtheater DIE BARKE. wandstart erlebte. Die romantische Geschichte Hinten v .l.: Herr Schulz, Wann geht es endlich los?! um die schöne Häuptlingstochter Ribanna war Gloria-Verleih, Gloria-Filial- Die Zeit bis zum Filmbesuch schleppte sich nur eigentlich fast schon zu schön für einen Karl- leiter Günther Lücke mit mühsam dahin. Als es endlich soweit war und May-Film. Hinzu kam, dass die Farben von einer Gattin, Martin Böttcher, wir vor dem CITY-Kino standen, strapazierte besonderen Intensität waren, wie in keinem an- Chris Howland, Rik Battaglia, Tim Schümann (Inhaber- eine lange Warteschlange vor der Kasse meine deren May-Film davor und danach. Da der Film familie Die Barke). Vorn (v. l.): Ungeduld auf das Äußerste. Da aber an zwei zudem viele Landschaftsaufnahmen in herrli- Frau Brauner, Artur Brauner Billetschaltern gearbeitet wurde, saß ich dann chem Grün aufzuweisen hat, wurde er mit allen mit Tochter, Ralf Wolter, doch schneller als erwartet in einem der beque- seinen Zutaten zum gefühlvollsten Film der Marie Versini, Robert Siodmak, men Kinosessel. Drei Mark fünfzig kostete da- Welle. Martin Böttchers neues Hauptthema, die Frau Siodmak. mals ein sehr guter Platz in der 20. Reihe. Winnetou-Melodie, und die einfühlsam arran- Zehn Minuten vor Beginn der Vorstellung gierten Klänge um Liebe und Leid des Apachen- war der Saal mit fast tausend Personen gefüll- häuptlings und sein vergebliches Liebeswerben lt. Ausverkauft! Die Stimmung war großartig. krönten die Romantik des Films. Jung und Alt saßen dicht gedrängt nebenein- ander. Überall gespannte Erwartung, unruhiges Spannung im stilvollen Rahmen Hüpfen auf den Sitzen. Die so gepriesene Klima- die barke, ebenfalls in Hauptbahnhofnähe ge- anlage war an dem warmen, sonnigen Tag voll- legen, besaß mit 1.118 Plätzen nicht nur den kommen überfordert. Ebenso meine Nerven, die größten Saal, sondern war durch ihre originelle Meine Aufregung zu unserer Penne, der Jahnschule, heute Ida- Denn nahezu jede neue Aufführung bedeutete dieser aufregenden Atmo-sphäre in dem braun- Inneneinrichtung (eine große Lichtsonne an war kolossal. Ehre-Gesamtschule, kamen wir fast täglich da- für mich als 16- oder 17-Jähriger häufig eine golden ausgestalteten Prachtsaal nur mäßig ge- der Decke und strahlende Lichtsterne an den ran vorbei. Die Programme kannten wir durch erstmalige Begegnung mit diesen strahlend wachsen waren. Wänden) wohl das schönste und im Service Sie war so stark Aushangstudium in- und auswendig. Mit seinen mächtigen Theatern, die alle rund um Haupt- Dann zum ersten Mal Erleichterung, als das vornehmste Haus am Platze. In den ‚goldenen wie nie zuvor Jugendvorstellungen war das Haus für uns ein bahnhof und Alster angesiedelt waren. Licht ausging und die Werbung einsetzte. Die Kino-Fünfzigern‘ war das Theater ein begehrtes und später nie Selbstgänger. Und den einmaligen Vorhang mit Mit dem dritten Karl-May-Film „Old Shatter- schien an diesem Nachmittag jedoch besonders Premierenkino. Wie auch das City-Kino besteht seinen glitzernden Hamburg-Motiven kenne hand“, diesmal aus dem Hause von Artur Brau- lang. Dann noch Vorfilm, Wochenschau, Trailer das Haus heute leider nicht mehr. wieder bei einem und liebe ich seit meiner Kindheit. ners CCC-Film, begann meine nähere Bekannt- der nächsten Filme und die Unfallverhütungsse- Vor der Karl-May-Welle hatte ich das buch- Karl-May-Film. Prachtstück Nummer eins in unserem Wohn- schaft mit den großen Kinos der Hamburger rie mit „Bestatter“ Günther Jerschke („… denn stäblich ‚strahlende‘ Lichtspieltheater durch umfeld war allerdings das Cinerama Grindel- Innenstadt. Wie die beiden Winnetou-Streifen bei mir, liegen Sie richtig!“). Nicht nur mir war zwei Rühmann-Filme (‚Der eiserne Gustav‘, ‚Der Filmtheater, von der Hochallee aus ebenfalls gut vor ihm, startete auch er im CITY-Kino am heiß. Im ganzen Saal herrschte eine unerträgli- Hauptmann von Köpenick‘) kennen gelernt, zu zu Fuß zu erreichen. Auch wenn Karl May dort Steindamm, der unbestrittenen Hochburg der che Luft. Also wurden vor dem Hauptfilm noch denen mich damals meine Großmutter eingela- keinen Einlass fand, so wurde es ab 1963 mit der Karl-May-Filme. Allein acht Streifen der ins- einmal sämtliche Türen geöffnet. Frische Luft den hatte. Premiere von Das war der wilde Westen auf sei- gesamt 17 Filme umfassenden Reihe, erlebten wirbelte in den Raum. Doch die dadurch ent- Am 20. August 1964 erhielt die barke mit ner 27 x 10 Meter großen Leinwand für uns Kino- dort ihre Hamburger Uraufführung, darunter standene Verzögerung des Films war zu viel. der Welturaufführung von Karl Mays „Der Freunde zur Heimstätte der besonderen Art. Ob der ‚Silbersee‘-Startfilm, die Winnetou-Trilogie Das Kribbeln in meinem Körper, das bis in die Schut“ für mich die höchsten Weihen. Die Pre- Premieren wie Die größte Geschichte aller Zei- und die CCC-Produktionen ‚Schatz der Azteken‘ Fingerspitzen zog, war nicht mehr auszuhal- miere fand leider an einem Wochentag statt. ten, Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden und ‚Die Pyramide des Sonnengottes‘. Fast alle ten. Überall wurden ungeduldige Rufe laut. Die Da hielten mich Lehrstelle und Berufsschule Kisten, Doktor Schiwago oder Wiederaufführun- hielten sich wochenlang auf der Leinwand. Nur Theaterleitung hatte schließlich ein Einsehen. fest in den Händen. So versäumte ich den per- gen wie Ben Hur und Vom Winde verweht – es die ‚Pyramide des Sonnengottes‘ sackte schnell Man nahm einen Rest an Mief in Kauf, um die sönlichen Auftritt von Marie Versini, Rik Bat- war der absolute Fünf-Sterne-Palast. in sich zusammen. Der ebenfalls dürftige ‚Old- Charmant führten Ungeduld nicht noch weiter zu schüren. Das taglia, Chris Howland und des von mir so ver- Surehand‘-Streifen rettete sich hingegen noch livrierte Platzan- Licht erlosch allmählich und der feierliche, für ehrten Komponisten Martin Böttcher. Letzterer Karl May kommt einigermaßen über die Runden. weiserinnen die jeden Kinogänger beglückende Gong ertönte. hatte übrigens die kürzeste Anreise, da er zu Dermaßen verwöhnt aufgewachsen, war es Mit meinem ersten Azubi-Salär in der Tasche, Der Vorhang öffnete sich und in 70 mm-Pano- dem Zeitpunkt noch in Hamburg wohnte. So für mich als filmbegeisterter Bursche trotzdem war ich für „große“ Taten gerüstet. Die „Old- Zuschauer an ihre rama füllte „Old Shatterhand“ eine der größten blieben mir nur die Zeitungsberichte über die immer wieder ein Erlebnis besonderer Art, die Shatterhand“-Anzeige in der Zeitung sehen und Plätze, verkauften Hamburger Kinoleinwände aus. Nach dem ers- Premierenfeier und der Filmbesuch an einem gesamte Breite der Hamburger Kinolandschaft meine Eltern – sie hatten Hochzeitstag – zum Süßwaren und ten Auftreten Winnetous und Shatterhands und Samstag. innerhalb der belebten Innenstadt zu entdecken gemeinsamen Winnetou-Kinobummel einladen, nach dem Titelvorspann merkte ich, wie meine Den Kinderschuhen entwachsen, nahm ich und zu bestaunen. Und das geschah im Zuge war eins. Meine Aufregung war kolossal. Sie war standen mit Rat Anspannung langsam nachließ, und ich hinü- nun auch die festlich-geschmackvolle Atmosphä- der sich schnell ausbreitenden Karl-May-Welle. so stark wie nie zuvor und später nie wieder bei und Tat zur Seite. berglitt in das Land der Karl-May-Abenteuer. re der barke intensiv wahr. Charmant führten 54 KINOGESCHICHTE KINOGESCHICHTE 55

Dreharbeiten zu „Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten“ 1968 in Kroatien.

Oben links: Szene mit Pierre livrierte Platzanweiserinnen die Zuschauer an katapultierte. Platzten in den Jahren zuvor die Brice und Karin Dor. An der ihre Plätze, verkauften Süßwaren und standen Kinosäle bei Winnetous Auftritten förmlich aus Kamera mit Strohhut: Ernst jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Der breit den Nähten, war nun der majestätische Saal W. Kalinke angelegte Theatersaal war ganz nach meinem nicht einmal mehr halb gefüllt. Oben rechts: Hundstage. Geschmack. Links und rechts des Mittelblocks Pierre Brice genießt die wies es weitere Sitzreihen auf. So liebte ich Vom Großbild zum Kaspertheater Drehpause Kino, mächtig und groß! Genau das richtige für Die passage in Hamburgs Mönckebergstraße ein farbenprächtiges Karl-May-Abenteuer. Wil- ist eines der ältesten Kinos der Hansestadt und Unten: Ob im Film oder privat, und Ehefrau Tita lig ließ ich mich hineinziehen in die kantigen eines von zwei Karl-May-Premierenkinos, das verstehen sich gut mit Pierre Schluchten des Balkan, in dem auch der heim- noch heute existiert. Inzwischen wurde es um- Brice tückische Schut sich Kara Ben Nemsi und seinem gebaut und mit einer neuen, größeren Leinwand treuen Freund Halef geschlagen geben muss. ausgestattet. 1965 sah es leider anders aus. Das Die besondere und reizvolle Atmosphäre der Theater, mit über tausend Plätzen nicht eben barke erlebte ich genau ein Jahr später noch klein, besaß zwar einen einladenden, lang gezo- einmal beim ‚Ölprinz‘ und im Sommer 1966 mit genen Plüsch-Saal mit ausladendem Rang, doch ‚Im Reiche des Silbernen Löwen‘. Doch zu diesem die kleine Leinwand war lediglich für ‚Kammer- Zeitpunkt gingen sowohl die Zuschauerbegeis- Lichtspiele‘ geeignet. Dort ein Breitwandaben- terung als auch der Theaterservice spürbar teuer zu zeigen, war schon kurios. Zudem war zurück. es unverständlich, dass in die ausladende Bühne nur eine kleine Bildflache eingelassen war. Sie Weihnachten im Ufa-Palast wirkte wie ein schmales Fenster in der gesam- Prächtig dafür der Eindruck im ufa-palast als ten Vorhangkonstruktion und sorgte in mir für dort Weihnachten 1964 ‚Unter Geiern‘ startete. gelinden Schrecken. Ich hatte das Gefühl, die Für mich war es der erste Besuch in diesem tradi- Abenteuer in ‚Durchs wilde Kurdistan‘ würden tionsreichen Haus. Der knapp tausend Besucher sich auf einer Kasperle-Bühne abspielen. fassende Kinosaal mit seiner edlen Teakholz- Auch das ‚Vermächtnis des Inka‘ war dort täfelung aus den 50er-Jahren und bequemen 1966 angesetzt, lief aber nur eine Woche lang Hochpolstersesseln bot eine festlich-stimmige und dann auch während des Sommers, als halb Atmosphäre. Damit förderte er vor allem in der Hamburg in den Ferien weilte. Diesen Film Weihnachtszeit die gespannte Vorfreude auf musste ich mir nachträglich in einem Bezirkski- das neue Karl-May-Abenteuer, das mit Stewart no anschauen. Dabei führte mich der Weg ein- Granger als Old Surehand einen echten Weltstar mal quer durch Hamburg, um Monate später aufwies. ein Theater zu finden, dass den Film aufführte. Nach dem Trailer von ‚Dr. med. Hiob Prätorius‘ Schade. mit Heinz Rühmann und Lilo Pulver endlich Noch einmal kam die passage zu Karl-May- der ersehnte Gongschlag, allmähliche Verdun- Ehren, im Advent des Jahres 1966 mit ‚Winne- kelung des Raumes, Öffnen des Vorhanges auf tou und sein Freund Old Firehand‘. Damit war es Cinemascope-Breite – und dann lag in ihrer gan- zum ersten Mai ein Winnetou-Streifen, der über zen Weite die bergige Landschaft Rijekas mit die Kasperle-Leinwand des Theaters flimmerte. der Ranch des Bärenjägers Baumann vor mir. Doch da Horst Wendlandt in diesem Film sein Anschließend der ‚Titel-Ritt‘ des Bärenjägers eigenes, ursprünglich ‚weiträumiges‘ Erfolgs- nebst Sohn Martin über Berge und Täler und konzept selbst eingeengt und in der Kiesgrube dazu Martin Böttchers neue, wieder ungemein von Miramonte versteckt hatte, war die Lein- weitklingende ‚Old Surehand-Melodie‘ – ich war wand für dieses Kammer- und Trauerspiel aus- wie so oft im Land der Träume, voll konzent- reichend. riert, mit roten Ohren, und wäre am liebsten mitgeritten. Die Welle flaut ab Im ufa-palast fand im Februar 1969 auch Zu dem Schock der May-fernen Anlage des Films, der Hamburger „Abgesang“ auf die May-Filme der kleinen Leinwand und dem mangelnden Ge- statt, als Atze Brauner die Blutsbrüder unter nuß an Landschaft und Mythos gesellte sich noch

Fotos: Siegfried Mehrens/Conti-Press dem Endlostitel „Winnetou und Shatterhand im die wenig passende Schnellschuss-Musik von Tal der Toten“ endgültig ins filmische Jenseits Peter Thomas. Thomas, viel erfahren und ein 56 KINOGESCHICHTE AUS DEM VEREIN 57

Aus dem Verein Studio-Kino Jahresrückblick wiedereröffnet!

In diesem Jahr fand die Jahreshauptver- zent Prof. Gyula Trebitsch, gleich eine Ein weiteres Kino ist gerettet. Das sammlung unseres Vereins – wie bereits doppelte Ehrung: So wurde in einem Studio-Kino in der Bernstorffstraße in den Jahren zuvor – auf dem Gelände Festakt am 23. September 2011 die Stadt- wurde ursprünglich am 28. Januar des Medien-Campus Finkenau statt, dies- teilschule Tonndorf in „Gyula-Trebitsch- 1929 mit 409 Plätzen in einer ehe- mal im 3. Stock des Departments Infor- Schule“ umbenannt – mit Hilfe unseres maligen Spiegel-Fabrik im Randbe- mation der Hochschule für Angewandte Vereins konnten Lehrer und Schüler die zirk zwischen St. Pauli und Altona ein- Wissenschaften in Hamburg. Die Tages- Aula mit Erinnerungsstücken aus dem gerichtet. Den 2. Weltkrieg überstand ordnung sah auch eine Neuwahl des Schaffen von Gyula Trebitsch dekorieren, es nahezu unbeschadet, war dann Kassenprüfers vor: Heiner Ross erklärte Filmausschnitte zeigen und Passagen aus aber 1962 ein Opfer der allgemeinen sich erfreulicherweise bereit, sich noch Drehbüchern der großen Filmerfolge wie Filmtheater-Krise geworden. Nach einmal für drei Jahre für dieses Amt zur „Der Hauptmann von Köpenick“, „Des Teu- über 25 Jahren Leerstand unterzeich- Verfügung zu stellen – und wurde ein- fels General“ und die „Die Familie Opper- nete 1987/88 – seinerzeit zur allge- timmig gewählt. Die anwesenden Mit- mann“ vortragen. Ferner erfolgt zum meinen Überraschung – der damalige glieder wurden zudem vom Vorstand Jahresende auch noch die Benennung Ufa-Kino-Chef Heinz Riech einen über die wichtigsten Aktivitäten der zu- einer Verkehrsfläche nach Trebitsch – Mietvertrag: Als wolle er das Vorur- rückliegenden Monate informiert. Als ein ebenfalls in Tonndorf unweit des Studio teil widerlegen, er könne nur Schach- besonderes Highlight wurde der erst Hamburg-Geländes. telkinos betreiben, ließ er das Objekt wenige Wochen zuvor freigeschaltete Erfreulicherweise konnte das Muse- zum Filmkunsttheater umbauen (der Relaunch des zweiten Internetauftritts um im Rahmen der erneut stattgefunde- Rang wurde allerdings zu einem unseres Vereins (www.fernsehmuseum- nen „Nacht des Wissens“ am 29. Oktober zweiten Saal mit 99 Plätzen umfunk- hamburg.de) präsentiert und einige Hö- 2011 von 17 bis 22 Uhr wieder seine ge- tioniert). 1994 wurde ein großzügi- hepunkte dieser teilweise neu gestalteten sammelten Schätze der Öffentlichkeit ges Atrium angebaut. 2002 im Zuge und inhaltlich erweiterten Seiten (siehe präsentieren: Dabei öffnete unser Verein der Ufa-Insolvenz erneut geschlos- auch S. 38) exemplarisch vorgeführt. auf dem Gelände der Hamburg Media sen, gab es am 27. Dezember 2004 Über etliche Neuzugänge wurde be- School zum zweiten Mal exklusiv den ein zweites Comeback mit dem Pro- Bereit zum Messerkampf flexibler Gestalter, zauberte ein Gemisch aus Zeit der großen Filmtheater mit ihrer festlich- richtet, die den Fundus unseres Vereins Magazinfundus im Filmbunker auf dem grammkino-Betreiber Torben Scheller mit Winnetou: Sioux- Krimi-, Western- und ‚Orion‘-Sound. Prompte feierlichen Ausstrahlung, die den Kinobesuch im Filmbunker auf dem Campus-Gelände Gelände: Die über die Jahre bereits zu- aus Hannover. Im Sommer 2008 war Häuptling Roter Büffel Zuschauerreaktion zu Beginn des Films, als zu einer aufregenden aber erschwinglichen Rei- Finkenau bereichern. So hat unser Verein sammengetragenen großen Bestände an dann erneut Schluss, der endgültige (Vojo Govedariza) in „Winnetou und Shatterhand Silers Bande die Apachen überfällt: „Ah, das se in farbenprächtige optische und klangliche erstmals seit Jahresbeginn eine komplette Geräten, Filmen, Plakaten, Schriftstücken Abriss im Rahmen einer Umbau- und im Tal der Toten“ (1968) klingt wie Raumschiff Orion.“ In der Tat. Unbe- Abenteuer machten. Überspielanlage für 16-mm-Filmmaterial etc. konnten unter fachkundiger Führung Sanierungsmaßnahme drohte. Doch friedigt verließ ich den Kinosaal. Dass Wendlandt Interessant ist aus heutiger Sicht: Bis auf zur Verfügung, so dass nun problemlos besichtigt werden. Als Ansprechpartner dann geschah das Wunder: Zähe Ver- seinen Winnetou-Erfolg selbst zu Grabe getragen Passage und Savoy (derzeit „Metropolis“) sind Videos oder auch DVDs von archivierten standen neben Joachim Paschen und handlungen zwischen dem Investor hatte, stand manchen Besuchern ins Gesicht ge- alle anderen erwähnten Kinos eingegangen, Schmalfilmen gezogen werden können. Volker Reißmann weitere Mitglieder und dem Bezirk sorgten für den Er- schrieben. obwohl sie vorher zu umsatzträchtigen Legebat- Im Juli 2011 konnte unser Verein schließ- zur Verfügung stehen. Leider konnte aus halt des Kinos. So konnte nach erneu- Die Ideenlosigkeit bei den May-Verfilmungen terien, pardon, Schachtelkinos, ausgebaut wur- lich noch rund 100 Leitz-Ordner aus dem technischen Gründen das Super-8-Scree- ter gründlicher Renovierung am 17. hatte sich schon davor im Sommer abgezeich- den. Das bedeutet, dass letztlich die Kinos mit Nachlass des langjährigen Direktors der ning „Retro-City Hamburg“ auf rattern- Oktober 2011 die nunmehr dritte net, als ‚Winnetou und das Halbblut Apanatschi‘ einladenden Sälen überlebt haben. Ist gehobe- Staatlichen Landesbildstelle Hamburg, den Schmalfilm-Projektoren mit Endlos- Wiedereröffnung erfolgen, wieder mit in Hamburgs Prachtkino für Großproduktio- nes Kinoniveau wieder gefragt? Hoffentlich hält Fritz Kempe, übernehmen. Die akribisch Filmschleifen, das vor zwei Jahren großen zwei Sälen. Unser Vereinsmitglied nen, dem savoy, vorgeführt wurde. An der der Trend an und beschert uns in feierlichem geführten Ordner dokumentieren mit Anklang gefunden hatte, nicht stattfin- Hans-Peter Jansen hat jetzt den Spiel- Stätte, an der einst ‚Ben Hur‘ über ein Jahr lang Rahmen faszinierende Begegnungen mit neuen diversen Aufsätzen, Filmkritiken, Presse- den. Auch dank der zahlreichen anderen betrieb übernommen – es ist sein in- Triumphe feierte, lief nun Karl May. Ich fühlte prächtigen Abenteuern. Es müssen ja nicht un- heften, Zeitungsausschnitten, Protokol- Angebote auf dem Medien-Campus an zwischen siebentes Lichtspieltheater mich geehrt. bedingt 3-D-Filme sein. • len und handschriftlichen Notizen viele der Finkenau war der Besucherstrom be- im Großraum Hamburg bzw. in Nord- Auf der 20 x 7 Meter großen Leinwand (an- Entwicklungen und Ereignisse im Kino- achtlich. So zeigte der Filmstudiengang deutschland. • dere Angaben nennen 20 x 8,4 m) hatte der Film und Filmbereich im Zeitraum von 1953 der Hamburg Media School Höhepunkte eine überragende Weite. Auch die Tatsache, bis etwa 1976: Auch Entscheidungen der aus dem Schaffen seiner Studierenden in dass Winnetou und Old Shatterhand mit Sam Filmbewertungsstelle, an den Kempe teil- einem provisorischen Kino. Zudem gab Hawkens wieder vereint ritten und kämpften, weise selbst als Gutachter mitwirkte, sind Radio TIDE, der Ausbildungs- und Bür- gab Anlass auf eine gewisse Überlebenschance schriftlich festgehalten – und diverse Ta- gerkanal Hamburgs, seine Hörfunk- und der May-Welle. Doch die buchferne und ganz gungen und Kongresse der Bildstellen im Fernsehstudios – die direkt gegenüber und gar May fremde Machart des Dynamit- gesamten Bundesgebiet, die sich auch unserem Vereinsdomizil liegen – zur Be- Westerns (Old Shatterhand: „Ab jetzt wird Ge- häufig mit aktuellen filmpolitischen The- sichtung frei und veranstaltete Aktionen walt mit Gewalt beantwortet“) erinnerte eher matiken befassten. wie „TV zum Mitmachen“. Im Laufe des an Adolf H. denn an Karl M.. Im Herbst 2011 erfuhr unser lang- Abends gab es viel Anerkennung für die Aufgrund all dieser „lichten“ und bewegten jähriges Mitglied, der am 12. November Arbeit des Vereins, und es wurden zahl- Eindrücke denke ich mit Wehmut zurück an die 2005 verstorbene Hamburger Filmprodu- reiche neue Kontakte geknüpft.• Foto: Anita Wertiprach 58 COUPON /MATINEEN

Ich werde Mitglied! Sonntagsmatineen im Abaton-Kino

Ich/Wir möchte(n) Mitglied im Film- und Fernsehmuseum Hamburg e.V. werden. 27. November 2011 Zudem verlieben sich Westermanns Sohn Die Mitgliedschaft kostet € 65,- pro Jahr Zeitungsstadt Hamburg und Messinas Tochter ineinander. Zum für natürliche Personen, € 130,- pro Jahr Anhand von Selbstdarstellungsfilmen so- Schluss liefern sich die Kontrahenten eine für Institutionen und Firmen. Die Vereins- wie zeitgenössischen Werbe- und Doku- wilde Verfolgungsjagd per Boot durch zeitschrift „Hamburger Flimmern“ erhalten mentarfilmen wird die Entwicklung der den Hamburger Hafen, an dessen Ende Mitglieder kostenlos. Presselandschaft der Hansestadt nach nur einer übrigbleibt.

Name: 1945 geschildert. Das Programm beginnt Der „Tagesspiegel“ schrieb am 9. 12. 1973: mit dem amerikanischen Reeducation- „Wer sich diesen neuen deutschen Film Inst., Firma: Film „Freedom of the Press“, der die Deut- ansieht, erhält einen ungefähren Überblick Straße: schen nach Jahren der gleichgeschalte- über das, was in den letzten anderthalb

PLZ, Ort: ten Nazi-Presse wieder mit einem demo- Jahren an der Kinokasse Geld gebracht kratischen Pressewesen bekannt machen hat ... Die unfassbare Naivität und Hilflo- Telefon: sollte. Danach werden Kurzfilme gezeigt, sigkeit, mit der das alles zusammengebas- e-mail: die die Entwicklung von sozialdemokra- telt und inszeniert ist ... machen den Film tischen Blättern wie „Hamburger Echo“ schon beinahe wieder sehenswert.“ und „Hamburger Morgenpost“ über die Einen Verrechnungsscheck über den Publikationen von Springer „Hamburger 26. Dezember 2011 Jahresbeitrag füge ich bei. Abendblatt“ und „Bild“-Zeitung bis hin Zum 85. Geburtstag des Hamburger zum „spiegel“ und der „zeit“ reflektieren. Regisseurs Bodo Menck Einsenden an: Hamburger Flimmern Die Veranstaltung findet in Kooperation Gezeigt wird noch einmal eine kleine Sierichstr. 145 · 22299 Hamburg mit dem Verein Pressemuseum Hamburg Auswahl von populären Kulturfilmen aus e.V. statt. Volker Reißmann präsentiert der Zeit Anfang der 1950er Jahre wie und erläutert die Filme. „01 greift ein“ (1949/50) und „Nur ein Ich abonniere! Straßenbahner“ (1950). 18. Dezember 2011 Ich/Wir möchte(n) die nächsten vier Aus- Jürgen Rolands 22. Januar 2012 gaben der ­Zeitschrift „Hamburger Flimmern“ „Zinksärge für die Goldjungen“ Die große Flut von 1962 für € 20,- ­abonnieren. Das Abo verlängert BRD/Italien 1972/73 Vor 50 Jahren stand Hamburg vor einer sich automatisch um weitere vier Ausga- Mit Herbert Fleischmann, Horst Janson, gewaltigen Katastrophe: Ein Fünftel des ben, wenn es nicht binnen zwei Wochen Henry Silva, Farbe, 90 Min. Stadtgebiets war vom Wasser bedeckt, nach Erhalt der vierten bezogenen Ausgabe gekündigt wird. Mafia-Krieg in Hamburg, vermischt mit Zehntausende von Menschen waren be- einer Romeo-und-Julia-Story: Otto Wes- droht. An der Elbe herrschte Ausnahme-

Name: termann ist der Boss der Hamburger Un- zustand, der eine große Hilfsbereitschaft terwelt. Plötzlich kommt der sizilianische auslöste. Die Auswirkungen der Sturm- Inst., Firma: Gangster Luca Messina samt Familie aus flut und der Einsatz von Polizei, Feu- Straße: den Vereinigten und bringt die Hambur- erwehr, Bundeswehr, THW und vieler

PLZ, Ort: ger Unterwelt in Aufruhr, weil er zum freiwilliger Helfer, organisiert vom da- alleinigen Gangsterboss in der Hanse- maligen Innensenator Helmut Schmidt, Telefon: stadt aufsteigen möchte. Im folgenden der als Retter der Stadt in die Geschich- e-mail: Bandenkrieg werden sämtliche Register te eingegangen ist, sind in vielen Filmen des Action-Krimis gezogen, auch die dokumentiert worden. Eine Auswahl er- asiatische Kampfkunst kommt zum Zuge. innert an diese Zeit. Einsenden an: Hamburger Flimmern Sierichstr. 145 · 22299 Hamburg

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Hamburger Flimmern Die Zeitschrift des Film- und Fernsehmuseums Hamburg e.V. www.filmmuseum-hamburg.de www.fernsehmuseum-hamburg.de Redaktion: Jürgen Lossau (V.i.S.d.P.), Dr. Joachim Paschen, Volker Reißmann Layout: atelier anita wertiprach Adresse: Sierichstr. 145, 22299 Hamburg Telefon 040-468855-0, Fax -99 Bitte Platz nehmen [email protected] Erscheinen: unregelmäßig 1–2 mal jährlich Anzeigen: sind gern gesehen Das Metropolis freut sich Bezug: für Mitglieder kostenlos Foto: Anita Wertiprach Titelblatt-Foto: Conti-Press auf Ihren Besuch